Plenarprotokoll 17/77 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 77. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber Erweiterung der Tagesordnung Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/3958, 17/3982) Zur Geschäftsordnung Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" (Drucksache 17/3853) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sabine Leidig, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt" (Drucksache 17/3990) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Sabine Leidig (DIE LINKE) Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bernhard Kaster (CDU/CSU) Peter Friedrich (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 3: Befragung der Bundesregierung: Umweltbericht 2010 Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dr. Matthias Miersch (SPD) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Frank Schwabe (SPD) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dirk Becker (SPD) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dorothee Menzner (DIE LINKE) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Gerd Bollmann (SPD) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Josef Göppel (CDU/CSU) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Tagesordnungspunkt 4: Fragestunde (Drucksachen 17/3947, 17/3988) Dringliche Frage 1 Ulrich Maurer (DIE LINKE) Antrag von Portugal auf Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Ulrich Maurer (DIE LINKE) Andrej Hunko (DIE LINKE) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Mündliche Frage 2 Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stand der Arbeiten am neuen Betreuungsrecht Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Zusatzfragen Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 3 Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Geplante Festschreibung der Besuchshäufigkeit im Gesetzentwurf zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Zusatzfragen Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 4 Burkhard Lischka (SPD) Untersuchungen zur Aufarbeitung der Rolle des Justizministeriums während der NS-Zeit Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Zusatzfragen Burkhard Lischka (SPD) Mündliche Frage 5 Christine Lambrecht (SPD) Gesetzlicher Handlungsbedarf nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur Dauer des Unterhaltsanspruchs von Frauen Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Zusatzfragen Christine Lambrecht (SPD) Mündliche Frage 8 Dr. Eva Högl (SPD) Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Zusatzfragen Dr. Eva Högl (SPD) Mündliche Frage 12 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beteiligung der Finanzinstitute in Deutschland an der Lösung der Schuldenkrise Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 17 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Besteuerung von Biokraftstoffen der sogenannten ersten Generation ab 1. Januar 2013 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 27 Klaus Barthel (SPD) Trend einer weltweiten Verknappung von Rohstoffen, insbesondere bei seltenen Erden Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfrage Klaus Barthel (SPD) Mündliche Frage 28 Klaus Barthel (SPD) Abschluss von Rohstoffpartnerschaftsabkommen mit potenziellen Förderländern zur Beschaffung seltener Erden Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Klaus Barthel (SPD) Manfred Grund (CDU/CSU) Mündliche Frage 29 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ausfuhrgenehmigung bei Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern seit Amtsantritt der Bundesregierung Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 30 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anteil der Waffenexporte seit Amtsantritt der Bundesregierung mit Projektierungen unter rot-grüner, schwarz-roter und schwarz-gelber Regierung Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfrage Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 34 Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Werkstattfähigkeit von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfragen Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 35 Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mitbestimmungsrechte der Werkstatträte sowie Evaluierung von § 139 SGB IX und der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfragen Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 36 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bedeutung des SGB IX bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 37 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einführung eines Bundesteilhabegelds für Menschen mit Behinderung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 51 Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Heraufsetzung der abschlagsfreien Regelarbeitsgrenze für Erwerbsminderungsrente und Rente wegen Schwerbehinderung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Zusatzfragen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 52 Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Bisherige Umsetzung und Weiterentwicklung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Mündliche Frage 78 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Mit Bundesmitteln geförderte Organisationen mit nicht grundgesetzkonformen Zielen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Mündliche Frage 79 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Modellprojekt "Wir fahren nach Berlin - gegen Linksextremismus" der Jungen Union Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Zusatzfragen Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Schlichtungsspruch zum Bahnprojekt Stuttgart 21 Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) Christian Lange (Backnang) (SPD) Patrick Döring (FDP) Sabine Leidig (DIE LINKE) Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) Ute Kumpf (SPD) Werner Simmling (FDP) Uwe Beckmeyer (SPD) Ulrich Lange (CDU/CSU) Steffen Bilger (CDU/CSU) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 1 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schadensersatzansprüche gegenüber Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei fehlerhafter Anlageberatung Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 3 Mündliche Frage 6 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Verfahren an Landwirtschaftsgerichten mit Bezug auf § 19 Grundstückverkehrsgesetz Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 4 Mündliche Frage 7 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Forderungen nach Einschränkung der Pressefreiheit bei erhöhter Terrorgefahr Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 5 Mündliche Frage 9 Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anpassung der Servicezeiten an Bahnhöfen an die Bedürfnisse von Reisenden mit Mobilitätseinschränkungen Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 6 Mündliche Frage 10 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Abschluss eines Steuerabkommens mit der Schweiz unter Einbeziehung einer anonymen Abgeltungsteuer Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 7 Mündliche Frage 11 Heinz Paula (SPD) Erhalt des Zollstatus des Augsburger Flughafens Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 8 Mündliche Frage 13 Klaus Ernst (DIE LINKE) Kredite deutscher Banken an Spanien, Irland und Portugal seit 2005 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 9 Mündliche Frage 14 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Umsatzsteuerbefreiung selbstständig arbeitender Assistenten von Menschen mit Behinderungen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 10 Mündliche Frage 15 Jutta Krellmann (DIE LINKE) Sicherstellung der Einhaltung der Mindestbestimmungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 11 Mündliche Frage 16 Jutta Krellmann (DIE LINKE) Zusätzlicher Aufwand für Prüfungen von ausländischen Leiharbeitsagenturen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 12 Mündliche Frage 19 Hans-Joachim Hacker (SPD) Entwicklung eines sanften Tourismus in der Region Kyritz-Ruppiner Heide Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 13 Mündliche Frage 20 Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Rückforderung der an die Deutsche Zentrale für Tourismus gezahlten Bundesmittel mit zweckwidriger Verwendung Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 14 Mündliche Frage 21 Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Förderung der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V. in den Jahren 2007 bis 2011 und Weiterentwicklung zu einem Kompetenzzentrum für barrierefreies Reisen Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 15 Mündliche Frage 22 Manfred Nink (SPD) Gefährdung der Währungsunion durch Differenzen in der nationalen Wettbewerbsfähigkeit Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 16 Mündliche Frage 23 Manfred Nink (SPD) Schaffung einer europäischen Wirtschaftsregierung Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 17 Mündliche Fragen 24 und 25 Garrelt Duin (SPD) Stärkung der Binnennachfrage und Steigerung des Wachstumspotenzials in Deutschland; Ausgleich der wirtschaftlichen Ungleichgewichte unter den EU-Staaten Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 18 Mündliche Frage 26 Doris Barnett (SPD) Folgen der Verschiebung des Starts der Datenabrufphase des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA) Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 19 Mündliche Frage 31 Doris Barnett (SPD) Gespeicherte Datensätze seit Einführung der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung im Jahr 1998 bzw. des Starts der Datenerhebungsphase des elektronischen Entgeltnachweises und Zugriff auf diese Datensätze Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 20 Mündliche Frage 32 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der Komplexleistung Frühförderung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 21 Mündliche Frage 33 Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Evaluierung der Leistungen der Krankenversicherungsträger im Rehabilitationsprozess Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 22 Mündliche Fragen 38 und 39 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bei Menschen mit Behinderung seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention; etwaige Planung eines Nachteilsausgleichs für Menschen mit Behinderung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 23 Mündliche Frage 40 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen auf EU-Ebene zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung gemäß UN-Behindertenrechtskonvention Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 24 Mündliche Frage 41 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Förderung inklusiver Bildungssysteme Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 25 Mündliche Frage 42 Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Themenkomplex Bildung und Forschung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 26 Mündliche Frage 43 Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 27 Mündliche Fragen 44 und 45 Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Reform der Eingliederungshilfe und Bewertung des Mehrkostenvorbehalts nach § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 28 Mündliche Frage 46 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Anrechnung des Kindergeldes bei Eltern von Erwachsenen mit Behinderungen bei Bezug von Eingliederungshilfe und Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 29 Mündliche Fragen 47 und 48 Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hilfen zur Existenzgründung für Behinderte gemäß UN-Behindertenrechtskonvention Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 30 Mündliche Fragen 49 und 50 Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der Barrierefreiheit gemäß UN-Behindertenrechtskonvention auf Bundes- und Länderebene Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 31 Mündliche Fragen 53 und 54 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) gemäß UN-Behindertenrechtskonvention und Schritte zur Einführung der novellierten Verordnung BITV 2 Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 32 Mündliche Fragen 55 und 56 Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stärkere Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern in den künftigen Berichten über die Lage behinderter Menschen; aktuelle Datenlage zu Menschen mit Behinderung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 33 Mündliche Fragen 57 und 58 Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen zur Sicherung des Zugangs zu Dokumenten, Schulbüchern, E-Books, digitalen Bibliotheken, Nachschlagewerken, Fernsehprogrammen, Filmen und anderen kulturellen Aktivitäten gemäß Art. 30 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 34 Mündliche Fragen 59 und 60 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorlage eines Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) sowie Einrichtung von Focal Points nach Art. 33 BRK Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 35 Mündliche Frage 61 Anette Kramme (SPD) Auswirkungen der Haushaltskürzungen in Jobcentern bzw. Optionskommunen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 36 Mündliche Frage 62 Anette Kramme (SPD) Auswirkungen der Aufhebung der Obergrenze für befristet Beschäftigte in Jobcentern auf die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterstunden Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 37 Mündliche Fragen 63 und 64 Bärbel Bas (SPD) Kostendeckende Überweisung der Krankenversicherungsbeiträge an Arbeitslosengeld-II-Empfänger durch die Bundesagentur für Arbeit Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 38 Mündliche Frage 65 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Streichung des Tarifvorbehalts im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zur Verhinderung von Lohndumping über ausländische Tarifverträge Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 39 Mündliche Frage 66 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Zusammenarbeit der Bundesagentur für Arbeit mit ausländischen Leiharbeitsagenturen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 40 Mündliche Fragen 67 und 68 Werner Dreibus (DIE LINKE) Bedingungen für das Tätigwerden von Leiharbeitsfirmen in Deutschland mit Sitz in den 2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Ländern und Anforderungen für die eingesetzten Leiharbeiter Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 41 Mündliche Frage 69 Klaus Ernst (DIE LINKE) Zuzug von Arbeitskräften aus osteuropäischen EU-Staaten nach Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 42 Mündliche Fragen 70 und 71 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rechte an der Marke "Informationsdienst Holz" Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 43 Mündliche Frage 72 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Länder mit erhöhten Gebühren bzw. Steuern für Transaktionen mit Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 44 Mündliche Frage 73 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beschaffung des Airbus A400M für die Bundeswehr Antwort Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) Anlage 45 Mündliche Frage 74 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhalte der geplanten Bundeswehrreform Antwort Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) Anlage 46 Mündliche Frage 75 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ergebnisse der Prüfung zur Zuständigkeitskonzentration bei der Kinder- und Jugendhilfe Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 47 Mündliche Fragen 76 und 77 Caren Marks (SPD) Fehlen einer Übergangsregelung für Elterngeldbeziehende im SGB-II-Leistungsbezug Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 48 Mündliche Fragen 80 und 81 Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der angekündigten Pflegereform, insbesondere bei pflegebedürftigen Menschen mit Behinderungen Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 49 Mündliche Frage 82 Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei der gesundheitlichen Versorgung Behinderter Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 50 Mündliche Frage 83 Maria Anna Klein-Schmeink (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei der gesundheitlichen Versorgung Behinderter in ländlichen Gebieten Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 51 Mündliche Frage 84 Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Weiterentwicklung der Pflegetransparenzvereinbarungen nach dem Abbruch entsprechender Gespräche Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 52 Mündliche Frage 85 René Röspel (SPD) Erfolgversprechende reproduktionsmedizinische Behandlung inklusive Präimplantationsdiagnostik Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 53 Mündliche Fragen 86 und 87 Harald Weinberg (DIE LINKE) Verminderte Inanspruchnahme notwendiger medizinischer Behandlungen durch Zuzahlungen und Umgang mit anderen Direct Payments Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 54 Mündliche Frage 88 Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Verbesserung der Honorarsituation von Hebammen Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 55 Mündliche Fragen 89 und 90 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Überprüfung des Bedarfsplans Straße durch das BMVBS Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 56 Mündliche Fragen 91 und 92 Ulrike Gottschalck (SPD) Sicherheit im Luftfrachtbereich durch Überprüfung "bekannter Versender" Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 57 Mündliche Frage 93 Hans-Joachim Hacker (SPD) Auswirkungen der Luftverkehrsteuer Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 58 Mündliche Frage 94 René Röspel (SPD) Auswirkungen der Havarie der Ostseefähre "Lisco Gloria" bei Existenz der Fehmarnbelt-Querung Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 59 Mündliche Frage 95 Heinz Paula (SPD) Förderung des Programmgebiets Augsburg des Bundesprogramms "Soziale Stadt" über das Jahr 2010 hinaus Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 60 Mündliche Frage 96 Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Barrierefreiheit im Bahnverkehr Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 61 Mündliche Frage 97 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Äußerung von Bundesminister Dr. Norbert Röttgen zur Regierungskoalition Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 62 Mündliche Frage 98 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Seetransport von Atommüll von Ahaus ins russische Majak Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 63 Mündliche Frage 99 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ortstermin in Russland vor der Entscheidung über den Transport abgebrannter Brennelemente von Ahaus ins russische Majak Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 64 Mündliche Frage 100 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorbehalte des Landes Schleswig-Holstein zur Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke und Meldung der Länder zum tatsächlichen Nachrüstbedarf einzelner Anlagen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 65 Mündliche Frage 101 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswirkungen des § 37 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf die EEG-Umlage Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 66 Mündliche Fragen 102 und 103 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gehäufte Krebsfälle in der Umgebung des Forschungsendlagers Asse II; Konsequenzen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 67 Mündliche Frage 104 Nicole Gohlke (DIE LINKE) Korrekturen im Rahmen des Hochschulpaktes II im Hinblick auf die Berücksichtigung der tatsächlichen Durchschnittskosten pro Studienplatz und unter Berücksichtigung der gestiegenen Zahl der Studienanfänger Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 68 Mündliche Frage 105 Nicole Gohlke (DIE LINKE) Entwicklung der Studienanfängerquote 2010 gegenüber 2009 Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 69 Mündliche Frage 106 Klaus Hagemann (SPD) Kosten und weitere Verwendung des Wissenschaftszuges Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 70 Mündliche Frage 107 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Atommülltransport aus dem Forschungszentrum Jülich nach Lubmin Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 71 Mündliche Fragen 108 und 109 Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Strategie einer Inklusion von Menschen mit Behinderung in die deutsche Entwicklungszusammenarbeit; Zeitplan und Beteiligung der Zivilgesellschaft Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 72 Mündliche Fragen 110 und 111 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Hilfe für den in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsangehörigen Erdoðan Akhanli Antwort Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA Anlage 73 Mündliche Frage 112 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Einfluss auf die Mittelvergabe aus dem europäischen Finanzinstrument für Demokratie und Menschenrechte Antwort Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA Anlage 74 Mündliche Frage 113 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Ausbildung irakischer Richter, Polizei- und Justizvollzugsbeamter im Rahmen der EU-Mission EUJUST LEX Antwort Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA Anlage 75 Mündliche Frage 114 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Anzahl der vom Wahlrechtsauschluss betroffenen Menschen mit umfassender Betreuung Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 76 Mündliche Frage 115 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung zu behindertenpolitischen Sachverhalten in den Jahren 2010 und 2011 Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 77 Mündliche Frage 116 Dr. Eva Högl (SPD) Auswirkungen des Verbots der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht auf die aktuelle Sicherheitslage Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI 77. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 Beginn: 13.00 Uhr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Zu Beginn dieser Sitzung habe ich die hochvergnügliche Aufgabe, dem Kollegen Heinz Riesenhuber zu seinem heutigen 75. Geburtstag zu gratulieren. (Beifall) Ich wünsche Ihnen im Namen des Hauses alles Gute. Natürlich wünschen wir uns alle, dass Sie uns weiterhin so interessante und vergnügliche Reden halten; das ist in diesem Hause wahrlich nicht selbstverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Zur Tagesordnung: Interfraktionell wurde vereinbart, die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt 1 zu erweitern: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sabine Leidig, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt" - Drucksache 17/3990 - Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Drucksachen 17/3958, 17/3982 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Kollege Beck meldet sich zur Geschäftsordnung. Bitte schön, Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bitte, den Bundeswirtschaftsminister für den nächsten Tagesordnungspunkt herbeizuzitieren. Dass die Regierungsbank ganz leer und die Bundesregierung überhaupt nicht zugegen ist, wenn wir nachher über Wachstumspolitik und darüber, welches Wachstum wir wollen, ob wir Wachstum brauchen, oder ob wir Ressourcenverbrauch und Wachstum entkoppeln können, reden, ist einfach nicht hinzunehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Koppelin, bitte schön. Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Kollege Beck, das ist ein interessanter Antrag; ich kann Ihr Anliegen auch verstehen. Ich denke allerdings, wir müssen noch einmal darüber beraten. Deswegen bitte ich um Unterbrechung der Sitzung für eine Fraktionssitzung der FDP-Fraktion. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Altmaier. (Peter Altmaier [CDU/CSU]: Das hat sich dann erledigt!) Ich will die Anmerkung machen, dass ich es für ungewöhnlich halte, dass zu Beginn unserer Debatte, in der wir ein wirklich wichtiges Thema behandeln, kein Vertreter der Bundesregierung anwesend ist. - Gerade in diesem Moment ist jemand eingetroffen; aber zu dem Zeitpunkt, als sich Herr Beck geäußert hat, konnte er zu Recht darauf hinweisen, dass die Regierungsbank leer ist. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da hat er recht!) Das ist - darüber sind wir uns ja einig - ungehörig. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Schwierige Verkehrssituation!) Der Antrag der Fraktion der FDP gilt also. Wie lange wünschen Sie eine Unterbrechung? (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: 20 Minuten, Herr Präsident!) - 20 Minuten. Dann ist die Sitzung für 20 Minuten unterbrochen. (Unterbrechung von 13.03 bis 13.23 Uhr) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Herr Kollege Koppelin möchte einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen. Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Herr Präsident! Wir haben in der FDP-Fraktion über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beraten. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir den Antrag ablehnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Sie sind wahrscheinlich nur nicht auf den Namen des Wirtschaftsministers gekommen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Beck, bestehen Sie auf Ihrem Antrag? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir halten ihn aufrecht! Sie können ja darüber abstimmen lassen! Voraussichtlich wird sich die Mehrheit in diesem Hause durchsetzen!) Also: Der Kollege Beck hat für seine Fraktion den Antrag gestellt, den Herrn Wirtschaftsminister Brüderle zur folgenden Debatte herbeizurufen. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir fahren nun mit Tagesordnungspunkt 1, der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, fort. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf den Drucksachen 17/3958 und 17/3982 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 und den Zusatz-punkt 1 auf: 2 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" - Drucksache 17/3853 - ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sabine Leidig, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt" - Drucksache 17/3990 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Enquete-Kommissionen haben manchmal die Eigenschaft, dass sie Schubladen füllen und beschweren. Ich kann Ihnen schon heute an dieser Stelle sagen, dass das diesmal anders wird, und zwar deshalb, weil der erste Erfolg der Enquete-Kommission, die wir heute einsetzen wollen, eigentlich schon erzielt ist. Er ist deshalb erzielt, weil CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne sich gemeinsam auf die Formulierung im Titel "Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" einigen konnten. Ich betone das deshalb so, weil damit ein klarer Rahmen abgesteckt ist; denn es geht darum, diese Wege innerhalb eines Systems der sozialen Marktwirtschaft zu suchen. Ich sage denjenigen, die dem Thema kritisch gegenüberstehen, dass der Ursprungsantrag von SPD und Grünen, über den wir gemeinsam diskutiert und den wir dann geändert haben, schon deshalb falsch war, weil ihn jetzt die Linken wortwörtlich übernommen haben. Deshalb war es nach meiner Auffassung gut, meine Damen und Herren, den Antrag in dieser Form zu ändern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist ja ein Superargument!) - Wenn Sie den Einwand bringen, das sei ein Superargument, dann müssen Sie vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob diese Argumentation für Sie, Herr Steinmeier, nicht bedeuten würde, sich wirtschaftspolitisch auf eine Stufe mit den Linken zu stellen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist damit klar, dass die Enquete-Kommission zwei Dinge nicht tun soll. Sie soll zum einen nicht systemkritisch an der sozialen Marktwirtschaft herumkritteln, wie das viele, insbesondere in der vergangenen Wirtschaftskrise, getan haben. Das ist nicht ihr Auftrag. Es ist nach meiner Meinung auch nicht ihr Auftrag, Krisen- und Rohstoffendlichkeitsszenarien zu entwerfen, die am Ende eh falsch sind und nur Ökoapokalyptikern die Chance geben, daran anzuknüpfen und politisch daraus Kapital zu schlagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Damit bin ich bei der Frage: Was soll und was kann eine solche Enquete-Kommission? Zunächst einmal soll sie - und das kann sie vermutlich auch - den Stellenwert von Wachstum und Wirtschaft in unserer Gesellschaft ausloten. Das ist unstrittig ein spannendes Thema, vor allem unter dem Eindruck des demografischen Wandels. Das Thema ist interessant, wäre aber noch spannender, wenn wir es aus den Perspektiven "vor der Krise", "während der Krise" und "nach der Krise" betrachten könnten. Man kann ja jetzt schon, auch in der Berichterstattung der Medien, feststellen, wie sich das Bild vom Wachstum in diesen Zeiten verändert hat. Insofern wird sich da auch im Laufe der drei Jahre, in denen wir uns mit diesem Thema beschäftigen werden, einiges tun. Ich wünsche mir, dass wir dieses Thema nicht mit allzu viel Pessimismus angehen, insbesondere nicht mit Pessimismus gegenüber dem technischen Fortschritt. Ich stelle nämlich fest, meine Damen und Herren, dass viele von uns immer wieder einer Fehleinschätzung aufsitzen und die Frage stellen: Wann kommt denn das Ende dieses Fortschritts? Die krasseste Fehleinschätzung hat 1899 Charles Duell, seinerzeit Chef des US-Patentamtes, formuliert, als er sagte: "Alles, was man erfinden kann, ist schon erfunden." Sie werden mir recht geben: Seit dieser Zeit hat sich einiges entwickelt. Man sollte aus dieser krassen Fehleinschätzung seine Lehren ziehen und die Themen Technologie und Fortschritt mit einem gewissen Optimismus behandeln, die "German Angst" - der Begriff ist mittlerweile weltweit bekannt -, die uns prägt, etwas in den Hintergrund rücken und stattdessen daran glauben, dass sich technisch noch einiges tut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn man über Technologie spricht, dann wird es auch um die Frage gehen: Sind wir in der Lage, Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln? Auch da bin ich sehr optimistisch. Unsere Wirtschaft ist hier auf Grundlage hoher politisch gesetzter Standards seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, auf einem guten Weg. Es muss in einer solchen Kommission darum gehen, die Fortsetzung dieses Weges sinnvoll zu beschreiben, und es muss auch darum gehen, auszuloten, wo an dieser Stelle die Grenzen nationaler Politik sein können. Wir sind keine Ökoinsel Deutschland, die die Welt retten kann. Wir müssen diese Dinge, eingebunden in internationale Politik, vorantreiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Entkopplung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch ist für mich persönlich das Feld, von dem ich mir die größten Implikationen für die Politik verspreche. Ich formuliere das explizit so, weil ich nicht zu denen gehöre, die meinen, wir sollten hier Wirtschaftsphilosophie betreiben, sondern ich meine, wir sollten uns als Mitglieder des Deutschen Bundestages insbesondere überlegen, was dieses Thema für unser politisches Handeln bedeuten kann. Wir haben im Antrag auch den Anspruch formuliert, dass wir einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator entwickeln wollen. Das ist ein - das sage ich jetzt als Ökonom - hehres und großes Ziel. Das Bruttoinlandsprodukt ist eine Zahl. Damit wird also logischerweise nur Zählbares gemessen. Alles, was qualitativ zu bewerten ist, also die Wohlstandsverteilung, die Zufriedenheit und ähnliche Dinge, ist damit nur andeutungsweise und indirekt abzubilden; viele sagen auch, diese qualitativen Aspekte seien überhaupt nicht erfassbar. Deshalb macht es Sinn, sich darüber Gedanken zu machen. Das tun im Übrigen auch andere. Sarkozy hat eine Kommission eingesetzt, die einen ähnlichen Indikator entwickeln soll. Dieser gehören immerhin fünf Nobelpreisträger an. Insofern wird das für unser 17-köpfiges Expertenteam ein spannender Wettbewerb. Ich bin gespannt, wer hier am Ende die Nase vorne hat. Notfalls - das meine ich jetzt im Unterschied zu dem, was ich bisher gesagt habe, nicht ernst - können wir uns eine Anleihe bei dem ehemaligen König von Bhutan nehmen, der das Glück seines Volkes messen und sozusagen ein Bruttonationalglück ermitteln möchte. Wir können gespannt darauf sein, wie er das machen will. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Wie in Bayern! - Max Straubinger [CDU/ CSU]: In Bayern haben wir das schon!) - Wir haben in Bayern auf jeden Fall ein hohes Maß an Zufriedenheit, an Wohlstand und auch an Wachstum. Darauf sind wir stolz. Die auf der linken Seite des Hauses erwarten jetzt natürlich, dass ich sage: Das liegt an der CSU. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Es stimmt ja!) Das tue ich jetzt nicht. Es ist so offenkundig, dass man es nicht explizit betonen muss. Das liegt natürlich auch an den Bayern, die fleißig arbeiten und unser Land schon seit vielen Jahren voranbringen. Was ich kritisch sehe und worüber man im Rahmen unserer Arbeit dann auch diskutieren wird, sind all die Ansätze, bei denen es darum geht, die Menschen zu ändern. Im Antrag wird ja an der einen oder anderen Stelle die Frage gestellt: Wie ändern wir die Menschen? Ich bin etwas skeptisch, ob die Politik wirklich in der Lage ist, so etwas zu tun. Ich sage ganz offen: Ich kann belegen, dass das viele Jahre lang nicht gelungen ist. Ein Verzichtsumweltschutz, der in die Richtung weist, verzichten zu müssen, ist selbst bei uns, wo Verzicht aufgrund des Wohlstandsniveaus bei dem einen oder anderen noch möglich wäre, aus meiner Sicht ganz klar gescheitert. Er ist auch ausgesprochen arrogant gegenüber denjenigen, die in Schwellen- und Entwicklungsländern den Anspruch haben, etwas Wohlstand dazuzugewinnen. Deshalb sollten wir uns einem Hightechumweltschutz widmen, der stärker die Frage berücksichtigt, wie wir ökonomisch vorankommen. Schließlich geht es um Wirtschaft und Gesellschaft. In diesem Sinne wünsche ich der Enquete-Kommission ein erfolgreiches und gutes Arbeiten, damit wir am Ende in der Lage sind, essenzielle Ergebnisse zu liefern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Nüßlein, man muss vor einer solchen Diskussion keine Angst haben. Wir müssen sie auch nicht damit beginnen, dass wir erst einmal erklären, was wir in einer Enquete-Kommission alles nicht prüfen, untersuchen und diskutieren werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Denn die Erkenntnis, dass wir so etwas brauchen, ist relativ alt. Robert Kennedy hat schon 1968 gesagt: Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, nur nicht das, was das Leben lebenswert macht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben uns dennoch aus guten Gründen in der Vergangenheit daran ausgerichtet - darin unterscheiden wir uns nicht von Ihnen - und wollen das für die Zukunft ändern. Das ist zunächst einmal eine Riesenaufgabe, die wir der Enquete-Kommission aufbürden. Mein Respekt gilt all denjenigen, die das in der nächsten Zeit vor sich haben. Ich bin froh darüber, dass wir mit einer Initiative in diese Debatte gestartet sind, und ich sage ganz offen: Ich freue mich darüber, dass sich die Regierungsfraktionen dem Vorhaben angeschlossen haben. Es ist gut und richtig, dass Sie von hier aus sagen: Wir wollen uns darum kümmern, dass die soziale Marktwirtschaft und ihre Zukunft in dieser Enquete-Kommission untersucht wird. Denn das Soziale mit der Marktwirtschaft zu verbinden, ist das, was auch uns in den vergangenen Jahren angetrieben hat. Aber - das sage ich mit Blick auf die aktuellen Ereignisse, die uns zurzeit abends beim Fernsehen beschäftigen - es hat sich etwas verändert. Es ist messbar Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft verschwunden, und zwar, wie Sie wissen, ganz rapide und drastisch nach dem Ausbruch der Krise auf den internationalen Finanzmärkten im letzten Quartal des Jahres 2008. Ich darf die Vermutung äußern, dass nicht nur das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft, sondern auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer Demokratie und der demokratischen Institutionen geschwunden ist. Die Fernsehbilder aus Stuttgart in den letzten Wochen zeigen - der Bundestag wird in dieser Woche noch über dieses Thema diskutieren -, dass das kein Protest ist, der irgendwoher von den Rändern kommt, sondern es ist Bürgerprotest aus der Mitte der Gesellschaft. Deshalb sage ich Ihnen: Auch Sie müssen ein Interesse daran haben, den Ursachen dieser Unzufriedenheit nachzugehen und die Warnzeichen, die sich daraus ergeben, ernst zu nehmen. Für mich ergibt sich jetzt schon ein Schluss aus all dem: Wenn wir unsere Verantwortung, die wir auf unterschiedliche Art und Weise tragen - in der Regierung auf der einen Seite und in der Opposition auf der anderen Seite -, ernst nehmen, dann müssen wir über die taktischen Spielereien hinaus, die wir uns gelegentlich leisten, die tiefer liegenden Probleme unserer Zeit angehen und vor allen Dingen Antworten geben, die über die Wahlperiode hinausreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mein Eindruck ist jedenfalls, dass vielleicht nicht alle Menschen nachempfinden und erklären können, was in dieser Doppelkrise, in der wir uns befinden, passiert - die ökologische Krise auf der einen Seite und die soziale Krise auf der anderen Seite, also das Nebeneinander von Klimawandel und Finanzkrise -, aber dass sie ein sicheres Gespür dafür haben, dass etwas in Unordnung gerät und in Staaten und Gesellschaften etwas auseinanderfällt. Wir nennen es Spaltung. Sie nennen es Auseinanderdriften. Es gibt die, wie ich finde, berechtigte Sorge, dass unser Wirtschaftsmodell doch zu sehr auf Kosten der Zukunft lebt und deshalb allein nicht tragfähig ist. Meine Bitte - das ist der Aufruf an uns selbst, wenn Sie so wollen - ist, dass wir in der Fortschritts-Enquete, die wir heute einsetzen, das aufgreifen, was täglich an Vertrauensverlust und Zukunftsangst sichtbar wird, und nach neuen Orientierungspunkten suchen. Das bedeutet nicht mehr, aber eben auch nicht weniger, als dass wir uns auf die Suche nach einem neuen Navigationssystem begeben müssen und dass wir in dieses Navigationssystem - das kann nicht mehr allein nur das BIP beinhalten - neben den Wachstumszahlen neue Ziele einprogrammieren. Dazu gehören ebenjene Dinge, die das Leben aus unserer Sicht lebenswert machen: freie Zeit, gesunde Arbeit, saubere Luft und echte Teilhabe. Das wirft einige Fragen auf, mit denen sich die Kommission beschäftigen wird: Wie viel Teilhabe am Wohlstand ist möglich? Gibt es in der Gesellschaft einen fairen Lastenausgleich? Wer trägt die Kosten aufgrund knapper Ressourcen und steigender Energiepreise? Damit verbinden wir die soziale Frage mit der ökologischen Frage. Ich habe gesagt: Um Lebensqualität und Wohlstand zu messen, reicht das Bruttoinlandsprodukt nicht aus - im Gegenteil, man könnte noch eins draufsetzen: Das Bruttoinlandsprodukt suggeriert manchmal sogar dann wachsenden Wohlstand, wenn sich die Lebensverhältnisse, das Wohlbefinden der Menschen ins Gegenteil verkehren. Die spekulativen Finanzgeschäfte der Vergangenheit, die uns heute belasten, haben, wenn man das BIP als Maßstab nimmt, zu Wachstum geführt. Wenn im Golf von Mexiko eine Ölplattform sinkt und Reparaturkosten in Milliardenhöhe fällig werden, dann steigt das Bruttoinlandsprodukt. Diese zwei Beispiele zeigen, dass solche Indikatoren, die es bisher gibt, keinen klaren Blick für eine bessere Zukunft liefern. In der Tat brauchen wir einen neuen Fortschrittsindikator, der auch die Qualität von Arbeit, die Einkommensverteilung, Bildung, Gesundheit und Umwelt einbezieht. Wenn wir das tun, dann darf das nicht zur statistischen Fummelei werden, sondern wir brauchen einen Indikator, der wertvolles Wachstum, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit misst und auf diese Weise manchen Blindflug in der Politik zu verhindern hilft. Das kann, wenn die Enquete-Kommission zu guten Ergebnissen kommt, ein Navigationsinstrument für Politik von morgen werden. Ich freue mich darüber, dass wir bei der Einrichtung der Enquete-Kommission ganz offenbar in der Lage sind, eine breite politische Mehrheit in diesem Hause zu finden. Die Arbeit dieser Kommission ist wichtig für uns alle; denn bei guten Ergebnissen kann daraus auch ein neuer Konsens in der Demokratie entstehen, der uns verloren gegangen ist. Deshalb haben nicht nur wir ein Interesse daran, dass diese Arbeit gelingt. Ich glaube, die Mitglieder der Enquete-Kommission freuen sich auf eine gute Zusammenarbeit. Ich wünsche im Interesse des ganzen Hauses, dass die Kommission zu guten Ergebnissen kommt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika findet sich unter den unveräußerlichen Rechten der Menschen, gleich nach dem Recht auf Leben und Freiheit, das Recht auf Streben nach Glück - Pursuit of Happiness. Man sieht: Die Frage nach geeigneten Glücksindikatoren hat eine lange Geschichte. Auch heute stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Glück und dem Streben nach materiellem Wohlstand. Darum ist es richtig und wichtig, dass sich auch der Deutsche Bundestag in einer Enquete-Kommission mit den Fragen von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität befasst. Dabei wird es darauf ankommen, zentrale Aspekte auszuloten und möglichst belastbare Ergebnisse zu erreichen. Das ist eine ehrgeizige Aufgabe. Ich wünsche dazu der Kommission viel Erfolg, weil es darum geht, qualitative Elemente in mathematische Rechengrundlagen einzuarbeiten. Jeder, der sich mit so etwas schon einmal befasst hat, weiß, wie schwierig das ist. Aus Sicht der FDP ist dafür der Rahmen der sozialen Marktwirtschaft grundlegend. Wie greifen im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft die verschiedenen Dimensionen nachhaltigen Wirtschaftens ineinander? Wie können wir Wohlstand und Lebensqualität schaffen und gleichzeitig unserer Verantwortung für unsere natürliche Umwelt und für die nachfolgenden Generationen gerecht werden? Ein Zweites ist wichtig. Die FDP begrüßt diese Enquete-Kommission nicht etwa, weil wir uns ebenfalls in die Reihe der Wachstums- und Fortschrittsskeptiker begeben hätten. Im Gegenteil, diese Enquete-Kommission kann dazu beitragen, weitverbreitete Irrtümer über den Wachstumsbegriff aufzuklären und der um sich greifenden Wachstumsskepsis zu begegnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade in den wohlhabenden Industriestaaten sind viele Menschen verunsichert und fragen sich, ob die Entwicklung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes oder der Finanzmärkte im globalen Zusammenhang einfach so weitergehen kann. Dahinter steht die Sorge, ob Wachstum zur Lösung der globalen Probleme etwas beitragen kann oder ob es nicht vielmehr selber das Problem darstellt und Verzicht angezeigt wäre. Dabei wird Wachstum häufig mit der Vorstellung "ganz einfach mehr" gleichgesetzt: mehr Autos, mehr Steaks, mehr Bohrmaschinen usw. und gleichzeitig mehr Öl, mehr Erze, mehr Rohstoffe, mehr Ressourcenverbrauch. Es ist unbestreitbar: Die Erde ist und bleibt ein begrenzter Lebensraum. Auch wenn wir immer wieder neue Rohstoffvorkommen entdecken: Ein rein quantitativ und materiell ausgerichtetes Wachstum taugt nicht als Leitbild für die Zukunft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Wachstumskritiker übersehen dabei allerdings Folgendes: Das, was die Statistiker mit dem realen Bruttoinlandsprodukt messen, ist keineswegs immer mehr von dem ewig Gleichen. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist per definitionem eine qualitative Größe. Wachstum bedeutet einfach Schaffung von mehr Werten. Es geht nicht um "mehr", sondern um "besser". Wachstum der Wirtschaft bedeutet vor allem Wachstum des Wissens. Wachstum in diesem Sinne kennt keine natürlichen Grenzen. Es muss nicht zwangsläufig mit einem steigenden Ressourcenverbrauch einhergehen. Es muss nicht im Widerspruch zur Nachhaltigkeit stehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allerdings erfordert Nachhaltigkeit eine Wirtschaftsordnung, in der wettbewerbsfähige Unternehmen Arbeitsplätze schaffen und Wohlstand sichern und in der gleichzeitig der Raubbau an den natürlichen Ressourcen und zulasten zukünftiger Generationen verhindert wird. Nachhaltigkeit erreichen wir nicht, indem wir nur Messgrößen hinterfragen oder, wo nötig, verändern. Vielmehr müssen wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass es zu einer besseren Abbildung sogenannter externer Effekte in den Preisen kommt. Noch ein Wort zur sozialen Dimension des Wachstums. Es ist nicht zu bestreiten: Wirtschaftliches Wachstum geht einher mit sozialen Ungleichheiten. Nebenbei bemerkt: Die sozialen Defizite wirtschaftlichen Stillstands sind aber weitaus gravierender als die des Wachstums. Bei aller berechtigten Kritik dürfen wir die grundlegende soziale Funktion von Wachstum nicht vergessen. Höheres wirtschaftliches Wachstum bringt eine höhere Verteilungsmasse. Je mehr erwirtschaftet wird, desto mehr kann verteilt werden und desto mehr Mittel stehen zur Verfügung, um gesellschaftliche Probleme zu lösen und auch internationale Verantwortung wahrzunehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine stagnierende Wirtschaft bedeutet dagegen gesellschaftliche Erstarrung und eskalierende Verteilungskämpfe. Deutschland braucht mehr Wachstum, Wachstum, das mehr Lebensqualität ermöglicht, Wachstum, das zugleich knapper werdende Ressourcen schont, das substanziell zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise beiträgt. Bei all dem ist aus Sicht der FDP ein dritter Aspekt von zentraler Bedeutung: Wie immer sich nachhaltiges Wirtschaften in Zukunft abspielen wird, wie immer die Konzepte aussehen mögen, Grundlage kann immer nur der eigenverantwortlich handelnde Bürger sein und nicht das bevormundete Objekt politischer Steuerung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch dies wussten die amerikanischen Gründerväter schon. Als Aufgabe des Staates sahen sie keineswegs an, dass der Staat sich des Glücks seiner Bürger anzunehmen habe. Aufgabe des Staates ist es lediglich - und das ist schon anspruchsvoll genug, finde ich -, dass er das unveräußerliche Recht jedes einzelnen Menschen sichert, selbst nach seiner persönlichen Vorstellung von Glück zu streben. Ich wünsche der Kommission bei ihrer Arbeit viel Erfolg und hoffe tatsächlich auf konkrete Ergebnisse. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir brauchen neue Maßstäbe für die gute Entwicklung unserer Gesellschaften; denn das kapitalistische Wachstum - so blind, wie es nun einmal ist - führt in verschiedene Sackgassen. Vor diesem Problem stehen wir. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die erste Sackgasse ist, dass Reichtum und Armut zugleich wachsen. Das gilt weltweit; auf der einen Seite wird auf den Finanzmärkten mit gigantischen Summen spekuliert, während auf der anderen Seite täglich Tausende Kinder verhungern. Das gilt aber auch hierzulande, wo große private Geldvermögen angehäuft sind, inzwischen in Höhe von insgesamt 4 768 Milliarden Euro. Im vergangenen Vierteljahr sind 36 Milliarden Euro dazugekommen. Zugleich werden immer mehr Leute mit Niedriglöhnen abgespeist, die Altersarmut breitet sich aus - das war bereits Thema hier im Hause -, und an öffentlicher Kultur, Bildung usw. wird gespart. Ich finde, damit kann sich eine demokratische Gesellschaft nicht abfinden. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen - das ist die zweite Sackgasse -, dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen und Rohstoffe zerstört und verbraucht werden. Man sieht es schon jetzt daran, dass Konzerne wie BP, Shell und wie sie alle heißen immer waghalsiger werden. Wenn das Öl knapp wird, heißt das nicht, dass man spart. Vielmehr wird es teurer, und die Konzerne unternehmen immer mehr, um das Öl zu fördern. Dann kommt es zu solch katastrophalen Ereignissen wie Explosionen von Ölplattformen durch Tiefseebohrungen. Daran wird sich nichts ändern, wenn man nicht regelnd eingreift und diesem ausbeuterischen Handeln Grenzen setzt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die dritte Sackgasse ist - darüber wurde schon gesprochen -, dass mit dem Bruttosozialprodukt der Erfolg der Marktwirtschaft gemessen wird. Die Höhe des Bruttosozialprodukts gibt den Grad des Wachstums an. In das Bruttosozialprodukt fließt die Beseitigung von Umweltkatastrophen genauso ein wie der Bau und der Verkauf von Waffen. Solche Aktivitäten werden also positiv gewertet. Sie werden von den wirtschaftlich Handelnden, den Wirtschaftspolitikern und den politisch Verantwortlichen als Erfolg verkauft. Es ist aber kein Erfolg, wenn ein Hedgefonds eine Firma aufkauft, sie in Teile zerlegt, die Beschäftigten entlässt und damit das Bruttosozialprodukt steigert, während auf der anderen Seite die Tatsache, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern, dass Kranke gepflegt werden, dass sich Jugendliche ehrenamtlich engagieren, dass gespielt und musiziert wird - alles Dinge, die glücklich machen -, völlig ausgeblendet wird. Auch die Bedingungen, unter denen Menschen hier leben und ihr privates Glück finden können, werden völlig ausgeblendet. Weil es uns aber um Lebensqualität geht - Ihnen sicher auch -, brauchen wir andere Maßstäbe und nicht einfach eine kleine Korrektur an den bisherigen Maßstäben. (Beifall bei der LINKEN) Inzwischen wollen 90 Prozent unserer Bevölkerung nicht mehr Wachstum um jeden Preis. Ich bin sicher, dass viele der Protestbewegungen und Bürgerinitiativen, die sich gegen Großprojekte wenden, aus diesem berechtigten Unbehagen und Zweifel entstehen. Dass viele Milliarden investiert werden, bedeutet eben nicht, dass es nachher mehr Lebensqualität gibt. Es bedeutet schon gar nicht, dass es für unsere Kinder und Enkel mehr Zukunftsperspektiven gibt. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass sich der Bundestag ganz grundlegend mit der Frage beschäftigt, wie unser Wirtschaften neu ausgerichtet werden kann. Aus meiner Sicht, auch aus Sicht der Linken, sind dabei bestimmte Fragen ganz besonders wichtig. Diese möchte ich formulieren. Die erste wichtige Frage betrifft die Verteilung. Wer soll künftig mehr bekommen, und wer muss verzichten? Wo sind die Obergrenzen des Reichtums? Brauchen wir neben einem Mindesteinkommen und einer Mindestsozialsicherung auch Obergrenzen für den Verbrauch von Ressourcen? Wenn wir nicht über den gewaltigen Reichtum reden, der vor allem auf den Finanzmärkten zum Einsatz kommt, dann wird das Problem der Armut nicht gelöst werden können. Es sind zwei Seiten einer Medaille. (Beifall bei der LINKEN) Die zweite Frage ist die Frage der Arbeit. Es geht nicht nur darum, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird - natürlich ist es ein ganz wichtiger Punkt -, es geht auch darum, was der Gegenstand der Arbeit ist. Was wird hergestellt? Was wird produziert? Darüber können die Menschen, die arbeiten, überhaupt nicht mitreden. Daran muss etwas geändert werden. Wir wollen darüber mitbestimmen, wie die Gestaltung unserer materiellen Wirklichkeit konkret aussieht. Es gibt auf der einen Seite Bereiche in der Gesellschaft, die schrumpfen werden, so oder so. Es werden nicht mehr so viele Autos und Flugzeuge produziert werden. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, die wachsen müssen. Wir haben viel zu wenige Menschen, die soziale Dienstleistungen erbringen, viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer und viel zu wenige, die sich um die kulturellen Bedürfnisse von Kindern und alten Menschen kümmern. Um diesen Prozess zu organisieren, braucht es politisches Handeln. Wir brauchen eine Gestaltung dieses notwendigen gesellschaftlichen Umbaus. Das können wir nicht einfach den Märkten überlassen, weil dann die Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Damit sind wir nicht einverstanden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass unser Wirtschaften solidarisch ist, und zwar solidarisch in Bezug auf den großen restlichen Teil der Weltbevölkerung. Da ich nicht mehr viel Zeit habe, - Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gar keine mehr. Sabine Leidig (DIE LINKE): - möchte ich am Schluss noch sagen, dass wir als Antrag den ursprünglichen Text von SPD und Grünen eingebracht haben, weil er viel besser ist, weil er die grundlegenden Fragen in den Mittelpunkt stellt und sich nicht in das Korsett der Marktwirtschaft, der Standortkonkurrenz - Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, bitte. Sabine Leidig (DIE LINKE): - und des Wettbewerbs einpressen lässt, sondern offen die Frage aufwirft, wie man besser und menschenwürdiger wirtschaften kann: für uns und auch für die Bevölkerung in den anderen Teilen der Welt. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Fritz Kuhn für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir die Enquete-Kommission heute einsetzen. Denn es ist die Aufgabe des Parlaments, jenseits der normalen Debatten grundsätzliche Punkte zu hinterfragen, die unser Gemeinwesen ausmachen. Dazu gehört, dass wir uns in der Politik über Jahrzehnte an einen ungeheuren Wachstumsmythos gekoppelt haben. Wenn Sie sich eine durchschnittliche Rede von Wirtschaftsminister Brüderle anhören - deswegen wollten wir ihn heute herbeizitieren -, dann wissen Sie, was ich meine. Diesen Mythos zu hinterfragen, ist eine Aufgabe des Parlaments, wenn es Zukunftsfähigkeit herstellen will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das machen nicht nur die Miegels und die Biedenkopfs und wer auch immer, sondern das machen auch kluge Leute auf der ganzen Welt, die wissen, dass wir nicht davon ausgehen können, die Probleme der Länder dadurch zu lösen, dass es automatisch immer mehr Wachstum gibt und dass damit alles geregelt wäre. Das geht nicht wegen der ökologischen Grenzen, die wir untersuchen müssen. Es geht auch deswegen nicht, weil Wachstum in Zukunft nicht automatisch ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit bedeutet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer das glaubt, Herr Nüßlein - Sie waren in Ihrer Rede sozusagen auf diesem Trip -, der glaubt, dass wir noch in der Zeit von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer leben. Das tun wir aber nicht. Ich behaupte, dass wir in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, was den sozialen Zusammenhalt und die soziale Gerechtigkeit angeht, trotz steigenden Wirtschaftswachstums nichts hinzugewonnen haben. Sie haben gesagt: In die Enquete-Kommission gehört die soziale Marktwirtschaft. Wir haben uns dem gebeugt; aber eines müssen Sie jetzt beweisen, nämlich dass wir noch eine soziale Marktwirtschaft sind. Sie müssen vor allem auch erklären, wie es um das Soziale in Deutschland bestellt ist, wenn die Wirtschaft gerade einmal nicht wächst. Das ist ein wichtiger Punkt. Bedeutet unsere politische Verfassung, dass das Soziale nur bei Wachstum gesichert ist? (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schauen Sie sich unseren Bundeshaushalt an!) Oder schaffen wir eine soziale Mindestsicherung für alle, die auch dann greift, wenn die Wirtschaft gerade einmal nicht im quantitativen Sinne wächst? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das sind hochspannende Fragen, die eine zukunftsfähige Politik beantworten muss. Das Wachstum, das durch das Bruttoinlandsprodukt wiedergegeben wird, sagt nicht viel über den Wohlstand aus. Wenn wir zwei, Herr Kollege, uns prügeln und Sie ins Krankenhaus müssen, steigt das Bruttosozialprodukt, aber nicht der Wohlstand der Gesellschaft, und Ihrer schon gar nicht. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) Dieses einfache Beispiel zeigt, dass wir uns auf solche Indikatoren nicht verlassen können, Herr Nüßlein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Spannend ist, ob wir es schaffen, das Problem der ökologischen Knappheit und der Ressourcenknappheit durch den Glauben an mehr Ressourcenproduktivität und -effizienz zu lösen. Da macht man sich sehr schnell Hoffnungen; aber die Zahlen geben dazu nicht immer Anlass. Ich verweise auf eine Zahl aus dem aktuellen Umweltbericht der Bundesregierung: Zwischen 2000 und 2008 und damit in einem Zeitraum, in dem das Wachstum 12 Prozent betrug, ist die Abfallmenge in Deutschland um 15 Prozent zurückgegangen. Jetzt könnte man sagen: Toll, die Effizienz siegt! Aber wird es in den nächsten acht Jahren auch so sein? Oder frisst das Wachstum, das wir in diesen acht Jahren haben, wenn alles gut geht, diesen Erfolg bei der Abfallreduktion oder der Ressourcenproduktivität wieder auf? Das heißt, wir brauchen sehr radikale Effizienzrevolutionen, wenn wir tatsächlich etwas erreichen wollen, wenn wir mehr Wachstum im Sinne des Bruttoinlandsproduktes mit deutlich weniger Ressourcenverbrauch, als es heute der Fall ist, wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es sind schwierige und wichtige Fragen, die wir zu klären haben. Deswegen ist es gut, dass wir die Enquete-Kommission heute einberufen. Am Schluss meiner Rede möchte ich etwas zur Linken sagen. Sicherlich ist ein rot-grüner Antrag immer besser, als wenn die Schwarzen und die Gelben ebenfalls daran beteiligt sind; davon können Sie ausgehen, Frau Kollegin. Wir sind trotzdem so vorgegangen, weil wir sicherstellen wollen, dass auch Sie zwei Vertreter in diese Enquete-Kommission entsenden können. Das wäre nämlich nicht der Fall gewesen, wenn wir anders vorgegangen wären. Ich appelliere an die CDU, den Firlefanz, mit den Linken nicht zu reden, eines Tages zu überwinden, Herr Altmaier. Denn sie haben das gleiche Mandat vom Volk wie jeder von uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen wäre es ganz gut, wenigstens bei solchen Sachen mit ihnen zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bernhard Kaster für die CDU/CSU-Fraktion. Bernhard Kaster (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einsetzungsbeschluss für diese neue Enquete-Kommission kann sich sehen lassen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass es gelungen ist, in angenehmen und konstruktiven Gesprächen zwischen den einbringenden Fraktionen sehr schnell Einvernehmen über die Problembeschreibung und auch die Aufgabenstellung zu erzielen. (Beifall des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU]) Das ist nicht selbstverständlich. Aber es ist gut, dass gerade diese Enquete-Kommission auf einer breiten parlamentarischen Basis steht. Die großen Herausforderungen der Zukunft, die vielfältigen Fragestellungen und das Ziel, vor allem Handlungsempfehlungen über so umfangreiche Sachkomplexe zu erarbeiten, bieten für uns als Parlament die Chance - da stimme ich Herrn Kollegen Steinmeier zu -, den Bürgern gegenüber deutlich zu machen, dass man Fragen der Zeit, die über die Legislaturperiode hinausgehen, jenseits der Tagespolitik hier im Bundestag behandelt. Aber - da stimme ich meinem Kollegen Dr. Nüßlein ausdrücklich zu - dabei müssen am Ende Ergebnisse herauskommen. Wir, die Union, stehen bei diesem Thema mittendrin, und deswegen laden wir Sie gerne ein, mit uns diese Themen zu diskutieren: Wie definieren wir Wohlstand? Wie nehmen wir Verantwortung für unsere Schöpfung wahr? Wie viel und welches Wachstum wollen wir? In unserem Grundsatzprogramm heißt es: Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil christlich-demokratischer Politik: Wir wollen unseren Nachkommen eine Welt bewahren und hinterlassen, die auch morgen noch lebenswert ist. Die nachfolgenden Generationen haben ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Wohlstand und eine intakte Umwelt. Deshalb hat sich die christlich-liberale Koalition in ihrem Koalitionsvertrag zur sozialen Marktwirtschaft als der zentralen wirtschaftspolitischen Leitlinie bekannt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieses Erfolgsmodell hat uns über Jahrzehnte wirtschaftlichen Erfolg, Wohlstand und auch soziale Sicherheit gebracht. Das Wirtschafts- und Sozialmodell der sozialen Marktwirtschaft ist nicht von ungefähr gerade in den letzten Jahren ein Exportschlager geworden. Deshalb bildet dieses Erfolgsmodell die Leitplanken für die Arbeit in dieser Enquete-Kommission. Das muss so sein. Wirtschaft, Marktwirtschaft und soziale Marktwirtschaft brauchen Regeln, und das besonders in einer Weltwirtschaft, in der sowohl riesige Absatzmärkte wie auch neue Marktteilnehmer - teils mit Standorten, an denen billig produziert wird - hinzugekommen sind. Es ist richtig: Wir stehen insgesamt vor großen Herausforderungen: die allgemeine Wirtschaftsentwicklung, die Finanzmärkte, die demografische Entwicklung, die Staatsverschuldung und auch die Auswirkungen des Klimawandels. Herausforderungen sind aber dazu da, sich ihnen zu stellen, und das nicht mit Ängstlichkeit und auch nicht mit ideologischen Scheuklappen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Einsetzungsauftrag der Enquete-Kommission stellt die richtigen Fragen: Wie definieren wir Wachstum, Wohlstand, Wohlstandsperspektiven? Wie muss die Wettbewerbsposition unserer deutschen Unternehmen auf den Weltmärkten in der Zukunft sein? Wie entkoppeln wir wirtschaftliches Wachstum mittels technischen Fortschritts vom Ressourcenverbrauch? Wir, die Union, definieren Wachstum längst nicht mehr quantitativ. Es geht nicht um Produktmengen, es geht um Qualität und ihren Wert. Wir werden gerade mit Blick auf die junge Generation weiterhin ein qualitatives Wachstum brauchen. Wer daran zweifelt, der soll sich nur zwei Herausforderungen stellen, nämlich der demografischen Entwicklung und der Staatsverschuldung. Daran wird deutlich, dass wir weiterhin qualitatives Wachstum brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU - Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir haben kein qualitatives Wachstum!) Wir brauchen Wachstum; ein wirtschaftliches Wachstum, das Beschäftigung fördert, ein wirtschaftliches Wachstum, das den Sozialstaat sichert und finanziert, und ein wirtschaftliches Wachstum, das unsere Schöpfung bewahrt. Gerade Letzteres ist für uns eine sehr hohe politische Verpflichtung. Unser ambitioniertes Energiekonzept bis 2050 ist ein Beispiel dafür. Bei allem Streit, den wir über energiepolitische Fragen führen, bleibt der Fakt, dass in den letzten 20 Jahren bereits eine Entkopplung zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch eingetreten ist. Diese Entwicklung muss und wird sich in den nächsten Jahren noch gravierend verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die großen Herausforderungen sind beschrieben: die Wirtschaftsentwicklung, die Finanzmärkte, die demografische Entwicklung, das Thema Klimawandel und viele soziale Fragen. Die Enquete-Kommission sollte ihren Auftrag auch dazu nutzen, deutlich zu machen, dass die Menschen keinen Anlass haben, ängstlich in die Zukunft zu blicken. Wir sollten einen optimistischen Blick nach vorn haben. Unser Land Deutschland ist stark, und wir können mit unseren Partnern in Europa und in der Welt diese großen Aufgaben mit Optimismus angehen. Wir, die Union, stehen für Wohlstand, nachhaltiges Wirtschaften, gesellschaftlichen Fortschritt und Bewahrung der Schöpfung; und all dies auf den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft. In diesem Sinne wünschen wir der Enquete-Kommission viel Erfolg. Schon jetzt richte ich ein Wort des Dankes und des Respekts an all diejenigen, die sich in dieser Enquete-Kommission mit viel Zeit und Engagement einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Peter Friedrich für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Peter Friedrich (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, der Zeitpunkt, zu dem sich der Bundestag entschließt, eine solche Enquete-Kommission einzurichten, ist mit Sicherheit kein Zufall. Wir diskutieren zu einem Zeitpunkt über Wachstum, an dem wir zwar eine konjunkturelle Erholung feststellen, gleichzeitig aber auch feststellen, dass die Krisen der letzten Jahre tiefe Spuren hinterlassen haben. Es herrscht eine Vertrauenskrise in Bezug auf unsere Demokratie. Wir alle können dies als Politiker und als Abgeordnete tagtäglich in unseren Wahlkreisen beobachten und nachvollziehen. Es herrscht aber auch eine massive Vertrauenskrise in Bezug auf unsere Wirtschaft und auf unsere volkswirtschaftlichen Entscheidungswege, die Art und Weise, wie Entscheidungen zustande kommen, und welche Auswirkungen sie zeitigen. Es herrscht im Übrigen auch - auch das gehört zu den Themen einer Enquete-Kommission - ein Vertrauensverlust gegenüber der Wissenschaft. Es ist nicht nur einmal über die Prognosefähigkeit unserer Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft gesprochen worden. Deshalb muss in der Enquete-Kommission auch die Frage eine Rolle spielen, welche Instrumente neben dem BIP und welche Wege zur Erkenntnis wir in der Frage haben, wie sich Wachstum vollzieht und wie wir diese Form von Wachstum, die wir wollen, nämlich ein wertvolles Wachstum und solidarischen Fortschritt, bewertet und auch vermittelt bekommen. Wir können also feststellen: Wir tun dies zu einem Zeitpunkt, wo es, bezogen auf unser bestehendes Wirtschafts- und Wohlstandsmodell, einen tiefgreifenden Vertrauensbruch gibt. Über zwei Drittel der Deutschen haben Zweifel daran, dass ihre Lebensqualität steigt, wenn die Wirtschaft wächst. Wenn wir das verändern wollen, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Wirtschafts- und Lebensweise ihren Kredit in der Bevölkerung verspielt, wenn wir es also hinbekommen wollen, dass Wachstum und Fortschritt, also unsere Volkswirtschaft insgesamt, auch wieder mit dem Volk versöhnt werden, dann brauchen wir eine Debatte darüber, wie wir dieses Modell gemeinsam neu definieren können. Es darf nicht nur um die Ausrichtung auf Gewinnmaximierung gehen, sondern es muss auch darum gehen, wie Lebensqualität, Zufriedenheit, auch Glück, Herr Solms, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie soziale Sicherheit gleichberechtigt eine Rolle spielen können. Die Frage ist also, welche Wege des Wirtschaftens wir beschreiten wollen. Wir haben vor und in der Finanzkrise erlebt, dass manches, was uns als Wachstum gefreut hat, sich in Wahrheit als Luftschloss herausgestellt hat. Wir mussten feststellen: Auch wenn das BIP wuchs, wuchsen keineswegs die Sicherheit und die Zufriedenheit der Menschen. Wir haben ein Wachstum erlebt, das von Gier und Egoismus, anstatt von den Werten unserer Gesellschaft und übrigens auch unserer Verfassung, unseres Grundgesetzes, getrieben war. Dem wollen wir als SPD das Ziel eines wertvollen Wachstums entgegensetzen. Es wurde schon viel darüber gesprochen: Nicht immer dann, wenn das BIP steigt, ist damit auch wirklich Fortschritt verbunden. Nicht jede Renditesteigerung bedeutet tatsächlich auch Wohlstandssteigerung. Deswegen werden gerade wir als SPD uns intensiv mit der Frage beschäftigen, welche Perspektive Arbeit und Teilhabe haben, wenn wir über andere Formen und neue Wege des Wachstums sprechen. Wir wollen dafür streiten, dass es Löhne gibt, von denen man leben kann, dass es Arbeit gibt, die nicht krank macht, dass es familienfreundliche Arbeitsbedingungen gibt sowie gleiche Löhne für Frauen und Männer. Es muss Schluss sein mit der Ausbeutung der Jüngeren, der Heranwachsenden auf dem Arbeitsmarkt. Es muss Ausbildungs- sowie Arbeitsplätze für Ältere geben. Das alles brauchen wir - der demografische Wandel ist schon angesprochen worden -, wenn Wachstum, über das wir in der Enquete-Kommission reden werden, bei den Menschen ankommen soll. Es gilt also, nicht nur die Arbeit wertzuschätzen, sondern auch die Personen, die Menschen selbst, die diese Arbeit verrichten. Wenn wir uns anschauen, welche Zustände es in Niedriglohnsektoren zum Teil gibt, wenn wir erkennen, dass mancher ökonomische Fortschritt, manche Innovation zur Verschlechterung von Arbeits- und Lebensbedingungen derjenigen führt, die Teil dieses Prozesses sind, am unteren Ende der Wertschöpfungskette sozusagen, dann stellen wir fest: Wachstum, das mit einer Verrohung auf dem Arbeitsmarkt verbunden wird, ist nicht zukunftsfähig. Für uns Sozialdemokraten war Arbeit ein Faktor bei der Gründung unserer Partei. Sie ist elementarer Teil unseres Selbstverständnisses. Aber Arbeit ist trotzdem nicht alles. Sie ist Teil eines größeren Ganzen. Dazu gehören auch die Familie, das Leben allgemein, Hobbys, Freizeit und Ehrenamt. Es geht also auch darum, zu klären: Wie können wir Wachstum erreichen und gleichzeitig die Arbeit mit den Freiheiten, die die Menschen für sich wollen, mit den Lebensstilen, die sie wählen, miteinander in Einklang bringen? Es schadet Mensch und Umwelt, wenn wir einen Status nur darüber definieren, welches Maß an Ressourcenverbrauch wir uns leisten können. Es schadet dem Zusammenhalt von Familie und Gesellschaft, wenn Arbeit nur darüber definiert, wie viel Zeit in Leistung umgesetzt wird. Beides ist kein Zukunftsmodell. Deswegen geht es in dieser Enquete-Kommission um eine Debatte um Lebensstile und Lebensziele. Es geht darum, wie wir wirtschaftliches Wachstum, ökologische Nachhaltigkeit sowie Lebensziele und Lebenszwecke miteinander verbinden können, sodass sich die Menschen dem Wachstum gewachsen fühlen. Eine der zentralen Fragen, die wir dabei berücksichtigen müssen, ist übrigens - sie ist bisher nur knapp angesprochen worden, nämlich von Frank-Walter Steinmeier - die Frage der Demokratie. Es muss uns gelingen, in dieser Enquete-Kommission auch darüber zu diskutieren, welche Wege wir in der Politik finden, neue Wachstumspfade in der Bevölkerung zu verankern und die Bevölkerung auf diesem Weg mitzunehmen. Wir haben nicht nur Ökologie und Ökonomie miteinander zu versöhnen und dem Ganzen auch eine soziale Dimension zu geben. Vielmehr geht es auch um die Frage der Demokratie und den Kampf um das Primat der Politik, damit die Politik in einem demokratischen Verfahren die entscheidenden Faktoren bei der Entwicklung von Ökonomie mitbestimmen kann. Wenn es uns nicht gelingt, die Frage des Primats der Politik im Rahmen der Demokratie ins Zentrum der Debatte um neues Wachstum zu stellen, dann werden wir vielleicht über Zukunftsmärkte reden; aber wir werden keine Zukunftsfähigkeit für die Menschen in diesem Land erreichen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Kollege Friedrich überdehnt den Auftrag der Enquete-Kommission. Wenn man meint, alle Probleme dieses Landes in der Enquete-Kommission diskutieren zu können, dann wird diese Kommission nie zu einem Ende kommen. Wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht, müssen wir uns auf das konzentrieren, was der Nachhaltigkeitsbegriff im Besonderen umfasst, nämlich das Thema Generationengerechtigkeit. Ja, da geht es um Umwelt und Klima; es geht aber auch um Bildung und Forschung, um die Schuldenkrise in Europa und in Deutschland, um Fehlanreize im Finanzsystem, die wir alle erlebt haben, und ebenso um die Krise der Sozialversicherungssysteme, die im Rahmen des Umlagesystems insbesondere diejenigen unterstützt haben, die hier die größten Veränderungen anmahnen. Wir brauchen ökologische Leitplanken für das Wirtschaften. Sie sind notwendig, insbesondere bei den natürlichen Ressourcen, die nicht erneuerbar sind. Arten, die ausgestorben sind, werden nie wiederkommen. Aber wir müssen auch sehen, dass es ökologische Fragen gibt, bei denen es um den optimalen Weg geht, um den Ausgleich zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen. Es geht um die Lebensbedingungen der Kinder- und Enkelgeneration. Da sind wir uns, glaube ich, einig. Aber ich muss als Liberaler die Frage stellen: Wer entscheidet eigentlich was? Ich denke, wenn es um verantwortliches Wachstum geht, dann ist zunächst einmal der Einzelne gefragt, und das gilt auch für die Selbstverantwortung der Wirtschaft. Diese taucht in Ihren Modellen kaum auf. Dahinter folgen ökonomische Anreize des Staates, und erst ganz am Schluss können wir über Gebote und Verbote des Staates für dann immer noch ungelöste Probleme reden, aber nicht anders herum. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind aber ziemlich am Schluss!) Nachhaltiger Konsum ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Aber ich bestehe darauf, dass es eben ein gesellschaftliches Thema ist. Der Staat ist nicht Vormund der Bürger, auch nicht im Auftrag der Nachhaltigkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte Ihnen zwei Beispiele geben: Ich habe mich entschieden, kein Auto zu haben. Ich fahre im Wahlkreis mit Bus und Bahn. Aber ich weiß, dass es Menschen gibt, die nicht in der Großstadt, sondern auf dem Land wohnen, wo die Bedingungen anders sind. Ich weiß, dass es auch Menschen gibt, die anders leben wollen. Ich möchte nicht ihnen allen vorschreiben, dass sie ebenfalls ihr Auto abschaffen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will doch keiner!) Schon gar nicht möchte ich, dass der Staat versucht, sie auf diese Weise zu beeinflussen. Das zweite Beispiel: Ich kaufe gerne Biotomaten und Biokäse. Aber auch hier - einmal abgesehen davon, dass das für mich keine Glaubensfrage ist - möchte ich anderen Menschen nichts vorschreiben, in diesem Fall, dass sie nur von Ökolandbau leben dürfen. Das ist, glaube ich, der entscheidende Unterschied, auch zu den Grünen: Sie wollen nämlich, dass am Ende alle so leben, wie Sie es für richtig halten. (Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen nur nicht so leben wie Sie, Herr Kauch! Das ist doch Blödsinn! Was reden Sie denn? Die liberale Partei sind wir und nicht Sie!) Ich möchte, dass jeder und jede so leben kann, wie er oder sie es für richtig hält, und dass wir gemeinsam in einen Dialog über den richtigen Weg für dieses Land eintreten. (Beifall bei der FDP - Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was für eine absurde Vorstellung!) Der Kollege Friedrich hat von Lebenszielen und Lebenszwecken gesprochen und gleich danach gesagt: Wir brauchen das Primat der Politik. - Nein, ich möchte kein Primat der Politik über Lebensziele und Lebenszwecke von Menschen. Da ist die ureigene, persönliche Entscheidung von Menschen gefragt. Hier ist die Trennlinie zwischen den vermeintlich Liberalen, die sich nur so nennen, und den tatsächlich Liberalen. Es geht nämlich um die Freiheit des einzelnen Menschen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Hermann Ott [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch mal was Intelligentes, Herr Kauch!) Meine Damen und Herren, Innovation und Technik, das sind die wirklichen Schlüssel zu einer Effizienzrevolution in diesem Land. Nur mit einer Effizienzrevolution werden wir es schaffen, wirtschaftliches Wachstum und Ressourcenverbrauch noch weiter zu entkoppeln. Die Industrie hat hier in den letzten Jahren erhebliche Erfolge erzielt, durch die Einführung der Kreislaufwirtschaft und durch Energieeinsparungen. Wir, die christlich-liberale Koalition, gehen mit unserem Energiekonzept bei der Steigerung der Energieeffizienz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien weiter als jede Bundesregierung zuvor. (Beifall des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]) Chancen durch Effizienz, nicht durch Verzicht: Das ist ein Punkt, der uns erneut von den Grünen unterscheidet. Sie sind immer skeptisch, wenn es um neue Technologien geht; wir nutzen die Chancen und Hoffnungen, die mit diesen Technologien verbunden sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Hermann Ott [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil! Sie sind für fossile und atomare Energien! Wir sind für erneuerbare Energien!) Wohlstandsindikatoren neben dem Bruttoinlandsprodukt sind wichtig: Wir brauchen qualitative Indikatoren, die unsere Wachstumssicht beeinflussen. Diese neuen Indikatoren können den Indikator des Bruttoinlandsprodukts ergänzen, aber nicht ersetzen. Denn alle qualitativen Indikatoren sind anfällig für politische Willkür: Wer legt die Kriterien fest? Wer gewichtet sie? Wer misst sie? - Ich erinnere deshalb daran: Im Zusammenhang mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wurde bereits ein Indikatorensystem entwickelt. Ich würde mich freuen, wenn die Enquete-Kommission diese Arbeit, die in diesem Land bereits geleistet worden ist, in ihre Arbeit einfließen lassen würde. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In jedem Jahr wird verkündet, zu welchem Zeitpunkt keine erneuerbaren Rohstoffe mehr zur Verfügung stehen, weil die Menge, die ein Planet in jedem Jahr zur Verfügung stellen kann, bereits verwendet worden ist. Das entsprechende Datum wird vom Global Footprint Network ermittelt. In diesem Jahr treiben wir schon seit dem 21. August Raubbau an der Erde. Aus diesem Grund unterstützt auch die Linke ausdrücklich die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema Wachstum. Es muss aber klar sein - ich möchte hier warnen -: Die Nachhaltigkeits- und Wachstumsdebatte ist im Kern ökologisch; denn es geht - das wurde schon gesagt - um die Grenzen unseres Umweltraumes. Diese Grenzen werden permanent überschritten, sei es durch die Belastung mit Treibhausgasen oder den Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen. Deshalb ist es eine zentrale Frage, ob es qualitatives Wachstum - also Wachstum ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch - tatsächlich dauerhaft geben kann oder ob dies nur eine gefährliche Illusion ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage Ihnen: Ich tendiere eher zu Letzterem. Denn ich glaube, es ist notwendig, den Verbrauch von Ressourcen auf 20 Prozent des heutigen Verbrauchs zu reduzieren. (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Ich glaube deshalb nicht, dass wir den Problemen gerecht werden, wenn wir uns in erster Linie um einen neuen Wohlstandsindikator oder um eine neue Unternehmenskultur kümmern. Ich befürchte, dass uns solche Debatten nutzlos Zeit kosten werden, Zeit, die uns fehlen wird, um an den wirklichen ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen bei diesem Problem zu arbeiten. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass das Modell einer Wachstumsgesellschaft, die global - auch in diesem Land - ohnehin Wohlstand nur für wenige bringt, dafür aber Armut und Abhängigkeit für viele, aus ökologischen Gründen am Ende ist, dann stellen sich jede Menge unbequemer Fragen, nicht nur an Systemgläubige, sondern auch an Grüne, Linke oder Gewerkschaften: Ist der Kapitalismus überhaupt in der Lage, auf Wachstum zu verzichten, (Zuruf von der LINKEN: Nein! - Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Können wir auf Kapitalismus verzichten, Frau Kollegin?) oder braucht er das Wachstum? Ist der Drang nach Profitmaximierung nicht der Motor und Schmierstoff des Wachstums? Wie drosselt man einen solchen Motor? Sollten wir ihn drosseln können und wollen? Wie wären die sozialen Auswirkungen zu stemmen? (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!) Schließlich wären gravierende Strukturbrüche zu erwarten. Diese Strukturbrüche erfordern eine mutige Politik der Verteilung von oben nach unten, (Beifall bei der LINKEN) höchstwahrscheinlich in einem Ausmaß, das wir uns heute gar nicht vorstellen können. Einen zarten Vorgeschmack auf das Ausmaß der Strukturbrüche bekommt man beim Thema energetische Gebäudesanierung. Sie ist ökologisch unverzichtbar, aber zunächst ziemlich teuer. Die Bundesregierung will die Kosten für die energetische Gebäudesanierung auf die Menschen abwälzen, sodass Warmmieten unter Umständen drastisch steigen könnten; aber das wollen die Leute natürlich nicht. Das ist übrigens ein Grund, warum der Entwurf eines Klimaschutzgesetzes in Berlin gerade gescheitert ist. Zudem steht die Frage im Raum, wie sich Beschäftigung künftig organisieren lässt, wenn die Produktivität steigt, das Wachstum aber ausbleibt. Das geht wahrscheinlich nur über eine drastische Umverteilung von Arbeit und Einkommen, und zwar in einer Dimension, die dieses profitorientierte Gesellschaftssystem eindeutig überfordern wird. Es gibt also genügend Fragen. Aus diesem Grund haben wir einen Antrag eingebracht. Wir fanden eigentlich auch den ursprünglichen Antrag von SPD und Grünen gut, aber wir finden es schade, dass Sie nicht den Mut hatten, mit uns gemeinsam einen Antrag einzubringen. Wieder einmal haben Sie von SPD und Grünen sich mit CDU/CSU und FDP quasi zu einer Großen Koalition zusammengetan. Das tut uns leid. Das wird eine spannende Debatte. Es gibt viel zu streiten. Packen wir es an! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute eine Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" initiieren. Herr Kauch, das Wort "Enquete" steht für Befragung. Es geht darum, Fragen zu stellen. Es geht nicht darum, die ideologischen Sprüche, die wir immer hören, hier hinauszuposaunen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) sondern darum, uns selbst und unsere Positionen infrage zu stellen und offen zu sein für die Fragen und Positionen der anderen. Ich finde es spannend, dass wir die Begriffe Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität genommen haben und den Begriff Wachstum an den Anfang gesetzt haben. Ich finde es gut, dass die Kollegen Solms und Kaster sehr intensiv auf den Begriff Wachstum eingegangen sind. Für mich scheint dieser Begriff der entscheidende und der spannende zu sein. Unabhängig davon, dass man natürlich nicht immer alle Positionen teilen muss, ist es interessant, zu sehen, dass wir momentan intensiv über die Notwendigkeit von Wachstum, aber durchaus auch über die Grenzen von Wachstum diskutieren. Zwischen diesen Punkten müssen wir einen Spagat hinbekommen. Das macht diese Enquete-Kommission so spannend. Der Begriff Wachstum ist gerade in der jetzigen Phase ein sehr aktueller Begriff. Wenn wir uns die Finanzkrise anschauen, stellen wir fest, dass das Streben nach mehr Profit und mehr Wachstum die gesamte Weltwirtschaft an die Grenze des Abgrunds gebracht hat. Das müssen wir uns klarmachen. So kann das nicht bleiben. Da muss sich etwas ändern. Oder nehmen Sie zum Beispiel die Klimakrise: Die Klimakrise kann unsere Lebensgrundlage vernichten. Sie kann all das vernichten, was wir brauchen, um überhaupt leben zu können. Auch hierzu sage ich: Ein Wachstum um des Wachstums willen darf es nicht geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]) Sehen wir uns zum Beispiel die Ressourcenverknappung an: Wir haben eben von den Tiefseeölbohrungen gehört. Man dringt in immer tiefere Tiefen vor, um überhaupt noch an Öl zu kommen. Bestimmte Produkte erzielen aufgrund der Ressourcenverknappung inzwischen sehr hohe Preise. Das macht doch deutlich: Auf einer begrenzten Erde kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Deshalb müssen wir zu einer ganz anderen Diskussion kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Es gibt also gute Gründe, Wachstumsversprechen und Wachstumsziele kritisch zu hinterfragen. Eine der Fragen der Enquete-Kommission wird sein: Wie viel und welches Wachstum können wir uns leisten? Diese Frage müssen wir beantworten. Auf der anderen Seite gibt es das bestehende Gesellschaftssystem, aus dem immer wieder die Notwendigkeit des Wachstums für den Staatshaushalt und die Sozialsysteme abgeleitet wird. Da herrscht praktisch ein Wachstumszwang. Die Kanzlerin Angela Merkel hat das vor ungefähr einem Jahr mit den Worten beschrieben: Ohne Wachstum ist alles nichts. Aus diesem Wachstumszwang müssen wir uns lösen; denn was heißt das für eine Gesellschaft, die eine demografische Entwicklung wie die unsere hat, für eine Gesellschaft, in der die Zahl der Menschen sinkt? Was heißt das für die Sozialsysteme? Es geht doch gerade darum, Lösungen zu finden, mit denen auch ohne Wachstumszwang die Sozialsysteme in diesem Land sicher sind. Auch darum geht es bei dieser Enquete-Kommission. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Peter Friedrich [SPD]) Die Entkoppelung der ökologischen Seite, der Ressourcen vom Wachstum ist natürlich ganz wichtig. Auch da müssen wir fragen: Werden die Effizienzgewinne nicht wieder aufgebraucht? Natürlich sind wir effizienter geworden, zum Beispiel bei der Stromproduktion, aber diese Effizienzgewinne werden ganz häufig durch mehr Begehrlichkeiten aufgefressen. Der neue Kühlschrank wird in die Küche gestellt und der alte Kühlschrank läuft im Keller weiter. Das führt am Ende zu mehr Stromverbrauch. Es geht also auch darum, zu fragen: Können wir eine Entkopplung vom Wirtschaftswachstum erreichen, und wie können wir dies schaffen? Müssen wir nicht zum Beispiel auch Fragen nach der Lebensqualität, dem Lebensstil und den Konsummustern stellen? Das heißt, wir müssen Wohlstand definieren. Wir müssen danach fragen, wie wir Lebensqualität für die Menschen definieren können, wenn wir Ökologie vom Wachstum abkoppeln. Wir haben also viele Fragen an diese Enquete. Ich möchte zum Schluss meiner Rede an eine Enquete erinnern: die Enquete "Schutz der Erdatmosphäre". Sie hat in diesem Bundestag Großes geleistet. Sie hat Ergebnisse erzielt, durch die national wie international viel verändert wurde. Ich wünsche dieser neuen Enquete, dass ihre Mitglieder ähnlich viel Weitsicht und Weisheit haben und dass sie genauso erfolgreich sein wird. Wir als Grüne werden versuchen, unseren Beitrag dazu zu leisten. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Höhn, es gibt in der Tat einen kritischen Ansatz für die Untersuchung, die wir durchführen wollen. Ich habe aber das Gefühl, dass wir unserem Ziel nicht näherkommen, wenn wir aufgrund der jüngsten Erfahrungen auf den Finanzmärkten in einen allgemeinen Marktpessimismus verfallen. Wir würden damit gleichzeitig auch all diejenigen Marktteilnehmer, zum Beispiel Mittelständler und Familienunternehmer, in Mithaft nehmen, die nicht zu diesen Verwerfungen auf den Finanzmärkten beigetragen haben. Deshalb fände ich es sehr gut, wenn wir uns in dieser Diskussion um eine große Differenzierung bemühen. Grundsätzlich ist es erfreulich, dass wir zu einem fast fraktionsübergreifenden Antrag gekommen sind. Es geht um ein wichtiges Thema. Es liegt an uns, Schrittmacher in diesem Diskurs abseits der parlamentarischen Tagesarbeit zu sein. Die Konferenz von Rio im Jahr 1992 hat den Impuls für die gemeinsame weltweite Anstrengung zur nachhaltigen Entwicklung gegeben. Weitere internationale Konferenzen sind ihr gefolgt. Sie alle hatten eigene Schwerpunkte, etwa Stadtentwicklung, Ernährung und Demografie; das sind nur einige Beispiele. In der Zwischenzeit haben sich auch die Grundlagen unseres EU-Vertrages verändert. Sie sind fortgeschrieben worden. In Art. 3 des EU-Vertrages wird die Wirtschaftsverfassung des Binnenmarktes in der Europäischen Union beschrieben. Darin enthalten sind die Ziele: nachhaltige Entwicklung Europas, ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, ein hohes Maß an Umweltschutz, Verbesserung der Umweltqualität, die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Sie sehen: Dies ist eine umfassende Beschreibung all der Themen, die auch in unserem Antrag genannt sind. Im Mittelpunkt der Beschreibung, die ich gerade genannt habe, steht die soziale Marktwirtschaft. Ich bin sehr froh, dass wir in der Europäischen Union diese Errungenschaft ausdrücklich - im Übrigen über den Text unseres Grundgesetzes hinaus - in den Verfassungstext aufgenommen haben. Soziale Marktwirtschaft beinhaltet Freiheit, Verantwortung, Eigentum, aber auch sozialen Ausgleich. Mit der sozialen Marktwirtschaft haben wir den idealen Ordnungsrahmen, um den im Antrag genannten Aufgabenkatalog zu bewältigen. Es gilt, um es mit den Worten von Alfred Müller-Armack zu sagen, das Prinzip der Freiheit mit dem des sozialen Ausgleiches zu verbinden. Die Herausforderungen unseres politischen Handelns in den Jahren vor der nächsten Rio-Konferenz, die ja 2012 stattfinden wird - Rio-20-plus ist das Schlagwort -, sind eher größer und die Entscheidungen noch dringlicher geworden. Ressourcenverbrauch, demografischer Wandel, Klimawandel, Staatsverschuldung, Finanzmarktreformen und Biodiversität - all diese Punkte berühren unsere Lebensgrundlagen. Sie berühren aber auch die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wachstum und Wohlstand sind tragende Bestandteile unserer wirtschaftlichen Ordnung. Es kann dieser Enquete-Kommission deshalb nicht darum gehen, das bewährte Modell der sozialen Marktwirtschaft zur Disposition zu stellen. Ebenso wenig erscheint es mir sinnvoll, hier kleinteilige staatliche Mechanismen zu entwerfen oder gar einfach Leitplanken des Wohlbefindens aufzustellen. Es gilt einfach, Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität in einen aktuellen Beziehungsrahmen zu setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ziel muss es sein, meine Damen und Herren, die Ansätze eines nachhaltigen Wirtschaftens im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft zu stärken. Dazu gehört insbesondere die Betrachtung des Ressourcenverbrauches als Grenze und des technischen Fortschritts als Triebfeder für Wachstum und Wohlstand. Diese Zusammenhänge zu beschreiben, ist in der Tat nicht einfach. Ich finde, Aufgabe der Enquete muss es deshalb sein, diese Fragen zu stellen. Das heißt: Wie bewerten wir die Entwicklung von Produkten, die Produktion und den Konsum unter Lebenszyklusbetrachtungen? Wie wirkt sich der Ressourcenverbrauch auf die soziale Sicherung und auch auf die Lebensqualität aus? Wie können wir unseren Emissionsfußabdruck verkleinern? Wie erhalten wir Entscheidungsspielräume auch für die nächste Generation, für unsere Kinder? Der Kollege Kaster hat es schon angesprochen: Wie bewahren wir die Schöpfung? Wie tragen wir zur Bewahrung der Schöpfung bei? (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit all diesen Fragen wird an unsere sozialen und wirtschaftlichen Kompetenzen, unsere technischen Fähigkeiten und unser ökologisches Bewusstsein appelliert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist - ich sage das am Schluss dieser kurzen Betrachtung - ein sehr ambitioniertes Programm. Unsere Geschäftsordnung sieht vor, dass wir eine solche Kommission zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutende Sachkonflikte einsetzen. Dem haben wir mit dem Text des Einsetzungsantrags vielleicht schon mal Rechnung getragen; aber der Erfolg wird sich letztendlich daran messen lassen, was wir aus dieser so umfassenden Bandbreite an aufgeworfenen Themen als greifbare und belastbare Ergebnisse tatsächlich mitnehmen. Ich freue mich deshalb mit Ihnen zusammen auf eine intensive und gute Beratung und wünsche uns allen dabei eine gute Zusammenarbeit und vor allen Dingen nachhaltige Erkenntnisse. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! In Deutschland und vielen anderen Industriestaaten haben wir mittlerweile ein beachtliches Maß an Lebensqualität - durch technologischen Fortschritt, Wirtschaftswachstum und die Arbeit von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - erreicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Immer mehr Menschen zweifeln jedoch daran, dass ein Mehr an Wirtschaftswachstum auch ganz automatisch zu einem Mehr an Lebensqualität für sie und ihre Mitmenschen führt. Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sehen 61 Prozent der Befragten diesen Zusammenhang nicht mehr, und zwar nicht zuletzt wegen der Erfahrungen aus dem Aufschwung direkt vor der Wirtschafts- und Finanzkrise, der bei den Menschen viel zu wenig ankam, und wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise selbst. Damit nicht genug: Auch die drohende Klimakatastrophe stellt die reine Fixierung auf numerisches Wachstum infrage. Das BIP eines Landes wächst, wenn die Menschen im Stau stehen und der Motor läuft. Dabei wird Benzin verbrannt. Es wächst auch, wenn Milliarden dafür ausgegeben werden, um Umweltkatastrophen wie nach der Explosion der "Deepwater Horizon" einzudämmen. Einen Wohlstand, der durch Umweltschädigung oder hohe Staatsverschuldung erkauft wird, lehnen jedoch mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ab. Ich wiederhole: mehr als 80 Prozent. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Daran, dass die Steigerung des BIP die alleinige Richtschnur des politischen Handelns sein sollte, zweifeln viele Menschen zu Recht. Dem BIP einen zweiten Indikator für solidarischen Fortschritt zur Seite zu stellen, das ist ein Ziel der Enquete-Kommission, die wir heute gemeinsam einsetzen wollen. Das BIP reicht nicht mehr aus, um Wohlstand und Lebensqualität angemessen darzustellen. Es greift zu kurz. Was ist mit sozialer Teilhabe, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und guter Arbeit? Auch diese Faktoren bilden das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft ab. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir stehen mit der Diskussion, die wir heute führen, nicht allein. In der OECD und der EU, aber auch in Nationalstaaten wie in Frankreich und den USA, überall wird umfassend geforscht und hochkarätig politisch diskutiert. Es ist unabdingbar, dass auch wir im Deutschen Bundestag uns diesem Thema zumindest für den Rest dieser Legislaturperiode widmen. Die Frage nach einem neuen, wertvollen Wachstum für mehr Lebensqualität zu beantworten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist kein Nischenprojekt für einen akademischen Zirkel oder eine einzelne Partei. Sie ist die wesentliche Frage, die wir uns als politische Akteure jeden Tag neu stellen sollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!) Nur dann, wenn wir gemeinsam zeitgemäße Maßstäbe entwickeln, was wir unter einem solchen Wachstum und unter solidarischem Fortschritt verstehen und wie wir ihn messen wollen, können wir erfolgreich sein. Denn die Vereinbarungen darüber, wie unsere Art des Wirtschaftens aussehen soll und an welchen Erfolgsmaßstäben wir unsere Wirtschaftspolitik in Zukunft messen wollen, können wir nicht alle vier Jahre über den Haufen werfen. Die Arbeit dieser Enquete-Kommission muss also langfristig Bestand haben. (Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD]) Ich erhoffe mir von dieser Enquete-Kommission eine konstruktive und sachorientierte Arbeit, die in tragfähigen Ergebnissen mündet. Die bisherigen Beiträge und der prominente Platz dieser Debatte stimmen mich positiv und lassen mich auf eine engagierte und auch durchaus kontroverse Debatte hoffen. Die Ergebnisse, die wir erzielen können, sind weit mehr als nur ein akademisches Lehrwerk. Wir haben das Potenzial, Leitfäden für die Gestaltung der Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik zu erarbeiten, um den Herausforderungen der Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts, das heißt in Zeiten von Globalisierung und Klimawandel, gerecht zu werden. Damit kein Missverständnis aufkommt: Neue Kennzahlen zu entwerfen, entbindet uns nicht von der Pflicht, die klassischen Herausforderungen der Wirtschaftspolitik zu bewältigen. Eine ökonomische Depression kann man nicht mit einem neuen Indikator schönrechnen. Den Aufwuchs des Bruttoinlandsproduktes aber um jeden Preis zur alleinigen Leitschnur erfolgreicher Politik zu machen, davon müssen wir endlich wegkommen, sehr verehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zur Unzulänglichkeit des BIP haben meine Vorredner bereits jede Menge gesagt. Schon aufgrund der Unzulänglichkeit des BIP macht es Sinn, diesen Indikator um einen weiteren zu ergänzen. Folglich ist es auch mitnichten so, dass wir uns vom Ziel des Wachstums entfernen würden. Wir Sozialdemokraten werden weiter für Wachstum arbeiten, aber für ein Wirtschaftswachstum, das ökologisch nachhaltig ist, das global verantwortbar ist und das bei den Menschen wirklich ankommt. Wir wollen nicht länger dabei zusehen, dass die Statistiker Wachstumsrekorde verkünden und die Menschen den Aufschwung erfolglos in ihrer Lohntüte suchen. (Beifall bei der SPD) Ob und vor allem wie unser Wohlstand aufwächst, das ist eine zutiefst soziale Frage. Zu gesellschaftlichem Fortschritt gehört für uns, dass alle daran teilhaben können. Auch in Zukunft kann es also nicht darum gehen, dass die Abwesenheit von Wirtschaftswachstum als Erfolg verbucht wird. Wir wollen allerdings ein Wachstum, das die natürlichen Grundlagen unserer Umwelt schont und bei gleichem oder steigendem Wohlstand weniger Ressourcen verbraucht. Wir haben nur diese eine Erde, und unsere Ressourcen sind endlich; viele sind nicht regenerierbar. Deshalb müssen wir es ermöglichen, mehr Beschäftigung und Wohlstand zu schaffen und gleichzeitig weniger Rohstoffe zu verbrauchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Ziele können wir nicht allein durch eine Veränderung des individuellen Konsums und des individuellen Lebensstils erreichen, sondern dafür brauchen wir auch den technischen Fortschritt. Ich erwarte, dass wir in den kommenden drei Jahren der Beantwortung dieser brennenden Fragen ein ganzes Stück näherkommen, und freue mich wirklich sehr auf die Debatte mit Ihnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! "Vielleicht wird", so Theodor Adorno in seiner Minima Moralia, "die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, statt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen". Ein solcher Verzicht auf die Entwicklung technischer Möglichkeiten, auf Wachstum, auf Fortschritt ist das Thema vieler Utopien, von Platon über Thomas Morus bis in die Utopien der Aufklärung hinein. Aber Utopien sind statische Gesellschaften. Dies sind wir nicht. Wir sind dem Wandel der Veränderung unterworfen, sei es aus Freiheit, sei es aus den Imperativen einer technischen Gesellschaft. Fortschritt buchstabieren wir heute nicht mehr so optimistisch wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Idee des Fortschritts ist seltsam gebrochen, seltsam eingedunkelt. Etwas verschämt spricht der Antrag von gesellschaftlichem Fortschritt, ganz so, als könne dieser mit Blick auf die Geschichte empirisch konstatiert werden. Ich halte das für problematisch. Auch das Wachstum, auf das, wie es der Antrag formuliert, unser Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, ist uns längst nicht selbstverständlich. Wir hinterfragen kritisch, und viele Kollegen haben das ja auch getan: Was ist das Kriterium für Wachstum? Ich finde es richtig, darüber nachzudenken, ob lediglich die Kennzahl der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ein sinnvoller Bezugspunkt ist. Ich glaube nicht, dass es unserer Lebenswirklichkeit gerecht wird, lediglich das Bruttoinlandsprodukt hier heranzuziehen. Ich glaube auch nicht, dass das gesellschaftliche Ziel das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl, in harter materieller Verteilung gemessen, da sinnvoll ist; denn zur Lebensqualität gehört meines Erachtens die Möglichkeit des authentischen, des gelingenden, des guten Lebens jenseits des Konsums. Diese reflektierende Herangehensweise ist ein Gewinn, und das Thema der Enquete-Kommission ist ein großes, über den Tag hinausreichendes. Dabei geht es um nicht weniger als die Neubestimmung des Verhältnisses von Mensch, Technik und Natur. Längst gehört zum Alltagswissen die Durchdringung unseres Lebens durch technische Kategorien. Ob wir die Technik, dieses eherne Gehäuse der Hörigkeit, jemals werden beherrschen können, wissen wir nicht. Technikphilosophen wie Ulrich Teusch bezweifeln das. Zu sehr hat das technische Denken auch von uns Besitz ergriffen. "Wahr ist, was der Mensch machen kann", so hat Benedikt XVI. diese Haltung einmal beschrieben. Die Machbarkeit der Sachen macht auch vor der Möglichkeit einer zweiten Schöpfung und der endgültigen Verfügbarkeit des Menschen keinen Halt. Die instrumentelle Rationalität des technischen Denkens zersetzt die Grundlagen unseres Bildes vom Menschen und unserer Idee des guten Lebens. Das Aufbrechen der Natur durch die Technik - Frau Höhn hat es erwähnt - wirft die Frage auf: Wie steht es um das Verhältnis von Mensch und Natur? Auch hier setzt die Fragestellung der Kommission an: Wie verhindern wir die Erschöpfung der Ressourcen durch ein bedingungsloses Wachstum? Wie entknüpfen wir den Zusammenhang von Wachstum und dem Verbrauch von Ressourcen, Umwelt- und Biokapital? Aus christlicher Sicht sind wir allein da schon wegen des Prinzips der Nachhaltigkeit angehalten, das Ausdruck der Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist. Wie ordnen wir in einer als sozial und nachhaltig sich verstehenden Marktwirtschaft diese Zielvorgaben, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit fahrlässig zu gefährden? Für mich persönlich interessant sind im Zusammenhang mit dem Auftrag an die Kommission Fragen der Arbeitsbeziehungen und der Arbeitsorganisation. Wie sieht ein künftiger Arbeitsbegriff aus, der der Realität einer Wissensgesellschaft gerecht zu werden vermag? Wie überwinden wir den traditionellen Konflikt von Arbeit und Kapital? Sind hier Modelle der Mitarbeiterbeteiligung vielleicht zeitgemäßer, weil dieser Konflikt durch sie transzendiert wird? Leben wir in dem Konfliktmodell von Arbeit und Kapital nicht zu sehr im 19. und zu wenig im 21. Jahrhundert? Werden durch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir ja auch im Titel des Koalitionsvertrags beschwören, nicht auch neue Formen gemeinschaftlicher Arbeitsorganisation gefordert? Durch die Globalisierung werden uns viele Fragen in zugespitzter Form gestellt und wird auch auf die Notwendigkeit verwiesen, uns unseres Menschenbildes und des Instrumentariums unserer ordnungspolitischen Vorstellungen neu zu vergewissern. Das betrifft zum einen die Frage von Rüdiger Safranski, wie viel Globalisierung der Mensch verträgt, wo er beheimatet ist, zum anderen aber auch die sehr spannende und brennende Frage, wie wir ordnungspolitisch auf das Phänomen reagieren, dass Prozesse im Einzelnen rational, im Ganzen aber unvernünftig sind. Die Finanzkrise bietet reichhaltiges Anschauungsmaterial. Meine Damen und Herren, mit der Enquete-Kommission wird die Gelegenheit eröffnet, über diese Fragen nachzudenken und uns Auskunft darüber zu geben, wohin wir wollen und was uns als Gesellschaft wichtig ist. Durch den Antrag werden wir aber auch aufgefordert, nicht nur im Reich der Ideen zu verweilen, sondern auch konkrete Fragen zu beantworten, sodass wir als Gesetzgeber diese Dinge dann praktisch angehen können. Ich wünsche mir, dass wir den Mut haben, erste Schritte zu unternehmen, das Verständnis von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität konkret und neu zu definieren oder gegeneinander zu justieren. Ich wünsche mir, dass wir den Begriff der sozialen Marktwirtschaft qualitativ anreichern, und ich wünsche mir, dass wir auf die großen Fragen, die zu beantworten uns aufgegeben ist, große Antworten finden mögen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3853 zur Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Enthaltung der Fraktion der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3990 zur Einsetzung einer Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Fraktionen der SPD und der Grünen abgelehnt. Damit ist die Enquete-Kommission auf Grundlage des Antrages der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3853 eingesetzt. (Beifall des Abg. Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Umweltbericht 2010. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen. Bitte schön, Herr Minister. Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Ihnen einige Aspekte des Umwelt-berichtes 2010, in dem die letzten Jahre bilanziert werden, in der Breite darlegen zu dürfen. Es zeigt sich natürlich ein vielschichtiges Bild. Ich möchte Ihnen hauptsächlich durch Zahlen und Ergebnisse, die ermittelt worden sind, eine repräsentative Auswahl dieser Vielschichtigkeit vorstellen und natürlich auch auf Handlungsbedarfe hinweisen. In diesem Umweltbericht 2010 werden Handlungsbedarfe genannt, etwa, indem darauf hingewiesen wird, dass lediglich 10 Prozent aller Fließgewässer in Deutschland einen sehr guten oder guten ökologischen Zustand aufweisen. Das heißt, bezogen auf die Wasserqualität besteht Handlungsbedarf. Der gemessene tägliche Flächenverbrauch beträgt 94 Hektar. Jeden Tag wird eine Fläche von 94 Fußballfeldern versiegelt bzw. verbraucht. Das ist viel zu viel. Unser Ziel sind 30 Hektar pro Tag. Wir haben im Verkehrsbereich eine enorme Entwicklung zu verzeichnen. Der Güterverkehr hat zwischen 1991 und 2008 um 67 Prozent und der Personenverkehr um 25 Prozent zugenommen. Das heißt, der Verkehrsbereich hat inzwischen einen Anteil von knapp 20 Prozent an den klimarelevanten CO2-Emissionen in Deutschland. Das zeigt, wie notwendig und wichtig die Elektromobilität und ihre Entwicklung in Deutschland sind. Aber genauso gibt es auch erfreuliche Entwicklungen. In Cancún haben schon die internationalen Klimaverhandlungen begonnen. Ich werde nächste Woche mit einer Delegation des Bundestages hinreisen. Das deutsche Ziel in der CO2-Reduktion sind 21 Prozent bis 2012. Wir hatten im letzten Jahr bereits eine CO2-Reduktion von über 25 Prozent zu verzeichnen. Das heißt, das nationale Ziel ist übererfüllt. Aber damit können wir uns nicht zufrieden zurücklehnen. Wir brauchen vielmehr ein globales Abkommen, und wir arbeiten jetzt daran, dass in Cancún ein Paket konkreter Entscheidungen geschnürt wird. Deutschland ist Teil der europäischen Verhandlungsstrategie. Es gibt keine relevante nationale, sondern nur eine europäische Verhandlungsstrategie. Wir glauben, dass wir konkrete Fortschritte erreichen können und damit wieder ein Prozess an Optimismus und Zuversicht gewinnt, der vor einem Jahr in Kopenhagen - mit einer Enttäuschung im Rücken - begonnen hat und in Südafrika in einem Jahr und auf dem Erdgipfel in Rio im Frühjahr 2012 sicherlich noch weiter vorankommen kann. Beim Thema biologische Vielfalt, Artenschutz und Naturschutz ist es erfreulich, dass das nationale Naturerbe als gesamtstaatlich repräsentative Naturschutzfläche des Bundes inzwischen 100 000 Hektar beträgt und das Natura-2000-Netzwerk mehr als 15 Prozent der deutschen Landesfläche umfasst. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang die internationale Entwicklung. Die Artenschutzkonferenz im japanischen Nagoya war auf der ganzen Linie ein Erfolg. Ich glaube, darüber können wir uns alle sehr freuen. Ich will ein weiteres Kapitel aufgreifen: die Ressourceneffizienz. Wir haben in der Abfallwirtschaft eine Situation erreicht, die wir auf andere Bereiche übertragen müssen; dabei geht es um die Ablösung der Abfallproduktion vom Wirtschaftswachstum. Wir hatten in den letzten zehn Jahren wirtschaftliches Wachstum, aber weniger Abfall. Wir haben hohe Recyclingquoten und werden wegen unseres technologisch-wirtschaftlichen Erfolges - die Europäische Union zieht jetzt mit der Richtlinie nach - mit dem sich in der regierungsinternen Abstimmung befindlichen Kreislaufwirtschaftsgesetz weiter in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen und die Vorstellung, dass Abfallpolitik sekundär Rohstoffpolitik ist, konsequent weiter voranbringen. Das ist ein Beispiel dafür, was unser Grundverständnis ist. Ich möchte zum Schluss einige wirtschaftliche Zahlen aus dem Umweltbericht referieren. Denn die Entwicklung, Umwelt und Arten zu erhalten, Naturschutz zu betreiben und CO2-sparsam zu wirtschaften und zu leben, ist unbestreitbar eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Darum ist es auch wirtschaftlich geboten, unser Naturkapital zu erhalten, statt es zu verbrauchen. Wir haben im boomenden Weltmarkt der Umwelttechnologien mit 16 Prozent die Spitzenreiterposition. Das macht 224 Milliarden Euro aus. In den Jahren 2005 bis 2008 sind knapp 10 Prozent des gesamten Industrieproduktionszuwachses auf Umweltschutzgüter zurückzuführen. Wir haben inzwischen 1,8 Millionen Greenjobs in Deutschland, 340 000 im Bereich der erneuerbaren Energien und 850 000 in den Umwelttechnikdienstleistungen. Wir glauben, dass sich die Zahlen in den nächsten zehn Jahren verdoppeln werden. Wir sind Technologieführer, was sich auch in den Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt ausdrückt. Jedes vierte Patent in diesem Bereich, das vom Europäischen Patentamt gewährt wird, stammt von einem deutschen Patentanmelder. Das ist Ausdruck der technologischen Führung, die wir auf diesem Gebiet haben. Ich möchte das noch einmal unterstreichen. Ich glaube, dass das ein entscheidender Ansatz ist, der durch den Umweltbericht und die ermittelten Zahlen belegt worden ist. Dass es keinen Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie gibt, sondern dass die Verfolgung des Ziels der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im ökonomischen Interesse des Landes ist und sich in ökonomischen Erfolgen für unser Land ausdrückt, ist nicht nur ein nationaler Prozess, sondern ein globaler Wettbewerbsprozess. Wir liegen sehr gut in diesem Prozess, wie auch die Direktorin der Europäischen Energieagentur, Jacqueline McGlade, am heutigen Tag bekundet und anerkannt hat. Aber dieser Prozess ist kein Selbstläufer, sondern das Zusammenspiel von anspruchsvoller staatlicher und europäischer Rahmensetzung und Entfaltung von innovativen Kräften in Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist das Erfolgsmuster, das wir auch in der Zukunft fortsetzen müssen. Darüber werden wir streiten, aber, ich glaube, im Kern gibt es in dieser wichtigen Entwicklungsfrage unseres Landes einen Konsens. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herzlichen Dank. - Zur ersten Frage hat sich Kollege Matthias Miersch gemeldet. Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Bundesumweltminister, der Bericht nimmt an vielen Stellen auf die internationale Umweltschutzpolitik Bezug. Insofern möchte ich Sie mit einem Vorgang aus der heutigen Umweltausschusssitzung konfrontieren, in der es um internationalen Umweltschutz ging, nämlich um die Frage, inwieweit der durch die Bundesregierung veranlasste Transport der Brennelemente nach Majak unmittelbar bevorsteht oder nicht. Ihre Staatssekretärin Reiche hat uns gesagt, dass Sie noch offene Fragen zu klären und deswegen das Verfahren bislang gestoppt hätten. Der Sprecher des Bundesumweltministeriums - so habe ich jetzt erfahren - hat das dementiert. Da man selten die Möglichkeit hat, den Chef des Hauses zu fragen, frage ich Sie jetzt: Wie steht es denn nun? Wie ist der aktuelle Stand? Welche Zweifel haben Sie? Und, wenn ja: Wie beabsichtigen Sie diese auszuräumen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich glaube zwar, dass wir ungefähr wöchentlich die Gelegenheit haben, uns hier auszutauschen; wir können aber auch diese Gelegenheit nutzen. Es geht bei dieser Frage um die Anwendung eines amerikanisch-russischen Vertrags über die Nichtverbreitung von atomwaffenfähigem Material. Das ist das Thema, um das es bei der von Sachsen beantragten Lieferung von Brennelementen aus dem Forschungsreaktor Rossendorf in der ehemaligen DDR, die aus sowjetischer Produktion stammen, geht. Die Verbringung in das Produktionsland, das heutige Russland, hängt davon ab, ob angenommen werden kann, dass eine schadlose Verwertung, wie sie im deutschen Atomgesetz vorgesehen ist, dort gewährleistet ist. Das ist das rechtliche Kriterium, das erfüllt sein muss, damit diese Verbringung erfolgen kann. Diese Frage muss darum geprüft werden und wird auch von mir geprüft. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen, aber das ist das rechtliche und auch verantwortliche Kriterium, von dem die Genehmigung abhängt. Die Prüfung erfolgt sorgfältig. Sie ist an die Anforderung geknüpft, dass die Überzeugung vorhanden sein muss, dass eine sichere Verwertung am Verbringungsort stattfindet. Das ist der Sachstand. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die nächste Frage stellt Kollegin Dorothea Steiner. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister Röttgen, Sie - Ihr Haus und die Bundesregierung - haben gestern einander dafür gelobt, dass Deutschland im Umwelt- und Klimaschutz weltweit führend sei. Nicht nur die Grünen im Bundestag, sondern auch die EU-Kommission sieht es anders. Sie kommt 2010 in der Bewertung der Umweltpolitik der Mitgliedsländer zu einem ganz anderen Schluss und sieht Deutschland nicht einmal unter den ersten drei. Ich möchte bezüglich Abfallpolitik und Ressourcenschutz nachfragen. Sie haben den Entwurf Ihres eigenen Abfallgesetzes sehr gelobt, in dem Sie für Hausmüllrecycling 65 Prozent für Papier, Metall usw. bis 2020 festschreiben. Wir müssen feststellen, dass bereits 2007 deutsche Haushalte 63 Prozent ihrer Wertstoffe recycelt haben; das sind 2 Prozent Unterschied. Die auf Baustoffrecycling bezogenen Zahlen, die Sie als ambitioniertes Ziel für 2020 angeben, wurden 2007 bereits übererfüllt. Vor dem Hintergrund und angesichts der Bedeutung insbesondere der Ressourcenverwertung und des Ressourcenschutzes würde ich von Ihnen gern wissen: Wie will sich denn die Bundesregierung zukünftig für mehr Rohstoffrecycling in der Abfallwirtschaft einsetzen, wenn entsprechende Zielsetzungen auf Bundesebene vollständig fehlen? In Verbindung damit: Wann werden Sie als Bundesregierung bzw. als Bundesumweltministerium Kriterien für zu bevorzugende hochwertige Recyclingverfahren erarbeiten, um zu erreichen, dass die anhaltende sinnlose Verbrennung wertvoller Rohstoffe in Verbrennungsanlagen minimiert wird? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich sehe, Frau Kollegin, den Erfolg bzw. den Nachweis des Erfolgs vor allen Dingen darin, dass wir mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz auf dem Gebiet der Ressourcenpolitik führend in Europa sind. Das drückt sich darin aus, dass die europäische Richtlinie, die erlassen worden ist, im Grunde darauf abzielt, die deutsche Rechtslage und rechtliche Struktur in der Europäischen Union zu etablieren und auszuweiten. Wir sind dort in positivem Sinn Vorreiter. Inzwischen sind es 26 Länder, die unser System übernommen haben. Das ist auch Ausdruck des Erfolges, den wir mit unserem Programm haben. Wir werden uns aber auf diesem Erfolg nicht ausruhen, sondern mit der von mir gerade erwähnten Novelle zum Kreislaufwirtschaftsgesetz diesen Weg konsequent fortsetzen, und zwar mit einer von drei auf fünf Stufen erweiterten und ausdifferenzierten Abfallhierarchie - die Bedeutung von Abfallvermeidung und -recycling wird weiter hervorgehoben - und mit zusätzlichen, deutlich über die neuen europäischen Recyclingquoten hinausgehenden nationalen Quoten, die noch einmal angehoben werden. Das heißt, wir werden die Ambitionen auf diesem Gebiet weiter ausdehnen. Wir können das auch. Wir werden einen substanziellen Schritt in der Abfallpolitik gehen, und zwar weg vom Wegwerfen hin zu einem Verständnis von Abfall als Sekundärrohstoff. Das wird zunehmend deutlicher werden. Wir entwickeln durch dieses vernünftige Zusammenspiel von anspruchsvollen Rahmensetzungen, Quoten, Standards und Technologie die Führungsrolle weiter, die wir bislang innehaben. Wir streben also eine vernünftige, anspruchsvolle Fortentwicklung an, die sich in höheren Quoten und insbesondere in einer stärkeren Ausdifferenzierung ausdrückt. Darüber werden wir in der Debatte über den Gesetzentwurf, der bald eingebracht wird, ausführlich diskutieren können. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit ist aber meine Frage nicht beantwortet!) Präsident Dr. Norbert Lammert: So etwas kommt vor. - Nun hat das Wort die Kollegin Undine Kurth. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, ich habe eine Frage zum Naturschutz, den Sie schon angesprochen haben. Sie haben gesagt, es sei sehr erfreulich, dass wir bei Natura 2000 und dem Nationalen Naturerbe vorangekommen sind. Das ist ohne Zweifel richtig. Gleichwohl ist das erklärte Ziel, den Biodiversitätsverlust zu stoppen, bei weitem nicht erreicht. Wir stehen vor einem sehr großen Problem. Nun soll das Bundesprogramm "Biologische Vielfalt" aufgelegt werden. Wenn ich richtig gelesen habe, steht in Kapitel III, auf Seite 120, des Umweltberichts 2010, dass es dazu einen offenen Diskurs mit verschiedenen gesellschaftlichen Partnern geben soll. Wir hatten am 5. November im Rahmen einer schriftlichen Anfrage nach dem Stand dieses Programms gefragt. Im nächsten Jahr sind dafür 15 Millionen Euro vorgesehen. Wir finden zwar, dass das nicht genug ist. Trotzdem ist das erfreulich. Aber wie soll das Programm ausgestaltet sein? Im Dezember noch nicht zu wissen, wie es nächstes Jahr weitergehen soll, ist angesichts eines solchen Programms sicherlich mutig. Meine Frage lautet daher: Wann werden wir erfahren, wie dieses Programm ausgestaltet wird? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich stimme Ihnen in der - absolut richtigen - Feststellung zu, dass wir, die Staatengemeinschaft, die Biodiversitätsziele im Rahmen der CBD nicht erreicht haben. 2010 ist das Internationale Jahr der biologischen Vielfalt. Aber das ist kein Jahr zum Feiern; denn wir haben die Ziele auf ganzer Linie nicht erreicht. Gerade deshalb war es so wichtig, dass wir in Nagoya erfolgreich waren. Dieser Erfolg muss nun auch auf nationaler Ebene seinen Niederschlag finden und umgesetzt werden. Wir haben in der letzten Sitzungswoche etwa über die Relevanz der veränderten und reformierten gemeinschaftlichen Agrarpolitik als eines der wichtigsten Anwendungsfelder und als Ausdruck eines neuen Verständnisses gesprochen. Landwirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik müssen zu Veränderungen kommen. Ein anderes Instrument ist das Bundesprogramm "Bio-logische Vielfalt". Ich stimme Ihnen zu, dass dafür 15 Millionen Euro zur Verfügung stehen und 30 Millio-nen Euro besser gewesen wären. Aber wenn ein völlig neues, finanziertes Instrument eingeführt wird, das nicht eingeführt wurde, als die Kassenlage noch viel besser war, nämlich in der Zeit früherer Regierungen, ist das wiederum ein Grund, sich gemeinsam zu freuen. Wir sollten uns darüber freuen, dass es das Instrument überhaupt gibt, das mit 15 Millionen Euro ausgestattet ist und in einem gesellschaftlichen Diskussionsprozess entwickelt wird. Es hat dazu einen Jugendkongress und andere Veranstaltungen gegeben, auf denen das Programm zusammen mit den Akteuren entwickelt wurde. Das wird nach und nach im nächsten Jahr umgesetzt werden. Ich kann Ihnen jetzt keinen Termin nennen, wann die erste finanzierte Aktion stattfinden wird. Das wird sich über das Jahr hinweg erstrecken; denn das ist nicht nur eine Aktion, sondern es handelt sich um ein breites Anwendungsfeld. Das geht von der Landschaftspflege bis hin zum landwirtschaftlichen Naturschutz. Das nächste Jahr wird das Anwendungs- und Ausgabejahr für dieses Programm sein, und zwar auf der Basis gesellschaftlich entwickelter Konzepte. (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darf ich eine Nachfrage stellen?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, im Augenblick nicht, weil zunächst einmal die gemeldeten Fragesteller in der Reihenfolge, in der sie hier notiert worden sind, zu Wort kommen sollen. Die nächste Frage hat der Kollege Frank Schwabe. Frank Schwabe (SPD): Herr Minister, es ist spannend, was in Ihrem Bericht steht, es ist aber auch spannend, was nicht darin steht. Sie widmen zum Beispiel dem Thema des internationalen Klimaschutzes und der Finanzierung eine ganze Seite. Die Begriffe "neu" und "zusätzlich" kommen darin allerdings nicht vor. Das betrifft aber die zentrale Debatte, die wir vor der Konferenz in Cancún führen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt heute: "Regierung lobt sich für Umweltschutz." In der Tat ist der Umweltbericht beeindruckend. Ich muss allerdings sagen, dass er sich auf eine Zeit bezieht, in der Sie keine Verantwortung getragen haben; es war vielmehr die Zeit, als Bundesminister Gabriel Verantwortung getragen hat. Insofern ist der Bericht ein Zeugnis über diese Politik. Es ist ganz interessant, dass in diesem Umweltbericht die Maßnahmen des Integrierten Energie- und Klimaprogramms sehr positiv bewertet werden. Ich zitiere: Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm ... trägt entscheidend zur Erreichung des deutschen Klimaschutzziels bei. ... Ein Großteil der Eckpunkte konnte innerhalb kürzester Zeit in Maßnahmen umgesetzt werden. Sie haben gesagt, Ihr vor kurzem dargelegtes Energiekonzept sei ein Konzept gewesen, dass es vor 20, 30 Jahren - da gab es unterschiedliche Zahlen - in dieser Dimension nicht gegeben habe. Sie haben allerdings zu dem von Ihnen sehr positiv bewerteten Integrierten Energie- und Klimaprogramm im Koalitionsvertrag geschrieben - ich zitiere -: Wir werden die Maßnahmen im Integrierten Energie- und Klimaprogramm 2010 auf ihre Wirksamkeit überprüfen und ggf. nachsteuern. Das haben Sie bisher nicht getan. Im Umweltbericht steht jetzt: Der erste Monitoring-Bericht soll noch 2010 eingeleitet werden. Die Zeit ist also vertan worden, Zeit, die man hätte nutzen können, um das Konzept, das Sie als sehr gut beschreiben, zu evaluieren und um zu neuen Maßnahmen zu kommen. Meine konkrete Frage lautet: Wann wird die Überprüfung des Integrierten Energie- und Klimaprogramms Ergebnisse zeitigen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es gibt als Fortführung dieses erfolgreichen, aber begrenzten Programms ein Energie- und Klimakonzept. Dieses breite Gesamtkonzept, das wir vorgelegt haben, hat es in 20 Jahren nicht gegeben. Es beinhaltet die entscheidenden Weichenstellungen. In dem Rahmen werden jetzt vorhandene Instrumente bewertet und angepasst; denn ein Instrument, das einmal gut war, muss nicht auf Dauer in Stein gemeißelt bleiben, sondern man muss es immer wieder anpassen. Das gilt für das EEG, aber auch für das IEKP. Das wird im nächsten Jahr erfolgen. Wir haben jetzt eine klare Orientierung durch das Energiekonzept, was erreicht werden soll: 80 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, CO2-Reduzierung von mindestens 80 Prozent, Halbierung des Primärenergieverbrauchs. Die Maßnahmen und Instrumente müssen angepasst werden, damit wir diese Ziele erreichen. Dazu gehört das IEKP ebenso wie das EEG. Das wird im nächsten Jahr erfolgen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Bulling-Schröter, bitte. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Danke schön. - Herr Minister, in Ihrem Bericht über die Klimaschutzinitiative heben Sie das Projekt "Stromspar-Check einkommensschwache Haushalte" hervor. Ich habe gehört, dass es sehr positiv war. Sie sprechen über die Evaluierung. Wie ich gehört habe, liegt dieser Evaluierungsbericht dem BMU seit August dieses Jahres vor. Ich möchte wissen, wann wir diesen Evaluierungsbericht erhalten werden; denn wie ich per Buschtrommeln gehört habe, gibt es einige sehr positive Beispiele und auch einige negative. Wir wären gut beraten, wenn wir diese Beispiele gemeinsam besprechen und sagen könnten: Hier ist es sehr effektiv, hier machen wir weiter; an anderer Stelle müssen wir uns etwas anderes überlegen. Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Genauso ist es. - Sie fragen, wann er zugeleitet wird. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wann das geschehen wird; aber dieser Bericht wird Ihnen selbstverständlich zugeleitet, damit genau diese Diskussion mit dem Parlament stattfinden kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Hofreiter hat die nächste Frage. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Minister, in Ihrem Umweltbericht loben Sie insbesondere das CO2-Gebäudesanierungsprogramm und das Marktanreizprogramm. Sie schreiben zum Beispiel, dass das Marktanreizprogramm mit 423 Millionen Euro Investitionen von rund 3 Milliarden Euro ausgelöst hat. Wie kommt es dann dazu, dass ausgerechnet das Marktanreizprogramm zeitweise komplett gestoppt wurde und jetzt stark gekürzt worden ist und dass auch das Gebäudesanierungsprogramm extrem gekürzt worden ist? Wie kommt es dazu, und wieso findet das in dem Bericht keine Erwähnung? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das muss man differenzieren. Erstens. Das Marktanreizprogramm wurde schon immer durch die Erlöse aus dem CO2-Zertifikatehandel finanziert; das ist seine Finanzgrundlage. Das können Sie gerne noch einmal nachprüfen. Wegen der Wirtschaftsrezession ist der CO2-Zertifikatepreis in den Keller gegangen und deutlich niedriger geworden. Dadurch haben sich die Erlöse aus dem CO2-Zertifikatehandel verringert, sodass entsprechend weniger Mittel zur Verfügung stehen, um das Marktanreizprogramm zu finanzieren. Gerade weil es ein solch großer Erfolg ist, haben wir dafür gesorgt, dass wir im Rahmen des Energiekonzeptes - außerhalb dieser jährlichen Verteilungskämpfe mit ihrer Gefahr von Stop and Go - nunmehr ein gesetzliches Sondervermögen mit einem Numerus clausus von Förderzwecken zur Verfügung haben - wozu auch das Marktanreizprogramm zählt -, um eine verlässliche und gut finanzierte Grundlage für ein stetiges Marktanreizprogramm zu haben. Das Programm wird im nächsten Jahr um, ich glaube, 40 Millionen Euro erhöht. Die wirklich gute Finanzausstattung des Energie- und Klimafonds wird sich ab 2013 ergeben, wenn alle Zusatzerlöse aus dem Zertifikatehandel in diesen Fonds einfließen. Das bedeutet eine verlässliche Finanzierungsgrundlage, die ab 2013 beim heutigen CO2-Preis ungefähr 3 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen wird. Das macht den Unterschied deutlich. Die Finanzierungsschwankung, die es gegeben hat, führt zu Stop and Go. Es ist nun einmal so, dass Ausgaben an Einnahmen geknüpft sind. Genau diesen Schwankungen vorzubeugen, ist der strukturelle Vorteil des Energie- und Klimafonds. Zum Gebäudesanierungsprogramm. Das war insbesondere als ein Konjunkturprogramm vorgesehen und hat sich als solches absolut bewährt. Es war aber befristet bis Ende 2009 und sollte dann nicht fortgesetzt werden, weil es als Konjunkturprogramm verstanden wurde. Wir verstetigen das Gebäudesanierungsprogramm, weil wir der Überzeugung sind, dass hier wirkliche Energieeffizienzpotenziale schlummern. Darum wird dieses Programm ein Dauerinstrument der Effizienzgewinnung, der Energieeinsparung und der Modernisierung in unserem Gebäudebestand, das ebenfalls dauerhaft und verlässlich aus dem Energiefonds durch einen eigenen Energieeffizienzfonds finanziert wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Da wir inzwischen mehr als die Hälfte der für die Befragung vorgesehenen Zeit verbraucht haben, aber noch mehr als die Hälfte der Fragesteller nicht zu Wort gekommen ist, erlaube ich mir die Anregung, dass wir es vielleicht mit etwas knapperen Fragen und ähnlich kurzen Antworten versuchen sollten. Die nächste Frage hat der Kollege Lenkert. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Herr Minister, Sie sprachen vorhin davon, dass pro Tag immer noch 94 Hektar versiegelt werden. Sie möchten, dass dieser Wert auf 30 Hektar sinkt. Mich interessiert, welche konkreten Maßnahmen die Bundesregierung plant, um dieses Ziel zu erreichen. Unsere Bevölkerungszahl ist rückläufig; trotzdem versiegeln wir immer mehr Flächen. Planen Sie spezielle Förderprogramme, um Verkehrs- und Industriebrachen zu renaturisieren, also der Natur wieder zur Verfügung zu stellen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Was die Versiegelung angeht: Das ist viel zu viel. Es war aber auch schon mehr: Zu früheren Zeiten wurden pro Tag 110 Hektar Flächen neu verbraucht. Jetzt sind wir bei 94 Hektar angekommen. Wir planen selbstverständlich Maßnahmen und haben auch konkrete Zielvorgaben, um zu einer Reduzierung des täglichen Flächenverbrauchs zu kommen. Dabei spielt das Bundesprogramm Wiedervernetzung eine Rolle. Hinzu kommt die Ausweisung von Naturschutzflächen, die für eine Versiegelung natürlich nicht zur Verfügung stehen. Es gibt also ein Bündel von Maßnahmen. Es ist absolut richtig, zu sagen: Das ist eine schwierige Aufgabe, die nicht in einem einzigen Ressort zu leisten ist. Es ist vielmehr eine Querschnittsaufgabe von Regierungen, also nicht nur eine Aufgabe der Bundesregierung, sondern auch von Landesregierungen. Sehr viel hängt zusammen mit Flächennutzungen durch Länder und Kommunen; Verkehrsplanungen sind bei weitem nicht allein Sache des Bundes. Es ist also ein vielschichtiges Problem. Präsident Dr. Norbert Lammert: Hans-Josef Fell stellt die nächste Frage. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister Röttgen, gestatten Sie mir, bevor ich zu meiner Frage zur KWK komme, eine kleine Korrektur: Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien wurde aus der Kompensation der Besteuerung des Ökostroms finanziert. Das hat es nämlich viel früher gegeben als die CO2-Zertifikatserlöse, und es konnte deswegen nicht daraus finanziert werden. Zu meiner Frage zur Kraft-Wärme-Kopplung. Deren umweltpolitischer Nutzen ist allseits anerkannt, auch im Umweltbericht der Bundesregierung. Jetzt hat die Bundesregierung das Impulsprogramm für Mini- und Mikro-KWK eingestellt. Es wird weder im Energiekonzept noch im Koalitionsvertrag an relevanter Stelle genannt. Auch die Steuervergünstigungen für Fernwärme wurden zusammengestrichen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Von welchem Wachstum des Bereichs Kraft-Wärme-Kopplung im kommenden Jahr geht die Bundesregierung aus? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erst einmal: Wir beide überprüfen das. Der Zertifikatehandel war die Finanzgrundlage für das Marktanreizprogramm. Der Preis ist gesunken. Vielleicht können Ihnen das Ihre Fraktionskollegen aus dem Haushaltsausschuss - ich weiß nicht, ob einer von ihnen da ist - bestätigen. Ich verweise auf die Debatte im Haushaltsausschuss. Wir können es jetzt wahrscheinlich nicht klären. Wir beide können uns aber vornehmen, das zu recherchieren. Aus diesem Grund gibt es eine geringere Finanzausstattung. Darum musste eine Priorisierung vorgenommen werden zugunsten anderer Maßnahmen, die noch wirksamer sind als das wirksame Mini-KWK-Programm. Es ist einfach so: Wenn die Mittel begrenzt sind, muss man Prioritäten setzen. Die wirksamsten Maßnahmen sind ergriffen worden, und die wirksamen Maßnahmen - ich habe das Mini-KWK-Programm sehr geschätzt - sind der Begrenztheit der finanziellen Mittel zum Opfer gefallen. Wir wollen das Marktanreizprogramm weiter ausdehnen. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber welches Wachstum?) - Dazu kann ich Ihnen keine Prognose geben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Dirk Becker, bitte die nächste Frage. Dirk Becker (SPD): Vielen Dank. - Herr Minister Röttgen, Sie haben bereits eben in der Beantwortung der Frage von Herrn Schwabe das EEG angesprochen: Im kommenden Jahr stehe eine Überprüfung an, für 2012 sei eine Novelle geplant. Herr Bareiß aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - er ist immerhin energiepolitischer Koordinator - hat Sie in einem Schreiben quasi aufgefordert, beim Thema PV bereits zum 1. Januar 2011 eine Veränderung vorzunehmen. Diese Änderung solle gegebenenfalls rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Mit Blick auf die weitere Entwicklung sei zu prüfen, ob es gerade beim Thema PV sinnvoll sei, die jetzt geltende Regelung umzugestalten - weg vom "atmenden Deckel" hin zum "festen Deckel" - und womöglich eine Quote einzuführen. Herr Bareiß stellt den Einspeisevorrang im weiteren Zusammenhang gerade mit Blick auf die fluktuierenden Erneuerbaren durchaus infrage. Meine konkrete Frage: Sagen Sie heute klipp und klar: "Es bleibt beim Fahrplan, Erfahrungsbericht EEG im Frühjahr, eine Novelle zum 1. Januar 2012; vorher wird es keine weiteren Veränderungen geben, und es bleibt beim Einspeisevorrang"? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Vielleicht darf ich auf die Frage so antworten, dass wir uns an die Debatte erinnern, als ich den Vorschlag der Vergütungsabsenkung für die Photovoltaik gemacht habe. Es gab ein wildes Geschrei in den Fraktionen von SPD und Grünen. Es hieß, die Branche werde plattgemacht und kaputtgemacht, dies sei der Anschlag auf das EEG und auf die erneuerbaren Energien und, und, und. Die Situation heute ist, dass wir mit der gesamten Branche der erneuerbaren Energien inklusive der Solarwirtschaft ernsthaft und offen darüber reden, dass die Entwicklung gerade im Bereich der Photovoltaik weiterhin so positiv ist und dass sich die Produktionskapazitäten nicht nur national, sondern insbesondere in China weiter so dynamisch entwickeln, dass wir im Interesse des Erhalts des EEG und der sozialen Akzeptanz sowie der Netzstabilität in ernsten Gesprächen darüber sind, wie wir in einem zielorientierten, anspruchsvollen, aber vernünftigen Tempo und an der richtigen Stelle zu einem Ausbau der erneuerbaren Energien kommen. Darum noch einmal mein Appell, den ich schon verschiedentlich gemacht habe: Wer die Erneuerbaren will, der sollte bedenken, dass sie der sozialen Akzeptanz bedürfen. Er muss Differenzkosten unter Kontrolle haben, und er muss die wirksamen Erneuerbaren fördern. Er muss auch Förderbetrag und Produktionsbeitrag in Relation zueinander setzen. Er muss Produktionskapazitätsentwicklungen in China sehen, die wir mit dem EEG - mit dem Geld des deutschen Stromverbrauchers - finanzieren. Daher gibt es - so glaube ich - keine Grundlage für den Ansatz, dass jemand etwas zerstören will; selbst die Branche sieht das nicht so. Darum mache ich keine Aussage zu der von Ihnen erfragten Ankündigung, dass ich das von Ihnen Erwähnte klipp und klar sagen möge. Ich sage Ihnen: Wir sind mit der Branche im Gespräch, um zu einer vernünftigen Weiterentwicklung zu kommen. Das möchte ich mit der Branche machen, weil ich die Erneuerbaren unter Einschluss der Photovoltaik möchte. Ich glaube aber, wir sollten hier zu einer vernünftigen Weiterentwicklung kommen, und wir dürfen nicht die Gefahr übersehen, dass scheinbar guter Wille zu einer echten Gefährdung des weiteren Ausbaus wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Menzner. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Herr Minister, Sie schreiben im Umweltbericht ganz richtig, dass rund 70 Prozent der in Deutschland genutzten fossilen Energie importiert wird, und führen weiter aus - ich zitiere das wörtlich -: Die Gefahr sozialer Spannungen und internationaler Konflikte wächst. - Das ist also ein Sachverhalt, der weit mehr als nur Umwelt- oder Energiepolitiker beschäftigen müsste. Wenn ich das richtig sehe - gerade auch mit Blick auf Laufzeiten -, gibt es bei Kernbrennstoffen eine 100-prozentige Importquote. Trifft diese außenpolitische Einschätzung aus Ihrer Sicht hier nicht zu? Oder ist diese doch deutliche Abhängigkeit anders zu werten? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sie haben völlig recht, wir importieren knapp drei Viertel unserer Energie: Öl, Kohle - der Anteil der heimischen Steinkohle ist minimal - und eben auch Uran. Die Strategie, sowohl Energieeffizienz zu forcieren als auch erneuerbare Energien zu entwickeln, zielt auch darauf ab, die Importabhängigkeit mit all ihren außenpolitischen oder auch sicherheitspolitischen Implikationen zu reduzieren und auf heimische Wertschöpfung zu setzen. Das ist wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch sinnvoll, aber es hat auch den Aspekt von Sicherheit, den Sie ansprechen. Dieser bezieht sich auf die Energiequellen, die ich genannt habe. Darum ist die Kernenergie im Energiekonzept übrigens auch keine Zukunftsoption, sondern ein Übergang. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollegin Höhn. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, ich möchte eine Frage zur Energieeffizienz stellen. Wir haben gerade in der Diskussion über die Enquete-Kommission festgestellt, dass wir mehr für die Ressourceneffizienz tun müssen. Wir stellen fest, dass wir bei der Energieeffizienz nicht gut sind. Die EU-Vorgaben sind sehr schwer einzuhalten, obwohl man sie sich noch ehrgeiziger vorstellen könnte. Fakt ist, dass die EU-Richtlinie schwach umgesetzt worden ist. Das ist offensichtlich auch Ihre Meinung; denn - ich zitiere Sie - in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. März dieses Jahres haben Sie gesagt, Sie wollen zu einem späteren Zeitpunkt ein echtes Effizienzgesetz auf den Tisch legen. Das ist ein Dreivierteljahr her. Von daher frage ich Sie: Wann können wir damit rechnen, dass Sie uns das vorlegen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sie haben völlig recht. Wir haben gesagt: Wir kommen unserer Umsetzungspflicht nach. Die haben wir selbstverständlich auch erfüllt. Die Effizienzziele, die wir uns setzen, werden wir in dem Energiekonzept verankern, und darauf werden wir auch die Maßnahmen gründen. Ich habe Ihnen eben das Ziel genannt: bis 2050 Halbierung des Primärenergieverbrauchs. Dazu brauchen wir eine erhöhte Steigerung der Effizienz: von 1,7 Pro-zent auf 2,1 Prozent pro Jahr. Auf der Basis des Konzepts, das wir gerade erst beschlossen haben, werden wir die Instrumente diskutieren und beschließen, die zu dem Ziel führen. Wir haben eben zum Beispiel über die Gebäudesanierung gesprochen. Die Verstetigung des Gebäudesanierungsprogramms ist eines der Effizienzpotenziale. Aber es gibt solche Potenziale auch in anderen Bereichen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit ist jetzt erschöpft. Ich schlage vor, dass wir wegen der Relevanz des Themas die bei mir bisher notierten Meldungen - es handelt sich um sechs Kolleginnen und Kollegen - noch behandeln und das zulasten des Zeitbudgets der anschließenden Fragestunde geht. Darf ich Ihr Einverständnis voraussetzen? - Gut. Ich habe die Wortmeldungen der Kollegen Bollmann, Ostendorff, Ott und Göppel sowie der Kolleginnen Kurth und Bulling-Schröter notiert und schließe damit die Liste der Fragesteller. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass sich die Fragen und Antworten sicherlich ein bisschen straffen lassen. Kollege Bollmann. Gerd Bollmann (SPD): Herr Minister, ich komme zur Kreislaufwirtschaft zurück. In Ihrem Bericht steht: Inhaltlich wird die Kreislaufwirtschaft an der neuen fünfstufigen Hierarchie der Abfallrahmenrichtlinie ausgerichtet ... Das heißt, die stoffliche Verwertung hat eindeutig Vorrang vor der energetischen Verwertung. Nun zu meiner Frage: Warum ist dann in dem Referentenentwurf, der demnächst zur Notifizierung nach Brüssel geht, die Rede von der Gleichstellung von stofflicher und energetischer Verwertung bei Abfällen mit einem Heizwert oberhalb von 11 000 Kilojoule? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es gibt den Vorrang der stofflichen Verwertung. Aber man muss ein Abgrenzungskriterium finden. Das ist eben das Abgrenzungskriterium, das dort angewendet wird. (Gerd Bollmann [SPD]: Warum 11 000 Kilojoule?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Ostendorff. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, am 18. November hat der neue EU-Agrarkommissar Ciolos die Vorschläge dazu vorgelegt, wie die EU-Agrarpolitik bis 2020 aussehen soll. Wir haben deutlich vernommen, dass es um Ökologisierung geht, um Greening, wie er es nennt, sowohl der ersten als auch der zweiten Säule. Wir haben bisher noch keine Hinweise darauf, wie das Umweltministerium sich dazu verhält. Wie sehen Sie die einzelnen Bausteine, die uns als Agrarumweltmaßnahmen in der Agrarpolitik bisher begleitet haben? Wo werden Sie sich positionieren? Gibt es von Ihrer Seite schon Aussagen dazu? Natura 2000, Wasserrahmenrichtlinie, das sind zum Beispiel Punkte, die der Agrarkommissar ausdrücklich benannt hat. Wo sehen Sie die zukünftig verankert? Welche Maßnahmen wollen Sie aus Ihrer Sicht gefördert wissen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Aus der Sicht des Umweltministeriums, der Umweltpolitik zeigt genau das die Akzentverschiebung, die Sie angesprochen haben. Es gibt ein neues Kriterium für die Rechtfertigung von gesellschaftlicher Unterstützung; so will ich "Beihilfe" einmal nennen. Ich glaube, dass gesellschaftliche Unterstützung nicht für die Vergangenheit, für vergangene Produktionsanteile und -quoten, sozusagen historisch, zu bemessen ist, sondern danach bemessen werden muss, welcher gesellschaftliche oder ökologische Mehrwert durch landwirtschaftliche Produktion geleistet wird. Wenn wir einen besonderen Beitrag zur Landschaftspflege, zum Naturerhalt, mit dem man über die Erfordernisse reiner Wirtschaftlichkeit hinausgeht, wollen, dann ist es berechtigt, finde ich, dass der Landwirt, der eine solche zusätzliche Leistung erbringt, von der Gesellschaft eine Gegenleistung dafür erhält. Es geht sozusagen um die Honorierung eines gesellschaftlichen Beitrages und damit um die Abkehr von einer Prolongierung, der Verlängerung, historischer Produktionsquoten. Das ist der Paradigmenwechsel, der aus Sicht der Umweltpolitik zu erfolgen hat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Ott. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, die Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland ist lang; sie geht zurück bis zum damaligen Innenminister Genscher. Ebenso lang ist aber die Geschichte der Überschätzung der deutschen Umweltpolitik. Wir werden das in Cancún nächste Woche erleben. Nach einem internen Bericht der EU-Kommission, des Commission Staff Working Paper im Environment Policy Review von 2009, liegt Deutschland innerhalb der EU 27 praktisch überall nur im Mittelfeld. Es gibt eine Kategorie, nämlich "Ressourcen und Abfall", bei der Deutschland wirklich spitze ist. In allen anderen Kategorien liegt es nur im Mittelfeld. Auffallend ist insbesondere: Bei den durchschnittlichen CO2-Emissionen der neu zugelassenen Pkw belegt Deutschland den 21. Platz von insgesamt 27. - Was sind Ihre Pläne, um das zu verbessern? Denn natürlich ist der Autoverkehr zentral für die Erreichung der Klimaziele. Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Nach meinem Eindruck haben Sie sich in dem Jahr unserer Zusammenarbeit bislang nicht so richtig an der Überschätzung der gegenwärtigen Umweltpolitik beteiligt; aber das kann sich ja in Zukunft ändern. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten eher Sie darauf aufmerksam machen!) Ich habe den Verkehrsbereich eben bewusst genannt. In den letzten Jahren hat sich die Optimierung des Verbrennungsmotors beschleunigt. Wir haben bei den Neuzulassungen einen CO2-Ausstoß von, wenn ich es richtig im Kopf habe, im Schnitt rund 145 Gramm. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der ist ein bisschen höher! - Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 160!) - Nein, bei den Neuzulassungen sind es im Schnitt 145 Gramm. Diese Zahl habe ich jedenfalls im Kopf; aber nageln Sie mich nicht darauf fest. - Im Zentrum steht natürlich die Entwicklung von Elektromobilität auf diesem Gebiet. Ich habe in meinem Eingangsstatement erwähnt, dass die Elektromobilität aufgrund der wachsenden Bedeutung sowohl des Güterverkehrs als auch des Personenverkehrs eine ganz besondere klimaschutzpolitische Relevanz erhält. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Göppel. Josef Göppel (CDU/CSU): Herr Minister, der Haushaltsausschuss hat die Zuweisung der Kyritzer Heide an das nationale Naturerbe beschlossen. Freuen Sie sich über dieses Geschenk, und sind Sie mit mir der Meinung, dass andere Flächen, die aus fachlicher ökologischer Sicht in zweijähriger Arbeit sorgfältig ausgewählt wurden, deshalb nicht zurückstehen dürfen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich denke, bei dieser Entscheidung gibt es noch Diskussionsbedarf. Insbesondere das Land Brandenburg hat hier andere Vorstellungen. Ich glaube, darüber muss weiter gesprochen werden. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Richtig! Das war nämlich nicht abgestimmt mit Brandenburg, Herr Minister!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kurth. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zum Bundesprogramm "Biologische Vielfalt". Damit die Mittel abgerufen werden können, bedarf es einer genauen Definition der Förderkriterien. Wann können wir mit dieser Definition und der Ausgestaltung des Bundesprogramms konkret rechnen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zunächst einmal muss das Bundesprogramm beschlossen werden. Das haben wir erst in der letzten Sitzungswoche, also vor wenigen Tagen, hier im Deutschen Bundestag gemacht. Damit stehen jetzt die Mittel bereit. Der gesellschaftliche Dialog über die Kriterien und die Mittelverwendung hat schon Mitte dieses Jahres begonnen. Die Umsetzung wird im Jahre 2011 erfolgen. Wir haben zwar schon Dezember; aber wir werden dieses Programm einschließlich Kriterien und Mittelverwendung mit breiter gesellschaftlicher Einbindung umsetzen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die letzte Frage hat Frau Bulling-Schröter. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Minister, aufgrund der Krisenjahre 2008 und 2009 konnte überproportional CO2 eingespart werden. In dem Bericht heißt es "übererfüllt"; das ist positiv. Meine Frage lautet: Was machen wir mit den überschüssigen Emissionsrechten? Sie können sie verkaufen oder stilllegen. Wenn Sie sie verkaufen, werden sie wieder relevant. Wenn wir sie stilllegen, können wir unseren Führungsanspruch als Klimanation weiterentwickeln. Was also wird mit diesen überschüssigen CO2-Zertifikaten geschehen? Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich glaube nicht, dass wir überschüssige Zertifikate haben werden, wenn wir klimaschutzpolitisch erfolgreich sind. 2013 wird eine neue Handelsperiode beginnen. Sie wird sich auf weitere Industriesektoren und die gesamte Energiebranche erstrecken. Das heißt, hier findet eine konsequente Weiterentwicklung statt. Aber wir können nicht permanent in das Börsensystem des Handels mit CO2-Zertifikaten eingreifen. Wenn wir erfolgreich sind, dann im Rahmen dieses sich fortentwickelnden Systems. Wir können nicht permanent Preisfestsetzungen vornehmen oder einen Entzug von CO2-Emissionszertifikaten. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Den Cap senken!) - Es handelt sich, nebenbei bemerkt, um einen europäischen Cap. - Ich glaube, wir brauchen in einem solchen System Verlässlichkeit; denn man stellt sich darauf ein, auch auf den Preis. Übrigens nehme ich mir grundsätzlich nicht vor, durch eine Wirtschaftsrezession zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen zu kommen. Ich glaube, dass eine Wirtschaftsrezession andere negative Folgen hat. Es ist nicht der richtige Ansatz, die Rezession durch Preiserhöhungen bei den CO2-Emissionszertifikaten zu verschärfen. Die niedrigeren CO2-Emissionen sind ein Kollateralnutzen der Wirtschaftsrezession; in Zukunft müssen wir die Reduzierung der CO2-Emissionen auf andere Weise erreichen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe damit die Befragung der Bundesregierung zum Bericht aus der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Gibt es jenseits der erfolgten Berichterstattung oder der Kabinettsberatung sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Auch das ist nicht der Fall. Dann rufe ich nunmehr Tagesordnungspunkt 4 auf: Fragestunde (2 Stunden) - Drucksachen 17/3947, 17/3988 - Zunächst rufe ich gemäß Nr. 10 Abs. 2 unserer Richtlinien die dringliche Frage auf: Trifft die Meldung zu, wonach die Europäische Zentralbank, EZB, und eine Mehrheit der Länder der Euro-Zone darauf drängen, dass nach Irland nun auch Portugal binnen kürzester Frist einen Antrag auf Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm stellt, und wie steht die Bundesregierung zu einer derartigen Forderung? Für die Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Maurer, der Bundesregierung liegen diesbezüglich keine Informationen vor. Ich stelle fest, dass Portugal derzeit mit einem ehrgeizigen Maßnahmenpaket zur Haushaltskonsolidierung bemüht ist, die Märkte vertrauensbildend zu beruhigen und auf diese Art und Weise zu einer Stabilisierung der Euro-Zone insgesamt beizutragen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zusatzfrage? - Bitte schön, Kollege Maurer. Ulrich Maurer (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die Zinsaufschläge, die andere Staaten für Staatsanleihen zu zahlen haben - Griechenland, Portugal, Irland, Spanien, Italien und Belgien -, nach Installation des Rettungsschirms und nach Zusage eines Rettungspakets für Irland weiter gestiegen sind? Würden Sie dies als Ausweis der Erfolglosigkeit des Rettungsschirms ansehen, oder wie erklären Sie sich das? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Maurer, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Verwerfungen auf den internationalen Währungs- und Devisenmärkten ohne die Verwendung des Rettungsschirms sehr viel größer wären und dass der Einsatz des Euro-Rettungsschirms trotz der - da teile ich Ihre Auffassung - nicht zufriedenstellenden aktuellen Entwicklung eine richtige Maßnahme war und bleibt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine weitere Zusatzfrage. Ulrich Maurer (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Äußerungen des Wirtschaftsweisen Professor Bofinger? Ich zitiere aus einer aktuellen Reuters-Meldung: Der Wirtschaftsweise ... fordert von Deutschland mehr Einsatz zur Rettung des Euro. "Die Risiken für den Euro sind enorm groß", warnte Bofinger ... "Wo dieser Flächenbrand stoppt, weiß niemand." In Deutschland müsse man sich fragen, ob man den Euro weiter haben wolle. ... "Will man die Beziehung fortsetzen oder nicht? Und wenn man sie fortsetzen will, muss man sich engagieren." Teilen Sie die damit verbundene Kritik des Wirtschaftsweisen an der Bundesregierung? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Maurer, wir schätzen die Hinweise nicht nur dieses Experten, sondern auch vieler anderer wirtschaftspolitischer Experten. Diese Kritik teilen wir aber nicht. Ich möchte nur in diesem Maße auf die Äußerungen von Professor Bofinger eingehen. Die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin persönlich haben sich in den letzten Wochen nicht nur mit dem deutsch-französischen Gipfel und dem darauf folgenden Beschluss des Europäischen Rates an die Spitze der Bewegung der Euro-Stabilisierung gesetzt; der Bundesfinanzminister hat bereits im Frühjahr eine umfassende Debatte über Ergänzungen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt und zu den europäischen Verträgen begonnen. Ich glaube deshalb, dass die Bundesregierung im internationalen Kontext keinen Vergleich scheuen muss, wenn es um ihren Einsatz für die Stabilität der Währung geht, mit der wir hier in Deutschland zahlen und mit der wir einen Großteil unseres Exportes absichern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Hunko. Andrej Hunko (DIE LINKE): Vielen Dank. - Als der Euro-Rettungsschirm im Mai dieses Jahres geschaffen wurde, erklärte die Bundeskanzlerin, dass auf diese Weise gewährleistet werde, dass der Schirm niemals gebraucht würde, da die Spekulation nun beendet sei. Die einfache Formel war: Der Rettungsschirm ist da, damit er nie benutzt wird. - Jetzt wird in Europa schon über die Frage diskutiert, was zu tun ist, wenn die Mittel des Rettungsschirms gänzlich aufgebraucht sind. Wie erklären Sie sich diese Fehleinschätzung? Halten Sie wie wir die Strategie der Bundesregierung für gescheitert? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nein, Herr Kollege Hunko, durch die Strategie der Bundesregierung - das habe ich im Rahmen meiner Antworten auf die vorangegangenen Fragen bereits ausgeführt - wird der Euro insgesamt stabilisiert, obgleich ich nicht verhehlen möchte, dass wir die aktuellen Entwicklungen in der vergangenen Woche mit Interesse, teilweise auch mit Sorge beobachtet haben. Aber dies entbindet uns nicht von der Pflicht zum Einsatz für weitere stabilisierende Maßnahmen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Herr Kollege Dehm. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, in einem Fernsehgespräch bei Maischberger hat Ihr Bundeswirtschaftsminister mir, als wir über Portugal und Irland sprachen, gesagt, auch die spekulierenden Gläubigerbanken würden, wenn man schon die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Rentnerinnen und Rentner zur Sanierung belastet, in angemessenem Maße herangezogen. Daraufhin haben ein weiterer Gesprächspartner, ein Börsenmakler, und ich gesagt, das gehe gar nicht. Wer hatte recht? War das, was der Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, heiße Luft? Oder war meine Annahme richtig? Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Dehm, leider sieht sich die Bundesregierung außerstande, Gespräche, an denen sie nicht aktiv teilgenommen hat - in diesem Fall geht es um meine Person -, zu kommentieren. Der Sachverhalt ist so: An den aktuellen Stabilisierungsmaßnahmen für Irland können Sie ablesen, dass nicht nur die irische Regierung durch Einbeziehung des Pensionsfonds und anderer Rücklagen aus irischen öffentlich-rechtlich verwalteten Geldern einen Beitrag geleistet hat, sondern auch der private Sektor - zum Beispiel die privaten Anleger bei der Anglo Irish Bank - einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung der irischen Volkswirtschaft geleistet hat. Ich möchte darüber hinaus darauf hinweisen, dass aufgrund der Initiative der Bundesregierung im internationalen Bereich bis Dezember Vorschläge erarbeitet werden, die eine umfassendere Beteiligung des privaten Sektors an den Kosten solcher Ungleichgewichte und Währungskrisen ermöglichen, als das in dem bisher geltenden Rechtsregime möglich war. Die Diskussion darüber wird unter dem Oberbegriff der kollektiven Handlungsklauseln, der Collective Action Clauses, geführt. Die Bundesregierung unterstützt und begleitet aktiv die Forderung nach diesen Collective Action Clauses. Ich denke, wir werden das Parlament Ende Dezember umfassend über den nächsten Schritt auf diesem Weg unterrichten können. Präsident Dr. Norbert Lammert: Vielen Dank. - Weitere Nachfragen dazu liegen nicht vor. Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet ist, rufe ich nun die eingereichten Fragen in der üblichen Reihenfolge, die Sie der Tagesordnung entnehmen können, auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung. Die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Ingrid Hönlinger auf: Wann ist mit Abschlussberichten bzw. Beschlüssen auf exekutiver Ebene zur Zukunft des Betreuungsrechts, das heißt sowohl auf Ebene der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung auf die Justiziministerkonferenz als auch auf Ebene der interdisziplinären Arbeitsgruppe im Bundesministerium der Justiz, zu rechnen, und wird die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Reform des Betreuungsrechts in den Deutschen Bundestag einbringen? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Zu der Frage der Kollegin Hönlinger darf ich Folgendes mitteilen: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums, die im Jahr 2006 zur Beobachtung und Analyse der tatsächlichen Entwicklungen im Betreuungsrecht eingesetzt worden ist, hat im Juni 2009 zur Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister ein Bündel von Maßnahmen empfohlen, mit denen auf der Ebene der Rechtsanwendung, also ohne weitere Gesetzesänderungen, die Qualität der Betreuung verbessert und weitere Kostensteigerungen verhindert werden können. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Stärkung der ehrenamtlichen Betreuung zu, etwa durch intensivere Unterstützung der Betreuungsvereine, durch flächendeckende Vernetzung aller Beteiligten und durch ausreichende Ausstattung der Betreuungsbehörden. Auf Wunsch der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat das Bundesministerium der Justiz im Dezember 2009 den Vorsitz einer Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht übernommen. Ziel dieser interdisziplinären Arbeitsgruppe ist es, im Sinne der Beschlüsse der JuMiKo aus den vergangenen Jahren zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie das Betreuungsrecht weiterentwickelt und verbessert werden kann. Diese Arbeitsgruppe hat mittlerweile viermal getagt. Weitere Termine sind vorgesehen. Ob die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode neben dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts einen Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungsrechts in den Deutschen Bundestag einbringen wird, kann heute noch nicht prognostiziert werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zusatzfrage? Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bedanke mich für die Beantwortung. Uns würde noch interessieren, wer Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe ist und welche Auswahlkriterien angelegt wurden. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Frau Kollegin Hönlinger, da ich die Besetzungsliste nicht dabeihabe, schlage ich vor, dass ich diese Frage schriftlich beantworte. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage? Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. - Die UN-Behindertenrechtskonvention spielt im Zusammenhang mit dem Betreuungsrecht eine große Rolle. Inwieweit wird in den beiden Arbeitsgruppen, die bestehen, auf dieser Basis diskutiert? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Selbstverständlich spielen internationale Konventionen eine Rolle. Vorgaben daraus werden in die Arbeit der Arbeitsgruppe einfließen. Sie haben meinen Ausführungen zu der schriftlich eingereichten Frage schon entnommen, dass derzeit noch unsicher ist, ob es zu einer Gesetzesinitiative kommt. Die Arbeit konzentriert sich sehr darauf, Verbesserungen zu entwickeln, die man unterhalb von Gesetzesänderungen vornehmen kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe Frage 3 der Kollegin Ingrid Hönlinger auf: Wie begründet die Bundesregierung die geplante Festschreibung der Besuchshäufigkeit im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (Bundestagsdrucksache 17/3617) vor dem Hintergrund der Empfehlung aus dem Evaluationsbericht zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz, wonach die Faktoren zur Qualität gesetzlicher Betreuung erst noch eruiert werden müssten, und welche Konsequenzen bezogen auf die pauschalierte Leistungsvergütung hätte eine gesetzlich vorgeschriebene Besuchshäufigkeit? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Zu dieser Frage darf ich Ihnen mitteilen, dass hier wahrscheinlich ein Missverständnis vorliegt; denn in dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts auf Drucksache 17/3617 ist eine Regelung der Besuchshäufigkeit und damit eine Festschreibung der persönlichen Kontakte des Betreuers zu seinem Betreuten gar nicht vorgesehen. Das, was in der Frage angesprochen wird, betrifft die Mündel, aber nicht die Betreuten. Weil die Häufigkeit der persönlichen Kontakte bei Berufsbetreuern rückläufig ist, hat sich allerdings die Frage gestellt, ob im Betreuungsrecht eine entsprechende Regelung getroffen werden sollte. Diese Frage wurde von der schon genannten vom BMJ eingesetzten interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Betreuungsrechts nach intensiver Diskussion verneint. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das freut mich, weil wir schon aus verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken gehört haben, dass die Betreuungen auf 50 gedeckelt werden sollen. Von daher ist Ihre Antwort sehr interessant. Ich möchte noch eine Nachfrage stellen. Es gibt einen Evaluationsbericht des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik. Inwieweit fließt dieser in die Arbeit der Arbeitsgruppe ein? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Auch hier gilt das, was ich vorhin gesagt habe: Erkenntnisse aus der Praxis und der Wissenschaft werden natürlich in dieser Arbeitsgruppe verwertet. - Derzeit ist ein Schwerpunktthema der Arbeitsgruppe die Strukturreform des Betreuungsrechts. Dies beinhaltet auch die Frage, ob Aufgaben, die bisher bei den Betreuungsgerichten angesiedelt sind, auf Betreuungsbehörden übertragen werden sollten. Bei diesem Punkt zeichnet sich als Mehrheitsmeinung ab, dass man es bei der bisherigen Rechtslage belassen sollte. Insgesamt ist zu sagen: Das Betreuungsrecht ist in der jetzigen Form Anfang der 90er-Jahre geschaffen worden. Es ist also ein relativ junges Rechtsgebiet. Es gab meines Wissens schon drei größere Novellen. Daran sehen Sie, dass wir laufend beobachten, welchen Verbesserungsbedarf es gibt, und dann im Parlament entsprechende Vorschläge machen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe noch eine Nachfrage zu den Stundensätzen. Diese sind ja immer ein Thema in der Diskussion über das Betreuungsrecht. Inwiefern wird über eine Anpassung der Stundensätze oder der pauschalierten Stundenzahlen nachgedacht? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Ihre Ausgangsfrage bezog sich ja darauf, ob die Besuchshäufigkeit gesetzlich festgeschrieben wird. Daraus könnte man Folgerungen auch für die Vergütung ziehen. Da diese Frage aber zu verneinen war, ergibt sich daraus keine zwangsläufige Notwendigkeit für Änderungen. Unabhängig davon hat Ihre Fraktion dazu meines Wissens eine Kleine Anfrage mit verschiedenen Fragestellungen aus dem Bereich der Vergütung gestellt. Ich darf auf die Beantwortung, die bevorsteht, verweisen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Burkhard Lischka auf: Worin bestand die "umfassende Untersuchung" zur Rolle des Justizministeriums während der NS-Zeit, und was sind die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung, auf die ein Sprecher des Bundesministeriums der Justiz in einem Beitrag zu Forderungen nach der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Bundesministerien gegenüber der tageszeitung (17. November 2010) verwiesen hat, um dann auszuführen, dass "kein weiterer Handlungsbedarf" bestehe? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Herr Kollege Lischka, das Bundesministerium der Justiz hat sich bereits seit den 1980er-Jahren als wohl erstes Ressort selbstkritisch mit seiner Geschichte auseinandergesetzt, und zwar auch mit personellen Kontinui-täten nach 1945. Ich darf folgende Beispiele nennen: 1984 publizierte das Bundesministerium der Justiz die kritische Broschüre Justiz im nationalsozialistischen Deutschland. 1987 förderte das BMJ eine wissenschaftliche Untersuchung zur Rolle des Reichsjustizministeriums im Dritten Reich, und zwar die Abhandlung von Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich, 1933-1940, Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner. Das Buch gilt mittlerweile als Standardwerk zu dem Thema. 1989 erstellte das BMJ die Wanderausstellung und den Katalog Im Namen des Deutschen Volkes - Justiz und Nationalsozialismus. Diese Ausstellung ist in eigener Regie des Bundesjustizministeriums entstanden, begleitet durch einen wissenschaftlichen Beirat von Experten. Ich kann das, glaube ich, etwas abkürzen; denn wir haben eine längere Liste zusammengetragen. Wissenswert für Sie ist sicherlich noch Folgendes: In der Ausstellung und im Katalog Im Namen des Deutschen Volkes - Justiz und Nationalsozialismus nimmt die Zeit nach 1945 knapp ein Drittel des Umfangs ein. Das ist deswegen wichtig, weil dort auch exemplarische Fälle personeller Kontinuitäten im Bundesjustizministerium genannt werden, nämlich Generalbundesanwalt Fränkel und seine Mitwirkung an Todesurteilen sowie Ministerial-rat Maßfeller als Kommentator des "Blutschutzgesetzes". Diesen Beispielen können Sie entnehmen, dass das Bundesministerium der Justiz sich seiner Historie gestellt hat. Ich sage auch ganz klar zum Ende dieser Antwort: Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Justiz und im Bundesjustizministerium selbst gibt es heute keinerlei Zweifel daran, dass während der NS-Diktatur die Justiz und das damalige Reichsjustizministerium an zahlreichen Verbrechen mitgewirkt haben. Ebenso unstreitig ist die sogenannte zweite Schuld der bundesdeutschen Justiz, nämlich ihr Versagen bei der juristischen Aufarbeitung und der personellen Erneuerung nach 1945. Das sei von unserer Seite in aller Klarheit hier festgestellt. (Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zusatzfragen? Burkhard Lischka (SPD): Vielen Dank, Herr Staatssekretär Stadler, für diese Antwort. Mich würde interessieren, ob im Zusammenhang dieser Aufarbeitung und der Studien vor allen Dingen aus den 80er-Jahren, die Sie angesprochen haben, ermittelt wurde, wie viele Mitarbeiter mit nationalsozialistischer Vergangenheit eigentlich im BMJ weiterbeschäftigt wurden. Gibt es auch dazu Erkenntnisse? Gibt es möglicherweise sogar Namenslisten? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Herr Kollege Lischka, das ist mir bei der Vorbereitung nicht präsent gewesen. Ich lasse gerne nachprüfen, ob es auch hierüber Informationen gibt. Jedenfalls gab es vielfältige schriftliche historische Auseinandersetzungen mit der NS-Zeit, übrigens beginnend - das will ich hier nicht unterschlagen - durch den allseits hochgeschätzten seinerzeitigen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel, den früheren Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei. Ob der von Ihnen genannte Inhalt gegebenenfalls mit bearbeitet worden ist, müsste ich noch prüfen lassen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage? Burkhard Lischka (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben angesprochen, dass ein Großteil der Aufarbeitung in den 80er-Jahren erfolgt ist. Nun ist in der historischen Forschung ein Zeitraum von 30 Jahren durchaus ein erheblicher Zeitraum, weil auch neue Quellen und neue Archive zugänglich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund: Halten Sie eine weitere Bearbeitung dieses Themas für erforderlich, gerade auch deshalb, weil es neue Quellen und Archive gibt, die auch zu neuen Erkenntnissen führen könnten? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Herr Kollege Lischka, meinen umfangreichen Ausführungen, die ich aus Zeitgründen sogar gekürzt habe, konnten Sie entnehmen, dass sich das Bundesministerium der Justiz seiner Nazivergangenheit, besser gesagt, der Tätigkeit des Reichsjustizministeriums in der NS-Zeit, bereits sehr umfassend gestellt hat. Selbstverständlich sind wir jederzeit bereit, Hinweisen auf weiße Flecken in der Forschung, wenn es diese gibt, nachzugehen. Im Moment besteht der Eindruck - diese Debatte ist mittlerweile seit einigen Wochen im Gange -, dass gerade dieses Ministerium betreffend schon eine sehr sorgfältige Aufarbeitung erfolgt ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Christine Lambrecht auf: Sieht sich die Bundesregierung unter anderem angesichts der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6. Oktober 2010 (XII ZR 202/08) zur Dauer des Unterhaltsanspruchs von Frauen, die in der Ehe über Jahre Haushaltsführung und Kindererziehung übernommen haben, zu einer gesetzlichen Klarstellung oder gar Gesetzesänderung im Bereich des Unterhaltsrechts veranlasst? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Ich darf für die Bundesregierung feststellen, dass wir selbstverständlich die Sorgen und Ängste von lange verheirateten Ehegatten, die eine "traditionelle Ehe" gelebt haben, sehr ernst nehmen. Wir beobachten daher genau, ob die Rechtsprechung den mit der Unterhaltsrechts-reform 2008 verfolgten Zielen auch gerecht wird. Derzeit analysieren wir die Rechtsprechung zur Befristung und Begrenzung von Unterhaltsansprüchen in den Fällen, in denen die Ehe lange vor Inkrafttreten der Reform geschlossen worden ist. Hier ist in der Tat zu prüfen, ob ein Nachjustieren angezeigt ist. Ein Ergebnis dieser Prüfung kann man aber nicht vorwegnehmen. Christine Lambrecht (SPD): Herr Staatssekretär, der BGH hat in seiner Entscheidung nicht etwa ehebedingte Nachteile, sondern die nacheheliche Solidarität zugrunde gelegt. Deswegen meine Rückfrage: Wird der Schwerpunkt auch bei diesen Erwägungen eher auf die nacheheliche Solidarität gelegt? Wie sind die Überlegungen hierzu? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: In der Tat - da haben Sie völlig recht - gibt es im Unterhaltsrecht zwei tragende Gesichtspunkte, die, zumindest teilweise, in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen: auf der einen Seite den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der beiden früheren Ehepartner nach einer Scheidung, auf der anderen Seite den von Ihnen zu Recht genannten Grundsatz der nachehelichen Solidarität. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung, die freilich keine abschließende ist, weil der konkrete Fall zur Ermittlung weiterer Umstände des Einzelfalls an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden ist, den Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität erkennbar sehr stark gewichtet. Das ist im Unterhaltsrecht allerdings schon in der Reform der sozialliberalen Koalition in den 70er-Jahren so angelegt worden. Aus diesem Grund, glaube ich, bestand bei der Verabschiedung dieser Reform, die seit 2008 gilt, Einigkeit in diesem Haus, dass man eine Regelung finden muss, die es ermöglicht, dass die Gerichte möglichst alle Umstände des Einzelfalls einbeziehen: eine lange Ehedauer, die Umstände und Voraussetzungen, unter denen eine Ehe geschlossen worden ist, welche Unterhaltsregelungen zu diesem Zeitpunkt gegolten haben usw. usf. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, die Rechtsprechung zu beobachten und sie daraufhin zu überprüfen, ob aufgrund dieser Rechtslage praktikable und dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Ergebnisse erzielt werden. Für eine abschließende Beurteilung ist es aber noch zu früh, weil die letzte Reform erst kurze Zeit zurückliegt. Wir werden zu gegebener Zeit über unsere Analyse berichten. Christine Lambrecht (SPD): Zu der Formulierung "zu gegebener Zeit" noch eine Rückfrage. Die Frau Ministerin hat beim "Forum Unterhaltsrecht" des DAV angekündigt, dass man die Rechtsprechung zu dieser Fragestellung auswerten und dann gegebenenfalls Rückschlüsse auf gesetzgeberische Maßnahmen ziehen möchte. Deswegen meine Frage: Bis wann ungefähr können wir mit einer solchen Auswertung rechnen? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Es ist genau so, wie Sie es darstellen. Wir streben an, die Auswertung noch im ersten Halbjahr des nächsten Jahres vorzulegen. Man kann aber heute nicht vorhersagen, dass wir Ihnen dann Gesetzesänderungen werden vorschlagen müssen. Möglicherweise reicht der geltende Gesetzesrahmen - im Sinne der genannten Grundsätze, die das Unterhaltsrecht prägen - zu den passenden Einzelfallentscheidungen. Auf alle Fälle ist es das Ziel, Sie nicht mehr allzu lange auf die Auswertung warten zu lassen, sondern sie im ersten Halbjahr 2011 vorzulegen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfragen sehe ich dazu nicht. Die Frage 6 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 7 des Kollegen Volker Beck. Dann rufe ich die Frage 8 der Kollegin Dr. Eva Högl auf: Wann legt die Bundesregierung ihren Vorschlag für eine neue Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung vor, und welche Kriterien zum Grund und zur Dauer der Speicherung wird diese voraussichtlich erhalten? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Frau Dr. Högl, wie Sie wissen, ist die Richtlinie 2006/ 24/EG gegenwärtig Gegenstand einer Bewertung durch die Organe der Europäischen Union. Art. 14 dieser Richtlinie gibt vor, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat eine Bewertung der Anwendung dieser Richtlinie sowie ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeteiligten und die Verbraucher vorlegt, um festzustellen, ob die Bestimmungen der Richtlinie gegebenenfalls geändert werden müssen. Mit dem Abschluss dieser Evaluation ist nach jüngsten Informationen aus der Kommission im nächsten Quartal zu rechnen. Im aktuellen Arbeitsprogramm kündigt die Kommission eine Bewertung und Überarbeitung der Richtlinie an. Auch wenn diese Evaluierung, über die ich jetzt berichtet habe, die europarechtliche Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie nicht suspendiert, so erscheinen doch angesichts der vor dem Abschluss stehenden Evaluation und Bewertung der Richtlinie durch die Europäische Kommission sowohl Planungen zu einem Zeitrahmen für eine etwaige Neuregelung als auch diesbezügliche inhaltliche Festlegungen verfrüht. Angaben zum Verfahren und zum Zeitplan für eine erneute Umsetzung setzen zudem voraus, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 und die daraus zu ziehenden konkreten Konsequenzen für das nationale Recht umfassend geprüft sind, um abschätzen zu können, welche Maßnahmen konkret zur Erfüllung der gegebenenfalls zu überarbeitenden Richtlinie eingeleitet werden müssen. Diese Prüfung der Entscheidung des Verfassungsgerichts nimmt die Bundesregierung unter besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung derzeit vor. So haben die Bundesministerien der Justiz und des Innern beispielsweise Ende September 2010 einen gemeinsamen Workshop zur Klärung praktischer, technischer und finanzieller Fragen im Zusammenhang mit der Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durchgeführt. Daran waren zahlreiche Telekommunikationsunternehmen, deren Verbände, Datenschutzbeauftragte, Vertreter der Wissenschaft und weitere Interessierte beteiligt. Auch dabei - damit schließe ich die etwas umfängliche Antwort - hat sich gezeigt, welch schwierige Probleme etwa technischer Art, zum Beispiel bei der Verschlüsselung der Daten, eine etwaige Neuumsetzung der Richtlinie aufwirft. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Frau Dr. Högl. Dr. Eva Högl (SPD): Herr Staatssekretär, ganz herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich habe noch eine Nachfrage. Die Problematik, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt, nämlich dass die gegenwärtige oder bisher praktizierte Vorratsdatenspeicherung unwirksam ist und gestoppt wurde, ist eine nationale Problematik in Deutschland. Vielleicht können Sie noch einmal ganz kurz erläutern, warum Sie dennoch die Evaluierung der europäischen Richtlinie, die wir, wie Sie gesagt haben, ohnehin umsetzen müssen, abwarten wollen und welche Erkenntnisse Sie sich von dieser Evaluierung für die notwendige deutsche Umsetzung versprechen. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Frau Kollegin Dr. Högl, das Parlament hat zur Zeit der Großen Koalition nur deshalb einen Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung gefasst, weil dies durch eine Richtlinie der Europäischen Union vorgegeben war. Zuvor hatte sich nämlich nach meiner Erinnerung der gesamte Deutsche Bundestag in einem anderen Beschluss einstimmig gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung gewandt, er war dann aber an die Umsetzung der Richtlinie gebunden. Nun haben wir die Situation, dass diese Richtlinie auch innerhalb der Europäischen Union zunehmend kritisch gesehen wird. Die zuständige Kommissarin, Frau Reding, hat sich im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages - Sie waren zugegen - als erklärte Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung geoutet. Es gibt mehrere europäische Länder, die die Richtlinie nicht umgesetzt haben. Manche haben sie umgesetzt, was aber, wie in Deutschland, von deren eigenem Verfassungsgericht wieder aufgehoben worden ist. Die Debatte auf europäischer Ebene ist insgesamt also sehr im Fluss. Ein Punkt kommt hinzu: Inzwischen ist die europäische Grundrechtecharta in Kraft getreten, die nun auch in die Evaluierung einfließen muss. Unter diesen veränderten Umständen gegenüber den Vorgaben, die der Gesetzgeber zur Zeit der Großen Koalition hatte, erscheint es uns zweckmäßig, vor weiteren nationalen Aktivitäten die Entwicklung in Europa im Auge zu behalten. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Dr. Eva Högl (SPD): Herr Staatssekretär, herzlichen Dank auch für diese Antwort. Ich habe trotzdem noch eine Nachfrage. Da wir als großes Land nicht irgendein Mitgliedstaat in der Europäischen Union sind und es für die weitere Debatte über die europäische Richtlinie vielleicht auch nicht ganz unwichtig ist, was in Deutschland diskutiert wird, möchte ich Ihnen die Frage stellen: Was wird die Bundesregierung in diese Evaluierung einbringen? Welche wesentlichen Gesichtspunkte können Sie uns heute nennen, von denen Sie sagen: Es ist wichtig, dass Deutschland sie a) in die Evaluierung der bisherigen Praxis und b) in die Debatte über die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene einbringt? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Die Bundesregierung hat dort über die markante Entscheidung, wenn ich das so formulieren darf, des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 vorgetragen und wird dies auch weiter tun. Ich kann mich an kaum einen Fall erinnern, dass das Verfassungsgericht gesagt hat, eine Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, sei von einer bisher nie gekannten Streubreite und erzeuge das diffuse Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat uns auch aufgegeben, dass wir nicht beliebig Datensammlungen großer Quantität anlegen können. Wir verweisen in der Debatte in Europa also auf diese klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, durch die gleichwohl, damit das nicht falsch ankommt, eine Neuregelung nicht gänzlich ausgeschlossen wird. Die Karlsruher Richter stehen dem aber offenkundig sehr kritisch gegenüber. Darüber hinaus tragen wir dort natürlich auch über die praktischen Erfahrungen vorher, während der Geltung und seither vor. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Frage 9 des Kollegen Winfried Hermann wird schriftlich beantwortet. Mit Dank an den Kollegen Stadler kommen wir nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht der Kollege Staatssekretär Koschyk zur Verfügung. Die Frage 10 des Kollegen Dr. Schick und die Frage 11 des Kollegen Paula werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Ströbele auf: Warum hat die Bundesregierung bisher nicht die Gewährung von Garantien und Krediten in Milliardenhöhe aus Steuermitteln an Staaten wie jetzt an Irland und vorher an Griechenland oder an Finanzinstitute in Deutschland von Auflagen und Bedingungen abhängig gemacht, dass die privaten Geldhäuser, die von solchen Hilfen letztlich profitieren, durch Zahlungen oder durch Kreditausfall an der Lösung der Schuldenkrise beteiligt werden, und welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung kurzfristig und zeitnah unternehmen, um der Forderung der Bundeskanzlerin Rechnung zu tragen, die Finanzindustrie solle beim Lösen der Schuldenkrise Verantwortung übernehmen (Handelsblatt, 24. November 2010)? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Ströbele, während der Finanzkrise war die Bundesregierung gefordert, unmittelbar zu reagieren, um die Märkte schnell zu beruhigen und einzelne systemrelevante Institute zu stabilisieren. Inzwischen hat die Bundesregierung auf der G-20-Ebene, auf europäischer Ebene, aber auch national eine ganze Reihe von Maßnahmen angestoßen, durchgesetzt und im nationalen Bereich auch schon umgesetzt, um diese Verantwortung des Finanzsektors für die Bewältigung der Finanzmarktkrise und ihrer Auswirkungen auf die Realwirtschaft sicherzustellen. Herr Kollege Ströbele, ich darf nur darauf verweisen, dass wir den Finanzsektor durch die Einführung der Bankenabgabe, mit der ein Restrukturierungsfonds finanziert wird, stärker zu den Kosten der Bewältigung von Bankenschieflagen heranziehen werden. Deutschland hat sich auch auf der G-20-Ebene erfolgreich dafür eingesetzt. Es ist jetzt in Seoul beim G-20-Gipfel bestätigt worden, dass die Eigenkapitalvorschriften für Banken wesentlich verschärft werden, damit die Banken in Zukunft mit dem für ihre Transaktionen notwendigen Eigenkapital ausgestattet sind. Sie fragen auch danach, inwieweit zum Beispiel im Hinblick auf Griechenland und Irland bei der Lösung, die jetzt auf europäischer Ebene mit dem IWF vorangebracht worden ist, der Finanzsektor Verantwortung übernimmt. Ich darf Ihnen im Hinblick auf das, was jetzt in Irland auf den Weg gebracht worden ist, zum Beispiel mitteilen, dass in Irland der Finanzsektor auch dadurch beteiligt wird, dass bei der Restrukturierung des Bankensektors die Einbeziehung des Privatsektors bereits gegeben ist. So sind die Aktionäre der Banken in Irland durch die Hilfe praktisch enteignet worden. Es ist beabsichtigt, für die Gläubiger nachrangiger Bankanleihen hohe Abschläge zu machen. Bei der schon seit längerem vollständig verstaatlichten Anglo Irish Bank kam es bereits für einen Teil der nachrangigen Anleihen zu einem Abschlag von 80 Prozent. Sie wissen, Herr Kollege Ströbele, dass es der Bundesregierung in den vergangenen Monaten auf europäischer Ebene gelungen ist, die europäischen Partner davon zu überzeugen, dass sich aus dem derzeitigen europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus aus EFSM und EFSF - das sind die beiden Instrumente, die uns jetzt auf europäischer Ebene für die Bewältigung der Krise im Hinblick auf Griechenland und Irland zur Verfügung stehen - ein auf Dauer angelegter Krisenbewältigungsmechanismus entwickeln soll, um die Gefährdungen für die Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt auch in Zukunft abwenden zu können. Dabei ist die Beteiligung des Privatsektors als ein wesentliches Element des permanenten Krisenbewältigungsmechanismus vorgesehen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Staatssekretär. Das war schon ein bisschen was. (Klaus Barthel [SPD]: Aber nichts Neues!) Aber ich habe eigentlich auch die deutschen Banken gemeint. Können Sie bestätigen, dass die Bundesregierung auf dem Arbeitgebertag letzte Woche davon gesprochen hat, dass es kein "Schlaraffenland für Banker" geben dürfe und dass mit "Schlaraffenland für Banker" die Bundesrepublik Deutschland gemeint war? Welche Inanspruchnahme deutscher Banken, die gerade von der beabsichtigten Rettung Irlands aus Steuergeldern profitieren würden, ist vorgesehen? Welchen Anteil an den riesigen Verlusten, die verschmerzt werden müssen, nehmen die Deutsche Bank, aber auch andere deutsche Großbanken auf sich, vor allen Dingen angesichts dessen, dass trotz der Finanzkrise oder nach dem Abflauen der Finanzkrise die deutschen Großbanken wie die Deutsche Bank wieder erhebliche Profite einstreichen können, die zu erheblichen Erhöhungen etwa der Boni bei den Banken geführt haben? Wann sind die deutschen Banken dran? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Ströbele, ich habe davon gesprochen, dass es der Bundesregierung gelungen ist, auf europäischer Ebene Zustimmung dafür zu finden, dass wir einen auf Dauer angelegten Krisenbewältigungsmechanismus entwickeln werden. Das war ein schwieriges Unterfangen, weil es auch bei anderen Mitgliedstaaten starke Bedenken gegeben hat, diesen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus so auszugestalten, dass in Zukunft auch der Privatsektor eingezogen wird. Wenn diese Maßnahmen, die jetzt noch vom Europäischen Rat abschließend gebilligt und in entsprechendes Vertragsrecht gekleidet werden müssen, greifen, dann werden alle Banken und Finanzinstitute bei der Bewältigung künftiger Krisen in einem abgestuften Verfahren mit herangezogen und entsprechend in die Verantwortung genommen werden. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist es richtig, dass erst ab dem Jahr 2013, also in knapp drei Jahren, tatsächlich die Chance besteht, dass beispielsweise die deutschen Großbanken in Anspruch genommen werden könnten? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Rechtslage ist so, dass die gegenwärtig auf europäischer Ebene eingerichteten Instrumente - sowohl EFSM als auch EFSF, der Rettungsschirm, die Zweckgesellschaft - die Einbeziehung des privaten Sektors nicht vorsehen. Es war, als im Hinblick auf Griechenland dringend zeitnah gehandelt werden musste, nicht möglich, dafür Mehrheiten auf europäischer Ebene zu gewinnen, um bei den bereits vorhandenen Instrumenten den Privatsektor einzubeziehen. Ich habe Ihnen am Beispiel Irlands deutlich gemacht, dass das in Irland der Fall ist, auch durch die Art und Weise, wie irische Banken verstaatlicht worden sind, und auch dadurch, dass sie in erheblicher Weise zur Bewältigung der Bankenkrise in Irland beitragen müssen. Selbstverständlich wird die Bundesregierung darauf bestehen, dass der zukünftige Krisenbewältigungsmechanismus, der ab dem Jahr 2013 die bisherigen Instrumente ablösen wird, nur unter Einbeziehung des Privatsektors zustande kommt. Nach der Einigung, die auf der Ebene der Finanzminister am vergangenen Wochenende unter Einbeziehung von Kommission, EZB und des Ratspräsidenten Van Rompuy erreicht worden ist, bestehen gute Chancen, Herr Kollege Ströbele, dass das auch das Ergebnis des Europäischen Rates im Dezember sein wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Frage 13 des Kollegen Ernst wird schriftlich beantwortet - - (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte gern eine Zusatzfrage stellen, Herr Präsident!) - Sie dürfen, sicher, ich habe sie nur nicht registriert. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann einmal passieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie haben das, was der Kollege Ströbele gefragt hat, jetzt mit Blick in die Zukunft beantwortet. In seiner Frage war aber auch enthalten, ob wir die Chance haben, und wenn ja, wann, einmal etwas von dem, was wir in die Rettung der deutschen Banken, zum Beispiel HRE oder Commerzbank, gesteckt haben, zurückzubekommen. Wie sieht denn da die Zukunft aus? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Sie wissen, Herr Kollege, dass zum Beispiel das Engagement des Bundes bei der Commerzbank vorsieht, dass, wenn die Commerzbank in einer stabileren Situation ist, die Beteiligung des Bundes an der Commerzbank entsprechend verzinst werden muss. Bei der HRE ist es so, dass der Bund inzwischen Volleigner dieses Instituts ist. Da ist es uns in einer der schwierigsten Transaktionen der deutschen Finanzgeschichte gelungen, die sogenannten schlechten Assets, die problematischen Dispositionen in der Bank, in eine sogenannte Bad Bank auszulagern. Dabei bleibt es das Bemühen der Bundesregierung, durch ihren Einfluss die HRE nach Abspaltung der schlechten Assets durch die Bad Bank wieder in die Gewinnzone zu bringen und sie dann so früh wie möglich zu veräußern, damit das, was zur Stabilisierung dieser Bank notwendig war, für den Steuerzahler zurückgewonnen werden kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Frage 13 des Kollegen Ernst, die Frage 14 der Kollegin Schmidt (Eisleben) sowie die Fragen 15 und 16 der Kollegin Krellmann werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Josef Fell auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die derzeitige Regelung beizubehalten, wonach Biokraftstoffe der sogenannten ersten Generation ab 1. Januar 2013 in gleicher Höhe besteuert werden wie die Erdölderivate Benzin und Diesel, und, falls nein, welche konkreten Pläne hat die Bundesregierung, eine sogenannte Unterkompensation bei der steuerlichen Förderung von Biodiesel und Pflanzenöl zukünftig zu vermeiden? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Verehrter Herr Kollege Fell, Biokraftstoffe werden in der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie über die Biokraftstoffquote gefördert. Daneben sind für einen Übergangszeitraum auch steuerliche Begünstigungen vorgesehen. Diese steuerlichen Begünstigungen für konventionelle Biokraftstoffe, Biodiesel und Pflanzenölkraftstoff laufen entsprechend der hierzu von der Europäischen Kommission erteilten beihilferechtlichen Genehmigung Ende des Jahres 2012 weitestgehend aus. Planungen der Bundesregierung, diese steuerlichen Förderungen zu verlängern, gibt es nicht. Dies entspricht auch den Vorgaben des Energiekonzepts der Bundesregierung, das eine Fortführung der steuerlichen Förderung von konventionellen Bio-reinkraftstoffen nicht vorsieht. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Staatssekretär Koschyk. - Ich denke, dass dies nicht dem Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung entspricht. Dort steht nämlich, es wird eine Wiederbelebung des Marktes für reine Biokraftstoffe angestrebt. Genau dieser wurde aber durch die Besteuerung der reinen Biokraftstoffe zurückgedrängt, mit der Folge vieler Unternehmenskonkurse und der Freisetzung vieler Arbeitnehmer. Die Besteuerung hat insgesamt zu einem Rückgang der Nutzung der Biokraftstoffe in Deutschland geführt. Mit der Beimischungsverpflichtung konnte dies nicht aufgefangen werden. Da das Ziel im Koalitionsvertrag klar artikuliert ist, möchte ich Sie eindringlich fragen, ob Sie sich damit von diesem Ziel des Koalitionsvertrages verabschiedet haben. Denn mit einer vollen Besteuerung würde - auch entgegen der Vorgabe der EU-Kommission, Unterkompensationen zu vermeiden - dieses Ziel nicht erreicht werden. Die volle Besteuerung reiner Biokraftstoffe wird bei einem höheren Kaufpreis des Pflanzenrohöls für Biodiesel oder reine Pflanzenöle zu einem deutlich höheren Marktpreis im Vergleich zu besteuertem Diesel und Benzin an den Tankstellen führen. Dieser Markt ist dann in Deutschland für immer beendet. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Fell, die Frage, ob Bioreinkraftstoffe bei dem geplanten Wegfall der Steuerbegünstigung ab 2013, wie Sie sagen, unterkompensiert sind, würde sich aus Sicht der Bundesregierung nur dann stellen, wenn neben der steuerlichen Förderung keine weiteren Förderinstrumente bestehen würden. Das ist aber bei Biokraftstoffen aufgrund der Quotenverpflichtung und der daraus folgenden garantierten Nachfrage nach Biokraftstoffen gerade nicht der Fall. Die steuerliche Förderung von Bioreinkraftstoffen wurde lediglich für einen Übergangszeitraum beibehalten, um den ursprünglich auf den Reinkraftstoffmarkt ausgerichteten Anbietern eine Umstellung auf den Beimischungsmarkt zu ermöglichen. Nach Meinung der Bundesregierung besteht für ein dauerhaftes Nebeneinander unterschiedlicher Fördermaßnahmen kein Bedarf. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke, dass wir von zwei verschiedenen Dingen reden. Ein Markt für reine Biokraftstoffe ist kein Beimischungsmarkt. Wenn Sie davon reden, dass der Markt für reine Biokraftstoffe durch die Quotenregelung befördert werde, dann heißt das, dass er nur durch die Beimischung befördert wird und eben nicht als Markt existent ist, zu dem reine Biokraftstoffe einen direkten Zugang über die Tankstellen haben. Insofern widersprechen Sie sich hier. Es gibt keine Unterstützung für den Markt für reine Biokraftstoffe. Er ist zum Erliegen gekommen. Die Tankstellen sind nach und nach geschlossen worden. Es gibt sie faktisch nicht mehr. Wie gesagt, mit der Quotenregelung kann dies nicht aufgefangen werden. Damit bestätigen Sie letztendlich meine Befürchtung. Es wird keine Unterstützung durch die Bundesregierung zur Wiederbelebung des Marktes für reine Biokraftstoffe als Direktvermarktung an Tankstellen mehr geben. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich kann nur die Auffassung der Bundesregierung wiederholen, dass die steuerliche Förderung von Bioreinkraftstoffen lediglich für einen Übergangszeitraum beibehalten wurde, um den ursprünglich auf den Reinkraftstoffmarkt ausgerichteten Anbietern eine Umstellung auf den Beimischungsmarkt zu ermöglichen, und dass die Bundesregierung für eine Parallelität unterschiedlicher Fördermaßnahmen keinen Bedarf sieht. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist erschreckend genug!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Finanzen. Vielen Dank an den Kollegen Koschyk. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung. Da die Kollegin Wicklein nicht da ist, wird die Frage 18 nicht beantwortet. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Der Kollege Hacker, der die Frage 19 gestellt hat, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Das gilt auch für die Fragen 20 und 21 der Kollegin Hiller-Ohm. Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Manfred Nink werden schriftlich beantwortet, genauso wie die Fragen 24 und 25 des Kollegen Garrelt Duin und die Frage 26 der Kollegin Doris Barnett. Ich komme zu Frage 27 des Kollegen Klaus Barthel: Wie bewertet die Bundesregierung den seit Anfang des Jahres verstärkten Trend einer weltweiten Verknappung der Verfügbarkeit von Rohstoffen, insbesondere bei seltenen Erden, und ist die Bundesregierung bereit, sich bezüglich der chinesischen Ausfuhrbeschränkungen für seltene Erden für eine Überprüfung vor dem Welthandel-Streitbeilegungsmechanismus einzusetzen? Herr Staatssekretär Burgbacher, bitte. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Kollege Barthel, ich beantworte Ihre Frage nach der Verfügbarkeit von Rohstoffen, insbesondere die der seltenen Erden, wie folgt: Die Situation auf den internationalen Rohstoffmärkten ist generell von einer rasant steigenden Nachfrage und - siehe seltene Erden - einer zumindest teilweisen Verknappung des Angebots geprägt, einhergehend mit steigenden bzw. stark schwankenden Preisen und oftmals intransparenten Angebotsstrukturen. Mit Blick auf die langfristige und zuverlässige Sicherung von Rohstoffbezugsquellen ist es angesichts der hohen Importabhängigkeit Deutschlands von wichtigen Industrierohstoffen mehr denn je erforderlich, dass alle politischen Ebenen kohärent handeln. Die am 20. Oktober 2010 vom Bundeskabinett beschlossene Rohstoffstrategie der Bundesregierung trägt der veränderten Situation auf den Rohstoffmärkten Rechnung. Zusammen mit europäischen und internationalen Partnern setzt sich die Bundesregierung für eine Verbesserung der Transparenz und Funktionsfähigkeit von Rohstoffmärkten ein. Das gilt auch ausdrücklich hinsichtlich der Finanztransaktionen und der Kontrolle der physischen Lagerbestände. Eine Überprüfung der Exportbeschränkungen für seltene Erden durch China im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens - danach fragen Sie - ist für die Bundesregierung eine Option, zu der aber bisher noch keine Entscheidung gefallen ist. Zuvor müssen die erforderlichen Untersuchungen zur Sach- und Rechtslage durchgeführt werden, mit denen die für die Handelspolitik zuständige EU-Kommission bereits begonnen hat. Darüber hinaus sollte nach Auffassung der Bundesregierung ein solches Streitschlichtungsverfahren erst beantragt werden, wenn sich eine Entscheidung im laufenden Verfahren der EU gegen China zu neuen anderen Rohstoffen abzeichnet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Klaus Barthel (SPD): Vielen Dank für die Antwort und dafür, dass zu erkennen ist, dass die Bundesregierung das Problem wahrnimmt. - Auch wir haben Ihre Rohstoffstrategie gelesen und die Willenserklärung, die darin abgegeben worden ist, zur Kenntnis genommen. Aber die Frage ist, wie Sie das jetzt umsetzen. Es ist zum Beispiel, auch in der Presseerklärung des Ministeriums vom 20. Oktober, die Rede davon, dass diese Problematik in den G-8- und G-20-Prozess eingebracht werden soll, dass die Bundesregierung ressortübergreifend außenpolitische Initiativen anmahnen will und dass sämtliche Möglichkeiten multilateraler und bilateraler Art - in diesem Fall also der Dialog mit China oder anderen betroffenen Ländern - ausgeschöpft werden müssen. Ihrer Antwort konnte ich jetzt nicht entnehmen, was die Bundesregierung schon konkret getan hat. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Barthel, ich habe schon auf die Rohstoffstrategie hingewiesen. Sie wissen, dass wir am 4. Oktober 2010 die Deutsche Rohstoffagentur eröffnet haben, die für Transparenz sorgen soll und das auch tut. Das ergibt sich aus der Rückmeldung vieler Betroffener. Wir können manche Dinge allein tun. So reden wir zum Beispiel über Rohstoffpartnerschaften. Wir haben ausdrücklich angeboten, diese Rohstoffpartnerschaften zu unterstützen, allerdings nur dort, wo die Industrie das nachfragt. Wir werden keine staatliche Rohstoffversorgung einführen, sondern das muss die Wirtschaft selbst leisten. Wir werden aber die Wirtschaft unterstützen, wo es notwendig ist. Das betrifft zum Beispiel die seltenen Erden. Da müssen wir über die Vorkommen reden. Das werde ich bei der Beantwortung der nächsten Frage tun. Wir haben die Frage in die Gremien eingebracht. Die EU-Kommission ist dabei, dies zu erörtern. Es gibt aber, wie gesagt, ein laufendes Verfahren der EU gegen China. Das wollen wir abwarten. Wir müssen die Dinge prüfen. Ich schließe aber nicht aus, dass wir ein Verfahren anstrengen. Wir wissen um die Bedeutung des Themas Rohstoffe. Das wird übrigens die größte Herausforderung für unsere Wirtschaft sein. Wir wissen, dass der internationale Druck und die Nachfrage enorm zunehmen. Deshalb müssen wir selbstverständlich gemeinsam mit der Wirtschaft dafür sorgen, dass die Versorgung mit Rohstoffen garantiert wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Barthel auf, die Sie indirekt schon angesprochen haben: Wie schätzt die Bundesregierung die Situation vieler Unternehmen aus der metallverarbeitenden Industrie ein, die mit Lieferengpässen und dramatischen Preiserhöhungen bei seltenen Erden konfrontiert sind, und gedenkt die Bundesregierung angesichts dieser Situation, mit potenziellen Förderländern sogenannte Rohstoffpartnerschaftsabkommen zur Beschaffung von seltenen Erden abzuschließen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Diese Frage habe ich schon eben indirekt angesprochen. Wir wissen, dass in letzter Zeit Rohstoffe für Hochtechnologien im Fokus stehen. Das sind insbesondere die seltenen Erden. Die Volksrepublik China ist hierbei mit einem Marktanteil von über 95 Prozent der weltgrößte Produzent und Exporteur. Allerdings ist seit einigen Jahren die Höhe der Exporte der seltenen Erden aus China aufgrund des gestiegenen und weiter ansteigenden Energieverbrauchs Chinas und der Exportbeschränkungen rückläufig. Für das Jahr 2011 rechnen wir mit einer weiteren Reduzierung der Exportquote. Deshalb ist die internationale Bergbauindustrie bemüht, neue Gewinnungskapazitäten außerhalb Chinas verfügbar zu machen. Ich habe die Zahl bereits genannt: Momentan liegt der Marktanteil Chinas bei 95 Prozent. Wir gehen aber davon aus, dass weniger als 65 Prozent der Vorkommen in China zu finden sind. Mit der Inbetriebnahme neuer Produktionskapazitäten ist voraussichtlich erst ab dem Jahr 2012 zu rechnen. Das betrifft insbesondere Australien und die USA, möglicherweise - allerdings in geringerem Umfang - auch Vietnam und Indien. Versorgungsengpässe bei seltenen Erden können daher unter Berücksichtigung dieser Explorations- und Bergbauaktivitäten in den kommenden Jahren nicht ausgeschlossen werden. Rohstoffpartnerschaften sind eine Möglichkeit, die Rohstoffbezugsquellen zu sichern, und zwar unter der Voraussetzung - ich habe das schon genannt -, dass die Industrie konkrete rohstoffwirtschaftlich und rohstoffpolitisch bedeutsame Projekte vorschlägt. Dann ist die Bundesregierung bereit, diese Projekte politisch zu flankieren und mit den Förderländern gezielte bilaterale Rohstoffabkommen abzuschließen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ihre Nachfrage. Klaus Barthel (SPD): Herr Staatssekretär Burgbacher, das ist alles schön und gut, aber: Wenn Sie mit dem Anspruch antreten, eine Rohstoffstrategie zu präsentieren, dann sollte diese Strategie nicht nur Deskription und Beobachtung dessen, was gerade passiert, beinhalten. Ihre Antworten befassen sich mit der Beschreibung dessen, was passiert, was wir schon längst wissen und was bereits niedergeschrieben steht. Eine Strategie sollte auch aktives Handeln beinhalten. Ich möchte von Ihnen genauer wissen: Wie weit sind Sie beispielsweise mit Ihrer Rohstoffagentur vorangekommen? Wie weit sind Sie bei der Frage, die deutschen Interessen, wie es in der Strategie beschrieben ist, klar zu benennen und Aktivitäten im Bereich Rohstoffhandel politisch zu flankieren? Über die Beschreibung dieser Probleme sind wir uns einig. Mich interessiert, wie weit Sie in Ihrem aktiven Handeln gekommen sind. Wenn Sie mir bitte sagen könnten, was das Wirtschaftsministerium bzw. die Bundesregierung in diesem Bereich konkret macht. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Barthel, ich habe schon gesagt, dass wir die Rohstoffagentur gegründet haben. Sie ist am 4. Ok-tober 2010 eröffnet worden. Diese Agentur baut das Rohstoffinformationssystem auf. Das ist sehr wichtig, weil derzeit auf dem Markt eine völlige Intransparenz herrscht. Wir sind auch im Wirtschaftsausschuss schon darauf eingegangen, dass sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundeswirtschaftsminister bei Gesprächen in China diese Probleme angesprochen haben. Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich hier keine Details nennen kann. Wir sind in der Europäischen Union aktiv. Wir sind auf die Wirtschaft zugegangen. Bundeswirtschaftsminister Brüderle hat beim BDI-Rohstoffkongress die Strategie vorgestellt. Er hat aber auch klar gesagt, dass wir nicht vorhaben, als Staat Rohstoffsicherung zu betreiben, sondern dass wir, wie ich das schon vorhin gesagt habe, die Industrie flankierend unterstützen wollen. Wir müssen übrigens auch in Deutschland schauen, wo es bei uns Vorkommen gibt - das wird die Rohstoffagentur ebenfalls leisten; es geht nicht nur um seltene Erden, es geht auch um andere Rohstoffe - und welche Einschränkungen es bei der Nutzung gibt. Das betreiben wir momentan sehr massiv. Wir sind schon ziemlich weit gekommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine Zusatzfrage des Kollegen Grund. Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, teilen Sie zum Ersten meine Einschätzung, dass die deutsche Industrie und auch der deutsche Staat zu lange blauäugig geglaubt haben, man könne seltene Erden und Rohstoffe zu bezahlbaren Preisen am Weltmarkt kaufen und brauche keine nationale Strategie zur Sicherung von seltenen Rohstoffen und dem Zugang zu ihnen? Zum Zweiten. Sie haben in Ihren Antworten darauf verwiesen, dass die Volksrepublik China 95 Prozent der Ausfuhr seltener Erden weltweit zur Verfügung stellt, und das bei einem Vorkommen von vielleicht 65 Prozent auf dem Territorium der Volksrepublik China. Ist es richtig, dass Lagerstätten in Australien und in den USA, die vor Jahrzehnten noch zur Förderung von seltenen Erden betrieben worden sind, in den letzten Jahrzehnten geschlossen wurden, weil Angebote zu niedrigeren Preisen vorhanden waren, und dass die Schließung dieser Lagerstätten ursächlich für den jetzigen Lieferengpass ist? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Grund, ich beantworte beide Fragen gerne zusammen, weil sie zusammengehören. Es ist richtig, dass sich nicht nur Deutschland, sondern auch viele andere Länder aus der eigenen Förderung weitgehend zurückgezogen haben. Es ist richtig, dass etwa die Förderung seltener Erden in den USA aufgegeben wurde. Jetzt wird versucht, diese Förderung wiederzubeleben. Das dauert aber sehr lange. Man spricht von Zeiträumen von bis zu zehn Jahren. Außerdem ist es richtig, dass wir alle uns jetzt gewaltig anstrengen müssen, um das Ganze zu beschleunigen. Die deutsche Wirtschaft hatte sich aus der eigenen Rohstoffsicherung weitgehend zurückgezogen und darauf vertraut, dass Rohstoffe am Weltmarkt zu kaufen sind. Wenn wir unsere wirtschaftliche Entwicklung sichern wollen, dann muss das Thema Rohstoffsicherung ganz oben auf der Agenda stehen. Das tut es bei uns. Deshalb haben wir diese Strategie vorgestellt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Keul auf: In welchem Umfang hat die gegenwärtige Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern genehmigt, und in welchem Umfang wurden im gleichen Zeitraum Kriegswaffen exportiert? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sehr geehrte Frau Kollegin Keul, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: In der für die Beantwortung der Frage zur Verfügung stehenden Zeit ist eine detaillierte Antwort sicher nicht möglich, da die erforderlichen Daten zunächst im Einzelnen ermittelt werden müssen. Für die Zuhörer darf man sagen: Das ist in der knappen Woche, die wir zur Vorbereitung zur Verfügung haben, natürlich nicht möglich. Das monatliche Genehmigungsvolumen für die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern sowie die monatliche Ausfuhr von Kriegswaffen wird in dem Rüstungsexportbericht statistisch überhaupt nicht erfasst. In den politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die seit dem Jahr 2000 unverändert gelten, ist festgelegt, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag jährlich einen Rüstungsexportbericht vorlegt. Der Bericht für 2009 wird dem Parlament in Kürze vorgelegt werden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antwort, die ich, ehrlich gesagt, auch befürchtet hatte. - Wie Sie zu Recht gerade gesagt haben, warten wir immer noch auf den Rüstungsexportbericht 2009, und es ist jetzt das Ende des Jahres 2010. Meine Frage daher: Hält die Bundesregierung es im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle für angemessen, dass wir über die Beantwortung der hier konkret gestellten Fragen voraussichtlich in zwei Jahren werden diskutieren können? Oder sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, diese Zahlen zeitnah vorzulegen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Frau Kollegin Keul, die Bundesregierung strebt an, den Rüstungsexportbericht noch vor Weihnachten dem Deutschen Bundestag zu übersenden. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage? Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine weitere Zusatzfrage. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 30, ebenfalls von Frau Keul, auf: Wie verteilt sich angesichts der schwerwiegenden Behauptung des Bundesministers des Auswärtigen in der Plenardebatte zum Einzelplan 05 - "Jede Waffe, die derzeit ins Ausland exportiert wird, wurde nicht von dieser Regierung projektiert, sondern im Schnitt in den sieben Jahren von Rot-Grün" (Plenarprotokoll 17/74) - der Anteil der Waffen, die seit Amtsantritt der Bundesregierung ins Ausland exportiert wurden, auf Genehmigungen, die von der rot-grünen, schwarz-roten und schwarz-gelben Regierung "projektiert" wurden? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Auch da muss ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung besitzt keine genaue Kenntnis darüber, wann Unternehmen bestimmte Ausfuhren von Rüstungsgütern projektiert haben. Erfahrungsgemäß erfolgt die Planung von Unternehmen lange Zeit vor der Stellung von Anträgen auf Ausfuhrgenehmigungen, auch lange Zeit vor Voranfragen, deren Genehmigungen insbesondere vor der tatsächlichen Ausfuhr dieser Güter erfolgen. Deshalb ist davon auszugehen, dass bei den Gütern, die in diesem Jahr exportiert wurden, entsprechende Anträge lange vorher gestellt wurden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Wenn Sie sagen, dass diese Zahlen der Bundesregierung gar nicht im Einzelnen vorliegen, dann stellt sich aber die Frage, wie es sein kann, dass Minister Westerwelle zu der Aussage "Jede Waffe, die derzeit ins Ausland exportiert wird, wurde nicht von dieser Regierung projektiert, sondern im Schnitt in den sieben Jahren von Rot-Grün" kommt? Wie konnte er zu dieser Aussage kommen, wenn diese Zahlen gar nicht vorliegen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Das ist ganz einfach zu beantworten. Diese Bundesregierung ist etwas mehr als ein Jahr im Amt. Wie ich Ihnen gesagt habe, zeigen alle Erfahrungen, dass diese Prozesse viel langfristiger sind und nicht von dieser Bundesregierung projektiert wurden; insofern stimmt diese Aussage. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, vielen Dank. - Ich habe eine weitere Rückfrage. Verstehe ich Sie richtig, dass Ihre Antwort dahin gehend zu verstehen ist, dass allein durch den Zeitablauf Genehmigungen aus rot-grüner Zeit möglich waren und nicht, weil Rot-Grün überdurchschnittlich viele Waffenexporte genehmigt hätte? Aber meine spezielle Frage aus aktuellem Anlass wäre ein Bezug auf das Jahr 2008. Ich wüsste gern aufgrund der aktuellen Veröffentlichungen im Spiegel, inwieweit die Bundesregierung Kenntnis davon hat, dass eine private amerikanische Firma 2008 unter wissentlichem und willentlichem Verstoß gegen das deutsche Exportrecht ohne Genehmigung Hubschrauber über England und die Türkei nach Afghanistan verbracht hat. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Zu Ihrer ersten Frage noch einmal die deutliche Feststellung: Das war keine Wertung, sondern das ergibt sich eindeutig aus dem Ablauf. Zur zweiten Frage: Ich bitte um Verständnis, dass ich das nicht aus der hohlen Hand beantworten kann. Das können wir aber gern nachliefern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fuchtel zur Verfügung. Die Frage 31 der Kollegin Doris Barnett, die Frage 32 der Kollegin Katja Dörner und die Frage 33 der Kollegin Birgitt Bender werden schriftlich beantwortet. Ich komme zur Frage 34 der Kollegin Müller-Gemmeke: Wie wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass künftig auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, die bislang nicht das Kriterium der sogenannten Werkstattfähigkeit nach § 136 Abs. 2 SGB IX erfüllen, gemäß Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention das Recht mit anderen auf Arbeit erhalten, und wie bewertet die Bundesregierung das Vorgehen der beiden Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen, die den Begriff der Werkstattfähigkeit sehr weit auslegen und somit auch Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf einen Werkstattarbeitsplatz zur Verfügung stellen? Bitte schön. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Die erste Bemerkung dazu: Die Werkstätten als Einrichtungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben bieten Menschen, denen dies wegen Art und Schwere ihrer Behinderung nicht oder noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist, eine angemessene berufliche Bildung, um in eine Beschäftigung zu kommen. Das ist die Funktion der Werkstätten. Die zweite Bemerkung: Art. 27 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung stellt kein absolutes Recht der Personengruppe behinderter Menschen auf Arbeit fest. Aus der UN-Konvention lässt sich deshalb kein Anspruch darauf herleiten, dass auch schwerstbehinderten Menschen unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit Teilhabe am Arbeitsleben etwa in einer Werkstatt für behinderte Menschen ermöglicht werden muss. Die dritte Bemerkung: Das Vorliegen von Werkstattfähigkeit als Voraussetzung für eine Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen bedarf einer einzelfallbezogenen Feststellung. Hierzu gehört auch die Prognose, dass der behinderte Mensch nach der Teilnahme an der Maßnahme im Berufsbildungsbereich, für deren Förderung im Rahmen der beruflichen Ersteingliederung die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist, in der Lage sein wird, eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung zu erbringen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die verantwortlichen Behörden in Nordrhein-Westfalen dies bei den Entscheidungen über die Aufnahme behinderter Menschen in Werkstätten berücksichtigt haben. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte nachfragen: Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Änderung des § 136 Abs. 2 SGB IX, sodass es künftig nicht mehr die Sozialhilfeträger sind, die darüber entscheiden, ob die Menschen werkstattfähig sind oder nicht? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ich darf hier nochmals betonen: Die Bundesregierung hält die in § 136 SGB IX gestellten Anforderungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen für sinnvoll. Die Bedürfnisse schwerstbehinderter Menschen können die Werkstätten als Einrichtungen der beruflichen Teilhabe und Rehabilitation mit ihrem primär hierauf ausgerichteten Angebot und Fachpersonal nicht mit erfüllen. Zu den Aufgaben der Werkstätten gehört auch, wirtschaftliche Arbeitsergebnisse zu erstreben, um den behinderten Menschen ein Arbeitsentgelt zahlen zu können. Bei Aufnahme der genannten Personengruppe könnten Werkstätten nicht mehr in der Lage sein, Arbeitsentgelte in der gesetzlich festgelegten Höhe zu zahlen. Daher kann ich Ihrem Anliegen nicht entsprechen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Ich habe noch eine Nachfrage: Inwiefern war diese Problematik Gegenstand der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Fortentwicklung der Eingliederungshilfen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Was Sie ansprechen, ist natürlich immer ein Thema. Ich möchte deshalb noch auf Folgendes hinweisen: Die hier genannte Personengruppe ist nicht unversorgt. Die Menschen werden in Einrichtungen, sogenannten Tagesförderstätten, gefördert, die auch unter dem Dach der Werkstätten angesiedelt sein können. Wir beide wissen - wir interessieren uns ja für solche Themen -, dass man in solchen Fällen von "Einrichtungen unter dem verlängerten Dach der Werkstatt" spricht. Die Leistungen, die dort erbracht werden, sind dem Bereich der Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuzuordnen. Dabei geht es um § 55 So-zialgesetzbuch XII, nicht um den Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Differenzierung hatte in der Vergangenheit Bestand, und sie ist aus unserer Sicht auch für die Zukunft erforderlich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage, Kollege Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Fuchtel, ich komme aus Nordrhein-Westfalen und habe schon Arbeitsbereiche für Menschen mit einem sehr hohen Unterstützungsbedarf gesehen. Ich bin der Auffassung, dass es einen Unterschied macht, ob man unter dem "verlängerten Dach einer Werkstatt" beschäftigt ist oder ob man direkt in den Arbeitsprozess eingebunden ist. Meine Frage lautet: Ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, dass der Begriff der wirtschaftlichen Leistung so unbestimmt ist, dass bei einer zeitgemäßen Gesetzesauslegung oder Gesetzesschöpfung nach der neuen UN-Konvention auf ihn verzichtet werden kann und der Begriff der Teilhabe in diesem Fall, für diese besondere Personengruppe, in den Vordergrund zu stellen ist? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ich möchte nochmals betonen, dass diese Unterscheidung, auch wenn sie schwierig ist, erforderlich ist und dass es bei der Beurteilung natürlich auf den Einzelfall ankommt. Ich bin in jüngerer Zeit in Einrichtungen gewesen, in denen selbst Autisten einer Beschäftigung zugeführt werden. Wenn sie einer Beschäftigung zugeführt werden können, dann muss man im Einzelnen prüfen, ob es um eine Teilhabe am Arbeitsleben geht. Das wird immer im Einzelfall beurteilt werden müssen. Die generelle Aufgabe der Kriterien planen wir nicht. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 35 der Kollegin Müller-Gemmeke auf: Wird die Bundesregierung zur Umsetzung von Art. 27 Buchstabe c der UN-Behindertenrechtskonvention § 139 SGB IX sowie die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung, WMVO, daraufhin evaluieren, wie echte Mitbestimmungsrechte der Werkstatträte verwirklicht werden können, und wie bewertet die Bundesregierung den Status des "arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses" nach § 139 SGB IX vor dem Hintergrund der Konvention? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Hierzu muss ich wieder etwas ausholen. Die in den Werkstätten beschäftigten Menschen mit Behinderungen stehen in der Regel nicht in einem abhängigen Arbeitsverhältnis mit den dafür geltenden Rechten und Pflichten, sondern in einem arbeitnehmerähnlichen Arbeitsverhältnis. - Das ist offensichtlich auch Ihnen bekannt; Sie nicken zustimmend; dann sind wir in dieser Frage schon einmal einig. - Diesem besonderen Rechtsverhältnis entspricht die Mitwirkung der Menschen mit Behinderungen in diesen Einrichtungen durch die von ihnen gewählten besonderen Interessenvertretungen. Eine bestimmte Form der Beteiligung kann aus Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention für diese Frage nicht abgeleitet werden. Von daher sind wir der Auffassung, dass die in der Bundesrepublik bestehende Mitwirkung in vollem Einklang mit der UN-Konvention, wie sie hier formuliert ist, steht. Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis der Werkstattbeschäftigten bedeutet, dass die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften anzuwenden sind, insbesondere Arbeitszeit, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dagegen sind die Verpflichtungen, die üblicherweise zu einem Arbeitsverhältnis gehören, nicht anwendbar, etwa die Verpflichtung, in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Leistung zu erbringen. Hier handelt es sich um arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnisse, die den besonderen Schutzinteressen der behinderten Menschen dienen; aber daraus leitet sich auch die Differenzierung bei der Mitbestimmung ab. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Fuchtel. - Auch wenn ich hin und wieder nicke, wenn ich einen Begriff kenne, heißt das nicht, dass ich da ganz Ihrer Meinung bin. Ich möchte nachfragen: Werkstattbeschäftigte fühlen sich in der Regel als ganz normale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die morgens pünktlich erscheinen, ihre Arbeit verrichten und bis zum Ende ihrer Arbeitszeit bleiben. Was spricht dann dagegen, dass Werkstatträte den Betriebsräten gleichgestellt werden? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Zunächst einmal kann ich Ihre Beurteilung voll bestätigen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstätten in ganz besonderer Weise pflichtbewusst sind. Das kann ich auch bei meinen vielen Begegnungen mit diesen Menschen feststellen. Ich habe eben versucht, Ihnen darzustellen, dass es sich hier um eine arbeitnehmerähnliche Situation handelt, aus der sich für uns diese Differenzierung ergibt. Das heißt aber nicht, dass diese Arbeit nicht auch Unterstützung finden würde. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Bundesregierung die Werkstattbeschäftigten beim Aufbau einer überregionalen Struktur auf Bundes- und Landesebene unterstützt. Im Oktober dieses Jahres hat das Deutsche Rote Kreuz unter Beteiligung der Caritas begonnen, in einem Netzwerk die Vorstandsarbeit der Bundesvereinigungen der Vertretungen zu koordinieren. Dafür werden derzeit aus Mitteln des Ausgleichsfonds beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales immerhin 200 000 Euro zur Verfügung gestellt. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Ich habe eine weitere Nachfrage: In welchem Rechtsverhältnis werden künftig Menschen mit Behinderungen stehen, die Werkstattleistungen in Form des Persönlichen Budgets in Anspruch nehmen, um einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Wir haben auch dafür derzeit noch keine Änderungen vorgesehen. Diese Fragen, bei denen es um einen Grenzbereich, um die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt, geht, sind natürlich immer in der Diskussion. Allerdings gilt dieser Status, solange diese Menschen den Status eines Mitarbeiters der Werkstatt haben, auch bezüglich Mitbestimmungsfragen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Kurth hat noch eine Zusatzfrage. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, genau in diesem Grenzbereich sehen wir Probleme. Es handelt sich um Mitarbeiter, die in einem regulären Betrieb arbeiten, ein sogenanntes Persönliches Budget, in der Regel als Lohnkostenzuschuss, erhalten und sich gar nicht mehr im Kontext der geschützten Werkstatt befinden. Sie sind also in der Regel - das ist schon beim Außenarbeitsplatz der Fall - doch dazu gezwungen, etwa ein bestimmtes Arbeitsergebnis in einer bestimmten Zeit zu erwirtschaften. Sieht die Bundesregierung denn nicht zumindest an dieser Stelle, beim Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt - wenigstens im Falle des Persönlichen Budgets und möglicherweise auch bei den sogenannten Außenarbeitsplätzen -, Handlungsbedarf, die Regelung des Status zu überdenken und den arbeitnehmerähnlichen Status aufzugeben? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Sie wissen, dass wir gerade an einem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention arbeiten. In diesem Zusammenhang werden natürlich alle Fragestellungen, auch Fragen zu den Schnittstellen, sorgfältig geprüft. Dem möchte ich in keiner Weise vorgreifen und hier nicht die Linie vertreten, dass Veränderungen zu erwarten sind. Ich kann nur sagen, dass wir mit dieser Materie sehr sorgfältig umgehen und es viele Aspekte gibt, die es abzuwägen gilt. Das alles werden wir, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, nicht vernachlässigen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Kurth auf: Welche Rolle spielt nach Ansicht der Bundesregierung das Neunte Buch Sozialgesetzbuch bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - insbesondere die Verpflichtung, trägerübergreifend einheitliche und koordinierte Rehabilitation zu gewährleisten -, und wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Vorschläge der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, wonach die zentrale Steuerungskompetenz im Rehabilitationsprozess auf die Sozialhilfeträger übergehen soll? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Kollege, ich stelle fest, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für uns eine wichtige sozialpolitische Aufgabe ist. Wir werden in dieser Legislaturperiode - ich habe das bereits ausgeführt - einen entsprechenden Aktionsplan aufstellen. In diesem Zusammenhang werden wir natürlich auch über die Instrumente des Sozialgesetzbuchs IX sprechen, weil sie eine zentrale Rolle spielen. Hier kann ich Ihnen mitteilen, dass die Bundesregierung das Bestreben der Arbeits- und Sozialministerkonferenz unterstützt, dass die Träger der Sozialhilfe in Fällen, in denen die Leistungen der Sozialhilfe im Vordergrund stehen, die leistungsträgerübergreifende Gesamtverantwortung für die Steuerung und Koordinierung individuell erforderlicher Rehabilitations- und Teilhabeleistungen - von der Bedarfsermittlung über die Bedarfsfeststellung bis zur Wirkungskontrolle - übernehmen. Ich will dazu noch einen Satz sagen, damit keine Erwartungen aufkommen, die revolutionären Charakter haben könnten: Mit dieser Gesamtsteuerungsverantwortung wäre keine Verlagerung der Zuständigkeiten anderer Sozialleistungsträger auf die Träger der Sozialhilfe verbunden. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde gerne die abschließende Klarstellung aufgreifen; auch Herr Bahr aus dem Gesundheitsbereich ist ja anwesend. Im Beschlussentwurf der Arbeits- und Sozialminister ist vorgesehen, dass der Träger der Sozialhilfe, der nach Sozialgesetzbuch IX die Gesamtsteuerung übernehmen soll, "bei leistungsträgerübergreifenden Bedarfskonstellationen im Auftrag und im Namen der anderen Beteiligten - auch vorrangigen - Leistungsträger handeln kann", also als Beauftragter. Das bedeutet, dass der Sozialhilfeträger in gewisser Weise für andere Rehabilitationsträger, unter anderem für die gesetzliche Krankenversicherung, Entscheidungen treffen könnte. Im Beschlussentwurf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz heißt es weiter: Alle in Betracht kommenden Leistungsträger sind zur Teilnahme an der Hilfeplankonferenz verpflichtet. Wie steht die Bundesregierung zu dieser Position? Weist sie dies zurück und, wenn ja, warum? Wenn nein, wie soll dann Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit der verschiedenen Rehabilitationsträger sichergestellt werden? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Auch dazu nehme ich gerne Stellung. Soweit im Einzelfall die Leistungen der Sozialhilfe im Vordergrund stehen - "im Vordergrund stehen" will ich unterstreichen -, soll der Träger der Sozialhilfe bei leistungsträgerübergreifenden Bedarfskonstellationen die Aufgaben einer Koordinierungsstelle übernehmen und Leistungen für hilfesuchende Menschen mit Behinderungen wie aus einer Hand erbringen. Die Träger der Sozialhilfe sollen unter Einbindung der Menschen mit Behinderung im Auftrag und im Namen der anderen Sozialleistungsträger handeln können, ohne Leistungsentscheidungen an deren Stelle treffen zu können. Die Rolle des Trägers der Sozialhilfe wäre vergleichbar mit der Rolle des Beauftragten im Verfahren zur Ausgestaltung trägerübergreifender Persönlicher Budgets entsprechend den einschlägigen Vorschriften der Budgetverordnung. Näheres ist noch nicht geklärt. Das muss natürlich noch geklärt werden. In diese Richtung wird zurzeit diskutiert. Vizepräsidentin Petra Pau: Die zweite Nachfrage. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sieht die Bundesregierung denn nicht das Risiko, dass der Sozialhilfeträger als beteiligter Kostenträger, also als beteiligte Partei im Verfahren, seine Steuerungsfunktion ausnutzt, indem er bei finanzwirksamen Entscheidungen darauf hinwirkt, dass diese nicht vorrangig ihn, sondern andere Leistungsträger betreffen? Wäre es insofern nicht sinnvoller, eine von den Kostenträgern unabhängige Steuerungsstelle einzurichten, wie das vom Prinzip her im SGB IX bei den gemeinsamen Servicestellen einmal angedacht war? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Das Problem ist der Fachwelt natürlich bekannt. Damit muss man umgehen. Deswegen habe ich hier ganz deutlich ausgeführt, dass diese Funktion ohne Leistungsentscheidung anstelle anderer erfolgen soll. So kann zwar das, was Sie zu bedenken geben, natürlich weiterbestehen und ist in der Praxis nicht immer auszuschließen. Das ist aber als eine Möglichkeit zu akzeptieren, damit wir hier auf diesem Weg vorankommen. Dass man in diesem Bereich nicht alle Probleme so wunderbar und lupenrein beseitigen kann, dass es nicht zu Konflikten kommt, ist uns allen bekannt. Deshalb müssen wir einen Weg gehen, der gewährleistet, dass die Probleme, die entstehen können, nicht auf dem Rücken der betroffenen Menschen ausgetragen werden. Die Menschen müssen eine Lösung bekommen, mit der sie leben können. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Kurth auf: Inwiefern gibt es innerhalb der Bundesregierung Überlegungen, analog zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 8. Dezember 2004 ein einkommens- und vermögensunabhängiges Bundesteilhabegeld für Menschen mit Behinderung einzuführen, das wesentliche Nachteilsausgleiche zusammenfasst, und wie bewertet die Bundesregierung die nunmehr gehäuft auftretenden Anträge der Sozialhilfeträger bei den Familienkassen auf Auszahlung des - anteiligen - Kindergeldes für volljährige und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch? Bitte, Herr Staatssekretär. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Im ersten Teil der Frage 37 geht es um das sogenannte Bundesteilhabegeld, das vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge schon länger gefordert wird. Ich darf Ihnen ganz kurz antworten: Beim Bundesteilhabegeld gibt es aus unserer Sicht nichts wirklich Neues. Im zweiten Teil Ihrer Frage geht es um die Abzweigung von Kindergeld zur Deckung der Sozialhilfeaufwendungen. Hierzu gab es in jüngerer Zeit neue Entscheidungen des Bundesfinanzhofs. In Teilen der Fachwelt entstand so die Befürchtung, dass sich daraus in der Praxis erhebliche Änderungen ergeben könnten. Aus unserer Sicht verhält es sich so, dass sich keine grundsätzliche Rechtsänderung anbahnt. Das stellt auch derjenige fest, der das Urteil genau liest. Vizepräsidentin Petra Pau: Erste Nachfrage, bitte. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär Fuchtel, der Bundesregierung ist aber bekannt, dass es Sozialhilfeträger gibt, die Hilfeempfänger bzw. deren Angehörige anschreiben und versuchen, das Urteil in diesem Sinne auszulegen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ja. Vielleicht trägt die heutige Debatte dazu bei, so etwas zurückzudrängen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Nachfrage, bitte. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die zweite Nachfrage betrifft die Idee des Teilhabegeldes. Sie sagen: Da gibt es nichts wirklich Neues. Immerhin böte ein Teilhabegeld in der Form, wie es dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge vorschwebt, die Möglichkeit einer gewissen finanziellen Beteiligung des Bundes, die sicherlich auch eine Voraussetzung für eine Einigung bei der Neuordnung der Eingliederungshilfe ist. Sieht die Bundesregierung nicht die Gefahr, dass dadurch, dass bestehende finanzielle Nachteilsausgleiche zurzeit Stück für Stück gekürzt werden - GEZ-Gebührenbefreiung, Blindengeld und dergleichen -, die nötige Manövriermasse, die den Kern eines neuen Teilhabegeldes bilden könnte, verloren geht? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Ich darf auf das quantitative Element zu sprechen kommen. Schon im Jahr 2004 hat der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge dargestellt, dass das Teilhabegeld den Bund 1,38 Milliarden Euro kosten würde. Das war im Jahr 2004. Angesichts der zwischenzeitlichen Entwicklungen würde eine Einführung dieses Teilhabegeldes also auf gar keinen Fall weniger kosten, sondern wir müssten mit höheren Kosten rechnen. Hierzu muss ich Ihnen sagen: Das wäre eine neue Sozialleistung, die sich nicht am individuellen behindertenspezifischen Bedarf orientiert und zum Beispiel auch finanziell bessergestellten Menschen mit Behinderungen genauso zugutekäme. Ich kann nicht erkennen, dass es in unserer Gesellschaft einen Trend gibt, pauschale Zahlungen in neuer Form wiederaufleben zu lassen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man das dem Steuerzahler irgendwie plausibel machen kann. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass ich keine Nachfrage mehr habe!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das tut mir leid; es ist Ihnen nicht möglich, hierzu noch eine Nachfrage zu stellen. Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Pothmer, die Fragen 40 und 41 des Kollegen Sarrazin, die Fragen 42 und 43 der Kollegin Hinz (Herborn), die Fragen 44 und 45 der Kollegin Haßelmann, die Frage 46 des Kollegen Seifert, die Fragen 47 und 48 der Kollegin Andreae sowie die Fragen 49 und 50 der Kollegin Wagner werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 51 des Kollegen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn auf: Welche Zahlen liegen der Bundesregierung vor, wie viele Menschen von der Heraufsetzung der abschlagsfreien Regelaltersgrenze für Erwerbsminderungsrente und Rente wegen Schwerbehinderung betroffen sein werden, und wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, die Altersgrenze für diese Personengruppen wieder auf 63 Jahre abzusenken? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Auf Ihre Frage möchte ich Folgendes antworten: Die Altersgrenze für den abschlagsfreien Beginn der Altersrente für schwerbehinderte Menschen wird ab dem Jahrgang 1952 stufenweise von 63 auf 65 Lebensjahre angehoben. Die Altersgrenze für eine frühestmögliche Inanspruchnahme wird analog vom 60. auf das 62. Lebensjahr erhöht. Es ist damit zu rechnen, dass im Jahr 2009 - das bezieht sich auf Ihre Frage nach der Anzahl der Betroffenen - gut 80 000 Personen auf diese Weise in Rente gegangen sind. Das entspricht hier ungefähr 9,3 Prozent der Versichertenrentenzugänge. Das Referenzalter für die Berechnung von Abschlägen bei Renten wegen Erwerbsminderung wird ebenfalls stufenweise vom 63. auf das 65. Lebensjahr angehoben. Für Rentenzugänge in jüngeren Jahren ergeben sich keine Veränderungen. Höhere Abschläge als nach bisherigem Recht können sich nur für Versicherte ergeben, die zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr in Erwerbsminderungsrente gehen. Auch die maximale Abschlagshöhe von 10,8 Prozent bleibt unverändert. Im Jahr 2009 sind knapp 175 000 Personen in Erwerbsminderungsrente gegangen. Darunter waren knapp 13 000 Personen - das sind 7,4 Prozent - im Alter von 60 bis 64 Jahren. Da das zukünftige individuelle Rentenzugangsverhalten nicht bekannt ist, kann über die Anzahl der von der geänderten Regelung in Zukunft betroffenen Personen keine Aussage gemacht werden. Zudem hängt die Anzahl der von der Anhebung des Referenzalters betroffenen Personen davon ab, bei wie vielen Rentenzugängen ab dem Alter 60 bei der Berechnung der Abschläge das bisherige Referenzalter von 63 Jahren angelegt wird, weil 35 bzw. 40 Pflichtjahre - Letzteres gilt ab dem Jahr 2024 - vorliegen. Eine Rückkehr zu der Altersgrenze von 63 - darauf bezieht sich Ihre Frage - ist nicht möglich. Die weiter steigende Lebenserwartung und die gleichzeitig sinkenden Geburtenzahlen - hiermit komme ich zu dem Thema, das in dieser Woche hier im Parlament noch eine Rolle spielen wird - machen die stufenweise Anhebung der Altersgrenze zu einer wichtigen Maßnahme, um die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung stabil halten und das Niveau der Rente sichern zu können. Deswegen ist aus unserer Sicht keine Veränderung vorgesehen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es auch aufgrund des Arbeitskräftemangels notwendig ist, dass wir diesen Weg gehen. Die besondere Situation der schwerbehinderten Menschen wird auch künftig besonders berücksichtigt, indem zwar die Altersgrenze für den abschlagsfreien Bezug von Altersrenten grundsätzlich auf 67 Jahre angehoben wird, aber schwerbehinderte Menschen die abschlagsfreie Altersrente schon mit 65 Jahren beantragen können. Somit wird auch künftig der zweijährige, bisher bekannte Abstand zur Regelaltersgrenze beibehalten. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Vielen Dank für die Antwort, Herr Fuchtel. - Bei gesunden Menschen kann man ja vortrefflich über die Anhebung der Altersgrenze streiten. Das werden wir dann morgen hier im Plenum auch tun. Bei der Rente mit 67 sind wir ja durchaus eher beieinander. Ich finde aber, bei Erwerbsgeminderten und Schwerbehinderten stellt sich die Situation ganz anders dar. Erwerbsminderung sucht man sich nicht aus. Und um dem Fachkräftemangel zu begegnen, auf den Sie verwiesen haben, nützen die Erwerbsgeminderten ja auch relativ wenig. Auch bei Schwerbehinderten handelt es sich um eine spezielle Gruppe. Sehen Sie es nicht auch so, dass es nicht zumutbar ist, dass Angehörige dieser Gruppe länger arbeiten sollen? Die Erwerbsgeminderten können ja gar nicht länger arbeiten; für diese stellt die Rente mit 67 tatsächlich eine reine Rentenkürzung dar. Halten Sie es tatsächlich für vertretbar, bei dieser Gruppe eine Rentenkürzung vorzunehmen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Wir haben bisher schon eine spezielle Situation bei der Bewertung. Ich habe gerade dargestellt, dass sich diese ganz großteilig auch weiterhin so zeigen wird - nur allerdings mit einer Verschiebung von zwei Jahren. Wenn dann eine entsprechend starke Erwerbsunfähigkeit gegeben ist, wenn beispielsweise eine Beschäftigung unterhalb einer bestimmten Zahl von Stunden am Tage nicht zumutbar ist, besteht natürlich die Möglichkeit, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen und auf diese Weise aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Es geht hier nicht nur darum, dass Leute frühestens mit 60, wie jetzt, bzw. in Zukunft mit 62 ausscheiden können, sondern auch künftig werden solche Leute zum Beispiel schon weit vor dem 60. Lebensjahr ausscheiden können. Es gibt hier Zurechnungszeiten; dann wird eben eine Rentenbewertung nach speziellen Regelungen durchgeführt. Vizepräsidentin Petra Pau: Die zweite Nachfrage, bitte. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Sie haben eben selber gesagt: Im Altersbereich zwischen 60 und 65 gibt es Einflüsse. Deswegen dazu - die Zahlen fand ich sehr interessant - noch eine Nachfrage: Warum kommen solche Zahlen nicht in dem Bericht vor, den wir morgen diskutieren? Es wäre doch eigentlich sehr gut, wenn man tatsächlich die Vor- und Nachteile der Rente mit 67 bzw. der Anhebung der Regelaltersgrenzen für die verschiedenen Renten ehrlich nennen würde, um eine offene Debatte führen zu können. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Die offene Debatte wird sicher von uns geführt werden. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie offensiv wir diese Debatte führen werden. Wir wissen heute, dass die Menschen länger gesund sind, dass sie in einer anderen körperlichen Verfassung als vor 20 Jahren sind. Da es immer nicht gesagt wird, sage ich es hier: Der Übergang kommt nicht an einem Tag von null auf hundert, sondern es ist jetzt ein langer Übergang vorgesehen; es wird bis zum Jahre 2029 dauern, bis die Endstufe erreicht sein wird. Überlegen Sie, was vor 20 Jahren war und was heute ist. Vielleicht machen Sie sich auch einmal Gedanken, was für Veränderungen in den nächsten 20 Jahren - in der Frage des Arbeitsprozesses, bei der Form der Ausgestaltung von Arbeit - noch eintreten können. Vor diesem Hintergrund ist auch zu sehen, dass wir nicht mehr von der Rente mit 67 reden, sondern dass wir von Arbeit bis 67 sprechen. Wir stellen also von uns aus ganz transparent und plakativ dar, dass wir diesen Prozess auch von der gesundheitlichen Seite her in ganz neuer Form mitgestalten müssen und auch alle Möglichkeiten prüfen werden, was man noch tun kann, um sogenannte gute Arbeit zu sichern und um auf diesem Wege dem Menschen zu helfen, dass er seine Arbeit bei guter Gesundheit verrichten kann. In der Zwischenzeit haben wir eine Fülle von Programmen auf den Markt gebracht. Es gibt seit 2004 das BEM; das war die erste Initiative, um das betriebliche Eingliederungsmanagement neu zu formen. Das gilt es jetzt umzusetzen. Wir haben das Programm INQA. Eine Vielzahl von Programmen wird also diesen Prozess begleiten und dann auch die entsprechenden Verbesserungen erbringen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Frage 52 des Kollegen Strengmann-Kuhn: Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus der Studie zum Stand der Umsetzung des im Jahr 2004 eingeführten Instituts des betrieblichen Eingliederungsmanagements, BEM, nach § 84 Abs. 2 SGB IX unter der wissenschaftlichen Projektleitung von Professor Dr. Dr. Mathilde Niehaus aus dem Jahr 2008 gezogen, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung in dieser Legislatur, um das dynamische Instrument BEM kontinuierlich weiterzuentwickeln? Bitte, Herr Staatssekretär. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Sie haben in dieser Frage ein Thema angesprochen, das uns sehr bewegt. Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement in Großbetrieben - das Institut BEM habe ich ja schon angesprochen - sehr wohl bereits an der Tagesordnung ist. Wir mussten aber feststellen, dass in vielen kleinen und mittleren Betrieben noch erhebliche Aufklärungsarbeit notwendig ist. Wir sind gerade dabei, dieses zu tun. Eine Vielzahl von Modellprojekten befindet sich zurzeit mit allen möglichen Akteuren in Arbeit - nicht in Diskussionen, sondern bereits in Arbeit. So wurden zum Beispiel Regionalstellen errichtet, um kleine und mittlere Unternehmen in Fragen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu unterstützen. Ohne zu viel Werbung für das Berufsförderungswerk Bad Wildbad zu machen, darf ich darauf hinweisen, dass dieses Berufsförderungswerk ein Projekt gestartet hat, in dem es darum geht, wie man dies überbetrieblich organisieren kann. Dadurch könnte es dazu kommen, dass das BEM in Zukunft auch in den anderen 25 Berufsförde-rungswerken, die es gibt, eine noch größere Rolle spielt, als es sie ohnehin schon spielt. Außerdem gibt es das Projekt "GundA". Hier kommt es zu einer Kooperation im Hinblick auf die Erfahrungen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Beratungspraxis machen. Es wird versucht, weitere Mitarbeiter für diese Arbeit aufzubauen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen zurufen: Bei diesem Thema können wir gemeinsam sicherlich sehr viel auf den Weg bringen. Das Beste, das die Abgeordneten dieses Parlaments tun können, ist, in die Betriebe zu gehen und dort für dieses Instrument zu werben. Vizepräsidentin Petra Pau: Haben Sie eine Nachfrage? - Sie verzichten. Die Fragen 53 und 54 des Kollegen Dr. Konstantin von Notz, die Fragen 55 und 56 der Kollegin Monika Lazar, die Fragen 57 und 58 der Kollegin Tabea Rößner, die Fragen 59 und 60 des Kollegen Tom Koenigs, die Fragen 61 und 62 der Kollegin Anette Kramme, die Fragen 63 und 64 der Kollegin Bärbel Bas, die Fragen 65 und 66 der Kollegin Sabine Zimmermann, die Fragen 67 und 68 des Kollegen Werner Dreibus und die Frage 69 des Kollegen Klaus Ernst werden schriftlich beantwortet. Damit kann ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär, bedanken. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen 70 und 71 der Kollegin Cornelia Behm und die Frage 72 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 73 und 74 des Kollegen Omid Nouripour werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 75 der Kollegin Katja Dörner und die Fragen 76 und 77 der Kollegin Caren Marks werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 78 der Kollegin Daniela Kolbe auf: Sind der Bundesregierung Organisationen bekannt, die nachweislich eine den Zielen des Grundgesetzes nicht förderliche Arbeit verrichten und gleichzeitig in der Vergangenheit aus Mitteln des Bundes, etwa aus dem Programm "Vielfalt tut gut" oder dessen Vorgängerprogramm, gefördert wurden, und, wenn ja, welche sind das? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. - Bitte. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: Träger, die nachweislich eine den Zielen des Grundgesetzes nicht förderliche Arbeit verrichten, sind von der Förderung grundsätzlich ausgeschlossen. Da sie ausgeschlossen sind, sind der Bundesregierung folglich auch keine Träger bekannt, die bei Vorliegen entsprechender Erkenntnisse gefördert worden sind. Wenn im Nachgang zu einer Förderentscheidung Erkenntnisse gewonnen wurden, dass verantwortliche Personen des geförderten Trägers Kontakte zu extremistischen Organisationen unterhalten haben, sind Konsequenzen gezogen worden. Ein Beispiel ist der Träger Muslimische Jugend, der auch hier schon Gegenstand der Debatte war. Die Bundesregierung wird ähnliche Vorgänge nach Vorliegen entsprechender Erkenntnisse auch weiterhin prüfen und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Grundsätzlich geht es darum, beteiligte Partner möglichst im Vorfeld dafür zu sensibilisieren, bei der Wahl von Kooperationspartnern usw. darauf zu achten, dass sich auch diese der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet fühlen. Daher wird in bestimmten Förderprogrammen auch verlangt, dass Träger geförderter Maßnahmen eine Bestätigung abgeben, nach der sie sich zur Grundordnung bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit leisten. Die Bestätigung soll auch für die Gefahren sensibilisieren, die sich aus einer Zusammenarbeit mit extremistischen Strukturen für das Engagement für Toleranz und Demokratie entwickeln können, zumal viele Träger beklagen, dass extremistische Strukturen versuchen, Organisationen zu unterwandern und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Ich kann Ihnen auf Nachfrage gern solche sowohl aus dem rechten als auch aus dem linken Spektrum nennen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie verzichten auf Nachfragen. Dann kommen wir zur Frage 79 der Kollegin Daniela Kolbe: Welche Gründe haben die Bundesregierung dazu bewogen, das in dem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Hermann Kues, vom 15. November 2010 an die Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erwähnte Projekt "Wir fahren nach Berlin - gegen Linksextremismus" des Trägers Junge Union als Modellprojekt auszuwählen, und welche Vorbildwirkung verspricht sich die Bundesregierung von "Wir fahren nach Berlin - gegen Linksextremismus"? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Antwort auf Ihre Frage: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert das Projekt "Wir fahren nach Berlin - gegen Linksextremismus" des Bundesverbandes der Jungen Union im Rahmen der Initiative "Demokratie stärken", die präventiv gegen islamischen Extremismus und Linksextremismus vorgeht. Die Initiative "Demokratie stärken" richtet sich mit pädagogischen Mitteln an Jugendliche. Auf diese Weise wollen wir erreichen, dass verfestigte Überzeugungen und Zugehörigkeiten aufseiten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gar nicht erst entstehen. Die Maßnahmen sollen das Verständnis für Demokratie, Menschenwürde und Toleranz stärken und extremistischen Tendenzen entgegenwirken. Das Projekt der Jungen Union ist dem Themen-cluster 1 "Bildungsprojekte mit jungen Menschen" mit besonderem Fokus auf die Bereiche Kultur, Religion, Identität, Demokratie und Menschenrechte durch interreligiöses Lernen, Partizipationsprojekte, politische Bildung zu gesellschaftpolitischen Fragen, Projekte zu Demokratieverständnis und Menschenrechten des Programms der Initiative "Demokratie stärken" zuzuordnen und ist eines von zurzeit 26 Projekten, die bereits begonnen haben oder in Kürze beginnen werden. Ziel des Projekts der Jungen Union ist es, jungen Menschen, die bereits Multiplikatoren in der Jugendszene darstellen, Wissen über Linksextremismus zu vermitteln. Dazu gehört zum Beispiel der Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Ich sage ausdrücklich dazu: Ob und inwieweit die konkrete Ausgestaltung und Durchführung des Projekts den der Förderungsentscheidung zugrundeliegenden Antragsunterlagen entspricht, wird derzeit vom Ministerium geprüft. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, aber Sie haben aus meiner Sicht noch nicht wirklich auf die Frage geantwortet, wie die Bundesregierung zu der Erkenntnis kam, dass der vorgelegte Antrag der Jungen Union "Wir fahren nach Berlin - gegen Linksextremismus" dem Anspruch eines Modellprojektes für die Prävention gegen Linksextremismus entspricht in dem Sinne, dass, wie Sie es auch gerade geschildert haben, junge Menschen davor bewahrt werden sollen, in extremistische Strukturen abzugleiten. Wie soll das gewährleistet werden? Ich frage noch einmal konkreter: Haben Sie die Sorge, dass die Zielgruppe - Mitglieder der Jungen Union und Menschen, die mit der Jungen Union nach Berlin fahren - in der Gefahr steht, in den Bereich des Linksextremismus abzugleiten? Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Vielleicht darf ich zunächst sagen: Wir fördern nicht nur die Junge Union als politische Jugendgruppe, wenn sie Anträge stellt und diese ins Konzept passen, sondern auch andere politische Jugendorganisationen. Die vorgelegten Antragsunterlagen waren Grundlage für die Entscheidung. Wir werden dem aber noch einmal ganz genau nachgehen, weil wir einige Hinweise bekommen haben, die für uns Anlass sind, das noch einmal im Einzelnen zu überprüfen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Nachfrage. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Ich muss noch einmal nachhaken: In Ihrer Förderrichtlinie geht es ja eindeutig darum, wie Sie beschrieben haben, eine bestimmte Zielgruppe, nämlich gefährdete Jugendliche, davor zu bewahren, in ein solches Spektrum abzurutschen. Ich kenne leider den Antrag der Jungen Union nicht; vielleicht hat sie das ja plausibel machen können. Wir reden hier über Modellprojekte und über relativ viel Geld, nämlich 2 Millionen Euro, die für einen bestimmten Bereich zur Verfügung gestellt werden. Das sind Steuergelder, und Sie müssen durchaus rechtfertigen, mit welcher Intention Sie hier Modellprojekte ins Leben rufen. Gerade diese Projekte sollen ja Modellcharakter für die zukünftige Arbeit haben. Vielleicht können Sie mir noch einmal plausibel erklären, worin der modellhafte Charakter einer Berlinfahrt der Jungen Union besteht. Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich habe gesagt, in diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Projekte gefördert, nämlich insgesamt 26. Hier ging es darum, wie man Jugendlichen Wissen über Linksextremismus vermitteln kann. Dass es ihn gibt, ist ja wohl unstrittig, genauso wie unstrittig ist, dass es einen Islamismus gibt. Dass sich auch die Junge Union, genauso wie andere politische Jugendorganisationen, bewerben kann, ist, glaube ich, völlig eindeutig. Die eingereichten Unterlagen haben den Anforderungen ganz offenkundig entsprochen. Wir gehen jetzt aber noch einmal genau der Frage nach, ob auch die konkrete Ausgestaltung der Reise den Antragsunterlagen entsprach. Das tun wir auch in anderen Fällen, in denen es um Wissensvermittlung im Komplex Extremismus geht. Das werden wir jetzt auch tun, und danach werden wir sagen können, ob die ganze Ausgestaltung dem Konzept, das wir zugrunde gelegt haben, tatsächlich entspricht. Vizepräsidentin Petra Pau: Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden wie immer schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Schlichtungsspruch zum Bahnprojekt Stuttgart 21 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Thomas Strobl für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Schlichtungsverfahren zu Stuttgart 21 war ein demokratiepraktischer Feldversuch mit offenem Ausgang. (Uwe Beckmeyer [SPD]: "Feldversuch"!) Er wurde von vielen zunächst kritisch beäugt und von sehr vielen im Fernsehen und im Internet interessiert verfolgt. Was ist nun das Ergebnis? - Schön, dass wir darüber geredet haben? Ein Hornberger Schießen? Nein! Die Schlichtung war kein Gesprächsplacebo zur Lageberuhigung, sie zeitigt auch keine Gewinner und Verlierer, aber sie ist ein Erfolg für unsere Demokratie und für die Bürgerinnen und Bürger, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und zwar in dem Sinne, dass einige wichtige Lehren daraus zu ziehen sind. Doch zunächst sei gesagt: Dieser Erfolg ist vor allem einer Person zu verdanken, die, das möchte ich sagen, von den Grünen ins Spiel gebracht, von Ministerpräsident Stefan Mappus entschieden vorgeschlagen und von allen Parteien im Landtag von Baden-Württemberg und allen Gesprächsbeteiligten akzeptiert wurde: unserem ehemaligen Kollegen Heiner Geißler, der auch im hohen Alter noch unermüdlich ist. Aus ganzem Herzen und, ich vermute, im Namen des ganzen Hauses sage ich: Lieber Herr Dr. Geißler, Sie haben unseren großen Respekt für diese Leistung und unseren herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben aber nicht nur von Heiner Geißler, sondern wir haben auch aus dem Prozess gelernt: Erstens. Wir haben verstanden, dass wir insbesondere bei Großprojekten um die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger in anderer Art und Weise werben und die Bürgerinnen und Bürger in anderer Art und Weise mitnehmen müssen. Einen Kommunikations-GAU wie Stuttgart 21 darf es nie wieder geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens. Wir haben verstanden: Bei Stuttgart 21 wird es konkrete Nachbesserungen geben. Ministerpräsident Mappus hat heute Vormittag noch einmal klipp und klar gesagt: Alle Vorschläge werden konsequent und transparent geprüft und, wo nötig, umgesetzt. - Ich möchte den S-21-Kritikern Dank sagen, die sich im Verlauf des Verfahrens konstruktiv eingebracht und gute Vorschläge gemacht haben. Drittens. Wir haben verstanden: Wir müssen unsere Planungsverfahren hinsichtlich der Bürgerbeteiligung kritisch hinterfragen. Dabei muss die Vorgabe klar sein: beteiligen und beschleunigen. Das ist kein Widerspruch. Es darf nicht sein, dass ein Verfahren wie Stuttgart 21 15 oder 20 Jahre dauert. Deswegen heißt die klare Vorgabe: beteiligen und beschleunigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD]) - Ich komme gleich zu Ihnen. Was nun gar nicht geht, ist, dass diejenigen, die als Erste Heiner Geißler als Schlichter ins Gespräch gebracht haben, nach dem Ende der Schlichtungsveranstaltung sofort an Schlichtung und Schlichter herummäkeln. Ausgerechnet die, die schon immer mehr Bürgerbeteiligung wollten und Heiner Geißler als Erste ins Gespräch gebracht haben, sind jetzt gegen Schlichtung und Schlichter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lackmus hat die Farbe Rot. Der Inkonsistenztest hat die Farbe Grün. Die Grünen sind die wahrhafte Dagegen-Partei: jetzt auch gegen Schlichtung und Schlichter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die SPD ist nicht besser. Sie bezeichnet die Schlichtung als Show, als unverständlich und ungeeignet. Die SPD findet jetzt, dass der Schlichter Heiner Geißler, den die SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg noch freudig begrüßte, zu kurz gesprungen ist, und hält ihn für - man höre und staune - einseitig und unglaubwürdig. (Zuruf von der CDU/CSU: Das gibt's doch nicht!) Das ist dieselbe SPD, die immer mehr Beteiligung will, die Heiner Geißler gutgeheißen hat und mit ihm völlig einverstanden war. Das ist die Dafür- und Dagegen-SPD, nicht Fisch und nicht Fleisch. Sie ist selber unglaubwürdig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Uwe Beckmeyer [SPD]: Hören Sie mal langsam auf mit Ihrer Polemik! Kommen Sie mal zur Sache! - Weiterer Zuruf von der SPD: Abstimmung!) Kommen Sie mir jetzt nicht mit Volksbefragungen, meine Damen und Herren. Wenn Sie sich schon jetzt, wo es im Grunde um ein paar Kilometer Schienen und einen Bahnhof geht, wie trotzige Kinder verhalten, wie wohl erst dann, wenn, um den Blick in die reale Abstimmungswelt der von Ihnen oft und gerne zitierten Schweiz zu richten, das deutsche Volk in einer Volksabstimmung ein Minarettverbot oder eine Ausschaffungsinitiative beschließen würde? Die Ratlosigkeit der SPD angesichts solcher Volksbefragungen kann ich mir vorstellen. Sie wäre dann sehr schnell wieder so weit: im Grunde dafür, aber dann doch dagegen. Wer aber sehr schnell gegen solche Volksbefragungen wäre, ist klar: unsere grünen Stars. Deshalb Vorsicht an der Bahnsteigkante! Um es mit den Worten des Großlateiners Heiner Geißler zu sagen: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. Was auch immer du tust, tu es klug und bedenke das Ende. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte Helmut Kohl kürzer gesagt: Entscheidend ist, was hinten rauskommt!) Beherzigen Sie es, meine Damen und Herren von der Opposition! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Danke fürs Zuhören. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Lange für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Lange (Backnang) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist vollbracht: Der sogenannte Schlichterspruch ist gesprochen. Das Demokratieexperiment hat funktioniert. Stuttgart 21 kommt, und es wird erweitert. Im Bahnhof selbst wird die Verkehrssicherheit im Interesse von Behinderten, Familien mit Kindern, älteren und kranken Menschen entscheidend verbessert. Für das Streckennetz wird die Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein neuntes und zehntes Gleis und zugleich eine zweigleisige Anbindung des Flughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke sowie eine zweigleisige und kreuzungsfrei angebundene Wendlinger Kurve und die Anbindung der bestehenden Ferngleise von Zuffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof gefordert. Aber eines sagt der Schlichter nicht: Wer soll das bezahlen? Die SPD begrüßt diese Verbesserungsvorschläge. Doch wenn diese Aktuelle Stunde einen Sinn haben soll, dann den, dass CDU/CSU und FDP heute erklären, dass sie bereit sind, die möglichen Mehrkosten, egal ob 170 Millionen oder gar 500 Millionen Euro und mehr, im Bundeshaushalt unterzubringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich rufe Sie auf: Bekennen Sie sich, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP! Denn eines darf nicht das Ergebnis des gelungenen Demokratieexperiments sein, nämlich dass Sie den sogenannten Stresstest für den geplanten Bahnknoten bis über den 27. März hinauszögern und nicht sagen, wie Sie die möglichen Mehrkosten finanzieren wollen. Denn dann würden die Menschen in Baden-Württemberg erneut getäuscht. Ich habe berechtigte Gründe, das hier zu sagen. Im ZDF etwa sagte Herr Mappus - ich zitiere -: Ich kann im Moment noch nicht erkennen, wo 500 Millionen Mehrkosten notwendig sein sollten. Es könne auch möglich sein, dass gar keine Mehrkosten - ich betone: gar keine - entstehen. Frau Gönner sagte heute Morgen, wenige Stunden nach dem Schlichterspruch: Das Schweizer Unternehmen, das den Stresstest durchführen soll, hat bereits gesagt, sie sehen nicht das neunte und zehnte Gleis als notwendig an. Wenige Stunden - ich hätte fast gesagt: Minuten - nach dem Schlichterspruch hieß es: Die Dauer des Stresstests ist laut der Landesverkehrsministerin schwer zu schätzen, es würde aber mehrere Monate dauern. Weiterhin wurde über eine Äußerung von Herrn Kefer von der Deutschen Bahn AG berichtet: Die Ergebnisse des in der Schlichtung vereinbarten Stresstests zur Leistungskapazität des geplanten Bahnknotens werden Kefer zufolge erst Mitte kommenden Jahres vorliegen. Sie spielen auf Zeit. Unterlaufen Sie nicht den Schlichterspruch! Ergebnisse müssen vor der Landtagswahl auf den Tisch, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr gerne!) Die Bundesregierung in Person von Herrn Ramsauer lässt die Mehrkosten prüfen, doch es gibt kein Wort über die Pflicht des Bundes, für diese Kosten einzustehen. Ich rufe Sie auf: Führen Sie das Schlichterergebnis nicht aus wahltaktischen Gründen ad absurdum. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Nicht verschweigen will ich, dass, wenn schon kein Kompromiss zwischen Tiefbahnhof und K 21 zu erwarten war, wenigstens eine Befriedung möglich gewesen wäre. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sind Sie dafür oder dagegen?) Deshalb sage ich: Herr Geißler hat eine Chance versäumt, mit einem Volksentscheid eine Brücke für beide Seiten zu bauen. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Das geht doch gar nicht!) Ich sehe in seiner Ablehnung im konkreten Fall von Stuttgart 21 einen deutlichen Widerspruch zu seiner Forderung, die Bevölkerung stärker bei Entscheidungen über Großprojekte einzubeziehen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt dafür oder dagegen?) Wenn Geißler tatsächlich die Bürger stärker einbeziehen will, hätte er dies doch gerade bei einem solchem Konfliktthema wie Stuttgart 21 empfehlen müssen, wie es ihm Herr Dr. Schmid vorgezeichnet hat. Im Übrigen belegen zwei Rechtsgutachten genau diesen Weg. Es freut mich, dass sich jetzt auch die baden-württembergische Landtagsfraktion der Grünen für eine Volksabstimmung ausgesprochen hat, nachdem sie sich im Landtag noch der Stimme enthalten hat. Ein letztes Wort zum Schlichterspruch. Die SPD teilt die Auffassung ausdrücklich, dass Stuttgart 21 nur dann einen Sinn hat, wenn gleichzeitig die Neubaustrecke Ulm-Wendlingen verwirklicht wird. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Seid Ihr eigentlich noch dafür?) Doch während der Schlichterphase hat Bundesverkehrsminister Ramsauer seinen Bedarfsplan für die Infrastruktur in Deutschland veröffentlicht. Dabei zeigte sich, dass seine Pläne weit größer sind als seine finanziellen Mittel. Deshalb sage ich auch an dieser Stelle: Bekennen Sie sich! Setzen Sie Prioritäten und sagen Sie, was dafür wegfällt, oder aber erhöhen Sie Ihren Etatansatz! Auch hier gilt: Alles auf den Tisch und alle an einen Tisch! Tun Sie dies nicht, steht fest: Am 27. März 2011 werden Ihnen die Bürgerinnen und Bürger dies, da bin ich mir sicher, nicht durchgehen lassen. Dieser Stresstest, meine Damen und Herren von FDP und CDU, steht Ihnen noch bevor. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Für was steht jetzt die SPD? Seid ihr dafür oder dagegen?) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Döring das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Döring (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir schon einige Debatten über dieses Thema hier, wie ich finde, durchaus verantwortungsbewusst und konstruktiv geführt haben, muss ich mich doch über die vorangegangene Rede des Kollegen sehr wundern. (Zuruf von der CDU: Wir uns auch!) Ich persönlich glaube, dass es nach diesem erfolgreichen Projekt, nach diesem langwierigen Faktenfindungsverfahren und nach den Ergebnissen, die jetzt auf dem Tisch sind, klug ist, nicht den Eindruck zu erwecken, man hätte über Dinge sprechen sollen, die nicht Auftrag der Schlichtungskommission waren. Es wäre für eine verantwortungsbewusste Fraktion in diesem Haus auch klug, sich keine Fantasiezahlen zu eigen zu machen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es wäre vor allen Dingen gut, von einem früheren Kollegen, der in dieser Angelegenheit eine große Leistung vollbracht hat, nicht zu verlangen, Dinge zu empfehlen, die rechtlich nicht durchsetzbar sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist einfach unvernünftig und wird der Arbeit und der Mühe der Gegner von Stuttgart 21 wie auch des Schlichters nicht gerecht, wenn wenige Minuten nach dem Schlichterspruch zu weiteren Protesten aufgerufen und davon ausgegangen wird, dass das alles nichts gebracht hat. Das bringt uns doch in der Sache nicht weiter. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe das Gefühl, dass die Beteiligten in diesem Schlichtungsverfahren mit ihrer Rolle verantwortungsvoller umgehen als die linke Seite dieses Hauses heute. Ich finde es nicht angemessen, dass schon jetzt, bevor überhaupt eine einzige Prüfung der Vorschläge stattfinden konnte und bevor entschieden wurde, ob ein oder zwei Gutachter den Stresstest durchführen, verlangt wird, alles müsse nun schnellstmöglich und sofort passieren. Ich hätte gerne die Rede des Kollegen Lange hier gehört, wenn die Bahn schon wüsste, welcher Gutachter das bis Februar berechnen soll. Dann hätten Sie uns vorgeworfen, wir würden im Schweinsgalopp ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag geben. Das ist doch scheinheilig, was hier passiert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das können Sie dem Ticker entnehmen, wie die Firma heißt!) Das Gleiche gilt im Hinblick auf die sich in der Diskussion befindlichen Mehrkosten. Die Vorschläge, die gemacht wurden, werden geprüft und durchgerechnet. Wenn Sie den Schlichtungsprozess genau verfolgt haben, wissen Sie, dass die Bahn mehrfach darauf hingewiesen hat, dass Reserven in der Finanzierung von Stuttgart 21 eingerechnet sind. Man kann nach wie vor viele Dinge innerhalb des bestehenden Finanzierungsrahmens realisieren. Es hat keinen Zweck, jetzt Finanzierungsvereinbarungen für Dinge zu verlangen, die weder konkret noch berechnet und gezeichnet sind oder für die vielleicht sogar das Planfeststellungsverfahren verändert werden müsste. All das muss man sich anschauen. Das tun wir verantwortungsbewusst. Wir erwecken aber nicht den Eindruck, wir hätten es schon immer gewusst oder wüssten jetzt, wer das für uns macht. Ich weiß, was Sie uns dann vorwerfen würden. Wir gehen jedenfalls verantwortungsbewusst mit dem Ergebnis dieses Schlichtungsverfahrens um. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will aber auch nach vorne schauen. Die Politik kann zwei Lehren aus diesem Verfahren ziehen. Wir alle haben bemerkt, dass die Planungen beschleunigt werden müssen; hier besteht Verbesserungsbedarf. Ich glaube, wir alle in diesem Haus können zusammen mit den Bundesländern für eine deutliche Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren sorgen und sie transparenter machen. Wir sollten dafür werben, zu Beginn großer Infrastrukturprojekte die Bürger zu befragen und sie abstimmen zu lassen, ähnlich wie es in der Schweiz beim Gotthard-Basistunnel erfolgt ist. Es ist ebenfalls vorstellbar, die Anhörungen im Rahmen der Planfeststellungsverfahren zu Verfahren mit echter Bürgerbeteiligung unter Leitung eines neutralen Moderators weiterzuentwickeln. Ich finde, man kann aus dem Mediationsverfahren zu Stuttgart 21 lernen. Man darf ganz sicher nicht den Fehler machen, ein solches Verfahren bei jeder Ortsumgehung anzuwenden. Aber vor großen infrastrukturpolitischen Entscheidungen sollten wir die Möglichkeiten, die bei Stuttgart 21 deutlich geworden sind, nutzen und den Dialog mit den Bürgern offensiv suchen. Die Bundesrepublik Deutschland muss sich für ihre Infrastrukturplanungen nicht schämen und sucht die Beteiligung der betroffenen Menschen. Das ist ein gutes Ergebnis der jetzt zu Ende gegangenen Schlichtung, wie ich finde. Wir sollten gemeinsam an der Realisierung dieses guten und leistungsfähigen Infrastrukturprojekts Stuttgart 21 arbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Leidig das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Werte Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich fürchte, dieser Schlichterspruch ist ein Lehrstück der ganz besonderen Art. Die Bürgerinnen und Bürger haben nämlich gelernt, dass sie zwar mitreden und mitdiskutieren können, dass sie aber dann, wenn es um Mitbestimmung und Entscheidungen geht, in die Zuschauerrolle verbannt werden. Ist also der Souverän doch kein Citoyen, sondern ein TV-Konsument? Ich finde das Ergebnis, das bei diesem Schlichtungsprozess herausgekommen ist, ziemlich bedrückend. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ich glaube, sie fängt gleich an, zu weinen!) Ich versichere Ihnen: Die Leute, die in Stuttgart monatelang auf die Straße gegangen sind, fühlen sich beschissen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten über Monate auf der Straße gestanden, Sie hätten mit all der Kraft Ihrer Argumente und Ihrer Überzeugung durchgesetzt, dass nach Jahren endlich ein Prozess der Transparenz angestoßen wird und endlich die Fakten auf den Tisch kommen. Das war mühsam. Zehntausende haben über Monate hinweg diesen Schritt durchgesetzt, erzwungen. Denn es wurde ihnen nicht angeboten, über dieses Projekt zu diskutieren, (Birgit Homburger [FDP]: Doch! Selbstverständlich!) sondern die Diskussionen wurden durch die Demonstrationen und das bürgerschaftliche Engagement, das die Leute auf der Straße gezeigt haben, durchgesetzt. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Zerrbild des Prozesses!) Was wir bei dieser Schlichtung, die sich über viele Runden erstreckt hat, zur Kenntnis genommen haben, waren unheimlich viele neue Tatsachen, die auch dem Parlament bis dahin unbekannt waren. Ich will Ihnen noch etwas sagen: Der Schlichterspruch besagt im Kern auch, dass Stuttgart 21 ein schlechtes, ein unnützes und ein viel zu teures Projekt ist und dass das Alternativmodell viel sinnvoller wäre. Herr Geißler sagt in seinem Schlichterspruch, dass er trotzdem dafür ist, dass das schlechte, unsinnige und milliardenteure Projekt umgesetzt wird, weil die Bahn es erzwingt, indem sie mit einer Klage droht, und weil die Herrschenden nicht bereit sind, den besseren Argumenten nachzugeben. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die Bahn sind "die Herrschenden"? Um Gottes Willen!) Das ist ein demokratischer Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Wenn die Macht immer am längeren Hebel sitzt, dann ist die Demokratie verloren. Ich sage Ihnen: Wir werden das nicht zulassen, und die Leute werden es sich nicht gefallen lassen. Wir werden weiter auf die Straße gehen und mit allen friedlichen Mitteln für volkswirtschaftliche Vernunft und dafür eintreten, dass das Volk der Souverän ist und nicht Herr Geißler, und schon gar nicht die Bahn. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Hermann das Wort. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU-Fraktion! Sie haben ausdrücklich angesprochen, wie wir auf den Schlichterspruch von Heiner Geißler reagiert haben. Ich will Ihnen in aller Klarheit sagen: Auch wir schätzen die Leistung des Schlichters Heiner Geißler außerordentlich. Das habe ich ihm auch persönlich gesagt. Daran kann kein Zweifel bestehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das passt aber nicht ganz zusammen! Wieder nicht konsequent!) Allerdings war diese Schlichtung von Anfang an als Fachschlichtung und nicht als Ergebnisschlichtung gedacht, und es war völlig klar, dass sein Entscheid bzw. seine Empfehlung am Ende nicht bindend sein kann, sondern diese höchstens auf der psychologisch-politischen Ebene für eine weitere Entwicklung sorgen kann; denn er kann keine Entscheidung fällen, deren daraus entstehenden Kosten andere, beispielsweise der Bund, bezahlen müssen. Insofern bleibt die Politik gefragt. Die Politik muss entscheiden. Wir nehmen den Schlichterspruch von Heiner Geißler ernst. Wir sind enttäuscht, weil wir etwas anderes erwartet hätten. Auch darüber kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Aber wenn Sie den Text in voller Länge und genau lesen, dann werden Sie sich wundern. Sie, die für Stuttgart 21 sind, können mit diesem Text nicht glücklich werden. Heiner Geißler hat nicht gesagt, wir müssten Stuttgart 21 bauen, weil das das bessere Projekt sei, sondern deshalb, weil es so weit fortgeschritten sei. Heiner Geißler hat weiterhin gesagt, er könne Stuttgart 21 nur als Stuttgart-21-plus gutheißen. Zu diesem Plus gehört eine ganze Reihe von bedeutenden Bedingungen. Die erste Bedingung ist: Nur wenn ein Stresstest bestanden wird und der neue Bahnhof 30 Prozent mehr Leistung in den Spitzenzeiten erbringen kann als der bisherige Kopfbahnhof, dann kann er dem Projekt zustimmen. Weitere Bedingungen sind: Nur wenn ein neuntes und ein zehntes Gleis gebaut werden, kann er zustimmen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das hat er ausdrücklich so nicht gesagt! Das ist falsch zitiert!) Nur wenn am Flughafen zweigleisig kreuzungsfrei eingeschleift wird, nur wenn die Gäubahn nicht abgebaut, sondern erhalten und neu eingeschleift wird, nur wenn Barrierefreiheit garantiert wird, nur wenn ein besseres Sicherheitskonzept erarbeitet wird, nur wenn die unterirdischen Sicherheitsstollen barrierefrei sind und man sicher herauskommt, kann er zustimmen. Wenn Sie alle diese Bedingungen erfüllen wollen, dann müssen Sie dieses Projekt zu einem erheblichen Teil neu planen, ein neues Planfeststellungsverfahren beginnen und ganz neue Rechnungen aufmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Das weißt du jetzt schon alles!) Es ist keine Kleinigkeit, ein neuntes und zehntes Gleis zu bauen. Alle Experten sagen, dass diese Forderungen in der Summe mindestens 500 Millionen Euro Mehrkosten ausmachen, wahrscheinlich sogar 1 Milliarde Euro. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das sind doch Mondzahlen!) Wenn man das alles ernst nimmt, dann stellt sich natürlich die Frage: Wer soll das bezahlen? Dann stellt sich auch die Frage: Wird die Bahn, die gesagt hat, dass sie bei 4,5 Milliarden Euro aussteigt, wirklich aussteigen, wenn das Projekt 500 Millionen Euro mehr kostet? Dann reißt sie nämlich die Latte. Wird der Bund bei seiner Aussage bleiben, dass er nicht mehr als bisher zahlt? - Wer soll dann diese Finanzierungslücke schließen? Kommen wir zur Neubaustrecke. Da sieht es noch schlimmer aus. Bei der Neubaustrecke ist nicht annähernd so gründlich geprüft worden, aber es ist klar geworden, dass ein hohes Kostenrisiko vorliegt. Das trägt alleine der Bund. Der Bundesverkehrsminister weiß ebenso gut wie ich, dass er nicht die 2,8 Milliarden Euro im Etat hat, die jetzt als Kosten für die Strecke anfallen, sondern nur 950 Millionen Euro, die sich auf die 2-Milliarden-Euro-Kalkulation gründen. Die anderen 900 Millionen Euro sind, genauso wie sämtliche Mehrkosten, noch nicht finanziert. Zusammenfassend muss man sagen: Vieles ist noch nicht finanziert. Das wirft gravierende neue Fragen auf und wird neue Debatten auslösen. Wer jetzt sagt "Wir machen weiter; schön, dass es dieses Schlichtungsgespräch gegeben hat; wir haben gelernt; wir werden es zukünftig anders machen", der hat eben nicht gelernt. Man muss jetzt ernsthaft eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung durchführen. Dann wird man mit ziemlicher Sicherheit feststellen müssen, dass dieses Projekt nicht wirtschaftlich ist. Es ist und bleibt ein politisch durchgedrücktes Projekt, das aber verkehrlich und wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bei diesem Projekt handelt es sich um ein Kirchturmprojekt in Baden-Württemberg: Es werden Milliarden eingefordert, ohne dass es für das Gesamtsystem einen Nutzen hat. Wir Grüne sind als Bahnpartei schon immer gegen dieses Projekt gewesen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Immer dagegen!) - Ja, dagegen, weil wir für eine bessere Bahn sind; dagegen, weil wir für "oben bleiben" sind; dagegen, weil wir dieses Konzept für nicht durchführungsfähig halten, weil es nichts taugt und weil es schlechter ist als der Kopfbahnhof. Das ist der Punkt. Wir sind gegen eine verfehlte Planung und für ein besseres Konzept, nämlich für K 21. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist die Dagegen-Partei, jawohl! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Immer dagegen!) - Im Moment schreien Sie dagegen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir schreien nicht! Wir reden nur laut!) Noch eine Anmerkung zum Demokratieverfahren. Herr Döring, ich gebe Ihnen in einem Punkt grundsätzlich recht: Es ist völlig aberwitzig, dass wir am Ende eines langen Prozesses solche grundsätzlichen Debatten führen. Das liegt daran, dass unser Planungsrecht vollkommen falsch gewickelt ist. Zukünftig müssen wir bei Großprojekten schon zu Beginn eine offene Debatte führen, alle Alternativen offenlegen, durchrechnen und darüber in der Gesellschaft diskutieren. Dann muss es zur Entscheidung kommen, und dann muss die Finanzierung abgesichert werden. Wenn sich die Bevölkerung dann für ein Projekt entscheidet, dann kann man sich an die Feinplanung begeben und das Planfeststellungsverfahren im Detail angehen. Das wäre der richtige Weg, das wäre die Konsequenz. Wir brauchen ein anderes Planungsrecht, wir brauchen eine andere Planungskultur, damit wir zukünftig zu einem demokratischen Verfahren bei Groß-, aber auch bei kleineren Projekten kommen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war ein guter Tag für Deutschland und für meinen Wahlkreis Stuttgart I, weil erstens ein wichtiges Infrastruktur- und Zukunftsprojekt nach einer in dieser Intensität noch nie dagewesenen Vorabprüfung als sinnvoll und plausibel bestätigt wurde und weil wir zweitens in Stuttgart ein völlig neues öffentliches Verfahren mit großem Gewinn für die Demokratie abgeschlossen haben. Vor diesem Hintergrund begrüße ich den gestrigen Schlichterspruch ausdrücklich. Um es vorwegzunehmen: Die Schlichtung weist am Ende keine Gewinner und keine Verlierer aus. Alle Seiten haben viel gelernt. Die Schlichtung hat maßgeblich zu einer Versachlichung und Deeskalation beigetragen. Vor allem aber wurde verloren gegangenes Vertrauen in Politik und Projektträger zurückgewonnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Daher war die Schlichtung auch ein Erfolg für die politische Kultur insgesamt. Sie war ein gelungener Versuch, ein hochkomplexes Thema so aufzuarbeiten, dass Bürgerinnen und Bürger zu einem eigenen Urteil finden können. Auch das weitere Ziel des Verfahrens wurde erreicht: Transparenz politischer und planerischer Entscheidungen. Diesen Punkt sollten wir wirklich nicht kleinreden. In einer von Medien dominierten Welt ist eine gelingende politische Kommunikation die große Herausforderung der Zukunft. Unser Anspruch muss sein, zunehmend komplexe Themen allgemeinverständlich zu vermitteln und nachvollziehbar zu machen. Auch das ist eine Erfahrung aus dieser Schlichtung. Neue Formen der Bürgerbeteiligung und Bürgerinformation sind in der Diskussion. Das Land Baden-Württemberg hat heute hierzu im Rahmen eines Sieben-Punkte-Programms die Einrichtung einer Enquete-Kommission zur modernen Ausgestaltung der repräsentativen Demokratie angekündigt. Das ist ein guter Weg, wie ich meine. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir tun was!) Zum Ergebnis der Schlichtung im Einzelnen. Die Schlichtung hat große Stärken, aber auch kleinere Schwächen des Projekts zutage gefördert. Insofern gab es einen hilfreichen Beitrag der K-21-Befürworter in der Schlichtung. Insgesamt gilt unser aller Lob dem konstruktiven Dialog aller Beteiligten. Ein großes Dankeschön geht an - es wurde gesagt - Heiner Geißler für seine beispielhafte Gesprächsführung. Heiner Geißler ließ in seinem Schlichterspruch keinen Zweifel daran, dass Stuttgart 21 gebaut werden soll und dass ein Umschwenken auf K 21 nicht zu verantworten ist. Stuttgart 21 soll noch attraktiver, sicherer, familien- und behindertenfreundlicher werden. Stuttgart 21 soll auch ein ökologisches Vorzeigeprojekt werden. Insgesamt hat Heiner Geißler seine Vision von einem optimierten Stuttgart 21 als "Stuttgart-21-plus" bezeichnet. Zentral für die Entwicklung des neuen Stadtquartiers wird sein, dass die frei werdenden Flächen in eine Stiftung mit eindeutigem Stiftungszweck überführt werden. Das ist eine sehr gute Lösung, wie ich meine. In Hamburg hat man sehr positive Erfahrungen gemacht. Die Stadt hat bereits mit einem Stadtentwicklungsprojekt Rosenstein unter breiter Bürgerbeteiligung begonnen. Ich darf noch einmal auf die verkehrliche Dimension eingehen. Der geforderte Stresstest wird von der Bahn zügig angegangen; das wurde heute schon verlautbart. Sollte es dabei nicht zu den geforderten 30 Prozent Leistungssteigerungen zur Spitzenlaststunde kommen, dann - wohlgemerkt, nur dann - sind entsprechende Verbesserungsmaßnahmen vorgesehen. Dies wird von der neutralen SMA und Partner AG im beiderseitigen Einverständnis - das wurde am Schlichtungstisch vereinbart - überprüft. Der Schlichterspruch stellt im Übrigen auch an den Bund eine Forderung: Die noch offenen Planfeststellungsverfahren müssen zügig fortgeführt werden. In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, dass die Projektgegner in den Schlichtungsgesprächen ein Alternativkonzept Bahnhof 21 vorgestellt haben, das ebenfalls eine Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm vorsieht. Wenn Sie von der Dagegen-Partei nicht Ihre Ablehnung zu Stuttgart 21 aufgeben können, dann bekennen Sie sich doch bitte endlich eindeutig zur vorgesehenen Neubaustrecke, die Ihr Gegenkonzept offensichtlich ebenfalls vorsieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da sind sie jetzt auch dagegen!) Sinnvoll ist darüber hinaus der Vorschlag von Heiner Geißler, eine situationsbedingte oder begleitende Bürgerbeteiligung während des Baus von Stuttgart 21 vorzusehen. Ich darf an die Grünen appellieren, doch noch einzulenken. Herr Hermann, Sie haben die gesamte Schlichtung hier vom Tisch gewischt. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ernst genommen!) Sie haben den runden Tisch für die Schlichtung vorgeschlagen. Sie haben Heiner Geißler als Schlichter vorgeschlagen. Sie haben das gewählte Verfahren akzeptiert, und nun wollen Sie das Ergebnis nicht mittragen. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt, ob Sie das mittragen, was da drinsteht!) Als Ausweg aus Ihrem Dilemma plädieren Sie nun wie auch die Linke und die SPD für eine Volksabstimmung und rufen munter zu neuerlichen Protesten und Demonstrationen auf. Durch eine Volksabstimmung und ein Abwarten bis zur Landtagswahl würde aber rein gar nichts gewonnen. Sie würden das Projekt, selbst wenn Sie Regierungspartei würden (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nein, das kommt nicht infrage!) und sich die Mehrheit in einer Volksabstimmung gegen Stuttgart 21 aussprechen würde, nicht stoppen können. Das hat Renate Künast hier in der Haushaltsdebatte auf eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht ausdrücklich nochmals bestätigt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wir werden alles tun, um das zu verhindern!) - Ja, Sie, Frau Künast. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich schon positionieren. Eine Flucht in eine Volksabstimmung befreit Sie nicht aus Ihrem Dilemma und im Übrigen auch keine albernen Kleinen Anfragen an die Bundesregierung zum Vorkommen und Schutz des Juchtenkäfers im Stuttgarter Schlossgarten. Kehren Sie also bitte zum sachlichen Dialog zurück und kommen Sie aus Ihrem Schmollwinkel. Mein letztes Wort gilt Ihnen von der SPD. Auch Ihr fast schon blindes Festhalten an einer zudem unzulässigen Volksabstimmung (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ist doch Quatsch! Machen Sie sich mal rechtlich kundig!) ist spätestens nach der Schlichtung anachronistisch. Bekennen Sie Farbe und sagen Sie endlich, ob Sie für oder gegen Stuttgart-21-plus sind! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Durchs juristische Staatsexamen gefallen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kumpf für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ute Kumpf (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es gleich unspannend machen, Herr Kollege Kaufmann und Herr Kollege Strobl: Die SPD ist für Stuttgart 21. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die Frage ist, wie lange noch!) Im Unterschied zu Ihren Vorstellungen wollen wir die Befriedung über einen Volksentscheid herbeiführen. Das ist der wesentliche Unterschied. (Beifall bei der SPD) Was wir jetzt erleben, ist dies: Die Schlichtung ist vorbei, aber nicht am Ende. Das zeigt sich auch daran, wie wir hier miteinander umgehen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Volksabstimmung ist rechtswidrig!) Wir hätten lernen müssen. Das hat auch Kollege Döring gesagt. Es war bewundernswert, wie sich die Leute stundenlang vor dem Fernseher aufgehalten und die ganze Fachdebatte mit verfolgt haben. Ich sage Dank von unserer Seite dafür, wie von Herrn Geißler versucht wurde, Sachlichkeit hineinzubringen, was mir - auch in Stuttgart - immer ein großes Anliegen war. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sich jetzt bedanken und sagen, er ist unglaubwürdig, geht nicht zusammen!) Diese Sachlichkeit verspielen wir mit dieser Debatte gerade wieder. Ich glaube nicht, dass die Menschen, die unsere Aktuelle Stunde vor dem Fernseher erleben, sagen, es habe sich gelohnt. Die Schlichtung war gut, aber das, was Sie hier treiben, ist reine Polemik. (Beifall bei der SPD) Eines sage ich in die Richtung der Grünen und der Linken: Es darf sich keiner wundern, dass der Protest weitergehen wird, wenn der Schlichterspruch zerredet wird. Frau Gönner hat dies heute vorgeführt, indem Sie gesagt hat: Wir machen nichts. Das langt alles, wir brauchen kein neuntes oder zehntes Gleis. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr! - Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Natürlich! Lesen Sie die Tickermeldung! Skandalös, das Verhalten!) - Doch, heute Morgen wurde ich fröhlich davon geweckt. Herr Kefer sagt auch, er braucht ein halbes Jahr. Herr Döring, wenn Sie im Ausschuss aufgepasst hätten, wüssten Sie, dass das Unternehmen, das dies entsprechend prüfen soll, schon lange feststeht. Es hat schon erste Überlegungen angestellt. Die Grünen haben damals diese Information ins Netz gestellt. Das ist die Firma SMA. Also, bitte genauso aufpassen - wie die Bürgerinnen oder die Bürger es vor dem Fernseher gemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Der Döring hat keine Ahnung!) Ich denke, wir sollten hier für uns mitnehmen, dass die Schlichtung zu einer größeren Transparenz und auch Akzeptanz für dieses Projekt geführt hat. (Patrick Döring [FDP]: Was Sie alles schon wissen!) Wenn Sie aber so weitermachen, dann ist diese Akzeptanz gleich wieder weg. Dann heißt es sofort, es wird alles nicht ernst genommen, was Herr Geißler uns ins Stammbuch geschrieben und worüber er uns zum Teil auch die Leviten gelesen hat. (Patrick Döring [FDP]: Das wird auch sorgfältig geprüft!) Es muss allen klar gewesen sein, dass diese Schlichtungsrunde keinen Kompromiss finden konnte. Ein bisschen Bahnhof unten, ein bisschen Bahnhof oben geht einfach sachlich nicht. Alle, die an dieser Schlichtungsrunde beteiligt waren, waren nicht in irgendeiner Form demokratisch legitimiert. Der Kollege Hermann war am Sonnabend auch dabei. Ich glaube, wir vom Verkehrsausschuss haben Ihnen kein Votum mitgegeben, für den Verkehrsausschuss zu reden. Es war allen klar: Wenn dieser Spruch in irgendeiner Form verankert werden soll, dann braucht er eine demokratische Legitimation. Wir sagen, dieser Schlichtungsspruch muss durch einen Volksentscheid legitimiert werden. (Beifall bei der SPD - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nicht dafür und nicht dagegen!) Ich will jetzt nicht hören, dass das alles nicht geht. Sie hatten die Gelegenheit, im Landtag einem entsprechenden Antrag der Grünen und der SPD zuzustimmen und ein Verfahren aufzuzeigen, wie so etwas möglich gemacht wird. Es ist zwar ungewöhnlich, dass man einen Volksentscheid nach dem ganzen Verfahren durchführt, aber einiges ist natürlich der CDU-Regierung im Lande geschuldet, die - was die Planungszeit, die Transparenz und die richtigen Informationen anbelangt - ein bisschen geschlampt hat; das sage ich ganz vornehm. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die Landesregierung! Von was reden Sie?) Auch der Herr Schuster als Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart hat einen Super-Kommunikations-GAU hingelegt, das wissen Sie alle. Deshalb sind wir gezwungen, im Nachhinein die Zustimmung für dieses Projekt bei den Leuten abzuholen. Herr Strobl, Sie wollen wahrscheinlich auch nicht, dass die Polizei hier in Stuttgart zehn Jahre lang dieses Bauprojekt absichern muss? (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Keinesfalls!) Das geht zulasten der Polizisten. Ich glaube, das wollen Sie ganz bestimmt nicht. (Beifall bei der SPD) Wir wollen das auch nicht, von daher muss Frieden in die Stadt kommen. Das passt auch gut in die Vorweihnachtszeit, damit wir wirklich "Stille Nacht, heilige Nacht" singen können. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da sind wir uns ganz einig! - Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Aber da muss das Unrecht dem Recht weichen, nicht umgekehrt!) Sonst können wir das zu Weihnachten nicht singen und vielleicht nach Weihnachten auch nicht, weil der Friede in dieser Stadt nicht hergestellt wird, weil Sie sich diesem Volksentscheid verweigern. (Beifall bei der SPD - Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sie machen es sich zu einfach, Frau Kumpf!) - Nein, ich mache mir das überhaupt nicht einfach. Ich habe unter diesem Projekt persönlich sehr gelitten, das müssen Sie wissen. Ich hätte ganz andere politische Perspektiven gehabt. Mehr sage ich darüber nicht. Deshalb denke ich, dass der Volksentscheid ein wichtiges Instrument ist, dessen Zulässigkeit Sie wirklich überprüfen müssen. Wenn Sie es nicht einläuten und einfädeln wollen, dann werden wir uns dieses Mandat für den Volksentscheid eben am 27. März abholen, damit die Leute sich mit vollem Herzen zu diesem Projekt bekennen können. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: 18 Prozent!) Schließen Sie sich uns an! Machen Sie mit! Seien Sie wirklich Demokraten und Demokratinnen und machen Sie den Weg frei für einen Volksentscheid! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Simmling hat für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Werner Simmling (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! "Der Schlichter geht, der Bahnhof kommt", so titelt heute das Handelsblatt. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nach dem Schlichterspruch von Herrn Dr. Geißler weiterhin den Baustopp und eine Volksabstimmung fordern, dann ist das, finde ich - so wurde das heute auch schon bezeichnet -, eine wirklich unangemessene, ja verantwortungslose Reaktion. Es darf Ihnen hier nicht nur um machtpolitisches Kalkül gehen. Unser gemeinsames Bestreben muss von nun an an der Sache ausgerichtet sein. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Mein Gott!) Worum ging es in der Schlichtung? Es ging um die Beilegung eines Konfliktes zwischen streitenden Parteien durch einen von den Beteiligten vorgeschlagenen Schlichter. Ziel des einmaligen Stuttgarter Verfahrens - so sage ich einmal - war, den Graben, der Stuttgart zu trennen schien, wieder zu überbrücken. Das Ergebnis eines Schlichtungsverfahrens wird normalerweise von den Parteien akzeptiert. Also richte ich an Sie den Appell: Akzeptieren Sie auch diesen Schlichterspruch! CDU und FDP haben sich in Stuttgart auf diese Schlichtung eingelassen, nicht deshalb, weil sie auf Basis einer Rechtsgrundlage dazu verpflichtet waren, sondern deshalb, weil es der Regierungskoalition um den gesellschaftlichen Zusammenhalt ging. Stuttgart 21 hat sich danach insgesamt - das wurde schon betont - als richtig und tragfähig erwiesen. Ob und, wenn ja, in welchem Umfang an diesem Konzept Ergänzungen erforderlich sind, wird derzeit geprüft. Was wir jetzt dringend brauchen, ist ein konstruktives Verhalten. (Florian Pronold [SPD]: Geht es ein bisschen emotionaler?) Wir alle müssen gemeinsam unseren Auftrag als Volksvertreter wahrnehmen und beispielgebend den Schlichterspruch umsetzen, anstatt zu versuchen, den Konflikt neu zu befeuern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Letztendlich müssen wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Wir müssen aus dem bisherigen Vorgehen lernen. Wie auch Sie wissen, gibt es viele Bürgerinnen und Bürger - inzwischen ist es sogar die Mehrzahl -, die aus wirtschaftlichen Gründen für ein modernes, leistungsfähiges und umweltfreundliches Verkehrsinfrastrukturnetz sowie für den Erhalt und die Schaffung von Tausenden von Arbeitsplätzen sind. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist das!) Wir wollen Stuttgart die Chance geben, ein neues Quartier und die Erweiterung der Parkanlagen zu realisieren, damit frühere Fehlplanungen korrigiert werden können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wissenschaftler beider Parteien oder Fraktionen, die Deutsche Bahn AG und Politiker haben sich in neun Schlichtungsrunden an einen Tisch gesetzt, externe Experten haben Präsentationen erarbeitet, und das Ganze hat auch richtig Geld gekostet. Die Beteiligten sind an ihre Belastungsgrenzen gegangen. Der Schlichter hat eine Entscheidung verkündet, in der alle Interessen abgewogen worden sind und in der eine machbare und praktikable Lösung formuliert worden ist. Für das Zustandekommen dieses Schlichtungsspruchs danken wir Herrn Dr. Geißler ausdrücklich. Er hat - anders als Sie, Herr Lange, vorhin gesagt haben - keineswegs eine Chance versäumt. Die Koalitionsregierungen in Land und Bund leisten eine konstruktive Arbeit. Es gibt bei diesem Verfahren keine Gewinner und keine Verlierer. Wenn Sie wollen, meine Damen und Herren, dass unsere Demokratie als Gewinner dasteht, weil sie durch den Prozess wieder ein Stück vitalisiert wurde, (Florian Pronold [SPD]: Mit Ihrer Rede?) dann helfen Sie mit, das Projekt Stuttgart 21 umzusetzen! Sie alle sind herzlich dazu eingeladen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Beckmeyer hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, die Schlichtung hat zu einer Versachlichung der Debatte und der Diskussion geführt. Das sollten wir einmal festhalten. Der Schlichterspruch ist eine Empfehlung. Ich kann an dieser Stelle nur die baden-württembergische Landesregierung auffordern, ihn ernst zu nehmen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das wird gemacht!) Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Presse. Das Handelsblatt von heute stellt fest, dass die CDU-Ministerin den Stuttgart-21-Stresstest zur Farce macht. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!) Es stellt fest, dass Ministerin Gönner zusätzliche Bahngleise für unnötig hält. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es! Das ist ein skandalöses Verhalten!) Es stellt fest, dass ganz bestimmte Punkte des Schlichterspruches wieder zerredet werden - (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ernst genommen werden!) auch von Ihnen heute, Herr Strobl. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal ein Beispiel!) Der Schlichter sagt: Ich kann den Bau des Tiefbahnhofes nur befürworten, wenn entscheidende Verbesserungen an dem ursprünglichen Projekt vorgenommen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die entsprechenden Veränderungen und Verbesserungen dieses Projektes hat er gestern der deutschen Öffentlichkeit erklärt. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das wird konsequent und transparent geprüft!) Der Schlichterspruch empfiehlt: Erweiterung des Tiefbahnhofes; eine zweigleisige westliche Anbindung des Flughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke; eine zweigleisige, kreuzungsfreie Anbindung der Wendlinger Kurve; die Anbindung der bestehenden Ferngleise von Zuffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof; die Ausrüstung aller Strecken mit konventioneller Leit- und Sicherungstechnik. Ich sage an dieser Stelle einmal ganz wertfrei: Wunderbar! Das hat aber Konsequenzen. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht umsonst zu haben!) Diese Konsequenzen sind beim Bundesverkehrsministerium und bei der Deutschen Bahn AG zu beurteilen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ist die SPD eigentlich dafür oder dagegen?) - Hören Sie einmal zu, Herr Strobl! Sie können jetzt etwas lernen. - Wir werden sie dann hoffentlich am 15. De-zember im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beurteilen können. Dann wird auch von der Deutschen Bahn erklärt werden müssen, in welcher Form sich diese auswirken werden, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit des Projektes. (Patrick Döring [FDP]: So wird es sein!) Wir werden uns das anschauen, und dann werden wir dieses Projekt, für das wir in den vergangenen Jahren in den verschiedensten Parlamenten die Hand gehoben haben, unter den neuen Bedingungen bewerten. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Ich hoffe, das gilt auch für Sie. Sie werden doch keine Projekte im Deutschen Bundestag befürworten, die am Ende nicht wirtschaftlich sind, oder? (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Also ein bisschen dagegen!) - Nein, nicht ein bisschen dagegen, Herr Strobl! Wofür sind Sie denn? Sind Sie für Projekte, die am Ende unwirtschaftlich sind, oder nicht? Das ist doch die entscheidende Frage, vor der Sie sich momentan drücken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind im Grunde eine parteipolitische Kampfmaschine, die sagt: Egal was es kostet, wir machen das. - Diese Position hatten wir schon einmal. Wir werden das im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages verfolgen (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Besser eine klare Position als Zickzack!) und von der Bundesregierung und auch von der Deutschen Bahn AG endlich Klarheit diesbezüglich bekommen. Ich habe an dieser Stelle schon häufig darauf hingewiesen: Die Deutsche Bahn AG hat in Bezug sowohl auf den Aufsichtsrat als auch auf den Vorstand einen Corporate-Governance-Beschluss gefasst, und ich erwarte, dass der Vorstand sich daran hält. Die Deutsche Bahn AG ist ein betriebswirtschaftlich agierendes Unternehmen, das genau schauen muss, wie es mit seinen Investitionen umzugehen hat. (Patrick Döring [FDP]: Das sieht schon das Aktiengesetz vor!) Wir werden uns anhören, was Herr Dr. Kefer dazu ausführen wird. Als Letztes möchte ich einen Appell an Sie richten: Im Laufe des Schlichtungsverfahrens ist eine Menge an Informationen öffentlich geworden, die den Ausschüssen und den Abgeordneten des Deutschen Bundestages bisher vorenthalten worden sind. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) So geht es nicht weiter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich kann an dieser Stelle nur alle Beteiligten auffordern - Ministerium, Bundesregierung und Deutsche Bahn AG -, uns Abgeordneten in der Zukunft alle Informationen auf den Tisch zu legen, damit wir sie offen und ehrlich bewerten können. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Was hat der Tiefensee gemacht? - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie lange war denn das Ministerium in SPD-Hand in den letzten Jahren?) - Herr Tiefensee hat keine Papiere unterdrückt. Aber uns wurden die Papiere, die jetzt offengelegt worden sind, bisher vorenthalten mit dem Argument, die Deutsche Bahn AG sei ein eigenständiges wirtschaftliches Unternehmen, das dem Deutschen Bundestag gegenüber keine Berichtspflicht habe. Das ist falsch. (Patrick Döring [FDP]: Es gibt Aktienrecht!) Diese Frage wird uns zukünftig bei der Beratung hier im Deutschen Bundestag beschäftigen müssen. Wenn wir nämlich den Gedanken der Transparenz unterstützen - Sie tun das, wir auch - und ihn hier hegen und pflegen und weiterentwickeln wollen, dann muss das in erster Linie für das deutsche Parlament und seine Ausschüsse gelten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Wir werden dafür sorgen, dass Sie hier zukünftig nicht mehr mit der Streusandbüchse hantieren. Wir wollen in dieser Frage Klarheit, Effizienz und Sicherheit erreichen. Dann können wir das Projekt in neuer Form bewerten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Lange für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zukunft braucht Wege. Stuttgart 21 ist ein Gleis in die Zukunft. Heiner Geißler hat mit seinem Schlichterspruch die Weichen auf Zukunft gestellt. Es geht um eine Entscheidung für die kommenden Generationen. Bahnprojekte dieser Größenordnung waren schon immer Generationenentscheidungen. Stuttgart-21-plus ist ein Bahnprojekt mega-plus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben es heute schon ein paarmal gehört: Es gibt bei dem Schlichterspruch keine Gewinner und Verlierer. Ich glaube, Heiner Geißler hat hier einen salomonischen Spruch gesprochen. Ihm gebührt nicht nur dafür der Dank der Beteiligten, sondern ihm gebührt auch der Dank unseres Hauses und der jungen Generation dafür, dass er uns nicht aus dem Auge verloren hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Der Dank der Jungen Union!) - Danke für diese Einschätzung. So jung bin ich leider nicht mehr. - Auf dem Weg der neuen Sachlichkeit sind viele Aufgaben und Verpflichtungen mitgegeben worden. Ich glaube, diese Anstrengungen haben sich gelohnt. Sie haben vorhin bezweifelt, dass wir das, was aufgegeben wurde, ernst nehmen. Sie können sicher sein, dass wir das ernst nehmen. Kollege Hermann, erlauben Sie mir, dass ich Ihren Parteikollegen Boris Palmer zitiere, der heute auf n-tv gesagt hat, dass er im Rahmen der Schlichtung Vertrauen zu Herrn Kefer von der DB gefunden hat. Angesichts dieses Vertrauens können Sie doch jetzt nicht sagen, dass hier etwas nicht ernst genommen wird. Vielmehr sollten Sie, nachdem Sie Heiner Geißler ins Spiel gebracht haben, das Votum respektieren. (Florian Pronold [SPD]: Wer zahlt denn die Mehrkosten?) Ich möchte nochmals Boris Palmer zitieren, der Ihnen in diesem Interview ausdrücklich widerspricht und sagt: "Heiner Geißler hat Hervorragendes geleistet." Ich appelliere an Sie: Akzeptieren auch Sie diese Leistung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wer zahlt es denn jetzt? Sagen Sie etwas dazu!) Meine Damen und Herren von der SPD, liebe Kollegin Kumpf, mir ist klar, dass Ihre Gemütslage nicht nach Stille Nacht ist. So hilflos, wie Sie hier agieren, gleicht Ihre Gemütslage auf dem Abstellgleis vielleicht eher einem Es geht eine Träne auf Reisen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist Claudia Roth!) Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Ute Kumpf [SPD]: Wie Sie hier argumentieren, Herr Lange, ist wenig geistreich!) Ich muss einen Satz zum Kollegen Hermann sagen. Sie haben den baden-württembergischen Kirchturm angesprochen. Dazu kann ich nur sagen: Wir in Bayern, wir in Augsburg und München, freuen uns auf Stuttgart 21, auf die Magistrale. Der Süden freut sich. Heiner Geißler, herzlichen Dank für diesen Schlichterspruch. (Lachen des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD] - Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht aber zulasten Bayerns! Dann wird in Bayern nichts mehr gebaut!) - Sie werden es sehen. Liebe Kollegin von der Linken, Sie bestreiten die demokratische Legitimation und sagen: Die armen Leute stehen auf der Straße und demonstrieren, aber am Ende wird gegen das Volk entschieden. (Ute Kumpf [SPD]: So arm sind die gar nicht!) Schauen Sie sich die Umfragen an: Die Mehrheit in Baden-Württemberg ist für Stuttgart 21, die Mehrheit in Stuttgart ist für Stuttgart 21. (Widerspruch bei der SPD) Glauben Sie doch nicht, dass nur Ihre Meinung die Mehrheitsmeinung ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie einmal eine Umfrage gewonnen!) Ich brauche es nicht noch einmal zu wiederholen, dass es Ihr Verkehrsminister Tiefensee war, Herr Beckmeyer, (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Ihrer! Das war eine Große Koalition!) der viele Jahre lang das Verkehrsministerium innehatte. Er führte die Unterlagen und hat den Vertrag unterschrieben. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das erste Kabinett Merkel war das! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war die Frau Bundeskanzlerin! Da müssen Sie einmal ins Bundeskanzleramt gehen!) Stellen Sie sich hier also nicht so hin und sagen Sie nicht, Sie hätten von all dem nichts gewusst. Sonst muss ich fragen, wie die Kommunikation in Ihrem eigenen Haus lief. Was die Menschen von uns erwarten, ist, dass wir als Vertreter einer repräsentativen Demokratie den Mut haben, zu entscheiden und die Entscheidungen durchzusetzen, und damit für Verlässlichkeit in unserem Rechtsstaat sorgen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Darauf kommt es an!) Mit Volksbefragungen (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Hat die CSU ganz schlechte Erfahrungen gemacht! Das kann ich mir vorstellen!) allein lösen Sie so ein Problem nicht. Ich erinnere Sie nur an Dresden. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich erinnere Sie nur an das Rauchverbot in Bayern! Da hat die CSU ganz schlechte Erfahrungen gemacht! Da haben die Bürger es der CSU gezeigt!) Da ist die Volksbefragung nicht so gelaufen, wie Sie sich das gedacht haben. Volksbefragungen sind kein Allheilmittel. Ich kann Ihnen nur sagen: Kommen Sie zum Schlichterspruch zusammen. Wir nehmen ihn ernst. Kommen Sie auf das Gleis Zukunft. Steigen Sie ein in den Zug "Stuttgart 21". Fahren wir gemeinsam auf diesem Gleis in die Zukunft. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Gleis 9 oder Gleis 10?) Vizepräsidentin Petra Pau: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bilger für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Guter Mann!) Steffen Bilger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich in dieser Debatte schon sehr wundern. (Florian Pronold [SPD]: Wir auch!) Worum geht es Ihnen eigentlich? Geht es Ihnen darum, die Wirtschaftlichkeit des Projektes Stuttgart 21 schlechtzurechnen und damit das Projekt zu gefährden? (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie haben doch die Aktuelle Stunde beantragt!) Oder geht es um die Verbesserungen, die in den Schlichtungsverhandlungen erzielt wurden? Das, was Sie hier betreiben, ist doch keine verantwortungsvolle Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig! - Ute Kumpf [SPD]: Was machen Sie, wenn die Proteste weitergehen?) Dass sich die Atmosphäre in den letzten Wochen verändert hat - ich darf daran erinnern, dass wir in der letzten Aktuellen Stunde zu Stuttgart 21 auch über den Polizeieinsatz diskutiert haben -, ist in der Tat ein Verdienst von Heiner Geißler und der Schlichtungsgespräche, die wir sicherlich alle mit Spannung verfolgt haben. Mein Dank gilt ausdrücklich allen, die sich an diesen Gesprächen beteiligt haben. Bis auf die sogenannten Parkschützer, die bei der Stuttgarter Bevölkerung nach wochenlangem Dauercampen mittlerweile eher als Parkverschmutzer bekannt sind, haben auch alle relevanten Vertreter der Gegner teilgenommen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie unterschätzen das komplett! - Winfried Hermann [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Bilger! - Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie haben keine Ahnung! Das ist das Schlimme, dass Sie über Dinge reden, von denen Sie keine Ahnung haben!) - Das können Sie aus Frankfurt alles gut beurteilen, Frau Leidig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Erfolg der Schlichtungsgespräche zeigt sich für uns Befürworter auch daran, dass mittlerweile nicht mehr diejenigen die öffentliche Meinung bestimmen, die am lautesten schreien. Jeder interessierte Bürger konnte sich sein eigenes Bild machen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber Sie haben sich kein Bild gemacht! Das ist das Dumme an der Sache!) - Ich habe mir sehr wohl ein Bild gemacht. Auch wenn viele der Gegner, Sie eingeschlossen, Frau Leidig, immer wieder behauptet haben, sie hätten die Mehrheit des Volkes hinter sich, zeigt sich doch zum wiederholten Male - auch jetzt, in den jüngsten Umfragen von Spiegel und ZDF -, dass eine knappe Mehrheit der Baden-Württemberger für Stuttgart 21 ist. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dann machen Sie die Befragung!) Eine deutliche Mehrheit gibt es in der Region Stuttgart, wo sich die Bürger besonders intensiv mit den Fakten beschäftigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen kann ich nur dazu raten, sich einmal genau mit diesen Umfrageergebnissen auseinanderzusetzen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir beschäftigen uns mit dem Projekt!) Als Baden-Württemberger will ich dies verdeutlichen, weil auch hier im Bundestag immer wieder - auch heute - ein anderer Eindruck vermittelt wurde. Bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm ist noch viel eindeutiger, dass die Mehrheit dafür ist: 41 zu 17 Prozent. Diese Zahlen sollten sich alle, die von Baustopp und von einer Volksabstimmung in einem halben Jahr reden, ganz genau vor Augen halten. Liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, auch ich kann Ihnen nicht ersparen, zu sagen, dass Ihr durchsichtiges Manöver, mit der Forderung nach einer Volksbefragung Terrain zu gewinnen, nicht belohnt wurde. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wer zahlt denn jetzt? Verraten Sie uns das einmal! Zahlt der Bund? Mal ein ehrliches Wort!) Nur 5 Prozent der Befragten sehen die SPD als die Partei an, die bei Stuttgart 21 ihre eigene Meinung am besten wiedergibt. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie einmal etwas zur Sache!) Lieber Christian Lange, es gibt eine Finanzierungsvereinbarung für Stuttgart 21. Diese Finanzierungsvereinbarung beinhaltet einen Puffer. Daher sollten wir hier jetzt nicht spekulieren, welche Summen zusätzlich aufgebracht werden müssen. Darüber werden wir im Verkehrsausschuss noch sprechen. Ich möchte Sie von den Sozialdemokraten auffordern: Stehen Sie zu Ihrer ursprünglichen Position für Stuttgart 21. (Ute Kumpf [SPD]: Haben wir doch gesagt!) Viele Sozialdemokraten haben jahrelang überzeugend für Stuttgart 21 gekämpft. Verwerfen Sie dieses Hirngespinst einer Volksabstimmung. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Klare Ansagen! Das wollen die Bürger! Gleis 9 und 10, wer zahlt? Keine Silbe!) Da schon so viel Geld investiert wurde, hat es jetzt, Jahre zu spät, keinen Sinn, darüber abstimmen zu lassen, ob Stuttgart 21 gebaut werden soll oder nicht. Auch das ist ein klares Ergebnis der Schlichtung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Noch ein Hinweis von mir als Baden-Württemberger: Vor allem die Grünen haben immer wieder behauptet, wegen Stuttgart 21 fehle das Geld für andere Projekte im Land. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Rheintalbahn kann nicht gebaut werden!) - Sie nennen das Stichwort. - Sie haben versucht, die Bürger gegeneinander auszuspielen, im Fall der Rheintalbahn Badener gegen Württemberger. Hier im Plenum und im Verkehrsausschuss haben wir vielfach über die Rheintalbahn gesprochen, dieses andere große und von der Bevölkerung kritisch begleitete Schieneninfrastrukturprojekt in Baden-Württemberg. Eigentlich sind wir uns alle einig, dass an der Rheintalbahn mehr Lärmschutz benötigt wird. Dazu gehört aber auch das Bekenntnis, dass mehr Lärmschutz mehr Geld kosten wird. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das gilt auch für Gleis 9 und 10! Keine Silbe dazu!) Das Land Baden-Württemberg hat sich bereit erklärt, hierbei entstehende Mehrkosten mitzufinanzieren. Alle Fraktionen des baden-württembergischen Landtags unterstützen diese Position, nur eine ist dagegen: die Fraktion der Grünen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die Dagegen-Partei!) Da fragt man sich, was mit den Grünen los ist. Vor lauter Begeisterung für den Kampf gegen Stuttgart 21 haben die Grünen kundgetan, es sei nicht zulässig, dass das Land Baden-Württemberg Stuttgart 21 mitfinanziert. Dabei haben sie völlig übersehen, dass das aber auch für die Rheintalbahn gelten müsste. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Das ist ein klassisches Eigentor; so hat es auch die Landespresse kommentiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist jetzt auch gegen Baden-Württemberg!) Einmal mehr sind die Grünen dagegen, diesmal sogar gegen mehr Lärmschutz. Wer so agiert, sollte aufhören, von der Regierungsbank zu träumen. Nachdem der Schlichter gesprochen hat, sollten wir das Gesagte ernst nehmen. Auch ich bin den Grünen durchaus dankbar, dass sie Schlichtung und Schlichter ins Gespräch gebracht haben; das war eine gute Idee. Aber nach der notwendigen Versachlichung der Debatte ist es jetzt nötig, den Schlichterspruch anzuerkennen und umzusetzen. Lassen Sie uns diesen Prozess auch im Deutschen Bundestag konstruktiv begleiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wieder nicht gesagt, wie es bezahlt wird!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. Dezember 2010, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.32 Uhr) Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 01.12.2010 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 01.12.2010 Bellmann, Veronika CDU/CSU 01.12.2010 Bülow, Marco SPD 01.12.2010 Burchardt, Ulla SPD 01.12.2010 Burkert, Martin SPD 01.12.2010 Crone, Petra SPD 01.12.2010 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 01.12.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 01.12.2010 Fritz, Erich G. CDU/CSU 01.12.2010* Glos, Michael CDU/CSU 01.12.2010** Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.12.2010 Hörster, Joachim CDU/CSU 01.12.2010** Kelber, Ulrich SPD 01.12.2010 Klamt, Ewa CDU/CSU 01.12.2010 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 01.12.2010 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.12.2010 Kunert, Katrin DIE LINKE 01.12.2010 Lötzer, Ulla DIE LINKE 01.12.2010 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.12.2010 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.12.2010 Petermann, Jens DIE LINKE 01.12.2010 Scholz, Olaf SPD 01.12.2010 Schreiner, Ottmar SPD 01.12.2010 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 01.12.2010 Wagner, Daniela BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.12.2010 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 01.12.2010*** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 1): Welche Rechtsfolgen ergeben sich - in zivilrechtlicher und zivilprozessualer Hinsicht - de lege lata für Schadensersatzansprüche eines Kunden gegenüber einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen wegen fehlerhafter Anlageberatung daraus, wenn das Anlageprotokoll gemäß § 34 Abs. 2 a des Wertpapierhandelsgesetzes nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig angefertigt wird? Schadensersatzansprüche aus einer fehlerhaften Anlageberatung kommen in Betracht, wenn der Berater seine Pflichten aus dem Beratungsvertrag schuldhaft verletzt hat und dem Anleger dadurch ein Schaden entstanden ist. An diesen Grundsätzen ändert eine Verletzung der Dokumentationspflicht aus § 34 Abs. 2 a WpHG zunächst nichts. Dieser kann aber Bedeutung im Hinblick auf die Beweislast zukommen. Der Anleger als Anspruchsteller hat grundsätzlich die Beweislast für die Verletzung von Beratungspflichten. Insoweit wird seine Situation durch die Einführung des § 34 Abs. 2 a WpHG mit der Pflicht zur Erstellung eines Beratungsprotokolls zum 1. Januar diesen Jahres deutlich verbessert. In diesem Protokoll sind unter anderem die vom Anleger geäußerten wesentlichen Anliegen und deren Gewichtung sowie die wesentlichen Gründe für eine von der Bank ausgesprochene Empfehlung festzuhalten. Ist das Protokoll ordnungsgemäß erstellt, können sich im Streitfall beide Parteien darauf berufen. Im Falle einer unterbliebenen oder unvollständigen Protokollierung werden sich regelmäßig Beweiserleichterungen für den geschädigten Anleger ergeben. Ist nämlich eine Beratung zu dokumentieren und wird diese Dokumentationspflicht verletzt, so greifen zugunsten des Gläubigers (hier also des Anlegers) nach der Rechtsprechung Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr ein. Aus einer fehlenden oder unvollständigen Dokumentation kann dann auf eine - teilweise - unterbliebene Beratung geschlossen werden. Der Schuldner (hier also der Anlageberater) muss dann nachweisen, doch ordnungsgemäß beraten zu haben. Dies gilt auch, wenn die Dokumentation in sich unschlüssig ist. Bei einem verspätet erstellten Beratungsprotokoll wird es auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, ob dies einer fehlenden Dokumentation gleichgestellt werden kann. Dies wird bei einer erst bei Schadenseintritt nachgereichten Dokumentation eher zu bejahen sein als bei einer nur kurzfristig verzögerten Übersendung des Protokolls. Die geschilderten Beweislastgrundsätze ermöglichen der Rechtsprechung damit bei Verletzung der Dokumentationspflicht den Besonderheiten des konkreten Einzelfalles Rechnung tragende, sachgerechte Entscheidungen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 6): Wie viele Verfahren gab es in den vergangenen 24 Monaten nach Kenntnis der Bundesregierung an Landwirtschaftsgerichten mit Bezug auf § 19 des Grundstücksverkehrsgesetzes, und in wie vielen Fällen wurde für ein Vorkaufsrecht der landwirtschaftlich ortsansässigen Betriebe entschieden? Die Bundesregierung verfügt über statistische Angaben zu der Anzahl der gerichtlichen Verfahren in Landwirtschaftssachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit pro Jahr. Diese Zahlen liegen bis einschließlich 2009 vor. Im Jahr 2009 gab es ausweislich der vom Bundesamt für Justiz herausgegebenen "Zusammenstellung der Geschäftsübersichten der Amtsgerichte für das Jahr 2009" bundesweit 11 622 derartige Landwirtschaftssachen. Nähere Angaben zum Gegenstand und Ergebnis dieser Verfahren liegen der Bundesregierung nicht vor. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 7): Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der These "Wenn die Presse darüber berichtet, welche Orte besonders gefährdet sind, dann kann das unter Umständen ein Anreiz für Terroristen sein. Die Presse muss dazu verpflichtet werden, sich zurückzuhalten, wenn die Gefährdungslage wie jetzt hoch ist." - vergleiche die Aussage des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen), in der Saarbrücker Zeitung vom 24. November 2010 - Forderungen, wegen der Terrorgefahr die Pressefreiheit einzuschränken, und sieht die Bundesregierung Anlass, bei einer hohen Gefährdungslage die Presse zu einer Einschränkung ihrer Berichterstattung zu verpflichten bzw. auf eine diesbezügliche Selbstverpflichtung der Medien hinzuwirken? Die Bundesregierung versteht die zitierte Äußerung als Appell an die Medien, den Sicherheitserfordernissen, die bei einer konkreten Gefährdungslage bestehen, in sachlich gebotener Weise Rechnung zu tragen. In Wahrnehmung der Presse- und Informationsfreiheit müssen die Medien selbst entscheiden, welche Berichterstattung sie insoweit verantworten können. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 9): Plant die Bundesregierung, bei einer Reform des Fahrgastrechtegesetzes eine Regelung aufzunehmen, mit der die Servicezeiten an Bahnhöfen an die Bedürfnisse von Reisenden mit Mobilitätseinschränkungen angepasst werden, und, wenn nein, warum nicht? Die Fahrgastrechte sind im Jahr 2009 umfassend auf europäischer und nationaler Ebene geändert und erweitert worden. Die Bundesregierung hält es für geboten, zunächst die Erfahrungen mit den neuen Regeln abzuwarten. Erst dann soll entschieden werden, ob und in welchem Umfang das Fahrgastrechtegesetz reformiert werden soll. Vor diesem Hintergrund überprüft das Bundesministerium der Justiz derzeit die Rechte von Bahnkunden. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 10): Inwiefern hält die Bundesregierung den von ihr angestrebten Abschluss eines Steuerabkommens mit der Schweiz unter Einbezug einer anonymen Abgeltungsteuer vor dem Hintergrund der Aussagen des EU-Steuerkommissars Algirdas Semeta (Neue Zürcher Zeitung, 16. Oktober 2010) und des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti (Tages-Anzeiger, 17. November 2010) für vereinbar mit der einstimmig im Ecofin-Rat vereinbarten EU-Position, mit Drittstaaten den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen anzustreben? Die Bundesregierung teilt das Ziel der Europäischen Union, den Informationsaustausch mit Drittstaaten im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen so weit wie möglich zu verbessern. Dies gilt auch für die beschlossenen weitergehenden Steuerverhandlungen mit der Schweiz. Bekanntermaßen gehen Deutschland und die Schweiz dabei von unterschiedlichen Standpunkten aus, die nur im Kompromissweg angenähert und zur Deckung gebracht werden können. Das Ergebnis dieses Prozesses muss abgewartet werden. Ziel der Verhandlungen ist insbesondere, Lösungsmöglichkeiten für das Problem der bisher unversteuerten Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz zu finden. Dies betrifft einerseits das in der Vergangenheit nicht besteuerte Kapital, andererseits die daraus erzielten laufenden Erträge. Gegenstand der Verhandlungen wird unter anderem die Kombination von Elementen einer Abgeltungsbesteuerung mit einem erweiterten Informationsaustausch sein. Dieser soll nach deutscher Auffassung über den OECD-Standard hinausgehen, der ja im kürzlich unterzeichneten Revisionsprotokoll zum Doppelbesteuerungsabkommen bereits vereinbart worden ist. Mit dieser Zielsetzung befindet sich die Bundesregierung im Einklang mit der Politik der Europäischen Union, insbesondere den Beschlüssen des ECOFIN-Rates, die keine Festlegung allein auf die Vereinbarung des automatischen Informationsaustausches mit Drittstaaten vorsehen. EU-Kommissar Šemeta hat im Hinblick auf die geplanten deutsch-schweizerischen Verhandlungen ausdrücklich betont, dass eine Ausdehnung der Amtshilfe, die über den OECD-Standard hinausgeht, stark mit dem von der EU verfolgten Ziel übereinstimmt, einen möglichst breiten Informationsaustausch zu fördern, NZZ Online vom 31. Oktober 2010. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass das zwischen der EU und der Schweiz geschlossene Zinsbesteuerungsabkommen innerhalb seines sehr begrenzten Anwendungsbereiches bisher keinerlei Informationsaustausch, sondern nur einen anonymen Steuereinbehalt vorsieht. Demgegenüber enthält die für die EU-Mitgliedstaaten verbindliche EU-Zinsrichtlinie das Prinzip des automatischen Informationsaustauschs mit der für eine Übergangszeit möglichen - und nur noch von Österreich und Luxemburg in Anspruch genommenen - Ausnahme eines Steuereinbehalts. Hieran wird der Spielraum deutlich, der für Verhandlungen mit Drittstaaten besteht. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 11): Wird der Zollstatus des Augsburger Flughafens erhalten bleiben, und gibt es einen Zusammenhang zwischen einer Aufwertung des Allgäu Airports Memmingerberg zum Zollflughafen und einer etwaigen Aberkennung des Zollstatus für den Augsburger Flughafen? Die Zollverwaltung ist verpflichtet, ihre Tätigkeit wirtschaftlich auszuüben und ihre Ressourcen ökonomisch einzusetzen. Die Bestimmung eines Flughafens zum Zollflugplatz bedeutet, dass dort jederzeit Drittlandswaren ankommen können und bedingt die Einrichtung eines Grenzzollamts mit allem personellen, organisatorischen und infrastrukturellen Aufwand - zum Beispiel Schichtbetrieb. Der Zollstatus des Flugplatzes Augsburg wurde von den Bundesfinanzdirektionen Nord und Südost im März 2010 geprüft. Danach hat das zollrelevante Flugaufkommen auf dem Flugplatz Augsburg in den Jahren 2007 bis 2009 kontinuierlich abgenommen. Unter welchen Voraussetzungen die Bestimmung eines Flughafens zum Zollflugplatz versagt werden darf, ist Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Bundesfinanzhof gewesen. In diesem Grundsatzverfahren hat der BFH nach Auskunft der Geschäftsstelle entschieden, die Klage des Betreibers des Flugplatzes Lahr abzuweisen. Die Übersendung der Urteilsgründe steht allerdings noch aus. Da nach Auffassung des BMF die Entscheidung unmittelbar die Organisationshoheit der Zollverwaltung betrifft, wird ihr auch für andere Flugplätze grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Ich darf Ihnen versichern, dass keine Entscheidung über den Flugplatz Augsburg vor einer umfassenden Auswertung der Urteilsgründe getroffen wird. Der Flughafen Memmingerberg ist mit Wirkung von heute an zum Zollflugplatz bestimmt worden. Zuvor erfolgte eine Erhebung der zollrelevanten Flugbewegungen. Das dort erreichte Maß hat in den Jahren 2007 bis 2009 erheblich zugenommen. Die Einrichtung einer eigenständigen Zolldienststelle sowie der damit verbundenen Infrastruktur ist erforderlich geworden, um dem gegenwärtigen hohen Verkehrsaufkommen an diesem Standort hinreichend Rechnung tragen zu können. Ich betone daher ganz ausdrücklich, dass die Bestimmung des Flughafens Memmingerberg zum Zollflugplatz in keinerlei Abhängigkeit zum Flugplatz Augsburg erfolgt ist. Für die Entscheidung über die Bestimmung eines Flugplatzes zum Zollflugplatz sind allein die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort, das verwaltungsseitige Interesse an einer bestmöglichen und effizienten Aufgabenerledigung sowie spiegelbildlich die Bedürfnisse der ansässigen Wirtschaft maßgeblich. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 13): Welche deutschen Banken haben Kredite an das Königreich Spanien, Irland und die Portugiesische Republik vergeben, und wie hat sich der Bestand an Verbindlichkeiten dieser Banken in den genannten Ländern seit 2005 entwickelt? Nach einer Veröffentlichung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sind zum 15. November 2010 1 929 Kreditinstitute in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassen. Es ist praktisch unmöglich, im Rahmen einer Fragestunde sämtliche Institute, die Kredite an das Königreich Spanien, Irland und die Portugiesische Republik ausgereicht haben, einzeln zu benennen. Eine aggregierte Darstellung der Entwicklung der Kreditvergabe an die genannten Länder ist möglich und könnte schriftlich nachgereicht werden. (Angesichts der für die Beantwortung verfügbaren Zeit war eine sofortige Vorlage nicht möglich.) Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 14): Wie können selbstständig arbeitende Assistenten von Menschen mit Behinderung, die aus den Leistungen im Rahmen eines Persönlichen Budgets ihres Klienten finanziert werden und diese privat anbieten, diese Leistungen gleichberechtigt mit gemeinnützigen Diensten der Wohlfahrtspflege ohne Umsatzsteuerbefreiung anbieten, und muss im Sinne des Wunsch- und Wahlrechts die Mehrwertsteuer von der bewilligenden Behörde eingerechnet werden, wenn der Mensch mit Behinderung eine Assistenz durch einen privaten selbstständigen Anbieter verlangt? Privat gewerbliche Unternehmer, die Betreuungs- oder Pflegeleistungen an Menschen mit Behinderung erbringen, können ihre Leistungen, gleichberechtigt mit gemeinnützigen Diensten der Wohlfahrtspflege, umsatzsteuerfrei anbieten, auch wenn ein Teil ihrer Leistungen aus Geldern des Persönlichen Budgets finanziert wird. Voraussetzung ist, dass die entsprechende Steuerbefreiungsvorschrift, § 4 Nr. 16 Umsatzsteuergesetz, prüft. Sofern selbstständig arbeitende Assistenten von Menschen mit Behinderung vollständig aus Geldern des Persönlichen Budgets finanziert werden, sieht das Umsatzsteuergesetz keine Steuerbefreiung dieser Leistungen vor. Soweit ein Persönliches Budget erbracht wird, gelten die gleichen umsatzsteuerlichen Regelungen wie bei anderen Sozialleistungen. Begünstigend kann sich gerade bei Persönlichen Budgets auch die sogenannte Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG auswirken: Wird die Leistung von einem Unternehmer, dessen Umsatz, zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer, im vorangegangenen Kalenderjahr 17 500 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich 50 000 Euro nicht übersteigen wird (Kleinunternehmer) erbracht, wird die Umsatzsteuer nicht erhoben. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 15): Wie wird die Finanzkontrolle Schwarzarbeit sicherstellen, dass ausländische Leiharbeitsagenturen die Mindestbestimmungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz einhalten, und inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Sozialdumping aufgrund unterschiedlicher Sozialabgaben und Steuern der verschiedenen EU-Mitgliedsländer möglich? Für die Leiharbeitsbranche gibt es keine Verordnung über Mindestarbeitsbedingungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung kann insoweit keine Einhaltung sicherstellen. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 16): Wie hoch schätzt die Bundesregierung den zusätzlichen Aufwand für Prüfungen von ausländischen Leiharbeitsagenturen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, und in welchem Umfang wird die Bundesregierung bei zu erwartendem Mehraufwand zusätzliches Personal einstellen? Da keine Prüfungen zur Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungenverordnungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz für die Leiharbeitsbranche vorgesehen sind, erübrigt sich insoweit die Schätzung eines Prüfaufwandes der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, ebenso wie die Frage nach zusätzlichem Personal. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 19): Welche Chancen sieht die Bundesregierung für die Entwicklung eines sanften Tourismus in der Region Kyritz-Ruppiner Heide nach der Entscheidung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, die nahezu komplette Fläche des Truppenübungsplatzes in das Nationale Naturerbe zu übertragen? Gemäß der föderalen Struktur in der Bundesrepublik Deutschland liegen die Entwicklung und die Gestaltung des Tourismus in der Zuständigkeit der Bundesländer. Für den Truppenübungsplatz Wittstock, der zur Gänze im brandenburgischen Teil der Kyritz-Ruppiner Heide liegt, gibt es nach Angaben des Landes Brandenburg aktuell noch kein konkretes touristisches Nutzungsvorhaben. Bei einer zukünftigen touristischen Nutzung muss neben der Berücksichtigung der Belange des Nationalen Naturerbes vor allem die öffentliche Sicherheit im Hinblick auf die hohe Belastung der Liegenschaft mit Altmunition im Vordergrund stehen. Derzeit besteht ein Betretungsverbot. Für die Ausweisung einer Liegenschaft als Nationales Naturerbe ist unter anderem ein sehr hoher Naturschutzwert Voraussetzung. Flächen des Nationalen Naturerbes sind dauerhaft für den Naturschutz zu sichern. Eine begrenzte touristische Nutzung wäre nur möglich, soweit dies mit dem vorrangigen naturschutzfachlichen Zweck in Einklang zu bringen ist. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Fragen der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 20): In welcher Form wird die Bundesregierung die 353 500 Euro an Bundesmitteln, die von der Deutschen Zentrale für Tourismus, DZT, laut Prüfung des Bundesrechnungshofs von 2006 bis 2009 zweckwidrig und unwirtschaftlich eingesetzt wurden, zurückfordern, und wird die Bundesregierung diese Mittel in vollem Umfang für die Förderung des Tourismus einsetzen? Die Deutsche Zentrale für Tourismus, DZT, wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit rund 27 Millionen Euro jährlich gefördert. Die Förderung der DZT erfolgt als Fehlbedarfsfinanzierung (Finanzierungsart). Bei einer Fehlbedarfsfinanzierung erfolgt die Förderung in der Höhe, in der Bedarf besteht, der nicht anderweitig gedeckt werden kann. Überschüssige Mittel sind am Jahresende an den Zuwendungsgeber zurückzuzahlen. Nach der Prüfung des Bundesrechnungshofes, BRH, wurden Mittel in Höhe von 353 500 Euro zweckwidrig und unwirtschaftlich eingesetzt. Diese wurden gegenüber der DZT per Bescheid im Jahre 2009 widerrufen und zurück gefordert. Die Mittel wurden von der DZT bereits zurück überwiesen und sind dem Bundeshaushalt zugeflossen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Frage der Abgeordneten Gabriele Hiller Ohm (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 21): In welcher Höhe an Bundesmitteln wurde bzw. wird die Arbeit der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V., NatKo, in den Jahren 2007, 2008, 2009, 2010 und 2011 gefördert, und in welcher Form unterstützt die Bundesregierung die Weiterentwicklung der NatKo zu einem Kompetenzzentrum für barrierefreies Reisen? Das Bundesministerium für Gesundheit hat 2007 bis 2010 Projekte der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V., NatKo, gefördert : 2007 1 Projekt: Höhe der Zuwendung 121 158 Euro 2008 1 Projekt: Höhe der Zuwendung: 119 790 Euro 2009/2010 Zweijahresprojekt in 2009 mit 89 245,10 Euro und in 2010 mit 93 314 Euro 2009 1 Projekt: Höhe der Zuwendung: 17 490 Euro 2010 1 Projekt: Höhe der Zuwendung: 15 987,51 Euro Für das Jahr 2011 hat NatKo beim BMG einen Antrag auf Projektförderung gestellt, der zurzeit geprüft wird. NAtKo hat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, BMWi, einen Förderantrag gestellt, der zurzeit geprüft wird. Der Projektstart ist für Dezember 2010 geplant. Eine endgültige Förderzusage für die Projekte ab 2011 kann durch die Bundesregierung erst nach Inkrafttreten des Bundeshaushaltes 2011 erfolgen. Im Dezember 2008 wurde das Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit gegründet. Sein Ziel ist die Umsetzung des Bundesgleichstellungsgesetzes, insbesondere die Herstellung umfassender Barrierefreiheit für alle Menschen mit Behinderungen. In die Themenfelder des Bundeskompetenzzentrums, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird, ist der Tourismus eingeschlossen. Das Bundeskompetenzzentrum arbeitet eng mit der NatKo und den Behindertenverbänden zusammen. Die NatKo bringt ihre Kompetenz auf dem Gebiet des barrierefreien Tourismus in die Tätigkeit des Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit ein. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Manfred Nink (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 22): Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass anhaltende und enorme makroökonomische Ungleichgewichte und Differenzen in der nationalen Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der Euro-Staaten, die Anfälligkeit der europäischen Wirtschaft erhöhen und das Funktionieren der Währungsunion beeinträchtigen können, und welche konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hinsichtlich der Steigerung der Binnennachfrage und des Wachstumspotenzials, die von EU-Mitgliedstaaten mit Leistungsbilanzüberschüssen erwartet werden, hält sie für sinnvoll? Es hat sich gezeigt, dass Schwächen in der Wettbewerbsfähigkeit und Versäumnisse bei Strukturreformen neben einer mangelhaften Haushaltspolitik ein ganz wesentliches Problem in einigen Mitgliedstaaten darstellten und immer noch darstellen. Solche Probleme können - wie wir erfahren mussten - in der Tat ein Risiko für die Stabilität insbesondere des Euro-Raums darstellen. Dies dürfen wir nicht mehr zulassen. Die Bundesregierung hat sich deswegen auf EU-Ebene neben einer Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts vor allem für ein neues Verfahren zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte eingesetzt. Mit Beschluss des Europäischen Rates vom 28. und 29. Oktober 2010 und der Annahme der Vorschläge der Van-Rompuy-Arbeitsgruppe haben wir wesentliche Teile unserer Vorschläge auch auf EU-Ebene durchgesetzt. Die Vorschläge sehen insbesondere eine Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie ein neu zu etablierendes Verfahren zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte vor. Die Bundesregierung sieht vor allem die Staaten mit Schwächen in der Wettbewerbsfähigkeit in der Pflicht, Reformen zügig umzusetzen. Das entbindet aber nicht die Staaten mit einer hohen Wettbewerbsfähigkeit von ihrer Verantwortung, notwendige Strukturreformen zu verfolgen. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Manfred Nink (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 23): Wie bewertet die Bundesregierung die Schaffung einer einheitlichen politischen Autorität, die legitimiert ist, wirtschaftspolitische Entscheidungen im Gesamtinteresse zu treffen - vergleichbar der Europäischen Zentralbank für geldpolitische Entscheidungen -, und wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, eine europäische Wirtschaftsregierung rechtlich und demokratisch zu legitimieren? Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf EU-Ebene ganz bewusst dafür entschieden, die Abstimmung der Wirtschaftspolitiken auch weiterhin nach einem zwischenstaatlichen Koordinierungsverfahren zu konzipieren, das auf verantwortungsvoller Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten basiert. Die Verfahren zielen darauf ab, an die Eigenverantwortlichkeit der Staaten für sich und Europa zu appellieren und sie zu stärken. Auch die Bundesregierung hat sich immer klar zum Subsidiaritätsprinzip und zur Eigenverantwortung bekannt. Ein zentralisierter Ansatz würde diesem Ziel zuwiderlaufen. Dies sehen auch die Mitgliedstaaten der EU mehrheitlich so. Insofern stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Umsetzung bzw. Ausgestaltung einer solchen zentralen Steuerung nicht. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Fragen des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksache 17/3947, Fragen 24 und 25): Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Binnennachfrage und das Wachstumspotenzial in Deutschland nachhaltig zu steigern vor dem Hintergrund, dass der Europäische Rat den Bericht der Arbeitsgruppe "Wirtschaftspolitische Steuerung" - Van-Rompuy-Arbeitsgruppe - gebilligt hat, in dem es in Nr. 33 unter anderem heißt: "In den Mitgliedstaaten mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen hingegen sollen politische Maßnahmen darauf abzielen, die Strukturreformen zu ermitteln und durchzuführen, mit denen diese Staaten ihre Binnennachfrage und ihr Wachstumspotenzial steigern können"? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, die gegebenen makroökonomischen Ungleichgewichte dauerhaft zu verringern, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu schwächen, und welche zusätzliche Abstimmung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken hält die Bundesregierung auf europäischer Ebene für erforderlich? Zu Frage 24: Der deutschen Wirtschaft ist es gelungen, einen Großteil des krisenbedingten Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts wieder wettzumachen. Die Bundesregierung rechnet in ihrer Herbstprognose mit einem BIP-Wachstum von 3,4 Prozent. Damit wächst die deutsche Wirtschaft im Jahr 2010 etwa doppelt so schnell wie der Durchschnitt der Europäischen Union. Das Wachstum wird sich im kommenden Jahr moderat fortsetzen. Die Binnennachfrage trägt im Jahr 2010 voraussichtlich mit mehr als zwei Dritteln bzw. im Jahr 2011 mit fast drei Vierteln zum Wachstum bei. Die wirtschaftliche Erholung ist insbesondere ein Beschäftigungsaufschwung. Die Beschäftigung hat den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Dies führt zu höheren Arbeitseinkommen und stützt die binnenwirtschaftliche Erholung. Gleichzeitig verläuft die Teuerung moderat. Die realen Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer nahmen vor diesem Hintergrund im Jahr 2010 um 2,7 Prozent zu. Dies ist der höchste Zuwachs seit 18 Jahren. Weitere fiskalische Maßnahmen sind nicht zielführend, um die Binnennachfrage zu stimulieren oder den Leistungsbilanzüberschuss abzubauen. Sie würden lediglich zu steigender Staatsverschuldung führen. Vielmehr zielt die Wirtschaftspolitik darauf ab, das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft zu stärken. Die Bundesregierung richtet ihre Wirtschaftspolitik an den ordnungspolitischen Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft aus und setzt die richtigen Rahmenbedingungen, um private Investitionen in Deutschland zu stärken. Zu Frage 25: Der Staat hat geeignete Rahmenbedingungen zu setzen, damit sich unternehmerische Freiheit zum Wohl der Konsumenten entfalten kann. Eine Leistungsbilanz ist vor allem das Ergebnis von Marktprozessen. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen ergibt sich vor allem aus ihren Spezialisierungsvorteilen in der globalen Wirtschaft und einer moderaten Lohnpolitik im Rahmen der Tarifautonomie. Sie ist nicht das Ergebnis staatlicher Einflussnahme. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Ernst Burgbacher auf die Frage der Abgeordneten Doris Barnett (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 26): Welche Folgen hat nach Einschätzung der Bundesregierung die angekündigte Verschiebung des Starts der Datenabrufphase des elektronischen Entgeltnachweises, ELENA, für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen bzw. betroffene Behörden, und welche zusätzlichen Belastungen ergeben sich für die Bundesländer infolge der damit geplanten, verlängerten Anschubphase? Die vom Koalitionsausschuss beschlossene Verschiebung des verpflichtenden Datenabrufs macht eine Änderung der gesetzlichen Regelungen zum ELENA-Verfahren erforderlich. Die konkreten, damit im Zusammenhang stehenden Fragen werden derzeit innerhalb der Bundesregierung geprüft. Ich bitte Sie daher um Verständnis, dass ich das Ergebnis der Prüfungen nicht vorwegnehmen kann. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Doris Barnett (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 31): Welche Meldeverfahren, das heißt welche und wie viele Datensätze, werden seit der Einführung der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung im Jahr 1998 bzw. des Starts der Datenerhebungsphase des elektronischen Entgeltnachweises durchgeführt und gespeichert, und wer erhält Zugriff auf diese Datensätze? Seit der Einführung einer statistischen Erfassung im Jahre 2001 wurden im Rahmen der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung circa 1 166 Millionen Datensätze bei der Datenstelle der Deutschen Rentenversicherung verarbeitet. Im Rahmen des ELENA-Verfahrens wurden circa 366 Millionen Datensätze verarbeitet. Einen Zugriff auf die Daten haben im Rahmen der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung nur die autorisierten Stellen, das heißt die Träger der Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung. Die speziell in Branchen mit hohem Schwarzarbeitsanteil durch eine Sofortmeldung erfassten Daten können außerdem von den Behörden der Finanzkontrolle Schwarzarbeit abgefragt werden. Im Rahmen des ELENA-Verfahrens werden nur die Behörden, die für die Beantragung von Wohn-, Eltern- und Arbeitslosengeld zuständig sind, im Zusammenwirken mit dem Antragsteller auf die Daten zugreifen können. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Katja Dörner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 32): Welche Informationen hat die Bundesregierung aus dem runden Tisch mit zuständigen Rehabilitationsträgern, den Leistungserbringern und Verbänden behinderter Menschen zur Umsetzung der Komplexleistung Frühförderung erhalten, und welche weiteren Schritte plant die Bundesregierung, um die entstandenen Probleme bei der Umsetzung der Komplexleistung zu beseitigen? Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für Gesundheit haben mit einem gemeinsamen Rundschreiben an die Spitzenverbände der zuständigen Rehabilitationsträger im Juni 2009 klarstellende Hinweise für die Umsetzung der Komplexleistung Frühförderung gegeben. Das gemeinsame Rundschreiben wurde sowohl von den Betroffenenverbänden als auch von den Rehabilitationsträgern begrüßt. Ein Jahr nach Versendung des Schreibens wurden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales rund 1 000 Fragebögen an Frühförderstellen bundesweit versandt. Diese Daten liegen inzwischen vor und bilden die Grundlage, um in Fachgesprächen mit allen Beteiligten zu klären, ob und inwieweit die Hinweise des gemeinsamen Rundschreibens vor Ort angekommen sind und ob es zu Fortschritten bei der Umsetzung der Komplexleistung Frühförderung gekommen ist. In einem ersten Schritt haben sich am 16. November 2010 die zuständigen Fachreferate im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und im Bundesministerium für Gesundheit mit Vertretern von Leistungserbringern und Leistungsträgern auf Bundesebene sowie einer Vertreterin des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zu einer ersten Analyse getroffen. Zu Beginn des nächsten Jahres werden Bund-Länder-Gespräche stattfinden, um gemeinsam das weitere Vorgehen abzustimmen. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 33): Wird die Bundesregierung im Zuge des zehnjährigen Bestehens des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, SGB IX, evaluieren, inwiefern die Krankenversicherungsträger ihrer Verantwortung im trägerübergreifenden Rehabilitationsprozess nachgekommen sind, und, wenn nein, warum nicht? Mit dem SGB IX wurde der Grundstein für ein bürgernahes Rehabilitations- und Teilhaberecht gelegt. Es schafft einheitliche Regelungen zu Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Die Krankenkassen setzen als ein Rehabilitationsträger neben anderen das SGB IX ein. Im Rahmen dieses Umsetzungsprozesses hat die Bundesregierung auch einzelne neue Instrumente wissenschaftlich untersuchen lassen. So hat die Bundesregierung zum Beispiel eine Studie zur "Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX, Forschungsbericht 374, zur "Begleitung und Auswertung der Erprobung trägerübergreifender Persönlicher Budgets", Forschungsbericht 366, zur "Einrichtung und Arbeitsweise Gemeinsamer Servicestellen für Rehabilitation" sowie zu "Vergütungsstrukturen in der Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder" in Auftrag gegeben. Zurzeit läuft ein Forschungsvorhaben "Prozesskettenanalyse in den Bereichen trägerübergreifendes Persönliches Budget und Gemeinsame Servicestellen", um eine spürbare Verbesserung der Servicequalität für potenzielle Budgetnehmerinnen und Budgetnehmer durch Optimierung der Geschäftsprozesse zu erreichen und den Auftrag zur trägerübergreifenden Beratung aus einer Hand durch die Gemeinsamen Servicestellen konsequent umzusetzen. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 38 und 39): Wie haben sich die Arbeitslosenzahlen der Menschen mit Behinderung im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosenzahl seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention entwickelt - aufgelistet nach Monat und Geschlecht -, und wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung vor dem Hintergrund des Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderung auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen in Bezug auf Arbeit anerkennen? Plant die Bundesregierung einen allgemeinen und dauerhaften Nachteilsausgleich im Sinne eines Minderleistungsausgleiches für Menschen mit Behinderung, und wie bewertet die Bundesregierung ebensolche Bemühungen auf der Ebene der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur Zukunft der Eingliederungshilfe? Zu Frage 38: Bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit insgesamt und von schwerbehinderten Menschen gibt es seit Jahren erkennbar zeitversetzte Verläufe. So baut sich die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Schwerbehinderungen deutlich langsamer auf. Dies liegt vor allem in den besonderen Kündigungsschutzverfahren begründet. Auf der anderen Seite erfolgt der Beschäftigungsaufbau bei diesem Personenkreis allerdings auch zeitverzögert. Die Arbeitslosigkeit allgemein und schwerbehinderter Menschen ist 2009 bedingt durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise angestiegen. Bei der Gesamtarbeitslosigkeit war bei jahresdurchschnittlicher Betrachtung eine Zunahme um 4,8 Prozent auf 3 423 283 zu verzeichnen. Demgegenüber stieg die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen lediglich um 2,0 Prozent auf 167 379. Der Anteil schwerbehinderter Menschen an der Gesamtarbeitslosigkeit lag 2009 bei 4,9 Prozent gegenüber 5,0 Prozent in 2008. In diesem Jahr sinkt die allgemeine Arbeitslosigkeit deutlich, aber auch die Zahl schwerbehinderter Arbeitsloser verminderte sich seit Jahresbeginn bis Oktober. Nach den bisherigen Erfahrungen dürfte sich dieser positive Trend in absehbarer Zeit fortsetzen. Zu Frage 39: Erwerbsfähige Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt einzugliedern und ihnen im Bedarfsfall die hierfür erforderliche Hilfe gegebenenfalls unbefristet zur Verfügung zu stellen, ist keine Aufgabe der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen der Sozialhilfe. Der Sachverhalt ist insoweit auch nicht Gegenstand von Beratungen in der von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen". Soweit sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe und im Weiteren die Arbeits- und Sozialministerkonferenz mit Fragen der Förderung der Teilhabe wesentlich behinderter Menschen am Arbeitsleben befassen, stehen Alternativen zu einer Beschäftigung voll erwerbsgeminderter Personen in Werkstätten für behinderte Menschen im Blickpunkt. Dabei ist unter anderem auch daran gedacht, in geeigneten Fällen Lohnkostenzuschüsse zur Unterstützung von Beschäftigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorzusehen. Eine Beschränkung auf geeignete Fälle berücksichtigt, dass es sich bei den in Rede stehenden behinderten Menschen ausnahmslos um Personen handelt, die als voll erwerbsgemindert im Sinne der einschlägigen Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (gesetzliche Rentenversicherung) gelten und insoweit nur ausnahmsweise für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes in Betracht gezogen werden können. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3947, Frage 40): Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung im Rat der Europäischen Union voranbringen, um die Rechte von Menschen mit Behinderung gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention auch im Rahmen der Europa-2020-Strategie umzusetzen? Möglichkeiten zur Unterstützung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Ebene der Europäischen Union allgemein, im Rahmen der EU-2020-Strategie oder durch Unterstützung einzelner Maßnahmen der Behindertenstrategie der Kommission werden von den Ressorts derzeit auch im Zusammenhang mit der Erstellung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geprüft. Der Nationale Aktionsplan wird in einem eigenen Handlungsfeld "Internationale Zusammenarbeit" auch die Zusammenarbeit mit der EU bei der Umsetzung der Konvention explizit ansprechen. Der Nationale Aktionsplan soll im März 2011 vom Kabinett verabschiedet werden. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 41): Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung auf der Grundlage der Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 20. November 2010 (2010/C 316/01) ergreifen, um die unter Nr. 28 Buchstabe a beschlossene Förderung inklusiver Bildungssysteme auf allen Ebenen umzusetzen? Die Anstrengungen zur Förderung inklusiver Bildungssysteme sind vor allem in der Bildungspraxis und damit insbesondere von den Ländern zu unternehmen. Die Bundesregierung sichert hier im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu, die Länder und Träger in diesem Prozess zu unterstützten und die Forschung und den internationalen Austausch dazu zu fördern. Forschungsaktivitäten und Maßnahmen des Bundes mit spezifischem Fokus auf die inklusive Teilhabe von Menschen mit Behinderungen werden in folgenden Bereichen unternommen: Bildungsforschung, frühe Kindheit/frühkindliche Bildung, Übergang in den Beruf, Studieren mit Behinderung sowie im europäischen und internationalen Transfer. Wegen der genannten Zuständigkeit der Länder im Bildungsbereich liegt ein wichtiger Schwerpunkt der Maßnahmen der Bundesregierung zur Förderung inklusiver Bildung im Bereich der Bewusstseinsbildung. Beispiele sind hier die Broschüre "Wegweiser für Eltern zum Gemeinsamen Unterricht" des Behindertenbeauftragten und der Bundesarbeitsgemeinschaft "Gemeinsam leben - gemeinsam lernen" sowie der "Jakob Muth-Preis für inklusive Schule" ebenfalls des Behindertenbeauftragten, der Bertelsmann-Stiftung und der Deutschen Unesco-Kommission. Darüber hinaus prüft die Bundesregierung derzeit, welche weiteren Maßnahmen zur Umsetzung des Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention und damit auch zur Förderung inklusiver Bildungssysteme im Sinne der Ratsentschließung in den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Konvention aufgenommen werden können. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 42): Welche Bereiche aus dem Themenkomplex Bildung und Forschung wird die Bundesregierung voraussichtlich in den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufnehmen, und in welcher Form hat bisher diesbezüglich ein Austausch zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung stattgefunden? Die Umsetzung der UN-Konvention im Bildungsbereich obliegt in erster Linie den für Bildungsfragen zuständigen Ländern. Die Bundesregierung wird die Länder und die Träger hierbei im Rahmen ihrer Zuständigkeiten weiterhin unterstützen. Dabei konzipiert die Bundesregierung ihre Aktivitäten im Bereich Bildung und Forschung grundsätzlich so, dass die Teilhabe aller an Bildung und lebenslangem Lernen verfolgt wird. Darüber hinaus sollen in den Nationalen Aktionsplan spezielle bildungspolitische Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen voraussichtlich in den Bereichen Bildungsforschung, frühe Kindheit/frühkindliche Bildung, Übergang in den Beruf, Studieren mit Behinderung sowie internationale Zusammenarbeit aufgenommen werden. Die Bundesministerien für Arbeit und Soziales, Bildung und Forschung sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stehen hierbei in einem engen Austausch in Form von Ressortsgesprächen, schriftlichen Abfragen und Fachtagungen. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Drucksache 17/3947, Frage 43): Welche bewusstseinsbildenden Maßnahmen gemäß Art. 8 der UN-Behindertenrechtskonvention wird die Bundesregierung in dieser Legislatur ergreifen, die vermitteln, dass unter bestimmten Voraussetzungen alle Kinder von einem gemeinsamen Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern profitieren? Die Bundesregierung hat bereits bewusstseinsbildende Maßnahmen im Sinne der Art. 8 und 24 der UN-Konvention ergriffen. Beispiele sind hier die Broschüre "Wegweiser für Eltern zum Gemeinsamen Unterricht" sowie der "Jakob Muth-Preis für inklusive Schule" des Behindertenbeauftragten. Bewusstseinsbildung wird auch über die Weiterbildungsinitiative "Frühpädagogische Fachkräfte" sowie den Expertenkreis "Inklusive Bildung" der Deutschen Unesco-Kommission, in dem die Bundesregierung vertreten ist, gefördert. Darüber hinaus prüft die Bundesregierung derzeit, welche weiteren Maßnahmen der Bewusstseinsförderung in den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Konvention aufgenommen werden können. Dazu gehört zum Beispiel die "Landkarte der inklusiven Beispiele" des Behindertenbeauftragten. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 44 und 45): Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Art. 19 der UN-Behindertenrechtskonvention - selbstbestimmtes Leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft - den Mehrkostenvorbehalt nach § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, und mit welchen Vorschlägen brachte sich die Bundesregierung in die Arbeit der Bund-Länder-Unterarbeitsgruppe IV - "Sozialraum/Angebotsgenerierung" - zur Reform der Eingliederungshilfe ein? Wann wird die Bundesregierung auf der Grundlage des Beschlusses der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur Reform der Eingliederungshilfe vom 24./25. November 2010 einen konkreten Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen, und welche gesetzlichen Schritte plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zur Herstellung eines inklusiven Sozialraums? Zu Frage 44: Nach den von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen" der ASMK erarbeiteten Eckpunkte für die Reformgesetzgebung "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen" soll - als Folge der Personenzentrierung - die Charakterisierung von Leistungen der Eingliederungshilfe als ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen aufgegeben werden. Da § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII an diese Charakterisierung anknüpft, würde diese Bestimmung obsolet. Als Folge davon enthält das Eckpunktepapier jedoch die noch zu klärende Frage, ob Ober- und Untergrenzen des Bedarfs und der Leistungen definiert werden können. Für die Gestaltung des Sozialraums sind die Kommunen zuständig. Wegen der mittelbaren Auswirkungen auf die Leistungen der Eingliederungshilfe hat sich der Bund auch an der Unterarbeitsgruppe IV beteiligt. Zu Frage 45: Die Bundesregierung wird - entsprechend des ASMK-Beschlusses - auf der Grundlage der Eckpunkte und auf der Basis einer zwischen Bund und Ländern einvernehmlich festzustellenden Verständigung über die finanziellen Folgen der strukturellen Veränderungen einer Reform einen Arbeitsentwurf für ein Gesetz zur "Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe" so rechtzeitig vorlegen, dass dieses Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages abgeschlossen werden kann. Für die Gestaltung des inklusiven Sozialraums hat die Bundesregierung keine Gesetzgebungskompetenz. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 46): Wie bewertet die Bundesregierung das Abzweigen des Kindergeldes zuungunsten der Eltern von Erwachsenen mit Behinderung, die Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII beziehen und in Werkstätten für behinderte Menschen, WfbM, arbeiten, obwohl den Eltern dennoch zusätzliche behinderungsbedingte Aufwendungen entstehen (siehe auch www.kobinet-nachrichten.org vom 6. November 2010 "Geänderte Hartz-IV-Sätze benachteiligen behinderte Menschen" und die dazugehörigen diversen Leserbriefe)? Eine rechtliche Bewertung von Einzelfällen aus der Sozialhilfepraxis ist der Bundesregierung wegen der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung nicht möglich. Der Bund hat auch kein Weisungsrecht gegenüber den gesetzesausführenden Ländern und Kommunen. Allgemein weise ich darauf hin, dass der Bundesgesetzgeber in den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch eine klare Wertentscheidung getroffen hat, wonach die Heranziehung von grundsätzlich unterhaltsverpflichteten Eltern zu den nicht unerheblichen Aufwendungen eines Sozialhilfeträgers für Leistungen an volljährige behinderte Kinder im Regelfall auf 31 Euro in 2010 begrenzt bleiben soll. Der Sozialhilfeträger ist verpflichtet, in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob ein eventueller Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 des Einkommensteuergesetzes mit diesem erklärten Willen des Gesetzgebers in Übereinstimmung steht. Zweifelsfrei kommt in den Fällen, in denen den Kindergeldberechtigten unterhaltsrechtliche bzw. behinderungsbedingte Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens in Höhe des Kindergeldes entstehen, eine Abzweigung an den Sozialhilfeträger nicht in Betracht. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Kerstin Andreae (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 47 und 48): Wie möchte die Bundesregierung Art. 27 Buchstabe f der UN-Behindertenrechtskonvention nachkommen, mit dem sich die Bundesregierung verpflichtet hat, "Möglichkeiten für Selbständigkeit, Unternehmertum, die Bildung von Genossenschaften und die Gründung eines eigenen Geschäfts zu fördern", und zu welchen neuen Erkenntnissen ist die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren seit Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen "Existenzgründung für Menschen mit Behinderungen" (Bundestagsdrucksache 16/9272) bei der Frage gekommen, ob die Belange behinderter Menschen bei der Existenzgründungsberatung angemessen berücksichtigt werden? In welchen Bundesländern gibt es nach Informationen der Bundesregierung spezielle Existenzgründungsberatungen für Menschen mit Behinderung, und wie werden diese finanziell gefördert? Zu Frage 47: Die Fördermittel des Bundes zur Gründung einer selbstständigen Existenz (zum Beispiel KfW-Darlehen) stehen schwerbehinderten Menschen genauso zur Verfügung wie Menschen ohne Behinderung. Darüber hinaus können schwerbehinderte Menschen durch die Integrationsämter zusätzlich gefördert werden. Die Bundesregierung hatte in der Antwort auf die genannte Kleine Anfrage 16/9272 angeboten, dass die für die Fragen der Existenzgründung und für die Belange behinderter Menschen zuständigen Ministerien Beschwerden nachgehen würden, wenn die bestehenden Existenzgründungsberatungsstellen die Belange behinderter Menschen nicht hinreichend berücksichtigten. Solche Beschwerden sind an die Ministerien nicht herangetragen worden. Die Bundesregierung sieht daher den Auftrag aus der UN-Konvention durch das geltende Förderinstrumentarium als erfüllt an. Zu Frage 48: Eine Übersicht über Stellen mit speziellen Existenzgründungsberatungen für behinderte Menschen liegt der Bundesregierung nicht vor. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜND-NIS 90/DIE GRPÜNEN) (Drucksache 17/3947, Fragen 49 und 50): Sieht die Bundesregierung bundesgesetzlichen Änderungsbedarf aufgrund der Regelungen des Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention, und, wenn ja, wie sieht dieser aus? Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass im Jahr 2010 ausschließlich im Bundesland Rheinland-Pfalz Zielvereinbarungen zur Herstellung von Barrierefreiheit gemäß § 5 des Behindertengleichstellungsgesetzes abgeschlossen wurden, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hieraus? Zu Frage 49: Die Koalitionsparteien haben beschlossen, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen mit einem eigenen Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung umzusetzen. Bei der Umsetzung der Konvention geht es um eine umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und um ein Leben in Selbstbestimmung. Bei der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans wurden von Anfang an die Verbände behinderter Menschen einbezogen. In enger Abstimmung mit Ihnen wurden Handlungsfelder und Querschnittsthemen entwickelt, die Herzstück des Aktionsplans werden sollen. Ein wesentliches Querschnittsthema ist dabei die Barrierefreiheit in Art. 9 der Behindertenrechtskonvention. Die Bundesregierung hat und wird weiterhin im Rahmen der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen auch im Bereich Barrierefreiheit einbeziehen. Die Bundesregierung prüft derzeit, welche konkreten Maßnahmen und Projekte zur Umsetzung des Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention und damit zur Herstellung der Barrierefreiheit in den Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Konvention aufgenommen werden können. Zu Frage 50: Zur Umsetzung von Barrierefreiheit außerhalb des öffentlich-rechtlichen Bereichs wurde mit dem Behindertengleichstellungsgesetz das Instrument der Zielvereinbarung geschaffen, mit dem anerkannte Behindertenverbände mit Unternehmen bzw. Unternehmensverbänden über die Herstellung von Barrierefreiheit in Verhandlung treten können. Mit Hilfe von Zielvereinbarungen können sich die Vertragspartner eigenverantwortlich über konkrete und verhältnismäßige Regelungen einigen und eigene Lösungen für unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche finden, die für behinderte Menschen wichtig sind. Die Bundesregierung hat somit keinen Einfluss darauf, wo und in welcher Weise Zielvereinbarungen abgeschlossen werden. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Drucksache 17/3947, Fragen 53 und 54): Inwiefern übernimmt die Bundesregierung eine koordinierende Rolle auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene bei der vollständigen Umsetzung der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung, BITV, als ein bedeutsames Instrument zur Umsetzung des Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention für den Informations- und Kommunikationssektor? Welche Schritte hat die Bundesregierung bislang unternommen, um die bereits novellierte Verordnung, die sogenannte BITV 2, abgestimmt einzuführen, und welches weitere Vorgehen plant sie? Zu Frage 53: Das Behindertengleichstellungsgesetz bzw. die danach erlassene Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung waren Vorbilder für die Länder. Die meisten Länder haben die Verordnung des Bundes eins zu eins übernommen. Zur praktischen Umsetzung der Verordnung hat sich das BMAS an Informationsveranstaltungen beteiligt oder diese selbst durchgeführt. Darüber hinaus wurden bzw. werden zwei Projekte gefördert, die über barrierefreie Informationstechnik mit dem Schwerpunkt barrierefreies Internet informieren, Hilfestellungen bei der Gestaltung barrierefreier Internetseiten anbieten sowie Standards und Prüfverfahren entwickeln, mit denen die Barrierefreiheit von Internetseiten und innerbetrieblichen Intranetseiten und -anwendungen durch den sogenannten BITV-Test bundesweit einheitlich beurteilt werden kann. Zu Frage 54: Der Entwurf der überarbeiteten Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung wurde den Ressorts der Bundesregierung zur Abstimmung zugeleitet. Gegenwärtig gibt es zu dem vorgelegten Entwurf noch letzten Abstimmungsbedarf. Die hieran beteiligten Häuser arbeiten intensiv an einer Lösung, um die Verordnung in Kürze verabschieden zu können. Im Anschluss daran muss noch das Notifizierungsverfahren der Europäischen Kommission aufgrund der "EG-Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften" durchlaufen werden. Das Notifizierungsverfahren dauert bis zu drei Monate. Nach Abschluss der Notifizierung kann die novellierte Verordnung in Kraft treten. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Monika Lazar (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 55 und 56): Wie weit ist die Bundesregierung in ihren Plänen, in den künftigen Berichten über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe "noch stärker als bisher auf die unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen und Männern sowie die Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen auf beide Geschlechter einzugehen" (Bundestagsdrucksache 17/2595)? Was kann die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt über die in Auftrag gegebene Vorstudie zur aktuellen Datenlage zu Menschen mit Behinderung sagen, die zugleich eine wissenschaftliche Konzeption für ein neues Berichtswesen entwerfen soll? Die Bundesregierung hat Ende September 2010 eine Vorstudie zur Neukonzeption des Behindertenberichts in Auftrag gegeben. In der Leistungsbeschreibung der Vorstudie wird explizit auf den Genderaspekt hingewiesen. Die Vorstudie wird der Bundesregierung im Februar vorliegen. Auf dieser Grundlage wird dann die Neukonzeption des Behindertenberichts vorbereitet. Die Bundesregierung wird dabei einen Schwerpunkt auf den Genderaspekt legen. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Tabea Rößner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 57 und 58): Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um gemäß Art. 30 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention den Zugang zu Dokumenten, Schulbüchern, E-Books, digitalen Bibliotheken und Nachschlagewerken zu sichern, und inwiefern wird die Bundesregierung Entwickler, Anbieter und Vertreiber der entsprechenden Informationssysteme, die für die Ausbildung und berufliche Teilhabe behinderter Menschen unbedingt erforderlich sind, bei etwaigen Maßnahmen beteiligen? Wie möchte die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung gemäß Art. 30 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention Zugang unter anderem zu Fernsehprogrammen, Filmen und anderen kulturellen Aktivitäten haben? Zu Frage 57: Viele Wörterbücher, Lexika und der Duden sind bereits im Internet verfügbar oder können als digitales Nachschlagewerk am PC genutzt werden. Außerdem gibt es immer mehr Hörbücher auf CD. Die Medien, die aber nur über technische Informationssysteme zur Verfügung stehen, müssen über barrierefrei gestaltete Bedienoberflächen bzw. Programmsteuerungen verfügen, damit sie von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können. Hier setzt ein gemeinsames Projekt des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Kompetenzzentrums zur Barrierefreiheit mit der "Deutschen Zentralbücherei für Blinde" in Leipzig an. Ziel ist die konzeptionelle Vorbereitung einer Zielvereinbarung zur barrierefreien Gestaltung von digitalen Nachschlagewerken und Lexika. Dabei soll auch ein Konzept zur verbesserten Versorgung mit Schulbuchliteratur für blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler eingebunden werden. Außerdem fördert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit den Mitteln der Ausgleichsabgabe zahlreiche Modellprojekte, in denen berufs- und arbeitsmarktbezogene Informationen barrierefrei erstellt und Arbeitshandhabungen sowie technische Arbeitshilfen entwickelt werden. Auskunft über die geförderten Projekte erteilt die Onlinedatenbank "Rehadat" unter www.rehadat.de. Zu Frage 58: Fragen des Hörfunks und Fernsehens fallen in Deutschland in den Kompetenzbereich der Länder. Die Länder haben 2009 im Rundfunkstaatsvertrag eine Ergänzung aufgenommen, nach der die ARD, das ZDF, das Deutschlandradio und alle Veranstalter bundesweit verbreiteter Hörfunk- und Fernsehprogramme im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten barrierefreie Angebote vermehrt aufnehmen sollen. Unabhängig davon haben sich die ARD und das ZDF zur Förderung des barrierefreien Zugangs im Hörfunk und Fernsehen sowie im Internet verpflichtet. Die Länder und Landesmedienanstalten überprüfen in regelmäßigen Abständen die fortschreitende Entwicklung auf diesem Gebiet. Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, das am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist, sieht auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien eine Erleichterung der Förderbedingungen für Filme mit Hörbeschreibung für blinde und sehbehinderte Menschen und ausführlicher Untertitelung für hörbehinderte Menschen vor. Da der Großteil der deutschen Filme eine Förderung nach dem Filmförderungsgesetz erhält, geht die Bundesregierung von einer gesteigerten Verfügbarkeit deutscher Kinofilme mit Hörbeschreibung und erweiterter Untertitelung aus. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 59 und 60): Wann genau wird die Bundesregierung einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, BRK, vorlegen, und welche konkreten Möglichkeiten hat die Zivilgesellschaft, insbesondere Menschen mit Behinderung und die sie vertretenden Organisationen, im Rahmen des beim Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen eingerichteten Teilhabebeirats die Umsetzung der im Aktionsplan genannten Maßnahmen zu überwachen? In welchen Bundesministerien wird die Bundesregierung zur innerstaatlichen Durchführung der Konvention Focal Points nach Art. 33 der BRK einrichten, und wie wird die Bundesregierung als Vertragspartnerin gegenüber den Vereinten Nationen sicherstellen, dass solche Focal Points auch entsprechend bei den jeweiligen 16 Bundesländern eingerichtet werden? Zu Frage 59: Die Bundesregierung plant, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im März 2011 mit einem Kabinettsbeschluss zu verabschieden. Im Anschluss an die Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans sollen Menschen mit Behinderungen, ihre Organisationen und weitere Akteure der Zivilgesellschaft in die Umsetzung der Konvention und des Nationalen Aktionsplans sowie in den Überwachungsprozess eingebunden werden. Ermöglicht werden soll dies insbesondere durch Fachtagungen und Umfragen. Eine besondere Rolle wird dabei dem beim Behindertenbeauftragten eingerichtete "Inklusionsbeirat" und dem beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichteten Ausschuss zur UN-Konvention zukommen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Beteiligung steht noch nicht fest und ist auch Gegenstand der aktuellen Beratungen in diesen beiden Gremien. Darüber hinaus bindet auch die nichtstaatliche, unabhängige Monitoringstelle im Deutschen Institut für Menschenrechte die Zivilgesellschaft aktiv und eng in ihre Arbeiten zur Überwachung der Durchführung und Umsetzung der Konvention ein. Zu Frage 60: Gemäß Art. 33 der UN-Behindertenrechtskonvention bestimmen die Vertragsstaaten einen oder mehrere staatliche Anlaufstellen, die sogenannten Focal Points, für Angelegenheiten der Durchführung der Konvention. Damit liegt es grundsätzlich im Ermessen des Vertragsstaates, wie viele solcher Anlaufstellen eingerichtet werden. Hauptanlaufstelle für die Durchführung der Konvention in Deutschland ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Im Rahmen der Erstellung des Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der Konvention wird ungeachtet der bisherigen guten Zusammenarbeit in jedem Fall eine noch intensivere Vernetzung der Ressorts in Fragen der Umsetzung der Konvention angestrebt und die Benennung von weiteren Focal Points dabei ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Die Bundesregierung ermutigt gleichzeitig die Länder ausdrücklich zur Benennung von eigenen Anlaufstellen für Angelegenheiten der Durchführung der Konvention. Einige Länder haben bereits solche Stellen benannt. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 61): Wie wirken sich nach den dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorliegenden Informationen die Kürzungen im Bundeshaushalt 2011 - im Vergleich zum Bundeshaushalt 2010 - beim Eingliederungstitel - Leistungen zur Eingliederung in Arbeit - und den Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende in den einzelnen Jobcentern bzw. Optionskommunen aus, und um welchen Betrag - absolut und prozentual - reduzieren sich die vor Ort in dem jeweiligen Jobcenter bzw. der jeweiligen Optionskommune zur Verfügung stehenden Mittel sowohl für den Eingliederungstitel als auch die für Verwaltungskosten? Es ist zutreffend, dass sich die im Bundeshaushalt für 2011 zur Verfügung stehenden Eingliederungs- und Verwaltungsmittel im Vergleich zu den im Jahr 2010 zur Verfügung stehenden Mitteln verringern werden. Der neue Mittelansatz trägt einerseits den zwingenden Vorgaben zur Reduzierung von Ausgaben des Bundes Rechnung. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung der Arbeitslosigkeit infolge des konjunkturellen Aufschwungs bisher insgesamt positiver als erwartet ausgefallen ist. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Jobcenter - gemeinsame Einrichtungen und zugelassene kommunale Träger - auch im kommenden Jahr die Wirksamkeit des Mitteleinsatzes weiter steigern können. Wegen der verbesserten Arbeitsmarktlage und dem wirtschaftlicheren Mitteleinsatz erwartet die Bundesregierung, dass trotz sinkendem Budget für Eingliederung und Verwaltung die Zahl der Integrationen in den ersten Arbeitsmarkt im kommenden Jahr steigen wird. Die genaue Höhe der Eingliederungs- und Verwaltungsmittel, die den einzelnen Jobcentern im Jahr 2011 zur Verfügung stehen werden, wird erst im Rahmen der Eingliederungsmittel-Verordnung 2011 festgelegt. Wegen des Fehlens statistischer Daten können zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine konkreten Angaben gemacht werden. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 62): Wie wirkt es sich von der Zahl der Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterstunden her - absolut und prozentual - in den einzelnen Jobcentern bzw. Optionskommunen aus, dass entgegen der in der Vergangenheit üblichen Praxis auf die Obergrenze für den Anteil der maximal zulässigen Zahl an befristet beschäftigten Mitarbeitern in den jeweiligen Jobcentern beispielsweise im Rahmen einer Schwangerschafts- oder Krankheitsvertretung zeitlich befristet beschäftigte Mitarbeiter angerechnet werden? Wie in der Antwort auf Ihre schriftliche Frage im Oktober 2010 - veröffentlicht in der Bundestagsdrucksache 17/3565 - dargestellt, ist es bereits langjährige Praxis, dass im Rahmen einer Elternzeit- oder Krankheitsvertretung befristet beschäftigte Mitarbeiter auf die für die Bundesagentur für Arbeit geltende Befristungsobergrenze angerechnet werden. Dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales liegen keine Angaben vor, wie viele befristet beschäftigte Mitarbeiter bei der Bundesagentur für Arbeit in den Jobcentern im Rahmen einer Schwangerschafts-, Elternzeit- oder Krankheitsvertretung beschäftigt sind. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Bärbel Bas (SPD) (Drucksache 17/3947, Fragen 63 und 64): Wie begründet die Bundesregierung ihre Pläne, privat krankenversicherte Empfänger von Arbeitslosengeld II, ALG II, in die gesetzliche Krankenversicherung, GKV, zu überführen, um das Kostendeckungsproblem zu lösen, Bericht Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. November 2010, Seite 11, und warum senkt die Bundesregierung nicht den Basistarif der privaten Krankenversicherung für ALG-II-Empfänger auf die Höhe des Zuschusses, den die Bundesagentur für Arbeit für gesetzlich krankenversicherte ALG-II-Empfänger an die GKV zahlt? Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, dass die Bundesagentur für Arbeit für privatversicherte ALG-II-Empfänger einen kostendeckenden Beitrag an die Krankenkassen überweist, und wie steht die Bundesregierung zur Forderung, auch für gesetzlich krankenversicherte ALG-II-Empfänger den Kassen einen kostendeckenden Beitrag zu überweisen? Die Fragen betreffen jeweils mögliche Lösungsvarianten zur Schließung der sogenannten Beitragslücke in der privaten Krankenversicherung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern. Sie werden deshalb gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diese Beitragslücke dringend geschlossen werden muss. In den Fragen werden drei grundsätzlich denkbare Lösungsvarianten dargestellt. Die Bundesregierung prüft derzeit, welche Lösungsmöglichkeit die Interessen aller Beteiligten am besten berücksichtigt. Die hierzu erforderlichen Abstimmungen sind noch nicht abgeschlossen. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/3947, Frage 65): Welche Erkenntnisse hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales zu der Aussage veranlasst, mit der EU-Freizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 könnte "über ausländische Tarifverträge Lohndumping zu uns transportiert" werden - Braunschweiger Zeitung, 24. November 2010, und wäre es ein denkbarer Weg, diesem Problem mit einer Streichung des Tarifvorbehalts im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu begegnen? Einige Vertreter der Sozialpartner befürchten, dass es durch das Einwirken ausländischer Tarifverträge mit Niedrigstlöhnen aus den neuen Mitgliedstaaten, sowie die neue Möglichkeit zur Beschäftigung von Arbeitnehmern aus diesen Staaten bei inländischen Zeitarbeitsunternehmen zu Lohnverwerfungen in der Branche kommen könnte. Die Bundesregierung beobachtet daher die Entwicklungen in der Zeitarbeitsbranche auch vor dem Hintergrund der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für acht, im Jahr 2004 der EU beigetretenen Mitgliedstaaten ab Mai 2011 sehr genau. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales hat hierzu einen Vorschlag unterbreitet und Gesprächsbereitschaft signalisiert. Der Vorschlag zur Einführung einer Lohnuntergrenze zielt auf die Vermeidung von Lohndumping und Missbrauch des Instruments Zeitarbeit zum Schutz der Branche und aller in Deutschland tätigen Zeitarbeitskräfte, unabhängig davon, ob diese bei einem Zeitarbeitsunternehmen im In- oder Ausland angestellt sind. Allerdings ist innerhalb der Bundesregierung hierzu noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/3947, Frage 66): Inwiefern arbeitet derzeit die Bundesagentur für Arbeit - Regionaldirektionen und Agenturen - mit Leiharbeitsfirmen zusammen, die nicht in Deutschland ansässig sind - bitte auch Form und Umfang nennen -, und wie werden die Regional-direktionen bzw. Arbeitsagenturen ab dem 1. Mai 2011 mit ausländischen Leiharbeitsagenturen zusammenarbeiten? Innerhalb der Bundesagentur für Arbeit koordiniert die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung, ZAV, die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen der Zeitarbeitsbranche und den Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit. Die Art und der Inhalt der Zusammenarbeit hat die Bundesagentur für Arbeit in einer Musterkooperationsvereinbarung beschrieben. Die Kooperationsvereinbarungen wurden nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit ausschließlich mit Zeitarbeitsunternehmen mit Betriebssitz in Deutschland geschlossen. Es bestehen keine Vereinbarungen mit Unternehmen dieser Branche mit Betriebssitz im Ausland. Auch liegen keine entsprechenden Anträge vor. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen des Abgeordneten Werner Dreibus (DIE LINKE ) (Drucksache 17/3947, Fragen 67 und 68): Unter welchen Voraussetzungen können in Anbetracht der momentanen Regelungen zur EU-Dienstleistungsfreiheit und angesichts der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit derzeit Leiharbeitsfirmen mit Sitz in den 2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Ländern in Deutschland tätig werden, und welche Anforderungen gelten für die eingesetzten Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer (bitte danach unterscheiden, welche Staatsangehörigkeit sie haben, ob sie ihren Wohnsitz in Deutschland oder in den Herkunftsländern haben bzw. ob sie eine Arbeitsgenehmigung für Deutschland haben)? Was ändert sich bezüglich der oben geschilderten Problematik ab dem 1. Mai 2011? Zu Frage 67: Verleiher mit Sitz im Ausland benötigen für die Überlassung von Arbeitskräften nach Deutschland eine Verleiherlaubnis der Bundesagentur für Arbeit, BA. Verleihern, die Betriebe, Betriebsteile oder Nebenbetriebe außerhalb von EWR-Staaten haben, kann eine Verleiherlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, AÜG, nicht erteilt werden. Verleiher mit Sitz in einem 2004 der EU beigetretenen mittel- und osteuropäischen Staat, EU-8, können bis 1. Mai 2011 ausschließlich Alt-Unionsbürger nach Deutschland verleihen, da insoweit die Übergangsregelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit zu beachten sind. Allerdings können diese Verleihfirmen grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie in Deutschland ansässige Verleiher von der Gleichstellungsverpflichtung durch einen ausländischen Tarifvertrag abweichen, soweit dieser bestimmten Mindestanforderungen an einen deutschen Tarifvertrag vergleichbar ist. Dies folgt aus den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten. Zu Frage 68: Mit dem Auslaufen der Übergangsbestimmungen zum 1. Mai 2011 benötigen Staatsangehörige der EU-8 für eine Beschäftigung in Deutschland keine Arbeitsgenehmigung mehr. Es ist nicht mehr möglich, bestimmte Tätigkeiten inländischen Arbeitnehmern vorzubehalten oder freie Stellen mit diesen vorrangig zu besetzen. Auch entfällt die Überprüfung der BA auf ungünstigere Arbeitsbedingungen gegenüber inländischen Arbeitnehmern. Die Öffnung erfasst den bisher umfassend ausgeschlossenen Zugang von Zeitarbeitnehmern, sowohl im Wege der Beschäftigung bei inländischen Zeitarbeitsunternehmen als auch der grenzüberschreitenden Überlassung aus dem EU-Ausland an inländische Entleiher. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 69): Auf welcher Grundlage geht das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, davon aus, dass im Zuge der am 1. Mai 2011 in Kraft tretenden Arbeitnehmerfreizügigkeit "künftig jährlich zwischen 100 000 und 140 000 Arbeitskräfte" aus den acht osteuropäischen EU-Staaten zeitweilig oder dauerhaft einen Arbeitsplatz in Deutschland suchen werden, und teilt die Bundesregierung die Auffassung von Heinrich Alt, dass dies ein "Einschnitt insbesondere für die neuen Länder" darstellt (vergleiche zum Beispiel WELT ONLINE "100.000 Arbeitskräfte aus Osteuropa erwartet" vom 20. November 2010)? Zu den Auswirkungen der vollen Freizügigkeit liegen dem BMAS keine eigenen konkreten Erkenntnisse vor. Das von Herrn Alt genannte Szenario erscheint nicht unrealistisch, wobei Migrationsprognosen allgemein als schwierig und unsicher gelten. Vermutlich wird die Zuwanderung aus den EU-8 zwar steigen, jedoch ist kein "Ansturm" zu erwarten. Hiergegen sprechen auch Erfahrungen anderer Mitgliedstaten und Entwicklungen in der Übergangszeit - wirtschaftlicher Aufholprozess der neuen Mitgliedstaaten; Wanderung in andere Mitgliedstaaten; Nutzung bisheriger Zugangswege nach Deutschland. Nicht abschließend voraussagen lässt sich jedoch, inwieweit sich die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in den bisher bevorzugten Zielländern - Großbritannien, Irland - sowie die noch bestehenden Lohnunterschiede auf das Wanderungsverhalten auswirken können. Konkrete Aussagen über die Arbeitsmarktentwicklung in Ostdeutschland lassen sich vor diesem Hintergrund derzeit nicht treffen. Das BMAS ist weiter der Auffassung, dass eine gewisse Steigerung der Attraktivität Deutschlands für Beschäftigungen mit mittlerem Qualifikationsniveau, die eine Berufsausbildung voraussetzen, durch Wegfall der Vorrangprüfung eintreten kann. Für Hochqualifizierte mit Hochschulabschluss dürfte die volle Freizügigkeit wenig Auswirkungen haben, da diese Personengruppe bereits heute nahezu die volle Freizügigkeit hat. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Fragen der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 70 und 71): Welche Pläne für die Rechte an der Marke "Informationsdienst Holz", die der Holzabsatzfonds gehalten hat, hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Abwicklung des Holzabsatzfonds? Führen die Pläne der Bundesregierung unter Umständen dazu, dass die Nutzung der Marke durch die Forst- und Holzwirtschaft, die den Wert dieser Marke in den zurückliegenden Jahrzehnten durch eigene finanzielle Beiträge geschaffen hat, womöglich nur gegen eine Nutzungsgebühr möglich ist oder die Marke von ihr meistbietend erworben werden muss? Zu Frage 70: Der Holzabsatzfonds ist verpflichtet, seine Vermögensgegenstände bestmöglich zu verwerten. Das gilt grundsätzlich auch für die Marke "Informationsdienst Holz". Zu Frage 71: Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer Verwertung von Vermögensgegenständen im Rahmen eines Bieterverfahrens ein angemessener Preis ermittelt und vom Erwerber auch zu entrichten ist. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 72): In welchen Ländern und in welcher Höhe werden nach Kenntnis der Bundesregierung erhöhte Gebühren bzw. Steuern für Transaktionen mit Nahrungsmitteln oder Agrarrohstoffen erhoben? Zu dieser Fragestellung liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Christian Schmidt auf die Fragen des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 73): Wie ist die Beschaffung des A400M für die Bundeswehr bis 2014 und dessen volle Einsatzbereitschaft im Jahr 2018 mit der Aussage des Bundesministers der Verteidigung entsprechend seinen Äußerungen anlässlich der Bundeswehrtagung 2010 in Dresden vereinbar, wonach jeder Rüstungs- und Beschaffungsprozess vom Ziel her zu betrachten ist, und welche Alternativen zum Beschaffungsprojekt A400M wurden geprüft? Es ist gegenwärtig noch nicht endgültig entschieden, wann und mit welchem Inhalt das Kabinett mit dem Thema Bundeswehrreform befasst werden soll. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 74): Welche konkreten Punkte der geplanten Bundeswehrreform sollen am 9. Dezember 2010 durch das Kabinett der Bundesregierung beschlossen werden, und wann plant die Bundesregierung den Deutschen Bundestag über die konkreten Inhalte zu informieren? Die aktuellen Anforderungen an Material und Ausrüstung aus den Einsätzen erfordern schnellere Entwicklungs- und Beschaffungsprozesse. Dieses entspricht auch der Beurteilung der Strukturkommission, die Empfehlungen hierzu ausgesprochen hat. Im Falle des von Ihnen angesprochenen A400M handelt es sich um ein laufendes Projekt, mit dem nun - trotz der bedauerlichen Programmverzögerungen - die bestehende Fähigkeitslücke zügig geschlossen wird. Die Transportluftfahrzeuge A400M werden bereits bei Auslieferung in vorläufigen Standards über nutzbare Fähigkeiten insbesondere im strategischen Einsatzspektrum verfügen. Die in der Vergangenheit von der Industrie unterschätzte Komplexität des Projekts macht diesen gestuften Fähigkeitsaufwuchs erforderlich. Der Luftwaffe werden daher auch bereits vor dem Jahr 2018 Fähigkeiten mit A400M bereitstehen, die über das derzeitige Spektrum hinausgehen. Vor der Entscheidung zur Realisierung des Transportluftfahrzeugs A400M im Jahr 2003 wurden Untersuchungen zu Alternativen durchgeführt. Diese Untersuchungen umfassten sowohl die Deckung der Fähigkeitslücke über eine Mischflotte, als auch die Beschaffung der Antonov AN 70. Die Entscheidung für den A400M war nicht unerheblich von sicherheitspolitischen sowie wirtschafts-, rüstungs- und europapolitischen Argumenten geprägt. In der Gesamtbetrachtung wurde die bereits im Jahr 2000 angekündigte und im Jahr 2003 getroffene Entscheidung auf A400M als dem bedeutendsten europäischen Rüstungsprojekt bestätigt. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Katja Dörner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 75): Wie ist der Stand der Erarbeitungen zu "Optionen für eine Neugestaltung der Verantwortungsbereiche von Kinder- und Jugendhilfe und Sozialhilfe", und welche Ergebnisse ergab die intensive Prüfung einer "Zuständigkeitskonzentration bei der Kinder- und Jugendhilfe" - sogenannte große Lösung -, welche die Bundesregierung Bezug nehmend auf Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung in ihrer Stellungnahme zum 13. Kinder- und Jugendbericht angekündigt hat? Das Bundesfamilienministerium und das Bundesarbeitsministerium arbeiten eng zusammen und bringen sich aktiv in die neue gemeinsame Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, ASMK, und der Jugend- und Familienministerkonferenz, JFMK, ein, die sich unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger im neuen Jahr vertieft mit der Thematik befassen wird. Die Arbeitsgruppe wird 2011 der ASMK und der JFMK einen qualifizierten Zwischenbericht vorlegen. Bei der Zusammenführung der Eingliederungshilfe für behinderte Kinder und Jugendliche unter dem Dach des SGB VIII - der sogenannten großen Lösung - handelt es sich um ein großes und schwieriges Projekt, das mit erheblichen finanziellen, personellen und strukturellen Verschiebungen verbunden wäre. Die Realisierung der Großen Lösung würde eine immense Herausforderung, insbesondere für die Kommunen als örtliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe darstellen. Daher ist das Vorhaben auch im Kontext mit den Arbeiten der Gemeindefinanzkommission zu sehen. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/3947, Fragen 76 und 77): Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass es keine Übergangsregelung für Elterngeldbezieherinnen und -bezieher gibt, die sich im SGB-II-Leistungsbezug befinden, insbesondere für diejenigen, die ihre Elterngeldleistung nach geltendem Recht auf zwei Jahre gestreckt haben, und ist das Fehlen eines Bestandsschutzes nach Auffassung der Bundesregierung rechtskonform? Stellt die Bundesregierung sicher, dass diejenigen Elterngeldbezieherinnen und -bezieher, die von der Möglichkeit des Widerspruches Gebrauch machen und die Streckung des Elterngeldes auf 24 Monate rückgängig machen, ihre bestehenden Ansprüche im Bezugsjahr 2010 auch in voller Höhe unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung erhalten können, und, wenn nein, warum nicht? Zu Frage 76: Die Bundesregierung hat sich vor dem Hintergrund der Einsparbemühungen im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes entschieden, von einer Stichtagsregelung, nach der die Änderungen erst für Geburten ab 1. Dezember 2011 wirksam würden, abzusehen. Ändern sich bei einer laufenden Leistung die rechtlichen Verhältnisse für die Zukunft, sind Vertrauenschutzgesichtspunkte nicht verletzt. Zu Frage 77 Die Bundesregierung prüft die Nichtberücksichtigung nachgezahlter Elterngeldbeträge wegen Widerrufs der Verlängerungsoption als Einkommen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf gesetzlicher oder untergesetzlicher Ebene für Fälle, in denen Beträge für Lebensmonate, die vor dem 1. Januar 2011 begonnen haben, erst nach dem 31. Dezember 2010 nachgezahlt werden, wenn der Widerruf bis zum 31. Dezember 2010 erfolgte. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Fragen der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 80 und 81): Inwieweit sind nach Ansicht der Bundesregierung pflegebedürftige Menschen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch, SGB XI, auch Menschen mit Behinderung nach der UN-Behindertenrechtskonvention, und wie wird sichergestellt, dass die für das Jahr 2011 angekündigte Pflegereform und die Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs den Inhalten der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht? Wie möchte die Bundesregierung die Schnittstellenprobleme zwischen dem SGB XI und dem SGB XII beheben, die sich unter anderem in der Regelung zu § 43 a SGB XI widerspiegeln, wonach Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Einrichtungen der Eingliederungshilfe die umfängliche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XI erschwert wird, und inwiefern wird die Bundesregierung einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vorschlagen, der diese existierenden Schnittstellenprobleme beseitigt? Zu Frage 80: Pflegebedürftige Menschen im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch gelten grundsätzlich auch als Menschen mit Behinderung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Im Koalitionsvertrag sind Maßnahmen für eine Reform der Pflegeversicherung vereinbart worden. Hierfür wird zunächst eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, die zeitnah mit ihren Beratungen beginnen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch noch zu früh, die Frage nach der Verbindung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit der UN-Behindertenrechtskonvention zu beantworten. Zu Frage 81: Es sind noch keinerlei Festlegungen über die Inhalte einer Pflegereform getroffen worden, sodass über Maßnahmen im Einzelnen noch keine Auskunft gegeben werden kann. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 82): Welche Probleme bei der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung sind der Bundesregierung bekannt, und wie verhalten sich diese zum "Recht auf ein erreichbares Höchstmaß an Gesundheit, Habilitation und Rehabilitation" gemäß den Art. 24 und 26 der UN-Behindertenrechtskonvention? Menschen mit Behinderungen haben zum Teil spezifische Bedürfnisse und Bedarfe in der gesundheitlichen Versorgung. Dem wird in der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung getragen. Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch sieht ausdrücklich in § 2a vor, dass den besonderen Belangen chronisch Kranker und behinderter Menschen Rechnung zu tragen ist. Adressat dieser Regelung sind dabei insbesondere die für die konkrete Leistungserbringung Verantwortlichen, also alle Leistungserbringer und die Krankenkassen. Diese haben bei ihrer konkreten Tätigkeit darauf zu achten, dass die Belange behinderter Menschen im Sinne von mehr Teilhabe berücksichtigt werden. Dies entspricht den Anforderungen der Art. 25 und 26 der UN-Behindertenrechtskonvention. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage der Abgeordneten Maria Anna Klein-Schmeink (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 83): Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Gesundheitsleistungen gemäß Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention so gemeindenah wie möglich, auch in ländlichen Gebieten, anzubieten, und welche Rolle spielte dieses Thema in der Bund-Länder-Unterarbeitsgruppe IV - "Sozialraum/Angebotsgenerierung" - zur Reform der Eingliederungshilfe? Die Sicherung der medizinischen Versorgung in dünn besiedelten und strukturschwachen Gebieten, die gegenwärtig auch in der interministeriellen Arbeitsgruppe "Ländliche Räume" thematisiert wird, wird ein wichtiger Punkt im Hinblick auf die weitere gesetzgeberische Arbeit der Legislaturperiode sein. Im Rahmen dieser Reformüberlegungen wird auch zu diskutieren sein, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen notwendig sind, um Menschen mit Behinderungen in ländlichen Gebieten Gesundheitsdienstleistungen "so gemeindenah wie möglich" anzubieten. Die 86. Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat festgestellt, dass die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe ihre volle Wirkung nur dann entfalten kann, wenn sie sozialräumlich unterstützt wird. Daher ist es für die 86. Arbeits- und Sozialministerkonferenz bedeutsam, die inklusive Sozialraumgestaltung zu fördern. Deshalb hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Rahmen der Unterarbeitsgruppe IV "Ambulante Wohnformen/Ambulantisierung/Bedingungen für ein selbstbestimmtes Leben" ein Begleitprojekt "Förderung der inklusiven Sozialraumgestaltung" initiiert. Im Rahmen dieses Begleitprojektes wurde auch die Förderung der inklusiven Sozialraumgestaltung in den Landkreisen thematisiert. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 84): Welche Konsequenzen und welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf - wie vom Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, bei den Rosenthaler Gesprächen des AOK-Bundesverbandes geäußert und bei einem Scheitern der Gespräche der Selbstverwaltung ab Ende November 2010 angekündigt; vergleiche Ärzte Zeitung online vom 12. November 2010 - ergeben sich für die Bundesregierung aus der neuerlichen Entwicklung, die zum Abbruch der Gespräche zu den Pflegetransparenzvereinbarungen führte, vergleiche Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 24. November 2010, und daraus, dass keine, wie in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke "Transparenz der Pflegequalität", Bundestagsdrucksache 17/3372 zu Frage 9 beschriebene, konstruktive und zielführende Mitarbeit aller Vereinbarungspartner der Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant und stationär - PTVA, PTVS - zu erwarten ist, welche aber für eine Weiterentwicklung der sogenannten Pflegenoten auf Grundlage des Einstimmigkeitsprinzips notwendig ist? Die Bundesregierung hält das vorläufige Scheitern der Gespräche für nicht akzeptabel. Es verzögert sich damit die zeitnahe Überarbeitung der Pflegetransparenz-Vereinbarung, obwohl sich alle Leistungsträger und alle großen Verbände der Leistungserbringer bereits zu einer Lösung bereiterklärt hatten. Diese sah etwa vor, die (Ergebnis-)Qualität in bestimmten Pflegebereichen - zum Beispiel Ernährungszustand, Flüssigkeitsversorgung und Wundliegen - deutlicher anzuheben. Mit dem Scheitern der Gespräche wurde die Chance vertan, sowohl die Qualität der Einrichtungen als auch die Transparenz für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen weiter zu verbessern. Eine Einigung bedurfte nach geltendem Recht der Einstimmigkeit der beteiligten Gesprächsteilnehmer. Eine Minderheit wollte sich der vorliegenden Lösung, die unter Moderation des Bundesministerium für Gesundheit, BMG, mit allen erörtert wurde, nicht anschließen und hat damit eine Einigung verhindert. Da das Gesetz klar die Zuständigkeit für die Weiterentwicklung bei der Selbstverwaltung festlegt, fordert das BMG die Vereinbarungspartner der Selbstverwaltung auf, zügig zu einem Konsens zu kommen. Notwendige Weiterentwicklungen dürfen nicht an der Überstrapazierung des Einstimmigkeitsprinzips durch Minderheiten scheitern. Überlegt werden muss deshalb, ob dem Wunsch relevanter Teile der Selbstverwaltung entsprochen werden kann, in solchen Fällen - wie im Sozialrecht auch ansonsten üblich - zukünftig als Konfliktlösungsmechanismus Schiedsstellen-Lösungen zu ermöglichen. Anlage 52 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 85): Die Befruchtung von wie vielen Eizellen ist nach Wissen der Bundesregierung im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung notwendig, sofern neben der künstlichen Befruchtung auch die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik, PID, geplant ist, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für eine erfolgversprechende reproduktionsmedizinische Behandlung inklusive PID mehr als drei Eizellen befruchtet werden müssen? Zur Beantwortung der Frage muss die Bundesregierung auf die Erfahrungen aus der Praxis in den Ländern zurückgreifen, in denen die Präimplantationsdiagnostik, PID, zulässig ist und durchgeführt wird. Entsprechend des Gutachtens im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung "Präimplantationsdiagnostik - ein Ländervergleich" aus dem Jahr 2006 werden dazu in der Regel acht bis zwölf Eizellen in vitro befruchtet. Der aktuelle Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, TAB, zum Thema "Fortpflanzungsmedizin" stellt fest, dass eine PID aus verfahrenstechnischen Gründen zumeist die Gewinnung von bis zu neun Eizellen erfordere. Anlage 53 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Fragen des Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Fragen 86 und 87): Kann die Bundesregierung in jedem Fall ausschließen, dass Zuzahlungen und andere im Zusammenhang mit der Leistungserbringung zu leistende Zahlungen - Kostenerstattungstarife, wirtschaftliche Aufzahlungen, rezeptfreie Medikamente etc. - zu einem verminderten Inanspruchnahmeverhalten bei notwendigen Behandlungen führen bzw. zu finanziellen Härten im Fall der Inanspruchnahme? Ist der Bundesregierung das eindringliche Plädoyer im Weltgesundheitsbericht 2010 der Weltgesundheitsorganisation gegen Direct Payments, also gegen Zahlungen, die im direkten Zusammenhang mit der Gewährung von Arztbesuchen oder Medikamenten stehen, bekannt, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die Forcierung von Kostenerstattungstarifen, Praxisgebühr, Rezeptgebühr, andere Zuzahlungen, Aufzahlungen bei Festbeträgen, Nichterstattungsfähigkeit von rezeptfreien Medikamenten und Sehhilfen und anderen entsprechenden Direct Payments? Zu Frage 86: Hinsichtlich der Zuzahlungen gilt Folgendes: Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV, haben sich an den Kosten bestimmter Leistungen zu beteiligen. Der Eigenanteil soll bewirken, dass die Versicherten im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf eine kostenbewusste und verantwortungsvolle Inanspruchnahme von Leistungen Wert legen. Jeder Versicherte hat pro Kalenderjahr Zuzahlungen höchstens bis zu seiner individuellen Belastungsgrenze zu zahlen. Die Belastungsgrenze beträgt 2 Prozent der zu berücksichtigenden Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Besondere Regelungen gelten für chronisch Kranke: Für Versicherte, die wegen derselben Krankheit in Dauerbehandlung sind, gilt grundsätzlich eine geringere Belastungsgrenze von nur 1 Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Zudem sind Kinder und Jugendliche sowie Frauen, soweit sie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschutz nach § 195 Reichsversicherungsordnung entgegennehmen, von Zuzahlungen befreit. Die Krankenkassen sind verpflichtet, denjenigen, die die Belastungsgrenze während eines Kalenderjahres erreicht haben, einen Befreiungsbescheid für den Rest dieses Jahres auszustellen. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Zuzahlungsverpflichtungen zu einem verminderten Inanspruchnahmeverhalten bei notwendigen Behandlungen führen, insbesondere, weil durch die Belastungsgrenzen und die Freistellung von Kindern und Jugendlichen sichergestellt ist, dass niemand über seine individuelle Belastungsgrenze hinaus Zahlungen leisten muss. Außerdem wird durch die Freistellung der Gesundheitsuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten bzw. der Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt von der Entrichtung der Praxisgebühr verhindert, dass gesundheitspolitisch besonders erwünschte Maßnahmen nicht in Anspruch genommen werden. Hinsichtlich der weiteren im Zusammenhang mit der Leistungserbringung zu leistenden Zahlungen gilt Folgendes: Die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB V, ist eine freiwillige Option für Versicherte der GKV. Vor Inanspruchnahme der Kostenerstattung hat der Leistungserbringer die Versicherten darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu übernehmen sind. Von daher ist nicht davon auszugehen, dass ein Versicherter die Kostenerstattung wählt, wenn er weiß, dass die gegebenenfalls zu leistende Eigenbeteiligung ihn wirtschaftlich überfordern würde. Apothekenpflichtige, rezeptfreie Arzneimittel, die sich jedermann ohne ärztliche Verordnung in der Apotheke kaufen kann, sind grundsätzlich selbst zu finanzieren. Dies gilt allerdings nicht für versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Weitere Ausnahmen gelten nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V für Arzneimittel, die Therapiestandard für die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen sind. Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie auf Grund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat eine verbindliche Liste von Wirkstoffen in nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erstellt, die als Standardtherapeutika bei bestimmten Erkrankungen weiter verordnet werden dürfen. Diese Liste wird regelmäßig überprüft und an neue Erkenntnisse angepasst. Grundsätzlich werden rezeptfreie Arzneimittel somit von den Krankenkassen gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht bezahlt. Damit ist nicht in jedem Falle eine höhere finanzielle Belastung verbunden, denn für verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Kassenrezept ist mindestens eine Zuzahlung in Höhe von 5 Euro zu leisten. Daneben können Versicherte aufgrund der Preisfreigabe bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch Preisvergleiche bei verschiedenen Apotheken oder Internetapotheken auch durch den Austausch in vergleichbare, günstigere Arzneimittel weitere Kosten sparen. Zu Frage 87: Der Bundesregierung ist der Weltgesundheitsbericht 2010 der Weltgesundheitsorganisation, WHO, bekannt. In ihrem diesjährigen Weltgesundheitsbericht legt die WHO dar, wie Länder die Finanzierung der Gesundheitsversorgung so gestalten können, dass schnellere Fortschritte auf dem Weg zu universeller Absicherung im Krankheitsfall möglich sind bei gleichzeitiger nachhaltiger Sicherung bereits erzielter Erfolge. Als weltweit großes Hindernis auf dem Weg zu universeller Absicherung im Krankheitsfall sieht die WHO die in vielen Ländern bestehende Abhängigkeit von Direktzahlungen im Moment der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung und das grundsätzliche Fehlen von Risikoteilungs- und Vorauszahlungsansätzen. Der Weltgesundheitsbericht spricht sich nicht gegen begrenzte Zuzahlungen, Eigenanteile, Selbstbehalte und sonstige Gebühren aus. Die WHO weist darauf hin, dass diese Zahlungsformen weniger als 15 bis 20 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben eines Landes ausmachen sollten, um finanzielle Katastrophen und Verelendung infolge direkter Zahlung nicht erstatteter Behandlungskosten abzuwenden. Daten der OECD belegen, dass Zuzahlungen und private Ausgaben für die Gesundheit in Deutschland im internationalen Vergleich sehr moderat ausfallen und deutlich unter den oben genannten Werten liegen. In Deutschland betragen die Zuzahlungen (einschließlich der Praxisgebühr), die in der GKV erhoben werden, lediglich rund 2,8 Prozent der dort anfallenden Gesamtausgaben. Die Fragestellung verkennt, dass die vom Deutschen Bundestag jüngst beschlossenen ausgabenbegrenzenden Regelungen in der GKV keinerlei Erhöhungen von Zuzahlungen oder Praxisgebühren oder Einschränkungen des Leistungskatalogs vorsehen. Anlage 54 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 88): Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Gespräch des Bundesministers für Gesundheit mit Hebammenvertreterinnen am 9. November 2010, und welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Honorarsituation der Hebammen - bitte die Maßnahmen mit einem Zeitplan vorlegen - zu verbessern? Da der Bundesminister für Gesundheit, BMG, die Sorgen der in der Geburtshilfe tätigen freiberuflichen Hebammen sehr ernst nimmt, hat er am 9. November 2010 mit Vertreterinnen der Hebammenverbände erneut ein Gespräch über die aktuelle Situation geführt. Als Ergebnis dieses Gespräches wurde unter anderem vereinbart, zu den Auswirkungen der gestiegenen Haftpflichtprämien auf die Vergütungssituation der Hebammen und die Versorgung mit Hebammenleistungen zunächst die Datengrundlage zu verbessern. Hierzu wird das Bundesministerium für Gesundheit in enger Abstimmung mit den Hebammenverbänden ein entsprechendes Gutachten erstellen lassen, um Details zu den mit der Prämienerhöhung in Zusammenhang stehenden Vergütungs- und Versorgungsfragen zu ermitteln. Um die Behandlungsposition der Hebammen bei künftigen Vergütungsverhandlungen zu stärken und eine stärkere Berücksichtigung der Haftpflichtprämien bei den Gesamtkosten der Hebammen zu erreichen, wird zudem im Rahmen des für 2011 anstehenden Gesetzes zur Verbesserung der ambulanten Versorgung auch eine Änderung des § 134 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geprüft. Anlage 55 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 89 und 90): Welche Untersuchungen umfasst die kürzlich vorgestellte Bedarfsplanüberprüfung durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung neben den bereits veröffentlichten Berichten, und welche Kosten haben diese Untersuchungen verursacht? In welcher Form soll das für Einzelprojekte des Bedarfsplans Straße vorgesehene Projektmanagement ablaufen, das Entwicklungsprozesse zu Projektnutzen und -kosten kontinuierlich beobachtet und bewertet (vergleiche Schlussbericht Fernstraßen, veröffentlicht durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 11. November 2010), und aus welchem Grund wurde die Veröffentlichung der Bedarfsplanüberprüfung erst jetzt vorgestellt? Zu Frage 89: Neben den bereits veröffentlichten Berichten zur Überprüfung der Bedarfspläne für die Bundesschienenwege und die Bundesfernstraßen umfassen die Bedarfsplanüberprüfungen keine weiteren Untersuchungen. Für die Bedarfsplanüberprüfung waren für den Teil Straße gutachterliche Leistungen in Höhe von rund 115 000 Euro erforderlich, für den Teil Schiene in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro. Zu Frage 90: Primäre Aufgabe eines Projektmanagements ist die Schaffung von Kostentransparenz in den einzelnen Phasen der Straßenplanung und Baudurchführung und eine realitätsnähere Einschätzung entstehender Kosten. Das Kostenmanagement soll langfristig als Planungsinstrument und Instrument der Erfolgskontrolle nutzbar gemacht werden. Im Einzelnen ist vorgesehen: Verbesserung der Kostenschätzungen für einen zukünftigen Bundesverkehrswegeplan und den Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen durch ein qualifiziertes Projektmeldeverfahren sowie durch Kosten-Nutzen-Berechnungen auf der Basis aktueller Marktpreise. Kontinuität der Kostenkontrolle durch die Vorgabe einer klaren Kostenstruktur, die von der Bedarfsplanung bis zur Fertigstellung eines Vorhabens gespannt werden soll, um die Nachvollziehbarkeit der Kostenentwicklung eines Projektes zu gewährleisten. Kostenprüfstationen sollen zukünftig noch stärker mit Genehmigungs- bzw. Freigabeschritten in der Planung und Bauvorbereitung gekoppelt werden und sich auch auf die Bauausführung und Abrechnung beziehen, sodass eine Kontinuität in der Kostenermittlung vom Bedarfsplan bis zur Abrechnung gegeben ist. Die Überprüfung der Bedarfspläne ist unmittelbar vor ihrer Vorstellung abgeschlossen worden. Anlage 56 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Fragen der Abgeordneten Ulrike Gottschalck (SPD) (Drucksache 17/3947, Fragen 91 und 92): Wie konkret greift der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, gegen Sicherheitsmängel im Luftfrachtbereich durch sogenannte bekannte Versender durch, und wie viele der 65 000 "bekannten Versender" wurden bisher durch das Luftfahrt-Bundesamt, LBA, auf Sicherheitstauglichkeit überprüft? Wie vielen "bekannten Versendern" wurde die Sicherheitslizenz entzogen, und wie viele "bekannte Versender" wurden mit welchen Maßnahmen abgemahnt? Deutschland erfüllt bei der Luftfrachtsicherheit hohe Standards. Dennoch müssen wir wachsam bleiben, um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Nach den vereitelten Anschlägen mit Luftfrachtbomben hat das Luftfahrt-Bundesamt unangekündigte Kontrollen bei Luftfrachtunternehmen verstärkt durchgeführt. Dazu gehören sowohl die großen Versender als auch kleinere Unternehmen aus ganz Deutschland. Bis zum 24. November 2010 wurden insgesamt 63 bekannte Versender durch das Luftfahrt-Bundesamt überprüft. Mit unangemeldeten Besuchen wollen wir Schwachstellen aufspüren und umgehend beseitigen. Unternehmen, die unseren Sicherheitsauflagen nicht genügen, wird die Lizenz entzogen. Wir wollen die Sicherheit der Lieferkette weiter verbessern - gemeinsam mit den Unternehmen. Die festgestellten Mängel waren in 23 Fällen leichter sowie in fünf Fällen mittlerer Natur: In 19 Fällen erfolgte die Vorlage von Schulungsnachweisen der Mitarbeiter nicht wie vorgeschrieben (leichter Mangel), in vier Fällen wurden organisatorische Maßnahmen zu Verbesserung des Zugangs zur Betriebsstätte gefordert (leichter Mangel), in zwei Fällen waren die Lagerräume von Luftfracht während der Betriebszeiten nicht ordnungsgemäß verschlossen (mittlerer Mangel), in einem Fall fehlte der Nachweis einer Zuverlässigkeitsüberprüfung (mittlerer Mangel), in zwei Fällen wurden bauliche Veränderungen eingefordert (mittlerer Mangel). Den Unternehmen wurde auferlegt, die Unzulänglichkeiten unverzüglich abzustellen. Die leichten Mängel geben keinen ernsthaften Anlass zur Sorge und können kurzfristig behoben werden. Auch bei den mittleren Mängeln konnten durch strenge Auflagen bis zur endgültigen Behebung sichere Übergangslösungen, wie zum Beispiel die Bewachung der Fracht, umgesetzt werden. Darüber hinaus wird die Aufsichtstätigkeit des LBAs über die betroffenen Unternehmen verstärkt. Anlage 57 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 93): Wann beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Entscheidung deutscher Luftfahrtunternehmen, Flugverbindungen und Flugflotten zu verringern, sowie des Ausbaustopps für den Flughafen Hahn die offensichtlich negativen Auswirkungen der als "Insellösung" gestalteten deutschen Luftverkehrsteuer auf ihre Wirkung hin zu untersuchen, und welche Kriterien wird sie dafür zugrunde legen? Die Bundesregierung wird die Auswirkungen der Luftverkehrsteuer auf die Luftverkehrswirtschaft aufmerksam beobachten. Gemäß § 19 Abs. 4 Luftverkehr-steuergesetz legt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bis zum 30. Juni 2012 einen Bericht über die Auswirkungen der Einführung des Luftverkehrsteuergesetzes auf den Luftverkehrssektor und die Entwicklung der Steuereinnahmen aus der Luftverkehrsteuer vor. Anlage 58 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 94): Welche Konsequenzen oder Probleme hätten bei der Havarie der Ostseefähre "Lisco Gloria" entstehen können oder könnten bei einem vergleichbaren Unglück entstehen - sowohl für das Brückenbauwerk wie auch für den Schifffahrtsverkehr -, wenn die Fehrmarnbelt-Querung bereits existiert hätte? Hypothetische Fragen werden von der Bundesregierung nicht beantwortet. Anlage 59 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 95): Wird das Programmgebiet Augsburg des Bundesprogrammes "Soziale Stadt" trotz der beschlossenen Haushaltskürzungen auch über das Jahr 2010 hinaus weiterhin mit Mitteln des Bundes gefördert und, wenn ja, in welchem Umfang? Die Bundesregierung bekennt sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten ausdrücklich zur Städtebauförderung und möchte die Kommunen auch in Zukunft bei der Bewältigung des wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und ökologischen Wandels unterstützen. Nach Maßgabe der aktuellen Beschlusslage wird der Bund den Ländern entsprechende Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 455 Millionen Euro für das Jahr 2011 bereitstellen. Bund und Länder werden der guten partnerschaftlichen Tradition folgend gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden die Umsetzung des durch den Deutschen Bundestag beschlossenen Mittelumfanges intensiv erörtern. Hierbei wird die Verantwortung über die Fördermittelzuweisung zugunsten der einzelnen Kommunen aufgrund ihrer originären Aufgabenzuständigkeit jedoch in der alleinigen Hand der Länder liegen. Anlage 60 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 96): Ist der Bundesregierung bekannt, wann die Deutsche Bahn AG ein zweites Eisenbahnprogramm nach dem Behindertengleichstellungsgesetz bzw. der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vorlegen wird, und wie hoch war der Anteil an Bundesmitteln - Auflistung der letzten fünf Jahre - bei der Finanzierung von Investitionen zur Herstellung der Barrierefreiheit im Bahnverkehr? Nach Auskunft der Deutsche Bahn AG stehen ihre Arbeiten zum zweiten Programm gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung kurz vor dem Abschluss. Die Veröffentlichung ist Anfang des Jahres 2011 zu erwarten. Die Herstellung der Barrierefreiheit nach dem Programm aus dem Jahre 2005 umfasste eine Vielzahl von Maßnahmen, die in der Regel in größere Baumaßnahmen oder die Gestaltung von Fahrzeugen integriert sind und in diesen Fällen in der Rechnungslegung nicht separat ausgewiesen werden. Eine Auflistung der anteiligen Investitionen bei Bahnanlagen und Fahrzeugen zur Herstellung der Barrierefreiheit im Bahnverkehr der letzten fünf Jahre mit Angaben über den Anteil an Bundesmitteln bei der Finanzierung liegt der Bundesregierung daher nicht vor. Im Übrigen erhält die Deutsche Bahn AG keine Bundesmittel für die Beschaffung von Fahrzeugen. Anlage 61 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 97): Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen: "Wir waren geistig nicht ausreichend aufs Regieren vorbereitet, wir nicht, und zusammen mit der FDP schon gar nicht" (Stern vom 25. November 2010, dapd vom 24. November 2010)? Bei der Äußerung im Stern vom 25. November 2010 handelt es sich um eine private und parteipolitische Äußerung, die nicht der Bewertung durch die Bundesregierung unterliegt. Anlage 62 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3947, Frage 98): Welches Schiff soll nach Informationen der Bundesregierung für den möglichen Seetransport von hochradioaktiven Brennelementen von Ahaus in das russische Majak genutzt werden, und wie bewertet sie dabei die Sicherheit des möglichen Transportschiffs "MCL Trader", welches am 17. Mai 2008 aufgrund von Trunkenheit des Kapitäns auf eine Sandbank vor Bornholm auflief? Es ist zutreffend, dass in der vom Bundesamt für Strahlenschutz, BfS, am 23. September 2010 erteilten Beförderungsgenehmigung als Beförderungsmittel das Seeschiff "MCL Trader" eingetragen ist. Für dieses Schiff wurden vom Antragsteller dem BfS alle notwendigen Unterlagen, insbesondere das erforderliche "INF-Zertifikat", vorgelegt. Was die Zuverlässigkeit des Personals betrifft, ist durch eine Nebenbestimmung in der Beförderungsgenehmigung geregelt, dass durch eine schriftliche Bestätigung die Zuverlässigkeit der verantwortlichen Personen beim Seetransport nachgewiesen ist. Im Übrigen steht das Seeschiff "MCL Trader" derzeit aus betrieblichen Gründen nicht zur Verfügung. Die Verwendung eines geeigneten Schiffs einer dänischen Reederei wurde beantragt. Anlage 63 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 99): Plant das BMU, sich vor seiner Entscheidung über den beantragten Transport der 951 abgebrannten Rossendorfer Brennelemente von Ahaus ins russische Majak vor Ort, also in Majak, ein Bild von den Verhältnissen zu machen - gegebenenfalls auch durch Institutionen wie die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit -, und bis wann will die Bundesregierung nach aktueller Planung spätestens über die Genehmigung des Transports entscheiden? Die hier angesprochene Thematik wurde heute, am 1. Dezember 2010, ausführlich im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages beraten. Für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, ist entscheidend das Vorliegen der schadlosen Verwertung. Das BMU braucht, um dies bejahen zu können, - neben dem Gutachten der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit mbH, GRS, und weiteren Berichten - auch ein Bild der örtlichen Verhältnisse. Über den Zeitpunkt der Entscheidung insbesondere zur Erteilung der Genehmigung nach der Atomrechtlichen Abfallverbringungsverordnung, AtAV, können noch keine Aussagen getroffen werden. Anlage 64 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 100): Hat der zuständige Abteilungsleiter des Landes Schleswig-Holstein dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, seine Vorbehalte im Hinblick auf die Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke nach dem 5. September 2010 per Brief, Fax oder E-Mail mitgeteilt - bitte mit Angabe des Datums -, und liegen dem BMU aus einzelnen Bundesländern bereits erste Informationen zum tatsächlichen Nachrüstbedarf einzelner Anlagen ganz konkret - es wird um eine klare Aussage gebeten und nicht um einen erneuten Verweis auf Bundestagsdrucksache 17/3394, Frage 1 - im Zusammenhang mit den in der Liste enthaltenen Maßnahmen vor oder nicht? Ja, der zuständige Abteilungsleiter des Landes Schleswig-Holstein hat dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, seine Vorbehalte im Hinblick auf die Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke am 10. September 2010 per E-Mail mitgeteilt. Im Rahmen der Diskussion der Liste hat ein Bundesland erste Informationen zum Umsetzungsbedarf übermittelt. Anlage 65 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3947, Frage 101): Liegen der Bundesregierung Abschätzungen vor, ob eine intensivere Anwendung des § 37 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, absehbar zu einer höheren EEG-Umlage führen könnte, und, falls ja, auf welche Höhe belaufen sich diese Abschätzungen? Die Auswirkungen der Inanspruchnahme von § 37 Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG, "Grünstromprivileg", auf die EEG-Umlage hängen zum einen davon ab, für welches Potenzial an Strom aus erneuerbaren Energien mit Anspruch auf EEG-Vergütung bei einer bestimmten Höhe der Umlage eine Nutzung von § 37 EEG wirtschaftlich wäre, und zum anderen vom Grad der tatsächlichen Nutzung dieses Potenzials. Prognos und das Institut für Energie Leipzig gehen in ihren Studien, die der Festsetzung der EEG-Umlage 2011 durch die Übertragungsnetzbetreiber zugrunde liegen, bei einer Umlage von 3,53 Cent/Kilowattstunde, ct/kWh, von einem Potenzial von rund 37 Terawattstunde, TWh, EEG-Strom aus, der im Rahmen des Grünstromprivilegs wirtschaftlich genutzt werden könnte. Unter der Annahme, dass dieses Potenzial zu etwa einem Drittel genutzt wird, und berücksichtigend, dass durch das 50-Prozent-Kriterium in § 37 EEG theoretisch die doppelte Strommenge in den Genuss der Befreiung von der Umlage kommen kann, setzen sie für 2011 eine Strommenge von 24,66 TWh als umlagebefreit nach § 37 EEG an. Dadurch wird der nichtprivilegierte Letztverbrauch, auf den die EEG-Differenzkosten umgelegt werden, entsprechend reduziert, sodass die EEG-Umlage für die Betroffenen steigt. Dieser Effekt beträgt nach den Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber 2011 erst etwa 0,1 ct/kWh. Es ist aber davon auszugehen, dass bei Konstanz der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen das unter § 37 EEG nutzbare Potenzial nach und nach tatsächlich ausgeschöpft wird. Hinzu kommt, dass dieses Potenzial mit steigender Umlage weiter steigen würde. In ihrer am 15. November 2010 vorgelegten Mittelfristprognose rechnen die Übertragungsnetzbetreiber entsprechend bis 2015 mit einer aufgrund von § 37 EEG umlagebefreiten Strommenge von 76 TWh, das heißt etwa einer Verdreifachung gegenüber 2011. Die hieraus resultierende Erhöhung der EEG-Umlage könnte - je nach Entwicklung der sonstigen umlagerelevanten Parameter - durchaus eine Größenordnung von etwa 0,5 ct/kWh erreichen. Anlage 66 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Fragen der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 102 und 103): Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die gehäuften Krebsfälle in der Umgebung des Forschungsendlagers Asse II auf die dortige Atommülllagerung zurückzuführen sind? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Erkenntnissen über gehäufte Krebsfälle in der Nähe der Asse II? Bei den berichteten erhöhten Krebsraten in der Umgebung des Endlagers Asse handelt es sich um zwei Krebsarten, Leukämie und Schilddrüsenkrebs, wobei die Erhöhung der Leukämiehäufigkeit nur bei Männern, die von Schilddrüsenkrebs nur bei Frauen gefunden wurde. Der berichtete Anstieg an Krebsfällen bezieht sich auf zwei aus einer Vielzahl von untersuchten Krebsarten. Die Daten beziehen sich auf das Gebiet der Samtgemeinde Asse, die im Landkreis Wolfenbüttel liegt. Im Landkreis selbst sind die Daten unauffällig. Bei den vorliegenden Daten handelt sich dabei um die Analyse zum Auftreten von Krebsfällen in einer kleinen Region, die zwangsläufig, da es sich bei den gefundenen Krebsfällen um seltene Erkrankungen handelt (weniger als 10 Fälle pro 100 000 Einwohner), starken statistischen Schwankungen unterliegt. Die Strahlenbelastung in der Umgebung der Asse wird seit 1966 lückenlos erfasst. Nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen der Umgebungsüberwachung kann der beobachtete Anstieg in der Samtgemeinde Asse nicht durch die Strahlenbelastung aus der Asse erklärt werden. Um den beobachteten Anstieg mit Strahlung erklären zu können, müsste nach den vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnissen über die Entstehung der entsprechenden Krebserkrankungen die Dosis etwa 10 000-mal höher sein als beobachtet. Weiterhin ist bei derartigen Auswertungen davon auszugehen, dass aufgrund der statistischen Nachweisverfahren in einer bestimmten Zahl von Gemeinden alleine aufgrund des statistischen Zufalls Erhöhungen in Erkrankungsraten gefunden werden. Die Bundesregierung ist an einer schnellen Klärung der Sachlage interessiert und bietet dem Land Niedersachsen ihre Unterstützung bei der Bewertung der nun beobachteten erhöhten Krebshäufigkeiten an. Anlage 67 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Frage der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 104): Welche Korrekturen im Rahmen des Hochschulpaktes II plant die Bundesregierung im Hinblick auf die Berücksichtigung der tatsächlichen Durchschnittskosten pro Studienplatz und mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die im Rahmen des Hochschulpaktes I vorgesehenen Studienanfänger-/Studienanfängerinnenzahlen deutlich übertroffen wurden? Mit dem Hochschulpakt 2020 sorgen Bund und Länder für ein bedarfsgerechtes Studienangebot. Damit erhalten die jungen Menschen und auch die Hochschulen eine verlässliche Perspektive. Die zusätzlichen Studienanfänger des Studienjahres 2010 sind Teil des Hochschulpakts 2020. Bereits im Studienjahr 2009 lagen die tatsächlichen Studienanfängerzahlen deutlich oberhalb der dem Hochschulpakt zugrunde liegenden KMK-Prognose. Bund und Länder haben darauf reagiert und entsprechende finanzielle Vorsorge getroffen. Rund 400 Millionen Euro hat allein der Bund hierfür zusätzlich in den Jahren 2011 bis 2013 eingeplant. Auch für die zusätzlichen Studienanfänger des Studienjahres 2010 will die Bundesregierung Vorsorge treffen. Darüber hinaus engagiert sich die Bundesregierung für eine Qualitätsverbesserung der Hochschullehre, die allen Studierenden zugutekommt. Mit dem Qualitätspakt wird die Bundesregierung bis 2020 rund 2 Milliarden Euro in bessere Studienbedingungen investieren. Anlage 68 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Frage der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 105): Wie entwickelt sich im Zusammenhang mit der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Studienanfängerquote das Verhältnis von Studienanfängerinnen und Studienanfängern zur Zahl der Hochschulzugangsberechtigten im gleichen Alter, und welchen Einfluss hat die Zahl der sogenannten Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer einerseits und die Einbeziehung zusätzlicher Bildungseinrichtungen in die Statistik andererseits auf die Entwicklung der Studienanfängerquote von 2010 gegenüber 2009? Für das Studienjahr 2010 liegt derzeit die Schnellmeldung des Statistischen Bundesamts vor, die eine erste Information über die Entwicklung der Studierenden gibt und nur eine grobe Gliederung enthält. Eine differenzierte Analyse sowie ein detaillierter Vergleich zwischen den beiden Studienjahren 2010 und 2009 sind daher zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. In den vorläufigen Zahlen sind Bildungseinrichtungen, die - ähnlich wie bei der Umwandlung der Berufsakademien in Baden-Württemberg zu Hochschulen - in 2010 erstmals zu Hochschulen dazugerechnet werden könnten, nicht enthalten. Es handelt sich daher im Vorjahresvergleich um einen echten Anstieg. Auch doppelte Abiturjahrgänge durch die Umstellung der Gymnasien auf G8 wirken sich kaum aus, da in 2010 nur Hamburg einen doppelten Abiturientenjahrgang hat. Anlage 69 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 106): Wie soll der 7 Millionen Euro teure Wissenschaftszug unter Angabe des Einsatzortes und des Starttermins im Hinblick auf die Antwort zu meiner schriftlichen Frage 140 auf Bundestagsdrucksache 17/2892 nunmehr verwendet bzw. eingesetzt werden, und wie hoch sind die Bewachungs- und Unterhaltungskosten für den Zug unter Berücksichtigung der Aufwendungen der Deutschen Bahn AG seit Stilllegung des Science Trains sowohl insgesamt als auch pro Monat? Die weitere Verwendung des Sonderzuges der Wissenschaftsausstellung "Expedition Zukunft" liegt in der Verantwortung der Max-Planck-Gesellschaft, MPG. Der Zug wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, auf Antrag der MPG von Juli 2008 bis Juni 2010 im Rahmen eines Förderprojektes finanziert. Entsprechend liegt die Entscheidung über eine weitere Verwendung nach Ablauf der Förderung bei der MPG. Die Ausstellungseinbauten sind Eigentum der MPG. Es besteht für die MPG ein achtjähriges Nutzungsrecht an den Wagen und den Loks, deren Eigentümerin die Deutsche Bahn AG ist. Das BMBF unterstützt die MPG bei ihrem Ziel den Zug im Ausland einzusetzen. Die Verhandlungen dauern allerdings noch an. Seit dem Ende der Wissenschaftsausstellung im November 2009 sind bis einschließlich Oktober 2010 Kosten für Abstellung und Bewachung des Sonderzuges in Höhe von 429 600 Euro entstanden. Im Rahmen des BMBF-Förderprojektes wurden bis Mai 2010 die Abstellungskosten in Höhe von 212 274 Euro finanziert. Seitdem trägt die MPG die monatlichen Kosten von etwa 38 000 Euro. Aktuell bemüht sich die MPG intensiv um eine kostengünstigere Lösung für Parken und Bewachung des Ausstellungszuges. Anlage 70 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Frage 107): Trifft es zu, dass - wie Medien in Mecklenburg-Vorpommern berichten - am 16. Dezember 2010 oder zu einem anderen Zeitpunkt Atommüll aus dem Forschungszentrum Jülich nach Lubmin transportiert werden soll, und, wenn ja, um welche Abfälle/Mengen handelt es sich konkret? Ein Transport von radioaktivem Abfall von Jülich nach Lubmin ist derzeit weder für Dezember 2010 noch sonst geplant. Anlage 71 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Gudrun Kopp auf die Fragen des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/3947, Fragen 108 und 109): Welchen Zeitplan hat sich die Bundesregierung für die Entwicklung einer Strategie gesetzt, um die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Sinne des Art. 32 der UN-Behindertenrechtskonvention zu gestalten, und in welcher Weise wird die Zivilgesellschaft daran beteiligt werden? Mit welchen Mitteln - personell und finanziell - ist das GTZ-Sektorvorhaben "Menschen mit Behinderungen" ausgestattet, und welche weiteren Mittel werden für Maßnahmen und konkrete Projektvorhaben zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Haushalt 2011 bereitgestellt? Zu Frage 108: Am 2. November 2010 fand der zweite Runde Tisch zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, statt. Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erarbeiteten gemeinsam Vorschläge für konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Art. 32 der VN-Behindertenrechtskonvention. Die Erarbeitung einer Strategie hat unter Berücksichtigung der Ergebnisse dieses Runden Tisches bereits begonnen. Es ist beabsichtigt, die grundlegenden Elemente dieser Strategie im Rahmen eines weiteren Runden Tisches in 2011 vorzustellen und zu erörtern. Parallel zum BMZ-gesteuerten Prozess zur Umsetzung des Art. 32 erstellt die Bundesregierung unter Federführung des BMAS einen Aktionsplan zur Umsetzung der gesamten Behindertenrechtskonvention. Auf Intervention des BMZ und der Zivilgesellschaft wird es in diesem nationalen Aktionsplan ein eigenes Kapitel zur "Internationalen Zusammenarbeit" geben. Am 4. November 2010 fand im BMAS unter Beteiligung des BMZ ein Maßnahmenkongress zum nationalen Aktionsplan statt, der der Partizipation der Zivilgesellschaft im direkten Dialog mit Vertreterinnen und Vertreten der staatlichen Institutionen diente. Fragen der Entwicklungszusammenarbeit wurden auch im Rahmen dieser Veranstaltung explizit angesprochen. Zu Frage 109: Das Sektorvorhaben "Menschen mit Behinderungen" verfügt über 1 Million Euro für die dreijährige Laufzeit, Juli 2009 bis Juni 2012. Personell verfügt das Sektorvorhaben über zwei feste Mitarbeiter. Darüber hinaus entsendet die Christoffel-Blindenmission, CBM, pro Jahr eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter an das Sektorvorhaben. Aktuell wird das Sektorvorhaben durch einen Praktikanten personell verstärkt. Grundsätzlich können aus dem Haushalt 2011 behinderten-spezifische und inklusive Vorhaben über die Titel Private Träger und Kirchliche Träger, im Bereich Ressortforschung sowie in der bilateralen Zusammenarbeit umgesetzt werden. Der Betrag der bereitgestellten Mittel wird sich abhängig von entsprechenden Anträgen der Nichtregierungsorganisationen und Bewilligungen im kirchlichen Förderverfahren, vom Ergebnis bilateraler Regierungsverhandlungen sowie vom konkreten Bedarf an wissenschaftsbasierter Politikberatung in diesem Bereich ergeben. Anlage 72 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/3947, Fragen 110 und 111): Was hat die Bundesregierung bisher über konsularische Betreuungsmaßnahmen hinaus unternommen, um dem deutschen Staatsangehörigen Erdoðan Akhanli nach seiner Verhaftung in der Türkei zu helfen, und was hat sie bisher unternommen, um die Gründe für die Verhaftung Erdoðan Akhanlis in Erfahrung zu bringen? Beabsichtigt die Bundesregierung, eigene Beobachter zum bevorstehenden Prozess gegen Erdoðan Akhanli zu entsenden, und hat sie bereits organisatorische Schritte unternommen, um ihm eine kontinuierliche Prozessbeobachtung durch die deutsche Botschaft in Ankara sicherzustellen? Zu Frage 110: Seit Bekanntwerden seiner Inhaftierung wird Herr Akhanli von der zuständigen Auslandsvertretung intensiv konsularisch betreut. Die Bundesregierung steht da-rüber hinaus in Kontakt mit den Anwälten, die Herr Akhanli für seine strafrechtliche Verteidigung ausgewählt hat. Die Bundesregierung hat des Weiteren mehrfach hochrangig und gegenüber verschiedenen türkischen Stellen auf die besonderen Umstände des Falles und auf die große Besorgnis, die Herrn Akhanlis Inhaftierung in Deutschland hervorgerufen hat, hingewiesen. Auf Nachfrage erhielt die Bundesregierung am 7. September 2010 von der türkischen Regierung Auskunft über die Herrn Akhanli von der türkischen Justiz vorgeworfenen Straftaten. Zu Frage 111: Ja. Es ist beabsichtigt, dass ein Konsularbeamter des Deutschen Generalkonsulats in Istanbul den Prozess regelmäßig beobachtet. Da die Verhandlung in öffentlicher Sitzung stattfindet, sind darüber hinaus keine organisatorischen Vorbereitungen notwendig. Anlage 73 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 112): Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass aus dem europäischen Finanzinstrument für Demokratie und Menschenrechte zwar zahlreiche oppositionelle Gruppen und Organisationen in den ALBA-Staaten bezuschusst werden, aber nicht eine Menschenrechtsorganisation aus dem Königreich Saudi-Arabien und den anderen Staaten des Golfkooperationsrates, und welchen Einfluss hat die Bundesregierung auf die Mittelvergabe in den jeweiligen Staaten ausgeübt? Das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte, EIDHR, finanziert mit einem Gesamtvolumen von jährlich circa 100 Millionen Euro vorrangig, das heißt zu 90 Prozent, Projekte, die durch die lokale und internationale Zivilgesellschaft durchgeführt werden. 62 Prozent des Budgets entfallen auf die ersten drei thematischen Förderziele des EIDHR, das heißt auf die Förderung von Menschenrechten und Grundfreiheiten (1), die Stärkung der Zivilgesellschaft (2) und die Umsetzung der EU-Menschenrechtsleitlinien (3). Projekte werden auf Länderebene durch die EU-Delegationen in Abstimmung mit der Zivilgesellschaft, den EU-Mitgliedstaaten und anderen Geldgebern identifiziert. Die EU-Delegationen sind für die Ausschreibung und für das lokale Management der Projekte verantwortlich. Die Bundesregierung wird von der EU-Kommission zur Mehrjahresstrategie, 2007 bis 2010, und zum jährlichen Aktionsplan konsultiert. Bei der Festlegung der geografischen Förderschwerpunkte stellen die EU-Delegationen jährlich Listen von Ländern/Regionen auf, in denen die Aktionen Effizienz versprechen. Das heißt, der Spielraum für zivilgesellschaftliches Handeln muss vorhanden sein, damit mittels Menschenrechts- und Demokratieprojekten die Organisationsstruktur und der Einfluss der Zivilgesellschaft, zu gesellschaftlichem Wandel beizutragen, gestärkt werden können. Im Strategiepapier, 2007 bis 2010, sind für die Länder der Europäischen Partnerschaft und für den Mittleren Osten 35 Prozent für Ziel 1 und 30 Prozent für Ziel 2 angesetzt. Dies ist deutlich mehr als zum Beispiel in Lateinamerika mit jeweils 15 Prozent. Die Staaten des Golfkooperationsrates befinden sich nicht auf dieser Liste. Es ist der Bundesregierung nicht bekannt, ob Förderanträge zivilgesellschaftlicher Organisationen aus diesen Staaten eingereicht wurden. Laut Projektliste der EU-Kommission wurde 2009 und 2010 jeweils ein Projekt in der Republik Jemen durchgeführt. Für das Königreich Saudi-Arabien liegt keine Angabe vor. Die Bundesregierung wird die Möglichkeit einer stärkeren Berücksichtigung von Menschenrechtsorganisationen aus Saudi-Arabien und den Staaten des Golfkooperationsrates im EU-Rahmen aufnehmen. Anlage 74 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 113): Womit wird vonseiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten begründet, dass Angaben darüber, an welchen Einrichtungen und durch wen bislang im Rahmen der EU-Mission EUJUST LEX irakische Richter, Polizei- und Justizvollzugsbeamte in Europa ausgebildet wurden, und insbesondere darüber, ob auch weibliche Personen im Rahmen von EUJUST LEX ausgebildet wurden, als "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft und damit der Öffentlichkeit vorenthalten werden? Die nicht veröffentlichten Teile des Antworttextes zur Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke auf Bundestagsdrucksache 17/3785 zur deutschen Beteiligung an EUJUST LEX stützen sich auf Berichte der Mission, die mit dem EU-eigenen Geheimhaltungsgrad "restricted" eingestuft sind. Dieser bezieht sich auf alle Dokumente und Informationen, deren nicht autorisierte Verbreitung nachteilig für die Interessen der EU oder eines bzw. mehrerer ihrer Mitgliedstaaten sein könnte und entspricht der deutschen Einstufung "VS - Nur für den Dienstgebrauch", VS-NfD. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen, VSA, sind nichtdeutsche Verschlusssachen, zu deren Schutz sich die Bundesrepublik Deutschland vertraglich verpflichtet hat, mit dem deutschen Geheimhaltungsgrad, der dem zugeordneten nichtdeutschen Geheimhaltungsgrad entspricht, zu kennzeichnen. Die Bundesregierung kann die betreffenden Auskünfte bezüglich anderer EU-Mitgliedstaaten daher nicht ohne deren vorherige Einwilligung veröffentlichen. In Bezug auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, GSVP, dient diese Regelung nicht nur der Geheimhaltung operativer Fragen, sondern auch dem Schutz persönlicher Daten. Die Einstufung der Information dient dem Schutz der irakischen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer und ihrer Ausbilder. Eine Veröffentlichung der angefragten Information durch die Bundesregierung könnte die Zusammenarbeit der Mission mit den Trainings- und Ausbildungszentren in den beteiligten EU-Mitgliedstaaten infrage stellen. Dem Deutschen Bundestag wurde die angeforderte Information zur Verfügung gestellt. Anlage 75 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 114): Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zur Anzahl der vom Wahlrechtsausschluss des § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes betroffenen Menschen mit umfassender Betreuung vor, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Regelung vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention? Die Zahl der nach § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes, BWG, vom Wahlrecht ausgeschlossenen Bürgern ist nicht bekannt. Durch die restriktive Fassung der gesetzlichen Regelung ist aber der Kreis der Betroffenen möglichst klein gehalten. Von ihr werden nur Fälle erfasst, in denen Bürgern die Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen, höchstpersönlichen Wahlentscheidung fehlt. Der Wahlrechtsausschlussgrund steht nach Auffassung der Bundesregierung im Einklang mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Die dort in Art. 29 garantierte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am politischen Leben greift die bereits durch den Zivilpakt der Vereinten Nationen von 1966 festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen auf. Für das im Zivilpakt verankerte Wahlrecht können die Vertragsstaaten nach allgemeiner Ansicht objektive und angemessene Ausschlussgründe durch Gesetze auch für Fälle geistiger oder psychischer Behinderungen vorsehen. Ein gleich lautender Wahlrechtsausschlussgrund im bayerischen Landeswahlrecht ist vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof als verfassungsgemäß angesehen worden, Entscheidung vom 9. Juli 2002. Die der jetzigen Fassung des § 13 Nr. 2 BWG vorangegangene Regelung, die den Ausschluss vom Wahlrecht an die Anordnung einer Pflegschaft wegen geistigen Gebrechens knüpfte, ist vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und als vereinbar mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl angesehen worden, vergleiche BVerfGE 67, 146, 147 f.; 36, 139, 141 f. Anlage 76 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/3947, Frage 115): Welche Publikationen, Onlineangebote, Veranstaltungen oder sonstigen Maßnahmen der politischen Bildung zur Förderung des Verständnisses für behindertenpolitische Sachverhalte gibt es von der Bundeszentrale für politische Bildung nach derzeitiger Planung in den Jahren 2010 und 2011 - über die am 7. Juni 2010 erschienene Ausgabe der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte, APuZ 23/2010, zum Thema "Menschen mit Behinderungen" hinaus -, und inwiefern wird aus Sicht der Bundesregierung die Bundeszentrale damit - auch mit Blick auf Art. 8 der UN-Behindertenrechtskonvention "Bewusstseinsbildung" - dieser Aufgabe gerecht? Die Bundeszentrale für politische Bildung, BpB, hat die Aufgabe, durch Maßnahmen der politischen Bildung Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken. Politische Bildung fußt auf der normativen Grundlage von Demokratie, Toleranz und Menschenrechten und fördert auf diese Weise das Bewusstsein für Vielfalt und die Toleranz gegenüber jeglichen gesellschaftlichen Gruppen und Minderheiten. Eine Grundlage der Entwicklung von Bildungsangeboten in der BpB ist der Diversity-Ansatz. Diversity beschreibt die Vielfalt von Identitäten, Unterschieden und Zugehörigkeiten, die Menschen zu eigen sind. Im Rahmen dieses Ansatzes wird zwischen sechs Kerndimensionen unterschieden. Es handelt sich hierbei um: Alter, Ethnizität, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, Religion. Diese Dimensionen werden auch in § 13 des EU-Vertrages und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannt. Weitere Dimensionen ergeben sich unter anderem aus Kultur, Bildung, Sprache und Familienstand. Durch entsprechende Fortbildungen der Mitarbeiter der BpB werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Diversity-Ansatz mittelbar und unmittelbar in den Bildungsangeboten zum Ausdruck kommt. So soll das Bewusstsein der Nutzer dieser Angebote dafür geschärft werden, dass "Gleichbehandlung bei gegebenen Unterschieden und ungleichen ,Startbedingungen' Benachteiligungen fortschreibt und bestätigt" (Paul Mecheril) und sie befähigt werden, alternative Handlungsstrategien zu "Gleichbehandlung bei gegebenen Unterschieden" zu entwickeln. Bisherige Schwerpunkte lagen bei der Bekämpfung von Diskriminierung, Benachteiligung oder Exklusion aufgrund des Geschlechtes, der Ethnizität und der Religion. Zu diesen Kerndimensionen von Diversity und den Themenfeldern "Grundfragen der Demokratie" und "Menschenrechte" im engeren Sinne stellt die BpB umfangreiche Basismaterialien und didaktische Handreichungen zur Verfügung. Hierzu gehören Publikationen wie zum Beispiel "Zivilcourage lernen", ein Lehr- und Arbeitsbuch, das unter anderem Lehreinheiten enthält, in denen die Bereitschaft, sich in Konfliktfällen für Benachteiligte oder Bedrohte erfolgreich einzusetzen. Zudem plant die BpB, 2011 in Form einer Lizenzausgabe oder einer Eigenpublikation einen Schriftenreiheband bereitzustellen, der sich mit den behindertenpolitischen Entwicklungen auseinandersetzt und darauf abzielt, das gesellschaftliche Bewusstsein für Menschen mit Behinderung zu schärfen. Anlage 77 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage der Abgeordneten Dr. Eva Högl (SPD) (Drucksache 17/3947, Frage 116): Was sind die Auswirkungen der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts untersagten Vorratsdatenspeicherung auf die aktuelle Sicherheitslage in Deutschland? Im Zusammenhang mit der Ihnen bekannten aktuellen Bedrohungslage, die sich zuletzt in den Anschlagsversuchen auf den Frachtflugverkehr und Hinweisen auf mögliche Anschlagsplanungen auf Ziele in Deutschland verdeutlicht hat, gehen die Sicherheitsbehörden jedem einzelnen Hinweis nach. Ich bitte jedoch um Verständnis dafür, dass die Bundesregierung zu laufenden Ermittlungsverfahren keine Stellungnahme abgeben kann. II Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 77. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 77. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 III Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 8498 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 77. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 77. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8499