Plenarprotokoll 17/71 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 72. Sitzung Berlin, Freitag, den 12. November 2010 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 32: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Drucksachen 17/3040, 17/3360, 17/3441) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Drucksachen 17/3360, 17/3441, 17/3360, 17/3441) - Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/3697) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Patientenschutz statt Lobbyismus - Keine Vorkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege einführen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Erfahrungen mit den durch das GKV-WSG bewirkten Rechtsänderungen in § 13 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/3427, 17/1238, 16/12639, 17/3696) Ulrike Flach (FDP) Andrea Nahles (SPD) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Elke Ferner (SPD) Jens Spahn (CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Elke Ferner (SPD) Jens Spahn (CDU/CSU) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stephan Stracke (CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Dietrich Monstadt (CDU/CSU) Namentliche Abstimmungen Ergebnisse Kathrin Vogler (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Harald Weinberg (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) (Drucksachen 17/1199, 17/3609) Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Katja Mast (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Frieser (CDU/CSU) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Stephan Thomae (FDP) Klaus Hagemann (SPD) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts (Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz) (Drucksache 17/3628) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Dr. Carsten Sieling (SPD) Frank Schäffler (FDP) Dr. Carsten Sieling (SPD) Caren Lay (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 35: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Dr. Barbara Höll, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft (Drucksachen 17/821, 17/891, 16/10500, 17/1486) Dorothee Bär (CDU/CSU) Christel Humme (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Cornelia Möhring (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Peter Bleser, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Dr. Erik Schweickert, Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kinderfreundliche Nachbesserung der EU-Spielzeugrichtlinie dringend erforderlich - zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug - zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Krebserregende Stoffe in Kinderspielzeugen durch Sofortmaßnahmen ausschließen - zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kinderspielzeug - Risiko für kleine Verbraucher (Drucksachen 17/3424, 17/2345, 17/1563, 17/656, 17/3695) Dr. Erik Schweickert (FDP) Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Karin Binder (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peter Bleser (CDU/CSU) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Tagesordnungspunkt 32 a) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler und Angelika Graf (Rosenheim) (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Tagesordnungspunkt 32 a) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Veronika Bellmann, Heike Brehmer, Ingrid Fischbach, Ingo Gädechens, Frank Heinrich, Rudolf Henke, Robert Hochbaum, Axel Knoerig, Dr. Hermann Kues, Katharina Landgraf, Ingbert Liebing, Matthias Lietz, Rita Pawelski, Erwin Rüddel, Anita Schäfer (Saalstadt), Karl Schiewerling, Uwe Schummer, Armin Schuster (Weil am Rhein), Volkmar Vogel (Kleinsaara), Dr. Johann Wadephul, Marcus Weinberg (Hamburg), Peter Wichtel, Dr. Matthias Zimmer und Willi Zylajew (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Tagesordnungspunkt 32 a) Anlage 5 Amtliche Mitteilungen 72. Sitzung Berlin, Freitag, den 12. November 2010 Beginn: XX.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. (Thomas Oppermann [SPD]: Nur ein Minister da, Herr Präsident! - Weiterer Zuruf von der SPD: Volle Solidarität!) - Aber das ist doch auch der, der jetzt gebraucht wird. (Elke Ferner [SPD]: Aber das Kabinett lässt Sie ganz schön alleine!) - Na ja, aber die ganze Weide hier ist ja auch noch ein bisschen übersichtlich. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Ältestenrat gestern in seiner Sitzung vereinbart hat, während der Haushaltsberatungen in unserer nächsten Sitzungswoche ab dem 22. November, wie auch sonst üblich, keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Darf ich dazu allgemeines Einvernehmen feststellen? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) - Drucksache 17/3040 - - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) - Drucksachen 17/3360, 17/3441 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) - Drucksache 17/3696 - Berichterstattung: Abgeordnete Jens Spahn Dr. Karl Lauterbach Ulrike Flach Harald Weinberg Birgitt Bender - Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/3697 - Berichterstattung: Abgeordnete Alois Karl Ewald Schurer Ulrike Flach Michael Leutert Sven-Christian Kindler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Patientenschutz statt Lobbyismus - Keine Vorkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege einführen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Erfahrungen mit den durch das GKV-WSG bewirkten Rechtsänderungen in § 13 Ab-satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Drucksachen 17/3427, 17/1238, 16/12639, 17/3696 - Berichterstattung: Abgeordnete Jens Spahn Dr. Karl Lauterbach Ulrike Flach Harald Weinberg Birgitt Bender Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP sowie über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulrike Flach (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das GKV-Finanzierungsgesetz, das wir heute hier beraten, bedeutet eine deutliche Zäsur in der deutschen Gesundheitspolitik. (Andrea Nahles [SPD]: Allerdings! Das kann man wohl sagen! - Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das kann man wohl sagen! - Gegenruf des Abg. Heinz Lanfermann [FDP]: Nur kein Neid!) Wir schaffen heute den Einstieg - das ist etwas, was hier in diesem Hause oft genug bezweifelt worden ist - in die strukturelle Umstellung auf eine einkommensunabhängige und damit natürlich konjunkturunabhängige Finanzierung des Gesundheitssystems. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Aha! Seehofer ist umgefallen!) Wir sehen doch seit vielen Jahren, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung schneller wachsen als die beitragspflichtigen Einnahmen. Wir müssen uns deshalb - das muss jeder in diesem Lande wissen, der auf die Oppositionspolemik der vergangenen Wochen hereinfällt - vom Lohnbezug der Beiträge lösen; denn steigende Beiträge führen zu steigenden Lohnnebenkosten und sie gefährden damit Arbeitsplätze. Unser Ziel ist, genau dies zu verhindern. (Elke Ferner [SPD]: Geht es hier um Gesundheit oder Arbeitsplätze?) Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist eines der großen Ziele dieser Koalition und damit auch ein entscheidendes Element der liberal-christlich-demokratischen Sozialpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Einfrieren des Arbeitgeberanteils sichert Beschäftigung, weil sich die Lohnzusatzkosten eben nicht mehr erhöhen. Schwankungen der Konjunktur und höhere Arbeitslosigkeit schlagen damit nicht mehr so stark auf die Gesundheitsfinanzierung durch. Die Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge mit Sozialausgleich (Elke Ferner [SPD]: Kopfpauschale ist das!) stellt sicher, dass Geringverdiener nicht überfordert werden und einen sozialen Ausgleich erhalten. Auch das muss man an dieser Stelle sagen. Das ist neu, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das haben eine sozialdemokratische und auch eine rot-grüne Regierung nie geschafft. Wir schaffen einen sozialen Ausgleich im deutschen Gesundheitssystem. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht! - Weitere Zurufe von der SPD) Außerdem haben wir auf das Milliardendefizit bei den gesetzlichen Krankenversicherungen reagiert und dies durch harte Einsparungen bei den Leistungsträgern sowie mit Anpassungen der Beiträge und Rückführungen auf den Vorkrisenstand bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgeglichen. Was wir aber nicht getan haben, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir belasten nicht die Patienten in diesem Lande. (Elke Ferner [SPD]: Doch! Sie plündern sie aus! - Weitere Zurufe von der SPD) Die Patienten können darauf setzen, dass dieses Gesundheitssystem auch in Zukunft funktioniert. Sie können sich auf uns verlassen. Nicht die Patienten werden getroffen, sondern die Leistungsträger, die bei diesen Einsparungen dabei sein müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Mechthild Rawert [SPD]: Sie haben Ihr eigenes Gesetz nicht gelesen!) Wir sichern die Einnahmeseite, und wir stabilisieren die Ausgabenseite. Das ist erheblich mehr, als alle anderen in diesem Hause vor uns geschafft haben. In einer Gesellschaft des längeren Lebens mit weniger Kindern und erheblichem medizinischem Fortschritt wird Gesundheit in der Tendenz teurer. Jeder, der etwas anderes behauptet, macht den Leuten doch etwas vor, meine Damen und Herren. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Märchenstunde!) Die Alternative zu dem heutigen Gesetz wäre, dass wir Leistungen streichen müssten. Genau dies werden wir nicht tun, genau dies wollen wir nicht. Dafür ist das heute zu beratende Gesetz da. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Unsere Maßnahmen werden die Ausgaben stabilisieren. Das hat der Schätzerkreis vor wenigen Tagen erneut bestätigt. Die Ausgaben der GKV werden im nächsten Jahr voll gedeckt werden können, und der durchschnittliche Zusatzbeitrag wird 2011 bei null Euro liegen. Das ist eine gute Botschaft für die Versicherten. Hätten wir nämlich Ihr System weiterlaufen lassen, liebe Damen und Herren von der Sozialdemokratie, dann wären zahlreiche Kassen in diesem Lande in den Ruin gelaufen. (Elke Ferner [SPD]: Schwachsinn! Das glauben Sie doch selber nicht!) Viele Menschen hätten Zusatzbeiträge zahlen müssen. Das haben wir verhindert; das ist auch das Ziel unserer Reform gewesen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch zwei Worte zu dem sagen, was man, abgelesen von kleinen Zetteln, in diesen Tagen so von Ihnen hört. Der Arbeitskreis der SPD hat wohl getagt und ein Mäuschen geboren, das er Bürgerversicherung nennt. Sie haben nichts durchgerechnet, überhaupt nichts durchgerechnet. Sie haben sich mit keinerlei technischen Problemen befasst. Technische Probleme, wie Sie sie bei uns immer anprangern, können bei Ihnen gar nicht vorkommen, weil Sie sich überhaupt nicht damit befassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sagen den Leuten übrigens auch nicht, ob zum Beispiel die Ehefrauen in Zukunft noch mitversichert sein werden. Es würde mich einmal interessieren, ob Sie das tun. (Elke Ferner [SPD]: Wer bestreitet das denn? Absurd!) Von den Grünen haben wir darauf eine klare Antwort, dass es nicht so sein wird. (Andrea Nahles [SPD]: Jetzt werfen Sie aber Nebelkerzen!) Sie haben natürlich auch kein Modell für die Wirklichkeit vorgelegt. Das, was Sie den Menschen in diesem Hause und draußen vor den Fernsehern erzählen, ist nebulös und hat mit einer Lösung für dieses Gesundheitssystem nichts zu tun. Wir hingegen haben etwas vorgelegt. Wir sorgen dafür, dass das Ganze laufen kann, und wir freuen uns auf die Reformen der nächsten Monate. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Andrea Nahles für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Jetzt kommt die Gesundheitsexpertin schlechthin!) Andrea Nahles (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Zäsur ist es wohl, Frau Flach. Nach meiner Auffassung erleben wir hier heute den ersten Schritt in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier wird aus meiner Sicht versucht, die Prinzipien der privaten Krankenversicherung einer im Kern intakten Solidargemeinschaft überzustülpen. Meiner Meinung nach ist das vor allem schlecht für 70 Millionen gesetzlich Versicherte, für alle Patientinnen und Patienten. Es geht Ihnen doch in Wirklichkeit nicht um die Reform des Systems. Sie wollen den Wechsel des Systems, Herr Rösler. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir haben hier im Grunde genommen einen groß angelegten Feldversuch, in dem die Menschen an die Prinzipien der privaten Krankenversicherung herangeführt werden sollen, und das wollen die Menschen in Deutschland nicht. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was haben Sie denn in der Großen Koalition gemacht?) Was wollen denn die Menschen eigentlich? Sie wollen zweierlei: Erstens wollen sie, wenn sie krank werden, Sicherheit haben, dass sie die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen. Das Zweite, was Menschen wollen, ist, dass es dabei gerecht zugeht, und zwar sowohl im Wartezimmer als auch auf dem Lohnzettel oder im Rentenbescheid. (Beifall bei der SPD) Was legen Sie demgegenüber heute hier vor? Den Patienten wird es nicht besser gehen. Die Versorgung wird nicht verbessert, in keinem Punkt. Aber es wird an vielen Punkten für die Mehrheit der Versicherten in Deutschland ungerechter werden. (Beifall bei der SPD - Jens Spahn [CDU/ CSU]: Können wir mal etwas Konkretes hören?) Deswegen, lieber Herr Rösler, muss man auch einmal klar benennen, welche Interessen Sie heute hier vertreten. Sie vertreten nämlich nicht die Interessen der Versicherten, Sie verdienen den Namen Gesundheitsminister nicht. Sie sind der Cheflobbyist der 4 Prozent Spitzenverdiener, die in den Umfragen als Letzte treu zur FDP stehen. Das kann man hier doch einmal schlicht zusammenfassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/ CSU und der FDP) Die Aussage hinsichtlich des Cheflobbyismus will ich auch begründen: Sie haben allen Ernstes die Chuzpe, die Arbeitgeberbeiträge einzufrieren. Dies geschieht in einer Zeit, in der die gesundheitlichen Belastungen für Arbeitnehmer nachweislich durch Überstunden und Leistungsverdichtung stetig steigen. Insbesondere psychische Erkrankungen sind mittlerweile zu einer der großen Volkskrankheiten geworden. In dieser Situation entlassen Sie die Arbeitgeber aus der Verantwortung für die Gesundheit der Arbeitnehmer. Das ist mies. Ihre Politik bedeutet eines: mehr Netto - allerdings nur für die Arbeitgeber in Deutschland. Etwas anderes wird durch Ihre Maßnahmen nicht erreicht. (Beifall bei der SPD) Wir erleben hier die Einführung einer Kopfpauschale. Je weniger man verdient, desto höher ist die Belastung. Das kehrt das Solidarprinzip um. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Menschen werden dies merken. Bei 1 000 Euro Rente entspricht eine Kopfpauschale in Höhe von 40 Euro einer 4-prozentigen Rentenkürzung. Das werden die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland sehr bald in ihrem Rentenbescheid erkennen können. Herr Rösler, Sie sprechen von Sozialausgleich. Sie bekommen noch nicht einmal in Ihren eigenen Reihen ein Gerechtigkeitsattest. Herr Spahn, Herr Straubinger und Frau Flach haben es Ihnen doch am 4. November schriftlich gegeben - ich zitiere -: So kann es passieren, dass jemand einen Steuerzuschuss erhält, obwohl der Versicherte etwa über hohe Zins- und Mieteinnahmen verfügt. Das ist nicht gerecht. (Beifall bei der SPD - Beifall des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] - Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wir sind nicht auf einem Parteitag!) Herr Spahn, Herr Straubinger und Frau Flach, wenn Sie diese Reform nicht für gerecht halten, dann haben Sie doch das Kreuz und verhindern Sie diese Reform. Der zweite Streich des Ministers ist die Vorkasse. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben bisher überhaupt kein Problem mit dem Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung gehabt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Zu Stuttgart 21 haben Sie noch nichts gesagt!) Bei der Vorkasse gibt es aber das Problem, dass die Leute allein auf den Risiken sitzen bleiben, wenn der Arzt mehr abrechnet, als die Kasse ihnen erstattet. (Ulrike Flach [FDP]: Sie haben das Gesetz gar nicht gelesen!) Das wird massenhaft passieren. Das ist Scheckbuchmedizin. Das können wir den Menschen nicht zumuten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Quatsch!) Die Vorkasse ist für mich die Einführung eines Dreiklassensystems. Jeder von uns kennt doch die Situation - ich bin AOK-Versicherte -, dass man als gesetzlich Versicherter schon jetzt immer länger warten muss (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie bestimmt nicht!) und dass man einen schlechteren Zugang zu Spezialisten hat. Dies ist so, weil es Privatpatienten gibt. Jetzt wird eine weitere Klasse von Versicherten eingeführt. Sie sagen, die Vorkasse sei freiwillig. Wissen Sie, wie es nachher in den Praxen läuft? Wer schnell behandelt werden will, bekommt einen kurzfristigen Termin nur dann, wenn er Geld auf die Anmeldetheke der Arztpraxis legt. Das wird die Realität in Deutschland werden. Das bringt nichts außer Verdruss. (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Sie führen hier ein Großexperiment durch. Ich sage Ihnen: Mit der Gesundheit von 70 Millionen Versicherten macht man keine Experimente, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Flach, es gibt sehr wohl eine Alternative, die eine hochwertige Gesundheitsversorgung mit gleichem Zugang zu medizinischen Leistungen für alle Bürgerinnen und Bürger sicherstellt. Dieser Weg setzt auf mehr Solidarität und nicht auf die weitere Spaltung dieses Landes. Was mir besonders wichtig ist: Nur die Bürgerversicherung kann verhindern, dass die Patienten den Lobbyisten in diesem Land ausgeliefert werden. (Widerspruch bei der FDP) Deswegen setzen wir uns dafür ein. (Beifall bei der SPD) Ich bin davon überzeugt - das ist auch die Überzeugung meiner Partei, die dieses System entwickelt hat -, (Lachen des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]) dass die Mehrheit der Menschen in unserem Land die Bürgerversicherung unterstützen wird. (Lars Lindemann [FDP]: Ihre Partei ist die Mehrheit? Da lachen ja die Hühner!) Indem wir die Bürgerversicherung einführen, werden wir die Solidarität stärken. Sie werden bei der nächsten Wahl für Ihre Politik die Quittung bekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rolf Koschorrek für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Volker Kauder [CDU/CSU]: Rolf, sag ihr mal, was wahr ist!) Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Nahles, ich habe heute mit großer Erwartung hier gesessen, um zu hören, was Sie konkret zu den Maßnahmen der Regierung sagen. Es hat mich auch interessiert, ob Ihre Ausführungen zu der Frage, was die Bürgerversicherung auszeichnet, über die blumigen und eher nebulösen Ankündigungen auf Ihrer Pressekonferenz Anfang dieser Woche hinausgehen. Das, was wir hier eben erlebt haben, war ein großes schwarzes Loch: wieder einmal schlicht gar nichts. Das, was wir in der Regierungskoalition gestern und heute im Gesetzgebungsverfahren dem Parlament vorlegen, ist gelebte Solidarität. Wir sorgen dafür, die finanzielle Basis der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei der SPD und der LINKEN - Elke Ferner [SPD]: Stimmt doch nicht!) Wir stellen das anerkannt gute deutsche Gesundheitssystem auf eine solide finanzielle Basis und schaffen uns dafür Raum, in den kommenden Monaten und im nächsten Jahr die restlichen Vorhaben der Koalition, die wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, in Angriff zu nehmen. Dann wollen wir genau die Punkte umsetzen, die Sie kritisieren - das ist recht so -: Wir gehen an die Strukturen heran; wir werden die Effizienz des Systems steigern. Das funktioniert nur, wenn wir vorher dafür gesorgt haben, dass die finanzielle Basis, auf der wir die ganze gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland organisieren, solide ist. Nichts anderes tun wir, und zwar nachhaltig und deutlich über das Maß der in den letzten Legislaturperioden verabschiedeten großen Reformgesetze hinaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir erhalten die bewährten Grundprinzipien unseres solidarischen Gesundheitswesens: (Elke Ferner [SPD]: Das ist schon mal falsch! Das stimmt nicht!) Breite Schultern tragen nach wie vor deutlich mehr als schmale. (Elke Ferner [SPD]: Aber nicht mehr so viel wie vorher!) Die hochwertige medizinische Versorgung wird weiterhin jedem unabhängig von Alter und sozialem Status zur Verfügung stehen. Wir passen die überholten Regelungen an die Anforderungen einer deutlich älter werdenden Gesellschaft und einer völlig veränderten gesellschaftlichen Basis an. Frau Ferner, da hilft es nichts, dass Sie jetzt Schlagworte einwerfen. Ich bin gerne bereit, sachlich mit Ihnen zu debattieren; aber es entbehrt doch jeder Grundlage, dass Sie uns immer wieder unsolidarisches Verhalten vorhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Das ist aber so! Wie soll man das sonst nennen?) Wir stabilisieren das System in einer Weise, die deutlich über diese Legislaturperiode hinaus und weit in die Zukunft hinein dafür sorgen wird, dass es zu einer verlässlichen Finanzierung unserer wirklich guten Krankenversorgung kommt. Wir werden den Beitragssatz, wie vor zwei Jahren angekündigt, auf das vor der Finanzkrise verabredete Maß von 15,5 Prozent anheben. Wir wollen eben nicht - Frau Nahles, das haben Sie gerade behauptet - den Arbeitgeberanteil abschaffen, sondern ihn stabil halten, (Elke Ferner [SPD]: Einfrieren! Aus der Solidarität heraus!) sodass wir die Arbeitgeber weiterhin an der Finanzierung des Gesundheitswesens beteiligen, aber der Wirtschaft auch genügend Luft zum Atmen geben. Wir sorgen so für Verlässlichkeit, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland Vorteile aus unserem gesetzlichen Tun zieht. Selbstverständlich bleibt es bei dem Prinzip der kostenlosen Mitversicherung von Kindern und von Ehegatten, die kein eigenes Einkommen haben. Es bleibt bei dem bekannten und bewährten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse; es gibt keinerlei Leistungskürzungen für Kassenpatienten, keine neuen oder höheren Zuzahlungen, weder bei Medikamenten noch bei Krankenhausaufhalten. Es bleibt beim Sachleistungsprinzip. (Elke Ferner [SPD]: Warum machen Sie dann den Murks mit der Vorkasse?) Jeder Krankenversicherte, der seine Versicherungskarte beim Arzt vorlegt, hat wie eh und je Anspruch auf alle Leistungen der medizinischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir alle reden über Eigenverantwortung, über Transparenz und die Beteiligung der Bürger. Wir ermöglichen jetzt ein System der Kostenerstattung. Es geht nicht darum, vom Sachleistungsprinzip zum Kostenerstattungsprinzip überzugehen; das steht in keinem Satz dieses Gesetzes. (Andrea Nahles [SPD]: Kennen Sie Ihre eigenen Gesetze nicht?) Ein großer Teil der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung will aber Kostentransparenz; sie wollen Kenntnis über die Kosten haben, die ihre Behandlung verursacht. (Elke Ferner [SPD]: Wer sitzt denn am längeren Hebel: der Arzt oder der Patient?) Das werden wir ermöglichen; nichts anderes setzen wir um. Es geht überhaupt nicht darum, jemanden abzuzocken oder zur Vorkasse oder zu anderen Drolligkeiten zu zwingen. (Elke Ferner [SPD]: Das wäre das erste Mal, dass es bei Ihnen nicht darum geht!) Es geht einfach darum, die für das Gesundheitssystem gewünschte Transparenz mit gesetzlichen Maßnahmen zu flankieren, damit der Patientenkreis, der freiwillig das Kostenerstattungsprinzip nutzen möchte, dies auch tun kann. Wir haben in der letzten Legislaturperiode in der Großen Koalition schon einiges auf den richtigen Weg gebracht. Allerdings war die Nutzung des Kostenerstattungsprinzips strafbewehrt. Wir heben die Strafbewehrung - die Patienten mussten für den Zugewinn an Transparenz zahlen - nun auf. Das ist wohl wahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Im Gegenteil!) Wir wollen eindeutig dafür sorgen, die Nutzung des Kostenerstattungsprinzips zu ermöglichen. Sie haben jetzt geäußert, dass wir stattdessen Patientenquittungen einführen sollten. Das führt doch völlig am Ziel vorbei. Was bringt denn eine Patientenquittung? Sie können es nachlesen - dafür hat der amerikanische Wissenschaftler Pauli schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts einen Nobelpreis bekommen -: Eine reine Erkenntnislage bei den Leistungen einer Versicherung, die keine Konsequenzen hat, führt genau zum gegenteiligen System; das würde zu einer Leistungsoptimierung zulasten der Krankenkassen führen. Das wollen wir eben nicht. Wir wollen Transparenz. Dafür bieten wir denjenigen, die das für den Bereich Kostenerstattung wünschen, ein System, das fair und verlässlich ist und niemanden überfordert. Denn es geht, wie gesagt, um eine freiwillige Beteiligung. Es geht überhaupt nicht um Vorkasse, sondern um ein gut formuliertes und sauber austariertes System, in dem niemand hinten runterfällt und wir in Zukunft die Transparenzgewinne, die wir uns davon versprechen, zusammen mit den Kassen und den Patienten auch erreichen werden. Wir werden natürlich nicht um den Bereich der Kostendynamik im Gesundheitswesen herumkommen. Fakt ist, dass wir, bedingt durch die demografische Entwicklung, durch Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und viele andere Komponenten - Sie alle wissen das genauso gut wie ich -, zu einer höheren Eigenbeteiligung kommen werden. (Elke Ferner [SPD]: Ah, guck an! Das Nächste ist höhere Eigenbeteiligung!) Wir machen das über die weitere Ausgestaltung der Zusatzbeiträge, die wir ja schon in der letzten Legislaturperiode festgelegt haben, und jetzt durch die Erhöhung der prozentualen Beteiligung von 1 auf 2 Prozent. (Zurufe von der SPD: Ah! - Elke Ferner [SPD]: Das ist ja interessant!) Denn Sie wissen selbst, dass die Beteiligung von 1 Prozent damals ein nicht zu umgehender Kompromiss war, der aber das ganze System nicht praktikabel gemacht hat. Insofern passen wir uns den Gegebenheiten an. Dieses System wird über viele Jahre tragen, sodass wir an dem System der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht wieder durch gesetzgeberische Maßnahmen arbeiten müssen. Wie ich schon eben sagte, ist der Arbeitgeberanteil nach wie vor Bestandteil der Finanzierung der Krankenversicherung. Um es Ihnen noch einmal zu sagen: Es bleibt dabei, dass die wirtschaftlich Kräftigeren in unserem Lande auch mehr zahlen müssen, und zwar deutlich mehr, als wenn sie es nur über das Beitragssystem täten. Das geschieht nämlich über die Zunahme der steuerlichen Finanzierung der Gesundheitskosten. (Elke Ferner [SPD]: Das ist doch absurd! Das glauben Sie doch nicht selber nicht, Herr Koschorrek!) - Frau Ferner, nun hören Sie doch erst einmal zu. Sie haben doch nachher, wenn ich die Rednerliste richtig lese, noch ausreichend Möglichkeiten, Ihre Ideen hier ins Plenum zu senden. (Elke Ferner [SPD]: Richtig! Werde ich auch!) Wir sind der Meinung, dass die steuerliche Basis der Erfassung eine deutlich gerechtere ist als das, was wir heute im Beitragssystem erreichen können. (Elke Ferner [SPD]: Die einen mehr, die anderen weniger!) Deswegen werden wir genau diese Änderungen vornehmen. Beide Gesetzespakete - sowohl das AMNOG, gestern hier beschlossen, als auch das GKV-Finanzierungsgesetz, das wir heute beschließen - sorgen dafür, dass wir die finanzielle Basis der gesetzlichen Krankenversicherung solide gestalten. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Selbstlob stinkt!) - Es geht gar nicht darum, dass hier irgendetwas stinkt oder nicht, sondern es geht darum, dass wir hier aufgefordert sind, die gesetzlichen Maßnahmen der Regierungskoalition zu erläutern. (Elke Ferner [SPD]: Beweihräucherung!) Nichts anderes tue ich. - Gestatten Sie mir, zu sagen, dass ich, der ich an diesen Verhandlungen beteiligt war, mit dem Ergebnis durchaus zufrieden bin; denn wir setzen genau das um, was wir uns vorgenommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Herzlichen Glückwunsch! Wenn Sie das zufrieden macht: wunderbar!) Lassen Sie mich zum Schluss einige Sätze auch dafür verwenden: Wir schaffen die Basis für das, was in Zukunft zu regeln ist. Als nächstes gesetzliches Vorhaben (Elke Ferner [SPD]: Wollen Sie die Pflegeversicherung ruinieren!) werden wir die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit guter Medizin in Deutschland auf eine neue Basis stellen. Wir werden dort die bisherigen Reglungsmechanismen überprüfen und, wo nötig, durch neue ersetzen. Die Strukturen der Selbstverwaltung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung werden wir darauf überprüfen, ob sie wirklich die Grundsätze der demokratischen Legitimation und Transparenz, die erforderlich sind, heute noch in jedem Punkt erfüllen und ob die Rechtssicherheit für alle Beteiligten im System ausreichend gewährt ist. Wir werden uns im nächsten Jahr auch der Zukunftsfestigung der Pflegeversicherung ausführlich widmen. Ich freue mich auf weitere, hoffentlich konstruktivere Debatten. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Elke Ferner [SPD]: Wenn Sie diesen Pfad weitergehen, mit Sicherheit nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute sind wir dabei, eine Dreiklassenmedizin einzuführen. Darauf sind Sie komischerweise auch noch stolz, anstatt sich wenigstens zu schämen. Sie führen nämlich drei verschiedene Sorten von Kranken in Deutschland ein: Die eine Gruppe sind die Privatversicherten, die stark bevorzugt werden. Die zweite Gruppe sind die gesetzlich Krankenversicherten, die aber Vorschuss leisten, das heißt, die die Rechnungen selbst bezahlen, um das Ganze dann mit ihrer gesetzlichen Krankenkasse abzurechnen, wobei sie einen Teil nicht erstattet bekommen. Dann gibt es noch die dritte Gruppe. Das sind diejenigen, die sich das alles nicht leisten können und - in Anführungsstrichen - "nur" gesetzlich krankenversichert sind. Das Problem ist ganz klar: An der ersten und zweiten Gruppe verdienen die Ärzte mehr. Deshalb genießen diese Gruppen Vorzüge bei den Ärzten. Bestimmte Leistungen und Medikamente bekommen die gesetzlich Krankenversicherten nicht mehr erstattet. Außerdem müssen sie immer längere Wartezeiten hinnehmen. Das alles widerspricht dem Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der LINKEN - Jens Spahn [CDU/ CSU]: Ei, ei, ei!) - Das werde ich Ihnen beweisen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Einmal im Grundgesetz lesen, wenn Sie so lange im Wartezimmer sitzen!) Sie haben das Ende der Solidarität eingeleitet. Ich werde Ihnen sagen, wodurch. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen im nächsten Jahr um 0,6 Prozentpunkte. Dann liegen die Beitragssätze bei 15,5 Prozent. Die Unternehmen müssen 7,3 Prozent und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 8,2 Prozent zahlen. (Ulrike Flach [FDP]: Das stimmt jetzt ausnahmsweise!) Das ist das Ende der paritätischen Finanzierung. (Ulrike Flach [FDP]: Nein! Das ist die Rückführung!) Zwar ist das von SPD und Grünen schon im Jahr 2005 eingeläutet worden - das stimmt -; (Ulrike Flach [FDP]: Richtig!) das Neue, das Sie eingeführt haben, ist aber - das dürfen Sie nicht vergessen -, dass Sie den Arbeitgeberbeitrag bei 7,3 Prozent einfrieren. (Ulrike Flach [FDP]: Genau!) Sie sagen: Alle weiteren Steigerungen haben allein die Versicherten zu zahlen. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Das ist dermaßen sozial ungerecht, dass man darüber gar nicht zu diskutieren braucht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt machen Sie auch noch Folgendes: Sie führen Zusatzbeiträge als Kopfpauschale ein. (Ulrike Flach [FDP]: Ich finde, Sie sollten sich ein bisschen mehr mit dem Thema befassen!) Ich werde Ihnen sagen, warum Sie das machen: Der Versicherte, der 1 000 Euro verdient, und der Versicherte, der 10 000 Euro verdient, haben exakt denselben Zusatzbeitrag zu zahlen; das gab es noch nie in Deutschland. Das führen Sie jetzt ein, weil Sie die Anbindung an das Einkommen aufgeben wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Ulrike Flach [FDP]: Sie haben keine Ahnung!) Bisher gab es einen Konsens. Ich will Ihnen sagen, warum dieser Konsens wichtig war. Die paritätische Finanzierung (Jens Spahn [CDU/CSU]: Die gibt es schon seit Rot-Grün nicht mehr!) durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite führte dazu, dass beide Gruppen daran interessiert waren, die Kosten für das Gesundheitswesen in Grenzen zu halten. (Ulrike Flach [FDP]: Das haben wir in der Vergangenheit ja leidvoll erfahren!) Dadurch, dass Sie den Beitrag der Unternehmen einfrieren und diese nie mehr als 7,3 Prozent zu zahlen brauchen, sorgen Sie dafür, dass es den Unternehmen völlig gleichgültig sein kann, wie stark die Kosten für das Gesundheitswesen steigen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Was haben Sie denn für ein Bild? Das ist wieder typisch!) Die Mehrkosten haben allein die Versicherten zu bezahlen und nicht die Unternehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: So ein Schwachsinn! Wer zahlt für die ersten sechs Wochen Lohnfortzahlung?) Nun muss ich allerdings sagen, dass die SPD auch bei der Kopfpauschale Türöffner war, und zwar zur Zeit der Großen Koalition. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das stimmt nicht!) - Natürlich! - Sie haben einen Zusatzbeitrag von 8 Euro pro Monat eingeführt und das Ganze auf 1 Prozent des beitragspflichtigen Jahreseinkommens begrenzt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ohne Sozialausgleich!) Jetzt kommen Union und FDP und sagen: Die Begrenzung pro Monat wird aufgegeben, und bezogen auf das Jahr begrenzen wir das Ganze auf 2 Prozent. Sie verdoppeln den Zusatzbeitrag also erst einmal. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sozialausgleich! - Ulrike Flach [FDP]: Herr Gysi, Sie sollten das Fachleuten überlassen!) Das bezahlen die Versicherten ganz allein, egal wie viel sie verdienen. Nehmen wir ein Beispiel. Rechnen wir es den Leuten doch einmal vor: Sagen wir, eine Arbeitnehmerin hat jetzt alleine 7,3 Prozent zu zahlen. (Ulrike Flach [FDP]: Das ist peinlich!) 0,9 Prozentpunkte kommen hinzu. Jetzt sagen Sie: noch einmal maximal 2 Prozent des Jahreseinkommens. Im nächsten Jahr könnte die Arbeitnehmerin also bei 10,2 Prozent landen. Was Sie nicht sagen, ist Folgendes: Ein Jahr später dürfen wieder 2 Prozent hinzukommen. Falls es keine Lohnsteigerung gibt, ist sie dann schon bei 12,2 Prozent. Ein weiteres Jahr später dürfen wieder 2 Prozent hinzukommen. Dann ist sie, falls es keine Lohnsteigerung gibt, schon bei 14,2 Prozent. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was?) Nirgendwo haben Sie eine Grenze gezogen. Sie haben nie gesagt: Der Prozentsatz XY darf nicht überschritten werden. Auch das ist sozial ungerecht. (Beifall bei der LINKEN - Jens Spahn [CDU/ CSU]: 2 Prozent! Lesen würde helfen!) Ich werde jetzt noch ein anderes Beispiel anführen, eine andere Berechnung durchführen, die Sie nicht widerlegen können. Nehmen wir einmal an, dass der Zusatzbeitrag, Ihre Kopfpauschale, 16 Euro beträgt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das darf nicht wahr sein!) Für einen Versicherten, der 800 Euro verdient, sind das 10,2 Prozent seines Einkommens. Wenn der Versicherte 2 000 Euro verdient, sind das nur 9 Prozent des Einkommens. Wenn er 3 750 Euro verdient, sind das nur 8,6 Prozent des Einkommens. Wenn er 6 000 Euro verdient, sind das nur 5,4 Prozent des Einkommens. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Was erzählt der da!) Das ist Ihr Gerechtigkeitsverständnis. Das hat mit unserem Gerechtigkeitsverständnis und dem des Grundgesetzes nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun ist selbst der Union und der FDP aufgefallen, dass das in einem zu hohen Maße sozial ungerecht ist. Dann haben Sie sich gesagt, dass Sie einen Sozialausgleich einführen müssen, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aha!) der dann greift, wenn der Zusatzbeitrag mehr als 2 Prozent des Jahreseinkommens ausmacht. Auch das ist interessant. Sie ziehen für die Ermittlung aber die durchschnittliche Beitragssteigerung heran. Ich nenne ein Beispiel: Eine Arbeitnehmerin verdient im Monat 1 000 Euro, und ihre Krankenkasse möchte pro Monat 40 Euro mehr haben. Sie berechnen den Durchschnittswert aller Kassen und kommen zu dem Ergebnis, dass dieser bei 30 Euro liegt. Daher sagen Sie, dass diese Versicherte 20 Euro selbst zahlen muss: 10 Euro wegen des Durchschnitts, bis zu 30 Euro werden übernommen, und weitere 10 Euro muss sie selbst zahlen. (Ulrike Flach [FDP]: Was für Zahlen haben Sie?) Man habe ja die Möglichkeit, die Kasse zu wechseln. Das wird ein munteres Kassenwechseln. Das, was Sie hier organisieren, ist völlig absurd. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Bei den Hartz-IV-Beziehenden machen Sie Folgendes: Sie erstatten ihnen den durchschnittlichen Zusatzbeitrag. Wenn die Kasse aber einen höheren Zusatzbeitrag fordert, darf sie selber entscheiden, ob sie das bei den Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern abrechnet oder nicht. Das ist blanke Willkür. Geben Sie doch den Menschen diesbezüglich Rechtssicherheit und nicht das Gefühl, dass sie bei ihrer Krankenkasse betteln gehen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Der Gesundheitsökonom Professor Wasem hat übrigens ausgerechnet, dass der Zusatzbeitrag 2020 schon bei 80 Euro liegen wird. Andere gehen sogar von 100 Euro aus. Das belastet dann übrigens nicht nur die Versicherten, sondern aufgrund Ihres komischen Sozialausgleichs auch beachtlich den Bundeshaushalt. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was jetzt? Steuerfinanzierung oder nicht?) Sie haben noch gar nicht gesagt, wie das Ganze finanziert werden soll. Ich sage Ihnen: Schon jetzt müssen die Versicherten pro Jahr 35 Milliarden Euro zahlen; das hat das Statistische Bundesamt errechnet. Das kalkulieren Sie ein, und das erweitern Sie auch noch. Nun schaffen Sie die Möglichkeit, dass Patienten beim Arzt sagen: Ich bin nur gesetzlich krankenversichert, aber Sie können mir die Rechnung schicken, ich begleiche sie selbst und rechne das dann gegenüber meiner Krankenkasse ab. In so einem Fall dürfen die Ärztinnen und Ärzte natürlich höhere Honorare berechnen. Dadurch bleibt am Ende eine Differenz übrig, für die der Patient selber aufkommen muss. Im Kern sagen Sie doch nichts anderes als: Du bist Besserverdiener; zahle etwas dazu, dann wirst du besser behandelt. Das ist Ihre Logik, und diese Logik ist unmoralisch. Das muss ich Ihnen ganz klar sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sagen: Die Patienten können mit den Ärzten Honorare vereinbaren. Sagen Sie einmal, da sitzt man dann mit Schmerzen und vereinbart ein Honorar? Dabei wird ja etwas Tolles herauskommen. Zu diesem albernen Vorhaben muss man wohl nichts weiter sagen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt werde ich Ihnen zeigen, wie Sie die privaten Krankenversicherungen fördern. Wir hatten bisher die Regelung, dass man drei Jahre gesetzlich krankenversichert sein musste, bevor man in die private Krankenversicherung wechseln durfte. Sie sagen jetzt, dass das nicht mehr infrage kommt, man dürfe schon nach einem Jahr wechseln. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So war es früher immer!) Sie führen diese neue Regelung so ein, dass das Wechseln schon im nächsten Jahr möglich ist. Sachverständige haben ausgerechnet, dass circa 40 000 Junge, Gesunde, Singles von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung wechseln werden. Die Folge ist eine Mindereinnahme für die gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von circa 200 Millionen Euro. (Ulrike Flach [FDP]: Von Freiheit halten Sie nicht viel, Herr Gysi?) Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen mit der Pharmaindustrie Rabattverträge abschließen. Dafür zahlen sie Geld. Sie müssen Gutachten in Auftrag geben. Sie müssen alles Mögliche tun, um zu einem Rabattvertrag zu kommen. Das soll jetzt auch für die privaten Krankenversicherungen gelten. Diese haben zwar nichts dafür gezahlt - dafür zahlen allein die gesetzlichen Krankenversicherungen -, aber den Nutzen haben auch sie. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn man keine Ahnung hat, sollte man nicht reden!) Sie argumentieren in diesem Kontext auch mit dem Kartellrecht. Ich bitte Sie! Früher durften die gesetzlichen Krankenkassen zusammen verhandeln. Dadurch waren sie starke Verhandlungspartner gegenüber der Pharmaindustrie. Jetzt sagen Sie, dass das dem Kartellrecht widerspricht und dass jede kleine Krankenkasse ganz allein mit der Pharmaindustrie verhandeln muss. Sie wollen die gesetzlichen Krankenkassen schwächen. Das ist alles, was Sie diesbezüglich anstreben. (Beifall bei der LINKEN und der SPD - Ulrike Flach [FDP]: Keine Ahnung!) - Es kann schon sein, dass Sie im Unterschied zu mir mehr Ahnung haben. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Er hat den Gesetzentwurf nicht einmal gelesen!) Aber hier geht es um Kenntnisse. Diese fehlen Ihnen; das ist das Problem. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist peinlich, was Sie hier abliefern!) Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Die alten EU-Mitgliedsländer - außer Deutschland - kennen das Struktursystem, das in Deutschland gilt, nicht. Dort gibt es nur die gesetzlichen Krankenversicherungen, und für zusätzliche Leistungen kann man eine private Krankenversicherung abschließen. Dass man die Möglichkeit der Wahl zwischen einer gesetzlichen und einer privaten Krankenkasse hat, gibt es in den alten 15 EU-Mitgliedsländern nur in Deutschland. Denken Sie einmal darüber nach, warum die 14 anderen Länder das anders organisiert haben. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Denken Sie einmal darüber nach, warum wir das beste System haben!) - Ich denke zurzeit darüber nach, warum der Bundesgesundheitsminister einen Vertreter des Verbandes der privaten Krankenversicherung in seine Grundsatzabteilung geholt hat. Seitdem läuft dort alles im Interesse der privaten Krankenversicherungen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD - Zurufe von der FDP: Oh!) - Entschuldigen Sie, aber das Gesamtkonzept des Arzneimittelneuordnungsgesetzes ähnelt dem Konzept des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller vom 16. Februar 2002 derart, (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Bitte mal etwas Neues!) dass das vielen, nicht etwa nur mir, aufgefallen ist. Das sagt alles darüber aus, welche Art von Klientelpolitik hier betrieben wird. Ich muss sagen: Die SPD betätigt sich immer als Türöffner - natürlich mit Beschränkungen. Ich sage ganz klar (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Ach! Was soll denn das? Da drüben sitzt doch das Problem!) - nein; das müssen Sie sich anhören -: Sie haben die Praxisgebühr, die man bei Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und für ambulante Behandlungen zahlen muss, eingeführt. (Elke Ferner [SPD]: Durch Wiederholen wird es nicht richtiger! Ja, wir waren dabei! Aber wir waren nicht alleine! - Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wir waren doch in der Großen Koalition!) Sie haben eine Erhöhung der Arzneimittelzuzahlung vorgenommen. Sie haben das Sterbegeld aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen. Frau Nahles, Sie haben übrigens auch das Entbindungsgeld gestrichen. (Elke Ferner [SPD]: Ich weiß gar nicht, wann die SPD mal alleine regiert hat! Im Gegensatz zur SED!) Sie haben die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen. Sie haben den Sonderbeitrag für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Höhe von 0,9 Prozent eingeführt. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Hört! Hört!) In gewisser Hinsicht - ich habe es schon gesagt - sind Sie auch für Kopfpauschale und Vorkasse mitverantwortlich. (Elke Ferner [SPD]: Wir haben doch nicht alleine regiert!) - Das stimmt trotzdem. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Union und FDP trauen sich nicht, bestimmte Türen zu öffnen. Dafür brauchen sie immer die SPD. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sie wissen doch, dass wir nicht allein regiert haben! - Elke Ferner [SPD]: Wir sind die SPD und nicht die SED!) Die SPD nimmt Beschränkungen vor, und Union und FDP heben diese Beschränkungen später auf. So funktioniert das System. Das darf so nicht weiter funktionieren. Sie müssen sich diesbezüglich endlich korrigieren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Gysi, achten Sie bitte auf die Zeit. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Gut. Dann nenne ich Ihnen nur noch die Lösung. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja! Einen Satz zur Lösung!) - Frau Präsidentin, der Kollege würde gerne einen Satz zur Lösung hören. (Ulrike Flach [FDP]: Die Lösung ist, dass Sie sich gleich setzen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Einen Schlusssatz, bitte. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Wir müssen alle Einkunftsarten einbeziehen. Wir müssen die Beitragsbemessungsgrenze aufheben. (Ulrike Flach [FDP]: Aha! Interessant! - Jens Spahn [CDU/CSU]: Sozialismus ist also die Lösung! - Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Es soll also deutlich teurer werden, ja?) Wir müssen alle Zuzahlungen abschaffen. Wenn wir klare Regelungen zur gesetzlichen Krankenversicherung hätten, könnten wir uns auch eine zusätzliche private Krankenversicherung leisten. (Birgit Homburger [FDP]: Hinsetzen!) Eine zusätzliche private Krankenversicherung würde übrigens auch ich abschließen, (Ulrike Flach [FDP]: Mein Gott! Das ist ja eine Weltrevolution!) und zwar, um im Krankenhaus einen Anspruch auf ein Einzelzimmer zu haben. Wenn Herr Kauder und ich gesetzlich krankenversichert wären, bekämen wir die gleiche Behandlung. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist aber deutlich mehr als ein Satz, Frau Präsidentin!) Wenn ich mit ihm zusammen in einem Zimmer liegen würde, würde ich aber nie gesund werden. Deshalb würde ich eine private Zusatzversicherung abschließen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Jens Spahn [CDU/CSU]: Ach, sind Sie witzig! Sie haben sich mal wieder selbst unterboten! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der Bambi ist gestern Abend verliehen worden!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Birgitt Bender das Wort. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen werden wir Augenzeugen einer grotesken Situation. Das Gesetzgebungsverfahren ist beinahe abgeschlossen, da schreiben die gesundheitspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen einen offenen Brief: Sie haben entdeckt, die Reform sei ungerecht, (Ulrike Flach [FDP]: Das steht im Gesetz, Frau Bender!) weil im Hinblick auf den Sozialausgleich für Geringverdienende nur Löhne, Gehälter und Renten einbezogen werden. (Ulrike Flach [FDP]: Frau Bender, Sie sollten das Gesetz lesen!) So könne es kommen - so schreiben Sie -, dass ein Rentner mit einer kleinen Rente, aber hohen Zinseinkünften Anspruch auf Sozialausgleich habe. Wohl wahr, Frau Flach, das ist ungerecht. Aber sagen Sie einmal: Wo waren Sie eigentlich während des Gesetzgebungsverfahrens? (Ulrike Flach [FDP]: Noch einmal: Das steht im Gesetz!) Am Verhandlungstisch saßen Sie offensichtlich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Da inzwischen selbst Sie, Frau Flach, herausgefunden haben, was eine Ungerechtigkeit ist, frage ich Sie: Wieso erkennen Sie eigentlich nicht die Ungerechtigkeit, die darin besteht, dass Beiträge - im nächsten Jahr liegt der Beitragssatz bei 15,5 Prozent - nur auf Löhne, Gehälter und Renten und nicht auf andere Einkunftsarten erhoben werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Ulrike Flach [FDP]: Weil es ungerecht wäre!) Das müsste man ändern. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Tun wir doch!) Das wäre ein Schritt in Richtung einer Bürgerversicherung. Aber genau davor wollen Sie sich drücken. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Nein! Genau das tun wir an dieser Stelle doch!) Es ist doch so: Unser System hat Gerechtigkeitslücken; das wissen auch Sie. Es ist nun einmal nicht gerecht, wenn Einkünfte, die keine Löhne, Gehälter oder Renten sind, beitragsfrei bleiben. Es ist nicht gerecht, dass sich Besserverdienende vom Solidarausgleich verabschieden können. (Ulrike Flach [FDP]: Das tun sie doch gar nicht! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aha! Und wieso zahlen die dann 15 Milliarden Euro Steuern?) Es ist nicht gerecht, dass es eine Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung gibt, dass die Behandlung mithin nicht von der Schwere der Erkrankung, sondern von der Art des Versicherungsschutzes abhängig ist. Das wollen wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Was tun Sie? Sie tun alles, um diese Ungerechtigkeiten zu zementieren. Sie erleichtern gesetzlich Versicherten, in die PKV zu wechseln; dies wird für das Solidarsystem zu einem Aderlass in Millionenhöhe führen. Sie erleichtern die Kostenerstattung. So sorgen Sie dafür, dass die Zweiklassenmedizin, die es ohnehin schon gibt, auch im Solidarsystem Einzug hält, weil Patienten mit und Patienten ohne Kostenerstattung künftig unterschiedlich behandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Tun Sie etwas zur Erweiterung der Finanzierungsbasis? Nein! Sie sagen lediglich, Sie wollten Steuereinnahmen; das sei angeblich gerechter. Schauen wir einmal näher hin. Bei Ihrer Konstruktion einer kleinen Kopfpauschale und eines Sozialausgleichs werden in 15 Jahren, wenn es so bliebe, fast alle Versicherten Anspruch auf einen Sozialausgleich haben, weil alle Kostensteigerungen die Kopfpauschale in die Höhe treiben. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Sie eine hohe zweistellige Milliardensumme aus dem Bundeshaushalt benötigen werden. Wie soll das möglich sein? Angesichts einer Rekordverschuldung und einer in der Verfassung verankerten Schuldenbremse ist das schlicht undenkbar. Zusätzlich redet die FDP auch noch von Steuersenkungen, Frau Flach. (Ulrike Flach [FDP]: Tue ich nicht!) Das ist doch ein Wolkenkuckucksheim. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Frau Kollegin Flach, Sie erzählen uns, Sie belasteten die Patienten nicht. (Ulrike Flach [FDP]: Das tun wir auch nicht!) Ich kann Ihnen sagen - ich habe gerade geschildert, dass Ihre Finanzierung überhaupt nicht aufgeht, ganz abgesehen von der Ungerechtigkeit -: Aus diesem Dilemma führen verschiedene Wege hinaus. Es gibt einige Schlupflöcher. Erster Weg: die Änderung der Belastungsobergrenze. In den nächsten Jahren werden Sie darüber reden wollen, ob man statt einer Belastungsobergrenze von 2 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen nicht besser 3, 4, 5 oder 6 Prozent wählt. (Elke Ferner [SPD]: Das wurde ja schon angekündigt!) Zweiter Weg. Man könnte auch sagen: Der Leistungskatalog ist zu groß, er muss verringert werden, weil das über den Bundeshaushalt nicht finanziert werden kann. Das wäre dann Gesundheitspolitik nach Kassenlage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir sind doch nicht in der Geisterbahn!) Dritter Weg. Sie werden den Sozialausgleich aus Beitragsmitteln finanzieren. Diesen Weg beschreiten Sie schon jetzt. Was passiert denn? Der Sozialausgleich, soweit er jetzt fällig wird, wird direkt aus dem Gesundheitsfonds finanziert, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!) und die Mittel des Gesundheitsfonds sind zu 90 Prozent Beitragsmittel. Es gibt einen Sozialausgleich im derzeitigen System des Gesundheitsfonds. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Das ändert sich bei Ihnen überhaupt nicht. Ändern wird sich, dass die Empfänger unterer Einkommen verhältnismäßig mehr bezahlen werden und dass es einen Verwaltungsaufwand geben wird, für dessen Beschreibung Sie im Gesetzentwurf drei Seiten benötigen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist eine Reform, die den Namen nicht verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Schauen wir uns einmal die von Ihnen geplante Struktur an, nämlich die zunächst kleine und dann immer größer werdende Kopfpauschale. Dieser Weg führt heraus aus dem Solidarsystem hin zu einem reinen Versicherungssystem. Es wird, wie in der privaten Krankenversicherung, einfach nur ein Risiko abgedeckt. Das ist also der Weg in Richtung Privatisierung. Deshalb ist es kein Zufall, dass vor kurzem ein führender Lobbyist der privaten Krankenversicherung als Kommentar zu Ihrer Reform sagte: Besser hätten wir es auch nicht gemacht. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was? Wer hat das denn gesagt? - Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Herr Minister, ich kann dazu nur sagen: Wer sich als Verantwortlicher für ein Solidarsystem ein solches Kompliment einhandelt, der ist seiner Verantwortung für dieses Solidarsystem nicht gerecht geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil ich dachte, von den drei linken Fraktionen, die extra vor mir geredet haben, würden mir konkrete Lösungsvorschläge oder eine detaillierte Ausgestaltung der Bürgerversicherung vorgelegt. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich dem eigenen Murks stellen!) Das Wenige, was wir von Ihnen gehört haben, kann man mit einem Satz zusammenfassen: Die Umsetzung Ihrer Vorschläge würde für die Menschen eindeutig mehr Belastungen bei weniger Leistungen bedeuten. Das ist das Ergebnis der sogenannten solidarischen Bürgerversicherung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Stimmt doch gar nicht!) Das Problem ist nämlich, Frau Ferner, dass Sie weiter in die planwirtschaftlichen Strukturen einsteigen wollen. Wir sagen Ihnen aber: Es gibt in Deutschland kein System, das regulierter als das deutsche Gesundheitssystem ist. (Elke Ferner [SPD]: Sie machen es gerade kaputt!) Selbst das Steuersystem kann nur mäßig mithalten. Alles ist vorgegeben: wer wann welche Leistung bei wem an welchem Ort erbringen darf oder eben nicht. Wenn man planwirtschaftliche Strukturen hat, (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Oje, oje!) dann darf man sich nicht über all die Probleme wundern, die Planwirtschaften mit sich bringen - die Kollegen von der Linkspartei erinnern sich noch -: viel Bürokratie, (Elke Ferner [SPD]: Sie bauen doch noch mehr Bürokratie auf! Sie machen doch Planwirtschaft!) ein hohes Maß an Unzufriedenheit und fehlende Effizienz - auch von Zwischenrufen, Frau Ferner; die hört nämlich keiner. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das führt dazu, dass das eingesetzte Geld am Ende nicht bei den Menschen ankommt. Ihre Vorschläge zeigen, dass Sie noch stärker in den Sumpf der Planwirtschaft hineinwollen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Mein Gott!) Diese Regierungskoalition hingegen will aus dem Sumpf der Planwirtschaft im Gesundheitssystem endlich heraus. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wahrscheinlich könnte sich jeder von uns ein ideales Gesundheitssystem auf einem weißen Blatt Papier aufmalen. Aber wir können in der deutschen Gesundheitspolitik eben nicht bei null anfangen. Die Kunst besteht darin, einen Weg zu finden, der uns vom heutigen Zustand, der nicht optimal ist, zu einem besseren Zustand in der Zukunft führt. Dabei fangen wir allerdings nicht bei null an, sondern, Herr Kollege Dr. Lauterbach, bei minus 9 Milliarden Euro. (Elke Ferner [SPD]: Das war doch bei Ihnen! Ulla Schmidt hatte einen Überschuss!) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Nein, vielen Dank. - Frau Ferner, da Sie Ulla Schmidt erwähnt haben: Die 9 Milliarden Euro Defizit, die wir aktuell im Gesundheitswesen vorfinden, sind ein Ergebnis gerade der Politik Ihrer Kollegin Schmidt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Das ist falsch, Herr Minister! Das werde ich Ihnen gleich beweisen! Sie lügen hier, ohne rot zu werden!) - Machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind für dieses Defizit nicht verantwortlich; aber wir wären dafür verantwortlich, wenn es dabei bliebe, Frau Ferner. Deswegen gleichen wir es aus mit den Maßnahmen, die wir uns vorgenommen haben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden durch die Rückführung des Krankenversicherungsbeitrages auf die 15,5 Prozent, die die Sozialdemokraten damals eingeführt haben - das sollten wir nicht vergessen -, gleichermaßen in die Verantwortung genommen. Gleichzeitig werden die Leistungserbringer, die Teilnehmer am System - wir sprechen auch gerne von Heilberufen -, in die Verantwortung genommen. Die einzige Gruppe, die wir nicht belasten - das hat Frau Flach vollkommen zu Recht gesagt -, sind die Kranken, (Mechthild Rawert [SPD]: Aber die Einzigen, die es merken werden! - Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden es ausbaden müssen!) die am 1. Januar 2011 wieder zu ihrem Arzt gehen können und sicher sein können, dass sie überhaupt ein Gesundheitssystem vorfinden. Sie werden nicht durch eine höhere Praxisgebühr oder andere Formen der Zuzahlung belastet. Ihre Alternative zum Ausgleich der 9 Milliar-den Euro wären schlichtweg Leistungskürzungen für die Menschen gewesen. Wir sind nicht bereit, diesen Weg mit Ihnen zu gehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Das ist eine Milchmädchenrechnung!) Auch die unangenehmen Maßnahmen, zum Beispiel die Rückführung des Beitrags und Sparmaßnahmen im System, kann man verantworten, weil wir unter anderem strukturelle Veränderungen auf den Weg bringen. In der Tat, wir schreiben den Arbeitgeberbeitrag künftig fest, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir wollen nicht zulassen, dass bei steigenden Gesundheitsausgaben aufgrund der demografischen Entwicklung und des technischen Fortschritts ständig Gesundheit gegen Arbeit ausgespielt wird. Deswegen sorgen wir für Stabilität der Lohnzusatzkosten. Das ist unser Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Künftige Kostensteigerungen werden sich in der Tat in Zusatzbeiträgen niederschlagen, die sozial ausgeglichen werden. Wir geben dem System damit das zurück, was Sie ihm mit der Einführung Ihres gesundheitspolitischen Einheitspreises, Ihres Gesundheitsfonds, genommen haben: den fairen Wettbewerb der Krankenversicherungen untereinander. Künftig können die Versicherungen wieder entscheiden, ob und, wenn ja, in welcher Höhe sie Zusatzbeiträge erheben. Damit erreichen wir einen Wettbewerb, den Sie verhindern wollten. Anders als Sie sind wir davon überzeugt, dass die Menschen den besten Beitrag zur Kontrolle ihrer Kosten leisten können, indem sie selbst ihre Krankenversicherung auswählen. Das ist besser, als wenn eine Gesundheitsverwaltung vorgibt, wie hoch der Krankenversicherungsbeitrag sein darf. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt zur Frage des Sozialausgleichs. Wir wollen einmal festhalten, dass wir jetzt einen echten Sozialausgleich einführen. (Elke Ferner [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Das ist schon wieder gelogen!) Das, was Sie bisher geschaffen haben, war ein sozialer Deckel, der mit einem echten Ausgleich nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Schon wieder gelogen, Herr Rösler!) Es ist fast schon zynisch, dass man als Versicherter bisher selber den Antrag stellen muss. Bisher muss man nämlich selber prüfen, ob man an der Ausgleichsgrenze ist. Wenn man an der Grenze ist, muss man einen Antrag bei seiner Krankenversicherung stellen. Sie machen die Menschen zu Bittstellern. In unserem System funktioniert der Sozialausgleich künftig automatisch. Das ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch des Umgangs mit den Menschen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bunge? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Nein, vielen Dank. Die Zwischenfragen zu den vorherigen Reden waren nicht bereichernd für die gesamte Debatte. Finanziert wird der Sozialausgleich mit 2 Milliarden Euro aus Steuermitteln. Diese 2 Milliarden Euro sind keine Beitragsgelder, sondern Steuergelder. Der Ausgleich zwischen Arm und Reich in der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt bisher nämlich nur zwischen den gesetzlich Versicherten. Er erfolgt eben nicht bezogen auf alle Einkunftsarten, sondern nur in Bezug auf das Lohneinkommen, Frau Ferner. (Elke Ferner [SPD]: Wo werden denn die anderen mehr belastet?) Deswegen halte ich es für richtig, die Solidarität auf eine breitere Basis zu stellen. (Elke Ferner [SPD]: Das tun Sie ja nicht! - Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Sind 20 Mil-liarden Euro weniger als 10 Milliarden, oder was? Man darf Sie ja nichts fragen! Ich würde das ja gerne machen!) Künftig erfolgt der Sozialausgleich aus Steuermitteln; im Steuersystem wird jeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert. Damit trägt jeder zum Sozialausgleich bei, auch die Bezieher höherer Einkommen und Privatversicherte. Das bedeutet künftig nicht weniger, sondern mehr Solidarität in unserem Gesundheitssystem. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 2 Milliarden Euro sind deutlich mehr als nichts, Frau Ferner. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Unglaublich! Das glauben Sie doch selber nicht!) Jetzt komme ich noch kurz zu Ihrem System. Sie haben wiederum keine Zahlen zu Ihrer sogenannten Bürgerversicherung vorgelegt. Warum nicht? (Elke Ferner [SPD]: Wir debattieren heute über Ihren Gesundheitsmurks! - Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gucken Sie doch mal in unser Gutachten, wenn Sie Zahlen wollen!) Weil Sie genau wissen, dass Sie den Menschen damit sagen würden, dass Sie bereit wären, alle Formen der Renten und Altersvorsorge mit zu besteuern. Wenn eine Großmutter ein kleines Sparguthaben angespart hat, dann wollen Sie ihre Zinsen künftig ebenfalls mit dem Beitragssatz von 15,5 Prozent belegen. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Ich frage Sie: Ist es darüber hinaus gerecht, wenn Sie die 10 Prozent unserer Gesellschaft enteignen wollen, die durch Ansparung eines Kapitalstockes wenigstens schon Altersvorsorge betrieben haben? (Mechthild Rawert [SPD]: Wer will enteignen?) Ihre Bürgerversicherung ist das Gegenteil von Gerechtigkeit. Es ist der Versuch, eine Einheitsversicherung auf den Weg zu bringen. Dabei sollten Sie wissen, dass 20 Jahre nach der Wiedervereinigung bewiesen ist, dass Sie bei dem Versuch, alle Menschen gleich zu behandeln, sie niemals gleich gut behandeln, sondern im Ergebnis immer gleich schlecht. (Elke Ferner [SPD]: Gerecht behandeln, nicht gleich! Sie behandeln alle gleich!) Das ist Ihr Weg in der Bürgerversicherung. Sie reden von Gerechtigkeit und sorgen für Ungerechtigkeit. Das ist das Unfaire an Ihrem Gesundheitssystem. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was wir auf den Weg bringen, ist der Einstieg in ein System mit mehr Wettbewerb, mehr Eigenverantwortung und gleichzeitiger Stärkung der Solidarität. Wir hätten uns auch größere Schritte gewünscht; aber Veränderungen sind in diesem großen System mit mehr als 80 Millionen Menschen nur in kleinen Schritten möglich. Wir wollen allerdings lieber kleine Schritte in die richtige Richtung als einen großen Schritt zurück. Wir sind davon überzeugt, dass wir nicht nur die Probleme für das Jahr 2011 gelöst, sondern auch den Einstieg in ein faires und besseres System der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne einer langfristigen Bewältigung der Zukunft gewagt haben. (Elke Ferner [SPD]: Weder fair noch besser!) Ich bin froh, dass Sie ein bisschen über Ihre alternative Bürgerversicherung gesprochen haben. Das zeigt den Unterschied zwischen Können und Nichtkönnen in der gesetzlichen Krankenversicherung. (Elke Ferner [SPD]: Dass Sie das nicht können, steht fest!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Elke Ferner. Elke Ferner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Rösler, wissen Sie, was der Unterschied zwischen Können und Nichtkönnen ist? Der Unterschied zwischen Können und Nichtkönnen zeigt sich daran, dass 2009 die Krankenversicherungen mit einem Überschuss von 1 Milliarde Euro abgeschlossen haben - das war die Abschlussbilanz von Ulla Schmidt -, dass aber für das nächste Jahr, für 2011, ein Defizit von 9 Milliarden Euro prognostiziert wird. Sie legen jetzt einen solchen Murks als Gesetzentwurf vor; wir werden ihn ablehnen. Das ist der Unterschied zwischen Können und Nichtkönnen. (Beifall bei der SPD - Ulrike Flach [FDP]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht, Frau Ferner!) Sie, meine lieben Kollegen und Kolleginnen von Schwarz-Gelb, wollen nichts anderes, als die gesetzliche Krankenversicherung zu Grabe zu tragen. Das Grab haben Sie zwar schon ausgehoben, aber die drei Jahre, die Sie noch regieren werden, werden nicht reichen, um die gesetzliche Krankenversicherung ins Grab zu bringen. Das werden wir verhindern. Wir werden diesen Murks nach der Bundestagswahl 2013 komplett rückgängig machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie hebeln die tragenden Fundamente der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Sie hebeln das Sachleistungsprinzip aus. Sie hebeln die gerechte und paritätische Finanzierung aus, und Sie hebeln vor allen Dingen die einkommensabhängige Beitragszahlung aus. Das ist alles andere als gerecht, Herr Rösler. Das ist ungerecht. Es war bisher gesellschaftlicher Konsens, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen und im Krankheitsfall alle die gleiche gute medizinische Leistung bekommen. Damit machen Sie jetzt Schluss. Sie wollen die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was haben die Versicherten jetzt zu erwarten? Zum 1. Januar 2011 haben sie erst einmal eine Rentenkürzung und eine Gehaltskürzung zu erwarten. Das ist aber noch die gute Nachricht. Es kommt nämlich viel schlimmer: Mit der Vorkasse, die Sie als transparent und toll bezeichnen, wollen Sie den Einstieg in die Abschaffung des Sachleistungsprinzips. Man muss sich einmal vor Augen halten, was Vorkasse bedeutet: Die Versicherten haben die Sachleistung mit ihrem Beitrag schon bezahlt. Wenn sie zum Arzt gehen, sollen sie zusätzlich bezahlen. Die Erstattungsquoten derjenigen, die heute Vorkasse wählen, betragen im Durchschnitt nur rund 50 Prozent. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Vorkasse kann man nicht wählen!) Nur 50 Prozent bekommen die Menschen von ihrer Kasse erstattet; es können aber auch nur 30 Prozent sein. (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben es nicht verstanden!) Was bringt das für einen Vorteil für den Patienten? Der Einzige, der einen Vorteil hat, ist der Arzt, weil er mehr bekommt, als er von der Kasse bekommen würde. (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen einmal deutlich machen, wie das in Facharztkreisen - etwa in Internetforen des Facharztverbandes - diskutiert wird. (Ulrike Flach [FDP]: Das, was Sie da erzählen, ist nicht das, was im Gesetz steht!) Da heißt es - hören Sie gut zu -: Wenn wir den Einstieg in die Kostenerstattung respektive in die Direktabrechnung mit dem Patienten auf dem Silbertablett serviert bekommen, dann müssen wir jetzt in die Vollen gehen. Werbung! Werbung! Werbung! Endlich auch Privatpatienten. Nie wieder Zweiklassenmedizin. Erstklassige Medizin zu vernünftigen Preisen. Weiter heißt es da: Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass an der Schlechterstellung der Nichtkostenerstattungspatienten die kranken Kassen schuld sind, die für Verwaltung inzwischen fast so viel ausgeben wie für die ambulante Versorgung. Letzteres ist absoluter Nonsens. An diesen Aussagen wird aber deutlich, wie ein Teil der Ärzteschaft tickt. Glauben Sie denn, sie werden den Versuch unterlassen, die Patienten nach Strich und Faden abzuzocken? Was soll denn eine Mutter mit einem kleinen Kind machen, wenn sie vor der Entscheidung zwischen einer sofortigen Behandlung gegen Vorkasse und einem Arzttermin drei Wochen später steht? (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Jens Spahn [CDU/CSU]: Was Sie hier machen ist unglaublich! Unglaublich!) - Das ist nicht unglaublich. Das ist die Realität. Das hören wir doch alle in unseren Sprechstunden, Herr Spahn. Aber damit nicht genug. Sie machen noch eine Frischzellenkur für die PKV, indem Sie den Gut- und Besserverdienenden einen Turbowechsel in die PKV - möglichst schnell aus der Solidarität heraus - ermöglichen. Junge und Gesunde sollen möglichst schnell in die private Krankenversicherung. (Ulrike Flach [FDP]: Was ist eigentlich mit den kleinen Beamten, Frau Ferner? Interessieren Sie die Polizisten gar nicht?) Neugierige kann ich aber nur warnen: Die privaten Krankenversicherungen erhöhen ihre Beiträge deutlich schneller als die gesetzlichen, und die älteren Privatversicherten haben heutzutage häufig Mühe, die hohen Beiträge zu bezahlen. Das PKV-System ist trotz der Alterungsrückstellungen nicht zukunftsfest. Das ist das Schlimme. (Heinz Lanfermann [FDP]: Die sind zwar alle zufrieden, aber wir reden das noch klein!) Außerdem sollen die privaten Krankenversicherungen noch von den Rabattverhandlungen der gesetzlichen Krankenversicherungen profitieren. Wozu? Damit die Beiträge der PKV noch niedriger werden, und die PKV durch die guten Verhandlungsergebnisse der GKV noch attraktiver wird. Das ist absurd. (Beifall bei der SPD) Ich kann jedem nur raten, nicht in die private Krankenversicherung zu wechseln. Die Krönung ist die Kopfpauschale, von der Sie sagen, es sei keine Kopfpauschale. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Richtig!) Was ist es anderes, wenn jedes GKV-Mitglied unabhängig vom Einkommen gleich viel bezahlen muss? Das ist eine Kopfpauschale, auch wenn Sie es tausendmal bestreiten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist doch völlig falsch! Sie haben nichts verstanden!) Wir haben einen Sozialausgleich, der eigentlich gar keiner ist, weil selbst diejenigen einen Ausgleich bekommen, die gar keine Kopfpauschale zahlen. Selbst diejenigen, die noch etwas herausbekommen würden, erhalten nach Ihrem Gesetz einen Sozialausgleich. Das finden auch Herr Spahn, Frau Flach und Herr Singhammer falsch. Das haben Sie selbst aufgeschrieben. Dann frage ich mich aber, warum Sie es nicht machen. (Ulrike Flach [FDP]: Hier steht, dass wir es machen!) Das, was Sie hinsichtlich des Sozialausgleichs wollen, ist das, was wir für den gesamten Beitrag wollen. Das wäre gerechter, und das wäre dann die Bürgerversicherung. Aber in Teilen bewegen Sie sich schon auf uns zu. (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie hätten sich schon auf die Rede vorbereiten müssen, Frau Ferner!) - Herr Lanfermann, Sie können mir gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie die Antwort aushalten. (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben sich ja nicht vorbereitet!) Sie suggerieren, es gebe beim Modell der Kopfpauschale einen Sozialausgleich. Das ist aber falsch. Sie sagen, im nächsten Jahr werde es keine durchschnittliche Kopfpauschale geben. Die Überraschung für die Versicherten ist aber, dass es dann auch keinen Sozialausgleich geben wird, und zwar auch nicht für diejenigen, die einen Zusatzbeitrag bezahlen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Wer nichts zahlt, der kriegt auch nichts zurück!) - Das stimmt doch nicht, Herr Lanfermann. Zum anderen muss man Folgendes sehen: Wenn die Kopfpauschale 30 Euro beträgt, sind drei Viertel aller Rentnerinnen und Rentner auf Almosen angewiesen. Weiterhin sind mehr als die Hälfte aller GKV-Versicherten auf den sogenannten Sozialausgleich angewiesen. Das ist absurd. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das Wort "absurd" ist hier zutreffend!) Das ist weder gerecht noch zukunftsfest. Unbürokratisch ist es schon gar nicht, weil Sie, Herr Rösler, mit Ihrem komischen Sozialausgleich (Heinz Lanfermann [FDP]: Was ist denn daran komisch?) mindestens 600 Millionen einzelne Meldungen der Arbeitgeber, der Rentenversicherungsträger und der Arbeitslosenversicherung produzieren, die die Krankenkassen erst einmal zusammenführen müssen, um überhaupt entscheiden zu können, ob jemandem ein Sozialausgleich zusteht oder nicht. Also: mehr Bürokratie, weniger Gerechtigkeit, Einstieg in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist Ihre Gesundheitspolitik. Herr Koschorrek hat die Katze aus dem Sack gelassen. Das Nächste, was kommt, ist die Abschaffung der Chronikerregelung. Sie haben eben gesagt, dass die Zuzahlung statt 1 Prozent künftig 2 Prozent des Einkommens betragen soll; es sei denn, ich hätte mich verhört. Das alles ist aber nicht neu; denn Sie haben sowohl bei der Gesundheitsreform 2003 als auch bei der letzten Gesundheitsreform immer wieder versucht, die Zuzahlung der Patientinnen und Patienten zu erhöhen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Ferner, achten Sie bitte auf die Zeit. Elke Ferner (SPD): Sie wollten damals beispielsweise 10 Prozent Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten, und zwar aller Behandlungskosten. Das werden wir nicht mitmachen. Wir werden diesen Murks spätestens 2013 zurücknehmen. Dann können Sie sich wieder auf den Oppositionsbänken einrichten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Jens Spahn [CDU/CSU]: Wie man mit 20 Prozent in den Umfragen so eine große Klappe haben kann!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Jens Spahn. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jens Spahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Gysi, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Hast du "lieber" gesagt?) natürlich zahlen auch die privaten Krankenversicherungen dafür, dass sie bei den Arzneimittelkosten von der Systematik im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung profitieren. Sie müssen sich an den Kosten für den Gemeinsamen Bundesausschuss und für das Institut beteiligen. (Elke Ferner [SPD]: Mir kommen die Tränen!) Natürlich gibt es zentrale Verhandlungen des GKV-Spitzenverbandes mit den pharmazeutischen Unternehmern. Natürlich werden in einem ersten Schritt alle Krankenkassen gemeinsam verhandeln und eine kostengünstige Lösung für die Versicherten finden. Diese Verhandlungen hat der vfa, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller, heftigst bekämpft. Natürlich haben wir eine zentrale Veröffentlichung von klinischen Studien eingeführt. Auch dagegen hat sich die Pharmaindustrie gewehrt, wie sie sich auch dagegen gewehrt hat, dass es eine Zusatznutzenbewertung geben soll. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das alles stand im Neuen Deutschland nicht drin, Herr Kollege!) Eines kann man schon verlangen, auch wenn Sie sich als Fraktionsvorsitzender zu Wort melden. Wir haben hier elf Minuten faktenfreies Gerede mit Unwahrheiten und Falschheiten gehört. Man kann von einem Fraktionsvorsitzenden verlangen, dass er zumindest das Gesetz gelesen hat, bevor er hier an das Podium tritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zum Zweiten lasse ich mir nicht von jemandem, der zur Nomenklatura der SED gehört hat, hier Zweiklassenmedizin vorwerfen. (Widerspruch bei der LINKEN) In der ehemaligen DDR wurden aus dem Westen Arzneimittel für diejenigen importiert, die zur Nomenklatura gehört haben. Die Zustände für diejenigen, die an die Dialyse mussten, waren eine Katastrophe. Von so jemandem lasse ich mir keine Zweiklassenmedizin vorwerfen, an keiner Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD und der LINKEN) Zur Wahrheit gehört - diese Wahrheit muss man ehrlich aussprechen -, dass Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft, die medizinischen Fortschritt will, teurer wird. Eigentlich ist das etwas Positives. Wir alle wollen doch möglichst gesund möglichst alt werden. (Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) - Wer schreit denn da überhaupt? Ach, Frau Kollegin Hendricks. Ich musste mich erst einmal orientieren, wer dazwischenruft. - Die Menschheitsgeschichte ist voll von Erzählungen, dass Menschen danach streben, ein möglichst hohes Alter zu erreichen. Es ist etwas Positives, dass wir das können. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Gesundheit teurer wird, wenn man eine gute medizinische Versorgung will, wenn man Zugang zu Innovationen und neuen Arzneimitteln will. Diese Wahrheit sprechen wir ehrlich aus. (Andrea Nahles [SPD]: Reden Sie doch einmal zur Sache!) Weil die steigenden Gesundheitskosten in dem heutigen System die Lohnnebenkosten erhöhen, (Mechthild Rawert [SPD]: Aber doch nicht so teuer!) somit die Arbeitskosten in Deutschland verteuern und Arbeitsplätze gefährden, stellen wir die Finanzierung um. Das ist die richtige Antwort auf die Herausforderung, vor der wir stehen. Darum geht es heute im Kern, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Spahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach? Jens Spahn (CDU/CSU): Auch wenn er gleich noch Redezeit hat, gerne. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Die gleiche Frage hätte ich auch dem Minister gestellt, wenn er sie zugelassen hätte. Mich interessiert, weshalb wir hier nichts Konkretes zu Ihrem Gesetz hören. Sie erklären uns, dass die Menschen älter werden wollen. Sie erzählen uns etwas über die DDR, was niemanden interessiert und auch noch falsch ist, aber wir hören nichts über Ihr erbärmliches Gesetz. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ist daran falsch? - Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben doch keine Ahnung! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Wieso reden Sie nicht zum Gesetz, Herr Spahn? Jens Spahn (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Lauterbach, von meinen zwölf Minuten Redezeit habe ich erst einige wenige genutzt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Um dummes Zeug zu reden!) Ich wollte dies jetzt gerade, hätten Sie mich nicht durch eine Zwischenfrage unterbrochen, herleiten. (Michael Groschek [SPD]: Das war die Chance zum Nachdenken!) Denn man muss das, was man konkret mit dem Gesetz tut und was ich gleich erklären werde, schon vernünftig begründen. Das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Bei uns steckt eine größere Idee hinter dem, was wir tun. Deswegen muss man die Dinge schon herleiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Bunge? Jens Spahn (CDU/CSU): Bevor mir wieder vorgeworfen wird, ich sagte nichts zum Gesetz, möchte ich zunächst sagen, warum wir was tun. Dann können wir gerne mit Zwischenfragen weitermachen. Dass steigende Gesundheitskosten die Lohnnebenkosten in Deutschland belasten, haben wir in der Großen Koalition schon erkannt. Auch Rot-Grün hat das erkannt; deswegen haben Sie ja etwas an der Parität verändert. Damals fanden Sie das noch gut. Wenn das aber so ist, dann muss man sich doch Gedanken darüber machen, wie man die gesetzliche Krankenversicherung in der Zukunft anders finanzieren kann, damit sie die Wachstumsdynamik, die wir wollen, entfalten kann, ohne dass wir uns immer in einer Debatte über Lohnnebenkosten befinden. - Die Gesundheitsbranche ist übrigens mit über 4 Millionen Beschäftigten die größte Branche, die wir in Deutschland haben. - Das ist der Kerngedanke unseres Gesetzes. Deshalb haben wir gesagt: Wir schreiben den Arbeitgeberbeitrag in der Fortsetzung dessen, was wir in der Großen Koalition gemacht haben, fest, und wir entwickeln den Zusatzbeitrag als lohnunabhängige Komponente weiter, um aus der reinen lohnabhängigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung herauszukommen. Denn nur wenn das gelingt, können Sie tatsächlich dauerhaft und flächendeckend eine gute medizinische Versorgung für alle sicherstellen. Das ist der Kerngedanke dessen, was wir tun, und ich glaube, dieser Kerngedanke wird am Ende auch viel Unterstützung in der Bevölkerung finden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Das wird er nicht! - Heinz Lanfermann [FDP]: Ich fürchte, er versteht es trotzdem nicht!) Das Entscheidende bei diesem Zusatzbeitrag ist, dass wir sagen: Wir finden eine breitere Grundlage auch für den Sozialausgleich. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Wo sind sie denn, die Steuermittel?) Heute werden die Kosten für den Sozialausgleich nahezu ausschließlich von den abhängig Beschäftigten und von den Rentnerinnen und Rentnern in diesem Land getragen. Diese alleine finanzieren das Gesamtsystem. Alle anderen Einkünfte, übrigens auch die Einkünfte über der Beitragsbemessungsgrenze von gut 3 700 Euro, spielen keine Rolle. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! - Elke Ferner [SPD]: Das wollten Sie doch gar nicht ändern! Dabei haben Sie sich doch verweigert!) Es ist übrigens im heutigen System schon so. Sie haben dies ja kritisiert. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen wollen wir die Bürgerversicherung!) Genau da setzen wir an. Wir sagen, dass der Sozialausgleich für diesen Zusatzbeitrag aus Steuern finanziert wird. Steuern werden in Deutschland nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen erhoben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Miete, Kapitaleinkünfte, Zinseinkünfte, Unternehmensgewinne - all diese Dinge werden mit berücksichtigt. Deswegen ist das, was wir einführen wollen, gerechter als das System, das wir heute haben. Dies ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aus diesem ersten Schritt ergibt sich eine Perspektive für die weiteren Schritte, Frau Kollegin Bender. Das ist das, was die Kollegin Flach, der Kollege Straubinger und ich aufgezeigt haben: zunächst der erste und dann der zweite Schritt. Die Reihenfolge ist wichtig. Aber die entscheidende Botschaft am heutigen Morgen lautet: Es ist besser und gerechter als das, was wir heute haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Das ist es nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Spahn, es gibt mehrere Wünsche nach Zwischenfragen. Ich habe unter anderem die Kollegin Bender und die Kollegin Bunge auf der Liste. (Iris Gleicke [SPD]: Weil der Minister ja nicht antworten wollte!) Jens Spahn (CDU/CSU): Gerne. Vizepräsidentin Petra Pau: Zunächst erhält die Kollegin Bender das Wort. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Spahn, wenn Sie darauf hinweisen, dass im Steuersystem jeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert werde und dass es deswegen besonders gerecht sei, Steuermittel ins System zu holen, dann schließen sich daran zwei Fragen an. Erstens. Warum holen Sie die Steuermittel nicht ins System? Denn es gibt ja in Wirklichkeit keinen steuerfinanzierten Sozialausgleich. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was? Wo kommen denn die 15 Milliarden her?) Zweitens. Ist Ihnen bekannt, dass zum Steueraufkommen die Einkommensteuer, bei der tatsächlich die Einkommenshöhe über die Steuerhöhe bestimmt, während alle anderen Steuerarten nicht progressiv sind, nur zu 35 Prozent beiträgt? Jens Spahn (CDU/CSU): Frau Kollegin Bender, zum Ersten. Die Steuerfinanzierung des Sozialausgleichs ist natürlich sichergestellt - das wissen Sie doch eigentlich -, weil wir im nächsten Jahr 2 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt - das sind unstrittig Steuermittel - (Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) in die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds, also der gesetzlichen Krankenversicherung, geben. Daraus werden wir in den nächsten Jahren den Steuerausgleich finanzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Das wird ruck, zuck aufgebraucht sein!) Es sind nachweislich Steuermittel. Ab 2014 muss im Bundeshaushalt dann spitz abgerechnet das nötige Geld zur Verfügung gestellt werden. Zum Zweiten. Natürlich ist die Verteilung nach dem Steuersystem so, wie sie ist, aber zur Wahrheit gehört doch auch, dass der Ausgleich über das Steuersystem wesentlich gerechter ist (Elke Ferner [SPD]: Das wollen Sie ja ändern!) als das, was wir heute in den Sozialversicherungssystemen als Ausgleichsmechanismen haben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weil Mieten, Dividenden, Zinseinkünfte berücksichtigt werden, weil auch Unternehmensgewinne berücksichtigt werden, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!) weil auch die Einkommen von privat Krankenversicherten und die Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden. (Elke Ferner [SPD]: Aber Sie wollen doch entlasten! - Heinz Lanfermann [FDP]: Auch Sie tragen dazu bei, Frau Bender!) Es ist gerechter als das, was wir heute haben, und das wissen Sie doch eigentlich auch, Frau Kollegin Bender. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Geschäftsleitend Folgendes: Es gibt eine ganze Reihe von Fragen. Nun wollen wir den Beitrag ja nicht um das Dreifache verlängern. Ich würde noch zwei Fragen zulassen, die der Kollegin Bunge und die der Kollegin Vogler. Aber natürlich müssen Sie entscheiden, Herr Kollege, auf was Sie noch antworten wollen. Kollegin Bunge. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Kollege Spahn, Sie haben behauptet, dass die Zusatzbeiträge, die wir ablehnen, durch den Sozialausgleich sozialer würden. Mich würde einfach einmal Ihre Mathematik interessieren. (Elke Ferner [SPD]: Das kann er nicht erklären! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es gibt nur eine Mathematik!) Wenn jemand 1 000 Euro bekommt - "verdient" will ich nicht sagen; denn wir wissen: viele sind unterbezahlt; die meisten verdienen eigentlich, im wahrsten Wortsinn, mehr -, bezahlt er nach der jetzigen Regelung einen Zusatzbeitrag von maximal 10 Euro, nach der 2-Prozent-Regelung 20 Euro. Da wirkt der Sozialausgleich gar nicht. Was ist daran sozial? Was machen Sie mit dem Sozialausgleich? Das Gesetz soll doch in die Zukunft wirken. Wenn wir wieder vor einer Krisensituation, etwa einem Börsencrash, stehen, die Zusatzbeiträge im Jahr 2020 eh schon bei 60 oder 100 Euro liegen, viele im Sozialausgleich sind, ein Haufen Steuermittel notwendig ist, die Steuern durch den Börsencrash aber wegbrechen, wer bezahlt dann bitte schön? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was wäre die Alternative?) Jens Spahn (CDU/CSU): Das Problem, Frau Kollegin Bunge, ist Folgendes - das ist das, was ich eingangs dargestellt habe; deswegen ist es schon wichtig, Herr Kollege Lauterbach, die Dinge auch ein bisschen herzuleiten -: Sie stellen eine statische Betrachtung an. Aber eine Wahrheit müssen auch die linken Parteien in diesem Parlament endlich einmal anerkennen - diese ehrliche Botschaft muss man verkünden, auch wenn sie vielleicht nicht populär ist -: Die Gesundheitsversorgung, insbesondere dann, wenn sie flächendeckend aufrechterhalten werden soll - ich komme aus dem Münsterland, also einer ländlichen Region - und wenn wir den Zugang zu Innovationen möglich machen wollen - die Kosten steigen ja nicht beim Hustensaft, sondern sie steigen zum Beispiel bei Krebsmedikamenten -, wird teurer. Das ist die erste ehrliche Botschaft, die in Ihrer Frage leider völlig ausgeblendet wird. Zum Zweiten muss man in der Perspektive sehen, dass die Kosten steigen - sie werden steigen -, egal wie wir die Ausgaben finanzieren, ob wir sie über Beiträge, über Steuern oder über einen Zusatzbeitrag finanzieren. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Aber wenn der Crash noch dazukommt?) Das vorausgeschickt, sage ich: Es ist dann natürlich wichtig, zu erklären: Niemand muss mehr als 2 Prozent seines Einkommens für den Zusatzbeitrag ausgeben. Das stellen wir sicher. Im Unterschied zu dem, was die Frau Kollegin Schmidt als Gesundheitsministerin eingeführt hat, stellen wir sicher, dass das Geld, das in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ankommt, weil es einen Deckel gibt, doch im System verfügbar ist, dann eben aus Steuermitteln finanziert. Das ist dann am Ende gerechter als das, was wir heute haben. Ein Sozialausgleich aus Steuermitteln findet heute nicht statt. Genau das ändern wir, und das ist gerechter als das, was wir heute haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Gestatten Sie noch die Frage der Kollegin Vogler? Jens Spahn (CDU/CSU): Ich würde jetzt gern fortfahren, (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt, ob es noch etwas Interessantes gibt!) und dann können wir nachher noch einmal schauen. Vizepräsidentin Petra Pau: Gut. Jens Spahn (CDU/CSU): Zu der Frage, was die Alternative sein soll, muss man hier zwei, drei Sätze sagen dürfen. Es ist eine Projektgruppe der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands eingesetzt worden, die sich mit der gesetzlichen Krankenversicherung beschäftigt. Man ist sich unsicher, ob es im Kern darum ging, ein neues Konzept für die gesetzliche Krankenversicherung zu schaffen, oder darum, der Generalsekretärin ein Aufgabenfeld zu geben, in dem sie wahrgenommen werden kann. (Beifall bei der FDP) Unabhängig davon: Was steht am Ende in diesem Konzept? Der Kollege Lauterbach hat uns im Dezember hier im Deutschen Bundestag angekündigt, er werde ein durchgerechnetes Konzept zur Bürgerversicherung auf den Tisch legen. Das kündigt er seit Jahren an. Wenn ich mir anschaue, was Sie vorgelegt haben, dann sehe ich, dass in diesem durchgerechneten Konzept nicht eine einzige Zahl steht. Sie sagen nicht, wie hoch der Beitragssatz sein soll. Sie sagen nicht, was alles mit verbeitragt werden soll. Sie sagen nicht, wie hoch die Beitragsbemessungsgrenze sein soll. Sie sagen nicht, wie viele Steuermittel in das System fließen sollen. Sie sagen mit keinem Wort und vor allem mit keiner Zahl - und rechnen tut man meistens mit Zahlen, Herr Kollege Lauterbach -, was Ihr Konzept eigentlich bedeutet. (Elke Ferner [SPD]: Sie können noch nicht einmal mit Zahlen rechnen!) Das lassen wir Ihnen so pauschal und billig nicht durchgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wissen genau, warum Sie das nicht sagen; denn auch Sie kämen nicht um die Botschaft herum, die Sie vermeiden, die wir aber ehrlich aussprechen, nämlich dass es teurer wird. Sie würden vor allem die Facharbeiter - die Mittelschicht - zusätzlich belasten, diejenigen, die zusätzlich ein wenig zur Seite gelegt oder eine Mietwohnung geerbt haben. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch nicht! Das ist blanke Panikmache!) Diejenigen würden Sie zusätzlich belasten, weil die Beitragsbemessungsgrenze natürlich auch in Ihrem Konzept weiter gelten würde. Genau deswegen ist es übrigens gerechter, das über Steuern zu machen. (Mechthild Rawert [SPD]: Fakten und Zahlen bitte!) Im Steuerrecht gibt es keine Beitragsbemessungsgrenze. Im Sozialrecht muss es sie nach dem Verfassungsrecht geben. Deswegen ist es richtiger, diesen Ausgleich über Steuermittel zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Wo ist denn die Gesundheitssteuer?) - Ich weiß, es tut weh, weil es Sie an Ihre eigenen Entscheidungen erinnert. (Elke Ferner [SPD]: Nein, gar nicht! Sie tun weh!) Ich wundere mich darüber, wie Sie sich da überall in die Büsche schlagen. Sie haben mit uns in der Großen Koalition den Zusatzbeitrag eingeführt, (Elke Ferner [SPD]: Nein, das waren Sie! Sie lügen schon wieder!) sodass heute von einigen Kassen 8 Euro erhoben werden. Übrigens gibt es wunderschöne Reden von Ulla Schmidt darüber, warum es richtig ist, einen Zusatzbeitrag einzuführen, nämlich um die Loslösung von den Lohnkosten zu erreichen. Sie haben mit uns gemeinsam die Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt und fortentwickelt. (Elke Ferner [SPD]: Nein, nein! Sie verabschieden sich gerade von allem!) Sie haben mit uns gemeinsam die Kostenerstattung eingeführt. (Elke Ferner [SPD]: Nein! Das stimmt nicht! Das ist gelogen!) - Sie haben mit uns gemeinsam die Regelungen zur Kostenerstattung eingeführt, weil Sie damals noch der Überzeugung waren, es wäre gut, wenn auch gesetzlich Versicherte die Möglichkeit hätten, für sich einen Wahltarif nach ihren eigenen Wünschen ein Stück weit gestalten zu können. (Elke Ferner [SPD]: Das ist gelogen! Sie verabschieden sich gerade von allem!) Heute wollen Sie von all dem nichts mehr wissen. Sie schlagen sich in die Büsche. Sie versuchen, im Wettbewerb um Gleichmacherei die Linkspartei zu überholen, aber das wird Ihnen nicht gelingen, das ist ein billiger Abklatsch. Es wäre besser, Sie würden sich zu dem bekennen, was wir einmal gemeinsam verabschiedet haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Fakten und Zahlen, Herr Spahn!) Wenn es um die Frage geht, was im nächsten Jahr ist, dann ist von Ihnen auch nichts zu hören. Wir haben im nächsten Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Defizit von 9 Milliarden Euro. (Zuruf von der FDP: So weit denken die nicht!) Das ist das größte Defizit in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn wir nichts tun würden, dann würden im nächsten Jahr viele Krankenkassen - auch große Krankenkassen - aufgrund der Systematik, wie sie heute ist, in die Insolvenz gehen müssen. Es würde eine wahnsinnig große Verunsicherung in der Bevölkerung geben. Deswegen stellen wir uns nicht nur der Entscheidung darüber, wie wir bei steigenden Gesundheitskosten die gesetzliche Krankenversicherung langfristig finanzieren wollen, sondern auch der Herausforderung im Rahmen der Frage, wie wir mit dem Defizit im nächsten Jahr umgehen werden. Hier holen wir alle ins Boot: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, indem wir zum alten Beitragssatz von 15,5 Prozent zurückkehren, den wir übrigens vor der Krise in der Großen Koalition eingeführt haben. Wir holen die Krankenhäuser mit ins Boot und die Krankenkassen, die Ärzte, die Zahnärzte, die Pharmaindustrie, die Apotheker und den Großhandel, (Mechthild Rawert [SPD]: Die einen müssen paddeln, und die anderen sitzen auf dem Luxusdampfer!) bei denen wir Zuwächse begrenzen und zum Teil effektiv Geld einsparen, um am Ende dieses Defizit von 9 Milliarden Euro unter Beteiligung aller im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Die Prognose ist so, dass es uns tatsächlich gelingen wird, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu einer ausgeglichenen Bilanz zu kommen. Man kann von der Opposition erwarten, dass sie zumindest zwei oder drei Sätze über die Herausforderung im nächsten Jahr verliert. Man kann erwarten, dass Sie eine Alternative aufzeigen, wenn Sie nicht damit einverstanden sind. Sie wissen wie ich, dass Nichtstun in dieser Situation keine Option ist, dass Krankenkassen dann in die Insolvenz müssen. (Elke Ferner [SPD]: Aber Sie haben ein ganzes Jahr nichts getan!) Da kann man sogar von einer Opposition verlangen, dass von ihr zwei oder drei Sätze darauf verwendet werden, was mit dem Defizit im nächsten Jahr zu tun wäre, wenn Sie nicht das tun wollen, was wir tun. Unsere Antwort ist ein gerechter Ausgleich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die christlich-liberale Koalition stellt sich nämlich dieser Verantwortung. Wir stellen uns dieser Verantwortung, auch wenn es unschöne Botschaften sind, (Zurufe von der LINKEN) unschöne Botschaften für Arbeitnehmer, Arbeitgeber, auch für viele, die im Gesundheitswesen tätig sind. Niemand hat ja gerne, dass bei ihm gespart wird. (Mechthild Rawert [SPD]: Die Beschäftigten sind sowieso am schlechtesten dran!) Aber wir stellen uns dieser Verantwortung. Wir stellen uns übrigens auch der Verantwortung, den Menschen ehrlich zu sagen, dass in einer älter werdenden Gesellschaft die Gesundheitskosten steigen werden. (Elke Ferner [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht! Sie lügen schon wieder, ohne rot zu werden! - Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ein Mythos, Herr Spahn!) Um diese Aussage drücken Sie sich ja leider bis heute herum. Aber es ist nun einmal so: Wenn wir medizinischen Fortschritt für alle flächendeckend wollen, muss das auch entsprechend finanziert werden. Wir nennen nicht nur ehrlich die Herausforderungen, sondern wir liefern auch noch die Lösungen, (Elke Ferner [SPD]: Ja, genau! Die kleinen Leute abzocken! Das ist die Lösung!) indem wir sagen, dass es eine weitere ergänzende Finanzierung braucht, die lohnunabhängig ist und durch die künftige Kostensteigerungen abgefedert werden können, ohne tatsächlich automatisch immer die Lohnnebenkosten zu erhöhen, wodurch ja Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet werden. (Elke Ferner [SPD]: Nur bei den kleinen Einkommen! Rentnerinnen und Rentner sind die Dummen!) Es ist am Ende übrigens die beste Sozialpolitik, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und die Schaffung von neuen möglich zu machen. (Elke Ferner [SPD]: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner werden von Ihnen gnadenlos abgezockt!) Damit stellt sich die christlich-liberale Koalition ihrer Verantwortung. Darauf kommt es an. (Andrea Nahles [SPD]: Alles nur Gesülze!) Man kann von einer Opposition ein bisschen mehr erwarten als nur Worthülsen und Überschriften. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Von denen nicht!) Wenigstens ein bisschen Konzept wäre ganz hilfreich, zumindest, wenn Sie für sich in Anspruch nehmen wollen, hier noch ernsthaft mitzureden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin Ferner das Wort. Elke Ferner (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Spahn hat ja eben wieder versucht, Geschichtsklitterung zu betreiben. Deshalb möchte ich hier wirklich noch einmal ein paar Dinge klarstellen. Die letzte Gesundheitsreform, die von Ihnen und von uns mitgetragen worden ist, bestand aus einem Kompromiss. Zu diesem Kompromiss hat erstens dazugehört, dass wir, obwohl wir das wollten, darauf verzichtet haben, die Zusatzbeiträge paritätisch und einkommensabhängig finanzieren zu lassen, weil Sie das nicht zugelassen haben. Insbesondere Frau Merkel hat darauf bestanden, dass es auch die Option geben muss, feste Beiträge nehmen zu können. Wir haben damals vereinbart, dass die Kassen selbst entscheiden können, ob sie prozentuale oder feste Zusatzbeiträge erheben. Dieses Entscheidungsrecht nehmen Sie den Kassen jetzt. Der zweite Punkt ist, dass wir folgende Forderungen Ihrer Fraktion, Herr Spahn, die Sie während der Verhandlungen zur Gesundheitsreform erhoben haben, abgelehnt haben: Sie wollten Leistungsausgliederungen, beispielsweise sollte die Kostenerstattung von privaten Unfällen durch die Krankenversicherung aus dem Leistungskatalog herausgenommen werden. Das hätte 0,7 Beitragssatzpunkte gebracht. Das haben wir abgelehnt, weil wir das für unverantwortlich halten. Außerdem wollten Sie, dass bei jedem Arztbesuch eine Praxisgebühr fällig wird. Auch das haben wir abgelehnt, weil es die Kranken zu sehr belastet. Nun zur Kostenerstattung, werter Herr Spahn. Hier richte ich mich auch an Herrn Bahr, der ja in der letzten Woche im Fernsehen ähnlichen Unsinn wie Sie behauptet hat. Es mag Ihrem jugendlichen Alter geschuldet sein, dass Sie sich vielleicht nicht mehr so sehr daran erinnern können. Die Möglichkeit zur Kostenerstattung wurde 1996 von Bundesgesundheitsminister Seehofer eingeführt. Ich kann mich noch daran erinnern - ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist -: Damals haben CDU/ CSU und FDP regiert. Diese Möglichkeit wurde 1998 von Rot-Grün wieder abgeschafft. Wiedereingeführt wurde sie 2003 auf Druck der Union im Rahmen eines Vermittlungsausschussverfahrens. Damals wurde festgelegt, dass die Bindungsfrist mindestens ein Jahr beträgt und dass sie, vor allen Dingen, entweder alle Leistungen oder keine Leistungen umfassen muss. Bei der Gesundheitsreform von 2007 war eines Ihrer großen Themen, die Möglichkeiten zur Kostenerstattung auszuweiten. Wir haben uns dann im Rahmen eines Kompromisses dazu bereit erklärt - wir wollten es nicht, es war aber Ihr Anliegen -, einen Wahltarif mit einer Drei-Jahres-Bindung einzuführen. Wir konnten dann nur noch sicherstellen, dass dieser möglichst selten in Anspruch genommen wird. Dem haben Sie damals zugestimmt. Jetzt kippen Sie dies wieder wie auch einige andere Punkte, denen Sie damals zugestimmt haben, wie beispielsweise die Deckelung der Zusatzbeiträge und damit die Sozialverträglichkeit der Zusatzbeiträge. Ich meine, Herr Spahn, zur Redlichkeit gehört, nicht nur zu sagen: "Ja, wir waren dabei", sondern auch zu sagen: "Aber wir waren es nicht allein." (Heinz Lanfermann [FDP]: Ach, Sie waren dabei, aber eigentlich nicht!) Die SPD hat leider noch nie mit absoluter Mehrheit in diesem Land regiert - Herr Gysi, dies auch zu Ihnen. Man sollte schon so ehrlich sein und so viel Rückgrat haben, Herr Spahn, deutlich zu machen, was Sie eigentlich wollten. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist aber eine lange Intervention!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Ferner, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Elke Ferner (SPD): Sie wollten - das setzen Sie jetzt mit der FDP um - eine zusätzliche Belastung der Patientinnen und Patienten und der unteren Einkommen zugunsten der Entlastung der oberen Einkommen. Das ist Ihre Klientelpolitik, die Sie nach wie vor betreiben. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort, Herr Spahn. (Ulrike Flach [FDP]: Es wird nicht gesendet, Frau Ferner! Sie brauchen sich nicht so anzustrengen! - Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Das ist mir egal, ob das gesendet wird!) Jens Spahn (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Ferner! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst zu den Wahltarifen und zu den Änderungen, die wir hierbei jetzt vornehmen. Ich glaube nicht, dass es der gesetzlich Versicherte, wenn Sie ihn auf der Straße danach fragten, für richtig hielte, dass Chefarztbehandlung oder die Inanspruchnahme eines Einbettzimmers von dem normalen Beitragszahler quersubventioniert werden, (Mechthild Rawert [SPD]: Fakten!) sondern vielmehr, dass es durch diejenigen bezahlt wird, die sich dafür entscheiden. Deswegen sorgen wir dafür, dass es diese Quersubventionierung nicht gibt, mit der einige Krankenkassen versuchen, sich eine bestimmte Klientel heranzuziehen. Wir stellen klar: Diese Tarife müssen sich selber tragen, weil Chefarztbehandlung etwas ist, was man für sich selbst finanzieren und bezahlen muss. Das war bisher in Form der Quersubventionierung ungerecht geregelt, und deswegen ändern wir das. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Gucken Sie doch einmal ins Gesetz!) Zweitens komme ich zur Kostenerstattung. Sie bemühen dabei immer gern das Wort "Vorkasse". Vielleicht sollten Sie den Menschen einmal erklären, was denn Vorkasse ist: Vorkasse heißt, dass ich vor Inanspruchnahme der Leistung zahlen muss. Das wollte nie jemand, das will nie jemand, und das wird es in der deutschen Krankenversicherung auch nie geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Vorkasse heißt, dass Sie mehr bezahlen, als Sie erstattet bekommen!) Sie jedoch suchen bei dem, was wir hier tun, verzweifelt nach Angriffspunkten, denken sich selber ein Wort aus, das ganz furchtbar klingt, und unterstellen dann mit großem Getöse, dass hier irgendjemand so etwas einführen wolle. Das ist unredlich. So macht man eigentlich nicht gemeinsam Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Heinz Lanfermann [FDP]: Glatte Lüge!) Was die Frage des Kompromisses angeht, so wollten Sie zum einen Verkehrsunfälle aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Sie lügen hier, Herr Spahn! Nehmen Sie das zurück! - Gegenruf des Abg. Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt hören Sie doch mal zu, Frau Ferner! Sie können doch etwas lernen!) - Wissen Sie, das ist doch alles müßig. (Weitere Zurufe von der SPD) - Es muss ja irgendwie wehtun. (Elke Ferner [SPD]: Nein! Es ist nicht wahr! - Heinz Lanfermann [FDP], an die SPD gewandt: Jetzt hören Sie doch einmal zu!) Vizepräsidentin Petra Pau: Überwiegend hat der Kollege Spahn das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jens Spahn (CDU/CSU): Vielen Dank. - Erst einmal gute Besserung, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke. Jens Spahn (CDU/CSU): Unabhängig davon gehört es doch in solchen Beratungen dazu - Frau Kollegin Ferner, ich antworte Ihnen - (Elke Ferner [SPD]: Ich höre Ihnen zu! Multitasking!) - Multitasking, okay -, dass man natürlich verschiedene Optionen miteinander durchspielt. Wir haben uns am Ende entschieden, nicht Leistungen auszugrenzen, sondern stattdessen zu einer zusätzlichen Belastung etwa in Form der Praxisgebühr oder anderem zu kommen. Das Gleiche tun wir jetzt übrigens wieder. Wir haben gesagt, wir wollen bei dieser Gesundheitsreform bewusst nicht Leistungen ausgliedern. Wir muten dann aber - das gehört dann zur Wahrheit dazu; vor dieser Wahrheit ducken Sie sich dann immer weg - den Menschen zu, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen, damit der bisherige Leistungsumfang erhalten bleibt. Aber eines lasse ich Ihnen nicht durchgehen; das ist irgendwann eine Frage der politischen Kultur. Wenn man gemeinsam in der Großen Koalition einen Kompromiss gefunden hat, bei dem beide Seiten selbstverständlich Abstriche machen müssen, dann gehört es meines Erachtens dazu - übrigens auch in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger -, dass man zu dem, was man gemeinsam vereinbart und gemeinsam hier beschlossen hat, auch steht und sich nicht in die Büsche schlägt. Es hat Sie ja keiner gezwungen, zuzustimmen, sondern Sie haben am Ende ebenso wie wir gesagt: Das ist ein Kompromiss, der in die richtige Richtung geht. Anderenfalls würden Sie doch nicht zugestimmt haben. Dies wäre politische Kultur, Frau Kollegin Ferner. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Sie verabschieden sich gerade!) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, erst einmal wünsche ich gute Besserung! - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss ich Folgendes anmerken: Herr Bundesminister Rösler und auch Herr Spahn beklagen sich immer darüber, die Opposition trage nichts zu der Diskussion bei. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich für alle Oppositionsparteien hier sagen muss, dass der Grundwert sozialer Gerechtigkeit beigetragen wird, legen wir mit der grünen Bürgerversicherung konkrete Zahlen auf den Tisch. Sie setzen sich aber mit keinem Wort damit auseinander. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir hingegen setzen uns mit Ihnen deutlich auseinander. Das werden Sie ja gemerkt haben. Nun zu dem Gesetz. Als der Gesetzentwurf aus dem Kabinett kam, sprach die Regierung davon, ein faires und stabiles Gesundheitssystem auch für zukünftige Generationen sichern zu wollen. Dass wir Bündnisgrüne eine andere Auffassung von fair und gerecht haben, dürfte hinreichend klar geworden sein. Aber ich dachte, ein Gesundheitssystem für künftige Generationen hat doch etwas mit Zukunft, Vorausschau und Nachhaltigkeit sowie mit der Frage zu tun, wie man sich auf die sich dramatisch verändernden Versorgungsbedingungen einer immer älter werdenden Bevölkerung mit Zunahme von chronischen und Mehrfacherkrankungen vorbereitet. Zukunft gestalten heißt doch, die Strukturen zu verändern hin zu einer besseren Versorgung mit mehr Qualität, mit Vernetzung und Integration, mit einer besseren Gesunderhaltung und mehr gemeinsamer und gegenseitiger Verantwortung für alle Beteiligten. Davon ist im Gesetzentwurf nichts zu finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist eine Ankündigung ohne Inhalt. Kollege Spahn hat vorgestern im Ausschuss argumentiert, das Finanzierungsgesetz bewusst von dem Strukturgesetz getrennt zu haben, um 1 000 Seiten zu sparen. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Nein, um die Beratung möglich zu machen!) Das ist Sparen zur falschen Zeit und an der falschen Stelle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es verzögert doch nur eine bessere Versorgung mit mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit. Trotzdem habe ich mich auf die Suche nach Hinweisen im Gesetzentwurf darauf gemacht, wohin die Reise der Koalition bei Strukturveränderungen gehen könnte. Ich bin fündig geworden: zunächst beim Notopfer der Krankenhäuser. Mit dem Mehrleistungsabschlag bestrafen Sie die Krankenhäuser, die im Qualitätswettbewerb um Patienten erfolgreicher sind als andere Häuser und die so mit den Krankenkassen mehr Leistungen vereinbaren können. Das ist wettbewerbs- und leistungsfeindlich. Wie sagt die FDP doch so schön? Leistung muss sich lohnen. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Leistung und Wettbewerb haben Sie ohnehin Ihre Probleme, jedenfalls immer dann, wenn es um die Begünstigung der PKV oder wenn es um die hausärztliche Versorgung geht. Wahlfreiheit und Wettbewerb werden verschoben. Wegen des Grollens aus den bayerischen Bergen belassen Sie es bei den unsinnigen Monopolverträgen und schleifen zudem mit der Fallwertorientierung die Leistungsanreize für eine verbesserte hausärztliche Versorgung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: In Bayern stellen die Grünen aber andere Anträge!) Sie setzen mit der Grundlohnratenanbindung für die Krankenhäuser eine Regelung fort, bei der wir uns alle einig waren, dass sie abgeschafft werden müsste, weil sie sich immer weiter von der Realpreisentwicklung entfernt. Das gilt erst recht für den Fall, dass die Rate auch noch reduziert wird. (Maria Anna Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!) Zu dem Füllhorn über einem Teil der niedergelassenen Ärzteschaft gesellen Sie die Axt im Krankenhaus und riskieren Personalabbau und schlechtere Arbeitsbedingungen besonders beim Pflegepersonal. Das wird zulasten der Patienten gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Gesetzentwurf mit den geplanten Entlastungen für Besserverdienende und der von mir aufgezeigten Zielrichtung der Strukturveränderungen ist wahrlich christlich-liberal. Nehmt den Ärmeren und gebt den Besserverdienenden! Wer mehr leistet, soll weniger bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Vor drei Minuten waren Sie mir noch sympathischer!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Stracke (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die christlich-liberale Koalition ist angetreten, das Gesundheitssystem solide und nachhaltig weiterzuentwickeln und damit auch künftigen Generationen eine Versorgung auf hohem Niveau zu gewährleisten. Genau das machen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition. Was wir heute gemeinsam auf den Weg bringen, ist gut, weil wir angesichts des hohen Defizits von rund 9 Milliarden Euro, welches für das Jahr 2011 erwartet wird, die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Augenmaß und der richtigen Balance begrenzen. Es ist auch deswegen gut, weil wir die Finanzierungsgrundlagen für die Zukunft stärken und dabei die soziale Ausgewogenheit wahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dabei stellen wir sicher, dass auch in Zukunft jeder den direkten Zugang zu unserem hervorragenden Gesundheitssystem hat und niemand von der Exzellenz unseres Gesundheitswesens ausgegrenzt wird. Die Alternative dazu wären Abstriche vom Leistungskatalog, Leistungsausgrenzung oder gar, wie manche fordern, Priorisierungen von medizinischen Maßnahmen. Das ist nicht unsere Politik; das ist nicht unser Weg. Deshalb machen wir das nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die christlich-liberale Koalition stand vor einer großen Herausforderung: Wie gehen wir mit dem Defizit von 9 Milliarden Euro um? Dieses Defizit ist im Übrigen nicht vom Himmel gefallen, sondern aufgrund der bewusst getroffenen Entscheidung der Großen Koalition entstanden, Ausgabensteigerungen insbesondere im ambulanten und stationären Bereich vorzunehmen, die dazu dienten, die Versorgungsqualität weiter zu verbessern. Wir handeln nun angesichts dieses Defizites. Dabei haben wir die Grundsatzentscheidung getroffen, das Defizit nicht ausschließlich auf der Einnahmeseite anzugehen, sondern auch über eine Begrenzung der Ausgaben. Das ist sicherlich nicht der einfache, bequeme Weg, aber ein Weg, der verantwortbar ist, weil er die Interessen der Versicherten, vor allem der Beitragszahler, im Blick behält. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir begrenzen die Ausgaben, aber nicht einseitig, sondern mit dem rechten Maß, indem wir hier alle Beteiligten in die Verantwortung nehmen: die Arzneimittelhersteller, die Ärzte, die Krankenhäuser, aber auch die Krankenkassen. Dabei wahren wir die Balance zwischen dem, was einerseits notwendig ist, um die Ausgabenzuwächse zu begrenzen, und dem, was andererseits erforderlich ist, um weiterhin die hohe Versorgungsqualität für die Patienten vor Ort sicherzustellen. Wir haben deshalb dafür gesorgt, dass in allen Regionen Deutschlands die hervorragende Qualität unserer ambulanten ärztlichen Versorgung gewahrt bleibt. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die hausarztzentrierte Versorgung unverändert weiterbesteht: Bestehende Hausarztverträge haben einen Bestandsschutz bis zum Juni des Jahres 2014 und damit eine sichere Rechtsgrundlage. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir begrenzen nicht nur die Ausgaben, sondern stärken auch die Finanzierungsgrundlagen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Stephan Stracke (CDU/CSU): Nein, erst einmal nicht. - Die großen Herausforderungen sind dabei die demografische Entwicklung und der medizinisch-technische Fortschritt. Je größer der Anteil der älteren Menschen wird - darauf müssen wir hinweisen -, desto höher sind die Ausgaben im Gesundheitssystem. Deswegen werden die Gesundheitsausgaben auch in Zukunft steigen. Aus diesem Grund entwickeln wir das Finanzierungssystem weiter. Dabei ist der Kerngedanke, den Arbeitgeberbeitrag festzuschreiben, damit die Lohnkosten nicht weiter anwachsen. Wir finanzieren dies über einen Zusatzbeitrag, der von einem Sozialausgleich flankiert wird. Was setzt nun die werte Opposition entgegen? Was erleben wir in der heutigen Debatte? Sie haben außer negativen Schlagworten nichts anzubieten. Sie folgen der Maxime, dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt. - Auch heute wird wieder deutlich: Die Opposition setzt auf eine Politik, die Neid als Keil einsetzt und Solidarität als Keule. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Das sagt der Klientelpolitiker!) Wir haben es mit der Unterstellung zu tun, die Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge sei unsolidarisch. Aber wir - Sie und ich - wissen doch, dass steigende Gesundheitskosten die Lohnnebenkosten erhöhen. Wir wissen doch, dass sich dadurch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf Dauer verschlechtern würde; dadurch würden Arbeitsplätze nicht gesichert, sondern gefährdet. Genau das wollen wir nicht. Deshalb ist die Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge der richtige Ansatz im Interesse aller Menschen in Deutschland. Wir haben es auch mit der irrigen Annahme zu tun, dass die Beitragszahler angesichts der in Zukunft steigenden Gesundheitsausgaben alleingelassen würden. Das ist nichts anderes als eine verunglimpfende Stimmungsmache; denn richtig ist, dass wir unseren Zusatzbeitrag mit einem Sozialausgleich über Steuern flankieren und somit alle Einkommensarten einbeziehen. Sie wissen doch genauso wie ich, dass die 10 Prozent mit den höchsten Einkommen um die 50 Prozent des Einkommensteueraufkommens erbringen. Diese Mittel setzen wir im Rahmen des Sozialausgleichs ein. Das ist gerecht, und das ist auch solidarisch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir setzen auf die Anreize, sich wirtschaftlich gegenüber der Solidargemeinschaft zu verhalten. Das ist auch der Hintergrund, warum wir sagen: Wir erstatten den Sozialausgleich nur bis zum durchschnittlichen Zusatzbeitrag. Das ist gerecht, das ist sozial. Wir machen uns hier gemeinsam auf den Weg, die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine vernünftige Basis zu setzen. Wir handeln verantwortlich und gewährleisten dadurch, dass die hohe Versicherungs- und Versorgungsqualität der Menschen auch in Zukunft garantiert wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung. Diverse Male wurden heute von der Opposition Sachthemen angesprochen. In der Kritik unserer Reden heißt es, wir würden nicht viel über die eigenen Konzepte sagen. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, wie ungewöhnlich blass und inhaltslos die Rede des Ministers gewesen ist? Wann hört man eine so schwache Rede eines Ministers, wenn er sein erstes großes Gesetz vorstellt? (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wir haben doch nichts gehört. Der Minister war nicht in der Lage, eine einzige Zwischenfrage zuzulassen. Ich kann mich bereits jetzt nicht mehr erinnern, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil er nichts gesagt hat. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP - Heinz Lanfermann [FDP]: Genau, das haben Sie nicht verstanden!) Auch Sie wissen das. Diejenigen, die das bestreiten, frage ich: Wer kann sich erinnern? Niemand weiß etwas. So, und jetzt zu Ihnen, Herr Spahn. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Können Sie sich daran noch erinnern?) - An Ihre Rede kann ich mich erinnern. Ihnen will ich einen rhetorischen Rat geben. Im Rheinland sagt man: Die Menschen, die in ihrer Rede zu häufig von der Ehrlichkeit sprechen, sind die größten Lügner. Das trifft heute auf Ihren Redebeitrag zu; denn Sie haben gesagt, dass wir die kleine Kopfpauschale wollten. (Beifall bei der SPD) Sie haben gesagt, wir hätten das Defizit verursacht und machten jetzt keine Vorschläge. (Heinz Lanfermann [FDP]: Reiner Irrealis!) Sie produzieren innerhalb eines Jahres ein Defizit von 10 Milliarden Euro und werfen uns dann vor, dass wir keine Vorschläge machen. Ja, wer regiert denn, Herr Spahn, meine sehr verehrten Damen und Herren? Das ist ja ein Witz. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir haben Ihnen das Ministerium im dritten Quartal mit 1,9 Milliarden Euro Überschuss übergeben. Jetzt haben wir 10 Milliarden Euro Defizit, und Sie beklagen sich, dass wir keine Vorschläge bringen. Das ist doch absurd. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Da lachen Sie sich ja selbst kaputt!) - Nein, das ist die Wahrheit. Sie werden ausgelacht. Die Leute lachen nicht über mich, sondern die Leute lachen mit mir über Sie. Das ist die Tatsache! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) - Ja, das ist so. Jetzt zum Inhalt - - Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Lauterbach, es wäre schon schön, wenn wir auch noch zur Sache debattieren würden. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Ich rede zur Sache. Herr Präsident, ich habe auf jeden Fall schon mehr zur Sache geredet als der Minister in seinem Redebeitrag. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und FDP - Heinz Lanfermann [FDP]: Sie können sich doch gar nicht erinnern, was er gesagt hat!) Hier wird vorgetragen, wir wären es gewesen, die die kleine Kopfpauschale, die am heutigen Tage durch die Hintertür eingeführt wird, eingeführt hätten. Das ist eine Unwahrheit. Wir haben Zusatzbeiträge eingeführt, die 5 Prozent der Gesamtausgaben nicht übersteigen durften. Das heißt, jede weitere Ausgabensteigerung wäre zu 5 Prozent in die Kopfpauschale gelaufen. Jetzt laufen 100 Prozent der Ausgabensteigerung in die Kopfpauschale. Das ist der Unterschied. Von daher ist die Zusatzprämie heute zur Kopfpauschale geworden. Das ist heute zu vertreten. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Sie versuchen, die Leute zu verdummen, indem Sie sagen, die Parität könne sich wirtschaftlich nicht länger halten, das paritätische System sei am Ende. Seien Sie doch so ehrlich und räumen Sie ein, dass wir es mit der Parität geschafft haben, die Arbeitslosenzahl unter 3 Millionen zu drücken. Das System ist nicht kaputt, es funktioniert. Sie wollen die Privatisierung, den Systemwechsel. Es geht Ihnen nicht um die Lohnzusatzkosten. Sie wollen das System amerikanisieren und privatisieren. Sie sind aber zu feige, das ehrlich zuzugeben, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) In Wahrheit kassieren Sie die Rentner und die Geringverdiener ab, um den Arbeitgeberbeitrag einfrieren zu können. Darauf läuft es hinaus. Der Rentner, der 800 Euro bezieht, bekommt bei einer durchschnittlichen Kopfpauschale von 20 Euro nur 4 Euro Sozialausgleich. Wissen Sie, wie ich das nenne? Das ist kein Sozialausgleich; das ist ein Almosen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei einer Rente von 1 000 Euro bekommt er gar keinen Sozialausgleich. Kein Geringverdiener mit einem mittleren Einkommen von 1 500 Euro kann einen Sozialausgleich erhalten, wenn die Kopfpauschale im Durchschnitt 30 Euro beträgt. Das ist ein Abkassieren bei den kleinen Leute. Das ist weniger Netto vom Brutto für die Leute, die Guido Westerwelle als Leistungsträger bezeichnet hat. Herr Westerwelle, die Leistungsträger, die 1 500 Euro verdienen, büßen bei einer Kopfpauschale in Höhe von 30 Euro 2 Prozent ihres Nettoeinkommens ein - ohne jeden Sozialausgleich. Wollen Sie das den Geringverdienern, den Leistungsträgern und den Menschen in den neuen Bundesländern anbieten? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihnen geht es nicht um die Leistungsträger. Ihnen geht es um die PKV. Ihnen geht es um die Arbeitgeber. Das ist die Koalition des Kapitals, Herr Kauder. Dafür werden Sie in Baden-Württemberg abgestraft. Darauf können Sie sich verlassen. Das kann ich Ihnen versichern, Herr Kauder. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) In diesen Tagen bin ich im Rahmen des Vorwahlkampfes häufig in Baden-Württemberg. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Die laden Sie freiwillig ein?) Sie liegen falsch, wenn Sie glauben, dass es den Menschen dort nur um den Bahnhof in Stuttgart geht. Die Leute wissen ganz genau, wo Sie abkassieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie reden Unsinn!) Für Sie haben die Arbeitgeber, die private Krankenversicherung und die Ärzte Priorität, nicht die Rentnerinnen und Rentner. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Erfolg Ihrer Partei hängt wie bei keiner anderen Partei von den Wählerstimmen der Rentner ab. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Können Sie einmal anders als wahltaktisch argumentieren?) Sie werden abgestraft werden. Die Menschen werden das im Januar begreifen. Im Januar flattern die Rechnungen ins Haus, Herr Kauder. Dann werden die Leute kapieren, was diese Reform bedeutet. Dann werden nicht nur Ihre Umfrageergebnisse schlechter. Dann erhalten Sie die Strafe dafür, dass Sie hier abkassieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Kennen Sie eigentlich die Umfragen zur SPD in Baden-Württemberg? Sie laufen den Grünen hinterher! Sie sind die Fußkranken in Baden-Württemberg!) Sie sind nicht bereit, offen dazu zu stehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jens Spahn [CDU/CSU]: Das sind aber lange sieben Minuten!) Gestern wurde uns von Ihnen der Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, das gut für die Pharmaindustrie und gegen die Patienten gerichtet ist. Heute liegt uns ein Gesetzentwurf vor, der gut für die Arbeitgeber und die private Krankenversicherung und ebenfalls gegen die Patienten und Versicherten gerichtet ist. Ein solches Vorgehen ist einer Partei, die sich damit brüstet, eine christliche Partei zu sein, unwürdig. Wo sind denn die christlichen Elemente in diesem Gesetzentwurf, Herr Kauder? Davon ist nichts zu sehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jens Spahn [CDU/CSU]: Jetzt wird es ein bisschen maßlos!) Dazu, dass die Vorkasse, die Abkassiererei eingeführt wird, sagt uns der Minister: Die Menschen müssen das ja nicht machen. Niemand hier ist so dumm, zu glauben, dass die Menschen das machen müssen. Als Minister haben Sie aber die Pflicht, die Menschen vor der Abzocke zu schützen, und nicht, sie einzuführen, Herr Minister. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss, bevor ich abgemahnt werde. Meine Redezeit ist abgelaufen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihre Zeit ist rum, nicht abgelaufen!) Sie werden sich noch an meine Worte erinnern. Sie werden schon sehen. Ich habe gesagt: Wegen der miserablen Gesundheitspolitik wird Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen demnächst seinen Stuhl räumen müssen. Genau so ist es gekommen. Das habe ich hier vorgetragen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Ein Prophet!) Jetzt sage ich voraus: Herr Mappus wird der Nächste sein, der sich wegen dieser Gesundheitspolitik verabschiedet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ob die Grünen oder wir dann vorne liegen, ist mir egal. Hauptsache, es ist eine progressive, linke Partei, die weiß, wo das Herz schlägt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir legen heute den Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes vor, mit dem die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisiert wird, mit dem auch in langfristiger Hinsicht Weichen gestellt werden. Die christlich-liberale Koalition hat gehandelt. Deshalb wird es das befürchtete Milliardenloch im Gesundheitssystem nicht geben. Es ist eine gute Nachricht, dass keine Leistungen gestrichen werden, sondern die Versorgung der Patienten unverändert gesichert ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Aus Sicht der neuen Bundesländer - ich spreche hier als Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern - ist die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung insbesondere im ländlichen Raum eine der großen Sorgen. Dieser Gesetzesentwurf wird hier zu spürbaren Verbesserungen führen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erstens. Wir passen das Honorar der Zahnärzte in den neuen Bundesländern in Richtung Westniveau an. 20 Jahre nach der deutschen Einheit ist das mehr als überfällig. Zweitens. Wir führen die Möglichkeit von Sicherstellungszuschlägen wieder ein. Damit können für niederlassungsinteressierte Ärzte gezielt Anreize gesetzt werden, insbesondere in ländlichen Regionen. (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. Weil sich die bisherige Honorarreform der Ärzte regional unterschiedlich ausgewirkt hat, ist eine asymmetrische Aufteilung des Zuwachses durch die Selbstverwaltung vorgesehen. Davon profitieren insbesondere auch neue Bundesländer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bemerkenswert ist: Unser Vorgehen hat - das ist erfreulich - sogar die ausdrückliche Unterstützung von Hausärzten gefunden. In seiner jüngsten Pressemitteilung lobt der Hausärzteverband Mecklenburg-Vorpommern unsere beiden Gesetzesvorlagen und fordert sogar seinen Dachverband zu einer konstruktiven Haltung auf. Anders die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Landesministerin Schwesig. Sie redet von angeblichen - ich zitiere wörtlich - "Millionen-Verlusten der Krankenhäuser durch die Entscheidung der Bundesregierung gegen einen bundesweit einheitlichen Landesbasisfallwert". Tatsächlich gibt es aber weder eine solche Entscheidung noch die behaupteten Millionenverluste. Tatsächlich findet nämlich 2010 bis 2014 die gesetzlich vorgeschriebene Angleichung der Landesbasisfallwerte an den gesetzlich vorgeschriebenen Korridor unverändert statt. Das heißt, hier ändert sich in den nächsten vier Jahren nichts. Die Krankenhäuser haben Planungssicherheit. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Ach, sieh an!) Auch wird die im Gesetzentwurf vorgesehene wissenschaftliche Untersuchung über die Ursachen unterschiedlicher Basisfallwerte der Länder nicht gestrichen. Sie muss bis zum 30. Juni 2011 in Auftrag gegeben werden; dabei bleibt es. Und jetzt, Herr Kollege Lauterbach, zu Ihnen und Ihrem Erinnerungsvermögen. Sie haben am 17. Dezember 2009 hier im Plenum des Deutschen Bundestages ein durchgerechnetes Konzept versprochen. Wörtlich: Wir werden einen konkreten, durchfinanzierten Vorschlag für eine Bürgerversicherung machen. Das kündige ich hiermit an. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Aha!) Sie haben angekündigt, dass wir uns damit - ich zitiere wörtlich - "in Kürze auseinandersetzen müssen". Das war vor einem Jahr. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Demenz! Ich sage nur: Demenz!) Was ist aus dem lange angekündigten konkreten, durchfinanzierten Vorschlag geworden? Der Berg kreißte, und am Montag hat das SPD-Präsidium ein Papier zur Beschäftigung ihrer Generalsekretärin beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Darin stellt die SPD fest, dass ihr veraltetes Konzept einer Bürgerversicherung aus dem Jahre 2004 seit spätestens 2006 überholt ist und überarbeitet werden muss. Dazu, meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie nur vier Jahre gebraucht. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Mit der Überarbeitung ist die SPD noch nicht weit gekommen. Offenbar hat sie die erforderliche Muße noch nicht finden können. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sagen Sie etwas zur Sache! - Thomas Oppermann [SPD]: Reden Sie einmal über Ihren Gesetzentwurf!) In dem SPD-Papier findet sich keine Spur des durchfinanzierten Konzepts einer Bürgerversicherung, das Sie, Herr Kollege Dr. Lauterbach, vor einem Jahr versprochen haben. Stattdessen wird in dem SPD-Papier die Einsetzung einer Projektgruppe angekündigt, immer nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ' ich einen Arbeitskreis. (Beifall des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU]) Herr Kollege Dr. Lauterbach, erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung: Demenzbehandlung wird von der gesetzlichen Krankenversicherung immer noch finanziert. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Und dann das unermüdliche Lamentieren über die angebliche Einführung der Vorkassenregelung! Gemeint ist die Wahlmöglichkeit von Patienten, (Elke Ferner [SPD]: Sich abzocken zu lassen!) sich für Kostenerstattung statt Sachleistung zu entscheiden. Diese Wahlmöglichkeit existiert schon seit vielen Jahren. Sie wurde mehrfach umgestaltet und erweitert, übrigens immer mit Zustimmung der SPD. Kostenerstattung ist aber nicht das Gleiche wie Vorkasse. Vorkasse bedeutet, dass abweichend vom üblichen Vorgehen zunächst eine Bezahlung der Ware oder Dienstleistung erfolgt. Erst danach beginnt der Verkäufer oder Dienstleistungserbringer mit der Warenlieferung oder Dienstleistung. Bei der Kostenerstattungsoption gibt es offensichtlich keine Vorkasse im Verhältnis zwischen Patient und Arzt, da der Arzt zuerst die Leistung erbringt und erst später eine Rechnung stellt. Auch im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Patient passt der Begriff Vorkasse nicht. Denn bevor der Patient seinen Erstattungsanspruch bei der Krankenkasse geltend gemacht hat, sind der Kasse diese Kosten weder nach Art noch nach Höhe bekannt. Der Kostenerstattungsanspruch entsteht erst zum Zeitpunkt der Vorlage. Erst dann kann und darf die Kasse leisten. Der Begriff "Vorkasse" ist im Hinblick auf die Kostenerstattungsoption unter keinem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es richtig!) Er ist einfach nur unseriös. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wir haben die letzten Monate genutzt, um den heute zur Abstimmung stehenden Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung unseres Gesundheitssystems zu erarbeiten. Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz können wir den Herausforderungen einer älter werdenden Bevölkerung, des medizinisch-technischen Fortschritts und steigender Kosten begegnen und gleichzeitig für alle Versicherten den Zugang zu hochwertigen Leistungen erhalten. Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes. Ich bitte um Aufmerksamkeit für folgende Hinweise: Mir liegen zahlreiche persönliche Erklärungen zur Abstimmung vor. 28 Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion (Zurufe von der SPD: Oh! - So viele?) und zwei aus den Reihen der SPD-Fraktion geben solche persönliche Erklärungen zu Protokoll.1 Darüber hinaus möchten fünf Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Fraktion Die Linke persönliche Erklärungen zur Abstimmung vortragen. Ich werde diese persönlichen Erklärungen nach den beiden namentlichen Abstimmungen aufrufen. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass der Gegenstand dieser persönlichen Erklärungen nicht die Verlängerung der Debatte, sondern die Erläuterung persönlicher Motive mit Blick auf den jeweiligen Gegenstand ist, was in Anbetracht der verfügbaren Zeit zu einer auf beiden Seiten verträglichen Konzentration führen könnte. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3696, in Kenntnis des Berichts des GKV-Spitzenverbandes über die Erfahrungen mit den Rechtsänderungen in § 13 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/3040 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Über den Gesetzentwurf stimmen wir auf Verlangen der SPD-Fraktion namentlich ab. Ich mache darauf aufmerksam, dass im Anschluss an diese namentliche Abstimmung eine weitere namentliche Abstimmung erfolgt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze an den vorgesehenen Stellen einzunehmen. - Ich habe den Eindruck, dass alle Plätze ordnungsgemäß besetzt sind, und eröffne die Abstimmung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? - Das scheint mir nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Wir setzen die namentlichen Abstimmungen fort und kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3708, zu dem ebenfalls namentliche Abstimmung verlangt wurde. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle, die das wollen, ihre Stimmkarte abgeben können? - Alle konnten ihre Stimmkarte abgeben? (Zurufe: Nein!) - Noch nicht. - Konnten jetzt alle ihre Stimmkarte abgeben? - Das ist nun der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen ebenfalls später bekannt gegeben.3 Verabredungsgemäß erteile ich jetzt das Wort zu persönlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung, zunächst Kathrin Vogler. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte doch noch einmal erklären, warum ich dieses GKV-Finanzierungsgesetz abgelehnt habe. Ich habe das getan als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, das sich entschieden für eine Krankenversicherung einsetzen will, in der die Gesunden für die Kranken und die finanziell Stärkeren für die finanziell Schwächeren einstehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser verbliebene Rest an Solidarität aufgekündigt. Mit dem, was Sie als einkommensunabhängige Zusatzbeiträge einführen, nämlich der Kopfpauschale, soll ich als Bundestagsabgeordnete nächstes Jahr womöglich den gleichen Zusatzbeitrag wie die Sachbearbeiterin in meinem Büro zahlen. Ihr Beitrag erhöht sich dadurch aber sehr viel stärker als meiner. Das halte ich für ungerecht - und die Sachbearbeiterin wahrscheinlich noch mehr. Deswegen kann ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Sie halten uns entgegen, man könne die Zusatzbeiträge minimieren, indem man die Kasse wechsele. Als Mitglied der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft kenne ich viele kranke Menschen, chronisch kranke und behinderte Menschen, die dauerhaft in ärztlicher Behandlung sind. Gerade für sie ist ein Kassenwechsel oft mit großen Problemen und Ängsten verbunden. Weil ich diese Ängste ernst nehme, muss ich diesen Gesetzentwurf ablehnen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Es kann nicht sein, dass Sie eine Rede halten! Das ist nicht zur Abstimmung!) - Herr Lanfermann, es ist nicht Ihre Entscheidung, ob ich hier zur Abstimmung rede oder nicht, sondern die der Präsidentin. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es geht hier um persönliche Erklärungen zur Abstimmung. Das muss gewährleistet sein. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Ich habe deshalb häufig die besorgte Frage von Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkreis gehört, ob sie sich ihre Krankenkasse im nächsten Jahr überhaupt noch leisten können. Ich finde diese Frage nur zu berechtigt, auch angesichts des Wahltarifs in Bezug auf die sogenannte Kostenerstattung, bei der man das Geld für die Arztrechnung aus eigener Tasche vorstrecken kann. Wer soll das machen? Vor allem Behinderte und chronisch Kranke werden sich das nicht leisten können. Sie werden es sich auch nicht leisten können, auf einem Teil ihrer Behandlungskosten sitzen zu bleiben. Deswegen halte ich den Gesetzentwurf für diskriminierend und ausgrenzend und habe dagegengestimmt. Ich habe auch deshalb gegen den Gesetzentwurf gestimmt, weil unter Ausschaltung der Rechte der Opposition erst vor vier Tagen durch einen Änderungsantrag ein völlig neuer Sachverhalt hineingeschmuggelt wurde. Die umstrittene elektronische Gesundheitskarte soll jetzt beschleunigt eingeführt werden. Mindestens 10 Prozent der Versicherten sollen innerhalb eines Jahres damit ausgestattet werden. Schaffen die Krankenkassen das nicht, dann werden sie finanziell bestraft. Für mich sind in diesem Punkt noch zu viele Fragen offen, die wir nicht in einem ordentlichen parlamentarischen Verfahren klären konnten, zum Beispiel zur Datensicherheit und zu den immensen Kosten, die dieses Projekt zur Karte 21 machen könnten. Das kann ich nicht verantworten. Aus all diesen Gründen habe ich den Gesetzentwurf abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Martina Bunge. (Zuruf von der FDP: Sie hat doch schon gesprochen! - Gegenruf der Abg. Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Ich habe noch nicht gesprochen! - Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das war gestern!) - Ich weise noch einmal darauf hin, dass es hier um persönliche Erklärungen und nicht um eine Verlängerung der Debatte geht. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. - Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil Sie zwar vorgeben, damit eine nachhaltige und sozial ausgewogene Finanzierung zu erreichen - so heißt es zumindest im Titel des Entwurfs -, weil Sie aber tatsächlich durch die Hintertür die Kopfpauschale einführen, die Beiträge der Arbeitgeber einfrieren und die Versicherten künftig mit allen Kostensteigerungen allein lassen. So zerschlägt Schwarz-Gelb die solidarische Krankenversicherung. (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben keine Redezeit von Ihrer Fraktion bekommen! Deshalb dürfen wir uns das jetzt anhören!) Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Herr Lanfermann. (Heinz Lanfermann [FDP]: Ja, natürlich!) Das ist zutiefst sozial ungerecht. (Heinz Lanfermann [FDP]: Danke!) Deshalb stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf. (Beifall bei der LINKEN) Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil Sie des Weiteren den Angleichungsprozess der Bundesländer nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd aufhalten. Ganz massiv wirkt sich das beispielsweise auf die Krankenhäuser in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern aus. Dort haben wir den niedrigsten Landesbasisfallwert der Bundesrepublik. Der Fahrplan hin zu einem einheitlichen Wert für das gesamte Bundesgebiet war bereits geregelt. Sie kippen das Ganze. Die Zeit ist reif, dass eine Blinddarmoperation in Mecklenburg-Vorpommern das gleiche Geld bringt wie eine Blinddarmoperation in Rheinland-Pfalz. (Ulrike Flach [FDP]: Was hat das jetzt damit zu tun?) Es mag zwar regionale Unterschiede geben, aber wenn Sie in diesem Bereich auf Wettbewerb setzen, dann kann ich dieser Ausrichtung nicht folgen. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen bringt die unterschiedliche Bezahlung, die Sie beibehalten wollen, die Krankenhäuser weiter in Bedrängnis. Wenn das Geld fehlt, geht das zulasten der Beschäftigten und der Patientinnen und Patienten. Kollege Monstadt, es trifft nicht zu, dass alles gut weitergehen kann. Alle Kalkulationen werden mit diesem Gesetzentwurf null und nichtig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Bunge, ich muss Sie darauf hinweisen, dass der Disput mit anderen Abgeordneten (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nicht zulässig ist!) keine persönliche Erklärung, sondern eine Verlängerung der Debatte ist. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Gut. Ich lasse den Namen weg. (Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist ja nun das Allerschlimmste! Für wie blöd halten Sie uns denn?) Der Punkt ist vorhin betont worden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sollten mal die Geschäftsordnung lesen!) Die Frage ist jetzt, ob Löhne erhöht werden oder Personal aufgestockt wird. Beides wäre nötig. Aber das unterbinden Sie. Deshalb lehne ich den Gesetzentwurf ab. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Besser wäre es, Sie träten ab!) Ich lehne ihn auch deshalb ab, weil er unnötig ist. Der Umstieg in die Kopfpauschale könnte mit einer Sofortmaßnahme vermieden werden. Das Milliardenloch könnte anders gestopft werden. Wir schlagen vor, die Verschiebebahnhöfe zwischen den Sozialversicherungskassen, zum Beispiel bei den Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Beziehern, endlich zu beseitigen. Dann wäre das Gesetz unnötig, und wir könnten uns in Ruhe mit einer solidarischen Lösung für das Gesundheitssystem beschäftigen. Die Bevölkerung ist für dieses System. 80 Prozent stehen dahinter. Wir müssen es erhalten und ausbauen, wir müssen es fitmachen für die Zukunft. Eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wäre der beste Weg. Da Sie nicht vernünftig diskutieren, sondern alles in drei Sitzungswochen durchziehen, lehne ich den Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich weise ein letztes Mal darauf hin, dass es sich um persönliche Erklärungen handeln muss. (Thomas Oppermann [SPD]: Das sind alles Debattenbeiträge!) Dazu gehört es gegebenenfalls auch nicht, die Positionen der eigenen Fraktionen darzustellen. Diesen Unterschied müssen wir machen. Als Nächster hat Harald Weinberg das Wort. (Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt kommt noch mal so ein Debattenbeitrag! Das ist doch nicht in Ordnung, Frau Präsidentin! - Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben ihn ja noch nicht einmal gehört!) Harald Weinberg (DIE LINKE): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich lehne dieses Gesetz ab und habe dagegen gestimmt, weil diese Regelungen dazu führen, dass das kommunale Klinikum in meiner Heimatstadt Nürnberg mit Sicherheit in eine schwierige finanzielle Lage kommt. Bis vor einem Jahr war ich Stadtrat in meiner Heimatstadt und damit auch mitverantwortlich für das kommunale Klinikum. Als Verdi-Mitglied bin ich ebenfalls mitverantwortlich für die Mitarbeiter in diesem Klinikum. Das genannte Krankenhaus hat es mit Mühe geschafft, im letzten Jahr wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen. Insgesamt steigen die Erlöse pro Fall für die Krankenhäuser im Jahr 2011 gerade einmal um 0,9 Prozent. Damit können die Krankenhäuser die Tarifsteigerungen nicht bezahlen. Der Marburger Bund - Herr Henke wird das als Vorsitzender sicher bestätigen können - wird sich nicht mit einer Steigerung von 1 Prozent abspeisen lassen. Umso weniger Geld wird es für die berechtigten Forderungen von Verdi und der Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger geben. Hinzu kommen die steigenden Sachkosten. Nach meiner Auffassung wird die Folge ein noch höherer Druck auf die Beschäftigten in den Krankenhäusern sein. Damit wird die Behandlungsqualität zwangsläufig weiter sinken. Dennoch werden die Sparbemühungen nicht ausreichen. Viele Krankenhäuser werden wie das Krankenhaus in meiner Heimatstadt Nürnberg wieder in die roten Zahlen rutschen, und dann werden die Privatisierungsdiskussionen wieder anfangen. Die Versicherten, die Patientinnen und Patienten sowie ein großer Teil der Beschäftigten im Gesundheitswesen zahlen die Zeche. Das ist kein Unfall, sondern die Politik von CDU/CSU und FDP. Das ist ein Skandal. Deshalb stimme ich diesem Gesetz nicht zu. Es wird auch dazu führen, dass wir in den Kliniken Personalabbau haben werden. Ich werde die Folgen dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit thematisieren. Ich werde versuchen, den Menschen zu vermitteln, dass diese Bundesregierung, die sich gegen die Mehrheit der Menschen durchgesetzt hat, abgewählt gehört, und das einzig Gute an diesem Gesetz ist, dass es 2013 wieder einkassiert werden kann. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Ilja Seifert hat seine Erklärung schriftlich abgegeben. Jetzt hat die Kollegin Senger-Schäfer das Wort.4 Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte eine persönliche Erklärung dazu abgeben, warum ich diesem Gesetz nicht zustimme. Ich stimme dagegen, weil dieses Gesetz in seinen zukünftigen Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger nach meiner Auffassung einmalig ist. Diese Einmaligkeit seiner Auswirkungen veranlasst mich, von meinem parlamentarischen Recht Gebrauch zu machen, mein Abstimmungsverhalten vor dem Deutschen Bundestag zu begründen. Ich stimme dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu; denn dieses Gesetz wird das seit 127 Jahren bestehende Solidarprinzip als Fundament der solidarischen und paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems in nie dagewesener Weise beschädigen. Ich stimme dagegen, weil, anstatt das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung auszubauen und weiterzuentwickeln, heute mit den Stimmen von Union und FDP die Solidarität zwischen den Gesunden und den Kranken, den Armen und den Reichen und zwischen den Jungen und den Alten folgenschwer aufgekündigt wird. Als pflegepolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag und als gewählte Vertreterin der Menschen in meinem Wahlkreis Ludwigshafen/ Frankenthal, im Rhein-Pfalz-Kreis und darüber hinaus muss ich der Tatsache Rechnung tragen, dass das zur Abstimmung gestellte Finanzierungsgesetz an den Bedürfnissen der Versicherten, der Patienten und insbesondere der pflegebedürftigen Menschen komplett vorbeigeht. (Heinz Lanfermann [FDP]: Ja, natürlich!) Dieses Gesetz setzt allein auf eine Finanzreform und folgt dabei dem Kalkül, das Erfordernis der Zustimmung durch den Bundesrat zu umgehen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Wo weicht denn Ihre Meinung von der Ihrer Fraktion ab? Sie wiederholen hier nur die Argumente, die schon einmal vorgetragen wurden, und lassen Herrn Gysi sprechen, der keine Ahnung hat, und wiederholen die Argumente alle nachher!) - Wer schreit, hat unrecht. (Beifall bei der LINKEN) Im Wesentlichen wird damit auf eine einseitige Erhöhung der Abgabenlast gesetzt. Das ist für mich inakzeptabel. Ich erachte es für notwendig, dass bei Reformprojekten im Gesundheitsbereich gerade den Wünschen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und der pflegebedürftigen Menschen entsprochen wird. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, kommen Sie jetzt zum persönlichen Teil Ihrer persönlichen Erklärung? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Glatter Missbrauch! Jetzt ist mal Schluss hier!) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Ich stimme dagegen, weil es keine Lösung ist, allein auf die Finanzierung zu setzen. Für uns gilt: Gesundheit ist keine Ware. Deshalb stimme ich dagegen. (Beifall bei der LINKEN - Heinz Lanfermann [FDP]: Wofür haben wir eigentlich Regeln? - Volker Kauder [CDU/CSU]: Frechheit! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Unerhört, was hier stattfindet!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt. Ich komme zunächst zum Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, Drucksachen 17/3040 und 17/3696. Abgegebene Stimmen 559. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein haben gestimmt 253. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558; davon ja: 305 nein: 253 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Schröder Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller (Erlangen) Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Daniela Raab Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein CDU/CSU Josef Göppel Max Straubinger SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Silvia Schmidt (Eisleben) Olaf Scholz Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Daðdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Neškovic Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Jetzt komme ich zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke - Drucksachen 17/3708 und 17/3696 - zum Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Abgegebene Stimmen 555. Mit Ja haben gestimmt 61, mit Nein haben gestimmt 308. Enthaltungen gab es 186. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 555; davon ja: 61 nein: 308 enthalten: 186 Ja DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Daðdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Neškovic Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Gitta Connemann Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Schröder Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller (Erlangen) Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Daniela Raab Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Bernhard Brinkmann (Hildesheim) FDP Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Silvia Schmidt (Eisleben) Olaf Scholz Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Ich komme jetzt zu den weiteren Entschließungsanträgen, zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3707. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt gegen die Stimmen der einbringenden Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen und mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP. Die Linke hat sich enthalten. Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3709. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Dafür haben gestimmt Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen die Koalitionsfraktionen. Die Fraktion der SPD hat sich enthalten. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Druck-sache 17/3696 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 17/3360 und 17/3441 - für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen hat die Linke gestimmt. Die SPD hat sich enthalten. Tagesordnungspunkt 32 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-sache 17/3427 mit dem Titel "Patientenschutz statt Lobbyismus - Keine Vorkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung". Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen gestimmt. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1238 mit dem Titel "Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege einführen". Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 33 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) - Drucksache 17/1199 - Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) - Drucksache 17/3609 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Wellenreuther Gabriele Fograscher Jimmy Schulz Halina Wawzyniak Wolfgang Wieland Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ich gebe das Wort zunächst dem Abgeordneten Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich ankündigen, dass ich versuchen will, den eingetretenen Zeitverzug einigermaßen wettzumachen. Haben Sie also keine Angst, wenn Sie auf die Rednerliste und die vorgesehene Redezeit blicken. Wir haben heute zwar erst den 12. November, doch die Linke möchte wohl schon das Weihnachtslied Alle Jahre wieder anstimmen. Wieder einmal geht es um die Forderung, direktdemokratische Elemente auf Bundesebene einzuführen, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wiederholung ist die Mutter der Weisheit!) um angeblich die Mitwirkungsmöglichkeit der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung zu stärken. Ich habe zum Thema Volksabstimmung bereits mehrfach an dieser Stelle gesprochen. Ich bin überzeugter Demokrat, und an meinen Argumenten zu dieser staatspolitischen Grundsatzfrage hat sich auch Jahre nach meiner ersten Rede nichts geändert. Ich wiederhole mich eigentlich nur ungern. Sollte dies allerdings einen Lernprozess in Gang setzen und würden dadurch die Vorzüge der parlamentarischen Demokratie und des Grundgesetzes besser begriffen, so tue ich dies natürlich gern. Gerade von der Linken, die den heute zu behandelnden Gesetzentwurf vorgelegt hat, wissen wir allerdings, dass sie sich mit der Demokratie immer noch schwertut. (Lachen bei der LINKEN - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Woher haben Sie das denn? - Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das, fragt sich die Linke!) Deshalb betreiben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vor allem eines: einen Etikettenschwindel. Dort, wo Sie vorgeben, die Demokratie stärken zu wollen, geht es Ihnen nämlich in Wahrheit um eine populistische Forderung, die mehr Risiken birgt, als Vorteile bringt. Gleichwohl oder gerade deshalb möchte ich Ihnen wie schon in der Vergangenheit darlegen, warum wir als CDU/CSU-Fraktion an den bewährten Prinzipien einer repräsentativen Demokratie festhalten, wie sie die Väter und Mütter des Grundgesetzes entwickelt haben, und warum wir die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz ablehnen. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Stuttgart 21!) - Dazu komme ich noch. Erstens ist festzustellen: Seit über 60 Jahren hat die repräsentative Demokratie unserem Land Stabilität in Frieden und Freiheit gegeben. Unser System hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg ausgezeichnet bewährt. Dies gilt für wesentliche Meilensteine der Gesetzgebung genauso wie für entschlossenes Handeln in Krisensituationen. Natürlich stimmt es, dass dabei auch unpopuläre Entscheidungen auf den Weg gebracht wurden, aber mittel- und langfristig wurden diese Entscheidungen allgemein als richtig eingeschätzt und für gut befunden. Ich darf an dieser Stelle als Beispiele die Wiederbewaffnung mit dem Aufbau der Bundeswehr, den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO oder den NATO-Doppelbeschluss nennen. Zweitens ist nachvollziehbar, dass in der heutigen Zeit der Globalisierung bei vielen Menschen die Sehnsucht nach einfachen Antworten wächst. Aber einfache Antworten gibt es in der Regel nicht. Realität ist, dass gerade auf Bundesebene die Fragestellungen immer komplizierter und komplexer werden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das Gleiche habe ich schon oft gehört!) Auf kommunaler und landespolitischer Ebene sind die Entscheidungszusammenhänge meistens weniger komplex und die Fragestellungen auch überwiegend überschaubarer. Meine Damen und Herren, ich bin durchaus ein Befürworter direkter Demokratie, allerdings in den Kommunen und auf Landesebene. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und warum nicht im Bund?) - Das erkläre ich Ihnen gleich. - Wo es um Problemlösungen vor Ort geht, ist die Einflussnahme des Bürgers sinnvoll. Auf der regionalen Ebene ergänzen Bürgerinitiativen und Bürgerentscheide das repräsentative System recht gut. Aber auf Bundesebene können Volksentscheide oder ähnliche Verfahren den oft komplexen Fragen unserer Gesellschaft nicht gerecht werden, insbesondere auch unter Berücksichtigung der ständig steigenden Normenflut der europäischen Institutionen. In diesem Sinne hat sich auch die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, skeptisch dazu geäußert, die bekannten Formen der direkten Demokratie auf die Bundesebene zu übertragen. Ich zitiere Frau Limbach: Je größer der politische Raum ist, umso mehr sind wir auf das Prinzip der Repräsentanten angewiesen und umso weniger können wir uns direkte Demokratie leisten. Es ist etwas grundsätzlich anderes, über den Bau einer Stadthalle, einer U-Bahn und über das Rauchverbot oder über das Euro-Rettungspaket abzustimmen. Hier besteht ein elementarer Unterschied. Drittens. Die Befürworter von Volksentscheiden nennen stets die Schweiz als Musterland der direkten Demokratie. Aber schauen wir uns die Schweiz etwas genauer an. Die Schweiz hat einen neutralen Status in der internationalen Politik; ihre politischen Prozesse sind auf nationale Interessen beschränkt und zum Teil auch viel langsamer. Das ist für die Schweiz in Ordnung, auch weil es seit Hunderten von Jahren deren politischer Kultur und dem Selbstverständnis der Bürger dort entspricht. Die Schweiz ist ein kleines Land. Sie hat 8 Millionen Einwohner. Das entspricht ungefähr der Größe des Bundeslandes Hessen. Deutschland hat im Gegensatz hierzu 80 Millionen Einwohner, und als große Volkswirtschaft ist Deutschland eng mit der Europäischen Union verflochten. Das erfordert eine politische Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit, die die repräsentative Demokratie in idealer Weise gewährleistet. (Beifall bei der CDU/CSU) Viertens. Auch innerstaatlich leistet die repräsentative Demokratie einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung unseres gesellschaftlichen Gefüges. Dies zeigt sich beispielhaft an Großprojekten - jetzt komme ich dazu -, die oftmals jahrzehntelange Planungsverfahren erforderlich machen. In dieser Zeit können natürlich Stimmungen und Meinungen der Bürger zu den oftmals schwierigen Projekten durchaus schwanken; aber bei Volksentscheiden birgt dies die Gefahr wahltaktischer Stimmungsmache, wie das Beispiel von Stuttgart 21 ganz deutlich zeigt. An anderen ähnlich umstrittenen Projekten wie zum Beispiel dem Rheinufertunnel in Düsseldorf oder dem Berliner Bahnhofsneubau erweist sich nach deren Realisierung, dass diese allgemein anerkannt und erfolgreich sind und dass es, im Nachhinein betrachtet, auch richtig war, daran festzuhalten. Ich bin mir sicher, dass dies trotz der Kostensteigerungen auch bei Stuttgart 21 der Fall sein wird und das Projekt später einmal in der Rückschau als wegweisend angesehen werden wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die repräsentative Demokratie leistet die dazu notwendige Kontinuität und Stabilität unabhängig von vorübergehenden Stimmungsschwankungen. Fünftens. Die parlamentarische Demokratie hat auch deshalb wesentliche Vorteile gegenüber einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene, weil sie ein lernendes Verfahren ist, was in dieser Form die direkte Demokratie nicht leisten kann. Die eben genannten komplexen Fragestellungen erfordern oftmals ein vielschichtiges Gesetzgebungsverfahren, das eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigt. Zu zufriedenstellenden Antworten kann man nur gelangen, wenn, wie im Deutschen Bundestag, auf dem Weg der Gesetzgebung ein Verfahren angewandt wird, das ein hohes Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität erlaubt. Auf der Grundlage von drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und Berichterstattergesprächen wird eine ausgewogene und faire Gesetzgebung und Gesetzesfindung sichergestellt. Hinzu kommen eine Folgenabschätzung und eine Überprüfung der möglichen Bürokratie durch den Normenkontrollrat. Dieser Weg bietet den notwendigen Spielraum für Änderungen und Anpassungen. Es wird ein dokumentiertes, ein transparentes Verfahren mit detailreicher Abstimmung gewährleistet, das bei Volksentscheiden in dieser Intensität schlichtweg fehlt. Volksentscheidungen sind Fragestellungen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Bundespolitische Fragen lassen sich so einfach nicht entscheiden. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Darüber hinaus sind sie oft auch von existenzieller Bedeutung für Deutschland, zum Beispiel Auslandseinsätze der Bundeswehr, Fragen der Landesverteidigung, Steuerfragen oder Fragen der Energieversorgung. Solche Themen lassen sich nur in einem lernenden Verfahren bewältigen und nicht einfach mit einem schlichten Ja oder Nein entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sechstens. Wer durch direkte Demokratie auf Bundesebene die Entscheidung über wichtige Sachfragen abgibt, gibt auch die Verantwortung ab. Wenn alle entscheiden, entscheidet letztendlich niemand mehr. Man kann die Volksentscheider auch nicht abwählen. Plebiszite bedeuten daher immer auch die Anonymisierung von Verantwortung. Sie bringen für die gewählten Parlamentarier die Versuchung mit sich, unpopuläre oder schwierige Entscheidungen dem Volk zu überlassen. Hier im Bundestag hätten bestimmt einige gern auch die Überführung der Castorbehälter nach Gorleben zur Abstimmung gestellt. Ohne Verantwortungsbewusstsein und Weitsicht hätte man die Frage "Wohin damit?" und die Tatsache, dass es sich um Müll von Brennstäben handelt, deren Leistung wir alle schon verbraucht haben, gern ausgeblendet. Daran schließt sich die Frage an - die hat mir noch niemand beantworten können - wie das Vertrauen der Bürger in die Politik und die Abgeordneten ausgerechnet steigen soll, wenn sich das Parlament in schwierigen Entscheidungen der Verantwortung entzieht. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Siebtens. Die repräsentative Demokratie mit ihren gründlichen Verfahren bietet die Möglichkeit, auch Kompromisse auszuhandeln - zum Wohle der Allgemeinheit, aber auch zum Wohle und zum Schutz von Minderheiten. Bei Volksentscheiden ist ein solch ausgewogenes Verfahren in dieser Form nicht möglich. Dies würde insbesondere zulasten von Minderheiten und von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen. Das ist umgekehrt gerade ein tragendes Argument für die unveränderte Beibehaltung unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie auf Bundesebene. Sie stellt nämlich durch ihr ausgewogenes und abwägendes Verfahren den Schutz von Minderheiten gerade sicher. Auch dazu Jutta Limbach - sie hat es treffend formuliert -: In der repräsentativen Demokratie ist es Sache des Parlaments, die gegensätzlichen Interessen abzuwägen und einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Achtens. Bei Volksentscheiden geht es oftmals um viel mehr als um die zur Entscheidung gestellte Frage. Die Gelegenheiten werden gern genutzt - das ist auch bekannt -, um der gerade amtierenden Regierung die Rote Karte zu zeigen bzw. einen Denkzettel zu verpassen, und das schadet der eigentlichen Sache, denn sie wird aufgrund unsachlicher Gründe und unsachlicher Nebeneffekte entschieden. Meine Damen und Herren, das waren die Gründe, die ich Ihnen anführen wollte. Darüber hinaus liefern Sie selbst eines der wichtigen Argumente gegen Ihren Gesetzentwurf. Ihr Standardargument lautet ja, dass durch die Möglichkeit von Plebisziten auch auf Bundesebene der Politikverdrossenheit entgegengetreten werden kann. Dieses Argument ist nachweislich falsch. Alle Volksentscheide der jüngeren Zeit, ob in Hamburg, Berlin oder Bayern, beweisen das Gegenteil. Die Wahlbeteiligung war immer konstant niedrig, zwischen 29 und 39 Prozent. Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Direkte Demokratie ist also gerade nicht ein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit und führt eben nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung. Aufgrund der Zahlen, die ich gerade genannt habe, haftet den Volksentscheiden selbstverständlich auch der Malus der mangelhaften Legitimation an. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen sie sie dann immer? In Berlin jeden Monat!) - Herr Wieland, soweit ich weiß, ist Berlin ein Bundesland und nicht die Bundesebene; aber wir können uns gern darüber austauschen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so! Das ist etwas ganz anderes!) - Genau, das ist der Unterschied. Da muss man sich die Sache differenziert anschauen. Die Befürworter preisen Volksentscheide stets als urdemokratisches Modell, in dem Volkes Wille ideal zur Geltung käme. Anders ist es, wenn es konkret wird. - Herr Wieland, Sie können aufpassen, weil es auch die Grünen betrifft. - Denken wir einmal an Hamburg und an die dortige Volksabstimmung bezüglich des Schulsystems. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das haben Sie gemeinsam gemacht!) Den Grünen, stets Befürworter der direkten Demokratie, passte das Ergebnis nämlich überhaupt nicht. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber wir akzeptieren es!) Aufschlussreich war in diesem Zusammenhang die Erklärung der grünen Schulsenatorin, Frau Goetsch, zum Volksentscheid in Hamburg in diesem Jahr: Die Gegner der Schulreform hätten irrationale Ängste geschürt, mit denen die Hamburger verunsichert worden seien. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ja sein!) Mit anderen Worten: Weil das Ergebnis des Volksentscheids den Grünen gerade nicht in den Kram passte, sind die Menschen auf einmal gerissenen Bauernfängern auf den Leim gegangen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum? Das kann passieren!) Das nenne ich Doppelzüngigkeit, Herr Wieland. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen? Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Nein, ich bin bald fertig; wir wollen ja auch Zeit aufholen. Weiterhin gefiel den Grünen in Hamburg nicht, dass nachgewiesenermaßen die Wahlbeteiligung mit der Höhe des Einkommens stieg. Herr Özdemir sah darin die Gefahr, dass Reformen im Sinne angeblich Benachteiligter von Leuten torpediert würden, die - ich zitiere - besser situiert und besser vernetzt sind und durch ihren Bildungshintergrund besseren Medienzugang haben. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Unerhört!) Deshalb müsse man sich fragen, so Özdemir weiter, "wie eine gleichberechtigte Mitwirkung von allen möglich ist". (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Gute Frage!) - Ja, gute Frage. - Wenn also ein mehrheitlicher Bürgerwille zum Ausdruck kommt, der nicht passt, dann sind es die Befürworter selbst, die ihn nicht akzeptieren wollen, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir akzeptieren es! Erzählen Sie doch nichts!) und es wird versucht, ihn passend zu machen. Herr Wieland, scheinheiliger geht es nimmer. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiteres Argument: Sie werfen uns immer vor, wir hätten kein Vertrauen in die Bevölkerung, aber insbesondere bei den Linken scheint das Vertrauen in das Volk seine Grenzen zu haben; denn Volksinitiativen zum Haushaltsgesetz sollen nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf gerade nicht möglich sein. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Zum Gesetz schon!) Neben diesen allgemeinen Erwägungen gegen die Argumente der Befürworter von mehr direkter Demokratie auf Bundesebene leidet der vorliegende Gesetzentwurf ganz konkret an zwei gravierenden Mängeln: Erstens. Ihr Entwurf ist glatt verfassungswidrig, weil er nicht den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 genügt. Dieser Grundsatz steht unter der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes, das heißt, er ist unabänderlich. Darin sieht das Grundgesetz zwingend die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung vor. Diese Mitwirkung der Länder darf sich nicht in einer lediglich formalen Beteiligung erschöpfen. Sie muss vielmehr bestimmenden Einfluss ermöglichen. Der Entwurf der Linken greift laut seiner Begründung im Falle zustimmungspflichtiger Gesetze auf das Modell des schweizerischen Volks- und Ständemehrs zurück. Demnach soll beim Volksentscheid in Deutschland das Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe seiner Bundesratsstimmen gelten. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) Genau das ist aber eine rein rechnerische, formale Methode und weit entfernt von der grundgesetzlich geforderten inhaltlichen Mitwirkung der Länder. Damit wird der Einfluss der Länder in keiner Weise gesichert. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist aber demokratischer! Das müssen Sie zugeben!) - Das ist aber ein Verstoß gegen das Grundgesetz, meine Dame. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig erkannt!) Wir haben in der Bundesrepublik aus guten Gründen ein föderales System. Die Länder haben eigene Interessen, die Sie mit Ihrem Modell offensichtlich untergraben wollen. Das von Ihnen vorgeschlagene Modell erlaubt zwar eine formale Berücksichtigung der Landesvölker, nicht aber die Berücksichtigung des organschaftlich gebildeten Willens der einzelnen Länder. Ihr Entwurf genügt daher nicht den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz; er ist verfassungswidrig. Allein deshalb ist Ihr Gesetzentwurf abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Zweitens. Die notwendige Zahl an Beteiligten für Ihr dreistufiges Volksgesetzgebungsmodell ist vollkommen unzureichend. Schon 100 000 Wahlberechtigte sollen eine Volksinitiative starten können. Damit wäre es zum einen gut organisierten Lobbyistengruppen, die der Linken ja ein Dorn im Auge sind, ein Leichtes, die notwendige Anzahl von Bürgern zu mobilisieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Zum anderen öffnen Sie damit Bagatellinitiativen Tür und Tor. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber da ist ja nicht Schluss! Es geht ja weiter!) Ungenügend ist auch, dass Ihr Gesetzentwurf beim eigentlichen Volksentscheid, außer bei einer Grundgesetzänderung, überhaupt keine Mindestbeteiligung vorsieht. Bei den genannten geringen Wahlbeteiligungen, die ich vorhin genannt habe, kann dies die gefährliche Folge haben, dass eine nicht repräsentative Mehrheit politisch bedeutsame Fragen entscheidet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Argumente führen zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnt. Das habe ich am Anfang schon angekündigt. Wünschenswert wäre, wenn ich Sie vielleicht heute überzeugt hätte; dann bestünde nämlich schon ein Anlass zu vorweihnachtlicher Freude. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch nun wirklich nicht, dass sich irgendjemand darüber freut!) Ich bedanke mich fürs Zuhören. Drei Minuten haben wir gespart. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einen Lernprozess, Herr Wellenreuther, würden wir von Ihrer Fraktion auch einmal erwarten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Argumente sind immer die gleichen, und sie wirken sehr bemüht. Sie sollten vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass sich mehr als 60 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes auch die Gesellschaft verändert hat. Wir als Politikerinnen und Politiker erleben doch seit längerem - ganz aktuell ja Sie, Schwarz-Gelb -, dass die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel bei der Bundestagswahl eben nicht automatisch als Legitimation, als Zustimmung zu einzelnen Entscheidungen angesehen wird. Ein Beispiel: Sie begründen die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke damit, dass Bürgerinnen und Bürger Sie gewählt haben und demzufolge auch die längeren Laufzeiten wollten. Die massiven Proteste aber, die erst begonnen haben, zeigen da etwas anderes. Wir erleben in Stuttgart, dass zwar die formalen und rechtlichen Mitwirkungsrechte eingehalten wurden, aber die Bürgerinnen und Bürger diese Entscheidung der zuständigen Gremien eben nicht mehr automatisch mittragen. Wir erleben, dass das Ansehen der Politiker, das Vertrauen in politische Entscheidungen, die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen der Abgeordneten, die repräsentativ für die Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen treffen, abnehmen. "Die da oben entscheiden, wir da unten werden nicht gefragt", so ist doch die Stimmung im Lande. Wenn sich diese Einstellung verfestigt, dann ist auch Demokratie gefährdet. Wir tun auch deshalb gut daran, nicht als Ersatz, nicht als Beruhigungspille, nicht anstelle der repräsentativen Demokratie, sondern in Ergänzung dazu, Instrumente direkter Demokratie und Mitsprache einzuführen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben diese Möglichkeiten auf kommunaler Ebene, wir haben sie auf Landesebene, und wir werden sie auf europäischer Ebene bekommen. Warum dann also nicht auf Bundesebene? Bürgerinnen und Bürger - das haben die Erfahrungen in den Kommunen und in den Bundesländern gezeigt - gehen mit diesen Instrumenten verantwortungsvoll um. Es gibt keine Unzahl von Volksinitiativen und auch keinen Unsinn bei Volksinitiativen. Die Ergebnisse von Volksentscheiden mögen einem gefallen oder nicht. Dies gilt ebenso für andere politische Entscheidungen. Aber ein Volksentscheid kann befrieden. Wer da unterliegt, fügt sich, nicht mit Begeisterung, aber ohne Hass und Groll; so hat es Erhard Eppler formuliert. Wenn der Rahmen für die Quoren, also für die Mindestbeteiligung, für die Voraussetzungen, für die Vorgaben klug gesetzt ist, werden Bagatellinitiativen und ein inflationärer Gebrauch des Instruments "direkte Demokratie" vermieden. Sehr geehrter Herr Kollege Brandt, ein Argument, das Sie in der ersten Lesung gebracht haben und das Herr Wellenreuther heute aufgegriffen hat, lautete: Mit Volksabstimmungen kann man den immer schwierigeren und komplexen Fragestellungen unserer pluralistischen Welt gerade nicht gerecht werden. Ich glaube nicht, (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das hat nichts mit Glauben zu tun! Das ist eine Tatsache!) dass nur wir Politiker und Politikerinnen klug genug sind, komplexe Sachverhalte zu verstehen und über sie zu entscheiden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich befürchte im Gegenteil, dass solche Aussagen die Kluft zwischen "denen da oben" und "denen da unten" vergrößern. Das Volk ist nicht dümmer oder klüger als wir. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Den mündigen Bürger gibt es nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im echten Leben. Die Möglichkeit von Volksbegehren zwingt Politik dazu, Entscheidungen zu erklären, zu begründen, zu kommunizieren, um Volksbegehren möglichst zu vermeiden. Die SPD setzt sich schon seit vielen Jahren dafür ein, Elemente direkter Demokratie ins Grundgesetz aufzunehmen. In unserem Wahlprogramm steht es; und auch im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen von 1998 heißt es: Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des Grundgesetzes einführen. Dementsprechend haben wir Anfang 2002 einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht. Er enthält gestufte Quoren, Fristen und schließt Themen wie die Wiedereinführung der Todesstrafe für Volksentscheide aus. Wir halten diesen Gesetzentwurf heute immer noch für richtig und wichtig, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gut!) sind aber in der 14. Wahlperiode an der Ablehnung der CDU/CSU und somit auch an der notwendigen Zweidrittelmehrheit gescheitert. Ich möchte hier auch eines klarstellen: Der Kollege Thomas Strobl hat am 7. September 2010 in einer Phoenix-Runde zum Thema "Ignoranz der Mächtigen? - Bürger kontra Politiker" erklärt, die rot-grüne Bundesregierung habe aus guten Gründen keinen bundesweiten Volksentscheid eingeführt. Das stimmt nicht; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) denn wir haben mit der Drucksache 14/8503 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Herr Strobl sagte in dieser Sendung, wir hätten nicht über einen solchen Gesetzentwurf entschieden. Das ist falsch; denn darüber wurde am 7. Juni 2002 namentlich abgestimmt. Kollege Strobl hat laut Plenarprotokoll an dieser Abstimmung teilgenommen und mit Nein votiert. - Auch wenn Sie gegen die Einführung von plebiszitären Elementen in unsere Verfassung sind, so halte ich es einfach für unanständig, in aller Öffentlichkeit solche Unwahrheiten zu behaupten. Sie sollten das hier auch klarstellen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er muss sich sowieso entschuldigen! Das kann er auch hier machen!) Nun aber zum Gesetzentwurf der Linksfraktion. Ich habe bereits in der ersten Lesung vorgetragen, dass die vorgesehenen Quoren für Volksinitiative und Volksbegehren von 100 000 Abstimmenden viel zu gering sind; das ist weniger als die Hälfte der Bevölkerung eines Wahlkreises. Damit öffnen Sie Bagatellinitiativen Tür und Tor. Weiterhin halte ich den Vorschlag für problematisch, dass die Fraktionen des Bundestages das Recht bekommen sollen, eine Sachfrage zur Abstimmung zum Termin der nächsten Bundestagswahl vorzuschlagen und den neu gewählten Bundestag für die Dauer der Legislaturperiode an diese Entscheidung zu binden. Volksentscheide sollen den Bürgerinnen und Bürgern ja gerade zwischen den Bundestagswahlen die Möglichkeit geben, sich zu Sachfragen zu äußern. Auch konnten Sie mir bisher nicht erklären, warum nur die im Bundestag vertretenen Parteien und nicht alle Parteien, die zur Bundestagswahl zugelassen sind, Sachfragen stellen können sollen. Ich halte Ihre Vorschläge für eine Volksgesetzgebung für nicht praktikabel. Volksentscheide sollen aus der Mitte des Volkes kommen und nicht von den Bundestagsfraktionen vorgegeben werden. Damit würden Sie dieses Instrument ad absurdum führen. Wir werden Ihren Gesetzentwurf deshalb ablehnen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Vorgänge in Stuttgart, in Gorleben und anderswo zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger immer mehr das Gefühl haben, dass ihre Volksvertreter sie nicht mehr verstehen, sich entfremden, sie nicht ernst nehmen. Ich will noch einmal Erhard Eppler zitieren, der in der Süddeutschen Zeitung vom 26. Oktober 2010 schrieb: Aber es gibt ein Mittel gegen die Spaltung zwischen unten und oben: das Plebiszit. Wenn alle Gewalt vom Volke ausgeht, dann muss das Volk notfalls auch das letzte Wort haben. Die repräsentative Demokratie stößt erkennbar an ihre Grenzen. ... Wer jetzt nicht mehr Demokratie wagt, wird sehr viel mehr Polizei brauchen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die meisten Mitglieder dieses Hauses - dabei schließe ich die FDP mit ein, die ja in der vergangenen Wahlperiode einen Gesetzentwurf zur Einführung von Elementen direkter Demokratie in den Bundestag eingebracht hat - sind für die Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene. Bis auf die Unionsfraktion sind wir uns hier im Hause einig über das Ziel, mehr direkte Demokratie auf Bundesebene zu ermöglichen. Über den Weg dahin sollten wir ernsthaft diskutieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jimmy Schulz hat das Wort für die FDP. (Beifall bei der FDP) Jimmy Schulz (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nun stehe ich noch ein zweites Mal hier, um über den Entwurf eines Gesetzes der Linken zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung zu reden. Das Thema ist, wie Sie alle wissen, nicht neu. Wie wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, ist es aber ein aktuelles Thema. Wir werden die Bürgerinnen und Bürger intensiver in den politischen Diskussionsprozess einbinden. Wir brauchen mehr Transparenz im politischen Prozess; denn Transparenz schafft Verständnis. Wer seine Rechte kennt, der will sich einmischen, der will mitmischen, der will partizipieren. Direkte Demokratie gibt es schon auf vielen politischen Ebenen. Sie gibt es auf kommunaler und auf Länderebene. Demnächst gibt es sie hoffentlich auch auf europäischer Ebene. Mein Lieblingsbeispiel in diesem Zusammenhang ist der Nichtraucherschutz. Dazu gab es in Bayern kürzlich einen Volksentscheid. Man kann dafür oder so wie ich dagegen gewesen sein. Trotzdem bin ich ein großer Fan von Volksentscheiden auf Länderebene. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Ich bin aus folgendem Grund ein großer Fan von Volksentscheiden auf Länderebene: Beispielsweise kann in Bayern die Verfassung nur durch Volksabstimmung geändert werden, was eine schützende Wirkung hat. Bisher ist dies allerdings nur sehr selten passiert. Diesen Schutz hätte ich mir manchmal auch für das Grundgesetz gewünscht. (Beifall bei der FDP - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen wir es doch! Jetzt mal zum Thema!) Auch auf europäischer Ebene werden wir mithilfe der europäischen Bürgerinitiative neue Elemente schaffen, um die Bürger am Gesetzgebungsprozess aktiv zu beteiligen. Das schafft gerade auf europäischer Ebene eine neue Transparenz, aber auch eine neue Möglichkeit der Identifikation, die gerade, was Europa angeht, den Bürgerinnen und Bürgern an dieser oder jener Stelle noch fehlt und die eine Voraussetzung dafür ist, dass sie aktiv an Entscheidungsprozessen mitwirken. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das ist richtig!) - Danke sehr. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nun mal zur Bundesebene! Nun zum Thema!) Direkte Demokratie existiert und funktioniert bereits hervorragend, wie Sie sehen. Nun wollen wir weitere Schritte in die Wege leiten. Wir wollen die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger aufgreifen und uns nicht hinter funktionierenden Mechanismen auf anderen Ebenen verstecken. Wir wollen etwas verändern. Den Entwurf eines Gesetzes der Linken zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung lehnen wir hingegen ab. (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Sehr gut!) Sie wissen ja - das wurde schon gesagt -, dass die FDP in der letzten Legislaturperiode einen eigenen Entwurf zu diesem Thema eingebracht hat. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war auch völlig in Ordnung! Bringen Sie ihn wieder ein!) Wir bleiben dabei: Wir wollen mehr partizipative Elemente auf Bundesebene. Daran hat sich nichts geändert. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nur der Koalitionspartner macht nicht mit!) Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung und mehr Teilhabe an den Entscheidungsprozessen. Wir wollen die Stärkung der Legitimation. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Einbringen!) Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Bürgerbeteiligung aufgenommen; (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Einbringen!) wir wollen das Petitionsrecht ausbauen. Ich zitiere: Wir wollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung stärken. Dazu werden wir das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern. Bei Massenpetitionen werden wir über das im Petitionsausschuss bestehende Anhörungsrecht hinaus eine Behandlung des Anliegens im Plenum des Deutschen Bundestages unter Beteiligung der zuständigen Ausschüsse vorsehen. (Beifall bei der FDP) Sie sehen also: Wir machen die ersten Schritte - wenn es auch nur kleine Schritte sind - in die richtige Richtung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Volksentscheiden zu tun?) Denn Deutschland bleibt eine repräsentative Demokratie. (Abg. Katja Mast [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage beantworten? Jimmy Schulz (FDP): Nein, danke. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er weiß, warum!) Teilhabe muss überlegt sein. Der Gesetzentwurf der Linken ist ein unüberlegter Schritt. Wir wollen die Beteiligung der Bürger, nicht aber die Diktatur durch Minderheiten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Zurufe von der LINKEN: Oh!) 100 000 Unterstützer sind ein deutlich zu niedriger Schwellenwert. Volksinitiativen müssen deutlich breiter aufgestellt werden. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Die FDP hat deshalb immer deutlich höhere Hürden gefordert. Auch die zweite Stufe, die Verankerung einer absoluten Zahl im Grundgesetz, ist natürlich Mumpitz. Dann müssten wir das Grundgesetz jedes Mal ändern, wenn sich die Bevölkerungszahl ändert. Eine prozentuale Koppelung wäre der einzig gangbare Weg. Der Vorschlag der Linken ist also kein Schritt in die richtige Richtung. Er verrennt sich; denn er setzt Grundgesetzänderungen voraus. Was ich davon halte, hatte ich schon gesagt. Ein wichtiges Thema, das immer wieder ignoriert wurde, ist die Notwendigkeit von mehr Transparenz. Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur öfter abstimmen; sie wollen vor allen Dingen besser informiert sein und in aktuellen Debatten über Zukunftsthemen mitreden und ihre Sorgen und Nöte artikulieren. Deshalb haben wir in der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" neue Formen der Bürgerbeteiligung vorgesehen. Wir haben in dem Einsetzungsbeschluss interfraktionell festgestellt, "die Bürgerinnen und Bürger mithilfe einer Online-Beteiligungsplattform zur Mitarbeit einzuladen" und so "die Öffentlichkeit in einem besonderen Maße mit in die Arbeit der Kommission einzubeziehen". Die Enquete-Kommission sieht den Bürger als 18. Sachverständigen an. Er wird gebeten, seine Meinung offen zu äußern. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wer hat es erfunden?) Sie sehen also: Wir wollen mehr Beteiligung nicht nur probieren, sondern sie etablieren. Wir glauben, dass wir damit eine Vorbildfunktion für andere Ausschüsse und Gremien des Hauses wahrnehmen können. Moderne Formen der Beteiligung sind dialogorientiert und offen. Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen des politischen Diskussionsprozesses - bevor Entscheidungen getroffen sind - sind der richtige Weg zu mehr Partizipation; das ist die richtige Richtung. Neue Beteiligungsformen sollen sich nachhaltig in die repräsentative Demokratie integrieren. Wir setzen die Bürgerbeteiligung jetzt um, anstatt jahrelang darüber zu reden. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Gilt das auch für Stuttgart 21?) Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Mast das Wort. Katja Mast (SPD): Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Schulz, Sie haben aus dem Koalitionsvertrag zitiert, dass Sie "das Petitionswesen weiterentwickeln und verbessern" möchten. Meine Frage ist: Wann dürfen wir hier im Parlament mit Ihren Änderungsvorschlägen rechnen? Ich glaube, Sie können das kurz beantworten. Vielen Dank. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schulz. Jimmy Schulz (FDP): Wir arbeiten intensiv an einer Lösung. Darüber muss natürlich diskutiert werden. Der Koalitionsvertrag ist nicht auf zwölf Monate angesetzt; er ist ein Programm für vier Jahre. Wir werden baldmöglichst ein Papier dazu vorlegen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was auch immer das heißt! - Weiterer Zuruf von der LINKEN: Tosender Beifall! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sankt-Nimmerleins-Tag!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe das Wort der Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich 16 war, riefen die Menschen: Wir sind das Volk! (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hast du mitgerufen?) Ein Staat brach zusammen, und das nicht ohne Grund. Demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten entwickelten sich von null auf 100. Es herrschte Aufbruchstimmung. Die Menschen fühlten sich ernst genommen und mitgenommen. Wichtige politische Entscheidungen wurden am Runden Tisch gefällt, an dem Vertreterinnen und Vertreter aller gesellschaftlichen Organisationen saßen. Das war gelebte Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) Der Runde Tisch entwickelte sogar einen Verfassungsentwurf. In diesem Verfassungsentwurf stand in Art. 89: Die Gesetze werden durch die Volkskammer oder durch Volksentscheid beschlossen. Art. 98 des Verfassungsentwurfs enthielt Regelungen zum Volksentscheid. Für mich war das die demokratischste Zeit, die ich in meinem ganzen Leben erlebt habe. Es hätte der alten Bundesrepublik gutgetan, sich dieses Entwurfes des Runden Tisches anzunehmen, anstatt die Ideen des demokratischen Aufbruchs einfach zu ignorieren; aber genau das ist geschehen. (Beifall bei der LINKEN) Auch deshalb gibt es immer noch keine Möglichkeit der Bevölkerung, jenseits von Wahlen direkt auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen. Beantworten Sie mir die Frage - Sie haben das bisher nicht getan -, warum das auf Landesebene möglich ist, aber auf Bundesebene unmöglich sein soll. (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Wir haben mit 17 Sachverständigen darüber gesprochen!) Wovor haben Sie eigentlich Angst? Derzeit erleben wir eine Unzufriedenheit mit der Parteiendemokratie, und zwar zu Recht. Wir erleben Unzufriedenheit mit der Arbeit des Parlamentes, und zwar zu Recht. (Jimmy Schulz [FDP]: Aber das liegt doch an Ihnen!) Wir beschließen Gesetze im Hauruckverfahren. Relevante Ausschusssitzungen sind nichtöffentlich. Bei der Gesetzgebung fehlen Informationen, zum Beispiel: Welcher Leihbeamte hat gerade für welches Unternehmen an welchem Gesetzentwurf mitgearbeitet? Im Jahr 2007 saßen mindestens 100 Beschäftigte von Unternehmen und Verbänden in den Ministerien und arbeiteten an Gesetzesvorlagen. Wir fordern das Verbot von Leihbeamten in Ministerien. (Beifall bei der LINKEN) Es fehlt auch an Zahlenmaterial. Wir reden über Netzneutralität und darüber, dass es zu Datenstaus kommt, aber wir wissen nicht, wo und wann. Es gibt Zusatzvereinbarungen, die am Parlament vorbei getroffen werden, zum Beispiel beim Atomdeal. Bundestagspräsident Lammert spricht - ich habe es schon zitiert - von einem Hauruckverfahren in der Gesetzgebung. Damit hat er recht. Bettina Gaus spricht in der taz von einer Alibiveranstaltung, die wir hier abhalten. Damit hat sie recht. Wir können das parlamentarische Verfahren verbessern. Einverstanden! Wir können aber auch weiter gehen und mehr Demokratie wagen. (Beifall bei der LINKEN) Wir können innerhalb des Parlaments mehr Transparenz einführen, beispielsweise durch konsequent öffentliche Ausschusssitzungen. Wir können ein verpflichtendes Lobbyistenregister einführen. Der Gesetzentwurf meiner Fraktion sieht beispielsweise vor, dass ein Gesetzentwurf, sobald eine Person außerhalb des Bundestages oder der Bundesregierung ihn erhält, für alle öffentlich zugänglich sein muss. Wir können zudem das Akteneinsichtsrecht für Bürgerinnen und Bürger erweitern. Niemand hindert uns daran, das emanzipatorische Potenzial des Internets zu nutzen und auch auf diesem Weg den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen. Warum erlauben wir den Bürgerinnen und Bürgern nach der ersten Lesung nicht, im Rahmen von Internetportalen uns ihre Meinung kundzutun, um dann darüber zu entscheiden, ob wir die Anregungen aufnehmen wollen? (Beifall bei der LINKEN) Wir leben in einer Zeit, in der faktisch neue Verfahren zur Konfliktbewältigung eingeführt werden, weil sie notwendig sind. Ich nenne die Schlichtung zu Stuttgart 21, aber auch die Mediation betreffend den Frankfurter Flughafen. Diese neuen Verfahren belegen: Das Interesse der Menschen an politischen Prozessen ist groß. Sie sind nicht politikverdrossen, sie sind parteienverdrossen. Erweitern wir unsere parlamentarische Demokratie, die mehr und mehr zu einer Demokratie der vermeintlichen Eliten wird. Nehmen wir Art. 20 Abs. 2 GG ernst: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." (Beifall bei der LINKEN) Und an uns Parteien gerichtet: Setzen wir Art. 21 Abs. 1 Satz 1 "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit" um. Es gibt kein Monopol von Parteien auf politische Willensbildung. Auch deshalb haben wir eine Vorlage vorgelegt, die Spenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden an Parteien verbietet und Spenden von natürlichen Personen beschränkt. Alle Menschen, die hier länger leben, müssen die Möglichkeit haben, auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen, auch durch Beteiligung an Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheiden und Wahlen. Am 8. Juli haben wir das erste Mal über ein konkret auf dem Tisch liegendes Angebot für mehr direkte Demokratie geredet. Heute wird sich zeigen, wie die mediale Sommerlochforderung nach mehr direkter Demokratie praktisch ihre Umsetzung findet. Auch deshalb haben wir namentliche Abstimmung beantragt. Sie von der SPD haben in den Medien im Sommer immer wieder die Forderung nach mehr direkter Demokratie erhoben. Bislang blieb es allein bei der Forderung. Sie haben keine Anstalten im Bereich der direkten Demokratie unternommen. Auch Ihr großer Vorsitzender ist heute nicht da. Ich kenne die Kritik von Grünen, SPD und FDP. Über die Union rede ich nicht; die ist in dieser Frage nicht satisfaktionsfähig. Obwohl: Der neu gewählte Verfassungsrichter Professor Dr. Peter Huber hat sich in der Festschrift "20 Jahre Mehr Demokratie" für eine weitere Beförderung der direkten Demokratie auch auf Bundesebene ausgesprochen. Vielleicht überzeugt er Sie. Grüne und SPD wenden ein, die Quoren seien zu niedrig. Bereits am 8. Juli haben wir Ihnen angeboten, mit uns darüber zu reden. Wo sind Ihre Änderungsanträge? Statt im Sommer große Töne zu spucken, hätten Sie mit uns reden können, wenn es Ihnen mit diesem Thema wirklich ernst ist. (Beifall bei der LINKEN) Der Justizministerin will ich in Erinnerung rufen, was sie in der Festschrift "20 Jahre Mehr Demokratie" gesagt hat: Die Zeit ist reif, dass, beginnend mit der Volksinitiative, zumindest schrittweise plebiszitäre Elemente auch auf Bundesebene eingeführt werden. Die Einwände des Rests sind absurd. Herr Brandt hat gesagt - Herr Wellenreuther hat das heute wiederholt -, es handele sich um eine populistische Forderung der Linken, die keinen Nutzen für die Demokratie habe. Er hat weiter ausgeführt: "Volksabstimmungen bergen die Gefahr des Missbrauchs und der politischen Destabilisierung in sich." Er hat damals sogar noch auf die Weimarer Republik - offensichtlich ohne Geschichtskenntnis - Bezug genommen. Stefan Schmitz spricht im Stern von einem Zweckargument. Der Wissenschaftler Otmar Jung von der FU Berlin sagt: Nicht die Erfahrungen aus der Weimarer Republik hatte der Parlamentarische Rat im Blick, als er für die Nichtaufnahme direktdemokratischer Elemente plädierte. Woher hätten im Übrigen auch die negativen Erfahrungen aus der Weimarer Republik kommen sollen? Von acht Volksbegehren zwischen 1919 und 1933 gelangten gerade einmal zwei zur Abstimmung. Herr Brandt und Herr Wellenreuther, Sie haben gesagt: Mit Volksabstimmungen kann man schwierigen und komplexen Fragestellungen unserer pluralistischen Welt nicht gerecht werden. Im Parlament würden Expertengespräche geführt, Sachverständigenanhörungen durchgeführt und Folgeabschätzungen vorgenommen. Herr Frieser hatte damals ergänzend gefragt: Wie wollen Sie Sachverständigenanhörungen und Sachverständigengremien in Volksabstimmungen einbeziehen? - Meine Antwort könnte einfach sein. Wir könnten die Einbeziehung so gestalten wie hier im Parlament: als Alibiveranstaltung. (Zuruf von der FDP: Sie brauchen keine Sachverständigen!) Aber ernsthaft: Der Prozess der dreistufigen Volksgesetzgebung dauert länger als die Hauruckverfahren im Parlament. Es gibt eine öffentlich-mediale Begleitung. Mehr Sachverstand ist gar nicht möglich. (Beifall bei der LINKEN) Erklären Sie mir einmal: Wieso kann man mit Volksabstimmungen den immer schwierigeren und komplexeren Fragestellungen der pluralistischen Welt nicht gerecht werden, im Parlament aber schon? Sie haben wieder das Argument vorgebracht, man könne bei Volksabstimmungen nur mit Ja oder Nein stimmen. Entschuldigung, aber das machen wir hier den ganzen Tag. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Formal findet hier eine Folgenabschätzung statt, aber eben nur formal. Tatsächlich geht es immer um einen inhaltlich-konkreten Vorschlag. Dieser steht allein zur Abstimmung. Alle gesellschaftlichen Aspekte dieses Vorschlags werden nicht in einem breit angelegten Prozess beleuchtet. Wenn wir das wollen, gründen wir eine Enquete. Eine Volksgesetzgebung mit einem dreistufigen Verfahren dauert viel länger; darauf habe ich schon hingewiesen. Dadurch bleibt viel mehr Zeit, um sich Gedanken über die Dinge zu machen. Hier verlassen wir uns auf Experten und beschließen Gesetzentwürfe wie den zur Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Herr Brandt und Herr Wellenreuther haben gesagt, die Gefahr bestehe, dass bei wichtigen Fragen nicht nach sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden wird, sondern danach, welche Interessengruppe die bessere Lobbyarbeit macht. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: So ist es!) Dazu sage ich Ihnen: Total überzeugend! Tun Sie doch nicht so, als würde das hier im Parlament nicht so laufen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir entscheiden doch mitnichten allein nach sachbezogenen Gesichtspunkten. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen sicherlich der Fall! Darin unterscheiden wir uns gerade!) Der Einfluss von Lobbyisten auf parlamentarische Entscheidungsprozesse ist nachgewiesen. Worin besteht bitte der Unterschied zwischen dem Einfluss von Lobbyisten auf Entscheidungen der Parlamente und dem Einfluss von Lobbyisten auf die Volksgesetzgebung? Im Übrigen sind Politikerinnen und Politiker genauso anfällig für Populismus wie die Bevölkerung. Steigen wir also ab vom hohen Ross! Hören wir auf, so zu tun, als seien wir besser und kompetenter als der Durchschnitt der Bevölkerung! Das ist Quatsch. Die Linke hält, was sie verspricht. Unser konkretes Angebot liegt auf dem Tisch. Sie können entscheiden: Ja oder nein? Da für die Änderung eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, wird das Vorhaben an der Blockadehaltung der Union scheitern, wie wir wissen. Insofern können die anderen Fraktionen ein Symbol setzen und zeigen, dass sie für mehr direkte Demokratie sind, dass sie die Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden lassen wollen. Seien Sie beruhigt: Sie stünden damit auf der Seite der Mehrheit der Bevölkerung. Die neueste Forsa-Umfrage belegt, dass sich 79 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Volksentscheide auch auf Bundesebene wünschen. Demokratie, insbesondere direkte Demokratie, ist Zumutung und Versprechen zugleich. Zumutung für die Parteien und Abgeordneten, Versprechen für die Bürgerinnen und Bürger. Wir sollten uns diese Zumutung zumuten. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das ist ja wie früher bei euren Parteitagen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt Ingrid Hönlinger für Bündnis 90/ Die Grünen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Das ist ein Zitat des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Wenn wir dieses Zitat ernst nehmen, dann müssen wir eingestehen, dass wir momentan an vielen Orten der Republik wahre Sternstunden der Demokratie erleben. Die Bürgerinnen und Bürger machen von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung selbstbewusst Gebrauch. Sie streiten für ihre Positionen. Sie gehen für ihre Anliegen sogar auf die Straße, wenn die Regierungspolitik ihre Anliegen nicht wahrnehmen will. Ich möchte zwei aktuelle Ereignisse in den Mittelpunkt rücken. Mein Wahlkreis ist Ludwigsburg. Das ist 15 Kilometer von Stuttgart entfernt. In Stuttgart und andernorts gehen jede Woche Zehntausende Menschen auf die Straße. Sie äußern ihre Unterstützung für den Kopfbahnhof 21. Sie äußern ihre Kritik am Bahnprojekt Stuttgart 21. Dafür haben sie gute Gründe: Dieses Projekt droht in finanzieller Hinsicht ein Fass ohne Boden zu werden. Der verkehrspolitische Nutzen ist fragwürdig. Außerdem ist zu befürchten, dass die Profite in die Taschen von Banken und Baukonzernen wandern, während die Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Je schwächer die Argumente für Stuttgart 21 werden, desto lauter werden die Durchhalteparolen. Jetzt gibt es sogar Anzeigenkampagnen der Wirtschaft für Stutt-gart 21. Auch die Joggingveranstaltungen für Stutt-gart 21 werden mit Anzeigen der Landesregierung beworben. Wir Grünen gestehen ein: Den größeren Marketingetat haben die Tunnelbauer. Aber wir haben die besseren Argumente. Diese werden sich am Ende gegen die Werbemillionen durchsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das werden wir einmal abwarten!) Ein weiteres Schlaglicht auf die Lage in der Republik haben wir am Wochenende im Wendland erlebt. Dort sind wiederum Tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben sich für den Atomausstieg eingesetzt. Sie haben kritisiert, dass die Laufzeiten der Atomkraftwerke von dieser Regierungskoalition verlängert worden sind. Sie haben auch stark kritisiert, dass weitere große Mengen an radioaktivem Müll produziert werden. Wir Grünen - das sage ich ganz klar - unterstützen den friedlichen Protest gegen die Laufzeitverlängerung und gegen die Atommülltransporte. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Aber distanzieren sich nicht von den anderen!) Wir setzen uns für den Atomausstieg und für die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien ein. Wir setzen uns auch für einen oberirdischen Kopfbahnhof in Stuttgart ein. Für uns steht nicht der Profit für wenige im Vordergrund, sondern der Nutzen für alle. Wir sind keine Blockadepartei; wir sind eine Zukunftspartei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Ich glaube, die Zeiten sind vorbei!) Zum Respekt vor der Meinung anderer gehört auch der Respekt der Regierenden vor dem Willen der Bevölkerung. Jetzt wird kritisiert - darauf hat auch Kollege Wellenreuther hingewiesen -, dass in unserer Gesellschaft große Politikverdrossenheit und Demokratieverdrossenheit herrschen. Diese Feststellung ist richtig. Dazu gehört aber auch, dass wir den Willen der Bevölkerung ernst nehmen müssen, wenn wir die Bevölkerung zu Willensbekundungen auffordern. Wer den Bürgerwillen als Blockadehaltung abtut, wer Schüler niederknüppelt und Bürgerargumente mit Pfefferspray bekämpft, hat ein falsches Verständnis von Demokratie. Wir Grünen wollen so etwas nicht mehr erleben, weder in Stuttgart noch im Wendland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Demokratie bedeutet Regierung durch und für das Volk. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Demokratie von der Einmischung und dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger lebt, dass sie dadurch lebendiger und manchmal auch sachlicher und kreativer wird. Deshalb wollen wir den Bürgerwillen stärker in politische Entscheidungen einbeziehen. Viele Bundesländer - auch das wurde schon gesagt - haben zahlreiche positive Erfahrungen mit Bürgerentscheiden gemacht. Die Volksabstimmungen haben dort die Kluft zwischen Staatsmacht und Volk verringert. Hinzu kommt: Wenn Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen mitbestimmen können, sind sie eher bereit, die Folgen dieser Entscheidungen mitzutragen. Und die Menschen wollen sich an den Entscheidungen beteiligen. Das hat das neueste Volksbegehren in Berlin, das "Wasser-Volksbegehren", gezeigt. Es gab mehr als 280 000 Unterschriften für dieses Volksbegehren. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer bürgerfreundlichen, einer transparenten Politik. Wenn wir erst eine neue Bürgermeisterin in Berlin haben, werden wir noch viel mehr Gebrauch von dieser bürgerfreundlichen Politik machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Keine Horrorszenarien am Freitagmittag!) Natürlich bleibt das Parlament bei der direkten Demokratie der zentrale Ort der Auseinandersetzung und der Entscheidungen. Wir können jederzeit eigene Gesetze beschließen; das ist uns allen hier klar. Wir meinen, dass Volksabstimmungen die Politik nicht behindern, sondern ergänzen. Sie sehen also, meine Damen und Herren insbesondere von der CDU/CSU: Es gibt wenige Gründe gegen, aber ziemlich viele gute Gründe für die Einführung einer Volksgesetzgebung auch auf Bundesebene. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Aber jetzt zum Vorschlag der Linken!) - Dazu komme ich noch. - Vorher möchte ich sagen, dass auch wir Grünen uns schon sehr lange für diese Weiterentwicklung der Demokratie einsetzen. Wir wollen, dass durch Volksinitiativen Gesetzesvorschläge von außen in das Parlament getragen werden. Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger stärker in politische Entscheidungen einbezogen werden. Wir wollen, dass die Bevölkerung wichtige Sachfragen auch zwischen den Wahltagen entscheiden kann. Wir haben dabei im Blick - auch das ist schon thematisiert worden -, dass Formen der direkten Demokratie besonders Menschen ansprechen, die engagiert und politisch interessiert sind. Zwar kann die Politikbeteiligung von Interessengruppen, insbesondere von finanzstarken, dominiert werden. Das sind für uns aber keine Argumente gegen direkte Demokratie. Wir meinen, dass wir vielmehr faire Rahmenbedingungen für direkte Demokratie schaffen müssen und dass wir die Bürgerinnen und Bürger möglichst frühzeitig an den Entscheidungen beteiligen müssen. Wir sehen auch den großen Nutzen der direkten Demokratie. Sie führt zu mehr politischer Information, zu mehr Motivation und zu mehr Diskussion. Auch die politische Qualifikation der Bürgerinnen und Bürger wird dadurch verbessert. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Ich sage nur: Beispiel Schweiz!) Wenn Sie zum Beispiel einen Stuttgarter auf den Bahnhof ansprechen, dann werden Sie mit ihm fachgerecht über die Pläne zum Ausbau des Stuttgarter Bahnhofs diskutieren können. Vielleicht werden Sie sogar erfahren, dass die tiefen Tunnel die Mineralwasservorkommen in Bad Cannstatt gefährden. Sie sehen: Bürgerbeteiligung fördert die Partizipation und das Bürgerengagement. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie aber alle Argumente auf den Kopf gestellt!) Wenn mehr Menschen an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitwirken, dann führt dies zu mehr Identifikation mit den Entscheidungen und zu mehr Teilhabe. Jetzt zu dem Symbol, das Sie, Frau Kollegin Wawzyniak, gefordert haben. Wir werden uns bei der Abstimmung über Ihren Gesetzentwurf enthalten. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ui!) Das Thema finden wir zwar gut; aber ihr Gesetzentwurf hat leider einige gravierende Mängel. (Helmut Brandt [CDU/CSU]: "Leider"? Wieso diese Einschränkung? Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen, weil Sie nicht zustimmen! - Michael Frieser [CDU/CSU]: Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, Frau Kollegin!) Die Quoren sind zu niedrig angesetzt, die Fristen für den Übergang von Volksinitiative zu Volksbegehren und Volksentscheid zu kurz. Wir finden es nicht sinnvoll und nicht gut, dass Sie die Abstimmung über Sachfragen mit Wahlen verbinden wollen. Übrigens wollen wir nicht nur en passant, am Rande des Plenums, kurz über einen guten Gesetzentwurf diskutieren. Lassen Sie uns die Sache richtig angehen und fraktionsübergreifend vorgehen! Dann finden wir gute Lösungen. Das wachsende Bürgerengagement, das wir derzeit im Hinblick auf den Kopfbahnhof 21 und den Atomausstieg erleben, ist ein Lehrstück für unsere Demokratie. Das Land ist durch das Bürgerengagement aufgerüttelt worden. Wir erleben, dass unsere Demokratie, die mehr als 60 Jahre alt ist, reifer geworden ist. Sie hat hinzugewonnen, und die Bürgerinnen und Bürger sind selbstbewusster geworden. Heiner Geißler, der Vermittler im Schlichtungsprozess zu Stuttgart 21, hat es so ausgedrückt: Die Zeiten der Basta-Entscheidungen sind vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Helmut Brandt [CDU/CSU]: Ja! Schröder ist ja weg! Der macht jetzt die Gazprom-Geschichte für euch! - Michael Frieser [CDU/ CSU]: Schröder ist weg! Das habt ihr Grüne gut gemacht!) Auf diesem Weg werden wir Grüne weitergehen, gerne zusammen mit den anderen Fraktionen im Bundestag; ich setze meine Hoffnungen hier insbesondere auf die FDP. Wir würden uns wirklich freuen, wenn es uns gelingen würde, mehr Elemente direkter Demokratie auf Bundesebene einzuführen. Wir Grüne wollen mehr Demokratie, und zwar direkt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Frieser hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Michael Frieser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man könnte den Eindruck haben, das, was wir heute erleben, sei ein Wettstreit in Demokratieversessenheit. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Aber von Herzen!) Für unsere Satisfaktionsfähigkeit bedarf es keines Beweises. Vor allem müssen wir uns nicht von Ihnen sagen lassen, wer Anhänger direkter Demokratie ist. Es wird Ihnen nicht gelingen, deutlich zu machen, dass CDU und CSU - das gilt auch für die FDP - gegen Plebiszite seien. Im Gegenteil: Dort, wo sie richtig und angebracht sind, und in geeigneten Organisationsformen funktioniert direkte Demokratie. Das hat sich erwiesen. Die Linken führen das System der direkten Demokratie ad absurdum. Über diese Formen der Beteiligung diskutieren wir schon seit Jahren. Frau Hönlinger, was den Gesetzentwurf der Linken betrifft, geht es nicht nur um Missverständnisse und handwerkliche Fehler. Vielmehr wurde ein Jahr lang diskutiert, ohne dass Sie auf Gegenargumente eingegangen sind. Ich frage mich, inwieweit der Diskussionsprozess hier noch funktioniert. Worum geht es den Linken? Sie versuchen, mit Ihrem Gesetzentwurf zu politisieren. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oh! Wie schlimm! Auweia!) Ich würde Ihnen gerne glauben, dass Sie es mit der Demokratie gut meinen. Ich würde Ihnen gerne glauben, dass Ihre Vorschläge dazu beitragen sollen, die Demokratie unmittelbarer, erfahrbarer und erlebbarer zu machen. Letztlich geht es Ihnen aber darum, eine Dagegen-Demokratie zu etablieren. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ah!) Was Sie beabsichtigen, ist die Instrumentalisierung von Minderheiten. Sie wollen dem Land und der Bevölkerung vortäuschen, dass es hier eine gesamtgesellschaftliche Bewegung gibt. Ihnen geht es aber nur um Minderheiten. Die Linke ist immer bass erstaunt und zutiefst enttäuscht von diesem Volk, wenn sie sich der sogenannten Volksseele wirklich einmal stellt. Das lässt sich relativ leicht anhand des Themenkatalogs nachweisen, über den wir hier reden. Natürlich soll über moralisch-ethische Themen und alles, was in irgendeiner Art und Weise mit Religion zu tun hat, nicht abgestimmt werden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wo lesen Sie das?) - Ich glaube nicht, dass man in diesem Land gerne eine Volksabstimmung auf Bundesebene über Minarette durchführen würde. Man will auch keine Abstimmung zum Thema Todesstrafe. Ich jedenfalls will das nicht. Wenn dann doch einmal eine Volksabstimmung in einem Bundesland durchgeführt wird - das Thema wurde vom Kollegen Wellenreuther schon angesprochen; es geht um Hamburg -, dann passt Ihnen das Ergebnis nicht. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es wird akzeptiert! Du meine Güte!) - Herr Kollege Wieland, weil Sie sich so lautstark zu Wort melden, darf ich Sie einmal fragen - hören Sie besser zu; dann können Sie etwas lernen -: Glauben Sie allen Ernstes, dass man über Berlin als Hauptstadt wirklich hätte abstimmen lassen können? Glauben Sie, dass diese Entscheidung damals dann zugunsten von Berlin hätte getroffen werden können? Sie legen hier einen Abstimmungskatalog vor, in dem steht, worüber Ihrer Ansicht nach auf Bundesebene abgestimmt werden könnte. Das muss ein Zeitgeistkatalog bleiben. Insofern ist der Gesetzentwurf nicht nur handwerklich schlecht. Vielmehr geht es auch inhaltlich in die falsche Richtung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Volk ist klüger als die CSU gewesen!) Es besteht immer die Gefahr, dass Protestbewegungen zur Meinungsmache instrumentalisiert werden. Im Ergebnis kann es darauf hinauslaufen, dass eine radikalisierte, politisierte Minderheit über die Gesetzgebung bestimmt, und das gegen die Mehrheit. Das wird nicht funktionieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lenkert zu? (Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Wieland, Ihre Frage wird sicherlich bis zum Ende meiner Rede beantwortet sein. Wenn nicht, sollten Sie so viel Geduld haben, um sie dann zu stellen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, es geht nicht um eine Frage von Herrn Wieland, sondern um eine Frage von Herrn Lenkert. Möchten Sie sie zulassen? Michael Frieser (CDU/CSU): Darf ich die Fragen vielleicht am Ende meines Gedankenganges zulassen? Das würde mir weiterhelfen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Können Sie uns sagen, wann der Gedankengang zu Ende ist? Michael Frieser (CDU/CSU): Ich werde Ihnen das mitteilen, Frau Präsidentin, falls Sie das nicht mitbekommen sollten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das ist schön. Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Kollege Wieland, man darf nicht so lange warten, bis eine Minderheit gegen die Mehrheit entscheidet, erst recht nicht in bestimmten Punkten. Man darf sich als Abgeordneter einer repräsentativen Demokratie nicht aus der Verantwortung stehlen und muss zu der Politik stehen, die man in diesem Land durchsetzen will. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es darf nicht zu einer Art Guerillamarketing kommen; das gab es schon. Derjenige, der am aggressivsten in die politische Auseinandersetzung geht, der am lautesten tönt und der am besten eine mediale Empörung hervorrufen kann, darf nicht zum Mehrheitsmacher in diesem Land werden. Hierdurch würden wir meines Erachtens die falsche Richtung einschlagen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Es wurde in diesem Land noch nie so viel kommuniziert wie im Augenblick, aber es wurde auch noch nie so wenig zugehört wie im Augenblick. Wir müssen versuchen, das hypernervöse Grundrauschen, das in diesem Land manchmal herrscht und dazu führt, dass Wichtiges und Unwichtiges ineinander übergehen, abzustellen. Hier haben gerade Politiker und Journalisten eine große Verantwortung. Sie müssen in der Lage sein, wirklich objektiv zu berichten, zu bewerten und zu gewichten. Ich glaube, das ist eine der wesentlichen Aufgaben, die wir in diesem Land haben. Bei allen Themen, die im Moment durch die Gegend schwirren, muss man feststellen: Wir haben sehr viele Sender, aber nur ganz wenige Empfänger. Denn jeder kann aufgrund der Masse an Informationen nur noch das hören, was ihn vielleicht wirklich enerviert. Wir dürfen die Demokratie an dieser Stelle nicht kleinreden. Diese Debatte sollte nicht dazu da sein. Es kommt darauf an, dass es einen Diskurs gibt. Ich kann es nur immer wieder sagen: Es gibt das pädagogische Prinzip der Wiederholung. Man muss Dinge nun einmal öfter ankündigen. Es ist vollkommen falsch, zu glauben, dass man mit 80 Millionen Menschen und mit soundso vielen Wahlberechtigten einen Diskurs führen kann, wenn es um wirklich komplizierte Vorgänge, verbunden mit Anhörungen von Sachverständigen, geht. Wie wollen Sie denn in einer öffentlichen Debatte eine Anhörung von Sachverständigen durchführen? Als Beispiel nenne ich die Themen Internetsperre und Datenschutz. Dabei geht es um das Löschen und Sperren. Wir haben monatelang in kleinen Runden versucht, die Dinge bis ins Detail auszuloten. Ich will niemandem, der sich lange mit diesen Themen befasst hat, absprechen, dass er zu einem richtigen und guten Ergebnis kommt. Sollen wir aber Expertenanhörungen tatsächlich einer aggressiven Öffentlichkeitsarbeit opfern? Ich glaube, das wäre der falsche Weg. Ich meine auch, dass wir schauen müssen, dass eine Idee, die dieses Land und diese Gesellschaft weiterbringen soll, im Sinne des demokratischen Prinzips zu einem Konsens geführt werden muss. Das ist eine der wesentlichen Aufgaben der Politik. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist der Gedankengang aber zu Ende!) - Ich befürchte, Kollege Wieland, Sie haben den Gedankengang noch nicht verstanden. Deshalb möchte ich ihn kurz erläutern: Entscheidend ist, dass wir in diesem Parlament für eine Idee kämpfen und uns gegenseitig überzeugen. Dazu gehört natürlich, dass man zuhört, Herr Kollege Wieland; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tue ich!) anders funktioniert es nicht. Im Rahmen dieses Diskurses muss man (Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage) - vielleicht stellen Sie Ihre Frage dann zu diesem Gedankengang, Herr Kollege Wieland - auch die Frage berücksichtigen, ob ein Plebiszit wirklich dazu führen kann, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich wage das zu bezweifeln. Ich komme aus einem Land, in dem durchaus - Kollege Schulz hat darauf hingewiesen - sehr interessante Volksentscheide und Bürgerentscheide zur Abstimmung stehen; dadurch erhöht sich allerdings nicht die Wahlbeteiligung insgesamt. Das heißt nicht, dass Plebiszite schlecht sind. Aber Sie verknüpfen zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Der Satiriker Karl Kraus hat einmal gesagt: Es gibt Dinge, die so falsch sind, dass noch nicht einmal das Gegenteil stimmt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das gilt auch bei diesem Argument. Man muss deutlich sagen: Man kann keine Begründung heranziehen, die mit der Sache gar nichts zu tun hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich würde wirklich gerne glauben, dass es an dieser Stelle um die Demokratie geht. Aber ich finde es schon seltsam - Herr Kollege Wieland, Sie sind wirklich gleich dran; vertrauen Sie mir; ich habe extra fünf Minuten Argumentationszeit für Sie reserviert -, wenn man eine Reihe von im Augenblick stattfindenden Diskussionen zu Protestbewegungen ummünzt und dann im Ergebnis sagt, das stelle die Mehrheit dar. Ich weiß nicht, ob das, was im Augenblick im Wendland passiert, wirklich gut ist, wenn ich sehe, dass der Vorsitzende der Fraktion der Linken das Ergebnis beeinflusst, indem er sich mit seinem Wagen zu einer Protestbewegung fahren lässt, die ohnehin überarbeitete Polizei dazu abstellt, auf sein Auto aufzupassen, um sich dann in einen Trecker zu wuchten und hinterher zu sagen: Ich repräsentiere hier die Mehrheit. - Das macht die Politik absurd und führt im Ergebnis mit Sicherheit nicht weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube - jetzt bin ich bei Ihnen, Herr Kollege Wieland -, dass die Kritik der Grünen an der handwerklichen Beschaffenheit des Gesetzentwurfes der Linken nur dazu dient, diesem nicht zustimmen zu müssen. Das kritisieren wir. Ich glaube, dass wir mit dieser Art und Weise der Auseinandersetzung nicht weiterkommen. Bekennen Sie Farbe! Wenn Sie etwas Bestimmtes wollen, dann sagen Sie es. Wenn Sie es nicht wollen, dann lassen Sie es bleiben. Vielen Dank. - Jetzt darf er fragen, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zuerst wäre da eine Frage von Herrn Lenkert gewesen. Wollen Sie die zuerst zulassen? Michael Frieser (CDU/CSU): Jetzt muss sich Herr Wieland auch noch hinten anstellen; das tut mir furchtbar leid. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ich sowieso die ganze Zeit!) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Frieser, für die Gelegenheit zur Zwischenfrage. - Ich hatte gehofft, Sie würden unseren Gesetzentwurf richtig lesen. Sie haben vorhin die Behauptung aufgestellt, (Zuruf von der CDU/CSU: Fragen!) dass danach ein Volksentscheid zur Todesstrafe möglich wäre. Wenn Sie richtig gelesen hätten, dann hätten Sie gelesen, dass in dem in unserem Gesetzentwurf vorgesehenen Art. 82 a Abs. 2 des Grundgesetzes steht: Volksinitiativen, durch die ... die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden ... sind unzulässig. Volksinitiativen zur Änderung des Grundgesetzes dürfen kein Grundrecht in seinem Gehalt antasten. Gleichzeitig besteht, wie bei jedem Gesetz, die Möglichkeit, auch einen per Volksgesetzgebung zustandegekommenen Gesetzentwurf vom Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. Unter diesem Aspekt frage ich Sie, wie Sie zu der falschen Behauptung kommen, dass wir die Einführung der Todesstrafe befürchten müssten, wenn eine Volksgesetzgebung eingeführt würde. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Lenkert, ich bin fast versucht, mich bei Ihnen für diese Zwischenfrage zu bedanken. So kann ich dem Eindruck entgegentreten, ich wäre Anhänger eines Plebiszits über die Todesstrafe. Das ist verkehrt. Das sage ich deutlich, falls dieser Eindruck entstanden sein sollte. Sie nehmen eindeutig bestimmte Fragen aus dem Katalog heraus. Nicht nur, dass das Grundgesetz schon darüber Auskunft gibt; ich will damit auch deutlich machen, dass es einen ganzen Katalog an Fragestellungen gibt, die sich - das geben Sie mit Ihrer Frage auch zu - ohnehin einer Abstimmung durch ein Plebiszit auf Bundesebene entziehen, weil wir das nicht machen dürfen. Das bestreite ich nicht. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das haben auch wir nicht bestritten!) Ich will damit nur deutlich machen, dass es einen ganzen Katalog gibt. Die Auflistung war klar. Es ging um religiöse, moralische und ethische Fragen. Diese Fragen können wir nicht dem Zeitgeist gemäß zur Abstimmung stellen. Nehmen Sie als nächstes Beispiel die Sicherungsverwahrung. Ich glaube, dass wir in diesem Land nicht unbedingt zu einem richtigen und konformen Ergebnis gekommen wären, wenn wir sie zur Abstimmung gestellt hätten. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie unterschätzen das Volk! - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist Nebelkerzen-Werfen!) - Nein, überhaupt nicht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Wieland. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Frieser, als Abgeordneter aus Berlin sind mir bei Ihrer Rede etliche Fragen gekommen. Ich will sie komprimieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zusammenzufassen. Habe ich es richtig in Erinnerung, dass die Abgeordneten der CSU beispielsweise beinahe geschlossen gegen Berlin als Bundeshauptstadt gestimmt haben, und wäre das Volk dabei nicht möglicherweise klüger als die CSU gewesen? (Heiterkeit bei der LINKEN) Wie kommt es ferner, dass Ihre Partei in Berlin da, wo wir in der Regel gegen den Willen dieser Partei die Möglichkeiten zu Volksbegehren und Volksentscheide haben, bei Bürgerbegehren immer eine Dagegen-Partei ist? Bei dem Bürgerbegehren gegen die Umbenennung in Rudi-Dutschke-Straße war die CDU-Kreuzberg vorneweg. Sie war als Dagegen-Partei auch gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof. In einer so komplizierten Frage, wie Sie es gerade geschildert haben, bei der Experten eingebunden waren und ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt wurde, hat Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Friedbert Pflüger am Abend der Auszählung gesagt, diese Niederlage sei ein großer Erfolg für die CDU. Wie er dazu kam, weiß ich nicht. Aber er hat sich in einer solchen Weise an die Spitze dieses Volksbegehrens gestellt, dass die CDU-Initiatoren des nächsten Volksbegehrens zum Thema "Religion als Wahlpflichtfach" Angst hatten, dass auch dieses Volksbegehren ein solches CDU-Label bekommt, dass es am Ende scheitert. Warum sollen Ihre ganzen Argumente, dass das große Geld zählt, dass es um Marketing geht, dass es zu einer Dagegen-Demokratie kommt und dass sich damit Minderheiten durchsetzen wollen - in Berlin ist die CDU eine Minderheit, das gebe ich zu -, hier gelten, aber nicht in den Bundesländern? Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Kollege Wieland, das entscheidende Problem ist, dass Sie den Ausführungen anscheinend nicht ganz aufmerksam gelauscht haben. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren auch sehr langatmig!) Denn der Großteil Ihrer Argumentation wurde schon bei der Rede des Kollegen Wellenreuther angesprochen. Worum geht es? Ich schätze Friedbert Pflüger sehr. Er ist zwar nicht mein Fraktionsvorsitzender, aber als direkt gewählter Abgeordneter aus Bayern kann ich sagen, dass es sehr wohl eine ganze Reihe von Fragen gibt, über die man gut und richtig abstimmen kann, wenn sich die Fragestellung eindeutig auf eine Ja-Nein-Konstellation reduzieren lässt. Ich bin der Auffassung, dass es dann funktioniert. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Berlin als Bundeshauptstadt hätte man ohne Weiteres mit Ja oder Nein beantworten können!) Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bürger von Berlin in der Lage sind, entsprechende Fragen, vor allem die ihrer kommunalen Verfassung, zu entscheiden. Ich will aber noch einmal darauf hinweisen, dass es in unserem föderalen System aufgrund der Tatsache, dass es eine Reihe von Argumenten und Themen gibt, die sich einer Abstimmung auf Bundesebene entziehen, nicht möglich ist, eine Volksabstimmung auf Bundesebene durchzuführen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie sind also generell dagegen! Sagen Sie es doch!) Alle Beispiele, die Sie nennen, stehen bewusst in einem unmittelbaren kommunalen Zusammenhang, in dem die Bürger vor Ort sehr sachkundig über die Fragen entscheiden können. Es hilft letzten Endes nicht, dass Sie versuchen, die Argumente auf die Bundesebene zu übertragen. Denn damit lassen sich die Fragen zu diesem Thema nicht beantworten. Im Ergebnis darf ich darauf hinweisen, dass eine Volksgesetzgebung nur dann sinnvoll ist, wenn sie die Themen so klar zuschneidet, dass eindeutige Fragen zur Abstimmung gestellt werden können. Schließlich kann die gesamte Diskussion nicht so aufgerollt werden, wie es etwa mithilfe von Sachverständigenanhörungen in der Regel notwendig ist. Deshalb glaube ich, dass wir mit unserer Verfassung, die Plebiszite auf kommunaler Ebene und auf Länderebene vorsieht, durchaus gut beraten sind. Dort funktionieren sie. Ich glaube, dass man den Gesetzentwurf der Linken aus guten Gründen ablehnen muss. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Wellmann zulassen? Michael Frieser (CDU/CSU): Wenn Sie möchten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Herr Kollege, wären Sie bereit, den Kollegen Wieland darauf hinzuweisen, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus gerade eine Volksbefragung zur Verlängerung der A 100 vorgeschlagen hat und es die Grünen waren, die öffentlich erklärt haben, sie seien gegen eine solche Volksbefragung? (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah! - Doppelmoral! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beweist doch nur, dass die CDU die Volksbegehrenspartei ist!) Michael Frieser (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Kollege, den Gedanken greife ich gerne auf und erweitere ihn zu einer Anfrage an Herrn Wieland, die wir gerne bilateral mit ihm diskutieren können. Ich glaube nicht, dass die Grünen bereit sind, eine Abstimmung über alle Arten von Trassen- und Verkehrsproblemen herbeizuführen. Ich gebe das gerne an den Kollegen Wieland weiter. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Daniela Kolbe hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger, vielleicht haben Sie einen weiten Weg genommen, um heute hier bei uns zu sein. Schön, dass Sie da sind! Wir alle hier im Saal sind überzeugte Demokratinnen und Demokraten. Aber schon wenn es um eine Einschätzung der Situation unserer Demokratie geht, gehen unsere Positionen offenbar weit auseinander. Unsere Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde vielfach erkämpft, und wir haben sie auch schon einmal verloren. Für viele Menschen in unserem Land war Demokratie für mehr als 60 Jahre nur ein Traum. Für diesen Traum sind im Jahr 1989 in der DDR Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen; sie haben zum Teil ihr Leben dafür riskiert. Diese Menschen kennen den Wert von Demokratie und freier Meinungsäußerung sehr gut, vielleicht sogar besser als andere. Umso erschreckender ist es, dass die Zustimmung zur Demokratie gerade in den neuen Ländern geringer wird, dass sie ohnehin schon erschreckend gering ist. Wenn man genau nachfragt, erfährt man erstaunliche Sachen: Eine repräsentative Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat zum Beispiel ergeben, dass 93 Prozent unserer Bevölkerung der Grundidee der Demokratie zustimmen. Jedoch sind nur 46 Prozent zufrieden damit, wie die Demokratie derzeit funktioniert. Um die andere Hälfte dieser mit der Demokratie grundsätzlich einverstandenen Menschen müssen wir ganz besonders hart kämpfen. Demokratie ist kein abgeschlossener Prozess; sie entsteht ständig neu. Wir müssen sie immer wieder neu erklären und die Menschen dafür begeistern. Wir müssen sie auch dadurch rechtfertigen, dass sie eine gerechte Politik im Sinne der Menschen hervorbringt. Studien wie die von Serge Embacher haben ergeben, dass die Zustimmung zur Demokratie abnimmt, wenn die Menschen den Eindruck haben, dass es im Land nicht gerecht zugeht. Wenn wir heute über den Zustand der Demokratie und über mehr direkte Demokratie debattieren, dann sollten wir auch das im Blick behalten. Es geht nicht nur um die Form der Demokratie, sondern es geht auch um ihren Inhalt. Schwarz-Gelb hat unserer Demokratie im letzten Jahr mit seiner Politik, einer Politik für Lobbyisten und gegen die Mehrheit der Menschen, jedenfalls keinen Gefallen getan. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Für die SPD ist Demokratie seit fast 150 Jahren Ziel und Mittel gleichzeitig. Wir wollen, dass möglichst alle Menschen in unserem Land an der Demokratie beteiligt sind und mitbestimmen, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickeln soll. Demokratie ist mehr, als alle vier Jahre zur Wahl zu gehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja logisch!) Wir wollen weiterhin eine Demokratisierung der gesamten Gesellschaft. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gemeinschaftskunde leicht gemacht!) Dazu gehören für uns Demokratie in den Unternehmen, in den Schulen, in den Hochschulen, bei Demonstrationen, aber eben auch über direkte Mitsprache bei Bürgerentscheiden und Bürgerinitiativen. Direkte Demokratie ist für uns ein Mittel, um die Menschen wieder stärker zu beteiligen. Auch aus diesem Grund - das wurde schon angesprochen - hat die SPD bereits 2002 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Grundsatz gilt für uns weiterhin. Leider ist mit Blick auf die rechte Seite dieses Hauses eine dazu notwendige Änderung des Grundgesetzes schon rein rechnerisch nicht möglich. Das finden wir mehr als bedauerlich. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Demokratie! Man wird wohl noch eine andere Meinung haben dürfen! Oder wollen Sie das auch noch verbieten?) Gerade bei Ihnen in der Union ist die Angst vor Elementen direkter Demokratie unheimlich groß. Für Teile der Union scheint Demokratie sich auf den Parlamentarismus zu beschränken. Anders als für die Union ist für uns mit dem wahren Satz - er ist wahr - "Der Parlamentarismus hat dieses Land weit gebracht" eben nicht alles gesagt. Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich zunehmend eine Kluft zwischen politisch Aktiven und dem Rest der Bevölkerung entwickelt. Das geflügelte Wort von "denen da oben" ist erschreckend weit verbreitet. Zugegeben: Mitunter habe ich den Eindruck, dass die eine oder andere Bürgerinitiative vor allem zum Ziel hat, es "denen da oben" - gemeint sind wir - einmal richtig zu zeigen. Andererseits habe ich bei Ihnen, der Koalition - zum Beispiel war das vorgestern bei manchem Redebeitrag zum Thema Castor der Fall -, den Eindruck, dass Sie sich sehnlich wünschen, dass die Menschen draußen endlich einmal die Klappe halten und Ihre Entscheidungen hinnehmen. Im Zweifel setzt man solche Entscheidungen mit Polizeigewalt durch. Wenn aber Parlamentarismus bedeutet, dass plötzlich die Bevölkerung gegen die Parlamente ist, dann ist eines eindeutig klar: Bei dieser Auseinandersetzung können beide Seiten nur verlieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb freue ich mich, dass wir über eine Ergänzung des Parlamentarismus durch Elemente der direkten Demokratie diskutieren. Direkte Demokratie kann dazu beitragen, dass Bevölkerung und Parlamente wieder aufeinander zugehen. Direkte Demokratie zeigt aber auch, dass unterschiedliche Positionen nicht Parlamente und Bevölkerung trennen, sondern dass die Trennlinien quer durch die Parlamente und quer durch die Bevölkerung verlaufen. Die SPD will direkte Demokratie, aber sie will sie gut abgestimmt. Sie soll den Parlamentarismus ergänzen, nicht ersetzen. Deshalb herzlichen Dank an die Linke für das Einbringen des Antrags. Wir empfinden aber die vorgeschlagenen Quoren für Volksinitiativen als eindeutig zu niedrig. Ich möchte Ihnen einmal ein Gefühl dafür vermitteln, was ein Quorum von 100 000 Stimmen bedeutet. Die Linke hat in Hamburg bei der letzten Bundestagswahl knapp 100 000 Stimmen bekommen. Über die Landesliste ist deshalb ein Abgeordneter in den Bundestag eingezogen. Es gibt ziemlich viele gute Gründe dafür, warum wir es in diesem Haus so handhaben, dass nicht ein einzelner Abgeordneter eine Gesetzesinitiative einbringen kann. (Beifall bei der SPD) Ein solch niedriges Quorum wäre eine zu starke Entwertung der Parlamente. Gleichzeitig sollten die Quoren auch nicht zu hoch sein. Es bleibt deshalb dabei: Die SPD schlägt ein Quorum von 400 000 Stimmen für eine Volksinitiative und von 5 Prozent der Wahlbevölkerung für Volksentscheide vor. Kritisch sehen wir auch Ihren Vorschlag, die Bundestagswahlen zur Abstimmung über Teile der Wahlprogramme zu machen. Bundestagswahlen würden dann zu Kreuzeltests werden. Statt demokratische Debatten über schlüssige Programme zu führen, soll die Debatte auf eine Handvoll plakativer Auseinandersetzungen eingedampft werden. Verflachung ist dabei eindeutig programmiert. Außerdem ginge das Grundprinzip plebiszitärer Elemente verloren, nämlich Ideen der Bevölkerung aufzunehmen. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Idee aus Sicht der Linken mehr als verlockend ist. Immerhin kann man so als Daueroppositionspartei Inhalte durchsetzen. Die SPD aber befürwortet mehr direkte Demokratie nicht, um die parlamentarische Opposition zu stärken, sondern die demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung soll über den Wahltag hinaus gestärkt werden. (Beifall bei der SPD) Ich fasse zusammen. Für die SPD ist klar: Mehr Demokratie ist nötig. Mehr direkte Demokratie ist deshalb eine sehr gute Idee. Wir werden auch weiterhin dafür arbeiten, dass in diesem Haus eine Zweidrittelmehrheit dafür zustande kommt. Wir rufen der Union zu: Haben Sie keine Angst vor der Bevölkerung. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Wir haben überhaupt keine Angst! Im Gegenteil!) Drehen Sie sich einmal um und schauen Sie zur Tribüne. Vor diesen interessierten Menschen muss man wirklich keine Angst haben. Wir sagen aber auch: Mehr direkte Demokratie muss gut gemacht sein. Der Antrag der Linken wird dem leider nicht gerecht. Deshalb lehnt die SPD den Antrag ab. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD - Michael Frieser [CDU/ CSU]: Der Schluss war ganz schön!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat das Wort Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Stephan Thomae (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die FDP ist direkte Demokratie kein Teufelszeug. Zunächst will ich deshalb ein paar Worte über das verlieren, was ich an diesem Antrag gut finde. Ich bin der Meinung, dass diese repräsentative parlamentarische Demokratie in der Tat das beste politische System ist, das wir in diesem Lande jemals hatten. Man könnte sich deswegen fragen: Wozu brauchen wir eigentlich direktdemokratische Elemente? Es ist doch eine unbequeme Sache, wenn das Volk dauernd mitmischt. Aber auch Gutes kann man verbessern, auch Gutes kann und muss man gelegentlich weiterentwickeln. Deswegen begrüße ich es, dass wir nicht beim Guten stehen bleiben, sondern uns auch Gedanken über Verbesserungen machen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Allerdings bin ich etwas irritiert über den Absender dieses Antrags; denn ich bringe die Linken sonst nicht mit einem politischen System in Verbindung, in dem die Meinungsfreiheit Andersdenkender der höchste Wert ist. (Beifall bei der FDP - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist aber Ihr Problem!) Deswegen sollte man einmal genauer hinschauen und einen zweiten Blick wagen. Mir fallen zwei Dinge an Ihrem Antrag auf, weshalb wir Liberale ihn ablehnen werden. Erstens. Wir klagen häufig über eine abnehmende Wahlbeteiligung. Nun kann es bei allgemeinen Wahlen aus systematischen Gründen keine legitimatorische Untergrenze geben. Auch wenn sich nur wenige Menschen an einer Wahl beteiligen, bleibt deswegen kein Sitz in einem Gemeinderat, Stadtrat, Landtag oder im Bundestag unbesetzt. Bei Abstimmungen stellt sich hingegen sehr wohl die Frage nach einer legitimatorischen Untergrenze. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Warum?) Deswegen gibt es bei Volks- und Bürgerentscheiden mit guten Gründen Quoren. Dabei sollen Eingangsquoren nicht zu hoch sein, wodurch der Volksentscheid zur unerreichbaren Verheißung würde. Sie sollen aber auch nicht zu niedrig sein, wodurch kampagnenfähige Minderheiten ihre Spezialinteressen sozusagen bei Nacht und Nebel unbemerkt vorbeischmuggeln könnten. Zweitens. Es soll aber auch nicht das genaue Gegenteil dessen geschehen: Abstimmungen sind naturgemäß reine Mehrheitsentscheidungen. Die Mehrheit majorisiert die Minderheit, auch wenn das Ergebnis noch so knapp ausfallen sollte. 49 Prozent sind eigentlich keine vernachlässigbare Größe; aber sie fallen bei Abstimmungen naturgemäß unter den Tisch. Eine Volksabstimmung kennt nur Ja oder Nein, sie kennt nur Sieger oder Verlierer. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist wie im Parlament!) Minderheitenaspekte, Randaspekte bleiben unberücksichtigt. Nun sagen Sie zu Recht, das sei hier doch auch der Fall. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!) Aber bei unseren Abstimmungen - das ist der Unterschied zur direkten Demokratie - geht die Kunst der Kompromissfindung voraus. Das ist, meine ich, der Vorzug, den wir hier im Parlament haben. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das sehe ich seit einem Jahr!) Wenn man nun diese beiden Schwächen - Minderheitenthemen und Minderheitendiktat - kombiniert, dann ergibt sich gerade wegen niedriger Quoren das Problem des Diktats einer Mehrheit, die in Wirklichkeit eine Minderheit ist. Vor diesem Hintergrund hat das niedrige Eingangsquorum im Antrag der Linken vielleicht Kalkül; vielleicht haben Sie mit Diktaten nicht das Problem, das wir als Liberale mit ihnen haben. Wir Liberale - das will ich ganz deutlich sagen - wollen mehr Demokratie, und das heißt auch, mehr direkte Demokratie. Aber wir verstehen darunter mehr als nur Volksabstimmungen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, wir auch! Das habe ich ja gesagt!) Wir wollen nicht nur die parlamentarische Demokratie weiterentwickeln, sondern auch die direkte Demokratie. Wir wollen nicht einfach nur entweder parlamentarische oder direkte Demokratie, sondern eine Verknüpfung der beiden, wir wollen ein Ineinandergreifen, eine Verzahnung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht mal! Das klingt alles so schön!) - Herr Kollege Wieland, deswegen enthält unser Koalitionsvertrag in diesem Punkt Ansätze dazu, wie wir im Bereich des Petitionswesens eine Form der Volksinitiative entwickeln, bei der aber die verantwortliche Entscheidung beim Parlament verbleibt. Frau Kollegin Mast, derzeit führen wir Gespräche mit unserem Koalitionspartner hierüber, die wir auch zügig voranbringen werden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bravo! Bravo!) Übrigens gibt es auch Vorstufen direkter Demokratie, die nicht unbeachtet bleiben sollten. Ich denke zum Beispiel an das Modell der Bürgergutachten, wie sie die beiden Münchener Wissenschaftler Hilmar Sturm und Christian Weilmeier entwickelt haben. Dabei geht es darum, dass Bürger nach einem Zufallsprinzip ausgewählt werden, dann in professionell moderierten Sitzungen auf Entscheidungen vorbereitet werden - dabei gibt es Expertenanhörungen, wie wir sie auch im Parlament kennen -, und dann wird ein Gutachten erstellt, in dem eine Empfehlung für die Volksvertreter abgegeben wird, die dann eine verantwortliche Entscheidung zu treffen haben. Das ist, wie ich finde, ein sehr interessantes Modell. Entscheidend ist für uns Liberale, dass direkte Demokratie weder ein Instrument für eine Minderheit sein kann, um Mehrheitsverhältnisse auszuhebeln, noch ein Instrument für ein Parlament sein kann, sich einer Entscheidung zu begeben. Deswegen befürworten wir grundsätzlich direktdemokratische Elemente. Den Gesetzentwurf der Linken in der heute vorliegenden Form lehnen wir aber ab. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat Klaus Hagemann jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD) Klaus Hagemann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen eine schon fast anderthalbstündige Debatte über den Gesetzentwurf der Linken. Sie haben dargelegt, dass man von der Politikverdrossenheit der Menschen ausgehen muss, dass es zu wenig Möglichkeiten der politischen Einflussnahme gibt, dass Petitionen nicht ausreichen. "Zuschauerdemokratie" ist ein Wort von Ihnen. Wir sollten unsere repräsentative Demokratie, wie sie in über 60 Jahren gewachsen ist und die sich bewährt hat, nicht schlechtreden; das möchte ich unterstreichen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Aber - liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, vielleicht haben Sie zu früh geklatscht - (Michael Frieser [CDU/CSU]: Der Satz allein war schon sehr gut!) wir müssen auch die gesellschaftliche Entwicklung sehen, so wie meine beiden Kolleginnen Fograscher und Kolbe das dargelegt haben. Das müssen wir in die Überlegungen einbeziehen und deswegen auch mehr Bürgerbeteiligung in unser Grundgesetz hineinschreiben. Dazu fällt mir ein Vorschlag des Landes Rheinland-Pfalz ein. Dort will man in den nächsten Wochen und Tagen intensiv über eine mehrstufige Bürgerbeteiligung bei großen Baumaßnahmen diskutieren. Dort will man die Bürger von Anfang an in die Meinungsbildung und in die Entscheidung einbeziehen. Ich glaube, damit sind wir auf dem richtigen Weg. (Beifall bei der SPD) Auf der Unionsseite war eben von der Dagegen-Demokratie die Rede. Ich frage mich: Wie ist das denn in anderen europäischen Ländern, in denen es Volksabstimmungen, Referenden, gibt? Ist das in Frankreich, in Irland, in Dänemark usw. auch eine Dagegen-Demokratie? Nein! Wenn wir schon auf die europäische Ebene schauen, meine Damen und Herren, dann sollten wir auch daran denken, dass es das europäische Volksbegehren gibt. Das Europäische Parlament hat sich mit den Stimmen der Europäischen Volkspartei, also Ihrer Parteifamilie, Kolleginnen und Kollegen von der Union, für eine stärkere Bürgerbeteiligung eingesetzt. Folgen Sie doch dem Beispiel Ihrer Kollegen in Brüssel! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte in meiner Argumentation auch das Petitionsrecht nicht zu kurz kommen lassen, Kollege Thomae; denn das ist sehr wichtig. Wir haben es gemeinsam weiterentwickelt in Richtung einer stärkeren Bürgerbeteiligung. Wir haben am Montag dieser Woche wieder erlebt, wie die Menschen vom Petitionsrecht Gebrauch machen; ich nenne nur die elektronische Petition und die öffentliche Petitionsberatung. Hier sind wir auf einem guten Weg. Ich bin froh darüber, dass uns die Union gefolgt ist. Wir mussten euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, erst zum Jagen tragen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihr hattet so viele Bedenken. Heute wird das auch von der Union begrüßt und als positiv dargestellt. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Ihr werdet auch noch dahin kommen, zu erkennen, dass eine stärkere Bürgerbeteiligung im Grundgesetz zu verankern ist. Meine Damen und Herren, wir müssen auch die Verfahrensgrundsätze im Petitionsverfahren weiterentwickeln. Was wir vorgesehen haben, hat sich zum Teil als zu eng erwiesen. In drei Wochen müssen 50 000 Unterschriften eingehen. Die Zeit ist zu knapp bemessen; sie muss ausgeweitet werden, damit sich mehr Bürger beteiligen können; die Begeisterung ist da. "Hebammen", "Internetsperren", "GEMA" und viele andere Themen sind zu nennen, bei denen wir etwas umgesetzt haben. Wenn es um eine Ausweitung des Petitionsrechts geht, Kollege Thomae, reicht es nicht aus, dass wir hier im Plenum des Bundestages über Petitionen diskutieren; denn da kann der Petent gar nicht mitwirken. Wichtig ist, mehr öffentliche Petitionen zu behandeln, an denen der Petent und die Petentin selbst mitwirken und mit diskutieren können. Deshalb ist das nur ein Schritt, und es muss ein größerer gemacht werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir von der SPD - der Antrag von 2002 hat es bewiesen - wollen mehr plebeszitäre Elemente als Ergänzung der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene haben. Warum wir dem Antrag der Linken nicht zustimmen können, haben meine beiden Vorrednerinnen schon wunderbar begründet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes, Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3609, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke abzulehnen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgeben konnte? - Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Wir setzen die Beratungen fort. (Unruhe - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, sorgen Sie für Ordnung!) - Jetzt würde ich gerne erst einmal die Debatte fortsetzen und bitte die Kolleginnen und Kollegen, die hier immer noch in der Mitte stehen, sich zu setzen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts (Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz) - Drucksache 17/3628 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f)' Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe als Erstem das Wort dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung ist entschlossen, sich international, auf europäischer Ebene, aber auch national dafür einzusetzen, dass alle Finanzmärkte, alle Finanzmarktakteure und alle Finanzinstrumente einer angemessenen Aufsicht und Regulierung unterworfen werden. Das hat die Bundeskanzlerin vor und im Rahmen des G-20-Gipfels noch einmal deutlich gemacht; denn die Finanzmarktkrise hat aufgezeigt, dass die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte dann gefährdet sind, wenn das Vertrauen der Marktteilnehmer und der Bevölkerung in funktionierende Märkte und ein faires, kundenorientiertes Finanzdienstleistungsangebot ausgehöhlt wird. Dem tragen wir mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts Rechnung. Ein zentrales Anliegen dieses Gesetzesvorhabens ist es, einen verbesserten Schutz der Anleger vor Falschberatung zu gewährleisten. (Beifall bei der CDU/CSU) In der Vergangenheit ist der Eindruck entstanden - daraus müssen wir die Konsequenzen ziehen -, dass bei Anlageberatungen nicht immer das Kundeninteresse, sondern oftmals das Provisionsinteresse der Institute im Vordergrund stand. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, verfügt bislang leider noch nicht über ausreichende Mittel, um diesen Missständen wirkungsvoll begegnen zu können. Deshalb zielt unser Gesetzentwurf darauf ab, die Berater und, was noch wichtiger ist, die Vertriebsverantwortlichen in den Fokus der Finanzaufsicht zu nehmen. Hierzu wird bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine Datenbank eingerichtet werden, an die die Institute angestellte Anlageberater, Verantwortliche für den Vertrieb und die sogenannten Compliance-Beauftragten melden müssen. Ganz entscheidend ist: Dabei muss die Qualifikation dieser Personen bestätigt und im Einzelfall nachgewiesen werden. Schließlich sollen die Institute verpflichtet werden, die BaFin über Beschwerden von Kunden zu informieren, die sich auf die Anlageberatung beziehen. Stellt die BaFin schwerwiegende Verstöße gegen das Gebot einer anlegergerechten Beratung fest, soll sie in Zukunft verlangen können, dass die betroffenen Mitarbeiter bis zu zwei Jahre nicht mehr in der Anlageberatung eingesetzt werden. Die Finanzmarktaufsicht wird damit zukünftig ein deutlicheres Bild der Situation in der Anlageberatung erhalten und in die Lage versetzt werden, Fehlentwicklungen stärker entgegenzuwirken - ein ganz großer Schritt im Hinblick auf einen besseren Anlegerschutz! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Gewährleistung einer fachlich qualifizierten und anlageorientierten Beratung ist nur eine wichtige Voraussetzung. Richtiger Anlegerschutz muss darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass die Anleger über ein möglichst fundiertes Wissen über die ihnen empfohlenen Finanzprodukte verfügen. Deshalb sehen wir die Einführung von Produktinformationsblättern vor, die häufig auch als Beipackzettel bezeichnet werden. Auf zwei, höchstens drei Seiten sollen in Zukunft wesentliche Eigenschaften des Finanzinstruments in einer für den Kunden verständlichen Form dargestellt werden. Angesichts der dramatischen Lage bei offenen Immobilienfonds haben wir auch dieses Thema in dem Gesetzentwurf angepackt. Durch geeignete regulatorische Maßnahmen soll der Immobilienfondsmarkt in Zukunft krisenfester gestaltet werden, um damit das Vertrauen der Anleger in dieses Finanzinstrument wiederzugewinnen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht daher vor, dass Anleger ihre Anteile an offenen Immobilienfonds in den ersten zwei Jahren nach dem Erwerb nicht zurückgeben können. In den anschließenden zwei Jahren können die Anteile nur gegen einen Rücknahmeabschlag zurückgegeben werden. Hiervon ausgenommen sind Beträge bis zu 5 000 Euro pro Monat und Anleger. Damit wollen wir gewährleisten, dass Kleinanleger von diesen Einschränkungen faktisch nicht betroffen werden. Außerdem müssen die Immobilien in den Fonds zukünftig zu jedem Ausgabe- und Rücknahmetermin bewertet werden. Damit sollen sachgerechte Anteilspreise gewährleistet werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mangelhafte Transparenz kann an den Finanzmärkten zu schwerwiegenden Marktverwerfungen und zu unternehmensgefährdenden Fehlentwicklungen führen. Die Übernahmefälle VW/ Porsche und Continental/Schaeffler haben deutlich gemacht, dass die bisherigen Meldepflichten im Hinblick auf Beteiligungen an Unternehmen nicht ausreichen, um die erforderliche Transparenz zu schaffen. Die Nutzung von Finanzinstrumenten, die keine Meldepflicht auslösen, ermöglichte in der Vergangenheit ein unbemerktes Anschleichen an die Unternehmen. Um derartige Fälle des Anschleichens in Zukunft zu verhindern, sieht unser Gesetzentwurf die Einführung neuer Meldepflichten für Finanzinstrumente mit Barausgleich und für Geschäfte mit ähnlicher Wirkung, zum Beispiel Wertpapierdarlehen, vor. Sie sehen: Wichtige Elemente des Anlegerschutzes werden in diesem Gesetzentwurf aufgegriffen. Ein wichtiges Vorhaben haben wir vorab umgesetzt: Wir haben einen Beitrag zur Bekämpfung missbräuchlicher Wertpapiergeschäfte geleistet, indem wir das mit diesem Gesetzentwurf ursprünglich geplante Verbot ungedeckter Leerverkäufe vorgezogen haben. Hier ist Deutschland vorausgegangen. Inzwischen folgt uns die Europäische Kommission mit einem eigenen Vorhaben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich kündige an, dass wir auch das Thema grauer Kapitalmarkt anpacken werden. Hierzu befinden wir uns in der Ressortabstimmung. Wir wollen noch in diesem Jahr auch zu diesem wichtigen Sachverhalt einen in der Bundesregierung abgestimmten Referentenentwurf vorlegen. Ich bitte um zügige Beratung und Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Carsten Sieling. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben erst am Schluss Ihrer Rede auf den politisch wirklich brisanten Punkt hingewiesen. Zuvor haben Sie drei Elemente dieses Gesetzentwurfs ausführlich benannt: die umgehende und umfassende Registrierungspflicht, der die Banken unterworfen sind; das Anschleichen; Produktinformationsblätter. Aber Sie haben uns hier nicht deutlich gemacht - das will ich gerne herausarbeiten -, dass von dem Referentenentwurf, der ursprünglich mehrere Zentimeter dick war und der vor allem wichtige Themen behandelte, nichts übrig geblieben ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Bestreben, den gesamten grauen Kapitalmarkt besser zu regulieren, ist dem Lobbyismus schon in den Vorberatungen zum Opfer gefallen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warten Sie mal ab, Herr Kollege!) - Das muss man so deutlich sagen: Es ist dem Lobbyismus zum Opfer gefallen. Sie sind mit diesem Gesetzentwurf als Tiger gestartet, und Sie landen als Bettvorleger. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nicht einmal als Bettvorleger!) Nichts anderes ist das, was Sie hier vorführen. Im ursprünglichen Gesetzentwurf, im Referentenentwurf des Bundesfinanzministers, war natürlich auch vorgesehen, den grauen Kapitalmarkt, vor allem die freien Vermittler und nicht nur die Banken diesem Gesetz zu unterwerfen und damit eine einheitliche und ganzheitliche Regelung zu treffen. Damit ist Herr Schäuble bei Herrn Brüderle gescheitert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) An dieser Stelle ist aus politischer Opportunität ein schwerer konzeptioneller Fehler gemacht worden. Die Fairness im Verbraucherschutz geht baden, der Lobbyismus blüht. Das ist die Wahrheit, die wir hier sehen. (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen gerne anhand eines Beispiels verdeutlichen, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Unsere Grundüberzeugung ist - diese Überzeugung wurde auch von der Kanzlerin vor der G 20 betont -, dass wir einheitliche Regelungen für alle brauchen. Sie wollen aber nur die Beratungen, die den Bankensektor betreffen, regeln, und alles, was den Markt der freien Vermittler betrifft, zur Ausnahme erklären. Sie nehmen diesen Bereich aus dem Kreditwesengesetz heraus und packen ihn in die Gewerbeordnung. Damit wird dieses Gesetz ein zahnloser Tiger. Das haben die FDP, Brüderle und die entsprechende Lobby zu verantworten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich hoffe, dass es an dieser Stelle Änderungen gibt. Ich bin sehr auf die Debatte und vor allen Dingen auf die weiteren Beratungen gespannt. Natürlich wollen wir nicht überbürokratisieren. Aber es gab den Vorschlag, das Kreditwesengesetz in der Weise behutsam auszugestalten - sozusagen ein KWG light zu schaffen -, dass kleine Unternehmen, die im Vermittlungsgeschäft tätig sind, anders behandelt werden als zum Beispiel die Deutsche Bank und andere Großbanken. Da gibt es Möglichkeiten. Am Ende des Tages müssen vor allem der Anleger und der Verbraucher geschützt werden. Das ist die politische Herausforderung, vor der wir stehen. Sie bieten uns aber nur eine Mogelpackung. Ich möchte dieses Thema vertiefen; wir haben im Finanzausschuss schon angefangen, darüber zu diskutieren. Herr Kollege Flosbach hat sehr ausführlich dargestellt, (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist ein guter Mann! Da haben Sie recht!) es werde ein einheitliches Recht für Vermittler geschaffen, in das Vermittler von Versicherungen einbezogen seien. Wunderbar, kann ich nur sagen. Aber wenn man sich das Ganze etwas genauer anschaut, dann wird man feststellen, dass schon jetzt 70 bis 80 Prozent der Vermittler aus der Aufsicht herausfallen. Vor allem aber wollen Sie die Aufsichtsregelungen in die Gewerbeordnung packen. In diesem Zusammenhang muss man sich fragen: Wer ist dann die Aufsicht? Es ist dann nicht mehr die BaFin, sondern es sind die Gewerbeämter. Schauen Sie sich einmal die Aufgaben der Gewerbeämter an. Sie kümmern sich um die Gaststättenhygiene und viele andere Dinge. Sie sind außerdem personell unterbesetzt und unterliegen in jedem Bundesland anderen Regelungen. Wir bekommen, was die Aufsicht angeht, einen Flickenteppich und keinen allgemein geltenden Schutz der Anlegerinnen und Anleger. Das ist das Manko dieses Gesetzentwurfs. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Dies ist nicht nur die Meinung der Sozialdemokraten und der Opposition insgesamt. Ich bin sehr froh darüber, dass es auch unterstützende Stimmen bis in die Regierungsfraktionen hinein gibt. Ich möchte zunächst auf den entsprechenden Bundesratsbeschluss hinweisen. Der Bundesrat hat mit Stimmen der CDU-Länder beschlossen: Demgegenüber spricht sich der Bundesrat dafür aus, den Grauen Kapitalmarkt angesichts der inhaltlichen Sachnähe in den Anwendungsbereich des Wertpapierhandlungsgesetzes einzubeziehen. (Beifall bei der SPD) Recht hat er. Meine Damen und Herren, hören Sie also auf den Bundesrat! (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Gilt das immer, Herr Kollege?) - Immer dann, wenn der Bundesrat recht hat. Wir sind mit Blick auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg auf einem sehr guten Wege, Herr Dautzenberg, dass sich die Mehrheit im Bundesrat weiter zu unseren Gunsten verändert. Frau Merk, die Verbraucherschutzministerin in Bayern, sagte ganz ausdrücklich: Daher bin ich überrascht, dass nun offenbar doch die Gewerbeaufsicht weiterhin für die freien Anlageberater und -vermittler zuständig sein soll. Sie lehnt diese Regelung ebenfalls ab. Ich kann sie dabei nur unterstützen. Frau Merk, setzen Sie sich durch! Herr Kollege Dautzenberg, Sie haben sich in vornehmer und zurückhaltender Weise geäußert. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist meine Art, Herr Kollege!) - Ja, das ist Ihre charmante Art. Das freut mich. - Sie haben gesagt: Mit einer deutlich erleichterten Aufsicht nach dem Kreditwesengesetz hätte der Verbraucherschutz im Finanzdienstleistungsbereich deutlich verbessert werden können. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ich bleibe dabei!) Das ist richtig. Nun geben Sie sich auch einmal Mühe. Setzen Sie die bessere Regelung durch! Der graue Kapitalmarkt muss staatlich beaufsichtigt werden. Damit fällt er unter das KWG und unter die Aufsicht der BaFin und nicht der Gewerbeämter. (Beifall bei der SPD) Das müssen wir im Laufe der Beratungen erreichen. Zum vorliegenden Gesetzentwurf will ich sagen: Er geht in die richtige Richtung; denn die Befugnisse der BaFin sollen ausgeweitet werden. Die BaFin soll in Zukunft - zumindest für den Bereich der Banken - ein Vermittlerregister mit der Möglichkeit zur Aufnahme von Beschwerdemeldungen führen. Das führt zu verbesserten Informationen. Es gibt aber noch gewaltige Mängel im Bereich der Qualifikation des Personals. Solche Mängel sehe ich auch beim Produktinformationsblatt. Die SPD hat Vorschläge gemacht, wie das Produktinformationsblatt viel konkreter gefasst werden kann. Das brauchen wir; das muss umgesetzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich die offenen Immobilienfonds ansprechen. Das ist ein weiterer Regelungsbereich, in dem gerade angesichts der Verwerfungen der letzten Wochen Schritte vorgenommen werden sollten. Ich verweise auch hier auf ein Votum des Bundesrates: Es ist zu überlegen, wie auf der einen Seite die privaten Anleger und auf der anderen die institutionellen Anleger zu behandeln sind. Schafe und Wölfe müssen voneinander getrennt werden; nur dann bringen wir einen ordentlichen Anlegerschutz zustande. (Beifall bei der SPD) Wir stehen vor einem Beratungsverfahren, in dem verschiedene Änderungen in Angriff genommen werden müssen. Ich fordere Sie vor allem auf, dass Sie die Gesetzgebungsvorhaben, die Sie aus politisch-lobbyistischen Gründen künstlich voneinander getrennt haben, wieder zusammenführen, damit Deutschland einen einheitlichen Anlegerschutz erhält. Wir brauchen dafür eine deutliche Revision des vorliegenden Gesetzentwurfs. Herr Brüderle muss zurücktreten. Herr Schäuble hat an der Stelle den richtigen Weg gewählt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) An dieser Stelle möchte ich ihn unterstützen und bestärken. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie Kollege Schäffler von der FDP dieses Thema lobbyistisch darstellen wird. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich unterbreche die Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt und teile das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem von der Fraktion Die Linke eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz - mit: abgegebene Stimmen 521. Mit Ja haben gestimmt 61, mit Nein haben gestimmt 400, Enthaltungen 60. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 524; davon ja: 61 nein: 400 enthalten: 63 Ja DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Daðdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Wolfgang Neškovic Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Leo Dautzenberg Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Schröder Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller (Erlangen) Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Lothar Binding (Heidelberg) Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf (Rosenheim) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ulrich Kelber Lars Klingbeil Daniela Kolbe (Leipzig) Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Olaf Scholz Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Petra Müller (Aachen) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Ulrike Höfken Enthalten DIE LINKE Dr. Ilja Seifert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Nicole Maisch Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Wir kommen zurück zur Tagesordnung. Ich erteile Kollegen Frank Schäffler für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schäffler (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt drei Aspekte. Erstens geht es um die offenen Immobilienfonds, also um die Frage: Wie können wir die offenen Immobilienfonds für die Zukunft fitmachen, sodass sie für die Kleinanleger in Deutschland tatsächlich eine attraktive Anlage darstellen? Die Notwendigkeit, hier Änderungen vorzunehmen, ist sicherlich der Geschichte dieser Produkte geschuldet. Inzwischen wurden 25 Prozent der Fonds, gemessen am Anlagevolumen, geschlossenen oder befinden sich in der Abwicklung. Insofern gibt es in diesem Bereich Handlungsbedarf. Der Handlungsbedarf besteht auch deshalb, weil der Handel mit diesen Produkten etwas schwierig ist; denn Immobilien sind schon dem Namen nach immobil und damit nicht für eine tägliche Veräußerung geeignet. Bisher waren die Anteile der offenen Immobilienfonds aber täglich veräußerbar. Die damit verbundene sogenannte Fristeninkongruenz wurde in der Finanzkrise leider zum Problem - das stellen wir auch in der aktuellen Situation fest -: Es kommt zu zusätzlichen Schließungen. Da müssen wir uns als Gesetzgeber Gedanken machen: Wie können wir dieses Produkt fitmachen? Wir tun das, indem wir Haltedauern einführen und Freibeträge für Kleinanleger schaffen, sodass sie monatlich Geld aus dem Fonds herausnehmen können, unabhängig von der Haltedauer. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, um dieses Produkt für die Zukunft fitzumachen. Zweitens geht es um die Frage, wie mit Finanzinstrumenten umzugehen ist, die im Falle der Übernahme von Unternehmen - etwa bei VW und Porsche oder bei Schaeffler und Conti - zum Anschleichen genutzt wurden, also um Mehrheiten zu beschaffen, ohne das dem Kapitalanleger mitzuteilen. Unsere Regelungen haben sehr viel mit Anlegerschutz zu tun; denn dieses Vorgehen hat im Wesentlichen denjenigen Kleinanlegern in Deutschland massiv geschadet, die in Finanzinstrumente investiert hatten, die zum Beispiel an die Entwicklung des Deutschen Aktienindex angelehnt sind. Insofern ist der Gesetzentwurf ein großer Beitrag zum Anlegerschutz. Wir setzen das jetzt in der Koalition um. Das haben Sie von der SPD im Jahr 2008, als diese Fälle auftraten, nicht getan. Drittens führen wir Sanktionsmöglichkeiten der BaFin im Bereich des Bankenmarktes im Falle von Falschberatungen ein. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Verbraucherschutz in Deutschland. Herr Sieling, darüber will ich mit Ihnen durchaus eine Diskussion führen. Es ist wichtig, dass wir die Frage des freien Vertriebes hier nicht geregelt haben; denn das, was Sie wollen, hätte zu einer massiven Marktbereinigung in Deutschland geführt. Hunderttausende von Arbeitsplätzen in dieser Branche wären verloren gegangen, wenn wir das gemacht hätten, was Sie gewollt haben. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Aber auch ein paar schwarze Vögel wären vom Markt gegangen!) Es hätte nämlich dazu geführt, dass freie Vermittler plötzlich Beratungskosten und BaFin-Gebühren in fünf- und sechsstelliger Höhe hätten bezahlen müssen. Das hätte zwangsläufig zur Folge gehabt, dass die kleinen Vermittler in Deutschland vom Markt verschwunden wären. Es ist nicht so, dass die Banken grundsätzlich gut beraten und die freien Finanzvermittler schlecht beraten. Da gibt es ebenfalls sehr viele, die völlig richtig vorgehen. Unser Ansatz ist ein völlig anderer. Unser Ansatz ist, dafür zu sorgen, dass der freie Vertrieb einheitlich geregelt wird. Sie haben es in Ihrer Zeit nicht geschafft, den freien Vertrieb einheitlich zu regeln. Wer in Deutschland Versicherungen vermittelt, unterliegt einem anderen Standard als derjenige, der geschlossene Fonds vermittelt. All das ist unterschiedlich geregelt. Wir werden dafür sorgen, dass das Ganze künftig einheitlich geregelt ist, dass es einheitliche Mindeststandards, einheitliche Qualifikationsstandards und einheitliche Haftungsvoraussetzungen in diesem Markt gibt, damit sich die schwarzen Schafe nicht in den rechtlich weniger regulierten Bereich begeben können. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zum Verbraucherschutz in Deutschland. Letztendlich sollen die schwarzen Schafe vom Markt verschwinden. Das ist das Ziel dieser Koalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sieling? Frank Schäffler (FDP): Bitte. Dr. Carsten Sieling (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Kollege, Sie haben wahrscheinlich zur Kenntnis genommen, dass die Umsetzung des Vorschlags, ein "KWG light", was die Gebühren angeht, zu schaffen, nicht dazu geführt hätte, dass die Kleinen vom Markt verschwunden wären. Ich bitte Sie, das der Ehrlichkeit halber an dieser Stelle zu sagen. Genauso müssen Sie feststellen, dass die Einheitlichkeit nicht geboten ist. Wird Ihr Vorschlag umgesetzt, gilt Folgendes: Wenn ich, um eine Anlage zu tätigen, zur Bank gehe, muss ich nach Recht und Gesetz behandelt werden. Gehe ich danach zum Vermittler, dann weiß ich nicht, inwieweit ich noch rechtlichem Schutz unterliege oder ob ich nur in Gottes Hand bin. Das ist das Problem: Sie organisieren Uneinheitlichkeit. Frank Schäffler (FDP): Nein, das tun wir nicht. "KWG light" ist wie "Coca-Cola light": Das Produkt verspricht nicht, was es hält. "KWG light" ist der falsche Ansatz gewesen. "KWG light" hätte ebenfalls dazu geführt, dass bei den Beratern ganz erhebliche Gebühren entstanden wären. Außerdem wäre ein Problem aufgetaucht, das Sie in Ihrer Regierungszeit nicht gelöst haben: Die freien Vermittler in Deutschland wären der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen unterstellt worden. In der Folge hätten die freien Vermittler ein Defizit von 180 Millionen Euro, das die EdW derzeit vor sich her schiebt, weil sie den Entschädigungsfall Phoenix Kapitaldienst in Deutschland nicht bewältigen kann, decken müssen. Sie haben dieses Problem in Ihrer Regierungszeit nicht gelöst. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben viel dazu beigetragen, dass der Mittelstand in Deutschland noch seine Existenzberechtigung hat. Gleichzeitig haben wir dazu beigetragen, einen konsistenten Vermittlermarkt in Deutschland zu schaffen. Dadurch können nicht nur die Großen überleben; vielmehr haben auch die Kleinen eine Chance, auf diesem Markt zu existieren. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten ist dringend notwendig. Viele Kleinanleger haben in der Finanzkrise ihr mühsam erspartes Geld verloren. Sie verlieren bis jetzt durch Falschberatung jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro. Es sind noch immer zweifelhafte Finanzprodukte auf dem Markt. Noch immer werden Kreditnehmer mit undurchsichtigen Verträgen oder auch durch überhöhte Dispozinsen abgezockt. Das alles gibt es noch, und das zwei Jahre nach der Pleite der Bank Lehman Brothers. Hier hat die Bundesregierung tatsächlich viel zu lange gewartet, um einen Gesetzentwurf vorzulegen. Welche Vorschläge macht uns die Regierung jetzt? Ein großer Wurf ist das nicht, vielmehr ein Katalog mit Minimaländerungen. Beginnen wir mit dem Infoblatt. Nachdem die Verbraucherministerin Aigner mit dem freiwilligen Beipackzettel offenbar gescheitert ist, wird uns jetzt ein gesetzlich festgeschriebenes Infoblatt vorgeschlagen. Das ist gut so. Das hat die Opposition, insbesondere die Linke, immer gefordert. Aber wenn Sie dem nachkommen: Bitte schön nicht so! Für die konkrete Ausgestaltung des Infoblatts sollen die Finanzinstitute selbst zuständig sein. Insofern ist das zentrale Kriterium für ein solches Informationsinstrument, die Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Instituten, nicht erfüllt. Ich habe, ehrlich gesagt, kein Verständnis dafür, dass man schon bei diesem kleinen Punkt vor den Finanzinstituten kapituliert hat. Es soll ein Beraterregister eingeführt werden; Sie haben es erwähnt. Dabei kann es sicherlich nicht nur darum gehen, das Fehlverhalten von Beratern zu dokumentieren. Das Kernproblem bei der Beratung ist für uns die provisionsgetriebene Beratung. Es kann doch nicht sein, dass Berater gerade dann gut verdienen, wenn sie ihren Kunden hochriskante Produkte anbieten. (Beifall bei der LINKEN) In einigen Fällen ist Rentnern eine Lebensversicherung mit jahrzehntelanger Laufzeit angedreht worden, weil die Banken daran prima verdient haben. Wir sagen: Finanzberatung muss unabhängig sein. Das leistet Ihr Gesetzentwurf nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir Linke bleiben dabei: Finanzschrott gehört unserer Auffassung nach überhaupt nicht auf den Markt. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen wollen wir einen Finanz-TÜV einrichten, der die Finanzprodukte vor ihrer Zulassung prüft. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ein zentrales Problem ist - Kollege Sieling von der SPD hat schon darauf hingewiesen -, dass Ihr Gesetzentwurf eine völlig unzureichende Regulierung des sogenannten grauen Kapitalmarkts vorsieht. An dieser Stelle ist die Bundesregierung vor der Finanzlobby komplett eingeknickt. Der völlig unregulierte graue Kapitalmarkt muss unserer Auffassung nach einer einheitlichen Finanzaufsicht unterstellt werden. Stattdessen schlagen Sie vor, dass die Kontrolle des Vertriebs von Produkten des grauen Kapitalmarkts der Gewerbeaufsicht unterstellt wird. Die Gewerbeaufsicht überprüft normalerweise die Einhaltung von Hygienevorschriften in Betrieben und die Einhaltung des Nichtraucherschutzes. Jetzt soll sie auch für Finanzprodukte zuständig sein. Es sieht doch jeder, dass die Gewerbeaufsicht die falsche Institution ist. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) Der Bundesrat hat das verstanden und die Bundesregierung aufgefordert, endlich einen Vorschlag zu einer einheitlichen Finanzaufsicht vorzulegen. Einer weiteren zentralen Anforderung im Zusammenhang mit der Regulierung der Finanzmärkte kommt Ihr Gesetzentwurf nicht nach. Wir müssen den Verbraucherschutz endlich als wichtige Aufgabe der Finanzaufsicht festschreiben. Deswegen sagen wir: Wir wollen eine Verbraucherschutzbehörde. Wir wollen, dass die Finanzmärkte von starken Verbraucherverbänden, die als Marktwächter fungieren, kontrolliert werden. (Beifall bei der LINKEN) Auch hinter diesem Anspruch bleibt Ihr Gesetzentwurf meilenweit zurück. Mit verstreuten Minimaländerungen ist es nicht getan. Sie müssen endlich den Mut aufbringen, die Finanzmärkte verbrauchergerecht zu regulieren. Diesem Anspruch werden Sie mit diesem Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Staatssekretär hat es am Anfang gesagt: Das Anlegerschutzgesetz sollte die Verbraucherinnen und Verbraucher umfassend schützen und verlorenes Anlegervertrauen zurückbringen. Ich denke, gemessen an diesem Vorhaben sind Sie mit diesem Gesetzentwurf gescheitert. Sie scheitern nicht nur an den Anforderungen eines modernen Anlegerschutzes, sondern auch an Ihren eigenen Vorgaben aus dem Koalitionsvertag von Schwarz-Gelb. Darin steht: Ein angemessener Anlegerschutz gegen unseriöse Produktanbieter ... wird prinzipiell unabhängig davon gewährleistet, welches Produkt und welcher Vertriebsweg vorliegt. (Frank Schäffler [FDP]: In Anlehnung an das Versicherungsvermittlerrecht!) Dieses Versprechen lösen Sie nicht ein. Sie lassen den grauen Kapitalmarkt in weiten Teilen unreguliert. (Frank Schäffler [FDP]: Das ist totaler Quatsch!) Tausende Produkte und viele Vermittler, die sogenannten freien Vermittler, sind von der Regulierung nicht betroffen. Ich finde, das ist kein fairer Wettbewerb. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kritisiert übrigens auch Frau Aigner in der Ausgabe des manager magazins von dieser Woche. Sie sagte, sie möchte, dass die BaFin auch für diese Vermittler und für diese Produkte zuständig ist. Dieser Gesetzentwurf ist eine Niederlage für den Verbraucherschutz, aber auch für Ihre Verbraucherschutzministerin. Das merkt man am Produktinformationsblatt. 2009 hat Frau Aigner einen eigenen Entwurf vorgestellt und folgendermaßen gerühmt: Unser heute vorgestelltes standardisiertes Produktinformationsblatt ist ein ganz großer Fortschritt für den Verbraucherschutz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wird leider in diesem Gesetzentwurf nicht eingelöst. Ihr Produktinformationsblatt ist bezüglich Form, Struktur und Inhalt weder standardisiert noch transparent. Denn dieses Produktinformationsblatt - das ist der entscheidende Nachteil - wird nur in der Beratungssituation beim Finanzvermittler in der Bank vorgelegt. Jetzt frage ich Sie: Wenn ich zehn verschiedene Produkte vergleichen möchte, muss ich im Zweifelsfall, da nicht jede Bank jedes Produkt anbietet, zehn Gespräche führen? (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie können nicht alles vergleichen! Das geht nicht!) Nach diesen zehn Gesprächen habe ich nicht nur unglaublich viel Zeit vertan, sondern im Zweifelsfall auch noch andere Produkte aufgeschwatzt bekommen, die ich gar nicht möchte. Ich finde, wenn man Transparenz und Wettbewerb will, muss man Informationen einfach zugänglich machen und darf sie nicht verstecken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie haben es in der Diskussion bisher nicht geschafft, klarzumachen, inwieweit dieses Produktinformationsblatt mit den Regelungen auf europäischer Ebene abgestimmt ist. Ich bin sehr gespannt, ob sich die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht in kurzer Zeit wieder an neue Vorgaben gewöhnen müssen. Wir sagen: Ein Produktinformationsblatt muss bezüglich der Form und Reihenfolge der Informationen klar standardisiert sein, damit man auf einen Blick erkennen kann, wie die unterschiedlichen Produkte aufgebaut sind. Natürlich müssen die Kosten in Euro und Cent angegeben sein. Wir wünschen uns, dass auch ökologische und soziale Aspekte - diese interessieren mittlerweile immer mehr Anleger - in diesem Informationsblatt aufgezeigt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mich erinnert Ihr Produktinformationsblatt ein bisschen an das Beratungsprotokoll. Auch das war ein halbgares Konzept, das im Praxistest bei BaFin und Verbraucherverbänden durchgefallen ist. Ich wünsche mir sehr, dass Sie den Gesetzentwurf in den Beratungen nachbessern. Ich finde es interessant, wo die Lücken im Gesetzentwurf sind. Wir haben schon über den grauen Kapitalmarkt gesprochen. Sie haben zugegeben, dass noch nachzuarbeiten ist. Der Bundesrat und verschiedene Fraktionen dieses Hauses haben Ihnen hierzu Vorschläge gemacht. Wir denken, dass man in den Anhörungen und parlamentarischen Beratungen auch über die Ausgestaltung der Finanzaufsicht mit Blick auf Verbraucherschutzaufgaben diskutieren muss. Unsere Vorschläge zu diesen Themen liegen Ihnen vor. Wir wünschen uns, dass Sie diese unvoreingenommen prüfen. Der Gesetzentwurf hat in einigen Teilen richtige Ansätze, aber die Lücken sind so groß, dass man unbedingt nacharbeiten muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Klaus-Peter Flosbach für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist meines Erachtens eine sehr wichtige Diskussion. Herr Sieling, ich kann nicht verstehen, dass Sie überhaupt nicht zum Inhalt des Gesetzentwurfes gesprochen haben. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie haben nicht zugehört!) Es ist nicht zu begreifen. Wir haben einen solch wichtigen Gesetzentwurf vorliegen und müssen uns über die Inhalte austauschen, und Sie haben ausschließlich über das Verfahren gesprochen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Nein! Über den falschen Inhalt!) In wenigen Wochen werden wir uns über die Themen, die Sie angesprochen haben, ausführlich unterhalten. Deswegen verstehe ich Ihr Verhalten überhaupt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Einen der wesentlichen Punkte in diesem Gesetzentwurf, den auch Sie angesprochen haben, möchte ich einmal erläutern: die offenen Immobilienfonds. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Es gibt in der Baubranche einen alten Spruch: Wer ruhig schlafen will, der setzt auf Beton. Das ist eine Werbung der Baubranche. Viele haben das ewig berücksichtigt und bei einem großen Teil ihrer Altersvorsorge auf Immobilien gesetzt. 3 Millionen Deutsche sind an einem offenen Immobilienfonds beteiligt. Was ist das? Ein offener Immobilienfonds ist ein Topf, in dem Kaufhäuser, Bürohäuser und andere verschiedene Immobilien sind. Der durchschnittliche Ertrag aus diesen Fonds betrug über die letzten 45 Jahre im Durchschnitt 5 oder 6 Prozent; die Spannbreite lag bei 3 bis 9 Prozent. Das hat also immer funktioniert. Viele Selbstständige, die keine Rente, keine Pension haben und Geld anlegen müssen, haben ihre Altersvorsorge darauf aufgebaut. Wer 50 000 Euro angelegt hatte, konnte nach 30 Jahren jeden Monat 250 Euro entnehmen. Plötzlich funktioniert dieses System nicht mehr. Warum funktioniert es nicht mehr? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wegen der institutionellen Anleger!) Das Gesetz hatte eine Lücke. Großanleger konnten, ohne dass ihnen Kosten entstanden, in den Fonds einsteigen und aussteigen und ihm so die gesamte Liquidität entziehen. Das ist ein Problem, das früher nicht erkannt worden ist, weil die Großanleger erst eingestiegen sind, als die Festzinssätze so niedrig waren, dass es für sie interessanter war, in einen solchen Fonds zu investieren. Aus diesem Grund sind wir gezwungen, dieses Thema heute aufzugreifen. Wir müssen dort ansetzen, wo es Mängel im System gibt. Dabei müssen wir nicht die Großanleger, sondern die Kleinanleger schützen. Das ist die Aufgabe des Parlaments. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Typisch! Wenn er keine Redezeit bekommen hat, stellt er immer Fragen!) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Ja, klar. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Thema betrifft sowohl den Verbraucherschutz als auch die Finanzpolitik. Wir beide sind übrigens einer Meinung, während das Verbraucherschutzministerium heute durch Abwesenheit glänzt. Zu meiner Frage. Sie haben gerade gesagt, plötzlich sei bekannt geworden, dass es eine Lücke im Gesetz gibt. Können Sie mir erklären, warum die CDU/CSU-Fraktion diese Gesetzeslücke zum Jahreswechsel 2005/ 2006, als in einer ersten Welle eine Reihe von offenen Immobilienfonds geschlossen wurde - diese Gesetzeslücke war schon damals sichtbar; sie wurde republikweit thematisiert -, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja! Die wollten das aber selbst regeln!) nicht erkannt hat, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Doch!) sondern dem Petitum des Branchenverbandes BVI gefolgt ist und eine konsequente Regulierung unterlassen hat, was uns heute noch Probleme bereitet? Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Kollege, wir haben uns schon damals mit diesem Thema befasst, aber auch darauf gesetzt, dass die Fehler, die damals erkannt worden sind, vom Markt behoben werden. (Zuruf von der SPD: Ja, ja! Darauf setzen Sie immer!) Wir haben erkannt, dass dies nicht der richtige Weg war. Übrigens haben auch die Grünen einen falschen Weg eingeschlagen, als Sie damals einen Antrag, der 30 For-derungen enthielt, eingebracht und vorgeschlagen haben, einen Sicherungsfonds einzurichten. Immobilienfonds sind Marktprodukte, deren Wert sich steigern, sich aber auch verringern kann. Da dieses Marktprodukt Risiken und Chancen birgt, macht es keinen Sinn, über die Einrichtung eines Sicherungsfonds zu sprechen. Wir haben eingesehen, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind. Jetzt gehen wir daran, diese Fehler zu beseitigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Carsten Sieling [SPD]: Und was sagen Sie zu der Kritik des Bundesrates?) - Auf dieses Thema komme ich noch zu sprechen, falls der Präsident mir zehn Minuten mehr Redezeit gibt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Dann müssen Sie Ihre Rede anders strukturieren!) Wichtig ist: Ein offener Immobilienfonds ist eine langfristige Anlage; das wissen wir. Das war immer so geplant und soll auch in Zukunft so bleiben. Deshalb wollen wir mehrere Maßnahmen ergreifen. Als erste Maßnahme treffen wir die Regelung, dass monatlich bis zu 5 000 Euro aus einem solchen Fonds entnommen werden können. Als zweite Maßnahme setzen wir eine Mindesthaltedauer von zwei Jahren fest. Wir wollen, dass das "rein in den Fonds" und "raus aus dem Fonds" aufhört. Ich glaube, dadurch werden die meisten Anleger, gerade Großanleger, abgeschreckt. Auch aus Gründen des Verbraucherschutzes ist allerdings fraglich, ob es richtig ist, von jemandem, der im dritten Jahr seiner Beteiligung Geld entnehmen will, einen zehnprozentigen Abschlag zu verlangen. Wenn die Regelung getroffen wird, dass beispielsweise jemand, der 30 000 Euro entnehmen will, um sich ein Auto zu kaufen, einen Abschlag in Höhe von 3 000 Euro hinnehmen muss, frage ich mich: Worin besteht das systemische Risiko für den Fonds, das es rechtfertigt, einen Abschlag in Höhe von 10 Prozent zu verlangen? (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!) Ich halte dies nicht für richtig. Meines Erachtens ist es ein Fehler des Gesetzentwurfes, dass nach vier Jahren Haltedauer in unbeschränkter Höhe Geld entnommen werden kann. Ein Großanleger, der 50 Millionen Euro in einen solchen Fonds investiert hat, könnte nach vier Jahren den gesamten Betrag entnehmen. Das würde auch die Liquidität des Fonds berühren. Ich halte es für richtig, in Abhängigkeit von der Summe, die investiert wurde, gewisse Staffelungen vorzunehmen und entsprechende Kündigungsfristen festzusetzen. Das wäre meiner Meinung nach eher im Interesse der Verbraucher. Damit bin ich beim Thema Anlegerschutz. Herr Sieling, wenn ein Produkt 45 Jahre lang funktioniert hat, wer ist schuld, wenn es dann nicht mehr funktioniert? Was werden die Anleger sagen? (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Den müssen wir uns schnappen! - Frank Schäffler [FDP]: Der Sieling ist schuld!) Die Rahmengesetzgebung war in diesem Zeitraum nicht richtig. Schuld ist nicht der Vermittler - ob eine Bank oder ein freier Vermittler -, der dieses Produkt vielleicht gutgläubig vermittelt hat. Der Anlegerschutz ist ein wichtiger Bestandteil dieses Gesetzentwurfs. In den nächsten Monaten werden wir noch sehr intensiv über dieses Thema diskutieren; denn der Anlegerschutz hat für uns sehr große Bedeutung. Das macht dieses Beispiel sehr deutlich. Für offene Immobilienfonds gibt es übrigens kein Risiko-Chancen-Raster, was bei geschlossenen Fonds sonst immer der Fall ist. Im Prospekt sind also noch Fehler enthalten. Die Anleger müssen wissen: Mit offenen Immobilienfonds können sie einen Verlust erleiden. Auch mit einer Lebensversicherung können sie einen Verlust erleiden. Wenn ein Lebensversicherungsvertrag frühzeitig gekündigt wird, wird möglicherweise überhaupt keine Rendite erzielt, sondern man hat einen hohen Verlust gemacht. Das kann selbstverständlich auch bei einem geschlossenen Fonds geschehen. Meine Empfehlung ist deswegen, dass die Produkte im Markt grundsätzlich geprüft sein müssen; denn beim offenen Immobilienfonds liegt der Fehler beim Produkt und nicht beim Vermittler. Das heißt, alle Produkte, die im Markt sind, müssen geprüft sein. Wir brauchen eine Prospektprüfung, und bei geschlossenen Fonds brauchen wir meines Erachtens zusätzlich beispielsweise noch eine Überprüfung durch Wirtschaftsprüfer. Folgendes halte ich bei noch stärkerer Einbeziehung der BaFin für richtig: Eine Fachgruppe sollte eine kohärente, systematische Überprüfung dieser Produkte vornehmen, damit keine falschen und "faulen" Produkte in die Märkte kommen. Ich denke, hier ist ein wichtiger Ansatzpunkt, und hier können wir auch etwas leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Für die Kunden ist es natürlich auch wichtig, dass sie ein Produktinformationsblatt bekommen, das heißt, verständlich über das Produkt informiert werden. Wichtig ist natürlich auch, dass hierin die Kosten aufgeführt sind. Die Kosten, die Chancen und vor allen Dingen auch die Risiken müssen parallel zu jedem Produkt ausgewiesen werden. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir wollen in Kürze das Vermittlerrecht vereinfachen; der Kollege Schäffler hat darauf hingewiesen. Ich glaube, es ist wichtig, dass für Versicherungsprodukte, Investmentprodukte und geschlossene Fonds ein einheitliches Recht besteht. Frau Kollegin von den Grünen, Sie haben nicht auf all das hingewiesen, was wir vorhaben. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollten Sie ja machen!) Wir wollen ein öffentliches Register. In diesem öffentlichen Register muss stehen, welche Qualifikation der Einzelne hat. Es müssen Qualifikationsüberprüfungen vorgenommen werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Ich bin jetzt fertig, Herr Präsident. - Sie müssen eine Berufshaftpflichtversicherung haben. Viele werden gar keine Berufshaftpflichtversicherung bekommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Markt einheitlich gestalten. Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass viele Nebenberufler - - Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen vor allem zum Ende kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Das ist der vorletzte Satz. - Wir müssen dafür sorgen, dass viele Nebenberufler vom Markt verschwinden. Ich möchte zum Thema Finanzen nicht von Nebenberuflern beraten werden, genauso wenig, wie ich mich von einem Nebenberufler operieren lassen möchte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/3628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 35 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Dr. Barbara Höll, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft - Drucksachen 17/821, 17/891, 16/10500, 17/1486 - Berichterstattung: Abgeordnete Nadine Müller (St. Wendel) Christel Humme Miriam Gruß Cornelia Möhring Monika Lazar Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dorothee Bär (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im Jahr 2010 stehen wir bei vielen uns wichtigen Punkten leider noch nicht ganz da, wo wir eigentlich stehen sollten. Der erste Punkt ist die Entgeltungleichheit. Es ist auch für uns nicht hinzunehmen, dass der Equal Pay Day auch in diesem Jahr erst am 26. März stattgefunden hat: Frauen verdienen in Deutschland immer noch durchschnittlich 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist ein Zustand, den wir als christlich-liberale Koalition nicht hinnehmen wollen. (Caren Marks [SPD]: Oh!) Besonders befremdlich ist, dass sogar Berufsanfängerinnen bei einer vergleichbaren Tätigkeit durchschnittlich 18,7 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Deswegen hat die Bundesregierung mit dem Instrument Logib-D ein Instrument für Unternehmen zur Beseitigung des Verdienstunterschiedes von Frauen und Männern entwickelt. Mit diesem Instrument können wir die Ursachen dafür erkennen und betriebliche Lösungen für eine faire Bezahlung entwickeln. Ich denke, wir alle hier sind einer Meinung, dass eine derartige Lohnlücke einem modernen Land wie Deutschland nicht gut zu Gesicht steht. Der zweite wichtige Punkt für unsere Koalition und besonders auch für meine Fraktion ist natürlich, dass es einen viel zu geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen gibt. Zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Wirtschaft gab es bereits 2001 eine Vereinbarung zur Erhöhung des Frauenanteils auf Chefpositionen. Das war 2001; jetzt sind wir im Jahre 2010. Wenn man sich einmal anschaut, was von 2001 bis 2010 passiert ist, dann kann man höflich sagen: wenig. (Christel Humme [SPD]: Gar nichts!) Andere würden vielleicht sagen: gar nichts. Deswegen liegt Deutschland hinsichtlich des Anteils der Frauen an Führungskräften in der Privatwirtschaft unter dem EU-Durchschnitt an elfter Stelle. Im Jahr 2009 betrug der Anteil im Topmanagement der DAX-Unternehmen nur 0,6 Prozent. Das entspricht bei derzeit knapp 200 Vorständen von DAX-Unternehmen vier Frauen; ab März werden es wunderbarerweise fünf sein. Bei den Aufsichtsräten liegt der Anteil bei 12,8 Prozent; davon sind fast drei Viertel Vertreterinnen der Arbeitnehmerseite. Das ist in meinen Augen sehr beschämend. Beschämend ist das vor allem, wenn man sich andere Zahlen zu Gemüte führt: 51 Prozent der Hochschulabsolventen und 41 Prozent der Promoventen in diesem Lande sind weiblich. Daran sieht man, dass es eine eklatante Lücke gibt, die schleunigst geschlossen werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Für uns ist es nicht nachvollziehbar, dass gut ausgebildete, motivierte Frauen nicht im gleichen Stil Verantwortung übertragen bekommen wie Männer. Zudem ist Fakt: Frauen nicht zu fördern, ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Auf diesen Talentpool zu verzichten, ist insbesondere für die Unternehmen selbst irrational. Deshalb sieht unser Koalitionsvertrag auch einen Stufenplan zur Erhöhung des Frauenanteils in Vorständen und Führungspositionen vor. Ich möchte nicht verhehlen, dass auch in unserer Fraktion über eine Frauenquote beispielsweise in Aufsichtsräten diskutiert wird. Die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat hierzu einen Beschluss gefasst. - Herr Präsident, wenn Sie vielleicht nicht die ganze Zeit reden würden, wäre das ganz lieb. Danke schön. - Dieser Beschluss lautet, dass alle mitbestimmungspflichtigen Unternehmen im Rahmen einer Selbstverpflichtung bis zum Jahr 2014 den Frauenanteil auf mindestens 30 Prozent steigern sollen. Wenn das bis dahin nicht geschehen sein sollte, werden diese Unternehmen gesetzlich verpflichtet, den Anteil von Frauen in Führungspositionen und Aufsichtsräten bis spätestens 2018 auf mindestens 30 Prozent zu steigern. Das unterstütze ich. Aber ich muss auch sagen: Wer sich über Quoten und einen entsprechenden Zwang aufregt, muss ehrlicherweise auch feststellen, dass es bereits heute überall Quoten gibt, gerade in der Politik; da nennen wir es nur anders. (Mechthild Rawert [SPD]: Für die Männer?) - Hören Sie einfach einmal zu, anstatt so hereinzugackern. - Wir nennen es zum Beispiel in der Politik nicht Quote, sondern Proporz. Keiner regt sich auf, wenn ein Bundesland sagt, es müsse unbedingt vertreten sein. (Caren Marks [SPD]: Uns müssen Sie nicht überzeugen! Auf der anderen Seite und bei der Regierung sitzen die!) Selbst wenn irgendein unabhängiges Institut feststellen würde, dass die zehn Besten, die man in einem bestimmten Bereich haben könnte, alle aus einem Bundesland kommen - ich sage jetzt einmal: alle zehn aus Hessen oder aus Nordrhein-Westfalen; ich habe jetzt extra nicht Bayern gesagt, weil logisch ist, dass da die zehn Besten herkämen -, würden sicherlich auch alle anderen schreien: Wir müssen vertreten sein! - Die Keule des Qualitätsverlusts wird immer nur herausgeholt, wenn es um Frauen geht. Ich schließe mich an dieser Stelle Herrn Sattelberger von der Deutschen Telekom, dem ersten DAX-Unternehmen, das eine verbindliche Frauenquote eingeführt hat, an. Denn auch er - und das freut mich natürlich besonders -, ein Mann mit langjähriger Berufserfahrung, antwortet auf die Frage, woran es liegt, dass Frauen wenig Chancen haben, dass die Bestenauswahl häufig ein Mythos ist: Faktoren wie Hausmacht, Treuebonus, Vitamin B und Seilschaften sind oft ebenso starke Steigbügel auf dem Weg nach oben. Das wissen alle, und das wird von Männern problemlos akzeptiert. Wenn aber Frauen an die Macht wollen, wird die Keule der Bestenauswahl hervorgeholt. Deswegen sage ich auch: Wenn der Anteil von Frauen in Führungspositionen weiterhin in dem Tempo erhöht wird wie bisher, werden wir auf eine gesetzliche Initiative nicht verzichten können. Im Übrigen werden wir die Effektivität des Bundesgleichstellungsgesetzes dahin gehend bewerten, ob und wie Teilzeitkräfte unterstützt werden. Auch in Teilzeit muss es Frauen - und natürlich auch Männern - möglich sein, Führungspositionen zu übernehmen. Gerne wird dagegen ins Feld geführt, dass Präsenz in Leitungspositionen sehr wichtig ist. Ich denke, wir sind uns einig - zumindest diejenigen, die sich intensiv damit beschäftigen -, dass wir in diesem Lande einer sehr übertriebenen Anwesenheitskultur anhängen, von der wir uns verabschieden müssen; das würde meines Erachtens nicht nur den Müttern, sondern auch den Vätern sehr stark entgegenkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Durch unsere modernen Kommunikationsmittel ist es nicht mehr in der Weise wie früher notwendig, ständig vor Ort präsent zu sein. Auch das Besetzen einer Stelle mit zwei Führungskräften ist eine Option und wird meiner Meinung nach viel zu selten genutzt. Deswegen brauchen wir flexiblere Arbeitszeitmodelle. Sie sind ein Schlüssel, um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch von Familie und Karriere zu gewährleisten. Einige Ansätze in den Anträgen gehen in die richtige Richtung. Wir wollen aber mehr. Deswegen lehnen wir sie ab. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Lachen bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christel Humme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christel Humme (SPD): Frau Bär, schön analysiert. Wir fragen uns aber als Opposition, was die Regierung tatsächlich macht. (Caren Marks [SPD]: Nichts! - Weiterer Zuruf von der SPD: Peinliche Spiegel-Interviews geben!) In einem Interview ist diese Woche von der Frauenministerin etwas Erstaunliches zu lesen. Sie sagt darin, sie halte von Feminismus nichts, gibt aber gleichzeitig zu, dass es ohne den Feminismus keine Frauenministerin Schröder gäbe. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Herzlichen Glückwunsch, Frau Ministerin. Sie ist heute Nachmittag nicht anwesend; ich weiß nicht, wo sie ist. Errungenschaften in Anspruch zu nehmen, aber kein Wort der Würdigung der Erfolge einer breiten Frauenbewegung: Ich denke, das ist ein Armutszeugnis für eine Frauenministerin. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ministerin hat Politik- und Sozialwissenschaften studiert, wie man nachlesen kann, (Elke Ferner [SPD]: Das hat aber nicht geholfen!) aber das Kapitel politische Frauenbewegung offensichtlich überschlagen oder den Begriff des Feminismus falsch verstanden. Darum gestatten Sie mir, eine kleine Nachhilfe zu geben und etwas zu zitieren, das man in jedem Lexikon nachlesen kann: Feminismus bezeichnet den Einsatz und das Engagement für die soziale, politische und ökonomische Gleichstellung der Frauen und das mit dem Ziel der Befreiung aus Rollenzwängen und Stereotypen. Das passt auch gut zu Ihrer Rede, Frau Bär. In diesem Sinne sind wir alle - nicht nur die Frauen in der SPD - Feministen und Feministinnen. (Beifall bei der SPD) Wir sind stolz auf eine Frauenbewegung, die viel verbessert hat, und zwar sowohl für Frauen als auch für Männer. Die klassische Rollenverteilung gibt es leider noch, aber wir stellen fest, dass sie bröckelt. Immer mehr Männer wollen Familienarbeit übernehmen. Auch das ist Ergebnis des von der Ministerin so gescholtenen Feminismus. Frauen streben nach ökonomischer Unabhängigkeit und möchten die gleichen Berufschancen wie die Männer. Diese gewünschte Partnerschaftlichkeit und die Gleichstellung in Familie und Beruf zu unterstützen wäre die Aufgabe der Familien- und Frauenministerin. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was aber tut sie? Mit ihrer Parole "Jetzt sind Männer dran" schüttet sie Öl ins Feuer. Sie verstärkt alte Ressentiments und Vorurteile und spielt Männer gegen Frauen aus. Das haben wir mit Gender Mainstreaming nicht gemeint. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Vergangenheit gab es in der Tat Fortschritte, unter Rot-Grün zum Beispiel mit dem Bundesgleichstellungsgesetz und dem Recht auf Teilzeit für Mütter und Väter, damit sie in der Elternzeit beide ihr Kind erziehen können. Es gab sogar trotz starker Kritik aus der CSU Fortschritte in der Großen Koalition - auch das ist nicht zu verhehlen -, und zwar mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dem Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige und dem unter Rot-Grün entwickelten Elterngeld. Aber wo stehen wir heute nach einem Jahr Schwarz-Gelb? Die Ministerin bezeichnet sich selbst als konservativ und sagt - ich zitiere -: Für mich bedeutet Konservatismus, die Realität zu akzeptieren ... Wir erkennen an, dass es Unterschiede gibt, auch zwischen Mann und Frau. (Caren Marks [SPD]: Abtreten!) Welche politischen Konsequenzen sollen wir daraus ziehen? Ist alles gut so, wie es ist? Will die Ministerin die Hände in den Schoß legen? Ihr Stillstand ist ein Rückschritt für die Gleichstellung, und zwar für Frauen und Männer. Das ist nicht unser Ansatz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir wollen, dass es mit der Gleichstellung schneller geht, Frau Bär. Sie wollen das offensichtlich auch, aber Sie tun nichts. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Warten Sie ab, Frau Humme! Wir tun schon etwas! - Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Sie werden ganz erstaunt sein, was wir tun!) Wir haben heute ein umfassendes Konzept für den Arbeitsmarkt vorgelegt. Wir wollen nicht länger hinnehmen, dass Frauen kaum in Führungspositionen zu finden sind und dass ihre Karrierechancen eingeschränkt sind, und zwar nicht nur, weil sie Kinder haben, sondern auch deshalb, weil sie potenziell Mütter werden können. Wir wollen aber auch nicht hinnehmen - das haben Sie Gott sei Dank auch gesagt, Frau Bär -, dass die Lohnlücke immer größer wird. Der eigentliche Skandal dabei ist, dass 13 Prozent dieser Lohnlücke allein auf die Diskriminierung wegen des Geschlechts zurückzuführen sind. Ich glaube, das können wir nicht länger hinnehmen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fragen wir uns, was die Frauenministerin - und das betrifft leider genauso die Kanzlerin - eigentlich macht. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechte Interviews geben!) Sie rät den Frauen, sie sollten ihr Gehalt besser einfordern und weniger bescheiden sein. Sie sagt, die Frauen sollen selbstbewusster und tougher werden. Aber was tut sie damit? Sie gibt den Frauen die Schuld an der ungerechten Bezahlung. (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Eigenverantwortung!) - Ja, Eigenverantwortung. - "Helft euch selbst, ich tue es nicht", ist ihre Botschaft. Das ist nicht unser Ansatz. Wir stehen an der Seite der benachteiligten Frauen und fordern unter anderem - da sind wir weiter als Sie, Frau Bär - eine gesetzlich festgelegte Quote für Vorstände und Aufsichtsräte, ein Entgeltgleichheitsgesetz, das Lohndiskriminierung wirksam verhindert. Es stünde der Ministerin gut an, sich mit uns zusammen dafür stark zu machen. Aber dafür müsste sie selbst erst einmal selbstbewusster und tougher werden. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Caren Marks [SPD]: Ahnung müsste sie auch haben!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Nicole Bracht-Bendt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Nicole Bracht-Bendt (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Beschreibung der Situation von Frauen im Beruf enthält sowohl der Antrag der SPD-Fraktion als auch der Antrag der Linken viele Aussagen, die ich teile. Es ist vollkommen richtig, dass hinsichtlich der ungleichen Entlohnung und bei der Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und Leitungspositionen in Wirtschaft, Forschung und Lehre Handlungsbedarf besteht. Sie fordern eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer. Das alles unterstütze ich voll und ganz. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die FDP stimmt zu!) Aber, liebe Kollegin Humme, warum hat die SPD-Fraktion die Entgeltgleichheit nicht während ihrer Regierungszeit durchgesetzt? (Beifall bei der FDP - Christel Humme [SPD]: Weil die CDU dagegen war in der Großen Koalition!) Bereits damals lag der durchschnittliche Verdienst von Frauen 23 Prozent unter dem Gehalt der Männer - genau wie heute. Auch bei den Ursachen hat sich nichts Wesentliches geändert. Viele junge Frauen entschieden sich schon während Ihrer Regierungszeit für schlecht bezahlte Berufe ohne große Chancen auf berufliches Weiterkommen. Es ist keineswegs neu, dass Auszeiten vom Beruf die Karriere abbremsen und sich dies natürlich auch auf die Rente auswirkt. Daran hat sich seitdem nichts geändert. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann macht doch etwas!) In der Opposition wollen Sie nun mit der Brechstange per Gesetz die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben durchsetzen, und zwar mit einem riesigen Paket an Forderungen, vom enormen bürokratischen Aufwand ganz zu schweigen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sich freiwillig nichts tut!) Die Fraktion Die Linke tut so, als habe die christlich-liberale Bundesregierung bisher nichts getan, außer an die Selbstverpflichtung der Unternehmen zu appellieren. Die Linken verweisen auf den Fall Schlecker, weil in diesem Unternehmen viele Frauen beschäftigt sind, und behaupten, dass Dumpinglöhne durch radikale Lohnsenkungen sogar noch weiter abgesenkt werden sollen. Das ist unverschämt. Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, Sie wissen genau, dass die Bundesregierung diesbezüglich längst tätig geworden ist. Der Referentenentwurf vom 2. September 2010 sieht klare Regelungen vor, dass solche Praktiken verboten werden. Die christlich-liberale Koalition hat schon im ersten Jahr ihrer Regierungszeit einen Antrag zu wichtigen Schritten in der Gleichstellungspolitik vorgelegt. Wir sind davon überzeugt, dass wir die Männer mit ins Boot nehmen müssen. Dazu gehört, dass wir Stereotypen aufbrechen. (Beifall bei der FDP) Niemand schaut eine Frau schief an, wenn sie Ingenieurin oder Erzieherin wird. Ein Mann als Erzieher in der Kita muss hingegen nach wie vor um Anerkennung kämpfen. Deshalb hat die Bundesregierung zum Beispiel ein Programm zur Förderung von Männern in Kitas aufgelegt. (Christel Humme [SPD]: Dann bezahlen Sie den Mann doch besser! Dann kommt er auch! Die Frauen natürlich auch!) - Frau Humme, Sie müssten einmal den Bericht genau lesen, der zusammen mit diesem Programm vorgelegt wurde. Dann sehen Sie, dass der Gehaltsunterschied zwischen einem Kfz-Mechaniker und einem Erzieher nur gering ist. Daran liegt es also nicht. (Beifall bei der FDP) Die von Ihnen geforderte gesetzliche Frauenquote von mindestens 40 Prozent in Vorständen und Aufsichtsräten ist mit uns Liberalen nicht zu machen. Wir lehnen es ab, die Unternehmen zu bevormunden und ihnen per Gesetz vorzuschreiben, wie sie ihre Posten zu besetzen haben. Wenn Sie immer wieder auf Norwegen als Vorzeigeland verweisen, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist es auch! Wir waren doch zusammen da!) verschweigen Sie, dass dort viele kleine Unternehmen ihre Statuten geändert haben, um den strengen Regelungen zu entgehen. Sie ignorieren auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung gesetzliche Quoten ablehnt; (Caren Marks [SPD]: Das stimmt nicht!) Befragungen zeigen das immer wieder. In der Debatte zur Einführung einer Frauenquote während des jüngsten CSU-Parteitages waren es vor allem die jungen Frauen - also diejenigen, die es am meisten betrifft -, die sich in feurigen Reden vehement gegen die Quote aussprachen. Die FDP-Fraktion verschließt nicht die Augen davor, dass der Anteil von Frauen in leitenden Positionen der Wirtschaft immer noch verschwindend gering ist. Je größer das Unternehmen, desto weniger Frauen in der Chefetage. Dass die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen in der obersten Ebene am größten sind, ist ein Skandal. Wir brauchen unbedingt Transparenz bei den Gehältern. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt auf Logib-D-Verfahren. Das schafft Transparenz und macht sensibel für ungleiche Behandlung. Aus Imagegründen werden sich Unternehmen überlegen müssen, ob sie es sich leisten können, öffentlich als frauenfeindlich zu gelten. Leistung muss sich lohnen, für Frauen genauso wie für Männer. Unternehmen sollten darüber hinaus mehr tun. Die Telekom hat es uns vorgemacht. Es ist nicht nur die selbstverordnete Quote, die mich freut; die Telekom hat vielmehr ein ganzes Paket an karrierefördernden Maßnahmen für Frauen ergriffen. So hat das Unternehmen ein Konzept erarbeitet, wie es als Arbeitgeber mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kontakt bleibt, wenn sie zur Kinderbetreuung aussetzen. Gleichzeitig werden Fortbildungsmaßnahmen während der Elternzeit angeboten. Davon profitieren Mütter und Väter wie auch das Unternehmen selbst. Das zeigt, was ein Arbeitgeber für Eltern, also auch für Väter, tun kann. Ich wünsche mir, dass andere Unternehmen sich ein Beispiel daran nehmen und sich Gedanken über eigene Maßnahmen machen, um ihr Unternehmen familienfreundlicher zu gestalten. (Beifall bei der FDP - Christel Humme [SPD]: Wünschen Sie nur weiter!) Auch flexible Arbeitszeitmodelle gehören dazu. Kindererziehung und die Pflege von alten Menschen ist auch Sache von Männern. Wir brauchen eine gezielte Frauenförderung, und die darf nicht erst im Erwachsenenleben beginnen. Schon in der Schule müssen Mädchen lernen, selbstbewusst für ihre Rechte einzutreten. Mädchen wie Jungen müssen wissen, dass Hausarbeit nicht allein Sache der Frauen ist. Eine Studie des DIW Berlin zeigt eindrucksvoll, dass die Lohnkluft nicht nur in unterschiedlicher Qualifikation, Berufswahl und Berufserfahrung begründet ist; ein weiterer Faktor bei den Einkommensunterschieden ist nämlich das Ausmaß der Hausarbeit. Vollzeitbeschäftigte Männer mähen am Wochenende schon einmal den Rasen, vollzeitbeschäftigte Frauen übernehmen, ohne zu murren, täglich Wischmopp und Kochlöffel. Einkommen und Karriere müssen zurückstehen, wenn die Flexibilität für berufliche Termine oder Überstunden aufgrund der häuslichen Tätigkeit fehlt. Für die FDP-Fraktion steht außer Frage, dass die Gleichbehandlung von Frauen im Berufsleben überfällig ist. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Die christlich-liberale Koalition hat mit ihrem Antrag bereits viele Schritte hierzu unternommen. Ich verweise auf den Ressortbericht der Bundesregierung mit dem Titel "Verringerung des Verdienstabstandes zwischen Männern und Frauen" vom Juni 2010. Er enthält wichtige Erkenntnisse über die Gründe für die ungerechten Lohn- und Gehaltsunterschiede. Da heißt es zum Beispiel, dass die Dauer der Unterbrechung des Erwerbslebens eine besondere Rolle spielt. Laut Studien senke eine sechsmonatige Erwerbsunterbrechung den Lohn um 9 Prozent. Bleibe eine Frau nach Ablauf der Elternzeit ein weiteres halbes Jahr zu Hause bei ihrem Kind, erhöhe dies die Lohneinbuße um nochmals 15 Prozent. - Das müssen wir den Frauen sagen. Die Wirtschaft braucht mehr Frauen. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, moderne Arbeitsmöglichkeiten wie das Homeoffice anzubieten. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen auch die Kitaplätze!) Kindertagesstätten und flexible Arbeitsbedingungen für Mütter und Väter sind Bausteine auf dem Weg zu einem ausgewogenen Verhältnis der Geschlechter im Beruf. Dazu ist ein neues Rollenverständnis nötig, nicht nur der Männer, sondern auch der Frauen selbst. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Mechthild Rawert [SPD]: Was ändern Sie denn jetzt wirklich?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Cornelia Möhring für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleichstellung ist ein sehr großes Thema. Das haben wir in den vorherigen Reden gehört. Dazu gehört vieles. Ich werde mich aus diesem Grund auf das Thema Entgeltgleichheit beschränken. Eines möchte ich vorwegschicken: Frau Schröder ist heute nicht da. Ich denke, die Union hat ein ernsthaftes Personalproblem. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es kann nicht angehen, dass sich jemand Frauenministerin nennen darf, obwohl sie solch einen Blödsinn erzählt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das betrifft nicht Herrn Kues!) - Nein, das betrifft nicht Dr. Kues. Er ist da. Sie können Frau Schröder gern berichten, Herr Dr. Kues, welche Ratschläge wir ihr geben. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn sie sie befolgt. - Frau Schröder hat letzte Woche zum Beispiel behauptet, dass die Lohnungerechtigkeit unter anderem darin begründet sei, dass sich Frauen nun einmal die schlechter bezahlten Berufe aussuchen. Ich finde, das ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen, die sich Tag für Tag abrackern und Kinder erziehen, die aber trotzdem nicht genug zum Leben verdienen und keine auskömmliche Rente erwirtschaften. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, so etwas als Familienministerin zu behaupten. Liebe Frau Kollegin Bracht-Bendt, dem Ruf nach Eigenverantwortung kann man dann am besten nachkommen, wenn man mit einem Geldschein im Mund geboren ist. (Nicole Bracht-Bendt [FDP]: Neiddebatte!) Denn jene, die wirklich nicht die Voraussetzungen haben und denen dieses Land diese Voraussetzungen nicht bietet, haben es tatsächlich schwer, eigenverantwortlich zu mehr Lohn zu gelangen. Ich vermute, dass Frau Schröder, wie auch andere in diesem Hohen Hause, tatsächlich keine Vorstellung davon hat, wie sich Frauen fühlen und wie das reale Leben aussieht. Aber vielleicht versuchen wir einmal gemeinsam einen Perspektivwechsel. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind bekommen - die Entscheidung war sicherlich nicht einfach -, und dann haben Sie keinen Kitaplatz bekommen - das ist durchaus im Rahmen des Üblichen -; aber nun wollen Sie zurück an einen Arbeitsplatz. Aber Sie bekommen keinen vernünftig bezahlten neuen Arbeitsplatz. Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Anfang 40, gehen zur Arge und Ihnen wird mitgeteilt, dass Sie schon zu alt seien. Stellen Sie sich vor, Sie sind alleinerziehend und müssen Ihre Familie und sich selber mit Minijobs und Teilzeit über Wasser halten. - Ich habe den Eindruck, dass Sie sich das nicht vorstellen können. (Beifall bei der LINKEN und der SPD - Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das können die nicht!) - Nein, das können sie nicht. Aber mangelndes Vorstellungsvermögen ist keine Entschuldigung für schlechte Politik. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das meinen die aber!) Wie könnten wir auf einfachem Wege die Situation dieser Frauen und zigtausend anderer Arbeitnehmer verbessern? Wir könnten es zum Beispiel tun, indem wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführten. Lohndumping und Armut trotz Arbeit gehören endlich abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genauso ungeheuerlich ist es, dass in unserem Land, wie schon erwähnt, die meisten Frauen immer noch durchschnittlich ein Viertel weniger Lohn erhalten als ihre Kollegen, und das sogar, wenn sie exakt das Gleiche tun, mit der gleichen Ausbildung, mit den gleichen Verantwortungsbereichen. Auch die ungleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeiten gehört auf den Müllhaufen der Politik. Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen; denn wenn man nur Zahlenspiele macht, ist das vielleicht weniger nachvollziehbar. Eine Frau, die in öffentlichen Verwaltungen Räume und Toiletten saubermacht, bekommt mehrere Euro weniger die Stunde als ein Mann, der für die Pflege der Außenanlagen zuständig ist. Ich frage Sie: Warum ist das Putzen öffentlicher Klos eigentlich geringer zu bewerten als das Abkratzen von Kaugummis von Parkbänken? (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das werden wir im Bundestag nicht feststellen können!) Das ist völlig unsinnig. Eine Frau, die mit Hochschulabschluss in einer Verwaltung zum Beispiel als Gleichstellungsbeauftragte arbeitet, wird um zwei Tarifgruppen schlechter bezahlt als die Bereichsleiter, die mit der gleichen Qualifikation teilweise sogar weniger Verantwortung übernehmen. Der Leiter einer Kfz-Werkstatt mit fünf Facharbeitern und Facharbeiterinnen erhält deutlich mehr Lohn als die Leiterin einer Küche mit ebenso vielen Facharbeiterinnen und Facharbeitern. Eine Erzieherin bekommt nach vier bis fünf Jahren Ausbildung - das hängt davon ab, ob sie Abi oder Mittlere Reife hat - ein paar Hundert Euro weniger als der Facharbeiter nach drei Jahren Ausbildung. - Ich könnte jetzt noch ganz viel Beispiele aufführen. Das ist doch nicht nachvollziehbar. Der Grund besteht darin, dass Arbeit in diesem Land dann gering geschätzt und schlecht oder gar nicht bezahlt wird, wenn es sich um das Wohl der Menschen und nicht um die Extraprofite dreht, die Sie für Ihre Lobby realisieren wollen. Das muss sich ändern. Pflegerische und sorgende Arbeit darf nicht länger weniger wert sein und muss dringend aufgewertet werden. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Linksfraktion müssen auch deutlich bessere rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Entgeltgleichheit durchgesetzt werden kann. Dazu liegt Ihnen unser Antrag vor. Bisher müssen Betroffene in Einzelklagen sehr mühselig gegen Ungerechtigkeiten dieser Art vorgehen. Das dauert viele Jahre und verschlingt viel Geld. Aus diesem Grunde fordern wir eine Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung sowie die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsrechts. Zudem muss es durch einen Ausbau des sogenannten Verbandsklagerechts ermöglicht werden, dass auch Vereine, Verbände und Gewerkschaften kollektiv klagen können. Doch das allein reicht immer noch nicht aus. Die zunehmenden Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen deutlich: Die Arbeitswelt muss sich grundlegend ändern - nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Monika Lazar das Wort. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie war eine Frauengeneration in Deutschland so gut ausgebildet wie heute. Meine Vorrednerinnen sind schon mehrfach darauf eingegangen. Dennoch sind sie - nicht unsere Kolleginnen, sondern die Frauen, die außerhalb des Bundestages arbeiten - im Arbeitsleben weiter benachteiligt. Die dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern macht deutlich, dass es in den vergangenen Jahren keinen nennenswerten gesellschaftspolitischen und gleichstellungspolitischen Fortschritt gegeben hat. Der Untätigkeit der schwarz-gelben Bundesregierung können wir nicht weiter zusehen. Es sind zwar, insbesondere von Frau Bär, schon Ankündigungen gemacht worden, aber wir warten immer noch auf die konkreten Maßnahmen. Wir fordern eine Vielzahl konkreter Maßnahmen zur Schaffung von echter Chancengerechtigkeit im Arbeitsleben. So sollen - um nur einige Punkte zu nennen - Unternehmen regelmäßig geschlechterspezifische Personalstatistiken erstellen, die Gehaltsstrukturen und Positionen transparent machen sowie einen Gleichstellungsbeauftragen beschäftigen. Natürlich halten wir an der Forderung nach einer Frauenquote in der Wirtschaft fest. Wir fordern einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen bis 2017; denn wir können es uns nicht länger leisten, Bildungsinvestitionen zu vergeuden und auf kreative Potenziale von Frauen zu verzichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Marks [SPD]) Wir fordern ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft; denn im Durchschnitt erhalten Frauen in Deutschland 23 Prozent weniger Lohn - und das nicht nur deshalb, weil Frauen lieber brotlose Germanistik und Männer Elektrotechnik studieren, wie die Ministerin gerne argumentiert; auch bei vergleichbarer Tätigkeit bekommen Frauen rund ein Viertel weniger als Männer. Wir wollen daher ein echtes Verbandsklagerecht im Antidiskriminierungsgesetz, die geschlechtergerechte Überarbeitung der Eingruppierungskritierien der Tarifverträge und die Einführung von Mindestlöhnen. Gerade die Mindestlöhne würden Frauen sehr stark zugutekommen; denn nur 43 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten in Vollzeit; der Rest ist im Teilzeit- und Niedriglohnsektor beschäftigt. Hinzu kommt, dass viele Frauen aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen unterbrochene Erwerbsbiografien aufweisen. Dies wirkt sich negativ auf die Einkommenshöhe aus. Wir brauchen daher einen Ausbau der Zahl der Kinderbetreuungsplätze, insbesondere für die unter Dreijährigen; denn daran mangelt es in unserem Land noch gravierend. Auch die Pflege muss einen größeren Stellenwert erhalten. Ich verstehe die Gleichstellung von Frauen und Männern als eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Wir wollen, dass Frauen und Männer auf Augenhöhe miteinander umgehen. Gleiche Chancen und gleiche Rechte gehören dazu. Der Weg hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft ist noch lang und fordert uns allen etwas ab. Die Abkehr von der traditionellen Geschlechterordnung bringt aber auch neue Chancen und Perspektiven; sie eröffnet Freiräume, Wahlmöglichkeiten und die Chance auf mehr Selbstbestimmung für Frauen und für Männer. Ministerin Schröder hinkt der Zeit weiterhin hinterher. Erst musste sie sich von der Telekom vorführen lassen, die als erstes - und bisher leider einziges - deutsches DAX-Unternehmen eine Frauenquote eingeführt hat, und dann hat sich selbst die CSU nach langen Diskussionen für eine parteiinterne Frauenquote entschieden; zwar nicht auf allen Ebenen, aber ein Fortschritt ist es immerhin. Selbst Maria Böhmer, Vorsitzende der Frauen Union, sagte in der gestrigen Ausgabe der Welt zum Thema "Frauenquote in der Wirtschaft" - ich zitiere -: Wir brauchen solche Instrumente. Die Wirtschaft muss wissen, dass die Quote kommt, wenn der Anteil der Frauen in Führungspositionen nicht rasch steigt. Wir wollen erreichen, dass zeitnah mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsposten an Frauen geht. Längerfristig streben wir einen Anteil von 40 Prozent an. Das alles ist sehr schön. Aber wo bleiben bitte die konkreten Vorschläge? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Diese Aussage müsste der Ministerin wirklich zu denken geben, aber nein: Ihr Patentrezept besteht weiterhin aus Unverbindlichkeit und warmen Worten. Frau Schröder sagte in ihrem unsäglichen Spiegel-Interview in dieser Woche: Wenn die Quote eingeführt wird, hat die Politik versagt. - Ja, die Politik hat versagt; denn jahrelang hat es außer freiwilligen Selbstverpflichtungen nichts gegeben. Das müssen auch die Koalitionsfraktionen endlich zur Kenntnis nehmen; sie dürfen die Augen nicht vor der Realität verschließen. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was hat denn Rot-Grün während der Regierungszeit gemacht?) - Ich habe mich in meinen vorherigen Reden immer selbstkritisch geäußert. Lesen Sie das bitte nach! Wir müssen gemeinsam handeln. Wenn sich die Frauen in allen Fraktionen einig sind, dann müssen wir, was zumindest Ihre Koalition angeht, nur noch die Männer überzeugen. Aber, wie gesagt: Passiert ist nichts. Vielleicht schaffen wir es gemeinsam in dieser Wahlperiode. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihr Antrag ist gut. Viele Forderungen decken sich mit unseren Forderungen. Ich würde mich freuen, wenn wir bei der Frage der Quote für die Aufsichtsräte in zwei Wochen, wenn unser Gesetzentwurf ins Plenum eingebracht wird, gemeinsam streiten. (Caren Marks [SPD]: Das werden wir auch!) Die Ministerin hat wieder eine Studie angekündigt, um herauszufinden, warum Frauen nicht in Führungspositionen gelangen. Für mich ist das Verschwendung von Steuergeldern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir wissen, woran es liegt. Nicht zuletzt das Haus von Ministerin Schröder hat für Unsummen bereits zahlreiche Studien anfertigen lassen. Gerade im Frühjahr dieses Jahres wurde die von ihrem Haus finanzierte Studie zur gläsernen Decke vorgestellt. Wir wissen: Es greifen verschiedene Hemmnisse ineinander. Aber klar ist: Ohne gesetzliche Maßnahmen wird es nicht gehen. Frau Ministerin, liebe Koalition, werden Sie endlich aktiv. Deutschland ist reif für eine moderne Frauenpolitik. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD fängt mit einer richtigen Feststellung an. Alles Wesentliche ist gesagt. Auch hier und heute ist vielfach wieder dargestellt worden, wie die Mechanismen zusammengreifen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie nur noch handeln!) - Genau. In etlichen Forderungen stimmen wir überein, aber nicht in allen. Vor allem gehen Sie, denke ich, in den bürokratischen Anforderungen doch weit über das Ziel hinaus. (Christel Humme [SPD]: Dann wird die Bürokratie bemüht, wenn man keine Argumente hat!) Die Änderungen beim AGG, Verlängerungen der Einspruchsfrist, die Verbandsklage, längere Aufbewahrungsfristen und dergleichen werden, so glaube ich, nicht den Durchbruch für die Frauen bringen. Das bringt vor allem Mehraufwand und Rechtsunsicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD) Wenn Sie öffentliche Aufträge vor allem an Firmen vergeben wollen, die Gleichstellungspläne haben, dann müssen dafür Kriterien entwickelt werden. Wer soll das entscheiden? - Das muss dann wieder zertifiziert und geprüft werden. Ich glaube, auch das läuft sich ziemlich tot. Sie schlagen vor, dass Betreuungsplätze - ihre Zahl ist knapp - vor allem für Kinder von Berufstätigen zur Verfügung gestellt werden sollen. Dazu sage ich, dass wir beim SGB VIII und den dortigen Regelungen bleiben. (Caren Marks [SPD]: Der Rechtsanspruch gilt für alle!) Danach soll vorrangig bedacht werden, wer einen Platz wegen der Berufstätigkeit der Eltern oder zur Persönlichkeitsentwicklung braucht. Wenn ein Kind einen Betreuungsplatz vor allem für die eigene Persönlichkeitsentwicklung braucht, dann soll es auch Vorrang haben. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Kriterium, das nicht hinter den anderen zurückstehen sollte. Was die Linken den Tarifparteien alles vorschreiben wollen, zeugt von einem ziemlich tiefen Misstrauen. Ich glaube, hier können wir den Tarifvertragsparteien durchaus mehr zutrauen. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Wohlwollende Unterstützung ist das!) Diese haben den Weckruf gehört und werden hier sicherlich etliches verbessern. Das sind Gründe, weswegen wir unter anderem Ihre Anträge nicht mittragen können, auch wenn sie viele Dinge enthalten, über die Konsens besteht. Weil dies sicherlich der aktuell wichtigste politische Punkt ist, möchte ich noch einmal auf den Vorschlag eingehen, eine 40-prozentige Quote einzuführen. Dies haben auch die Grünen in einem Antrag verlangt, der heute nicht zur Debatte steht, der aber auch im parlamentarischen Verfahren ist. In der Tat, die privatwirtschaftliche Vereinbarung aus dem Jahr 2001 ist ohne Wirkung. Daran hat sich, seit wir im März zuletzt darüber gesprochen haben, nichts geändert. Deshalb ist meine Überzeugung durchaus, dass wir eine Quote brauchen und dass wir eine Quote bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es war schon die Rede davon: Als Gruppe der Frauen in der Union haben wir uns für einen Stufenplan mit zunächst Berichtspflichten ausgesprochen, durch die eine Vergleichbarkeit hergestellt werden soll. Ich glaube, wir erwischen die Unternehmen wirklich am Nerv, wenn zum Beispiel im Handelsblatt oder im manager magazin eine übersichtliche Tabelle steht, aus der sich ganz klar ergibt, wer hier vorn liegt und wer nicht. Wir wollen aber auch, dass das in eine verbindliche Quote mündet. Auch Staatsministerin Böhmer hatte das vorgeschlagen. Davon war schon die Rede. Unser Konzept sieht vor, dass wir im nächsten Wahlturnus auf eine Zielmarke von 30 Prozent kommen wollen. Wenn das nicht freiwillig gelingt, (Caren Marks [SPD]: Das ist doch vergeudete Zeit! - Christel Humme [SPD]: Schreiben Sie das in das Gesetz? Machen Sie das wie die Norweger?) dann erfolgt die verbindliche Vorgabe für den übernächsten Wahlturnus. Wir müssen die Wahlturnuszeiten mit in Rechnung stellen und deshalb bald beginnen. Auch das ist kein Geheimnis: Wir haben in der Tat das Problem und die Aufgabe, dafür in der eigenen Partei Mehrheiten zu finden. (Christel Humme [SPD]: Da wünsche ich Ihnen viel Glück!) Ich glaube, diese Situation kennen Sie sehr gut. Denken Sie an das Jahr 2001 zurück. Da waren die Frauen in der rot-grünen Koalition auch auf einem anderen Weg. Es ist schon Legende, dass damals bei Zigaretten und Wein die freiwillige Vereinbarung mit der Privatwirtschaft gekippt und abgemildert wurde. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Von daher wissen wir alle, wovon wir sprechen. Wir machen uns in unserer Fraktion aber optimistisch auf den Weg. Daraus erklärt sich auch die Zahl. Wenn man mit einer moderaten Zahl letztendlich erreicht, dass etwas Wirklichkeit wird, dann sind mir 30 Prozent real lieber als 40 oder 50 Prozent auf dem Papier. Die Quote wäre eine einfache und unbürokratische Regelung. Sie nützt den Unternehmen; denn den Unternehmen nützt alles, was den Horizont und die Perspektive der homogenen Gruppen, die jetzt in den Vorständen und Aufsichtsräten sitzen, erweitert. Jetzt gibt es zwei Gruppen, die sich offenbar nicht so gut mit dem Gedanken an die Quote anfreunden können: zum einen die Männer, die dann vielleicht etwas Platz machen müssen und deshalb am liebsten gar nichts ändern wollen, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die FDP!) zum anderen Frauen, häufig junge Frauen, die meinen, dass die nötigen Veränderungen auch ohne Quote zu erreichen wären. Beide kommen uns mit dem Argument: Qualität und Kompetenz setzen sich auch so durch. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Frauen sind qualifiziert!) Das würde stimmen, wenn Qualität und Kompetenz als alleinige Kriterien gelten würden. Wir wissen aber, dass auch andere Kriterien gelten: Seilschaften, Loyalitätsbeweise, Tauschgeschäfte und dergleichen. (Caren Marks [SPD]: Wenn sich Qualität durchgesetzt hätte, wäre Frau Schröder nicht Ministerin!) Nun sagen junge Frauen auch: Wir brauchen vor allem Kinderbetreuungsmöglichkeiten und eine andere Präsenzkultur. Das stimmt, das stimmt aber auch unabhängig von der Quote, neben der Quote und auch ohne die Quote. Aber das reicht nicht. Es geht doch nicht darum, die heute 30-Jährigen neben die 50-jährigen Männer in den Aufsichtsräten zu setzen. Es geht um die Frauen, die heute in der Lage wären, die Aufgaben zu übernehmen. Für diese ist Kinderbetreuung in der Regel überhaupt kein Thema mehr. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Deshalb brauchen wir die Quote. Wir wollen, dass das zeitnah geht. Deshalb bleiben wir am Thema Quote dran. Das ist versprochen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Caren Marks für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Caren Marks (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Winkelmeier-Becker, ja, es war ein großer Fehler von Rot-Grün, die freiwillige Vereinbarung einzugehen. Aber die SPD und auch die Grünen sind mittlerweile weiter. Wir haben die Konsequenzen aus diesem Fehler gezogen und sagen ganz klar: Ohne gesetzliche Regelung geht es bei der Quote und der Entgeltgleichheit nicht. Wir wünschen Ihnen alles Gute auf dem Weg zu dieser Erkenntnis und bei Ihrem Bemühen, zu entsprechenden Mehrheiten zu kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch ich komme nicht umhin, mich auf das bereits erwähnte Spiegel-Interview der Ministerin zu beziehen. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass sie es vorzieht, heute nicht dabei zu sein. In diesem Interview konnten wir erfahren, warum es eine Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen gibt; denn: Frauen studieren gern Germanistik ..., Männer dagegen Elektrotechnik - und das hat eben auch Konsequenzen beim Gehalt. Selbst schuld, liebe Frau! So einfach, so schlicht ist die Welt der Frauenministerin in unserem Land. Nach einer aktuellen Studie beträgt die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei wirklich vergleichbaren Voraussetzungen immerhin noch knapp 13 Prozent. Das ist die tatsächliche Lohndiskriminierung von Frauen in unserem Land. Daran wird ganz deutlich, dass wir endlich rechtliche Regelungen brauchen, um dieser Lohndiskriminierung effektiv entgegenzuwirken. Wir bräuchten auch eine tatkräftige Ministerin, die sich nicht länger vor ihren Aufgaben drückt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) In der Studie wird außerdem dargelegt: Je länger die Unterbrechungen des Erwerbslebens sind, desto größer wird der Lohnabstand. Es sind nach wie vor überwiegend die Frauen, die längere Erwerbspausen haben, allerdings immer seltener wirklich gewollt. Auch deswegen war die Einführung des Elterngeldes ein sinnvolles Instrument, um zu erreichen, dass Frauen nach der Geburt ihres Kindes nicht zu lange aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen werden und gleichzeitig auch die Väter im ersten Jahr nach der Geburt an der Betreuung beteiligt werden. Die Beteiligung der Väter sollte allerdings noch deutlich besser werden. Deswegen setzen wir uns in der SPD für mehr Partnerschaftlichkeit beim Elterngeld ein. Ziel ist eine gerechte Aufteilung der Elternzeit. (Beifall bei der SPD) Was aber will die Ministerin? Der Presse konnten wir aktuell entnehmen, dass sie bei einer Weiterentwicklung des Elterngeldes auf das Prinzip Hoffnung setzt. Sie hoffe, dass eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld und die Einführung eines Teilelterngeldes noch vor den nächsten Bundestagswahlen - hört, hört, der Zeitpunkt - verwirklicht werden. Indem man allein auf das Prinzip Hoffnung setzt, haben sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen - vielleicht richten Sie das Ihrer Ministerin aus, Herr Staatssekretär - noch nie geändert. Hier sind Taten von der Ministerin gefordert! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denn die Frauen in Deutschland haben diesen Stillstand nicht verdient, und sie haben ihn vor allem wirklich satt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Taten sind auch beim Ausbau der Kinderbetreuung gefordert. Hierzu hat das Statistische Bundesamt ganz aktuelle Betreuungszahlen veröffentlicht. Die Zahl der betreuten Kinder unter drei Jahren nimmt zwar weiter zu, doch nach wie vor ist die Betreuungsquote in den meisten westdeutschen Bundesländern wirklich alles andere als zufriedenstellend. Es bedarf endlich konkreter Verabredungen mit Ländern und Kommunen, wie das Angebot schneller bedarfsgerecht ausgebaut und der Rechtsanspruch 2013 verlässlich umgesetzt werden kann. Auf das Engagement der Bundesfamilienministerin warten Eltern und ihre Kinder bislang vergeblich. Dabei müsste sie schleunigst einen Krippengipfel einberufen und eine aktuelle und ehrliche Bedarfsanalyse vorlegen, statt sich permanent hinter veralteten Zahlen zu verstecken. (Christel Humme [SPD]: Das wird höchste Zeit!) Die SPD fordert: Die Ganztagsbetreuungsangebote in Kitas und Schulen müssen ausgebaut werden. Nur so lässt sich Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen leben; nur so ist Gleichstellung zu verwirklichen. Wenig konkret hingegen ist die Initiative "Familienbewusste Arbeitszeiten", die die Ministerin zusammen mit der DIHK gestartet hat. Ziel ist es, Betrieben Anregungen für flexiblere und damit familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle zu geben. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es fehlt nicht an Anregungen, es fehlt an konkreten Angeboten für die Beschäftigten. Das ist das Problem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Über die Quote haben wir schon einiges gehört. Ich merke dazu an: Auch die Quote gehört nicht gerade zu den Lieblingsthemen der Ministerin, und man fragt sich, welche es eigentlich sind. Die Quote, so hört man von ihr, sei nur Ultima Ratio. Jetzt folgte auch noch die Aussage, eine Quote sei auch immer eine Kapitulation der Politik. Dann hat ja - schade, dass Frau Bär schon weg ist - die CSU mit ihrer Frauenquote schon einmal kapituliert. Kapituliert hat wohl auch die Justizministerkonferenz der Länder? Sie hat letzte Woche einen Quotenbeschluss für Aufsichtsräte gefasst. Die SPD begrüßt diesen Schritt ausdrücklich. Ich kann nur sagen: Hier wurde nicht kapituliert, sondern endlich verstanden, was guten Frauen wirklich hilft. (Beifall bei der SPD) Das Bedauern der Ministerin über die fehlenden Frauen in Führungspositionen ist alles andere als überzeugend, und ihre Aktivitäten erschöpfen sich auch hier, wie so oft, in einer Initiative mit der Wirtschaft, diesmal für mehr Frauen in Führungspositionen. Wir brauchen aber keine folgenlosen Initiativen, wir und die Frauen in diesem Land brauchen gesetzliche Regelungen. Die SPD will eine gesetzliche Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände. Damit kommen Frauen in die entsprechenden Positionen, nicht aber mit folgenlosen Initiativen. Es wundert nicht wirklich, dass wir mit einer solchen Ministerin bei einem Ranking des Weltwirtschaftsforums zur Gleichstellung von Platz 5 auf Platz 13 zurückgefallen sind. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nachvollziehbar, dass eine so junge Frauenministerin mit Gleichstellungspolitik nichts am Hut hat, (Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) und das, obwohl sie ihre Karriere auch der Frauenbewegung der 70er-Jahre verdankt. Schlimmer noch: Frau Schröder macht in der Gleichstellungspolitik eine Rolle rückwärts nach der anderen. Die Frauen in unserem Land wissen, dass die Ministerin nicht an ihrer Seite steht. Die Quittung - da bin ich mir sicher - wird folgen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letzter Rednerin zu diesem Debattenpunkt erteile ich Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den aufgeheizten Diskussionen der letzten Tage dachte ich, dass wir wenigstens hier im Parlament etwas sachlicher diskutieren, ohne Verleumdungen und ohne Falschbehauptungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD) Aber was machen Sie? Sie machen genau so weiter, in der Hoffnung, parteipolitischen Profit daraus zu schlagen. Ich bin der Meinung, der Zirkus, den Sie hier vor allem in den letzten Tagen veranstaltet haben, lähmt die gleichstellungspolitische Debatte mehr, als dass er sie voranbringt. (Widerspruch bei der SPD und der LINKEN) Worum geht es eigentlich? Es geht zum einen um die Frage, wer was erreicht hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, der Feminismus hat vieles erreicht. Viele von uns würden heute hier nicht stehen, hätte es den Feminismus nicht gegeben. (Christel Humme [SPD]: So ist es!) Das hat übrigens die Ministerin in ihrem Interview wortwörtlich so gesagt. Niemand stellt die Erfolge des Feminismus infrage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Was ich allerdings infrage stelle, sind die Erfolge der Gleichstellungspolitik der letzten Jahre. Da ist nicht wahnsinnig viel passiert. Trotzdem werfen Sie uns vor, dass wir bei vielen Themen auf der Stelle treten. Dabei waren sowohl die SPD als auch die Grünen, also all diejenigen, die in den letzten Jahren an der Regierung waren, an dieser Entwicklung genauso beteiligt. (Christel Humme [SPD]: Das ist eine falsche Behauptung! Sie haben bei meiner Rede nicht zugehört!) Deshalb halte ich das Geschrei der letzten Tage für ein wirklich durchsichtiges Manöver, um von Ihrem eigenen Scheitern abzulenken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zurufe von der SPD: Oh!) Zum Zweiten geht es um verschiedene inhaltliche Themen. Auch hier war ich etwas überrascht über die Schwerpunktsetzung der letzten Tage. In meinen Augen gibt es Themen, bei denen wir wirklich weitergekommen sind. Allerdings gibt es auch andere Themen, bei denen noch viel zu tun ist. Aber diese Gewichtung hat sich in der Diskussion der letzten Tage ganz und gar nicht widergespiegelt. Ich frage mich: Ist es wirklich notwendig, einen Namenswechsel so hoch zu hängen? Vor 20 bis 30 Jahren war der Namenswechsel eine absolut politische Aussage. (Caren Marks [SPD]: Dazu hat keiner von uns was gesagt! - Christel Humme [SPD]: Wer hat das denn gemacht?) Das ist aber heute nicht mehr so. Man ist weder eine Emanze, wenn man als Frau einen Doppelnamen wählt oder seinen Namen behält, noch ist man superkonservativ, wenn man den Namen des Mannes annimmt. (Christel Humme [SPD]: Da setzen Sie sich am besten mit Alice Schwarzer auseinander! Die ist aber nicht im Parlament oder in der Regierung!) Die Namenswahl geschieht heute in den meisten Fällen völlig undogmatisch. Sie wird beeinflusst vom persönlichen Geschmack und der individuellen Situation. Für viele ist es heute unvorstellbar, wie es früher einmal war. Aber es ist doch gerade der Erfolg der Frauenbewegung, dass wir die Namenswahl heute so undogmatisch sehen können. Lassen Sie uns das auch heute leben, und verlangen Sie nicht von uns, dass wir alles genauso machen, wie Sie es damals vor 20, 30 Jahren aus berechtigten Gründen gemacht haben. Das Gleiche gilt für die Jungenpolitik. Ich sehe in der Feststellung, dass die Jungen gegenüber den Mädchen in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind, (Zurufe von der LINKEN: Oh!) keinen Angriff gegen die Mädchen- und Frauenpolitik. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt!) Trotzdem beobachtet man Reaktionen wie gerade von den Linken oder hört Sätze wie: Jetzt müssen wir uns auch noch um die armen Jungen kümmern. - Ich sage: Ja, das müssen wir; denn Gleichstellungspolitik bedeutet, dass wir jedes Geschlecht bestmöglich fördern müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Man kann durchaus für eine Quote sein und gleichzeitig die Jungen fördern. Pragmatismus statt Ideologie: Mit diesem Grundsatz kommen wir in diesen Tagen weiter als mit dem Kampf der Geschlechter. Aber das darf nicht mit Laisser-faire verwechselt werden. Es gibt noch viel zu tun. In vielen Punkten sind wir absolut nicht zufrieden mit dem, was erreicht worden ist. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zurückfallen. Auch das sage ich ganz deutlich. Einen Rückfall können wir nur verhindern, indem wir uns gemeinsam auf die wichtigen Themen konzentrieren und nicht aufeinander losgehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die CDU/CSU-Fraktion steht für entschiedenes und pragmatisches Handeln sowie für einen breiten, ursachenorientierten Ansatz. Die Kolleginnen haben es bereits im Zusammenhang mit dem Thema Entgeltungleichheit dargestellt. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Dazu gehört das Berufswahlverfahren; das wurde schon gesagt. Ich nenne ferner die vielen Erwerbsunterbrechungen und die schlechtere Bezahlung in typischen Frauenberufen. Da müssen sich auch die Tarifpartner fragen lassen, ob ihnen an dieser Stelle nicht eine Verantwortung zukommt. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt in der Tat auch Diskriminierungen, was die Karrierechancen und das Gehalt angeht. Es gibt also ein Bündel von Ursachen. Dieses Problem müssen wir gemeinsam angehen: Frauen und Männer, Unternehmen, Tarifparteien, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. So kommen wir wirklich weiter. Das Gleiche gilt für das Thema Frauen in Führungspositionen. Hier müssen wir feststellen: Wir sind unter Rot-Grün nicht weitergekommen; wir sind in der Großen Koalition nicht weitergekommen. Nur gerade einmal 2,5 Prozent der Vorstandsposten der 200 größten deutschen Unternehmen sind mit Frauen besetzt. Das haben Sie genauso wie wir zu verantworten. Hier treten wir auf der Stelle. Dafür gibt es eine breite Palette von Gründen: In gut bezahlten technischen Berufen arbeiten weniger Frauen. Es liegt zum Teil auch daran, dass Frauen manchmal vorsichtiger sind. Aber die Hauptursache sind meiner Meinung nach die Kultur und der Status quo in den Führungsetagen der Unternehmen. Die Old-Boys-Netzwerke funktionieren leider - vielleicht auch unbewusst. Es herrscht eine männliche Kultur vor. Frauen stoßen da irgendwann an eine gläserne Decke. Hier bedarf es einer qualifizierten Anzahl von Frauen - man spricht von etwa 30 Prozent - in den entsprechenden Ebenen, um diese Kultur strukturell zu ändern. Wie kommen wir dahin? Die Kolleginnen haben es bereits erwähnt: Wir legen einen Stufenplan vor. So konkret waren Sie noch nie. (Christel Humme [SPD]: Als Gesetz oder als freiwillige Lösung?) Auf der ersten Stufe stehen Selbstverpflichtung und Berichtspflichten. (Christel Humme [SPD]: Das haben wir doch schon seit neun Jahren!) Wir sagen aber eben auch deutlich: Wir warten nicht ewig. Ein Stufenplan ist ein Stufenplan. (Caren Marks [SPD]: Aber nichts Verbindliches!) Das heißt, wenn nicht ganz schnell Dynamik in die Sache hineinkommt, dann muss die zweite Stufe wesentlich mehr Vorgaben und Druck beinhalten. Da kann Norwegen für uns durchaus ein gutes Vorbild sein. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Herr Präsident, ich komme zum Ende. - Es gibt noch viel zu tun. Mit Diffamierungen kommen wir nicht weiter. Wir müssen das gemeinsam angehen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/1486 zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel "Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen", zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel "Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen" sowie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung mit dem Titel "Dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft". Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis der genannten Unterrichtung auf Drucksache 16/10500 den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/821 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung der Linken und der Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/891. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Stimmenthaltung von SPD und Grünen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Peter Bleser, Nadine Schön (St. Wendel), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Dr. Erik Schweickert, Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kinderfreundliche Nachbesserung der EU-Spielzeug-Richtlinie dringend erforderlich - zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug - zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Krebserregende Stoffe in Kinderspielzeugen durch Sofortmaßnahmen ausschließen - zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Kinderspielzeug - Risiko für kleine Verbraucher - Drucksachen 17/3424, 17/2345, 17/1563, 17/656, 17/3695 - Berichterstattung: Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Erik Schweickert für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP) Dr. Erik Schweickert (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute geht es im Prinzip um den Vergleich von zwei Produkten - ich habe sie mitgebracht -: Es geht um den Vergleich zwischen einem Quietscheentchen, auf dem meine Tochter schon einmal herumkaut, wenn sie in der Wanne planscht, und einem Autoreifen, auf dem sie noch nie herumgebissen hat. Sie werden denken: Das ist logisch! Auch ich sage: Das ist logisch! Wenn Sie jetzt aber wissen, dass bei diesem Quietscheentchen eine 1000-fach höhere Konzentration einzelner krebserregender Weichmacher zugelassen ist als bei diesem Autoreifen - deswegen zeige ich Ihnen das Ganze -, dann werden Sie sagen: Das ist unlogisch! Ich sage Ihnen: Das ist unzumutbar. Hier muss gehandelt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Beispiel zeigt, warum wir von der christlich-liberalen Koalition hier vorangehen. Wir bemühen uns nicht erst, seit die Stiftung Warentest nachgewiesen hat, dass bei 80 Prozent von 50 untersuchten Spielzeugen die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte nicht eingehalten wurden, darum, in diesem Bereich nach vorne zu kommen. Aber wie kann man hier nach vorne kommen? Da es sich um eine europäische Regelung handelt, müssen wir auf der europäischen Ebene ansetzen. Das tun wir auf drei verschiedene Weisen: Erstens. Wir möchten die Grenzwerte ändern; sie müssen gesenkt werden. Ich denke, das ist unter den Fraktionen dieses Hauses Konsens. Zweitens. Es geht uns nicht so sehr darum, welche Schadstoffe in einem Spielzeug enthalten sind, sondern darum, welche Schadstoffe freigesetzt werden: Was wird freigesetzt, wenn das Quietscheentchen in den Mund genommen wird, wenn es zum Haut- oder Mundkontakt kommt? Wir sind also der Meinung, dass hier die Systematik geändert werden muss: Es ist nicht ausschlaggebend, was drin ist, sondern was freigesetzt wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Wir, die christlich-liberale Koalition, wollen eine verpflichtende Drittprüfung auf europäischer Ebene durchsetzen; denn es hat sich gezeigt, dass das CE-Zeichen, das für "Conformité Européenne" stehen soll - eine Selbstverpflichtung der Hersteller -, so gut wie nichts bringt. Insider sprechen bei CE nicht von "Conformité Européenne", sondern von "China Exports"; denn das Zeichen wird einfach aufgedruckt, ohne dass man sich um die Vorgaben kümmert. Wir sind deshalb der Meinung: Das muss besser gemacht werden. Wir kennen in Deutschland den TÜV; wir wissen, was es heißt, Stichproben zu nehmen. Dann ist es richtig, zu sagen: Wir wollen verpflichtende Drittprüfungen auf europäischer Ebene. Denn nur dann können wir den Schutz unserer Kinder ordentlich gewährleisten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben auch den Vorschlag unterbreitet - falls man sich da mit Blick auf REACH schwertun sollte - und sind bereit, Spielzeug - wie dieses Glas - als Lebensmittelbedarfsgegenstand zu klassifizieren. Wenn ich das in den Mund nehme, brauche ich keine Angst zu haben, dass etwas migriert, weil für Lebensmittelbedarfsgegenstände sehr strenge Regelungen gelten. Wenn sich die EU schwertut, haben wir also alternativ vorgeschlagen, Kleinkinderspielzeug als Lebensmittelbedarfsgegenstand zu klassifizieren. Auch dann sind wir auf dem richtigen Weg. Darüber hinaus sehen wir, dass wir im Bereich der allergenen Stoffe etwas tun müssen. Bei Uhren haben die Nickelwerte ein Limit, bei Kinderspielzeug ist das nicht der Fall. Auch das ist eine unlogische Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Hier werden wir zusammen mit dem Wirtschaftsministerium und dem Verbraucherschutzministerium aktiv werden, damit sich etwas tut und unsere Kinder nicht länger mit dem teilweise doch als Schrott zu klassifizierenden Produkten zugeschüttet werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jetzt kommt die Opposition und sagt: Was tun Sie denn national? Dazu muss ich sagen: Das Ganze einfach nur national zu regeln, wäre zu einfach. Viele von uns kommen ja aus Baden-Württemberg. Da ist der Weihnachtsmarkt in Frankreich relativ nahe. Ich will nicht, dass Spielzeug, das in Deutschland nicht eingeführt werden darf, aus Frankreich zu uns herüberkommt. Das ist kein effizienter Verbraucherschutz. Wir müssen hier auf europäischer Ebene tätig werden. Trotzdem dürfen wir national nicht untätig sein. Das sind wir, meine Damen und Herren, liebe Elvira Drobinski-Weiß, auch nicht. Wir haben in unserem Antrag ganz klar gesagt, dass wir insbesondere mit China eine Arbeitsgruppe gründen wollen, um dieses Thema in den Griff zu kriegen. Ich möchte auch sagen, warum. Denn eine verpflichtende Drittprüfung muss so organisiert sein, dass vor Ort eine Probe genommen werden kann. Ich habe mich dazu heute Morgen mit unserem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle abgestimmt. Wir werden auch die großen Händler zu einem Gespräch einladen, damit nämlich genau diese Regelungen, die wir jetzt auf den Weg bringen, beachtet werden - nicht erst dann, wenn Europa umsetzt. Wir wollen schon vorher proaktiv tätig werden, damit sich das nicht wiederholt, was die Stiftung Warentest herausgefunden hat. Sie sehen also, wenn Sie sich diesen Antrag ganz genau durchlesen: Wir sind nicht nur auf dem richtigen Weg; wir sind im Zeitplan, und wir handeln jetzt nach zwölf Monaten so, wie es manche in zwölf Jahren Regierungsverantwortung nicht geschafft haben. Deshalb möchte ich insbesondere an Sie aus der Opposition appellieren: Wir haben einen Antrag vorgelegt, der in vielen Teilen Ihre Anregungen aufgreift, der umsetzbar ist und der zwischen den Häusern abgestimmt ist. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung, damit wir uns nicht irgendwann wieder darüber unterhalten müssen, ob das Quietscheentchen oder der Autoreifen für meine Tochter besser wäre. Ich möchte ihr weiterhin das Quietscheentchen und nicht den Autoreifen zum Spielen geben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schweickert hat es ja auch angesprochen: Im Oktober hat die Stiftung Warentest erneut festgestellt, dass Kinderspielzeug sehr hoch mit Gift belastet ist, und zwar in einem doch sehr erschreckendem Ausmaß. Von den 50 untersuchten Produkten waren über 80 Prozent betroffen. Ob Holzbausteine oder Holzpuzzles, Plüschtiere, Puppen und Plastikspielzeug: Sie enthielten Formaldehyd, Phthalate, PAKs - das sind die sogenannten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe -, kritische Farbstoffe und Nonylphenol, Stoffe, die als krebserregend gelten und Allergien auslösen können. Einige verändern das Erbgut oder sind fortpflanzungsschädigend. Das ist, finde ich, erschreckend, aber leider nicht neu. Regelmäßig warnen die Rapex-Meldungen der EU vor giftigem Spielzeug, und zwar mit steigender Tendenz. Wir haben bereits mehrfach über die Sicherheit von Kinderspielzeugen debattiert. Aber getan hat sich fast nichts. Das ist es, was uns wirklich empören muss. Bereits im Mai hatte ein Vertreter des Deutschen Verbandes der Spielwaren Industrie auf einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss berichtet, dass man schon seit Mitte Dezember 2009 - das ist nun bald ein Jahr her - mit Ministerin Aigner über eine Selbstverpflichtung zu den PAKs im Gespräch sei. Seitens des Verbandes sei man bereit, die für die Vergabe des GS-Zeichens - das steht für "Geprüfte Sicherheit" - geltenden Grenzwerte für PAKs einzuhalten. Im aktuellen Warentest wurden aber jede Menge PAK-Stoffe gefunden, zum Beispiel im Meerschweinchen von Althans, in der Sandmännchenfigur Pitti von heunec, im Teddybär Victor von Steiff, in der Puppe Cheeky von Simba. Ich habe es schon gesagt: PAKs gelten als krebserzeugend, erbgutverändernd und fortpflanzungsschädigend. Wir nennen diese Stoffe abgekürzt auch k/e/f-Stoffe. Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht hier einen dringenden Handlungsbedarf. Diese Stoffe haben im Spielzeug tatsächlich nichts zu suchen. Sie gehören verboten. Die SPD hat mit ihrer Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug bereits im Juni einen umfassenden Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Spielzeugsicherheit vorgelegt. Darin fordern wir unter anderem die rechtliche Gleichstellung von Spielzeug mit sogenannten Lebensmittelkontaktmaterialien; denn - das hat der Kollege Schweickert schon ausgeführt - Kinder nehmen diese Dinge in den Mund. Sie kauen an ihren Plüschtieren, und dabei werden Giftstoffe freigesetzt. Wir fordern ein komplettes Verbot dieser k/e/f-Stoffe, ebenso für alle allergieauslösenden Stoffe. (Beifall bei der SPD) Auch die Kombinationswirkungen der verschiedenen Chemikalien sind bisher nicht berücksichtigt worden. Wir fordern, dass die Untersuchung solcher Kombinationswirkungen zu einem Forschungsschwerpunkt wird und die Ergebnisse schnellstmöglich in gesetzliche Vorgaben einfließen. Wir wollen die Hersteller verpflichten, die Sicherheit von Spielzeug durch unabhängige Dritte überprüfen zu lassen, bevor dieses in den Handel gelangt. Schließlich kann man von Eltern und Großeltern nicht verlangen, dass sie Chemieexperten sind. Sie sollten sich darauf verlassen können, dass auf dem Markt erhältliches Spielzeug keine Gefahr für die Gesundheit ihrer Kinder ist. Wir fordern daher die Einrichtung einer benutzerfreundlichen, öffentlich zugänglichen Datenbank für Spielzeug. Darin sollen die Kontrollergebnisse der Marktüberwachung der Länder und des Zolls unter Nennung der Namen von Hersteller und Produkt zusammengeführt und die Inhaltsstoffe des Spielzeugs genannt werden. Als unser Antrag im Oktober endlich auf der Tagesordnung des Verbraucherausschusses stand, haben die Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition für die Absetzung gesorgt. Eigene Vorschläge von CDU/ CSU und FDP lagen bis dahin nicht vor. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das stimmt nicht!) Immer wieder haben wir unsere Gesprächsbereitschaft signalisiert. Im Interesse der Kinder - es geht um ihren Schutz - sind wir für eine gemeinsame Initiative offen. Wir denken aber, dass Ihre Vorschläge dafür nicht ausreichen. Der Koalitionsantrag, den Sie uns Ende Oktober vorgelegt haben, bleibt weit hinter dem Machbaren zurück, Herr Kollege Schweickert. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was habt ihr in den zwölf Jahren denn gemacht?) Warum haben Sie unsere Forderungen nicht komplett übernommen? Ich denke, dass einiges aus unserem Antrag abgeschrieben wurde; aber leider wurde es aufgeweicht. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) - Lachen Sie nur. Lesen Sie beide Anträge und vergleichen Sie sie. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ich habe alles gelesen!) Wichtige Punkte wurden weggelassen. Beispielsweise haben Sie die Option, notfalls auch auf nationaler Ebene Spielräume für Verbesserungen zu nutzen, ausgeklammert. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das steht doch schon im europäischen Gesetz!) Wie ernst ist es Ihnen denn mit der Einführung einer verpflichtenden Überprüfung der Sicherheit von Kinderspielzeug durch unabhängige Dritte? (Dr. Erik Schweickert [FDP]: TÜV!) Schließlich waren es CDU/CSU und FDP, die bei der Überarbeitung der Spielzeug-Richtlinie die EU-weite Einführung verhindert haben. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie bitte? Was?) - Bei der Überarbeitung der Spielzeug-Richtlinie haben CDU/CSU und FDP die EU-weite Einführung der verpflichtenden Drittprüfung im Europaparlament verhindert. Schauen Sie doch einfach in den Protokollen nach, oder machen Sie sich bei den Kollegen kundig. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Schauen Sie einmal in die Länder! Da gab es Länderkooperationen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, gemeinsam waren wir schon viel weiter. 2008 haben wir als schwarz-rote Regierungskoalition ein komplettes Verbot aller allergenen Duftstoffe und aller k/e/f-Stoffe gefordert. Jetzt streben Sie strengere Grenzwerte für diese Stoffe an, und die allergenen Duftstoffe haben Sie im Forderungsteil Ihres Antrags offensichtlich vergessen. Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungskoalition, ziehen Sie Ihren Antrag zurück! (Lachen des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]) Wichtige Forderungen fehlen. Das kann ja einmal passieren, man muss aber nicht darauf beharren, und schon gar nicht, wenn es um so etwas Wichtiges wie Kindergesundheit geht. Unterstützen Sie hier und jetzt doch lieber unseren Antrag im Interesse und für den Schutz der Gesundheit der Kinder! Alle Eltern wären Ihnen dafür dankbar. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir nächstes Jahr nicht wieder kurz vor Weihnachten über Gift im Spielzeug debattieren müssen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Deswegen unserem Antrag zustimmen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Jetzt hat das Wort Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weihnachten steht fast vor der Tür, Zeit der Geschenke, besonders für Kinder. Kinder finden unter dem Weihnachtsbaum sicherlich am häufigsten Spielzeug. Das soll weiterhin so bleiben. Der Deutsche Verband der Spielwaren Industrie spricht jetzt schon von einem Umsatzplus von 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und hofft auf ein noch besseres Weihnachtsgeschäft. Allerdings muss man sich angesichts der kürzlich erschienenen Untersuchungsergebnisse der Stiftung Warentest fragen, ob für die Kleinsten wirklich nur das Beste unterm Tannenbaum liegt. Immerhin waren 80 Prozent der getesteten Spielzeuge in irgendeiner Form mangelhaft und wiesen Gefahren für Kinder auf. Das ist für Eltern, Großeltern, für uns alle sehr bedenklich. Hier müssen wir etwas tun. Deshalb haben wir als Koalition einen Antrag auf den Tisch gelegt, der mehrere Forderungen für einen höheren Schutz vor mangelhaftem Spielzeug enthält. Zum einen fordern wir Nachbesserungen bei der EU-Spielzeug-Richtlinie. Diese Richtlinie - 2008 gegen die Stimme Deutschlands verabschiedet, liebe Kollegin - erhöht zwar das Schutzniveau bei Spielzeug deutlich, ist aber unseres Erachtens nicht ausreichend. Deshalb - das wiederhole ich - hat Deutschland damals nicht zugestimmt. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja! Zuhören!) Es ist zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung in Brüssel für Nachbesserungen starkmacht. Bis zum Inkrafttreten 2011 bzw. 2013 muss einiges geändert werden. Wir fordern im Einzelnen Folgendes: Erstens müssen die festgelegten Grenzwerte für Chemikalien, insbesondere für Schwermetalle wie Blei und Cadmium, und für allergene Stoffe wie Nickel und Duftstoffe an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden. Zum Glück führt die Forschung immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Nach unserer Meinung sind die Grenzwerte bisher zu hoch und sollten deutlich abgesenkt werden. Zweitens sind wir der Auffassung, dass krebserregende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe, sogenannte CMR, in Spielzeugen nichts zu suchen haben und generell zu verbieten sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Viele polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, PAK, die beispielsweise in Weichmachern zu finden sind, besitzen krebserregende Eigenschaften und zählen somit zu den CMR-Stoffen. Man sieht dem Spielzeug nicht an, ob es giftige Weichmacher enthält. Deshalb dürfen wir hier kein Risiko eingehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Drittens fordern wir ein umfassendes Migrationskonzept. Maßgeblich ist nämlich nicht nur, wie viel eines Stoffes im Spielzeug ist, sondern auch, wie sich dieser Stoff verhält, wenn am Spielzeug gerieben, gelutscht oder gekaut wird. Das lässt sich bei Kindern eben nicht vermeiden. Das muss untersucht werden. Wir brauchen verlässliche Angaben über die Gefährlichkeit eines Spielzeugs aufgrund der Migration seiner Inhaltsstoffe. Schließlich muss geprüft werden, inwiefern es sinnvoll ist, Spielzeuge generell als Lebensmittelbedarfsgegenstände zu klassifizieren. Mein Kollege Dr. Schweickert hat dies anhand eines Trinkglases deutlich gemacht. Mit diesen materiellen Änderungen allein ist es allerdings nicht getan. Das Ganze muss auch für den Kunden nachvollziehbar sein. In Deutschland haben wir mit dem freiwilligen Gütesiegel "GS" sehr positive Erfahrungen gemacht. Sie kennen das Logo bestimmt. Im Gegensatz zum CE-Zeichen ist das für den Kunden ein aussagekräftiges Emblem. Ich bin sehr froh, dass sich unsere Bundesregierung dafür starkgemacht hat, dass wir dieses Zeichen behalten dürfen; das ist ein großer Vorteil für unsere deutschen Kunden. Unsere Bundesregierung hat das in Brüssel durchgesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was sich bewährt hat, sollte ausgebaut werden. Ein solches Zeichen muss es, zusammen mit einer verpflichtenden Drittprüfung, auch auf EU-Ebene geben. Das gibt Herstellern die Möglichkeit, sich positiv von ihren Wettbewerbern abzugrenzen, und schafft für die Käufer mehr Transparenz. Die Welt besteht allerdings nicht nur aus der EU. Das meiste Spielzeug, das wir in deutschen Kaufhäusern finden, kommt aus China. Deshalb ist es wichtig, dass das Wirtschaftsministerium im Bereich der Produktsicherheit bereits intensiv mit den Kollegen in China zusammenarbeitet. So können Produktmängel bereits im Ursprungsland behoben werden. Werden parallel dazu die Kontrollen an den EU-Außengrenzen und die Marktaufsicht verstärkt, kann man verhindern, dass gefährliches Spielzeug überhaupt auf den europäischen Binnenmarkt gelangt. Schließlich - das ist der letzte, aber auch ein sehr elementarer Punkt - soll es unserer Auffassung nach eine breit angelegte Informations- und Aufklärungskampagne geben. Jeder von uns, der schon einmal ratlos vorm Spielzeugregal gestanden hat, wird mir zustimmen: Hier braucht es mehr Information. Der Kunde muss wissen, worauf er achten soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn es um die Sicherheit von Spielzeug geht, darf es keine Kompromisse und Ausnahmen geben. Liebe Kollegen von der Opposition, Ihre Anträge haben zwar die gleiche Intention, verfehlen aber das Ziel. Denn nationale Alleingänge, die Sie fordern, bringen uns im Zeitalter des europäischen Binnenmarktes überhaupt nicht weiter. Dadurch werden Sie die Sicherheit von Kinderspielzeug nicht erhöhen. Deshalb fordere ich Sie auf: Schließen Sie sich dem Antrag der Koalitionsfraktionen an! Dann können Sie wirklich etwas für die Sicherheit von Kinderspielzeug tun. Helfen Sie mit, zusammen mit der Bundesregierung für einen besseren Schutz bei Kinderspielzeug zu sorgen, damit wir alle unsere Weihnachtseinkäufe in Zukunft unbesorgt erledigen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder müssen vor Weihnachten Spielzeuge aus dem Verkehr gezogen werden, weil sie lebensgefährlich, zumindest aber gesundheitsschädigend sind. Nach wie vor finden Verbraucherschützer in Spielsachen Gift. Seit Jahren ist dieses Problem bekannt, geschehen ist bisher wenig. Fest steht: Auch zum diesjährigen Weihnachtsfest herrscht Unsicherheit. Eltern können nicht darauf vertrauen, dass Spielzeuge sicher sind. Selbst der Kauf heimischer Markenware bietet keine Garantie. Dies zeigt nachdrücklich die Untersuchung der Stiftung Warentest von Ende Oktober 2010. Das Bundesinstitut für Risikobewertung sattelt obendrauf und hebt hervor: Auch die Regelungen der gerade überarbeiteten EU-Spielzeug-Richtlinie sind nicht geeignet, Kinder vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Die Grenzwerte, die die Brüsseler Vorschriften für unbedenklich halten, sind viel zu hoch. - Dies betonen die Experten vor dem Hintergrund der Zunahme der Fälle von Kinderkrebs in Deutschland. Immerhin haben unsere Initiativen, hat der Druck der Opposition jetzt auch die Regierung zur Initiative bewegt. Wir mussten dieses Thema aber erst mehrfach in den Ausschüssen zur Sprache bringen und eine Anhörung erzwingen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: "Erzwingen"?) Wir begrüßen, dass man jetzt in Brüssel vorstellig geworden ist. Immerhin prüft die Europäische Kommission die deutschen Vorschläge zur Minderung giftiger Schadstoffe in Spielzeugen. Doch das kann dauern. Voraussichtlich wird auf diesem Weg erst in circa drei Jahren eine Regelung erreicht, die unsere Kinder wirksam vor den sogenannten PAK, den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, schützt. Das ist uns zu spät. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Uns auch! Deswegen werden wir ja aktiv!) Zum Teil handelt es sich dabei um krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende Substanzen, die, wenn sie in Spielzeugen sind, für die Kinder verheerende Folgen haben können. Für die Linke ist deshalb klar: Wir dürfen nicht auf eine Entscheidung in Brüssel warten, wenn die Gesundheit unserer Kinder auf dem Spiel steht. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Deswegen treiben wir das ja voran!) Belastetes Spielzeug muss sofort verboten werden, notfalls auch in einem nationalen Alleingang von Deutschland. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das geht jederzeit!) Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns an eine EU-Richtlinie halten sollen, deren Einhaltung auch von Experten als gesundheitsschädlich beurteilt wird? In Deutschland gilt noch immer das Grundgesetz, das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das bedeutet: Vorsorge hat Vorrang. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Genau das tun wir!) Die Regierungskoalition hat nun in Reaktion auf die Initiativen der Opposition eiligst noch einen eigenen Antrag zur Nachbesserung der EU-Spielzeug-Richtlinie nachgeschoben. Darin bittet sie die EU-Kommission, strengere Grenzwerte anzustreben, (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie es das BfR vorgibt!) und betont, man wolle nationale Alleingänge vermeiden. Die Regierung bleibt also untätig und will nicht wirklich Konsequenzen ziehen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist nicht wahr!) In der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf meine Anfrage zu diesem Thema von letzter Woche heißt es, man habe bereits 2007 Eckpunkte zur Stärkung der Marktüberwachung erarbeitet. Jetzt, also drei Jahre später, sollen sie endlich Gegenstand des Gesetzentwurfs werden. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wer war denn 2007 an der Regierung?) - Wir nicht. - Meine Damen und Herren von der Regierung, so riskieren und gefährden Sie die Gesundheit vieler Kinder. Wir, die Linke im Bundestag, fordern: Gesundheitsschädliche und krebserregende Stoffe haben im Spielzeug nichts verloren, (Beifall bei der LINKEN) zumindest dürfen sie auch mithilfe der jeweils modernsten Technik nicht nachweisbar sein. Wir wollen, dass die Regelungen, die für die Lebensmittelverpackungen gelten, auch für Spielzeug zugrunde gelegt werden. (Beifall bei der LINKEN) Hersteller und Importeure sind zu verpflichten, Nachweise über die Einhaltung der Bestimmungen zu erbringen, bevor ein Spielzeug in Deutschland auf den Markt gebracht werden darf. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja, das steht drin!) Für die Überwachung durch die Behörden ist eine bundeseinheitliche Vorgehensweise festzulegen, die auch von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden kann. Wichtig ist: Im Falle eines Verstoßes sind die Namen der beteiligten Hersteller, Händler und Importeure sowie die Verkaufsorte umgehend zu veröffentlichen. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja!) Wir bitten Sie deshalb im Interesse der Kinder: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist nicht neu, die FDP im Bundestag hat es nicht erfunden; vielmehr haben wir schon vor zweieinhalb Jahren hier im Parlament Anträge zu diesem Thema debattiert. Wir waren uns damals einig, dass Schadstoffe und Gifte nichts im Kinderspielzeug verloren haben. Wir alle wollten eine unabhängige Drittprüfung, und wir alle haben gesagt, dass allergene Duftstoffe verboten werden müssen. Das waren damals nicht die Forderungen der Grünen, sondern die Forderungen der Großen Koalition, denen alle Fraktionen dieses Hauses zugestimmt haben. 2008 hatte man sich also gemeinsam auf diese Position geeinigt. Damals hätte die Bundesregierung handeln müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Leider hat Frau Aigner zwar die mediale Aufmerksamkeit gerne genossen, aber beim Vollzug hat sich wenig getan. Als wir das Thema in diesem Jahr wieder auf die Tagesordnung gesetzt haben, hat Schwarz-Gelb versucht, die Anhörung dazu zu verhindern. Dass Sie das niedliche Quietscheentchen und den Autoreifen mitgebracht haben, war einer Erkenntnis aus dieser Anhörung geschuldet. Da Sie jetzt damit argumentieren, war es vielleicht doch nicht so schlau, damals zu versuchen, die Anhörung zu verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wir wollten ein anderes Datum! Wieso Verhinderung der Anhörung?) Wir warten noch immer auf einen konkreten Maßnahmenplan zum Thema Spielzeugsicherheit. Dass das ein europäisches Thema ist, heißt ja nicht, dass man national die Arbeit daran einstellen muss. (Karin Binder [DIE LINKE]: Genau!) Ich möchte kurz aus einem Bericht zitieren, den wir in dieser Woche erhalten haben. Dort heißt es: In Kürze soll eine gemeinsame Deutsch-Chinesische Arbeitsgruppe Produktsicherheit eingerichtet werden. Diese wird sich insbesondere mit Fragen der Spielzeugsicherheit befassen. Wir haben jetzt November 2010. Im Frühjahr 2008 haben wir darüber diskutiert. Damals war schon klar, dass China beim Thema Spielzeugsicherheit eines der zentralen Probleme darstellt. Ich frage mich: Warum dauert es so lange, bis diese Arbeitsgruppe eingerichtet wird? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: 2008 hätten wir loslegen können!) Wenn es um die Exportförderung für Schweinefleisch geht, ist der Staatssekretär kaum noch aus Fernost wegzukriegen. Da geht es schneller. Aber wenn es um Kinderspielzeug geht, müssen wir offensichtlich jahrelang warten. Ich glaube, beim Vollzug gibt es eine ganze Menge Probleme. Ich habe heute einmal bei Amazon geschaut. Mehrere der bei Stiftung Warentest als besonders giftig getesteten Produkte kann man da immer noch bestellen. Das konnten wir vor zehn Minuten feststellen. Das zeigt, dass wir beim Vollzug noch nachzuarbeiten haben, und der Vollzug, Frau Schön, ist eine nationale Aufgabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Eine Aufgabe der Länder!) Hier darf sich die EU nicht in unsere Politik einmischen. Ich möchte noch kurz sagen, warum wir dem Antrag der schwarz-gelben Koalition nicht zustimmen werden. Wir haben 2008 einen sehr guten Antrag gemeinsam beschlossen. Das war nicht unser Antrag, sondern ein Antrag der Großen Koalition. Der Antrag, den Sie heute hier vorlegen, geht hinter das zurück, was Sie von der CDU/CSU damals eingebracht haben. 2008 waren wir uns einig, die krebserregenden, erbgutschädigenden Stoffe zu verbieten. Heute ist von einem Verbot keine Rede mehr, sondern nur noch von strengeren Grenzwerten. 2008 waren wir uns beim Verbot allergener Duftstoffe einig. Auch von einem solchen Verbot ist heute nichts mehr zu hören. Ich frage mich: Sind allergene Duftstoffe in den letzten zwei Jahren notwendiger geworden? Nein! Sie sind heute genauso überflüssig wie damals. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das war eine andere Regierung!) 2008 wurde außerdem gefordert - alle waren sich einig -, Spielzeug für Kleinkinder mit Lebensmittelbedarfsgegenständen gleichzusetzen. In dem heute vorliegenden Antrag ist nur noch die Prüfung enthalten. Wir können diese Prüfung direkt durchführen: Hat irgendjemand Zweifel daran, dass Kleinkinder Spielzeug in den Mund stecken? Nein. Also ist wohl geklärt und muss nicht mehr geprüft werden, dass die Lebensmittelbedarfsgegenstände der richtige Bezugsrahmen für Kinderspielzeug sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wir sind da nicht der Gesetzgeber!) Sie wollen explizit nationale Maßnahmen ausschließen. In einem gemeinsamen Binnenmarkt muss man gemeinsam vorangehen. Das heißt aber nicht, dass man auf nationaler Ebene die Arbeit einstellen kann. Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir hoffen, dass Sie jetzt endlich im Vollzug aktiv werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Peter Bleser für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Präsident! Ich darf heute die Debatte mit meinem Beitrag schließen. Ich will aber zunächst einmal für uns alle gemeinsam feststellen, dass es bei der Sicherheit von Kinderspielzeug keine Kompromisse geben darf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!) Deswegen senden wir an diesem Freitagnachmittag Signale nach Brüssel, die dortige Rechtsetzung in unserem Sinne zu beeinflussen. Frau Maisch, Sie haben gerade auf Ihren Antrag hingewiesen. Ich könnte die Anträge unserer Koalition, aber auch die der anderen Fraktionen hier vorlegen. Dünner als Ihrer ist keiner; das kann ich Ihnen nur sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Es geht um Qualität, nicht um Quantität!) Das sind noch nicht einmal zwei Seiten. Während sich alle anderen mit den Themen fundiert und vertieft befasst haben, haben Sie hier etwas hingehuddelt, was man niemandem ernsthaft zumuten kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch? Peter Bleser (CDU/CSU): Ich habe es befürchtet. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Du hast es provoziert!) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Bleser, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass wir 2008 in diesem Haus mehrere Anträge zu diesem Thema vorliegen hatten und dass der Antrag der Grünen und der Antrag der Koalition zu ungefähr 90 Prozent deckungsgleich waren, dass also hier im Haus ein Konsens bestand, und dass man Dinge, die gut und im Konsens beschlossen sind, nicht immer wiederholen muss? Peter Bleser (CDU/CSU): Frau Maisch, das gestehe ich Ihnen gerne zu. Ein Hinweis in Ihrem Antrag, dass Sie zu 90 Prozent mit unserem Antrag übereinstimmen, hätte da Abhilfe geschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, hier ist ja alles schon mehrfach gesagt worden. Dass wir bei beanstandetem Spielzeug einen dramatischen Anstieg zu verzeichnen haben - das europäische Schnellwarnsystem Rapex hat einen Anstieg um 40 Prozent zu Beginn des Jahres 2010 gemeldet; es geht zum Beispiel um verschluckbare Kleinteile und chemische Stoffe, die sich lösen -, ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Also unterstützen Sie unseren Antrag!) Deswegen sind wir dankbar, dass die Bundesregierung der europäischen Spielzeug-Richtlinie nicht zugestimmt, sondern sie abgelehnt hat. Aus diesem Grund läuft jetzt der Prozess. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Ja, schon seit vielen Jahren!) Wir müssen die europäische Rechtsetzung in der Form beeinflussen, dass sie unsere Vorstellungen von Qualität und Sicherheit erfüllt. Frau Kollegin Drobinski-Weiß, ich muss Ihnen schon vorwerfen (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Ich höre, Herr Bleser!) - aber bitte keine Zwischenfrage! -, dass Kommissar Verheugen seinerzeit auf europäischer Ebene das GS-Zeichen abschaffen wollte. Es ist durch unseren Druck und mithilfe unserer europäischen Kollegen in der EVP-Fraktion gelungen, es zumindest auf freiwilliger Basis zu halten. Ich denke, das war schon ein kleiner Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will jetzt nicht alle Wortbeiträge wiederholen und kommentieren; denn wir sind uns in der Zielsetzung einig. Die Anträge unterscheiden sich nicht sehr stark voneinander. Unser Antrag ist umfassend, und der Kollege Schweickert hat Gummienten und Autoreifen mitgebracht. Das war pädagogisch sehr anschaulich. Ich habe mir deshalb nicht selber die Mühe machen müssen. Sie können mit unserem Antrag zu einem wesentlichen Teil übereinstimmen. Deshalb bitte ich Sie, ihm zuzustimmen. Was wollen wir? Wir wollen zunächst einmal, dass die Kontrollen an den Außengrenzen erhöht werden. Wenn allein in Hamburg 8 Millionen Container im Jahr angelandet werden, dann ist mit einer stichprobenartigen Überwachung kein Blumentopf zu gewinnen. Deswegen ist die verpflichtende Drittprüfung und das damit verbundene GS-Zeichen eine Kontrolle der Kontrolle, durch die die Sicherheit des Produkts am Produkt selber für den Käufer sichtbar in der Breite dargestellt werden kann. Ich glaube, dieses Ziel müssen wir auf europäischer Ebene erreichen. Kollege Schweickert hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nationale Maßnahmen letztlich nicht helfen. Die Grenzen sind offen. An den Westgrenzen machen wir fast täglich davon Gebrauch. Das ist sehr sinnvoll, und darüber freuen wir uns. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die verpflichtende Drittprüfung ist entscheidend. Darüber hinaus müssen Spielzeuge, die in den Mund genommen werden können, als Lebensmittelbedarfsgegenstände klassifiziert werden. Auch das ist entscheidend. Damit bekommen wir nämlich das Problem des Austretens von Substanzen bei Gegenständen, die in den Mund genommen werden können, in den Griff. Ich glaube, dass wir mit diesen drei Zielen - Drittprüfung, GS-Zeichen und Klassifizierung als Lebensmittelbedarfsgegenstände - durch Rechtsetzung auf europäischer Ebene dem Problem Herr werden können. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit vor Weihnachten - das ist mein Wunsch, den Sie sicherlich alle teilen - endlich eine europäische Richtlinie haben, die unserem Anspruch an Spielzeugsicherheit entspricht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/3695. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/3424 mit dem Titel "Kinderfreundliche Nachbesserung der EU-Spielzeug-Richtlinie dringend erforderlich". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2345 mit dem Titel "Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1563 mit dem Titel "Krebserregende Stoffe in Kinderspielzeugen durch Sofortmaßnahmen ausschließen". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/656 mit dem Titel "Kinderspielzeug - Risiko für kleine Verbraucher". Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und Linken angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 23. November 2010, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein heiteres, freundliches Wochenende. (Schluss: 15.14 Uhr) Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ackermann, Jens FDP 12.11.2010 van Aken, Jan DIE LINKE 12.11.2010 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 12.11.2010 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 12.11.2010 Buchholz, Christine DIE LINKE 12.11.2010 Bülow, Marco SPD 12.11.2010 Burkert, Martin SPD 12.11.2010 Ernst, Klaus DIE LINKE 12.11.2010 Evers-Meyer, Karin SPD 12.11.2010 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 12.11.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 12.11.2010 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 12.11.2010 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 12.11.2010 Gottschalck, Ulrike SPD 12.11.2010 Granold, Ute CDU/CSU 12.11.2010 Griese, Kerstin SPD 12.11.2010 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 12.11.2010 Hochbaum, Robert CDU/CSU 12.11.2010 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.11.2010 Holmeier, Karl CDU/CSU 12.11.2010 Klöckner, Julia CDU/CSU 12.11.2010 Liebich, Stefan DIE LINKE 12.11.2010 Lühmann, Kirsten SPD 12.11.2010 Luksic, Oliver FDP 12.11.2010 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 12.11.2010 Movassat, Niema DIE LINKE 12.11.2010 Mücke, Jan FDP 12.11.2010 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 12.11.2010 Nietan, Dietmar SPD 12.11.2010* Oswald, Eduard CDU/CSU 12.11.2010 Pronold, Florian SPD 12.11.2010 Rachel, Thomas CDU/CSU 12.11.2010 Röspel, René SPD 12.11.2010 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 12.11.2010 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 12.11.2010 Schlecht, Michael DIE LINKE 12.11.2010 Schmidt (Aachen), Ulla SPD 12.11.2010* Schreiner, Ottmar SPD 12.11.2010 Dr. Schwanholz, Martin SPD 12.11.2010 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 12.11.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 12.11.2010 Wicklein, Andrea SPD 12.11.2010 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 12.11.2010 Zapf, Uta SPD 12.11.2010 Ziegler, Dagmar SPD 12.11.2010 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 12.11.2010 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der NATO Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Tagesordnungspunkt 32 a) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich unterstütze die Reform der Gesetzlichen Krankenkassen, GKV. Das drohende Milliardendefizit in der GKV und die aus dem medizinisch-technischen Fortschritt resultierenden Kosten machen Reformmaßnahmen unumgänglich. Mit dem zur zweiten und dritten Lesung anstehenden GKV-Finanzierungsgesetz wird gewährleistet, dass auch in Zukunft jeder den direkten Zugang zu unserer Gesundheitsversorgung in unserem Land erhält. Allerdings wird mit dem Gesetz auch die Angleichung der Landesbasisfallwerte auf einen bundeseinheitlichen Basisfallwert nach 2014 gestoppt. Traditionell hatte Schleswig-Holstein schon immer ein vergleichsweise niedriges Budget für die somatische stationäre Versorgung und damit niedrige Fallkosten. Das heißt, für gleiche Tätigkeiten erhalten die Krankenhäuser in Schleswig-Holstein weniger als Krankenhäuser in anderen Bundesländern. Die vorgesehene Regelung zementiert dieses Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Bundesländern und bedeutet eine dauerhafte Schlechterstellung der Krankenhäuser in Schleswig-Holstein. Dies lehne ich ab. Ich erwarte baldmöglichst eine alternative Lösung, die diesen Nachteil für die Krankenhäuser in Schleswig-Holstein behebt. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Ich unterstütze die Reform der Gesetzlichen Krankenkassen, GKV. Das drohende Milliardendefizit in der GKV und die aus dem medizinisch-technischen Fortschritt resultierenden Kosten machen Reformmaßnahmen unumgänglich. Mit dem zur zweiten und dritten Lesung anstehenden GKV-Finanzierungsgesetz wird gewährleistet, dass auch in Zukunft jeder den direkten Zugang zu unserer Gesundheitsversorgung in unserem Land erhält. Allerdings wird mit dem Gesetz auch die Angleichung der Landesbasisfallwerte auf einen bundeseinheitlichen Basisfallwert nach 2014 gestoppt. Traditionell hatte Schleswig-Holstein schon immer ein vergleichsweise niedriges Budget für die somatische stationäre Versorgung und damit niedrige Fallkosten. Das heißt, für gleiche Tätigkeiten erhalten die Krankenhäuser in Schleswig-Holstein weniger als Krankenhäuser in anderen Bundesländern. Eine dauerhafte Schlechterstellung der Krankenhäuser in Schleswig-Holstein ist nicht akzeptabel. Der Prozess der Angleichung der Basisfallwerte muss weitergeführt werden, um ein faires wettbewerbliches System im Krankenhausbereich zu erreichen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): In der Koalitionsvereinbarung heißt es unter dem Punkt 7.4 "Menschen mit Behinderungen": Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Auch der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf der Koalition zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung muss sich - hier stimme ich mit der CDU/CSU und FDP hoffentlich überein - daran messen lassen; denn der überwiegende Teil der Menschen mit Behinderungen sind Mitglieder in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Was also sind die Inhalte der UN-Behindertenrechtskonvention, vor allem in den Art. 25 "Gesundheit" und Art. 26 "Habilitation und Rehabilitation", an der ich meine heutige Entscheidung zur Abstimmung der vorliegenden Gesetzentwürfe und Anträge messe? Ich zitiere aus Art. 25 der seit März 2009 in Deutschland geltenden Behindertenrechtskonvention: Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu genießen. ... Insbesondere a) stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen ...; b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen; c) bieten die Vertragsstaaten diese Gesundheitsleistungen so gemeindenah wie möglich an, auch in ländlichen Gebieten; d) erlegen die Vertragsstaaten den Angehörigen der Gesundheitsberufe die Verpflichtung auf, Menschen mit Behinderungen eine Versorgung von gleicher Qualität wie anderen Menschen angedeihen zu lassen, namentlich auf der Grundlage der freien Einwilligung nach vorheriger Aufklärung, indem sie unter anderem durch Schulungen und den Erlass ethischer Normen für die öffentliche und private Gesundheitsversorgung das Bewusstsein für die Menschenrechte, die Würde, die Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen schärfen; e) verbieten die Vertragsstaaten die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in der Krankenversicherung und in der Lebensversicherung ... solche Versicherungen sind zu fairen und angemessenen Bedingungen anzubieten; f) verhindern die Vertragsstaaten die diskriminierende Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung oder -leistungen oder von Nahrungsmitteln und Flüssigkeiten aufgrund von Behinderung. Spielten die Inhalte dieses Artikels der UN-Behindertenrechtskonvention bei den politischen Entscheidungen des Bundesgesundheitsministers und der Koalitionsfraktionen eine Rolle? Ich meine: Nein! Wird mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetz zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen in irgendeiner Weise verbessert? Ich meine: Nein! Im Gegenteil: Auch Menschen mit Behinderungen werden infolge dieses Gesetzes mehr zahlen und schlechtere Leistungen erhalten. Damit macht die Bundesregierung deutlich, wie ernst sie es mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und ihren in diesem Zusammenhang gegebenen Versprechungen meint. Deshalb sage ich bei der Abstimmung: Nein! Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler und Angelika Graf (Rosenheim) (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Tagesordnungspunkt 32 a) "Eine Umstellung der bestehenden, am Lohn orientierten und sozial gerechten Arbeitnehmerbeiträge auf eine Pauschale wird es mit mir nicht geben", erklärte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer noch im Februar 2010. Leider waren sämtliche Äußerungen der Herren Seehofer, Dobrindt oder Söder nur ein erbärmliches Schmierentheater auf Kosten der Älteren, der Mittelschicht, der einfachen sowie der einkommensschwachen gesetzlich Versicherten in unserer Gesellschaft. Mit dem Einstieg in ein Kopfpauschalenmodell, das der Gesetzentwurf vorsieht, droht diesen Bevölkerungsgruppen eine massive Belastung und deutlich weniger Netto vom Brutto. Der Wortbruch der CSU führt künftig zu unbegrenzt wachsenden Kopfpauschalen. Die Christlich Soziale Union unterschreibt mit ihrer Zustimmung zum GKV-FinG ihre Bankrotterklärung und blendet die Realität ganzer Bevölkerungsgruppen wie der Rentnerinnen und Rentner vollkommen aus. Der Arbeitgeberbeitrag wird nach der im Gesetzentwurf geplanten Erhöhung eingefroren. Die solidarische Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und Rentner auf der einen Seite und Arbeitgeber auf der anderen Seite will die Bundesregierung damit systematisch beenden. Weil die Arbeitgeber von CDU, CSU und FDP aus der Solidarität entlassen werden, müssen gesetzlich versicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und Rentner die zu erwartenden künftigen Kostensteigerungen alleine stemmen. Für die Höhe der Kopfpauschale pro Kassenmitglied spielt es keine Rolle, ob die Betroffenen nur über eine kleine Rente verfügen oder zu den Gutverdienern gehören. Kleine Einkommen werden also durch den Gesetzentwurf überproportional belastet. Das bedeutet eine drastische und klare Umverteilung von unten nach oben, die ich als zutiefst unsozial ablehne. Der sogenannte "Sozialausgleich" ist ein Abbild für die Verschleierung der unsozialen Politik der schwarz-gelben Bundesregierung und verdient den Namen nicht. Der "Sozialausgleich" ist ein schäbiges bürokratisches Monstrum, das an Zynismus kaum zu überbieten ist und neuerdings selbst von den eigenen Erfindern als ungerecht und überarbeitungswürdig bezeichnet wird. Er gleicht auch bei kleinen Einkommen in keinster Weise die zusätzlichen Kosten für die Zusatzbeiträge aus. Der Gesetzentwurf sieht zwar zahlreiche zusätzliche Belastungen, aber leider in keinem Punkt eine bessere Versorgung der gesetzlich Versicherten vor. Im Gegenteil: Mit der im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderung des § 73 b SGB V werden die Hausarztverträge, die auf eine bessere Versorgung der gesetzlich Versicherten zielen, faktisch ausgehebelt. Dies ist ein weiterer Wortbruch der CSU, die den Erhalt der Hausarztverträge versprochen hatte, und vergrößert insbesondere die Problematik der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum. Es ist völlig absurd, dass die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt hat und über die Stärkung der Hausärzte spricht, aber das Gegenteil macht, wenn es konkret wird. Ich bin zutiefst entsetzt, wie hier mit den gesetzlich Versicherten umgegangen wird. Eine Bundesregierung, die so agiert und den Privatversicherungen jeden Wunsch von den Lippen abliest, ist nicht nur sehr weit weg von den Menschen, sie untergräbt den Zusammenhalt der Generationen und die Solidarität von Starken und Schwachen, von Gesunden und Kranken. Sie wird die Politikverdrossenheit in unserem Land steigern. Sie schadet damit der parlamentarischen Demokratie. Es wird immer deutlicher, dass die Bürgerversicherung der SPD die einzig gerechte und nachhaltige Antwort auf die demografische Entwicklung und die steigenden Kosten des medizinischen Fortschritts ist. Wir brauchen mehr Solidarität und nicht ein Aufbürden kommender Lasten allein auf die gesetzlich Versicherten. Für eine solidarische Gesundheitsversorgung für alle - finanziert von allen! Wir lehnen den unsozialen Gesetzentwurf aus den genannten Gründen entschieden ab und bedauern, dass die 70 Millionen gesetzlich Versicherten die einzige Gruppe im Gesundheitswesen sind, die bei dieser Bundesregierung keine Lobby hat. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Veronika Bellmann, Heike Brehmer, Ingrid Fischbach, Ingo Gädechens, Frank Heinrich, Rudolf Henke, Robert Hochbaum, Axel Knoerig, Dr. Hermann Kues, Katharina Landgraf, Ingbert Liebing, Matthias Lietz, Rita Pawelski, Erwin Rüddel, Anita Schäfer (Saalstadt), Karl Schiewerling, Uwe Schummer, Armin Schuster (Weil am Rhein), Volkmar Vogel (Kleinsaara), Dr. Johann Wadephul, Marcus Weinberg (Hamburg), Peter Wichtel, Dr. Matthias Zimmer und Willi Zylajew (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) (Tagesordnungspunkt 32 a) "Gesundheit wird in einer älter werdenden Gesellschaft, die den Zugang zu medizinischem Fortschritt für alle, unabhängig von Alter, Einkommen oder sozialem Status, erhalten will, teurer werden." Diese Wahrheit ist so simpel wie offensichtlich und wird doch allzu häufig negiert. Ziel muss es daher sein, steigende Gesundheitskosten in Zukunft nicht weiterhin automatisch zulasten der Arbeitskosten in Deutschland zu finanzieren. Denn immer weiter steigende Sozialversicherungsbeiträge belasten Investitionen und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Deutschland. Dies ist der entscheidende Ansatzpunkt der aktuell diskutierten Finanzreform für die gesetzliche Krankenversicherung: Sie entkoppelt die künftigen Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen von den Lohnkosten. Denn sie werden über den lohnunabhängigen Zusatzbeitrag, den die Kassen kassenindividuell von ihren Mitgliedern erheben können, finanziert. Damit niemand überfordert wird, erhalten diejenigen Beitragszahler eine aus Steuermitteln finanzierte Entlastung, bei denen der durchschnittliche Zusatzbeitrag 2 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens übersteigt. Damit wird erstmals der Sozialausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung auf wesentlich breitere Füße gestellt, da durch die Steuerfinanzierung alle Steuerzahler - übrigens inklusive der Privatversicherten und der Arbeitgeber - nach ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit zum Sozialausgleich beitragen. Dies ist ein beachtlicher Schritt, denn bisher lastete seit Bismarck die gesamte Beitragslast in der GKV nahezu ausschließlich auf den Schultern der abhängig Beschäftigten und Rentner in Deutschland. Allerdings bleibt eine Ungerechtigkeit: Für die Frage, wer überfordert ist und damit einen Sozialausgleich erhält oder nicht, werden nur Lohn, Gehalt und Rente herangezogen. Einkünfte zum Beispiel aus Vermietung und Verpachtung, Zinsen oder Dividenden und andere Einkünfte spielen dabei nach dem vorliegenden Gesetzentwurf weiterhin keine Rolle. So kann es passieren, dass jemand mit einem kleinen Erwerbseinkommen oder einer kleinen Rente einen Steuerzuschuss zum Zusatzbeitrag erhält, obwohl der Versicherte etwa über erhebliche Zins- oder Mieteinnahmen verfügt. Dies ist nicht gerecht. Zu Recht wird übrigens bei den freiwillig Versicherten bereits von Anfang an das Gesamteinkommen für den Sozialausgleich berücksichtigt. Daher wäre es richtig, generell beim Sozialausgleich nicht allein auf das beitragspflichtige Einkommen aus Lohn, Gehalt und Rente abzustellen, sondern die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zahlenden Mitgliedes zu berücksichtigen. Ein solcher Ansatz wird bereits seit 2004 bei der Überforderungsklausel für Zuzahlungen - unter anderem zu Medikamenten und Heil- und Hilfsmitteln - von 2 Prozent - bzw. 1 Prozent für chronisch Kranke - zugrunde gelegt. Es gibt pro Jahr bis zu 7 Millionen Anträge auf Befreiung von der Zuzahlung, die von den Krankenkassen geprüft werden müssen, ohne dass bis heute jemand diesen Aufwand als übermäßig bezeichnet hätte. Denn natürlich bedeutet eine Berücksichtigung der tatsächlichen Einkommenssituation im ersten Schritt zusätzlichen Aufwand für die Krankenkassen. Aber der enorme Gerechtigkeitsgewinn - und auch die daraus resultierende Ersparnis beim Sozialausgleich - machte dies zumindest mittelfristig bei Weitem wett. Zudem wäre die Zahl der tatsächlichen zusätzlichen Einkommensprüfungen derzeit überschaubar, da nur bei einem geringen Teil der Mitglieder notwendig. So müsste zum Beispiel eine tatsächliche Prüfung der Einkommenssituation bei einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 10 Euro wohl nur bei denjenigen erfolgen, die weniger als 500 Euro Einkommen haben. Dies beschränkt sich auf knapp 1 Million Menschen. Zudem darf man davon ausgehen, dass bereits ein großer Anteil davon einen Antrag auf Befreiung von der Zuzahlung gestellt haben dürfte, sodass die jeweilige Einkommenssituation den Krankenkassen bekannt ist. Erst dieser Schritt macht den nun eingeschlagenen Weg einer gerechteren weil die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Versicherten berücksichtigenden, Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung komplett. Da sich im Gesetzgebungsverfahren zum GKV-Finanzierungsgesetz keine Mehrheiten dafür finden ließen, muss er spätestens bei der nächsten Finanzreform folgen. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 876. Sitzung am 5. November 2010 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen bzw. einen Einspruch gemäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen: - Gesetz zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie - Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Finanzbeiträge der Europäischen Union zum Internationalen Fonds für Irland (2007 - 2010) - Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2010/2011 (BBVAnpG 2010/2011) - Viertes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR - Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht - Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Gesetz zu dem Änderungsprotokoll vom 21. Januar 2010 zum Abkommen vom 11. April 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern sowie des dazugehörigen Schlussprotokolls in der Fassung des Zusatzabkommens vom 5. November 2002 - Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Syrien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen - Gesetz zu dem Abkommen vom 23. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malaysia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen - Gesetz zum Abkommen vom 25. Januar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Gesetz zu dem Abkommen vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Gesetz zu dem Abkommen vom 19. März 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Anguilla über den steuerlichen Informationsaustausch Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Abschaffung der Visumspflicht für Albanien und Bosnien und Herzegowina auf Drucksache 17/3438 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss - Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" - Krisenprävention als gemeinsame Aufgabe - Drucksachen 16/10034, 17/790 Nr. 2 - Finanzausschuss - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Steuerbegünstigung für Biokraft- und Bioheizstoffe 2008 - Drucksachen 16/13900, 17/3110 Nr. 1 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Steuerbegünstigung für Biokraft- und Bioheizstoffe 2009 - Drucksachen 17/2861, 17/3110 Nr. 3 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Auswirkungen des vorläufigen Verfahrens der Erhebung der Kirchensteuer auf die Kapitalertragsteuer sowie dessen Überprüfung mit dem Ziel der Einführung eines umfassenden verpflichtenden Quellensteuerabzuges auf Grundlage eines elektronischen Informationssystems 2010 - Drucksachen 17/2865, 17/3110 Nr. 4 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/2994 Nr. A.4 EuB-BReg 104/2010 Innenausschuss Drucksache 17/3280 Nr. A.7 Ratsdokument 14376/10 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/3135 Nr. A.5 Ratsdokument 13146/10 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/2994 Nr. A.59 Ratsdokument 12664/10 Drucksache 17/3135 Nr. A.7 Ratsdokument 13329/10 1Anlagen 2 bis 4 2Ergebnis Seite 7878 A 3Ergebnis Seite 7880 C 4Anlage 2 5Ergebnis Seite 7905 C ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 72. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. November 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 72. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. November 2010 7865 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 7880 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 72. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. November 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 72. Sitzung, Berlin, Freitag, den 12. November 2010 7879