Plenarprotokoll 17/70 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 70. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 10. November 2010 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Strategie zur digitalen Zukunft Deutschlands Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Garrelt Duin (SPD) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Lars Klingbeil (SPD) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Garrelt Duin (SPD) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksachen 17/3619, 17/3635) Dringliche Frage 1 Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Fünf-Punkte-Katalog des Bundesministers des Innern zur Verbesserung der Sicherheit bei der Luftfracht Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Zusatzfragen Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Hendricks (SPD) Dringliche Frage 2 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mängel in der Personalausstattung des Zolls als mögliche Ursache für Sicherheitslücken im Luftfrachtverkehr Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 1 Dr. Barbara Hendricks (SPD) Maßstäbe zur Messung der Wirkungssteigerung der deutschen wirtschaftlichen Zusammenarbeit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Barbara Hendricks (SPD) Mündliche Frage 2 Dr. Barbara Hendricks (SPD) Implementierungsmaßnahmen zur Schärfung des Bewusstseins für Entwicklungsfragen in anderen Bundesministerien Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Barbara Hendricks (SPD) Manfred Grund (CDU/CSU) Mündliche Frage 3 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Stufenplan zur Erreichung eines Anteils von 0,7 Prozent des Bruttonationalproduktes bis 2015 für Entwicklungszusammenarbeit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Bärbel Kofler (SPD) Mündliche Frage 4 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Sektorstrategie Bildung im BMZ Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Bärbel Kofler (SPD) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) Mündliche Frage 5 Dr. Sascha Raabe (SPD) Kritik der OECD an der Mittelverteilung für die Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Sascha Raabe (SPD) Mündliche Frage 6 Dr. Sascha Raabe (SPD) Äußerung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie zur zukünftigen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Sascha Raabe (SPD) Heike Hänsel (DIE LINKE) Holger Haibach (CDU/CSU) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Mündliche Frage 7 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Mittel zur Unterstützung der selbstbestimmten Familienplanung und reproduktiven Gesundheit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Karin Roth (Esslingen) (SPD) Mündliche Frage 8 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Zielgröße "Gender" im Haushalt des BMZ Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Karin Roth (Esslingen) (SPD) Mündliche Frage 9 Heike Hänsel (DIE LINKE) Finanzielle Unterstützung des "Plans zur integralen Konsolidierung der Macarena" der kolumbianischen Regierung Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Heike Hänsel (DIE LINKE) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 10 Heike Hänsel (DIE LINKE) Aussage im BMZ-Papier zur Bewertung des Macarena-Projektes betreffend Erfahrungen mit der Schaffung von Governance-Strukturen Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Heike Hänsel (DIE LINKE) Mündliche Frage 11 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Vorlage eines Berichtes zur Verstrickung des Auswärtigen Amtes in die Nazibarbarei Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Zusatzfragen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Mündliche Frage 12 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Erkenntnisse der Bundesregierung über die Tätigkeit NS-belasteter Beamter des Auswärtigen Amtes nach 1945 Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Zusatzfragen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Mündliche Frage 22 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Verhandlungen über ein allgemeines Datenschutzabkommen zwischen den USA und der EU Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Mündliche Frage 23 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Haltung der Bundesregierung zu der von der EU-Kommission am 4. November 2010 angekündigten neuen Strategie im Datenschutzrecht Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Zusatzfragen Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Mündliche Frage 24 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Analyse im Bundesministerium des Innern zu etwaigen Vollzugsdefiziten betreffend die Verpflichtung zur Teilnahme an Integrationskursen Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Zusatzfragen Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demonstrationen und Vorgänge beim Castortransport Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Kirsten Lühmann (SPD) Christian Lindner (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Alexander Dobrindt (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Marco Buschmann (FDP) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eckhard Pols (CDU/CSU) Sebastian Edathy (SPD) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Angelika Brunkhorst (FDP) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Johannes Selle (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes (68. Sitzung, Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Joachim Hörster (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Biblis B) (68. Sitzung, Nachtrag, Tagesordnungspunkt 4 a) Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Luther (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Streichung § 7 d) (68. Sitzung, Nachtrag, Tagesordnungspunkt 4 a) Anlage 5 Mündliche Frage 13 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Unterstützung der US-Administration bei wichtigen internationalen Herausforderungen nach den Ergebnissen der Kongresswahlen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 6 Mündliche Frage 14 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Haltung der Bundesregierung im Konsultationsprozess zur Europäischen Nachbarschaftspolitik Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 7 Mündliche Frage 15 Klaus Barthel (SPD) Deutsche Position zum Optionenpapier der EU zur Politik gegenüber Kuba Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 8 Mündliche Frage 16 Klaus Barthel (SPD) Voraussetzungen für ein bilaterales oder multilaterales Abkommen mit Kuba Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 9 Mündliche Frage 17 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Initiativen zur Verhinderung der Hinrichtung von Sakine Aschtiani in Iran Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 10 Mündliche Frage 18 René Röspel (SPD) Ergebnisse der eingesetzten Arbeitsgruppe zu den Ansprüchen aus § 52 b des Urheberrechtsgesetzes Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 11 Mündliche Frage 19 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wechsel ehemaliger Mitarbeiter von Bundessicherheitsdiensten zu in Afghanistan tätigen privaten Sicherheitsdiensten seit 2004 Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 12 Mündliche Fragen 20 und 21 Gustav Herzog (SPD) Termine von Bundesministerinnen und Bundesministern im Jahr 2010 in Rheinland-Pfalz; Vertretung von Bundesministerinnen und Bundesministern im Jahr 2010 für Termine in Rheinland-Pfalz Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 13 Mündliche Frage 25 Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einführung eines Punktesystems bei der Einwanderung Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 14 Mündliche Fragen 26 und 27 Manfred Grund (CDU/CSU) Parallele Anwendung von deutschem und islamischem Recht vor deutschen Gerichten; etwaige Mehrkosten Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 15 Mündliche Frage 28 Kirsten Lühmann (SPD) Etwaige Schutzlücke durch das Aussetzen der Vorratsdatenspeicherung Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 16 Mündliche Frage 29 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Beschränkung von Honoraren für Insolvenz-verwalter auf ein realitätsgerechtes Maß Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 17 Mündliche Frage 30 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Umsetzung des Meistbegünstigungsprinzips infolge der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 18 Mündliche Frage 31 Hans-Joachim Hacker (SPD) Vereinbarkeit der geplanten Luftverkehrsteuer mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Stärkung des Tourismus in Deutschland Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 19 Mündliche Frage 32 Hans-Joachim Hacker (SPD) Themenjahr 2011 "Gesundheitstourismus in Deutschland" Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 20 Mündliche Fragen 33 und 34 Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Tourismustrend "Gesundheitstourismus"; Nutzung entsprechender Angebote im Ausland Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 21 Mündliche Frage 35 Andrea Nahles (SPD) Auswahl der Leistungserbringer für das Themenjahr 2011 "Gesundheitstourismus" Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 22 Mündliche Fragen 36 und 37 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Zahlung von Weihnachtsgeld oder äquivalente Zahlungen in den Jahren 1990, 2000 und 2009 Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 23 Mündliche Fragen 38 und 39 Garrelt Duin (SPD) Evaluierung des erweiterten Bürgschaftsprogramms der Bürgschaftsbanken Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 24 Mündliche Frage 40 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zustand und Sicherheit der russischen Plutoniumfabrik Majak Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 25 Mündliche Frage 41 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorlage des CCS-Gesetzes Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 26 Mündliche Frage 42 Caren Marks (SPD) Planungen für den Fall einer nicht termingerechten Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Bemessung der Regelsätze und zur sozialen und kulturellen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen bis zum 1. Januar 2011 Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 27 Mündliche Frage 43 Anette Kramme (SPD) Höhe und Organisation der Auszahlung der Regelleistungen nach SGB II und SGB XII bei fehlender Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum 1. Januar 2011 Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 28 Mündliche Frage 44 Anette Kramme (SPD) Form und Höhe der beabsichtigten Leistungen nach § 28 SGB II und § 34 SGB XII in der novellierten Fassung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 29 Mündliche Fragen 45 und 46 Jutta Krellmann (DIE LINKE) Ermittlung des öffentlichen Interesses an einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung und Einschätzungen zur Repräsentativität des Mindestlohns in der Weiterbildung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 30 Mündliche Frage 47 Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Kriterien für die Auslegung des öffentlichen Interesses beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 31 Mündliche Frage 48 Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Gezahlte Stundenentgelte in der Weiterbildungsbranche im Rahmen des SGB II und SGB III sowie bei Weiterbildungsdienstleistungen in der Privatwirtschaft Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 32 Mündliche Fragen 49 und 50 Beate Müller-Gemmeke (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 33 Mündliche Frage 51 Yvonne Ploetz (DIE LINKE) Untergraben der Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie durch Tarifflucht und Ausgründungen Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 34 Mündliche Frage 52 Yvonne Ploetz (DIE LINKE) Einschätzung der Tarifpartner in der Weiterbildung zur Bedeutung der Repräsentativität für § 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 35 Mündliche Fragen 53 und 54 Agnes Alpers (DIE LINKE) Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Mindestlohns in der Weiterbildung und Repräsentativität des Mindestlohntarifvertrags und der Haustarifverträge für die Branche Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 36 Mündliche Frage 55 Michael Gerdes (SPD) Zusätzliche Fördermöglichkeiten für Migranten in Anpassungs- und Nachqualifizierungsmaßnahmen Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 37 Mündliche Frage 56 Christel Humme (SPD) Verhinderung einer Vermittlung in eine Beschäftigung mit sittenwidriger Entlohnung bzw. mit einem Bruttostundenlohn von unter 3 Euro; aufstockende Zahlung von Arbeitslosengeld II an entsprechend vermittelte Personen Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 38 Mündliche Fragen 57 und 58 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Inkraftsetzung der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung; Vereinbarkeit der Rechtslage für Menschen mit Behinderung in Deutschland mit der UN-Behindertenrechtskonvention Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 39 Mündliche Frage 59 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Einbeziehung des Deutschen Bundestages in Diskussion und Beschlussfassung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 40 Mündliche Frage 60 Veronika Bellmann (CDU/CSU) Gestaltungsspielraum der Träger bei der Bürgerarbeit Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 41 Mündliche Fragen 61 und 62 Kerstin Tack (SPD) Verfahren im Rahmen der Veröffentlichung von Verbraucheranfragen auf der neuen Internetplattform "Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln"; Umsetzung ähnlicher Projekte in anderen Ländern Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 42 Mündliche Fragen 63 und 64 Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Ausgaben der öffentlichen Hand für die Lebensmittelüberwachung in Deutschland und Dänemark; Finanzbedarf für die Einführung des Smiley-Systems nach dänischem Vorbild Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 43 Mündliche Frage 65 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Festlegung von Gesamtfangmengen und Fangquoten für alle im Bestand beeinträchtigten kommerziell genutzten Arten von Fischen und Meerestieren im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 44 Mündliche Frage 66 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Umgehung der Verschreibungspflicht beim Versand von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln durch die 15. Änderung des Arzneimittelgesetzes Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 45 Mündliche Frage 67 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erfassung der eingesetzten Antibiotikamengen in der Tierhaltung nach Postleitzahlenregion ab 2012 zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes und damit drohender Resistenzen wie MRSA; Vertretbarkeit der Sonderfallregelung für die Geflügelindustrie Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 46 Mündliche Frage 68 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einhaltung der Brandschutzverordnungen unter den Bedingungen der Massentierhaltung Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 47 Mündliche Frage 69 Inge Höger (DIE LINKE) Konsequenzen wissenschaftlicher Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen ionisierender Strahlen für die vorliegenden Versorgungs- und Entschädigungsanträge ehemaliger Soldaten von Bundeswehr und NVA Antwort Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 48 Mündliche Frage 70 Klaus Brandner (SPD) Weiternutzung des Truppenübungsplatzes Senne für militärische Zwecke Antwort Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 49 Mündliche Frage 71 Caren Marks (SPD) Umschulungsprogramm "Mehr Männer in Kitas" Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 50 Mündliche Frage 72 Nicole Gohlke (DIE LINKE) Vorzeitige Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Studenten infolge der BAföG-Novelle durch die Techniker Krankenkasse Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 51 Mündliche Frage 73 Peter Friedrich (SPD) Flugverkehrsbelastung durch Anflüge auf den Flughafen Zürich Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 52 Mündliche Fragen 74 und 75 Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Fahrrinnentiefe der Elbe und Planung einer Staustufe durch die Tschechische Republik Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 53 Mündliche Frage 76 Heinz Paula (SPD) Stand der Realisierung der Umfahrung der Bundesstraße 19 Fischen im Allgäu Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 54 Mündliche Fragen 77 und 78 Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Austausch von Brennstäben in deutschen Kernkraftwerken Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 55 Mündliche Fragen 79 und 80 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorbehalte Schleswig-Holsteins bezüglich der Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 56 Mündliche Frage 81 Heinz Paula (SPD) Zulässigkeit der Errichtung eines Wasserkraftwerks im Augsburger Stadtwald Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 57 Mündliche Frage 82 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Gewinnung von 300 000 zusätzlichen Fachkräften durch Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen im Wege eines Bundesgesetzes Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 58 Mündliche Frage 83 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Bildungsabschlüsse und Berufsqualifikationen der in Deutschland lebenden Migranten Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 59 Mündliche Fragen 84 und 85 Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Gewährleistung einer bundesweit einheitlichen Entscheidungspraxis im geplanten Gesetz zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens zu im Ausland erworbenen Qualifikationen; Unterstützung der Länder und beauftragten Organisationen bei der Verfahrensdurchführung Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 60 Mündliche Fragen 86 und 87 Willi Brase (SPD) Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahren für im Ausland erworbene Qualifikationen bei nicht bundesrechtlich geregelten Berufen; etwaiger Anspruch auf individuelle Feststellung informeller Kompetenzen Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 61 Mündliche Frage 88 Michael Gerdes (SPD) Rechtsanspruch auf Anpassungs- oder Nachqualifizierung im geplanten Bundesgesetz zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens bei Teil-anerkennung von Qualifikationen Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 62 Mündliche Fragen 89 und 90 Ulla Burchardt (SPD) Zahl der Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland mit ausländischen Abschlüssen und seit 2005 durchgeführte Anerkennungsverfahren Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 63 Mündliche Frage 91 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Sozialpartnern zur Ermittlung von Standards für faire Praktika Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 64 Mündliche Frage 92 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unterstützung der Länder über den bisher vereinbarten Hochschulpakt 2020 hinaus beim zusätzlichen Ausbau von Studienplatzkapazitäten aufgrund der geplanten Aussetzung von Wehr- und Zivildienst Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 65 Mündliche Fragen 93 und 94 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Auswirkungen der Wehrpflichtaussetzung auf den Mehrbedarf von Studienplätzen Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 66 Mündliche Frage 95 Nicole Gohlke (DIE LINKE) Grund für die fehlende Angleichung der Erhöhung der sogenannten Sozialpauschalen nach § 13 a BAföG im Zuge der 23. BAföG-Novelle an die tatsächliche Beitragssteigerung der Kranken- und Pflegeversicherung für versicherte Studierende und Praktikantinnen und Praktikanten Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 67 Mündliche Frage 96 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Stand der Überarbeitung der sonderpädagogischen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 68 Mündliche Frage 97 René Röspel (SPD) Projekte und finanzielle Mittel zur Förderung der Forschung zur Konfliktvermeidung und Friedenssicherung seit Mitte 2007 Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF 70. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 10. November 2010 Beginn: 13.00 Uhr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Strategie zur digitalen Zukunft Deutschlands. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der IKT, der Informations- und Kommunikationstechnologie, handelt es sich um ein Querschnittswissen, das alle Sektoren der Wirtschaft und der Gesellschaft umfasst. Die in der IKT-Branche tätigen Unternehmen erzielen in Deutschland einen Umsatz von 140 Milliarden Euro im Jahr. Rund 850 000 Beschäftigte sind in der IKT-Branche tätig. Hinzu kommen weitere 650 000 IKT-Spezialisten, die diese Technologie in den Unternehmen selbst anwenden. Die IKT hilft uns, die großen Herausforderungen zu meistern. Die Informations- und Kommunikationstechnologie bringt uns zum Beispiel in der Medizin weit voran. So ist etwa die Lasertechnik in der Chirurgie nicht mehr wegzudenken. Die IKT bietet auch Lösungen im Energiebereich. Zum Beispiel lassen intelligente Stromzähler die Waschmaschine erst dann laufen, wenn der Strom günstig ist. Die IKT ist besonders gefragt, wenn es um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland geht; denn sie ist ein wichtiger Innovationstreiber. Sie ist auch Treiber unseres derzeitigen Aufschwungs. Dieser Aufschwung war zunächst der starken Nachfrage nach Automobilen und Maschinen made in Germany zu verdanken; darin steckt viel IKT. So sind bis zu 40 Prozent der Wertschöpfung bei den Premiumfahrzeugen der IKT zuzurechnen: etwa Minisensoren, die den Fahrer vor Glatteis oder Stau warnen oder ihm beim Einparken helfen. Inzwischen ist der Impuls vom Export auf die Binnennachfrage übergesprungen. In diesem Jahr stammen etwa zwei Drittel der Wachstumskräfte vom Binnenmarkt; der Sachverständigenrat geht nach seinem heute vorgelegten Gutachten davon aus, dass im nächsten Jahr 90 Prozent der Wachstumskräfte vom Binnenmarkt stammen werden. Es kommt jetzt darauf an, dass aus diesem Aufschwung ein langfristiges Wachstum wird. Dafür müssen wir die Innovationskraft unserer Unternehmen stärken. Auch hier ist der IKT-Bereich ein Schlüsselbereich, um etwa in Fertigungsprozessen mit modernen Techniken effizienter und schneller arbeiten zu können. So ist eine Just-in-time-Produktion möglich. IKT-Entwicklungen sind im Wesentlichen die Grundlage von Produktivitätssteigerungen. Die Kommission der Europäischen Union schätzt, dass über die Hälfte der Produktivitätssteigerungen auf die Informations- und Kommunikationstechnologie zurückzuführen sind. Deutschland ist vorn mit dabei, wenn es um die Entwicklung maßgeschneiderter IKT für Industrie und gewerbliche Wirtschaft geht. Deutschland ist auch vorn mit dabei, wenn es um die Anwendung dieser modernen Technologie geht. Das geht aus dem IKT-Standortmonitoring des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie hervor. Diese Standortanalyse werden wir auf dem Nationalen IT-Gipfel am 7. Dezember in Dresden vorstellen. Deutschland liegt jetzt auf Platz 4 der 15 größten IKT-Nationen der Welt; wir haben uns um einen weiteren Platz verbessert. Wir wollen aber mehr. Am Schluss wollen wir auf das Siegertreppchen gelangen. Darum haben wir heute Vormittag im Kabinett die neue IKT-Strategie beschlossen. Sie trägt den Titel "Deutschland Digital 2015". Das bedeutet: Wir wollen den Bereich IKT stärken und so den Standort Deutschland auf dem Gebiet der Zukunftstechnologien noch fitter machen. Diese Strategie wird von der gesamten Bundesregierung getragen. Sie wurde bereits im Koalitionsvertrag begründet und festgeschrieben. Diese Aufgabe haben wir zügig umgesetzt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hatte die Federführung inne und koordiniert jetzt die Umsetzung gemeinsam mit den anderen Ressorts. Wir brauchen einen engen Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Der IT-Gipfel ist dafür eine wichtige Plattform. Konkret geht es um sechs Punkte: Erstens geht es darum, durch die digitale Vernetzung neues Wachstum und die Entstehung neuer Arbeitsplätze zu ermöglichen. Zweitens geht es darum, digitale Netze auszubauen, und drittens darum, den Verbraucher im Internet zu schützen. Viertens geht es darum, Forschung und Entwicklung im IKT-Bereich voranzutreiben. Fünftens soll der Bereich der Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der neuen Medien gestärkt werden. Sechstens. IKT soll noch stärker genutzt werden, wenn es um die Lösung großer Probleme geht. Dreh- und Angelpunkt der digitalen Vernetzung unserer Wirtschaft ist eine gut ausgebaute und leistungsfähige Infrastruktur. Mit der Breitbandstrategie sind wir auf einem sehr guten Weg zu einer flächendeckenden Versorgung. Als Wirtschaftsminister ist es mir wichtig, zu betonen, dass Forschen, Entwickeln und Entdecken einzig und allein Aufgaben der Unternehmen sind. Der Staat setzt den Rahmen. Aus diesem Grund gibt es die IKT-Strategie. Das sind die Leitlinien, die den Rahmen setzen. Ich denke insbesondere an den Verbraucherschutz. Das ist auch mir ein besonders wichtiges Anliegen. Auf diesem Gebiet gibt es nach wie vor ein enormes Verbesserungspotenzial. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dieses Thema bei der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes aufgegriffen. Beispiel Warteschleifen. Das kennt fast jeder von uns: ewiges Warten, Musikgedudel und am Ende eine dicke Rechnung. In Zukunft soll der Kunde erst bezahlen, nachdem er tatsächlich Beratung und Hilfe bekommen hat. Ein weiteres Beispiel ist die Vertragslaufzeit. Heute ist es kaum möglich, einen Telefon- oder Internetvertrag mit einer Laufzeit von weniger als zwei Jahren abzuschließen. Dadurch ist der Wettbewerb stark eingeschränkt, zum Teil sogar fast ausgeschlossen. Das ist nicht fair. Deshalb muss jeder Anbieter in Zukunft auch einen Vertrag mit einer maximalen Laufzeit von zwölf Monaten anbieten. Dann können die Verbraucher den Anbieter schneller wechseln, was den Wettbewerb fördert. Ein anderes Beispiel ist der Anbieterwechsel. Auch das haben viele von uns schon erlebt: Der eine Vertrag wurde gekündigt, aber der andere Vertrag ist noch nicht angelaufen; tagelang ertönt dann "Kein Anschluss unter dieser Nummer". In Zukunft darf die Leitung für maximal 24 Stunden unterbrochen sein, wenn der Anbieter gewechselt wird. Der Kunde kann nicht tagelang offline sein, nur weil er zur Konkurrenz, zu einem anderen Wettbewerber, geht. Auch auf diesem Gebiet brauchen wir stärkere Impulse für einen fairen Wettbewerb. Verbraucherschutz ist auch an einer anderen Stelle ein Thema: bei der Kriminalität im Internet. Dabei geht es zum Beispiel um Computerviren auf privaten oder geschäftlichen PCs. Fast 20 Millionen Deutsche haben so etwas schon einmal erlebt. Mittelstandsbetriebe können sich durch spezielle Softwareprogramme und eine entsprechende Beratung schützen. Vertrauen schaffen wir nur durch Sicherheit. Ich denke zum Beispiel an die Diskussion über den Bilderdienst von Google Street View. Wir wollen Vertrauen und Sicherheit in der digitalen Welt stärken. Klar ist: Das Internet muss jedem zur Verfügung stehen, und zwar als freies Netz für freie Bürger. Mir geht es dabei vor allem um die Netzneutralität und die Diskriminierungsfreiheit. Es dürfen nicht einige wenige das Internet kontrollieren und quasi monopolisieren. Auch darauf habe ich bei der Novelle zum Telekommunikationsgesetz großen Wert gelegt. Jetzt geht es um die Umsetzung. Ich setze auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Wir werden, wie schon angesprochen, auf dem fünften IT-Gipfel am 7. Dezember 2010 in Dresden wichtige Projekte für das kommende Jahr verabreden. In sieben Arbeitsgruppen werden insgesamt 150 Personen mitarbeiten. Sie tun dies ehrenamtlich und mit großem Engagement. Ich erwarte weitere wichtige Impulse. Insbesondere beim Ausbau des Breitbandnetzes und dem nationalen IT-Gipfel gehen wir in Europa mit gutem Beispiel voran. Wir wollen auch in anderen Bereichen Lokomotive sein. Dabei hilft uns eine erfolgreiche IKT-Strategie. Vielen Dank. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Danke schön, Herr Bundesminister. - Ich habe schon einige Fragewünsche aufgezeichnet. Als erste Fragestellerin hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident, für die Worterteilung. - Herr Brüderle, ich habe eine Frage, die sich aus Ihrer Ankündigung in Bezug auf die Entwicklung der Arbeitsplätze in diesem Bereich ergibt; Sie haben Ihren einleitenden Bericht damit begonnen. Die Bundesregierung hat gesagt, dass in den nächsten Jahren etwa 30 000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Ein ähnliches Ziel verfolgt offensichtlich auch die britische Regierung. David Cameron sagte in diesem Kontext, dass dieses Ziel nur zu erreichen sei, wenn man auch das Urheberrecht anpasse und flexibler mache; ansonsten seien all die kreativen Innovationen und Dienstleistungen, durch die neue Arbeitsplätze entstehen sollten, nicht denkbar. Plant die Bundesregierung Ähnliches? Planen Sie mit Blick auf die digitale Zukunft Deutschlands eine Lockerung des Urheberrechts? Danke. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich bitte, direkt zu antworten. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Zunächst zu den Zahlen, die Sie nennen: Ich glaube, dass sie letztlich wesentlich höher sein werden. Wir haben schon derzeit einen Fehlbedarf, den wir nicht decken können: In Deutschland fehlen 65 000 Fachleute im IT-Sektor und 36 000 Ingenieure. Nach unseren Projektionen für die nächsten zehn Jahre wird dieser Fehlbedarf, wenn wir nichts dagegen tun, auf rund 240 000 ansteigen. Urheberrechtsänderungen sind jedenfalls in meinem Geschäftsbereich nicht geplant. Das ist allerdings ein Sektor, bei dem ich einräume, dass vieles im Fluss ist, weil es zu neuen Strukturen kommt, sodass man noch nicht in jeder Facette erkennen kann, wie weit es Bedarf nach rechtlicher Anpassung gibt. Ich halte es für wichtig, dass diejenigen, die sich neues Wissen erarbeiten, auch einen Vorteil davon haben. Es ist wesentlich, die uralte Diskussion "Patentschutz - ja oder nein?" anzugehen. Ich wiederhole: In meinem Geschäftsbereich sind solche Überlegungen derzeit nicht aktuell. Ob andere Ressorts etwas anderes planen, dazu kann ich nicht abschließend Stellung nehmen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Kollege Thomas Jarzombek hat das Wort. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Minister! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich die Regierung für den IT-Gipfel loben. Ich finde, das ist ein tolles und zukunftsweisendes Veranstaltungsformat. Ich würde mir allerdings auch wünschen, dass die Abgeordneten da eine größere Rolle spielen, als das bislang der Fall gewesen ist. Daran gibt es sehr viel Interesse. Nun zu meiner Frage. Die Breitbandstrategie der Bundesregierung ist sicherlich ein Erfolgsmodell, gerade was das Abdecken der weißen Flecken im ländlichen Raum betrifft. Insofern ist jetzt schon der geeignete Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, ob man nicht noch einen Schritt weitergehen kann. Auf jeden Fall wird Glasfaser die Zukunft der Breitbandverbindungen sein. Nur damit werden auf Sicht die Ansprüche an Breitbandverbindungen zu erfüllen sein. Ich glaube, dass die Infrastruktur ein ganz entscheidender Wirtschaftsfaktor ist. Wenn man sich hier einen Vorteil schaffen möchte, dann wäre es schon der richtige Weg, zu sagen: Wir gehen voran, wir spielen eine führende Rolle nicht nur in Europa, sondern weltweit, und wir fangen an, in jedem Gebäude Glasfaserausbau zu betreiben. Sie wissen, dass in der Europäischen Union die Anteile der Glasfaserverkabelung ausgesprochen gering sind. Im asiatischen Raum ist dieser Anteil schon viel höher. Insofern werden wir das sowieso irgendwann machen müssen. Wenn wir zu spät kommen, haben wir aber keinen Wettbewerbsvorteil. Wenn wir jetzt einsteigen und eine aktive Glasfaserstrategie verfolgen, können wir zahlreiche innovative Unternehmer, Gründer und unglaublich viele andere nach Deutschland ziehen. Wird in der Bundesregierung darüber gesprochen und nachgedacht, nach der Breitbandinitiative als nächsten Schritt eine nationale Glasfaserstrategie zu entwickeln? Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Ende des Jahres haben etwa 98,5 Prozent der Haushalte mindestens 1 Megabit. Das ist noch bescheiden. Im Breitbandkonzept ist die Strategie angelegt, dass in den nächsten vier bis fünf Jahren 75 Prozent der Haushalte 50 Megabit haben. Diese Haushalte haben dann Highspeed-Internet. Richtig ist: Die Zielrichtung muss darüber hinausreichen. Ich habe deshalb einen Branchendialog für genau diesen Sektor auf den Weg gebracht. Zwei Gesprächsrunden haben schon stattgefunden, aber es wurde noch kein Ergebnis erzielt. Es gibt also noch keine Folgestrategie, die in diese Richtung geht. Wenn wir flächendeckend Glasfaser verlegen wollen, müssen wir auch Funklösungen einbeziehen; denn es wäre zu teuer, zum Beispiel ein einzelnes Gehöft im Allgäu an das Glasfasernetz anzuschließen. Wir wollen anreizreguliert vorgehen, das heißt, die Wirtschaft, die Unternehmen sollen investieren und nicht der Staat. Wonach Sie fragen, ist Teil der Diskussion. Es wäre verfrüht, zu sagen, dass wir unmittelbar an die Breitbandstrategie eine Glasfaserstrategie anschließen wollen. Ich behalte dieses Thema jedoch im Auge. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage stellt der Kollege Garrelt Duin. Garrelt Duin (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte auf ein Thema zu sprechen kommen, das sich aus der Versteigerung des Frequenzpaketes ergeben hat. Dies betrifft die Frequenzen von 790 bis 862 Megahertz. Sie wissen, dass die Frequenzumstellung für Kultureinrichtungen, die drahtlose Mikrofone nutzen, problematisch ist. Hier wurde auch zwischen Bund und Ländern ein Problem geschaffen. Der Bund hat in der Vergangenheit zugesagt, die aus der Umstellung entstehenden Kosten in angemessener Form zu tragen. Nach meinem Informationsstand sind Bund und Länder in Gesprächen, liegen aber in ihren Vorstellungen noch meilenweit - das Wort passt in diesem Zusammenhang gut - auseinander. Dabei geht es nicht nur um die letzte Meile; der Abstand ist noch etwas größer. Nach meinen Informationen hat der Bund etwas mehr als 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt, die Länder erwarten aber rund 800 Millionen Euro. Können Sie uns sagen, wie der aktuelle Sachstand der Verhandlungen ist, worauf es Ihrer Meinung nach hinausläuft und in welcher Verantwortung sich der Bund bei diesem Thema sieht? Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sie sind völlig zutreffend informiert; genau so ist der Stand. Bei den Verhandlungen zwischen Bundesfinanzministerium und Ländern gibt es - das haben Sie richtig skizziert - Disparitäten. Eine Lösung ist noch nicht greifbar; man liegt weit auseinander. Ursprünglich betrugen die Forderungen der Länder, wenn ich es richtig im Kopf habe, sogar über 1 Milliarde Euro. Die Angebote vom Finanzministerium liegen in einer Größenordnung von etwas über 100 Millionen Euro. Meines Wissens sind in der letzten Zeit weitere Sondierungen erfolgt; aber es gibt noch keine abschließende Lösung. Es gibt die Zusage des Bundes, für die Kosten der Umstellung aufzukommen. Die Freigabe dieser Frequenzen hatte die Basis für die Versteigerung geschaffen. Die Erfahrung zeigt, dass der Föderalismus zu Lösungen fähig ist. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass dergleichen geraume Zeit dauert. Ich glaube, diese Zeit ist noch nicht abgelaufen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Fragerecht hat jetzt die Kollegin Tabea Rößner. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Herr Brüderle, Sie kommen ja aus dem gleichen Bundesland wie ich. Deshalb kennen auch Sie die dortigen Diskussionen über den Breitbandanschluss. Es gibt bei diesem Thema sehr widersprüchliche Angaben. Ein Referent aus Ihrem Haus hat im Unterausschuss Neue Medien gesagt, dass es praktisch keine weißen Flecken, also Gebiete in Deutschland ohne schnellen Internetanschluss, mehr gebe und dass man fast überall zu einer Versorgung mit bis zu 40 Mbit/s komme. Dem widerspricht unsere Erfahrung aus Rheinland-Pfalz. Im Rhein-Lahn-Kreis sind 23 Gemeinden nicht angeschlossen. In Schleswig-Holstein sind 800 Gemeinden mit jeweils um die 1 100 Einwohnern nicht versorgt. Wenn ich meine Familie betrachte, komme ich zu dem Ergebnis, dass 40 Prozent keinen Breitbandanschluss haben. Die tatsächlichen Zahlen sind also andere. Auch die OECD kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschland weit hinter Ländern wie Dänemark, Frankreich und Luxemburg zurückliegt. Deutschland liegt mit einer Breitbandversorgung von 23,7 Prozent im Mittelfeld; der Anteil an Glasfaserverbindungen liegt in Deutschland bei 1 Prozent. Ich frage Sie: Wie definieren Sie die weißen Flecken? Wie kann man verlässliche Daten bekommen? Der Breitbandatlas scheint nicht das richtige Instrument zu sein, um verlässliche Daten zu bekommen. Vor allen Dingen: Welche Fördermittel setzen Sie an und wie gehen Sie regulatorisch vor, um den Breitbandausbau voranzubringen und Ihr Ziel, das sehr niedrig gesteckt ist, zu erreichen? Was halten Sie von dem Instrument Universaldienstverpflichtung, worüber jetzt auf europäischer Ebene diskutiert wird? Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin, wir haben den Vorzug, nicht nur aus dem gleichen Bundesland, sondern sogar aus der gleichen Stadt zu kommen, was die Sache noch einfacher macht. Ich habe die Formulierung, dass bis Ende dieses Jahres 98,5 Prozent der Haushalte mit Breitbandanschlüssen von 1 Megabit pro Sekunde versorgt sein werden, mit Bedacht gewählt. Mit diesen Zahlen ist man nämlich auf der sicheren Seite. Die Zahl, die Sie genannt haben - 40 Prozent -, kann ich in diesem Zusammenhang nicht bestätigen. In der Tat: Der Ausbau geschieht anreizreguliert. Bei der Versteigerung lautete die Vorgabe, die Priorität bei der Erschließung der ländlichen Räume zu setzen. Der wesentliche Ansatz ist, anreizreguliert und nicht mithilfe staatlicher Subventionen vorzugehen. Es gibt hier und da entsprechende Programme. Ein Programm des Bundes ist das sogenannte Leerrohrprogramm: Wenn man sowieso Verkehrswege und Infrastruktur schafft, wird gleich ein Rohr mit verlegt, durch das man später Leitungen und sogar Glasfaserkabel ziehen kann. Auch Länder und Kommunen haben Anreizprogramme aufgelegt. Sie sind ganz unterschiedlich angelegt. Aber ihre Grundphilosophie ist, durch Regulierung und geeignete Vorgaben dafür zu sorgen, dass diese Investitionen von Unternehmen getätigt werden und sie nicht primär vom Steuerzahler finanziert werden. Diese Diskussion geht kreuz und quer. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, den Investoren die Erzielung einer hinreichenden Rendite zu ermöglichen. Durch private Investitionen wird man in der Perspektive nur dann eine Geschwindigkeit von 50 Megabit oder später 100 Megabit pro Sekunde erreichen, wenn unter dem Strich auch entsprechende Verdienstmöglichkeiten bestehen. Dies muss bei der Anreizregulierung immer mit bedacht werden, auch von der Bundesnetzagentur. Eine Investition, die sich finanziell nicht darstellen lässt, wird nicht erfolgen. Das gleiche Problem besteht beim Netzausbau, etwa im Hinblick auf die Energienetze. Auch in diesem Bereich müssen Regulierungen so vorgenommen werden, dass sich die getroffene Regelung für die Investoren als interessant erweist; sonst erfolgen solche Investitionen in einer Marktwirtschaft nicht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Danke schön. - Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Konstantin von Notz. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister, vielen Dank für Ihren Bericht. Ich habe zwei Fragen. Meine erste Frage betrifft den Bereich "Cloud Computing und Smart Metering". Dazu heißt es in der IT-Strategie, soweit sie mir bekannt ist, etwas vage: Die Bundesregierung strebt an, die Entwicklung und Einführung zu beschleunigen. Gerade mittelständische Unternehmen und der öffentliche Sektor sollen frühzeitig von den Chancen profitieren. Grundsätzlich stimme ich zu, dass beide Aspekte, Cloud Computing und Smart Metering, Chancen bieten, gerade unter ökologischen Gesichtspunkten. Aber im Bereich des Datenschutzes gibt es erhebliche Probleme. Uns würde interessieren, ob es schon Ansätze für eine Konkretisierung hinsichtlich der datenschutzrechtlichen und letztlich auch bezüglich der sicherheitstechnischen Probleme der Unternehmen gibt. Meine zweite Frage betrifft die Netzneutralität, die Sie angesprochen haben. Auch unserer Meinung nach ist dieses Thema sehr wichtig. Ich frage Sie: Wie will die Bundesregierung die Netzneutralität, die sie als wichtige Grundlage des Netzes betrachtet, ganz konkret schützen, gerade angesichts der derzeitigen Bestrebungen vonseiten der Wirtschaft - ich formuliere es etwas zugespitzt -, die Netzneutralität aufzubohren? Herzlichen Dank. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Zunächst zum Cloud Computing. Die Idee dahinter ist, dass man Computerkapazitäten auslagert und quasi gemeinschaftlich nutzt und dadurch Energie einspart. Durch den Einsatz von Computern wird nämlich sehr viel Energie verbraucht. Dieses Thema ist ein Schwerpunkt der Mittelstandsstrategie, weil man insbesondere kleinen Betrieben, wenn sie ihre Computerkapazitäten auslagern und quasi gemeinschaftlich nutzen, einen wesentlich kostengünstigeren Zugang ermöglicht. Dies ist mit Blick auf die industrielle Entwicklung mit der Erfindung des Elektromotors vergleichbar. Während es früher die großen Einheiten der Dampfmaschinen gab, kann man sich heute dank der IKT-Möglichkeiten ähnlich wie ein Großbetrieb in kleinsten Einheiten Informationswissen und Nutzungsmöglichkeiten erschließen. Dies ist im Hinblick auf die gesamte Mittelstandsförderung eine große strategische Chance. Wir wollen dieses Thema anpacken, sowohl aus Gründen der Energieeinsparung als auch aus Gründen der besseren Nutzung und einer kostengünstigeren Regelung. Die Datenschutzregelungen wurden noch nicht abschließend getroffen. Deshalb beschäftigt sich auch eine der Arbeitsgruppen für den IT-Gipfel mit diesen Problemen. Das Ganze, auch die rechtlichen Regelungen, ist Neuland. Das alles sind keine einfachen Fragen. Einerseits braucht man Sicherheit, andererseits darf die Regelung nicht so eng gefasst sein, dass der Einsatz von neuen technologischen Möglichkeiten entscheidend behindert wird. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns. Ich besitze die Patente so wenig wie die beteiligten Juristen, wobei es allerdings nur wenige gibt, die entsprechende Erfahrungen haben. Smart Grid bedeutet, dass man aus den Stromnetzen intelligente Steuerungsbereiche macht, sodass präzise Abrechnungen erstellt werden können. Auch das ist auf dem Weg. Wir haben Musterhäuser, mit denen wir das präsentieren. Seit einigen Monaten zeigen wir in Lateinamerika - die Reise führt durch 18 Staaten - ein Modellhaus, Casa Alemana, mit dem wir die modernsten Energiespar- und Nutzungsmöglichkeiten darstellen, um für unsere Hersteller zu werben und Anwendungsmöglichkeiten zu präsentieren. Auch diese Dinge sind noch im Fluss. Es wäre unredlich, jetzt zu sagen, dass wir Ihnen schon heute eine abschließende Regelung dazu präsentieren können. Ich möchte jetzt noch einige Sätze zur Netzneutralität sagen. Wir müssen allen den gleichen fairen Zugang ermöglichen. Das ist genauso wie beim Datenschutz ein rechtliches Problem. Wir haben das auch bei den heftigen Diskussionen über die Nutzungsmöglichkeiten von Google und anderem gesehen. Man muss den Einzelfall betrachten und entsprechende Regelungen definieren. Wenn Diskriminierungstatbestände auftreten - es gibt hier viele Entwicklungen, die wir noch nicht voll und ganz übersehen können -, dann müssen wir eingreifen. Das ist ein spannender Prozess. Was kommt, das weiß man nicht ex ante. Hier sind wir begleitend tätig. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Ich möchte das Thema wechseln und etwas zur elektronischen Gesundheitskarte fragen. Bisher sollte die elektronische Gesundheitskarte auf freiwilliger Basis eingeführt werden. Jetzt haben Sie Ihre Meinung offensichtlich geändert - warum? -; Sie führen die Gesundheitskarte nun doch verpflichtend ein. Die Krankenkassen sollen mittels Sanktionsandrohung gezwungen werden, die Gesundheitskarte im nächsten Jahr einzuführen. Ich frage Sie jetzt zu dem Dialog mit den Kassen, den Ärzte- und den Patientenverbänden: Welche Positionen sind dort vertreten worden? Was haben Sie den entsprechenden Parteien entgegengehalten? Wie ist Ihre derzeitige Perspektive? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit, Daniel Bahr, diese Frage zu beantworten. Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit: Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich darf für die Bundesregierung auf Ihre Frage antworten und sagen: Die neue Bundesregierung hat eine Bestandsaufnahme der bisherigen Pläne für eine elektronische Gesundheitskarte vorgenommen. Im Rahmen dieser Bestandsaufnahme haben wir diejenigen Dinge, die aufgrund des Datenschutzes und der Praktikabilität sowie aus Umsetzungsgründen nicht kurzfristig umsetzbar waren, ad acta gelegt. Die Umsetzung all der Dinge, bei denen es um medizinische Daten geht, haben wir erst einmal auf Eis gelegt. Wir haben uns stattdessen um die Dinge gekümmert, die schnell und sinnvoll umzusetzen sind, beispielsweise um ein sicheres Versichertenstammdatenmanagement. Hierbei geht es um die gleichen Daten, die schon heute auf der Krankenversichertenkarte gespeichert sind. Sie wissen vielleicht, dass die Datenschützer und auch der Datenschutzbeauftragte die bisherige Krankenversichertenkarte aus Datenschutzgründen kritisiert haben, weswegen wir ein neues, besseres und sichereres Verfahren für den Abgleich der Versichertenstammdaten brauchen. Einen großen Vorteil der so modifizierten elektronischen Gesundheitskarte sehen wir darin, dass der Missbrauch mit Krankenversichertenkarten, den es in Deutschland heute leider gibt und der der Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten schadet, dadurch eingedämmt wird, dass die Versichertenstammdaten auch online besser abgeglichen werden können. Es geht hier um den Versichertenstatus, um das Geschlecht usw., also um die Daten, die schon heute auf der Krankenversichertenkarte gespeichert sind. Gleichzeitig sollen zwei weitere Anwendungen aufgebaut werden, etwa eine sichere Arzt-zu-Arzt-Kommunikation. Wir erfahren heute immer wieder von Fällen, in denen niedergelassene Ärzte Befunde oder andere Informationen per Fax an andere niedergelassene Ärzte weitergeleitet haben. Das ist aus Datenschutzgesichtspunkten nicht korrekt. Wir brauchen eine sichere Arzt-zu-Arzt-Kommunikation. Diese Kommunikation soll im Zuge der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte verbessert werden. Ferner ist der Aufbau eines Notfalldatensatzes geplant, der - auf freiwilliger Basis - auf der Karte gespeichert werden kann. Wir haben uns auf die drei Projekte beschränkt, die kurzfristig sinnvoll umzusetzen sind. All das, was von vielen kritisch gesehen wurde - Sie haben die Verbraucherschutzorganisationen, Selbsthilfeorganisationen und viele andere angesprochen; viele im Bundestag sehen es ähnlich -, nämlich die Sammlung und Speicherung von medizinischen Daten, Stichwort "elektronisches Rezept", wird nach dem aktuellen Plan zur elektronischen Gesundheitskarte nicht umgesetzt. Es ist auf Eis gelegt; bisher plant die Bundesregierung nicht die Umsetzung. Das Vorhaben wird vielmehr auf die drei Projekte beschränkt, die ich eben dargestellt habe. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir kommen zur Frage des Kollegen Lars Klingbeil. Lars Klingbeil (SPD): Meine Frage bezieht sich auf das Leistungsschutzrecht, das Teil der Berliner Reden war und somit auch in die Internetstrategie der Bundesregierung eingehen wird. Davon gehe ich jedenfalls aus. Herr Minister, es gibt einen großen Konflikt zwischen den Verlagen auf der einen Seite und der Internetwirtschaft und dem BDI auf der anderen Seite. Dazu interessiert mich explizit die Position Ihres Hauses. So gerne ich Herrn Stadler dazu höre, interessiert es mich auch, mit welchen Positionen das Wirtschaftsministerium in die Verhandlungen geht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie etwas dazu sagen könnten. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Ich kann glücklicherweise berichten, dass wir intensiv miteinander im Gespräch sind. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Wenn sie abgeschlossen sind, kann ich darüber berichten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage stellt der Kollege Garrelt Duin. Garrelt Duin (SPD): Vielen Dank, Herr Minister. - Ich muss zugeben, dass ich die Frage des Kollegen zum Thema Netzneutralität nicht erschöpfend beantwortet fand. Deswegen will ich an dieser Stelle nachhaken. Ich habe Ihre Antwort so verstanden, als ob Sie dieses Thema begleitend beobachten und quasi in Einzelfällen entscheiden wollen, inwieweit zu reagieren ist. Müssen wir aber nicht sehr genau darauf achten, dass es nicht, wie Sie vorhin in Ihrer Eingangsrede gesagt haben, zu einer Monopolisierung in diesem Bereich kommt? Wenn das so ist, dann kann man sich nicht auf Einzelfallentscheidungen beschränken. Man muss vielmehr fragen, nach welchen Kriterien eine Priorisierung für bestimmte Bereiche, die man für wichtig hält, vorgenommen werden soll. Haben Sie Vorstellungen, welche Kriterien man dabei zugrunde legen könnte? Vielleicht können Sie auch sagen, wie Sie sicherstellen wollen, dass eine Kontrolle von Inhalten verhindert wird. Denn ich denke, es kann auch nicht im liberalen Sinne sein, dass wir seitens der Politik oder über die Agentur Vorkehrungen treffen, Inhalte zu kontrollieren und danach eine Priorisierung vorzunehmen. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Duin, im Grunde ist beides notwendig. Zum einen brauchen wir eine quasi durch den Wettbewerb gegebene Neutralität, die in der Tat bis zum Kartellamt reicht, das die Strukturen überprüfen und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen muss, damit keine Monopolstrukturen entstehen. Zum anderen müssen wir, weil es eine Entwicklung mit völlig neuen Produkten ist, in der plötzlich etwas entstehen kann, was wir heute noch nicht überblicken, die Einzelangebotssituation permanent im Blick behalten. Wir bewegen uns in ein völliges Neuland hinein; das ist etwas anderes als zum Beispiel der Markt für Schnürsenkel, dessen Marktstrukturen uns seit langem bekannt sind. Insofern bleibt es uns nicht erspart, die Entwicklung auch im Hinblick auf die Einzelangebotsstruktur zu verfolgen. Wenn man bei diesen Angeboten, die auch andere Entwicklungen behindern können, in der Vorstufe eine einseitige Monopolisierung zulassen würde, würde das möglicherweise komplette Innovationsprozesse unterbinden. Deshalb bin ich seit langem für ein europäisches Kartellamt. Denn wir haben gar nicht die notwendigen Instrumente. Die relevanten Märkte werden immer größer. Es sind schon fast Weltmärkte, in denen wir uns betätigen. Denken Sie etwa an Google. Je größer die Bezugseinheit ist, desto weniger kartellrechtliche Begleitung gibt es. Das ist ein Problem, das man im Rahmen der WTO und auf anderen Ebenen wie bei den G-20-Treffen erörtern muss, um zu klären, wie weit wir uns weltweit interaktiv miteinander vernetzen wollen. Je stärker wir vernetzt sind, umso schwieriger wird es, mit nationalen Ansätzen Monopolisierung zu verhindern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage stellt die Kollegin Tabea Rößner. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Brüderle, dass ich noch einmal zum Breitbandausbau nachfragen darf. Sie sprachen eben Fördermittel bzw. -programme an. Die Bundesregierung hat ihr selbst gestecktes Ziel, bis 2010 Internetanschlüsse mit einer Übertragungsrate von mindestens 1 Megabit pro Sekunde flächendeckend anzubieten, nicht erreicht. Die eingesetzten Fördermittel sind also nicht an der richtigen Stelle angekommen. Offenbar sind überhaupt nur 25 Prozent der bereitgestellten Fördermittel abgeflossen. Man muss diese Förderprogramme also generell infrage stellen. Ich wüsste gerne von Ihnen, wie Sie sicherstellen wollen, dass die aufgelegten Programme auch tatsächlich wirken und einen nachhaltigen Ausbau des Breitbandnetzes sowie eine bessere Versorgung gewährleisten. Ich will noch einmal auf meine Frage zu der Möglichkeit einer Universaldienstverpflichtung zurückkommen, die Sie mir eben nicht beantwortet haben. Eine Universaldienstverpflichtung würde bedeuten, dass es einen rechtlichen Anspruch auf einen Breitbandanschluss - ähnlich wie es beim Telefonanschluss und bei der Postzustellung der Fall ist - gibt; das wird auch auf europäischer Ebene diskutiert. Ist das nicht auch eine Möglichkeit, um den Breitbandausbau voranzubringen? Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Zunächst sehe ich unser Ziel mit einer Quote von 98,5 Prozent als erreicht an. Bei einem so breiten Ansatz bewegen die fehlenden 1,5 Prozentpunkte sich im Bereich von Schwankungen, die man nicht völlig ausschließen kann. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen die Betroffenen anders!) Ich habe die exakten Abrufbeträge für die Haushaltsstellen zwar nicht im Kopf. Im Interesse der Steuerzahler freue ich mich aber immer, wenn wir Geld nicht verbrauchen; denn die Menschen, die Steuern zahlen, arbeiten hart dafür. Wenn es uns gelingt, unser Ziel mit weniger Mitteln, als ursprünglich veranschlagt waren, zu erreichen, dann ist das für mich ein Anlass zur Freude, nicht zum Beklagen. Ich überlege mir dann nicht, wie ich das Geld noch verbrauchen kann - verfalle also nicht in das sogenannte Dezemberfieber -, sondern freue mich darüber, wenn das Ziel mit weniger Geld erreicht werden kann. Ich kann das jetzt allerdings weder bestätigen noch widerlegen, da ich die Zahl nicht zur Hand habe. Die Frage nach der Notwendigkeit eines entsprechenden Universaldienstes stellt sich eigentlich nicht mehr, wenn man das Ausbauziel mit einer Quote von 98,5 Prozent bereits erreicht hat. Hinsichtlich der restlichen 1,5 Prozentpunkte kommt eine Bereitstellung durch Funkdienste in Betracht, aber Sie wissen ja, dass es dagegen örtlich auch Bedenken und Widerstände gibt. Meines Wissens wurde weltweit noch nicht nachgewiesen, dass Elektrosmog gesundheitliche Auswirkungen hätte. Aber dennoch gibt es deswegen örtlich Widerstände. Aufgrund der Kosten ist es, wie der Kollege von der CDU vorhin angesprochen hat, einfach nicht möglich, überall Glasfaserkabel zu verlegen; das ist weder zeitlich noch wirtschaftlich darstellbar. Meiner Meinung nach wäre die Funklösung für die dünn besiedelten ländlichen Räume eine akzeptable Alternative; das Handy funktioniert auch über Funkwellen. Wenn man eine Quote von nahezu 100 Prozent erreicht hat, stellt sich meines Erachtens die Frage, ob man für jeden einen rechtlichen Anspruch etablieren sollte, nicht mehr. Man kann damit vielleicht formell noch etwas draufsetzen, materiell wird die Situation damit aber nicht geändert. Meine Hauptsorge ist es, dass wir beim weiteren Ausbau möglicherweise nicht schnell genug vorankommen. Ich habe Ihnen vorhin das Ziel von 75 Prozent hinsichtlich der Verfügbarkeit von Hochleistungsnetzen genannt. Dieses Ziel ist aufgrund der damit verbundenen Aufwendungen natürlich leichter in Ballungszentren wie Mainz als in einem Dorf im Hunsrück zu erreichen. Die Grundversorgung mit 1 Megabit pro Sekunde ist praktisch flächendeckend gewährleistet. Unser Ziel ist es nun, möglichst vielen Menschen möglichst schnell noch mehr bieten zu können. Das Erreichen dieses Ziels ist aber von Anreizen für private Investitionen abhängig und kann nicht durch eine staatliche Vollversorgung gewährleistet werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die letzte Frage zu diesem Themenbereich stellt der Kollege Thomas Jarzombek. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Bundesminister, ich möchte nach den verschiedenen Fragen zu den Risiken auf die Chancen der IT und der neuen Technologien eingehen. Die großen Internet-unternehmen, die in den letzten Jahren gegründet wurden, sind allesamt nordamerikanische Firmen. Ich nenne nur eBay, Google, Facebook und vielleicht noch Twitter als das nächste Konzept, das wirtschaftlich trägt. Angesichts dessen halte ich es für sehr wichtig, dass wir uns überlegen, wie wir den Jobmotor Internet und IT noch besser zum Laufen bringen können. Damit komme ich zu dem Thema Gründungen. Mich würde Ihre Position dazu interessieren, was man verbessern kann, um Gründungen zu fördern. Ich beziehe mich unter anderem auf die Finanzierung von Gründungen und auf die Zusammenarbeit mit und die Ausgründung aus Universitäten. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege, es handelt sich in der Tat um einen Jobmotor. Ich hatte vorhin gesagt, dass nach den Einschätzungen der Europäischen Kommission über 50 Prozent unserer Produktivitätsfortschritte auf diesem Sektor basieren. Ich nenne als Beispiel SAP. Das ist eine erfolgreiche deutsche Firma, wobei man allerdings einräumen muss, dass sich die Arbeitsplätze größtenteils außerhalb von Deutschland befinden. Aber immerhin sind die Konzernzentrale und die Schaltstellen in Deutschland. Das ist auch gut so. Es gibt eine breite Welle von Existenzgründungen. Wir setzen dabei besonders auf die Ausgründungen aus den Hochschulen und Technologiezentren, wo die neuen Ideen entstehen. Wir haben allerdings auch das Phänomen, dass es oft einen Hype gibt, sich eine Idee durchsetzt, dann aber ein anderer eine noch bessere Idee hat. Das bedeutet, dass das Verfallsdatum von Ideen relativ kurz ist. Das gesamte Spektrum der Existenzgründungsprogramme - ich nenne die KfW-Programme und das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, das sehr segensreich in diesem Sektor wirkt - bleibt voll erhalten. Eines halte ich für wichtig, und deswegen sind auch der IT-Gipfel und entsprechende Debatten, auch wenn es so kleine wie jetzt hier im Plenum sind, so wichtig: Wir müssen die Akzeptanz dieser Technologien fördern. Mir macht Sorge, dass kleine Betriebe - das sehe ich hier und da beim Einzelhandel - oft noch eine gewisse Hemmschwelle haben, sich in diesen neuen Sektoren zu engagieren, obwohl ihnen dieses Engagement - ich habe das vorhin am Beispiel des Elektromotors erläutert - einen Ausgleich der größenbedingten Nachteile, die kleine Unternehmen haben, ermöglicht. Es ist wichtig, eine positive Einstellung zu erzeugen. Wer einmal im Leben verliebt war, weiß: Der Mensch ist nicht nur rational. Wir brauchen neben den Fakten und neben der Technik auch eine emotionale Komponente, die Motivation, die neuen Chancen zu ergreifen. Das versuche ich im Rahmen unserer Aktivitäten einzubauen. Angesichts der hohen Wachstumsraten, die wir in diesem Sektor haben, habe ich den Eindruck, dass das nicht erfolglos ist. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer so oft Weinköniginnen geküsst hat, weiß das auch!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gibt es weitere Fragen zu den Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es darüber hinausgehende Fragen? - Auch das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Regierungsbefragung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/3619, 17/3635 - Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Wolfgang Wieland auf: Warum wird in dem vom Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, vorgestellten Fünf-Punkte-Katalog zur Verbesserung der Sicherheit bei der Luftfracht nicht gesondert auf das dringliche Problem der Beiladung von Luftfracht in Passagiermaschinen eingegangen, und sieht die Bundesregierung ihre Informationspflichten gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bevölkerung als erfüllt an, wenn dieser Fünf-Punkte-Katalog zunächst in der Presse (Bild am Sonntag vom 7. November 2010) vorgestellt wird? Bitte, Herr Bergner. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wieland, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Auf Vorschlag des Bundesministers des Innern hat der Rat der Innenminister am 8. November 2010 beschlossen, eine hochrangige Arbeitsgruppe der EU-Mitgliedstaaten unter Einbindung der Verkehrs- und Innenexperten einzurichten, die bis zum 2. Dezember 2010 gemeinsam mit der EU-Kommission unter Berücksichtigung des Fünf-Punkte-Katalogs konkrete Vorschläge für eine Verbesserung der Luftfrachtsicherheit unterbreiten soll. Im Rahmen dieser Arbeitsgruppe wird selbstverständlich auch erörtert werden, inwieweit die bestehenden Regelungen für die Kontrolle von Fracht, die in Passagierflugzeugen transportiert wird, angepasst werden müssen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zusatzfrage? - Das ist der Fall. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich hatte auch danach gefragt, ob die Bundesregierung der Ansicht ist, dass das Postulat des Art. 23 Abs. 2 unseres Grundgesetzes, wonach der Bundestag umfassend und schnellstmöglich - ich wiederhole: schnellstmöglich - über Angelegenheiten der Europäischen Union zu unterrichten ist, erfüllt wird, wenn man Informationen über den Fünf-Punkte-Katalog zunächst in der Bild am Sonntag zu lesen bekommt. Ist das der Kommunikationsweg der Bundesregierung, und meint der Bundesinnenminister, nachdem sich die Kanzlerin, wie man las, beschwert hat, dass sie nicht rechtzeitig informiert werde, dass eine Art Gleichbehandlung im Unrecht stattzufinden habe, nach dem Motto: Wenn ich schon die Kanzlerin nicht rechtzeitig informiere, dann den Bundestag erst recht nicht? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wieland, Sie kommen aus einer Innenausschusssitzung, in der Ihnen der Bundesminister des Innern für über eine Stunde zur Berichterstattung zum Sachverhalt zur Verfügung gestanden hat. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist uns bekannt!) Insofern lässt sich allein aus diesem Sachverhalt ableiten, dass sich der Bundesinnenminister seiner Informations- und Berichtspflichten gegenüber dem Parlament bewusst ist und dass er ihnen nachkommen will. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um den Zeitpunkt!) Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir den Umgang mit einer akuten Bedrohungslage zu bewältigen hatten und dass angesichts dieser akuten Bedrohungslage erstens kurzfristiges Handeln der Bundesregierung erforderlich war - dies ist mit der entsprechenden Vorlage für die EU-Innenminister geschehen - und zweitens auch das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach entsprechenden Informationen über das Verhalten der Bundesregierung kurzfristig befriedigt werden musste. Sie wissen, dass es zur Philosophie unseres Bundesinnenministers gehört, keine Panik zu machen. Aber gerade weil dies zu seiner Philosophie gehört, ist es erforderlich, dass sachliche Mitteilungen und sachliche Informationen über das Handeln der Bundesregierung zeitnah erfolgen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Zusatzfrage, bitte. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Rüge war, dass gar nichts erfolgte. Nun ja, Bild am Sonntag ist dann das sachliche Informationsbulletin. Meine Frage lautet, Herr Staatssekretär: Sieht die Bundesregierung nicht, dass gerade bei der Frage der Beiladung von Luftfracht in Passagiermaschinen ein besonders schneller Handlungsbedarf besteht, zumal wenn diese Beiladung in der Bundesrepublik geschieht, und wäre es nicht richtig, dass man, bevor man die anderen Maßnahmen, die Sie angesprochen haben - die ich nicht für sinnlos halte -, irgendwann einmal auf der Zeitschiene ergreift, jetzt sofort sagt: Wir führen einen einheitlichen Standard bei der Durchsuchung des Gepäcks der Passagiere und der zugeladenen Luftfracht ein? Denn wie wollen Sie in Zukunft noch erklären, dass der Passagier seine Zahnpasta in eine durchsichtige Hülle packen muss, dass er Wunderkerzen und Ähnliches aus seinem Koffer herausnehmen muss, während er weiß, dass gleichzeitig quasi unkontrollierte Luftfracht in seiner Maschine mittransportiert wird? (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Bild-Zeitung-Niveau!) - Nein. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wieland, zunächst will ich noch einmal zurückweisen, der Bundesinnenminister habe das Parlament gewissermaßen qua Bild am Sonntag informiert. Sonst hätte heute diese Ausschusssitzung nicht stattgefunden. Er hat, was diese Ausschusssitzung angeht, von Anfang an seine Bereitschaft erklärt und sogar den Wunsch geäußert, persönlich Rede und Antwort zu stehen, weil dies naturgemäß auch sehr stark durch sein persönliches Handeln und durch seine persönlichen Initiativen begleitet war. Der Bundesinnenminister hat sich - das werden Sie sicherlich dem ausführlichen Bericht im Innenausschuss entnommen haben -, unmittelbar nachdem die entsprechenden Lageberichte eingegangen sind, vor Ort in den Frachtunternehmen auf den Flughäfen informiert. Von Anfang an war klar, dass bezüglich der begleitenden Luftfracht eine besondere Sicherheitsherausforderung besteht, und es war immer klar, dass bei allen Konzepten, die umgesetzt werden sollten - ich verweise auf den Stopp entsprechender Lieferungen aus dem Jemen und aus anderen Ländern mehr -, diesem Aspekt eine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden muss. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Ausschuss tagt vier Tage nach der BamS! Das ist nicht "unverzüglich"!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat der Kollege Christian Ströbele den Wunsch nach einer weiteren Frage. Bitte sehr. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, dies treibt mich nun wirklich zu einer ganz entscheidenden Frage. Sie haben gerade eben erklärt und noch einmal betont - ich habe ebenfalls an verschiedenen Sitzungen teilgenommen, in denen informiert worden ist, und kann das, was Sie hier gesagt haben, bestätigen -, dass eine erhebliche konkrete Gefährdungssituation vorhanden war. Ich stelle fest: Diese konkrete Gefährdungssituation ist in Deutschland nach wie vor täglich bei Hunderten von Flugzeugen gegeben. Ich frage Sie jetzt: Was hat die Bundesregierung an konkreten Maßnahmen ergriffen - nicht mit Wirkung ab 2. Dezember oder ab Januar oder so, sondern ab vorgestern oder ab letztem Sonntag -, um diese Gefahr zu beseitigen oder mindestens entscheidend zu minimieren? Sie werden mir doch recht geben: Nach wie vor werden jeden Tag Tausende von Päckchen und Paketen - das geht von Blumen bis zu technischen Geräten aller Art; es handelt sich auch um solche technischen Geräte, um die es bei den Paketen aus dem Jemen ging - in Flugzeuge mit Passagieren geladen. Was hat die Bundesregierung also veranlasst, damit das so kontrolliert wird, dass wir uns einigermaßen sicher in ein Flugzeug setzen können in dem Wissen: "Alles ist kontrolliert worden"? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Ströbele, Sie beziehen sich in der Berichterstattung richtigerweise auf Gremien; die entsprechenden Berichte können wir hier nicht öffentlich behandeln. Sie werden aus dieser Berichterstattung wissen, dass gerade in dem Bereich einiges geschehen ist bzw. dass die entscheidenden Aufklärungsinformationen insbesondere aus dem Bereich der Dienste gekommen sind und dass hier eine besondere Aufmerksamkeit herrscht. Zweiter Punkt. Ich mache auf das entsprechende Verbot von Lieferungen aus dem Jemen aufmerksam; dort ist das Risiko in der Tat am größten. Ich mache auf die Gründung des interministeriellen Arbeitsstabes aufmerksam. Bereits morgen wird er wieder zusammenkommen. Übermorgen wird eine Unterredung mit den Luftfrachtunternehmen stattfinden. Die sonstige Politik ist natürlich darauf gerichtet, dass dem Problem bereits im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten und Strukturen eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wird. Wenn Sie den Bericht des Innenministers heute gehört hätten - Sie sind ja nicht Mitglied des Innenausschusses -, wüssten Sie, dass es hier auch um Koordinierung ging. Deshalb war der Innenministerrat der EU so außerordentlich wichtig. Die Maßnahmen können allein mit den Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland nicht befriedigend umgesetzt werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Kollege Michael Hartmann hat eine weitere Frage. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen auch aus der Kenntnis von Informationen, die in anderen Gremien seitens der Bundesregierung dankenswerterweise geliefert wurden, bestätigen, dass unsere Sicherheitsorgane tatsächlich zeitnah, adäquat und professionell agiert und reagiert haben. Allerdings müssen einem Zweifel kommen, was die professionelle Kommunikation in so relevanten Sicherheitsfragen innerhalb der Bundesregierung anbelangt. Glauben Sie, dass sich da alles auf der Höhe der Zeit befindet, wenn - das war so der Presse zu entnehmen - die Bundeskanzlerin mitteilen lässt, dass sie von Herrn Cameron über eine Sicherheitslage unterrichtet wurde, die unser Land und Großbritannien betrifft? Warum war die Kanzlerin nicht rechtzeitig durch den Bundesinnenminister über die Sicherheitslage, die jetzt in aller Munde ist, unterrichtet worden? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich glaube, dass sich der Sachverhalt inzwischen doch hinreichend aufgeklärt hat. Sie wissen, dass die Nachricht erst eingegangen ist, als die Sendung den deutschen Flughafen schon verlassen hatte, zu einem Zeitpunkt, als die Bundeskanzlerin sich schon auf der Reise befand. Im Übrigen legen wir Wert darauf, dass die Bundeskanzlerin selbst durch diese Situation nie gefährdet war. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das war doch in Köln!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Es gibt aber noch eine weitere Frage, und zwar durch den Kollegen Winkler. Bitte schön. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich wollte noch einmal nachfragen: Ist die Bundesregierung, speziell der Bundesinnenminister, bereit, zuzusagen, dass er in Zukunft über weitreichende Veränderungen bei der Sicherheitsgesetzgebung oder bei Sicherheitsfragen, die auf europäischer Ebene diskutiert werden, wie zum Beispiel hinsichtlich des Frachtverkehrs oder anderer Bereiche, zumindest die Obleute des Innenausschusses des Deutschen Bundestages informiert, bevor er das der Presse mitteilt? Es ist wirklich unzumutbar, dass wir aus der Bild am Sonntag erfahren müssen, was der Bundesinnenminister auf europäischer Ebene mit seinen Ministerkollegen diskutiert. Ich beziehe mich da auf Art. 23 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Winkler, ich kann Ihnen gerne zusagen, dass der Bundesinnenminister Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes und die für ihn daraus erwachsenden Pflichten sehr ernst nimmt. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Abs. 3?) Ich mache auf die Sondersituation aufmerksam. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abs. 3! Das ist die Mitwirkung!) - Bisher sind ja noch keine entsprechenden Entscheidungen getroffen worden. Es handelte sich ja zunächst um einen Verfahrensvorschlag für eine Behandlung dieses Themas auf europäischer Ebene. Insofern können Mitwirkungsfragen bei dieser Betrachtung außen vor gelassen werden. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass in der konkreten Situation, in der es ja nicht nur ein Lagebild für den Bundesinnenminister, sondern auch entsprechende Berichterstattung der Medien gab, der Bundesinnenminister auch eine Auskunftspflicht gegenüber den Medien hat. Ich kann Ihnen versichern, dass die Wahrnehmung dieser Auskunftspflicht nicht in irgendeiner Konkurrenz zur Information der Parlamentarier gesehen wurde, vielmehr fand dieses Erfordernis spätestens heute seine Erfüllung in einem ausführlichen Bericht im Innenausschuss. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt vier Tage nachdem die Sitzung beendet war!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt gibt es eine weitere Frage der Kollegin Dr. Barbara Hendricks. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Man hat ja den Eindruck, dass die Kommunikation in der Bild oder auch Bild am Sonntag nicht nur zur Information des Parlamentes dienen soll, sondern auch ein Kommunikationsweg innerhalb der Regierung ist. Das hat man jedenfalls bei anderen Beispielen auch schon erlebt. Sie, Herr Kollege, haben nun gesagt, es sei eigentlich alles in Ordnung und auch kommunikativ richtig gelaufen. Können Sie mir erklären, warum die Bundeskanzlerin verfügt hat, dass die Meldewege zukünftig stringenter und unmittelbarer gestaltet werden sollen? Das heißt doch mit anderen Worten: Sie waren bisher weniger stringent und unmittelbar. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich würde die Situation eher so charakterisieren, dass das entstandene Lagebild eine besondere Herausforderung für die interministerielle Kommunikation dargestellt hat und es darauf ankam, uns dieser Herausforderung zu stellen. So deute ich auch den Hinweis der Bundeskanzlerin. Ich sage noch einmal: Es handelt sich um verschiedene Abstimmungsprozesse. Wir stehen beispielsweise vor dem schwierigen Abstimmungsprozess, inwieweit die Verantwortung für Luftsicherheitsfragen, die bisher in die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums fiel, zukünftig vom Bundesinnenministerium wahrgenommen werden kann und welche Rolle dem Zoll in diesem Zusammenhang zuwachsen soll. Gehen Sie bitte davon aus, dass mit der Einrichtung der interministeriellen Arbeitsgruppe auch die Plattform für eine intensive Kommunikation innerhalb der Bundesregierung gegeben ist. Es handelte sich ja um eine besondere Herausforderung. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Ich sehe aber keinen Anlass zu der Deutung, dass die Kommunikationswege angesichts dieser kurzfristig eingetretenen Herausforderung als unzureichend qualifiziert werden müssen. (Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die nächste Frage betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Es handelt sich um die dringliche Frage 2 der Kollegin Lisa Paus: Wann ist die Bundesregierung vom Luftfahrt-Bundesamt und von der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft, BDZ, über Mängel in der Personalausstattung des Zolls informiert worden, die zu Sicherheitslücken im Luftfrachtverkehr führen können, und welche Maßnahmen hat sie daraufhin ergriffen, um die Mängel zu beseitigen (vergleiche Berichterstattung im Focus vom 8. November 2010, Spiegel vom 8. November 2010, Report Mainz vom 8. November 2010)? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur Verfügung. - Bitte schön, Herr Staatssekretär. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Paus, die Bundesregierung sieht keine Mängel bei der Personalausstattung des Zolls; denn bereits seit dem Jahr 2009 verstärkt die Zollverwaltung prioritär die Überwachungs- und Kontrolltätigkeit auf den Flughäfen, um eine intensivierte und zielgerichtete Kontrolle des Reise- und Warenverkehrs sicherzustellen. Die Flughafenzollstellen haben im Rahmen der Ressourcenplanung für das Jahr 2010 einen Personalbedarf im Bereich der Reisenden- und Frachtabfertigung geltend gemacht, der vom Bundesfinanzministerium vollumfänglich anerkannt wurde. Aufgrund der bestehenden Gefährdungslage ist das Bundesfinanzministerium nachhaltig bestrebt, gemeinsam mit dem Innen- und dem Verkehrsressort weitere zielführende Maßnahmen zu ergreifen, die auch eine optimierte Personal- und Sachausstattung einbeziehen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zusatzfrage? - Bitte schön. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär Koschyk, ich beziehe mich mit meiner Frage auch auf entsprechende Presseberichte. Dort erwähnt beispielsweise der Chef der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft, Klaus Leprich, dass es nicht nur um die Personalausstattung ging; vielmehr würden seit Jahren Zollfahnder dem Bundesfinanzministerium von Sicherheitslücken bei der Luftfracht berichten. Sie haben sich nur auf die Personalfrage beschränkt. Ich möchte von Ihnen wissen: Seit wann sind Sie über Sicherheitslücken bei der Luftfracht informiert, und in welcher Form sind Ihnen entsprechende Informationen zugänglich gemacht worden? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich kann nur noch einmal sagen: Wir sehen diese Sicherheitslücken bei der Luftfracht nicht, und wir haben gerade im Hinblick auf die notwendige Personalausstattung seit dem Jahr 2009 die Personalzuweisung an die Flughafendienststellen optimiert. Dem, was uns von den Flughafenzolldienststellen an Personalbedarf für das Jahr 2010 gemeldet worden ist, sind wir vollumfänglich nachgekommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Zusatzfrage? Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Verbesserung der Sicherheit bei der Fracht gibt es seit 2005/2006 eine EU-Richtlinie, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, die sogenannte summarische Anmeldung als Mittel zur Risikoanalyse im Frachtverkehr flächendeckend einzuführen. Könnten Sie vielleicht noch einmal sagen, wie der Stand der Umsetzung dieser Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland ist und warum Sie bei der Umsetzung zuerst die Seehäfen und nicht die Luftfracht dieser Risikoanalyse unterzogen haben. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Eine solche Richtlinie wird abgestuft umgesetzt. Aber die Bundesregierung ist bestrebt, diese Richtlinie vollumfänglich umzusetzen. Selbstverständlich haben dabei auch die Flughäfen eine entsprechende Schwerpunktsetzung durch die Bundesregierung erfahren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Frage hat der Kollege Wolfgang Wieland. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, nun verstehe ich eines wirklich nicht: Sie sagen, die Bundesregierung sieht diese Mängel bei der Luftfracht nicht - Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Was die Personalausstattung des Zolls anbelangt. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - nicht so voreilig; dieser Nachsatz sollte kommen -, was die Personalausstattung des Zolls angeht. Weshalb plant dann dieselbe Bundesregierung - so wurde ich eben im Innenausschuss informiert -, im Haushalt jetzt noch 450 zusätzliche Planstellen beim Zoll zu schaffen, sie zwar zunächst - - Nun hören Sie doch einmal mir zu und nicht dem Kollegen Bergner! Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich höre Ihnen zu und dem Kollegen Bergner. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Männern geht Multitasking meist schief. - Warum planen Sie 450 neue Planstellen, wenn es gar keinen Personalengpass gibt? - Jetzt soll doch auch der Kollege Bergner bitte einmal zuhören. Das geht ja hier hin und her. Positionen stimmt man vorher ab, nicht erst im Plenum. - Also: Warum 450 neue Planstellen? Sie sollen zwar zunächst gesperrt werden, aber nur weil man sehen will, ob man möglicherweise woanders - durch Abordnung oder durch andere Maßnahmen - diese zusätzlichen Kräfte bekommen kann, und zwar zu ebendiesem Zweck der Durchsuchung und Kontrolle der Luftfracht. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Sehr geehrter Herr Kollege Wieland, beim Zoll gibt es nicht nur im Bereich der Dienststellen an den Flughäfen zusätzlichen Personalbedarf. Es gibt auch andere Bereiche, in denen wir Forderungen nach mehr Personal gegenüber dem Parlament geltend gemacht haben. Ich nenne beispielsweise die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Das heißt, die Bundesregierung ist im Dialog mit dem Parlament ständig darum bemüht, in diesen relevanten Bereichen des Zolls mehr Personal zu ermöglichen. Das ist auch im Hinblick auf die Haushaltsverhandlungen, die noch nicht abgeschlossen sind, der Fall. Ich kann für das Jahr 2010 nur sagen, dass das Bundesfinanzministerium der Forderung der Zolldienststellen an den Flughäfen nach mehr Personal vollumfänglich nachgekommen ist. Jetzt gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe, von der der Kollege Bergner schon gesprochen hat. Wenn sich aus den Beratungen dieser interministeriellen Arbeitsgruppe weiterer Personalmehrbedarf für die Bundespolizei, für den Zoll und für andere Dienststellen des Bundes ergeben sollte, dann werden wir das in den laufenden Haushaltsverhandlungen berücksichtigen. Mit Blick auf das Jahr 2010 gilt: Das Bundesfinanzministerium hat alle Wünsche der Zolldienststellen an den Flughäfen in Bezug auf das Personal vollumfänglich erfüllt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie 2010 oder 2011?) - 2010. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt gibt es eine Frage des Kollegen Hartmann. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie können dem Parlament bei seiner Beratung über den Haushalt natürlich durch klare Aussagen helfen. Die Aussage, dass keine Sicherheitslücken beim Zoll, das Personal betreffend, bestehen, ist für mich nicht nachvollziehbar angesichts der Tatsache, dass für 2011 vorsorglich eine Reihe von Stellen angefordert wurde. Angesichts der bekannt gewordenen Sicherheitslücken im Bereich der Luftfracht erlaube ich mir, folgende Frage zu stellen: Ist Ihr Ressort, ist die Bundesregierung insgesamt bereit, hinsichtlich der Luftfrachtkontrollen über die Verteilung von Kompetenzen auf Zoll, Bundespolizei und Luftfahrt-Bundesamt neu nachzudenken? Ist man gegebenenfalls bereit, organisatorische Veränderungen Ihres Ressorts zu unterstützen oder sogar zu fördern? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hartmann, Sie wissen ja, dass zurzeit in einer sehr kompetent besetzten Arbeitsgruppe des Bundesinnenministeriums und des Bundesfinanzministeriums über die Schnittstellenproblematik, was die Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und Zoll angeht, intensiv diskutiert wird. Selbstverständlich wird jetzt in dieser vom Kollegen Bergner schon erwähnten interministeriellen Arbeitsgruppe auch im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial bei der Luftfracht intensiv darüber beraten, wie angesichts dieser Gefährdungslage die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden und Institutionen weiter verbessert werden kann. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es gibt nun eine Frage des Kollegen Josef Winkler. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, die der Bundesminister de Maizière heute im Innenausschuss geäußert hat? Er hat gesagt, dass er sich zwar im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag um diesen Bereich der Luftfracht kümmert, dass aber eigentlich dieser Bereich dem Luftfahrt-Bundesamt und damit dem Bundesministerium für Verkehr untersteht und somit die Mängel, die jetzt erkannt werden, dem Bundesministerium für Verkehr, insbesondere dem ehemaligen Bundesminister Tiefensee, zuzuordnen sind. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Da ich an der Sitzung des Innenausschusses nicht teilgenommen habe und diese Einlassung des Bundesinnenministers nicht gehört habe, kann ich dazu keine Stellung nehmen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie sie so hören, was sagen Sie dann dazu?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Wieland, Sie hatten schon die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. Eine zusätzliche Frage kann ich leider nicht zulassen. Das verbietet die Geschäftsordnung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Zwischenruf!) Wir sind damit am Ende der dringlichen Fragen. Jetzt rufe ich die Fragen auf Drucksache 17/3619 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung. Ich rufe Frage 1 der Kollegin Dr. Barbara Hendricks auf: Welche konkreten Maßstäbe wird die Bundesregierung heranziehen, um die von ihr angestrebte Wirkungssteigerung der deutschen wirtschaftlichen Zusammenarbeit objektiv nachvollziehbar zu messen? Bitte schön, Frau Kopp. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Dr. Hendricks, das BMZ versteht die derzeit laufende Vorfeldreform als einen wichtigen Baustein bei der Steigerung der Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit. Diese Reform umfasst die Fusion der drei Organisationen GTZ, InWEnt und DED - das ist Ihnen bekannt -, die ab Jahresbeginn eine neue Gesellschaft, die GIZ, bilden sollen. Im Zuge der Vorfeldreform wird zudem eine verstärkte Ergebnisorientierung und Wirkungsmessung angestrebt, unter anderem durch die Einrichtung eines unabhängigen Evaluierungsinstitutes. Darüber hinaus lassen wir unsere Effizienz im Rahmen der Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit messen, die mit dem Aktionsplan von Accra aus dem Jahr 2008 umgesetzt wird. Zudem wollen wir unsere Effizienz - um nur einige Beispiele zu nennen - durch eine Steigerung der Kohärenz und eine Akzentuierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit erhöhen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihre Zusatzfrage, Frau Hendricks. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Mir ist bewusst, dass Sie diese Maßnahmen eingeleitet haben. Damit sind aber noch keine Maßstäbe genannt, mit denen die von Ihrem Haus angekündigte Wirkungssteigerung tatsächlich gemessen werden soll. Laut Minister Niebel gehört zum Beispiel die Reduzierung des Anteils ausländischer Hilfen am Staatshaushalt eines Landes zu den Erfolgskriterien; das hat er bei einem Fachgespräch bei der KfW im Mai dieses Jahres gesagt. Wenn ein Land auf weniger ausländische Hilfe angewiesen ist, dann ist das gut; dagegen ist nichts zu sagen. Würde dieses Kriterium, wenn man es weiterdenkt, nicht bedeuten, dass die Budgethilfen ganz abgeschafft werden müssten? Dann hätte nämlich ausländische Hilfe gar keinen Anteil am Staatshaushalt dieses Landes. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hendricks, es ist richtig: Es ist unser Ziel, die Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe durchzuführen. Die Entwicklungszusammenarbeit soll dazu führen, dass ein Entwicklungsland eines Tages unabhängig von ausländischer Hilfe wird; das ist der Idealfall, das muss unser Ziel sein. Weder Minister Niebel noch unser Haus, noch die Bundesregierung haben je gesagt, dass wir komplett auf Budgethilfe verzichten könnten; aber wir legen sehr wohl Wert darauf, dass nicht einfach Geld zum Beispiel in andere Staatskassen fließt, sondern dass sehr genau hingeschaut wird, wofür das Geld verwendet wird, dass sehr genaue Kriterien für die Zahlung von Geldmitteln - Good Governance, Einhaltung der Menschenrechte, Überprüfbarkeit der Verwendung von Mitteln - formuliert werden. Das ist das Neue an der Politik der Bundesregierung: Wir betreiben eine Entwicklungszusammenarbeit, die im Sinne einer inklusiven Entwicklung des jeweiligen Landes besonders wirksam sein soll. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Zusatzfrage. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie für sich in Anspruch nehmen, eine besonders wirksame Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben. Ob die Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich besonders wirksam ist oder, wenn das noch nicht der Fall ist, in absehbarer Zukunft wirksamer sein wird, wird man irgendwann messen können, wenn entsprechende Parameter für die Messung bestimmt worden sind; bis jetzt gibt es solche Parameter noch nicht. - Minister Niebel hat bei derselben Gelegenheit im Mai darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf eine Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit der größte Hebel darin bestehe, dass die schädlichen Agrarexportsubventionen auch in Europa abgeschafft würden. Hat die Bundesregierung dort schon Parameter gefunden? Kann sie schon anhand von Zahlen nachweisen, dass die Mittel für schädliche Agrarexportsubventionen gesunken sind? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Dr. Hendricks, ich bin besonders stolz darauf, verkünden zu können, dass Minister Niebel und Ministerin Aigner völlig einig darüber sind, dass schädliche Agrarexportsubventionen auf EU-Ebene im Rahmen der WTO-Verhandlungen wegzufallen haben. Wir tun alles, um die Verhandlungen in diese Richtung zu bringen, damit hier ein Ergebnis erzielt wird. Solche Markteingriffe führen nämlich in den ärmsten Ländern zu weniger Entwicklung; das ist messbar. Es gibt Kriterien, die die Wirksamkeit messbar machen. Seien Sie bezüglich der Budgethilfe versichert: Mit unseren Partnern in der EU sind wir gerade dabei, Kriterien festzulegen, mit deren Hilfe die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit messbar wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Hendricks auf: Welche konkreten Implementierungsmaßnahmen plant die Bundesregierung, um der Empfehlung der DAC Peer Review nachzugehen, "das Bewusstsein der anderen Bundesministerien für Entwicklungsfragen zu schärfen"? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hendricks, Sie haben im Zusammenhang mit dem DAC Peer Review - das ist ein Prüfbericht - nach den Implementierungsmaßnahmen gefragt. Ich kann Ihnen mitteilen, dass das Bundeskabinett im Juli die Einrichtung des Ressortkreises "Technische Zusammenarbeit" beschlossen hat, der unter Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stattfindet. Die erste Sitzung fand vor wenigen Tagen, am 2. November 2010, mit hochrangigen Vertretern aller Ressorts statt. Neben Fragen zur neuen GIZ - das ist die neue Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - sollen in diesem Ressortkreis auch Fragen der Kohärenz diskutiert und das Bewusstsein aller Ressorts für Entwicklungsfragen geschärft werden. Das ist neu. Wir erhoffen uns davon eine große Wirkung. Mit der Einrichtung dieses Ressortkreises hat das BMZ ein wichtiges Instrument geschaffen und eine Empfehlung des DAC Peer Review bereits umgesetzt. Viele weitere Instrumente sind angedacht, zum Beispiel eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, wodurch die diesbezüglichen Arbeitsprozesse evaluiert werden können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Hendricks, bitte. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Vor rund einem Jahr, am 20. November des Jahres 2009, hat Minister Niebel in einem FAZ-Interview davon gesprochen, dass sich - Zitat - "tolle Synergien" in der Entwicklungspolitik schon dadurch ergeben würden, dass die Ressorts unter FDP-Verantwortung enger zusammenarbeiten würden. Können Sie darlegen, wie sich die Situation in Bezug auf diese "tollen Synergien" im Verlauf des jetzt zu Ende gehenden Jahres entwickelt hat? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hendricks, das Zitieren von Interviews finde ich sehr interessant. Ich glaube, dass Sie an dem Beispiel, das ich eben genannt habe, ablesen können, dass es für uns als Bundesregierung selbstverständlich geworden ist, beim Thema Entwicklungszusammenarbeit mit allen Ressorts zusammenzuarbeiten. Hinzugezogen wird das Umweltressort, bei bestimmten Fragen auch das Innenressort, ferner das Auswärtige Amt und das Ressort für Agrarpolitik. Der ganze Strauß politischer Aktivitäten, die wir in Verbindung mit der Entwicklungszusammenarbeit unternehmen - übrigens spielt auch das Thema Sicherheit eine Rolle -, beweist, dass es wichtig ist, dass es eine solche Zusammenarbeit gibt und dass sie jeden Tag realisiert wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Zusatzfrage, Frau Hendricks? Dr. Barbara Hendricks (SPD): Nein, danke. Ich verzichte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Fragen dazu? - Manfred Grund, bitte. Manfred Grund (CDU/CSU): Vielen Dank. - Ich würde gerne auf die erste Frage der Kollegin Barbara Hendricks zurückkommen. Es ging darum, wer der Empfänger von Entwicklungshilfe sein soll. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Die Frage ist abgehakt! Die Frage ist abgeschlossen!) Frau Staatssekretärin, sollten die Empfänger der Entwicklungshilfe nicht vorrangig hilfebedürftige Menschen sein und weniger Diktatoren und schwer zu kontrollierende Regierungen? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Selbstverständlich, Herr Kollege. Genau das ist der Punkt. Ich betone noch einmal: Es ist keine wirksame Entwicklungszusammenarbeit, wenn lediglich Gelder an andere Regierungen transferiert werden. Man muss sehr genau hinschauen - das sagte ich vorhin -, ob man es mit einer transparenten und guten Regierungsführung zu tun hat oder mit korrupten Strukturen, die zur Folge haben, dass Gelder für ganz andere Zwecke verwendet werden, beispielsweise für den Aufbau von Armeen, die in bestimmten unterentwickelten Ländern der Sicherung der Macht dienen. Wir müssen genau festhalten, wohin das Geld zu welchen Bedingungen fließt, und prüfen, welche Wirkung damit erzielt wird. Erst dann, glaube ich, kann man den Anspruch einer wirklichen Entwicklungszusammenarbeit erfüllen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. Wir kommen dann zur Frage 3 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler: Wie wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Aufforderung im aktuellen Bericht des DAC Peer Review der OECD entsprechen, einen Stufenplan mit realistischen Jahreszielen und einem glaubhaften Anstieg des entwicklungspolitischen Budgets vorzulegen, um einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts bis 2015 für Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, und welche Rolle werden dabei innovative Finanzierungsinstrumente spielen? (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Von Frau Roth!) - Das ist die Version, die mir vorliegt, und die ist verbindlich. (Zuruf von der SPD: Vielleicht klären Sie das mal!) - Ich kann jetzt nur nach der Reihenfolge vorgehen, die mir vorliegt. Wir behandeln die Frage 3 der Kollegin Bärbel Kofler. Sie befasst sich mit der Erreichung eines Anteils von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für Entwicklungszusammenarbeit. Das ist die sogenannte ODA-Quote. Frau Staatssekretärin, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Herr Präsident! - Frau Kollegin Kofler, die Bundesregierung wird wie bisher durch geeignete Instrumente - wie zum Beispiel den Einsatz auch innovativer Finanzierungsinstrumente - zusätzliche Mittel für die Entwicklungsfinanzierung generieren. Beispiele hierfür sind die Erlöse aus dem Emissionshandel und die Beimischung von Marktmitteln, also das sogenannte Blending. Ein ODA-Stufenplan der Bundesregierung würde dem Budgetrecht des Parlamentes widersprechen. Das können wir von daher nicht. Aber ich betone noch einmal: Die Bundesregierung sieht sich ausdrücklich der Erreichung dieses Ziels von 0,7 Prozent verpflichtet. Wir haben dieses Ziel nach wie vor auf unserer Aktionsagenda. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Zusatzfrage hat Frau Kofler das Wort. Bitte. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Vielen Dank. - Die Zusatzfrage ergibt sich ganz notwendig. Auch ich muss die Presse zitieren; das ist ja meistens die Quelle, in der man als Parlamentarier Informationen findet. (Iris Gleicke [SPD]: Leider wahr!) Minister Niebel wird in der Berliner Zeitung nach der ODA-Quote gefragt und mit der Aussage zitiert: "Mit diesem Haushalt schaffen wir es nicht." Auch aus den Kabinettsvorlagen des Finanzministers Schäuble ergibt sich ganz klar, dass mit der Finanzplanung ab dem Jahr 2012 und den darin vorgesehenen Haushaltsmitteln das Ziel, 0,7 Prozent des BNP für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, nicht erreichbar ist. Sie sprechen als innovative Finanzierungsinstrumente solche Dinge wie den CO2-Emissionshandel an. Der Zeitung konnte ich entnehmen, dass die Wirtschaft zu mehr Investitionen ermuntert werden soll. Ich stelle noch einmal die Frage nach der Official Development Assistance - also nach staatlichen Mitteln und nicht nach Mitteln anderer Geber, nach Marktbeimischung und sonstigen Strategien der Aufblähung, die zum 0,7-Prozent-Ziel führen sollen -: Welche Finanzierungsinstrumente und welche Haushaltsmittel planen Sie dafür einzusetzen? Sie können es nicht auf Komma und Cent sagen, das will ich auch nicht. Aber so große Summen wie die, die hier fehlen, bedürfen in der mittelfristigen Finanzplanung doch einer anderen Strategie als eines Runterfahrens des Einzelplans 23, um dann zu sagen: Da wird schon irgend etwas Innovatives kommen. Welche konkreten Pläne gibt es? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Kofler, wenn das Parlament den Haushalt 2011 des BMZ so verabschieden wird wie geplant, dann wird es im Einzelplan 23 keine Kürzungen, sondern einen leichten Aufwuchs geben. Allein das ist angesichts der Schwierigkeiten, die wir zu überwinden haben, schon eine enorme Leistung. Das will ich erst mal vorwegschicken. Da sind wir schon sehr gut bedient. Keine vorherige Regierung hat es in den letzten Jahren geschafft, das vorgegebene Ziel des ODA-Stufenplans auch nur annähernd zu erreichen. Trotzdem sagen wir: Wir sehen uns der Erreichung des Ziels verpflichtet, und wir machen uns Gedanken darüber, wie wir diese finanziellen Hürden überwinden können. Denn dass das eine Riesenleistung bzw. ein Kraftakt ist, das werden auch Sie zugestehen. Deshalb machen wir uns Gedanken darüber, wie wir die Quote erreichen können. Sie haben gerade die Presse zitiert. Sie werden sicherlich auch gelesen haben, dass der Minister öffentlich mehrfach erklärt hat, dass das BMZ anstrebt, Rückflüsse, beispielsweise im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit, im Rahmen der EZ zu nutzen. Wir werden selbstverständlich - das betone ich ausdrücklich - für private Investoren Möglichkeiten schaffen, in entwicklungspolitisch sinnvolle Maßnahmen zu investieren. Wir brauchen ausdrücklich auch privates Geld, um Entwicklung voranzutreiben. Wir sehen auch das Sondervermögen "Energie- und Klimafonds" als wichtige Quelle für die Finanzierung von entwicklungspolitisch nachhaltigem internationalen Klima- und Umweltschutz. All das zeigt, dass wir nach Möglichkeiten suchen, nicht nur unseren Verpflichtungen nachzukommen, sondern auch eine Entwicklungspolitik zu betreiben, die diesen Namen tatsächlich verdient, eine inklusive Politik, die der Bevölkerung in den armen Ländern mehr Entwicklung ermöglicht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gibt es eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Ich entnehme den Ausführungen der Staatssekretärin Kopp, dass sie sich für die Aufhebung der Haushaltssperre bei den Mitteln des Sondervermögens "Energie- und Klimafonds" einsetzen wird; das finde ich sehr interessant. Vielleicht können Sie mir an dieser Stelle konkret sagen, ob innovative Finanzierungsinstrumente wie die Finanztransaktionsteuer in Ihren Überlegungen eine Rolle spielen. Man hört ja vonseiten der Bundesregierung unterschiedlichste Stimmen dazu. Wird die Bundesregierung die Einführung einer Finanztransaktionsteuer als innovative Finanzierungsquelle - auch zur Bekämpfung von Armut - vorantreiben? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Kofler, Sie werden wissen, dass diese Bundesregierung, insbesondere Kanzlerin Merkel, dafür eingetreten ist, auf internationaler Ebene über eine solche Finanzierung zu sprechen. Es gibt keinerlei Chancen, in dieser Frage international zu einer Einigung zu kommen. Sie wissen, dass es hier sehr wohl auch um Wettbewerbsfragen geht; diese müssen wir bei diesem Thema auf dem Schirm haben. Ganz davon abgesehen: Es gibt weitere Verhandlungen auf der europäischen Ebene. Ob wir hier zu einer Einigung kommen werden, kann ich derzeit nicht sagen. Ich befürchte allerdings, da ich die Verhandlungen teilweise mitbekommen habe, dass es derzeit wohl auch auf europäischer Ebene keine Einigung geben wird. Ich sage das mit aller Vorsicht, weil ich es nicht genau weiß. Es ist wichtig, nach Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen, die helfen, dieses Ziel zu erreichen. Dies tun wir; ich habe eben die Beispiele genannt. Noch einmal: Es geht nicht nur um Gelder, um Zahlen, sondern es geht vor allem um die Wirksamkeit der eingesetzten Entwicklungsgelder. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Frage 4 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler: Wann wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die neue Sektorstrategie Bildung fertigstellen, und welches sind die im Rahmen der Fast Track Initiative geplanten Leuchtturmprojekte, die das Bundesministerium mit seiner deutschen BACKUP-Initiative zur Förderung der Bildung in Afrika in Angriff nehmen will? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Kofler, die Bildungsstrategie des BMZ soll im Februar 2011 von Bundesminister Niebel im Rahmen einer vom BMZ organisierten internationalen entwicklungspolitischen Veranstaltung zum Thema Bildung vorgestellt und zur Diskussion gestellt werden. Das Leuchtturmprojekt der deutschen BACKUP-Initiative zur Förderung der Bildung in Afrika ist ein Regionalvorhaben, das politische und sektorfachliche Entscheidungsträger sowie zivilgesellschaftliche Akteure in Afrika durch Capacity Development, also Organisations- und Fachberatung, darin unterstützen soll, globale Finanzierungsmechanismen zur Bildungsförderung effektiver und besser nutzen zu können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zusatzfrage? - Bitte, Frau Kofler. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Bildung ist von Ihnen und Minister Niebel zu Recht als zentraler Punkt der Entwicklungszusammenarbeit genannt worden. Ich freue mich, dass wir im Februar 2011 ein Sektorkonzept Bildung vorliegen haben werden. Können Sie sagen, welche Rolle die Bildungszusammenarbeit insbesondere auf staatlicher Ebene in Ihrem Konzept einnehmen wird? Wir vernehmen ja in vielen Diskussionen immer, dass Sie in diesem Sektor sehr auf die Wirtschaft und auf private Initiativen setzen. Ich bin der Meinung, dass Bildung eine urstaatliche Aufgabe ist. Mich würde interessieren, was genau Sie anstreben. Was werden Sie insbesondere im Rahmen von staatlichem Capacity Building unternehmen, um in den verschiedensten Ländern die Bildung zu verbessern? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Kofler, das Thema Bildung steht im Fokus unserer Entwicklungszusammenarbeit. Ohne Bildung ist Entwicklung, gerade in ärmeren, aber auch in reicheren Ländern - das wissen wir -, nicht möglich. Bildung ist ein Schlüsselbereich. Natürlich setzen wir insbesondere bei der staatlichen Bildung an, zum Beispiel bei der Grundbildung, aber auch bei der beruflichen Bildung. Was die berufliche Bildung angeht, habe ich bei verschiedenen Reisen wahrgenommen, dass unser duales System im Ausland in besonderer Weise nachgefragt wird, zum Beispiel in Mali, aber auch in anderen Ländern. Hier bietet es sich an, mit der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten. Im Fokus steht zunächst einmal die Primarbildung, die Grundbildung. Wenn man den Bildungsstand eines armen Landes messen möchte - ich finde, auch dies ist ein wichtiger Punkt -, dann darf man nicht allein die Einschulungszahlen zugrunde legen, sondern wichtig ist auch, festzuhalten, wie viele Schuljahre Kinder und Jugendliche Bildung genießen; das ist nämlich entscheidend, wenn es darum geht, ob sie in ihrer Entwicklung tatsächlich vorankommen. Seien Sie also versichert: Für uns ist Bildung - Grundbildung, aber auch Bildung bis ins Erwachsenenalter - ein wichtiges Thema, an dem alle Einrichtungen, die staatlichen und auch die privaten, beteiligt sind. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Zusatzfrage. - Bitte. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Verstehe ich Sie richtig, dass Sie im Rahmen der deutschen BACKUP-Initiative für Afrika auch mehr finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung stellen, um die gerade angesprochene Qualität der Ausbildung angesichts des Fehlens von Lehrern, insbesondere in Subsahara-Afrika, heben zu können? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Genau dort besteht natürlich ein besonders großer Bedarf. Ich kann Ihnen sagen: Um unsere Partnerländer bei der Erreichung dieses Ziels zu unterstützen, wurde die "Education for All - Fast Track Initiative" - das heißt "Bildung für alle" - eingerichtet. Herz dieser Initiative ist ein Multigeberfonds, der in Form von nicht rückzahlbaren Mitteln zusätzliche Bildungsfinanzierungen ermöglicht, und zwar über bilaterale und nationale Mittel hinaus. Bei der Nutzung dieser Mittel treten jedoch Schwierigkeiten auf, vor allem in Ländern mit besonders großem Bildungsbedarf. Der Mittelabfluss ist daher schleppend, weitgehend verursacht durch mangelnde Kompetenzen und Kapazitäten in den Partnerländern. Viele Länder, Frau Kollegin Kofler, vor allem Länder in Konfliktsituationen, haben so schwache Kapazitäten, dass sie nicht einmal zur Beantragung solcher Mittel ausreichen. Hier wollen wir in besonderer Weise aktiv werden und beratend sowie finanziell helfen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Frage stellt der Kollege Hartwig Fischer. Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass die damalige rot-grüne Regierung in den Jahren von 1998 bis 2005 bei den Schwerpunktländern, in denen wir nach Regierungsverhandlungen grundsätzlich in drei Sektoren zusammenarbeiten, die Mittel für Bildung erheblich heruntergefahren und die Nachfrage nach beruflicher Bildung nicht bedient hat? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Fischer, das kann ich Ihnen ausdrücklich bestätigen. Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Danke. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nun kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Dr. Sascha Raabe: Wird die Bundesregierung die Kritik des neuen OECD/ DAC Peer Review an der unbegründeten starren Aufteilung der deutschen Mittel für bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel aufnehmen und künftig diese haushalterische Vorfestlegung der Mittel aufgeben? Frau Staatssekretärin, bitte. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Raabe, im Peer Review wird keine Kritik an der Aufteilung der Mittel geäußert. Der Peer Review empfiehlt, eine Strategie zur multilateralen Zusammenarbeit zu erarbeiten. Die Bundesregierung wird an der grundsätzlichen Zielgröße für die Aufteilung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf bi- und multilaterale Instrumente festhalten. Im Koalitionsvertrag wird die Bedeutung wirksamer multilateraler Strukturen hervorgehoben und multilateralen Organisationen eine wichtige Rolle zugemessen. Vor diesem Hintergrund ist die Mittelaufteilung als politische und strategische Zielgröße zu verstehen, durch die zum einen die Sichtbarkeit unserer bilateralen Zusammenarbeit erhöht wird, zum anderen aber auch die Aufmerksamkeit für eine bewusste Instrumentenauswahl gestärkt wird und die Verzahnung und Verbindung von bi- und multilateralen Instrumenten verbessert werden sollen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zusatzfrage, Kollege Raabe. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Staatssekretärin, man kann solch einen Bericht natürlich immer so lesen, wie man ihn gerne lesen möchte. (Holger Haibach [CDU/CSU]: Das macht ihr ja auch!) Ich habe ihn so gelesen - so steht es auch drin -, dass der Entwicklungsausschuss der OECD - zu Recht - gesagt hat, dass die willkürliche Festlegung des Verhältnisses von einem Drittel zu zwei Dritteln inhaltlich nicht begründet ist und dass deshalb die Aufforderung an die Bundesregierung ergeht, darüber nachzudenken, welchen Sinn das hat. Sie haben vorhin von der Konferenz in Accra gesprochen und gesagt, dass Sie sich den dort vereinbarten Zielen verpflichtet fühlen. Ich frage Sie: Wissen Sie, wie viele Geber sich zum Teil jedes Jahr in Entwicklungsländern die Klinke in die Hand geben - in Vietnam und in anderen Ländern -, um über ihre einzelnen Projekte zu reden? Stimmen Sie mir zu, dass in Accra vereinbart wurde, dass gerade dies beendet werden soll, um effizient, gemeinsam und international abgestimmt, vor allem auch durch die multilaterale Arbeit, mit mehreren Gebern zusammen Entwicklungszusammenarbeit zu leisten? Warum weigert sich die Bundesregierung, diesen Vorschlägen der Konferenz von Accra in Bezug auf Effizienz nachzukommen? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, im Peer Review, in diesem Prüfbericht, wird vor allen Dingen die Entwicklungszusammenarbeit der früheren Bundesregierung dargestellt. Hinsichtlich der Arbeit der neuen Bundesregierung - gerade im Bereich der Entwicklung - erfolgt nur ein Rückblick auf wenige Monate. Ich sage es noch einmal: Es ist nicht so, dass diese Aufteilung kritisiert wird, sondern es wird noch einmal darauf verwiesen, wie wichtig die Effizienz der jeweils ausgewählten Instrumente ist. Wir haben die Quote - zwei Drittel bilateral, ein Drittel multilateral - nicht starr festgelegt, sondern wir schauen natürlich genau hin, welche multilateralen Projekte sinnvoll sind. In der Tat gibt es manchmal 20 verschiedene Geber für bestimmte Projekte. Die Entwicklungsländer sind häufig völlig überfordert, wenn sie da eine Struktur hineinbringen wollen. Deswegen sagte ich auch: Es geht uns nicht um starres Handeln. Vielmehr kennen wir den Wert von multilateralen Projekten durchaus; wir sind nicht komplett dagegen. Wir legen größeren Wert auf die bilaterale Zusammenarbeit, weil wir dadurch häufig mehr Transparenz und eine direkte Einflussnahme sicherstellen können. Unser Wunsch ist es, Entwicklungszusammenarbeit mit größtmöglicher Wirksamkeit in Bezug auf die Entwicklung zu betreiben. Das ist unser Maßstab, und es geht uns nicht um starre Regelungen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Zusatzfrage. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Staatssekretärin, mir ist bekannt, dass in dem Bericht die letzten fünf Jahre betrachtet werden, aber die Frage und mein Zitat bezogen sich genau auf den Punkt, mit dem die Experten des Entwicklungsausschusses der OECD auf den Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung eingegangen sind. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass das in dem Bericht so kritisiert wird. Auch im Koalitionsvertrag steht die Aufteilung von einem Drittel zu zwei Dritteln. Stimmen Sie mir zu, dass es in diesem Jahr zum Beispiel bei dem hochwirksamen Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria zu erheblichen Problemen geführt hat, dass anfänglich nicht gesichert werden konnte, dass sich Deutschland dort entsprechend beteiligt, weil auch mit Verweis auf die Haushälter in den Koalitionsfraktionen gesagt wurde, das würde mit der Regelung "ein Drittel - zwei Drittel" in Konflikt stehen? Der Minister hat das auch gesagt. Gott sei Dank hat er sich am Ende aufgrund des Druckes unsererseits, der Sozialdemokraten, der NGOs und der Kanzlerin eines Besseren belehren lassen. Wie Sie sehen, führt diese starre Aufteilung zu großen Problemen. Deshalb frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, dass sie in Zukunft aufgegeben werden muss. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu. Das wird Sie nicht überraschen. Zu dem sehr wichtigen Global Fund, den Sie eben angesprochen haben, und seiner Finanzausstattung ist festzustellen: Wir hatten seitens des BMZ und der Bundesregierung unsere bereits zugesagten Verpflichtungen übererfüllt. Es ging um neue Zusagen. Dabei hat sich die Kanzlerin in besonderer Weise eingebracht. Wir haben weitere Schritte machen können, und zwar zusammen mit dem Parlament, weil die Gelder - das ist völlig klar - entsprechend bewilligt werden müssen. Noch einmal: Wir haben unsere Verpflichtungen übererfüllt. Wir haben auch einen Weg gefunden, wie wir die Finanzierung für weitere drei Jahre sicherstellen können, und über die Kanzlerin entsprechende Zusagen gemacht. Sie mögen den Peer Review lesen, wie Sie es für richtig halten. Ich bleibe dabei, dass es keine starren Grenzen, sondern Richtgrößen gibt, und das ist vernünftig. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Sascha Raabe: Wie bewertet die Bundesregierung aus entwicklungspolitischer Sicht die jüngsten Äußerungen des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit mit rohstoffreichen Ländern künftig stärker darauf geachtet werden solle, dass im Gegenzug Deutschland bevorzugter Handelspartner wird, und somit die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft nicht mehr an entwicklungspolitischen Kriterien, sondern primär an deutschen Außenwirtschafts- und Rohstoffinteressen ausgerichtet wird? Frau Kopp, bitte schön. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Antwort auf Ihre Frage, Kollege Raabe, bezieht sich auf eine Aussage vom 26. Oktober, die der Bundesminister für Wirtschaft beim BDI-Rohstoffkongress gemacht hat. In der Rohstoffstrategie der Bundesregierung, die übrigens ressortabgestimmt ist, heißt es: Rohstoffsicherung bedarf daher einer engagierten außen- und außenwirtschaftspolitischen Unterstützung sowie entwicklungspolitischer Flankierung. Genau das ist der Punkt. Ein wichtiges Instrument hierfür sind bilaterale Rohstoffpartnerschaften. Denn Rohstoffsicherung kann keine Einbahnstraße sein. Es geht darum, die Interessen sowohl der rohstofffördernden als auch der rohstoffimportierenden Länder zu berücksichtigen und zu einem sinnvollen Ausgleich zu bringen. Ich will noch einmal betonen: Wir haben in unserer ressortabgestimmten Strategie zur Rohstoffsicherung und noch einmal in einer eigenen BMZ-Strategie sehr ausführlich dargelegt, wie wir uns die extraktiven Industrien bzw. die Rohstoffwirtschaft vorstellen. Wir möchten eine Zertifizierung in dem Bereich implementiert wissen, sodass Firmen, die in Entwicklungsländern Rohstoffe abbauen, sich zu bestimmten Mindeststandards bereitfinden, damit in den Entwicklungsländern eine entsprechende Rendite ermöglicht werden kann. Das setzt voraus, dass wir in den Entwicklungsländern eine gute Regierungsführung, also keine korrupten Strukturen vorfinden und dass die Einnahmen zum Beispiel aus dem Rohstoffabbau tatsächlich der Bevölkerung zugutekommen. Das ist in den letzten Jahren häufig nicht der Fall gewesen. Die Einnahmen sollen beispielsweise zum Aufbau von Finanzsystemen verwendet werden. Daraus sollen ein Bildungssystem und ein Gesundheitssystem finanziert werden. Das verstehen wir unter einer inklusiven Rohstoffstrategie, bei der das Volk vor Ort profitieren soll, statt dass die Einnahmen daraus in irgendwelchen Kanälen verschwinden. Darin sind wir uns mit allen beteiligten Ressorts völlig einig. Eine solche Politik führt auch dazu, dass Frieden, Sicherheit und Entwicklung viel schneller und in viel größerem Maße erreicht werden, als es bisher der Fall war. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zusatzfrage, Kollege Raabe. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Staatssekretärin, Ihr Verweis darauf, dass es sich um ein ressortabgestimmtes Konzept handelt, beruhigt mich nicht; das macht mir eher noch mehr Angst und Sorge. Denn damit ist vorgegeben, dass sich letzten Endes das Wirtschaftsministerium durchsetzt. Sie haben immer wieder auf die Texte verwiesen. Wenn Sie in dem ressortabgestimmten Rohstoffkonzept weitergelesen hätten, dann hätten Sie auch gelesen - das findet sich ein paar Sätze weiter -, dass die Projekte dazu beitragen sollen, die Rohstoffversorgung Deutschlands zu sichern. Es stellt sich dann natürlich die Frage, Frau Staatssekretärin, welche konkreten Auswirkungen das auf die Auswahl unserer Partnerländer hat. Denn die Mittel, die wir vergeben, sind begrenzt. Wenn man irgendwann eine Neuauswahl von Partnerländern trifft und sich dabei vor allem diejenigen aussucht, die für Deutschlands Rohstoffversorgung wichtig sind, dann werden natürlich arme afrikanische Länder ohne Rohstoffe vernachlässigt. Es gibt natürlich arme Länder, die Rohstoffe besitzen; aber es gibt eben auch arme Länder, bei denen das nicht der Fall ist. Es kann doch nicht der Sinn der Entwicklungszusammenarbeit sein, nicht mehr dort zu helfen, wo die größte Armut herrscht, sondern dort, wo die meisten Rohstoffe für Deutschland zu holen sind. Meine konkrete Frage ist: Wir wirkt sich das auf die künftige Auswahl der Partnerländer aus, und bedeutet das nicht einen Vorrang wirtschaftlicher Interessen vor den Bedürfnissen der Ärmsten der Welt? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, aus Ihren Worten spricht eine generelle Skepsis gegenüber der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Diese teilen wir ressortübergreifend nicht. Wenn Sie im Rohstoffkonzept weiterlesen, dann werden Sie feststellen, dass es uns darum geht, Entwicklungsländer in besonderer Weise - so wie ich das eben beschrieben habe - profitieren zu lassen. Ich will Ihnen nur in Erinnerung rufen, dass etwa 75 Prozent der ärmsten Menschen der Welt in den rohstoffreichsten Ländern leben. Schon an dieser Zahl sehen Sie, dass etwas schiefläuft. Es gibt offensichtlich Reichtümer, die nicht für das eigene Land gehoben werden. Unsere Politik ist zuallererst werte- und dann auch interessenorientiert. Werteorientierte Politik bedeutet in diesem Fall - dem stimmt übrigens auch das Wirtschaftsministerium voll und ganz zu -, dass wir Regierungen beraten wollen, wie sie ihre Rohstoffschätze am besten heben können - durch Rohstoffabbau oder die Vergabe von Lizenzen; da gibt es viele Möglichkeiten -, sodass Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden. Es gibt etliche Unternehmen und Länder, die bereit sind, sich an dieser Initiative zu beteiligen, weil sie es für sinnvoller halten, auf diese Weise zu arbeiten, statt irgendwo Entwicklungsruinen hinzustellen, wie es gerade in Afrika an einigen Stellen der Fall ist. Eine solche Politik machen wir nicht. Wir machen eine abgestimmte, ressortübergreifende Rohstoffpolitik, die insbesondere den ärmsten Ländern nützt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zwischenfrage? Dr. Sascha Raabe (SPD): Meine Frage war eigentlich, nach welchen Kriterien die Auswahl der Partnerländer zukünftig erfolgt. Ich will aber eine neue Frage stellen, weil Sie gesagt haben, dass Sie sich ressortübergreifend abgestimmt haben. Mir macht noch mehr Sorge, dass Verteidigungsminister zu Guttenberg nun auch gesagt hat - das passt in das Muster, dass man Entwicklungspolitik in Zukunft an Rohstoffinteressen ausrichtet -, dass die Verteidigungspolitik und der Einsatz deutscher Soldaten in Zukunft auch der Sicherung der Rohstoffversorgung Deutschlands dienen sollen. Nachdem auch Minister Niebel die Entwicklungszusammenarbeit für Afghanistan an die Bedingung der Kooperation von Nichtregierungsorganisationen mit der Bundeswehr geknüpft hat, frage ich Sie, ob Sie mir darin zustimmen, dass da eine ganz gefährliche Militarisierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erfolgt. Man hat den Eindruck, dass die von Ihnen angesprochene Ressortabstimmung ein großangelegtes Konzept ist, um militärisch und entwicklungspolitisch Rohstoffe zu sichern, dass man sich aber nicht mehr um die eigentlichen Aufträge kümmert, nämlich um die Überwindung von Hunger und Armut bzw. um die im Grundgesetz vorgeschriebene Verteidigung des Landes. Das ist offenbar eine Politik, die mit Soldaten Rohstoffe für uns sichern will. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, Ihre sicherheitskritische und wirtschaftskritische Haltung teile ich ausdrücklich nicht. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das ist eine unzulässige Bewertung gewesen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer Zusatzfrage hat die Kollegin Heike Hänsel. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich hoffe, ich bekomme eine etwas vielsagendere Antwort. Meine Frage bezieht sich auf Ihre Aussage, dass die Rohstoffstrategie auch zu Frieden und Entwicklung in den Ländern des Südens beiträgt. Minister Niebel war gerade auf Lateinamerikareise, unter anderem auch in Peru. Während er sich mit dem Präsidenten Alán García sehr gut verstanden hat und es neue, sehr hohe Geldzusagen für Peru gibt - unter anderem in Form von Krediten -, hat die katholische Bischofskonferenz Perus ihn darüber informiert, dass Bergbaulizenzen in großem Stil hinter dem Rücken der indigenen Bevölkerung vergeben werden und das zu großen sozialen Konflikten führt. Meine Frage lautet: Sieht die deutsche Bundesregierung darin einen Beitrag zu Frieden und Entwicklung, wenn mit dem Präsidenten Perus über diese Konflikte kein Wort gesprochen wird? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Staatssekretärin, bitte. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Danke sehr. - Frau Hänsel, der Minister war zu Gesprächen in Peru und hat sich dort - das gilt auch für andere Länder - nicht gescheut, kritische Dinge anzusprechen, zum Beispiel Menschenrechte oder fehlende Good Governance. Ich finde, Sie sollten dem Minister daher nicht unterstellen, dass er bei seinem Besuch keine kritischen Fragen gestellt hat. Ich bin ganz sicher, dass er das getan hat. Unsere Strategie ist, so zusammenzuarbeiten, dass eine optimale Hebelwirkung erzielt wird. Das ist beispielsweise im Rahmen der Rohstoffstrategie möglich. Ich habe eben gesagt, wie wichtig uns beim Rohstoffabbau die Werteorientierung ist. Wenn sich ein Akteur nicht an Werten orientiert, werden wir mit ihm nicht im Rahmen der Rohstoffstrategie zusammenarbeiten können. Das geht natürlich nicht. Kritische Punkte werden angesprochen. Ich war bei den erwähnten Gesprächen nicht dabei. Der Minister wird wissen, was angesprochen worden ist. Aber seien Sie versichert, dass kritische Punkte selbstverständlich ein Thema sind und auch in Zukunft sein werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Holger Haibach. Holger Haibach (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, ich möchte auf die Frage des Kollegen Raabe über die Rohstoffstrategie zurückkommen. Würden Sie mir zustimmen, dass dann, wenn eine Rohstoffstrategie sehr gut gemacht ist, beide Ziele erreichbar sind, nämlich auf der einen Seite den Lebensstandard der Menschen in den Ländern des Südens, in den rohstoffreichen Ländern, zu heben, und auf der anderen Seite die Rohstoffsicherung für das rohstoffarme Land Deutschland zu gewährleisten? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Das Ganze kann man unter dem Begriff "wirksame Entwicklungszusammenarbeit" subsumieren. - Vielen Dank. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Kollege Hartwig Fischer hat noch eine Zusatzfrage. Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, können Sie uns bestätigen, dass, nachdem die Große Koalition die Zertifizierung von Rohstoffen aus dem Kongo zu einem Programmteil gemacht hat, Herr Minister Niebel bei seiner ersten Reise nach Afrika die Zertifizierung von Rohstoffen als Zukunftsthema einer wertegebundenen Politik bezeichnet hat und er im Ostkongo Gespräche auch mit der Zivilgesellschaft geführt hat, weil das als Einheit gesehen werden muss? Ich kann die Gespräche in Peru nicht beurteilen, weil ich nicht dabei gewesen bin. Ich kann das aber über die Gespräche sagen, die wir in Afrika mit verschiedenen Stellen geführt haben. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Fischer, das bestätige ich ausdrücklich. Es ist so, dass die werte- und interessenorientierte Zusammenarbeit sehr viele Vorteile bringt. In Afrika gibt es einige Regierungen, die die Kriterien von Good Governance einigermaßen erfüllen. Diese wollen mit solchen Regierungen und Unternehmen zusammenarbeiten, die sich einer Zertifizierung unterziehen. Die Regierungen selber legen Wert darauf, weil sie in den vergangenen Jahren häufig sehr negative Erfahrungen mit Unternehmen gemacht haben, die Rohstoffe zulasten der eigenen Bevölkerung abgebaut haben. Oft ist kein Geld geflossen, weil es Möglichkeiten gibt, Steuerzahlungen zu vermeiden. Diese Länder legen großen Wert auf eine Zertifizierung, weil sie selbst leidvolle Erfahrungen gemacht haben. Deshalb bestätige ich Ihnen das ausdrücklich. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, rechnen Sie damit, dass der Verteidigungsminister aus seiner Äußerung, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands auch militärisch sichern zu wollen, die gleiche Konsequenz zieht wie der ehemalige Bundespräsident, nämlich zurückzutreten? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Diese Frage beantworte ich Ihnen nicht. Wenn Sie diese Frage beantwortet haben wollen, verweise ich auf den Bundesverteidigungsminister. Ich finde Ihre Frage bemerkenswert. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich auch! - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! - Dr. Sascha Raabe [SPD]: Die Äußerung des Verteidigungsministers ist bemerkenswert!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Karin Roth: Beabsichtigt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, die am 20. Oktober 2010 (siehe Pressemitteilung des BMZ vom 20. Oktober 2010) von der Parlamentarischen Staatssekretärin Gudrun Kopp zugesagte Verdoppelung der Mittel zur Unterstützung der selbstbestimmten Familienplanung und reproduktiven Gesundheit ab 2011 auf 80 Millionen Euro im Jahr zusätzlich in den Bundeshaushalt einzustellen, und, wenn nein, wo werden an anderer Stelle im Bundeshaushalt Mittel gekürzt werden? Bitte sehr, Frau Kopp. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Roth, zu diesem Thema haben wir uns schon häufiger ausgetauscht. Ich beantworte Ihnen die Frage wie folgt: Die angekündigte Verdoppelung der Mittel zur Unterstützung der selbstbestimmten Familienplanung und reproduktiven Gesundheit ab 2011 wird einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der G-8-Muskoka-Initiative zur Verbesserung der Kinder- und Müttergesundheit darstellen, für die sich die Bundesregierung verpflichtet hat, von 2011 bis 2015 zusätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 400 Millionen Euro bereitzustellen. Für den Haushalt 2011 stehen hierfür keine zusätzlichen Mittel im Gesamtetat des BMZ zur Verfügung. Vielmehr erhalten bei der Umsetzung der verschiedenen infrage kommenden Haushaltstitel Vorhaben zur Förderung der reproduktiven Gesundheit und Familienplanung Priorität. So werden unter anderem bei den Titeln der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit und technischen Zusammenarbeit 22 Millionen Euro, die bislang noch nicht anderweitig verplant waren, exklusiv für Vorhaben in diesen Förderbereichen genutzt werden. Im Übrigen wird auf die Antworten verwiesen, die ich Ihnen schon am 29. Oktober gegeben habe. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Staatssekretärin, richtig ist: Wir sind in ständigem Dialog über die Frage, was die Zusagen der Bundeskanzlerin auf internationalen Konferenzen materiell, nicht nur ideell, wert sind. Wenn man auf der internationalen Konferenz, die in Kanada stattgefunden hat, für die nächsten fünf Jahre 400 Millionen Euro zur Bekämpfung der Kinder- und Müttersterblichkeit zusagt - dabei spielt das Thema Familienplanung natürlich auch eine Rolle; ich komme noch darauf zu sprechen -, dann muss man sich doch bewusst sein, dass diese 400 Millionen Euro, also 80 Millionen Euro jedes Jahr, im Haushalt nicht einfach verteilt werden, zumal die Mittel ohnehin knapp sind. Sie haben vorhin durchaus richtig gesagt, dass das Thema Bildung eine wichtige Rolle spielt; morgen wird es das Klima sein, und dann kommt vielleicht noch ein weiteres Thema dazu. Daher müssen dies zusätzliche Mittel sein. Wenn wir - vor allem aber die Bundeskanzlerin - in der internationalen Staatengemeinschaft glaubwürdig bleiben wollen - die nächsten Gipfel stehen schon an -, dann stellt sich doch die Frage: Was wird wirklich finanziert? Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Beim Thema Familienplanung haben Sie angekündigt, aus 40 Millionen Euro 80 Millionen zu machen. Schauen wir einmal ins Tableau der Finanzierung. Unter der Großen Koalition gab es einen Entwurf für 2010, in dem für die Familienplanung, für den UNFPA und die IPPF - das ist die Internationale Föderation geplanter Elternschaft -, insgesamt 23 Millionen Euro vorgesehen waren. Unter der neuen Regierung sind es für 2010 nur noch 18,3 Mil-lionen Euro, und in 2011 sollen es 19,7 Millionen Euro sein. Wie Sie auf 40 Millionen Euro für die Familienplanung kommen, ist schon ein Rätsel. Aber wie Sie dann nach der Presseerklärung, die Sie ja mit unterschrieben haben, sogar auf 80 Millionen kommen, ist erst recht nicht nachvollziehbar. Die Erklärung, die Sie mir jetzt gegeben haben - deshalb bin ich wirklich froh, mit Ihnen endlich auf dieser Ebene zu reden -, heißt doch nichts anderes, als dass Sie die Finanzierung anderer Projekte einstellen. Das geht dann zulasten des Bereichs Bildung. Viel wichtiger ist aber etwas anderes. Staatssekretär Beerfeltz schreibt abschließend, dass Sie 22 Millionen Euro im Rahmen der Nachsteuerung zur Verfügung stellen; das haben auch Sie gerade gesagt. Wenn ich von den 80 Millionen Euro ausgehe, die die Kanzlerin vorgesehen hat, fehlen immer noch 58 Millionen Euro. Es muss also irgendetwas in dem Haushalt nicht richtig koordiniert worden sein. Wie kann eine Bundeskanzlerin auf internationalen Konferenzen 80 Millionen Euro oder 400 Millionen Euro zusagen, wenn nicht gleichzeitig die Finanzierung gewährleistet ist? Oder findet etwa vorher eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung, auf die Sie bekanntermaßen sonst so viel Wert legen, hier nicht statt? Wird die Bundeskanzlerin Ihren Haushalt noch einmal aufstocken, damit sie wenigstens an der Stelle glaubwürdig bleibt? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, ich betone ausdrücklich, dass die Zusagen der Kanzlerin selbstverständlich eingehalten werden; (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Wie?) das ist überhaupt keine Frage. Ich will noch einmal sagen, dass die Initiative "selbstbestimmte Familienplanung" im Fokus unserer Arbeit steht. Auch darüber haben wir schon einmal gesprochen. Ich will jetzt aber noch ein paar Zahlen vortragen. Die angekündigte Verdoppelung der Mittel bezieht sich auf das Basisjahr 2008. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ach so!) Da beliefen sich die Zusagen für reproduktive Gesundheit und für Familienplanung auf etwa 35 Millionen Euro. Eine Steigerung auf 80 Millionen Euro ist durchaus realistisch und wird auch erfolgen, weil neben der Nutzung der thematischen Reserve von 22 Millionen Euro, von der ich eben gesprochen habe, weitere Maßnahmen im Bereich der TZ, und zwar hier vor allem bei InWEnt sowie develoPPP, und Initiativen mit den Kirchen und privaten Trägern geplant sind. Auch die noch konkret zu verplanenden Treuhandmittel, zum Beispiel die der IPPF, werden statistisch als bilaterale Leistungen erfasst. Summa summarum: Wir sind dabei, ebendiese Finanzierung sicherzustellen, und Sie dürfen ganz sicher sein, Frau Kollegin Roth, dass wir diese Verpflichtungen auch einhalten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Ich bin ja gern bereit, vieles nachzuvollziehen; aber, Frau Kollegin Kopp, wir wissen doch ganz genau, dass die Ausgaben der GTZ und des DED und anderer verplant sind. Sie waren für andere Projekte vorgesehen. Von Herrn Beerfeltz wird zwar gesagt, dass man alles prüft - das haben Sie mir gerade auch noch einmal gesagt -, aber letztendlich - darauf kommt es an -: Es sind 58 Millionen Euro weniger vorgesehen. Sie verkünden 80 Millionen Euro, und Sie verkünden für die Familienplanung noch einmal 80 Millionen Euro. Entweder stimmt das nicht, oder Sie können mir die einzelnen Haushaltstitel nennen. Ich bin in der Lage, Haushalte zu lesen; das ist für mich kein Problem. Deshalb komme ich ja auch darauf, dass das, was Sie öffentlich immer erklären, mit der Realität im Haushalt nicht ganz übereinstimmt. Insofern bitte ich Sie, mir mitzuteilen - wenigstens das! -, wo ich die 58 Millionen finde, die jetzt noch ausstehen, die hier nicht enthalten sind, die Sie mir eben nur noch einmal allgemein dargestellt haben, bei welchem Programm etwa. Möglicherweise ist der Haushalt an der Stelle so ungenau, dass ich das, was ich bestätigt haben möchte, nämlich die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf internationaler Ebene, nicht nachvollziehen kann. Wenn Sie mir dieses Nachvollziehen ermöglichten, wäre das wunderbar. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, ich weiß, dass Sie das nicht glauben, (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja! Wundert Sie das?) aber das müssen Sie mit sich selbst ausmachen. Ich habe ein paar Beispiele dafür genannt, wo Mittel zu akquirieren sind. Es geht nicht nur darum, an irgendeiner Stelle etwas wegzunehmen, sondern darum, wie wir einen Haushalt zustande bringen, der Projekte finanziert, die so auch tatsächlich umzusetzen sind. Ich habe eben eine Hausnummer für den Haushalt genannt, die 22 Millionen Euro; aber es gibt noch mehr. Sie wissen, dass derzeit die Bereinigungssitzung läuft, die bis morgen Abend dauern soll. Wir sind also dabei, den Haushalt 2011 festzuzurren, und - das habe ich Ihnen gesagt - beabsichtigen, das, was wir in Aussicht gestellt haben, zu erfüllen. Ich bitte Sie, da einfach noch ein wenig Geduld zu haben. Anschließend können wir schauen, wie letzten Endes das Ergebnis ausgefallen ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dann kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Karin Roth: In welcher Form und in welchem konkreten finanziellen Umfang wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, zukünftig den Bereich Gender fortführen, nachdem die Zielgröße "Gender" in den Haushalten 2010 und 2011 des BMZ gestrichen wurde, und wie fließen die Ergebnisse des internen Monitorings zu Gender in die zukünftige multilaterale und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit vor dem Hintergrund der erforderlichen Planungssicherheit für alle Akteure der Entwicklungszusammenarbeit ein? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, der Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter wird von der Bundesregierung nach wie vor eine große Bedeutung beigemessen. Vorhaben und Programme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, deren Hauptziel es ist, zur Gleichberechtigung der Geschlechter beizutragen, werden auch im Jahr 2011 fortgeführt. Auch ohne eine bestehende Zielgröße können Neuvorhaben in diesem Bereich initiiert werden. Beispielhaft hierfür ist das Regionalvorhaben "Soziale Eingliederung von Betroffenen von Menschenhandel", dessen Hauptzielgruppe Frauen sind und welches in Südosteuropa 2010 auf den Weg gebracht wurde. Im Rahmen der Umsetzung des entwicklungspolitischen Aktionsplans werden zudem durch gezieltes Gender-Mainstreaming und die Förderung frauenspezifischer Maßnahmen Beiträge im Bereich Gender in der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit geleistet. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre Nachfrage, bitte. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Frau Kollegin Kopp, auch hier sind wir ja in einem ständigen Dialog. Sie hatten im Juli 2010 angekündigt, dass Sie mir das Ergebnis des Monitorings mitteilen, das damals noch nicht vorlag, weil Sie auf der Grundlage dieses Monitorings und bezogen auf die Zielgröße, die es nun nicht mehr gibt, die Schwerpunkte bezüglich der Gender-Politik in Ihrem Hause festlegen wollten. Nun möchte ich Sie fragen: Was hat das Monitoring ergeben? Gibt es Veränderungen, oder arbeitet man weiter auf der Grundlage der Gender-Strategie, die die vorhergehende Bundesregierung verfolgt hat, und führt den Gender-Aktionsplan, durch den Frauen in den Entwicklungsländern, die ja Träger von Entwicklung sind, unterstützt werden, genauso fort? Dann war die Ankündigung, die Zielgröße abzuschaffen, eigentlich ziemlich unnötig. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, wir sind uns völlig einig, dass Frauen die Schlüsselpersonen für Entwicklung in den Ländern sind. Sie tragen die meiste Last, und sie sind auch diejenigen, auf deren Unterstützung wir besonderen Wert legen sollten. Der Entwicklungspolitische Gender-Aktionsplan 2009-2012 - Sie kennen ihn - besitzt nach wie vor Gültigkeit. Insbesondere im Rahmen der vier thematischen Schwerpunkte - wirtschaftliches Empowerment von Frauen, Frauen bei bewaffneten Konflikten und ihre Rolle bei der Konfliktbearbeitung, geschlechtsspezifische Herausforderungen und Antworten auf den Klimawandel sowie sexuelle und reproduktive Gewalt - wird das BMZ auch zukünftig konkrete Maßnahmen unterstützen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Karin Roth (Esslingen) (SPD): Ja. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Es freut mich, dass Sie den Gender-Aktionsplan fortsetzen und, wie ich hoffe, auch weiterführen; denn wir haben gerade heute im Rahmen unserer Sitzung gehört, dass beispielsweise die EU gemeinsam mit Afrika dem Thema Gender höchste Priorität zuerkannt hat. Insofern kann sich die Bundesregierung, wahrscheinlich auch in Zukunft, gar nicht von diesen Gender-Aktionsplänen verabschieden. Spannend ist aber auch hier wieder die Frage nach dem Geld, wie immer, wenn es um die Unterstützung von Projekten geht. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, standen hierfür bisher immer 60 Millionen Euro zur Verfügung. Wird die Bundesregierung weiterhin Mittel in dieser Größenordnung zur Verfügung stellen, damit man wenigstens die bisherige Quantität und, wie ich hoffe, auch Qualität erreicht? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, wir sind uns völlig einig, dass wir nach wie vor unser Augenmerk auf die Gender-Betrachtung und -Förderung, die je nach Konfliktlage und Situation in den Ländern immer wieder neue Facetten aufwirft, richten werden. Die 60 Millionen Euro, die Sie eben angesprochen haben, kann ich Ihnen im Moment nicht sicher bestätigen, weil ich die endgültigen Haushaltszahlen nicht kenne. Da bitte ich Sie um etwas Geduld; innerhalb der nächsten anderthalb Tage kann ich Ihnen das genau sagen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit rufe ich die Frage 9 der Kollegin Heike Hänsel auf: Weshalb wurde vonseiten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, entschieden, den "Plan zur integralen Konsolidierung der Macarena" der kolumbianischen Regierung finanziell zu unterstützen, obwohl ein BMZ-Papier vom 13. Oktober 2010 in der Bewertung des Projektes vor der "lokalen Sicherheitslage" warnt und feststellt, dass die Bevölkerung "das Programm eher als militärisches denn ziviles wahrnimmt" und dadurch auch die Reputation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit als unabhängigem Akteur durch die Assoziierung mit den Sicherheitskräften leiden könnte? Frau Staatssekretärin, bitte. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herzlichen Dank für diese Frage. - Das Thema hat beim Besuch des Ministers in Kolumbien auch in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt, sodass ich Ihnen heute sagen kann, dass die Unterstützung der Erstellung eines Raum-/Umweltordnungsplans im Rahmen des Plans zur integralen Konsolidierung der Macarena durch deutsche TZ-Beratung zum Ziel hat, zur Lösung der Landproblematik und damit zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die angestrebte Landtitelvergabe beizutragen. Die deutsche TZ ist auf Zonen mit hoher Konsolidierung begrenzt. Die wesentlichen Tätigkeiten werden in der Departementhauptstadt stattfinden, die befriedet ist. Die Präsenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wird von der lokalen Bevölkerung begrüßt, weil sie dazu beitragen kann, bezüglich der Situation in der Region für mehr Öffentlichkeit zu sorgen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, Ihre Nachfrage. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön. - Frau Staatssekretärin, Sie haben es erwähnt: Die Unterstützung dieses Plans zur integralen Konsolidierung ging durch die Medien und hat bei vielen Menschenrechtsorganisationen und kirchlichen Hilfsorganisationen Aufsehen erregt und auch Kritik hervorgerufen; sie haben darauf hingewiesen, dass die Region, in der dieses Projekt ausgeführt werden soll, konfliktreich ist. Dort sind Guerillakämpfer, paramilitärische Kämpfer, aber auch die kolumbianische Armee aktiv, und allen werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Unter anderem geht es um 446 Leichen, die dort gefunden wurden und bei denen die Todesursache noch nicht aufgeklärt ist. Die Armee sagt, dass dies im Kampf getötete Menschen seien. Zwei Menschenrechtsaktivistinnen, die das erforschen wollten, wurden im August dieses Jahres dort ermordet. Es ist also eine hochexplosive Region. Nichtregierungsorganisationen werfen Ihnen vor, damit die Aufstandsbekämpfung in der Region zu unterstützen. Meine Frage ist: Der Plan zur integralen Konsolidierung, an dem sich die Bundesregierung beteiligt, ist ein zivil-militärisches Projekt, an dem auch das Verteidigungsministerium und andere Sicherheitskräfte, der Geheimdienst, mitwirken. Wie können Sie das angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen, die auch der kolumbianischen Armee vorgeworfen werden, verantworten? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hänsel, ich weise Ihre Darstellung zurück, die Bundesregierung würde sich hier an der militärischen Niederschlagung von Aufständischen beteiligen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das werfen Ihnen NGOs vor!) Das ist absolut nicht der Fall. Ich verweise darauf - das hat auch Bundesminister Niebel getan, unter anderem in verschiedenen Presseäußerungen -, dass die neue Regierung Santos gerade einmal circa 100 Tage im Amt ist. Diese Regierung hat glaubwürdig dargestellt - das hat auch der Minister berichtet -, dass sie den sozialen Ausgleich in den Vordergrund des Handelns stellt. Es geht bei diesem Projekt darum, die Voraussetzungen für Landtitelvergabe zu schaffen; denn wir können alle davon ausgehen, dass Ländereien für die Menschen im ländlichen Bereich nicht zur Verfügung stehen. Ich kann Ihnen sagen: Nach der Abreise des Ministers hat es eine Gruppe um den Botschafter gegeben - Polizeikräfte, NGOs vor Ort, Bürger, Rechtsexperten -, die Gespräche geführt und übereinstimmend gesagt hat, dass dies ein sinnvolles Projekt ist. Ich kann Ihnen ankündigen, dass BMZ und AA in wenigen Tagen einen gemeinsamen Dienstbericht vorliegen haben werden. Wir stellen Ihnen diesen Bericht gerne zur Verfügung, damit Sie sich selbst ein Bild darüber machen können, was die Nachbetrachtung ergeben hat. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Heike Hänsel (DIE LINKE): Ja, ich habe eine weitere Zusatzfrage. - Sie haben diese Gruppe erwähnt. Soviel ich weiß, waren auch Mitarbeiter des BMZ vor Ort, die unter Armeeschutz standen. Angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung vor der kolumbianischen Armee Angst hat, spricht es eine sehr deutliche Sprache, dass Mitarbeiter des BMZ unter Armeeschutz in diese Region geschickt werden. Sie werden dadurch Teil dieses Konfliktes; sie bleiben nicht neutral. Meine Frage ist: Wieso hat Minister Niebel schon im September fest zugesagt, dieses Projekt zu unterstützen, wo doch erst jetzt Mitarbeiter des BMZ vor Ort waren und sich das angeschaut haben? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hänsel, Sie haben schon während Ihres Besuchs in Kolumbien - Sie haben den Minister bei seiner Reise begleiten dürfen - Pressemitteilungen veröffentlicht, die ich ausdrücklich nicht teile. Diese Mitteilungen zeigen Ihre grundsätzliche Ablehnung einer Entwicklung, die zu einer vernetzten Sicherheit wie in Afghanistan führt. Wir sagen: Ohne Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich und umgekehrt. In diesem Punkt besteht zwischen uns ein grundsätzlicher Dissens. Wir sind der Ansicht, dass die neue Regierung die Chance haben muss, Vertrauen aufzubauen. Vertrauen aufbauen heißt auch, Menschen an der Entwicklung zu beteiligen. Sie haben eben das PCIM erwähnt. In diesem Gutachten gibt es folgenden Passus - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -: Die Regierung des neuen kolumbianischen Staatspräsidenten Santos scheint das Landthema entschiedener als die Vorgängerregierung angehen zu wollen. Eine neu eingerichtete Arbeitsgruppe unter Leitung von Alejandro Reyes erarbeitet momentan einen detaillierten Gesetzesvorschlag für die neue Regierung, bei dem es um die Rückgabe von insgesamt 2 Millionen Hektar Land an Vertriebene gehen soll. Dabei geht es unter anderem auch um die Rückgängigmachung von Enteignungen. Weiter heißt es hier: Auch Gesetzesprojekte zur schnelleren Beschlagnahmung von illegal erworbenem Land sollen ausgearbeitet und jetzt umgesetzt werden. Das alles lässt den Schluss zu, dass es Möglichkeiten gibt, hier zu einer Befriedung und zu einem vertrauensvollen Neuanfang zu kommen. Ich sage noch einmal: Dieser Umweltplan dient ausdrücklich dazu, Landtitelvergabe überhaupt möglich zu machen, damit Entrechtete zu ihrem Recht kommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Kollege Thilo Hoppe hat nun das Wort für eine Zusatzfrage. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie die Stellungnahme mehrerer deutscher Hilfswerke, auch kirchlicher Hilfswerke, die sich mit den Verhältnissen in Kolumbien gut auskennen und die eindringlich vor diesem zivil-militärischen Engagement in der Macarena-Region gewarnt haben? Diese Organisationen werben vielmehr dafür, das respektierte und anerkannte Engagement der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Justizsektor weiter auszubauen. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Hoppe, das eine tun und das andere nicht lassen. Natürlich muss es sehr viel mehr Kooperationen auch auf anderen Ebenen geben. Es gibt natürlich Skeptiker bei den NGOs und bei den Kirchen in Bezug auf das Thema "vernetzte Sicherheit in Afghanistan". Herr Minister Niebel hat im Vorfeld sorgfältig geprüft, welche Möglichkeiten es gibt, bei der Landtitelvergabe weiterzukommen. Ich sage noch einmal: Wir schaffen die Voraussetzung dafür, dass eine entsprechende Kartierung erstellt wird. Das dient der Friedenssicherung und bewirkt nicht das Gegenteil. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Heike Hänsel: Wie ist die Aussage in dem BMZ-Papier zur Bewertung des Macarena-Projektes vom 13. Oktober 2010 zu verstehen, die "Erfahrungen aus der Maßnahme könnten als lessons learnt in die Arbeit der deutschen EZ in problematischen Sicherheitssituationen und der dortigen Schaffung von Governance-Strukturen einfließen"? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hänsel, die deutsche EZ hat mit der Zusammenarbeit bei der partizipativen Landnutzungsplanung international, aber auch in der genannten Region außerordentlich gute Erfahrungen gemacht. Unsere Partner schätzen den partizipativen, auf Konsens zielenden Ansatz der deutschen EZ. Die Region La Macarena hat hier aufgrund des Kolonialisierungsprozesses und der bestehenden Rechtsunsicherheit eine symbolische Bedeutung für mehrere kolumbianische Regionen mit ähnlich gelagerten Problemstellungen. Der Plan zur integralen Konsolidierung der Macarena kann insofern als gutes Beispiel - als lessons learnt - für andere Regionen gesehen werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Zusatzfrage? Heike Hänsel (DIE LINKE): Ja. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön. - Frau Staatssekretärin, es war eine der positiven Empfehlungen des BMZ, dieses umstrittene Projekt zu fördern, weil man dabei viele Erfahrungen - lessons learnt - für andere Konfliktregionen sammeln kann. Dazu habe ich eine Nachfrage: Starten Sie hier sozusagen einen Versuch, auch unter Gefährdung von Menschenleben? Aufgrund der dortigen Kämpfe befinden sich nämlich sowohl die Entwicklungshelfer als auch die Bauern und ihre Organisationen vor Ort, mit denen die Entwicklungshelfer kooperieren, in einer lebensgefährlichen Situation. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Nein, Frau Kollegin Hänsel. Ich sage es ausdrücklich: Unser Ziel ist es nicht, Menschenleben zu gefährden. Vielmehr ist es unser Ziel, die Entwicklung zu befördern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage. Heike Hänsel (DIE LINKE): Sie sagten, dass Sie auch in anderen Regionen Kolumbiens - es gibt sehr viele Regionen mit ähnlich gearteten Konflikten - eventuell Projekte fördern wollen. Habe ich Sie insofern richtig verstanden, dass Sie die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit mehr und mehr in diese stark kritisierten, riskanten zivil-militärischen Projekte hineinziehen wollen? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hänsel, uns ist bewusst, dass es viele konfliktträchtige Regionen gibt, übrigens nicht nur in Kolumbien, sondern weltweit. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wollen Sie da vielleicht auch noch einsteigen?) Wir, das BMZ, haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung voranzutreiben, um dadurch möglicherweise Konflikte zu verhindern - auch das ist ein wichtiger Aspekt - und Regionen zu befrieden. Warten wir doch einmal ab, wie sich dieses Projekt weiterentwickelt. Ich hoffe, dass Sie dann Ihre skeptische Haltung aufgeben können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir hier zu mehr Entwicklung kommen und zur Vertrauensbildung beitragen können. Es ist wichtig, an dieser Stelle neue Wege zu gehen. Noch einmal: Das BMZ hält dieses Projekt für geeignet, um die Entwicklung zu befördern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. - Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Für die Beantwortung steht Frau Staatsministerin Cornelia Pieper zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur Frage 11 des Kollegen Wolfgang Gehrcke: Auf welche Faktoren führt es die Bundesregierung zurück, dass ein Bericht zur Verstrickung des Auswärtigen Amts in die Nazibarbarei erst 65 Jahre nach dem Ende der Hitlerdiktatur vorgelegt werden konnte? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das Auswärtige Amt ist übrigens das erste Ressort der Bundesregierung, das einen entsprechenden Auftrag an eine unabhängige Historikerkommission gegeben hat. Wissenschaftliche Darstellungen zur Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich liegen bereits seit geraumer Zeit vor. Herr Abgeordneter Gehrcke, denken Sie bitte an die Studie The final solution and the German Foreign Office von Christopher Browning aus dem Jahr 1978 und an den Aufsatz Das Auswärtige Amt im Dritten Reich von Hans-Jürgen Döscher, erschienen 1987. Konkreter Anlass für die Vergabe des Auftrags an die vom Auswärtigen Amt berufene unabhängige Historikerkommission war eine Debatte im Auswärtigen Amt darüber, welche Regeln für das Gedenken an verstorbene ehemalige Kollegen, die schon zur Zeit des Dritten Reiches im diplomatischen Dienst tätig waren, gelten sollen. Ich glaube, es ist für alle Abgeordneten interessant, diese Studie zu lesen. Natürlich empfehle ich Ihnen das Werk der unabhängigen Historikerkommission. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Gehrcke, bitte. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich bedanke mich für die Literaturempfehlung. Ich kann sie an alle Kolleginnen und Kollegen weitergeben. Ich habe das Buch gelesen und bin wie Sie der Auffassung, dass es zur Pflichtlektüre aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages gehören sollte. Durch die Lektüre wird man klüger, aber auch ein bisschen nachdenklich. Jetzt meine Frage, die Sie vielleicht vorausgeahnt haben: Da ich davon ausgehe, dass auch Sie das Buch gelesen haben, frage ich, ob Sie anderen Ministerien, zum Beispiel dem Bundesministerium der Verteidigung, empfehlen würden, eine ähnliche Studie unabhängiger Historiker in Auftrag zu geben. Dies ist schließlich nicht nur ein Thema des Auswärtigen Amtes, sondern auch des Verteidigungsministeriums und anderer Ministerien. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Abgeordneter Gehrcke, ich möchte festhalten, dass der Bundesaußenminister direkt nach Veröffentlichung dieser Studie gesagt hat, dass sie selbstverständlich zur normalen Ausbildungslektüre zukünftiger Diplomaten gehören wird. Das soll an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden. Ich halte das für richtig. - Die Abgeordneten sind frei in ihrer Entscheidung, aber, wie ich glaube, auch so verantwortungsbewusst, dass sie diese Studie lesen werden. Was war die zweite Frage? Entschuldigung! Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das macht nichts. Wenn sie mir nicht angerechnet wird, wiederhole ich sie gerne. Ich habe gefragt, ob Sie anderen Ministerien, zum Beispiel dem Verteidigungsministerium, empfehlen können, eine ähnliche Studie unabhängiger Historiker in Auftrag zu geben. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Ich glaube, dass die Ministerien selbst wissen, dass sie aufgrund der deutschen Vergangenheit verantwortungsvoll mit der Geschichte Deutschlands umgehen sollten. Ich bin in Kenntnis darüber, dass einige Bundesministerien darüber nachdenken, in der Tat Ähnliches zu tun. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, denkt das Bundesfinanzministerium ernsthaft darüber nach. Zur Geschichte des Finanzministeriums zur Zeit des Nationalsozialismus gab es, wie Sie wissen, schon Veröffentlichungen. Selbstverständlich entscheidet das aber jedes Ressort für sich. Ich kann es nur begrüßen, wenn Sie, Herr Gehrcke, als Abgeordneter der Fraktion Die Linke die Aufarbeitung der Vergangenheit einfordern. Das gilt natürlich für die gesamte Geschichte unseres Landes, insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus, aber eben auch für die Zeit der DDR-Diktatur. Ich wünsche mir manchmal mehr Offenheit und Bereitschaft der Fraktion Die Linke, wenn es darum geht, sich diesen Fragen zu stellen. (Beifall des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Wenn ich mir dazu eine Bemerkung erlauben darf. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich glaube, dass ich mehr gegen und über den Stalinismus geschrieben habe, als Sie gelesen haben. Das will ich einfach einmal so in den Raum stellen. Ich will noch einmal nachfragen. Warum ist es eigentlich nicht möglich, dass das Außenministerium der Geschichte der Widerstandskämpfer, die es auch in diesem Ministerium gegeben hat, in einer aufklärerischen und würdigen Art und Weise nachgeht? Das habe ich nie verstanden. Im Bericht wurden einige Schicksale, einige Biografien genannt. Ich erwarte, dass das Außenministerium überlegt, wie es diese Personen würdigen kann. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Abgeordneter, Sie sagten, dass Sie das Gutachten gelesen haben. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie darin lesen können, dass in der Anfangsphase des Auswärtigen Amtes, im Jahr 1951, etwa jeder Fünfte im höheren Dienst ein Verfolgter des Naziregimes war. Ich könnte jetzt einzelne Namen aufführen, will aber nur ein Beispiel nennen, den Diplomaten Georg Ferdinand Duckwitz, der für seinen Einsatz zur Rettung der dänischen Juden in Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt wird. Ich glaube, es gibt noch mehr Beispiele. Natürlich gedenken wir im Auswärtigen Amt dieser Widerstandskämpfer. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, wie es möglich war, dass zahlreiche, auch hohe, Beamte des Auswärtigen Amts Nazideutschlands, von dem der Leiter der Kommission, der Historiker Professor Dr. Eckart Conze meint, man könne es als "verbrecherische Organisation" bezeichnen, nach 1945 weiter bzw. wieder im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland tätig werden konnten? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Abgeordneter, die Frage ist ähnlich gelagert wie die vorhergehende: Die Studie Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik fasst aus meiner Sicht die wesentlichen Erkenntnisse, die zu dieser Frage vorliegen, zusammen. Ich sage es noch einmal: Jeder Abgeordnete kann das Gutachten, das in einem Buch zusammengefasst ist, lesen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Erste Zusatzfrage. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Frau Staatsministerin, kann es sein, dass nach 1945 gezielt Seilschaften, alte Verbindungen, dazu genutzt wurden, dass man sich an ehemaligen Wirkungsstätten wiedergetroffen und die Arbeit fortgesetzt hat? Es ist doch kein Zufall, dass sich so viele nazibelastete Personen dann im Auswärtigen Amt wiedergefunden haben. (Christian Lindner [FDP]: Mit Seilschaften kennt ihr euch doch aus!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Danke schön. - Bei aller Wertschätzung, Herr Abgeordneter, sollten wir jetzt nicht an dieser Stelle Historikerdebatten über Details führen. Wir werden diese ganz bestimmt führen und auch im Auswärtigen Amt fortsetzen. Auch die Forschungen zu diesen Fragen werden natürlich fortgesetzt. Das wird von unserem Haus vorangetrieben; darin können Sie sicher sein. Ich bitte einfach, das Buch noch einmal zur Hand zu nehmen. Da werden Sie alle Antworten auf Ihre Fragen finden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich weiß ja, Sie sind im Bilde. Das bin ich auch, zumindest manchmal. Ich will Sie nur beruhigen. Der Kollege Mißfelder und ich haben vorgeschlagen, dass sich die Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses mit diesem Bericht genauestens befassen. Dann wird man in aller Öffentlichkeit - auch hier im Plenum - Fragen erörtern müssen. Wir sind zwar keine Historiker, haben aber politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Letzte Frage. Meinen Sie nicht auch, dass eine der Schlussfolgerungen sein müsste, dass das Auswärtige Amt nicht mehr eigenständig ein Archiv führt, sondern dass dieses Archiv in den Archiven anderer Ministerien aufgeht? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Ich denke, dass die Studie, die jetzt veröffentlich wurde - sie wurde übrigens von Bundesaußenminister Westerwelle persönlich am 28. Oktober vorgestellt -, natürlich Motivation und Anregung für andere Ministerien ist. Im Übrigen bin ich gerne bereit, an der Diskussion im Auswärtigen Ausschuss, wenn sie geführt wird, teilzunehmen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Staatsministerin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen. Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Dr. Rolf Mützenich, die Fragen 15 und 16 des Kollegen Klaus Barthel sowie die Frage 17 des Kollegen Volker Beck werden schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Für die Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Christoph Bergner zur Verfügung. Die Frage 18 des Kollegen René Röspel, Frage 19 des Kollegen Hans-Christian Ströbele sowie die Fragen 20 und 21 des Kollegen Gustav Herzog werden schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Waltraud Wolff auf: Ist es richtig, dass es in der EU-Ratsarbeitsgruppe zwischen den Mitgliedstaaten unterschiedliche Auffassungen zur Frage gibt, ob die Erfahrungen mit den Safe-Harbor-Grundsätzen zum Gegenstand der derzeitigen Verhandlungen über ein allgemeines Datenschutzabkommen zwischen den USA und der EU gemacht werden sollen, und wie hat sich die Bundesregierung in der Ratsarbeitsgruppe zu dieser Frage positioniert? Herr Staatssekretär, bitte. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Wolff, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die EU-Ratsarbeitsgruppe "Datenschutz und Informationsaustausch" hat sich auf ihrer Sitzung am 1. Oktober dieses Jahres mit dem Thema des EU-US-Datenschutzabkommens für den Bereich polizeilicher und strafjustizieller Zusammenarbeit befasst. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, ob das Abkommen auch für Daten gelten solle, die nicht im Rahmen der Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden, sondern von Privaten an Private unter Einhaltung der Safe-Harbor-Grundsätze übermittelt und sodann in den USA von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt werden. Die Bundesregierung hat sich neben einer Reihe anderer Mitgliedstaaten gegen eine derartige Erweiterung des Anwendungsbereichs des Abkommens ausgesprochen. Ziel des Datenschutzabkommens für Polizei und Strafjustiz ist es, hohen, angemessenen Schutz für polizeiliche und justizielle Daten auch dann sicherzustellen, wenn sie mit den USA ausgetauscht werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Verhandlungen erheblich erschwert würden und dieses Ziel gefährdet würde, wenn weitere Daten in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Nein. Dann kommen wir zur Frage 23 der Kollegin Waltraud Wolff: Wie steht die Bundesregierung zu der von der EU-Kommission am 4. November 2010 angekündigten neuen Strategie im Datenschutzrecht, und unterstützt die Bundesregierung die EU-Kommission in dem darin enthaltenen Ziel, dasselbe Datenschutzniveau bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie innerhalb der EU anzustreben und sich weltweit für hohe Datenschutzstandards einzusetzen? (Unruhe) - Ich darf bitten, dass die Gespräche ein bisschen leiser geführt werden. - Danke. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Wolff, ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung begrüßt die Pläne der Europäischen Kommission, eine umfassende Regelung zum Datenschutz innerhalb der Europäischen Union und in ihren Beziehungen zu Drittstaaten zu entwickeln. Die vorgestellte Strategie wird derzeit geprüft. Ein moderner Datenschutz ist in der heutigen Informationsgesellschaft von besonderer Bedeutung. Deshalb sollte ein hohes Datenschutzniveau auf europäischer Ebene und weltweit weiterhin unser gemeinsames Ziel sein. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte sehr. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Herr Staatssekretär, vielen Dank. - Gerade weil Sie in der Antwort auf die vorhergehende Frage den Unterschied zwischen Polizei und Strafverfolgung auf der einen Seite und Privatpersonen auf der anderen Seite deutlich gemacht haben, frage ich jetzt: Wie haben Sie sich in diese Ratsarbeitsgruppe eingebracht? Wie möchte die Bundesregierung vorgehen, um zu einem nicht nur in Europa, sondern weltweit geltenden Datenschutz im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher zu kommen? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich habe versucht, in meiner Antwort auf Ihre vorherige Frage darauf hinzuweisen, dass wir uns zusammen mit anderen Mitgliedstaaten dafür ausgesprochen haben, zunächst einmal - unabhängig von allen anderen Bemühungen um umfänglichen Datenschutz - das Abkommen abzuschließen, das das Schutzniveau polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Daten - auch im Austausch mit den USA - sichert. Ferner sind wir natürlich aktiv an der Überarbeitung und Fortschreibung der entsprechenden EU-Datenschutzrichtlinie beteiligt, die das Ziel verfolgt, das Sie beschrieben haben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Dann dürfen wir davon ausgehen, dass das Innenministerium demnächst entsprechende Vorlagen für den Deutschen Bundestag haben wird? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Dies richtet sich nach dem Stand der Verhandlungen. Ich habe bereits in anderem Zusammenhang gesagt, dass unser Haus Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes und die sich daraus ergebenden Informationspflichten gegenüber dem deutschen Parlament sehr ernst nimmt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich rufe Frage 24 der Kollegin Sevim Daðdelen auf: Wie ist der Widerspruch zu erklären, dass der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, am 27. Oktober 2010 sagte (Plenarprotokoll 17/67, Seite 7106), dass es im Zusammenhang der Frage, ob Personen einer Verpflichtung zum Integrationskurs nachkommen, "offensichtlich ein Vollzugsdefizit" gebe, während der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner nur wenig später ausführte (am angegebenen Ort, Seite 7122), dass es noch einer eingehenderen Analyse bedürfe, inwieweit überhaupt "ausländerbehördliche Vollzugsdefizite" vorlägen, und wie ist inzwischen der aktuelle Stand der diesbezüglichen Analyse des Bundesministeriums des Innern? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Daðdelen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Zwischen den beiden von Ihnen zitierten Äußerungen besteht kein Widerspruch. In meiner Antwort auf Ihre Frage 12 in der Fragestunde am 27. Oktober 2010 habe ich nicht verneint, dass es ein Vollzugsdefizit gibt; Sie werden sich vielleicht daran erinnern. Ich habe durch meine Formulierung darauf hingewiesen, dass derzeit noch offen ist, inwieweit es ein Vollzugsdefizit gibt und inwieweit es für die Nichtteilnahme eines verpflichtenden Integrationskurses nachvollziehbare rechtliche oder praktische Gründe gibt. Hierauf hat auch der Bundesminister des Innern in seiner Stellungnahme hingewiesen. Die in Ihrer Frage angesprochenen Ergebnisse der Länderumfrage über solche Defizite liegen mittlerweile vollständig vor. Aus ihnen lässt sich bereits jetzt ableiten, dass es Defizite bei der Anwendung der gesetzlichen Sanktionsinstrumente gibt. Die Umfrageergebnisse wird der Bundesminister des Innern im Rahmen der Innenministerkonferenz mit seinen Länderkollegen besprechen. Im Anschluss daran wird eine abschließende Bewertung der Ergebnisse erfolgen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Staatsekretär. - Meine Frage zielt vor allen Dingen darauf ab, weshalb seitens des Bundesinnenministers und des Bundesinnenministeriums in den letzten Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wurde, es gäbe eine Integrationskursverweigerung in einem nennenswerten Umfang, aufgrund derer es Gesetzesverschärfungen und noch stärkere Sanktionen bzw. eine Prüfung der Sanktionen gegenüber Migrantinnen und Migranten geben müsste, obwohl offenkundig ist, dass es keine entsprechenden Zahlen gibt. Das haben in den letzten Wochen sehr viele Zeitungen deutlich gemacht. Staatssekretär Dr. Ole Schröder beantwortete am 3. November dieses Jahres schriftlich bisher unbeantwortet gebliebene mündliche Fragen von mir. Demnach haben immerhin fünf Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, erklärt, dass von aufenthaltsrechtlichen Sanktionen deshalb kein Gebrauch gemacht wurde, weil es im Zusammenhang mit der Integrationskursteilnahme kein vorwerfbares Verweigerungsverhalten in nennenswertem Umfang gibt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das hat Ole Schröder freiwillig zugegeben?) Ich nehme an, dass Ihnen die Zahlen aus den Ländern bekannt sind und Sie wissen, dass sich die anderen Länder nicht klar geäußert haben. Deshalb lautet meine Frage: Wie viele bzw. welche Bundesländer haben dem Bundesinnenministerium mitgeteilt, dass sie in nennenswertem Umfang Erkenntnisse über ein vorwerfbares Verweigerungsverhalten im Zusammenhang mit der Integrationskursteilnahme haben? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich möchte zunächst einmal begründen, warum unser Haus eine solche Verweigerungshaltung zumindest für überprüfungswürdig hält. Auf der einen Seite nehmen 20 Prozent der zur Teilnahme Verpflichteten nicht an einem Integrationskurs teil; das ist eine Angabe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Auf der anderen Seite gibt es eine relativ geringe Zahl von Sanktionen. Durch eine Befragung der Länder wollten wir die Gründe für diese Diskrepanz herausfinden. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eher ein Zeichen für die schlechte Kinderbetreuung, die Frau Schröder zu verantworten hat!) Ich bitte um Verständnis, dass ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt, bevor der Minister die Umfrageergebnisse gemeinsam mit seinen Kollegen aus den Ländern ausgewertet und erörtert hat, nicht zu Ihrer Frage Stellung nehmen möchte. Dies ist ein Verfahrenserfordernis, das ich einzuhalten gedenke. Man muss zunächst einmal mit den Ländern sprechen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Ja, Frau Präsidentin. - Wenn Sie die Beteiligung der Bundesländer abwarten wollen, ist das ganz in meinem Sinne, Herr Staatssekretär, auch wenn wir Sie bereits vor Monaten gepiesackt und von Ihnen gefordert haben, eine Länderabfrage durchzuführen. Da dem Bundesinnenministerium aber seit über einer Woche die Stellungnahmen aller Bundesländer zur Sanktionspraxis bei Integrationsverweigerung vorliegen, möchte ich Sie gerne fragen, wann mir diese Auskünfte und Daten, so lückenhaft sie auch erscheinen mögen, entsprechend meiner parlamentarischen Initiative und meiner parlamentarischen Rechte endlich zur Verfügung gestellt werden. Ich habe diese Auskünfte in der Kleinen Anfrage auf Drucksache 17/3147 erbeten und der Bundesregierung für die Beantwortung meiner Fragen ausdrücklich eine Fristverlängerung eingeräumt. Die Bundesregierung hat mir die entsprechenden Informationen aber nicht zur Verfügung gestellt. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis - ich kann das gerne nachreichen -, dass ich den Zeitpunkt, wann der Minister diesen Tagesordnungspunkt mit den Innenministern der Länder erörtern wird - ich vermute, dies wird im Rahmen der Innenministerkonferenz geschehen -, nicht nennen kann. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie die Zahlen haben, können Sie sie ihr doch geben! Sie müssen doch nicht bis zur Innenministerkonferenz warten! Was ist denn das für ein Verständnis von den Rechten des Parlaments?) Ich denke, im Anschluss daran haben wir eine hinreichend gute Grundlage, um Ihrem Auskunftsbedürfnis nachzukommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Jelpke, bitte sehr. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Staatssekretär Bergner, wenn Ihnen diese Zahlen bereits vorliegen und Sie im Hinblick auf die Beantwortung der Fragen eine Fristverlängerung beantragt haben, verstehe ich nicht, wieso wir die Informationen nicht bekommen, bevor die Innenministerkonferenz stattfindet. Wie Sie wissen, wird sie am kommenden Wochenende stattfinden, und ein breites Spektrum von Initiativen, insbesondere Migranten- und Flüchtlingsorganisationen, wird vor Ort demonstrieren. Ich verstehe nicht, warum Sie uns diese Informationen vorenthalten. Auch die Initiativen sind an den Antworten auf diese Fragen sehr interessiert. Im Übrigen kann ich nicht nachvollziehen, dass man Sanktionen gegen Integrationsverweigerer ankündigt, sich danach aber erst einmal informieren muss, ob es überhaupt Fälle der Integrationsverweigerung gibt. Das, was Sie vortragen, ist sehr widersprüchlich. Ich denke, es ist unser parlamentarisches Recht, diese Informationen zu bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Sebastian Edathy [SPD]) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass wir unseren Auskunftspflichten nachkommen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist nur, wann!) Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hier aus meiner Sicht um ein Verfahrenserfordernis handelt. Es geht um Daten und ihre Bewertung. Eine solche Bewertung sollte erst nach Rücksprache mit den Verfahrensbeteiligten und ihrer Anhörung erfolgen. Dies steht noch aus. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage hat der Kollege Kilic. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, der Herr Innenminister hat vor circa drei Wochen auf meine Frage schriftlich geantwortet, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine statistischen Daten im Hinblick auf Integrationskursverweigerer erhebt. Sie aber werfen hier mit Zahlen um sich, die offenbar gar nicht vorliegen. Haben Sie zwischendurch höchstpersönlich eine Blitzumfrage durchgeführt, oder wie soll ich mir das erklären? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe mich hier mit den 20 Prozent auf eine mir vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugeleitete Auskunft berufen. Diese Auskunft ist gewissermaßen keine amtliche Auskunft über das Ausmaß der Verweigerung, an Integrationskursen teilzunehmen, sondern sie dient nur als Beschreibung der Größenordnung, durch die deutlich gemacht wird, dass wir hier nicht irgendeinem Phantom hinterherlaufen, sondern dass das tatsächlich ein Punkt ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Dittrich hat das Wort für eine weitere Zusatzfrage. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Ich habe eine Nachfrage zum Auskunftsrecht der Parlamentarier. Bitte nennen Sie uns doch einmal die Verfahrenserfordernisse, die Sie sehen, und sagen Sie uns, ob diese ausreichen, die Abgeordneten nicht zu informieren, obwohl bereits mehrere Anfragen gestellt wurden. Sie sind nicht nur gegenüber den Bundesländern informationspflichtig, sondern Sie sind dies zuallererst gegenüber den Abgeordneten hier, die die Bundesregierung kontrollieren. Warum bekommen wir diese Antworten nicht sofort? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich habe noch einmal deutlich gemacht, dass es sich hier um die Bewertung von Antworten handelt, die die Länder gegeben haben. Ich halte es für ein normales Verfahrenserfordernis, dass man bei der Bewertung einer Auskunft, die man von einem Dritten eingeholt hat, dem Dritten auch die Möglichkeit zur Stellungnahme gibt und ihm Gehör schenkt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Fragestunde mehr als ausgeschöpft. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Die noch nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Nun rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demonstrationen und Vorgänge beim Castortransport Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Castortransport gelten meine ersten Worte unserer Polizei. Allen Polizisten, denen der Bundespolizei und denen der Landespolizeien, danke ich für ihren kräftezehrenden Einsatz. Sie hatten einen gesetzlichen Auftrag, und sie haben ihn besonnen und konsequent erfüllt. Sie wurden beschimpft, bespuckt und angegriffen, aber sie haben sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ihnen allen gelten der Dank und die Anerkennung der Bundesregierung, mein persönlicher Dank und mein Respekt für ihren Einsatz und für ihr Augenmaß, mit dem sie diese kritischen Situationen gemeistert haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es waren übrigens auch Polizisten aus sozialdemokratisch regierten Ländern dabei. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Grüne sind bei der Polizei!) Einige Bemerkungen zu den Kosten. Der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Gerhard Schröder hat am 26. April 2001 einen Brief an den damaligen Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Sigmar Gabriel, gerichtet, der in zweierlei Hinsicht interessant ist. Die erste Passage, die ich vorlese, lautet: Das Land Niedersachsen trägt alleine die mit der Rückführung der Glaskokillen verbundenen besonderen Belastungen. Gorleben wird auf absehbare Zeit das einzige Zwischenlager für die Glaskokillen bleiben. Die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich zur Rücknahme der Glaskokillen aus der Wiederaufbereitung im Ausland verpflichtet. Deshalb sind Castortransporte nach Gorleben weiterhin notwendig. - Das war die erste Aussage. (Ulrich Kelber [SPD]: Stimmt auch!) - Sie sagen, dass das alles stimmt. Ich bin froh, dass wir hier einen Konsens haben. Darauf kommen wir sicher zurück. Ich zitiere weiter: Vor diesem Hintergrund wird der Bund ohne die Anerkennung von Rechtspflichten den Anspruch auf die Erstattung der einsatzbedingten Mehrkosten des Bundesgrenzschutzes nicht geltend machen. - Das galt und gilt bis heute. Der Bund wird dem Land Niedersachsen keine Rechnung schicken. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das ist ja noch besser! Dann beantworten Sie die Frage Ihres Ministerpräsidenten!) - Ich denke, das ist eine Information, die für das Land Niedersachsen nicht irrelevant ist. Sie wird es freuen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Schünemann dazu? - Kirsten Lühmann [SPD]: Und Herr McAllister?) Jetzt ein paar politische Bemerkungen, zuerst zu Herrn Gabriel, der damals Ministerpräsident war. Herr Gabriel hat gestern gesagt - ich habe das als Anerkennung verstanden -, es gebe eine neue Qualität des Widerstandes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nicht Quantität, sondern Qualität! Was meint er damit? Meint er damit, dass Polizisten bespuckt und beschimpft werden? (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meint er damit, dass Polizisten und Wasserwerfer mittels Pyrotechnik und anderer gefährlicher Gegenstände angegriffen werden? Meint er damit, dass im Bereich Leitstade Beamte angegriffen werden, dass das Einsatzfahrzeug in Brand gesetzt wird und dass die Beamten in Lebensgefahr gebracht werden? Meint er damit, dass ein Polizeibeamter durch einen Schlag mit einem Ast in den Kopf-Nacken-Bereich schwer verletzt wurde? (Sebastian Edathy [SPD]: Wollen Sie ihm das ernsthaft unterstellen?) Er liegt jetzt mit Verdacht auf Gehirnquetschung oder Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Meint er damit, dass durch Ankettaktionen weitab von Lüneburg - zum Teil deutschlandweit - die Bahnstrecken stillgelegt wurden? Meint er damit, dass Signalverbindungen zerstört wurden mit der Folge, dass Fahrten auf Sicht notwendig waren, die eine erhebliche Gefährdung für den Bahnverkehr und einen großen Zeitverlust mit sich brachten? Oder meint er damit, dass frühzeitig Straßen unterhöhlt wurden, sowie das Anrennen von Störern gegen die Bahnstrecken zwecks "Schottern"? Die Qualität, die er meint, kann sich nicht auf die Zahl der Demonstranten beziehen, sondern auf ein anderes Vorgehen der Demonstranten. (Zuruf von der SPD: Sie sollten sich schämen!) Deswegen ist die Anerkennung einer solchen Qualität von Demonstrationen unerhört und, wie ich finde, falsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Schämen Sie sich! - Kirsten Lühmann [SPD]: Lesen Sie die Berichte Ihrer Polizei!) Jetzt komme ich zu den Linken. Wissen Sie, was ich hier in der Hand halte? - Das ist ein Auszug eines Internetaufrufs. Darin heißt es - ich zitiere -: Castor Schottern? Wir machen mit! Damit Castor Schottern ein Erfolg wird, wollen wir viele werden. Unterstützt mit Eurem ... Namen die Aktion und unterzeichnet die Absichtserklärung von Castor Schottern. Das ist ein Aufruf zu einer Straftat. Unterzeichnet wurde er von elf Abgeordneten dieses Hauses von der Fraktion der Linken. (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich!) Ich finde, da hört es auf. Welches demokratische Verständnis haben Bundestagsabgeordnete dieses Hauses, wenn sie andere zu einer Straftat aufrufen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt komme ich zu Frau Roth. Frau Roth hat der Süddeutschen Zeitung gesagt: "Die Polizei muss das Demonstrationsrecht schützen und nicht behindern." Wo ist denn der Anlass für diesen Satz? Andere aus dem grünen Bereich haben beide Seiten zur Gewaltlosigkeit aufgefordert. Was soll denn diese Gleichsetzung? Als ob irgendein Polizist, der eine Demonstration schützt, die Absicht hat, Gewalt anzuwenden! Die Strategie der Polizei ist deeskalativ. Sie reagiert auf die Gewalt von anderen. Eine gleichzeitige Aufforderung an Polizei und Demonstranten, keine Gewalt anzuwenden, weise ich für die deutsche Polizei zurück. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Trittin, Sie haben 2001 inständig darum gebeten, den Atommülltransporter passieren zu lassen. Ich zitiere: Nur weil jemand seinen Hintern auf die Straße setzt, finden wir das noch nicht richtig. Das haben Sie als Umweltminister am 28. Januar 2001 an die niedersächsischen Kreisverbände der Grünen geschrieben. Die Voraussetzungen für den Transport seien politisch und rechtlich gegeben. Offenbar sind für die Grünen Castortransporte nur dann gut, wenn sie in der Regierung sind. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist jetzt?) Nun sagen manche - das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, und das werde ich auch gegenüber dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei ansprechen -, wegen der Laufzeitverlängerung habe die Bundesregierung diese Demonstrationen quasi provoziert. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer so etwas beschließe, dürfe sich nicht wundern, wenn Demonstrationen auf der Straße eskalierten. Ich sage Ihnen dazu Folgendes - das ist für mich ein sehr wichtiger und ernster Punkt -: Man kann zur Laufzeitverlängerung stehen wie man will, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eben nicht!) aber eine solche Argumentation beschädigt die parlamentarische Demokratie und verletzt die Würde des Parlaments. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein Parlament hat das Recht, etwas Streitiges zu beschließen. Eine Opposition hat das Recht, dagegen hart und laut zu opponieren. (Ulrich Kelber [SPD]: Meinungsfreiheit!) - Hören Sie einen Moment zu! - Demonstranten haben das Recht, dagegen so zahlreich und so intensiv, wie sie es schaffen und wollen, zu demonstrieren und das im Grundgesetz verankerte Grundrecht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, auszuüben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Kirsten Lühmann [SPD]: So war es auch!) Das ist alles wahr. Darin sind wir uns einig. Aber eine Opposition und Demonstranten haben politisch nicht das Recht, gegen eine demokratische Entscheidung zum zivilen Ungehorsam aufzurufen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist nicht in Ordnung. Die Straße hat keine höhere demokratische Legitimation als Parlament und Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Polizei sollte und muss von allen - wo immer sie politisch stehen - in Schutz genommen werden, wenn sie das Recht durchsetzt und das Demonstrationsrecht friedlicher und rechtstreuer Demonstranten schützt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Die Rede hätte man auch vor hundert Jahren halten können!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir ein bisschen schwer, ruhig zu bleiben, zumal ich etwas unter einem Schlafdefizit leide - das sehen Sie vielleicht -, genauso wie viele Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen, die in den letzten Tagen im Wendland eingesetzt waren, und wie viele Protestierende. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Aber Sie waren auf der falschen Seite, Frau Kollegin!) Ich möchte den Polizisten und Polizistinnen danken, die in diesen Tagen trotz zum Teil massiver Übermüdung besonnen und meist professionell gehandelt haben. Ich danke allen Protestierenden für ihre friedlichen Aktionen, für ihr Engagement und für ihre fantasievollen Aktionen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Meinen Sie mit "fantasievoll" kriminell? Was meinen Sie damit? Kriminell, Frau Kollegin?) Mein Wahlkreis Celle-Uelzen liegt neben dem Wendland, und von den bisher zwölf Castortransporten habe ich acht persönlich miterlebt, sieben davon als Sprecherin der Polizei und den achten in diesem Jahr als Beobachterin der SPD-Bundestagsfraktion. Das heißt, dass ich bei den letzten acht Transporten bei allen Aktionen direkt vor Ort war. Diesmal hatte die SPD das erste Mal ein eigenes Camp, um Menschen einen Orientierungspunkt zu bieten. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Ein Ausbildungscamp war das! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) - Ich höre Ihren Protest. Haben Sie nicht Ihrem Minister zugehört, der uns erklärt hat, warum wir dieses Camp hatten? Er hat nämlich etwas über die Demonstrationsfreiheit erklärt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass Sie wenigstens ihm glauben, wenn Sie mir schon nicht glauben. Herr Minister, wenn Sie dem Protest der Bürgerinitiative "X-tausendmal quer" einmal zuhören würden, wüssten Sie, dass es nicht darum geht, zu verhindern, dass dieser Transport in das Zwischenlager kommt. Es wissen doch alle, dass wir Abnahmeverpflichtungen haben. Es geht darum, dass wir durch die Verzögerung des Transportes und durch den Protest auf die Gefahren aufmerksam machen, die von Atomkraft ausgehen, darauf, dass Gorleben als Zwischenlager ungeeignet ist, und in diesem Jahr auch auf die verfehlte Energiepolitik der Bundesregierung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie versuchen jetzt, diesen Protest zu kriminalisieren. Das haben Sie eben in einer Art und Weise getan, die ich nicht gutheißen kann. Dabei hilft Ihnen die Bild-Zeitung, in der zu lesen ist: Doch diesmal explodierte die Gewalt! ... Gewalt-Exzesse beim Castor-Transport stürzen das Wendland ins Chaos! (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wenn Sie das wirklich so sehen, dann darf ich einmal zitieren, was Ihr eigener Innenminister in Niedersachsen dazu sagt; ich hoffe, dass Sie wenigstens ihm glauben. Er sagte nämlich heute: Die Demonstrationen waren bis zum Schluss friedlich. Die Auftaktdemonstration war am Samstag ohne Frage ein Ausdruck des friedlichen und offensichtlich fantasievollen Protests. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist ein Zitat von Herrn Schünemann, kein Zitat von mir. Herr Oestmann, der Pressesprecher der Gesamteinsatzleitung, dem Sie hoffentlich auch glauben, hat vor Ort gesagt: Es gab in diesem Jahr friedliche Proteste, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann ist Schottern friedlich? Unglaublich!) mit Ausnahme der Vorfälle in der Göhrde. Aber das kennen wir. Dort haben wir immer Probleme. Das sind aber keine Protestierer, das sind Chaoten und Krawallmacher. Damit werden wir fertig. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was haben Sie auf der Polizeischule gelernt?) Als Letztes möchte ich den Pressesprecher der Bundespolizei Christian Poppendieck zitieren, der in Harlingen auf dem Gleis gesagt hat: Was Sie hier sehen, ist absolute bürgerliche Mitte. Hier sind Menschen wie Sie und ich. - So viel zu dem Thema Kriminalisierung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Links außen war das!) Es gab kriminelle Akte von etwa 300 Menschen; der Innenminister sprach es an. Es gab 78 verletzte Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen. Ich stelle hier - ich glaube, im Namen aller Anwesenden - fest: Das Verletzen von Polizeibeamten und Gewaltausübung verurteilen wir alle aufs Schärfste. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Nicht alle!) Wir wünschen diesen 78 Menschen eine gute Genesung und hoffen, dass sie bald wieder okay sind. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie haben aber nicht von den 10 000 Menschen geredet, die friedlich unterwegs waren, die keine Gewalt ausgeübt haben, die nicht gespuckt und nicht beleidigt haben. Die habe ich bei den großen Protestveranstaltungen in Harlingen und in Gorleben erlebt. Fragen Sie doch einmal Ihre Polizeibeamten. Sie werden Ihnen sagen: Es war noch nie so friedlich, noch nie so ruhig. Es gab noch nie eine so hervorragende Aktion wie in diesem Jahr. - Die Zusammenarbeit zwischen "X-tausendmal quer" und der Polizei ist vorbildlich gewesen. Fragen Sie doch bitte die Einsatzleitung! (Ulrich Kelber [SPD]: Der war ja nicht vor Ort, der Minister!) - Ja, das war er nicht; wir waren vor Ort. Ich habe dort Menschen getroffen, die zum ersten Mal demonstriert haben. Fragen Sie sich doch einmal, warum sie dort waren. Ich habe nachts in Harlingen ein Ehepaar im Alter von Mitte 50 aus Celle, meiner Heimatstadt, getroffen, das zum ersten Mal in seinem Leben auf die Straße gegangen ist. Fragen Sie doch einmal, warum dieses Ehepaar dies getan hat und warum es das vorher nicht für nötig gehalten hat. Jetzt war es da. Ganz zum Schluss möchte ich auf die Bemerkung eingehen, dass die arme Polizei nicht abgelöst werden konnte, weil die Straße blockiert war. Ich bitte Sie! Ich war vor Ort. Ich bin überall durchgekommen. Ich habe Wege gefunden, die nicht blockiert waren. Ich habe Lebensmittel nach Harlingen gebracht, wo die Polizei nicht versorgt werden konnte. Wenn Sie dort Leute einsetzen, die sich auskennen, dann können Sie die Polizisten auch verpflegen. Lassen Sie sich das gesagt sein. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist im Innenausschuss bestritten worden! Es stimmt nicht, was Sie sagen!) Sie haben die Leute ohne Verpflegung gelassen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Kirsten Lühmann (SPD): Ja, ich komme zum Schluss. - Beim SPD-Camp war eine Kontrollstelle. Diese war frei zugänglich, aber die Leute haben nichts zu essen erhalten. Wir vom SPD-Camp haben die Polizisten mit Suppe, Kaffee und Kuchen versorgt. Fragen Sie einmal, warum die Polizisten nicht versorgt werden konnten. So etwas kann doch nicht sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist jetzt um. Kirsten Lühmann (SPD): Mein letzter Satz ist: Glauben Sie nicht, dass dieser Protest abflauen wird. Er wird nächstes Jahr genauso stark oder noch stärker sein, wenn Sie nicht endlich wieder auf den Weg des gesamtgesellschaftlichen Konsenses zurückkehren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Ulrich Kelber [SPD]: Das war Praxis gegen Theorie, Herr Minister!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Christian Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung genehmigt Atomtransporte nicht aus Daffke. ... Die Bundesregierung genehmigt Transporte, wenn sie notwendig sind. Sie genehmigt sie, wenn sie dazu international verpflichtet ist, und sie genehmigt sie ausschließlich unter der Voraussetzung, dass die Sicherheit dieser Transporte gewährleistet ist ... Herr Trittin, das ist eines der inzwischen legendären Zitate aus Ihrer Zeit als Bundesumweltminister. Die werden Sie in der nächsten Zeit wieder öfter hören, weil sie Ausdruck Ihres politischen Stils sind. (Frank Schwabe [SPD]: Er hat wenigstens einen!) Das zieht sich vom jetzigen Thema über das Kraftwerk Moorburg in Hamburg bis nach Stuttgart 21. Es ist der Stil, in der Regierungsverantwortung zu Besonnenheit zu mahnen und in der Opposition mit hysterischen Parolen an der Spitze des Oppositions- und Protestzugs zu stehen. Dafür gibt es einen Namen, ein Wort. Das Wort heißt Heuchelei. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist Ihr politischer Stil. Wir haben Demonstranten gesehen, die ihre Meinung gezeigt haben. Auch das heißt ja "Demonstration". Es gab aber auch Demonstranten, die ihre Meinung durchsetzen wollten, mit Blockade, durch Verschleiß der Polizei, durch Gewalt und durch Schottern. (Frank Schwabe [SPD]: Reden Sie doch erst mal über die friedlichen Demonstranten!) Frau Kollegin Lühmann, Schottern - ist das einer der fantasievollen Proteste, von denen Sie gesprochen haben? (Ulrich Kelber [SPD]: Sie versuchen, friedlich Protestierende zu kriminalisieren!) Was ist Schottern? Schottern heißt einerseits, vor den Gefahren der Castortransporte zu warnen, und andererseits Beschädigung des Gleisbetts, um vorsätzlich Entgleisungen zu provozieren. Das ist blutrot-grüner Zynismus, meine Damen und Herren und kein fantasievoller Protest. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist zu Recht eine Straftat, zu der zahlreiche Abgeordnete der Linkspartei aufgerufen haben und für die aus den Reihen der Grünen Verständnis geäußert worden ist. Ich sage Ihnen aber: Wer als gewählter Parlamentarier zum Bruch von Gesetzen aufruft, der diskreditiert sich selbst als Gesetzgeber. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn Sie Straftaten tolerieren, überschreiten Sie die legitime Linie von Oppositionspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Setzen Sie sich mit uns hier auseinander. Frau Künast sagt zu dem Ganzen - 131 verletzte Polizisten, 25 Millionen Euro Kosten für den Einsatz -, das sei eine Sternstunde der Demokratie gewesen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Recht hat sie!) Demokratie heißt, dass Legitimität über Wahlen hergestellt wird. Legitimität heißt, die Kraft des Arguments anzuerkennen. Demokratie heißt Ordnung durch Verfahren. Demokratie heißt, Rechtsprechung anzuerkennen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ist das die neue Kraft in der FDP?) Wenn das, was wir im Wendland erlebt haben, tatsächlich eine Sternstunde der Demokratie war, dann haben die Grünen aufgehört, eine Rechtsstaatspartei zu sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Kirsten Lühmann [SPD]: Waren Sie da? Haben Sie sich das einmal angeguckt?) Sie legitimieren das Ganze ja damit, dass diese Koalition angeblich einen gesellschaftlichen Konsens gebrochen hat. (Kirsten Lühmann [SPD]: Gehen Sie doch mal hin! Sie reden doch wie ein Blinder von der Farbe! - Weiterer Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was war das für ein Konsens? Es war der Konsens, in der Endlagerfrage nicht zu entscheiden. Es war der Konsens, planlos in das Zeitalter der erneuerbaren Energien wechseln zu wollen. Ihr Konsens war in Wahrheit eine Fiktion. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Koalition entscheidet jetzt. Wir stellen uns der Endlagerfrage, wozu der Staat nach dem Atomgesetz ja auch verpflichtet ist. Wir stellen uns der Frage, wie wir ins Zeitalter der erneuerbaren Energien kommen, wie wir das wirtschaftlich erreichen, wie wir das mit Versorgungssicherheit erreichen, wie wir das auch klimaverträglich erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Da war Westerwelle ehrlicher! - Sebastian Edathy [SPD]: Was sagt Lammert dazu?) Insoweit haben Sie nichts anzubieten. In Ihrem Energiekonzept steht, möglicherweise könnte bis 2030 die Energieversorgung Deutschlands aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. - Möglicherweise! So wie möglicherweise auch Ihr grüner Oberbürgermeister in Freiburg das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen wollte. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt wieder die Unwahrheit!) Er hat im Jahr 2004 gesagt, er wolle bis 2010 die Versorgung mit regenerativen Energien von 3,4 Prozent auf 10 Prozent erhöhen. 3,7 Prozent hat er geschafft. Das mag in Freiburg nicht schlimm sein, aber auf einem solchen Wunschdenken können wir die Energieversorgung einer Industrienation nicht aufbauen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deswegen schließen wir eine befristete Allianz aus erneuerbaren Energien und verlängerter Laufzeit der Atomkraftwerke. Sie haben dazu keine Alternative vorgelegt, die belastbar ist. Sie wollen auf dem Papier gleichzeitig aus der Kernenergie und aus der Kohlekraft aussteigen. (Sebastian Edathy [SPD]: Das ist ja wirklich angsteinflößend! Wie ist denn Ihre eigene Position? - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch 25 Prozent des Stroms importieren, nicht wir!) Die Schwankungen wollen Sie dann durch neue Gaskraftwerke ausgleichen. Das ist interessant, nicht nur, weil wir dadurch in größere Abhängigkeit vom lupenreinen Demokraten Putin geraten, sondern weil dies auch zeigt, was das tiefere Motiv des damaligen sogenannten Energiekonsenses von Rot-Grün war: mehr Gas. Heute sind Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die Protagonisten von damals, die größten Lobbyisten der Gasversorger. Werfen Sie uns niemals wieder interessengeleitete Energiepolitik vor! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lindner, eine Sternstunde war das nicht, was wir hier mit Ihnen erlebt haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Ihnen auch nicht!) Was in Gorleben passiert, ist etwas gänzlich anderes: Der energiepolitische Irrweg der Bundesregierung stößt auf massiven Widerstand der Bevölkerung. Das wollen Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Atomstrategie scheint zu scheitern. Ich wäre auch sehr dafür, dass das gelingt. Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten dort stehen für die Mehrheit der Bevölkerung. Das müssen Sie endlich akzeptieren. (Christian Lindner [FDP]: Die Mehrheit hat gewählt!) Die Mehrheit der Bevölkerung will Ihren Irrweg nicht. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit der Mehrheit der Bevölkerung haben Sie ja Erfahrung, Herr Gysi! Sozialistische Massenbewegung!) Sie haben mit der Aufkündigung des Kompromisses - darüber haben Sie nicht gesprochen, Herr de Maizière; das haben Sie einfach beiseitegeschoben - einen gesellschaftlichen Großkonflikt heraufbeschworen, und nachdem Sie das gemacht haben, beschweren Sie sich über den Großkonflikt. Das ist für mich auch Heuchelei, um das einmal ganz klar zum Ausdruck zu bringen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum haben Sie das gemacht? Sie haben das gemacht, damit Eon, Vattenfall, EnBW und RWE riesige Profite haben. Es gibt keinen anderen Grund. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Steigerung von dumm ist wirklich saudumm!) Für die Profite von vier Konzernen nehmen Sie einen solchen gesellschaftlichen Großkonflikt tatsächlich in Kauf. Was Sie da organisieren, ist überhaupt nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Den über 50 000 Demonstrierenden, Blockierenden und Protestierenden gebührt für ihren Einsatz der Dank des Landes. Das will ich ganz klar sagen und nichts Gegenteiliges. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Castortransport wurde aufgehalten; er hat 92 Stunden gebraucht. Das hat es vorher noch nie gegeben. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Toll! Planerfüllung! - Weitere Zurufe) - Das hat mit "Plan" gar nichts zu tun. Die Bevölkerung bringt damit zum Ausdruck, dass ihr Ihre Politik nicht gefällt. Darüber beschweren Sie sich. Das ist das, was wir hier erleben. (Beifall bei der LINKEN) 20 000 Polizistinnen und Polizisten waren eingesetzt. Überwiegend verliefen die Proteste friedlich und gewaltfrei. Dennoch - das hat noch keiner gesagt -: 950 verletzte Demonstrantinnen und Demonstranten. Ich habe gehört: 131 verletzte Polizistinnen und Polizisten, 1 316 Ingewahrsamnahmen, 306 Platzverweise und 172 Strafverfahren. Das ist ein Ergebnis. Es gab aber auch die Verletzung des Grundrechts auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. Was mich stört, Herr de Maizière: Sie waren nicht dabei, ich war nicht dabei, (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Sie waren auf dem Trecker! Ich habe Sie doch auf dem Trecker gesehen! Sie sind doch Trecker gefahren!) aber Sie wissen schon jetzt alles und sagen ganz genau, wie es gelaufen ist. Genau das ist nicht zu akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Die friedliche Nutzung von Kernenergie ist im Unglücksfall nicht beherrschbar. Das wissen Sie. Die Lagerfrage ist weltweit nicht gelöst. Das wissen Sie. Die Bundesregierung hat sich auf Gorleben fixiert. Alternativen wurden nie geprüft. Allerdings - das stimmt -: Auch zwei frühere Umweltminister aus Niedersachsen, nämlich Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel, haben niemals nach einem anderen Lager gesucht. Das bleibt ein Problem. (Zurufe von der FDP: Aha!) Der Kompromiss hätte konsequenter sein müssen. Ein Ausstieg aus dem Ausstieg ist eigentlich nicht möglich. Aber wenn man das so lange verschiebt, dann ist der Ausstieg aus dem Ausstieg doch möglich, und davor hatten wir damals gewarnt. Nur, egal, wie der Kompromiss aussah - das können Sie nicht leugnen, Herr de Maizière -: Es war ein gesellschaftlicher Konsens hergestellt. Die Leute haben sich damit abgefunden. Sie wussten genau, in welchen Fristen der Atomausstieg stattfindet. Und dann machen Sie für vier Konzerne das Ganze wieder auf und provozieren eine solche Auseinandersetzung. Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb gibt es diesen Widerstand. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was Sie auch nicht merken, egal ob es um Gorleben oder Stuttgart 21 geht: Der Abstand zwischen der Regierung und den Regierten nimmt täglich zu. Fragen Sie sich doch einmal, warum! Was passiert denn da? Nehmen Sie das Beispiel Stuttgart 21! Sie sagen: Rechtlich ist alles abgeschlossen. - Das interessiert die Leute nicht. Sie gehen trotzdem hin. Was hat sich im Denken verändert? Es gibt ein rebellisches Denken, weil Sie an den Leuten und an den Mehrheiten in der Gesellschaft immer öfter vorbeiregieren, und zwar im Interesse von bestimmten Lobbyisten. Das bekommen die Leute mit. (Zurufe von der CDU/CSU) - Nein, Sie können das alles nicht erklären. Sie können nicht erklären, weshalb wir hier im Bundestag in der Lage sind, innerhalb einer Woche 480 Milliarden Euro für die Banken bereitzustellen, die Frau und der Mann, die sich darum kümmern, dass die Toilette in der Schule repariert wird, aber die Auskunft bekommen, es sei kein Geld da. Das ist den Leuten nicht mehr zu erklären. Ich sage Ihnen: Sie werden an diesen Widersprüchen scheitern. (Beifall bei der LINKEN) Ihre Fehlentscheidung in Bezug auf die Atomenergie wird Konsequenzen haben. Ich bin davon überzeugt: Frau Merkel hat mit ihrer Entscheidung das Ende ihrer Kanzlerschaft eingeleitet. (Lebhafter Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP - Volker Kauder [CDU/CSU]: Da muss er selber lachen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Kollegin Claudia Roth hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bewegte Tage erlebt, und wir haben bewegende Tage im Wendland erlebt. Wir haben Zehntausende Menschen beim größten und vor allem beim breitesten zivilgesellschaftlichen Widerstand erlebt, den es seit Jahrzehnten im Wendland gab, gegen eine gefährlich falsche Atompolitik von Schwarz-Gelb. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) All diese Menschen sind auf die Straße gegangen, gerade auch, weil Schwarz-Gelb mit dem Versuch, den Atomausstieg zurückzudrehen, ihn rückgängig zu machen, für politische Eskalation gesorgt und einen Großkonflikt losgetreten hat. Herr Lindner, das ist der Unterschied. Reden Sie doch nicht von Heuchelei! Sagen Sie die Wahrheit! Der Unterschied ist, dass Sie die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern wollen. Deshalb sind so viele Menschen auf die Straße gegangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Das muss es ja nicht richtiger machen! - Weiterer Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Es sind viele alte Menschen gewesen, Herr Kauder, und viele junge Menschen. Viele Familien waren unterwegs, manchmal drei Generationen. Es waren die Landwirte, die Gewerkschafter. Es waren sehr viele praktizierende Christinnen und Christen darunter, (Patrick Döring [FDP]: Was heißt das?) die sich Sorgen machen und die wütend sind über eine Politik, die sich so wenig um ihre Sicherheit kümmert. Wenn es anders wäre, müsste so schnell wie möglich abgeschaltet werden, statt Tausende Tonnen von neuem Müll zu produzieren, Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum haben Sie nicht abgeschaltet? Trittin hätte doch abschalten können!) Die Menschen sind wütend - das ist der Unterschied, Herr Lindner - über die Aufhebung des Moratoriums. Sie sind wütend über die De-facto-Festlegung auf Gorleben als Endlager. Dabei handelt es sich übrigens um einen illegalen Schwarzbau; ohne atomrechtliche Genehmigung soll das nämlich vonstatten gehen. (Patrick Döring [FDP]: Quatsch!) Sie sind vor allem wütend über eine ignorante Heuchelei, wie man sie immer wieder aus den im Süden gelegenen, CDU- oder CSU-regierten Ländern hört. Diese sagen nämlich: Wir wollen die Laufzeitverlängerung und wollen Kasse machen mit der Stromproduktion, aber den Müll schicken wir nach Gorleben. - Und das, ohne dass es zuvor jemals eine ergebnisoffene Suche nach einem Endlager gegeben hätte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Patrick Döring [FDP]: Haben Sie doch auch nicht gemacht! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Es waren Vertreter von Unternehmen da, die gegen Atomstrom protestierten. Es waren Vertreter von Stadtwerken da, die wütend sind, weil die Laufzeitverlängerung keine Brücke, sondern einen Abgrund für die erneuerbaren Energien darstellt. Diese Laufzeitverlängerung wird, mit Verlaub, den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, weil so auch zukunftssichere Arbeitsplätze in diesem Land gefährdet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es waren auch sehr viele Menschen aus Stuttgart da. Das stimmt wirklich. Ich als Schwäbin habe sie gefragt, warum sie da waren. Wissen Sie, warum die da waren? (Patrick Döring [FDP]: Demonstrationstourismus! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Sie antworteten mir, dass sie ein Zeichen gegen die Arroganz einer Politik setzen wollen, die über die Köpfe der Menschen hinweg entscheidet, sie mithilfe des alten Bergrechts entmündigen will und weder Beteiligung noch Transparenz garantiert. (Patrick Döring [FDP]: Demonstrationstourismus ist das! - Christian Lindner [FDP]: Ein Protestkarnevalismus ist das!) Das ist das neue Aufbegehren: eine Aneignung von demokratischem Bürgersinn. (Christian Lindner [FDP]: Nein, Demokratie ist hier!) - Früher hatten auch Sie ja einmal etwas mit Bürgerrechten im Sinn; aber das ist lange her. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Patrick Döring [FDP]: Demonstrationstourismus!) Mit Verlaub: Sie verbarrikadieren sich in der schwarz-gelben Zitadelle der Macht. Sie haben den Kontakt zu den Sorgen der Menschen, zu den Wünschen der Menschen verloren. Die Ereignisse im Wendland haben ja eines gezeigt, nämlich dass man Politik, die keine Akzeptanz findet, nicht gegen eine ganze Region und nicht gegen die Mehrheit der Menschen in diesem Land durchdrücken kann. Und warum überhaupt diese Politik? Doch nur, um vier Konzernen Milliardengewinne zu sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich sage Ihnen eines: Sie spalten mit diesem Großkonflikt unsere Gesellschaft, und Sie tun das auf dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Unglaublich! Sie jagen die Leute auf die Straße!) Wie viele wollen Sie denn noch hinschicken? 20 000 Beamte waren an der Grenze. Sie waren völlig überfordert. Ich habe mit sehr vielen geredet. Was manche mir dort gesagt haben, hat Konrad Freiberg deutlich zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei: Wenn man einen unter schwierigsten Bedingungen erzielten Konsens aufkündigt, muss man wissen, was man dadurch hervorruft - nämlich gesellschaftliche Konflikte ... Aber man kann mit der Polizei keine gesellschaftlichen Konflikte lösen. Sie tragen den Konflikt auf dem Rücken der Polizisten aus, und das ist unerträglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Unverschämt! - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Unglaublich!) Jetzt kommen sie wieder, die lauten, kreischenden Versuche, den demokratischen Widerstand zu kriminalisieren. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Ich finde es erschreckend: Demokratiefeindliche Reflexe tun sich bei den Herren Dobrindts dieser Republik auf. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. - Das Demonstrationsrecht, das Recht auf gewaltfreien Widerstand inklusive der friedlichen Blockade, ist ein Grundnahrungsmittel in einer selbstbewussten Demokratie. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Dummes Zeug ist das!) Natürlich haben wir uns daran beteiligt, wie übrigens auch die Landwirte, die mit 600 Treckern an einer Demonstration von 50 000 Menschen teilgenommen haben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum letzten Gedanken. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nein, zum letzten Satz. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum letzten Satz. - (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist Schluss! Ende des Auftritts! Ende jetzt!) Genau das ist doch die Stärke des Protests, dass er gewaltfrei war. Genau das loben Herr Schünemann und auch der Polizeieinsatzleiter. Ich sage Ihnen: Sie gefährden den Frieden in diesem Land mit Ihrer Dagegen-Politik: - (Widerspruch bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, jetzt kommen Sie zum Schluss! Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - gegen den Atomausstieg, gegen das Endlager und gegen eine zukunftsfähige Energiepolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zurufe von der CDU/CSU: Peinlich! - Das ist einfach nur empörend!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Frank Schwabe [SPD]: Haben Sie auch einen Endlagerstandort anzubieten?) Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Auch ich zitiere: Gegen diese Transporte sollten Grüne in keiner Form - sitzend, stehend, singend, tanzend - (Manfred Grund [CDU/CSU]: Schreiend!) demonstrieren. Jürgen Trittin, Sie hatten wohl Claudia Roth im Sinn, als Sie das formuliert haben. Und es geht noch weiter: Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen dazu beigetragen haben, dass die Castorbehälter einen Tag später als geplant angekommen sind, haben ... sich ... rechtswidrig verhalten und Rechtsbruch begangen ... Jürgen Trittin 2001. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sehr geehrter Herr Trittin, das ist der entscheidende Unterschied: Wenn Sie in der Regierung sind, wenn Sie Umweltminister sind, dann halten Sie Castortransporte für notwendig. Sie haben Castortransporte angeordnet und gesagt, man dürfe nicht gegen sie demonstrieren. Jetzt, da Sie in der Opposition sind, mischen Sie sich unter die Demonstranten und heizen den Protest auch noch an. Politische Heuchelei hat eine Farbe in diesem Land, und die ist Grün. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Blau-Weiß!) So handelt übrigens nur ein Politiker, dem die Glaubwürdigkeit abhandengekommen ist oder der bereit ist, die Glaubwürdigkeit mit Füßen zu treten, oder der auf Glaubwürdigkeit pfeift. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Glaubwürdigkeit heißt immer Seehofer!) Liebe Frau Roth, Sie haben bei all Ihren Versuchen, über Laufzeitverlängerung, Geld und anderes zu reden, eines vergessen: Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass unter Ihrer Verantwortung Kernkraftwerke in Deutschland betrieben werden. Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass Rot-Grün in München Eigentümer eines Kernkraftwerks ist, nämlich Isar 2. Eine Münchener Zeitung hat den rot-grünen Bürgermeister, der sich dazu bekennt - er sagt, SPD und Grüne sind seit 1990 in einem Regierungsbündnis in einer Kommune, die ein Kernkraftwerk besitzt -, gefragt, er sei wohl der Einzige in Deutschland, der als Kernkraftwerksbetreiber am Samstag demonstriert habe, und ob es nicht sinnvoll wäre, darüber nachzudenken, sich von so etwas zu trennen. Darauf sagte der rot-grüne Bürgermeister: Moralisch macht es keinen Unterschied, ob die Stadt vom Kaufpreis profitiert oder von der alljährlichen Rendite aufgrund der Laufzeitverlängerung. - Das ist die Moral von Rot und Grün in diesem Land. Machen Sie den Menschen doch nichts vor! (Ulrich Kelber [SPD]: Was hat man Ihnen in den Kaffee getan?) Sie sind bereit, Kernkraftwerke in eigener Verantwortung zu betreiben. Trotzdem reden Sie vom Abschalten und davon, dass nur dadurch andere in der Lage sind, in die Energieversorgung zu investieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Rot-grüne Narrenkappe! - Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Künast spricht von einer Sternstunde der Demokratie, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke für das Zitat!) und das angesichts von 131 verletzten Polizisten und zig Millionen Euro Kosten. Es wurden Gleise beschädigt, und es wurde zum Schottern aufgerufen. Sie haben dafür gesorgt, dass Polizisten von der Versorgung abgeschnitten wurden. (Frank Schwabe [SPD]: Die Polizisten sind doch sauer auf Sie! Fragen Sie sie einmal!) Sie bekamen deswegen kein Essen und konnten nicht abgelöst werden. (Kirsten Lühmann [SPD]: Ich hätte Ihnen die Wege zeigen können! Die waren alle offen!) Das - nämlich Gleise beschädigen, Gleise schottern - ist die Demokratie, wie sie sich vielleicht die Grünen vorstellen. Das hat aber mit einer Sternstunde der Demokratie nichts zu tun. Was Sie in diesem Land durchsetzen wollen, ist eine Perversion von Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD) Polizisten von der Versorgung abzuschneiden, ist ein generalstabsmäßiges Vorgehen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Die waren nicht abgeschnitten! Sie sagen die Unwahrheit!) Das ist militärische Schule. Ein solches Verhalten kann man nur von den Grünen mit ihrer APO-Vergangenheit lernen. Frau Roth, ich bleibe dabei: Sie outen sich als der politische Arm von Aufrührern, Brandstiftern und Steinewerfern. Das ist die grüne Realität in diesem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Politik ohne Verantwortung, Politik ohne jegliche Grenzen, Protest ohne Gewissen, Protest ohne Rücksicht auf die Menschen in diesem Land: (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kriegt man richtig Sehnsucht nach Söder, wenn man das hört! Sie sind nicht sehr unterhaltsam, Herr Dobrindt! Ich bin enttäuscht!) Das ist undemokratisch und unparlamentarisch. Bei der Bundestagswahl 2009 waren Sie gegen die Energiepolitik, die wir vorgeschlagen haben. Aber Sie haben keine Mehrheit für Ihre Position bekommen. (Zuruf von der FDP: Richtig!) Es wäre jetzt demokratisch - Sie reden doch von Demokratie -, wenn Sie einmal akzeptieren würden, dass Sie keine Mehrheit bekommen haben. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür muss man nicht die Verfassung brechen, wie Sie es tun!) Obwohl die Menschen Ihnen das Vertrauen nicht gegeben haben, gehen Sie auf die Straße und protestieren. Das ist undemokratisch; das hat mit Demokratie überhaupt nichts zu tun. Sie müssen akzeptieren, dass Sie abgewählt worden sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Demonstrationsrecht ist das wichtigste demokratische Grundrecht! - Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sind schlechte Verlierer. Wir haben vor der Wahl deutlich gemacht, was wir nach der Wahl umsetzen wollen. Wir haben dargestellt, wie die Energiepolitik in diesem Land ausschauen soll. Dafür haben wir das Vertrauen der Bürger bei der Bundestagswahl bekommen. Sie haben dieses Vertrauen nicht bekommen. Sie treten jetzt die Demokratie mit Füßen. Noch einmal: Politische Heuchelei in diesem Land hat eine Farbe, und die ist Grün. Dabei bleibe ich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Kollege Dr. Matthias Miersch ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als jemand, der viele Tage vor Ort gewesen ist, (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Noch einer!) finde ich es unerträglich, wie Sie versuchen, Tausende von Demonstranten zu kriminalisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Nur die Kriminellen!) Herr Bundesinnenminister, angesichts des Einsatzes von 8 000 Bundespolizisten im Wendland hätte es Ihnen gut zu Gesicht gestanden, wenn Sie sich vor Ort ein Bild gemacht und persönlich von der Lage überzeugt hätten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Bundesumweltminister, es wäre auch an Ihnen gewesen, vor Ort zu sein und den Leuten zu erklären, welche Politik Sie hier machen. Das sind Sie den Menschen schuldig geblieben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie, Herr de Maizière, den Schaden für die parlamentarische Demokratie beklagen, dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass der Bundestagspräsident die Art und Weise, wie hier beraten worden ist, ganz öffentlich kritisiert hat und angemahnt hat, dass demokratische Rechte nicht verletzt werden dürfen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister: Warum hat der Rechtsausschuss des Bundesrates heute festgestellt - offenkundig auch mit Stimmen von CDU oder FDP oder beiden -, dass der Bundesrat der Änderung des Atomgesetzes zustimmen muss? Warum hat der Rechtsausschuss des Bundesrates heute beschlossen, dem Bundesrat zu empfehlen, die Novelle zum Atomgesetz abzulehnen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist doch ein Fingerzeig darauf, dass mit Ihren Beratungsabläufen, mit Ihrem Vorgehen etwas nicht stimmt. Sie müssen meine Fragen beantworten. Das ist auch der Grund - so habe zumindest ich es empfunden -, warum Menschen in Gorleben zum ersten Mal in ihrem Leben demonstriert haben, warum alte Menschen, die teilweise schon seit 40 Jahren gegen Atomkraft demonstrieren, gesagt haben, dieses Mal werde alles übertroffen, warum Apotheker dort Wärmedecken zur Verfügung gestellt haben, warum man gesagt hat, dort passiere Unrecht. Die Menschen merken, dass Sie Ihre Macht missbrauchen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Dobrindt, Sie haben kein Wort über das verloren, was die Menschen umtreibt: Sie haben sich auf Gorleben als Standort für ein Atommüllendlager festgelegt. Natürlich haben Sie ein großes Interesse, Bayern da herauszuhalten. Wer aber seriös Politik betreibt und bei der Wahl eines Standorts die Informationen, die uns heute vorliegen, zur Kenntnis nimmt, der weiß: Es kann längst nicht mehr nur um einen Salzstock gehen. Wer sich den Fall Asse vor Augen führt, der weiß, dass hinsichtlich der Eignung eines Salzstocks für ein Endlager mehr als nur ein Fragezeichen angebracht ist. Tonschichten und Granitschichten könnten besser geeignet sein. Wo kommen solche Schichten in Deutschland vor? Sie kommen im Süden Deutschlands vor. Ich finde, dieses Parlament muss im Interesse Gesamtdeutschlands entscheiden. Insofern darf es keine Festlegung auf Gorleben als Standort für ein Endlager geben; vielmehr müssen alternative Standorte mit in Betracht gezogen werden. Darum ging es Rot-Grün, darum ging es uns auch in der Großen Koalition. Sie waren es, die die vom damaligen Bundesumweltminister Gabriel erarbeiteten Kriterien für die Standortsuche nicht übernehmen wollten, sondern nach dem Motto "Augen zu und durch" handeln wollen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit kommen Sie bei uns nicht durch. Eines regt mich zunehmend auf: die Art und Weise, auf die anscheinend Entscheidungen getroffen werden. Wir konnten gestern der Presse entnehmen, dass das Bundesumweltministerium bzw. die Bundesregierung unterschriftsreife Verträge mit Russland über die Abnahme von hochradioaktivem Abfall ausgehandelt hat. Parallel dazu nehmen wir zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten dazu verpflichten will, ihren Müll vor Ort in Europa zu entsorgen. Warum finden auch diese Vorgänge im Geheimen statt? Herr Bundesumweltminister, ich fordere Sie auf: Erklären Sie dem Parlament und dem Umweltausschuss, um welche Vorgänge es sich handelt und wie die Verträge aussehen! Legen Sie das offen! Ansonsten käme es hier zu einem Geheimvertrag, Teil 2. Auch das lassen wir nicht durchgehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Das ist doch Quatsch!) Herr Bundesumweltminister, Sie wären gut beraten, sich einmal mit den Polizeibeamten, mit dem neuen EKD-Ratsvorsitzenden und den Seelsorgern vor Ort zu unterhalten. Sie alle werden Ihnen bestätigen, dass dort im Wendland in den letzten Tagen eine Stimmung herrschte, die darauf abgerichtet - - (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Abgerichtet! Genau! - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben sie abgerichtet!) - Ja, ja. - Es wurde darauf abgezielt, die Interessen der zukünftigen Generationen zu berücksichtigen; darum ging es diesen Menschen zum großen Teil. Wenn Sie diese Menschen kriminalisieren, dann wollen Sie dies einfach verdecken und nicht zur Kenntnis nehmen. Sie werden mit dieser Masche aber nicht durchkommen. Die Menschen - sie kamen nicht nur aus dem Wendland, sondern aus ganz Deutschland - haben verstanden. Dieser Protest wird weitergehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Marco Buschmann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marco Buschmann (FDP): Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Herr Kollege Miersch, Vernunft misst sich nicht in Dezibel. (Beifall bei der FDP) Jetzt zur Sache. Selbstverständlich hat jeder das Recht, zu demonstrieren und auf die Straße zu gehen. Die Versammlungsfreiheit ist unverzichtbar für die liberale Demokratie. Deshalb rufe ich jedem friedlichen Demonstranten im Wendland zu: Ich bin zwar nicht eurer Meinung, aber selbstverständlich würde ich alles dafür tun, dass ihr eure Meinung stets sagen dürft. Das ist doch gar keine Frage. Das sage ich aber natürlich nur den friedlichen Demonstranten. Das gebietet der Vorbehalt, unter dem die Versammlungsfreiheit nach unserer Verfassung steht. Art. 8 Grundgesetz spricht eine deutliche Sprache: Demonstrieren darf man nur friedlich und ohne Waffen. Wer sich die Bilanz dieses Wochenendes anschaut, sieht, dass nicht nur friedlich und ohne Waffen demonstriert wurde. (Kirsten Lühmann [SPD]: Von 99,9 Prozent! - Sebastian Edathy [SPD]: Wären Sie doch einmal hingefahren!) Es ist nicht friedlich, wenn ein Polizeifahrzeug in Brand gesteckt wird, und es ist auch nicht friedlich, wenn über 130 Polizistinnen und Polizisten verletzt werden. Das kann man nicht ernsthaft sagen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Einsatzkräften bedanken und vor allen Dingen den Verletzten schnelle und vollständige Genesung wünschen. Ich hoffe, ich kann das im Namen des gesamten Hauses tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denen, die für diese Verletzungen verantwortlich sind, möchte ich eines sagen: Nichts zieht Ihr politisches Anliegen so sehr in den Schmutz wie das Verletzen von Menschen, die ihren Job machen, indem sie Recht und Gesetz verteidigen. Ich wiederhole: Nichts zieht Ihr Anliegen mehr in den Schmutz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An dieser Stelle muss gesagt werden: Natürlich waren Recht und Gesetz in Gefahr. Ich nenne nur das Stichwort "Schottern". Schottern ist kein Volkssport, sondern eine strafbare Handlung. Das ist ein gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr. Das, was ein bisschen technisch und leblos klingen mag - ich höre schon, wie gesagt wird, das sei doch nichts -, ist ein Straftatbestand. Angeblich gehe es letzten Endes darum, Menschenleben zu schützen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich möchte Ihnen einmal kurz erläutern, warum ein Straftatbestand vorliegt; schließlich wird immer wieder gesagt, dabei könne nichts passieren, weil die Lokführer vorgewarnt seien und sie nur ganz langsam führen. Am 7. Juni dieses Jahres ist ein Zug mit 11 Stundenkilo-metern - das ist quasi Schrittgeschwindigkeit - über ein Gleisbett gefahren, bei dem der Schotter entfernt war. Dieser Zug ist entgleist, weil sich die Schienen sofort verformt haben. Züge, die entgleisen, gefährden Menschenleben. Wer etwas tut, was dazu führt, dass Züge entgleisen, der gefährdet Menschenleben. (Kirsten Lühmann [SPD]: Ja! Das sind 300 Leute! Reden Sie doch über die 10 000 anderen!) Schottern ist kein Kavaliersdelikt. Schottern ist lebensgefährlich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Welchen Vorwurf kann man den Schotterern machen, wenn sogar Mitglieder gesetzgebender Organe zum Schottern aufrufen? Ich gebe zur Kenntnis: Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg in mehr als 20 Fällen gegen Mitglieder dieses Hauses und gegen Mitglieder von Landesparlamenten. Es wurde sogar in Räumen des Deutschen Bundestages zu strafbaren Handlungen aufgerufen. Das gebe ich dem Präsidium zur Kenntnis, und ich hoffe, dass die Hauspolizei in solchen Fällen einschreitet. So etwas ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mitglieder gesetzgebender Organe setzen Recht, sie brechen es nicht, und sie rufen auch nicht zum Rechtsbruch auf. Was ist das für eine Gesinnung? (Beifall bei der FDP) Wissen diese Leute denn nicht, welche Gewalt sie dem Rechtsstaat antun, wenn sie Rechtsnormen unter den Vorbehalt ihrer persönlichen Gesinnung stellen? Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) All die vorgeschobenen Argumente stimmen nicht. Jeder weiß, dass jeder Castortransport, der heute und in den nächsten zehn Jahren rollt, von jeder Bundesregierung genehmigt würde. Auch ohne eine Reststrommengenausweitung wären die Castortransporte erforderlich oder, wie der abgewählte Bundesumweltminister Trittin gesagt hat, unabweisbar und notwendig. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Zum Schluss nenne ich noch ein Stichwort - ich bitte Sie wirklich, in sich zu gehen -: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn die in sich gehen, kommt Schlechtes heraus!) Widerstandsrecht. Das in unserem Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht - Art. 20 Abs. 4 - wurde geboren aus der historischen Erfahrung, dass die Nationalsozialisten die Demokratie abgeschafft haben. Wer ernsthaft behauptet, dass ein Energiekonzept, das von einer demokratisch legitimierten Mehrheit dieses Hauses beschlossen worden ist, mit der Abschaffung der Demokratie durch die Nationalsozialisten verglichen werden kann, der hat jeden Bezug zur Realität, zur Verhältnismäßigkeit und zum politischen Anstand verloren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es bleibt dabei: Friedlich und ohne Waffen ist zu demonstrieren. Wer das nicht tut, ist kein Held. Er ist nicht mutig und auch nicht Avantgarde. Er ist schlichtweg ein Krimineller. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dorothée Menzner (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vorab zwei Feststellungen: Erstens. Ich glaube, wir hätten hier eine etwas bessere Debatte, wenn auch der eine oder andere Kollege bzw. die eine oder andere Kollegin der Koalition in den letzten vier Tagen im Wendland gewesen wäre und hier nicht nur die Bild-Zeitung zitieren würde. (Beifall bei der LINKEN) Zum Zweiten. Die Bürgerinnen und Bürger, die Initiativen und die Bauern brauchen keine Parteien, um aktiv zu werden. Sie machen das schon ganz alleine, und zwar seit 30 Jahren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie reden auch ständig über Sachen, die Sie nicht persönlich kennen!) Ja, sie haben provoziert. Viele Menschen - viel mehr als in der Vergangenheit - haben provoziert: bunt, fantasievoll, vielfältig. Ja, sie haben auf Schienen gesessen, und sie ließen dabei vielleicht den einen oder anderen Schotterstein mitgehen. (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Mannomann!) Ja, sie parkten ihre Trecker, ohne die Straßenverkehrs-Ordnung zu beachten. Ja, sie kampierten auf Flächen, die dafür nicht vorgesehen waren. Aber wer provozierte eigentlich? Nicht diese Menschen. Die Provokateure und diejenigen, die das alles anrührten, waren nicht bei Frost im kalten Wendland. Sie saßen in wohlbeheizten Konzernzentralen und Büros in Berlin, Essen und Dortmund. (Beifall bei der LINKEN - Judith Skudelny [FDP]: Ich war vor Ort!) Wen habe ich eben mit "sie" gemeint? "Sie", das ist zum Beispiel mein Schreinermeister, den ich seit Grundschultagen kenne; er ist übrigens Mitglied des Kirchenvorstandes. "Sie", das sind Landwirte, die um ihre Existenz bangen. Das sind Schülerinnen und Schüler, die nicht nur ihre eigene Zukunft mit Sorge betrachten, sondern auch die ihrer Kinder und Enkel. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Aufklären statt aufhetzen!) Viele Menschen waren zum ersten Mal da. Sie waren durch die Laufzeitverlängerung motiviert. Es waren Menschen, die sich mit den Fragen der Nutzung von Atomenergie sehr intensiv beschäftigt haben und wissen - ich habe in den letzten Tagen mit Hunderten gesprochen -: Ein Castor enthält so viel nukleares Material, wie in Tschernobyl seinerzeit freigesetzt wurde. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Und deswegen wollen Sie ihn entgleisen lassen, oder wie?) Ich behaupte, die Mehrzahl der Demonstrierenden wusste mehr als die knappe Mehrheit im Bundestag, die hier am 28. Oktober 2010 der Laufzeitverlängerung zugestimmt hat. (Beifall bei der LINKEN) Die Demonstrierenden wussten schon im Vorfeld, auf was für Strapazen, aber auch auf was für Gefahren sie sich einlassen. Sie wussten, dass sie sich darauf einlassen, verprügelt zu werden, Tränengas abzubekommen und Strafanzeigen zu kassieren. Ich bin mir sicher - das war die Reaktion vieler -: Sie werden es auch wieder tun, und zwar so lange, bis die Politik in diesem Lande zur Vernunft kommt und den Willen der Mehrheit der Bevölkerung und nicht den der Konzerne umsetzt. (Beifall bei der LINKEN) Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, über zwei Fragen meines 13-jährigen Sohnes nachzudenken, auf die ich keine befriedigende Antwort geben kann. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er soll mal zu uns kommen!) Mein Sohn fragte mich: Was ist das für eine Regierung, die so weitreichende Entscheidungen wie die Laufzeitverlängerung gegen jede Vernunft, gegen den Willen der Menschen und der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzt? Was ist das für eine Demokratie, die sich vor ihren Bürgerinnen und Bürger so martialisch schützen muss? Ich kann ihm das nicht beantworten. Ich kann ihm nicht beantworten, wieso wir jedes Jahr erleben, dass ein Landkreis in den Ausnahmezustand versetzt wird, (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Von Ihnen und Ihren Spießgesellen!) dass Bürgerrechte und Versammlungsrechte eingeschränkt werden und dass wir immer wieder erleben - - (Zuruf von der FDP: Sagen Sie ihm doch, dass Sie die Verantwortung dafür tragen! - Volker Kauder [CDU/CSU]: Schicken Sie mal den Sohn zu uns, den klären wir auf!) - Ja, das können wir gerne machen. Versuchen Sie es. Wir erleben immer wieder, dass die Bedenken der Menschen nicht ernst genommen werden. Sie werden übergangen. Wir erleben im Gorleben-Untersuchungsausschuss, dass selbst kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ignoriert wurden. Ihre Berichte, die besagt haben, dass Gorleben als Endlager ungeeignet ist, wurden nicht zur Kenntnis genommen. Die Menschen nehmen wahr: Jeder Castor, der ins Wendland kommt, schafft vollendete Tatsachen und vergrößert die Gefahr, dass wir - wie in der Asse - ein weiteres Desaster in einem Salzstock haben werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten den Tausenden, die am Wochenende unterwegs waren, friedlich und fantasievoll demonstriert und blockiert haben, sich bei Minustemperaturen die Nächte um die Ohren geschlagen haben, die sich Schikanen, Schlägen, Tränengas ausgesetzt sahen, danken. Sie haben die Meinung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf die Straße getragen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Mehrheit war zu Hause!) Sie stießen bei vielen der Beamten auf großes Verständnis. Es waren mehrere Beamte, die mir gesagt haben: Seid ja laut. Viele der Polizisten haben sich gewünscht, auf der anderen Seite zu sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Patrick Döring [FDP]: Das ist ein Qualitätsmerkmal!) Den Demonstrierenden gebührt unser aller Dank. Sie haben gelebte Demokratie gezeigt. Sie haben sich demokratisch engagiert und genau das getan, was wir eigentlich immer wieder fordern. Sie sind nicht politikverdrossen, sie mischen sich ein, und sie werden sich weiterhin einmischen. Dafür steht ihnen das Bundesverdienstkreuz oder eher ein Bundesverdienst-X zu. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, mit Ihrem Ablenkungsmanöver halten Sie sich den Kern der Debatte nicht vom Hals. Der Kern der Debatte ist: Sie verlieren das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn in Stuttgart die schwäbische Hausfrau und im Wendland der Adlige und die Kirche gegen Sie demonstrieren, ist das für Sie der GAU. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die intransparente, widersprüchliche und einseitig gönnerhaft erscheinende Politik der Regierung treibt die Bürgerinnen und Bürger zu Recht auf die Straße. Gefällt Ihnen der Satz? Er könnte von mir sein, ist aber von einem Polizisten, und zwar einem hochrangigen, von GdP-Chef Freiberg. (Judith Skudelny [FDP]: Der in Wackersdorf selbst schon demonstriert hat!) Sie jammern hier herum, Kolleginnen und Kollegen, die Grünen müssten ihr Verhältnis zur Gewalt klären. Sie müssen Ihr Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürger klären, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und Sie müssen Ihr Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit klären. Niedersachsens Justizminister Busemann sagte, die Grünen hätten die Proteste angeheizt, das habe mit Demonstrationsrecht nichts zu tun. (Patrick Döring [FDP]: Guter Mann!) Klären Sie einmal Ihr Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit. Demonstrationen sind keine Gewalt, sondern ein Grundrecht. Sitzblockaden sind keine Gewalt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Polizisten verletzen und Autos anzünden auch?) Sie halten an einem Endlagerstandort fest, in dessen Geschichte ununterbrochen manipuliert wurde. (Patrick Döring [FDP]: Den auch Sie genutzt haben!) Geologische Zweifel wurden einfach beiseitegefegt. Die Wissenschaftler, die diese Zweifel äußerten, wurden diskreditiert. Wenn es nicht passte, wurde das Konzept geändert. Als man entdeckte, dass das Deckgebirge nicht intakt ist, hat man gesagt: Wir brauchen kein geologisches Mehrbarrierensystem, eine Barriere reicht. Hatte man die Salzrechte nicht an der Stelle, wo man erkunden wollte, sagte man: Gehen wir doch um die Salzrechte herum, verändern wir die Erkundungsbereiche. Sie wollen dort nach Bergrecht weiterbauen, obwohl Sie ein Endlager für radioaktiven Müll ausbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie wollen nach einem Rahmenbetriebsplan von 1983 weiterbauen, der nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun hat, was dort heute steht. (Marco Buschmann [FDP]: Sie haben im Untersuchungsausschuss nichts dazugelernt!) Die Schächte stehen woanders als auf dem Plan, der Abstand ist anders als auf dem Plan, die Richtstrecken gehen nach Norden statt nach Süden, die Erkundungsbereiche stehen völlig woanders. Es interessiert Sie und Ihren Minister nicht. Warum wird nach diesem Rahmenbetriebsplan weitergebaut? Damit Sie nach Bergrecht - das geht nur mit diesem Rahmenbetriebsplan - weiterbauen können, um dann unter Atomrecht einzulagern. Sie verdrehen die Rechtslage völlig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Jetzt wollen Sie auf Grundlage des neu geschaffenen § 9 d Atomgesetz enteignen. Auf diese Weise umgeht man so schön die Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie wollen nach Bergrecht weiterbauen und nach Atomrecht enteignen, um dann nach Bergrecht weiterbauen zu können. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enteignen? Das passt ja zu der bürgerlichen Koalition!) Sie verlängern die Laufzeiten der Atomkraftwerke und vermehren den Atommüll, obwohl die Endlagerfrage völlig ungelöst ist. Dennoch wundern Sie sich, dass Zehntausende auf die Straße gehen? (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Dafür haben Sie eine Mitverantwortung!) Wo waren eigentlich Sie? Alle Rednerinnen und Redner der Oppositionsfraktionen waren dort. Wo waren Sie? (Christian Lindner [FDP]: Wir waren hier! Wir haben im Gegensatz zu Ihnen gearbeitet!) Woher haben Sie eigentlich Ihre Informationen? (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahrscheinlich aus der Bild-Zeitung! Wie immer!) - Ja, aus der Bild-Zeitung? Wunderbar! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Patrick Döring [FDP]: Auch von uns waren Kollegen vor Ort, Frau Kollegin! Aber die blasen sich hier nicht so auf wie Sie!) - Gut; sie würden sonst vielleicht platzen. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Rot-Grün hat den Atomkonflikt befriedet. (Christian Lindner [FDP]: Ja, ja! Und wie!) Rot-Grün hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen, (Patrick Döring [FDP]: Von wegen! Allerhöchstens aufgeschoben!) die Menge des Atommülls begrenzt und die Wiederaufarbeitung verboten. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Wo haben Sie endgelagert, Frau Kollegin?) Dann, meine Kolleginnen und Kollegen, kann man auch guten Gewissens Castortransporte organisieren und den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Leute, die Sache ist geregelt. (Christian Lindner [FDP]: So ein Quatsch! Nichts war geregelt! Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Aha! Wo haben Sie denn endgelagert?) Diese Castortransporte, die aus der inzwischen verbotenen Wiederaufarbeitung zurückkommen, sind gerechtfertigt. - Diesen Konsens haben Sie gebrochen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Alexander Dobrindt [CDU/ CSU]: Reden Sie doch nicht von Gewissen! Das haben Sie nämlich überhaupt nicht! Sie demonstrieren da doch jeden Tag! Was Sie machen, ist gewissenlos!) Dafür bekommen Sie die Quittung. Sie bekommen allerdings eine friedfertige Quittung. Für Sie ist es unerträglich, dass die Verwirklichung Ihrer Pläne durch einen friedlichen Protest verzögert wird, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das passt denen nicht!) durch einen in der Mehrheit absolut friedlichen Protest, wie jeder, der vor Ort war, bestätigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Christian Lindner [FDP]: Erzählen Sie doch nicht so etwas! Kosten von 26 Millionen Euro hat man uns hinterlassen!) Ihr Versuch, die Demonstranten zu kriminalisieren, geht völlig ins Leere. Der Innenminister von Niedersachsen - einer aus Ihren Reihen - sagte, es habe zwar weitaus mehr Blockaden als sonst gegeben; die Stimmung sei aber "insgesamt friedlich" gewesen. Sprecher von Antiatominitiativen erklärten, die Polizei sei in den meisten Fällen verhältnismäßig vorgegangen. (Patrick Döring [FDP]: Das ist doch schön! Was haben Sie denn dann für ein Problem?) Man war sich also völlig einig: Die Demonstration war größtenteils friedlich. Was sagen Sie dazu? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist doch gut! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das passt denen nicht ins politische Bild! Die brauchen doch den Klamauk, damit sie von ihrer Politik ablenken können!) Die Blockade der Versorgungswege war ein Nebeneffekt der kreativen Treckerblockaden. Die Bauern haben diesmal eine dezentrale Blockade vorgezogen. Das war genial! Sie sind mit drei Treckern auf eine Kreuzung gefahren, haben sie verkeilt und sind gegangen. Natürlich musste dann auch unsereiner seinen Weg suchen. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Kriminelles Handels bezeichnen Sie also als kreativ? Interessant!) Nein, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben sich verzockt. Die Bürgerinnen und Bürger zeigen Ihnen die Gelbe Karte. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rote Karte! Auf die Gelbe Karte haben die ja nicht reagiert!) Wenn Sie Ihre Politik nicht ändern, dann wird Ihnen bei den nächsten Wahlen die Rote Karte gezeigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Schämen Sie sich für diesen Beitrag!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun der Kollege Eckhard Pols für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eckhard Pols (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir nicht über ein so ernstes Thema zu diskutieren hätten, dann könnte man das schöne Weihnachtslied "Alle Jahre wieder" von Johann Wilhelm Hey anstimmen. Alle Jahre wieder findet ein Castortransport statt. Er ist leider das einzige Ereignis, das in der ganzen Republik Aufmerksamkeit für den Landkreis Lüchow-Dannenberg erregt. Kaum ist der Castor im Zwischenlager angekommen, ist die öffentliche Aufmerksamkeit für den Landkreis Lüchow-Dannenberg verschwunden. Wenn man heute die Zeitungen aufschlägt, stellt man fest, dass über dieses Thema nicht mehr auf den Seiten eins, zwei oder drei, sondern erst auf den Seiten fünf, sechs oder sieben berichtet wird. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Da gehört es auch hin!) Meine Heimatregion, die für unser Land eine wichtige Aufgabe übernimmt, hat aber auch an den restlichen 360 Tagen des Jahres durchaus Aufmerksamkeit verdient. Die Situation in Lüchow-Dannenberg darf nicht nur auf "Castor" und "Entsorgungsbergwerk" reduziert werden. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: "Entsorgungsbergwerk"? Früher war es noch ein Erkundungsbergwerk, jetzt ist es sogar schon ein Entsorgungsbergwerk!) Die Bevölkerung vor Ort ist vom demografischen Wandel stärker betroffen als die Bevölkerung anderer Regionen in Deutschland. Dieser Landkreis, der mittlerweile 49 000 Einwohner hat, ist nicht nur hochverschuldet, sondern dort fehlt es auch an wichtigen Infrastrukturen, vor allem in den Bereichen Straße und Schiene. Dies, meine Damen und Herren von der Opposition, ist der Politik Ihrer Parteifreunde vor Ort geschuldet. Für diese Probleme sind Lösungen gefordert, damit diese strukturschwache Region nicht in ihrer Schönheit stirbt, sondern eine Perspektive bekommt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Atommüll? Oh ja, das hat Zukunft! Eine schöne Perspektive ist das!) Dafür braucht diese Region vor allem Gewissheit in der Frage, ob der Salzstock Gorleben als mögliches Endlager geeignet ist. Frau Roth, wir wollen endlich wissen: Ist der Standort geeignet oder nicht? Nichts anderes wollen die Menschen in der Region wissen. Dass sich in dieser Frage nichts tut, macht einen wütend! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Botschaft haben Sie aber leider nicht verstanden. Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Mir geht es um meine Mitbürger vor Ort, um die Einwohner von Lüchow-Dannenberg. (Ulrich Kelber [SPD]: Aha! Haben die Oppositionsparteien dort bei der letzten Bundestagswahl deshalb über 50 Prozent bekommen?) Die christlich-liberale Koalition ist das Thema Endlager angegangen, auch wenn es unpopulär ist. Rot-Grün hat lange genug geschlafen. Es gibt in der Region viele Menschen, die sich gegen den Castortransport und die Erkundung des Salzstockes aussprechen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in der Samtgemeinde Gartow und in der Gemeinde Gorleben seit Jahrzehnten politische Mehrheiten gibt, die sich dafür aussprechen; das gilt auch für die SPD, meine Damen und Herren. Das wissen Sie ganz genau. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Kollege Trittin, wir wissen, dass Sie die Lösung des Endlagerproblems verschleppt haben. Sie haben aber nicht den Mut gehabt - Sie wissen, aus welchen Gründen -, das Projekt Gorleben zu beerdigen. Das ist das Ergebnis Ihrer opportunistischen Politik: ein ganzes Jahrzehnt Ungewissheit. Als Sie in der Verantwortung waren, haben Sie sich schön mit dem Hubschrauber einfliegen lassen, um ja nicht mit den Kommunalpolitikern, mit den gewählten Vertretern vor Ort, reden zu müssen. Als Sie in der Verantwortung waren, haben Sie sich gegen die Demonstrationen ausgesprochen. Nun springen Sie, wie alle bei Ihnen, wieder auf den Protestzug auf. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anders als Ihr Minister war ich mehrfach da, mein Freund!) Die überwiegend friedlichen Proteste wurden - das ist leider richtig - von Krawallen begleitet, die in diesem Jahr zu einem traurigen Höhepunkt geführt haben. Frau Lühmann, ich gebe Ihnen hier völlig recht: Die Leidtragenden sind Ihre Kollegen von der Polizei und die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten. Ich schließe mich Ihnen ausdrücklich an: Ihnen gilt auch mein besonderer Dank. Ich wundere mich genauso wie unser Innenminister darüber, dass der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft die Politik der Bundesregierung, aber nicht die Chaoten kritisiert. Ich sehe es so, dass er hier eher als SPD-Mitglied - er hat Ihr Parteibuch in der Tasche - und nicht als Gewerkschafter gesprochen hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Es reicht Ihnen nicht mehr, die Bürger zu beschimpfen! Jetzt kommen die Polizisten dran!) Jeder hat das Recht, friedlich zu demonstrieren. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass sich Krawalltouristen und linke Chaoten aus der autonomen Szene unter friedliche Demonstranten mischen; denn denen geht es, wie gesagt, nicht um die Sache, sondern um Gewalt und Zerstörung. Null Toleranz muss es gegenüber dem Aufruf zu Straftaten, zum Beispiel zum sogenannten Schottern, geben, den auch Abgeordnete der Linksfraktion aus diesem Hause unterschrieben haben. Wer so etwas unterstützt, wird meiner Meinung nach selbst zum Gewalttäter. Frau Wagenknecht und ihre Genossen haben bewusst mit Recht und Gesetz gebrochen. Ihre Vorgängerpartei, die SED, hatte ein krankes Verhältnis zum Rechtsstaat, und Teile Ihrer Partei haben es anscheinend noch immer. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Die SPD koaliert mit solchen Leuten in Berlin und Brandenburg. Das muss hier einmal klar gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie den gleichen Redenschreiber?) Ich habe am Anfang den Landkreis Lüchow-Dannenberg angesprochen. Die Politik muss sich stets den aktuellen Herausforderungen stellen und die damit verbundenen Aufgaben lösen. Deshalb appelliere ich an Sie: Arbeiten Sie konstruktiv mit uns zusammen an einer Lösung des gesamten Endlagerproblems; denn die Menschen in Deutschland und besonders in meiner Heimat Lüchow-Dannenberg brauchen endlich Klarheit. Mit dem Populismus, der hier gerade aus der grünen und linken Szene verbreitet wird, wird uns und unseren lieben Mitbürgern in Lüchow-Dannenberg ganz bestimmt nicht geholfen. Ich sage es noch einmal: Sie wollen endlich wissen, ob Gorleben als Endlagerstandort geeignet ist oder nicht. Das ist hier die zentrale Frage; die müssen wir beantworten. Deswegen ist es richtig, das Moratorium zu beenden und so lange zu erkunden, bis wir wissen, was los ist. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und weiter Müll produzieren!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sebastian Edathy (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 Prozent der am Wochenende im Wendland Demonstrierenden hat sich nicht an Recht und Gesetz gehalten. Das nimmt Schwarz-Gelb hier in der Aktuellen Stunde zum Anlass, den anderen 99 Prozent ebenfalls eine unredliche Gesinnung zu unterstellen. Ich halte das für unanständig, für empörend und für unerhört. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Hier sitzen einige, denen man das guten Gewissens unterstellen kann!) Wer so argumentiert, kann offenkundig selber nicht auf Redlichkeit verweisen, wenn es um das eigene Tun geht. Sie beschweren sich über massenhafte Proteste im Land. (Patrick Döring [FDP]: Es hat sich niemand beschwert!) Ich kann Ihnen dazu nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP: Wer den Brunnen vergiftet, der darf sich anschließend nicht über eine schlechte Wasserqualität beklagen. Was passiert, ist die Folge dessen, was Sie hier vor zwei Wochen getan haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die massenhaften Proteste gegen die Atompolitik der Bundesregierung sind eben nicht Ausdruck einer Gefährdung unserer Demokratie, sondern ein Beweis für ihre Stärke und ihr Funktionieren. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind Zeichen der Empörung darüber, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung einen befriedet geglaubten Konflikt mutwillig wieder aufgebrochen hat, mit der Sicherheit der Bevölkerung spielt und ohne Not den Atommüll vermehrt, ohne dass die Endlagerfrage auch nur annähernd beantwortet worden ist. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das da drüben sind doch die, die mit der Sicherheit spielen! Die haben die Steinewerfermentalität und sind die Krawallmacher! - Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind wirklich die Spitze, Herr Dobrindt! - Gegenruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wünschen uns den Söder zurück!) Lassen Sie mich kurz aus dem Gorleben-Untersuchungsausschuss berichten, dessen stellvertretender Vorsitzender ich bin und der vor wenigen Monaten seine Arbeit aufgenommen hat. Er beschäftigt sich mit der Frage, warum sich Schwarz-Gelb unter Helmut Kohl 1983, vor 27 Jahren, so stark auf Gorleben als möglichen Standort für ein atomares Endlager fixiert hat. Niedersachsens sogenannter Umweltminister Sander (Judith Skudelny [FDP]: Unverschämt!) hat am 28. Mai dieses Jahres vor der Landespressekonferenz gesagt, dass bei der Auswahl Gorlebens alles sauber gelaufen sei; es gebe ein Gutachten eines Historikers. Davon waren die Journalisten in Hannover sehr beeindruckt. Wir als Opposition haben uns gewundert, als wenige Wochen später dieser unabhängige Wissenschaftler, der Historiker, als Mitarbeiter der Unionsfraktion im Gorleben-Untersuchungsausschuss auftauchte. Wir haben ihn dann als Zeugen eingeladen, um zu hören, was er zu unserem Untersuchungsauftrag beitragen kann. Bei der Befragung des Zeugen kam heraus, dass seine historischen Untersuchungen über Gorleben in dem Gutachten auf einer Dissertation beruhen, die er vor etlichen Jahren verfasst hat. Dann kam heraus, dass diese Dissertation von PreussenElektra, heute Eon, und damit von einem Kraftwerksbetreiber finanziert worden ist. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Was ist das für eine Wissenschaft, auf die Sie sich von Schwarz-Gelb berufen? Das ist so ähnlich, als würde ich bei der Tabakindustrie ein Gutachten über die Gefährlichkeit des Rauchens in Auftrag geben. Das können Sie doch in den Papierkorb werfen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Unabhängige Gorleben-Wissenschaftler hingegen wurden unter Druck gesetzt. Ihre Berufskarrieren wurden behindert, ihre Arbeitsergebnisse manipuliert, zensiert oder ganz unterdrückt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in ihr Gegenteil verkehrt!) 1983 schließlich beschließt die Regierung Kohl: Gorleben, und zwar nur Gorleben, soll als Endlagerstandort untersucht werden. Grundlage war ein wissenschaftliches Gutachten. Das Problem aus Sicht der damaligen Regierung war, dass alle Entwürfe dieser Wissenschaftler, die das Gutachten erstellen sollten, zu dem Ergebnis kamen, dass mehrere Standorte untersucht werden müssten. Es sei wissenschaftlich völlig unseriös, nur einen Standort zu untersuchen und letztlich keine Vergleichsmöglichkeit zu haben. Als diese Wissenschaftler am 11. Mai 1983 in Hannover zu einer abschließenden Besprechung ihres Gutachtens zusammenkamen, auf dessen Grundlage sich Schwarz-Gelb unter Kohl für Gorleben entschieden hat, kamen überraschend Vertreter des Kanzleramtes, des Forschungsministeriums und des Innenministeriums hinzu. In einem Gesprächsprotokoll, dessen Korrektheit auch von der Regierungsmehrheit im Ausschuss nicht infrage gestellt wird, heißt es wie folgt: Der Geologe Dr. Jaritz: "Drei Standorte untersuchen und dann eine Entscheidung." Dr. August Hanning, Bundeskanzleramt: "Bei Vorschlag eines anderen Standortes wird Gorleben entwertet." Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums ergänzt: "Das Bundesinnenministerium will nicht, dass andere Standortvorschläge in den Bericht eingehen." So kam es auch. Der damalige Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hat gesagt, dass das eine Weisung der Bundesregierung war und dass Einfluss auf wissenschaftliche Ergebnisse genommen worden ist. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant!) Im Klartext: Ihre Vorgängerregierung - Schwarz-Gelb unter Helmut Kohl - hat sich ihr wissenschaftliches Gutachten im Grunde genommen selber geschrieben. Das ist nicht in Ordnung. Es sind keine Kriterien für eine Standortsuche entwickelt worden. Man hat sich aus politischen Gründen auf einen Standort festgelegt, und anschließend wurden die Kriterien so definiert, dass sie einigermaßen auf diesen Standort zu passen scheinen. Das haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande mittlerweile gemerkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb. Sie reiten seit 27 Jahren auf einem toten Pferd. Es wird Zeit, dass Sie absteigen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Glauben Sie bitte nicht, dass die Proteste im Wendland ein singuläres Ereignis sind. Sie machen Politik gegen die Mehrheit der Menschen in unserem Land. Sie machen Politik zulasten des inneren Friedens in unserer Gesellschaft. Sie handeln kurzsichtig und in Mangel an Verantwortung. Wenn Sie Ihren Kurs nicht korrigieren, dann wird es spätestens in drei Jahren der Wähler tun. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth ist nun die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Herr Kollege Edathy, Ihre Rede hat doch noch etwas Überraschendes und Neues gebracht. Ich erwarte den Antrag der Oppositionsfraktionen, relativ schnell mit der Arbeit des Gorleben-Untersuchungsausschusses zu Ende zu kommen, da offensichtlich schon alle Erkenntnisse gewonnen sind. Das ist immerhin ein sehr wichtiger Hinweis von Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Mich stört an dieser Debatte, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es zwar selbstverständlich ist, dass wir alle die friedliche Ausübung des Rechts auf Demonstrationsfreiheit begrüßen, die durch unser Grundgesetz gewährleistet ist, dass es aber nur ein Redner der Opposition für notwendig gehalten hat, sich von der Gewalt, die tatsächlich stattgefunden hat und hier nicht nur herbeigeredet wurde, zu distanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Kirsten Lühmann [SPD]: Das habe ich gemacht!) Mich stört es gewaltig, dass der politische Konflikt über die friedliche Nutzung der Kernenergie insbesondere von den Grünen aus diesem Parlament auf die Straße getragen wird und dort auf dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten, die sowohl für die Ausübung des Demonstrationsrechts als auch für die Gewährung der Sicherheit Sorge tragen müssen, ausgetragen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch den Großkonflikt heraufbeschworen! - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn im Umweltausschuss randaliert?) Politik muss und soll sich in Parlamenten, auf Podien und meinetwegen auch im Rahmen von Demonstrationen um diese Probleme kümmern. Sie darf aber nicht Castortransporte auf Kosten der Polizistinnen und Polizisten instrumentalisieren. (Frank Schwabe [SPD]: Fragen Sie doch einmal die Polizisten vor Ort! - Gegenruf der Abg. Judith Skudelny [FDP]: Wir haben sie gefragt!) Die Grünen und die SPD feiern die Demonstrationen laut Focus Online vom 9. November 2010 als "Sternstunde der Demokratie". Wie anders wurde der gleiche Sachverhalt von unserem ehemaligen Bundesminister Trittin, der dieses Haus jetzt Gott sei Dank verlassen hat, am 29. März 2001 von diesem Platz aus beurteilt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kommt schon wieder! Keine Angst!) - Er ist doch da. Wunderbar! Damals, Herr Trittin, haben Sie gesagt - ich zitiere -: Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass jede Form von Gewalt und Verletzung von anderen strikt abzulehnen ist und dies durch das Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht gedeckt ist. Sie sagen weiter - Herr Kollege Koschyk hat es eben schon angesprochen, aber ich will es noch einmal wiederholen, weil es so schön ist -: Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen dazu beigetragen haben, dass die Castorbehälter einen Tag später als geplant angekommen sind, haben für sich in Anspruch genommen, sie seien nicht gewalttätig. Es ist aber völlig eindeutig, ... dass sich diese Menschen rechtswidrig verhalten ... haben; das wissen sie auch. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie kennen aber schon das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu?) Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist ein unredliches und schäbiges Verhalten. Das, was 2001 noch Rechtsbruch war, ist heute eine Sternstunde der Demokratie. Das geht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Peinlich und verlogen!) Ich zitiere noch eine Aussage von Ihnen, Herr Trittin, vom 15. Februar 2001, auf der Homepage des BMU: Weil wir rechtlich und politisch verpflichtet sind, den deutschen Atommüll zurückzunehmen, sagen wir mit aller Klarheit: Proteste sind verständlich, aber in der Sache falsch. Der objektiv gleiche Sachverhalt - die in internationalen Verträgen zugesicherte Rücknahme von Atommüll aus La Hague und Sellafield - wird je nach eigenem parteipolitischen Vorteil bewertet. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht objektiv der gleiche Sachverhalt! Das ist genau falsch!) Das ist Populismus. Das ist eine Politik ohne Rückgrat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie sagen, stimmt einfach nicht!) Der sogenannte Atomkonsens, mit dem Sie hier ständig argumentieren, war eigentlich gar kein Konsens. Er sah Laufzeitverlängerungen von über 20 Jahren vor, und zwar ohne zusätzliche Sicherheitsanforderungen, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und deswegen machen Sie 50 Jahre daraus!) ohne finanzielle Beteiligung der Konzerne am Umbau des Energiesystems, ohne Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energie über den Zubau hinaus (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie ohne jede Aussage zum Ausbau der Netze und der Speicherkapazitäten. All das wird jetzt durch die neue Bundesregierung auf den Weg gebracht. Vor allem haben Sie die Notwendigkeit der Erkundung eines Endlagers im Rahmen Ihres Energiekonzepts einfach ignoriert und verdrängt, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) und zwar trotz der Bestätigung der Eignungshöffigkeit im Rahmen der Ausstiegsvereinbarung und der Feststellung im sogenannten Synthesebericht, dass die Sicherheit eines möglichen Endlagers nur mit standort- und anlagespezifischen Sicherheitsanalysen ermittelt werden könne. (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist so frech! Sie haben die Untersuchung abgelehnt in der Großen Koalition!) Und was folgte daraus? Irgendein Handeln? Nein! Nichts! Der hochgelobte Abschlussbericht des AK End von 2002 blieb nur beschriebenes Papier. Das angekündigte Endlagersuchgesetz war eine Fata Morgana. Alternativstandorte wurden selbstverständlich nicht genannt. Sie hatten auch nicht den Mut, die Erkundung in Gorleben tatsächlich zu beenden. Wenn Sie tatsächlich der Meinung sind, Gorleben sei nicht geeignet, hätten Sie sich diese Möglichkeit damals nicht entgehen lassen sollen. Jetzt verkünden Sie lautstark, dafür umso folgenloser, Gorleben sei tot. Das ist schlicht und ergreifend völlig verantwortungslos. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir übernehmen jetzt die Verantwortung, erkunden ergebnisoffen weiter, beziehen internationale Wissenschaftler ein und wollen den Menschen vor Ort - so, wie der Kollege Eckhard Pols als Wahlkreisabgeordneter es eben gefordert hat - endlich Gewissheit geben, woran sie sind. Die Menschen vor Ort wollen wissen, ob es ein Endlager geben wird oder nicht. Darauf haben sie ein Recht. Es darf aber nicht sein, dass es jedes Jahr aufs Neue einen Ausnahmezustand gibt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Angelika Brunkhorst das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angelika Brunkhorst (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es noch einmal zu sagen: Auch für die FDP war es das gute Recht der Bürgerinnen und Bürger - das bleibt auch so -, friedlich gegen den Castortransport aus La Hague in das zentrale Zwischenlager nach Gorleben zu demonstrieren. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klang aber eben ganz anders! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das kam aber spät!) Deutschland ist ein Rechtsstaat, und es ist Aufgabe der Polizei, Recht und Gesetz durchzusetzen. Die Polizei hatte den Auftrag, den möglichst störungsfreien Transport der Castoren zum Zielort zu gewährleisten und Gefahren für die Bevölkerung zu vermeiden. Meine Fraktionskollegin Judith Skudelny war in der vergangenen Woche als Beobachterin bei den Castortransporten. Sie konnte uns in eindrucksvoller Weise beschreiben, was sie dort erlebt hat. Sie hat sehr wohl über die positiven Dinge berichtet. Sie schilderte, dass die überwiegende Mehrheit der Demonstranten friedlich und kreativ gewesen sei und es auch zwischen der Polizei und den Demonstranten vielfältige und wohlwollende Interaktionen gegeben habe. Das wollen wir gar nicht unterschlagen. Inakzeptabel waren jedoch die Treckerblockaden, durch die die Zuwege hermetisch abgeriegelt wurden. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das war nicht hermetisch!) Das erscheint auf den ersten Blick ganz friedlich; aber wir haben schon gehört, dass dadurch die Einsatzkräfte der Polizei über Stunden nicht mit Nahrungsmitteln und Getränken versorgt werden konnten. Dadurch konnte kein Personalaustausch nach dem Ende der Schicht erfolgen. Viele Polizisten waren 24 Stunden nonstop im Dienst. (Kirsten Lühmann [SPD]: Weil zu wenige Kräfte da waren!) Das ist mit Absicht erzeugter Stress, und das ist menschenverachtend. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum anderen verurteilen wir Liberalen aufs Schärfste den generalstabsmäßig vorbereiteten Versuch, zeitgleich mit 6 000 Leuten die Gleise zu schottern. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren doch keine 6 000, es waren 300!) Das war eine Straftat - das kann man nicht oft genug wiederholen -, das war ein Anschlag auf die öffentliche Infrastruktur und auf Menschen. Punkt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Kirsten Lühmann [SPD]: Schauen Sie in den Polizeibericht! Er spricht von 300!) Ich möchte den vielen Polizistinnen und Polizisten, die nötig waren, um den Transport sicher durchzuführen, an dieser Stelle meine Hochachtung für ihren engagierten und anstrengenden Einsatz zollen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe auch gar kein Verständnis dafür, wenn sich ausgerechnet grüne Spitzenpolitiker an diesen Protesten beteiligen; denn ihr Verhalten ist wirklich scheinheilig. Sie wissen genau: Selbst wenn Sie in der Regierungsverantwortung gewesen wären, hätten Sie diese Transporte durchführen müssen. (Beifall bei der FDP - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn? - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Die Voraussetzungen sind andere! Sie haben das Moratorium aufgehoben!) Ich möchte daran erinnern, dass die Castortransporte auf einer vertraglichen Grundlage durchgeführt werden. Wir sind verpflichtet, unseren wiederaufbereiteten Atommüll aus La Hague zurückzunehmen. Wir alle wissen, dass lediglich Gorleben als Lager für diese Transportbehälter geeignet ist und nur Gorleben die Zulassung hat. Deswegen führen diese Transporte unausweichlich nach Gorleben. Sie werden auch in Zukunft, nämlich im nächsten Jahr, dorthin unterwegs sein. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vermehren doch jetzt die Menge des Mülls um 1 000 Tonnen!) Sie wissen genauso, dass bereits seit 2005 nach dem Atomgesetz die Abgabe bestrahlter Brennelemente an die Wiederaufbereitungsanlagen verboten ist. Es geht also lediglich um die Abarbeitung alter Aufträge. Sie haben den Castortransport missbraucht, um gegen die aktuelle Energiepolitik zu demonstrieren. Dazu war er denkbar ungeeignet, und das ist hier entlarvt worden. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem?) Sie haben versucht, alles zu vermischen. Frau Roth, Sie sind manchmal wütend, man kann aber auch wütend darüber sein, wie hier die Dinge auf den Kopf gestellt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie Herrn Dobrindt, oder wen?) An der Pflicht zur Rücknahme hat sich nichts geändert. Geändert hat sich lediglich, dass die Grünen nicht mehr an der Regierung sind. Da möchte ich einhaken: Die Grünen behaupten einerseits, die friedliche Nutzung der Kernenergie sei nicht zu verantworten. Im Atomkonsens haben sie andererseits aber garantiert, dass sie keine Initiative ergreifen, um den Sicherheitsstandard der Kernkraftwerke zu verbessern. Die Grünen behaupten, der Salzstock in Gorleben tauge nicht für ein Endlager. Im Atomkonsens bescheinigen sie dem Standort aber Eignungshöffigkeit. Die Atompolitik der Grünen ist und bleibt unglaubwürdig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. Es ist höchste Zeit, dass die ergebnisoffene Erkundung in Gorleben endlich Klarheit darüber schafft, ob der Salzstock geeignet ist oder nicht. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn nur in Gorleben?) Dazu wird parallel ein internationales Expertengremium prüfen, ob Gorleben den neuesten internationalen Standards genügt. Auch werden wir die Bevölkerung während der Erkundungsarbeiten durch eine transparente und umfassende Informations- und Kommunikationsteilhabe in einem Begleitprozess einbinden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und viel neuen Müll produzieren! Viele tausend Tonnen mehr!) Das ist unser Weg, und dazu stehen wir auch. Da mir noch zwölf Sekunden Redezeit verbleiben, will ich noch eines sagen: Herr Miersch, ich muss mich doch sehr wundern, dass Sie eine solche Informationsente in die Welt setzen wollen, der zufolge wir jetzt Atommüll nach Russland verschaffen wollen. Sie wissen doch ganz genau, dass es sich dabei um alte russische Brennelemente handelt, (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Dann decken Sie das einmal auf! - Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die in Dresden-Rossendorf verbraucht wurden und jetzt nach einem amerikanisch-russischen Abkommen natürlich ins Ursprungsland zurückgeführt werden müssen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die müssen überhaupt nicht!) Darum geht es. Ich finde es wirklich unredlich, dass Sie das hier auch noch mit anbringen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: Ein Blick in die FAZ heute Morgen hätte genügt!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist der Kollege Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition möchte uns heute erklären, dass die Demonstranten gegen die Castortransporte am vergangenen Wochenende friedlich demonstriert haben (Kirsten Lühmann [SPD]: Überwiegend ja! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die allermeisten ja!) - Sie hören mir ja zu. - Getreu dem Grundsatz "Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz" geben wir uns mit einer vorschnellen Bewertung nicht zufrieden. Ich glaube, dass die fast 12 000 eingesetzten Polizeibeamten, (Kirsten Lühmann [SPD]: 20 000!) die Teilnehmer an künftigen Versammlungen und auch die Bürger in Deutschland ein Recht darauf haben, dass wir hier präzise politisch Stellung nehmen zu dem, was dort geschehen ist. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man aber in einer Aktuellen Stunde noch nicht tun, die im Übrigen auch von Ihnen beantragt wurde! - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war einmal Ihre Wählerschaft!) Wir müssen eine klare Stellungnahme zu lang andauernden Blockaden mit Traktoren oder womit auch immer abgeben, wir müssen zu Flaschen- und Steinwürfen Stellung nehmen, zu Sachbeschädigungen, zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, zum Schottern, zum Einsatz von Pyrotechnik und zu einem versuchten Tötungsdelikt gegen Polizeibeamte. Meine Damen und Herren, wir können angesichts dieser Vorkommnisse im Wendland doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und so tun, als wäre nichts passiert. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben wir ja auch eine Aktuelle Stunde!) Die Versammlungsteilnehmer wollten ein politisches Signal setzen. Vielen ist das friedlich gelungen. Das begrüße ich sehr. Einige Tausend, Herr Edathy, nicht 1 Prozent, haben das nicht hinbekommen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das hat der Innenminister im Ausschuss anders dargestellt!) Sie haben es ja heute Morgen im Innenausschuss gehört. (Kirsten Lühmann [SPD]: Genau!) Haben wir überhaupt noch das richtige Maß, wenn wir angesichts solcher Straftaten von friedlichen Demonstrationen sprechen? (Kirsten Lühmann [SPD]: 300 Straftäter, hat er gesagt!) Mittlerweile gibt es genügend Kollegen in diesem Haus, die den Menschen weiszumachen versuchen, ziviler Ungehorsam sei ein Bestandteil demokratisch legitimierter Meinungsäußerung. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist er aber auch! - Frank Schwabe [SPD]: Das hat das Bundesverfassungsgericht gesagt!) Das begründen Sie damit, dass unser Energiekonzept angeblich nicht demokratisch zustande gekommen sei. Sie stellen die Dinge auf den Kopf. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Sie stellen die Dinge auf den Kopf! - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es ist nur verfassungswidrig! - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer korrekt zitieren!) Sie konnten hier vor 14 Tagen erleben, wie nach einem monatelangen Prozess, der vor der Wahl begann und nach der Wahl verlässlich endete, ein Energiekonzept beschlossen wurde, von dem wir überzeugt sind, über das wir gerne diskutieren, aber bitte in diesem ehrenwerten Haus. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so! Draußen darf man es nicht mehr? - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn, dass Abgeordnete nicht demonstrieren dürfen?) Die Novellierung des Atomgesetzes würden wir gerne hier mit Ihnen diskutieren und nicht auf der Straße im Wendland. Wer diese demokratische Rechtmäßigkeit bezweifelt, bei dem bezweifle ich auch, dass er eine anständige Haltung zu unserer Verfassung hat. (Beifall bei der CDU/CSU - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist denn eine "anständige Haltung"?) - Das erkläre ich Ihnen jetzt, auch Ihnen, meine Damen und Herren von den Linken. Ein Bundesbeamter hätte bei Aufruf zu Straftaten mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen, das unter Umständen mit Entlassung endet. Leider ist das in diesem Haus mit Ihnen so einfach nicht möglich. Ich bedauere das sehr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt anständig! - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da haben Sie wieder nichts verstanden! - Weitere Zurufe) - Herr Gysi: Gedankenstrich, ich habe verstanden. Es wäre ein zutiefst undemokratischer Akt. Wir würden in wenigen Wochen Ihre Fraktion auf ein vernichtendes Maß dezimieren. Das möchte ich auch nicht. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir haben jede Menge Nachrücker! - Swen Schulz [Spandau] [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Könnt ihr den nicht mal zurückpfeifen? - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das schlägt dem Fass den Boden aus! Das ist unfassbar!) 131 Polizeibeamte verletzt, 1 316 Personen in Gewahrsam genommen, 306 Platzverweise erteilt, 117 Traktoren sichergestellt und 172 Strafverfahren, meine Damen und Herren, das können Sie nicht als eine friedliche Versammlung bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Kirsten Lühmann [SPD]: Herr Schünemann sieht das anders! - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Innenminister dort das anders sieht und der Polizeieinsatzleiter auch?) Wer Polizisten selbst die Versorgung nicht zukommen lassen will und diese Wege blockiert, meine Damen und Herren, der übt doch nicht das Recht auf Versammlungsfreiheit aus. Ich weiß nicht, was er tut, aber das jedenfalls nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Josef Philip Winkler [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechte Planung ist das! Die Traktoren stehen doch jedes Jahr dort! Das war eine große Überraschung!) - Herr Winkler, wir haben das verstanden. Wir haben schon bei Frau Lühmann verstanden, dass die Polizei das nicht gut kann. Das akzeptiere ich aber nicht. Es ist zur Normalität geworden, dass wir bei Demonstrationen lange Blockaden erleben, jeden Teilnehmer wegtragen müssen, auch verbale Beschimpfungen gegenüber den Polizeibeamten ertragen müssen. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie malen hier ein Bild, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat! Das ist doch unglaublich!) Das alles soll unter das Versammlungsrecht subsumiert werden. (Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Wie stellen Sie sich das dann vor?) Das halte ich nicht für akzeptabel. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung wie an diesem Wochenende entschieden einschreiten muss, wenn Versammlungsteilnehmer derart vorgehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Demonstrationsrecht wollen Sie einschränken? - Sebastian Edathy [SPD]: Wie in Stuttgart, oder wie?) Meines Erachtens liegt es auch nicht in dem vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil festgeschriebenen Rahmen, wenn Sie tagelang verhindern, dass ein Castortransport sein Ziel erreicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ihre Zeit ist um!) Noch ein Satz zu den Grünen. Sie demonstrieren in Stuttgart für "oberirdisch", zeitgleich an der Rheintalbahn für "unterirdisch". (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ihre Rede ist unterirdisch!) Sie sind für Windkraft, aber gegen Leitungen. Sie sind für regenerative Energien, aber gegen Wasserkraftwerke. Diese Doppelbödigkeit, liebe Frau Roth, wird dafür sorgen, dass Sie in einigen Jahren unter Umständen wieder von irgendwelchen Äckern getrieben werden, weil man Sie für zutiefst unglaubwürdig hält. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Die Endlagerfrage könnten wir mit Ihnen überhaupt nie diskutieren. Egal, über welchen Ort wir sprechen würden: Sie wären in jedem Fall dagegen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich mal vom Acker!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, die Redezeit ist abgelaufen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich möchte mich abschließend bei den vielen tatsächlich friedlichen Versammlungsteilnehmern bedanken. Vor Ihnen und Ihrer Meinung, meine Damen und Herren, habe ich großen Respekt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also vor mir auch!) Ich rufe Ihnen aber zu: Schwächen Sie diese starke Position nicht, indem Sie sich mit falschen Freunden umgeben, - (Lachen bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie müssen wirklich zum Schluss kommen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): - egal, woher sie kommen mögen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ganz schwacher Applaus war das aber nur!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende einer solchen Debatte versucht man natürlich, ein Stück weit zusammenzufassen und nach vorne zu schauen. Es ist völlig richtig: Wir haben uns hier, glaube ich, einig gezeigt: Ein Großteil der Demonstrationen und Aktionen war friedlich, aber ein bedeutender Teil - das ist mehrfach auch zahlenmäßig unterlegt worden - eben nicht. Wenn jemand wie der Organisator in Gorleben, Jochen Stay, sagt, das sei eine Sternstunde des gewaltfreien Widerstandes gewesen, dann ist das meines Erachtens zynisch. (Beifall der Abg. Beatrix Philipp [CDU/CSU]) Es wäre eine Sternstunde des gewaltfreien Widerstands gewesen, wenn die Friedlichen sich einmal den Militanten entgegengestellt hätten, wenn es auch bei den Demonstranten selber eine klare Distanzierung von unfriedlichen, militanten Aktionen gegen Polizeibeamte gegeben hätte. (Kirsten Lühmann [SPD]: Die hat es gegeben!) Das wäre eine Sternstunde des friedlichen Widerstands gewesen. Das habe ich vermisst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir lehnen Gewalt ab! Das kann ich Ihnen versichern! - Kirsten Lühmann [SPD]: Dann kommen Sie hin! Wir zeigen es Ihnen!) Frau Kollegin Roth, Sie haben, glaube ich, sogar wörtlich gesagt: Auch Sitzblockaden gehören zu den Grundnahrungsmitteln der Demokratie. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Mutlangen!) Dann rufe ich zum Hungerstreik auf. Wenn Sie sagen, dass Sitzblockaden ein Grundnahrungsmittel der Demokratie darstellen, dann gehen Sie in meinen Augen in Wahrheit an die Grundfesten der Demokratie. (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nicht übertreiben!) Angesichts dessen, was in Stuttgart passiert ist, kann ich nur sagen: Auch in den größten Konflikten müssen wir noch ein Stück weit gemeinsame Grundlagen haben, die allseits akzeptiert werden, (Zuruf von der LINKEN) und zwar unabhängig von der Wertigkeit gewisser politischer Forderungen, die man wie ein Schild vor sich her trägt. Ich sage Ihnen: Die Linken haben schon seit langem keinen klaren Trennstrich gegen Gewalt mehr gezogen. Das haben Sie, Frau Menzner, mit Ihrer Bemerkung, ein paar Schottersteine klauen sei nicht schlimm, unterstrichen. Ähnliches gilt aber auch für Sitzblockaden. So wie es sie in Gorleben und Umgebung gegeben hat, stellen sie natürlich eine Straftat dar. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der LINKEN: Ordnungswidrigkeit!) Ich sage in aller Deutlichkeit: Gemeinsamkeit der Demokraten muss sein, dass man friedlich und ohne Begehen von Straftaten das Demonstrationsrecht ausübt. (Zuruf des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Polizeibeamten und der Rechtsstaat schützen jeden friedlichen Versammlungsteilnehmer. Aber wer das Demonstrationsrecht missbraucht, der muss auch den vollen Widerstand der demokratischen Institutionen wie der Polizei spüren. Das ist Teil des demokratischen Grundkonsenses, auf den wir uns eigentlich in diesem Hause verständigen müssten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ziemlicher Unsinn!) Nun will ich darauf eingehen, dass hier mehrfach gesagt wurde, Gorleben sei als Standort ungeeignet, es handle sich um einen Irrweg. Aussagen von Herrn Trittin wurden hier ja schon mehrfach zitiert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das reicht auch!) Ich will eine Passage aus dem Ausstiegsvertrag zitieren, den Rot-Grün mit den vier Versorgungsunternehmen geschlossen hat. In diesem Vertrag - das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen -, der von dem damals verantwortlichen Umweltminister Trittin unterschrieben wurde, steht: Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Gebirge und damit die Barrierefunktion des Salzes wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben ... nicht entgegen. Das steht in Ihrem Ausstiegsvertrag. Das war damals Konsens. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Zuruf des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD]) Seitdem sind ja wegen des Moratoriums (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Warum gab es das denn?) keine neuen Erkundungen durchgeführt worden. Heute ist der wissenschaftliche Stand derselbe. Die Zahl der Wissenschaftler, die mittlerweile sagen, dass Salz das geeignetste Wirtsgestein ist, nimmt sogar zu. Ich kann Ihnen nur sagen: Was Sie da machen, ist auch ein Stück mangelnde Wahrhaftigkeit den Bürgern gegenüber. Sie spielen mit den Ängsten der Bürger, wenn Sie sagen: Gorleben ist völlig ungeeignet, ist gefährlich. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Was sagen Sie denn zur Asse?) Dabei haben Sie selber im Jahr 2000 noch die Eignungshöffigkeit von Gorleben unterschrieben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Kollege Trittin, der ja immer davon redet, dass es sich bei Gorleben um einen Schwarzbau handelt, hat sich jetzt entweder in die hintersten Reihen oder in sein Büro zurückgezogen. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Vom Acker gemacht!) Ich kann ihm nur sagen: Er war sieben Jahre Umweltminister in diesem Land. Wenn es sich bei Gorleben um einen Schwarzbau handelte, dann hätte er ihn verbieten und die Erkundung einstellen müssen. Hier gibt es doch jede Menge Widersprüche. Wegen des Moratoriums ist längere Zeit nichts passiert. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wurde vor allem nicht weitergemacht!) Insofern kann ich nur sagen: Wenn es sich um einen Schwarzbau handeln würde, dann hätte Herr Trittin sieben Jahre Zeit gehabt, ihn zu verbieten. All das, was Sie vortragen, ist nicht glaubwürdig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch das, Herr Kollege Miersch, was Sie hier zum Thema Asse gesagt haben, dient doch nur dazu, die Bürger, die nicht so in die Diskussionen vertieft sind, zu verunsichern und ihnen Angst zu machen. Die Bürger denken jetzt natürlich: Bei der Asse ging es um Salz, in Gorleben geht es auch um Salz. Also wird das wohl schlimm sein. Dass in Wahrheit natürlich ein Salzbergwerk, das ausgebeutet worden ist, das ganz dünne Isolationsschichten hat, etwas völlig anderes ist als ein unverritzter Salzstock, der 900, ja 1 000 Meter breite Isolationspotenziale hat, verschweigen Sie. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Was sagen Sie zu den Gasvorkommen? Was sagen Sie zu den Flüssigkeiten?) Ich sage Ihnen auch in diesem Punkt: Wer Asse und Gorleben miteinander vergleicht, will nichts anderes, als den Menschen Angst machen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Angst ist aber ein schlechter politischer Ratgeber. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Asse haben Sie auch gesagt, das ist für 1 000 Jahre sicher!) Liebe Frau Präsidentin, lassen Sie mich schließen mit den Worten des stellvertretenden Bürgermeisters der Samtgemeinde Gartow, Herrn Hans-Joachim Schenk. Er hat am Montag in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gesagt: Vor allem wünsche ich mir ein Ende des politischen Gezänks um die Atommüllentsorgung. Die Entsorgung ist eine nationale Aufgabe. Dazu bedarf es jedoch eines gemeinsamen Willens. Die politischen Mehrheiten hier in der Region stehen zu dieser Verantwortung. Ich finde, die Generation, die auf Atomenergie setzt, - Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, jetzt müssen Sie bitte zum Schluss kommen. Reinhard Grindel (CDU/CSU): - muss auch die Generation sein, die sich um eine sichere Entsorgung kümmert. Das werden wir jetzt auf den Weg bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, 11. November 2010, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und schließe die Sitzung. (Schluss: 17.31 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ackermann, Jens FDP 10.11.2010 van Aken, Jan DIE LINKE 10.11.2010 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 10.11.2010 Buchholz, Christine DIE LINKE 10.11.2010 Bülow, Marco SPD 10.11.2010 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 10.11.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 10.11.2010 Glos, Michael CDU/CSU 10.11.2010 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.11.2010 Granold, Ute CDU/CSU 10.11.2010 Griese, Kerstin SPD 10.11.2010 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 10.11.2010 Montag, Jerzy BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.11.2010 Movassat, Niema DIE LINKE 10.11.2010 Mücke, Jan FDP 10.11.2010 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 10.11.2010 Oswald, Eduard CDU/CSU 10.11.2010 Petzold, Ulrich CDU/CSU 10.11.2010 Röspel, René SPD 10.11.2010 Scholz, Olaf SPD 10.11.2010 Schreiner, Ottmar SPD 10.11.2010 Dr. Schwanholz, Martin SPD 10.11.2010 Thönnes, Franz SPD 10.11.2010 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 10.11.2010 Wicklein, Andrea SPD 10.11.2010 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 10.11.2010 Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Johannes Selle (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Kernbrennstoffsteuergesetzes (68. Sitzung, Tagesordnungspunkt 4 b) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet "Ja". Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Joachim Hörster (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Biblis B) (68. Sitzung, Nachtrag, Tagesordnungspunkt 4 a) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet "Nein". Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Dr. Michael Luther (CDU/ CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Streichung § 7 d) (68. Sitzung, Nachtrag, Tagesordnungspunkt 4 a) In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet "Nein". Anlage 5 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 13): Was wird die Bundesregierung unternehmen, um nach den Ergebnissen der US-Kongresswahlen die US-Administration bei wichtigen Herausforderungen von internationaler Bedeutung, wie zum Beispiel der Ratifizierung des START-Vertrages, dem Abzug der taktischen Atomwaffen aus Europa sowie dem OSZE-Prozess und der internationalen Klimapolitik, zu unterstützen? Für die erfolgreiche Bewältigung internationaler Herausforderungen - zum Beispiel im Bereich Abrüstung und nuklearer Nichtverbreitung - ist die transatlantische Partnerschaft von zentraler Bedeutung. Die Zusammenarbeit von Bundesregierung und US-Administration unter US-Präsident Barack Obama ist eng und vertrauensvoll. Auch in den Kongress bestehen vielfältige und intensive Kontakte. Auch nach den jüngsten Wahlen und unter den veränderten Mehrheitsverhältnissen im Kongress bleiben die Vereinigten Staaten von Amerika unser wichtigster Partner außerhalb der EU. Wir erwarten keine grundsätzlichen Änderungen in der Politik der USA gegenüber uns oder ihren anderen Partnern. Das gilt insbesondere auch für Fragen der europäischen Sicherheit und die OSZE. Anlage 6 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ralf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 14): Welche Haltung nimmt die Bundesregierung im Konsultationsprozess zur Europäischen Nachbarschaftspolitik, ENP, ein, und wie steht die Bundesregierung zu einer stärker konditionierten Differenzierung, bei der unabhängig von der geografischen Lage des ENP-Partnerlandes dessen Reformschritte für die Intensität der Kooperation mit der EU und das Ausmaß der finanziellen Unterstützung maßgeblich sein sollen? Die Bundesregierung begrüßt den von der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Catherine Ashton, und dem EU-Kommissar für Erweiterung und europäische Nachbarschaftspolitik, Stefan Füle, angestoßenen Konsultationsprozess zur Zukunft der Europäischen Nachbarschaftspolitik, ENP, ausdrücklich und hat sich aktiv in den Prozess eingebracht. Sie betrachtet die ENP als ein - auch sicherheitspolitisch - wichtiges, umfassendes Instrument, um die Partnerländer durch Reformen an EU-Standards anzunähern, zu stabilisieren sowie Demokratie und Menschenrechte zu stärken. Daher nimmt die von Reformfortschritten abhängige Gewährung von Vergünstigungen im Rahmen der ENP eine zentrale Rolle ein. Nach Ansicht der Bundesregierung sollte das Engagement und die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Partnerlandes im Sinne der Umsetzung der vereinbarten Reformen für die Intensität der Zusammenarbeit ausschlaggebend sein. Nur so kann die ENP ihren Anspruch erfüllen, im Geist der Europäischen Sicherheitsstrategie einen "Ring von Freunden" im Osten und Süden der EU zu haben, der die grundlegenden Werte der EU teilt, in eine zunehmend engere Beziehung eingebunden wird und gekennzeichnet ist von politischer Stabilität sowie wirtschaftlicher Prosperität. Anlage 7 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Klaus Barthel (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 15): Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber dem vom Ratssekretariat und der EU-Kommission vorgelegten Optionenpapier zum weiteren Vorgehen der EU gegenüber Kuba, und wann wird der Deutsche Bundestag darüber im Einzelnen informiert? Zunächst ist klarzustellen, dass die EU-Kommission und das Ratssekretariat zwei unterschiedliche Optionen-papiere über die zukünftige Ausgestaltung der EU-Kuba-Beziehungen vorgelegt haben: Am 23. April 2010 eines mit insgesamt sechs Optionen; am 14. Oktober 2010 eines mit einer reduzierten Anzahl von drei Optionen. Letzteres bildete die Grundlage der Beratungen der Außenminister über Kuba im Rahmen des Rates für Auswärtige Beziehungen am 25. Oktober 2010. Im Ergebnis einigten sich die Außenminister auf einen Mittelweg: Der Gemeinsame Standpunkt der EU zu Kuba von 1996 gilt unverändert fort; er gibt den Rahmen für einen Reflexionsprozess in der EU über die Möglichkeiten der zukünftigen Gestaltung der EU-Kuba-Beziehungen. Die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Catherine Ashton, ist nun beauftragt, diesen Reflexionsprozess anzuführen. Dies entspricht der von der Bundesregierung vertretenen Linie, ergebnisoffen die Optionen einer Neuausrichtung der EU-Kuba-Beziehungen zu prüfen. Hierbei wird die Entwicklung Kubas in den letzten Monaten - insbesondere die teilweise Freilassung der politischen Gefangenen - ebenso eine Rolle spielen, wie die Fortschritte im Bereich Menschenrechte, die Kuba immer noch machen muss. Der Deutsche Bundestag wird im Rahmen der sich aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union ergebenden Berichtspflichten der Bundesregierung über die Beratungen des zuständigem Arbeitsgremiums der EU unterrichtet. Darüber hinaus wird die Bundesregierung den Bundestag weiterhin auf Wunsch umfassend über die deutsche Kubapolitik, einschließlich der EU-Kuba-Beziehungen, unterrichten. Anlage 8 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Klaus Barthel (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 16): Welche Voraussetzungen müssen nach Auffassung der Bundesregierung erfüllt sein, damit der Gemeinsame Standpunkt von 1996 aufgegeben oder verändert und ein bilaterales oder multilaterales Abkommen mit Kuba ausgehandelt werden kann? Die Achtung der Menschenrechte und die demokratische Entwicklung der Republik Kuba bleiben für die Bundesregierung vorrangige Ziele der Kubapolitik der EU. Der Gemeinsame Standpunkt von 1996 stellt die Grundsätze und Werte der Politik der EU gegenüber Kuba richtig dar. Die jüngsten Freilassungen politischer Gefangener, wenn auch erst von 39 der angekündigten 52 Inhaftierten von 2003, ist ein richtiger und von der EU seit langem geforderter Schritt. Zugleich sind noch immer viele politische Gefangene in Kuba inhaftiert, und die jetzt Freigelassenen wurden gezwungen, das Land zu verlassen. Eine Fortführung der Freilassungen und grundlegende Fortschritte im Menschenrechtsbereich ermöglichen eine Offenheit in der EU für ein Nachdenken über die zukünftige EU-Kuba-Politik. Mit dem Reflexionsprozess gibt die EU ein politisches Signal ihrer Bereitschaft, Fortschritte im Bereich der Menschenrechte in Rechnung zu stellen. Die Bundesregierung hält dies für eine angemessene Reaktion zum jetzigen Zeitpunkt. Anlage 9 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Frage 17): Was unternimmt die Bundesregierung derzeit konkret, um die Hinrichtung von Sakine Aschtiani in Iran zu verhindern, nachdem die Vollstreckung des Todesurteils für den 3. November 2010 angekündigt, aber dann erneut nicht vollzogen worden war, und welche Informationen hat sie über den Stand der juristischen Verfahren bzw. einer möglichen Urteilsvollstreckung gegen Sakine Aschtiani? Die Bundesregierung setzt sich seit Monaten intensiv für Frau Sakine Aschtiani ein. Nach Bekanntwerden einer möglicherweise am 3. November 2010 bevorstehenden Hinrichtung von Frau Aschtiani hat die Bundesregierung erneut umgehend mit der iranischen Regierung Kontakt aufgenommen, an ihre entsprechenden Interventionen in den vorangegangenen Wochen erinnert und ihre anhaltende Sorge über das Schicksal von Frau Aschtiani deutlich gemacht. Der Hinweis auf eine angeblich bevorstehende Hinrichtung war - wie schon in vorangegangenen Fällen - nicht durch iranische Stellen, sondern durch eine Menschenrechtsorganisation erfolgt. Bereits am 8. September 2010 hatte der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, an Iran appelliert, die gegen Frau Aschtiani verhängte Todesstrafe aufzuheben. Er unterstrich, dass dies keine Frage der Religion, sondern eine Frage der elementaren Menschenwürde sei. Auf dieser Grundlage wird der Fall Aschtiani regelmäßig bei offiziellen Kontakten mit der iranischen Seite thematisiert. So hat die Bundesregierung in den letzten Monaten und Wochen sowohl bilateral als auch gemeinsam mit ihren europäischen Partnern gegenüber der iranischen Seite mehrfach auf die Aussetzung dieser Hinrichtung und die generelle Abschaffung der Steinigungsstrafe im Besonderen und der Todesstrafe im Allgemeinen gedrängt. Die Interventionen haben auch zum Ziel, Aufklärung über Stand und Verlauf des Verfahrens gegen Frau Aschtiani zu erhalten. Die Bundesregierung setzt sich aktiv für die Einhaltung der Grundsätze eines fairen und transparenten Verfahrens ein. Auch die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Catherine Ashton, hat - in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der EU - Iran am 2. November 2010 erneut aufgerufen, das Todesurteil nicht zu vollstrecken. Sie rief dazu auf, die Todesstrafe in eine andere Strafform umzuwandeln. Die Bundesregierung wird sich weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass es tatsächlich nicht zu einer Hinrichtung kommt. Deutschland ist, wie auch seine EU-Partner, entschiedener Gegner aller Formen der Todesstrafe. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 18): Welche Ergebnisse hatte die im Rahmen des Vertrages über die Abwicklung urheberrechtlicher Ansprüche bis einschließlich 2009 eingesetzte Arbeitsgruppe zu den Ansprüchen aus § 52 b des Urheberrechtsgesetzes, UrhG, erbracht, und insbesondere welchen Vorschlag für die Abgeltung der Ansprüche nach § 52 b UrhG ab 2010 hat die Arbeitsgruppe unterbreitet? Bund und Länder auf der einen und die Verwertungsgesellschaften auf der anderen Seite schlossen 2009 einen pauschalen Abgeltungsvertrag für alle urheberrechtlichen Nutzungsgebühren von Bund und Ländern für die Zeit bis einschließlich 2009. Zur Abgeltung von Ansprüchen aus § 52 b des Urhebergesetzes wurde für 2008 und 2009 ein Festbetrag in Höhe von jeweils 100 000 Euro vereinbart. An einer Arbeitsgruppe, die die Tatsachengrundlage für einen Abgeltungsvertrag für die Zeit 2010 bis 2012 verhandelt, ist der Bund nicht beteiligt und verfügt dazu über keine Informationen. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Drucksache 17/3619, Frage 19): Welche ehemaligen Mitarbeiter von Bundessicherheitsdiensten wechselten seit Beginn des Jahres 2004 nach Kenntnis der Bundesregierung zu privaten Sicherheitsdienstleistern, die in Afghanistan tätig sind, und wie beabsichtigt die Bundesregierung nach den bisherigen Erfahrungen, wonach Regelungen für die Aufnahme von Tätigkeiten bei privaten Sicherheitsdienstleistern nicht eingehalten wurden, für die Zukunft sicherzustellen, dass ausscheidende Mitarbeiter auch tatsächlich die Regelungen einhalten? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse und damit keine entsprechenden Erfahrungen im Sinne der Anfrage über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor, die seit 2004 ausgeschieden und bei privaten Sicherheitsdiensten in Afghanistan beschäftigt sind. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Fragen des Abgeordneten Gustav Herzog (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 20 und 21): Welche Termine, die für Bundesministerinnen und Bundesminister im Jahr 2010 in Rheinland-Pfalz vorgesehen waren, konnten von diesen nicht persönlich wahrgenommen werden? Bei welchen dieser Termine ließen sich die betreffenden Bundesministerinnen und Bundesminister von wem jeweils vertreten? Die Mitglieder der Bundesregierung nehmen im Rahmen der Ausübung ihrer Ämter regelmäßig im gesamten Bundesgebiet Termine wahr. Dabei müssen sie sich bei terminlichen Veränderungen gegebenenfalls, teilweise auch kurzfristig, vertreten lassen. Gesonderte Aufstellungen hierzu werden nicht geführt. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Memet Kilic (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Frage 25): Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, eine Einwanderung nach einem Punktesystem einzuführen, und, wenn ja, dient ein Punktesystem aus einem bestimmten Staat als Vorbild? Innerhalb der Bundesregierung ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Das Thema Fachkräftemigration wird Gegenstand einer Sitzung des Koalitionsausschusses am 18. November 2010 sein. Die verschiedenen Ressorts werden hierbei ihre Vorstellungen vortragen und aufeinander abstimmen. Wie Sie Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundesregierung entnehmen können, gibt es gegen das angesprochene Verfahren einer Einwanderung nach dem Punktesystem Einwände. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Fragen des Abgeordneten Manfred Grund (CDU/CSU) (Drucksache 17/3619, Fragen 26 und 27): Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über die parallele Anwendung von deutschem Recht und islamischem Recht vor Gerichten in Deutschland (siehe Hamburger Morgenpost vom 11. Oktober 2010), und inwieweit kommt es durch die parallele Anwendung zu Besserstellungen von Klägern bzw. Beklagten mit islamischem Hintergrund gegenüber nichtmuslimischen Klägern bzw. Beklagten? Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über Mehrkosten, zum Beispiel im Bereich von Sozialleistungen und Transferzahlungen, durch Verfahren mit Klägern mit islamischem Hintergrund infolge einer parallelen Anwendung islamischen Rechts vor deutschen Gerichten? Zu Frage 26: Es trifft zu, dass die deutschen Gerichte in Sachverhalten mit Auslandsberührung im Einzelfall auch ausländisches Zivilrecht anwenden. Es existieren aber keine parallelen Rechtsordnungen in Deutschland. Rechtsgrundlage ist vielmehr allein das deutsche Recht, namentlich das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. In bestimmten Fällen ordnen die dortigen Vorschriften des Internationalen Privatrechts seit jeher die Anwendung ausländischen Rechts ausdrücklich an. Diese sogenannten Kollisionsnormen betreffen bestimmte Fälle mit Auslandsbezug, zum Beispiel im Familienrecht. Allerdings lässt das deutsche Recht die Anwendung ausländischen Rechts nicht schrankenlos zu. Dieses ist vielmehr dann nicht anwendbar, wenn es dem deutschen ordre public, das heißt fundamentalen Prinzipien unserer Rechtsordnung, widerspricht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Anwendung ausländischen Rechts gegen die Grundrechte verstößt. Auch andere Staaten sehen im Übrigen die Anwendung ausländischen Rechts vor. Dadurch soll vermieden werden, dass ein und derselbe Sachverhalt durch Gerichte unterschiedlicher Länder unterschiedlich beurteilt wird. Dies dient der Rechtssicherheit. Eine Besser- oder Schlechterstellung ist hiermit nicht verbunden. Zu Frage 27: Wie bereits im Zusammenhang mit Frage 26 erläutert, existiert in Deutschland keine parallele Rechtsordnung, die Mehrkosten im hier angesprochenen Sinne verursachen würde. Dementsprechend besitzt die Bundesregierung dazu auch keine Erkenntnisse. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Kirsten Lühmann (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 28): Hat das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, welches das Bundesministerium der Justiz mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt hat, um festzustellen, ob bzw. inwieweit durch das Aussetzen der Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Schutzlücke entstanden ist, dem Bundesministerium bereits Informationen dazu geliefert, und, wenn ja, wie bewertet das Bundesministerium den Inhalt? Das Bundesministerium der Justiz hat die rechtstatsächliche Untersuchung durch das Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht zu möglichen Schutzlücken durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung über das Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben. Das Max-Planck-Institut hat dem Bundesamt für Justiz einen Bericht übersandt, der im Wesentlichen nur Informationen auf der Basis von durchgeführten Interviews mit Angehörigen von Polizei, Justiz und Tele-kommunikationsunternehmen enthält. Es stehen jedoch insbesondere die beauftragten fallbezogenen empirischen Erhebungen durch das Max-Planck-Institut noch aus. Das Max-Planck-Institut arbeitet hieran mit Hochdruck. Aufgrund des derzeit noch unvollständigen Charakters der bisherigen Erkenntnisse ist eine belastbare Bewertung noch nicht möglich und konnte daher vom Bundesministerium der Justiz auch nicht vorgenommen werden. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 29): Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Pressemeldungen (Spiegel Online vom 3. November 2010), wonach der Insolvenzverwalter von Karstadt für seine Tätigkeit 32,3 Millionen Euro inklusive Mehrwertsteuer erhalten habe, auch vor dem Hintergrund einer realitätsgerechten Entlohnung in Relation zu den Angestellten bei Karstadt, und sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf, das Insolvenzrecht zu verändern, um derartige Entlohnungen auf ein realitätsgerechtes Maß zu beschränken? Die Bundesregierung hat keinen Einblick in die näheren Umstände der Vergütung im konkret genannten Verfahren und kann demzufolge auch nicht zum genannten Verfahren Stellung nehmen. Dies gilt umso mehr angesichts des laut Pressemitteilungen laufenden Beschwerdeverfahrens. Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass das geltende Recht eine angemessene Festsetzung und Überprüfung der Vergütung von Insolvenzverwaltern gewährleistet. Die Vergütung des Insolvenzverwalters wird gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung, InsVV, nach dem Wert der Insolvenzmasse berechnet. Dabei bestimmt sich die Regelvergütung in einem typisierten Normalverfahren nach § 2 InsVV. Dieser sieht bereits eine stark degressive Staffelung der Vergütung vor, um unangemessen hohe Vergütungen zu vermeiden. Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei der Verwaltervergütung nicht um eine reine Tätigkeitsvergütung handelt. Vielmehr stellt die nach der InsVV festgesetzte Vergütung betriebswirtschaftlich nichts anderes dar als den Umsatz einer kostenträchtigen Büroeinheit. Dabei muss bedacht werden, dass der Kostenanteil für Personal, Raum- und Sachkosten bei Rechtsanwälten im Durchschnitt zwischen 56 Prozent und 61 Prozent der Umsätze ausmacht. Im Bereich der professionellen Insolvenzverwaltung wird in der einschlägigen Literatur wegen der besonders hohen Qualitätsanforderung an die Mitarbeiter teilweise von einem Satz von annähernd 70 Prozent ausgegangen. Bei der Ausgestaltung der InsVV wollte der Verordnungsgeber im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben Maßstäbe für die Bemessung der jeweils geschuldeten Vergütung nach den Prinzipien der Angemessenheit und Vertretbarkeit festlegen. Dabei hatte er zu berücksichtigen, dass die besonderen Probleme einer Insolvenzsituation gerade in komplexen Fällen regelmäßig den Einsatz besonders qualifizierter Personen erfordern und dass von solchen Personen nur dann die Übernahme einer Funktion im Insolvenzverfahren erwartet werden kann, wenn eine Vergütung gewährt wird, die der Schwierigkeit der Tätigkeit und dem häufig großen Haftungsrisiko entspricht. Andererseits war sich der Verordnungsgeber der Verpflichtung bewusst, die Belastung der Insolvenzmasse mit Vergütungsansprüchen in Grenzen zu halten, damit die Insolvenzverfahren durchführbar bleiben und die Befriedigungsaussichten der Gläubiger nicht unzumutbar gemindert werden. Im Rahmen dieses Spannungsverhältnisses wurden die Vergütungssätze der InsVV festgelegt. Die Angemessenheit der vom Gericht festgesetzten Vergütung wird im Einzelfall überdies dadurch gewährleistet, dass dem Verwalter, dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die nach § 64 Absatz 3 InsO sofortige Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss zusteht. Abschließend müssen Sie berücksichtigen, dass eine erfolgreiche Sanierung, die ganz wesentlich von der Erfahrung und Qualifikation des Insolvenzverwalters abhängt, auch im Interesse der Arbeitnehmer liegt. Die Höhe der Insolvenzverwaltervergütung tut im Übrigen den Rechten der Arbeitnehmer keinen Abbruch. Ihrer Rechte sind in vielfacher Hinsicht im Insolvenzverfahren geschützt, so zum Beispiel durch den Anspruch auf Insolvenzgeld für die letzten drei Monate vor Verfahrenseröffnung. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 30): Plant die Bundesregierung infolge der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, BFH, vom 14. Juli 2010 zur Aufteilung bzw. Verrechnung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes, nun entgegen der bisherigen Verwaltungsanweisung nach H 16 (13) der Einkommensteuer-Hinweise 2009 bzw. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Dezember 2005 das Meistbegünstigungsprinzip umzusetzen, und können Steuerpflichtige bis zur Verkündung des Jahressteuergesetzes 2010 auf das BFH-Urteil vom 15. Juni 2010, VIII R 33/07, vertrauen, sodass im Zuge der formellen Bestandskraft gegenüber den Finanzämtern entsprechende Zinsen nach § 233 a der Abgabenordnung steuerfrei zu stellen sind? Das BFH-Urteil vom 14. Juli 2010, X R 61/08, wird in Kürze auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Finanzen sowie im Bundessteuerblatt unkommentiert veröffentlicht. Es ist nicht beabsichtigt, zu diesem Urteil ein Nichtanwendungsschreiben zu veröffentlichen, sodass das Urteil ab dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung auf den Internetseiten auf alle noch offenen Fälle allgemein anzuwenden ist. Die bisher in H 16(13) Teileinkünfteverfahren EStH und dem BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2005 (BStBl 2006 I Seite 7) dargelegte anderslautende Verwaltungsauffassung wird durch die Veröffentlichung des Urteils aufgegeben. H 16(13) EStH wird bei nächster Gelegenheit entsprechend angepasst. Zu Ihrer Frage, ob Steuerpflichtige bis zur Verkündung des JStG 2010 auf das BFH-Urteil vom 15. Juni 2010, XIII R33/07, vertrauen können, sodass im Zuge der formellen Bestandskraft gegenüber den Finanzämter entsprechende Zinsen nach § 233 a AO steuerfrei zu stellen sind, weise ich zunächst darauf hin, dass die Finanzämter die Zinsen weiterhin steuerpflichtig behandeln. Dementsprechend kann es grundsätzlich keine formell bestandskräftigen - also unanfechtbaren - Bescheide geben, bei denen Erstattungszinsen steuerfrei gestellt wurden. Dass die Finanzämter das Urteil des BFH nicht berücksichtigen, beruht auf der Tatsache, dass die in einem finanzgerichtlichen Verfahren ergangenen und rechtskräftig gewordenen Urteile nur die am Rechtsstreit Beteiligten binden. Dies gilt auch für Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, die somit - im Gegensatz zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - keine allgemeinverbindliche Wirkung haben. Das Bundesverfassungsgericht hat erst jüngst in seinem Beschluss vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, in einer vergleichbaren Situation betont, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht Gesetzesrecht ist und keine damit vergleichbare Rechtsbindung erzeugen kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsbindung können die Steuerpflichtigen auch nicht auf das Urteil vertrauen, denn schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage kann aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen, die hier aufgrund der überraschenden Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht existierte. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 31): Wie vereinbaren sich die Ankündigungen der schwarz-gelben Koalition in ihrem Koalitionsvertrag, den Tourismusstandort Deutschland zu stärken und zusätzliche Wachstumspotenziale der Tourismuswirtschaft als Jobmotor der Zukunft freizusetzen sowie Wettbewerbsverzerrungen und Bürokratiebelastungen so weit wie möglich zu reduzieren, mit den in der Realität durch die Luftverkehrsteuer von großen Reiseveranstaltern angekündigten deutlichen Preissteigerungen für Flugreisen über den neuen Steuertarif hinaus und den Ankündigungen mehrerer Fluggesellschaften, Flugverbindungen zu streichen? Auf die Angebotsgestaltung der Reiseveranstalter und Fluggesellschaften hat die Bundesregierung keinen Einfluss. Die Bundesregierung hat jedoch bei der Ausgestaltung der Luftverkehrsteuer darauf geachtet, dass die Steuerbelastung moderat bleibt, die Steuer zügig evaluiert wird (30. Juni 2012) und die Bürokratiekosten durch die einfache Ausgestaltung minimiert werden. Belange der mittelständischen Tourismuswirtschaft werden im Rahmen der Steuerbefreiungen, zum Beispiel für Rundflüge und Inselluftverkehr, berücksichtigt. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 32): Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass im Themenjahr 2011 "Gesundheitstourismus in Deutschland" tatsächlich flächendeckend die komplette Breite des gesundheitstouristischen Angebotes kommuniziert wird, und welche Schwerpunkte werden dabei gesetzt? Der Koalitionsvertrag sieht die Stärkung des Tourismusstandortes Deutschland vor. Gesundheitstourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Er ist deshalb auch Bestandteil des tourismuspolitischen Arbeitsprogramms für die laufende Legislaturperiode. Die Deutsche Zentrale für Tourismus, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie institutionell gefördert wird, stellt das Thema "Wellness- und Gesundheitsreisen in Deutschland" im Jahr 2011 in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Damit soll Deutschland gezielt im Ausland als Reiseziel für Gesundheitsurlaub und Wellness positioniert werden. Die Grundlage der Vermarktung der gesundheitstouristischen Angebote bildet ein zwischen der Deutschen Zentrale für Tourismus und dem Deutschen Heilbäderverband vereinbarter Kooperationsvertrag. Daneben fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie das Projekt "Innovativer Gesundheitstourismus in Deutschland". In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tourismusverband sollen damit gezielt innovative, marktgerechte und nachhaltige gesundheitstouristische Angebote geschaffen werden. Die Ergebnisse werden am 14. April 2011 auf einem Gesundheitstourismuskongress im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorgestellt. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Fragen der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 33 und 34): Wie definiert die Bundesregierung "Gesundheitstourismus" als neue touristische Erscheinungsform, und wie plant die Bundesregierung die bestehenden Heilbäder und Kurorte, die mit mehr als 30 Prozent Anteil an den Übernachtungen ein wesentlicher Faktor des Deutschlandtourismus sind, in der notwendigen Verbesserung ihrer Infrastruktur zu unterstützen, damit sie diesem neuen Tourismustrend entsprechende Angebote bieten können? Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den steigenden Anteil der Nutzung ausländischer gesundheitstouristischer Angebote, und wie hoch ist der Anteil der Kosten, die die gesetzlichen Krankenkassen für Mitglieder, die diese Auslandsangebote wahrnehmen, aufwenden müssen? Zu Frage 33: Der Koalitionsvertrag sieht die Stärkung des Tourismusstandortes Deutschland vor. Gesundheitstourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Er ist deshalb auch Bestandteil des tourismuspolitischen Arbeitsprogramms für die laufende Legislaturperiode. Im Zentrum des Gesundheitstourismus stehen die Kur- und Heilbäder. Die Deutsche Zentrale für Tourismus hat deshalb mit Blick auf das Jahr des Gesundheitstourismus einen Kooperationsvertrag mit dem Deutschen Heilbäderverband geschlossen. Er verpflichtet die Deutsche Zentrale für Tourismus insbesondere zu einem stärkeren Auslandsmarketing der deutschen Kur- und Heilbäder. Daneben fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie das Projekt Innovativer Gesundheitstourismus in Deutschland. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tourismusverband sollen damit gezielt innovative, marktgerechte und nachhaltige gesundheitstouristische Angebote geschaffen werden. Die Ergebnisse werden am 14. April 2011 auf einem Gesundheitstourismuskongress im BMWi vorgestellt. Zu Frage 34: Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. In den Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Leistungen im Ausland nicht nach Leistungsarten getrennt erfasst. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Andrea Nahles (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 35): Nach welchen nachweisbaren Qualitätsparametern wurden - über die jeweiligen landesrechtlichen Prädikatisierungen als Heilbad, Kurort etc. hinaus - die diversen im Themenjahr 2011 - Gesundheitstourismus - zu kommunizierenden Leistungserbringer ausgewählt? Die Deutsche Zentrale für Tourismus, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie institutionell gefördert wird, stellt das Thema "Wellness- und Gesundheitsreisen in Deutschland" im Jahr 2011 in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Damit soll Deutschland gezielt im Ausland als Reiseziel für Gesundheitsurlaub und Wellness positioniert werden. Die Grundlage der Vermarktung der gesundheitstouristischen Angebote bildet ein zwischen der Deutschen Zentrale für Tourismus und dem Deutschen Heilbäderverband vereinbarter Kooperationsvertrag. Von einem Expertenkreis des Deutschen Heilbäderverbandes wurden dazu in Abstimmung mit den Landesverbänden jeweils "Leuchttürme" für die einzelnen Bereiche der Kurorte und Heilbäder ermittelt. Die Bewertung erfolgte dabei anhand folgender Kriterien: 1. Die Heilmittel müssen im Rahmen eines umfassenden kurärztlichen Therapiekonzeptes eingesetzt werden. 2. Die Anzahl der Ausländerübernachtungen und die Grundinfrastruktur im Tourismus muss angemessen sein. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Fragen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/3619, Fragen 36 und 37): Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben 1990, 2000 und 2009 von ihrem Arbeitgeber Weihnachtsgeld bzw. äquivalente Zahlungen erhalten - bitte absolute und relative Zahlen nennen -, und in welcher durchschnittlichen Höhe wurde dieses - bitte neben der absoluten Zahl auch die relative Höhe zum Monatseinkommen nennen und, wenn möglich, beide Teilfragen nach Branchen beantworten - ausgezahlt? Wie unterscheidet sich die Auszahlung des Weihnachtsgeldes nach den Wirtschaftsbereichen mit Tarifbindung bzw. ohne Tarifbindung, und in welchem Ausmaß sind Beschäftigte in Leiharbeit, geringfügiger Beschäftigung, in befristeter Beschäftigung und Teilzeitbeschäftigung bei der Zahlung von Weihnachtsgeld bzw. äquivalenten Zahlungen schlechter gestellt (bitte konkrete Zahlen nennen)? Zu Frage 36: Die amtliche Statistik der Verdienste und Arbeitskosten sieht keine separate Statistik über Weihnachtsgeld vor. Entsprechend internationalen Standards werden Statistiken über Sonderzahlungen erstellt. Sonderzahlungen sind gleichzusetzen mit den "sonstigen Bezüge" gemäß Lohnsteuerrichtlinien. Dies sind unregelmäßige, nicht jeden Monat geleistete Zahlungen, wie Urlaubs-, Weihnachtsgeld, Leistungsprämien, Abfindungen, Gewinnbeteiligungen, Prämien für Verbesserungsvorschläge, Vergütungen für Erfindungen oder der steuerliche Wert - geldwerte Vorteil - von Aktienoptionen. Nachzahlungen laufenden Arbeitslohns, zum Beispiel aufgrund von Tariferhöhungen, zählen ebenfalls zu den Sonderzahlungen. Weihnachtsgeld ist somit nur ein nicht näher bezifferbarer Bestandteil der Sonderzahlungen. Bezüglich der Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Sonderzahlungen liegen allein Angaben zur Situation im Jahr 2006 vor. In diesem Jahr hatten 89,6 Prozent aller ganzjährig Vollzeitbeschäftigten im Laufe des Jahres mindestens eine Sonderzahlung erhalten. Verlässliche absolute Zahlen liegen nicht vor. Gleichartige Zahlen für andere Beschäftigtengruppen sowie eine Aufgliederung nach Branchen sind nicht vorrätig. Bezüglich der durchschnittlichen Höhe der Sonderzahlungen je Beschäftigten liegen Angaben aus dem 4. Quartal 2009 vor. Für Vollzeitarbeitnehmerinnen und Vollzeitarbeitnehmer im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich betrugen im Durchschnitt die "Sonderzahlungen insgesamt im 4. Quartal 2009" 1 756 Euro. Damit beläuft sich der Anteil der Sonderzahlungen insgesamt am Bruttomonatsverdienst auf 46,7 Prozent. Den Tabellen des Statistischen Bundesamtes, die dem Ministerium vorliegen, kann für das Jahr 2009 der Gesamtbetrag der drei Monate Oktober, November und Dezember nach Branchen aufgegliedert entnommen werden. Angaben für die Jahre 2000 und 1990 liegen nicht vor. Zu Frage 37: Im 4. Quartal 2009 wurden für Vollzeitbeschäftigte in Betrieben mit Bezahlung nach Tarifvertrag Sonderzahlungen in Höhe von 16,5 Prozent der Bruttoverdienstsumme der drei Monate des Quartals geleistet, in Betrieben ohne Bezahlung nach Tarifvertrag in Höhe von 14,7 Prozent. Für Teilzeitbeschäftigte mit Tarifbindung betrug dieser Anteil 17,2 Prozent und für Teilzeitbeschäftigte ohne Tarifbindung 14,1 Prozent, siehe Tabel-le 2. Im 4. Quartal 2009 wurden für Vollzeitbeschäftigte Sonderzahlungen in Höhe von 15,6 Prozent der Bruttoverdienstsumme der drei Monate des Quartals geleistet, Tabelle 1. Für Teilzeitbeschäftigte fiel dieser Anteil mit 15,7 Prozent fast identisch aus, Tabelle 1. Für Vollzeitbeschäftigte von Zeitarbeitsfirmen betrug der Anteil der Sonderzahlungen 6,6 Prozent, Tabelle 3. Für geringfügig Beschäftigte und befristet Beschäftigte liegen keine Angaben vor. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Fragen des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 38 und 39): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus ihren entsprechenden Feststellungen in der Evaluierung zum erweiterten Bürgschaftsprogramm der Bürgschaftsbanken, dass für die Weiterentwicklung des Bürgschaftsprogramms geprüft werden müsse, welche Elemente auch über das Jahr 2010 hinaus fortgeführt und gegebenenfalls in das reguläre Angebot der Bürgschaftsbanken übernommen werden können? Wie wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang im Hinblick auf eine Verlängerung der Regelungen zur Eigenkompetenz, zum Bürgschaftshöchstbetrag und zur Sollobergrenze für Betriebsmittelanteile verfahren, und wird das in diesem Jahr eingeführte Kombiprodukt der Bürgschaftsbanken und der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaften weitergeführt? Basierend auf einer im Frühjahr erfolgten Evaluierung, Onlinebefragung von Kreditinstituten und Kammern) hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, wie von Herrn Bundesminister Brüderle zugesagt, geprüft, ob die Übernahme einzelner Elemente des krisenbedingt erweiterten Programms der Bürgschaftsbanken in das reguläre Bürgschaftsprogramm sinnvoll ist. Im Ergebnis ist festzustellen, dass einzelne Maßnahmen positiv bewertet werden, jedoch die dauerhafte Übernahme einzelner Erweiterungselemente zu Mehrkosten für die öffentliche Hand führen würde. Die Ressortabstimmung darüber, ob angesichts der Konjunkturerholung Elemente aus dem krisenbedingt erweiterten Bürgschaftsprogramm - befristete zusätzliche Risikoübernahme des Bundes - in das reguläre Programm übernommen werden sollen oder nicht, dauert gegenwärtig noch an. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3619, Frage 40): Welchen konkreten Inhalt hat das derzeit sich in Vorbereitung befindliche Regierungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Russland für die bestrahlten Forschungsreaktor-Brennelemente aus dem Zwischenlager Ahaus in das russische Majak, und was hat die Bundesregierung konkret unternommen, sich über den Zustand und die Sicherheit der Plutoniumfabrik Majak zu überzeugen? Der Forschungsreaktor Rossendorf und sein Kernbrennstoff wurden aus der ehemaligen Sowjetunion geliefert. Die USA und die Russische Föderation haben in den vergangenen Jahrzehnten hoch angereichertes Uran in zahlreiche Länder geliefert. Die USA haben im Jahr 1996 ein nationales sowie im Jahr 2004 zusammen mit der Russischen Föderation ein bilaterales Programm, das sogenannte Russian Research Reactor Fuel Return (RRRFR)-Programm initiiert, um das hoch angereicherte Uran zurückzunehmen. Das derzeit sich in Vorbereitung befindliche Regierungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation über die Zusammenarbeit bei der Einfuhr von bestrahltem Kernbrennstoff aus dem Forschungsreaktor Rossendorf, dessen Kernbrennstoff sich derzeit im Zwischenlager Ahaus befindet, in die Russische Föderation regelt folgende Sachverhalte: Gegenstand des Abkommens ist die Rückführung von bestrahltem Kernbrennstoff aus der Bundesrepublik in die Russische Föderation, um diesen dort zwischenzulagern und später aufzuarbeiten und die bei der Aufarbeitung entstehenden radioaktiven Abfälle in der Russischen Föderation zu belassen. Hierzu werden eine Reihe von organisatorischen Fragen geregelt, wie zum Beispiel Zuständigkeiten, formale Anforderungen, Kostenfragen und Begriffsbestimmungen. Es werden die rechtlichen Grundlagen bestimmt sowie Haftungsfragen, Fragen des physischen Schutzes, des Verbots der Verwendungen des Kernmaterials für militärische Zwecke, des Schutzes an geistigem Eigentum sowie der Geheimhaltung geregelt. Die Russische Föderation ist Vertragsstaat des Gemeinsamen Übereinkommens über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle und hat in der letzten Überprüfungskonferenz im Mai 2009 über die Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit bestrahlten Brennelementen und radioaktiven Abfällen berichtet. Im Rahmen dieser Überprüfungskonferenz wurde auch die Rückführung von bestrahlten Brennelementen aus hoch angereichertem Uran als "gute Praxis" identifiziert. Darüber hinaus wurde im Laufe der Verhandlungen zum Deutsch-Russischen Abkommen von der russischen Seite dargelegt und seitens der USA und der Internationalen Atomenergie-Organisation bestätigt, dass in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Sicherheit und der Sicherung am Standort Majak unternommen wurden. Darüber hinaus soll ein Teil der Einnahmen aus dem RRRFR-Program auch in die weitere Sanierung des Standorts Majak fließen. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3619, Frage 41): Welche konkreten Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf vom 14. Juli 2010 beim CCS-Gesetz beabsichtigt die Bundesregierung vorzunehmen, und wann wird das CCS-Gesetz im Bundeskabinett verabschiedet? Die Ressortabstimmung zum überarbeiteten CCS-Gesetzentwurf läuft derzeit noch. Die konkreten Änderungen sind von dieser Abstimmung abhängig. Eine Kabinettbefassung soll noch im November erfolgen. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 42): Welche Planungen trifft die Bundesregierung für den Fall, dass bis zum 1. Januar 2011 keine verfassungskonforme Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Bemessung der Regelsätze und zur sozialen und kulturellen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen erfolgen kann? Die Bundesregierung hat mit der Neubemessung der Regelbedarfe und der Erstellung des Regierungsentwurfs die Vorarbeiten abgeschlossen, die notwendig sind, damit Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Neuermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch rechtzeitig vor dem 1. Januar 2011 verabschieden können. Da die Bundesregierung derzeit von einer rechtzeitigen Verabschiedung des Gesetzes ausgeht, sind weitere Planungen der Bundesregierung nicht erforderlich. Da nach der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts die Regelbedarfe insbesondere für Kinder bis spätestens 1. Januar 2011, notfalls rückwirkend in Kraft zu setzen wären, sieht der Gesetzentwurf als Tag des Inkrafttretens den 1. Januar 2011 vor. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 43): In welcher Höhe sollen die Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, SGB II und SGB XII, im Falle einer Nichtumsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum 1. Januar 2011 Regelleistungen erhalten, und wie soll dies verwaltungstechnisch bei den unterschiedlichen Trägern dieser Leistung umgesetzt werden? Die Bundesregierung geht von einer fristgerechten Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus. Das Urteil selbst sieht vor, dass die Regelbedarfe, insbesondere für Kinder und Jugendliche, bis spätestens 1. Januar 2011 in Kraft zu setzen sind. Notfalls, das heißt im Falle einer späteren Verabschiedung des Gesetzes, ist die Neuregelung rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft zu setzen. Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind jetzt aufgefordert, die notwendigen verwaltungsseitigen Vorkehrungen zu treffen, damit sie zum 1. Januar 2011 das bis dahin vom Parlament zu beschließende Gesetz auch umsetzen können. Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende bereiten sich darauf vor, dass sie spätestens zum 1. Januar 2011 in der Lage sein müssen, Bewilligungsbescheide an die nach Verabschiedung des Gesetzes geänderte Rechtslage anzupassen und daran angepasste Auszahlungsbeträge zur Zahlung anzuweisen. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 44): In welcher Form und Höhe sollen die beabsichtigten Leistungen nach § 28 SGB II und § 34 SGB XII - jeweils in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - erbracht werden? Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Leistungen nach § 28 SGB II bzw. § 34 SGB XII entweder durch personalisierte Gutscheine oder in Form von Kostenübernahmeerklärungen erbracht werden. Das heißt vereinfacht, dass für leistungsberechtigte Kinder und Jugendliche ein Zahlungsversprechen gegenüber dem Leistungsanbieter abgegeben wird. Damit das Zahlungsversprechen geltend gemacht werden kann, erhält der Leistungsanbieter einen Zahlungsanspruch gegenüber dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Direkt als Geldleistung wird nur die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in Höhe von 30 Euro zum 1. Februar und in Höhe von 70 Euro zum 1. August geleistet. Anders als bei den neu geregelten Leistungen für eintägige Schulausflüge, liegt die Entscheidung, ob Träger die Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten weiterhin als Geldleistung oder künftig mittels Gutschein oder Kostenübernahmeerklärung erbringen, in ihrem Ermessen. Die Höhe der jeweiligen Leistungen ist nur für die Ausstattung mit persönlichem Bedarf und die Leistungen für soziale Teilhabe (10 Euro monatlich) betragsmäßig begrenzt. Bei den übrigen Teilhabeleistungen hängt der hinter dem Zahlungsversprechen stehende Wert sowohl von den Vergütungsvereinbarungen, als auch vom individuell festgestellten Bedarf (zum Beispiel Umfang der erforderlichen Lernförderung) oder vom Preis des Schulmittagessens ab. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Fragen 45 und 46): Stimmt die Bundesregierung der Stellungnahme der Tarifpartner in der Weiterbildung vom 27. Oktober 2010 zu, dass das öffentliche Interesse an einer Allgemeinverbindlicherklärung vorrangig anhand der in § 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, AEntG, festgelegten Gesetzesziele "Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen", "die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen" sowie die "Stabilisierung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse" und nicht anhand der Repräsentativität zu ermitteln ist, und hält die Bundesregierung es für angemessen, dass diese in den einschlägigen Urteilen als "Lohndrückerei" und "Schmutzkonkurrenz" bezeichneten Erscheinungen der Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse entgegenwirken? Wie begründet die Bundesregierung die Abweichung ihrer aktuellen Einschätzung der Repräsentativität des Mindestlohnes in der Weiterbildung - in der Stellungnahme der Bundesregierung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages vom 6. Oktober 2010 ist von einer Tarifbindung von nur 25 Prozent die Rede - von der 2008 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegten Einschätzung im Kontext der Aufnahme der Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, welche von einer "Tarifbindung für die Branche von wenigstens rund 70 Prozent (15 700/22 500) und höchstens rund 78 Prozent (15 700/ 20 200)" ausgeht und sich somit mit der Einschätzung der Tarifparteien deckt? Zu Frage 45: Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, AEntG, in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Tarifvertragsgesetz, TVG, prüft der Verordnungsgeber, ob eine gemeinsam von den Tarifvertragsparteien beantragte Erstreckung eines Mindestlohn-Tarifvertrags auf alle in seinen Geltungsbereich fallenden und nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Wird ein Tarifvertrag durch eine Verordnung nach dem AEntG allgemein verbindlich, so geht er arbeitsvertraglich und tarifvertraglich vereinbarten ungünstigeren Arbeitsbedingungen vor. Der damit verbundene Eingriff in die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit und Tarifautonomie ist gerechtfertigt, wenn er zum Schutze der im AEntG genannten im öffentlichen Interesse liegenden Regelungsziele sowie der im AEntG angelegten weiteren Entscheidungskriterien erfolgt und verhältnismäßig ist. Dies hat der Gesetzgeber bereits in der Gesetzesbegründung zum AEntG klargestellt, Bundestagsdrucksache 16/10486, Seite 13. Die Verdrängung anderer Tarifverträge im Geltungsbereich eines Mindestlohn-Tarifvertrags ist nur verhältnismäßig, wenn der Tarifvertrag ein Mindestmaß an Repräsentativität und damit Legitimation aufweist. Zu Frage 46: Die Tarifbindung in einer Branche als Voraussetzung für deren Aufnahme in das AEntG und die Tarifbindung als Voraussetzung für die Erstreckung eines konkreten Mindestlohn-Tarifvertrages auf die nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Rechtsverordnung nach dem AEntG sind voneinander zu unterscheiden. Für die Aufnahme einer Branche in das AEntG im Jahr 2008 kam es nach den damaligen politischen Absprachen darauf an, dass in dieser Branche eine Tarifbindung von mehr als 50 Prozent nachgewiesen werden konnte. Zur Ermittlung der Tarifbindung zur Branchenaufnahme in das AEntG wurden alle geltenden Tarifverträge in der Branche - ohne Unterschied, ob es sich um Verbands- oder Firmentarifverträge handelt - einbezogen. Auf der Grundlage dieser Berechnung wurde für die Branche Aus- und Weiterbildung eine Tarifbindung von rund 70 Prozent ermittelt. Demgegenüber kommt es bei der Prüfung eines Antrages auf Allgemeinverbindlicherklärung eines konkreten Mindestlohn-Tarifvertrages in einer Branche nach dem AEntG darauf an, ob dieser konkrete Mindestlohn-Tarifvertrag eine ausreichend hohe Repräsentativität aufweist. Eine Repräsentativität von nur 25 Prozent reicht dafür jedenfalls nicht aus. Deshalb war der Antrag der Tarifvertragsparteien auf Allgemeinverbindlicherklärung des Mindestlohn-Tarifvertrages in der Aus- und Weiterbildung vom Mai 2009 abzulehnen. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3619, Frage 47): Wird die Bundesregierung auch in Zukunft bei ihrer Auslegung des öffentlichen Interesses bleiben und bisher dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz fremde Kriterien wie die Tarifbindung bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses heranziehen? Die Tarifbindung war und ist kein dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AentG, fremdes Kriterium bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses. Wird ein Tarifvertrag durch eine Verordnung nach dem AEntG allgemein verbindlich, so geht er arbeitsvertraglich und tarifvertraglich vereinbarten ungünstigeren Arbeitsbedingungen vor. Der damit verbundene Eingriff in die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit und Tarifautonomie ist gerechtfertigt, wenn er zum Schutz der im AEntG genannten, im öffentlichen Interesse liegenden Regelungsziele sowie der im AEntG angelegten weiteren Entscheidungskriterien erfolgt und verhältnismäßig ist. Dies hat der Gesetzgeber bereits in der Gesetzesbegründung zum AEntG klargestellt (Bundestagsdrucksache 16/10486, Seite 13). Die Verdrängung anderer Tarifverträge im Geltungsbereich eines Mindestlohn-Tarifvertrags ist nur verhältnismäßig, wenn der Tarifvertrag ein Mindestmaß an Repräsentativität und damit Legitimation aufweist. Die Tarifbindung ist ein wesentlicher Gradmesser für die Repräsentativität eines Tarifvertrags. § 7 Abs. 2 AEntG stellt ausdrücklich auf das Kriterium der Repräsentativität ab. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Drucksache 17/3619, Frage 48): Welche durchschnittlichen Stundenentgelte werden in der Weiterbildungsbranche im Rahmen des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch gezahlt, und wie hoch sind die Entgelte bei Weiterbildungsdienstleistungen in der Privatwirtschaft, außerhalb des Einflussbereichs der Bundesagentur für Arbeit? Die durchschnittlichen Stundenentgelte in der Weiterbildungsbranche sind der Bundesregierung nicht bekannt. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Drucksache 17/3619, Fragen 49 und 50): Ist für die Weiterführung des Verfahrens zur Verordnung eines Mindestlohns für die Weiterbildungsbranche zwingend ein von den Tarifparteien der Weiterbildungsbranche neu gestellter Antrag nötig, oder könnte die Bundesregierung theoretisch dem bereits gestellten Antrag nach reichlicher Überlegung stattgeben und den Mindestlohntarifvertrag für alle Beschäftigten der Branche verbindlich erklären? Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es auf dem von der Bundesagentur für Arbeit gesteuerten Weiterbildungsmarkt im Rechtskreis des Zweiten und Dritten Buches Sozialgesetzbuch Dumpingkonkurrenz gibt und deswegen ein Mindestlohn rein inhaltlich sinnvoll bzw. notwendig ist? Zu Frage 49: Mit seiner Entscheidung hat das BMAS den Antrag der Tarifvertragsparteien der Weiterbildungsbranche auf Allgemeinverbindlicherklärung des Mindestlohn-Tarifvertrages vom Mai 2009 endgültig abgelehnt. Daher kann der Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche nur auf der Grundlage eines neuen Antrages der Tarifvertragsparteien mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgt werden. Zu Frage 50: Die Bundesregierung bekennt sich zur Tarifautonomie. Die Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Der Gesetzgeber hat in der Branche der Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch die Möglichkeit geschaffen, Tarifverträge, die Mindestentgelte regeln, nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemein verbindlich zu erklären. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Yvonne Ploetz (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 51): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie, deren Erhaltung das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 44, 322 (325, 342)) Verfassungsrang zuerkennt, durch Tarifflucht und Ausgründungen untergraben wird, wenn das Abweichen von tariflichen Standards durch die staatliche Vergabepraxis faktisch erzwungen wird, wenn die Arbeitgeber durch die Preisentwicklung faktisch gezwungen werden, den tarifgebundenen Verband zu verlassen und die Tarifparteien den Arbeitsmarkt folglich nicht mehr hinreichend durch Tarifverträge regulieren können? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Tarifautonomie ein hohes Gut ist. Sie dient insbesondere der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens. Das Vergaberecht dient dem wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen Hand unter wettbewerblichen Bedingungen und der sparsamen Verwendung von Steuergeldern, wobei der vergaberechtliche Wirtschaftlichkeitsbegriff die Berücksichtigung weiterer Aspekte - insbesondere sozialer, umweltbezogener und innovativer Kriterien - ermöglicht. Öffentliche Auftraggeber können für die Auftragsausführung zusätzliche soziale Anforderungen an den Auftragnehmer stellen, wenn diese im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen. Im Rahmen ihrer Finanzverantwortung entscheiden öffentliche Auftraggeber grundsätzlich frei darüber, welche Leistungen sie einkaufen, und können so nach ihren konkreten Bedürfnissen öffentliche Ausschreibungen gestalten. Aufträge dürfen nur an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben werden. Den Zuschlag erhält das wirtschaftlichste Angebot, sodass neben dem Preis grundsätzlich auch andere durch den Leistungsgegenstand gerechtfertigte Kriterien wie zum Beispiel Qualität, Zweckmäßigkeit oder Umwelteigenschaften eine Rolle spielen können. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Yvonne Ploetz (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 52): Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung der Tarifpartner in der Weiterbildung vom 27. Oktober 2010, dass die Repräsentativität nach dem Wortlaut des Gesetzes nur ergänzend zu den in § 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes genannten Gesetzeszielen in eine Gesamtabwägung einzubeziehen ist? Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass der Verordnungsgeber im Rahmen der nach § 7 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, AentG, in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Tarifvertragsgesetzes erforderlichen Prüfung des öffentlichen Interesses eine Abwägung der durch einen Verordnungserlass betroffenen Interessen vorzunehmen hat. Wird ein Tarifvertrag durch eine Verordnung nach dem AEntG allgemein verbindlich, so geht er arbeitsvertraglich und tarifvertraglich vereinbarten ungünstigeren Arbeitsbedingungen vor. Der damit verbundene Eingriff in die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit und Tarifautonomie ist gerechtfertigt, wenn er zum Schutze der im AEntG genannten, im öffentlichen Interesse liegenden Regelungsziele sowie der im AEntG angelegten weiteren Entscheidungskriterien erfolgt und verhältnismäßig ist. Dies hat der Gesetzgeber bereits in der Gesetzesbegründung zum AEntG klargestellt (Bundestagsdrucksache 16/10486, Seite 13). Die Verdrängung anderer Tarifverträge im Geltungsbereich eines Mindestlohntarifvertrags ist nur verhältnismäßig, wenn der Tarifvertrag ein Mindestmaß an Repräsentativität und damit Legitimation aufweist. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Agnes Alpers (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Fragen 53 und 54): Wie beurteilt die Bundesregierung eine Allgemeinverbindlicherklärung des Mindestlohns in der Weiterbildung entsprechend den in § 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes festgelegten Gesetzeszielen? Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung der Tarifpartner in der Weiterbildung vom 27. Oktober 2010, dass der Mindestlohn-Tarifvertrag der Weiterbildungsbranche - als erster Tarifvertrag, der mit einem Geltungsbereich für die gesamte Branche abgeschlossen wurde, der 25 Prozent der bei Trägern der beruflichen Bildung beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt erfasst sowie der über bestehende Haustarifverträge, die die Mindestbedingungen des abgeschlossenen Mindestlohn-Tarifvertrages durchweg nicht unterschreiten, indirekt eine Tarifbindung für die Branche von rund 70 Prozent ergibt - repräsentativ für die Branche ist? Zu Frage 53: Die Weiterbildungsbranche ist eine der Branchen, die nach den im Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AentG, definierten Anforderungen einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit eines Mindestlohn-Tarifvertrags stellen kann. Die Beurteilung eines Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung entsprechend den Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, AentG, kann nur im jeweiligen Einzelfall vorgenommen werden. Zu Frage 54: Nach Auffassung der Bundesregierung bemisst sich die Repräsentativität eines Tarifvertrags maßgeblich nach seiner Tarifbindung. § 7 Abs. 2 Satz 2 AEntG stellt zur Feststellung der Repräsentativität eines Tarifvertrags insbesondere auf die Zahl der von den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab. Im Rahmen des Verordnungsverfahrens nach dem AEntG ist nicht eine Tarifbindung von 50 Prozent zu fordern wie bei der Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz. Auch nach dem AEntG kann ein Tarifvertrag aber nur für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn er ein Mindestmaß an Repräsentativität aufweist. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 55): Welche zusätzlichen Fördermöglichkeiten plant die Bundesregierung für Migrantinnen und Migranten (siehe Frage 88) in Anpassungs- und Nachqualifizierungsmaßnahmen, insbesondere wenn sie Transferleistungsempfänger (Zweites oder Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch) oder Geringverdiener sind? Die im SGB III und SGB II vorgesehenen Instrumente der Weiterbildungsförderung bieten bereits jetzt Möglichkeiten, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die für die Anerkennung erforderliche Nach- und Anpassungsqualifizierung durch Übernahme der Weiterbildungskosten sowohl bei Arbeitslosen als auch bei Beschäftigten ohne bzw. ohne anerkannten Be-rufsabschluss zu fördern, §§ 77 ff. SGB III und § 235 c SGB III. Geprüft wird vonseiten des Bundes, ob und in welcher Form sonstige Instrumente der Weiterbildungsförderung, so die Studienkredite der KfW, gegebenenfalls entsprechend anzupassen und weiterzuentwickeln sind, um die Unterhaltssicherung während der Teilnahme an Maßnahmen der Anpassungs- und Nachqualifizierung zu ermöglichen. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Christel Humme (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 56): Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung mittlerweile ergriffen bzw. welche plant sie zu ergreifen, sodass von Jobcentern und Agenturen für Arbeit nicht in eine Beschäftigung mit einer sittenwidrigen Entlohnung bzw. eine Entlohnung von unter 3 Euro brutto pro Stunde vermittelt wird, und an wie viele vermittelte Personen und in welchem Gesamtumfang wird aufstockendes Arbeitslosengeld II gezahlt, weil die Entlohnung unter 3 Euro brutto pro Stunde liegt? Sittenwidrigkeit ist anzunehmen, wenn die Lohngestaltung durch ein auffälliges Missverhältnis gegenüber dem allgemeinen Lohnniveau für vergleichbare Arbeiten gekennzeichnet ist. Ein solch auffälliges Missverhältnis liegt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn die Entlohnung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns beträgt (Urteil vom 22. April 2009, 5 AZR 436/08). In Bereichen, in denen keine einschlägigen Tarifverträge existieren, sind gegebenenfalls verwandte Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Dieser Richtwert bildet zunächst den Ausgangspunkt für die Beurteilung der Entgeltvereinbarung. In die notwendige Gesamtwürdigung fließen sämtliche Umstände des Einzelfalles mit ein, wie etwa überlange und unregelmäßige Arbeitszeiten. Sittenwidrigkeit kann demnach auch dann vorliegen, wenn die Entlohnung höher als 3 Euro brutto pro Stunde ist. Die Agenturen für Arbeit und die Grundsicherungsstellen dürfen gemäß § 36 Abs. 1 SGB III, der auch für die Grundsicherung für Arbeitsuchende über § 16 Abs. 2 SGB II Anwendung findet, nicht in ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis vermitteln, wenn dieses gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt. Hierunter fallen auch Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisse, bei denen das Entgelt sittenwidrig zu niedrig ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat für die erforderlichen Prüfschritte einen verbindlichen "Leitfaden Mindestlöhne/zwingende Arbeitsbedingungen" entwickelt. Zur Anzahl der vermittelten Personen, an die aufstockendes Arbeitslosengeld II gezahlt wird, weil die Entlohnung unter 3 Euro brutto pro Stunde liegt, liegen der Bundesagentur für Arbeit keine statistischen Informationen vor. Im Rahmen der Grundsicherungsstatistik werden nur Daten über die monatlichen Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit erhoben. Angaben über die zugrunde liegenden Stundenlöhne sowie die konkreten Arbeitszeiten liegen nicht vor. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 57 und 58): Wann wird die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung 2, BITV 2, in Kraft gesetzt, und wie werden Menschen mit Behinderung vor dem Hintergrund der schnelllebigen technischen Entwicklung direkt an der Weiterentwicklung der Verordnung beteiligt? Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Aussagen des 9. Berichts der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik, nach dem die Rechtslage für Menschen mit Behinderung in Deutschland grundsätzlich mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar sei und die Konvention lediglich ein "wichtiges Referenzdokument" sei, dem Bestreben der Bundesregierung zur Erstellung eines nationalen Aktionsplanes in einem offenen Beteiligungsprozess widersprechen, und wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Aussagen insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass die UNO bzw. Sonderberichterstatter Vernor Muñoz den nur geringen Anteil an integrativ und inklusiv beschulten Kindern in Deutschland scharf kritisiert hat? Zu Frage 57: Der Entwurf der BITV 2.0 regelt die Gestaltung der barrierefreien Internetauftritte der Bundesverwaltung auf dem aktuellen Stand der Informationstechnologie. Bei der Entwicklung dieser Verordnung waren technische Sachverständige, zum Teil auch der Behindertenverbände, direkt beteiligt. Gegenwärtig gibt es zu dem vorgelegten Entwurf noch letzten Abstimmungsbedarf auf Ressortebene. Die hieran beteiligten Häuser arbeiten intensiv an einer Lösung, die es ermöglichen soll, die BITV 2.0 in Kürze zu verabschieden. Im Anschluss daran muss noch das Notifizierungsverfahren der Europäischen Kommission aufgrund der EG-Richtlinie 98/48/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften durchlaufen werden. Ein Notifizierungsverfahren dauert durchschnittlich sechs Monate. Nach Abschluss der Notifizierung kann die BITV 2.0 in Kraft treten. Zu Frage 58: Die grundsätzliche Vereinbarkeit der deutschen Rechtslage mit den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention ist eine Feststellung, die die damalige Bundesregierung gemeinsam mit dem Vertragsausschuss der Länder im Rahmen des Ratifikationsprozesses der Konvention 2008 getroffen hat. Da dies in den Berichtszeitraum des 9. Menschenrechtsberichts (März 2008 bis Februar 2010) fällt, wurde diese Aussage in den Bericht übernommen. Einen Widerspruch zur aktuellen Erstellung des Aktionsplans zur Umsetzung der Konvention sieht die Bundesregierung indes nicht: Der Wille der Bundesregierung zur weiteren und umfassenden Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird an mehreren Stellen des Berichts ausdrücklich betont. Dies gilt auch für den Bereich der gemeinsamen Bildung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung (Seite 55 des Berichts). Die Entwicklung des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Konvention unter Einbeziehung der Verbände behinderter Menschen ist zudem Gegenstand des Aktionsplans Menschenrechte (Seite 273 f. des Berichts). Die Bezeichnung der Konvention als "wichtiges Referenzdokument" bringt schließlich zum Ausdruck, dass in Zukunft alle Maßnahmen der deutschen Behindertenpolitik an den Anforderungen der Konvention gemessen werden müssen. Eine Geringschätzung der Bedeutung der Konvention durch diese Formulierung vermag die Bundesregierung nicht zu erkennen. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 59): Wie bezieht die Bundesregierung den Deutschen Bundestag nach Vorlage des Entwurfs eines nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - angekündigt für Dezember 2010 - in die Diskussion und nach Beschlussfassung im Kabinett - angekündigt für März 2011 - ein? Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird, wie bereits im Frühjahr und zuletzt auf dem Kongress "Teilhabe braucht Maßnahmen" am 4. November 2010 in Berlin angekündigt, im Dezember mit der Erstellung des Nationalen Aktionsplanes zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention beginnen. Dabei wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Ergebnisse des Kongresses mit einbeziehen und sehr eng mit den Ressorts zusammenarbeiten. Die Bundesregierung wird nach der Beschlussfassung des Aktionsplanes durch das Bundeskabinett im März 2011 den Deutschen Bundestag umfassend unterrichten. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU ) (Drucksache 17/3619, Frage 60): Inwiefern besteht im Zusammenhang mit der Bürgerarbeit eine Flexibilität bei den einzelnen Phasen in zeitlichem Rahmen und inhaltlicher Ausgestaltung, insbesondere der Aktivierungsphase, und welchen Gestaltungsspielraum haben die jeweiligen Träger der Bürgerarbeit dabei? Bürgerarbeit besteht aus zwei Phasen: der Aktivierungs- und der Beschäftigungsphase. In der mindestens sechs Monate dauernden Aktivierungsphase sollen möglichst viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch intensive und konsequente Aktivierung, Beratung/Standortbestimmung, Vermittlungsaktivitäten, Qualifizierung/ Förderung, in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden. Nur die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, bei denen dies nicht gelingt, können in der Beschäftigungsphase auf Bürgerarbeitsplätze vermittelt werden. Einer möglichen Beschäftigung auf einem Bürgerarbeitsplatz muss damit zwingend eine mindestens sechsmonatige Aktivierungsphase vorangegangen sein. Für die Gestaltung der Aktivierungsphase gibt es keine zeitlichen oder inhaltlichen Vorgaben. Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen oder Vermittlungsaktivitäten sind nicht in einer bestimmten Reihenfolge zu erbringen, sondern sollen auf Grundlage einer Eingliederungs- und Integrationsstrategie erfolgen, die sich aus der Beratung und Standortbestimmung im jeweiligen Einzelfall ergibt. Die Grundsicherungsstellen haben insoweit einen großen Gestaltungsspielraum. Ziel der Aktivierungsphase ist die Integration des Teilnehmers in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Die teilnehmenden Grundsicherungsstellen konnten mit ihren jeweiligen Modellprojekten zum 15. Juli 2010 starten. Die Einrichtung und erstmalige Besetzung von Bürgerarbeitsplätzen ist vom 15. Januar 2011 bis zum 1. Januar 2012 möglich. Bürgerarbeitsplätze können für einen Zeitraum von 36 Monaten, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2014 gefördert werden. Die Aktivierung von Teilnehmern ist während der gesamten Projektlaufzeit möglich, um frei werdende Bürgerarbeitsplätze nachbesetzen zu können. Anlage 41 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Fragen der Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 61 und 62): Ist die Bundesregierung nach wie vor der Auffassung, dass Anfragen von Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der neuen Internetplattform "Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln" nur zensiert veröffentlicht werden sollen, und, wenn ja, wie soll das Verfahren organisiert werden? Ist der Bundesregierung bekannt, ob es ähnliche Projekte in anderen Ländern gibt und, wenn ja, wie es dort praktisch umgesetzt wird? Zu Frage 61: In dem vom vzbv gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Hessen getragenen und vom BMELV geförderten Internetportal soll den Verbrauchern unter anderem die Möglichkeit gegeben werden, aus ihrer Sicht irreführende Produktkennzeichnungen oder -aufmachungen zur Diskussion zu stellen. Der Moderator des Portalbetreibers nimmt vor der Einstellung ins Portal eine Prüfung der Verbrauchermeldungen vor, um dem Ziel des Portals nicht entsprechende Meldungen herauszufiltern. Solche Meldungen können beispielsweise offensichtliche Irrtümer der Verbraucher, gezielte Kampagnen gegen einzelne Hersteller, Schmähkritik oder offensichtliche Rechtsverstöße sein. Diese Vorprüfung der Verbrauchermeldungen durch den Portalbetreiber begrüßt das BMELV, da hierdurch eine faire und zielorientierte Diskussion der von den Verbrauchern vorgebrachten Ansichten unterstützt wird. Zu Frage 62: Das BMELV geht davon aus, dass mit "anderen Ländern" andere Staaten und nicht die Bundesländer gemeint sind. Dem BMELV sind keine vergleichbaren Projekte in anderen Staaten bekannt. Auch aus den Bundesländern sind dem BMELV keine Projekte bekannt, die der Wirtschaft in vergleichbarer Weise die Möglichkeit geben, sich an dem Diskussionsprozess zu beteiligen. Anlage 42 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Fragen der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 63 und 64): Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausgaben der öffentlichen Hand insgesamt für die Lebensmittelüberwachung in Deutschland, und welche Informationen hat die Bundesregierung über entsprechende Kosten in Dänemark? Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Finanzbedarf für die öffentliche Hand insgesamt ein, um in Deutschland das Smiley-System in derselben Form wie seit 2001 in Dänemark praktiziert einzuführen - bitte aufgeschlüsselt nach Kosten für Ausrüstung, Personal, Prozessetablierung -, und welche Einsparungsmöglichkeiten können sich mittelfristig ergeben? Zu Frage 63: Der Bundesregierung liegen keine entsprechenden Kenntnisse vor. Dies gilt sowohl im Hinblick auf Deutschland als auch bezüglich Dänemark. Anzumerken ist, dass die Zuständigkeit für die Lebensmittelüberwachung in Deutschland bei den Ländern liegt und diese über den Kostenaufwand für die Lebensmittelüberwachung keine Angaben machen. Zu Frage 64: Die Beantwortung dieser Frage schließt an die vorherige an. Zuständig für die amtliche Lebensmittelüberwachung in Deutschland sind die Länder. Hierzu gehört auch die Etablierung eines Systems zur Transparentmachung von Kontrollergebnissen. Die Verbraucherschutzministerkonferenz hat sich in ihrer Sitzung am 17. September 2010 darauf verständigt, dass bei Erarbeitung eines solchen Systems die Aspekte Kostenneutralität und geringer Aufwand für die Überwachungsbehörden berücksichtigt werden sollten. Eine hierzu eingerichtete Projektgruppe ist mit der Umsetzung des Beschlusses der Verbraucherschutzministerkonferenz befasst. Der Finanzbedarf für die Verwirklichung eines Systems zur Transparentmachung von Kontrollergebnissen in Deutschland richtet sich nach der konkreten Ausgestaltung, ohne dessen Kenntnis keine Schätzungen vorgenommen werden können. Eine 1:1-Umsetzung des dänischen Systems wird von den Ländern vor dem Hintergrund der angestrebten Kostenneutralität nach Kenntnis der Bundesregierung nicht ins Auge gefasst. Anlage 43 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 65): Welche Position bezieht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, für alle im Bestand beeinträchtigten, kommerziell genutzten Arten von Fischen und Meerestieren - zum Beispiel Krabben - Gesamtfangmengen und Fangquoten im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik festzulegen? Die Bundesregierung befürwortet die Festsetzung von Gesamtfangmengen für kommerziell genutzte Arten, soweit diese in ihrem Bestand tatsächlich beeinträchtigt sind. Sie setzt sich darüber hinaus im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik dafür ein, dass für möglichst viele Arten langfristige Bewirtschaftungs- und Wiederaufbaupläne - möglichst nach dem ökosystembasierten Mehrartenansatz - erstellt werden. Gleichzeitig setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Gemeinsame Fischereipolitik zu vereinfachen, und die Fischer und Kontrollbehörden nicht mit unnötiger Bürokratie zu belasten. Deshalb spricht sich die Bundesregierung bei Arten wie zum Beispiel den Krabben, die durch die Fischerei nicht in ihrem Bestand beeinträchtigt sind, gegen die Einführung von Gesamtfangmengen und Quoten aus. Anlage 44 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 66): Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, dass durch die 15. Änderung des Arzneimittelgesetzes beim Versand von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln die Verschreibungspflicht umgangen und damit einer unkontrollierten veterinärmedizinischen Behandlung von Tierbeständen Vorschub geleistet werden könnte? Ich gehe davon aus, dass unter "Tierbestände" Lebensmittel liefernde Tierbestände zu verstehen sind. Diese werden von der neuen Bestimmung nicht betroffen sein, da künftig ausschließlich der Versand von Tierarzneimitteln für nicht Lebensmittel liefernde Tiere, so genannte Hobbytiere, vorgesehen ist. Die Kritik ist daher unbegründet. Anlage 45 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Frage 67): Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die ab 2012 in der Tierhaltung geltende Erfassung der eingesetzten Antibiotikamengen nach Postleitzahlenregion im Rahmen der DIMDI-Verordnung ausreichend ist, um den Antibiotikaeinsatz und damit drohende Resistenzen wie MRSA zu reduzieren, und, wenn ja, ist dann die Sonderfallregelung für die Geflügelindustrie mit Hinweis auf Datenschutzgründe vertretbar, obwohl insbesondere in der Mastgeflügelhaltung der Antibiotikaeinsatz in den letzten Jahren erheblich zugenommnen hat? Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit der gestellten Frage die DIMDI-Arzneimittel-Verordnung, DIMDI-AMV, gemeint ist, die die Datensammlung und -nutzung bestimmter Tierarzneimittel regelt, deren pro Jahr an Tierärzte abgegebene Menge von Pharmazeutischen Unternehmern und Großhändlern zu melden ist, nach § 47 Abs. 1 c des Arzneimittelgesetzes. Dabei sind die abgegebenen Mengen aufgeschlüsselt nach den ersten beiden Ziffern der Postleitzahl zu melden, in der die jeweiligen Tierärzte ihren Sitz haben. Sinn und Zweck der DIMDI-AMV ist es, einen Überblick über den Umfang und die regionale Verteilung von Antibiotika in Deutschland zu erhalten, der dann in Zusammenhang mit anderweitig erzielten Monitoringdaten zu Antibiotikaresistenzen bei Zoonoseerregern - Erreger von Tierkrankheiten, an denen auch der Mensch erkranken kann -, Kommensalen - Bakterien der normalen biologischen Flora, die nicht krank machen - und Krankheitserregern - beim Tier - für eine Risikobewertung der Resistenzsituation in Deutschland herangezogen werden soll. Hinsichtlich des Abrufs dieser Daten durch die Landesbehörden gilt, dass die Aufschlüsselung nach den ersten beiden Ziffern der Postleitzahl entfällt, soweit ausschließlich für Geflügel zugelassene Tierarzneimittel betroffen sind. Die Ausnahme ist zum Schutz personenbezogener Daten erforderlich. Diese Ausnahme läuft dem geschilderten Zweck der DIMDI-AMV nicht zu wider. Ob und inwieweit der Antibiotikaeinsatz in der Mastgeflügelhaltung zugenommen hat, ist nach jetzigem Kenntnisstand nicht geklärt. Wie Sie vielleicht wissen, hat der Zentralverband der Geflügelwirtschaft sich entschieden gegen eine solche Behauptung verwahrt. Aufgabe der Bundesregierung ist es, solchen Aussagen nachzugehen und im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes zu prüfen. BMELV klärt die bisher verfügbare Datenlage und wird in Zukunft durch die in der Deutschen Antibiotikaresistenzstrategie bereits vorgezeichneten Maßnahmen einen Überblick über die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen im veterinärmedizinischen Bereich erhalten. Anlage 46 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3619, Frage 68): Ist aus Sicht der Bundesregierung die Einhaltung von bestehenden Brandschutzverordnungen unter den Bedingungen der Massentierhaltung möglich? Es ist unklar, was mit dem Begriff "Massentierhaltung" gemeint sein soll. Gesetzliche Vorgaben zum Brandschutz sind bei Errichtung und Betrieb aller Tierhaltungsanlagen zu beachten (zum Beispiel bei landwirtschaftlichen oder gewerblichen Nutztierhaltungen, Pferdeställen, Tierheimen). Größere Tierhaltungsanlagen für bestimmte Nutztiere (zum Beispiel Anlagen mit mehr als 1 500 Mastschweinen oder 15 000 Hennenplätzen) sind nach § 6 Bundes-Immissionsschutzgesetz zu genehmigen, wenn alle einschlägigen Vorschriften, zu denen auch die landesrechtlichen Brandschutzvorschriften etwa hinsichtlich der Brandschutzwände, Flucht- und Rettungswege und des Feuerwiderstands von Bauteilen gehören, der Genehmigung nicht entgegenstehen. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Kossendey auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 69): Inwiefern erkennt die Bundesregierung an, dass, wie die Studie von Professor Dr. Eduard David - Universität Witten - vom 16. Juni 2003 zeigt, ionisierende Strahlen, die beispielsweise von Radargeräten der Bundeswehr bis 1986 und der Nationalen Volksarmee, NVA, bis 1990 ausgingen, neben Krebs auch andere Krankheiten hervorrufen können, und welche Konsequenzen hat das für die vorliegenden Versorgungs- und Entschädigungsanträge radargeschädigter ehemaliger Soldaten von Bundeswehr und NVA? Nach dem Beschluss des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 24. September 2003 werden die Empfehlungen aus dem Bericht der Radarkommission vom 2. Juli 2003 eins zu eins umgesetzt. Der Bericht enthält klare Vorgaben hinsichtlich der für eine versorgungsrechtliche Anerkennung qualifizierenden Erkrankungen. Qualifizierende Erkrankungen sind nach dem Bericht der Radarkommission alle malignen Tumore - mit Ausnahme der chronisch lymphatischen Leukämie - und die Katarakt, grauer Star. Die Studien von Professor Dr. David waren den Experten der Radarkommission bekannt. Es ist unstrittig, dass ionisierende Strahlung neben Krebs auch andere Krankheiten, wie zum Beispiel Blutgerinnungsstörungen, Sterilität oder Schäden an den Zellerneuerungssystemen, hervorrufen können. Maßgeblich für die Empfehlungen der Radarkommission war jedoch die Bewertung, welche Erkrankungen durch - für Radaranlagen charakteristische - ionisierende Strahlung hervorgerufen werden konnten und in welchem zeitlichen Abstand sie zu dem möglicherweise schädigenden Ereignis aufgetreten sind. Nur für die derart qualifizierten Erkrankungen können die durch die Radarkommission empfohlenen erheblichen Beweiserleichterungen zugunsten der Antragsteller gelten. Grundsätzlich können auch alle anderen Erkrankungen als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden, die im Bericht der Radarkommission nicht als qualifizierende Erkrankungen bewertet worden sind, soweit sie die Bearbeitungskriterien des "normalen" Wehrdienstbeschädigungsverfahrens mit den dafür vorgesehenen Beweisanforderungen erfüllen. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Kossendey auf die Frage des Abgeordneten Klaus Brandner (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 70): In welchem Umfang und zu welchen Aufgaben gibt es Planungen seitens der Bundeswehr, nach dem angekündigten Abzug der britischen Streitkräfte aus Deutschland - trotz der vom Bundesminister der Verteidigung angekündigten Reduzierung der Truppenstärke - den Truppenübungsplatz Senne für die militärische Nutzung zu beanspruchen? Der zum Ressortvermögen des Bundesministeriums der Finanzen gehörende Truppenübungsplatz Senne ist den britischen Streitkräften auf der Grundlage des NATO-Truppenstatuts überlassen. Die Mitbenutzung durch die Bundeswehr ist in einem bilateralen Abkommen des Bundesministeriums der Verteidigung mit den britischen Streitkräften geregelt. Für die Wahrnehmung der Betriebsaufgaben im Rahmen der Mitnutzung durch die Bundeswehr ist ein Deutscher Militärischer Vertreter bei der Truppenübungsplatzkommandantur der britischen Streitkräften eingerichtet. Die britischen Streitkräfte haben bisher lediglich über den Inhalt des am 19. Oktober 2010 veröffentlichten Strategic Defense and Security Review hinsichtlich der zukünftigen Stationierung von britischen Streitkräften in Deutschland informiert und angekündigt, dass nunmehr entgegen der ursprünglichen Planung (Komplettabzug der britischen Streitkräfte aus Deutschland bis 2035) beabsichtigt ist, die britischen Streitkräfte bis 2015 um 50 Prozent zu reduzieren und bis 2020 komplett aus Deutschland abzuziehen. Konkrete Abzugspläne wurden bisher nicht übermittelt. Es wurde jedoch versichert, dass man diesbezüglich einen engen Dialog mit der deutschen Seite pflegen möchte, um die Auswirkungen des Abzuges so gering wie möglich zu halten. Entscheidungen über die künftige Nutzung von Truppenübungsplätzen in Deutschland werden erst nach Abschluss der Untersuchungen zum zukünftigen Ausbildungs-, Übungs- und Schießbedarf der deutschen Streitkräfte als Folge von anstehenden Strukturentscheidungen getroffen werden können. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 71): Mit welchen beteiligten Institutionen, Organisationen und Bundesländern stimmen das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Bundesagentur für Arbeit das Umschulungsprogramm für "Mehr Männer in Kitas" ab, und zu welchem Zeitpunkt ist der Beginn der Umschulungsmaßnahme geplant? Abstimmungen zum Thema Ausbildung für Quereinsteiger in das Arbeitsfeld Kita führt das BMFSFJ mit der Bundesagentur für Arbeit und den für fachschulische Ausbildungen zuständigen ministeriellen Stellen aller Länder durch. Wir gehen davon aus, dass die geplanten Umschulungen zum nächsten üblichen Ausbildungsbeginn im August/September 2011 gestartet werden können. Abschließendes kann zum jetzigen Zeitpunkt verständlicherweise noch nicht gesagt werden. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 72): Wie bewertet die Bundesregierung das Vorgehen der Techniker Krankenkasse, die Erhöhung der studentischen Krankenversicherung infolge der 23. BAföG-Novelle bereits zum 1. Oktober 2010 vorzunehmen, statt wie üblich zum darauffolgenden Sommersemester, also zum 1. April 2011? Änderungen der BAföG-Bedarfssätze werden vom Beginn des auf die Änderung folgenden Semesters an bei der Beitragsbemessung von versicherungspflichtigen Studenten und Praktikanten berücksichtigt, vergleiche § 236 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch. Da sich Beitragsanpassungen somit an dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze zu orientieren haben, wirken sich die Erhöhungen der BAföG-Bedarfssätze durch das 23. BAföGÄndG zum 1. Oktober 2010 erst zum Sommersemester 2011 beitragsrechtlich aus. Entsprechendes hat das Bundesministerium für Gesundheit mit Schreiben vom 1. November 2010 dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen mitgeteilt, der daraufhin wiederum seine Mitgliedskassen mit einem entsprechenden Rundschreiben informiert hat. Insoweit geht die Bundesregierung davon aus, dass es sich bei etwaigen gegenteiligen Entscheidungen der Techniker Krankenkasse nur um Einzelfälle gehandelt haben kann, die entsprechend korrigiert werden. Das Bundesversicherungsamt - als zuständige Aufsichtsbehörde - überwacht zudem die Einhaltung des geltenden Rechts. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Peter Friedrich (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 73): Beabsichtigt die Bundesregierung, die in der Stuttgarter Erklärung vom 25. November 2009 der politisch Verantwortlichen in Südbaden zur Flugverkehrsbelastung durch den Flughafen Zürich festgeschriebenen Positionen zu übernehmen und die deutsche Rechtsverordnung auf 80 000 Anflüge pro Jahr zu verschärfen? Nein. Die weiteren Verhandlungen innerhalb der nicht öffentlichen AG Zürich bleiben abzuwarten. Anlage 52 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen der Abgeordneten Dorothea Steiner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Fragen 74 und 75): Wie begründet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Elbe zwischen Dresden und Hamburg seit 1997 regelmäßig an weit weniger als 345 Tagen im Jahr - im Schnitt 100 Tage pro Jahr - eine durchgehende Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter aufgewiesen hat, ihre Zusicherung an die Tschechische Republik, dass ab 2010 durchschnittlich an mindestens 345 Tagen im Jahr eine durchgängige Fahrrinnentiefe von mindestens 1,60 Meter für die Güterschifffahrt gegeben sein soll? Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Tschechische Republik derzeit auf der Basis dieser Zusicherung auf eigenem Territorium eine Elbstaustufe plant, und hat die Bundesregierung der Tschechischen Republik mitgeteilt, an wie vielen Tagen zwischen 1997 und 2009 eine durchgehende Fahrrinnentiefe von mindestens 1,60 Meter zwischen Dresden und Hamburg real gegeben war? Zu Frage 74: Es trifft nicht zu, dass die Elbe zwischen Dresden und Hamburg im Durchschnitt nur an 100 Tagen im Jahr Fahrrinnentiefen von 1,60 Meter und mehr aufgewiesen hat. Aus den vorliegenden Daten ergibt sich, dass die Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter in den weit überwiegenden Zeiträumen des Jahres vorhanden ist. Ich hatte Ihnen dieses bereits als Antwort auf Ihre Fragen 333 und 334 im Oktober bezüglich der Elbeabschnitte E4 und E5 mitgeteilt, indem ich Ihnen die Unterschreitungstage für Jahresscheiben seit 1997 angegeben habe. Im Übrigen gibt es keine vertragsähnliche Zusicherung an die Tschechische Republik zu einer Mindestfahrrinnentiefe an der deutschen Binnenelbe. Zu Frage 75: Das Vorhaben ist der Bundesregierung bekannt. Die Planfeststellungsbehörde bei der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost führt derzeit die Beteiligung der deutschen Behörden und der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung durch. Die Fahrrinnenverhältnisse der deutschen Binnenelbe vergangener Jahre sind den Vertretern der Tschechischen Republik bekannt bzw. zugänglich. Anlage 53 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 76): Wie weit ist die Realisierung der im Bundesverkehrswegeplan als vordringlich eingestuften Umfahrung der Bundesstraße 19 Fischen im Allgäu fortgeschritten, und welche der vorgeschlagenen Varianten beurteilt die Bundesregierung als realistisch? Das Vorhaben Entlastungstunnel Fischen im Zuge der Bundesstraße B 19 ist im geltenden Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 2004 im Vordringlichen Bedarf ausgewiesen. Da sich das Projekt entsprechend der Vorentwurfsplanung mit geschätzten Kosten in Höhe von rund 24 Millionen Euro im Grenzbereich der Wirtschaftlichkeit befindet, führt die für die Planung zuständige bayerische Straßenbauverwaltung derzeit einen wirtschaftlichen Optimierungsprozess im Rahmen der Planung durch. Die bayerische Straßenbauverwaltung hat hierzu verschiedene optimierte Varianten ausgearbeitet und vor Ort vorgestellt. Bislang ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in diesen Planungsschritt nicht eingebunden. Vor diesem Hintergrund kann die Bundesregierung die einzelnen Varianten nicht näher beurteilen. Anlage 54 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Alexander Bonde (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Fragen 77 und 78): Wie viele Brennstäbe wurden in welchen deutschen Atomkraftwerken seit September dieses Jahres ausgetauscht oder sollen bis Ende des Kalenderjahres 2010 noch ausgetauscht werden? Wie viele Brennstäbe wurden in welchen deutschen Atomkraftwerken in den Jahren 2007, 2008 und 2009 ausgetauscht? Zu Frage 77: Ein Brennelement besteht je nach Reaktortyp aus unterschiedlich vielen Brennstäben. Die Brennstäbe sind quadratisch in einem Gitter angeordnet. Druckwasserreaktoren haben mehrere hundert Brennstäbe je Brennelement, Siedewasserreaktoren bis zu hundert Brennstäbe. Einzelne Brennstäbe werden prinzipiell nur ausgetauscht, wenn Undichtigkeiten oder Defekte des Brennstabs vorliegen, in der Regel sehr wenige Brennstäbe im Jahr. Ich gehe davon aus, dass sich die Fragestellung auf den Austausch von Brennelementen bezieht: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit führt entsprechend § 9 a Abs. 1 a Atomgesetz jährlich zum Stichtag 31. Dezember eine Erhebung zum Anfall bestrahlter Brennelemente in deutschen Kernkraftwerken durch, aus der sich auch das Aufkommen im zurückliegenden Jahr ermitteln lässt. Die Brennelementeinsatzstrategie liegt in der Verantwortung der Energieversorgungsunternehmen und unterliegt aus sicherheitstechnischen Gründen der atomrechtlichen Aufsicht der Länder. Vorlaufende Angaben zum Austausch von Brennelementen durch die Energieversorgungsunternehmen erfasst die Bundesregierung nicht systematisch. Zu Frage 78: Im Hinblick auf die Unterschiede zwischen Brennstäben und Brennelementen wird auf die vorherige Frage verwiesen. Dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen die Daten für die jährliche Entladung von bestrahlten Brennelementen in den Kernkraftwerken vor; die Nachladungen erfolgen entsprechend. Die hier gestellte Frage hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf eine Schriftliche Frage von Frau MdB Kotting-Uhl vom 7. September 2010 - Arbeitsnummer 9/62 - mit Schreiben von Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Heinen-Esser am 13. September 2010 für die Jahre 2000 bis 2009 beantwortet. In der Tabelle sind die Angaben für die Jahre 2007 bis 2009 nochmals zusammengestellt. Die Angaben in Megagramm - Mg; ein Megagramm entspricht einer Tonne - Schwermetall sind aus der Zahl der entladenen Brennelemente mit einem mittleren Brennelementgewicht berechnet. 2007 2008 2009 Baden-Württemberg Neckarwestheim Block 1 12,9 17,2 0,0 Neckarwestheim Block 2 23,7 23,7 25,8 KKP-1 14,0 13,3 11,2 KKP-2 23,8 21,6 21,6 Bayern KKI-1 23,0 0,0 22,3 KKI-2 25,7 25,7 23,5 KRB-B 23,7 26,4 24,4 KRB-C 20,9 26,4 21,6 KKG 21,5 21,5 23,6 Hessen KWB-A 32,1 0,0 2,1 KWB-B 17,1 0,0 38,5 Niedersachsen KWG 28,3 26,2 26,2 KKU 19,4 23,7 19,4 KKE 23,7 25,8 23,7 Schleswig-Holstein KKB 13,2 0,0 0,0 KKK 18,4 0,0 0,0 KBR 28,1 30,3 30,3 Anlage 55 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Fragen der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3619, Fragen 79 und 80): Wann genau - genaues Datum - hat der zuständige Abteilungsleiter des Landes Schleswig-Holstein im Hinblick auf die Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke seine Vorbehalte geäußert, und hat er der auf www.bmu.de online veröffentlichten Version der Nachrüstliste letztlich die Zustimmung verweigert oder nicht (bitte klare Aussage, ob es sich unterm Strich um Zustimmung oder Ablehnung handelt, das heißt bitte insbesondere klarere Aussage als "Vorbehalte geäußert"; vergleiche Antwort zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 17/3626 auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/3346)? Welche genauen Vorbehalte im Hinblick auf den Umfang der Maßnahmen und auf die vorgesehenen Fristen bei der Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke hat der zuständige Abteilungsleiter des Landes Schleswig-Holstein konkret geäußert - bitte vollständige Angabe aller konkreten Vorbehalte inklusive Angabe, ob seine konkreten Vorbehalte im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in schriftlicher Form dokumentiert wurden/vorliegen -, und bei welcher Gelegenheit tat er dies? Zu Frage 79: Wie in der Antwort auf die Kleine Anfrage in Bundestagsdrucksache 17/3346 bereits dargestellt ist die Liste ein Zwischenergebnis der laufenden Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Ländern mit Kernkraftwerken. Deshalb ist die Angabe eines Datums für Zustimmungserteilungen nicht möglich. Die Einzelpunkte der Liste wurden zwischen den Experten von Bund und Ländern, einschließlich Schleswig-Holstein, abgestimmt. Nach der Laufzeitentscheidung vom 5. September 2010 hat der zuständige Abteilungsleiter des Landes Schleswig-Holstein dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mitgeteilt, er könne nicht bestätigen, dass seine Behörde die Zustimmung erteile. Zu Frage 80: Der zuständige Abteilungsleiter des Landes Schleswig-Holstein hat seine Vorbehalte damit begründet, dass sich in der Liste keine Forderungen zur Realisierung baulich-technischer Schutzmaßnahmen zur Verbesserung des Schutzes gegen terroristische Bedrohungen durch gezielt herbeigeführte Flugzeugabstürze fänden, dass viele der in der Liste enthaltenen Maßnahmen erst mittel- oder langfristig realisiert werden sollten und dass der Eindruck eines abschließenden und vollständigen Katalogs über Maßnahmen zur weiteren Vorsorge gegen Risiken erweckt werde. Anlage 56 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 81): Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung, wenn es nach geltender Gesetzeslage als zulässig angesehen werden sollte, inmitten eines Trinkwasserschutz-, Naturschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Gebietes ein Wasserkraftwerk zu errichten, wie dies derzeit im Augsburger Stadtwald geplant ist? Nach Kenntnis der Bundesregierung hat am 4. September 2009 die Firma E.ON Wasserkraft GmbH bei der Stadt Augsburg beantragt, den Bau und Betrieb einer Wasserkraftanlage am Lech bei Kilometer 50,40 wasserrechtlich zuzulassen. Beteiligt an der Prüfung dieses Antrags ist auch das zuständige Wasserwirtschaftsamt Donauwörth. Nach mündlicher Auskunft des Bayrischen Staatsministeriums für Umwelt- und Gesundheit werden voraussichtlich ein Planfeststellungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und ein wasserrechtliches Bewilligungsverfahren durchgeführt. Die verschiedenen, vor der Entscheidung über den Antrag durchzuführenden Prüfungen befinden sich noch in einem frühen Stadium. Die Durchführung dieser Prüfungen und die Entscheidung über den Zulassungsantrag liegen bei den zuständigen bayrischen Behörden. Angesicht dieses Sachstandes kann die Bundesregierung ihrerseits keinen Handlungsbedarf erkennen. Anlage 57 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 82): Auf welcher Datengrundlage kommt die Bundesregierung zu dem Schluss, dass mit dem angekündigten Bundesgesetz zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens bzw. Anerkennungsgesetzes zu ausländischen Qualifikationen etwa 300 000 zusätzliche Fachkräfte für die Wirtschaft gewonnen werden können (vergleiche Financial Times Deutschland vom 18. Oktober 2010)? Angaben zur Zahl der Menschen, deren ausländische Berufsbildungsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt sind, können auf Grundlage der derzeit verfügbaren Datenquellen nur im Rahmen begründeter Schätzungen erfolgen. Schätzungen aufgrund einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2009 in Auftrag gegebener Sonderauswertung des Mikrozensus 2007 gehen von einem Potenzial von rund 300 000 Personen aus, die aufgrund einer Neuregelung gegebenenfalls ein Anerkennungsverfahren anstreben werden. Anlage 58 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 83): Wie verteilen sich nach Kenntnis der Bundesregierung die vorhandenen ausländischen Qualifikationen der in Deutschland lebenden Migratinnen und Migranten hinsichtlich einfacher Berufsabschlüsse, eines dem Techniker- oder Meisterabschluss vergleichbaren Abschlusses oder akademischer Abschlüsse? Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2009 in Auftrag gegebene Sonderauswertung des Mikrozensus 2007 kommt zu dem folgenden Ergebnis: Von den rund 2,8 Millionen Menschen mit beruflichem Auslandsabschluss wurden folgende Angaben zur Zugehörigkeit zu Abschlussgruppen gemacht: - Lehre bzw. berufsqualifizierender Abschluss (einfache Berufsabschlüsse): circa 1,82 Millionen, - Techniker- oder Meisterabschluss: circa 201 000, - akademischer Abschlüsse: circa 800 000. Anlage 59 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Fragen der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 84 und 85): Wie stellt die Bundesregierung in dem geplanten Bundesgesetz zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens zu ausländischen Qualifikationen eine bundesweit einheitliche Entscheidungspraxis sowohl für reglementierte wie auch nichtreglementierte Berufe sicher, sodass die Ergebnisse einmal durchgeführter Anerkennungsverfahren bundesweit gültig bleiben? Welche Unterstützung plant die Bundesregierung für die Länder und die beauftragten Organisationen, damit der notwendige personelle Aufbau der zuständigen Stellen für die Verfahrensdurchführung und auch für die wichtige Beratungs- und Betreuungsfunktion für die Antragsteller sichergestellt ist? Zu Frage 84: Eine bundesweite Einheitlichkeit und Verbindlichkeit der Entscheidungen soll dadurch gewährleistet werden, dass im geplanten Gesetz des Bundes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen verbindliche, bundesweit geltende Verfahrensvorgaben für die Bewertung der im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen vorgesehen sind. Eine erneute Anerkennung der im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen bei einem Umzug in ein anderes Bundesland ist durch die Verankerung bundesweit geltender verbindlicher Kriterien und Verfahrensvorgaben im Anerkennungsgesetz im Regelfall entbehrlich. Zu Frage 85: Aufgrund der grundgesetzlichen Kompetenzordnung haben Bund und Länder gesondert die Ausgaben zu leisten, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Eine dauerhafte Übernahme der Kosten für die Durchführung der Verfahren durch den Bund ist nicht möglich. Darüber hinaus können die zuständigen Stellen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben, die ihnen durch das Bundesgesetz zugewiesen wird, Gebühren verlangen. Die Bundesregierung wird jedoch gemeinsam mit den Ländern Möglichkeiten prüfen, eine begleitende Beratung sicherzustellen, die Petenten bei der Antragstellung und während des Bewertungsverfahrens Unterstützung leistet und sie zu Fragen der Arbeitsmarktintegration berät. Hierbei soll auf bestehenden bundesgeförderten Beratungsstrukturen aufgebaut werden. Anlage 60 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Fragen des Abgeordneten Willi Brase (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 86 und 87): Wie schätzt die Bundesregierung den Anteil der in Deutschland vorhandenen ausländischen Qualifikationen von Migrantinnen und Migranten ein, die sich nicht auf bundesrechtlich geregelte Berufe beziehen und deshalb auch nicht in den geplanten Verfahrensanspruch des angekündigten Bundesgesetzes zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens einbezogen werden können? In welcher Weise wird das Bundesgesetz zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens auch einen Anspruch auf individuelle Feststellung informeller Kompetenzen enthalten? Zu Frage 86: Angaben zur Zahl der Menschen, deren ausländische Berufsbildungsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt sind, können auf Grundlage der derzeit verfügbaren Datenquellen nur im Rahmen begründeter Schätzungen erfolgen. Schätzungen aufgrund einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2009 in Auftrag gegebener Sonderauswertung des Mikrozensus 2007 gehen von einem Potenzial von rund 300 000 Personen aus, die aufgrund einer Neuregelung gegebenenfalls ein Anerkennungsverfahren anstreben werden. Eine Unterscheidung nach Berufsgruppen ist aufgrund dieser Daten nicht möglich. Damit ist auch eine Zuordnung zu Zuständigkeiten des Bundes oder der Länder nicht möglich. Zu Frage 87: Die Eckpunkte der Bundesregierung vom 9. Dezem-ber 2009 sehen vor, dass im Rahmen der entsprechenden Verfahren neben formalen Berufsabschlüssen auch die einschlägige Berufserfahrung, das heißt informell erworbene Kompetenzen, in die Entscheidungsfindung einzubeziehen ist, vergleiche Eckpunkt Nr. 3. Das Regelungskonzept der Bundesregierung sieht keine umfassende Gleichstellung der im Rahmen einschlägiger Berufserfahrung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten mit formalen Abschlüssen vor. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes sollen nur Personen umfasst werden, die im Ausland einen Ausbildungsnachweis erworben haben. Durch einschlägige Berufserfahrung erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten sollen lediglich ergänzend berücksichtigt werden, sofern wesentliche Unterschiede zwischen der im Ausland erfolgreich absolvierten Ausbildung und der jeweiligen inländischen Ausbildung vorliegen. Anlage 61 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 88): In welcher Weise wird das Bundesgesetz zur Durchführung eines Gleichwertigkeitsfeststellungsverfahrens auch einen Rechtsanspruch auf Anpassungs- oder Nachqualifizierung enthalten, wenn als Ergebnis des Verfahrens nur eine Teilanerkennung erfolgt ist? Ein allgemeiner Anspruch auf Anpassungs- oder Nachqualifizierung ist im Anerkennungsgesetz nicht vorgesehen. Ein solcher allgemeiner Rechtsanspruch wäre mit den Rechtsansprüchen im inländischen Bildungssystem nicht vereinbar. Allerdings sieht der Arbeitsentwurf eines "Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen" für den Bereich der reglementierten Berufe, das heißt Berufe, in denen der Berufszugang staatlich geregelt ist, wie dies zum Beispiel bei akademischen Heilberufen der Fall ist, einen Rechtsanspruch auf eine verbindliche Feststellung der Ausgleichsmaßnahmen vor, durch die der Berufszugang erreicht werden kann. Nach der Konzeption des Arbeitsentwurfs kann es sich bei solchen Ausgleichsmaßnahmen im Einklang mit den Vorgaben der Berufsanerkennungsrichtlinie der EU um Eignungsprüfungen oder Anpassungslehrgänge mit Leistungskontrollen handeln. Der Arbeitsentwurf befindet sich gegenwärtig noch in der Ressortabstimmung, deren Ergebnis nicht vorgegriffen werden kann. Darüber hinaus sollen für alle Berufsgruppen Beratungsangebote für Ausgleichsmaßnahmen und sonstige Nachqualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen sowie zu entsprechenden Fördermöglichkeiten geschaffen werden. Anlage 62 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Fragen der Abgeordneten Ulla Burchardt (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 89 und 90): Auf welcher empirischen Grundlage kommt die Bundesregierung zu ihrer aktuellen Einschätzung von rund 300 000 Akademikerinnen und Akademikern mit ausländischen Abschlüssen (Financial Times Deutschland vom 18. Oktober 2010), zumal der oft zitierte jährliche Mikrozensus selbst keine Differenzierung von im Ausland bzw. nicht im Ausland erworbenen Qualifikationen enthält und Bund und Länder noch Ende 2009 von 800 000 - Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Anerkennungsverfahren" zur Qualifizierungsinitiative für Deutschland -, bzw. der Siebte Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland (Bundestagsdrucksache 16/7600) in 2008 von rund 500 000 Personen ausgingen? Wie viele Anerkennungsverfahren sind mit welchem Ergebnis in Deutschland in den Jahren 2005, 2006, 2007, 2008 und 2009 nach Kenntnis der Bundesregierung durchgeführt worden? Zu Frage 89: Angaben zur Zahl der Menschen, deren ausländische Berufsbildungsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt sind, können auf Grundlage der derzeit verfügbaren Datenquellen nur im Rahmen begründeter Schätzungen erfolgen. Schätzungen aufgrund einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2009 in Auftrag gegebener Sonderauswertung des Mikrozensus 2007 gehen unter Anwendung gewisser Vorannahmen von einem Potenzial von rund 300 000 Per-sonen aus, die aufgrund einer Neuregelung gegebenenfalls ein Anerkennungsverfahren anstreben werden. Der Bericht der Bund-Länder-AG "Anerkennungsverfahren" an die 199. Amtschefkonferenz der KMK im Rahmen der Qualifizierungsinitiative für Deutschland bezieht sich ebenfalls auf diese Sonderauswertung des Mikrozensus 2007. Die Zahl 800 000 gibt die Gesamtheit der Personen mit einem im Ausland erworbenen Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss wieder. Im Unterschied zu oben genannter Schätzung zum Antragspotenzial wurden hier keine weiteren Vorannahmen getroffen. Der Siebte Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland vom 20. Dezember 2007 - Bundestagsdrucksache 16/7600 - der Integrationsbeauftragten bezog sich auf eine Schätzung der Universität Oldenburg: "Nach Schätzungen der Universität Oldenburg leben in Deutschland zurzeit allein rund 500 000 zugewanderte Akademiker/-innen, deren Abschluss nicht anerkannt wurde und die deshalb unqualifizierten oder nicht ausbildungsadäquaten Tätigkeiten nachgehen." - Bundestagsdrucksache 16/7600, Seite 62, vgl. auch dortige Fußnote 201. Im Achten Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland vom 7. Juli 2010 - Bundestagsdrucksache 17/2400, Seite 108 - wird das Potenzial möglicher Antragsteller auf 300 000 Personen geschätzt. Zu Frage 90: Daten zu den in Deutschland durchgeführten Verfahren zur Anerkennung von Berufsqualifikationen, die in einem Drittstaat erworben wurden, werden von Bund und Ländern nicht erhoben. Statistische Zahlen liegen vor für den Anwendungsbereich der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG zu den Anerkennungen bzw. zu den Anerkennungsanträgen von in einem anderen EU-Mitgliedstaat, einem EWR-Vertragsstaat oder der Schweiz erworbenen Berufsqualifikationen. Für die Jahre 2005/2006 existiert allerdings nur eine unvollständige Erhebung ohne die sogenannte sektoralen Berufe - Gesundheitsberufe und Architekten -, da gemäß Art. 60 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG die Datenerhebung erst ab dem 20. Oktober 2007 erfolgt. In diesem Doppeljahrgang sind unter Berücksichtigung der vorgenannten Einschränkung in Deutschland 1 884 Verfahren, davon 926 mit positivem und 252 mit negativem Ausgang durchgeführt worden; für 706 Verfahren war die Prüfung noch nicht abgeschlossen. Die vollständige Gesamtzahl für 2007 beträgt 5 167 Verfahren, davon 2 880 mit positivem und 370 mit negativem Ausgang; noch nicht abgeschlossen waren 1 917 Fälle. Für 2008 waren es insgesamt 5 262 Ver-fahren, davon 2 986 mit positivem und 190 mit negativem Ausgang; nicht abgeschlossen waren 2 086 Fälle. Für 2009 liegen noch keine endgültigen Zahlen vor. Die Einzelheiten zu den Zahlen sind auf der Internetseite der Europäischen Kommission veröffentlicht - http://ec. europa.eu/internal_market/qualifications/index_de.htm. Für sonstige durch die zuständigen Stellen der Länder durchgeführte Anerkennungsverfahren liegen dem Bund bislang keine Zahlen vor. Anlage 63 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Frage 91): Wann genau hat es Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Sozialpartnern - Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften - gegeben, deren Ergebnisse jedoch noch nicht vorliegen (Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen "Initiativen für faire Praktika und einen verbesserten Schutz von Praktikantinnen und Praktikanten", Bundestagsdrucksache 17/3567, hier Antworten zu den Fragen 1 und 8), und welche konkreten qualitativen Standards für faire Praktika sollen im Zuge dieser Gespräche vereinbart werden? Die Bundesregierung hat im Rahmen der Prüfung des Handlungsbedarfs zu Praktika bei Berufsanfängern im Laufe mehrerer Jahre eine große Zahl eingehender Gespräche mit Vertretern der Sozialpartner geführt. Das in der mündlichen Frage spezifizierte Gespräch fand am 27. April 2010 zwischen Vertretern der Bundesministerien für Bildung und Forschung und für Arbeit und Soziales und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, statt; hierbei wurde vereinbart, eine Empfehlung für einen Musterpraktikumsvertrag bzw. eine Checkliste für gute Praktika von Berufsanfängern zu erarbeiten. Eine solche Empfehlung soll nach Bewertung der Bundesregierung zu jeweils beiderseits klaren Rechten und Pflichten führen, und zwar unter anderem hinsichtlich des ausdrücklichen Praktikumsziels und zur Zeugniserteilung, zu Praktikumsplan und Betreuung, hinsichtlich eines Vergütungsanspruchs, zur sozialen Sicherung, zu Beschäftigungszeiten und etwaigem Urlaub, zur Dauer des Praktikums und zur etwaigen vorzeitigen Vertragsbeendigung. Dies sollte aus der Sicht der Bundesregierung in aller Regel auch schriftlich niedergelegt werden. Anlage 64 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3619, Frage 92): Mit welchen konkreten Angeboten über den bisher vereinbarten Hochschulpakt 2020 hinaus wird die Bundesregierung die Länder beim zusätzlich notwendigen Ausbau von Studienplatzkapazitäten aufgrund der geplanten Aussetzung von Wehr- und Zivildienst unterstützen (Quelle: Interview Bundesministerin Dr. Annette Schavan "Politik muss manchmal unpopulär sein", Neue Westfälische vom 30. Oktober 2010), und welchen Zeitpunkt einer Aussetzung von Wehr- und Zivildienst hält das Bundesministerium für Bildung und Forschung angesichts eines noch zu organisierenden Ausbaus von Studienplatzkapazitäten für hochschulpolitisch sinnvoll? Die Entscheidungen über eine Aussetzung von Wehr- und Zivildienst und die konkrete Ausgestaltung stehen noch aus. Dem Ergebnis einer entsprechenden Ressortabstimmung und einer Entscheidung der Legislative kann ich hier nicht vorgreifen. Anlage 65 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Fragen des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/3619, Fragen 93 und 94): Über welche neuen Informationen bezüglich der Auswirkungen der Wehrpflichtaussetzung hat die Bundesregierung zwischen der letzten Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, dem 29. Oktober 2010, in der das Bundesministerium für Bildung und Forschung keinerlei Erkenntnisse nennen konnte, und aktuellen Presseberichten (Frankfurter Rundschau vom 2. November 2010), in denen die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, einen Mehrbedarf von 52 000 Studienplätzen nennt, Kenntnis erlangt? Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den von ihr aufgrund der Wehrpflichtaussetzung in Presseberichten eingeräumten Mehrbedarf von rund 52 000 Studienplätzen bedienen zu können? Zu Frage 93: Wie bereits in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 29. Oktober 2010 erläutert, lassen sich die konkreten Auswirkungen der Planungen zur Aussetzung von Wehr- und Zivildienst auf die Studienanfängerzahlen in den nächsten Jahren derzeit nicht genau bestimmen. Dies wird auch daran deutlich, dass in der Presse Zahlen zwischen 20 000 und 70 000 zusätzlichen Studienanfängern genannt werden. Ich möchte mich daher nicht an Spekulationen beteiligen. Wie Sie wissen, hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz am 25. Oktober 2010 ihre Staatssekretärs-Arbeitsgruppe "Hochschulpakt" beauftragt, die zahlenmäßigen Auswirkungen, Kosten und Umsetzungsmöglichkeiten zu prüfen und dem Dringlichkeitsausschuss bis Mitte November einen Bericht mit einem Vorschlag für eine Positionierung der GWK vorzulegen. Zu Frage 94: Die Bereitstellung eines ausreichenden Studienangebots ist entsprechend der föderalen Aufgabenverteilung in erster Linie Sache der Länder. Die Bundesregierung engagiert sich im Rahmen des Hochschulpakts 2020 bereits in außergewöhnlichem Maße dafür, Länder und Hochschulen bei der Bereitstellung von zusätzlichen Studiermöglichkeiten für die junge Generation zu unterstützen. Im Rahmen der ersten Programmphase stellt der Bund insgesamt 565 Millionen Euro bereit, in der zweiten Programmphase des Hochschulpakts stellt der Bund in den Jahren 2011 bis 2015 rund 3,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Anlage 66 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 95): Aus welchen Gründen wurde die Erhöhung der sogenannten Sozialpauschalen nach § 13 a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, BAföG, im Zuge der 23. BAföG-Novelle nicht an die tatsächliche Beitragssteigerung der Kranken- und Pflegeversicherung für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 und 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch versicherten Studierenden, Praktikantinnen und Praktikanten und zu ihrer Berufsausbildung ohne Arbeitsentgelt Beschäftigten angeglichen und stattdessen eine Unterdeckung von 2,77 Euro für die Krankenversicherung und 0,64 bzw. 2,13 Euro für die Pflegeversicherung bezogen auf den Höchstsatz gemäß BAföG in Kauf genommen? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Änderungen der krankenversicherungsbeitragsrechtlichen Grundlagen einerseits und der BAföG-rechtlichen Berücksichtigung von Krankenversicherungszuschlägen andererseits zeitlich nicht zwingend parallel laufen. Schon in der Vergangenheit gab es Zeitabschnitte mit vorübergehend geringfügigen Unter- oder auch Überdeckungen. Das ist auch bei dem von Ihnen angesprochenen Sachverhalt der Fall. Zum einen ist das erst rückwirkende Inkrafttreten des 23. BAföG-Änderungsgesetzes wegen der Verfahrensverlängerung durch das Vermittlungsverfahren zu berücksichtigen. Zum anderen ist die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages zum GKV-Finanzierungsgesetz, mit dem die vorübergehende Absenkung des allgemeinen Beitragssatzes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um 0,6 Prozent zum Jahresende ausläuft, erst für diesen Freitag vorgesehen. Das 23. BAföGÄndG wurde im Deutschen Bundestag bereits am 18. Juni 2010 verabschiedet; der Entwurf des GKV-Finanzierungsgesetzes wurde vom Bundeskabinett drei Monate später am 22. September 2010 beschlossen; die geplante Änderung des allgemeinen Beitragssatzes der GKV konnte daher im Gesetzgebungsverfahrens zum 23. BAföGÄndG schon verfahrensmäßig nicht berücksichtigt werden. Von einer bewussten Inkaufnahme einer Unterdeckung bei der Anhebung der Pauschalen nach § 13a BAföG für Kranken- und Pflegeversicherungskosten durch das 23. BAföGÄndG zum 1. Oktober 2010 kann also keine Rede sein. Im Übrigen liegt bis zum Sommersemester 2011 keine Unter-, sondern sogar eine Überdeckung vor. Diese beträgt derzeit bis zum Jahresende 8,60 Euro und anschließend bis zum Beginn des Sommersemesters 2011 6,45 Euro. Anlage 67 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/3619, Frage 96): Wie weit sind nach Kenntnissen der Bundesregierung die Diskussionen innerhalb der Kultusministerkonferenz, KMK, zu einer Überarbeitung der sonderpädagogischen Empfehlungen inhaltlich fortgeschritten, und wann ist mit einem Beschluss über Empfehlungen der KMK zur inklusiven Bildung zu rechnen? Nach Kenntnis der Bundesregierung soll ein erster Entwurf der überarbeiteten sonderpädagogischen Empfehlungen in den nächsten Monaten in den zuständigen Gremien der KMK beraten werden. Zur genauen Zeitplanung bitte ich Sie, sich direkt an das Sekretariat der KMK zu wenden. Anlage 68 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/3619, Frage 97): Mittels welcher Projekte und in welcher Förderhöhe hat die Bundesregierung - wie vom Deutschen Bundestag mit Antrag der Fraktion der SPD auf Bundestagsdrucksache 16/1546, angenommen am 11. Mai 2007, gefordert - seit Mitte 2007 die Forschung zur Konfliktvermeidung und Friedenssicherung gefördert, und an welcher Stelle hat die im Antrag geforderte Verstärkung konkret stattgefunden? Es werden folgende Projekte gefördert: Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) Das Bundesministerium für Bildung und Forschung betreibt keine eigenständige programmgestützte Projektförderung im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung. Dieses ist Aufgabe der Deutschen Stiftung Friedensforschung, DSF, die im Jahre 2000 in Osnabrück mit dem Ziel gegründet wurde, "die Friedensforschung in Deutschland dauerhaft zu stärken und zu ihrer politischen und finanziellen Unabhängigkeit beizutragen." Die DSF initiiert und fördert wissenschaftliche Vorhaben, führt Konferenzen durch und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs. Am 31. Dezember 2007 erfolgte die letzte Kapitalaufstockung in Höhe von 1,5 Millionen Euro. Aktuell, im Oktober dieses Jahres fand das Internationale Symposium "Religionen und Weltfrieden. Zum Friedens- und Konfliktlösungspotenzial von Religionsgemeinschaften" statt, das das BMBF mit 250 000 Euro gefördert hat. Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung Eine weitere Stärkung hat die Friedens- und Konfliktforschung durch die Aufnahme der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, HSFK, in Frankfurt/Main in die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, WGL, am 1. Januar 2009 erfahren. Im Jahr 2009 beteiligten sich Bund und Land Hessen mit jeweils 1,275 Millionen Euro an der Finanzierung. Projektverbünde im Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" der Bundesregierung Auf die Förderbekanntmachungen im Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" wurden einzelne Forschungsthemen eingereicht, die inhaltliche Bezüge zu Fragestellungen der Friedens- und Konfliktforschung haben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert hier vier Projektverbünde, die sich mit Piraterie und maritimen Terrorismus, Instrumenten ziviler Konfliktprävention, Ursachen und Folgen des Wandels in der Sicherheitskultur und Einflussfaktoren von Radikalisierungsprozessen befassen. 7538 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 70. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 10. November 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 70. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 10. November 2010 7539 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 7574 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 70. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 10. November 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 70. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 10. November 2010 7573