Plenarprotokoll 17/80 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 80. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 16./17. Dezember 2010 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Birgit Homburger (FDP) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Volker Kauder (CDU/CSU) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Otto Fricke (FDP) Axel Schäfer (Bochum) (SPD) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Michael Stübgen (CDU/CSU) Dr. Michael Luther (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 und Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Markus Grübel (CDU/CSU) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Harald Koch (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Michael Groschek (SPD) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Annette Groth (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister BMVg Sönke Rix (SPD) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde (Drucksache 17/4153) Mündliche Frage 1 Hilde Mattheis (SPD) Finanzierung der künftigen Ausgabensteigerungen in der sozialen Pflegeversicherung Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Mündliche Frage 2 Hilde Mattheis (SPD) Beitragsbelastung für die Versicherten durch eine prognostizierte Beitragserhöhung im Vergleich zu einem angedachten Zusatzbeitrag von 10 Euro, 15 Euro oder 20 Euro für das Jahr 2014 Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Zusatzfragen Hilde Mattheis (SPD) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Mechthild Rawert (SPD) Mündliche Frage 3 Steffen-Claudio Lemme (SPD) Ausgestaltung und Finanzierung des Sozialausgleichs bei Einführung der Zusatzversicherung für die Pflege Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Zusatzfragen Steffen-Claudio Lemme (SPD) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Mündliche Frage 4 Steffen-Claudio Lemme (SPD) Verwendung der Kapitalanlagen bei Nichteintreten von Pflegebedürftigkeit Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Zusatzfrage Steffen-Claudio Lemme (SPD) Hilde Mattheis (SPD) Mündliche Frage 5 Dr. Karl Lauterbach (SPD) Geplante Beitragshöhe für die kapitalgedeckte Zusatzpflegeversicherung Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Zusatzfragen Dr. Karl Lauterbach (SPD) Mündliche Frage 6 Dr. Karl Lauterbach (SPD) Tragbare monatliche Prämienhöhe zur ergänzenden Kapitaldeckung für Rentnerinnen und Rentner sowie Bezieherinnen und Bezieher vergleichsweise niedriger Einkommen Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Zusatzfrage Dr. Karl Lauterbach (SPD) Mündliche Frage 7 Dr. Carola Reimann (SPD) Vorlage der Reformpläne für die Pflegeversicherung Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Zusatzfragen Dr. Carola Reimann (SPD) Mechthild Rawert (SPD) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Mündliche Frage 8 Martin Dörmann (SPD) Auszahlung des Krankengeldes ab dem ersten Tag für die Berufsgruppe der Journalisten sowie der Film- und Fernsehschauspieler Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG Mündliche Frage 10 Michael Groß (SPD) Vorsorge für den erhöhten Mittelbedarf für Erhaltungsmaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur aufgrund von Winterschäden Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Michael Groß (SPD) Mündliche Frage 11 Michael Groß (SPD) Finanzieller Investitionsbedarf für die Sanierung der Infrastruktur im Bereich der Straße nach dem Winter 2010/2011 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Harald Koch (DIE LINKE) Michael Groß (SPD) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Hacker (SPD) Martin Burkert (SPD) Mündliche Frage 12 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Entwicklung der Zahl der Flugbewegungen im Luftraum über Berlin in den letzten fünf Jahren Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 13 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einsatz von Eisbrechern auf der Elbe in den letzten zehn Jahren und Behinderungen infolge unzureichender Fahrrinnentiefe Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Hans-Joachim Hacker (SPD) Mündliche Frage 16 Kirsten Lühmann (SPD) Definition der Witterungsverhältnisse in der Straßenverkehrs-Ordnung angesichts der Einführung einer Winterreifenpflicht Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Kirsten Lühmann (SPD) Mündliche Frage 17 Kirsten Lühmann (SPD) Auslegung von Reifen mit Schneeflockensymbol für winterliche Wetterverhältnisse Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Florian Pronold (SPD) Mündliche Frage 18 Ulrike Gottschalck (SPD) Von den Ländern zum 15. Juni 2010 gemeldete Kosten für den Streudienst auf Bundesstraßen Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Ulrike Gottschalck (SPD) Mündliche Frage 19 Ulrike Gottschalck (SPD) Behinderungen des Bahnverkehrs an Bahnübergängen aufgrund der Verwendung von Streusalz seit dem Wintereinbruch im Dezember 2010 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Mündliche Frage 22 Martin Burkert (SPD) Ausschließlicher Einsatz von witterungsresistenten Materialien in der DB-Fahrzeugflotte und bei der Instandhaltung des Bahnnetzes sowie Finanzierung aus dem Einzelplan 12 des Bundeshaushalts Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Martin Burkert (SPD) Mündliche Frage 23 Martin Burkert (SPD) Verwendung von Mitteln aus dem Einzelplan 12 des Bundeshaushalts für die Witterungsresistenz des Bestandsnetzes der Deutschen Bahn AG Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Martin Burkert (SPD) Mündliche Fragen 28 und 29 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Fortführung der Mauterhebung nach Auslaufen des aktuellen Betreibervertrages; Stand der Schiedsverfahren mit Toll Collect Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Martin Burkert (SPD) Mündliche Frage 31 Dr. Matthias Miersch (SPD) Notwendigkeit von Atommülltransporten von Ahaus ins russische Majak Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Mündliche Frage 32 Dr. Matthias Miersch (SPD) Nachrüstungen von Atomkraftwerken Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frank Schwabe (SPD) Mündliche Frage 36 Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gehäufte Krebsfälle in der Samtgemeinde Asse und mögliche Zusammenhänge mit dem dortigen atomaren Lager Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Miersch (SPD) Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 37 Oliver Kaczmarek (SPD) Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt im Bereich der Fließgewässer und Auen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Oliver Kaczmarek (SPD) Mündliche Frage 38 Oliver Kaczmarek (SPD) Maßnahmen der Bundesregierung für einen guten ökologischen Zustand der Wasserkörper Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Oliver Kaczmarek (SPD) Mündliche Fragen 39 und 40 Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unterschiedliche Bewertungen des Klimaschutzes zwischen dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, und dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle; deutsche Position zur unkonditionierten Erhöhung des EU-Reduktionszieles auf 30 Prozent in diesem Zusammenhang Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Miersch (SPD) Frank Schwabe (SPD) Mündliche Frage 41 Frank Schwabe (SPD) Initiativen der Bundesregierung zur Erhöhung des Klimaschutzziels der EU bis 2020 Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Frank Schwabe (SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD) Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 42 Frank Schwabe (SPD) Einsatz der Bundesregierung in Cancún für eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Frank Schwabe (SPD) Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Konsequenzen der Bundesregierung aus der aktuellen PISA-Studie für die Bildungspolitik von Bund und Ländern Swen Schulz (Spandau) (SPD) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Sylvia Canel (FDP) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) Dr. Jürgen Zöllner, Senator (Berlin) Heiner Kamp (FDP) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Caren Marks (SPD) Florian Hahn (CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Michael Kretschmer (CDU/CSU) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 14 Heinz Paula (SPD) Anschubfinanzierung zum Ausbau der Autobahn 8 zwischen Ulm und Augsburg und Konzessionsbeginn im Januar 2011 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 3 Mündliche Frage 15 Heinz Paula (SPD) Unterstützung durch Regierungshandeln bei der Zusammenarbeit zwischen Stadt, Stadtwerken und Deutsche Bahn AG beim Verfahren zum Umbau des Hauptbahnhofs Augsburg Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 4 Mündliche Fragen 20 und 21 Ute Kumpf (SPD) Witterungsbedingte Ausfälle regulärer Zugverbindungen der Deutschen Bahn AG seit Beginn der Winterperiode 2010/2011; Beheizung von Weichen im Schienennetz der Deutschen Bahn AG Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 5 Mündliche Fragen 24 und 25 Hans-Joachim Hacker (SPD) Eisstände auf den Bundeswasserstraßen im Winter 2009/2010 im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren; Etwaige Gefährdung des Betriebs der Schiffsschleusen an deutschen Wasserstraßen im Winter 2009/ 2010 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 6 Mündliche Frage 26 Sören Bartol (SPD) Entwicklung der Verbraucherpreise für Heizenergie insgesamt und für einzelne Heizenergieträger seit Einführung des Heizkostenzuschusses zum Wohngeld Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 7 Mündliche Frage 27 Sören Bartol (SPD) Niedrigere Wohngeldzahlungen durch die Streichung des Heizkostenzuschusses ab 2011 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 8 Mündliche Frage 30 Gerd Bollmann (SPD) Verhinderung von Müllskandalen und Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Entsorgung von Abfällen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 9 Mündliche Frage 33 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erwähntes Bundesland mit gemeldetem Nachrüstbedarf aufgrund der Bund-Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke in der Antwort auf die mündliche Frage 83 auf Bundestagsdrucksache 17/3113 Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 10 Mündliche Frage 34 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bei einer Telefonkonferenz mit Abteilungsleitern der Landesatomaufsichtsbehörden am 8. September 2010 getroffene Vereinbarungen zur Nachrüstung von Atomkraftwerken Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 11 Mündliche Frage 35 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Genehmigung zu Einlagerung und Transport der im Forschungszentrum Jülich lagernden Castoren mit Brennelementen aus dem AVR Jülich in das Brennelemente-Zwischenlager Ahaus Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 12 Mündliche Fragen 43 und 44 Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Werbung von Bundesministerin Dr. Annette Schavan für die iPad-App der "Bild"-Zeitung Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 13 Mündliche Frage 45 René Röspel (SPD) Fehlende Vertretung der Bereiche Verbraucherschutz und Sozialwissenschaften im Bioökonomierat Antwort Thomas Rachel (CDU/CSU) Anlage 14 Mündliche Fragen 46 und 47 Manfred Grund (CDU/CSU) Bewertung und mögliche Fortsetzung des Projekts zur Beratung im Bereich Gender Mainstreaming in Afghanistan Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 15 Mündliche Frage 48 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auszahlung der für die humanitären Krisen in Haiti und Pakistan zugesagten finanziellen Mittel Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 16 Mündliche Frage 49 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit seinem Informanten Curveball Antwort Bernd Neumann, Staatsminister BK Anlage 17 Mündliche Frage 50 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Abfluss von Informationen aus dem Auswärtigen Amt an US-Diplomaten Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 18 Mündliche Frage 51 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Schlussfolgerungen der Bundesregierung aus dem Abrücken der US-Administration von ihrer Forderung an Israel nach einem Baustopp von 90 Tagen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 19 Mündliche Frage 52 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Auswirkungen der Initiative der brasilianischen Regierung zur Anerkennung des Staates Palästina in den Grenzen von 1967 auf die Nahostpolitik der Bundesregierung Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 20 Mündliche Frage 53 Heike Hänsel (DIE LINKE) Einreiseverweigerung seitens der israelischen Regierung für die Delegation des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den Gazastreifen am 5. Dezember 2010 Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 21 Mündliche Frage 54 Heike Hänsel (DIE LINKE) Initiativen zur Aufhebung der wirtschaftlichen Blockade des Gazastreifens Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 22 Mündliche Frage 55 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Initiativen zur Freilassung der politischen Häftlinge in Kuba und Aufnahme bereits entlassener und ausgewiesener politischer Exhäftlinge in Deutschland Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 23 Mündliche Fragen 56 und 57 Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bedingungen für die Aufnahme eines Staates in die Nuclear Suppliers Group und Unterstützung einer indischen Mitgliedschaft Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 24 Mündliche Frage 58 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Einsatz einer EU-Battle-Group im Sudan vor dem Hintergrund der dortigen Referenden über die Unabhängigkeit des Südsudan Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 25 Mündliche Frage 59 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aussage der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte zu den Vorgängen um die Internetplattform WikiLeaks Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 26 Mündliche Frage 60 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusammenhang zwischen einem berechtigten Transparenzanspruch der Bürger und Veröffentlichungen durch Plattformen wie WikiLeaks Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 27 Mündliche Frage 61 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Unterstützung der Stiftung Deutsches Sport & Olympia Museum und des entsprechenden Museums in Köln seit Gründung im Jahr 1999 Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 28 Mündliche Frage 62 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Verlängerung der Mindestbestandszeit zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts von Eheleuten für türkische Staatsbürger Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 29 Mündliche Frage 63 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ermittlungen und Verurteilungen von Journalisten, Bloggern oder Inhabern von Webseiten wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Geheimnisverrat Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 30 Mündliche Frage 64 René Röspel (SPD) Verfassungs- und europarechtswidrige Auslegung und Anwendung von § 52 a des Urheberrechtsgesetzes Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 31 Mündliche Fragen 65 und 66 Harald Koch (DIE LINKE) Ausnahmen von der Umsatzsteuerbefreiung für Maßnahmen der beruflichen Eingliederung nach SGB III und rechtlicher Bestand von Bescheiden der Landesbehörden zur Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen nach dem Umsatzsteuer-Anwendungserlass zu § 4 Nr. 21 Umsatzsteuergesetz Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 32 Mündliche Frage 67 Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Neuregelung bei der Verlustverrechnung nach dem vorläufigen Beschluss des Bundesfinanzhofes sowie entsprechende Kompensationen für die Einnahmeausfälle bei Bund, Ländern und Kommunen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 33 Mündliche Frage 68 Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen der Bundesregierung in Reaktion auf die Stellungnahme der EU-Kommission vom 30. September 2010 im Vertragsverletzungsverfahren bezüglich der Organschaft (Nr. 2008/4909) Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 34 Mündliche Frage 69 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Bereitstellung von Einzeldaten im Rahmen einer vorausgefüllten Steuererklärung durch die Finanzbehörden Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 35 Mündliche Frage 70 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Vereinfachungseffekt bei Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrags auf 1 000 Euro und etwaige Mitnahmeeffekte Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 36 Mündliche Frage 71 Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Berechnung der geplanten aufkommensneutralen Entlastungen für Unternehmen und Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 37 Mündliche Frage 72 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Etwaige Kompensationsgeschäfte im Gegenzug zum Zugeständnis anderer EU-Staaten an Deutschland bei den Kohlebeihilfen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 38 Mündliche Frage 73 Richard Pitterle (DIE LINKE) Zahl der seit 2000 erlassenen Verwaltungsanweisungen für einen vereinfachten Spendennachweis bei Naturkatastrophen; Auswirkung der geplanten Verkürzung der Aufbewahrungszeiten für Belege Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 39 Mündliche Frage 74 Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Senkung der Terminierungsentgelte für Mobilfunkanbieter durch die Bundesnetzagentur und mögliche Auswirkungen auf Investitionen in den Breitbandausbau Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 40 Mündliche Frage 75 Gerd Bollmann (SPD) Vorlage des CCS-Gesetzentwurfs und Regelung diesbezüglicher Kompetenzen der Bundesländer Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 41 Mündliche Frage 76 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Verweis auf Gutscheine anstatt Übernahme tatsächlicher Kosten bei der Leistungserbringung für Schulausflüge und Klassenfahrten Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 42 Mündliche Frage 77 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Entscheidungskriterien persönlicher Berater im Jobcenter hinsichtlich des individuellen Bedarfs an Lernförderung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 43 Mündliche Fragen 78 und 79 Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Unterschiedliche Altersgrenzen beim Bildungs- und Teilhabepaket im Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch; Basisleistungen der Jobcenter ab 1. Januar 2011 Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 44 Mündliche Fragen 80 und 81 Werner Dreibus (DIE LINKE) Umsetzungskosten und vorgesehene Deckelung des Bildungspakets Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 45 Mündliche Fragen 82 und 83 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Erforderliches zusätzliches Personal zur Umsetzung des Bildungspaketes Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 46 Mündliche Frage 84 Dr. Carola Reimann (SPD) Umgehung des Mindestlohns in der ambulanten Pflege Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 47 Mündliche Frage 85 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Antibiotikaeinsatz in der gewerblichen Tierhaltung Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin BMELV Anlage 48 Mündliche Fragen 86 und 87 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Teilnahme von NATO-Ländern an der Operation Active Endeavour im Mittelmeer Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 49 Mündliche Frage 88 Caren Marks (SPD) Anhebung der Altersgrenze von 12 auf 14 Jahre im Unterhaltsvorschussgesetz und Maßnahmen zur Entbürokratisierung beim Unterhaltsvorschuss Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 50 Mündliche Fragen 89 und 90 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Abgabe einer Erklärung zur Verfassungstreue bei Teilnahme an Extremismuspräventionsprogrammen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 51 Mündliche Frage 91 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Barrierefreiheit bei Kriegsgräbergedenkstätten und Ehrenmalen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ 80. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 Beginn: 11.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 16./17. Dezember 2010 in Brüssel Zu dieser Regierungserklärung und dem damit verbundenen Thema liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2010 war für die Europäische Union, für alle Bürgerinnen und Bürger Europas, ein Jahr großer Herausforderungen und auch ein Jahr grundlegender Entscheidungen. All das, was vorgefallen ist, steht in engstem Zusammenhang mit der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise und den Auswirkungen, die sie hatte. Ich darf sagen: Wir haben in diesem Jahr erfahren, was den Kern der Wirtschafts- und Währungsunion und damit der Europäischen Union insgesamt ausmacht; wir haben erfahren, dass Europa eine Verantwortungsgemeinschaft ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben unsere politischen Vorgänger Verantwortung übernommen, für Europa und für seine Gemeinschaft. Dies hat zu der längsten Friedensperiode geführt, die es je in Europa gegeben hat. Deutschland profitiert von dieser Gemeinschaft, von der Währung und dem Binnenmarkt. Ich darf auch sagen: Deutschland profitiert in ganz besonderer Weise. Umso ernster nehmen wir heute unsere Verantwortung für eine gute Zukunft der Europäischen Union. Der Deutsche Bundestag hat in diesem Jahr seinen Beitrag dazu geleistet, dass wir feststellen können: Die Europäische Union wurde durch die Krise der gemeinsamen Währung auf das Stärkste gefordert; sie musste sich bewähren, und sie hat sich bewährt. Die Europäische Union - ich nenne hier insbesondere die Europäische Kommission, den Europäischen Rat mit seinem ständigen Präsidenten und die Mitgliedstaaten - hat mutig, abgestimmt und entschlossen gehandelt. Deshalb können wir auf das bisher Erreichte stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist unbestreitbar, dass einzelne Euro-Staaten vor schwierigen Herausforderungen stehen. Genauso unbestreitbar ist aber auch, dass sich der Euro selbst als krisenfest erwiesen hat. Ich darf die Frage stellen, was wohl in den Turbulenzen der Wirtschaftskrise stattgefunden hätte, wenn wir alle unsere eigene Währung gehabt hätten. Heute kann man sagen: Bei der Binnenstabilität liegen wir im Durchschnitt unter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent. Der Wert des Euro im Vergleich zu anderen Währungen wie etwa dem amerikanischen Dollar liegt deutlich über dem langjährigen Mittel. Das heißt, der Euro ist bezüglich seines Innen- und seines Außenwertes stabil. Das sollten wir trotz aller Sorgen nicht übersehen; darauf lässt sich aufbauen. Morgen nun wird der Europäische Rat die Maßnahmen umsetzen, die wir bereits im Oktober mit den Weichenstellungen eingeleitet haben. Die Chancen dafür stehen gut, dank der ausgezeichneten Vorbereitung durch die Finanzminister der Euro-Zone, die Europäische Kommission und den Präsidenten des Europäischen Rates. Damit werden die beiden Aufträge erfüllt, die der Europäische Rat im Oktober an den Präsidenten des Europäischen Rates und die Europäische Kommission vergeben hat. Erstens wird der Auftrag erfüllt, die Grundzüge eines auf Dauer angelegten, robusten Krisenbewältigungsrahmens der Mitgliedstaaten zu entwickeln, um die Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes zu wahren. Darin sollen sowohl der Privatsektor als auch der Internationale Währungsfonds eine Rolle haben, und die Inanspruchnahme des Mechanismus soll an strikte Auflagen geknüpft werden. Zweitens wird der Auftrag erfüllt, einen Vorschlag für die zur Einrichtung des Mechanismus erforderliche eng begrenzte Vertragsänderung vorzulegen, wobei ausdrücklich das Beistandsverbot in Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht angetastet werden darf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auf dieser Grundlage hat Präsident Van Rompuy gemeinsam mit der Europäischen Kommission in den letzten Wochen Konsultationen mit den Mitgliedstaaten des Europäischen Rates geführt. Dazu wird er uns morgen seinen Bericht vorlegen, und die Oktoberbeschlüsse werden umgesetzt. Außerdem wird die Erklärung der Finanzminister der Euro-Zone vom 28. November 2010, in der die Grundzüge des neuen Mechanismus verabredet wurden, vom Europäischen Rat beschlossen werden. Auf dieser Grundlage werden wir mit der Kommission die Details - ich betone: die Details - für eine Vereinbarung unter den Mitgliedern der Euro-Zone bis März 2011 ausarbeiten. Die bereits in der Euro-Gruppe vereinbarten Grundzüge enthalten alle Elemente, für die wir uns in enger Abstimmung mit Frankreich stets starkgemacht haben und die ich auch für unverzichtbar halte. Erstens. Es handelt sich um einen Krisenmechanismus der Mitgliedstaaten der Euro-Zone. Das heißt, es werden keine Hoheitsrechte an die Europäische Union übertragen. Zweitens. Voraussetzung für die Auslösung des Mechanismus ist die Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt. Drittens. Über die Inanspruchnahme entscheiden wir in der Euro-Zone einstimmig. Viertens. Der Internationale Währungsfonds wird eng eingebunden. Fünftens. Die Inanspruchnahme des Mechanismus durch einen Euro-Mitgliedstaat erfolgt auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der Schuldentragfähigkeit, die die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds in Verbindung mit der Europäischen Zentralbank erstellen werden. Sechstens. Finanzielle Unterstützung wird an strenge Bedingungen geknüpft. Siebtens. Private Gläubiger werden fallweise in die Krisenbewältigung eingebunden. Ist die Schuldentragfähigkeit eines Landes nicht gewährleistet, müssen - ich wiederhole: müssen - die privaten Gläubiger einen Beitrag leisten. Dies entspricht dem, was bei Programmen des Internationalen Währungsfonds üblich ist. (Thomas Oppermann [SPD]: Und wer stellt das fest?) - Ich hatte das gesagt. Herr Oppermann, ich wiederhole es für Sie gerne. Das war unter Punkt fünf: Die Frage der Schuldentragfähigkeit wird festgestellt von der Europäischen Kommission und (Thomas Oppermann [SPD]: Einstimmig!) dem Internationalen Währungsfonds in Verbindung mit der Europäischen Zentralbank. Das sind die drei Institutionen, die aus unserer Sicht, die aus Sicht der Mitgliedstaaten die Legitimität haben, über die Frage "Schuldentragfähigkeit - ja oder nein?" zu entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In den Grundzügen steht an dieser Stelle "unerwarteterweise", weil man nicht den Eindruck erwecken möchte, dass heute eine solche Situation herrscht. Wenn man unerwarteterweise zu der Meinung kommt, dass die Schuldentragfähigkeit nicht gewährleistet ist, dann müssen die privaten Gläubiger beteiligt werden in der Form, dass ein Weg vereinbart wird, wie die Schuldentragfähigkeit wiederhergestellt werden kann, und dann fließen die Liquiditätsmittel wieder. (Beifall des Abg. Peter Bleser [CDU/CSU]) Das ist der Mechanismus. Den habe ich eben unter siebtens dargestellt. Das ist beim IWF im Übrigen ähnlich, was ich schon sagte. Achtens. Ab 2013 werden wir in der Euro-Zone einheitlich in allen neuen Staatsanleihen entsprechende Klauseln einführen, die die Grundlage für eine geordnete Beteiligung der Gläubiger darstellen. Auch das ist nichts Neues auf der Welt. Diese Collective Action Clauses, wie es so schön heißt, gibt es bereits heute. Sie wurden durch den IWF eingeführt. Im Übrigen sind die Anleihen, die nicht in Euro, sondern in Fremdwährungen getätigt werden, bereits heute mit solchen Klauseln ausgestattet. Also, auch dies ist für die Märkte nichts unerwartet Neues. Neuntens. Nicht-Euro-Mitglieder können sich am Mechanismus beteiligen, wie dies auch beim Ad-hoc-Rettungsschirm heute bereits Praxis ist. Meine Damen und Herren, mit diesen neun Punkten zur Schaffung des neuen Krisenmechanismus etablieren wir neue Strukturen. Wir werden Stabilität gewinnen. Dies gibt uns für die Zukunft mehr Sicherheit. Darum geht es. Mehr noch: Mit der Einigung auf diese inhaltliche Ausgestaltung ist bereits die Einigung auf die neue Vertragsbestimmung vorgezeichnet; denn alle Mitgliedstaaten sind sich einig, die neue Vertragsbestimmung in das Kapitel im Lissabonner Vertrag einzufügen, das besondere Bestimmungen für die Staaten der Euro-Zone enthält. Damit soll für die Euro-Zone ein dauerhafter Mechanismus zur Krisenbewältigung geschaffen werden, dessen Inanspruchnahme aber an strenge Bedingungen geknüpft ist. Es muss klar sein, dass die Nutzung des Mechanismus nur in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen kann, das heißt, dass jeweils ein einstimmiger Beschluss erforderlich ist. So ist es auch in den Grundzügen des Krisenmechanismus vereinbart. Für mich ist wichtig, dass die Gewährung finanzieller Hilfen auch in Zukunft nur letztes Mittel sein kann. Ich bin sicher, dass wir uns morgen auf eine präzise und eng gefasste Vertragsbestimmung für den dauerhaften Mechanismus einigen werden und damit die notwendige Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschaffen werden. Jetzt frage ich einfach einmal: Wer hätte es noch vor wenigen Wochen für möglich gehalten, dass wir in Europa das schaffen können? Was wurde nicht alles vorhergesagt! Wir haben uns davon nicht entmutigen lassen, sondern konsequent für den Weg gearbeitet, den Europa jetzt eingeschlagen hat. Ich erwarte daher, dass der Europäische Rat morgen förmlich das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren einleiten wird. Das bedeutet, dass der Europäische Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank voraussichtlich schon bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs im März 2011 den einstimmigen Beschluss der Vertragsänderung fassen kann. Anschließend müssen natürlich alle 27 Mitgliedstaaten diese Vertragsänderung gemäß ihren nationalen Vorschriften ratifizieren. Wir werden uns dafür als Ziel Ende 2012 setzen, damit keine Verunsicherung aufkommt, dass der im Augenblick geltende befristete Krisenmechanismus nicht eine klare Verlängerung erhält. Diese Ratifikation wird natürlich eine äußerst wichtige Aufgabe für dieses Hohe Haus, für den Deutschen Bundestag sein. Ich hoffe, dass sich eine breite Mehrheit finden wird, um das Fundament der Wirtschafts- und Währungsunion noch stabiler und noch unangreifbarer zu machen. Bei all den Details, die ich Ihnen hier geschildert habe - ich denke, ich muss es Ihnen auch so schildern, weil die Dinge sehr konkret sind; das ist für die gute Zukunft des Euro unverzichtbar und hört sich immer sehr technisch an -, dürfen wir natürlich den eigentlichen Impuls für unser Handeln nie aus den Augen verlieren. Dieser Impuls sind nicht Mechanismen, Anleihen, Regeln, Schuldengrenzen und vieles mehr - so wichtig das alles im Einzelnen auch ist -, dieser Impuls, der Grund, warum wir das alles tun, ist etwas anderes: Es ist die grandiose Friedens- und Freiheitsidee der europäischen Einigung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie stand vor 50 Jahren mit den Römischen Verträgen am Anfang des europäischen Einigungswerks. Sie war der Ausgangspunkt des Handelns der damaligen politischen Generation, der Ausgangspunkt nach fürchterlichen Kriegen, Vernichtung und unendlichem Leid für unseren Kontinent. Diese grandiose Friedens- und Freiheitsidee der europäischen Einigung ist das Vermächtnis, das unserer Generation und künftigen politischen Generationen hinterlassen wurde. Diesem Vermächtnis fühle ich mich, die ich erst seit 1919 - 1990 - Bürgerin eines freien und friedlichen Europas bin, - (Zurufe von der LINKEN: Oh!) - ja, das können Sie natürlich nicht verstehen - ganz persönlich verpflichtet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wissen Sie, ich würde das gar nicht sagen, wenn Sie nicht immer so reagieren würden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das bezog sich auf Ihren Versprecher "1919"! - Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So ein schöner Versprecher, der so viele Komplimente hervorbringen wird! Sie sehen noch so jung aus für 1919!) Meine Damen und Herren, ich fühle mich dem persönlich verpflichtet, als Mensch, aber auch als Bundeskanzlerin der wirtschaftlich stärksten Nation. Diese Verpflichtung gilt für alle Mitglieder der Bundesregierung. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch für Westerwelle?) Es geht dabei natürlich um eine wirtschaftliche Aufgabe, aber in erster Linie und vornweg geht es um einen politischen Auftrag, für den vor über 50 Jahren der eine, immerwährende Leitsatz gegolten hat, der auch heute und in den nächsten 50 Jahren gilt: Niemand in Europa wird alleingelassen, niemand in Europa wird fallen gelassen, Europa gelingt gemeinsam. Ich füge hinzu: Europa gelingt nur gemeinsam. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit diesen Worten haben wir 2007 die deutsche EU-Ratspräsidentschaft überschrieben. Genauso gehen wir auch an die aktuellen Aufgaben heran. Europa gelingt gemeinsam und nur gemeinsam; denn - ich sagte es zu Beginn - die Wirtschafts- und Währungsunion ist eine Verantwortungsgemeinschaft. Auch Verantwortung gelingt nur gemeinsam. Verantwortung ist anstrengend. Sie verlangt jedem in Europa etwas ab. Für den dauerhaften Erfolg Europas und der gemeinsamen Währung müssen wir alle, die Organe der Europäischen Union und die Mitgliedstaaten, unserer Verantwortung gerecht werden. Die Aufgaben der nächsten Zeit liegen vollkommen klar auf der Hand. Im Grundsatz gibt es darüber, so denke ich, auch in diesem Hause weitgehende Einigkeit. Es geht nämlich um eine tiefere politische und in Bezug auf den Euro vor allen Dingen erst einmal wirtschaftspolitische Integration, die dann aber auch nach den Regeln des wirtschaftlichen Erfolges erfolgen muss. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in den nächsten Monaten über die weitere politische Integration sprechen, dass wir aber nicht den Fehler machen, die Vergemeinschaftung der Risiken, wie es zum Beispiel bei Euro-Bonds geschieht, als Lösung erscheinen zu lassen. Dies ist überhaupt keine Lösung, sondern die Lösung ist mehr Harmonie und mehr Wettbewerbsfähigkeit gleicher Art in den europäischen Mitgliedstaaten und ganz besonders im Euro-Raum. Darauf muss hingearbeitet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Solidarität und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und vor allen Dingen auch der Haushaltssituation sind immer zwei Seiten einer Medaille. Wir dürfen niemals eine dieser Seiten vergessen, weil Europa ansonsten insgesamt keinen guten Weg nehmen würde. "Verantwortung übernehmen" heißt, dass auch wir Verantwortung übernehmen müssen - das haben wir in diesem Jahr im Übrigen gezeigt -, es heißt aber auch für jeden Einzelnen, Verantwortung übernehmen zu müssen. Darüber werden wir in den nächsten Monaten des kommenden Jahres weiter diskutieren. Wir werden vor allen Dingen Europa auch auf anderen Feldern weiter als Verantwortungsgemeinschaft darstellen; denn es geht bei diesem Rat auch um das Thema strategischer Partnerschaften von Europa mit anderen Ländern - ich nenne als Beispiele nur China und Russland -, und es geht darum, dass wir zeigen, dass wir als Europa auch gemeinsame Ziele und Werte vertreten, wenn es um internationale Verhandlungen geht. Der Europäische Rat wird sich mit den Ergebnissen der Konferenz von Cancún befassen. Ich darf unserem Bundesumweltminister ganz herzlich zu den Erfolgen, die dort erzielt worden sind, gratulieren. Das war schwere Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Zugabe! - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gar nicht gehört, dass er da etwas bewegt hat! - Weitere Zurufe von der SPD: Oh! - Na ja! - Welche denn?) - Auch viele von Ihnen waren daran beteiligt. Insofern können wir alle miteinander froh sein, dass der internationale Klimaprozess nach der schwierigen Situation, die nach Kopenhagen entstanden ist, in Cancún weitergegangen ist. Ich glaube, die Freude darüber ist auch aufseiten der Opposition klar ausgeprägt, auch wenn man das nicht bei jeder Wortmeldung sofort erkennen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist zum ersten Mal gelungen, das 2-Grad-Ziel als Marke für den globalen Klimaschutz festzulegen; wir sind dafür. Niemand bestreitet, dass jetzt viel Arbeit notwendig ist. Deutschland hat sich mit seinem 40-Prozent-Reduktionsziel verpflichtet, zusammen mit Europa eine Vorreiterrolle zu spielen. Aber wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Insofern darf man sich über den Erfolg von Cancún freuen und der mexikanischen Präsidentschaft, insbesondere der Außenministerin, ein ganz herzliches Dankeschön sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden auf diesem Europäischen Rat auch über die Erweiterung bei Einhaltung der Kriterien für den Beitritt zur Europäischen Union beraten. Von der Europäischen Kommission wurde am 9. November 2010 ein Fortschrittsbericht zu den EU-Beitrittskandidaten und zu solchen Ländern des Westbalkans, die dies werden wollen, vorgestellt. Ich finde es sehr bemerkenswert: In diesem Fortschrittsbericht wird klar differenziert, und das ist auch richtig so. Jedes Land, das der EU beitreten möchte, wird auf dem Weg dorthin an seinen eigenen Leistungen gemessen. Es gilt, genau hinzusehen, Reformen zu fordern und dann die Umsetzung zu unterstützen. Wenn ein Land alle Kriterien erfüllt, dann ist es natürlich beitrittsreif. Die Europäische Union hat politisch wie wirtschaftlich große Vorteile aus der Erweiterung gezogen. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben das hautnah erlebt. Voraussetzung dafür, dass weitere Erweiterungsschritte ein Erfolg werden, ist die Beitrittsreife und die Erfüllung der Beitrittskriterien. Ich unterstütze deshalb die Entscheidung, auf Empfehlung der Europäischen Union Montenegro den Kandidatenstatus zu verleihen. Montenegro wurde unmissverständlich aufgefordert, weitgehende Reformen einzuleiten. Erst danach will die Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfehlen. Dies wird allerfrühestens im Herbst 2011 der Fall sein. Dann wird natürlich auch der Deutsche Bundestag formell damit befasst. Meine Damen und Herren, wir als Europäische Union haben in diesem Jahr gemeinsam gehandelt. Wir haben uns dabei vom Grundsatz unserer gemeinsamen Verantwortung für die Währungsunion leiten lassen. Wir haben das im Bewusstsein des Vermächtnisses getan, das uns die Väter der europäischen Einigung hinterlassen haben, und zwar ganz in dem Geiste der Worte, die wir 2007 zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge gefunden haben: "Wir Europäer sind zu unserem Glück vereint". Wenn wir das nie vergessen, dann werden wir jede Herausforderung meistern - heute und in Zukunft. Gerade die Entscheidungen zur Zukunft des Euro in diesem Jahr können uns dabei Mut machen und Kraft geben. Wir werden diese Entscheidungen jetzt nach und nach umsetzen. Wir tun das, weil wir wissen: Der Euro ist unser gemeinsames Schicksal, und Europa ist unsere gemeinsame Zukunft. Unsere Zukunft so zu gestalten, dass wir das Glück der europäischen Einigung für künftige Generationen schützen können, ist unsere Aufgabe von heute. Dieser Aufgabe wird sich die Bundesregierung weiterhin mit ganzer Kraft widmen, und ich hoffe auf die Unterstützung dieses Hohen Hauses. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt europäische Fragen - das habe auch ich erlebt -, bei denen die Antworten nicht auf der Hand liegen, und niemand sollte so tun, als habe er sie komplett parat. Die Frage ist nur, ob diese Regierung die Botschaften in den letzten Tagen, insbesondere die gestrigen Botschaften aus Frankfurt, richtig verstanden hat. Gestern war nicht irgendein Tag im europäischen Alltag. Wenn Sie sich die Agenturmeldungen den Tag über angeschaut haben, dann wissen Sie, dass es dort hieß: Die EZB steht an der Kante. - Die FTD hat geschrieben: "EZB muss Euro-Staaten anpumpen." Das Handelsblatt schrieb: "Hilfe für Schuldensünder wird für EZB zum Bumerang." (Otto Fricke [FDP]: Ist das jetzt geschickt?) Unterschätzen Sie das nicht: Das, was wir hier von der EZB gehört haben, war ein letztes Alarmsignal. Frau Merkel, es war heute zu spüren: Dieses Alarmsignal wollen Sie nicht wirklich hören. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wie hat man das zu interpretieren? Ich interpretiere das so: Es gab eine ziemliche Scheinruhe in den letzten Tagen, eine relative Ruhe auf den Anleihemärkten, und diese Scheinruhe hatte einen hohen Preis. Warum? Weil die Regierungen in Europa nicht gehandelt haben - auch die deutsche Regierung nicht -, musste die EZB handeln - es blieb ihr gar nichts anderes übrig -, und das hat sie getan. Was hat sie getan? Sie hat massenhaft notleidende Staatsanleihen aufgekauft. Die Folgen sehen wir jetzt. Das, was droht, ist ein schwerwiegender Vertrauensverlust der Europäischen Zentralbank. Was wird damit klar? Nicht nur Handeln hat seinen Preis - das ist das, womit Sie in den letzten Tagen immer in den Medien präsent waren -, auch Nichthandeln hat einen Preis. Hü und hott haben wir in den letzten Tagen gesehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber das ist eben nicht nur hü und hott in den Medien, sondern das hat Konsequenzen: Glaubwürdigkeitsverlust für die Regierung, Glaubwürdigkeitsverlust auch für die Europäische Zentralbank, wie wir sehen, die jetzt mit in den Sog gezogen wird. Das ist nicht zu verantworten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hü und hott ist das Markenzeichen der SPD!) Wenn die Regierungen in Europa in diesen Tagen nichts Entscheidendes bewegen oder wenn sie einfach nur weiter darauf setzen, dass die Europäische Zentralbank das tut, was sie in den letzten Tagen getan hat, dann wird diese Zentralbank, ob sie will oder nicht - das kann sie dann gar nicht verhindern -, zur Bad Bank in Europa. Sie wissen das genau. Herr Trichet hat es Ihnen gesagt, Herr Weber hat es Ihnen gesagt. (Otto Fricke [FDP]: Sie reden das herbei!) Alle in Europa fordern doch jetzt ein kräftiges Signal, einen mutigen Entwurf, um die zweifelnden Märkte - nichts anderes ist es doch, was sich da täglich zeigt - zu überzeugen. Deshalb ist mein Schluss aus der Nachrichtenlage des gestrigen Tages, Frau Merkel, verehrte Mitglieder der Regierung: Das, was die EZB macht, taugt nicht dauerhaft als Rettungsschirm, nicht für bankrotte Staaten, nicht für Banken, die unverantwortliche Kreditpolitik gemacht haben, nicht für einfallslose Politik. Deshalb ist das Signal für Europa: Die Zeit des Sichdurchmogelns ist vorbei. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das Durchwursteln wird in der Lage, in der wir sind, einfach nicht mehr funktionieren. Ich glaube, Sie, Frau Merkel, wissen das. Bei Ihrer Rede heute Morgen hatte ich allerdings den Eindruck, Sie wollen es uns nicht sagen. Wenn man genau hingehört hat bei der Rede, dann hörte man viel Hoffnung. Da ist viel lautes Pfeifen im Walde. Aber knapp unter der Oberfläche haben Sie doch dieselben Befürchtungen, die auch bei den anderen Fraktionen hier im Hause bestehen. Die Hoffnung, von der diese Regierungserklärung heute Morgen getragen war, ist doch, dass man mit einer kleinen Vertragsänderung - so haben Sie es eben vorgetragen -, die niemandem so richtig wehtut, durchkommt. Dann kommt Weihnachten, und die Finanzmärkte sind weit weg. Dann ist für viele Skiurlaub, und im Januar schauen wir einmal. Ich sage Ihnen: So mag man denken, aber das ist keine Politik. Das zeugt nicht von Verantwortung in der tiefsten Krise Europas, die jedenfalls ich erlebt habe und an die ich mich erinnern kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber ich ahne: Sie haben dieselben Befürchtungen wie wir. Das, was sich da an Ratlosigkeit und Angst breitmacht, kann doch nicht der Gradmesser für richtige Politik sein. Auch Sie haben doch die Befürchtung, dass die europäischen Partner irgendwann sagen: "Jetzt reicht es", oder dass die EZB in den nächsten Tagen sagt: "Bad Bank in Europa wollen wir nicht länger sein. Wir halten das nicht aus", oder dass die Märkte sagen: "Wir lassen uns über die nächsten zwei, drei Wochen oder gar zwei, drei Monate nicht einlullen", und das Elend dann sofort im Januar beginnt. Von dem, was in den letzten Tagen und Wochen offensichtlich die Leitmarken Ihrer Politik waren, nämlich Hoffnung und Angst, können und dürfen Sie sich nicht leiten lassen. Sie dürfen sich nicht von der leeren Hoffnung leiten lassen, dass es schon nicht ganz so schlimm kommen wird, vor allen Dingen aber nicht davon - das spüren wir auf der linken Seite des Hauses noch viel stärker -, dass Ihnen am Ende Ihre eigenen Leute von der Fahne gehen. Das kann nicht Maßstab für Politik sein. Sich wegducken, das ist ein kläglicher Abgesang auf die gestaltende europäische Politik, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten geleistet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU) - Ja, das war Helmut Schmidt. Das habe ich auch gelesen. Aber ich bin mir sicher: Helmut Kohl sieht das auf Ihrer Seite des Spektrums auch nicht ganz anders. (Beifall bei der SPD) Leere Hoffnung, Angst oder Befürchtungen, die nicht mit einer entsprechenden Politik einhergehen: Das macht den Zickzackkurs aus, von dem ich schon gesprochen habe, und führt letzten Endes dazu, dass diese Regierung vor der europäischen Aufgabe so versagt wie keine andere vor ihr. Ich glaube, Frau Merkel, Sie spüren, dass Sie sich durch die Entscheidungen und Nichtentscheidungen der letzten Wochen in ein Geflecht von Ankündigungen, Halbwahrheiten und auch Lebenslügen hineinbegeben haben. Aber Sie wissen im Augenblick nicht, wie Sie da herauskommen sollen. Im April haben Sie verkündet: kein Geld für Griechenland. Das Ergebnis ist bekannt. Sie haben gesagt: Griechenland bleibt ein Einzelfall. Dann kam der Rettungsschirm. Sie haben gesagt: Der Schirm ist Ultima Ratio; er wird wahrscheinlich gar nicht in Anspruch genommen. Dann kam Irland. (Zurufe von der SPD: Ja!) Sie haben gesagt: Wir wollen keine Transferunion. Ihr eigener Berater aber sagt: In gewisser Weise haben wir das schon. Sie haben gesagt: Wir brauchen automatische Sanktionen. Zusammen mit Herrn Sarkozy haben Sie sie in Deauville gekippt. Sie haben gesagt: Defizitsünder werden mit dem Entzug der Stimmrechte bestraft. Heute war kein Wort davon zu hören. Sie haben gesagt: keine Euro-Bonds. Ihre Experten sagen: Mit der European Financial Stability Facility haben wir sie eigentlich schon. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na, na!) Sie haben die Gläubigerbeteiligung gefordert. In Ihrer heutigen Regierungserklärung sind Sie merkwürdig vage geblieben. Nicht zu vergessen ist auch das Gezerre um die Finanztransaktionsteuer. Hier im Parlament ist Frau Merkel manchmal ein bisschen dafür; auf europäischer Ebene ist Herr Schäuble manchmal ein bisschen dagegen. Geschehen ist jedenfalls nichts. Das ist die dramatische Bilanz nach diesem halben Jahr europäischer Politik in der Krise. Ich sage Ihnen: Das sehen die Leute in Ihren eigenen Reihen nicht wesentlich anders als wir. Das muss Ihnen Sorgen machen, Frau Merkel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber wir stehen in der Tat in diesen Tagen in Europa vor einer historischen Aufgabe. Es geht um die Zukunft der gemeinsamen Währung. Mehr noch: Es geht um die Zukunft des gemeinsamen europäischen Projekts. Es wird vom Handeln der europäischen Regierungen abhängen, ob wir wieder ins 19. und 20. Jahrhundert, in nationalstaatliches Denken zurückfallen oder - darauf kommt es an - ob wir jetzt den Mut zu dem nächsten großen europäischen Sprung aufbringen, das Europa der Nationalstaaten schrittweise zu überwinden und diese Europäische Union zu einer politischen Union fortzuentwickeln. Diese Frage steht auf der Tagesordnung. Vor dieser Frage dürfen wir uns nicht verstecken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist meine feste Überzeugung. Die Unruhe an den Finanzmärkten hat nicht nur mit der Finanzsituation Griechenlands, Irlands oder Portugals zu tun. Die Fragen, die die Finanzmärkte stellen, sind fundamentaler Natur. Es sind Fragen, die auch die Menschen stellen. Darin drücken sich Zweifel an der Funktionsfähigkeit der europäischen Institutionen aus. Es gibt Zweifel an der Reichweite europäischer Solidarität und an der europapolitischen Zuverlässigkeit der Deutschen. Darüber reden wir in diesen Tagen. Diese Zweifel beseitigen wir nicht im täglichen Klein-Klein. Da muss ein großer Sprung her. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb - da bin ich mir sicher - werden wir diese Zweifel, die ich eben beschrieben habe, nur beseitigen, wenn wir auf die sich stellenden Fragen klar und unmissverständlich antworten. Keine Einzelmaßnahme - nicht die Aufstockung des Rettungsschirms, kein Euro-Bond, nicht ein weiteres EZB-Aufkaufprogramm - wird in der Lage sein, die Zweifel zu überwinden, von denen ich spreche. Wir brauchen aus meiner Sicht einen wirklich umfassenden Ansatz, der aus drei Elementen besteht: Erstens. Wir brauchen die Gläubigerbeteiligung durch einen intelligenten Haircut. Die Krisenstaaten Griechenland, Irland und Portugal werden auf absehbare Zeit - das wissen Sie in der Regierung auch - nicht in der Lage sein, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückzukommen. Wenn die Anpassungslast am Ende nicht allein bei den europäischen Steuerzahlern ankommen soll - darum geht es mir -, dann muss der Weg der Gläubigerbeteiligung durch einen intelligenten Haircut beschritten werden, bevor die EZB die schlechten Anleihen wieder ins Portfolio aufnimmt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens - das wird unumgänglich sein, wenn wir im Januar 2011 nicht wieder über dieselben Themen mit der derselben Tagesordnung miteinander reden wollen -: Damit die Krise nicht noch auf andere stabile Volkswirtschaften in Europa übergreift, brauchen wir ein klares Signal europäischer Solidarität. Ich sage Ihnen voraus, dass dieses Zeichen der europäischen Solidarität - auch wenn wir das heute verdrängen; wir werden dazu gleich noch mehrere Redner von Ihnen hören - höchstwahrscheinlich eine Unterfütterung durch einen erweiterten europäischen Rettungsschirm braucht. Drittens. Wir müssen endlich den Geburtsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion beseitigen und zu einer politischen Union kommen. Eben wurde dazwischengerufen: Euro-Bonds. Ich finde, wir sollten uns zu schade sein, die Fragen, die uns im Augenblick gestellt werden, immer nur mit Ja oder Nein zu beantworten. Wenn wir zu der politischen Union kommen wollen - und zwar mit europäischer Solidarität, wie ich sie verstehe -, dann müssen die Antworten anspruchsvoller ausfallen. Jeder von uns, auch auf dieser Seite des Bundestages, weiß, dass die Antwort nicht allein "Euro-Bonds" lautet. Den Weg zur politischen Union werden wir nur gehen können, wenn wir uns in Europa auf klare Regeln und solide Haushaltspolitik sowie auf Mindeststandards für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verständigen. Das gilt aber auch da, wo die Verständigungen am stärksten blockiert waren, etwa im Steuerrecht. Es kann doch nicht sein, dass Länder wie Irland oder durch neue Entscheidungen jetzt auch Ungarn ihre Standards zulasten anderer Mitgliedsländer nach unten verändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da brauchen wir eine engere wirtschaftspolitische Abstimmung und Homogenisierung. Dann sage ich Ihnen: Ja, in diesem Zusammenhang macht auch das Nachdenken über limitierte Euro-Bonds einen Sinn. In diesem Zusammenhang sind sie tatsächlich verantwortbar. Wir sollten uns endlich aus einer kleinlichen Instrumentendebatte befreien, die uns mit den immer gleichen Fragen und den immer gleichen Antworten aufgedrängt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen vielmehr die Größe der Frage erkennen, die wir hier zu beantworten haben. Frau Merkel, auch wenn Sie in der Regierungserklärung etwas anderes gesagt haben, sage ich Ihnen voraus: Das meiste von dem, was ich eben als Aufgabe beschrieben habe, wird kommen, und zwar nicht nur, weil es vernünftig ist, sondern weil wir die Risiken, mit denen wir im Augenblick zu kämpfen haben, für die Zukunft vermeiden wollen. Ob wir den im Augenblick in Europa bestehenden Grundzweifel an Deutschlands europapolitischer Glaubwürdigkeit beseitigen können, hängt von der entscheidenden Frage ab, wie wir uns in dem Diskussionsprozess der nächsten Wochen darstellen, ob das alles gegen den Widerstand eines unentschiedenen, zögernden und zweifelnden Deutschlands kommt oder ob wir die Kraft für wirkliche Gestaltung in Europa zurückgewinnen. Ehrlichkeit, Mut und Klarheit, das ist aus meiner Sicht gefragt, nicht leere Hoffnung und Angst. Unsere Partner erwarten von uns - darauf weise ich ausdrücklich hin - ein klares Bekenntnis zum europäischen Projekt. Sie erwarten, dass wir uns eben nicht wegducken, sondern dass wir Verantwortung übernehmen. Wenn ich sage "Verantwortung übernehmen", dann meine ich die europäische Verantwortung. Damit wir uns nicht missverstehen: Wenn wir europäische Verantwortung übernehmen, dann liegt das im deutschen Interesse. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Staats- und Regierungschefs in dieser Woche zusammenkommen, um einen Krisenmechanismus für den Euro zu beschließen und um Vertragsänderungen auf den Weg zu bringen, dann befinden sie sich nicht nur in dieser Hinsicht in einer außerordentlich schwierigen Situation. Es gilt, den Euro zu schützen. Es gilt, unsere Währung zu stabilisieren, für einen harten Euro zu streiten. Aber es geht in diesem Zusammenhang auch um die Zukunft Europas. Das ist uns klar; das ist auch der Regierung klar. Europa hat - das wissen wir; das ist hier in der Debatte schon zum Ausdruck gekommen - für die längste zusammenhängende Periode von Frieden, Freiheit und Wohlstand gesorgt. Deshalb wollen wir dieses Europa stärken. Aber eine solche Stärkung wird man nicht dadurch erreichen, dass man die Starken schwächt oder die Prinzipien der Wirtschafts- und Währungsunion infrage stellt oder weiter aufweicht. Es geht nur dadurch, dass man diese Prinzipien, die Grundleitlinien der Europäischen Union, stärkt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bundeskanzlerin hat gesagt: Europa ist eine Verantwortungsgemeinschaft. Europa ist vor allen Dingen auch eine Stabilitätsgemeinschaft. Diese Stabilitätsgemeinschaft muss im Angesicht der Krise gestärkt werden. Eine Veränderung hin zu einer Transferunion mag dem einen oder anderen bequem erscheinen. Das würde allerdings Europa auf Dauer schwächen und in seinen Grundfesten erschüttern. Deshalb kämpfen wir für eine Stabilitätskultur. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist der Grund, warum sich der Deutsche Bundestag in den letzten Wochen massiv engagiert hat. Wir haben mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen eindeutige, klare Beschlüsse gefasst und der Bundesregierung bei ihren schwierigen Verhandlungen in Europa den Rücken gestärkt. Diese Beschlüsse gelten fort. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sehe schon die Begeisterung bei Frau Merkel!) Ich kann die Opposition in diesem Hause nur auffordern, die Bundesregierung bei der Wahrnehmung der Interessen Deutschlands in Europa, die darin bestehen, eine Stabilisierung zu erreichen, zu unterstützen, anstatt ihr in den Rücken zu fallen. Ich halte an dieser Stelle fest: Die Mehrheit des Deutschen Bundestages steht klar hinter der Verhandlungslinie der Bundesregierung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In den letzten Wochen wurde der Rahmen für einen dauerhaften Krisenmechanismus abgesteckt. Jetzt gilt es, das durch entsprechende Vertragsänderungen umzusetzen; das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Es ist wichtig, das, was wir auf europäischer Ebene vereinbart haben, jetzt auch vertraglich zu formulieren. Dazu gehört aus unserer Sicht ganz eindeutig die Ultima Ratio. Hilfen gibt es nur als Ultima Ratio. Das bedeutet, dass die betroffenen Staaten selbst alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, und es bedeutet genauso - Herr Steinmeier, Sie haben das gerade angesprochen -, dass private Gläubiger in allen Phasen beteiligt werden. Dafür hat die Euro-Gruppe am 28. November die Grundlage geschaffen, und auf dieser Grundlage muss man jetzt aufbauen. Für den Fall der Insolvenz ist eine zwingende Beteiligung der Gläubiger, der Haircut, vorgesehen, Herr Steinmeier. Genau das haben wir in harten Verhandlungen erreicht. Wir haben damit genau das getan, was Sie jetzt plötzlich einfordern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind überzeugt, dass nur mit einer solchen Beteiligung von Gläubigern Risiken minimiert werden und dass sich Zinsen der Bonität anpassen. Wenn man die Zinsen wirken lässt, ist das das beste Mittel, um die Eigenverantwortung zu stärken. Deshalb gilt für uns die Ultima Ratio: Nur wer am Kreditmarkt keine Refinanzierung bekommt, kann Hilfen der europäischen Partner bekommen. Das muss auch vertraglich entsprechend vereinbart werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Steinmeier, diese Koalition und diese Bundesregierung haben Verantwortung übernommen, und zwar von Anfang an. Als es um Griechenland ging, haben wir klar Verantwortung übernommen. Es war richtig, von den betroffenen Ländern eigene Anstrengungen zu verlangen. Es war richtig, den IWF mit seiner Erfahrung einzubinden. Es war richtig, dass die Bundesregierung nicht gleich Geld ins Schaufenster gelegt, sondern zunächst einmal einen klaren Mechanismus gefordert hat. Ja, wir haben Verantwortung übernommen, nicht nur bei Griechenland, sondern auch für den gesamten Rettungspakt, der geschnürt worden ist. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, waren nirgends. Sie haben nicht zugestimmt. Sie haben Ihre Verantwortung für Europa nicht wahrgenommen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Deshalb sind Sie die Letzten, die dieser Bundesregierung hier Vorwürfe machen können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lachen bei Abgeordneten der SPD) Herr Steinmeier, Sie haben das Hü und Hott der letzten Tage beklagt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kubicki hat doch recht! Kubicki hat recht!) Das kam doch nicht von dieser Koalition, und es kam auch nicht von dieser Bundesregierung; sie hatte eine klare Haltung. Ich bin überzeugt davon, dass es nicht hilfreich ist, täglich neue Forderungen zu stellen, nachdem man sich auf die Grundstruktur eines Hilfsmechanismus verständigt hat. Diese Forderungen schüren nur weitere Verunsicherung. Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben hier zur EZB erklärt, sie sei auf dem Weg zu einer Bad Bank. Das ist schlicht und ergreifend unverantwortlich. Sie reden diese Situation herbei. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Dass Sie das zulassen, ist unverantwortlich!) Sie haben hier demonstrativ Bekenntnisse zu Europa gefordert. Unser Bekenntnis zu Europa ist so klar, wie es klarer nicht sein kann. (Rolf Schwanitz [SPD]: Das haben wir gehört!) Sie fordern hier Bekenntnisse ein und erklären, dass beispielsweise eine Garantie für alle Schulden anderer Länder notwendig sei, mittelfristig auch Euro-Bonds. Sehr verehrter Herr Steinmeier, demonstrative Bekenntnisse sind kein Ersatz für eine politische Lösung, und sie sind vor allen Dingen kein Ersatz für eine Krisenbewältigung. Deshalb fordern wir Sie auf: Arbeiten Sie ganz konkret an der Krisenbewältigung mit! Verlangen Sie nicht einfach nur Bekenntnisse! Worte werden nicht reichen, um die Situation zu bewältigen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Europa übt Solidarität. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Das ist in diesem Jahr so deutlich geworden wie selten zuvor. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße. Solidarität bedeutet, dass die Starken den Schwachen helfen. Aber Solidarität bedeutet auch, dass diejenigen, die betroffen sind, selber Anstrengungen unternehmen müssen; das gehört genauso dazu. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Sprüche! Da weiß die FDP besonders gut Bescheid!) Von dieser Solidarität hat Deutschland die größte Last getragen. Wir sind weiter bereit, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Aber wir machen genauso deutlich, dass es auf europäischer Ebene keine Vollkaskomentalität und keine Vollkaskoversicherung geben kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sigmar Gabriel [SPD]: Peinlich!) Wenn wir über die Euro-Bonds reden, dann geht es nicht um irgendeine kleinliche Instrumentendebatte, sondern dann geht es im Kern um die Frage, ob es einen Druck in Richtung Haushaltskonsolidierung gibt oder ob es diesen Druck zukünftig nicht mehr gibt. Gemeinsame europäische Anleihen führen dazu, dass diejenigen Länder, die die Haushaltssanierung in der Vergangenheit nicht ernst genug genommen haben und die erst jetzt auf dem Weg zur Haushaltskonsolidierung sind, diesen Druck nicht mehr verspüren, weil sie eine Absicherung bekommen. Gemeinsame Anleihen, das bedeutet nichts anderes als einen Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene. Das bedeutet, dass Deutschland dauerhaft für die Schulden anderer Länder zahlen würde. Das können wir nicht zulassen, das wollen wir nicht zulassen, und das werden wir auch nicht zulassen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist wichtig, dass jetzt ganz klar festgelegt wird, was europäisch vereinbart ist, nämlich das Einstimmigkeitsprinzip. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So fiel die DDR auch auseinander! Kubicki hat recht!) Das Einstimmigkeitsprinzip ist die Lebensversicherung auch für die deutschen Sparer. Es stellt sicher, dass sie nicht plötzlich für die Schulden aller anderen Europäer in Haftung genommen werden können. Die Schulden anderer Länder müssen auch die Schulden anderer Länder bleiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Weit über den Europäischen Rat hinaus gilt, dass wir an einer Verschärfung des Stabilitätspakts arbeiten. Dazu, sehr verehrter Herr Steinmeier, will ich Ihnen schon sagen: Es ist dreist, was Sie sich hier erlauben: (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Kubicki!) von einer Stabilisierung zu reden, obwohl Sie diejenigen waren, die im Jahr 2005 den Stabilitätspakt auf europäischer Ebene ausgehebelt haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sören Bartol [SPD]: Keine Ahnung! Der Kubicki hat doch recht! - Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ich prophezeie 3 Prozent! - Weitere Zurufe von der SPD) Sie sind diejenigen, die Verantwortung dafür tragen, dass Europa überhaupt in eine solch schwierige Situation gekommen ist. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir versuchen jetzt mühselig, auf europäischer Ebene das zu erreichen, was Sie eingefordert haben, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So fiel die DDR auch auseinander! Kubicki!) nämlich eine Stärkung des Stabilitätspakts, einen Frühwarnmechanismus, bessere Kontrollierbarkeit, automatische Sanktionen und auch eine bessere Koordinierung in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Das ist sicherlich notwendig. Das alles ist auf den Weg gebracht und muss in dieser schwierigen Situation verhandelt und diskutiert werden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Den Liberalismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf!) Es sind harte Verhandlungen, die auf europäischer Ebene geführt werden. Es ist ein klarer Kurs gefordert. Dieser klare Kurs, der alle in die Solidarität nimmt, der ein Bekenntnis zu Europa darstellt, ist ein Stabilitätskurs, an dem Europa ein vitales, eigenes Interesse hat. Deshalb wollen wir diesen Stabilitätskurs fortführen - für eine Europäische Union, die in ihren Mitgliedsländern Frieden sichert, Freiheit sichert und auch weiterhin Wohlstand sichert. Die Bundesregierung hat bei dieser schwierigen Aufgabe die volle Unterstützung der Mehrheit dieses Hauses und - davon bin ich überzeugt - auch der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, wenn sie hart verhandelt. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, Frau Merkel, eilen von einem Großbrand zum nächsten und wollen den Eindruck erwecken, dass Sie alles im Griff haben. Die Wahrheit aber ist, dass zahlreiche Brandherde weiter schwelen und es nur eine Frage der Zeit ist, wann sie wieder auflodern. Sie aber wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, nach den Brandursachen zu suchen, und sind auch nicht bereit, die Brandstifter so zur Verantwortung zu ziehen, dass sie nie wieder in die Versuchung kommen, ein neues Feuer zu legen. (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel, Sie sehen eine Ursache für diese Krise in den überschuldeten Haushalten der Euro-Länder und fordern deshalb einen eisernen Sparkurs. Das klingt für den einen oder anderen CDU-Wähler ganz gut; doch es hat dramatische Folgen für ganz Europa. Wir erinnern uns: Sie wollten die Wahlen in Nordrhein-Westfalen gewinnen und Rot-Rot-Grün verhindern. Darum hatten Sie ein so brutales Kürzungspaket für Griechenland geschnürt, dass selbst der beinharte IWF-Chef Strauss-Kahn Bedenken anmeldete. Sie wussten doch, dass die Griechen diese Auflagen niemals erfüllen konnten. Trotzdem haben Sie von ihren ökonomisch unsinnigen Forderungen nicht abgelassen. Das Ergebnis war vorhersehbar: Griechenland befindet sich in der heftigsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und wird seine Schulden auf absehbare Zeit nicht zurückzahlen können. Das Beispiel Griechenland hat Sie aber nicht bewegen können, Ihre falsche und kostspielige Strategie zu ändern. Auch Irland, Spanien und Portugal haben Sie eine entsprechende Rosskur verschrieben. Können Sie aus Ihren Fehlern nicht lernen, oder verfolgen Sie ganz andere Ziele, Frau Merkel? Es geht Ihnen doch gar nicht um ein gemeinsames, friedliches Europa; es geht Ihnen vielmehr um die Rettung der Anlagen der deutschen Banken in diesen Ländern. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Ach so!) Deutsche Banken haben allein in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien 318 Milliarden Euro investiert. Diese Milliarden wollen die deutschen Banken ohne Verluste und hochverzinst zurückhaben. Das erwarten sie von Ihnen. Frau Merkel, Sie müssen uns endlich sagen, in wessen Auftrag Sie am Donnerstag eigentlich verhandeln: Verhandeln Sie im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger oder im Auftrag dieser deutschen Banken? (Beifall bei der LINKEN) Für beide gleichzeitig können Sie nämlich nicht verhandeln, weil die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik nicht im Ansatz mit den Interessen der deutschen Banken deckungsgleich sind. (Beifall bei der LINKEN) Die Ursache der Euro-Krise sind nicht überschuldete nationale Haushalte, sondern ist das schnelle ökonomische Auseinanderdriften der Volkswirtschaften in der Euro-Zone. Die Agenda 2010 hat diesen Prozess noch dramatisch beschleunigt. Ich will Ihnen das einmal an einem aktuellen Beispiel deutlich machen: In den französischen und dänischen Schlachthöfen werden Mindestlöhne gezahlt - in deutschen Schlachthöfen nicht. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Frau Lötzsch Seit' an Seit'! Es wächst zusammen, was zusammengehört! Das hat schon Herr Kubicki erkannt!) Das hat dazu geführt, dass Schlachthöfe in Dänemark schließen mussten und die französischen Arbeitgeber von der EU fordern, in Deutschland auf Mindestlöhne zu drängen. Die Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes bringt alle anderen europäischen Länder, die gerechte Löhne zahlen, in größte Schwierigkeiten. (Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der FDP: Oh!) Es sind also nicht nur die Hochtechnologien, die zu einem deutschen Exportüberschuss führen - um mit dieser Legende einmal aufzuräumen -, sondern es ist auch der unfaire Wettbewerb um die niedrigsten Löhne, den die Bundesregierung den anderen Volkswirtschaften aufzwingt. Das muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Eine andere Ursache der Euro-Krise liegt in der Fehlkonstruktion des Euro selbst. Waren die Väter des Euro wirklich so naiv, zu glauben, dass allein die Währung in der Lage sei, diesen unterschiedlichen Volkswirtschaften Europas eine gemeinsame Basis zu geben? Ich sage Ihnen: Die Einführung des Euro, wie sie damals geschehen ist, war eine Einladung zum Schuldenmachen. Mit dem Euro in der Hand konnten auch schwache Volkswirtschaften zu niedrigen Zinsen Kredite aufnehmen und sehr zur Freude deutscher Exporteure in Deutschland auf Shoppingtour gehen. Das ist nämlich die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Was wir jetzt brauchen, sind Investitionen in die Zukunft Europas. Selbst das regierungsfreundliche Handelsblatt fordert jetzt ein europäisches Konjunkturprogramm von 347 Milliarden Euro, um aus dieser schweren Krise herauszukommen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Waren das nicht 346 Milliarden Euro?) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fordert eine einmalige Vermögensabgabe zur Sanierung unserer Haushalte. Doch ich sage Ihnen: Jedes Konjunkturprogramm ist für die Katz, wenn wir nicht endlich die Finanzmärkte wirksam regulieren. (Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der FDP) Es ist doch sinnlos, wenn wir die öffentlichen Haushalte nur sanieren, damit wir wieder die Kosten der nächsten Finanzkrise übernehmen können. Es ist für mich völlig unbegreiflich, dass es die Bundesregierung seit zwei Jahren nicht geschafft hat, für eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte zu sorgen. Neuerdings, Frau Merkel, fordern Sie ja auch die privaten Anleger auf, ein Risiko mitzutragen. Einverstanden. Aber warum fangen Sie nicht gleich bei den deutschen Banken an? Worauf warten Sie noch? (Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Die sind offenbar die Schlimmsten, was?) Die Linke fordert eine Finanztransaktionsteuer und eine wirksame Kontrolle der Finanzmärkte. Wer eine Währung ohne eine abgestimmte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einführt, der handelt unglaublich verantwortungslos. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch völlig absurd, in der Europäischen Union eine Konkurrenz um die niedrigsten Unternehmensteuern überhaupt zuzulassen. Noch absurder ist es, dass Irland EU-Hilfen bekommt, ohne dass eine Anhebung der unanständig niedrigen Unternehmensteuern vereinbart wurde. So werden die Dinge nie in Ordnung gebracht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wir als Linke sind der Auffassung, dass der Euro nur gerettet werden kann, wenn die Finanzmärkte streng kontrolliert und reguliert werden und endlich eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik vertraglich vereinbart wird. Euro-Bonds oder der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank sind im Rahmen einer Rettungsaktion als Übergangslösung wichtig. Eine grundsätzliche Revision des Lissabonner Vertrages ersetzen sie allerdings nicht. (Beifall bei der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, überdenken Sie Ihre Rolle in Europa! Bringen Sie unser Land nicht weiter in Verruf! Suchen Sie nach gemeinsamen Lösungen, die Europa stärken und nicht in Stücke reißen! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es war unsere Generation, die das Thema Europa in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit gestellt hat. Es war unsere Generation, die an der deutsch-französischen Grenze die Schlagbäume weggerissen und gesagt hat: Wir wollen ein Europa ohne Grenzen! - Die Einheit Europas haben wir formuliert. Das ist unsere Zukunft. Deutschland ist unser Vaterland. Europa ist unsere Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zurufe von der SPD) Das waren die Formulierungen. An diesen Kernaussagen hat sich überhaupt nichts geändert. (Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Wir haben in vielen, vielen Europawahlkämpfen gezeigt - viel mehr als manch anderer hier auf der linken Seite dieses Hauses -, dass wir zu Europa stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben keinen Zweifel an Europa gelassen. So bleibt es auch in Zukunft. Wir haben alle großen Entscheidungen in Deutschland mit Europa verbunden. Im Zusammenhang mit einer der größten Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte und einer der glücklichsten Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte haben wir schließlich immer formuliert: Deutsche Wiedervereinigung, deutsche Einheit und europäische Einheit gehören zusammen. Ein größeres Bekenntnis zu Europa kann man gar nicht abgeben, als wir es getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Thomas Oppermann [SPD]: Aber jetzt müssen Taten folgen!) Zu diesen beiden Punkten - Deutschland als Vaterland, Europa als Zukunft - kommt heute dazu: Der Euro ist unsere Währung. Diese drei Positionen bestimmen unsere Politik. Wenn wir uns für den Euro einsetzen, wenn wir alles dafür tun, dass der Euro stabil bleibt, dann handeln wir schließlich auch im deutschen Interesse; denn der Euro ist die deutsche Währung. Diese wollen und werden wir erhalten. Da kann sich jeder auf uns verlassen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wissen, dass die inzwischen berühmt gewordenen Märkte auch die Solidarität in Europa testen. Ich kann nur sagen: Sie können sich darauf verlassen, dass wir, weil der Euro unsere Währung ist, schon aus ureigenem Interesse alles für den Euro tun werden. Wir werden den Spekulanten zeigen: Wir sind solidarisch in Europa. Wir werden nicht zulassen, dass der Euro attackiert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wovon träumst du nachts?) Jetzt, Herr Steinmeier, kommt es natürlich darauf an, dass man nicht einfach so daherredet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Thomas Oppermann [SPD]: Aber Sie!) Auch ein Oppositionspolitiker trägt in solch schwierigen Fragen Verantwortung. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was Verantwortung bedeutet: Ich rate dringend - dies halte ich für außerordentlich klug -, dass weder ein Oppositionspolitiker noch jemand anderer die Unabhängigkeit unserer Notenbank in Zweifel zieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf des Abg. Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]) - Nein, Herr Steinmeier, so einfach kommen Sie nicht davon. Es ist nicht Aufgabe des deutschen Parlaments, darüber zu diskutieren, was die Europäische Zentralbank in eigener unabhängiger Verantwortung tun darf oder nicht. Das gefährdet nämlich die Dinge in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir alle haben ein natürliches Interesse an einem stabilen Euro. Sie selber haben - zumindest zum Start des Euro - den Menschen versprochen, dass der Euro so stabil und hart ist wie die D-Mark. Aber kaum waren Sie in der Regierungsverantwortung, haben Sie dies alles vergessen. Sie haben die Stabilität des Euro für einen kurzfristigen vermeintlichen Erfolg in Ihrer Regierungspolitik aufgeben. Das hat mit Verantwortung für Stabilität nichts zu tun. Deswegen brauchen Sie aus der Opposition heute keine so großen Töne zu spucken. Sie haben allen Grund, in sich zu gehen, und sollten hier keine solchen Reden führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Stabilität des Euro ist ganz entscheidend dafür, dass der Satz, dass Europa unsere Stärke und Zukunft ist, wahr wird. Der Euro wird nicht dadurch stark, wie es heute eine Journalistin in der Welt zu Recht schreibt, dass der Konsum national gesteuert wird und die Schulden auf die europäische Ebene gehoben werden. Dann gibt es nämlich keinen Anreiz mehr. Herr Kollege Steinmeier, was ist das für eine Argumentation? Sie haben mit uns allen dafür gestritten und gestimmt, dass wir die Schuldenbremse in das Grundgesetz bringen. Aber mit der Schuldenbremse ist das, was Sie vor wenigen Minuten hier an diesem Rednerpult gesagt haben, in keiner Weise vereinbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Leider!) Sie sollten uns mehr darin unterstützen, dass wir auch in anderen europäischen Ländern mehr Verständnis für Haushaltsdisziplin und schuldenbremsende Politik bekommen, anstatt solche Reden zu führen, die niemanden in Europa dazu motivieren, die Haushalte zu sanieren und Schulden zurückzuführen. Wenn ich sage, wir brauchen einen starken Euro, weil Europa unsere Zukunft ist, dann sollten wir, wie die Bundeskanzlerin zu Recht angemerkt hat, in diesen Tagen nicht nur auf die Rettung unserer Währung schauen. In diesen Monaten, Wochen und Tagen findet nämlich eine intensive weltweite Politik statt, bei der wir auf die Stärke Europas angewiesen sind. Ich möchte es von diesem Pult einmal ausdrücklich sagen: Wir freuen uns darüber, dass Deutschland so stark und so gut aus der Krise herausgekommen ist. Wir wissen aber auch, dass wir trotz dieser Stärke die Dinge, die weltweit geregelt werden müssen, ohne Europa nicht regeln könnten. Das heißt, wir brauchen Europa auch im eigenen Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir können doch nicht zuschauen, wie der ganze Rohstoffmarkt auf einmal von China bearbeitet wird. Wir können doch nicht zuschauen, wenn China auf einmal eine Afrika-Politik macht, die mit dem, was wir in Europa wollen, nicht harmoniert. Wir müssen doch sehen, dass wir bei den WTO-Verhandlungen unsere Interessen durchsetzen. Herr Steinmeier, Sie wissen ganz genau: An diesem Pult Regelungen für eine Beteiligung der Finanzmärkte zu fordern, ist etwas ganz anderes, als das europaweit oder weltweit durchzusetzen. Diese Regierung müht sich. (Sören Bartol [SPD]: Wo denn?) Darin sollten Sie sie unterstützen, statt sie öffentlich zu attackieren. Das liegt in schwieriger Zeit im nationalen Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben deshalb allen Grund, der Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister und unserem Finanzminister viel Erfolg bei der Durchsetzung des heute hier als richtig skizzierten Weges in den nächsten Tagen in Brüssel zu wünschen. Wir begleiten die Arbeit der Bundesregierung in diesem Sinne. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Kauder, Sie haben versucht, durch Lautstärke einen tiefen Zwist in Ihren eigenen Reihen zu übertönen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Otto Fricke [FDP]: Das machen Sie ja nicht!) Liebe Frau Merkel, wir haben Sie um diese Regierungserklärung gebeten, weil wir der Auffassung sind, dass dieses Haus ein Anrecht darauf hat, in einer, wie wir finden, dramatischen Situation über die Handlungsvorschläge, Alternativen und konstruktiven Ideen der Bundesregierung zur Lösung dieser Krise informiert zu werden. Mein Eindruck ist, dass Sie mit Ihrer Regierungserklärung der Dramatik der Situation überhaupt nicht gerecht geworden sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Das reiht sich ein in die Geschichten der letzten Monate: Ihre Orientierungslosigkeit bei der Bankenrettung, Ihr Zögern bei der Griechenland-Hilfe, Ihre falschen Versprechungen, Weiteres würde nicht folgen, Ihre ultimativ vorgetragenen Forderungen nach Stimmrechtsentzug, nach Rausschmiss Einzelner aus der Euro-Zone - all dies war nicht nur europapolitisch fragwürdig, sondern es hat die Krise auch verschärft und nicht vermindert. Das ist das Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Man könnte sagen: Das ist nicht so schlimm; denn wir haben ja noch einen Bundesaußenminister. (Zuruf von der SPD: Was?) Liebe Kollegin Homburger, da Sie auf die Geschichte verwiesen, möchte ich auf eines aufmerksam machen, was Ihre Verantwortung und Ihre Ideen angeht: Der jetzige Bundesaußenminister hat am 4. Juli 2002 hier eine Rede gehalten. (Otto Fricke [FDP]: 2002?) - Da war er noch Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Fricke, wenn Sie sich noch daran erinnern; ich weiß, Sie wollen ihn loswerden, aber das ist die geschichtliche Wahrheit. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In dieser Rede hat er, als Vorhalt gegenüber der damaligen Bundesregierung, gesagt: ... dann reden wir über 6,5 Prozent Wirtschaftswachstum wie beispielsweise in Irland. ... Der Grund ist ganz einfach: Irland hatte wie wir eine Staatsquote von etwa 50 Prozent, nach Jahren beträgt die Staatsquote jetzt etwa ein Drittel. Da müssen wir in Deutschland auch hin ... Von Irland lernen heißt siegen lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das waren nicht unsere Rezepte, sondern Ihre Rezepte, und das ist der Grund, warum wir Irland heute retten müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum schreien Sie denn so?) Nun kommt derselbe als Bundesaußenminister und erklärt öffentlich, Deutschland dürfe nicht zum Zahlmeister Europas werden. Meine Damen und Herren, einen solchen Satz hätten Sie nie von einem Außenminister Steinmeier oder von einem Außenminister Fischer gehört. Sie hätten ihn auch nie und nimmer von einem Außenminister Kinkel oder von einem Außenminister Genscher gehört; denn diese Außenminister haben sich als Anwälte Europas in Deutschland verstanden und nicht als Totalausfall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wie gehen Sie, Frau Bundeskanzlerin und Herr Kauder, mit den Stimmen in Ihren eigenen Reihen um? (Zuruf von der SPD: Kubicki!) Da gibt es Herrn Dobrindt. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wen?) Er behauptet, wer für Euro-Bonds sei, der betreibe den "Verrat deutscher Interessen" und sei ein "Wegelagerer Europas". Er hat das zwar auf mich persönlich bezogen, aber er meint natürlich jemand anderen. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Er hat schon Sie gemeint!) Er meint einen Parteifreund von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, nämlich ein Mitglied der Europäischen Volkspartei, den konservativen, christdemokratischen Ministerpräsidenten Luxemburgs und Träger des Karlspreises, den Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, zum Vorsitzenden der Euro-Gruppe gemacht haben. Dieser sei ein "Wegelagerer Europas". So weit ist diese Koalition mittlerweile europapolitisch gesunken. Da hätte ich mir von Ihnen ein klärendes Wort gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir können die Debatte auch gerne fachlich führen. Schauen Sie sich einmal an, wer sich neben Herrn Juncker für dieses Instrument der Euro-Bonds eingesetzt hat. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Ihrer Schwester-, Bruder- oder Mutterpartei - ich weiß nicht, wie es bei Ihnen heißt -, hält das für eine gute Idee. Der Chef der liberalen Fraktion, der ehemalige belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt - er wurde von Frau Merkel einmal als Präsident des Rates ins Gespräch gebracht -, (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sie hat ihn als Kommissionspräsidenten verhindert! Das war ihre europäische Großtat!) sieht es genauso. Sie versuchen damit, eines vergessen zu machen, nämlich dass man Euro-Bonds durchaus so konstruieren kann, dass sie nicht zinssteigernd, sondern zinsbegrenzend wirken. Man kann sie so konstruieren, dass noch ein Rest übrig bleibt, der nur durch nationale Anleihen gedeckt werden kann und der einen sehr großen Druck auf diejenigen ausübt, die diese Euro-Bonds dann in Anspruch nehmen. Ohne dass ich mir alles, was Herr Juncker aufgeschrieben hat, zu eigen machen will, möchte ich sagen, dass dieser Vorschlag eines verdient hätte: dass die Bundesregierung ihn ernsthaft prüft und ihn nicht auf Zuruf der Bild-Zeitung einfach vom Tisch wischt. Das ist keine europäische Verantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es hätte noch etwas dazu gehört, liebe Frau Merkel. Sie hätten der Öffentlichkeit erklären müssen, dass solche Anleihen überhaupt nichts Neues sind. Womit hat denn in den letzten Monaten die Europäische Union Ungarn und das Baltikum vor dem Staatsbankrott gerettet? Durch Euro-Bonds, die aufgenommen worden sind und bei denen wir den Zinsvorteil an diese Länder weitergegeben haben. An dieser Stelle haben wir praktische Solidarität geübt. Was ist der europäische Krisenmechanismus, die Stabilitätsfazilität? Nichts anderes. Es werden Anleihen am Markt aufgenommen mit den Garantien der solventen EU-Staaten, wie wir es Gott sei Dank sind und auch bleiben wollen. Dieser Zinsvorteil wird dann an Länder wie beispielsweise Irland weitergegeben. Was glauben Sie, was mit den Zinsen für Anleihen passiert, wenn es jetzt solventere Gläubiger als Irland gibt? Sie aber haben ein sinnvolles Instrument zur Steuerung hin zu mehr Stabilität einfach vom Tisch gewischt. Das ist der Grund, warum Deutschland unter Ihrer Kanzlerschaft, liebe Frau Merkel, mittlerweile so extrem unpopulär in der Europäischen Union ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es kommt hinzu, dass Ihnen niemand Ihre Position glaubt. Der Hintergrund dieser Krisen ist doch nicht überbordender Staatskonsum. Das war allein in Griechenland das Problem; das ist aber nicht das Problem in Irland, Spanien oder Portugal. Die Haushaltsdefizite in diesen Ländern sind Ergebnisse zum Beispiel der Finanzkrise oder des Zusammenbruchs der Baubranche nach dem Bauboom. Wenn Sie jetzt als teutonisches Sparmonster herumlaufen - so werden Sie in vielen Ländern der Europäischen Union empfunden; es ist nicht meine Sicht -, dann werden Sie sich einer Frage stellen müssen: Wie war das denn im Jahr 2007? Im Jahre 2007 sind 2 Prozent unserer gesamten Wirtschaftsleistung, 25 Prozent unseres gesamten Exportüberschusses in Spanien, Italien, Irland, Griechenland und Portugal erwirtschaftet worden. Das heißt, wir haben als Wirtschaftsnation gut davon gelebt, dass andere zum Kauf unserer Produkte Kredite aufgenommen haben, die sie dann nicht bedienen konnten. (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Deswegen hat uns die Haltung, anderen nur Stabilität zu predigen, aber selber konstruktive Beiträge und Lösungen zu verweigern, in Europa unpopulär gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir brauchen einen Abbau der gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte; wir brauchen eine wirkliche Wirtschaftsunion. Das sind die Schritte, vor denen Sie zurückschrecken. Sie kommen mit der nationalen Regression à la Westerwelle oder Dobrindt nicht aus dieser Krise heraus. Sie kommen nur mit mehr und nicht mit weniger Europa aus dieser Krise heraus. Es geht bei dem, was ich sage, aber nicht nur um eine Frage der Wirtschaftspolitik. Kooperation in Europa ist in unserem ureigenen Interesse. Für Helmut Kohl ging es bei der Einführung des Euro um - ich zitiere - "eine Frage von Krieg und Frieden". Ich glaube, Helmut Kohl hatte recht. Die Einheit Europas in Frieden basiert auf wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Wir müssen endlich zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Steuerpolitik in diesem gemeinsamen Europa kommen. Nur dann wird die gemeinsame Währungsunion funktionieren. Nur dann hat dieses Europa eine Zukunft. Lieber Herr Dobrindt, lieber Herr Westerwelle, das ist im Interesse Deutschlands, nicht das dumme Gerede vom Zahlmeister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Otto Fricke ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Trittin, ich will Ihnen etwas zu der "Frage von Krieg und Frieden" sagen. Es gibt in der Nähe von Nowgorod einen kleinen Gedenkstein, auf dem der Name meines Großvaters steht: Otto Fricke. Ich will Ihnen eines sagen: Mein Vater und viele in seiner Generation sind ohne Vater aufgewachsen. Das lag daran, dass Europa nicht funktioniert hat. Meine Fraktion, die Koalition und die Regierung haben das begriffen. Sie versuchen an der Stelle, den Außenminister zu geben, obwohl Sie das nie sein werden; das müssen Sie irgendwann einmal lernen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Was hat der Kollege Trittin noch gemacht? Er hat versucht, zu sagen, dass es nicht im europäischen Sinne sei, wenn man die Interessen des deutschen Steuerzahlers berücksichtigt. Herr Kollege Trittin, da muss ich ehrlicherweise sagen: Ja, so denken Sie. Sie werden das Menetekel von Rot-Grün, den Stabilitätspakt aufgeweicht zu haben, nie verlieren. Da können Sie so viel wischen, wie Sie wollen: Die grüne Farbe wird weiterhin an der Aufweichung des Stabilitätspaktes kleben; Sie werden weiterhin nicht in der Lage sein, an der Stelle Lösungen zu finden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Noch etwas - das ist auch ein Vorwurf an den Kollegen Steinmeier -: Sie beschäftigen sich beim Thema Europa immer nur mit einer Frage, nämlich mit der Frage der Gleichheit. Das ist Ihr wesentliches Problem. Sie sind der Meinung, wenn alles gleich ist, ist alles gerecht, und wenn alles gleich ist, dann haben wir auch für Europa gesorgt. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Quatsch!) Nach diesem Motto handeln Sie auf nationaler Ebene, indem Sie die Verschuldung hochfahren. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Herr Fricke, Sie waren schon einmal besser!) Das ist es, was Sie auch auf europäischer Ebene am liebsten wollen. Man kann an dieser Stelle nur davor warnen. Wenn Sie für Euro-Bonds reden - Herr Steinmeier hat das getan, und Sie haben es letztlich auch getan -, dann sagen Sie den Bürgern auch, was Euro-Bonds für den deutschen Haushalt bedeuten. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: 0,3 Prozent!) Sie bedeuten - wir konnten es in der FAZ lesen - 17 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Zinsausgaben. 17 Milliarden Euro! Das ist das, was Sie vom deutschen Steuerzahler haben wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehen Sie sich einmal den Schäuble an!) Man muss einmal klarmachen, wer der deutsche Steuerzahler ist. Das sind nicht nur irgendwelche Unternehmen, denen Sie etwas wegnehmen wollen. Das sind nicht nur irgendwelche fleißigen Selbstständigen oder Arbeitnehmer, die Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Das ist auch der Schüler, der sich morgens etwas kauft. Das ist auch der Rentner, der versucht, mit seiner Rente auszukommen. (Sören Bartol [SPD]: Peinliche Rede!) Das sind auch diejenigen, die Mehrwertsteuer zahlen. Das sind wir alle. Uns alle haben Sie genauso zu schützen. Jetzt zum Thema Europa: Wenn Sie wirklich wollen, dass wir ein zukunftsfähiges, ein starkes, ein stabiles Europa haben, dann müssen Sie die Tatsache akzeptieren - diese Wahrheit müssen Sie den Bürgern sagen -, dass zu einem stabilen Europa gehört, dass man spart. Die Bundesrepublik Deutschland hat das getan. Deswegen spreche ich der SPD ausdrücklich meine Anerkennung dafür aus, dass sie bei der Schuldenbremse mitgemacht hat. Die Schuldenbremse ist der Kern. Ihre Aufgabe ist es jetzt, nachdem Sie sie auf nationaler Ebene mitgemacht haben - hoffentlich stehen Sie noch dazu -, dieser Bundesregierung zu helfen, damit sie sie auch auf europäischer Ebene erreicht. Ihre Verantwortung ist genauso groß wie die der vielen anderen Demokraten in diesem Land. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während der Kollege Fricke etwas von der SPD einforderte, hat das FDP-Vorstandsmitglied Chatzimarkakis soeben erklärt: Frau Merkel hat in der Europapolitik total versagt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das ist alles nachzulesen. Herr Chatzimarkakis ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Herr Schäffler (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch ein FDPler!) hat zum Thema CDU erklärt, Herr Kollege Kauder: "Schäuble führt die EU in den Geldsozialismus." Das ist die europapolitische Realität dieser Koalition. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Fricke, Sie haben aus der FAZ zitiert. Ich weiß, dass sie das Leitblatt, Ihr Leib- und Magen-Blatt von ganz vielen auf dieser Seite des Hauses ist. (Otto Fricke [FDP]: Aber nicht von mir!) Passen Sie auf, wo Sie sich hinbegeben. Die FAZ hat am Sonntag geschrieben: "Deutsche sollen wieder mehr zahlen." Deutlicher wird sie im Innenteil: "Wir Deutsche sollen noch mehr zahlen", weil die Euro-Bonds 17 Milliarden Euro kosten. "Deshalb zurück zur D-Mark?" Um das Ganze zu toppen - ich zitiere noch einmal -, stehen in der FAZ auf Seite 49 Tipps für Spekulanten. Das ist die europäische Wirklichkeit einer Leitzeitung in Deutschland, auf die Sie sich beziehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Otto Fricke [FDP]: Immerhin bestätigen sie die 17 Milliarden!) Nehmen wir die Situation Deutschlands in Brüssel einmal sehr genau unter die Lupe. Viele von Ihnen und uns sind fast jede Woche dort, reden mit Kolleginnen und Kollegen ihrer Fraktionen und der anderen Länder. Die Situation der deutschen Europapolitik ist so katastrophal - ich bin seit 1978 in vielen Funktionen dort unterwegs -, wie wir es noch nie erlebt haben. Ich will Ihnen das an dem ganz simplen Beispiel der Einlagensicherung bei den Sparkassen deutlich machen. Das, was Sie hier im Hause mit großer Zustimmung von Populisten hinbekommen haben, die sogenannte Subsidiaritätsrüge, hat viele Scherben verursacht. Diese Scherben räumen zurzeit die Berichterstatter der EVP-Fraktion, der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten, der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten, der Fraktion der Grünen und der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken wieder auf, damit wir die spezifischen Interessen der Sparkassen auch europarechtlich geregelt bekommen. Das bekommen wir nicht dadurch geregelt, dass wir hier so einen Unsinn wie die Subsidiaritätsrüge beschließen. Das hat Deutschland geschadet. Für diesen Unsinn haben Sie von den Grünen und von den Sozialdemokraten zu Recht keine Unterstützung erhalten. Interessanterweise hat die Linkspartei bei diesem Punkt geklatscht. Sie sehen, in welche Konstellationen Sie sich mit dieser Politik begeben. (Beifall bei der SPD) Es gibt noch etwas viel Problematischeres, liebe Frau Bundeskanzlerin. Von Ihnen wird über Vorschläge diskutiert und werden Initiativen auf den Weg gebracht, dabei aber von vornherein gesagt, dass sie für Deutschland oder Frankreich nicht gelten sollen. Das Thema Stimmrechtsentzug ist bekanntlich nicht vom Tisch, sondern nur auf die lange Bank geschoben worden, obwohl doch eigentlich alle Länder gleich sind - Herr Fricke, das ist immer noch unser Anspruch. Man bringt dann damit all diejenigen gegen sich auf, die man braucht, wenn es um die gemeinsame europäische Solidarität geht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Forderung nach Stimmrechtsentzug ist absurd. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja!) Das wäre so, als würden wir in bestimmten Situationen in Deutschland sagen - hier sitzen Vertreterinnen und Vertreter des Bundesrates -: Weil die finanzielle Lage im Saarland und in Bremen höchst schwierig ist, müssen dem Saarland und Bremen die Stimmen im Bundesrat entzogen werden. - Das ist politisch absurd und aus verfassungsrechtlichen Gründen in Deutschland nicht möglich. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da laufen Sie bei denen da drüben offene Türen ein!) In der EU geht so etwas auch nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bring sie da drüben nicht auf Ideen!) Von der europäischen Bürgerinitiative über die Frage, wie wir jetzt mit der Krise umgehen, bis zum Thema europäische Wirtschaftsregierung, zu all diesen Punkten gibt es von den Koalitionsfraktionen keinen Entschließungsantrag. Wir wundern uns gar nicht darüber; denn Sie haben dazu keine Positionen. Auch das gehört zu den Wahrheiten der Europapolitik in diesem Hause. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich verspreche der Regierung eines: Was auch immer Sie bei den Themen machen, an deren Behandlung das Europäische Parlament im Rahmen der Gesetzgebung beteiligt ist: Wir werden uns als sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages kooperativ mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament einbringen. Wir wissen aus vielen Gesprächen: Im Europäischen Parlament - dort geht es um Mehrheiten - haben Sie für die meisten Ihrer Vorstellungen keine Unterstützung. Unsere Vorstellungen entsprechen eher denen der Mehrheit. Das werden wir konsequent parlamentarisch nutzen, weil Europa in dieser Krise mehr Demokratie, mehr Gemeinschaft braucht. Gemeinschaft ist nur in europäischer Demokratie möglich. Das ist unser sozialdemokratischer Weg; diesen Weg gehen wir. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So flach, so seicht und so schlicht, wie diese Debatte vonseiten der Opposition geführt wird, wird sie der historischen Herausforderung und der historischen Phase der europäischen Integration, in der wir uns in diesen Wochen und Monaten befinden, nicht gerecht. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Heben Sie das Niveau jetzt an?) In jeder Krise, so heißt es, liegt eine Chance. Ja, Krisen beschleunigen Prozesse, positiv wie negativ. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das war toll!) Eine Chance liegt aber nur dann in der Krise, wenn man Defizite benennt und sie beseitigt. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist nicht flach? - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Genau!) Wir haben 2008 eine Nagelprobe für unsere Banken in Europa, in der Welt erlebt, durch die Defizite aufgedeckt wurden. Wir haben anschließend erlebt, dass die Wirtschaft einer Nagelprobe ausgesetzt wurde, durch die Defizite aufgedeckt wurden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Auch seicht! Sehr konkret!) Wir sehen jetzt, dass die Staaten einem Stresstest ausgesetzt werden. Dabei geht es darum, Defizite zu benennen und zu beseitigen. Wenn wir das tun, wenn wir Defizite aufdecken und sie beseitigen, dann wird der Euro stärker aus der Krise hervorgehen, als er es vorher war. Unser Euro hat in den letzten Jahren für Stabilität in Europa gesorgt. Übrigens haben weltweit inzwischen über 40 Länder ihre Währung an den Euro angebunden. Wir sind auch stolz darauf, dass das deutsche Modell einer unabhängigen Zentralbank auf europäischer Ebene seinen Niederschlag gefunden hat. Lieber Herr Kollege Steinmeier, ich finde es unverantwortlich, dass Sie versuchen, die EZB zu beschädigen und in den Schmutz zu ziehen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Der Bundesbankpräsident war das!) Das ist nicht in Ordnung; das ist nicht patriotisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Dass Sie das zulassen, ist eine Frechheit!) Wir müssen jetzt den Beweis dafür erbringen, dass wir auch politisch in der Lage sind, Defizite zu benennen und zu beseitigen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie schon einmal mit Herrn Trichet gesprochen?) Wir erleben das seit einigen Monaten in Griechenland. Die griechische Regierung ist dabei, ihre Ausgaben um 4 Prozent und die Nettoneuverschuldung um 6 Prozent zu reduzieren. Sie hat in all den Bereichen, in denen Strukturveränderungen notwendig waren, Kürzungen vorgenommen. Wir erleben das in Irland, wo die Neuverschuldung im nächsten Jahr massiv zurückgefahren werden soll. Wir erleben das in Spanien und Portugal, die in den beiden kommenden Jahren ihre Ausgaben um jeweils 3 Prozent reduzieren werden. In jeder Krise liegt eine Chance, wenn man die Defizite benennt und beseitigt. Herr Trittin, man wird natürlich nicht beliebt, (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, das merkt man! Das zeigt Ihr Beitrag!) wenn man Defizite aufdeckt und fordert, sie zu beseitigen. Aber Europa braucht in dieser Phase keine Politiker, die geliebt werden wollen, sondern Politiker, die Verantwortung für die Stabilität in Europa übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Das sollten Sie lieber der Bundeskanzlerin zurufen!) Wir werden - das ist das Ziel der nächsten Tage und Wochen - einen neuen europäischen Krisenmechanismus erarbeiten, der den vorläufigen Krisenmechanismus weiterentwickelt, der für Irland sozusagen ad hoc in einer Notsituation geschaffen wurde und sich auf den Bereich der Euro-Zone beschränkt, der in den Verträgen also in einem Bereich angesiedelt ist, der nur die Euro-Staaten betrifft; ich halte das für wichtig. Dieser neue Krisenmechanismus wird gegenüber dem Mechanismus, der bisher für Irland gilt, modifiziert und verbessert; ich denke, auch das ist wichtig. Entscheidend ist, dass auch der neue Mechanismus die Aufgabe, auf die es ankommt, nämlich Defizite aufzudecken und zu beseitigen, erfüllt. Das ist auch die Anforderung an den Rettungsschirm. Dabei ist es völlig irrelevant, wie groß dieser Schirm ist, sondern wichtig ist, dass er die Aufgaben, die er wahrzunehmen hat, erfüllen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dazu gehört auch die Beteiligung des IWF. Ich denke, dass der Internationale Währungsfonds sowohl in Bezug auf Griechenland als auch in Bezug auf Irland mit seiner Expertise und seinen Möglichkeiten hilfreich gewirkt hat. Wir werden die Gläubigerbeteiligung einführen, die nichts weiter bedeutet, als dass die Möglichkeit, dass ein Staat insolvent wird und pleitegeht, aufrechterhalten wird. Innerhalb des Mechanismus kann ein solcher Staat allerdings aufgefangen werden, und ihm kann die Möglichkeit gegeben werden, sich zu sanieren und zu entschulden; das ist entscheidend. Meine Damen und Herren, Europa geht den Weg in eine Stabilitätsunion, und Deutschland geht voraus, zusammen mit Frankreich, mit den Niederlanden, mit Österreich und all den Ländern in Europa, die größtes Interesse an der Stabilität unserer gemeinsamen Währung haben. Das gilt übrigens auch für diejenigen Länder, die auf dem Weg zum Euro sind, zum Beispiel für Polen und Tschechien, ob in naher oder ferner Zukunft. All diese Staaten haben ein gemeinsames Interesse an einer stabilen gemeinsamen Währung. Wer gehört hat, welches Hohelied der schwedische Außenminister vor zwei Wochen auf den Euro und seine Stabilität gesungen hat, der weiß: Man schaut auf Europa. Man schaut auf die Euro-Zone und darauf, wie wir die Stabilität des Euros aufrechterhalten. Die heilende Wirkung des Krisenmechanismus (Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) mit der Zielsetzung der Aufdeckung und Beseitigung von Defiziten wäre sofort, von heute auf morgen, beendet, wenn wir Euro-Bonds einführen würden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es irritiert mich sehr, dass die Einführung von Euro-Bonds plötzlich sowohl vonseiten der SPD als auch vonseiten der Grünen gefordert wird. Das gibt mir eine Vorstellung davon, wie das Klima wohl damals in der rot-grünen Koalition war, als man mir nichts, dir nichts und ohne mit der Wimper zu zucken den Stabilitätspakt aufgeweicht hat (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Das war Joschka Fischer!) und als man, ohne Widerstand zu leisten, der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone zugestimmt hat. Das ist Ihre Politik von damals, aus der Sie bis heute nichts gelernt haben. Deswegen sind wir froh, dass Sie in der Opposition sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Von Europa keine Ahnung!) Die Arbeit am Wachstums- und Stabilitätspakt wird weitergehen. Es wird auch in der Zukunft eine wichtige Aufgabe bleiben, die Sanktionen zu verschärfen, die Statistiken noch klarer, ehrlicher und transparenter zu machen und insgesamt mehr auf Indikatoren wie die Entwicklung der Gesamtverschuldung zu achten. Diese Dinge sind nicht vom Tisch, sondern sie müssen in den nächsten Monaten umgesetzt und politisch tragfähig gemacht werden. Wir brauchen noch mehr Koordinierung. Aber Ihre Forderung, Herr Trittin, nach einer Vergemeinschaftung der Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa bzw. im Euro-Land weise ich zurück. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nichts begriffen!) Das muss auch in der Zukunft eine Aufgabe der nationalen Regierungen sein, unter Kontrolle der nationalen Parlamente. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Kern der Kontroverse!) Auch künftig muss der Europäische Rat der Ort sein, an dem die gemeinsame Koordinierung der nationalen Politiken stattfindet. Daran kann und darf es auch in der Zukunft keinen Zweifel geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ja, wir brauchen eine stärkere Koordinierung, und wir müssen Wege dafür finden, die Idee der deutschen Stabilitätskultur auf andere Staaten innerhalb des Euro-Raums zu übertragen. Das ist ohne Frage richtig; da haben Sie recht. Ich denke, man darf dabei auch diejenigen nicht ausschließen, die Interesse daran haben, diesen Weg der Stabilität mit uns zu gehen, auch wenn sie den Euro noch nicht eingeführt haben, namentlich Polen, aber auch, wie gesagt, Tschechien und die anderen Länder, die dieses Interesse haben. Die Menschen in Deutschland und in ganz Europa haben sich gewünscht, dass sie einen Euro bekommen, der so stark ist wie die D-Mark. Der Euro ist heute stärker als die D-Mark. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Gerade weil er so stark ist, können Sie die Euro-Bonds machen!) Dafür, dass er das auch bleibt und dass er weiterhin die stabile Währung ist, auf die übrigens viele auch außerhalb von Europa ihre Hoffnung setzen, bürgen Angela Merkel und diese Bundesregierung mit ihrem Kurs. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, deswegen wünschen wir Ihnen alles Gute, viel Glück und eine glückliche Hand bei der Aufgabe, die Ihnen in den nächsten beiden Tagen bevorsteht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Diether Dehm ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viel zu kurzfristig hat der Bundestag erfahren, dass morgen auf dem Europäischen Rat ein Beschluss zur Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - gefasst werden soll. Das ist ganz sicher ein Vorhaben nach dem Zusammenarbeitsgesetz. Hier spreche ich Sie an, Herr Lammert, der Sie sich, wie man hört, auch in Ihrer Partei oft beherzt für die Rechte nach diesem Zusammenarbeitsgesetz einsetzen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist bei uns ganz normal und nichts Außergewöhnliches!) Darüber hätte die Bundesregierung den Bundestag rechtzeitig informieren müssen, (Beifall bei der LINKEN) und sie hätte dem Parlament rechtzeitig die Möglichkeit zur vorherigen Stellungnahme geben müssen. Das hat sie nicht getan. Frau Bundeskanzlerin, damit haben Sie ein weiteres Mal Ihre gesetzlichen und verfassungsmäßigen Pflichten grob verletzt. (Beifall bei der LINKEN) Der Vertrag von Lissabon ist jetzt gerade einmal ein Jahr in Kraft. Alle Probleme der EU sollten damit gelöst werden, und er sollte lange Zeit unverändert bleiben. Das verkündeten die Bundesregierung, aber auch SPD und Grüne damals mit viel Pathos. Das alles ist jetzt Schall und Rauch. Schon jetzt ändern Sie das Vertragsrecht radikal, indem Sie die Bail-out-Klausel außer Kraft setzen. Die Ursachen für die Finanzkrise bleiben also unangetastet, zum Beispiel dieser irrsinnige Art. 63 AEUV, wodurch jegliche Beschränkung des turbokapitalistischen Finanzverkehrs verboten wird. Der US-Milliardär Warren Buffett, den Sie ja oft wegen seiner Spenden loben, nannte diese Spekulationsgeschäfte - Zitat - "finanzielle Massenvernichtungswaffen". Sagen wir es einmal klar: Die Profiteure von Hunger, Massenarbeitslosigkeit, Krieg und Finanzkrise lassen Sie unangetastet. (Beifall bei der LINKEN) Ohne die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel, wie Sie von Gewerkschaften, Christen, Attac und den Linken gefordert wird, zerreißen Sie die EU. Das ist keine Science-Fiction-Vision: Da brennende Autos in den Vorstädten von Paris und Athen, hier gut bewachte Paläste. Ihre EU bleibt die EU derer, die sich Parteispenden in Höhe der Allfinanz und der Familie Quandt leisten können. Die aggressive deutsche Exportstrategie, die durch ein immer weiteres Herabpressen der deutschen Lohnstückkosten - die Lohnstückkosten und damit die deutschen Löhne entwickeln sich auch jetzt wieder nach unten - und damit durch das Herabpressen der Kaufkraft charakterisiert ist, schießt sich selbst ins Knie und produziert immer mehr Zahlungsunfähigkeit in der EU. Frau Homburger und Herr Fricke, Herr Kubicki hat die FDP ja mit der DDR im Zerfallsprozess verglichen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Soeben meldet n-tv, die Südwest-FDP fordere den Rücktritt von Westerwelle. Herr Westerwelle, ich weiß nicht, ob Sie das schon mitbekommen haben. (Zurufe von der LINKEN: Er ist schon weg!) - Der ist schon weg; das ist richtig. Einigen wir uns darauf. Eines jedenfalls ist klar: Wenn ich Sie höre, Herr Fricke und Frau Homburger, dann kommt mir das tatsächlich vor wie weiland Erich Honecker - mit einer kleinen Änderung -: Den Neoliberalismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf. (Beifall bei der LINKEN) Wenn es mit dem Neoliberalismus in seinem Lauf abwärts ging, haben sich schon mancher Ochs und mancher Esel daran versucht, diese Fahrt abwärts abzubremsen. Der Neoliberalismus ist hoffnungslos verloren. (Beifall bei der LINKEN - Otto Fricke [FDP]: Ich sage nur: Überholen ohne einzuholen!) Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Entschließungsantrag ein transparentes Änderungsverfahren des Vertrags erreichen. Sie wollen ein sogenanntes vereinfachtes Verfahren, weil Sie die Öffentlichkeit scheuen wie der Vampir das Tageslicht. (Heiterkeit des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Sie wollen heute eine vertragswidrige intransparente Ermächtigung für einen sogenannten Stabilisierungsmechanismus zur Fortsetzung Ihrer EU-Politik für Ackermann und die Superreichen. (Otto Fricke [FDP]: Und Sie wollen über Ihre Zeit reden!) Wer Euro-Bonds jetzt so dogmatisch verweigert, treibt die EU auseinander. Sie, Frau Merkel, sind eine Antieuropäerin par excellence. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. - Letztlich wird diese Krise zur Verstaatlichung des gesamten Kreditsektors führen, nicht nur der Schrottbanken, sondern auch der Deutschen Bank als Diktatorin deutscher Wirtschaftspolitik seit 1933; denn wenn Kredite das Blut der Wirtschaft sind, dann dürfen wir die Blutbank nicht mehr länger den Vampiren überlassen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Michael Stübgen ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Schluss dieser Debatte versuchen, unsere Aufmerksamkeit noch einmal darauf zu lenken, was morgen beim Europäischen Rat zur Entscheidung ansteht. Es geht um Folgendes - Herr Dehm, hören Sie genau zu -: Der Rat strebt eine politische Einigung auf eine kleine Vertragsänderung nach Art. 48 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Art. 136 AEUV, den Euro-Artikel, an. Der formelle Beschluss über die Vertragsänderung soll im März nächsten Jahres gefasst werden. Selbstverständlich werden wir dafür sorgen, dass der Bundestag im Vorfeld - so wie es das Integrationsverantwortungsgesetz vorschreibt - das Einvernehmen mit der Bundesregierung zu dieser Vertragsänderung herstellt. Aber wir sind jetzt schon in der Lage, ziemlich genau über das, was geplant ist, zu diskutieren. Da will ich zwei Anmerkungen machen. Ich höre ständig die Behauptung, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hätten in den letzten Monaten keinen klaren Kurs darüber gehabt, was wir in Europa ändern müssen. Ich will Sie daran erinnern: Nachdem wir im Mai dieses Jahres sehr kurzfristig und sehr schnell den europäischen Rettungsschirm beschlossen haben, haben wir von Anfang an in aller Klarheit darauf hingewiesen, dass - erstens - dieser europäische Rettungsschirm nur ein befristetes Notinstrument sein kann und dass - zweitens - wir darangehen müssen, im sekundärrechtlichen Teil des Vertrages den Stabilitätsvertrag deutlich zu verschärfen, deutlich zu verändern. Aber wir haben auch von Anfang an klargemacht, dass es notwendig sein wird, eine Vertragsänderung anzustreben. (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) Ich kann mich daran erinnern, dass viele Leute in ganz Europa gesagt haben: Bloß keine Vertragsänderung; das ist alles sehr kompliziert. - Wir haben daran festgehalten, dass es sein muss. Was ist seit Mai/Juni dieses Jahres passiert? Seit September liegt der Vorschlag der Europäischen Kommission, das sogenannte Governance Package, vor, eine Anzahl von Verordnungen und Richtlinien, die zu einer nachhaltigen Verschärfung des Stabilitätspakts in Europa führen werden. Es gibt seit Oktober einen einstimmigen Vorschlag der Task Force des Europäischen Rates, der in einzelnen Teilen minimal anders ist als der Vorschlag der Europäischen Kommission. Wir werden in der Lage sein, bis zum Sommer des nächsten Jahres - so ist der Zeitplan des Europäischen Parlaments, der Fachministerräte und der Europäischen Kommission - diese sekundärrechtliche Änderung durchzusetzen. Das ist ein Quantensprung in unserem Bemühen darum, in Zukunft ähnliche Schwierigkeiten und Katastrophen auf den Finanzmärkten bzw. ähnliche Verschuldungssituationen in Mitgliedsländern und Euro-Ländern verhindern zu können. Darauf muss man hinweisen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Des Weiteren haben wir immer gesagt, dass es nicht ausreichen wird, nur sekundärrechtliche Änderungen vorzunehmen, sondern um eine dauerhafte Einrichtung des Stabilitätsmechanismus zu ermöglichen, der ausreichend vertraglich fixiert ist, und um dauerhaft in der Lage zu sein, notleidenden Staaten zu helfen, müssen wir auch eine Vertragsänderung anstreben. Genau diese kleine Vertragsänderung wird diskutiert. Die Euro-Gruppe und der letzte Ecofin-Rat haben sehr konkrete Vorschläge gemacht, die in etwa auch morgen zur Debatte und zur Beschlussfassung vorliegen werden. Das führt dazu, dass wir zum einen den Stabilitätsmechanismus dauerhaft sichern. Zum Zweiten wollen wir festlegen, dass bei Verlust der Schuldentragfähigkeit eines Euro-Mitgliedslandes ein geordnetes Umstrukturierungsverfahren mit Einbeziehung der privaten Gläubiger ermöglicht und auch in den Zusatzverträgen vertraglich festgelegt wird. Diese Vertragsänderung wollen wir bis zum Jahr 2012 umsetzen. Wir sind dabei auf einem guten Weg. Vor wenigen Wochen allerdings - das muss ich ehrlich sagen - sah es nicht so aus, als ob wir dazu in der Lage sein würden. Wirklich verwirrend und schwierig ist aber in der öffentlichen Diskussion zurzeit die Tatsache, dass es eine unüberschaubare Vielzahl von mehr oder weniger durchdachten Vorschlägen gibt, wie man mit der Euro-Krise umgehen könnte. Ich will nur auf zwei Tickermeldungen von heute Morgen hinweisen. Reuters schreibt: "Steinbrück und Steinmeier plädieren für Eurobonds". Zeitgleich schreibt die dapd, Steinmeier habe im ZDF-Morgenmagazin gesagt, mit Euro-Bonds sei das Problem nicht zu lösen. - Es scheint ja sehr gradlinig zu sein, was Sie wollen. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie hätten eben zuhören müssen! Da habe ich es gesagt!) Wir haben heute von Herrn Steinmeier gehört, dass er sich für limitierte Euro-Bonds ausspricht. Haben Sie den Vorschlag von Jean-Claude Juncker nicht gelesen? Darin geht es um limitierte Euro-Bonds. Also wollen Sie die Euro-Bonds, wie Juncker sie vorschlägt. Des Weiteren fordern Sie einen intelligenten Haircut. Haben Sie nicht gelesen, was die Euro-Finanzminister beschlossen haben? Das geplante Vorgehen bei Verlust der Schuldentragfähigkeit eines Landes sieht einen intelligenten Haircut vor. Was wollen Sie mehr? Sie könnten dann doch - aber dazu werden Sie sich sicherlich nicht durchringen können - unseren Vorschlägen zustimmen. Ich will noch kurz auf einen breit diskutierten Vorschlag eingehen, den der Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, vor kurzem gemacht hat: die Einführung der sogenannten Euro-Bonds. Im Übrigen ist dieser Vorschlag von Jean-Claude Juncker nahezu identisch mit dem Vorschlag des Brüsseler Instituts Bruegel. Gestatten Sie mir drei kurze Anmerkungen dazu - das muss man wissen, bevor man lauthals Euro-Bonds fordert -: Erstens würde die Einführung der Euro-Bonds eindeutig eine große Vertragsänderung bedeuten. Wir bräuchten dazu auf europäischer Ebene einen Konvent, eine Regierungskonferenz (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die werdet ihr sowieso machen!) und zig verschiedene Referenden. Ich erinnere nur daran, wie lange wir gebraucht haben, um den Lissabon-Vertrag umzusetzen, der einst als Verfassungsvertrag geplant war. Das dauert Jahre. Wir haben aber nicht jahrelang Zeit, zu diskutieren. Wir müssen jetzt entscheiden. Zweitens - das ist schon mehrfach angesprochen worden -: Wenn wir Euro-Bonds bekämen, würden sie mit Sicherheit sofort zu einer deutlichen Steigerung der deutschen Zinslast und damit zu Milliarden Mehrausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden führen. Das muss man den Menschen sagen, bevor man sie als kommendes Heilsinstrument beschreibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Drittens. Viele glauben - das ist eine trügerische Hoffnung -, dass die Spekulationen plötzlich aufhören würden, wenn wir Euro-Bonds bekämen. Ich sage Ihnen voraus, dass das nicht passieren wird, und zwar aus folgendem Grund: Jean-Claude Juncker schlägt vor, dass sich die Euro-Bonds, das heißt die gemeinschaftliche Absicherung, auf bis zu 40 Prozent der Verschuldung der Nationalstaaten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt beziehen sollen. Die Frage ist: Was ist mit dem Rest der Verschuldung? Nahezu alle Euro-Länder haben eine deutlich höhere Verschuldung als 40 Prozent. Es würde wahrscheinlich nur Tage dauern, bis es zu Spekulationen auf den Kapitalmärkten und zu einer Diskussion darüber kommt, ob wir nicht auf 60, 80 oder 100 Prozent gehen müssten. Dann wäre das Dilemma schlimmer als heute. (Beifall bei der CDU/CSU) Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die kleine Vertragsänderung als Ziel der Bundesregierung. Wir hoffen, dass es morgen zu einer klaren und deutlichen Einigung für diese kleine Vertragsänderung kommt. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist keine kleine Vertragsänderung!) Schon Anfang nächsten Jahres werden wir in diesem Haus detailliert über die Inhalte dieser Vertragsänderung einschließlich der Folgegesetze debattieren. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das tarnt ihr nur als kleine Vertragsänderung!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss der Debatte erhält der Kollege Dr. Michael Luther ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist uns wichtig, Europa ist richtig. Das ist die richtige Antwort in einer globalen Welt. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Toll!) Europa ist auf einem guten Weg. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Klasse!) Europa hat sich bewährt und bewährt sich auch heute noch. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau! - Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat alle, auch uns in Deutschland, kalt getroffen. In Deutschland sind wir gut aus der Krise herausgekommen, weil wir die Zeichen der Zeit verstanden und gesagt haben: Wir müssen konsolidieren und unsere Wirtschaft stärken. Das wird in Deutschland von den Märkten honoriert. Mit dem Blick auf Europa muss man aber feststellen, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise Probleme aufgedeckt hat, die es zu lösen gilt. Aus dem, was Frau Merkel hier vorgetragen hat und was mein Kollege Herr Stübgen in seiner Rede gerade wiederholt hat, ergeben sich die richtigen vernünftigen, kleinen Schritte, die jetzt getan werden müssen, um aus den entstandenen Problemen zu lernen und um Stabilität auf den Finanzmärkten in Europa wiederherzustellen. Vorhin habe ich Herrn Steinmeier zugehört. Ich fand beeindruckend, dass er sagte: Was wir brauchen, ist ein kräftiges Signal. - In der weiteren Rede habe ich zunächst außer Kritik vonseiten der Opposition nichts weiter gehört. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie das kräftige Signal?) Dann kamen allerdings zwei Vorschläge, nämlich der intelligente Haircut und die limitierten Euro-Bonds. Beide Vorschläge halte ich für limitiert intelligent. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was wir in Europa brauchen, ist Solidarität. Das haben wir zum Beispiel mit dem Rettungsschirm gezeigt. Dieser Rettungsschirm allein funktioniert jedoch nicht, wenn er nicht mit Hausaufgaben für die betroffenen Länder verknüpft wird. Die europäischen Staaten, die den Rettungsschirm in Anspruch nehmen wollen, müssen sich mit den Fragen der Haushaltskonsolidierung und der Konsolidierung ihrer Wirtschaft beschäftigen, wie das auch Deutschland getan hat. Man muss sich die Frage stellen: Warum sind die Märkte so nervös? Sie sind nervös, weil sie sich Sorgen über die Wirtschafts- und Finanzlage in bestimmten Ländern machen und weil sie diese Situation beunruhigt. Für mich stellt sich die Frage, ob uns in dieser Situation Euro-Bonds etwas nutzen. Ich habe versucht, mir das Ganze an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, Ihr Sohn erzählt Ihnen eines Tages, dass er in der letzten Zeit leider einige Schulden gemacht und über seine Verhältnisse gelebt hat. Er gibt also mehr Geld aus, als er hat. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sind Beispiele auf Bild-Zeitungs-Niveau!) Was machen Sie dann? Sie könnten natürlich zuschauen, wie er mit dieser Situation zurechtkommt. Das machen Sie als Familienvater aber nicht, weil Sie sich sagen: Wir sind eine Familie, und eine Familie ist eine Solidargemeinschaft, in der man sich gegenseitig hilft. - Genauso machen wir es in der Europäischen Union. Wie helfen Sie Ihrem Sohn? Sie überlegen mit ihm gemeinsam, warum diese Situation eingetreten ist und was man tun kann, um aus ihr herauszukommen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie sind der Vater von Griechenland!) Erst danach machen Sie sich daran, die aktuellen Finanzprobleme in den Griff zu bekommen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Der Vater der irischen Banken!) Notfalls werden Sie das Konto Ihres Sohnes ausgleichen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Des Bankenplatzes Irland!) Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Man könnte seinem Sohn sagen: Mein lieber Sohn, ich erteile dir Kontovollmacht, gebe dir meine Kreditkarte, und du kannst so weitermachen wie bisher. - Um nichts anderes handelt es sich bei den Euro-Bonds. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Das sind Euro-Bonds nicht! Euro-Bonds sind 0,2 Prozent!) Es geht eben nicht, dass manche Schulden machen und alle anderen dafür haften sollen. Das trägt nicht zur Lösung der vorhandenen Probleme bei. Die Finanzmärkte werden ihr Augenmerk darauf richten, ob die Haushalte und die Wirtschaft in den betroffenen Ländern in Ordnung sind oder nicht. Erst wenn die einzelnen Wirtschaftslagen in Ordnung gebracht werden, werden sich die Finanzmärkte beruhigen. Ich sage an dieser Stelle ganz klar: Auf die CDU/CSU und die FDP ist Verlass. Wir werden in Solidarität mit den anderen europäischen Staaten uns darum bemühen, dass die Solidargemeinschaft Europa funktioniert. Aber wir werden jede Solidarität an die Erfüllung der richtigen und notwendigen Hausaufgaben knüpfen. Wir unterstützen ausdrücklich Frau Merkel auf dem vor uns liegenden Gipfel des Europäischen Rats. Das, was die Frau Bundeskanzlerin vorgetragen hat, sind die richtigen Schritte. Es geht um robuste Krisenbewältigungsmaßnahmen. Es geht um die Einbindung privater Gläubiger. Es geht um eine tiefere wirtschaftspolitische Integration. Es geht aber nicht um die Vergemeinschaftung von Risiken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was ist denn Solidarität anderes als die Vergemeinschaftung von Risiken?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4183. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linksfraktion abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4184. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4185. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Regierungsbefragung heute insgesamt 45 Minuten dauern soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 und Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes. Das Wort für die einleitenden je fünfminütigen Berichte haben zunächst der Bundesminister der Verteidigung, Herr Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, und anschließend die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Kristina Schröder. - Bitte schön, Herr Minister. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute die Eckpunkte zur Neuausrichtung der Bundeswehr und als ersten Schritt zu deren Umsetzung den Entwurf eines Gesetzes zur Aussetzung des Grundwehrdienstes und zur Einführung des freiwilligen Wehrdienstes beschlossen. Ich darf an dieser Stelle vielen von Ihnen für zahlreiche Impulse und hilfreiche Hinweise, die aus den Facharbeitsgruppen aller Fraktionen gekommen sind, danken. Mit den heute verabschiedeten Eckpunkten bekräftigen wir unsere Absicht, die Bundeswehr als leistungsfähiges Instrument unserer Sicherheitspolitik zu stärken und sie konsequent auf die heutigen und absehbaren Herausforderungen auszurichten. Mit den beschlossenen Eckpunkten decken wir vier entscheidende Bereiche ab. Wir sorgen zum Ersten dafür, dass die Bundeswehr ihren Auftrag entsprechend den aktuellen und in Zukunft zu erwartenden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen erfüllen kann. Wir leiten daraus zum Zweiten den erforderlichen Gesamtumfang der Streitkräfte ab. Wir schaffen zum Dritten eine Wehrform, die unter Berücksichtigung der aktuellen sicherheitspolitischen Lage eine angemessene Abwägung zwischen Freiheit und bürgerschaftlicher Verantwortung darstellt und dabei zumindest konzeptionell nicht auf eine Rekonstitutionsfähigkeit verzichtet. Wir stärken zum Vierten insgesamt die Kosteneffizienz und den verantwortlichen Umgang mit knappen Ressourcen. Es ist deshalb folgerichtig, dass wir zeitgleich mit den Eckpunkten eine Gesetzesnovelle zum Wehrpflichtgesetz auf den Weg bringen. Die Pflicht zum Grundwehrdienst wird zum 1. Juli 2011 ausgesetzt. Anstelle des Grundwehrdienstes tritt ein neuer freiwilliger Wehrdienst von 12 bis 23 Monaten für junge Frauen und junge Männer. Weder die verfassungsrechtliche noch die einfachgesetzliche Grundlage der Wehrpflicht wird gänzlich abgeschafft. Im Kern wird damit die Verpflichtung zum Grundwehrdienst ausgesetzt. Dies unterstreichen wir zunächst dadurch, dass wir den neuen freiwilligen Wehrdienst im Wehrpflichtgesetz verankern. Auf der Grundlage der bei den Meldebehörden erhobenen Daten werden wir künftig junge Menschen mit Informationsmaterial über einen Freiwilligendienst in der Bundeswehr versorgen. Dies gewährleistet, dass wir möglichst alle potenziellen Interessenten erreichen. So stellen wir sicher, dass diejenigen, die echtes Interesse haben, auch eine ausführliche persönliche Beratung erhalten können. Damit ist zugleich sichergestellt, dass wir junge Frauen und Männer gleichermaßen erreichen. Dieses Verfahren ist datenschutzrechtlich völlig unproblematisch und zudem mit einem vergleichsweise geringen bürokratischen Aufwand verbunden. Diese neue Form einer Datenerfassung tritt an die Stelle der bisherigen Erfassung, die aber im Spannungs- und Verteidigungsfall wie die gesamte Verpflichtung zum Grundwehrdienst wieder aufleben würde. Im Vorgriff auf die gesetzliche Regelung lässt sich gewährleisten, bereits ab dem 1. März des kommenden Jahres niemanden mehr gegen seinen Willen einzuberufen. Wir haben zu diesem Zeitpunkt zwar noch die gesetzliche Ermächtigung, werden von ihr aber nur insoweit Gebrauch machen, als junge Männer sich damit einverstanden erklären, freiwillig weiterhin Grundwehrdienst leisten zu wollen. Sie können dann bei Interesse und Eignung in den freiwilligen Wehrdienst überführt werden. Meine Damen und Herren, ich bin sehr zuversichtlich, dass wir genügend Interessenten ansprechen können; denn wir werden den freiwilligen Wehrdienst attraktiv ausgestalten. Den Wehrsoldzuschlag, der bislang für zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst Leistende erst ab dem siebten Dienstmonat gezahlt wurde, erhalten die freiwillig Wehrdienst Leistenden künftig von Anfang an. Wir verdeutlichen damit, dass junge Männer und junge Frauen ihren Dienst in der Bundeswehr im Sinne eines staatsbürgerlichen Engagements leisten können, ohne sich gleich berufsmäßig als Soldat auf Zeit verpflichten zu müssen. Hierdurch können wir bewährte Verfahrensregeln, zum Beispiel bezüglich der Personalgewinnung, sowie bestehende rechtliche Vorgaben für den Grundwehrdienst auch für den freiwilligen Wehrdienst für anwendbar erklären. Dies dient nicht zuletzt einer sehr unbürokratischen und schnellen Umsetzung. In meinen Augen ist es selbstverständlich, dass gesetzgeberische Entscheidungen, gerade wenn mit ihnen neuartige Institutionen wie der freiwillige Wehrdienst verbunden sind, regelmäßig auf ihre Praktikabilität und ihre gesellschaftliche Akzeptanz überprüft werden. Wir haben uns darauf verständigt, bis zum 1. Januar 2013 eine einheitliche Rechtsgrundlage für den freiwilligen Dienst in den Streitkräften zu schaffen. Hier werden Erfahrungen mit dem freiwilligen Wehrdienst entsprechend einfließen. Wehrform, -umfang, -strukturen, -fähigkeiten und -ausrüstung stehen in einem wechselseitigen Verhältnis. Dies wird deutlich, wenn wir uns mit den Eckpunkten die Konturen der Neuausrichtung vergegenwärtigen. Mit den beschlossenen Eckpunkten kann die Neuausrichtung beginnen, und in den nächsten Monaten werden wir die notwendigen Feinausplanungen dafür leisten. Vielen Dank. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, bitte. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes beschlossen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir zum Ersten die Einsatzkräfte, die durch die Aussetzung des Zivildienstes wegfallen, soweit es irgend geht kompensieren. Zum Zweiten werden wir mit diesem Gesetzentwurf einen Auftrag des Koalitionsvertrages umsetzen, nämlich die Stärkung der Freiwilligendienste der Länder. Die Debatte über den Wegfall des Zivildienstes wurde in den letzten Monaten von Bürgern, Trägern und Verbänden mit großem Interesse verfolgt. Es wurde deutlich, dass sich sehr viele Menschen Gedanken darüber machen, was es bedeutet, wenn der Zivildienst wegfällt. Jeder von uns hat Erfahrungen aus seinem Wahlkreis und weiß um die besondere Bedeutung der Leistung der Zivis für die Humanität unserer Gesellschaft. Hier geht es um Dinge wie "Essen auf Rädern", um behinderte Jugendliche, die von Zivis in die Schule begleitet werden, oder um die alte Dame, die nur mithilfe ihres Zivis auch einmal in den Garten kommt und frische Luft schnappen kann. Angesichts der Arbeit, die die Zivis leisten, sind sie uns allen in den letzten Jahrzehnten sehr ans Herz gewachsen. Die Aussetzung der Wehrpflicht, mit Sicherheit einer der größten Veränderungsprozesse der letzten 20 Jahre, hat nicht nur Bedeutung für die Bundeswehr, sondern auch Bedeutung für das Leben von jungen Männern. Sie hat Bedeutung für die soziale Infrastruktur unserer Gesellschaft. Aber es ist ganz klar: Man kann die Wehrpflicht nicht über den Zivildienst begründen. An dem Tag, an dem die Wehrpflicht endet, endet auch der Zivildienst. Natürlich ist das deshalb schade, weil uns in Zukunft die Zivis fehlen werden; aber es ist auch gerade deswegen schade, weil der Zivildienst für viele junge Männer bisher die einzige Möglichkeit war, Interesse an einem sozialen Beruf zu finden und mit diesen Feldern in Kontakt zu kommen. Die wenigen Männer, die zum Beispiel in Kitas arbeiten, kamen in der Regel über den Zivildienst in diesen Beruf hinein. Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir die Aussetzung des Zivildienstes so weit wie irgend möglich kompensieren können. Das bringen wir mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes auf den Weg. Gleichzeitig stärken wir damit die Freiwilligendienste der Länder. Die Eckpunkte werden Ihnen bekannt sein: Wir wollen den Bundesfreiwilligendienst für Männer und Frauen öffnen. Wir wollen ihn für Menschen jeder Altersgruppe öffnen. Die Regeldauer des Bundesfreiwilligendienstes soll 12 Monate betragen; 6 bis 18 Monate sollen möglich sein, 24 Monate in Ausnahmefällen. Wir wollen, dass der Bundesfreiwilligendienst von unter 27-Jährigen in Vollzeit und von über 27-Jährigen mit mindestens 20 Stunden die Woche geleistet wird. Der Hintergrund für diese Regelung ist folgender: Wenn man das weiter herunterschrauben würde und zum Beispiel einen Dienst für zehn oder fünf Wochenstunden ermöglichen würde, liefe man Gefahr - so unsere Befürchtung -, ehrenamtliches Engagement zu verdrängen, etwa im Katastrophenschutz. Ich glaube, das will niemand von uns. Der Bundesfreiwilligendienst soll arbeitsmarktneutral gestaltet werden. Es dürfen keine regulären Arbeitsplätze ersetzt werden. Es geht allein um unterstützende Tätigkeiten. Der Bundesfreiwilligendienst soll in den Bereichen und an den Einsatzorten des bisherigen Zivildienstes geleistet werden. Hinzu kommen Einsatzbereiche wie Sport, Integration, Kultur, Bildung sowie Zivil- und Katastrophenschutz. Die Freiwilligen werden gesetzlich sozialversichert. Ihr Taschengeld handeln sie wie beim FSJ und FÖJ mit den Trägern aus. Es gibt aber eine einheitliche Obergrenze für Ost und West. Unterhalb dieser Obergrenze kann frei vereinbart werden. Durch die Ressortabstimmung, aber auch durch die intensiven Gespräche mit den Ländern und Verbänden haben wir sehr viele und sehr wertvolle Anregungen bekommen. Ich bin stolz darauf, dass mir Träger gesagt haben, sie seien bei einem Gesetzgebungsverfahren noch nie so gut eingebunden worden wie in diesem Fall. Gerade auch der Ausbau der Jugendfreiwilligendienste auf Länderebene wird ausgesprochen begrüßt. Jetzt geht es darum, mit der eigentlichen Arbeit zu beginnen; denn wir haben erst den kleinsten Teil der Arbeit geschafft. Jetzt stehen wir vor der großen Gemeinschaftsaufgabe, dafür zu werben, dass möglichst viele Männer und Frauen sich in dem neuen Bundesfreiwilligendienst engagieren. Wir dürfen nicht darauf warten, bis das Ganze im Bundesgesetzblatt steht, sondern im Grunde beginnt die Arbeit heute. Es geht darum, klarzumachen, dass der Bundesfreiwilligendienst nicht nur eine Bereicherung für die Gesellschaft, sondern auch eine Bereicherung für jeden Einzelnen ist, der diesen Dienst tut. Bund, Länder, Hochschulen und Unternehmen sind aufgefordert, Anreize zu schaffen, damit der Dienst so attraktiv wie irgend möglich wird. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön, Frau Ministerin. Ich bitte nun, zunächst Fragen zu den Themenbereichen zu stellen, über die soeben berichtet wurde. Der Erste, der sich gemeldet hat, war der Kollege Markus Grübel. Sodann folgt Hans-Peter Bartels. Markus Grübel (CDU/CSU): Frau Bundesministerin, der Bundesfreiwilligendienst soll für alle Altersgruppen offen sein, auch für Menschen über 27 Jahre, also auch für Seniorinnen und Senioren, unter der Bedingung - so haben Sie gerade gesagt -, dass mindestens 20 Wochenstunden geleistet werden. Ist das realistisch? Gewinnen wir so genug Menschen? Meine zweite Frage richtet sich an den Herrn Bundesminister: Durch welche begleitenden Maßnahmen wollen Sie die Attraktivität des freiwilligen Wehrdienstes steigern? Sie haben das Thema Wehrsold angesprochen. Wie sollen konkret Information und Werbung gestaltet werden? Im Grunde muss der aktuelle Abiturjahrgang zeitnah angesprochen werden, bevor sich die Abiturienten um einen Studienplatz kümmern oder andere Wege einschlagen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, bitte. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege, in der Tat gehen wir mit unserer Absicht, auch ältere Menschen hierfür zu gewinnen, einen neuen Weg; wir betreten Neuland. Ich bin aber optimistisch, dass es uns gelingen wird, viele ältere Menschen für den Bundesfreiwilligendienst zu gewinnen. Wir wissen zum Beispiel aus dem Freiwilligensurvey der Bundesregierung, dass ein Drittel der über 65-Jährigen bereits ehrenamtlich engagiert ist und sich ein weiteres Drittel gerne engagieren würde, dem aber noch der richtige Anknüpfungspunkt fehlt. Der Bundesfreiwilligendienst kann ein solcher guter Anknüpfungspunkt sein. Die Frage hinsichtlich der 20 Wochenstunden haben wir uns natürlich auch gestellt. Ich weiß, dass es aus der Verbandsszene einzelne Überlegungen gab, diese Stundenzahl noch etwas herunterzufahren, zum Beispiel auf zehn oder acht Stunden. Ich befürchte allerdings - das habe ich schon geschildert -, dass dann reguläres ehrenamtliches Engagement verdrängt und plötzlich formalisiert würde. Ich glaube nicht, dass wir das wollen. Deshalb sage ich: Wir sollten erst einmal schauen, ob wir unter diesen Voraussetzungen - 20 Stunden pro Woche - genug Ältere finden, die bereit sind, den Bundesfreiwilligendienst zu leisten. Ich meine, dafür gibt es gute Hinweise. Aber natürlich werden wir auch dieses Gesetz ständig überprüfen. (Florian Pronold [SPD]: Die gestellte Frage ist beantwortet!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun antwortet der Minister. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, die Frage der Attraktivität ist eine entscheidende. Sie gilt, wenn man so will, im Grunde für alle Laufbahngruppen der Bundeswehr. Aber wenn wir nach der Aussetzung des Grundwehrdienstes junge Menschen tatsächlich dafür gewinnen wollen, einen freiwilligen Dienst zu leisten, dann muss die Maßgabe sein, dass jemand, der zur Bundeswehr kommt, sie besser ausgebildet und besser qualifiziert verlässt, als er es zu dem Zeitpunkt war, als er eingetreten ist. Das mag banal klingen; aber das hat etwas damit zu tun, dass wir die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote, die wir bereits vorhalten, weiter verbessern und weiter verbessern können. Es gibt weitere Punkte - einen Punkt, der sich finanziell niederschlagen würde, habe ich schon genannt -, die wir bereits in einem ganz breiten Attraktivitätsprogramm angelegt haben. Dazu sollen Anfang des Jahres Entscheidungen getroffen werden, auch mit Blick auf eine Priorisierung. Das ist sehr wichtig; denn wir können nicht alles auf einen Schlag umsetzen. Es wird aber auch darauf ankommen, bei Fragestellungen, die wir nicht alleine von der Bundesseite aus beantworten können, bei denen wir aber auch im Zusammenhang mit dem, was Kollegin Schröder gerade vorgetragen hat, durchaus einen Mehrwert sehen würden, die Länder mit einzubinden. Wenn ein solcher Dienst in der Gesellschaft entsprechend honoriert werden soll, dann muss man diese Honorierung auch darstellen können. Zum Beispiel könnte jemand, der diesen Dienst leistet und sich dann um einen Studienplatz bewirbt, einen Bonus erhalten. Das geht aber nur mit einer entsprechenden Begleitung durch die Bundesländer, aus denen wir aber positive Signale bekommen, dass ein solcher Punkt mit aufgenommen werden soll. Berufliche Weiterqualifikation, Ausbildung, Führerschein - diese Punkte habe ich bereits genannt -, das sind Ansätze, die wir in dem weiteren Prozess noch ergänzen können. Danke. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat Hans-Peter Bartels das Wort. Danach folgt Kai Gehring. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Herr Minister, wir begrüßen die Korrekturen, die die Bundesregierung jetzt vorgenommen hat und mit denen sie sich in unsere Richtung bewegt: weg von dem unsinnigen W 6 - das war ein untauglicher Kompromiss zu Anfang der neuen Koalition -, hin zu einem freiwilligen Dienst in der Bundeswehr. Das ist ein vernünftiges Konzept, das wir gemeinsam tragen wollen. Das Konzept geht auch weg von der Zahl der doch zu wenigen 7 500 jungen Leute im Freiwilligendienst - das wäre eher symbolisch gewesen - und hin zu der größeren Zahl von 15 000 jungen Leuten, die Sie in die Struktur der Bundeswehr einbauen wollen. Daraus ergibt sich folgende Frage: Auch wenn die Musterung wegfällt, soll weiterhin erfasst werden. Der Dienst wird für Frauen und Männer sein; aber erfasst werden nur die jungen Männer. Ihnen soll mit einem Brief Informationsmaterial zugeschickt werden. Ist das genug? Oder müsste man nicht in einer ganz neuen und viel breiter angelegten Weise für diese neue Kultur der Freiwilligkeit, die wir hier im Hause, wie ich glaube, gemeinsam wollen, werben, etwa mit einer Woche der Freiwilligendienste? Man könnte sich überlegen, ob die Regierung, einzelne Ressorts oder vielleicht sogar der Bundestag das anregt und einmal im Jahr eine Woche der Freiwilligendienste ausrichtet, in der sich alle diese Dienste - dazu gehört auch der Dienst in der Bundeswehr - in den Schulen, in der Öffentlichkeit, in den Medien vorstellen, um für diese Angebote zu werben. Es wäre problematisch, wenn am Ende von einem über 50 Jahre gelebten Dienst an der Gemeinschaft nur ein Brief übrig bleibt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, bitte. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Bartels, ich stimme mit Ihnen überein: Ein Brief allein wird nicht reichen, um den Grundgedanken des Freiwilligendienstes an der Gesellschaft zu festigen und ihn wirklich zu etwas zu formen, das über das hinausreicht, was wir heute vorfinden. Gelegentlich ist es sogar so, dass dieser Dienst so gut wie überhaupt keine Honorierung findet. Manche junge Menschen haben sogar einen Nachteil, wenn sie sich, nachdem sie diese neun oder sechs Monate durchlaufen haben, bewerben. Es soll nun dazu kommen, dass man daraus eher einen Vorteil zieht. Das Verfahren sieht so aus, dass sich, wie ich vorhin gesagt habe, die neue Form der Erfassung von Daten, die nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen betrifft, auf einen Kernbereich von Daten beschränkt; das ist im Gesetzentwurf so festgelegt. Ich finde den Gedanken, eine Woche des Freiwilligendienstes bzw. Tage des Freiwilligendienstes auszurichten, sehr reizvoll. Wir sollten uns auch überlegen, in welchen Bereichen man die Möglichkeit hat, möglichst viele junge Menschen auf den Wert des freiwilligen Dienens hinzuweisen. Ich denke da beispielsweise an die Schulen. Die Schulen sind einer der wenigen Bereiche, in dem man quasi jeden jungen Menschen ansprechen kann. Man darf jetzt nicht in Panik verfallen - das tun wir wahrscheinlich alle nicht -, dass in den Schulen nunmehr für Auslandseinsätze geworben würde; eine entsprechende Diskussion hatten wir in diesem Jahr schon. Ein Werben für den Wert der Freiwilligkeit sollte man aber durchaus andenken, und man sollte jede Möglichkeit, wie man diesen Gedanken vertiefen kann, in Ansatz bringen. Ich möchte noch einen Gedanken hinzufügen: In den nächsten Monaten, in der Phase des Übergangs, ist es ganz wichtig, dass wir die Kreiswehrersatzämter, die wir jetzt noch vorhalten, aber bei denen sich noch einiges ändern wird, so umgestalten - das ist eine Frage der Feinausplanung -, dass sie in der Form, die am Ende in veränderten Ansätzen entstehen wird, zunehmend Dienstleister in der Hinsicht werden, dass ihre Angebote so unterfüttert werden, dass junge Menschen angesprochen werden. Damit kann diesen, wenn sie kommen, ein breiteres Angebot dargestellt werden, als es im Zweifelsfall in einem Brief möglich ist. Dies sei vielleicht noch als komplementärer Gedanke hinzugefügt. Jede kreative Idee - das sage ich über alle Parteigrenzen hinweg -, die dazu beiträgt, den Grundgedanken der Freiwilligkeit in diesem Lande zu stärken, ist herzlich willkommen und wird selbstverständlich mit in die Überlegungen aufgenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun bitte Kai Gehring, danach Heidrun Dittrich. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Vielen Dank auch für den Auftritt als Duo an die Frau Ministerin und den Herrn Minister. Noch besser wäre es sicherlich gewesen, wenn Sie als Quartett aufgetreten wären, indem Sie auch Bundesbildungsministerin Schavan, die sich jetzt für die Schaffung von circa 150 000 Ausbildungs- und Studienplätzen verantwortlich fühlen muss, und Herrn Rösler mitgebracht hätten, der jetzt zusehen muss, wie auch im Rahmen der Pflegereform der Wegfall des Zivildienstes kompensiert wird. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Dann aber auch der Innenminister! Rettungsdienste, Feuerwehr!) Sie vier hätten eigentlich zusammen eine konsistente Gesamtstrategie entwickeln müssen, wie man aus Wehrpflicht und Zivildienst aussteigt, und entsprechende Alternativen aufbauen müssen. Wir als Grüne haben nach wie vor Kritik an der Doppelstruktur. Ich würde die Ministerin gerne noch einmal fragen: Werden die beiden verschiedenen Freiwilligendienste, also der Bundesfreiwilligendienst auf der einen Seite und die bewährten Freiwilligendienste der Länder, wie Sie es nennen, in Form von FSJ und FÖJ auf der anderen Seite, jetzt an jedem Punkt und durchgängig komplett gleiche Bedingungen haben, oder wird es in einzelnen Punkten noch Unterschiede zwischen dem Bundesfreiwilligendienst und den Freiwilligendiensten der Länder geben? Wenn ja, mit welcher sachlichen und fachlichen Begründung gibt es diese Unterschiede zum Beispiel beim Kindergeld, bei der Anerkennungskultur, beim Trägerprinzip etc.? In dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage: Wohin wollen Sie eigentlich? Welche Strukturen wollen Sie in fünf Jahren haben? Soll es dann nur noch einen Bundesfreiwilligendienst geben, oder soll es dann Länderfreiwilligendienste geben, die auf den bewährten Strukturen aufbauen? Ist im Kabinett auch Thema gewesen - vielleicht kann das Herr Guttenberg beantworten -, ob eine Pflegeversicherungsreform kommt und in diesem Zusammenhang das Problem geklärt wird, dass künftig nicht alle Zivildiensttätigkeiten ersetzt werden können? Also: Welche Bedingungen, welche Strukturen, welche Angebote will die Bundesregierung jetzt eigentlich vorsehen, um die wegfallenden Zivildienstleistenden zu ersetzen? Mit dem Bundesfreiwilligendienst allein geht es nach eigenen Angaben eben nicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte, Frau Ministerin. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Gehring, herzlichen Dank für Ihre Fragen. Zunächst eine Bemerkung, weil Sie auch das Ressort von Frau Kollegin Schavan und die Befürchtung angesprochen haben, dass jetzt sehr viele Studierende auf die Universitäten zukämen und das Probleme für die Universitäten mit sich bringe. Wir haben sehr ernsthaft darüber gesprochen. Uns ist bewusst, dass es diese Folgen gibt. Allerdings ist der Bundesfreiwilligendienst, den ich vorschlage, eine Maßnahme, um gegen den starken punktuellen Andrang von Studierenden etwas zu unternehmen; denn je mehr junge Männer und Frauen wir für den Bundesfreiwilligendienst gewinnen können, umso eher entspannt sich die Lage an den Hochschulen. Insofern ist der Bundesfreiwilligendienst kein Auslöser der Probleme an den Hochschulen, sondern - ganz im Gegenteil - ein Mittel, damit sich die Situation an den Hochschulen entspannt. Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich zu Ihrer Kritik, warum man Freiwilligendienste einerseits auf Länderebene und andererseits auf Bundesebene anbietet. Wir haben schon oft darüber gesprochen; das ist richtig. Ich denke, in den letzten Monaten ist auch bei den Trägern die Überzeugung gereift, dass es ein Fehler gewesen wäre, wenn wir die bestehenden Strukturen zerstört und alles auf Bundesebene gebündelt hätten. Es gab ja ein entsprechendes Ansinnen, angeführt von Frau Kollegin Schwesig. Dies hätte aber bedeutet, dass die bestehenden Strukturen auf Landesebene, nämlich FSJ und FÖJ, erst einmal plattgemacht worden wären. Wenn man, wie Frau Schwesig, für das FSJ keinen einzigen eigenen Euro ausgibt, dann mag das nicht so wehtun. Aber es gibt Länder, die gerade ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr mit unglaublich viel Herzblut gestalten, und es ist ein Unterschied, ob man das Freiwillige Ökologische Jahr im Wattenmeer oder in den Alpen macht. Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, dass die Länder weiterhin dafür verantwortlich sind. Wir sind froh darüber, dass wir diese hoffentlich bald 35 000 Plätze haben. In der Tat ist der Grundgedanke, die beiden Formate, wo immer es geht, aneinander anzugleichen, sodass der einzelne Freiwillige im Idealfall überhaupt nicht merkt, um welche Rechtsform es sich handelt. Dort, wo es noch Unterschiede gibt, beispielsweise beim Kindergeld, muss ein Ausgleich erfolgen. Noch einmal: Im Idealfall ist es dem Einzelnen völlig gleichgültig, um welche Rechtsform es sich handelt. Auch für die Träger ist das nichts Neues; denn sie haben in aller Regel bisher sowohl FSJ und FÖJ als auch Zivildienst durchgeführt. Sie haben die Mittel schon aus zwei Töpfen bezogen, und so wird es bleiben; denn das hat sich gut bewährt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Gehring, ich kann die Frage relativ zügig beantworten: Es hat heute Morgen keine Diskussion über eine etwaige Reform der Pflegeversicherung gegeben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dann Kollegin Heidrun Dittrich, anschließend Ernst-Reinhard Beck. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Frau Ministerin, Sie haben soeben erklärt, dass das Kindergeld bei einem Freiwilligendienst auf Länderebene gezahlt wird, beim Bundesfreiwilligendienst aber offensichtlich nicht, und dass Sie das ausgleichen wollen. Ist Ihnen die Benachteiligung von Eltern im öffentlichen Dienst bekannt? Wenn das Kindergeld für eine Zeit entfällt, dann entfallen im öffentlichen Dienst auch die kindbezogenen Leistungen und leben auch nach Beendigung des Bundesfreiwilligendienstes nicht mehr auf. Die Familien, die ihre Kinder in den Bundesfreiwilligendienst schicken, wären somit benachteiligt. Es könnte aber auch sein, dass die Kindergeldkasse weiter zahlt und hinterher festgestellt wird: Das war kein FSJ im Bundesland XY; das war der Bundesfreiwilligendienst. Liebe Eltern, zahlen Sie bitte die Beträge zurück! - Sind Ihnen diese Punkte bekannt? Wenn ja: Warum behandeln Sie nicht beide Fälle gleich und vereinheitlichen das? Denn es wird ein ähnlicher Dienst mit denselben Inhalten abgeleistet. Die zweite Frage. In Ihrem Gesetzentwurf fehlt vollkommen die Begründung der Arbeitsmarktneutralität. Sie behaupten diese zwar, aber sie steht nicht im Gesetzentwurf. Wie können Sie also begründen, dass diese Dienste zusätzlich sind, sonst nicht erbracht würden oder nicht in dem Umfang erbracht werden könnten, und warum wird diese Anforderung nicht im Gesetz festgeschrieben? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, bitte. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Kollegin Dittrich, ich weiß nicht, mit wie vielen FSJlern oder auch Zivis Sie in den letzten Monaten gesprochen haben. Die Frage, ob das Kindergeld entweder in Form des Taschengeldes mit ausgezahlt werden soll oder ob es weiter an die Eltern fließt, ist durchaus umstritten. Viele, die einen Freiwilligendienst leisten, sagen uns, sie fänden es wesentlich besser, wenn das Geld Bestandteil ihres Taschengeldes wäre und nicht automatisch weiter an die Eltern ausgezahlt würde. Deswegen glaube ich nicht, dass es eindeutig die bessere Lösung ist, weiter das Kindergeld auszuzahlen, wie Sie es hier suggerieren. Wir haben festgestellt, dass es durchaus sehr viele Argumente dafür gibt, das Geld in das Taschengeld zu integrieren, wie wir es jetzt vernünftigerweise auf Bundesebene machen. Ihre zweite Frage war, warum der Punkt der Arbeitsmarktneutralität nicht im Gesetzentwurf stehe. Er steht drin; das können Sie nachlesen. Wir haben diesen Punkt im Rahmen der Ressortabstimmung mit aufgenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Nun Ernst-Reinhard Beck, anschließend Harald Koch. Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass der Übergang von der Wehrpflichtarmee zur Freiwilligenarmee ein historischer Einschnitt in die Bundeswehr ist und dass sich vieles ändern wird. Dazu zwei kurze Nachfragen. Die erste Frage: In welcher Weise verändern sich durch diese Gesetzgebung die Aufgabe und die Rechtsstellung der Reservisten? Oder ist daran gedacht, auch in der Reservistenkonzeption Veränderungen vorzunehmen? Die zweite Frage: Markenkern der Wehrpflichtarmee waren das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und das Prinzip der Inneren Führung. Welche Auswirkung hat die Reform auf diese beiden Grundprinzipien? Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Kollege Beck, für die beiden Fragen. Es ist tatsächlich so, dass ein wesentlicher Bestandteil der großen Bundeswehrreform eine Reform der Reservistenkonzeption sein wird und sein muss. Wir haben hochmotivierte, erstklassige Reservisten in diesem unserem Lande. Aber wir hören immer wieder von Reservisten, auch was das künftige Aufgabenspektrum anbelangt, dass wir ihnen mehr Verantwortung geben können und geben sollten. Schon vor diesem Hintergrund ist es ungemein wichtig, dass wir auch hier die Strukturen verändern, dass wir die Verantwortungsbereiche erweitern und beispielsweise klare Kommandostrukturen bei den Reservisten schaffen. Es gibt Aufgabengebiete, die vielen gar nicht bekannt sind. So befinden sich etwa schon zahlreiche Reservisten in Auslandseinsätzen. Wir brauchen sie gerade im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit oder zum Beispiel bei Naturkatastrophen. Diese Konzeption wird derzeit unter Federführung von Generalleutnant Weiler, dem stellvertretenden Generalinspekteur, erarbeitet. Auch hier sind viele Impulse aus den Reihen des Parlaments, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, mit eingeflossen und fließen sicher auch künftig mit ein. Im kommenden Jahr - in diesem Jahr schaffen wir es nicht mehr - werden wir dann ein entsprechendes Reservistenkonzept auf den Weg bringen. Die zweite Frage ist ganz entscheidend in Bezug auf das Grundverständnis unserer Streitkräfte. Es ist tatsächlich so, dass wir in den letzten Jahrzehnten mit dem Modell der Wehrpflicht eine Verstärkung des Prinzips des Staatsbürgers in Uniform und des Prinzips der Inneren Führung darstellen konnten. Deswegen muss es unser Anspruch sein, auch unter den neuen Strukturen im Rahmen des neuen Modells, das wir jetzt schaffen, diesbezüglich keinerlei Abstriche zu machen. Für alle Soldatinnen und Soldaten - egal welche Laufbahngruppe, egal ob freiwillig Wehrdienstleistende oder Berufssoldaten, egal ob Mannschaftsdienstgrad, Unteroffizier oder Offizier - sollte das Prinzip der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform weiterhin gelten. Es ist nicht zwingend allein an die Wehrpflicht gebunden, sondern auch an das Verständnis von Ausbildung und an die Frage, wie sich Gesellschaft und Bundeswehr wechselseitig zueinander verhalten. Dieser Anspruch bleibt maßgeblich und wird die künftigen Strukturen und somit auch die Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten wie auch in den vergangenen Jahrzehnten prägen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Nun Harald Koch und anschließend Michael Groschek. Harald Koch (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich weiß jetzt nicht, wer von Ihnen beiden, Frau Ministerin und Herr Minister, meine erste Frage beantworten will. Das können Sie selbst entscheiden. Nach welchen Kriterien, in welcher Frequenz und in welcher Tiefe soll das Bundesamt für den Zivildienst überprüfen, ob auch beim Bundesfreiwilligendienst strikte Arbeitsmarktneutralität gewährleistet bleibt? Meine zweite Frage richtet sich auf jeden Fall an Sie, Frau Ministerin. Wie wollen Sie sicherstellen, dass trotz erhöhter Förderpauschalen für die bestehenden Jugendfreiwilligendienste die durch den Bundesfreiwilligendienst geschaffene unnötige und zudem teure bürokratische Doppelstruktur zwischen Bund und Ländern nicht zur Verdrängung bzw. Existenzvernichtung von sozialen Trägern, Verbänden und gemeinwohlorientierten Einrichtungen führt? Ich bin Mitglied in zwei Freiwilligendiensten und habe in den letzten Wochen viele Gespräche in dieser Richtung geführt. - Danke schön. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wer von Ihnen beiden möchte antworten? - Bitte schön. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich glaube, beide Fragen gehen an mich. - Herr Kollege, Ihre erste Frage bezog sich auf die Überprüfung der Arbeitsmarktneutralität. Die Überprüfung dieses wichtigen Kriteriums ist für das Bundesamt für den Zivildienst nichts Neues; denn es hat schon bisher die Dienststellen im Zivildienstbereich regelmäßig daraufhin überprüft. Das ist auch einer der Gründe, warum ich sage: Wir werden weiterhin die sehr schlanke Struktur des Bundesamtes brauchen, weil die Überprüfung der Arbeitsmarktneutralität nur von einer neutralen Instanz wie dem Bundesamt geleistet werden kann. Das können die Träger nicht selbst tun; darauf können wir uns nicht verlassen. Deshalb wird es so weiterlaufen, wie es schon bisher erfolgreich beim Zivildienst der Fall gewesen ist. Wenn eine Einrichtung eine neue Dienststelle für den Zivildienst werden will, dann wird geschaut, zu welchen Tätigkeiten und in welchen Feldern Zivildienstleistende eingesetzt werden sollen. Außerdem wird die Frage geklärt, ob irgendeine Gefahr besteht, dass bestehende Arbeitsplätze ersetzt oder verdrängt werden. Wenn es später Hinweise auf Probleme in Bezug auf die Arbeitsmarktneutralität gibt, dann wird ihnen selbstverständlich nachgegangen und dann wird interveniert werden. Das kann zu einer Aberkennung des Status als Dienststelle führen. Genauso werden wir es beim Bundesfreiwilligendienst umsetzen. Ihre zweite Frage bezog sich auf Existenzverdrängung. Sie sehen die Gefahr, dass Landesfreiwilligendienste verdrängt werden könnten. Genau deswegen haben wir uns so intensiv darum bemüht, zu einer gleichwertigen Ausgestaltung - wenn irgendwie möglich - zu kommen. Von keinem Dienst kann man sagen, er sei der bessere. Schauen Sie sich einmal die Obergrenzen für das Taschengeld an! Wenn Sie alles zusammenrechnen, dann kann man eine Gleichbehandlung feststellen. Wir haben die Pauschalen für die Landesfreiwilligendienste massiv erhöht; wir haben sie fast verdreifacht. Damit stellen wir sicher, dass alle Dienste gleichermaßen attraktiv ausgestaltet sind. Ich gehe sogar noch weiter: Wenn es irgendwie möglich ist, sollten begleitende Seminarangebote gemeinsam gemacht werden. Was die politische Bildung angeht, könnte dies sogar zusammen mit den freiwillig Wehrdienstleistenden in der Bundeswehr geschehen. Da haben wir viele Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass der Einzelne keine Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Rechtsform spürt, indem wir alle gleich ausgestalten. Da mache ich mir - anders als Sie - keine Sorgen um eine Verdrängung. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun Kollege Michael Groschek und anschließend Kollegin Annette Groth. Michael Groschek (SPD): Wir lernen täglich, wie wichtig eine gleichberechtigte weibliche Repräsentanz im militärischen Bereich ist. Vor diesem Hintergrund frage ich die Bundesregierung, was sie angesichts der neuen Wehrerfassung von Frauen zu tun gedenkt, um eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter an beiden Dienstformen zu erreichen. Ich bin mir sicher: Die Bundesregierung teilt meine Meinung, dass es nicht zur klassischen Rollenverteilung aus der Zeit vor der Jahrhundertwende kommen sollte, bei der die weiblichen Erfassten - im Prinzip mit der Schürze - die zivilen Freiwilligendienste leisten und die männlichen Erfassten - im Prinzip mit der Schutzweste - die militärischen Freiwilligendienste. Insofern interessiert es mich, was die Bundesregierung zusammen mit der Bundeswehr und den Trägern der zivilen Dienste zu tun gedenkt, um eine gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter an beiden Dienstformen zu erreichen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, bitte. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Groschek, zunächst einmal ist es wichtig, dass die Ansprache junger Männer und Frauen keine Gewichtung zum Vorteil des einen oder anderen erkennen lässt, sondern junge Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen werden. Deswegen gibt es die neue Form der Datenerfassung und die Möglichkeiten, die daraus erwachsen mögen. Die Zielsetzung ist völlig klar: Wir wollen seitens der Bundeswehr mehr junge Frauen ansprechen, in den Dienst der Bundeswehr zu treten. Da wird es mit der Ansprache allein nicht getan sein. Vielmehr wird man hier dafür zu sorgen haben, dass wir auch in dieser Hinsicht, was die Angebote anbelangt, attraktiver werden müssen. Sie haben vorhin von der "Schutzweste" gesprochen. Da geht es um etwas furchtbar Banales, was trotzdem unglaublich wichtig ist: Der Mangel an Schutzwesten für Frauen ist ein Problem im Einsatz. Wir können schlichtweg nicht alle Größen über Jahre hinweg vorhalten. Jetzt ist ein Projekt im Gange, um das zu ändern. Das Beispiel zeigt aber, dass sich das Denken in den letzten Jahren gänzlich verändert hat. Wir gehen gezielt an die damit verbundenen Herausforderungen heran. Die Entwicklung der letzten Jahre beim Dienst von Frauen in der Bundeswehr ist an sich gut. Der Dienst der Frauen ist nicht alleine auf die Sanität beschränkt: Mittlerweile übernehmen Frauen auch in ganz anderen Bereichen Verantwortung; das soll gezielt gefördert werden. Hier stecken wir aber in einem Prozess, in dem wir sicherlich auch gefordert sind, unsere Werbemaßnahmen entsprechend umzustellen und zu optimieren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Nun Kollegin Annette Groth, anschließend Kollege Patrick Kurth. Annette Groth (DIE LINKE): Herr Minister, Ihre Argumentation vorhin in puncto Wettbewerbsfähigkeit bzw. -verzerrung hat mich noch nicht überzeugt. Wir alle wissen - es ist nicht schön, das zu hören -, dass 1-Euro-Jobs auch reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt haben und verdrängen. Wenn es einen Freiwilligendienst gibt, bei dem der Bund die Personalkosten trägt, dann hat der Arbeitgeber dadurch einen prima Wettbewerbsvorteil. Ich befürchte, dass das zulasten anderer Freiwilligendienste geht, die in eine totale Konkurrenzsituation geraten, vor allen Dingen, wenn die Freiwilligen im Rahmen des neuen Bundesfreiwilligendienstes viel länger arbeiten müssen als bisher die Zivildienstleistenden. Wie wollen Sie eine solche Entwicklung ausschließen? Wenn ich als Arbeitgeberin jedes Jahr aufs Neue Gelder beantragen muss, komme ich in Teufels Küche und in große Schwierigkeiten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Frau Ministerin. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zunächst eine Klarstellung: Die Freiwilligen müssen ihren Dienst nicht länger versehen, sondern sie können es. Sie sind nämlich Freiwillige. Ich glaube, an dieser Stelle wird das Grundproblem deutlich, das in den vielen Disputen zwischen der Linken und mir immer wieder durchschimmerte: Wir haben ein ganz unterschiedliches Verständnis von Freiwilligkeit, und wir schätzen auch den Wert der Freiwilligkeit für unsere Gesellschaft unterschiedlich ein. Sie stellen Freiwilligkeit und Freiwilligendienste ständig unter den Generalverdacht, dass dadurch Arbeitsplätze verdrängt werden, dass dadurch Lohndumping möglich wird, dass dadurch eine ungünstige Konkurrenzsituation entsteht. Wir hingegen sagen erst einmal: Wir freuen uns über jeden, der sich freiwillig engagiert. Wir sind dankbar für jeden, der sich freiwillig engagieren will. Freiwillige leisten etwas Großartiges für unsere Gesellschaft, und zwar nicht in Bereichen, in denen sie durch reguläre Arbeitskräfte ersetzt werden könnten. Wir wären sehr arm, wenn es dieses freiwillige Engagement nicht gäbe. Das ist der Grund. Wenn Sie sich anschauen, in welchen Bereichen Freiwillige eingesetzt werden, stellen Sie fest, dass das keine Bereiche sind, in denen dadurch Wettbewerbsvorteile entstehen. In diesen Bereichen findet vielmehr die Kür und nicht die Pflicht statt. Wenn wir uns darauf einigen könnten, wären wir schon einen Schritt weiter. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun fragt Patrick Kurth und danach als letzter Fragesteller Sönke Rix. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Herr Minister, ich komme auf die Kreiswehrersatzämter zurück, die im Zusammenhang mit der Reform von wesentlichen Aufgaben entbunden werden sollen. Auch die zivilen Mitarbeiter brauchen Planungssicherheit. Wann rechnen Sie mit einer neuen Konzeption, mit einer neuen Ausrichtung der Kreiswehrersatzämter? Zweite Frage. Sie sprachen von der Bundeswehr als Teil der Gesellschaft und sagten, dass sie auch weiterhin in die Mitte der Gesellschaft gehört. Muss man nicht auch darüber nachdenken, wie man mit Standorten in Innenstädten umgeht, ob auf diese Standorte, Kasernen und Garnisonen nicht möglicherweise eine veränderte Verantwortung zukommt, damit sie weiterhin als Teil der Gesellschaft verstanden werden? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Minister. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Kollege Kurth. Zunächst zu den Kreiswehrersatzämtern: Den Kreiswehrersatzämtern kommt derzeit eine hochverantwortungsvolle Rolle zu. Zum einen sind sie gefordert, den Status quo bis zum 30. Juni bzw. 1. Juli 2011 aufrechtzuerhalten, das heißt in bekannten Strukturen zu arbeiten. Ich weise aber noch einmal darauf hin, dass wir den Kreiswehrersatzämtern das Angebot machen, sich im nächsten Jahr, beginnend mit dem 1. März 2011, zu erneuern. Der junge Mensch wird entsprechend anders darauf zurückgreifen können. Dann wird er nicht mehr gegen seinen Willen eingezogen werden. In dieser Übergangszeit werden sich die Kreiswehrersatzämter ihren neuen Aufgaben zuzuwenden haben. Letztlich werden sie in die Dienstleistungsstruktur in veränderter Form eintreten. Wir wollen sehr bald, das heißt, in den nächsten zwei, drei Monaten, Klarheit darüber haben, wohin die Reise geht und wie sich die Kreiswehrersatzämter aufgrund ihrer neuen Aufgabengebiete neu zu positionieren haben. Dabei kann man natürlich Erfahrungswerte einfließen lassen. Es ist sinnvoll, diese Erfahrungswerte aufzunehmen. Was die Stationierung und die Standorte der Kreiswehrersatzämter anbelangt, ist zu sagen, dass das im Zusammenhang mit der gesamten Standort- und Stationierungsplanung in Deutschland zu sehen ist, weil viele Dinge dabei sehr eng zusammenhängen. Es kann ja durchaus sein, dass die Nachfolgeeinrichtungen der heutigen Kreiswehrersatzämter in Bereichen aktiv werden, zum Beispiel in Bereichen gezielt werben wollen, in denen man bereits jetzt keine Bundeswehrstrukturen mehr hat. Vielleicht will man in diesen Bereichen eine Verstärkung erreichen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das eine Rolle spielen wird. Deswegen hängt das zusammen. Die Betrachtung der Einrichtungen der Bundeswehrinstitutionen bezieht sich natürlich nicht allein auf die Innenstädte, sondern auf jeden einzelnen Standort in diesem Land. Auch hier wird es eine breite Herangehensweise geben müssen, wohl wissend, dass wir uns in gewissen Bereichen inhaltlich, konzeptionell und faktisch öffnen müssen, dass wir in einigen Bereichen Anlaufpunkt sind und Dinge erklären können müssen. Wir müssen uns in den Innenstädten so präsentieren, dass die Bindung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft nicht nur behauptet wird, sondern sich im täglichen Leben abspielen kann. Deswegen werden wir uns die Vorschläge, die uns gemacht werden, sehr genau ansehen. Auch aus dem Hause heraus werden bereits zahlreiche Vorschläge entwickelt. Daher glaube ich, dass wir auf einem guten Wege sind. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Sönke Rix. Sönke Rix (SPD): Vielen Dank, dass Sie hier heute zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung stehen. - Wenn man nach einer möglichen Konkurrenz zwischen dem Jugendfreiwilligendienst und dem Bundesfreiwilligendienst fragt, heißt es immer, die beiden seien eigentlich gleich. Man wolle sie gleich behandeln, die Bezahlung solle möglichst gleich sein, es gebe bei beiden Bildungseinheiten. Man wolle versuchen, sie auf einer gleichen Ebene zu sehen. Wenn es denn so viel Gleichheit zwischen diesen Diensten gibt, frage ich mich: Warum gibt es dann diesen zweiten Dienst? Ich weiß, dass da meistens als Antwort gesagt wird: Wir brauchen die Strukturen für eine eventuelle Wiedereinführung des Wehrdienstes bzw. wir haben bei den Jugendfreiwilligendiensten keine Bundeszuständigkeit. Wenn wir keine Bundeszuständigkeit haben, frage ich mich allerdings, warum wir jetzt eine Erhöhung bei den Jugendfreiwilligendiensten vornehmen. Wir brauchen die Strukturen des alten Zivildienstes nicht auf Dauer. Im Grundgesetz steht zwar, dass wir einen Ersatzdienst zur Verfügung stellen müssen, falls wir den Wehrdienst wieder einführen, aber das muss nicht automatisch der Zivildienst sein. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Frau Ministerin. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Kollege Rix, darüber haben wir schon oft gesprochen; aber vielleicht müssen wir heute noch einmal darüber sprechen. Die Antwort ist sehr einfach. Wenn wir das Ganze auf Bundesebene bündeln würden, würden wir die bestehenden Strukturen der Länder plattmachen. (Sönke Rix [SPD]: Geht ja nicht!) Wir würden sie gefährden. Ich glaube, das möchte keiner von uns. Wir würden vor allen Dingen auch ein zentralistisches Instrument schaffen, das die regionalen Unterschiede, die es gerade auch beim Freiwilligen Sozialen Jahr und Freiwilligen Ökologischen Jahr gibt, negieren würden. Wenn ich mit den Trägern spreche, bei denen es damals durchaus Sympathien für die Idee, alles auf Bundesebene zu bündeln, gab, habe ich das Gefühl, dass diese wenigen Sympathien deutlich abgenommen haben und sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass es gut ist, dass wir diese Strukturen erhalten. Sie haben auch gefragt, warum wir nicht quasi nur die Landesfreiwilligendienste erhalten. Auch diese Antwort ist ausgesprochen einfach: weil die Länder nicht bereit sind, dafür 300 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. (Sönke Rix [SPD]: Das können Sie ja machen!) Wenn sie das tun würden, wäre das ein interessantes und vielleicht auch zukunftsweisendes Unterfangen. Aber sie sind nicht dazu bereit. Sie wollen, dass wir mit Mitteln des Bundes Länderstrukturen umfassend finanzieren. Das wäre finanzverfassungsrechtlich nicht zulässig; diese Auseinandersetzung haben wir schon oft geführt. Das wäre auch nicht im Sinne unseres Föderalismus und auch nicht im Sinne einer klaren Zuständigkeit und einer klaren Verantwortlichkeit. Die Pauschalen, die wir zahlen - das wissen auch Sie -, sind eine Art pädagogische Pauschalen. Es ist etwas anderes, ob Sie einen Dienst zu einem kleinen Teil oder umfassend finanzieren. Darauf würde es hinauslaufen, wenn wir 300 Millionen Euro für die Landesfreiwilligendienste zur Verfügung stellen würden. Die einzige Möglichkeit wäre, den Ländern die 300 Millionen Euro über Umsatzsteuerpunkte zukommen zu lassen. Ich möchte gar nicht bestreiten, dass dies rein theoretisch möglich ist. Ich glaube aber, wir alle sind uns einig, dass das ein ganz schlechter Weg wäre. Wir wissen aus anderen Gesetzgebungsbereichen - ich möchte es einmal nett ausdrücken -, dass nicht immer ganz klar ist, ob jeder Euro da ankommt, wo ihn der Bundesgesetzgeber haben wollte. Deshalb sage ich: So, wie wir das machen, ist es vernünftig. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke schön. - Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 17/4153 - Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 1 der Kollegin Hilde Mattheis: Wird die Bundesregierung künftige Ausgabensteigerungen in der sozialen Pflegeversicherung alleine den Versicherten aufbürden, oder bleibt es bei der paritätischen Finanzierung des Beitrages, die bisher zumindest nominal gegeben war, mit der Einschränkung, dass die Arbeitgeber schon bei der Einführung der Pflegeversicherung durch Wegfall eines Feiertages nicht belastet worden sind? Bitte schön, Frau Staatssekretärin. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Mattheis, auf Ihre Frage antworte ich Ihnen wie folgt: Der Koalitionsvertrag sieht vor, aus Gründen der demografischen Entwicklung neben der sozialen Pflegeversicherung eine ergänzende Kapitaldeckung einzuführen. Zur genaueren Ausgestaltung soll eine interministerielle Arbeitsgruppe Vorschläge machen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gibt es dazu eine Nachfrage? Hilde Mattheis (SPD): Nachher. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dann kommen wir zur Frage 2 der Kollegin Mattheis: Wie beurteilt die Bundesregierung die Beitragsbelastung für die Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung durch eine prognostizierte Beitragserhöhung von jetzt 1,95 Beitragssatzpunkte auf 2,1 Beitragssatzpunkte im Jahr 2014, auf 2,3 Beitragssatzpunkte im Jahr 2020, auf 2,5 Beitragssatzpunkte im Jahr 2030 und auf 2,8 Beitragssatzpunkte im Jahr 2050 im Vergleich zu einem angedachten Zusatzbeitrag von 10 Euro oder 15 Euro oder 20 Euro bereits für das Jahr 2014? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Mattheis, die Bundesregierung verfolgt das Ziel einer generationengerechten Verteilung der Beitragsbelastung in der sozialen Pflegeversicherung. Deshalb können den kommenden Generationen nicht kontinuierlich steigende Beitragssätze aufgebürdet werden. Die im Koalitionsvertrag geplante ergänzende Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung kann zu einem gerechten Ausgleich der Belastungen zwischen der heutigen Generation und künftigen Generationen beitragen. Zur konkreten Ausgestaltung gibt es noch keine Festlegungen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte schön. Hilde Mattheis (SPD): Frau Parlamentarische Staatssekretärin, gestatten Sie mir eine Nachfrage. Da es Hochrechnungen bezüglich des prozentualen Beitragssatzes bis 2040/2050 gibt, würde mich interessieren: Wie hoch wäre der Zusatzbeitrag für diesen Zeitraum? Gibt es auch dazu Hochrechnungen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Die Höhe des Zusatzbeitrags hängt sehr stark von der Ausgestaltung eines künftigen Finanzierungsmodells ab. Da es noch keine Festlegung auf ein Finanzierungsmodell gibt, kann ich auch dazu zum heutigen Zeitpunkt keine Aussage treffen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? Hilde Mattheis (SPD): Ja. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte. Hilde Mattheis (SPD): Meine Frage im Anschluss daran lautet: Wie sieht der Zeithorizont aus? Das Gespräch mit den Beteiligten, auch mit den Kostenträgern, bezüglich der Finanzierung wurde abgesagt. Es gab für 2011 die Ankündigung, einen Finanzierungsvorschlag bzw. ein Konzept vorzulegen. Wie ist jetzt der Zeithorizont? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Mattheis, der Bundesminister für Gesundheit, Philipp Rösler, hat am 6. Dezember dieses Jahrs mit einer Dialogreihe begonnen, in der es um die inhaltlichen Festlegungen, die im Koalitionsvertrag vorgenommen worden sind, geht, angefangen beim Fachkräftebedarf über Fragen des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Einstufung bis hin zur Förderung von Wohngruppen und Ähnlichem. Das ist die Basis, um die Beratungen über die Finanzierungsgrundlagen sorgfältig und sachgerecht durchführen zu können. Diese Gespräche werden wir im Laufe des ersten Halbjahres des nächsten Jahres abschließen und eine interministerielle Arbeitsgruppe einsetzen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke. - Eine weitere Nachfrage stellt Frau Vogler. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, mich würde interessieren, ob in Ihrem Ministerium schon Berechnungen angestellt worden sind, wie viele Pflegemonate jemand, der mit 25 oder 30 Jahren anfängt, mit den von der Kollegin Mattheis unterstellten Beitragssätzen in diese Zusatzversicherung einzuzahlen, mit dem angesparten Kapitalstock finanzieren könnte. Gibt es dazu Berechnungen? Haben Sie geplant, solche Berechnungen anzustellen? Wann können wir mit Ergebnissen rechnen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Vogler, auch hier gilt: Die Bundesregierung und das Bundesgesundheitsministerium wollen zunächst die inhaltlichen Fragestellungen klären, die die Grundlage für den Finanzierungsbedarf bilden. Auf dieser Grundlage werden wir dann sicherlich auch Berechnungen zu entsprechenden Modellen anstellen. Aber wir wollen nicht den zweiten vor dem ersten Schritt tun. Deshalb kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitteilen, dass wir bereits Berechnungen zu konkreten Modellen angestellt haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollegin Senger-Schäfer hat eine weitere Nachfrage. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Vielen Dank. - Auch ich habe eine Frage zur Finanzierung. Ich sehe in Ihren Aussagen eine gewisse Ambivalenz - vielleicht können Sie mir da auf die Sprünge helfen -: Auf der einen Seite haben Sie sich im Koalitionsvertrag auf eine verpflichtende individuelle und generationengerechte Kapitaldeckung festgelegt. Auf der anderen Seite haben Sie in Ihrer Pressemitteilung vom 2. Dezember dieses Jahres geschrieben - Zitat -: Grundsätzlich gilt, dass es bisher im Bundesgesundheitsministerium keine Festlegung auf ein Finanzierungsmodell für die langfristige Sicherung der Pflegeversicherung gibt. Vielleicht können Sie mir hier gerade ein bisschen helfen. Vielen Dank. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Senger-Schäfer, in dem Koalitionsvertrag sind Ziele formuliert. Sie fragen mich nach konkreten Umsetzungsmodellen zur Verwirklichung dieser Ziele. Die Ziele stehen im Koalitionsvertrag und haben von ihrer Gültigkeit nichts verloren. Für die konkreten Umsetzungsmodelle bedarf es einer sorgfältigen Analyse des Finanzierungsbedarfs. Diese Modelle werden wir jetzt in Gesprächen, im Dialog zunächst klären, und erst dann können wir in die konkrete Planung und Erarbeitung des Finanzierungskonzepts eintreten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage hat Kollegin Bunge. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, an und für sich ist es ja begrüßenswert, erst einmal die Aufgabe zu formulieren und sich dann über die Finanzen den Kopf zu zerbrechen: wie viel Geld man braucht und woher man es holt. Dies tun Sie für das Jahr 2011, und damit definieren Sie ein gewisses Leistungsvolumen. Dabei kommt vermutlich ein Mehrbedarf heraus. Sie sagen aber, die Pflegeversicherung sei durch die jetzige Finanzierung bis Ende 2013 gesichert. Heißt das auf gut Deutsch, dass Sie erst ab 2014 Leistungsverbesserungen vorsehen, oder wird es vorgezogen zu Beitragserhöhungen kommen, damit die Ziele, durch die sicher ein Stück mehr Teilhabe gewährleistet werden kann, umgesetzt werden können? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Bunge, zunächst erlaube ich mir, Sie zu berichtigen. Ich habe heute Vormittag im Ausschuss für Gesundheit die neuesten Entwicklungen und auch Prognosen hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben in der sozialen Pflegeversicherung vorgestellt. Durch die verbesserte Entwicklung bei den Einnahmen werden wir - das wird auch aus der Einnahme- und Ausgabenstatistik und aus der Berechnung sichtbar - zu einer auskömmlichen Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung bis zum Frühjahr des Jahres 2014 kommen. Die Mittel inklusive der Mindestrücklage werden also bis Anfang 2014 ausreichend sein. Hinsichtlich der Fragen, welche Leistungen wir anbieten und zu welchem Zeitpunkt wir für Verbesserungen sowohl bei der Einstufung als auch bezüglich der sonstigen Leistungen und der Strukturen sorgen, berät sich die Bundesregierung seit dem 7. Dezember 2010 mit Fachleuten. Auf dieser Grundlage werden wir dann die entsprechenden Entscheidungen treffen. Dem kann aber nicht vorgegriffen werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage von Kollegin Rawert. Mechthild Rawert (SPD): Frau Widmann-Mauz, Sie haben gerade ausgeführt, dass Sie zu den Strukturen und zu den weiteren Leistungen noch nichts sagen können oder wollen, weil Sie sich im Dialog mit Fachleuten befinden. Nichtsdestotrotz gehört zu dieser Diskussion auch, dass über die Verbesserung des Personalschlüssels und die Verbesserung der Situation der Fachkräfte gesprochen wird. Wie soll die entsprechende Ausgestaltung in der Pflegeversicherung aussehen, wie die Finanzierung dieser Verbesserungen sichergestellt werden? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Rawert, genau dieses Thema treibt auch die Bundesregierung und den Bundesgesundheitsminister um. Deshalb hat er den künftigen Fachkräftebedarf auch zum ersten Thema beim Pflegedialog am 7. Dezember 2010 gemacht. Hier hat eine intensive Diskussion stattgefunden. Diese Diskussion ist auch noch nicht beendet. Es ist vereinbart worden, das Gespräch zu genau diesem Themenkomplex fortzusetzen, da es unterschiedliche Annahmen hinsichtlich des Bedarfs an Pflegekräften, hinsichtlich des zusätzlichen Pflegefachpersonals und hinsichtlich der Frage gibt, wie die Strukturen verbessert werden können, um den Fachkräftebedarf unter Umständen auch etwas stärker stabilisieren zu können. Der entsprechende Finanzierungsbedarf lässt sich nicht seriös feststellen, bevor auch hier die Beratungen nicht abgeschlossen sind. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 3 des Kollegen Steffen-Claudio Lemme: Ist bei der Einführung der Zusatzversicherung für die Pflege an einen Sozialausgleich gedacht, und wie wird dieser gegebenenfalls ausgestaltet und finanziert? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Sehr geehrter Herr Kollege Lemme, die Frage der Notwendigkeit eines Sozialausgleichs bei der Einführung einer kapitalgedeckten Zusatzvorsorge ist abhängig von der genauen Ausgestaltung der Reform. Hierzu gibt es derzeit noch keine Festlegungen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Lemme. Steffen-Claudio Lemme (SPD): Frau Staatssekretärin, erst einmal vielen Dank für die Antwort. - Ich habe eine Zusatzfrage: Denken Sie bei dem geplanten Sozialausgleich auch daran, dass eine Überforderungsklausel geschaffen wird, weil schon davon ausgegangen werden kann, dass es in diesem Bereich zu sozialen Härten kommt? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege Lemme, auch für die Frage des Sozialausgleichs und der Überforderungsklausel gilt: Das hängt von der Erforderlichkeit je nach Ausgestaltung des Modells ab. Da es aber noch keine Vorüberlegungen und Vorfestlegungen zu dem Modell gibt, kann ich zu Ihrer Frage keine konkreten Aussagen machen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine Nachfrage der Kollegin Senger-Schäfer. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Ich habe eine sehr kurze Frage: Ist denn schon klar, wer diese Zusatzversicherung anbieten soll? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Senger-Schäfer, da das Modell noch nicht feststeht und damit auch nicht die dem zugrunde liegenden Details, kann ich Ihnen diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Zuerst müssen die Arbeiten an dem Leistungspaket durchgeführt werden, und dann müssen die Fragen der Finanzierung geklärt werden. Wir sind im Verfahren noch nicht so weit. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit kommen wir zur Frage 4 des Kollegen Lemme: Was soll nach Ansicht der Bundesregierung aus Kapitalanlagen von Personen werden, die nicht pflegebedürftig werden und nicht auf das Angesparte zurückgreifen müssen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Verehrter Kollege Lemme, auch hier gibt es noch keine Festlegungen. Im Rahmen von Versicherungslösungen werden die angesammelten Altersrückstellungen üblicherweise nur für Leistungen verwendet und nicht an die Versicherten oder gegebenenfalls an die jeweiligen Hinterbliebenen ausgezahlt. Bei individuellen Sparverträgen kann dagegen das Kapital auch vererbt werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte. Steffen-Claudio Lemme (SPD): Vielen Dank. - An welche Anlageform im Bereich dieser kapitalgedeckten Absicherung denken Sie denn? Welche Kapitalstöcke haben Sie hier im Blick? Soll es bei einer Nichtauslastung dieser kapitalgedeckten Versicherung auch zu Ausschüttungen kommen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Die interministerielle Arbeitsgruppe wird sich sicherlich zum gegebenen Zeitpunkt auch mit dieser Fragestellung ausführlich befassen. Ich bin gerne bereit, Ihnen dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, nämlich wenn wir uns damit befasst haben, die entsprechenden Auskünfte zu liefern. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine Nachfrage der Kollegin Mattheis. Bitte. Hilde Mattheis (SPD): Frau Staatssekretärin, Sie sprachen gerade davon, dass es zwei Möglichkeiten gibt. Sie erwähnten bei der zweiten Möglichkeit, nämlich der der individuellen Ansparung, dass ein Vererben möglich sei. Habe ich es so richtig verstanden - da wollte ich gerne nachfragen -, dass bei Nichtvorliegen einer Pflegebedürftigkeit eine Ansparung dann an die Angehörigen gehen würde? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Mattheis, ich habe referiert, wie bei bestehenden Versicherungsverträgen mit dem Kapital umgegangen wird. Der Gesetzgeber ist immer frei, weitere Lösungen zu finden. Das werden die Beratungen in den entsprechenden Gremien sicherlich mit beinhalten. Vor diesem Hintergrund kann ich keine Aussagen zu geplanten Regelungen und damit auch nicht zu zwei oder mehreren Modellen machen; denn wir haben noch nicht über Modelle gesprochen und deshalb auch noch keine Vorfestlegungen getroffen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Weitere Nachfragen dazu gibt es nicht. Damit kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Karl Lauterbach: In welcher Höhe werden nach den Berechnungen der Bundesregierung die Beiträge für die kapitalgedeckte Zusatzversicherung in der gesetzlichen Pflegeversicherung liegen, und auf welcher Grundlage hat die Bundesregierung diese Höhe ermittelt? Bitte schön, Frau Staatssekretärin. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Sehr geehrter Kollege Professor Lauterbach, Berechnungen sind noch nicht erfolgt und erst auf der Grundlage konkreter inhaltlicher Festlegungen über die leistungsrechtlichen und die finanziellen Einzelheiten eines Reformkonzepts möglich. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Kollege. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Wir haben wiederholt gehört, dass es keine Berechnungen gibt. Daher die Nachfrage: Haben Sie Schwierigkeiten mit den Berechnungen? Brauchen Sie Hilfe? (Heiterkeit bei der SPD) Wir hören seit mehr oder weniger einem Jahr, dass es zwar ein Modell, aber keinerlei Berechnungen gibt, und dass Sie nicht in der Lage sind, uns auch nur ansatzweise einen Überblick darüber zu geben, wie hoch der Finanzbedarf ist, wie die Finanzierung aussieht oder was auch immer. Deshalb meine Frage: Soll aus taktischen Gründen keine Berechnung erfolgen, oder haben Sie technische Probleme? Können wir helfen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Kollege Lauterbach, erstens möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wenn Sie mir zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass es einen sachlichen Grund gibt, warum wir die Berechnungen erst dann anstellen, wenn wir den Inhalt dessen kennen, was wir berechnen sollen. Das ist eine logische Abfolge, die Wissenschaftlern nicht fremd sein sollte. Zweitens gehe ich davon aus, dass Sie uns sicherlich auch unaufgefordert Hilfe zukommen lassen würden, was entsprechende Modellrechnungen anbelangt. Drittens können Sie davon ausgehen, dass wir dann, wenn wir die entsprechende logische Abfolge der Schritte vorgenommen haben, sehr zügig zu Berechnungen kommen werden, wahrscheinlich zügiger, als es beim Bürgerversicherungsmodell, das Ihre Fraktion sehr lange nicht vorgelegt hat, der Fall war. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Zunächst einmal möchte ich mich für Ihr Vertrauen bedanken. Wir werden Ihnen in der Tat auch unaufgefordert bei den Berechnungen zur Seite stehen. Wenn Sie später ein Modell wählen, entsteht es normalerweise auf der Grundlage vorliegender Berechnungen, welches Modell zu welchem Ergebnis führen würde. Daher ist Ihre Unterweisung in der Logik der Abfolge nicht ganz korrekt. Normalerweise hat man ein Portfolio von Berechnungen und wählt auf dieser Grundlage dann das Modell, das den Zielen am nächsten kommt. Wenn wir Ihre Berechnungen hätten, so Sie diese angefertigt hätten, könnten wir uns in der gewohnt konstruktiven Art und Weise an dieser Diskussion beteiligen. Von daher noch einmal meine Nachfrage: Weshalb wird nicht vorgelegt, was an Möglichkeiten besteht? Ich mache es ganz einfach: Wie viel würde es beispielsweise bringen, wenn sichergestellt werden soll, dass die Belastung des Einzelnen nicht mehr als 10 Euro pro Monat betragen soll? Was würde es umgekehrt kosten, wenn erreicht werden soll, dass beispielsweise 25 Prozent der späteren Aufwendungen für die Pflege aus dem Kapitalstock kommen? Wenn Berechnungen vorliegen, kann man, auch gemeinsam, diverse Szenarien durchgehen. Es leuchtet mir schlicht nicht ein, warum es keine Berechnungen für solche Szenarien gibt und Sie uns die Möglichkeit der konstruktiven Begleitung Ihrer Arbeit nehmen, während die Zeit von hinnen geht. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege Lauterbach, Sie haben sich bereits in Ihrer Fragestellung persönlich auf mehrere Vorfestlegungen festgelegt, was die Bewertung unterschiedlicher Modelle angeht. Da es aber in der Bundesregierung noch keine Vorfestlegungen gibt, kann diese Befassung, so gerne wir konstruktiv mit den Oppositionsfraktionen bzw. mit Ihrer Fraktion zusammenarbeiten, zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgen. Aber sobald wir wissen, was wir berechnen wollen, werden wir sehr zügig die Grundsätze, die im Koalitionsvertrag festgelegt sind, in der interministeriellen Arbeitsgruppe erörtern und gerne dann auch mit dem Parlament, im Ausschuss und in der Öffentlichkeit diskutieren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Keine weitere Frage dazu. Dann rufe ich die Frage 6 des Kollegen Lauterbach auf: Welche monatliche Prämienhöhe zur ergänzenden Kapitaldeckung ist nach Auffassung der Bundesregierung auch für Rentnerinnen und Rentner und andere Bezieherinnen und Bezieher vergleichsweise niedriger Einkommen tragbar, ohne dass ein sozialer Ausgleich eingeführt wird? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Auch diese Frage des Kollegen Lauterbach kann ich nicht anders beantworten als die vorige. Diese Frage kann erst im Zusammenhang mit der Festlegung der genauen Ausgestaltung einer ergänzenden Kapitaldeckung beantwortet werden. Ich glaube, die Diskussion und die Antworten zu den letzten Fragen haben dies auch deutlich gemacht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Lauterbach, bitte. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Das leuchtet mir nicht ein, Frau Kollegin. Es ist doch im Wesentlichen eine Werteentscheidung, was Sie als Obergrenze erachten, ab der ein Sozialausgleich beispielsweise für Rentner oder Geringverdiener nötig würde. Selbst dann, wenn nicht klar wird, wofür das Geld verwendet wird, wie viel insgesamt aufgebracht wird und bis wann es zur Verfügung steht, müssten Sie doch die normative Frage beantworten können, ab welcher Höhe Sie einen Sozialausgleich für nötig halten. Es ist ja keine technische Frage, sondern eine Verteilungsfrage. Wie viel ist für den Geringverdiener zumutbar, bevor ein Sozialausgleich für den Zweck, den Sie hier beschreiben, notwendig wird? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege Lauterbach, auch diese Fragestellung ist in großem Maße abhängig von unterschiedlichen Modellen: Modellen, die einen Sozialausgleich erforderlich machen, Modellen, die keinen Sozialausgleich erforderlich machen usw. Da die Fragen der Finanzierung aber erst am Ende der Beratungen anstehen, ist eine Vorfestlegung auf dieser Grundlage im Moment nicht möglich. Deshalb kann ich Ihnen diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Keine Nachfrage? Dann rufe ich die Frage 7 der Kollegin Carola Reimann auf: Wann werden erste Reformpläne zur Reform der Pflegeversicherung vorliegen, und werden mit den Reformansätzen für Angebots- und Infrastrukturverbesserungen auch Vorschläge für eine Finanzreform vorliegen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Reimann, die Bundesregierung hält, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, daran fest, dass neben einer neuen, differenzierten Definition der Pflegebedürftigkeit und der Notwendigkeit von an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orientierten Wohn- und Betreuungsformen auch eine Ergänzung durch Kapitaldeckung notwendig ist, damit die Pflegeversicherung allen Bürgerinnen und Bürgern eine verlässliche Teilabsicherung der Pflegekosten weiterhin garantieren kann. Beginnend mit dem 7. Dezember dieses Jahres werden im ersten Halbjahr 2011 zuerst im Rahmen einer Reihe von Dialogveranstaltungen Diskussionen über die künftige Ausgestaltung der Pflege im Hinblick auf konkrete Verbesserungen für die Menschen mit allen Beteiligten geführt. Es bedarf zunächst einer Klärung von Kernfragen im Leistungsbereich, bevor dann die Finanzierungsfragen im Einzelnen zu beantworten sind. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte. Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Staatssekretärin, ich habe eine Nachfrage. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie bislang keine konkreten Reformkonzepte und auch keine Vorfestlegungen erstellt, sodass Sie keinen konkreten Termin für die Vorlage von solchen Konzepten nennen können. Können Sie denn sagen, wann dieser Dialog, der am 7. Dezember dieses Jahres begonnen hat, fortgesetzt wird? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Die Bundesregierung ist an einer langfristigen und nachhaltigen Lösung interessiert. Beispielsweise die Komplexität des Pflegebedarfs der Betroffenen, aber auch die Verbindungen zu anderen Leistungsbereichen und anderen Sozialleistungen macht es erforderlich, dass wir eine gründliche Prüfung voranstellen. Das Ziel ist es, im Laufe des Jahres 2011 ein umfassendes Reformkonzept vorzulegen. Die Dialoggespräche wollen wir im ersten Halbjahr des kommenden Jahres zu Ende führen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Weitere Nachfrage? Dr. Carola Reimann (SPD): Ich habe noch eine Nachfrage. Wir konnten hören und lesen, dass bei dem ersten Gespräch vor allen Dingen der Fachkräftemangel ein Thema war. Nun ist ein Faktor für den Fachkräftemangel sicherlich die mangelnde Bezahlung. Deswegen möchte ich fragen: Ist der Bundesregierung bekannt, auf welchen Umwegen Unternehmen versuchen, den Mindestlohn, der im Pflegebereich seit kurzem etabliert ist, zu umgehen, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Reimann, wir haben im Rahmen der ersten Diskussion sehr intensiv über die Fragen der Entlohnung, der Arbeitsbedingungen und der Motivation für Pflegekräfte und Menschen, die diesen Beruf anstreben und erlernen wollen, gesprochen. Sie dürfen versichert sein, dass wir ein Auge auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften haben werden und im Zusammenhang damit den Dialog mit den Experten führen werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollegin Rawert und danach Kollegin Senger-Schäfer. Mechthild Rawert (SPD): Ich habe eine Frage zum Thema Fachkräftemangel. Wodurch wollen Sie die Ausbildungsbereitschaft der Pflegeeinrichtungen erhöhen? Wir haben bis dato über die Ausbildungsbereitschaft junger Menschen gesprochen. Hier liegt ein Problem. Derzeit sind nur 3 bis 6 Prozent der jungen Menschen an einer Tätigkeit im sozialen Bereich, also in den Gesundheits- und Pflegeberufen, interessiert. Mir ist zudem wichtig, zu erfahren, mit welchen Kampagnen Sie dafür Sorge tragen wollen, dass sich unsere Bevölkerung in ihrer Vielschichtigkeit in einem interkulturell offenen Pflege- und Gesundheitswesen wiederfindet. Was tun Sie auf diesem Gebiet? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Rawert, die Bereitschaft der Einrichtungen, also der Arbeitgeber, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, steht aus unserer Sicht allein schon deshalb auf der Tagesordnung, weil der Fachkräftebedarf es in Zukunft notwendig macht, dass sich die Einrichtungen diesem Thema stärker widmen. Ansonsten lässt sich der Fachkräftebedarf der entsprechenden Einrichtungen dauerhaft sicherlich nicht auf dem bisherigen Niveau decken. Wir wollen dazu beitragen, dass die Einrichtungen gute Modelle und gute Praxisbeispiele an die Hand bekommen; denn es gibt Einrichtungen, die im Vergleich zu anderen durchaus weniger Schwierigkeiten haben, den Fachkräftebedarf zu decken. Ausbildung ist immer ein guter Ansatz, um den zukünftigen Bedarf decken zu können. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Frage, welche Kampagnen vorgesehen sind, im Vergleich zu der Frage, wie die Arbeitsbedingungen und die Strukturen gestaltet sind, in denen Pflege geleistet wird, nachrangig ist; denn die beste Kampagne nutzt nichts, wenn die Realität der Beschäftigung den Bedürfnissen der Beschäftigten nicht entspricht. Deshalb hat das Bundesministerium für Gesundheit einen Dialog eingeleitet, in dessen Rahmen wir uns nicht nur im Bereich der Altenpflege, sondern insbesondere in der Krankenpflege, bei den medizinischen Fachberufen und Heilberufen, insbesondere bei Ärztinnen und Ärzten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kümmern. Die Arbeitsbedingungen sind entscheidend dafür, ob solche Berufe attraktiv sind und gerade von der jungen Generation angenommen werden. Der Mindestlohn ist nur ein Baustein der Mindestabsicherung von Pflegehilfskräften. Er ist sicherlich ein wichtiger Bestandteil. Aber die Lösung ist sicherlich in einem Strauß von Maßnahmen zu suchen. Dem widmet sich der Pflegedialog ausdrücklich. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun Kollegin Senger-Schäfer. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Vielen Dank. - Neben der Finanzierung ist die Reform der Definition des Leistungsumfangs von Ihnen angedacht. Dazu meine Frage: Denkt denn die Bundesregierung im Zuge der Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes im Rahmen einer umfassenden Pflegereform an eine Ausweitung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung, um den Pflegebedürftigen Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen? Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Senger-Schäfer, bereits der Koalitionsvertrag drückt aus, dass uns sehr daran gelegen ist, auf der Grundlage der Arbeiten des Beirats zur Erarbeitung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs von der Minutenpflege wegzukommen und den Bedarf, der sich durch bestimmte Veränderungen, insbesondere durch das verstärkte Auftreten von Demenzerkrankungen, abzeichnet, sachgerecht abzubilden. Menschenwürdige Pflege im Alter heißt, den entsprechenden Bedürfnissen nachzukommen und ihnen Rechnung zu tragen, von der Einstufung bis hin zu den Fragen, in welchen Strukturen und Wohnformen Leistungen in Anspruch genommen werden können. Wenn sich während der Beratungen konkreter Handlungsbedarf - auch bei den Leistungen - ergibt, dann werden wir diesen bei einer Pflegereform zu berücksichtigen haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Keine weiteren Nachfragen dazu. Dann kommen wir zu Frage 8 des Kollegen Martin Dörmann: Wie bewertet die Bundesregierung - vor dem Hintergrund, dass insbesondere Journalisten, aber auch Film- und Fernsehschauspieler seit dem 1. Januar 2009 kein Krankengeld mehr ab dem ersten Tag ausgezahlt bekommen - die Notwendigkeit, zur alten Regelung und der Auszahlung des Krankengeldes ab dem ersten Tag auch für diese Berufsgruppe zurückzukehren, und inwieweit wird sie entsprechende Forderungen seitens der Fraktion der SPD, aber auch von Bundesrat, Gewerkschaften und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, im Rahmen der Gesetzesnovellierung zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften und anderer Vorschriften im Jahr 2009 aufgreifen? Bitte, Frau Staatssekretärin. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege Dörmann, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz hatte für bestimmte Versichertengruppen mit Wirkung ab dem Jahr 2009 Wahltarife zur Absicherung des Krankengeldanspruchs eingeführt. Damit wurden flexible Angebote für die Versicherten ermöglicht. Bei der Umsetzung der Vorgaben durch die Krankenkassen hat sich allerdings gezeigt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Vermeidung von ungerechtfertigten Belastungen insbesondere älterer Versicherter und zur Verwaltungsvereinfachung angepasst werden mussten. Versicherte - auch der hier genannten Berufsgruppen -, die einen Krankengeldanspruch nach den Regelungen des GKV-WSG seit dem 1. Januar 2009 allein über einen Wahltarif absichern konnten, haben deshalb mit dem Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften mit Wirkung zum 1. August 2009 wieder die zusätzliche Option erhalten, wie Arbeitnehmer gegen Zahlung des allgemeinen Beitragssatzes einen sogenannten gesetzlichen Krankengeldanspruch ab der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit abzusichern. Daneben ist auch weiterhin der Abschluss von Wahltarifen möglich. Auch über den sogenannten gesetzlichen Anspruch hinausgehende Absicherungswünsche nach Krankengeld, zum Beispiel vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit an, können weiterhin über Wahltarife realisiert werden. Entgegen der zuvor verbreiteten Praxis der Krankenkassen sind aber Differenzierungen nach dem individuellen Risiko der Versicherten, insbesondere Altersstaffelungen, nicht mehr möglich. Was die Versicherten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz angeht, so ist durch das GKV-WSG in der Sache keine Änderung eingetreten. Bei dieser Rechtslage sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit für weitere Rechtsänderungen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Es gibt keine Nachfragen. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung. Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Sabine Stüber auf. - Sie ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Michael Groß: Inwieweit trägt die Bundesregierung bereits Vorsorge, um dem erhöhten Mittelbedarf für die Erhaltungsmaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur, auch unter Einbeziehung der sich abzeichnenden Winter- und Frostschäden, entgegenzuwirken? Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Groß, Ihre Frage möchte ich wie folgt beantworten: Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Finanzierung von Erhaltungsmaßnahmen für die Infrastruktur des Bundes einschließlich der Bundeswasserstraßen auch bei eventuell eintretenden Winter- und Frostschäden im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel erfolgen kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage. Michael Groß (SPD): Vielen Dank für die Beantwortung. - Ich habe eine Nachfrage: Wie hoch würden Sie die Kosten beziffern, die im Winter 2009/2010 zur Beseitigung der Frostschäden entstanden sind, und können Sie eine Entwicklung über die letzten fünf Jahre aufzeigen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Diese Zahlen können wir im Einzelnen nicht erfassen, weil die Länder die Beseitigung von Frostschäden über die Auftragsverwaltungen aus den Erhaltungsmitteln vornehmen. Deshalb kann ich Ihnen diese Zahlen nicht liefern. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit kommen wir zur Frage 11 des Abgeordneten Michael Groß: Wie hoch schätzt die Bundesregierung finanziell den Investitionsbedarf für die Sanierung der Infrastruktur im Bereich der Straße nach dem Winter 2010/2011 ein, nachdem bereits aktuell ein Sanierungsstau festgestellt wird und von einer sich potenzierenden baulichen Zustandsverschlechterung der Bauwerke und Straßen auszugehen ist? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das ist natürlich eine etwas hypothetische Frage, weil wir ja noch nicht wissen, wie dieser Winter weitergeht. Ich möchte Ihre Frage trotzdem beantworten. Auf der Grundlage der Erhaltungsbedarfsprognose des Bundesverkehrswegeplans 2003 sollen nach dem Bundesfernstraßenhaushalt 2011 rund 2,6 Milliarden Euro in die Erhaltung des Bundesfernstraßennetzes investiert werden. Eventuell auftretende Winter- und Frostschäden werden diesen Bedarf nur unwesentlich erhöhen. Dem zunehmenden Erhaltungsbedarf in den kommenden Jahren wird durch verstärkten Mitteleinsatz Rechnung getragen. Von einer sich potenzierenden baulichen Zustandsverschlechterung kann deshalb keine Rede sein. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dazu hat der Kollege Koch eine Nachfrage. Harald Koch (DIE LINKE): Dazu eine kurze Nachfrage: Ist Ihnen im Ministerium bekannt, dass es auf der Strecke A 38 Richtung Göttingen zwischen den Abfahrten Sangerhausen-Süd und Goslar erhebliche Schlaglöcher gibt? Dort muss man das Tempo auf 80 km/h reduzieren. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das ist mir im Einzelnen persönlich nicht bekannt, aber ich weiß, dass wir an ganz vielen Autobahnabschnitten in fast allen Bundesländern im Moment diese Frostschäden haben. Sie werden durch die Auftragsverwaltungen in den einzelnen Bundesländern bei entsprechenden Witterungsvoraussetzungen natürlich beseitigt. Die entsprechenden Mittel stehen im Ansatz für Erhaltungsmaßnahmen zur Verfügung. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Der Kollege Groß hat eine weitere Nachfrage. Michael Groß (SPD): Herr Mücke, generell wird festgestellt, dass es einen Sanierungsstau gibt. Deswegen die Frage: Es gibt also kein Finanzierungsdelta, wenn man auf der einen Seite die Schäden und den Sanierungsbedarf sieht, den wir in Zukunft haben, und auf der anderen Seite die finanziellen Mittel, die Sie zur Verfügung stellen können? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nein, ein solches Delta gibt es nicht; denn wir haben in jedem Haushaltsjahr mehr Mittel für Erhaltungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Wir wollen die bestehende Infrastruktur, die vor allen Dingen in den alten Bundesländern im Wesentlichen aus den 60er- und 70er-Jahren stammt, unterhalten. Es macht keinen Sinn, nur in neue Infrastrukturen zu investieren, wenn die bestehenden Infrastrukturen nicht unterhalten werden können. Die 2,6 Milliarden Euro, die für Erhaltungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, sind ein namhafter Betrag, der dazu beitragen wird, dass wir auch die Frostschäden, die in diesem Winter entstehen werden, beheben können. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Cornelia Behm. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist so, dass die Mittel zur Sanierung der Verkehrsinfrastruktur dann, wenn es um Bundesstraßen geht, vom Bund den Ländern pauschal gegeben werden, ohne zu berücksichtigen, um was für Straßen es sich im Einzelnen handelt, zum Beispiel ob es sich um Alleen handelt, die bei der Sanierung einen größeren Aufwand erfordern könnten. Deswegen meine Frage: Halten Sie es nicht für angezeigt, dass man wenigstens für die Zukunft die real entstehenden Kosten bei den Ländern erfasst, um dann den Ländern Mittel in Abhängigkeit vom Aufwand zu überweisen, um so einen effizienten Einsatz der Bundesmittel zu erreichen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin, die Mittel werden effizient eingesetzt. Die Länder entscheiden in eigener Verantwortung und in Absprache mit uns, welche Erhaltungs- und Unterhaltungsmaßnahmen am Bundesfernstraßennetz vorgenommen werden. Ich weiß, dass in der Öffentlichkeit oftmals der Eindruck besteht, dass Straßen nicht in einem verkehrssicheren und einwandfreien Zustand sind, den man als Kraftfahrer oder als sonstiger Verkehrsteilnehmer erwartet. Zumindest für das Bundesstraßennetz kann ich aber sagen, dass wir den Ländern ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt haben, egal ob es sich dabei um Alleen oder um Fernstraßen anderer Bauart handelt. Sie können das allein schon daran sehen, dass Bundesländer gelegentlich Erhaltungsmittel lieber für Neuinvestitionen verwenden wollen. Wir dringen darauf, dass diese Mittel ausschließlich für die Erhaltung des bestehenden Straßennetzes verwandt werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Der Kollege Hacker hat noch eine Nachfrage. Hans-Joachim Hacker (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben sich eben hinsichtlich des Einsatzes von Erhaltungsmitteln im Bereich des Straßenbaus sehr pointiert geäußert. Können Sie mir eine Erklärung zu Ihrer Antwort auf eine entsprechende Frage zur Ortsumgehung Kallmerode in Thüringen geben? Darin haben Sie nämlich mitgeteilt, dass die Baumaßnahme - sie ist sowohl durch den Bundesverkehrswegeplan als auch den Investitionsrahmenplan abgesichert, und für sie besteht Baurecht - wegen fehlender Mittel nicht realisiert werden kann und gegebenenfalls Erhaltungsmittel umverteilt werden sollen. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich kann nur noch einmal unterstreichen, dass mit den Erhaltungsmitteln die bestehende Infrastruktur unterhalten werden soll. Die Ortsumgehung Kallmerode, die Sie ansprechen, ist eine Neuinvestition und wird nicht aus Erhaltungsmitteln finanziert werden können. Das Bundesland Thüringen erhält in großem Umfang Mittel, um vor allen Dingen den Weiterbau wichtiger Bundesautobahnen auf seinem Gebiet zu finanzieren. Das ist unsere vorrangige Priorität. Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Jahren auch für die Ortsumfahrung Kallmerode eine Finanzierung finden werden, wenn die Maßnahmen im Bundesautobahnnetz abgeschlossen werden können. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun noch Kollege Burkert. Martin Burkert (SPD): Sehr geehrter Herr Staatssekretär, die schlimmsten Straßenverhältnisse sind, glaube ich, in den Kommunen. In meiner Heimatstadt Nürnberg beträgt der Sanierungsbedarf zurzeit 50 Millionen Euro beim Straßenbelag, noch einmal 75 bis 80 Millionen Euro bei Brücken. Meine Frage an die Bundesregierung ist: Denkt die Bundesregierung daran, aufgrund der Winterverhältnisse, die wir auch in diesem Jahr zur Stunde wieder feststellen können, einen Sondertopf, ein Sonderprogramm für Kommunen aufzulegen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nein, daran denkt die Bundesregierung im Moment nicht. Der Bundeshaushalt, der durch Sie, also den Haushaltsgesetzgeber, beschlossen wurde, sieht ein solches Programm nicht vor. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 12 der Kollegin Cornelia Behm: Inwieweit hat sich die Zahl der Flugbewegungen im Luftraum über Berlin in den letzten fünf Jahren entwickelt, insbesondere hinsichtlich der Starts und Landungen an den Flughäfen Berlin-Tegel und Berlin-Schönefeld bitte mit Angabe der Zahlen nach Jahren und Flughafenstandort getrennt? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, Ihre Frage möchte ich sehr gern beantworten. Die Angaben zu Starts und Landungen lauten wie folgt: Flugbewegungen für den Flughafen Berlin-Schönefeld: im Jahr 2006 67 702, im Jahr 2007 66 392, (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) im Jahr 2008 68 771 und im Jahr 2009 75 538. (Zuruf von der FDP: Alle Wetter!) Bis zum September 2010 gab es 57 024 Flugbewegungen am Flughafen Berlin-Schönefeld. Des Weiteren möchte ich Ihnen die Zahlen der Flugbewegungen am Flughafen Berlin-Tegel mitteilen. Diese beliefen sich im Jahr 2006 auf 140 611, im Jahr 2007 auf 151 396, im Jahr 2008 auf 161 237 und im Jahr 2009 auf 156 262. Bis zum September 2010 hat es am Flughafen Berlin-Tegel 118 867 Flugbewegungen gegeben. Zu den Flugbewegungen zählen auch die Überflüge. Die Auswertung von Radardaten der Deutschen Flugsicherung zur Anzahl der Überflüge im Berliner Luftraum wäre nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand durchzuführen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das ist doch eine sehr präzise Antwort gewesen, beinahe bis zu den Stellen hinter dem Komma. (Florian Pronold [SPD]: Außergewöhnlich für eine Antwort der Bundesregierung in der Fragestunde!) Kollegin Behm, Sie sollen trotzdem das Recht auf Nachfrage haben. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da will ich mich auch gar nicht beschweren, vielen Dank. - Wenn ich die Zahlen Revue passieren lasse, dann stelle ich fest, dass durchaus ein leichter Anstieg bei den Flugbewegungen zu verzeichnen ist. Ich habe vor einer Weile vom Fluglärmbeauftragten des Landes Brandenburg die Aussage gehört, dass von den Flugrouten - das aktuell beliebte Thema - abgewichen und der ganze Flugraum genutzt werden könnte, wenn die Kapazitätsauslastung des Luftraumes sehr stark ist. Das betrifft insbesondere die Starts; denn die Route bei den Landungen ist ja fast immer dieselbe; sie ist immer gerade. Ich frage Sie: Kann es mit Blick auf die Zahlen, die Sie eben genannt haben, sein, dass die Kapazitätsauslastung des Luftraumes doch sehr stark ist, sodass von den normalen Flugrouten abgewichen und eine breitere Region überflogen und damit auch verlärmt wird? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nein, eine Kapazitätsauslastung kann ich für den Berliner Luftraum noch nicht konstatieren. Die Kapazität wird mit dem Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld noch weiter steigen. Das ist ja auch das gemeinsam erklärte Ziel der Landesregierung von Brandenburg und der Regierung von Berlin. Denn sie sind Flughafenbetreiber und möchten, dass der neue Flughafen Berlin-Schönefeld ein Erfolg wird. Flugrouten bemessen sich nach den Festlegungen der Deutschen Flugsicherung. Die Flugsicherung legt eine Ideallinie fest, in der Anflüge und Abflüge zu erfolgen haben. Diese Ideallinie wird in der Regel eingehalten, es sei denn, es liegen meteorologische oder andere Besonderheiten vor, die ein Abweichen erforderlich machen. Das sind aber sehr wenige. Deshalb kann von einer Aus- bzw. Überlastung des Berliner Luftraumes aus meiner Sicht nicht die Rede sein. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da könnte man sich ja fast getröstet fühlen. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich tröste Sie gerne! Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun hat meine Frage zum Hintergrund, dass ich wiederholt von Bürgern aus meinem Heimatort Kleinmachnow gefragt wurde, wie es denn zu erklären ist, dass die Lärmbelastung, verursacht durch Überflüge, in der Regel im Anflug auf Tegel, sowohl im Jahr 2009 und dann noch einmal ab August 2010, wirklich merkbar und gravierend angestiegen ist. Kann das denn, nachdem Sie jetzt dargestellt haben, dass die Kapazitäten nicht ausgelastet sind und die Flugrouten eher selten verlassen werden, Ihrer Meinung nach damit zusammenhängen, dass aktuell andere, leistungsstärkere Maschinen fliegen, die mehr Lärm emittieren? Auf welche Ursachen führen Sie diese Beobachtungen zurück? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich kann die Beobachtungen, dass der Verkehr zugenommen hat, schwer verifizieren. Es handelt sich ja um subjektive Eindrücke. Wir können Ihnen die objektiven Zahlen liefern. Diese habe ich Ihnen vorhin zur Kenntnis gegeben. Wenn Sie von Kleinmachnow reden, gehe ich davon aus, dass es sich um Anflüge auf Tegel handelt. Ich kann nur darauf verweisen, dass wir ein Absinken der Zahl der Flugbewegungen nach Tegel zu verzeichnen hatten. Ich wiederhole die Zahlen: Im Jahr 2008 waren es noch rund 161 000, im Jahr 2009 nur 156 000 Flugbewegungen. Das ist aus meiner Sicht ein Hinweis darauf, dass es jedenfalls keinen Anstieg gegeben hat. Ich will Sie gern darüber informieren, dass die Deutsche Flugsicherung, die Flughafenbetreiber und natürlich auch die Airlines alles unternehmen, um den Fluglärm zu reduzieren. Deshalb arbeiten wir auch an neuen Anflugverfahren wie beispielsweise CDA, Continuous Descent Approach. Hierbei handelt es sich um einen kontinuierlichen Sinkflug, bei dem die Triebwerke nicht die volle Leistung ausschöpfen und damit eine geringere Lärmbelastung für die Anwohner hervorrufen. Zu subjektiven Wahrnehmungen - da bitte ich um Verständnis - kann ich leider keine Stellung nehmen. Ich kann Ihnen nur die objektiven Zahlen zur Kenntnis geben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 13, ebenfalls der Kollegin Behm: Wie häufig war in den letzten zehn Jahren der Einsatz von Eisbrechern auf der Elbe erforderlich, und wie oft kam es dabei zu Behinderungen durch eine unzureichende Fahrrinnentiefe? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das ist auch eine sehr jahreszeitbezogene Frage, die ich natürlich sehr gerne beantworte: In den letzten zehn Jahren hat in jedem Winter der Einsatz von Eisbrechern auf der Elbe stattgefunden. Je nach Bedarf waren in sich abgeschlossene Einsätze von mehreren Tagen bis mehreren Wochen erforderlich. Innerhalb dieser zehn Jahre war zu Zeiten des Eisaufbruchs immer ein ausreichender Abfluss in der Elbe vorhanden, sodass die Fahrrinnentiefen für den Eisbrechereinsatz keine Beeinträchtigungen dargestellt haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollegin Behm, bitte. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. - Jetzt hätte ich nachfragen wollen, an welchen Segmenten es Behinderungen gegeben hat. Da es aber keine Behinderungen gegeben hat, habe ich auch keine Nachfrage. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Aber der Kollege Hacker hat eine Nachfrage. Hans-Joachim Hacker (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. - Zum Eisgang auf der Elbe, Herr Staatssekretär Mücke, habe ich eine Nachfrage. Ihnen ist sicherlich das Problem der sogenannten Reststrecke zwischen Dömitz und Hitzacker bekannt. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Stammstrecke! Ich kenne sie als Stammstrecke! Hans-Joachim Hacker (SPD): Ja. - Bei dieser Reststrecke sind ja die Ausbaumaßnahmen bei den Buhnen in den 30er-Jahren nicht vollendet worden. Sehen Sie in diesem Abschnitt Gefahren für die Deich- und Buhnenanlagen, weil es hier immer wieder zu Absenkungen des Wasserstandes kommt und dadurch bedingt regelmäßig Eisversetzungen eintreten? Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen? Ist zum Beispiel an einen Abschluss des Buhnenausbaus gedacht? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Bundesregierung bedient sich dafür ja der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die an dieser Stelle kontinuierlich ausbaggern lässt, um ein Versanden und Verlanden dieses Abschnitts der Elbe zu vermeiden. Somit findet dort ein kontinuierlicher Erhalt der Fahrrinne statt. Es ist aber sicher darüber nachzudenken, ob man im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens Erhaltungs- und Ausbaumaßnahmen vornimmt, bei denen ökologische Belange genauso berücksichtigt werden wie die Belange der Schifffahrt, die einen verlässlichen und sicheren Zugang zur Elbe benötigt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Danke. - Die beiden Fragen 14 und 15 des Kollegen Paula werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zu Frage 16: Wie und wo hat die Bundesregierung die in der Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung - die am 4. Dezember 2010 offiziell in Kraft getreten ist - aufgeführten Witterungsverhältnisse - wie Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis oder Reifglätte auf der Fahrbahn -, bei denen ein Auto nur mit Winterreifen gefahren werden darf, gerichtsfest definiert, um den einschreitenden Ordnungskräften eine eindeutige Feststellung des Tatbestandes sowie den Verkehrsteilnehmenden ein regelkonformes Verhalten zu ermöglichen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Präsident! Verehrte Frau Kollegin Lühmann, diese Frage möchte ich gerne beantworten. Die in § 2 Abs. 3 a Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung genannten winterlichen Wetterverhältnisse, bei denen ein Kraftfahrzeug nur mit M+S-Reifen gefahren werden darf, wurden unter Mithilfe des Deutschen Wetterdienstes ermittelt. Diesbezüglich wird auf die amtliche Begründung verwiesen, und zwar auf die Bundesratsdrucksache 699/10. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? - Bitte schön. Kirsten Lühmann (SPD): Hat bei dieser Antwort die Problematik mit dem Zusatzschild "Nur bei Nässe", das üblicherweise bei Geschwindigkeitsbeschränkungen angewendet wird, Berücksichtigung gefunden? Der Grund der Frage ist folgender: Nässe ist eine ähnliche Definition wie Schnee oder Eisglätte. Bei dieser Definition gibt es erhebliche Probleme und immer wieder rechtliche Auseinandersetzungen, ob Nässe vorliegt oder nicht. Sind die Erfahrungen mit diesem Zusatzschild und die rechtlichen Folgen in die eben von Ihnen genannte Bewertung eingeflossen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Diese Erfahrungen sind nicht eingeflossen, weil wir uns zunächst darauf konzentriert haben, die winterlichen Wetterverhältnisse zu definieren. Das ist durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg erforderlich geworden, das festgestellt hat, dass die bisherige Formulierung "winterliche Wetterverhältnisse" in der Straßenverkehrs-Ordnung nicht bestimmt genug ist, um entsprechende Bußgeldverfahren rechtssicher durchführen zu können. Das hat uns dazu bewogen, gemeinsam mit unserer nachgeordneten Behörde, dem Deutschen Wetterdienst, eine Definition dieser winterlichen Wetterverhältnisse herbeizuführen. Ich will Ihnen hierzu gerne aus der Drucksache des Bundesrates zitieren; dann wird wohl deutlich, was damit gemeint ist: Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- und Reifglätte zählen nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes zu den winterlichen Wetterverhältnissen. Solche Wetterverhältnisse sind in der Regel geeignet, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu beeinträchtigen. Verursacht werden diese Verhältnisse insbesondere durch unterschiedliche Niederschlagsarten: Schneefall (inkl. Schneeregen und Schneegriesel), Eiskörner, Glatteis bzw. gefrierender Regen (umgangssprachlich Eisregen), gefrierender Nebel und Schneeverwehungen (fallender bzw. abgesetzter Schnee in Verbindung mit starkem Wind). Diese Wettererscheinungen und -verhältnisse können bereits bei Lufttemperaturen einige Grad über dem Gefrierpunkt auftreten. So kann sich bereits bei starkem Schneefall bei 4 °C eine geschlossene Schneedecke ausbilden. Das bedeutet für die Verkehrsteilnehmer, dass sie bei diesen Wetterverhältnissen mit Sommerreifen nicht mehr sicher am Straßenverkehr teilnehmen können. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Weitere Nachfrage, oder kommen wir zur nächsten Frage? - Noch eine Nachfrage. Kirsten Lühmann (SPD): Da wir bei der Definition, was "glatt" ist, allein in diesem Haus eventuell zu 10 bis 20 verschiedenen Definitionen kämen, ist meine Frage: Wenn Sie solch eine neue Regelung einführen, dann möchte die Bundesregierung sicherlich, dass sie durchgesetzt wird. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aussage der Polizeigewerkschaft, dass insbesondere aufgrund der jetzigen Sicherheitslage überhaupt kein Personal zur Verfügung steht, um diese neue Regelung flächendeckend überprüfen zu können? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Diese Stellungnahme der Polizeigewerkschaft ist mir nicht bekannt. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das steht im Stern vom 3. Dezember!) - Vielen Dank für den Quellenhinweis. Ich werde das gerne nachlesen. - Wir gehen davon aus, dass die Länderpolizeien das Recht durchsetzen, das wir hier machen. Dazu gehört insbesondere die Anwendung der Straßenverkehrs-Ordnung. Ich glaube, dass eine weitergehende Definition von "Glätte" den Gesetzgeber überfordern würde. Denn wie würden Sie persönlich Glätte anders definieren als der Deutsche Wetterdienst? Ich glaube schon, dass das eine für jeden einsichtige Formulierung ist. Es gibt einen Unterschied zwischen Schneematsch und Reifglätte, und es gibt einen Unterschied zwischen Eisglätte und Schneeglätte. Ich glaube, das kann jeder unterscheiden, auch die Beamten der Polizei. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 17, ebenfalls der Kollegin Lühmann: Wie will die Bundesregierung der Verkehrssicherheit Rechnung tragen, wenn ein Kraftfahrer die neu gefasste Vorschrift erfüllt, indem er zwar Reifen mit dem Schneeflockensymbol verwendet, diese aber tatsächlich nicht auf die in der Verordnung genannten winterlichen Wetterverhältnisse ausgelegt sind, weil sie ein Profil haben, das nachweislich nicht für Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch oder Eis geeignet ist, unter anderem, weil sie keine Mindestprofiltiefe von 4 Millimeter haben? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nach § 2 Abs. 3 a der Straßenverkehrs-Ordnung darf bei den genannten winterlichen Wetterverhältnissen nur mit M+S-Reifen gefahren werden. M+S-Reifen sind "Reifen, bei denen das Profil der Lauffläche und die Struktur so konzipiert sind, dass sie vor allem in Matsch und frischem oder schmelzendem Schnee bessere Fahreigenschaften gewährleisten als normale Reifen. Das Profil der Lauffläche der M+S-Reifen ist im Allgemeinen durch größere Profilrillen und/oder Stollen gekennzeichnet, die voneinander durch größere Zwischenräume getrennt sind, als dies bei normalen Reifen der Fall ist". Ich verweise dazu auch auf den Anhang II Nr. 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG. Reifen, die diesen Eigenschaften entsprechen, sind in der Regel mit einem M+S-Symbol gekennzeichnet. Dieses Symbol ist sowohl für den Verbraucher als auch für das Kontrollpersonal ein Indiz dafür, dass die Reifen den Vorgaben des § 2 Abs. 3 a Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung genügen. Entspricht der Reifen trotz M+S-Symbol nicht den Anforderungen der Richtlinie 92/23/EWG, liegt ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung vor, der mindestens mit einer Geldbuße von 40 Euro geahndet werden kann. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, eine Nachfrage? - Keine Nachfrage. Aber Kollege Pronold hat eine Nachfrage. Florian Pronold (SPD): Bei der Winterreifenpflicht, die jetzt eingeführt worden ist, geht es ja um die Verkehrssicherheit insgesamt. Die Bundesregierung hat nun für den Pkw-Verkehr und damit für den Verbraucher sehr klare - und kostenintensive - Regelungen definiert; für den Lkw-Verkehr gelten aber andere Regelungen. Wir haben in den letzten Tagen gesehen, dass es auf vielen Autobahnen deswegen Probleme gegeben hat, weil Lkws liegen geblieben sind. Warum hat die Bundesregierung nicht auch in puncto Lkw eine Winterreifenpflicht vorgeschlagen und durchgesetzt, die eine größere Sicherheit im Straßenverkehr ermöglichen würde? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Dazu müssen wir festhalten, dass bei Lkws Winterreifen nicht zwingend dazu führen, dass diese Fahrzeuge im Winter sicher betrieben werden können. Bei entsprechenden Witterungsverhältnissen und wenn ein Winterdienst nicht oder nicht so schnell gewährleistet werden kann, kann es durchaus vorkommen, dass auch Lkws mit Winterreifen liegen bleiben, sodass es zu Staus auf Autobahnen kommt. Das lässt sich bei diesen Witterungsverhältnissen leider nicht ganz ausschließen. Aber die Bundesregierung wird alles tun, um dafür zu sorgen, dass die Winterreifenpflicht für alle gilt. (Florian Pronold [SPD]: Es gibt unterschiedliche Standards!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann kommen wir zur Frage 18 der Abgeordneten Gottschalck: Welche Kosten für den Streudienst haben die Bundesländer zum 15. Juni 2010 gemeldet, die sie für den Streudienst auf Bundesstraßen im Winter 2009/2010 zu tragen hatten, und kann die Bundesregierung im Vergleich der Winterperioden 2007/2008 und 2008/2009 einen Anstieg verzeichnen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Liebe Frau Kollegin Gottschalck, aufgrund der Ländermeldungen kann die Bundesregierung eine Änderung der Winterdienstkosten einschließlich des Salzverbrauchs vom Jahr 2007 bis zum Jahr 2010 bestätigen. Ich nenne Ihnen die Zahlen gerne: Für die Winterperiode 2007/2008 betrugen die Winterdiensteinsatzkosten einschließlich des Salzverbrauchs 133 Millionen Euro; insgesamt wurden 555 000 Tonnen Salz verbraucht. Für die Winterperiode 2008/2009 betrugen die Winterdiensteinsatzkosten 182 Millionen Euro, und 863 000 Tonnen Salz wurden verbraucht. Die Winterperiode 2009/2010 hat den Winterdienst 258 Millionen Euro gekostet; dabei sind 1,387 Millionen Tonnen Salz verbraucht worden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage, Frau Gottschalck? Ulrike Gottschalck (SPD): Herr Mücke, vielen Dank für die Beantwortung. - Können Sie mir noch sagen, wie die Empfehlung des Bundes und der Länder an die Autobahnmeistereien aussieht, um sicherzustellen, zukünftig noch effektiver Winterdienst leisten zu können? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der Bundesverkehrsminister hat auf der Verkehrsministerkonferenz seine Länderkollegen gebeten, besondere Obacht auf dieses Problem zu legen und sich frühzeitig insbesondere mit Streusalz zu bevorraten. Die Bundesländer haben uns zugesichert, dass eine ausreichende Bevorratung gegeben ist bzw. dass solche Lieferverträge abgeschlossen worden sind, die eine kontinuierliche Belieferung der Straßenmeistereien und Autobahnmeistereien auch bei länger andauerndem Winter garantieren. Deshalb gehen wir davon aus, dass die getroffenen Vorkehrungen ausreichend Gewähr dafür bieten, den Winterdienst effektiv durchführen zu können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben keine weitere Nachfrage. Dann kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Gottschalck: Ist der Bundesregierung bekannt, in wie vielen Fällen es seit dem Wintereinbruch im Dezember 2010 zu Behinderungen des Bahnverkehrs an Bahnübergängen kam, weil aufgrund der Verwendung von Streusalz an Bahnübergängen sich das Verhalten der elektrischen Kontakte, über die die Bahnschranken ihr Signal erhalten, veränderte und ein Kurzschluss ausgelöst wurde? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Auf Ihre Frage kann ich Ihnen antworten: Der Bundesregierung sind keine Fälle bekannt, in denen aufgrund der Verwendung von Streusalz Kurzschlüsse in den elektrischen Bahnübergangsanlagen vorgekommen sind. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es gibt keine Nachfrage dazu. Die Fragen 20 und 21 der Kollegin Ute Kumpf werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 22: Wie will die Bundesregierung als Eigentümer der Deutschen Bahn AG, DB AG, angesichts der erneuten winterbedingten Probleme im Zugverkehr sicherstellen, dass künftig nur noch witterungsresistente Materialien in der Fahrzeugflotte sowie beim Neubau bzw. der Instandhaltung des Netzes zum Einsatz kommen? Herr Staatssekretär, bitte. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Burkert, die Festlegung der Einzelheiten bei der Beschaffung von Fahrzeugen sowie beim Bau bzw. bei der Instandhaltung der Schieneninfrastruktur liegt ausschließlich in der Verantwortung des Unternehmensvorstands. Der Bund nimmt hierauf keinen Einfluss. Im Übrigen wird auf die Entscheidung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Auslegung der §§ 105 und 108 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verwiesen. Ich empfehle Ihnen dazu auch die Drucksachen 13/6149 und 16/8467. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte, Herr Burkert. Martin Burkert (SPD): Ich habe eine Nachfrage, Herr Staatssekretär. Ist die Bundesregierung als 100-prozentige Eigentümerin der Deutschen Bahn AG bereit oder denkt sie darüber nach, zweckgebundene Mittel zur Verfügung zu stellen, um witterungsbedingte Probleme bei der Deutschen Bahn AG zukünftig auszuschließen oder zumindest besser in den Griff zu bekommen? Denkt die Bundesregierung darüber nach, die Dividende, die sie jährlich von der Deutschen Bahn AG in Höhe von 500 Millionen Euro bekommen möchte, abzuschmelzen, um witterungsbedingten Einflüssen entgegenzuwirken? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Zur ersten Teilfrage kann ich Ihnen sagen, dass sich dieser Bereich ausschließlich auf die unternehmerische Verantwortung der Deutschen Bahn AG bezieht. Deshalb ist hier vor allen Dingen der Vorstand gefragt. Sie kennen die Regelungen des Aktiengesetzes und die Befugnisse des Vorstandes bzw. des Aufsichtsrates. Wir gehen davon aus, dass der Vorstand der Deutschen Bahn AG Vorsorge treffen wird, um sein rollendes Material weniger witterungsanfällig zu machen. Soweit ich informiert bin, gibt es entsprechende Bemühungen des Vorstandes in diesem Bereich. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine weitere Nachfrage? Martin Burkert (SPD): Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. Wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG bei den Auftragsvergaben, was den Materialpark angeht, darauf achten, dass Qualität Vorrang vor dem Preis haben wird, um zukünftig Wintermängel auszuschließen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nein, die Vergabe ist keine Aufgabe des Aufsichtsrates. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann sind wir bei Frage 23 des Kollegen Martin Burkert: Werden Mittel aus dem Einzelplan 12 des Bundeshaushalts speziell für die Witterungsresistenz des Bestandsnetzes der DB AG verwandt, und gibt es spezielle Anstrengungen der Bundesregierung gegenüber der DB AG, Tunnel, wie beispielsweise den Schwarzkopftunnel, gegen Witterungseinflüsse zu schützen? Herr Staatssekretär, bitte. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Nein, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, mit der der Deutschen Bahn AG Mittel für Investitionen im Bestandsnetz zur Verfügung gestellt werden, enthält keine Vorgaben hinsichtlich der Witterungsresistenz. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage dazu? - Bitte schön. Martin Burkert (SPD): Herr Staatssekretär, meine Nachfrage bezieht sich auf den Schwarzkopftunnel, der Ihnen vielleicht als wichtiges Nadelöhr im Schienenverkehr zwischen den Bundesländern Bayern und Hessen bekannt ist. Kennt die Bundesregierung die schwierige bauliche Situation im Schwarzkopftunnel? Ist Ihnen bekannt, dass hier zurzeit täglich Eis von der Tunneldecke abgeschlagen werden muss, um vor allem bei Güterzügen die Sicherheit zu gewährleisten? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Es ist uns bekannt, dass diese Phänomene im Winter in einzelnen Tunneln wegen Haarrissen und anderer baulicher Unzulänglichkeiten auftreten können. Der Deutschen Bahn AG sind mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Mittel zur Verfügung gestellt worden, um diese baulichen Mängel zu beseitigen. Die Deutsche Bahn AG ist verpflichtet, das umzusetzen. Eine direkte Verantwortung der Bundesregierung dafür gibt es nicht. Ich habe schon vorhin auf die unternehmerische Verantwortung der Deutschen Bahn AG verwiesen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? Martin Burkert (SPD): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Martin Burkert (SPD): Angesichts der Tatsache, dass Ihnen die Situation bekannt zu sein scheint, stellt sich die Frage, warum Sie die Zustimmung zur vorliegenden Finanzierungsvereinbarung zum Bau neuer Tunnelröhren, insbesondere des Schwarzkopftunnels, in letzter Sekunde zurückgezogen und die Unterschrift verweigert haben, obwohl der Vertrag schon auf dem Schreibtisch des Ministers lag. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das kann ich jetzt nicht bestätigen; ich müsste nachprüfen, ob es tatsächlich so war. Ich werde Ihnen die entsprechenden Informationen gerne schriftlich zukommen lassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. - Die Fragen 24 und 25 des Kollegen Hans-Joachim Hacker werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 26 und 27 des Kollegen Sören Bartol. Wir kommen zu den Fragen 28 und 29 des Kollegen Hofreiter: Wer ist Eigentümer der für die Mauterhebung erforderlichen Einrichtungen und Anlagen - Mautbrücken, On-Board-Units, Server, Software etc. - nach Auslaufen des aktuellen Betreibervertrages, und wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, das Unternehmen Toll Collect GmbH durch den Bund zu übernehmen? In welcher Form sucht die Bundesregierung nach einem künftigen Betreiber nach Auslaufen des aktuellen Betreibervertrages - öffentliche Ausschreibung, Direktvergabe oder Ähnliches -, und wie ist der Stand der beiden Schiedsverfahren gegen die Toll Collect GmbH? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Hofreiter, nach Auslaufen des aktuellen Betreibervertrages zur Lkw-Maut stehen der Bundesrepublik Deutschland mehrere Optionen zur Verfügung: Erstens: Errichtung eines neuen Mautsystems mit einem neuen Betreiber nach Ausschreibung und Abbau des aktuellen Mautsystems durch Toll Collect. Zweitens: Übernahme und Weiterbetrieb des bestehenden Mautsystems durch die Bundesrepublik Deutschland. Drittens: Weiterbetrieb des bestehenden Mautsystems durch Toll Collect oder einen neuen Betreiber, ebenfalls nach Ausschreibung. Ob und in welcher Form nach einem zukünftigen Betreiber zu suchen ist, hängt davon ab, welche Option die Bundesrepublik Deutschland auswählt. Die Bundesregierung hat hierzu noch keine Entscheidung getroffen. Zum Stand des Schiedsverfahrens nehme ich wie folgt Stellung: Zwischen dem Bund und Toll Collect sind zwei Schiedsverfahren anhängig. Das erste Schiedsverfahren wurde im Herbst 2004 vom Bund gegen das Toll-Collect-Konsortium und dessen Konsorten Deutsche Telekom AG und Daimler Financial Services AG eingeleitet. Der Bund macht in diesem Verfahren im Wesentlichen rund 3,3 Milliarden Euro Schadensersatz für entgangene Mauteinnahmen wegen verspäteter Einführung der streckenbezogenen Lkw-Maut sowie Vertragsstrafen in Höhe von rund 1,65 Milliarden Euro wegen diverser Verletzungen des Betreibervertrages geltend. Die Toll Collect GmbH, die Betreibergesellschaft des Mautsystems, hat im Dezember 2006 gegen den Bund vor demselben Schiedsgericht ein weiteres Schiedsverfahren eingeleitet. Die Toll Collect GmbH macht gegenüber dem Bund im Wesentlichen angeblich ausstehende Betreibervergütungen geltend. Dieses Verfahren nennen wir das zweite Schiedsverfahren. Derzeit findet die ursprünglich für Oktober 2009 angesetzte, dann aber wegen eines unbegründeten Befangenheitsantrages der Toll-Collect-Unternehmen gegen den vom Bund benannten Schiedsrichter verschobene zweite mündliche, mehrtätige Verhandlung zu beiden Mautschiedsverfahren statt. In ihrem Rahmen werden wesentliche Rechts- und Beweisfragen behandelt. In beiden Verfahren hat im Juni 2008 bereits eine erste mündliche Verhandlung stattgefunden. Nach der zweiten mündlichen Verhandlung werden die Parteien Gelegenheit erhalten, zu deren Ergebnis Stellung zu nehmen. Weitere Aussagen zum Fortgang des Verfahrens sind derzeit nicht möglich, weil wir mitten in diesem Verfahren stecken. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Hofreiter, Sie haben jetzt die Möglichkeit, bis zu vier Nachfragen zu stellen. Das müssen Sie aber nicht ausnutzen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie haben zwar die Frage 29 wunderbar beantwortet, die Frage 28 aber überhaupt nicht. Da frage ich, wer nach Auslaufen des Vertrages Eigentümer der für die Mauterhebung erforderlichen Einrichtungen ist. In dem Vertrag muss es eine Endschaftsregelung geben. An wen gehen die Einrichtungen über? Fallen sie zurück an den Betreiber, oder gehen sie in das Eigentum der Bundesrepublik über? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Diese Anlagen gehören der Toll Collect GmbH. Der Bund hat allerdings einen Anspruch auf kostenlose Übertragung, weil diese Anlagen nach Auslaufen des Betreibervertrages abgeschrieben sind. Das heißt, wir haben einen Anspruch darauf, dass diese Anlagen der Bundesrepublik Deutschland kostenfrei übereignet werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ging auch um die sogenannten Mehrwertdienstleistungen. Deswegen haben wir ein relativ aufwendiges Verfahren gewählt. Gibt es denn Hinweise, dass irgendeiner dieser sogenannten Mehrwertdienste von Toll Collect geleistet wurde? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Dafür habe ich keine Hinweise. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter? - Bitte. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie sieht der ungefähre Zeitrahmen aus, den die Bundesregierung sich für die beiden Schiedsverfahren setzt? Es geht um eine erhebliche Summe Geld. Das lässt sich sicher nicht genau abschätzen. Zurzeit befinden wir uns in den mündlichen Verhandlungen. Die Bundesregierung muss aber eine ungefähre Vorstellung vom Zeitrahmen für die beiden Schiedsverfahren haben. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Wenn es nach uns ginge, so schnell wie möglich. Allerdings sind wir auf unsere Partner und das Schiedsgericht angewiesen. Ich kann heute schwerlich einen Endpunkt definieren. Wir haben aber ein großes Interesse daran, dass dieses Problem recht zeitnah geklärt wird. Es ist auch, glaube ich, im Interesse des Steuerzahlers, dass unsere aus unserer Sicht berechtigten Ansprüche befriedigt werden und wir eine entsprechende Einnahme im Haushalt verzeichnen können. Es wäre aber sehr vermessen von mir, heute einen Termin zu benennen, zu dem diese Schiedsverfahren beendet sein werden. Für uns geht es nicht vorrangig darum, schnell ein Ergebnis zu haben, sondern darum, dass es ein gutes Ergebnis ist. Das Gute misst sich insbesondere daran, dass wir möglichst viele unserer Forderungen, die auch finanzieller Art sind, umsetzen können. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass ich keinen Endpunkt nennen kann. Wir wollen zügig zum Ende kommen, aber wir wollen natürlich auch eine möglichst hohe Einnahme aus diesem Schiedsverfahren an den Bundeshaushalt abführen können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie noch eine weitere Nachfrage? - Bitte. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe noch eine weitere Nachfrage. Im Moment ist völlig unabsehbar, wann das Schiedsverfahren endet. Welche Konsequenzen hätte es aus Sicht der Bundesregierung, wenn das Schiedsverfahren bei Auslaufen des Vertrages noch nicht abgeschlossen ist? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Aus meiner Sicht ergeben sich daraus keine wesentlichen Konsequenzen. Das ist eine sehr hypothetische Frage. Wir wissen nicht, wie lange es dauert. Für uns ist dann die Frage, welches Modell wir wählen, zum Beispiel ob wir neu ausschreiben. Das hat aber mit Forderungen, die aus der Anfangszeit des Mautsystems stammen, nichts zu tun. Diese Forderungen halten wir weiter aufrecht, ganz egal, wie lange das Schiedsverfahren dauert. Ich gehe aber davon aus, dass die Schiedsverfahren vor Ablauf der Betreiberverträge entschieden sein werden. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt eine Nachfrage des Kollegen Burkert dazu. Martin Burkert (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie schon heute sagen, wie die Mittel, die nach Abschluss des Schiedsverfahrens zur Verfügung stehen, auf die einzelnen Verkehrsträger - Stichwort: Modal Split - verteilt werden? Die Einnahmen aus der Maut sollen zukünftig allein der Straße zugutekommen, während gegenwärtig auch die Verkehrsträger Wasserstraße und Schiene davon profitieren. Werden die Altmittel zukünftig auch nur in den Verkehrsträger Straße fließen, oder denkt man daran, wenigstens diese Mittel den anderen Verkehrsträgern zu geben? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Dazu kann ich heute noch keine Aussage treffen, weil wir nicht wissen, was das Ergebnis dieses Schiedsverfahrens sein wird. (Martin Burkert [SPD]: Kann ich eine Nachfrage stellen?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nein, Sie dürfen keine Nachfrage stellen, weil dies nicht Ihre eigene Frage ist. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser zur Verfügung. Die Frage 30 des Kollegen Gerd Bollmann wird schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 31 des Kollegen Miersch auf: Welche neuen Erkenntnisse in Bezug auf die Notwendigkeit der Atommülltransporte von Ahaus nach Majak hatte die Bundesregierung zwischen dem 1. Dezember 2010, an dem die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche noch von der Prüfung der Transporte sprach, und dem 6. Dezember 2010, an dem der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, den Transport abgesagt hatte? Frau Staatssekretärin. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Lieber Kollege Miersch, zum Tagesordnungspunkt 14 der Sitzung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages am 1. Dezember 2010 hatte meine Kollegin, die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche, vorgetragen - das geht auch aus Ihrer Frage hervor -, dass das Bundesumweltministerium im Rahmen seiner Zuständigkeit den Sachverhalt umfassend prüfen und mit Blick auf die uns allen gemeinsamen umweltpolitischen Ziele bewerten wird. Diese Prüfungen und Bewertungen, Herr Miersch, wurden durchgeführt. Am 6. Dezember 2010 hat Herr Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen der Presse das Ihnen allen bekannte Ergebnis vorgestellt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Herr Miersch? - Bitte. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, das war der Sachverhalt, der bekannt war. Ich habe aber nach einem anderen Aspekt gefragt und erbitte nun in einer Nachfrage eine Antwort darauf. Die Parlamentarische Staatssekretärin hat am 1. Dezember 2010 in der Tat von dieser Prüfung gesprochen. Der Bundesumweltminister hat in der Fragestunde ebenso von der Prüfung gesprochen. Fünf Tage später wurde dieser Transport abgesagt, obwohl am 1. Dezem-ber auch die Sprecherin gesagt hatte, von Absage könne keine Rede sein. Meine Frage lautet: Welche Prüfung fand zwischen dem 1. und dem 6. Dezember 2010 statt, die letztlich zu der Absage führte? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es ist, wie Ihnen auch aus der Pressemitteilung des BMU vom 6. Dezember 2010 bekannt wurde, geprüft worden, ob die Brennelemente in der russischen Anlage Majak schadlos verwertet werden können. Ich zitiere jetzt Bundesumweltminister Röttgen: Die vorliegenden Unterlagen lassen eine abschließende Aussage dazu nach den Maßstäben des Atomgesetzes gegenwärtig nicht zu. Genau dies wurde geprüft, und zwar nicht erst ab dem 1. Dezember, sondern auch schon vorher. Die Prüfung hat, wie Sie sich denken können - wir haben Gutachten eingeholt etc. -, einen langen Zeitraum gedauert. Deshalb ist Ihre Frage, denke ich, absolut korrekt beantwortet. Es gab die Prüfung, von der meine Kollegin und der Minister gesprochen haben. Die Prüfungen sind am 6. Dezember zu einem Abschluss mit dem Ihnen bekannten Ergebnis gekommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben noch eine Nachfrage? - Bitte sehr. Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich habe eine weitere Nachfrage. - In dieser Absage, die am Montag erfolgte, ist von "gegenwärtig" oder "nach diesem Sachstand" die Rede. Die Frage, die ich in diesem Zusammenhang habe, ist: Ist dieser Transport auf Dauer, also endgültig, abgesagt, oder welche Modalitäten verfolgt das BMU augenblicklich? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das BMU hat, wie Ihnen bekannt ist, die Genehmigung versagt und gesagt - ich zitiere es noch einmal -, dass der Nachweis der schadlosen Verwertung der Brennelemente in Majak nicht gegeben ist. Das bedeutet, dass man die Brennelemente dort nicht schadlos verwerten kann und somit kein Transport stattfindet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich rufe Frage 32 des Kollegen Miersch auf: Ist die Bundesregierung bereit, dem Parlament die in den Bundesländern erstellten Auflistungen von konkreten oder angedachten Nachrüstungen von Atomkraftwerken zur Verfügung zu stellen, sobald diese der Bundesregierung vorliegen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Meine Antwort, Kollege Miersch, lautet: Die Bundesregierung wird den Deutschen Bundestag in geeigneter Weise über die im Zuge der Laufzeitverlängerung vorgesehenen Nachrüstungen informieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Herr Miersch? - Bitte sehr. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, es ging um die Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, uns über die Faktenlage und über die Erkenntnisse, die sie in diesem Zusammenhang hat, vollständig zu informieren und uns dementsprechend auch Gutachten bzw. Unterlagen, die sie hat, vorzulegen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Miersch, Sie können mir glauben, dass das BMU daran interessiert ist, das Verfahren transparent zu gestalten. Ich darf darauf hinweisen, dass die Entwicklung sicherheitstechnischer Nachrüstmaßnahmen für Kernkraftwerke ein sehr dynamischer Prozess ist. Die Anforderungen, die auf der Homepage des BMU veröffentlicht sind, werden anlagenspezifisch konkretisiert werden müssen. Allerdings ist es auch die Aufgabe der Betreiber, die sicherheitstechnischen Verbesserungen ihrer Anlagen zu planen. Das werden Behörden und Sachverständige prüfen. Bisher ist nicht abzusehen, welche Zwischenschritte erfolgen und inwieweit mehr oder weniger umfassende Dokumentationen in Form von Listen vorgenommen werden. Deshalb können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so verfahren, wie Sie es gerne hätten. Aber ich sage Ihnen zu, Sie umfassend über alles zu informieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie noch eine Frage, Herr Miersch? Dr. Matthias Miersch (SPD): Ja. - Diese umfassende Information hätte ich mir - Sie werden das vielleicht anders beurteilen - am 1. Dezember dieses Jahres erhofft, als es um den Atomtransport nach Majak ging; das ist ein kleines Beispiel. Fünf Tage später lesen wir Parlamentarier dann etwas anderes. Insofern will ich diese Gelegenheit nutzen, um diese Informationsflut gewissermaßen bei Ihnen abzugreifen. Ich frage Sie: Schließen Sie aus, dass dann, wenn die erforderlichen Nachbesserungen an der Anlage in Majak vorgenommen werden, eventuell doch noch ein Transport dorthin stattfindet? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ihre Nachfragen beziehen sich auf die Frage nach den sicherheitstechnischen Anforderungen bei der Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Es geht um Kernkraft allgemein, Entschuldigung!) - Nein, um Atomkraftwerke, wenn ich aus Ihrer Frage zitieren darf. - Ich habe Ihnen zugesagt, dass ich Ihnen umfangreiche Informationen zur Verfügung stelle. Das können Sie mir glauben. Dieses Thema können wir in einer der kommenden Sitzungen des Umweltausschusses auch gerne besonders behandeln. Was Majak angeht, habe ich Ihnen schon erläutert, dass die Prüfung am 1. Dezember dieses Jahres noch nicht abgeschlossen war. Das ist mehrfach betont worden, von meiner Kollegin und vom Minister. Sie müssen uns zugestehen, dass wir die Prüfung erst einmal abschließen müssen, bevor wir zu einem Ergebnis kommen. Ich kann verstehen, dass Sie sich gewünscht hätten, dass die Prüfung schon am 1. Dezember dieses Jahres abgeschlossen gewesen wäre. Aber sie war es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sondern erst sechs Tage später. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt gibt es noch eine Nachfrage der Kollegin Steiner. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön für diese Möglichkeit. - Das, was Sie gerade sagten, ist genau das Problem. Eigentlich hieß es schon, der Transport geht auf die Reise, um es einmal leger auszudrücken, aber es gelingt uns nicht, im Umweltausschuss nicht und auch heute nicht, nähere Informationen darüber zu bekommen. Deswegen möchte ich in Bezug auf die sicherheitstechnischen Maßnahmen, über die Sie mit Abteilungsleitern in einer Telefonkonferenz gesprochen haben, fragen: Was haben Sie in diesem Rahmen hinsichtlich des konkreten Vorgehens bezüglich der Nachrüstung von Atomkraftwerken vereinbart? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich finde es nett, dass Sie jetzt eine Frage Ihrer Kollegin Kotting-Uhl, die konkret nach dieser Telefonkonferenz gefragt hat, jetzt aber nicht hier ist, aufgreifen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass in dieser Telefonkonferenz, die im Übrigen am 8. September dieses Jahres stattgefunden hat, keine Vereinbarungen zum weiteren Vorgehen getroffen wurden. Der Bund hat kein Protokoll dieser Telefonkonferenz angefertigt. Deshalb kann ich Ihnen dazu nicht mehr sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt gibt es eine weitere Nachfrage des Kollegen Schwabe. Frank Schwabe (SPD): Frau Staatssekretärin, Sie haben jetzt versucht, zumindest den Zeitraum vom 1. Dezember bis zum 6. Dezember dieses Jahres zu beleuchten. Was für die Zeit danach dauerhaft folgt, habe ich immer noch nicht verstanden. Deswegen will ich nachfragen: Können Sie zusagen, dass der Transport nach Majak dauerhaft nicht stattfindet: ja oder nein? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich darf darauf hinweisen, dass wir uns vorhin bereits mit dieser Frage beschäftigt haben. Da jetzt verschiedene Fragen durcheinandergeworfen werden, halte ich fest: Ich habe vorhin gesagt, dass der Nachweis der schadlosen Verwertung in der Anlage in Majak nicht vorliegt. Es kann natürlich sein, dass dieser Nachweis irgendwann in ferner Zukunft vorliegt. Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht beurteilen. Wir haben heute zu entscheiden, ob eine Genehmigung zur Ausfuhr erteilt wird. Diese ist nicht erteilt worden, und deshalb erfolgt kein Transport nach Majak. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Fragen 33 und 34 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 35 des Kollegen Oliver Krischer. Ich rufe die Frage 36 der Kollegin Dorothea Steiner auf: Besteht die Bundesregierung weiterhin auf ihren Ausführungen, dass mögliche Zusammenhänge zwischen den gehäuften Krebsfällen in der Samtgemeinde Asse und dem dortigen atomaren Lager gänzlich ausgeschlossen werden können? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich bin der Kollegin Steiner dankbar dafür, dass sie die Frage gestellt hat, sodass wir jetzt im Rahmen der Fragestunde vielleicht noch einmal den einen oder anderen Sachverhalt im Zusammenhang mit den Krebsfällen in der Samtgemeinde Asse besprechen können. Frau Steiner, vorweg möchte ich zunächst sagen: Eine Aussage dazu - ich zitiere jetzt aus Ihrer Frage -, "dass mögliche Zusammenhänge zwischen den ... Krebsfällen in der Samtgemeinde Asse und dem dortigen atomaren Lager gänzlich ausgeschlossen werden können", wurde seitens der Bundesregierung nicht getroffen. Eine derartige Aussage kann aufgrund genereller erkenntnistheoretischer Grenzen wissenschaftlicher Aussagen seriös auch nicht getroffen werden. Allerdings kann nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen der Umgebungsüberwachung der beobachtete Anstieg der Anzahl der Krebsfälle in der Samtgemeinde Asse nicht durch die Strahlenbelastung der Asse erklärt werden; denn die Strahlenbelastung - das wissen Sie - wird seit 1966 erfasst, und die bisherige Umgebungsüberwachung nach der Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer Anlagen und die Messungen der Umweltradioaktivität im Rahmen des integrierten Mess- und Informationssystems in der Umgebung der Asse zeigen keine messbaren Einträge von radioaktiven Stoffen aus der Schachtanlage Asse II oder andere Auffälligkeiten. Messbare Effekte in der Umgebung resultieren aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl bzw. sind auch natürlichen Ursprungs. Die gemessene Hintergrundstrahlung - das habe ich in der vorvergangenen Woche schon als Antwort auf eine Frage der Kollegin Höhn gesagt - kann nach den vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnissen über die Entstehung der entsprechenden Krebserkrankungen nicht Ursache der erhöhten Krebshäufigkeit sein, da die Dosis 10 000 Mal höher sein müsste. Heute - Frau Steiner, ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, ob das schon geschehen ist - soll der Bericht des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen über Krebshäufigkeiten in der Umgebung der Asse veröffentlicht werden, der morgen auch von einer Expertengruppe des Landkreises diskutiert wird. Darüber hinaus soll er von der Strahlenschutzkommission und vom Bundesamt für Strahlenschutz geprüft und bewertet werden. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt, dass die Anzahl der Krebsfälle gestiegen ist, aber wir kennen die genauen individuellen Daten natürlich noch nicht, das heißt, wir wissen noch nicht, welchen besonderen Expositionen die Erkrankten ausgesetzt waren. Es sind ganz besonders diese Fragen, die wir in diesem Zusammenhang beantworten müssen. Wir erhoffen uns von dem heute vorgestellten Bericht des Krebsregisters eine genauere Aufklärung darüber, aber, wie gesagt, ich kenne den Bericht zum jetzigen Zeitpunkt eben noch nicht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage der Kollegin Steiner? Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. - Das ist schade, weil es jetzt wirklich schön gewesen wäre, wenn ich diese Zahlen in die Nachfrage hätte mit einbeziehen können. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Da stimme ich Ihnen sogar zu. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte ein Stück weiter vorne anfangen. Mit dem, was Sie gerade gesagt haben, haben Sie sich auch in der Braunschweiger Zeitung zitieren lassen. Sie haben einfach einen Umkehrschluss vorgenommen und gesagt: Nach dem, was wir wissen, müsste die Dosis 10 000 Mal höher sein als beobachtet, um Krebsfälle auf Strahlenbelastung zurückführen zu können. - Das haben Sie auch damit begründet, dass die Umgebung der Asse seit 1966 - Zitat - "lückenlos" erfasst wird. Wir halten es für sehr fraglich, dass dies lückenlos erfolgt ist. Ich glaube, es ist eher so, dass man zwar die Strahlung erfasst hat, dass man aber bis heute nicht weiß, ob und wie die radioaktiv belasteten Laugenabflüsse in die Biosphäre gelangen. Deswegen kann man nicht von einer lückenlosen Erfassung ausgehen. Das war der Hintergrund unserer Frage, und ich muss hier schon noch einmal nachhaken: Haben Sie tatsächliche Belege dafür, dass Sie ausschließen können, dass diese Krebsfälle durch Strahlenbelastung verursacht sind? Es ist doch ein nennenswertes Krebsrisiko: Das Risiko, an Leukämie zu erkranken, ist zweimal so hoch wie sonst üblich, und das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, ist dreimal so hoch. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Da stimme ich Ihnen zu. Ich habe gesagt, dass es bei den beiden Erkrankungen in der Tat eine auffällige Häufung ist. Schilddrüsenkrebs beispielsweise kann ganz klar durch radioaktives Jod ausgelöst werden. Unsere Experten sagen - darauf muss ich mich jetzt beziehen -, dass so etwas in der Asse nicht vorgefunden wurde. Ich werde aber Ihrer Frage nach den Laugen noch einmal gesondert nachgehen und Ihnen dazu in Kürze eine Antwort zukommen lassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau Steiner? Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, zu dem angesprochenen, heute vorzustellenden Ergebnis. Selbst wenn Sie die Ergebnisse noch nicht kennen und vermitteln können, wollen wir natürlich wissen, ob es gelungen ist, die Faktoren Alter, Familiengeschichte, Art der Erkrankung, Beruf und Wohnort mit einzubeziehen, ob man es also auf diese Art und Weise individualisieren konnte, und ob man die Daten - das ist gerade vor dem Hintergrund des nicht geklärten Austritts in die Biosphäre wichtig - in den angrenzenden Gemeinden ebenfalls erfasst hat. Ich nenne einmal die Gemeinden - Sie kennen sie vielleicht auch -: Sickte, Schöppenstedt, Baddeckenstedt, Schladen und Cremlingen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Letzteres kann ich Ihnen nicht beantworten. Das muss ich nachholen; das werde ich zügig tun. Was den ersten Teil der Frage angeht, so waren es in der Tat Bemerkungen, die wir auch gegenüber Niedersachsen gemacht haben, Fragestellungen, die uns interessieren, zumal sich unsere Strahlenschutzkommission ebenfalls mit den Fällen befassen wird. Inwieweit das tatsächlich eingegangen ist, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage des Kollegen Miersch. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe dann auch noch eine!) - Sie haben schon zwei gestellt, Frau Steiner. Deswegen können Sie keine weitere Frage stellen. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, wir haben Agenturmeldungen von heute entnehmen können, dass die Strahlenbelastung in der Asse weit höher sein soll, als bislang angenommen. Welche Erkenntnisse liegen dem Ministerium derzeit vor? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Mir persönlich liegen jetzt noch keine genauen Erkenntnisse darüber vor, außer den Meldungen, die, glaube ich, gestern gekommen sind und heute in den Zeitungen zitiert worden sind. Wir werden dem sehr ernsthaft nachgehen. Sie wissen, dass das auch Auswirkungen auf unseren Plan hat, die Fässer aus der Asse herauszuholen. Ich warte dazu eine Stellungnahme des Bundesamtes für Strahlenschutz ab. Dessen Sprecher hat gestern mitgeteilt, dass die Belastungen dort entsprechend höher sind. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage des Kollegen Ott. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Müssten Sie Ihre eben gemachten Äußerungen nicht im Hinblick auf die Tatsache hinterfragen, dass die Organisation IPPNW berichtet hat, dass eine statistische Auswertung der lebendgeborenen Kinder im Umfeld der Asse für die Jahre 1971 bis 2009 ein Zahlenverhältnis von 142 Jungen zu 150 Mädchen ergeben hat? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Auch diese Meldung ist mir bekannt. Wir werden dem natürlich unter Berücksichtigung der entsprechenden Fragestellungen nachgehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. - Ich rufe jetzt die Frage 37 des Abgeordneten Kaczmarek auf: Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung das in der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt formulierte Ziel - bis 2020 sind Fließgewässer und ihre Auen in ihrer Funktion als Lebensraum so weit gesichert, dass eine für Deutschland naturraumtypische Vielfalt gewährleistet ist - erreichen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Kollege Kaczmarek, mit der Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie soll der Zustand auch der Fließgewässer in Deutschland verbessert werden. Die ersten Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme nach dieser Richtlinie wurden für die zehn für Deutschland relevanten Flussgebiete fristgemäß Ende 2009 aufgestellt. Sie befinden sich zurzeit in der Umsetzung. Mit der Verbesserung des Gewässerzustands wird auch zum Ziel der Erhaltung und Verbesserung der biologischen Vielfalt beigetragen. Mit dem im Herbst 2009 vorgelegten Auenzustandsbericht hat die Bundesregierung die Datengrundlage für eine wirksame Auenentwicklung vorgelegt, für die alle Gebietskörperschaften, vor allem Länder und Gemeinden, verantwortlich sind. Die Bundesregierung wird im Rahmen des Bundesprogramms "Biologische Vielfalt" Modellprojekte zur Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt fördern. Mit "chance.natur", der Bundesförderung zur Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung und mit einem jährlichen Fördervolumen von 14 Millionen Euro, leistet das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit einen wichtigen Beitrag zur Sicherung und Aufwertung auch von Fließgewässern und Auen in ihrer Funktion als zentrale Lebensräume für zahlreiche Arten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr. Oliver Kaczmarek (SPD): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung meiner Frage. - Ich möchte auf den Indikatorenbericht zur nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt zurückkommen. Sie weisen darin aus, dass Sie den Indikatorenwert für die größeren Flussauen von 19 auf 29 Prozent anheben wollen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Angesichts der Ergebnisse des Gipfels von Nagoya, die erfreulicher ausgefallen sind als erwartet, möchte ich Sie aber fragen, ob es innerhalb des Bundesumweltministeriums Überlegungen gibt, bei den Indikatorenzielen noch einen Schritt voranzugehen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es hat uns in der Tat sehr gefreut, dass wir in Nagoya zu einem wirklich guten Abschluss gekommen sind. Wir werden innerhalb des Hauses sicherlich weiter beraten, wie wir mit vielen einzelnen Punkten des Gipfels in Nagoya umgehen. Wir sind zurzeit damit befasst, zumal wir bereits in der Umsetzungsphase sind. Inwiefern der Indikatorenbericht dabei eine Rolle spielen wird, kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? Oliver Kaczmarek (SPD): Nein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann rufe ich die Frage 38 des Kollegen Oliver Kaczmarek auf: Was tut die Bundesregierung, damit, wie in der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt angestrebt, 100 Prozent der Wasserkörper einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand erreichen, obwohl nach Meinung verschiedener Experten dieses Ziel nicht mehr realisierbar ist? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich darf kurz auf meine andere Antwort verweisen, Herr Kaczmarek. Ziel der Wasserrahmenrichtlinie ist der gute ökologische und chemische Zustand. Im Maßnahmenprogramm der Bundesländer und in den Planungen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sind zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung des ökologischen Zustands vorgesehen. Erst nach deren Umsetzung - das müssen wir leider sagen -, die sich über mehrere Jahre erstrecken wird, können wir tatsächlich beurteilen, ob und wann der gute ökologische Zustand erreicht ist. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dazu haben Sie eine Nachfrage. Oliver Kaczmarek (SPD): Der Indikatorenbericht weist hierzu auf, dass zum einen die Verbauung von Fließgewässern ein Grund für den nicht guten ökologischen Zustand der Fließgewässer ist. Deswegen habe ich zum einen die Frage: Gibt es Überlegungen innerhalb der Bundesregierung hinsichtlich einer ressortübergreifenden Strategie, beispielsweise mit dem Verkehrsministerium? Im Anschluss daran habe ich die Frage, wie Sie mit den Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft umgehen wollen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Was die ressortübergreifende Strategie angeht, ist es gut, denke ich, sich mit dem Verkehrsministerium abzustimmen. Dem werde ich nachgehen. Die Nährstoffeinträge in der Landwirtschaft sind ein immerwährendes Thema. Ich war vorher im Landwirtschaftsressort und kann vielleicht auch von dieser Seite das eine oder andere dazu sagen. Wie Sie wissen, haben wir uns im Zuge der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik sicherlich noch mit dem Thema "besondere Umweltmaßnahmen" zu befassen. Vielleicht kann man Ihre Anregungen aufnehmen, das Thema Nährstoffeinträge entsprechend zu berücksichtigen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben keine weitere Nachfrage dazu. Das hat jetzt bestimmt auch die Schulklasse aus Neudietendorf besonders interessiert, über deren Anwesenheit auf der Tribüne ich mich sehr freue. Wir kommen zur Frage 39 des Kollegen Hermann Ott: Wie erklärt der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, die Diskrepanz zwischen ihm, der in seiner Rede auf der Klimaschutzkonferenz in Cancún davon sprach, dass der Klimaschutz in Deutschland in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft angekommen sei und nicht als Bedrohung, sondern als Chance begriffen werde, und seinem Kabinettskollegen Rainer Brüderle, der noch kürzlich in Einklang auch mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. eine Pause beim Klimaschutz gefordert hat und die vermeintlichen Risiken und nicht die Chancen von Klimaschutz betont, und hat sich die Meinung des Kabinettskollegen Rainer Brüderle diesbezüglich mittlerweile geändert? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich bitte darum, die Fragen 39 und 40 gemeinsam beantworten zu dürfen, da sie in einem thematischen Zusammenhang stehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann rufe ich auch die Frage 40 auf: Hat sich in diesem Zusammenhang die Position der Bundesregierung bezüglich einer unkonditionierten Erhöhung des EU-Reduktionszieles auf 30 Prozent geändert? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Auf der Grundlage der Veröffentlichung der Mitteilungen der EU-Kommission vom 26. Mai 2010 mit dem Titel "Analysis of options to move beyond 20 % greenhouse gas emission reductions and assessing the risk of carbon leakage" befasst sich die Bundesregierung mit der von der EU-Kommission vorgelegten Analyse. Darin geht es um die Sie bewegende Frage des unkonditionierten 30-Prozent-Ziels. Die Bundesregierung hält es für nötig, dass sich der Rat und erforderlichenfalls auch der Europäische Rat Anfang 2011 wieder mit dieser Frage befassen werden. Diese Debatte sollte auch in den Kontext der gegebenenfalls bis dahin veröffentlichten Roadmap 2050 der EU-Kommission zur Umsteuerung in eine kohlenstoffarme Wirtschaft innerhalb der Europäischen Union gestellt werden. Deutschland steht hinter dem international vereinbarten Ziel, dass die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren, und bekräftigt sein Ziel, in Deutschland die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Auf dieser Basis wird sich Deutschland an der weiteren Diskussion zum EU-Klimaschutzziel beteiligen. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung sollen - jeweils gegenüber 1990 - bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent und entsprechend der Zielformulierung der Industriestaaten bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert werden. Das entspricht nach der im Energiekonzept der Bundesregierung beschlossenen klimaschutzpolitischen Zielsetzung folgendem Entwicklungspfad bei der Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2050 - das ist einmalig -: minus 55 Prozent bis 2030, minus 70 Prozent bis 2040 und minus 80 bis 95 Prozent bis zum Jahr 2050. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ott, Sie dürfen eine von maximal vier Nachfragen stellen. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Das war zwar eine äußerst wortreiche, dennoch nicht ganz zufriedenstellende Antwort. Es geht in dieser Frage um die Unterschiede in der Bewertung durch BMU und durch BMWi. Gibt es in Ihrem Hause Erkenntnisse darüber, wie angesichts des europäischen 20-Prozent-Ziels die Emissionsminderungen in den Sektoren aussehen müssten, die nicht vom Emissionshandel gedeckt sind? Diese 20 Prozent sind für die deutsche Industrie festgelegt. Wenn Deutschland das 40-Prozent-Ziel erreichen will, die vom europäischen Emissionshandelssystem erfassten Sektoren - für immerhin fast die Hälfte der Emissionen verantwortlich - aber nur 20 Prozent erreichen müssen, dann muss in den anderen Sektoren, zum Beispiel beim Verkehr oder in den Haushalten, entsprechend mehr reduziert werden. Haben Sie hierzu Berechnungen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Nein, hierüber habe ich keine Kenntnis. Allerdings weise ich nochmals darauf hin, dass wir das 40-Prozent-Ziel haben. Es gibt das Integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung, das umgesetzt wird, um die 40 Prozent Emissionsreduktionen zu erreichen. Deutschland beteiligt sich an der europäischen Debatte auch vor dem Hintergrund seines eigenen 40-Prozent-Ziels. Wir werden Anfang nächsten Jahres sicherlich eine spannende Debatte in der Europäischen Union erleben. Meine, wie Sie es formuliert haben, ausführliche Antwort deutet bereits an, dass wir in verschiedenen europäischen Gremien über diese Angelegenheit noch weiter beraten werden. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte noch einmal nachfassen - diese Angelegenheit ist für Ihre Verhandlungen mit dem BMWi sehr wichtig -: Welche Reduktionsleistungen müssen die Sektoren, die nicht vom Emissionshandelssystem ETS erfasst werden, in Deutschland erbringen, falls Deutschland bei 40 Prozent bleibt, das europäische Ziel aber 20 Prozent vorgibt? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe den Prozess, in dem wir uns derzeit befinden, bereits skizziert. Wir sind dabei, Daten, Grundlagen etc. zusammenzustellen, um diese in den europäischen Prozess Anfang des kommenden Jahres einfließen zu lassen. Wir haben aus Cancún die zusätzliche Verpflichtung zur Einhaltung des 2-Grad-Ziels mitgebracht. Auch dieses Thema müssen wir in entsprechende Berechnungen, Vorstellungen und Debatten einbeziehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ott, haben Sie noch eine weitere Nachfrage? Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. - Vielleicht können Sie im Hause anregen, dass eine solche Untersuchung von Ihnen durchgeführt wird. Das könnte sehr überzeugend wirken. Nicht ganz zufälligerweise ist das Wirtschaftsministerium ähnlicher Auffassung wie der BDI, der gerade noch einmal davor gewarnt hat, dass Deutschland zu schnell vorprescht. Das widerspricht ganz direkt den Vorstellungen des Ministers, der in Cancún noch einmal deutlich herausgestellt hat, wie wichtig die grüne neue industrielle Revolution für die Wirtschaft Deutschlands ist. Sind Sie mit dem BDI im Gespräch, um ihn von dem zu überzeugen, was Ihrer Ansicht nach die Meinung der Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag sein soll? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: In Vorbereitung auf Ihre heutige Frage habe ich mich natürlich im Wirtschaftsministerium vergewissert, dass wir alle gemeinsam daran interessiert sind, eine gute Lösung für den Klimaschutz zu finden. Ich bitte jetzt aber um Nachsicht, dass ich nicht für das Bundeswirtschaftsministerium antworten kann, und danke Ihnen ganz herzlich für die gute Darstellung der Positionen des Bundesumweltministers. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben keine weitere Frage? - Dann rufe ich den Kollegen Miersch auf. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, der Kollege Ott hat eben auf die Widersprüche innerhalb der Regierung hingewiesen. Wir wissen auch, dass hier im Parlament bei CDU/CSU und FDP sogenannte Klimaskeptiker sitzen sollen. Meine Frage zum 30-Prozent-Ziel der Europäischen Union lautet daher: Strebt das Bundesumweltministerium an, dass das Kabinett die Kanzlerin mandatiert, unkonditioniert für das 30-Prozent-Minderungsziel auf der europäischen Ebene einzutreten? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir befinden uns, Kollege Miersch, zurzeit in intensiven Gesprächen mit anderen Ressorts in Vorbereitung auf die europäische Debatte. Die Position des Umweltministers ist Ihnen bekannt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Schwabe. Frank Schwabe (SPD): Geschätzte Staatssekretärin, wir waren mit einer Delegation des Deutschen Bundestages in Cancún und haben den Umweltminister begleitet. Er hat von einem großen Erfolg gesprochen. Seine Euphorie teile ich so nicht; aber es war sicherlich ein wichtiger Schritt. Ein Teil dieses wichtigen Schrittes ist, dass sich die Kioto-Staaten darauf verständigt haben, bis 2020 Reduktionsverpflichtungen in Höhe von 25 bis 40 Prozent, basierend auf dem Jahr 1990, einzugehen. Teilen Sie meine Position, dass vor diesem Hintergrund die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union keine andere Chance haben, sich auf ein Ziel jenseits der 25 Prozent festzulegen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Dies wird die Debatte innerhalb der Europäischen Union in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Ich denke, dass unser 40-Prozent-Ziel ein guter Ansatz für die Debatte in der Europäischen Union ist. Ich persönlich wünsche mir, dass andere Länder unserem Beispiel folgen werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann kommen wir zu Frage 41 des Abgeordneten Frank Schwabe: Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, damit die Europäische Union ihr Klimaschutzziel auf 30 Prozent Minderung bis 2020 erhöht? Frau Staatssekretärin, zur Antwort. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wenn der Kollege Schwabe einverstanden ist, verweise ich auf meine Antworten auf die Fragen des Kollegen Ott. Im Übrigen hält die Bundesregierung anspruchsvolle Klimaschutzziele für Industriestaaten und Schwellenländer für erforderlich, um dem globalen Klimawandel wirksam zu begegnen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die ebenfalls im Energiekonzept der Bundesregierung enthaltenen Formulierungen zum Klimaschutz sowie zur Notwendigkeit der Umstrukturierung der Energieversorgung verweisen. Ich habe gerade bei der Beantwortung der Fragen des Kollegen Ott die Klimaschutzziele, die im Energiekonzept ausdrücklich genannt sind, aufgezählt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Herr Schwabe. Frank Schwabe (SPD): Sie haben gerade ausgeführt, dass Sie sich wünschen, dass es in der Europäischen Union eine Zielverschärfung gibt. Danach habe ich aber gar nicht gefragt. Einer der zahlreichen Beschlüsse in Cancún sieht vor, dass sich die Kioto-Staaten verpflichten, sich im Rahmen einer Spanne von 25 bis 40 Prozent zu bewegen. 30 Prozent finde ich in diesem Zusammenhang nicht besonders ambitioniert. Meine Frage lautet: Sind auch Sie vor dem Hintergrund der Beschlüsse von Cancún der Meinung, dass die Europäische Union und damit auch die Bundesregierung keine andere Chance haben, als sich mindestens in der genannten Spanne zu bewegen? Man könnte sich natürlich auf 25,1 Prozent anstatt auf 30 Prozent festlegen. Das würde ich für falsch halten. Aber interpretieren Sie genauso wie ich diese Beschlüsse so, dass es nun einen Automatismus geben muss und dass sich die Bundesregierung und die Europäische Union auf ein Ziel jenseits der 25 Prozent festlegen müssen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zum Ersten wollen wir in Deutschland ganz klar das 40-Prozent-Ziel erreichen; darin stimmen Sie mir sicherlich zu. Zum Zweiten liegt uns eine Mitteilung der Kommission als Debattengrundlage für die nächsten Räte zum Thema - um es verkürzt auszudrücken - "unkonditioniertes 30-Prozent-Ziel innerhalb der Europäischen Union" vor. Zum Dritten haben wir in der Tat in Cancún klare Beschlüsse mitbekommen, die uns vorgeben, unsere Verpflichtungen zu überprüfen. All dies wird in den nächsten Wochen und Monaten, wie ich es schon mehrfach ausgeführt habe, erfolgen. Wir befinden uns in intensiven Ressortgesprächen. Ich persönlich bin zuversichtlich, dass diese Gespräche zu einem guten Ende führen werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte. Frank Schwabe (SPD): Ich habe verstanden, dass Sie jetzt noch nichts zur Position der Bundesregierung sagen können. Mich würde in der Tat interessieren, ob wir Kenntnis über die Strategie der Bundesregierung bekommen werden. Wird die Bundesregierung vor den Beschlüssen, die auf europäischer Ebene zu fassen sind, im Rat eine Position einnehmen, oder strebt die Bundesregierung an, erst im Rahmen der Verhandlungen, also möglicherweise erst auf dem Gipfel, zu einer solchen Positionierung kommen? Der Zeitplan würde mich schon interessieren. Wann erfahren Sie den Zeitplan? Wann reden Sie mit uns darüber? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich rede sehr gerne mit Ihnen darüber. Wir können uns beispielsweise mit den Berichterstattern aus dem Umweltausschuss und mit weiteren Interessierten treffen, um über die Umsetzung der Ergebnisse von Cancún und die Vorbereitung der europäischen Debatte, die Anfang des kommenden Jahres stattfinden wird, zu sprechen. Wie ich bereits gesagt habe, ist unsere klare Aussage: Wir beteiligen uns an dieser Debatte vor dem Hintergrund unseres eigenen 40-Prozent-Reduktions-Ziels. Wie gesagt, nehme ich Ihr Gesprächsangebot sehr gerne auf und rege an, dass wir uns Anfang Januar zusammensetzen, um über entsprechende Vorgaben zu sprechen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Miersch, bitte. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, ich verstehe eine Sache nicht. Sie verweisen auf den Beschluss, 40 Prozent national zu mindern, und trotzdem hakt es mit einem Beschluss des Kabinetts, sich für eine unkonditionierte 30-Prozent-Minderung einzusetzen. Woran hakt es in diesem Kabinett eigentlich? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir haben jetzt die Mitteilung der Kommission bekommen - - (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das haben Sie ja schon gesagt!) - Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Das ist genauso wie eben bei Ihrer Frage nach dem 1. Dezember und dem 6. Dezember. (Martin Burkert [SPD]: Dazwischen liegen fünf Türchen im Kalender!) Sie müssen uns Zeit geben, um innerhalb der Bundesregierung zu guten Ergebnissen zu kommen. Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union, beispielsweise von 20 auf 30 Prozent Treibhausgasemissionseinsparung zu kommen, kann man nicht übers Knie brechen; schließlich muss man sie auch mit verschiedenen Teilen der Wirtschaft besprechen. Kollege Ott hat vorhin angeregt, noch bestimmte Berechnungen durchzuführen. Auch das braucht Zeit. Deshalb bitte ich Sie, uns diese Zeit zu lassen. Ich habe zu Herrn Schwabe gesagt: Ich biete eine zeitnahe Diskussion darüber an; sie soll noch im Januar einsetzen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ott möchte noch eine Frage dazu stellen. Bitte schön. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, ich glaube Ihnen persönlich und auch Ihrem Hause insgesamt, dass Sie sich in Europa für das 30-Prozent-Ziel einsetzen. Sie haben hier eben den Eindruck vermittelt, auch die Bundesregierung tue das. Nun sagen uns aber unsere Freunde in Europa: Das stimmt nicht; Deutschland agiert innerhalb der EU, in Brüssel gegen das 30-Prozent-Ziel. Deshalb meine Nachfrage: Setzt sich die gesamte Bundesregierung in Brüssel für eine Erhöhung des europäischen Minderungsziels auf 30 Prozent ein, oder trifft das nur für Ihr Haus zu? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Noch einmal: Uns liegt eine Mitteilung der Kommission vor, die es zu beraten gilt. Die Bundesregierung bereitet zurzeit vor dem Hintergrund ihres eigenen 40-Prozent-Ziels ihre Stellungnahme und ihren Debattenbeitrag dazu vor. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann sind wir jetzt bei der Frage 42 des Abgeordneten Frank Schwabe: Mit welchen konkreten Handlungen hat sich die Bundesregierung in Cancún für eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls eingesetzt? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Europäische Union hat mit Beschluss des Umweltrats vom 14. Oktober 2010 bekräftigt, dass sie zwar ein einheitliches umfassendes Klimaschutzabkommen bevorzugt, unter bestimmten Bedingungen aber auch bereit sein wird, Verpflichtungen im Rahmen einer zweiten Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls zu prüfen. Zu den von der Europäischen Union hervorgehobenen Bedingungen zählt zum einen die Bereitschaft anderer Länder - das gilt vor allem für große Emittenten wie die USA, aber auch für die Schwellenländer -, ebenfalls Klimaschutzverpflichtungen einzugehen. Zum anderen muss das existierende Regelwerk des Kioto-Protokolls verbessert werden, um seine Umweltintegrität sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist es erstens erforderlich, mögliche Schlupflöcher bei der Anrechnung von Kohlenstoffsenken, insbesondere aus der Forstwirtschaft, zu schließen. Zweitens muss eine Lösung für das Problem der überschüssigen Emissionsrechte gefunden werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich lasse jetzt noch eine Nachfrage des Kollegen Schwabe zu. Nach ihrer Beantwortung sind wir am Ende der Fragestunde angekommen. Frank Schwabe (SPD): Ich muss da insistieren, Frau Staatssekretärin. Es ist interessant, was Sie ausführen; aber gefragt habe ich nach den konkreten Schritten. Wir haben in Cancún gelernt, dass der Bundesumweltminister seine Rolle relativiert hat, indem er deutlich gemacht hat: Deutschland verhandelt an vielen Stellen gar nicht; das macht vielmehr die Europäische Union. Wie hat sich Deutschland eingesetzt? Welche konkreten Verhandlungen gab es? Wie muss man sich das vorstellen? Wo hat sich Deutschland für eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls eingesetzt? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich selbst bin weder beim Umweltministerrat am 14. Oktober 2010 noch in Cancún dabei gewesen. Sie wissen, dass die Europäische Union auf internationalen Konferenzen für ihre Mitgliedstaaten verhandelt, und zwar auf der Grundlage von Beschlüssen, die beispielsweise vom Umweltrat in Form von Mandaten gefasst worden sind, so wie es im Vorfeld von Cancún der Fall gewesen ist. Die Bundesregierung hat sich im Umweltrat entsprechend klar positioniert und die Diskussion über die Ergebnisse von Cancún mit vorangebracht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit ist die Fragestunde beendet, auch wenn Fragen noch nicht erschöpfend beantwortet sind und noch nicht sämtliche Fragewünsche erfüllt sind. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Konsequenzen der Bundesregierung aus der aktuellen PISA-Studie für die Bildungspolitik von Bund und Ländern Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPD-Fraktion. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen bei den Ergebnissen der PISA-Studie eine durchaus positive Tendenz. Wir waren von unseren Ergebnissen her zunächst eher unterdurchschnittlich, und jetzt sind wir im guten Mittelfeld. Das muss man einmal positiv festhalten. Das ist zuallererst das Verdienst derjenigen, die sich in der Schule und um die Schule herum um die Förderung der Schülerinnen und Schüler gekümmert haben. Ihnen gebührt als Erstes unser Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist aber auch ein Stück weit ein Erfolg von Politik, von politischen Rahmenbedingungen. Zwar sind unsere Kolleginnen und Kollegen auf der Länderebene in erster Linie verantwortlich, aber auch die Bundespolitik spielt eine Rolle. Wenn man über die Frage nachdenkt: "Welche Beiträge zu einer besseren Bildung gab es von der Bundespolitik?", fällt einem als Allererstes das Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder ein. Das war ein richtiger Erfolg. Wir wissen, dass Ganztagsschulen helfen. Das zeigt sich auch bei der PISA-Studie. Das muss einmal mit Selbstbewusstsein gesagt werden, (Beifall bei der SPD) auch wenn die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU und der FDP verständlicherweise nicht klatschen, weil sie das Ganztagsschulprogramm damals bekämpft haben. Wenn man sich die Ergebnisse genauer anschaut, fällt auf, dass wir unsere Fortschritte insbesondere den Migranten zu verdanken haben. Sie sind durchaus besser geworden. Das war sehr nötig. Darüber hinaus freut es mich im Zusammenhang mit der Integrationsdebatte, die wir seit einiger Zeit besonders intensiv führen. Die PISA-Ergebnisse zeigen nämlich, dass Bildung hilft, (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) dass Bildung oft den Unterschied ausmacht, dass diejenigen nicht recht haben, die etwa sagen: Es hat doch alles gar keinen Zweck; das ist alles genetisch bedingt. - Wir geben niemanden verloren. Einsatz lohnt sich. Alle haben eine optimale Chance verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir, genauer gesagt: die Schülerinnen und Schüler, sind bei PISA besser geworden, aber nicht gut genug. Es gibt keinen Anlass, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Das betrifft die besonders Schwachen in den Schulen, aber auch diejenigen, die eigentlich zu den Leistungsstärkeren gehören. Die entscheidende Frage für uns im Deutschen Bundestag ist: Trägt diese Regierungskoalition zu künftigen Verbesserungen bei? Die klare Antwort lautet leider: Nein. Die Regierungskoalition macht sogar kontraproduktive Politik. Sie ist nachgerade eine PISA-Gefahr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen bei der FDP - Patrick Meinhardt [FDP]: Die roten Regierungen sind die große Gefahr! Sie sind flächendeckend eine PISA-Gefahr!) - Sie lachen, liebe Kollegen. Es gibt eine ganze Menge Beispiele dafür, dass sich CDU/CSU und FDP geradezu bildungsfeindlich verhalten. Ich denke dabei etwa an das Betreuungsgeld. Sie wollen Eltern Geld dafür geben, dass Kinder nicht in Bildungseinrichtungen geschickt werden. Das ist Irrsinn. Das geht so nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Wo steht das im Koalitionsvertrag? Deswegen brauchen wir eine Leseinitiative, damit man richtig lesen kann!) - Herr Kollege Meinhardt, schauen Sie doch einfach einmal, was die PISA-Siegerländer haben, was wir in Deutschland nicht haben: (Patrick Meinhardt [FDP]: Eigenverantwortliche Schulen! Freiheit der Schulen!) Erstens: längeres gemeinsames Lernen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich weiß, das ist völlig jenseits Ihres Denkhorizonts. Dem wollen Sie sich überhaupt nicht nähern. Aber vielleicht lernen Sie dazu, genauso wie beim Thema Ganztagsschulprogramm. Schauen wir einmal. (Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist Ihre Bildungsideologie!) Zweitens. In den PISA-Siegerländern gibt es eine bessere personelle Ausstattung. Das ist ohne Frage Aufgabe der Länder. (Patrick Meinhardt [FDP]: So ist es!) Aber, Herr Kollege Meinhardt, die Bundespolitik leistet einen Beitrag, indem sie für mehr oder weniger finanzielle Spielräume der Länder sorgt. Ihre unseriöse Finanzpolitik trägt dazu bei, dass den Ländern die Beine weggehauen werden und sie in die Schulen und Kitas gar nicht mehr investieren können. Das ist doch das Problem. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Falsche Politik von falsch regierten Ländern!) Drittens. Die PISA-Siegerländer haben Ganztagsschulen. In diesem Bereich sehe ich bei der Regierungskoalition eine Totalverweigerung: Sie wollen dieses Thema überhaupt nicht anpacken; Sie wollen zusätzliche Ganztagsschulen überhaupt nicht fördern und unterstützen. Das war zuletzt bei der Diskussion um das sogenannte Bildungspaket festzustellen. Ich habe im Ausschuss Ministerin Schavan noch einmal nach direkten Investitionen in die Schulen gefragt. Frau Schavan hat das klipp und klar kategorisch abgelehnt und gesagt: Nein, in Schulen investieren wir nicht. Die Politik, in Gutscheine für Nachhilfe statt direkt in die Bildungseinrichtungen zu investieren, ist der Holzweg der Koalition. So kommen wir nicht weiter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Wer hat denn das Kooperationsverbot beschlossen?) Wir glauben, es ist notwendig, dass der Bund jährlich 10 Milliarden Euro mehr in Bildung investiert. Das ist erreichbar, wenn wir zum Beispiel auf so einen Quatsch wie das von Ihnen geplante Betreuungsgeld verzichten, wenn wir Steuergeschenke an Hoteliers und Erben wieder einkassieren und wenn wir die Vermögenden und Hochverdiener am Steueraufkommen ordentlich beteiligen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Jetzt haben wir die gesamte Ideologie en masse!) Wir wollen Ganztagsschulen. Wir wollen eine bessere personelle Ausstattung. Wir wollen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an den Schulen. Das wäre ein wirklicher Fortschritt. Dann werden die nächsten PISA-Ergebnisse noch besser. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Dann machen Sie das mal endlich in Ihren Ländern!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Marcus Weinberg hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU - Patrick Meinhardt [FDP]: Zeig's ihm!) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schulz, bei Ihnen bin ich immer gespannt, in welche Richtung Ihre Rede geht. (Patrick Meinhardt [FDP]: Ich nicht! Ich weiß das schon vorher!) Sie sagten zunächst, dass es ein Einvernehmen gibt, dass auch Sie gewisse Dinge ganz gut finden und begrüßen. Irgendwann kamen dann die beiden entscheidenden Begriffe: Betreuungsgeld und Ganztagsschulprogramm. Das, was Sie hier abgeliefert haben, war für eine bildungspolitische Debatte aber zu wenig. Darauf sollten Sie dieses Thema nicht reduzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mal gucken, was Sie abliefern!) Ich stimme Ihnen vollkommen zu: Man kann sich über die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie durchaus freuen. Es gab Reformen im pädagogischen Bereich. Sie haben richtigerweise die Schulen und diejenigen, die im pädagogischen Bereich arbeiten, angesprochen. Es dauert sehr lange, bis die eingeleiteten Reformen Wirkung zeigen. Was sind also die Botschaften von PISA? Wir haben nach dem PISA-Schock 2000, der uns alle in eine gewisse Starre versetzt hatte, tatsächlich gelernt, dass wir am Bildungsbereich arbeiten müssen. Das haben wir auch getan. Es gab in der Tat eine "Pisaritis" - im negativen Sinne. Wenn man sich mit finnischen Lehrern unterhält, dann sagen sie: Mit Blick auf die Bildungsimplikationen ist in Finnland die vorschulische Bildung das Entscheidende. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Betreuungsgeld! - Patrick Meinhardt [FDP]: Und die gute Arbeitslosenquote!) Aber die Lehrer in Finnland sagen auch ganz klar: Bei uns gibt es auch Defizite. Fragen Sie die Jugendlichen in Finnland beispielsweise einmal nach den Übergängen in die Berufsausbildung. Dieser Bereich ist dort relativ schwach entwickelt. Auch das koreanische System ist mit dem deutschen System nicht vergleichbar. Ich möchte die Sozialisation der deutschen Kinder nicht mit der Sozialisation koreanischer Kinder vergleichen. Richtig ist: Die PISA-Ergebnisse sind besser geworden, und zwar in allen drei PISA-relevanten Bereichen. Die Lesekompetenz hat sich signifikant verbessert. Für den mathematischen Bereich ist das ähnlich: Seit 2003 haben sich die Ergebnisse signifikant verbessert. Auch in den Naturwissenschaften hat sich die ansteigende Tendenz letztendlich bestätigt; dort liegen die Ergebnisse stabil im oberen Bereich. Das ist gut so. Das sollten wir begrüßen; darüber sollten wir uns freuen. Das ist ein gutes Ergebnis. Insgesamt kann man feststellen: Wenn man sich von Platz 21 auf Platz 16 verbessert hat, ist man zwar vorläufig aus der Abstiegszone heraus, aber es ist latent die Gefahr vorhanden, dass man in diese wieder hineinrutscht. Deshalb muss nachgearbeitet werden. Erste Herausforderung, die wir nach wie vor angehen müssen - das haben Sie angesprochen -, ist das Thema "Kinder mit Migrationshintergrund". Richtig ist, dass der Unterschied zwischen Kindern mit Migrationshintergrund und den Kindern, die in deutschen Familien aufwachsen, von früher 60 Punkte auf nunmehr 20 Punkte geschrumpft ist. Das ist ein Erfolg. Hier hat sozusagen eine Verdichtung stattgefunden. Auf der anderen Seite kann es natürlich nicht sein, dass wir als Gesellschaft es zulassen, dass Kinder mit Migrationshintergrund teilweise ein Jahr Rückstand gegenüber deutschen Kindern haben. Zweite Herausforderung - auch das ist richtig - ist das Problem der sozialen Herkunft. Weiterhin ist es so, dass wir hier in Deutschland Probleme haben. Lediglich 6 Prozent der sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler erreichen in Deutschland ein höheres Leistungsniveau als der Durchschnitt; OECD-weit liegt dieser Wert 2 Prozentpunkte höher. Dritte Herausforderung - das hat gerade die PISA-Studie ergeben - sind die Defizite beim Leseverständnis. Das heißt, im Bereich Lesen und Bewerten von Texten brauchen wir vertiefte Förderprogramme. Ich will gleich einige erwähnen, die wir als Bundesregierung auf den Weg gebracht haben. Was ist also unsere Zielsetzung? Hier unterscheiden wir uns schon ein wenig von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie fordern immer ein Ganztagsschulprogramm. Sie wollen, dass alle Kinder in einer Einheitsschule lernen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Gemeinschaftsschule!) Wir treten für Chancengerechtigkeit und Leistungsanreize ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das spiegelt sich dann auch in der politischen Ausrichtung wider. Eine kleine Bemerkung sei noch zu Ihren Ausführungen, Herr Schulz, erlaubt: Das Ganztagsschulprogramm liegt in der Verantwortung der Länder. Ich erinnere mich, dass die CDU, als sie 2001/2002 die Regierung in Hamburg übernommen hat, die Mittel für den Ganztagsschulausbau dort verdreifacht hat. Hier ist es jedem Land unbenommen, eigene Schwerpunkte zu setzen. (Zuruf der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Wir im Land hätten es uns allerdings gewünscht, Frau Sager, dass man uns überlässt, wo wir die Schwerpunkte setzen, und uns nicht vonseiten des Bundes eindeutige Vorgaben macht. Was wollen wir machen? Folgende Punkte wollen wir umsetzen: erstens früher fördern, zweitens zielgenauer fördern und drittens bedarfsorientiert fördern. Ich will gerne aus der Vielzahl der Programme der Bundesregierung einige nennen. Sie gibt es nämlich. Man muss nur das Ganze ein wenig durchstöbern und schauen, wie viel Geld dafür ausgegeben wird. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Lange suchen, ja?) Als erstes Beispiel nenne ich das Programm "Lesestart - Drei Meilensteine für das Lesen". Es handelt sich also um ein Leseförderprogramm, das speziell die Motivation fürs Lesen steigern soll, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie viele erreicht das?) und zwar beginnend bei den Eltern. Nur durch die Mitnahme der Eltern - das kann ich als Hamburger sagen - können gewisse Veränderungen und Reformen auch erfolgreich sein. Hier fördern wir also mit einem deutlichen Schwerpunkt das Lesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bezüglich des zielgenauen Förderns erinnere ich an die Initiative "Haus der kleinen Forscher". Man kann sagen, dabei handle es sich nur um ein kleines Programm, für das gerade einmal ein zweistelliger Millionenbetrag zur Verfügung steht. Gerade solche kleinen Programme sind aber gute Programme. Über 30 000 Erzieher haben sich bereits im Rahmen dieses Programmes weiterbilden lassen. Es ist damit zu einem Bestandteil der frühkindlichen Bildung geworden. Bedarfsorientiert fördern heißt schließlich, das Geld da einzusetzen, wo es nötig ist. Ich erinnere daran, dass das Paket von 820 Millionen Euro für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern, über das gerade verhandelt wird, eine bedarfsorientierte Förderung darstellt. Für frühes, bedarfsorientiertes und zielgenaues Fördern haben wir also viele Programme entwickelt. Sie sagen nun, dass die Kooperation zwischen Bund und Ländern nicht funktioniert. Ich habe den Eindruck, dass wir im Ausschuss für Bildung und Forschung des Deutschen Bundestages mittlerweile fast ausschließlich darüber debattieren, wie wir als Bund den Ländern Mittel zur Verfügung stellen können. Das kann so nicht richtig sein. (Zurufe von Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich rufe einige Beispiele in Erinnerung. Da gibt es die ganzen Pakete, die wir auf den Weg gebracht haben: den Hochschulpakt mit 5 Milliarden Euro und dessen Erweiterung um eine dritte Säule mit dem Qualitätspakt Lehre, das Programm zum Ausbau der Krippen - das gehört zur frühkindlichen Förderung - mit 4 Milliarden plus 770 Millionen Euro ab 2013 jährlich, den Aktionsplan Kindertagespflege, die Qualifizierungsinitiative des Bundes, die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte und, und, und. Es ist also schon so, dass der Bund ganz gezielt Schwerpunkte bei der frühen Förderung setzt. Das ist auch richtig so. Ich bitte aber bei der Diskussion um die Kooperation mit den Ländern auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die Länder für den Bildungsbereich - das ist ja auch so gewollt - die Verantwortung tragen. Das heißt, sie müssen darüber auch Rechenschaft ablegen. Wir in Hamburg haben ja gerade Erfahrungen, wenn ich das noch einmal sagen darf, mit gewissen Reformen im Schulbereich gemacht, die dann nicht durchkamen. Insgesamt ist es demnach gut, wenn über all das die Menschen vor Ort entscheiden können. Letzter Punkt, weil Sie gesagt haben - - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssten längst zum Ende gekommen sein. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. - Meine Damen und Herren, auf diesem von mir mitgebrachten Diagramm sehen Sie, dass die Ausgaben für den Bereich Bildung und Forschung zu dem Zeitpunkt signifikant in die Höhe gehen, als die CDU/CSU 2005 die Regierung übernommen hat. Ich glaube, anhand dieses Diagramms zeigt sich, wie erfolgreich wir in diesem Bereich sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Rosemarie Hein hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PISA-Studie hat Deutschland bescheinigt, dass die Bildungsleistungen der Schülerinnen und Schüler besser geworden sind. Nun scheinen viele aufzuatmen. Es sei noch nicht gut, aber es gehe voran, wird gesagt. Wir finden, dass es keinen Grund zur Zufriedenheit gibt. Den Optimismus, den Sie, Herr Weinberg, eben verbreitet haben, kann ich überhaupt nicht teilen. Vielmehr scheint mir das, was Sie gesagt haben, ein bisschen wie das Pfeifen im Walde. (Beifall bei der LINKEN) Mit dieser PISA-Studie wurde vor allem untersucht, ob sich die Leseleistungen der Schülerinnen und Schüler verbessert haben. Die Frage der Lesekompetenz ist von herausragender Bedeutung für die Lebenschancen in diesem Land. Auch das sagt die PISA-Studie. Das ist nicht neu; das wissen wir. Deshalb möchte ich mich vor allem mit der Lesekompetenz beschäftigen. Vor neun Jahren wurde diese schon einmal untersucht. Damals ging ein Aufschrei durch die Gesellschaft. Deutschland gehörte zu den Bildungsverlierern. Die heute geprüften Schülerinnen und Schüler kamen damals gerade in die Schule oder waren kurz vor ihrer Einschulung. Hätte man seinerzeit zügig Lehren aus diesem Desaster gezogen, dann wäre es heute zu einem besseren Ergebnis gekommen. Dem ist aber nicht so. Damals konnten 22,6 Prozent nur schlecht lesen. Heute sind es noch immer 18,5 Prozent. Damals war es ein gutes Fünftel, heute ist es ein knappes Fünftel. Wer das ein Jahrzehnt später als Erfolg verkaufen möchte, der hat sehr bescheidene Vorstellungen von Erfolg. (Beifall bei der LINKEN) Wir geben uns damit nicht zufrieden. Das heißt doch nichts anderes, als dass 18,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler vermutlich auf der Strecke bleiben. Das kann man doch nicht einfach so hinnehmen. In den Hauptschulen ist es jede zweite Schülerin bzw. jeder zweite Schüler, in den Förderschulen sind es sogar drei Viertel. All das ist in der Studie nachzulesen. Damit kann man sich doch nicht zufriedengeben. Wieder wird festgestellt, dass der Bildungserfolg stark von der sozialen Lage der Familien abhängt. Kinder aus Elternhäusern, in denen die Eltern keinen Berufsabschluss haben, sind deutlich benachteiligt. Zwar wurde ihr Anteil am Gymnasialbesuch um 4 Prozent erhöht, aber nur von 11 auf 15 Prozent, während Kinder aus Elternhäusern von Beamten, Ärzten und Ingenieuren zu über 50 Prozent das Gymnasium besuchen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Damit kann man doch nicht zufrieden sein. (Beifall bei der LINKEN) Dabei ist auch noch die Zuweisung zu den unterschiedlichen Bildungsgängen sehr fragwürdig. Ein Viertel der Hauptschülerinnen und Hauptschüler könnte genauso gut an einer Realschule lernen. Dort sind sie aber nicht angekommen. Ein Viertel der Realschülerinnen und Realschüler könnte genauso gut an Gymnasien lernen. Aber dort sind sie nicht angekommen. Aber es wird noch schlimmer: Nicht nur, dass die Verbesserungen beim Lesen für die bisher Bildungsbenachteiligten sehr mager ausfallen; die Leistungsspitze vergrößert sich überhaupt nicht. Der Anteil der besten Leserinnen und Leser geht sogar leicht zurück, und das, obwohl sich der Ansturm auf das Gymnasium von 28 auf 33 Prozent erhöht hat. Genau genommen sind diese Befunde eine schallende Ohrfeige für die Verfechter des gegliederten Schulsystems. (Beifall bei der LINKEN) Es ist weder für die Schwächeren noch für die Starken gut. (Patrick Meinhardt [FDP]: Da müssen Sie eine andere Studie haben!) - Sie müssen bis zum Schluss lesen. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Ich lese immer bis zum Schluss! Aber ich habe keine ideologische Brille auf! Die Länder, in denen Sie an der Regierung sind, sind die PISA-Verlierer!) Bemerkenswert ist: Es gab noch in keiner PISA-Studie eine so deutliche Kritik am Gymnasium und an der frühen Trennung in unterschiedliche Bildungsgänge. Zwar haben wir am Gymnasium anspruchsvollere Lesestoffe, aber weniger Sprachförderung, was zum Beispiel für Migrantinnen und Migranten wichtig wäre. Wir haben zu wenig differenzierte Lernangebote. Eigentlich ist das Gymnasium die Einheitsschule, nichts anderes. Das gegliederte Schulsystem fördert nicht, es spaltet. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Sie spalten!) Das ist an drei Tatsachen abzulesen: Die frühe Trennung in unterschiedliche Schulformen verstärkt die Ungleichheit in der Bildung. Lehrkräfte empfehlen eher Kinder aus sozial begünstigten Elternhäusern ans Gymnasium. Außerdem kann man an der Hauptschule nicht das Gleiche lernen wie am Gymnasium. Auch das grenzt aus. Wer das nicht glaubt, muss bis Seite 250 lesen. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Wenn man die Seiten 1 bis 200 ausblendet!) Was lernen wir nun daraus? Oder besser: Was sollten wir lernen? Erstens. Es muss endlich Schluss sein mit der Zuweisung zu unterschiedlichen Bildungsgängen. Das hilft den Schwachen und auch den Starken nicht. Unser Land kann aber auf kein Talent verzichten. Zweitens. Die Schule kann so, wie sie ist, nicht die nötige Förderung für jeden Heranwachsenden gewährleisten. Deshalb muss mit der Mär von angeblich leistungsgerechten Bildungsgängen endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen Anstrengungen unternehmen, um echte Gemeinschaftsschulen zu errichten - dabei meine ich nicht die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule -, an denen alle Bildungsabschlüsse bis zum höchsten Bildungsabschluss möglich sind. Solche Projekte müssen gefördert werden. Wir müssen ideologische Bildungsschranken endlich einreißen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie bauen doch Bildungsschranken auf!) Die Schule muss in die Lage versetzt werden, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen, und darum muss das Kooperationsverbot endlich fallen. Wann, wenn nicht jetzt? Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sylvia Canel spricht für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sylvia Canel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der PISA-Schock 2000 zeigt Wirkung. Die Bildungsleistung hat sich seit 2000 spürbar verbessert. Deutsche Schüler können im Vergleich mit Schülern aus anderen OECD-Staaten besser rechnen und haben mehr naturwissenschaftliches Verständnis. Sie können nur mittelmäßig lesen, aber immerhin schon besser als 2000. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben sich im Bereich Lesen spürbar verbessert, und der Zusammenhang von Lesekompetenz und sozialer Herkunft hat deutlich abgenommen. Zudem bleibt festzuhalten, dass Schüler aus Familien mit einem geringeren Sozialstatus häufiger als früher ein Gymnasium besuchen. Wenn das keine Erfolge sind, dann weiß ich es auch nicht. Deshalb weiß ich nicht, wovon Sie gesprochen haben, Frau Hein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Als Liberale sage ich dazu: Gut, dass wir endlich vergleichen können und dass wir durch den Vergleich endlich mehr Wettbewerb haben. Dieser Wettbewerb treibt die Schulentwicklung voran. Transparenz, Vergleiche und Wettbewerb sind grundlegende Prinzipien liberaler Bildungspolitik, und dadurch werden nachweislich Fortschritte erzielt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Genau!) Die Mühe lohnt sich, denn die Richtung stimmt. Unsere Anstrengungen dürfen daher auf gar keinen Fall nachlassen. PISA 2009 muss uns allen ein Ansporn sein, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und was machen Sie?) die Bremsen im Bildungssystem aufzuheben. Jedes Kind muss unabhängig vom Elternhaus endlich eine Chance auf gute Bildung bekommen, und jedes Talent muss individuell gefördert werden. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sehr richtig!) Dazu gehören auch die Guten, damit sie Spitze werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Auch richtig!) Erforderlich sind eine deutliche Qualitätssteigerung bei der frühkindlichen Bildung sowie die Ausweitung der Selbstständigkeit einer jeden Bildungseinrichtung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Frühkindliche Bildung ist der entscheidende Schlüssel zu sozialer Teilhabe und Chancengerechtigkeit. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Und wie verträgt sich das mit dem Betreuungsgeld?) Die Förderung von Bildung in den ersten Jahren ist effizient und sozial gerecht. Jeder am Anfang der Bildungslaufbahn investierte Euro macht ein Menschenleben freier, unabhängiger und aufgeklärter. Im Rahmen von PISA 2009 hat die OECD bestätigt - da kann man einmal sehen, wie selektiv man diese Studie lesen kann -: Schülerinnen und Schüler, die am Vorschulunterricht teilgenommen haben, erzielen bessere Ergebnisse. Schulsysteme mit einer längeren Vorschulbildung sind deutlich erfolgreicher. Doch wie gehen wir mit unseren Kindern um? Es gibt zu wenig Personal, sanierungsbedürftige Gebäude, eine mangelhafte Ausbildung und Bezahlung der Erzieherinnen, und kein Ende ist absehbar. Auch wenn der Bund jetzt mehr investiert, muss man unterm Strich sagen: Hinsichtlich der frühkindlichen Bildung ist Deutschland immer noch Entwicklungsland. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja!) Die rot-rote Koalition in Berlin hat kurz vor Erscheinen der ersten PISA-Studie für die Abschaffung der Berliner Vorschulen gesorgt. Bildungsforscher greifen sich noch heute an den Kopf. Auch im Schulbereich ist das Ganze nicht besser. Wenn Frau Künast, die gerade da sitzt, darüber nachdenkt, die Berliner Gymnasien abzuwickeln, ist das ein verkehrtes Zeichen. Ich komme aus Hamburg. In Hamburg haben sich die Bürger durchgesetzt und diesen Unsinn beendet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Stefan Liebich [DIE LINKE]: Herzlichen Glückwunsch! Großer Erfolg!) Das unablässige Hin und Her und die ständigen Experimente halten unsere Schulen in einem Zustand der Hyperaktivität, und das bringt nur eines: Unsicherheit und Frust an der Basis. Ich sage Ihnen deshalb: Jede einzelne Schule weiß es besser, weil sie nämlich die Fachleute vor Ort hat. Jeder Fachmann und jede Fachfrau vor Ort weiß es besser als jeder Theoretiker und jeder Politiker. (Beifall bei der FDP) Das heißt: Schulen brauchen die Freiheit, die es ihnen ermöglicht, selbstständig zu entscheiden und eigenverantwortlich zu handeln. Wir brauchen mehr eigenständige Schulen und weniger bevormundende Politik. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das heißt, Sie haben keinen bundespolitischen Vorschlag!) PISA bestätigt uns in dieser liberalen Forderung, und die OECD stellt fest, dass Schüler in Ländern mit einer hohen schulischen Eigenständigkeit bessere Ergebnisse erzielen. Die erfolgreichsten Schulsysteme erteilen den Schulen mehr Autonomie. Das ist der Schlüssel zur Zukunft. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sehr gut! - Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Und mehr Lehrer!) Den Entscheidungsspielraum an deutschen Schulen hinsichtlich der Verwendung der Ressourcen und der Gestaltung des Unterrichts bewertet die OECD als unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen OECD-Staaten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht eigentlich in der Hamburger FDP Schulpolitik?) Wir benötigen deshalb mehr Freiheit und Stärke vor Ort. Mehr Bildungsqualität braucht ein klares Bekenntnis zur Eigenständigkeit der Schulen mit Möglichkeiten der Leistungsdifferenzierung. Ein Bildungssystem, das auf eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung aufbauen kann, und eigenständige Schulen, in deren Eigenverantwortung es liegt, wie erfolgreich sie gemessen an guten Qualitätsmaßstäben sind, sind ein Garant für Bildungsgerechtigkeit und für Bildungserfolg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die nächste PISA-Studie für uns noch erfolgreicher ausfallen wird. Danke sehr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Priska Hinz für Bündnis 90/Die Grünen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich durchaus, dass man nach zehn Jahren konstatieren kann, dass es für die Schülerinnen und Schüler Verbesserungen im Schulsystem gibt und dass wir nicht wieder in einen Schock versetzt werden, wie es bei der ersten PISA-Studie der Fall war. Ich freue mich vor allen Dingen, dass sich im unteren Bereich, also bei den Schülerinnen und Schülern, die sehr schwach sind, tatsächlich sehr viel verbessert hat und dass bei Migrantenkindern ein deutlicher Kompetenzzuwachs zu verzeichnen ist. Allerdings besteht kein Grund, zu glauben, man habe alles gemacht und müsse nur die Programme herunterbeten, die schon begonnen wurden, Herr Weinberg. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das tut doch keiner!) Ich glaube vielmehr, dass man auf Grundlage der PISA-Studie, ihrer Ergebnisse und der sich daraus abzuleitenden Empfehlungen überlegen muss, wo noch Defizite im politischen Handeln sind und welche Schlüsse wir daraus ziehen müssen. Dazu habe ich von Ihnen leider nur wenig gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wenn es nach wie vor zutrifft, dass der Bildungserfolg in Deutschland von der sozialen Herkunft abhängt, dass Migrantenkinder immer noch große Kompetenznachteile haben und dass es Überlappungen bei den Kompetenzen von Hauptschülern und Gymnasiasten gibt, dann kann man aufgrund dieser auffälligen Befunde nicht sagen: Das viergliedrige Schulsystem hat sich bewährt. Außerdem sollen sich die Migrantenkinder ein bisschen mehr anstrengen. Dann bekommen wir das Ganze schon geregelt. Ein Fünftel der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren steht auf der untersten Kompetenzstufe, die dem Grundschulniveau entspricht. Das heißt schlicht und einfach, dass sie nicht ausbildungsreif sind. Auf der anderen Seite droht uns ein Fachkräftemangel. Wir wollen, dass Jugendliche an der Gesellschaft teilhaben können, dass sie eine Ausbildung machen und sich eine Existenz aufbauen können. Wir wollen nicht, dass sie sofort in der Arbeitslosigkeit landen. Wir müssen uns daher anschauen, welche Rahmenbedingungen laut PISA-Studie zu Verbesserungen geführt haben. Dann müssen wir überlegen, welche zusätzlichen Maßnahmen von Bund und Ländern noch auf den Weg gebracht werden können. Eine längere und effektivere Lernzeit - das wurde schon gesagt - ist eine Voraussetzung dafür, dass Kinder besser lernen. Damit bin ich bei den Ganztagsschulen. Eine Ganztagsschule bedeutet natürlich gute Ganztagsangebote, die mit dem Unterricht verzahnt werden, und eine bessere Ausschöpfung der Lernzeit. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, dass nur 30 Prozent der Schulen Ganztagsangebote haben und dass bei den restlichen Schulen die Kinder in die Röhre gucken, weil sie von uns allein gelassen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir benötigen ein neues Programm für Ganztagsschulen. Schulen mit Ganztagsangeboten sollen sich in gebundene Ganztagsschulen umwandeln können. Nur so kann man die Qualität des Unterrichts steigern. Auf diese Weise können alle Kinder von guten Schulen profitieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht darum, irgendwelche Schulen, egal welcher Schulform, abzuwickeln. Aber man muss sich fragen, wie man die Situation, dass teilweise Hauptschüler so gut sind wie Gymnasiasten und Gymnasiasten manchmal so schlecht wie Hauptschüler sind, verändern kann. Ungeachtet dieser Tatsache ist der Kompetenzzuwachs an Gymnasien sehr stark und werden die Hauptschulen von den Eltern nicht mehr ausgewählt. Deswegen halte ich es für richtig, dass die Länder - bis auf manche - die Mehrgliedrigkeit aufgeben und zumindest zur Zweigliedrigkeit übergehen. In der Zukunft muss in Deutschland gelten, dass jede Schule zu jedem Abschluss führt, dass man an jeder Schule den Übergang zur Oberstufe hinbekommen kann, damit jedes Kind, das später startet, das Abitur machen und in die höhere Bildung einsteigen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Frau Canel, das müsste doch in unser aller Interesse sein; da brauchen wir hier doch nicht mehr den alten Schulkampf zu führen, der überhaupt keinen mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Ich bin der Meinung, dass wir wieder Bund-Länder-Programme brauchen, wie zum Beispiel das Sinus-Programm, das dazu geführt hat, dass die Lehrer den Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften besser gestalten können; unter anderem deswegen sind wir in Naturwissenschaften und Mathematik besser als der OECD-Durchschnitt. Das hat mit solchen Programmen zu tun, die wir zurzeit nicht durchführen können, weil es das Kooperationsverbot gibt. Wir brauchen eine bessere Sprachförderung, die auch evaluiert wird. Da ist der Bund gefragt, entsprechende Forschungsprogramme aufzusetzen. Man muss dann aber die Forschungsergebnisse in der Lehrerfortbildung umsetzen. Das funktioniert nur, wenn Bund und Länder gemeinsam solche Programme vereinbaren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mein Fazit: Wir müssen gemeinsam die richtigen Konsequenzen aus der PISA-Studie ziehen. Eine Konsequenz müsste tatsächlich sein: Das Kooperationsverbot muss fallen, damit wir, Herr Weinberg, nicht nur Geld an die Länder geben, sondern gemeinsam qualitativ gute neue Standards vereinbaren können. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU hat Eckhardt Rehberg jetzt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Hein und Herr Schulz, man kann natürlich immer Haare in der Suppe finden. Wenn man aber zehn Jahre zurückschaut und die Situation im Jahr 2000 mit der Situation im Jahr 2010 vergleicht, dann erkennt man, dass Deutschland einen internationalen Erfolg erreicht hat: Wir sind eines der wenigen Länder, die in diesem Jahrzehnt eine positive Entwicklung in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz erreicht haben. Ich fände es gut, wenn bei der Opposition - darunter sind auch diejenigen, die in den vergangenen Jahren mitregiert haben - zumindest die Freude überwiegen würde und sie nicht nur Haare in der Suppe suchen würden. Herr Kollege Schulz, dieses Verhalten führt dazu, dass diejenigen, bei denen Sie sich bedankt haben, eher frustriert sind: Sie fragen sich, ob ihre Arbeit wirklich wertgeschätzt und gewürdigt wird, wenn in der Politik nur negativ darüber geredet wird. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Deswegen haben wir das nicht gemacht!) Das, was Sie hier aufgeführt haben, führt nicht dazu, dass die Bildungspolitik in Deutschland vorankommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hören Sie mal richtig zu!) Die SPD spricht davon, dass für die Bildung 10 Milliarden Euro obendrauf gepackt werden sollen. Dazu muss ich sagen: Solange Sie hier die Bildungspolitik bestimmt haben - zwischen 1998 und 2005 -, konnte ich keinen wesentlichen Aufwuchs bei den Bildungsausgaben erkennen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer hat das im Bundesrat blockiert? Sie waren das im Bundesrat!) Erst nach 2005, insbesondere aber nach 2009 sind die Bildungsausgaben deutlich gewachsen. Insgesamt haben sich die Mittel des Einzelplans in diesen Jahren fast verdoppelt. Wir werden in dieser Legislaturperiode - in den nächsten Jahren - insgesamt 6 Milliarden Euro für Bildung ausgeben. Da konnte man in Ihren Worten ziemlich viel Neid erkennen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie haben doch im Bundesrat blockiert!) Es ist immer ganz spannend, sich über eine lange Distanz anzuschauen, wie Länder in Deutschland bei verschiedenen Vergleichen im Bildungsbereich abschneiden. Wenn man sich PISA 2006 - auf die Bundesländer heruntergebrochen -, die Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen aus 2008 und 2009 und den Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft anschaut, dann erkennt man - das ist ganz interessant -, dass vier Länder, davon zwei im Osten - Sachsen und Thüringen - und zwei in den alten Ländern - Bayern und Baden-Württemberg -, immer vorne liegen. Diese Länder haben ganz unterschiedliche bildungspolitische Ansätze verfolgt. Während in Bayern und Baden-Württemberg die klassische Dreigliedrigkeit heute nach wie vor vorhanden ist, haben Sachsen und Thüringen gleich 1990 die Mittelschule bzw. die Regelschule und damit die Zweigliedrigkeit eingeführt. Eines ist diesen Ländern über zwei Jahrzehnten hinweg aber gemeinsam: Weil es stabile politische Verhältnisse gab, wurde Schule nicht zum Experimentierfeld. Das ist der wesentliche Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Waren Sie schon einmal in einer bayerischen Schule?) Schauen Sie sich die Situation einmal ganz genau an - ich lasse die Namen der Länder auf den Plätzen 13, 14, 15 und 16 weg -: Wo schulpolitische Kontinuität herrscht, ist man bei den Ländervergleichen erfolgreich, und in den Ländern, in denen Schule ein Experimentierfeld ist, profitieren die Schülerinnen und Schüler überhaupt nicht. Wenn wir über Bildungsstandards reden, dann ist auch die Frage zu stellen, warum sich fünf Länder, in denen das Kultusministerium CDU- bzw. CSU-geführt ist, nämlich Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Bayern, entschlossen haben, auf ein Zentralabitur hinzuarbeiten. Da ist kein SPD-geführtes Land dabei. Scheut man dort den Vergleich? (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo kommen Sie eigentlich her? Meck-Pomm, ja?) Der Weg zu mehr Kontinuität und mehr Vergleichbarkeit in Deutschland führt doch über einheitliche Bildungsstandards. Das Zentralabitur ist mit der wichtigste Schritt auf dem Weg, mehr Qualität zu erreichen und die Vergleichbarkeit in Deutschland herzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie reden hier ein dummes Zeug!) Auch wenn Ihnen von der Opposition das nicht passt, insbesondere Ihnen von der SPD, waren die letzten Jahre in bildungspolitischer Hinsicht mehr als erfolgreich: Erstens. Wir haben noch nie so viele Studienanfänger gehabt wie im Jahr 2010 - ein deutlicher Aufwuchs. Zweitens. Wir haben mittlerweile eine geschlossene Bildungskette. Das gilt für die frühkindliche Bildung, wo sich der Bund engagieren kann. Das gilt aber insbesondere für den Übergang von Schule zu Berufsausbildung. Davon profitieren insbesondere die Schwachen und Benachteiligten. Ich denke an die Bildungsketten. Ich denke an Berufseinstiegsmaßnahmen und an berufsbegleitende Maßnahmen. Auf diesem Gebiet ist der Bund aktiv und sehr erfolgreich. Ich denke, daran, wie wir aufgestellt sind, und daran, wie wir unser Geld einsetzen, wird deutlich, dass unser Motto lautet - das sage ich auch mit Blick auf die demografische Entwicklung und die Fachkräftesituation -: Wir lassen keinen zurück! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für den Bundesrat hat jetzt das Wort Senator Jürgen Zöllner. (Beifall bei der SPD - Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Willst du Berlin mal oben sehen, musst du die Tabelle drehen! - Heiterkeit bei der FDP) Dr. Jürgen Zöllner, Senator (Berlin): Wir kämpfen beide immer nur um die Spitze, Herr Lindner. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das große Interesse der Öffentlichkeit an PISA ist geblieben, die Aufgeregtheit hat sich möglicherweise etwas gelegt, und eine sachlichere Betrachtungsweise hat Einzug gehalten. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wo stehen wir zehn Jahre nach PISA? Übrigens, Herr Weinberg, es ist die angeblich so leistungsfeindliche SPD, der die Bundesrepublik die Teilnahme an der PISA-Studie zu verdanken hat. Es war der damalige Schulminister aus Rheinland-Pfalz, Jürgen Zöllner, der den Antrag, uns dem Vergleich zu stellen, in Konstanz gestellt hat. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ CSU: Oh!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, die unbefriedigenden PISA-Ergebnisse aus dem Jahr 2000 waren ein heilsamer Schock für viele. Ich kenne kein Land in dieser Bundesrepublik Deutschland, egal welcher politischen Couleur, in dem es nicht massive Anstrengungen gegeben hat, die Schulqualität zu verbessern. Die Priorität von Bildung ist seitdem auch in finanzpolitischer Hinsicht unbestritten, auch wenn es für einige Betroffene immer noch zu wenig ist. Die drei Kernbotschaften von damals waren: Erstens, die besten Schülerinnen und Schüler in Deutschland können mit den besten Schülerinnen und Schülern in der Welt zwar mithalten, aber, zweitens, Deutschland hat ein Problem bei den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern, und der Bildungserfolg in Deutschland ist, drittens, so stark wie praktisch nirgendwo sonst abhängig vom Elternhaus. Für eine entwickelte Industrienation wie die Bundesrepublik sind die letzten beiden Befunde ohne Zweifel nicht hinnehmbar. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb muss, wer das Ziel gleicher Chancen unabhängig vom Geldbeutel und der Bildung der Eltern wirklich will, gezielt die Rahmenbedingungen speziell für diese Schülergruppe verbessern. Die Ergebnisse von PISA 2009 zeigen, dass wir Erfolge zu verzeichnen haben. Besonders erfreulich ist - das ist erwähnt worden -, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshintergrund erheblich besser geworden sind. Sie sind ein wichtiger, wenn nicht sogar der entscheidende Grund für die Leistungssteigerung in Deutschland insgesamt. Es sind unsere Kinder. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zwei bildungspolitische Maßnahmen sind für mich dabei zentral. Sie sind heute, wie ich in dieser Debatte erfreut festgestellt habe, unbestritten. Damals, als wir in der KMK die acht Eckpunkte festgezurrt haben, waren sie heiß umstritten. Es hat lange gedauert, die konservativen Kolleginnen und Kollegen davon zu überzeugen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Erstens: die frühkindliche Förderung, insbesondere die Sprachförderung in den Kindertagesstätten. Bei diesen Bildungseinrichtungen ist entscheidend, dass der Besuch kostenfrei ist; denn Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Lande Berlin beispielsweise sind ab dem 1. Januar 2011 alle drei Kindergartenjahre vor Schulbeginn gebührenfrei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Lande Berlin setzen wir das um, wovon andere nur reden. Wir werden für Kinder, die einen festgestellten Sprachförderbedarf haben, faktisch eine Kitapflicht für das letzte Jahr vor Schuleintritt einführen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Zweitens. Eine zentrale Rolle bei der Verbesserung spielt auch das Ganztagsschulprogramm der früheren rot-grünen Bundesregierung. Dadurch konnten viele Schulen in Deutschland zu Ganztagsschulen ausgebaut werden. Ich freue mich auch hier darüber, dass die einstigen Gegnerinnen und Gegner dieses Programms - viele von ihnen sind noch heute in der Bildungspolitik tätig - den Wert und die Möglichkeiten der pädagogischen Ansätze des Ganztagsangebotes erkannt haben. (Beifall bei der SPD) Nur so wird es uns letzten Endes gelingen, an die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler heranzukommen. Was mir im Zusammenhang mit den neuesten PISA-Ergebnissen die meisten Sorgen bereitet - es gibt Erfolge zu verzeichnen, auf die wir insgesamt stolz sein sollten -, sind die Schülerinnen und Schüler aus den sogenannten bildungsfernen sozial benachteiligten Elternhäusern. Wenn der schöne Ausdruck "Bildungsrepublik Deutschland" nicht nur Worthülse sein soll, brauchen wir eine gemeinsame weitere Kraftanstrengung zwischen Bund und Ländern - sie ist auch in der derzeit verfassungsmäßig festgelegten Lage möglich -, um diese Schülergruppe gezielt ins Auge zu fassen. Wir brauchen so etwas wie ein gemeinsames Ganztagsschulprogramm. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ziel muss es sein, alle Schulen in Deutschland zu Ganztagsschulen weiterzuentwickeln. In Berlin haben wir damit begonnen. Es gibt die Verantwortung der Länder, zu der wir gerne stehen. Neben den Grundschulen, die in Berlin alle Ganztagsschulen sind, haben wir in der Sekundarstufe I eine neue Schulstruktur geschaffen: ein zukunftsfähiges zweigliedriges Schulsystem aus Gymnasien und Integrierten Sekundarschulen. Letztere werden sämtlich zu Ganztagsschulen ausgebaut. Die ersten Schritte im Bereich der Gymnasien haben wir schon unternommen. Wir brauchen in den Ganztagsschulen zum Beispiel auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Dies wäre eine Chance für den Bund. Ein Bundesprogramm in diesem Bereich wäre sehr hilfreich. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was wir - auch das muss an einem solchen Tag gesagt werden - in diesem Zusammenhang nicht brauchen - damit möchte ich schließen -, ist ein nur gut gemeintes Bildungspaket der Bundesregierung. Dieses droht nach meiner festen Überzeugung - ich muss mich um die Umsetzung kümmern - ein riesiges Bürokratiemonster zu werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei wäre es ganz einfach, die Mittel effektiver für die bedürftigen Kinder und Jugendlichen einzusetzen. Ich will Ihnen ein aus dem Leben gegriffenes Beispiel nennen. Das Land Berlin investiert bereits heute in das Schulmittagessen für Grundschülerinnen und Grundschüler der Klassen 1 bis 6, sodass alle Eltern nur noch einen Eigenbeitrag von 23 Euro pro Monat leisten müssen. Nach den Plänen der Bundesregierung müssten sich die Eltern weiterhin mit 20 Euro monatlich an diesen Kosten beteiligen. Es verbliebe also lediglich eine Kostenersparnis von 3 Euro monatlich, die die Eltern in einem aufwendigen Verfahren unter Beteiligung von Jobcentern, Schulen und Caterern als Zuschuss beantragen müssten. Würden die vorgesehenen Mittel dagegen direkt dem Land Berlin zweckgebunden zur Mittagsversorgung zur Verfügung gestellt werden, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau! Das wäre wichtig! - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja, klar! Immer rein in den Topf der Länder!) könnten wir mit den gleichen Mitteln allen - ich betone: allen - bedürftigen Kindern und Jugendlichen, nicht nur denen in der Grundschule, ein kostenloses Schulmittagessen anbieten, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übrigens ganz ohne Verwaltungsaufwand, ganz ohne Beteiligung der Eltern an den Kosten. (Patrick Meinhardt [FDP]: Ja! Mit dem Geld aus Baden-Württemberg! Aber hallo! - Gegenruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Das war entlarvend, Herr Meinhardt!) - Ich will doch gar nicht mehr Geld. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: In Baden-Württemberg sollen die Kinder essen!) Das wäre mit dem gleichen Betrag möglich, den Sie für die Verwaltungskosten, die ich beschrieben habe, ausgeben. (Patrick Meinhardt [FDP]: Ja, ja! Aber alles immer nur auf Pump!) Ich appelliere an Sie: Investieren Sie effektiv in die vorhandenen Bildungseinrichtungen, in die Kitas und die Schulen, damit dort optimal gefördert werden kann und wir unsere Leistungsfähigkeit auch im Rahmen von PISA weiter verbessern können. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Heiner Kamp hat jetzt für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Heiner Kamp (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind wirklich glücklich und froh, am heutigen Tag über die durchaus ansehnlichen Erfolge im Bildungsbereich sprechen zu dürfen. Das PISA-Konsortium hat Deutschland attestiert, sich seit dem Jahr 2000 spürbar verbessert zu haben. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass wir es geschafft haben, die Zahl der Bildungsverlierer maßgeblich zu verringern. Mittlerweile liegt Deutschland beim Lesen im OECD-Mittelfeld. In Mathematik und in den Naturwissenschaften spielen wir, um es mit den Worten des Bildungsforschers Professor Klieme zu sagen, in der ersten Liga mit. Gerade Jugendliche mit ausländischen Wurzeln konnten sich beim Lesen spürbar verbessern. Der Leistungsunterschied zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund konnte deutlich verringert werden. Dabei verbuchten Jugendliche türkischer Herkunft eine leichte Verbesserung und Jugendliche, deren Eltern aus der ehemaligen UdSSR eingewandert waren, sehr deutliche Leistungszugewinne. Positiv festzuhalten ist auch, dass der Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und sozialer Herkunft seit PISA 2000 deutlich abgenommen hat und Schülerinnen und Schüler aus Familien mit geringerem Sozialstatus häufiger als früher ein Gymnasium besuchen. Bemerkenswert ist auch, dass die OECD die personelle Ausstattung an Deutschlands Schulen im Vergleich zu dem Durchschnitt der OECD-Staaten positiv beurteilt. Allerdings wird der fehlende Entscheidungsspielraum der Schulen, zum Beispiel bei der Verwendung der Ressourcen und der Gestaltung des Unterrichts, von der OECD weiterhin als unterdurchschnittlich beklagt. Es ist eben nicht nur eine Frage des Geldes, ob und inwieweit eine Schule gut funktioniert. Es sind häufig weiche Faktoren, die ausschlaggebend sind. Fehlende Freiheitsgrade lassen sich nicht einfach durch den Ruf nach der Geldschatulle kompensieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dies zeigt sich ganz deutlich beim Blick in die einzelnen Länder - ich lade Sie ein, auf diese Reise mitzukommen -: Alle Bundesländer haben sich verbessert, manche mehr als andere. Während sich bei den letzten innerdeutschen Vergleichen zeigte, dass Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen sogar in der internationalen Spitzengruppe mithalten können, streiten sich die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Bremen traditionell um die rote Laterne. Auch der Ländervergleich des letzten Sommers zeigte eindrucksvoll: Wer auf einen Abstiegsplatz in der Bildungsliga wetten will, der braucht nur nach einem SPD-geführten Kultusministerium Ausschau zu halten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worüber reden wir denn hier? - Caren Marks [SPD]: Billig!) Wer wundert sich angesichts einer solchen Negativbilanz, dass die Sozialdemokraten ihren Berliner Bildungssenator in den Bundestag schicken, damit er sich in der Runde ein wenig Orientierung verschaffen möge! (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja! Das ist echt ein Spaß! - Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Bildungsmisere fängt in der Koalition an! Den größten Fachkräftemangel gibt es in der Regierungskoalition!) Möglicherweise könnte er seinen Senatskollegen berichten, dass es nicht sonderlich sinnvoll ist, die Schulen in einem ständigen Experimentierfeld zu halten. Das Bildungssystem ist kein Chemielabor, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jahrgangsübergreifendes Lernen, Lehrerbedarfsplanung und der Aufbau der Einheitsschule: Egal was, es geht in die Grütze, um es mit klaren Worten zu sagen. (Heiterkeit des Abg. Patrick Meinhardt [FDP] - Caren Marks [SPD]: In die Grütze setzt sich die FDP!) Es ist kein Wunder, dass Berlin beim Boom der Privatschulen ganz weit vorne ist. Ich kann das verstehen; grundsätzlich stehe ich den Schulen in freier Trägerschaft sehr positiv gegenüber. Doch wenn sich das staatliche Schulwesen derart marode darstellt wie in der Hauptstadt, dann wundert es mich kaum, dass die Privatschulen für viele Eltern die Rettungsanker sind. Der Fahrstuhleffekt, wonach alle Länder besser geworden sind, ist grundsätzlich positiv. Ich kann jedoch die Eltern in Berlin, Brandenburg und Bremen verstehen, die sich damit aber nicht zufriedengeben wollen, weil sie ähnliche Chancen für ihre Kinder wie in Baden-Württemberg, in Bayern, in Sachsen und in Thüringen haben möchten. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bremen gibt es doch einen Allparteienkonsens über die Schule! - Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So kann nur eine 3-Prozent-Partei sprechen!) Wir müssen deswegen daran arbeiten, dass dies möglich wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus der Partei, die Bildung einmal als Bürgerrecht bezeichnet hat!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Marianne Schieder hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ergebnisse von international vergleichenden Studien wie der PISA-Studie dürfen und müssen selbstverständlich kritisch hinterfragt werden; Herr Kollege Weinberg, damit hatten Sie ganz recht. Selbstverständlich freuen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns mit unseren Schülerinnen und Schülern und mit den Lehrerinnen und Lehrern über die verbesserten Ergebnisse der neuesten Studie. (Beifall bei der SPD) Diese Ergebnisse eignen sich aber absolut nicht für die Lobhudelei à la Schwarz-Gelb, die wir heute gehört haben, (Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD]) und sie eignen sich auch wirklich nicht für plattes parteipolitisches Gezänk, wie wir es gerade von meinem Vorredner erlebt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Patrick Meinhardt [FDP]: Dann beenden Sie die Rede am besten jetzt!) Hören Sie auf, nach der Methode "Man nehme das, was einem gerade passt und was gut gelaufen ist, und lässt sich dafür groß feiern" zu verfahren, während Sie das, was weniger gut ist, konsequent ignorieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar nicht!) So kommen mir nämlich die ganzen Reaktionen vor, die ich seitens der Bundesregierung und seitens der sie tragenden Fraktionen gehört habe. Was konnte ich da alles lesen? Von Sprachtests vor dem dritten Lebensjahr, von mehr Geld für die Stiftung Lesen, von der Förderung von benachteiligten Jungen, von Fortbildungsprogrammen für Erzieherinnen usw. war die Rede. Alles Mögliche wurde lautstark gefordert. Jede und jeder hat irgendetwas vorgeschlagen. Alles schön und gut, aber tragfähige Konzepte sehen anders aus. Das, was wir wirklich brauchen, sind schlüssige, abgestimmte Konzepte, die nachhaltig Wirkung entfalten können. Das, was durch den PISA-Vergleich in den letzten Jahren wirklich in Gang gebracht wurde, nämlich eine intensive gesellschaftliche Diskussion über die Rahmenbedingungen von guter Bildung, muss genutzt und in konkrete Aktivitäten umgesetzt werden. Wir brauchen einen Masterplan Bildung, durch den deutlich gemacht wird, dass gute Bildung für unsere Kinder und jungen Menschen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und nicht das Problem derer bleiben kann, die gerade Kinder im schulpflichtigen Alter haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss dabei die Devise gelten: Es werden Kinder und nicht Fächer an unseren Schulen unterrichtet. - Es kommen morgens Kinder in unsere Schulen, die ihre Sorgen, Nöte und Probleme nicht an der Schulhaustüre abgeben können, um sie nach der Schule auf dem Nachhauseweg wieder mitzunehmen. Sie und ihre Eltern, aber auch ihre Lehrerinnen und Lehrer brauchen konkrete Hilfen. Wir wissen längst, dass die Schulsozialarbeit hier die richtige Antwort ist. Überall, wo sie angeboten wird, ist sie sehr, sehr erfolgreich. Leider sind wir aber noch sehr weit von einer flächendeckenden Versorgung entfernt. Für den weiteren Ausbau fehlen die Finanzmittel. Dabei wissen wir alle auch, dass hierfür zwar zunächst einmal erhebliche Kosten entstehen, die später aber, beispielsweise im Bereich der Jugendhilfe, in mindestens gleicher Höhe wieder eingespart werden könnten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es kommen morgens Kinder in unsere Schulen, die Förderung und Zeit brauchen, um das, was zu lernen ist, auch verstehen und verarbeiten zu können. Sie brauchen sportliche, musische und künstlerische Angebote, wie sie in einer guten Ganztagsschule vorzufinden sind. Wer sich die Ergebnisse der PISA-Studie wirklich genau ansieht, der kann feststellen, dass die erzielten Verbesserungen gerade im Bereich der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler in einem ganz entscheidenden Zusammenhang mit der Schulsozialarbeit und der Ganztagsschule stehen. Durch die unter Rot-Grün gestellten Weichen konnte also für eine erhebliche Verbesserung der Situation gesorgt werden. Wir sind aber noch sehr weit von einer wirklich flächendeckenden Versorgung mit Ganztagsschulen entfernt, weil sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die eine Ganztagsschule - sei es in offener oder in gebundener Form - besuchen können, seit 2002 zwar verdoppelt hat, es aber eben doch nicht überall vor allem gebundene Ganztagsschulen gibt. Ganztagsschulen sind aber unverzichtbar, zum einen aus pädagogischen Gründen, weil Schule mehr Zeit für Bildung und mehr individuelle Förderung braucht. Sie sind unverzichtbar aus integrationspolitischen Gründen, weil Ganztagsschule besser als jede andere Schulform die sprachliche, kulturelle und soziale Integration von Kindern und jungen Menschen aus Familien mit Migrationshintergrund leisten kann. Und sie sind unverzichtbar aus sozialpolitischen Gründen, weil sich in Ganztagsschulen Bildungschancen für alle am besten organisieren lassen. Also muss es unser Ziel sein, Ganztagsschulen für alle zu schaffen. Das werden wir nur gemeinsam erreichen, gemeinsam in einer Aktion mit einem Masterplan, getragen von Bund, Ländern und Kommunen. Wir brauchen dazu natürlich auch eine Diskussion über eine Aufhebung des Kooperationsverbots, um eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der Bildung zu ermöglichen. Aber auch ich möchte betonen: Die PISA-Ergebnisse haben wiederum gezeigt, dass immer noch die soziale Herkunft über den Bildungserfolg junger Menschen entscheidet. Kinder bleiben auf der Strecke, weil die individuellen Fähigkeiten nicht ausreichend gefördert werden, die frühkindliche Bildung zu spät einsetzt oder der Geldbeutel der Eltern leider zu klein war, um mithalten zu können. Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb: Nehmen Sie Ihren viel bemühten christlichen Anspruch endlich ernst, und sorgen Sie mit uns für mehr Bildungsgerechtigkeit in diesem Land! Geben Sie allen Kindern eine Chance von Anfang an, und bringen Sie mit uns ein Ganztagsschulprogramm und einen flächendeckenden Ausbau der Schulsozialarbeit auf den Weg! In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! PISA wird dieses Jahr zehn Jahre alt. In diesen zehn Jahren ist die Bildung ins Zentrum der deutschen Politik gerückt. Ich denke, das ist auch gut so. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]) Die PISA-Studien haben uns alle alarmiert. Sie haben dem Bildungssystem letztlich gutgetan; denn es hat sich gezeigt, dass unser Bildungssystem sehr wohl wandlungsfähig ist. Deutschland hat sich seit 2000 kontinuierlich in allen drei Bereichen - im Lesen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften - verbessert. Dies ist nur wenigen anderen OECD-Ländern gelungen. Bei PISA 2000 lagen die 15-Jährigen in Deutschland im Lesen unter dem OECD-Durchschnitt. 2009 liegen sie am oberen Rand des Durchschnitts. In Mathe und Naturwissenschaften lagen die deutschen Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt, jetzt liegen sie über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Diese Verbesserungen gehen auch mit größerer Gerechtigkeit einher. Im Bereich des Lesens hat sich die Leistungsvarianz zwischen 2000 und 2009 so stark verringert wie in keinem anderen OECD-Land. Anders gesagt: Der Abstand zwischen den schwachen und den starken Lesern ist geringer geworden, ohne dass sich die Starken deshalb verschlechtert hätten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist in meinen Augen auch ein Stück Bildungsgerechtigkeit. Gleichzeitig konnte das Gymnasium seinen hohen Stand halten, obwohl es gleichzeitig G 8 eingeführt hat und obwohl heute 20 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler auf den Gymnasien sind als 2000. Meine Damen und Herren - Kollege Zöllner hat es bereits angesprochen -, zum besseren Gesamtergebnis haben vor allem die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund beigetragen. Vielleicht ist das die beste Nachricht von PISA 2009. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir die Differenz zwischen den Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund betrachten, so sehen wir: Diese Differenz hat sich seit PISA 2000 um 28 Punkte verringert. Dies ist mehr als ein halbes Schuljahr. Natürlich haben wir auch weiterhin Probleme. Trotzdem dürfen wir sagen: Die Integration auch von Zuwandererkindern gelingt besser, und zwar sowohl ins Bildungssystem als auch zunehmend in den Arbeitsmarkt. Über diese Erfolge dürfen wir uns, glaube ich, gemeinsam freuen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Indem wir uns darüber freuen, möchte ich an erster Stelle den Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen in Deutschland ein ganz herzliches Wort des Dankes sagen; denn sie haben trotz des Aufschreis bei PISA im Jahr 2000 nicht resigniert, sondern sie haben die Herausforderung angenommen. Sie haben Konzepte zur individuellen Förderung und für die Ganztagsschule entwickelt, und sie haben die soziale Integration als weitere Kernaufgabe der Schulen begriffen. Insofern herzlichen Dank an die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich nenne als Zweites die Bildungspolitik der Länder. Sieben Handlungsfelder hat die KMK 2001 als Reaktion auf PISA formuliert und die gemeinsamen Bildungsstandards entwickelt. Das war eine richtige und notwendige Maßnahme. Im Übrigen sind schließlich die Länder für die Schulpolitik zuständig. Sie werden weitere Schritte unternehmen. Eine Initiative ist bereits angekündigt: Fünf Bundesländer werden ein gemeinsames Abitur entwickeln. Michael Kretschmer kommt aus Sachsen. Sachsen ist eines dieser fünf Länder. Ich halte es für richtig, diesen Weg zu gehen. Denn er dient der Vergleichbarkeit und der Mobilität innerhalb Deutschlands und verpflichtet die Länder, die mitmachen, auf ein gemeinsames hohes Leistungsniveau. Ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr Länder in der Bundesrepublik Deutschland diesem gemeinsamen Ziel eines deutschen Abiturs, wie ich es einmal formulieren will, anschließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch schon lange die Vereinbarung über die Abiturprüfung! Das ist doch nur weiße Salbe! Nichts Neues!) An dritter Stelle möchte ich die Bundesebene nennen. Das BMBF, das Bildungs- und Forschungsministerium, hat die Schulen begleitet, und zwar auch die Schulen, die sich zu Ganztagsschulen weiterentwickelt haben. Das setzen wir fort. Wir haben die dafür notwendige und für Deutschland weitgehend neue Forschung finanziert. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nur ein Ablenkungsmanöver vom Kooperationsverbot!) Wir haben mit dem Sinus-Programm unmittelbar zur Verbesserung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts beigetragen. Wir haben mit dem FörMig-Programm neue Wege zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund erprobt, und wir haben - ich denke, das ist ein wichtiger Beitrag zur Transparenz - den nationalen Bildungsbericht etabliert. Last, but not least nenne ich die empirische Bildungsforschung. Denn seien wir ehrlich, meine Damen und Herren: Ein Stück weit krankt die politische Bildungsdebatte im Bundestag, aber auch in den 16 Landtagen daran, dass sie zwar stark von politischen und ideologischen Bildern geprägt ist, aber dass die wissenschaftliche Datenbasis zumindest in der Vergangenheit keineswegs für eine fundierte Debatte ausreichend war. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies ändert sich jetzt, weil wir die Förderung der empirischen Forschung im Bereich der Bildungsforschung betreiben. Das ist ein Beitrag des Bundes. Ich denke, das ist zum Besten der Bildung. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Daraus wird deutlich: Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Bildungspolitik und die Forschung - sie alle tragen mit dazu bei, dass wir dem Ziel der Bildungsrepublik, dem wir uns gemeinsam verpflichtet fühlen, näher kommen. Aber wir sind nicht am Ziel. Es gibt keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Die guten Nachrichten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch sehr viel zu tun gibt. Deutschland hat sich zwar verbessert, aber unsere Schülerinnen und Schüler sind im Lesen nur durchschnittlich. Das kann nicht reichen. Nach wie vor gehört fast ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren zu den schwachen Lesern. Auch die Abhängigkeit der Leistungen vom sozialökonomischen Hintergrund - das zeigt der Bericht - oder auch vom Migrationshintergrund der Schülerinnen und Schüler ist weiterhin groß. Dies ist nicht hinnehmbar. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da sind wir gespannt auf Ihre Vorschläge!) Das BMBF geht hier voran. PISA zeigt, dass sich in den Schulen viel verbessert. Aber wir müssen noch stärker als bisher das Umfeld der Schulen mit einbeziehen und dabei ganz besonders die Eltern in den Blick nehmen. Denn seien wir ehrlich - auch ich weiß das als Familienvater -: Ob ein Kind gut lesen kann, hängt auch, aber wahrlich nicht nur von der Schule ab. Hier sind selbstverständlich die Geschwister, die Eltern und die Großeltern gefragt. Deshalb werden wir an drei Punkten ansetzen. Wir beginnen mit den Kleinsten und verbessern mit dem neuen Programm "Lesestart - Drei Meilensteine für das Lesen" die Bildungschancen von Anfang an. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie viele erreichen Sie damit?) Wir ermutigen die Eltern zum Vorlesen und Kinder zum Lesen. Wir werden in der ersten Stufe 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichen, und in der dritten Stufe werden wir alle Grundschulkinder am ersten Schultag erreichen. Wir wenden uns also zunächst an die Eltern und Kinder in sozialen Brennpunkten. Dort geht es zunächst einmal darum, dass wir ihnen helfen. Mit dem Schuleintritt werden wir alle ansprechen. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, sind die Bildungsleistungen und vor allem die Ausbildungschancen. "Abschluss und Anschluss - Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss": Es geht darum, dass die jungen Menschen die Chance bekommen, ihre Potenziale frühzeitig zu erkennen, ihnen zu helfen, sich für einen Beruf zu entscheiden, der ihnen Spaß macht und ihnen liegt, und sie erfolgreich in den Berufseinstieg zu begleiten. Deshalb nehmen gerade in den ersten Tagen dieser Woche 500 Bildungslotsen ihre Arbeit auf, um den Jugendlichen zu helfen, denen es schwerfällt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja, toll! Für wie viele Schüler? - Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: 500! Das ist eine gewaltige Zahl!) Mit dem Programm "Lernen vor Ort" werden wir darüber hinaus Kommunen helfen, ihr Bildungsangebot strukturell zu verbessern. Dutzende Kommunen werden in den nächsten drei Jahren gefördert, um ein übergreifendes Bildungsmanagement sowie Bildungsbündnisse zu etablieren. Denn eins ist klar: Bildung ist letztlich ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Wir müssen die gesamte Gesellschaft in diese Aufgabe einbeziehen. Noch nie wurde in Deutschland so viel in Bildung investiert wie heute. Wenn ich das sage, meine ich selbstverständlich die Kommunen, die vielen freien Träger, die Bundesländer und letztlich auch den Bund. Noch nie stand die Bildung von der frühen Kindheit bis zum Berufsabschluss derart im Zentrum der Politik, wie das heute im Deutschen Bundestag und auch in den Landtagen der Fall ist. Das zeigt: PISA hat eine Menge auf den Weg gebracht. Wir sind auf einem guten Weg. PISA hat dazu beigetragen. Ich sage aber auch: Wir dürfen PISA nicht überbewerten. Vergessen wir nicht, dass es vieles gibt, was PISA nicht testet, beispielsweise wie gut 15-jährige Schülerinnen und Schüler in Fremdsprachen sind oder ihre musikalischen Fähigkeiten. All dies ist nicht Bestandteil von PISA. Trotzdem hat PISA in der deutschen Schullandschaft eine enorme Dynamik ausgelöst. Wir möchten die Vielfalt der individuellen Entwicklungen ermöglichen. Wir wollen die Leistungen im Schul- und Bildungssystem verbessern und das System gerechter machen. Das meinen wir, wenn wir von Bildungsrepublik sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie uns gemeinsam für diese Bildungsrepublik arbeiten! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Caren Marks hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Caren Marks (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Staatssekretär Rachel, es gibt durchaus erfreuliche Fortschritte, die wir aus den Ergebnissen der neuen PISA-Studie ablesen können. Bezogen auf die Bundesebene sind das Erfolge der Vorgängerregierung und vor allem Erfolge von Rot-Grün. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Die Erde ist eine Scheibe!) Ob die Richtung stimmt, die die jetzige Bundesregierung hier einschlägt, muss sich erst noch zeigen. Die aktuelle Studie zeigt erneut - das muss uns alle miteinander umtreiben -, dass in keinem anderen OECD-Land der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft der Kinder abhängt. Herr Staatssekretär, hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf, und zwar nicht nur seitens der Bundesländer, sondern auch vonseiten der Bundesregierung und von Schwarz-Gelb. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Handlungsbedarf beginnt - das haben Sie ausgeblendet - bei der frühkindlichen Bildung. Auf den Anfang kommt es an. Das kann man gar nicht oft genug sagen. Man muss dann aber auch entsprechend handeln. Frühkindliche Bildung verbessert die Chancen von Kindern, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Sie kann Benachteiligungen von Kindern wirkungsvoll entgegenwirken. Ganz wichtig ist dabei die individuelle Förderung von Kindern. In Krippen und Kitas wird der Grundstein für den späteren Bildungsweg gelegt. Deshalb brauchen wir dort eine gute Personalausstattung. Es bedarf einer Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kindertagesstätten. Ebenso bedarf es einer engen Kooperation zwischen Kitas und Grundschulen, damit der Übergang zwischen diesen beiden ersten wichtigen Bildungseinrichtungen für Kinder gut gelingen kann. (Beifall bei der SPD) Im Familienausschuss haben wir heute Morgen über das Fachkräfteproblem in Kitas diskutiert. Die Regierungskoalition zog sich auf den Standpunkt zurück: Die Länder sind zuständig. (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch!) Ich würde gern den Ministerinnen Frau Schröder und Frau Schavan, die leider nicht anwesend sind, die Frage stellen: Warum führen sie nicht dennoch mit den Ländern Gespräche über eine notwendige gemeinsame Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher? Augenscheinlich fehlt ihnen der Mut für diese notwendige Kraftanstrengung. (Beifall bei der SPD) Sozialdemokratische Länder machen doch vor, wie es anders geht. Rheinland-Pfalz beispielsweise hat eine Erzieheroffensive mit einem umfangreichen Fortbildungsprogramm umgesetzt. Das Land lässt den Personalbedarf in Kitas und in der Kindertagespflege wissenschaftlich ermitteln. Aber längst nicht alle Bundesländer sind so fortschrittlich. Gerade deshalb hat diese Bundesregierung die Pflicht, solche Initiativen überall in Deutschland anzuschieben und voranzubringen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das machen wir doch!) Der Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung, aber vor allem auch das Angebot an Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen sind die wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit. Das gilt ganz besonders für den Ausbau der Betreuungsplätze für die unter Dreijährigen. Eine Quote von bisher 23 Prozent ist alles andere als ausreichend. Wir alle wissen um die schlechte Finanzsituation der Länder und vor allem der Kommunen. Es ist fatal, dass diese Bundesregierung mit ihrer Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik systematisch dazu beiträgt, dass Strukturen vor Ort kaputtgespart werden. So hat allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz dieser Bundesregierung (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Der Hauptanteil ist Kindergeld!) - da können Sie weiter zetern; es bleibt wahr - bei den Kommunen zu Einnahmeausfällen in Höhe von 1,6 Mil-liarden Euro geführt, und zwar jährlich. Wir, die SPD, fordern deshalb einen Rettungsschirm für Kommunen und einen Bildungssoli, damit in eine vernünftige und bedarfsgerechte Bildungsinfrastruktur investiert werden kann. Sie machen mit Ihrer Haushaltspolitik die Finanzsituation der Kommunen und damit auch die Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Hinblick auf eine bessere Bildung kaputt. (Beifall bei der SPD) Die schwarz-gelbe Koalition lehnt unsere Forderungen ab. Das ist unverständlich. Noch viel schlimmer: Das von der Bundesregierung gegebene Versprechen, bis 2015 gesamtstaatlich mindestens 10 Prozent für Bildung und Forschung aufzuwenden, wartet weiter auf seine Einlösung. Die Geduld - nicht so sehr die der Opposition, sondern vor allem die der Eltern und der älteren Kinder, die das immer mehr begreifen - ist überstrapaziert, und zwar zu Recht. Fassungslos machen mich die Äußerungen der für den Betreuungsausbau zuständigen Ministerin Schröder. Die Bundestagsfraktion der SPD fordert seit langem einen erneuten Krippengipfel für Bund, Länder und Kommunen, um voranzukommen. Die Ministerin sagt dazu: Das ist totaler Quatsch. - Die Jugend- und Familienministerkonferenz sowie die kommunalen Spitzenverbände fordern merkwürdigerweise denselben Quatsch. Vielleicht sollte Ministerin Schröder einmal innehalten und ihre Arbeit endlich aufnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Studien beweisen längst, dass ein Betreuungsgeld geradezu bildungsfeindlich wäre. Ministerin Schröder sagt, frühkindliche Bildung habe sie mittlerweile als Thema für sich entdeckt. Aber ich frage mich, warum sie dann kein klares Nein zum Betreuungsgeld sagt; denn es würde falsche Anreize schaffen, indem es gerade den Verzicht auf die so wichtige frühkindliche Bildung fördert. Chancengleichheit würde dadurch verhindert und der Ausbau der frühkindlichen Infrastruktur konterkariert. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Caren Marks (SPD): Ich bin sofort am Ende. - Aktuelle Studien zeigen zudem, dass ein Betreuungsgeld sogar verfassungsrechtlich bedenklich wäre. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Caren Marks (SPD): - geben Sie sich einen Ruck! Verabschieden Sie sich vom Betreuungsgeld! Investieren Sie in den Ausbau des Angebotes für die unter Dreijährigen und der Ganztagsschulen! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Caren Marks (SPD): Die Kleinsten in unserem Land haben mehr Anstrengung verdient. Ich bedanke mich bei Ihnen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Florian Hahn hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Florian Hahn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Hein, wenn wir einmal nüchtern die Fakten zur diesjährigen PISA-Studie betrachten, dann stellen wir fest, dass das von Ihnen gezeichnete pessimistische Zerrbild ganz schnell in sich zusammenfällt. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Sie müssen es einfach nur lesen! Da steht alles drin!) Gott sei Dank ist die Zeit, als Sie für Bildung und Kultur in der SED-Bezirksleitung mitverantwortlich waren, vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Glauben Sie, dass das ein ernsthaftes Argument ist, das die Bürger interessiert?) - Ja. Hören Sie nur zu! Das interessiert die Bürger sehr wohl. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Wenn selbst Andreas Schleicher, Mister PISA, der sich bekanntlich mit Kritik an unserem deutschen Bildungssystem nie zurückgehalten hat, Deutschland diesmal Riesenfortschritte attestiert, können auch Sie das nicht schlechtreden. Deshalb noch einmal, um es sich besser zu merken: Fakt 1. Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben in der jüngsten PISA-Studie bessere Ergebnisse erzielt als in den Studien zuvor. Fakt 2. Die Schülerinnen und Schüler haben in den Tests eine deutlich bessere Lesefähigkeit als bisher attestiert bekommen. Der Leistungsabstand zwischen guten und schwachen Lesern hat sich so stark wie in keinem anderen OECD-Land verringert. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das heißt doch nur, dass die anderen noch schlechter sind!) Fakt 3. In den naturwissenschaftlichen Fächern rangieren die Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler deutlich über dem Durchschnitt. Fakt 4. Die PISA-Studie belegt zudem, dass sich die Chancen für junge Menschen aus bildungsfernen Familien in Deutschland weiter verbessert haben. Auch ein Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit bestätigt die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems. Beim PISA-Spitzenreiter Finnland lag diese im Oktober dieses Jahres bei den unter 25-Jährigen bei 20,9 Prozent, in Deutschland hingegen bei 8,5 Prozent. Damit sind wir einmal mehr ganz vorne in Europa. Es geht doch darum, dass wir junge Leute so gut ausbilden, dass sie später auch einen entsprechend guten Job finden. Das muss unser Ziel sein, nicht allein das Interpretieren von Statistiken. Diese geben uns nur einen Hinweis darauf, ob wir auf dem richtigen Weg sind. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Und was ist mit den 10 Prozent, die die Schule ohne Abschluss verlassen?) Die Fakten zeigen, dass der Kurs stimmt, und sie sind gleichzeitig Motivation für die zukünftigen Aufgaben im Bildungssektor. Bundesministerin Professor Annette Schavan und der Präsident der Kultusministerkonferenz, Bayerns Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle, haben deutlich gemacht, dass die vor uns liegenden Herausforderungen im Bildungssystem entschieden angegangen werden. Wir ruhen uns nicht aus; wir sind nicht selbstzufrieden, sondern wir wissen: Es gibt noch viel zu tun. Wir wollen daher die "Kulturtechnik Lesen" weiter stärken, um aus dem Mittelfeld der PISA-Studie weiter an die Spitze vorzudringen. Lesen eröffnet in einer globalisierten und vernetzten Welt das Tor zur Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft. Hier werden wir weiter mit bundesweit einheitlichen Bildungsstandards und einer begleitenden Evaluation am Ball bleiben. Mit dem Konzept "Lesestart - Drei Meilensteine für das Lesen" sind wir da auf dem richtigen Weg. Ferner müssen wir daran arbeiten, dass Jugendliche aus Zuwandererfamilien ihre Fähigkeiten voll einbringen und Sprachbarrieren abbauen können. Hier bescheinigt uns die vorliegende PISA-Studie im Übrigen wichtige Erfolge, auf denen wir konsequent aufbauen werden, um diesen Kindern mehr Chancen und Möglichkeiten zu eröffnen. Wir machen deutlich: Für uns ist die Förderung aller, sowohl der Leistungsstarken als auch der Leistungsschwachen, gleich bedeutsam. Entgegen den Vorschlägen von SPD, Linken und Grünen greifen wir nicht zu Vorschlägen aus der alten politischen Mottenkiste und rufen nach der Einheitsschule, sondern wir bekennen uns klar zu einer zielorientierten Weiterentwicklung des differenzierten Bildungssystems. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Oh weh! O weh! Ist Schulsozialarbeit Mottenkiste? Das sagen Sie mal den Lehrern vor Ort!) So wollen wir das differenzierte Schulsystem weiter verbessern und individuelle Förderung ausbauen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist Bildungsverweigerung, was Sie hier vortragen!) Damit werden wir die Talente jedes jungen Menschen noch besser erkennen, um ihm eine gute Ausgangsposition für einen erfolgreichen Start in das private und berufliche Leben zu ermöglichen. Dass dieser Weg richtig ist, zeigen nicht zuletzt auch die Ergebnisse des Bildungsvergleichs der deutschen Länder vom Sommer 2010. Während die ersten vier Plätze unionsregierte Länder belegen, bilden das dunkelrote Berlin und das rot-grün regierte Bremen die Schlusslichter. Dieses Ergebnis, meine Damen und Herren von der Opposition, sollte Ihnen daher zuallererst zu denken geben. Entwickeln Sie erst einmal mit Ihren Kollegen in den Ländern tragfähige und chancenreiche Konzepte. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Die gibt es schon!) Sorgen Sie endlich dafür, dass es den Kindern dort besser geht, wo Sie heute Verantwortung tragen. Das ist mehr als überfällig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das haben Sie doch bei den PISA-Ergebnissen gesehen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ernst Dieter Rossmann hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um gar nicht erst ein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Sozialdemokratie bzw. die "linke Seite des Parlaments", wie Sie uns gerne denunzieren, freut sich über die PISA-Ergebnisse; (Beifall bei der SPD) denn das ist eine Leistung von Lehrern, Schulträgern, Länderministern und Bundesregierung. Und damit auch Schluss ist mit dem Werbeblock: An der Vereinbarung der Kultusminister waren Kultusminister aller Farben beteiligt, und in Bezug auf die zehn Jahre gilt: Fünf Jahre hat Schröder regiert und fünf Jahre Merkel. Wollen wir uns jetzt wechselseitig vorwerfen, dass in dieser Zeit in Sachen Bildung etwas geleistet worden ist? Nein. Wir tun das nicht, und Kollege Schulz hat es auch nicht getan. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Nun ist es aber gut!) - Er hat es absolut nicht getan, sondern Kollege Schulz hat rückgefragt, ob bei den guten Fortschritten, die uns bescheinigt werden, wir nicht gemeinsam sensibel auf die noch vorhandenen Bedarfe schauen sollten, was uns durch die PISA-Studie nahegelegt wird. Ich definiere diese Bedarfe noch einmal: Zum Ersten gibt es für Kinder aus sozial schwierigeren Verhältnissen nach wie vor eine soziale Diskriminierung durch einen erschwerten Zugang in Bildungslaufbahnen. Das darf uns nicht ruhen lassen, und das wird Sie genauso wenig ruhen lassen. Zum Zweiten haben wir ein Problem in Bezug auf eingewanderte oder zugewanderte Kinder und Jugendliche, bei denen wir Fortschritte erzielt haben, aber noch nicht so stark wie erwünscht und durchaus noch differenziert nach Herkunftsgruppen. Zum Dritten haben wir, wie es mancher gesagt hat, ein Jungen-Mädchen-Problem in Bezug auf spezielle Lesekompetenz und Zugänglichkeit, was für uns eine pädagogische Herausforderung sein muss. Wenn man das benennen kann, dann sollten wir daran auch gemeinsam arbeiten. Ich will das aufgreifen, was Kollege Rachel für die Bundesregierung an Alternativen vorgetragen hat; ich fand das übrigens sehr mager. Vielleicht ist es an uns, die acht Punkte, die 2001 von der Kultusministerkonferenz mit Unterstützung der Bundesregierung erarbeitet worden sind, auf vier Punkte zu komprimieren. Ich fange bei der Sprache an. In Klammern sei gesagt: Zehn Jahre sind eine Bildungsbiografie. Die jetzt getesteten 15-Jährigen waren damals 5 Jahre alt. Insoweit ist das eine Dekade, die genau den PISA-Zeitraum umfasst. Wir wissen noch nicht, wie die später gestarteten frühkindlichen Fördermaßnahmen greifen. Wir haben die Hoffnung, dass sie zu Verbesserungen führen. - Die Studie zeigt auf, dass es besondere Schwierigkeiten in der kontinuierlichen Sprachförderung gibt. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) In anderen Ländern wird kontinuierliche Sprachförderung auch noch in der Sekundarstufe I betrieben, und das fachbezogen. Das ist etwas, Herr Rachel, liebe Kultusministerkonferenz, was wir gemeinsam verstärken sollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es geht nicht um ein Sprachförderanfangsprogramm, sondern um eine kontinuierliche Sprachförderung. Das ist ein Analysepunkt und damit ein Handlungspunkt. Der zweite Punkt. Es ist schon angesprochen worden, dass es in anderen Ländern differenziertere Schulteams gibt - das ist nicht aus der Mottenkiste; das ist PISA-Erkenntnis -, in denen Psychologen, Schulsozialarbeiter, Lehrer und andere Engagierte arbeiten. Das wird jetzt in die Debatte gebracht, auch als Möglichkeit, Schulsozialarbeit aufzubauen. Das wird auch in allen Ländern versucht; aber die sind bei 10 bis 15 Prozent. Da ist die Frage, ob man einen großen Aufbruch erreicht, weil nicht nur das Angebot, sondern auch die Vermittlung des Angebots wichtig ist. Schulsozialarbeit ist also der zweite Punkt, der in ein Vier-Punkte-PISA-Folgeprogramm gehört. Der dritte Punkt ist die Ganztagsschule. Es geht nicht an, Herr Rachel, dass wir uns zusammen darüber freuen, dass wir beim Thema Ganztagsschule zu guten Einsichten gefunden haben - es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, wie wichtig eine gute Ganztagsschule für alle in der Schule ist -, daraus aber keine Handlungen folgen lassen. Es ist doch förmlich die Aufforderung aus den wissenschaftlichen Untersuchungen, aus dem Konsens, zu einem guten gemeinsamen Ganztagsschulprogramm zu kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Als Viertes bleibt die offene Stelle aus den acht Punkten der Kultusministerkonferenz von 2001, nämlich die gute Lehrerausbildung. Bei der guten Lehrerausbildung geht es um die Primärausbildung, aber auch um die Weiterbildung. Wieso haben wir länderübergreifende Qualitätsstandards, aber keine länderübergreifende Lehrerweiterbildung? Sie würde viel helfen, auch in Bezug auf die Mobilität und die praktische Standardisierung. So könnten wir auch in einem anderen Bereich noch etwas tun. Die PISA-Studien haben uns im internationalen Vergleich gezeigt, dass bei uns interkulturelle Kompetenz an Schulen und Bildungseinrichtungen noch nicht hinreichend ausgereift ist. Da ist es natürlich bitter, dass etwas, auf das wir viel Hoffnung gesetzt haben, nämlich das Anerkennungsgesetz, um die Lehrerin aus Kasachstan oder den Lehrer aus der Türkei oder den Erzieher aus Jordanien in unserem Bildungssystem fruchtbringend einsetzen zu können, nicht zustande kommt. Der vierte Punkt müsste also sein, diesen Aspekt der interkulturellen Kompetenz aufzunehmen und gemeinsam zu versuchen, das mithilfe eines vom Bund gestützten Programms schnell in die Schulen hineinzubringen. Wir möchten von der Sozialdemokratie aus für eine solche komprimierte Vier-Punkte-Lösung werben. Eine Schlussbeobachtung dazu. Kollege Rachel, Sie haben die Bildungsrepublik so herausgestellt. Fällt uns da eigentlich noch etwas auf? Im letzten Jahr und vor zwei Jahren gab es eine Euphorie: Bund und Länder kommen bei der Kanzlerin zum Bildungsgipfel zusammen. - Morgen ist wieder Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin. Die Qualifizierungsinitiative wird nur zur Kenntnis genommen. Es wird nicht inhaltlich vertieft, es wird nicht einmal inhaltlich darüber gesprochen. Das kann uns nicht ruhen lassen. Es muss doch eine neue Initiative geben, dass Bund und Länder in diesen vier Punkten - und anderen noch dazu - inhaltlich zusammenkommen. Wir von der Sozialdemokratie fordern das ein - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): - und werben dafür, dass wir uns nicht im Klein-Klein der Ländervergleiche verzetteln, - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): - sondern uns zusammen für gute Bildungsansätze einsetzen. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Kretschmer hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Kretschmer hat jetzt das letzte Wort!) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider ist auch diese Debatte wieder ein Beleg dafür, dass es in der Politik keinen Bereich gibt, der so mit Ideologie aufgeladen ist wie die Bildung. (Zuruf von der SPD: Wo war das aufgeladen?) Das ist deswegen besonders schade, Herr Kollege Rossmann, weil wir am heutigen Tag mit Blick auf diese Studie sagen können: Wir sind erfolgreich. - Wenn es etwas gibt, das in der Pädagogik wichtig ist, dann ist es zunächst einmal, Erfolge anzuerkennen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mensch, Michael!) Man sollte nicht mit den alten Kamellen kommen und wieder die alten Forderungen zum gegliederten Schulsystem aufstellen, sondern zur Kenntnis nehmen, dass Länder, Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam etwas erreicht haben. Darauf können wir stolz sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Beitrag passt nicht zu der Debatte! - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer hat dir das denn aufgeschrieben? Hast du nicht zugehört?) Es ist heute schon angesprochen worden: Zentrale Verbesserungen gibt es bei den Migranten und auch bei den Kindern, die zu Hause nicht mit ihren Eltern deutsch sprechen können; aber diese Kinder bleiben immer noch deutlich zurück. Jedes Mal, wenn ich nach Dresden oder nach Hause, nach Görlitz, fahre, dann fahre ich entweder durch Kreuzberg oder durch Neukölln. Ich denke dann immer: Was hat diese linke Multikultipolitik für einen Schaden in diesem Land angerichtet? Welche Lebenschancen junger Leute hat sie zerstört? (Elke Ferner [SPD]: Ach, Michael! - Weitere Zurufe von der SPD: Oh! - Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ganz Deutschland soll wie Görlitz sein! Hurra!) Es war die Regierung von Angela Merkel, die mit einem Integrationsgipfel begonnen hat, das Thema Integration ernst zu nehmen, und mit diesem Multikulti Schluss gemacht hat. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mit dir koaliere ich nicht!) Sie hat gesagt: Natürlich muss man in diesem Land deutsch sprechen, die deutsche Sprache beherrschen, wenn man bei der Bildung erfolgreich sein will. Auch das kann man an der PISA-Studie ablesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen weniger Ideologie wäre ganz schön!) Eines kristallisiert sich ganz deutlich heraus: Die PISA-Ergebnisse sind die Folgen einer verfehlten Gesellschaftspolitik; es sind die Fehler von linker Politik und Folgen eines linken Zeitgeists. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In den Ländern im Westen, in denen die Union lange regiert hat und diese Fehler nicht möglich gewesen sind, sind die PISA-Ergebnisse um Vieles besser, auch bei den Kindern mit Migrationshintergrund. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Stefan Liebich [DIE LINKE]: Eberhard Diepgen! Klaus-Rüdiger Landowsky! Barbara John!) Das Schlimme ist doch: Die neuen Bundesländer sind vor 20 Jahren auf dem gleichen Niveau gestartet; und heute liegen die Ergebnisse von Sachsen und Brandenburg gewaltig auseinander, um ein ganzes Jahr. Sachsen hatte nach der Wiedervereinigung Baden-Württemberg und Brandenburg Nordrhein-Westfalen als Partner. Das sind konkrete Ergebnisse, die man zur Kenntnis nehmen muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schlimm ist auch, dass der zentrale Rat von Bildungsforschern heute nicht lautet: "Macht das so, oder macht das so!", sondern: Bitte macht Politik für einen Schulfrieden. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das steht in der Studie nicht drin! Das ist Ihre Aufgabe!) Als ich das zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich gefragt: Was ist denn los in diesen Ländern? Was sind denn das für Zustände? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich doch Bremen an!) Wenn man sich das anschaut, stellt man fest: Sobald Rot-Grün in Regierungsverantwortung kommt, wird in der Bildung erst einmal alles umgestellt, alles neu gemacht - koste es, was es wolle. Ergebnisse werden ignoriert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bremen hat Rot-Grün den Schulfrieden mit der CDU gemacht! Da haben Sie doch zugestimmt! - Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie aus Ihrem alten Schützengraben heraus!) Das sehen wir gerade wieder in Nordrhein-Westfalen. Wir waren auf einem guten Weg. Jetzt wird alles umgestellt. Das Schlimmste, was man im Bildungsbereich, in dem es um Vertrauen und Kontinuität geht, tun kann, ist, andauernd etwas anderes zu machen. Deswegen ist die Aussage: "Macht doch bitte einen Schulfrieden!" schon bezeichnend. Die Strukturen sind nicht das Entscheidende, sondern es geht um Leistungsorientierung, darum, dass die Lehrer arbeiten können, dass man Eltern, Lehrer und Schüler in Ruhe lässt und die Politik nicht andauernd reinredet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sachsen-Anhalt hat unter dieser Politik am meisten gelitten, weil dort am meisten rumgerührt worden ist. Seitdem es Kontinuität gibt, geht es aufwärts. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Was geht es? Aufwärts? Wo leben Sie denn?) Das ist ein wunderbarer Beleg für diese These. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in den vergangenen Jahren unter Angela Merkel - jetzt machen wir es zusammen mit der FDP - einen deutlichen Schwerpunkt auf Bildung gelegt. Wir haben die Länder auf diesem Weg mitgenommen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ja, super! Ganz toll! Besonders Berlin!) Das muss man zur Kenntnis nehmen. Ich finde in diesem Zusammenhang die Aussage des hochgeschätzten Bildungssenators Zöllner interessant, auf den Sie mehr hören sollten, (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir tun das! Wir regieren mit ihm! Gemeinschaftsschule, Supersache in Berlin! - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer regiert denn mit dem?) und zwar sollten Sie auch auf das hören, was Ihnen nicht gefällt. Man muss auf alles hören und alles zur Kenntnis nehmen und darf nicht immer nur selektiv wahrnehmen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Selektion sind Sie doch zuständig! Mit dem fünfgliedrigen Schulsystem!) Er hat heute nicht gefordert, das Kooperationsverbot aufzuheben, sondern er hat dezidiert gesagt: Auch in diesem System ist es möglich, zu kooperieren. - Wir tun das. Wir tun dies jedes Jahr mit mehreren Milliarden Euro, die der Bund den Ländern zur Verfügung stellt. Diesen Weg wollen wir weitergehen, gern gemeinsam - dazu sind Sie eingeladen -, aber nach Möglichkeit ideologiefrei. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um an diesem Punkt anzukommen, haben Sie aber noch ein ganzes Stück Weg zurückzulegen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung berufe ich auf morgen, Donnerstag, den 16. Dezember 2010, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.20 Uhr) Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 15.12.2010 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.12.2010 Brunkhorst, Angelika FDP 15.12.2010 Bülow, Marco SPD 15.12.2010 Burchardt, Ulla SPD 15.12.2010 Friedhoff, Paul K. FDP 15.12.2010 Hempelmann, Rolf SPD 15.12.2010 Lötzer, Ulla DIE LINKE 15.12.2010 Nord, Thomas DIE LINKE 15.12.2010 Pols, Eckhard CDU/CSU 15.12.2010 Scholz, Olaf SPD 15.12.2010 Schreiner, Ottmar SPD 15.12.2010 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 15.12.2010 Ziegler, Dagmar SPD 15.12.2010 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 14): Kann das Bundesministerium der Finanzen bestätigen, dass die Anschubfinanzierung zum Ausbau der Autobahn 8 zwischen Ulm und Augsburg gewährleistet ist, und hat die Aussage weiterhin Bestand, dass der Konzessionsbeginn Januar 2011 ist? Die für das Projekt im Falle einer Umsetzung in öffentlich-privater Partnerschaft durch die Vergabestelle im Verfahren vorgegebene Anschubfinanzierung ist - wie die weiteren über den vorgesehenen Konzessionszeitraum benötigten Ausgabemittel - in der im Kapitel 1202 Titel 823 51 ausgebrachten Verpflichtungsermächtigung und in der Finanzplanung berücksichtigt. Infolge der Besonderheiten der Betreibermodelle im Bundesfernstraßenbereich ist die Verpflichtungsermächtigung abweichend von § 16 Satz 2 der Bundeshaushaltsordnung, BHO, zunächst als Gesamtbetrag ohne Angabe von Jahresbeträgen im Haushalt veranschlagt. Die Inanspruchnahme der Verpflichtungsermächtigung bedarf gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BHO vor Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren der Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen, BMF. Im Falle der Einwilligung des BMF stehen die erforderlichen Ausgabemittel und damit auch die Mittel für die Anschubfinanzierung zur Verfügung. Als Konzessionsbeginn wurde von jeher der Januar 2011 angestrebt. Voraussetzung für jeden Konzessionsbeginn ist der Abschluss des Vergabeverfahrens. Das Vergabeverfahren ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 15): Durch welches konkrete Regierungshandeln gedenkt der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, seine Zusage einzuhalten, wonach er persönlich die Zusammenarbeit zwischen Stadt, Stadtwerken und Deutscher Bahn AG beim Verfahren zum Umbau des Hauptbahnhofs Augsburg und die Baumaßnahme selbst unterstützen wird - Ergebnis eines Gesprächs des Bundesministers mit Kommunalpolitikern, laut Pressemitteilung der Stadt Augsburg am 3. Dezember 2010 -, und was kann der Bundesminister dafür tun, damit der Bahnsteig F am Augsburger Bahnhof - der doch nach bisherigem Kenntnisstand vom Freistaat Bayern aus Bundesmitteln finanziert wird - schnell realisiert wird? Der Umbau des Hauptbahnhofs Augsburg ist ein Teil des Vorhabens "Regio-Schienen-Takt Augsburg". Hier soll in der Region Augsburg stufenweise eine Verdichtung des Schienenpersonennahverkehrs, SPNV, erfolgen. Des Weiteren sind die Umbaumaßnahmen am Augsburger Hauptbahnhof eng mit dem städtischen Projekt "Mobilitätsdrehscheibe Augsburg" verbunden. Hier werden die Umsteigemöglichkeiten zwischen städtischem Nahverkehr und SPNV verbessert. Zuständig für die Planung, Organisation und Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs, ÖPNV, und seit der Regionalisierung des SPNV zum 1. Januar 1996 auch für den SPNV, sind die Länder. Der Bund steht zu seinen Zusagen, im Rahmen des GVFG-Bundesprogramms das Gesamtvorhaben "Mobilitätsdrehscheibe Augsburg" anteilig zu finanzieren. Auch nach den Bürgerbegehren und den städtebaulich bedingten Planungsänderungen wird das Vorhaben "Mobilitätsdrehscheibe Augsburg" positiv und unterstützend durch den Bund begleitet. Weiterhin gilt, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für jeden der Beteiligten ein Ansprechpartner ist. Der Bund sieht es wohlwollend, dass sich eine Projektgruppe mit allen Beteiligten gebildet hat. In diesem Bauherrenlenkungskreis werden konkrete Fragen unter den Projektbeteiligten besprochen und abgestimmt. Für die Finanzierung des Bahnsteiges F im Augsburger Hauptbahnhof stellt der Bund die erforderlichen Mittel gemäß Anlage 8.7 der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Verfügung. Die Verwendung der Bundesmittel für diese Maßnahme ist zwischen der DB AG und dem Freistaat Bayern abgestimmt. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Fragen der Abgeordneten Ute Kumpf (SPD) (Drucksache 17/4153, Fragen 20 und 21): Wie viele Ausfälle von regulären Zugverbindungen hat es nach Kenntnis der Bundesregierung als Eigentümer der Deutschen Bahn AG, DB AG, im Bahnverkehr seit dem Beginn der Winterperiode 2010/2011 gegeben, die auf den Einfluss der Witterungsbedingungen zurückzuführen sind? Wie viele Weichen sind im Schienennetz der DB AG mit einer Heizung ausgestattet, und wie beurteilt die Bundesregierung die Ansicht der DB AG als bundeseigenes Unternehmen, dass eine stärkere Beheizung der vorhandenen Weichen einen unverhältnismäßig hohen Energieverbrauch verursacht? Die in den Fragen angesprochenen Dinge liegen in unternehmerischer Verantwortung der DB AG und sind daher der Bundesregierung nicht unmittelbar bekannt. Die Bundesregierung kann die erbetenen Informationen aber bei der DB Netz AG ergänzend erfragen und sie der Abgeordneten übermitteln. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 17/4153, Fragen 24 und 25): Wie stellte sich die Häufigkeit der Eisstände auf den Bundeswasserstraßen im Frostwinter 2009/2010 im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren dar? War der Betrieb der Schiffsschleusen an deutschen Wasserstraßen im Winter 2009/2010 nach Kenntnis der Bundesregierung durch Vereisung gefährdet und, wenn ja, in welchen Bereichen? Die Befahrbarkeit von Bundeswasserstraßen wird regelmäßig durch Eisgang eingeschränkt. Das Ausmaß der Betroffenheiten der einzelnen Wasserstraßen hängt von den jeweiligen geografischen, hydromorphologischen und meteorologischen Randbedingungen ab. Schwerpunkte bilden hier grundsätzlich die ostdeutschen und süddeutschen Wasserstraßen, künstliche Wasserstraßen (Kanäle) und staugeregelte Wasserstraßen. Wegen des Datenumfangs ist eine kurzfristige Auswertung entsprechend der Fragestellung nicht möglich. Aktuelle Eislagen und statistische Daten können zum einen auf der Internetseite des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie www.bsh.de und zum anderen über das elektronische Wasserstraßeninformationssystem der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung www.elwis.de abgerufen werden. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Sören Bartol (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 26): Wie haben sich die Verbraucherpreise für Heizenergie insgesamt und für einzelne Heizenergieträger seit der Einführung des Heizkostenzuschusses zum Wohngeld Anfang 2009 bis heute entwickelt? Von Januar 2009 bis November 2010 sind laut Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes die Preise für Heizenergie um 7,2 Prozent gefallen. Die Preise für die einzelnen Heizenergieträger haben sich dabei unterschiedlich entwickelt: Heizenergieträger Relative Veränderung von November 2010 gegenüber Januar 2009 in Prozent Gas 18,7 flüssige Brennstoffe (leichtes Heizöl) +21,3 feste Brennstoffe +6,7 Zentralheizung, Fern wärme und andere 11,0 darunter Fernwärme 9,4 Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Jan Mü cke auf die Frage des Abgeordneten Sören Bartol (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 27): Um wie viel Euro wird die durchschnittliche monatliche Wohngeldzahlung durch die Streichung des Heizkostenzuschusses ab 2011 voraussichtlich sinken, und wie viele Haushalte werden nach Einschätzung der Bundesregierung aufgrund der niedrigeren Wohngeldzahlungen Arbeitslosen-geld II beantragen müssen? Durch die Streichung der Heizkostenkomponente dürfte die durchschnittliche monatliche Wohngeldzahlung ab 2011 um durchschnittlich etwa 15 Euro sinken. Die Auswirkungen der Streichung der Heizkostenkomponente können nicht verlässlich quantifiziert werden, weil die Zahl der Haushalte, die durch diese Leistungskürzung aus dem Wohngeldanspruch herausfallen würden, sich zurzeit nicht ausreichend genau ermitteln lässt. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Gerd Bollmann (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 30): Ist die Bundesregierung angesichts zahlreicher Müllskandale - zum Beispiel illegale Abfallbeseitigung in Tongruben, illegaler Export von Elektroabfällen - und der aktuellen Erfassungsprobleme bei Verpackungsabfällen sowie den technischen Problemen beim elektronischen Abfallnachweisverfahren, eANV, überzeugt, dass die Rückführung für die Tätigkeit von Sammlern, Beförderern, Händlern und Maklern für Abfälle von einer Genehmigungspflicht zur Anzeigepflicht das richtige Signal ist, und wie sollen angesichts des niedrigeren Überwachungsstandards zukünftig Müllskandale verhindert und eine ordnungsgemäße Entsorgung von Abfällen garantiert werden? Der vorliegende Referentenentwurf zum Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht in den §§ 53 und 54 vor dem Hintergrund der novellierten Abfallrahmenrichtlinie eine EU-rechtskonforme Fortentwicklung der Überwachung von Sammlern, Beförderern, Händlern und Maklern von Abfällen vor. Soweit diese Tätigkeiten gefährliche Abfälle betreffen, wird eine Genehmigungspflicht bestimmt, soweit sie nicht gefährliche Abfälle betreffen, eine Anzeigepflicht. Die Anzeige ist vor Aufnahme der jeweiligen Tätigkeit zu erstatten. Alle Akteure müssen über die für ihre Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit sowie Sach- und Fachkunde verfügen, unabhängig davon, ob sie der Genehmigungs- oder Anzeigepflicht unterliegen. Die zuständige Behörde kann vom Anzeigepflichtigen die Vorlage weiterer Nachweise, insbesondere zur Sach- und Fachkunde, verlangen. In Umsetzung der EU-Abfallrahmenrichtlinie wird damit erstmals der mengenmäßig besonders relevante Bereich der nicht gefährlichen Abfälle zur Verwertung in die Überwachung einbezogen. Ebenfalls erstmalig werden auch Anzeige- und Genehmigungspflichten für das abfallwirtschaftlich bedeutsame Handeln mit Abfällen eingeführt. Demgegenüber werden lediglich die bisherigen Genehmigungspflichten für das Befördern von nicht gefährlichen Beseitigungsabfällen sowie für das Makeln von nicht gefährlichen Abfällen auf eine Anzeige vor Aufnahme der Tätigkeit zurückgeführt, um so zu der eingangs genannten einheitlichen, insoweit auch effizienteren und vollzugsfreundlicheren Struktur von Genehmigungs- und Anzeigepflichten zu gelangen. Über die Kontrolle der Beförderer, Händler und Makler hinaus bestimmt das Kreislaufwirtschaftsgesetz umfassende Pflichten zur Führung von Nachweisen und Registern über die Entsorgung und den Verbleib von Abfällen sowie weitreichende Befugnisse der zuständigen Behörden zur Überwachung der Abfallbewirtschaftung. Für die Überwachung grenzüberschreitender Abfallverbringungen gelten die EG-Abfallverbringungsverordnung sowie das Abfallverbringungsgesetz als nationales Ausführungsgesetz. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 33): Um welches Bundesland handelt es sich in der Antwort auf den zweiten Teil meiner mündlichen Frage 83 auf Bundestagsdrucksache 17/3113 - bitte mit Angabe des Datums, wann dieses Bundesland die in der Antwort genannten "ersten Informationen" übermittelt hat; vergleiche Plenarprotokoll 17/77, Anlage 64 -, und geschah diese Übermittlung auf eine Bitte bzw. Aufforderung hin, die das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, an alle fünf von der Bund-Länder-Nachrüstliste betroffenen Landesatomaufsichtsbehörden gerichtet hatte, gegebenenfalls bitte mit Angabe des Datums dieser BMU-Bitte/-Aufforderung? Das Land Schleswig-Holstein hat als Antwort auf eine Bitte des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, vom 2. September 2010 eine Liste mit ersten Informationen zum Umsetzungsbedarf noch am selben Tag übermittelt. Anlage 10 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 34): Welche konkreten inhaltlichen und zeitlichen Vereinbarungen wurden auf der Abteilungsleiter-Telefonkonferenz vom 8. September 2010 hinsichtlich des weiteren Vorgehens für die Atomkraftwerkenachrüstung getroffen - beispielsweise welche konkreten Fristen wurden für die anlagenscharfe Ermittlung des tatsächlichen Nachrüstbedarfs vereinbart; vergleiche Plenarprotokoll 17/64, Anlage 53 -, und wie wurde für das weitere Vorgehen sichergestellt, dass es zwischen dem BMU und den Abteilungsleitern der fünf betroffenen Landesatomaufsichtsbehörden keine Missverständnisse hinsichtlich aller wesentlichen Punkte, die besprochen wurden, gab - wurden beispielsweise die wesentlichen Inhalte und Positionen der Telefonkonferenz schriftlich festgehalten? Über die bereits in der Beantwortung der Fragen der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Bundestagsdrucksache 17/3007, Frage 59, und Bundestagsdrucksache 17/3113, Frage 83, dargelegten Vereinbarungen hinaus wurden keine weiteren konkreten inhaltlichen und zeitlichen Vereinbarungen auf der Abteilungsleiter-Telefonkonferenz vom 8. September 2010 getroffen. Ein Protokoll dieser Telefonkonferenz wurde seitens des Bundes nicht gefertigt. Anlage 11 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4153, Frage 35): Zu welchem Zeitpunkt rechnet die Bundesregierung mit der Genehmigung der Einlagerung und des Transports der 152 zurzeit im Forschungszentrum Jülich lagernden Castoren mit Brennelementen aus dem AVR Jülich - AVR: Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor - in das Brennelemente-Zwischenlager Ahaus, und mit welcher Zahl an Einzeltransporten von Jülich nach Ahaus per Bahn und Lkw rechnet die Bundesregierung infolge dieser Genehmigungen? Die Genehmigung für die Aufbewahrung von bestrahlten Brennelementen aus dem seit dem 31. Dezember 1988 in Stilllegung befindlichen Atomversuchsreaktor, AVR, Jülich im Zwischenlager Jülich endet am 30. Juni 2013. Danach ist die Aufbewahrung dieser Behälter in Jülich grundsätzlich nicht mehr möglich. Das Forschungszentrum Jülich rechnet mit der Erteilung der Genehmigung für die Aufbewahrung dieser Behälter im Transportbehälterlager Ahaus in der zweiten Jahreshälfte 2011. Hierzu ist anzumerken, dass im Transportbehälterlager Ahaus bereits vergleichbare bestrahlte Brennelemente aus dem Thorium-Hochtemperaturreaktor, THTR, Hamm-Uentrop in 305 Behältern lagern. Der Antrag auf Beförderungsgenehmigung von Jülich in das Transportbehälterlager Ahaus wurde am 4. Oktober 2010 gestellt - Eingang beim Bundesamt für Strahlenschutz am 8. Oktober. Im Rahmen des nunmehr anstehenden Genehmigungsverfahrens im Hinblick auf die Erteilung der Beförderungsgenehmigung wird unter anderem das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen beteiligt. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Fragen der Abgeordneten Tabea Rößner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Fragen 43 und 44): Wurde der Werbeauftritt von Dr. Annette Schavan für die Bild-App vergütet? Entspricht es der gebotenen Neutralität der Bundesregierung, wenn ein Kabinettsmitglied wie Dr. Annette Schavan für die iPad-App der Bild-Zeitung wirbt, und beabsichtigt die Bundesregierung, in Zukunft auch für andere Verlage oder Produkte werblich tätig zu werden? Zu Frage 43: Es handelte sich nicht um einen Werbeauftritt, und es wurde nicht vergütet. Zu Frage 44: § 5 Abs. 1 Bundesministergesetz regelt, dass Mitglieder der Bundesregierung neben ihrem Amt kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben dürfen. Die Mitglieder der Bundesregierung halten sich an diese Vorschriften. Die Bundesregierung ist weder für einen Verlag noch für ein Produkt werblich tätig. Ausweislich des abgedruckten Zitats ging es um die Frage der Nutzung innovativer Technik und neuer Medien. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 45): Aus welchen Gründen hält es die Bundesregierung für zielführend, dass im Bioökonomierat kein Sachverstand aus dem Bereich Verbraucherschutz sowie aus den Sozialwissenschaften vertreten ist, und folgt aus diesem Defizit nicht eine nur begrenzte Ausgewogenheit der Stellungnahmen des Bioökonomierates? Der Sachverstand in den Bereichen Verbraucherschutz und Sozialwissenschaften ist im Bereich Bioökonomie sehr wichtig. Daher wurden im Bioökonomierat Experten aufgenommen, die neben ihrer direkten Institutsdisziplin auch breitere sozialwissenschaftliche Expertise vertreten können. Anlage 14 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Gudrun Kopp auf die Fragen des Abgeordneten Manfred Grund (CDU/CSU) (Drucksache 17/4153, Fragen 46 und 47): Wie bewertet die Bundesregierung das Projekt zur Beratung im Bereich Gender-Mainstreaming in Afghanistan, das von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH, GTZ, durchgeführt wird, vor dem Hintergrund eines effizienten Einsatzes von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit und vor dem Hintergrund der Bedürfnisse des Landes? Inwieweit plant die Bundesregierung eine Fortsetzung solcher Projekte vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Afghanistan? Zu Frage 46: Seit 2001 haben sich die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die afghanischen Frauen und Mädchen insgesamt deutlich verbessert. Probleme für die Achtung und Förderung der Gleichberechtigung rühren jedoch weiterhin aus konfligierenden Wertvorstellungen - insbesondere zwischen Stadt und Land sowie zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen - sowie aus konkurrierenden Normsystemen. Zur Verbesserung der Lage von Frauen und Mädchen setzt die deutsch-afghanische Entwicklungszusammenarbeit gezielt mit einem Gender-Mainstreaming-Projekt an, das von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ, im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, durchgeführt wird. Das Projekt ist dem Schwerpunktsektor "Gute Regierungsführung" der deutsch-afghanischen Entwicklungszusammenarbeit, EZ, zugeordnet und wurde auf Wunsch der afghanischen Regierung hin konzipiert. Neben der Stärkung des afghanischen Frauenministeriums hilft das Vorhaben beim Aufbau von Gleichstellungsreferaten in sechs Sektorministerien der afghanischen Zentralregierung, um die Gleichstellung im öffentlichen Dienst und in der Regierungsarbeit insgesamt zu fördern. Initiiert durch die Gleichstellungsreferate haben das Finanzministerium und das Ministerium für Handel und Industrie bereits gezielte Programme zur Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen eingerichtet. Das Finanzministerium hat mit Unterstützung durch das Projekt neben einem Gleichstellungsreferat auch ein sogenanntes Gender-Budgeting-Referat in der Haushaltsabteilung eingerichtet. Dieses dient dazu, die Belange von Frauen und Mädchen systematischer in der nationalen Haushaltsplanung berücksichtigen zu können. Das Gender-Mainstreaming-Projekt fördert auch die Vernetzung von Regierungsinstitutionen und Zivilgesellschaft. Dazu wurden und werden gemeinsame Veranstaltungen organisiert, zum Beispiel eine Konferenz zur Vorbereitung der Friedens-Jirga im Juni 2010, die dazu beigetragen hat, dass die Beteiligung von Frauen gesteigert wurde. Des Weiteren wird eine Gruppe von Parlamentarierinnen mit dem Ziel unterstützt, frauenpolitischen Anliegen größeres Gehör in der Parlamentsarbeit zu verschaffen. In Kabul und der nordöstlichen Provinz Badakhshan wurde Anfang 2010 auch eine Zusammenarbeit mit religiösen Autoritäten begonnen. Im Mittelpunkt stehen dabei fortschrittliche Mullahs und Imame, mit deren Hilfe die Akzeptanz speziell der Mädchen- und Frauenbildung gefördert werden soll. Zudem wird das Thema häusliche Gewalt über diese Multiplikatoren thematisiert. Durch seine Querschnittstätigkeit fördert das Gender-Mainstreaming-Projekt parallel die stärkere Berücksichtigung von Aspekten der Gleichberechtigung in Schwerpunktsektoren der deutschen EZ mit Afghanistan (Rechtstaatlichkeit, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Bildung sowie Energie- und Trinkwasserversorgung). Zu Frage 47: Die nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände von Frauen und Mädchen in Afghanistan und die Gleichstellung der Geschlechter wird auch in den kommenden Jahren noch das konsequente Engagement der afghanischen Regierung und entsprechende Unterstützung durch die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft erfordern. Die Bundesregierung plant daher, ihr Engagement im Bereich Gender Mainstreaming für Afghanistan im Rahmen der etablierten Instrumente der technischen Zusammenarbeit fortzuführen. Es ist Ziel der Entwicklungspolitik, Menschenrechte zu fördern und Afghanistan dabei zu unterstützen, dass Frauen und Männer einen Beitrag zur Entwicklung Afghanistans leisten können. Anlage 15 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Gudrun Kopp auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 48): Wie viel Prozent der von der Bundesregierung zugesagten finanziellen Mittel für die humanitären Krisen in Haiti und Pakistan wurden bislang jeweils ausgezahlt, und aus welchen Gründen wurden die zugesagten Gelder bisher noch nicht in vollem Umfang gezahlt? Pakistan: Für die Opfer der Flutkatastrophe in Pakistan sagte die Bundesregierung Mittel in Höhe von 35 Millionen Euro zu. Diese Mittel verteilen sich jeweils zur Hälfte, 17,5 Millionen Euro, auf das Auswärtige Amt, AA, und das Bundesentwicklungsministerium, BMZ. Das AA hat insgesamt 38 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 17,50 Millionen Euro geplant und beschieden. Das BMZ hat insgesamt 18 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 17,54 Millionen Euro geplant und beschieden. Die Mittel des BMZ sind zu 81,73 Prozent, 14,34 Millionen Euro, ausgezahlt. Bei den noch nicht zur Auszahlung gekommenen 18,27 Prozent handelt es sich einerseits um Projekte, die in den Jahren 2011 bis 2013 noch Verpflichtungsermächtigungen umsetzen, die demnach erst in den Folgejahren zur Auszahlung kommen können. Andererseits handelt es sich um Projekte, bei denen die Barmittel 2010 bis Ende des laufenden Jahres abfließen werden. Die Mittel des AA wurden zu 93,43 Prozent, 16,35 Millionen Euro, ausgezahlt. Bei den noch nicht zur Auszahlung gekommenen 6,56 Prozent handelt es sich um aufgestockte Projekte, bei denen der Mittelabruf für die Aufstockungen vonseiten der Projektpartner entweder noch nicht erfolgte oder aber die kürzlich abgerufenen Mittel erst in den nächsten Tagen abfließen. Haiti: Insgesamt waren von der Bundesregierung nach dem Erdbeben Mittel in Höhe von 37,1 Millionen Euro für Maßnahmen der humanitären Soforthilfe und der Entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe, ENÜh, zugesagt worden. AA: 5,1 Millionen Euro, BMZ: 32 Millionen Euro. Von den zugesagten Mitteln des BMZ sind bislang zehn ENÜh-Projekte im Gesamtwert von 19,85 Millionen Euro eingereicht und bewilligt worden. Die verbleibenden Mittel in Höhe von 12,15 Millionen Euro werden im folgenden Jahr zugesagt werden. Der Auszahlungsstand bei den bewilligten Projekten beträgt 71,4 Prozent, 14,17 Millionen Euro. Bei den noch nicht zur Auszahlung gekommenen 28,6 Prozent handelt es sich zum Teil um Projekte, die in den Jahren 2011 bis 2013 noch Verpflichtungsermächtigungen umsetzen, die demnach erst in den Folgejahren zur Auszahlung kommen können. Ferner handelt es sich um Projekte, bei denen die Barmittel erst in den nächsten Tagen abfließen werden. Weiterhin wurden bereits laufende Projekte aufgestockt, sodass eine klare Zuordnung der abgerufenen Mittel nicht möglich ist. In Haiti gestaltet es sich zudem für unsere Partnerorganisationen schwierig, geeignete Durchführungspartner für ENÜh-Maßnahmen zu finden. Hinzu kommt, dass haitianische öffentliche Stellen selbst schwer vom Erdbeben betroffen waren und sind und ihre Arbeitsfähigkeit nur in beschränktem Umfang gegeben ist. Ferner war der Bedarf nach öffentlichen Zuwendungen, bedingt durch das hohe private Spendenaufkommen in Deutschland, nicht so hoch wie beispielsweise in Pakistan, wo private Gelder nur in weitaus geringerem Umfang flössen. Die Mittel des AA wurden vollständig ausgezahlt. Insgesamt waren 16 Projekte im Gesamtwert von 5,14 Millionen Euro bewilligt worden. Anlage 16 Antwort des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 49): Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass der Bundesnachrichtendienst seinem Informanten Curveball fünf Jahre monatlich 3 000 Euro zahlte, diesen trotz fehlender Voraussetzungen beim vorzeitigen Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft unterstützte sowie ein nicht existentes Arbeitsverhältnis mit einem nicht existenten Arbeitgeber bescheinigen ließ, nachdem feststand, dass die Behauptungen Curveballs, der Irak unter Saddam Hussein besitze Biowaffen, falsch und erfunden waren, aber gerade diese Unwahrheiten von den USA wesentlich als Begründung genutzt worden waren, in den Irak einzumarschieren und einen Krieg zu führen, in dem weit mehr als 100 000 Menschen getötet und ein unendliches Leid und Zerstörung angerichtet wurden (vergleiche ARD-Panorama und Dokumentation vom 2. Dezember 2010), und wie beurteilt die Bundesregierung die Handlungen sowie Unwahrheiten des Informanten Curveball, die geeignet waren und vermutlich in der Absicht vorgenommen wurden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören im Hinblick darauf, dass Art. 26 des Grundgesetzes die Führung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig verbietet sowie verlangt, solche Handlungen in Deutschland unter Strafe zu stellen? Die in Ihrer Frage Nr. 49 zur Fragestunde am 15. Dezember 2010 enthaltenen Vorwürfe haushaltsrechtlicher Art sowie die Vorwürfe gegen die Bundesregierung in Bezug auf die Relevanz der Aktivitäten des Informanten für eine Vorbereitung des bewaffneten Konfliktes im Irak werden zurückgewiesen. Hinsichtlich der nachrichtendienstlichen Aspekte Ihrer Anfrage ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die erbetene Auskunft geheimhaltungsbedürftig ist. Die Anfrage zielt auf Einzelheiten tatsächlicher oder vermuteter nachrichtendienstlicher Aktivitäten, die grundsätzlich nicht öffentlich dargestellt werden können. Aus ihrer Offenlegung könnten sowohl staatliche Akteure anderer Länder als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und Methoden des BND ziehen. Im Ergebnis würde dadurch die Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden und damit die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gleichwohl ist die Bundesregierung selbstverständlich bereit, das Informationsrecht des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen zu befriedigen. Die Bundesregierung hat deshalb die erbetenen Angaben als "GEHEIM" eingestufte Verschlusssache zur Einsicht durch Sie und berechtigte Personen an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages übermittelt. Anlage 17 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4153, Frage 50): Welche Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen, um aufzuklären, welche weiteren Informationen von Informanten, insbesondere dem Informanten aus dem Büro des Bundesministers des Auswärtigen - diverse Medien seit dem 3. Dezember 2010; Der Spiegel vom 6. Dezember 2010 -, nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen bis letzte Woche über Überlegungen, Pläne und Taktiken der Bundesregierung auch zu mit den USA strittigen Themen wie zur NATO-Konferenz in Lissabon und zum Abzug der US-Nuklearraketen aus Deutschland an US-Diplomaten abgeflossen sind und ob dadurch Schaden oder Schwierigkeiten für die Durchsetzung deutscher Interessen entstanden sind, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um solche Praktiken rückhaltlos aufzuklären sowie zu vermeiden? Das Auswärtige Amt stellt Mitgliedern des Bundestages aller Bundestagsfraktionen, den Zentralen aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sowie den Landesregierungen auf Anfrage und anlassbezogen ausgewählte und überprüfte Sachstände als Informationsmaterial zur Verfügung. Diese Praxis gegenüber Vertretern der Regierungs- und der Oppositionsseite dient im Sinne eines konsistenen Außenauftretens unseren außenpolitischen Interessen. Der ehemalige Leiter der Abteilung Internationales des Thomas-Dehler-Hauses hat aus dem Auswärtigen Amt in einigen Einzelfällen anlassbezogen ausgewählte und überprüfte Sachstände erhalten, so etwa Politische Halbjahresberichte zur Republik Serbien und zu Bosnien und Herzegowina. Er hat keine Sachstände erhalten zu US-amerikanischen oder transatlantischen Fragestellungen. Für Mitarbeiter von politischen Parteien gilt im Übrigen genauso eine Verschwiegenheitspflicht wie für Mitarbeiter des Deutschen Bundestages oder der Fraktionen. Anlage 18 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 51): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Entscheidung der US-Administration, ihre "fruchtlosen Bemühungen aufzugeben, Israel zu einem neuen Baustopp von 90 Tagen zu bewegen" - Ticker vom 8. Dezember 2010, dpa-Meldung um 10.45 Uhr? Die Bundesregierung bleibt der Überzeugung, dass Fortschritte auf dem Weg hin zu einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung dringend erforderlich sind. Sie steht in ständigem und engem Kontakt sowohl mit der US-Regierung als auch mit beiden Parteien, den weiteren Quartett-Partnern sowie den arabischen Partnern in der Region. Die jüngsten Entwicklungen geben aus Sicht der Bundesregierung Anlass zur Sorge. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, hat bei vielen Gelegenheiten mit Nachdruck für eine Fortführung der direkten Verhandlungen geworben, so auch bei seinen kürzlichen Besuchen im Staat Israel, den palästinensischen Gebieten und im Haschemitischen Königreich Jordanien. Dabei hat er beiden Parteien gegenüber deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem internationalen Friedensplan, der Roadmap, erwartet. Insbesondere gehört dazu die Einstellung des Siedlungsbaus. An dieser Position hält die Bundesregierung fest. Die Bundesregierung wird sich in den nächsten Tagen und Wochen sehr intensiv mit ihren Partnern abstimmen und ihre Bemühungen fortsetzen, den Friedensprozess voranzubringen. Dabei kommt insbesondere dem Nahost-Quartett eine herausragende Rolle zu. Anlage 19 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Druck-sache 17/4153, Frage 52): Welche Bedeutung für die Nahostpolitik der Bundesregierung hat die Initiative der brasilianischen Regierung, den Staat Palästina in den Grenzen von 1967 anzuerkennen? Gemeinsam mit ihren Partnern in der EU hat die Bundesregierung wiederholt bekräftigt, dass sie Verhandlungen, die zu einem eigenen palästinensischen Staat führen, und alle diesbezüglichen Bemühungen und Schritte unterstützt, und dass sie bereit ist, einen palästinensischen Staat gegebenenfalls anzuerkennen - so die EU-Ratsschlussfolgerungen vom 8. Dezember 2009. In Bezug auf die Grenzen von 1967 hat sie gemeinsam mit den Partnern in der EU klargestellt, dass sie keine Änderungen der vor 1967 bestehenden Grenzen, auch hinsichtlich Jerusalems, anerkennen wird, die nicht zwischen beiden Seiten vereinbart worden sind - so die EU-Ratsschlussfolgerungen vom 8. Dezember 2009. Anlage 20 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 53): Wie wird die Bundesregierung auf die Einreiseverweigerung seitens der israelischen Regierung für die Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den Gazastreifen am 5. Dezember 2010 reagieren? Die Deutsche Botschaft Tel Aviv hatte sich im Vorfeld der Reise gegenüber den zuständigen israelischen Stellen für eine Einreise der Delegation in den Gazastreifen eingesetzt. Nach Verweigerung der Einreise hat die Bundesregierung die Frage am 14. Dezember 2010 im Rahmen eines Gesprächs des Ständigen Vertreters unserer Botschaft in Tel Aviv mit dem israelischen Außenministerium in Jerusalem aufgenommen. Anlage 21 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 54): Welche politischen Initiativen wird die Bundesregierung unternehmen, um die israelische Regierung zu einem Ende der wirtschaftlichen Blockade des Gazastreifens, mit katastrophalen humanitären Konsequenzen für die Bevölkerung, zu bewegen? Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, setzt sich bereits seit längerem sowohl gegenüber dem Staat Israel als auch innerhalb der EU intensiv für die Ermöglichung von Exporten aus dem Gazastreifen ein. Diese sind für eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage unerlässlich. Am 8. Dezember 2010 hat das israelische Sicherheitskabinett beschlossen, künftig auch Exporte aus dem Gazastreifen für die Bereiche Landwirtschaft, Möbel und Textilien zuzulassen. Die israelische Regierung hat angekündigt, diesen Entschluss stufenweise im Rahmen der damit einhergehenden sicherheitstechnischen und logistischen Vorbereitungen am Übergang Kerem Shalom umsetzen zu wollen. Bundesminister Dr. Westerwelle hat diesen Schritt am 10. Dezember 2010 als einen Schritt in die richtige Richtung, um die Abriegelung des Gazastreifens weiter zu lockern, begrüßt und sich für eine rasche und konsequente Umsetzung dieser politischen Entscheidung ausgesprochen. Die Situation im Gazastreifen stand auch auf der Tagesordnung des Rats für Allgemeine Beziehungen am 13. Dezember 2010. In ihren jüngsten Ratsschlussfolgerungen hat die EU erneut die Notwendigkeit einer sofortigen, nachhaltigen Öffnung der Übergänge aus und in den Gazastreifen für humanitäre Hilfe, Waren und Personen bekräftigt und unter anderem erneut ihre Bereitschaft erklärt, in enger Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Behörde und der israelischen Regierung im Einklang mit der Sicherheitsrats-Resolution 1860 der Vereinten Nationen und auf der Basis des "Agreement on Movement & Access" den Wiederaufbau und die wirtschaftlichen Erholung des Gazastreifens zu unterstützen. Anlage 22 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 55): Inwieweit hat sich die Bundesregierung für die Freilassung der politischen Häftlinge in Kuba engagiert, und inwiefern hat sie sich für eine Aufnahme der bereits entlassenen und ausgewiesenen politischen Exhäftlinge in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt? Vorrangiges Ziel der Kubapolitik der Bundesregierung ist die Achtung der Menschenrechte und die Förderung einer demokratischen Entwicklung in Kuba. Deshalb fordert die Bundesregierung gemeinsam mit ihren europäischen Partnern seit langem die Freilassung aller politischen Gefangenen in Kuba. Die Bundesregierung hat diese Forderung sowohl in ihren bilateralen Gesprächen als auch in Vorbereitung der Treffen der EU mit Kuba im Rahmen des politischen Dialogs mit Nachdruck vorgetragen. Dabei hat sich die Bundesregierung aus humanitären Gründen vorrangig für die Freilassung derjenigen politischen Häftlinge eingesetzt, deren Gesundheitszustand auch aufgrund der Haftbedingungen in Kuba besonders angegriffen war. Darüber hinaus haben die diplomatischen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Havanna den Einsatz für die Freilassung der politischen Gefangenen durch sichtbare Zeichen der Solidarität mit den Angehörigen politischer Gefangener wie den "Damas de Blanco" unterstrichen. Zunächst ist festzuhalten, dass die kubanische Regierung aufgefordert ist, auch diejenigen Gefangenen freizulassen, die in Kuba bleiben wollen. Bei der Gruppe der 52 Gefangenen, deren Freilassung im vergangenen Sommer angekündigt wurde, ist dies mit einer einzigen Ausnahme bislang nicht erfolgt. Die Bundesregierung würdigt die Bereitschaft Spaniens, diejenigen politischen Gefangenen aufzunehmen, die ihr Land verlassen mussten. Auch aus Sicht der politischen Gefangenen liegt der Wunsch nach Aufnahme in einem spanischsprachigen Land, zu dem enge historische und kulturelle Bindungen bestehen, nahe. Eine Reihe der sich in Spanien aufhaltenden politischen Gefangenen soll im Übrigen die Absicht geäußert haben, sich in den Vereinigten Staaten von Amerika niederzulassen - nicht zuletzt aufgrund familiärer Verbindungen. Aufnahmeanträge für Deutschland liegen bislang nicht vor, gegebenenfalls wäre im Einklang mit den einschlägigen ausländer- und asylrechtlichen Regeln zu entscheiden. Anlage 23 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Abgeordneten Agnes Malczak (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Fragen 56 und 57): Unterstützt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein Staat, der dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten ist, Mitglied der Nuclear Suppliers Group werden darf? Vertritt der deutsche Botschafter in Indien, Thomas Matussek, mit seinen Äußerungen, dass Deutschland eine indische Mitgliedschaft in der Nuclear Suppliers Group unterstützt und die Bedingungen hierfür erfüllt seien - newkerala.com, 6. Dezember 2010 -, die Position der Bundesregierung, und welche Bedingungen müssen für die Aufnahme eines Staates in die Nuclear Suppliers Group aus Sicht der Bundesregierung erfüllt sein? Zu Frage 56: Die Bundesregierung betrachtet den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, NVV, als Eckpfeiler des internationalen Nichtverbreitungsregimes. Die Bundesregierung hat die 2008 unter deutschem Vorsitz beschlossene Nuclear-Suppliers-Group-Ausnahmeregelung für die Republik Indien mitgetragen, da sie das Ziel hat, Indien näher an das internationale Nichtverbreitungsregime heranzuführen. Die Nuclear Suppliers Group ist eine Gruppe von Staaten, die sich zusammengeschlossen haben, um die weitere Verbreitung von Kernwaffen in der Welt durch eine aktive und koordinierte Exportkontrollpolitik zu verhindern. Sie arbeitet auf der Grundlage des Einstimmigkeitsprinzips. Dies macht es erforderlich, gemeinsam mit unseren Partnern immer wieder den Konsens zu suchen. Zu Frage 57: Die zitierten Äußerungen sind von der indischen Presse aus dem Zusammenhang gerissen und missverständlich wiedergegeben worden. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Republik Indien, Thomas Matussek, hat erläutert, dass die Bundesregierung die weitere Heranführung Indiens an das internationale Nichtverbreitungsregime nachdrücklich unterstützt. An dieser Position der Bundesregierung hat sich nichts geändert. Anlage 24 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 58): Sind die aktuellen Diskussionen um den Einsatz einer EU-Battle-Group zur Verstärkung der Mission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, als Indiz zu werten, dass Bundesregierung und EU davon ausgehen, dass bis zum vorgesehenen Termin für die Referenden über die Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Januar 2011 weder der zukünftige Grenzverlauf noch die offenen Fragen bezüglich der Wählerregistrierung - die entscheidend für den Ausgang der Referenden sein dürften - abschließend geklärt sind, also nicht mit einem reibungslosen Ablauf und einer anschließenden Anerkennung des Referendums durch die beteiligten Parteien zu rechnen ist, und wird die Bundesregierung einen Einsatz einer EU-Battle-Group befürworten (bitte begründen)? Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keinen Anlass für eine Diskussion über den Einsatz einer EU Battle Group zur Verstärkung der Mission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS. Die Wählerregistrierung im Sudan für das Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans wurde am 8. Dezember 2010 abgeschlossen. Es wurden keine größeren Unregelmäßigkeiten von den internationalen Wahlbeobachtern gemeldet. Die Verhandlungen zwischen Nord- und Südsudan über die noch offenen Fragen wie zum Beispiel den Grenzverlauf gehen unter der Mediation der Afrikanischen Union und des Vermittlers Thabo Mbeki weiter. Nord- und Südsudan haben mehrfach versichert, dass sie das Referendum pünktlich durchführen und die Ergebnisse anerkennen werden. Risiken, bedingt durch die ethnischen und politischen Spannungen im Land, bleiben. Anlage 25 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 59): Ist der Bundesregierung die Aussage von Navanethem Pillay, Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, bekannt, die hinsichtlich der Vorgänge um die Internetplattform WikiLeaks gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters ihre Besorgnis über Berichte von Druck, der auf Firmen ausgeübt wurde, darunter Banken, Kreditkartenunternehmen und Internet-Service-Provider, um die Finanzströme zu WikiLeaks zu unterbrechen und das Hosting der Website zu unterbinden, zum Ausdruck brachte, da man ihrer Ansicht nach diese Maßnahmen als Versuch interpretieren könne, die Plattform von der Veröffentlichung abzuhalten, wodurch das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt werden würde, und teilt die Bundesregierung diese Ansicht? Der Bundesregierung ist die Meldung der Nachrichtenagentur Reuters über die Aussagen der VN-Hochkomissarin für Menschenrechte, Frau Pillay, zum Fall WikiLeaks bekannt. Der Schutz der Menschenrechte ist ein Grundpfeiler deutscher Außenpolitik. Dabei kommt der Meinungsfreiheit ein hoher Stellenwert zu. Frau Pillay hat dem Reuters-Bericht zufolge - zu Recht - darauf hingewiesen, dass der Fall WikiLeaks die schwierige menschenrechtliche Frage der Ausbalancierung des Rechtes auf Meinungs- und Informationsfreiheit sowie des Schutzes der nationalen Sicherheit bzw. der öffentlichen Ordnung aufwirft. Im Fall WikiLeaks geht es außerdem um den notwendigen Schutz der Vertraulichkeit diplomatischen Schriftverkehrs. In diesem Licht wird auch die Bundesregierung den weiteren Verlauf des Falles WikiLeaks und die Reaktionen darauf aufmerksam beobachten. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Drucksache 17/4153, Frage 60): Inwiefern sieht die Bundesregierung - auch im Lichte des deutschen Informationsfreiheitsgesetzes und dessen oftmals unzureichender Umsetzung in der Praxis - einen Zusammenhang zwischen einem berechtigten Transparenzanspruch der Bürgerinnen und Bürger und Veröffentlichungen durch Plattformen wie WikiLeaks, und teilt die Bundesregierung die Ansicht des Fragestellers, dass öffentliche Verwaltungen durch eine erhöhte Transparenz dem grundsätzlich berechtigten Transparenzanspruch besser entgegenkommen müssten? Ein solcher Zusammenhang ist nicht erkennbar. Insbesondere soweit in der Frage eine unzureichende Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes unterstellt und eine mangelnde Transparenz der öffentlichen Verwaltung behauptet wird, ist dies nicht nachvollziehbar. Neben dem Informationsfreiheitsgesetz, das sich in der Praxis bewährt hat, bestehen unzählige Regelungen, die dem Informations- und Transparenzinteresse der Bürgerinnen und Bürgern dienen. Hierzu zählen nicht nur das Verbraucherinformationsgesetz, VIG, und das Umweltinformationsgesetz, UIG, sondern auch die Informationsrechte der Presse bis hin zu den verfahrensrechtlichen Auskunftsansprüchen für Beteiligte. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 61): Wie hat die Bundesregierung die Stiftung Deutsches Sport & Olympia Museum bzw. das Museum in Köln selbst seit Gründung im Jahr 1999 unterstützt, und wie wird sie es künftig tun? Die Bundesregierung hat für die Errichtung des Deutschen Sport- und Olympia-Museums in Köln 5,92 Millionen DM, 3 Millionen Euro, zur Verfügung gestellt. Eine weitere Beteiligung, insbesondere an den Betriebs- und Folgekosten, erfolgte nicht und ist auch künftig nicht beabsichtigt. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 62): Welche aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen, von denen türkische Staatsangehörige betroffen sind, wurden nach dem 1. Dezember 1980 entgegen Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG/Türkei in der Weise verschärft, dass eine nach dem 1. Dezember 1980 erfolgte Erleichterung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wieder - teilweise oder gänzlich - zurückgenommen wurde (vergleiche Urteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, C-300/1/09 vom 9. Dezember 2010), und wird die Bundesregierung von der geplanten Verlängerung der Mindestbestandszeit für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht von Eheleuten von zwei auf drei Jahre absehen, da dies gegen das genannte Urteil des EuGH und damit gegen verbindliches Europarecht verstoßen würde (bitte begründen)? Die Bundesregierung wertet derzeit das in der Fragestellung genannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Dezember 2010 aus. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 63): In wie vielen Fällen wurde in den letzten zehn Jahren gegen Journalisten, Blogger oder Inhaber von Webseiten jeweils wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Geheimnisverrat ermittelt, und zu wie vielen Verurteilungen kam es (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Ermittlungsverfahren gegen Journalisten, Blogger oder Inhaber von Webseiten und entsprechende Verurteilungen werden in den Strafrechtspflegestatistiken nicht gesondert erfasst. Deswegen sind leider konkrete Angaben hierzu nicht möglich. Erfasst werden nur die wegen Verstoßes gegen § 353 b des Strafgesetzbuchs insgesamt verurteilten Personen. Dies waren im Jahr 2007 11 Personen, im Jahr 2008 27 Personen und im Jahr 2009 15 Personen. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 64): Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von einigen Wissenschaftlern, die in Bezug auf § 52 a des Urheberrechtsgesetzes davon sprechen, dass die Auslegung und Anwendung des § 52 a häufig nicht verfassungskonform und darüber hinaus europarechtswidrig sei, und sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen der § 52 a durch Universitäten in einer unrechtmäßigen Form angewendet worden ist? § 52 a des Urheberrechtsgesetzes, UrhG, erlaubt die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten in schulischen und universitären Intranets. Der Bundesregierung sind keine Entscheidungen der Rechtsprechung bekannt, aus denen hervorgeht, dass die Auslegung und Anwendung von § 52 a UrhG etwa an Universitäten nicht verfassungskonform erfolge. Europarechtlich ist daran zu erinnern, dass § 52 a UrhG mit dem sogenannten Ersten Korb der Urheberrechtsreform eingeführt wurde, mit dem die Richtlinie "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft", Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, umgesetzt wurde. Dabei hatte der Gesetzgeber im Interesse von Unterricht und Wissenschaft von der Möglichkeit des Art. 5 Abs. 3 Buchstabe a der Richtlinie Gebrauch gemacht, die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten gesetzlich für zulässig zu erklären; er hat jedoch zugleich auch den berechtigten Interessen der Schulbuchverlage und der wissenschaftlichen Verlage Rechnung getragen und die Voraussetzungen des § 52 a UrhG restriktiv formuliert. So erlaubt § 52 a UrhG lediglich, dass "kleine Teile eines Werkes", "Werke geringen Umfangs" sowie "einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften" durch einen abgegrenzten Personenkreis genutzt werden. Ferner dürfen für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmte Werke stets nur mit Einwilligung des Berechtigten genutzt werden. Weitere Einschränkungen gelten für die Nutzung von Filmwerken. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Fragen des Abgeordneten Harald Koch (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Fragen 65 und 66): Ist die Regelung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass, UStAE, zu § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes, UStG, unter Punkt 4.21.2 - Ergänzungsschulen -, Abs. 3 Satz 2 derart zu verstehen, dass sämtliche Maßnahmen nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung) - gegebenenfalls auch in Kombination - umsatzsteuerbefreit sind, und, wenn nein, welche Varianten bzw. Kombinationen sind von der Umsatzsteuerbefreiung ausgenommen? Welche Rechtssicherheit ist für eine durchführende Bildungseinrichtung gegeben, wenn sie gemäß der Steuerbefreiungsregelungen nach § 4 Nr. 21 Buchstabe a Doppelbuch-stabe bb UStG - Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen - von der zuständigen Landesbehörde für eine bestimmte Maßnahme eine derartige Bescheinigung erhalten hat? Zu Frage 65: Ja, die von Ihnen angesprochene Regelung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass ist so zu verstehen, dass sämtliche Maßnahmen nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB III (Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung) - gegebenenfalls auch in Kombination, umsatzsteuerbefreit sind. Eine Differenzierung nach Einzelmaßnahmen oder Maßnahmenkombinationen ist nicht erforderlich. Zu Frage 65: Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde bindet nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als Grundlagenbescheid die Finanzverwaltung hinsichtlich der Frage, ob und für welchen Zeitraum die Bildungseinrichtung auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Die Finanzbehörden entscheiden jedoch in eigener Zuständigkeit, ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiung im Übrigen vorliegen. Dazu gehören laut Bundesfinanzhof insbesondere die Voraussetzungen einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4153, Frage 67): Welche Neuregelung plant die Bundesregierung bei der Verlustverrechnung nach dem vorläufigen Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 26. August 2010, und welche Maßnahmen strebt die Bundesregierung diesbezüglich zur Kompensation von Einnahmeausfällen bei Bund, Länder und Kommunen an? Im Beschluss vom 26. August 2010 (I B 49/10) hält der BFH die sogenannte Mindestgewinnbesteuerung nach § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG im Grundsatz für verfassungskonform. Er äußert aber nach summarischer Prüfung Zweifel, ob das Zusammenwirken der Mindestgewinnbesteuerung mit gesetzlichen Regelungen, die in speziellen Konstellationen wie zum Beispiel bei einem Anteilseignerwechsel an einer Kapitalgesellschaft zum Wegfall von Verlustvorträgen führen, verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der Beschluss ist in einem Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz (Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids) ergangen. Vorläufiger Rechtsschutz wird dabei bereits dann gewährt, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH seine Rechtsauffassung auch in einem Hauptsacheverfahren aufrechterhält. Im Übrigen sieht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP eine Prüfung der Neustrukturierung der Regelungen zur Verlustverrechnung vor, die auch die Mindestgewinnbesteuerung einschließt. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Thomas Gambke (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 68): Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung als Reaktion auf die Stellungnahme der EU-Kommission vom 30. September 2010 im Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2008/4909) bezüglich der Organschaft und in welchem Zeitrahmen? Im Vertragsverletzungsverfahren zur Organschaft (VVV 2008/4909) greift die Europäische Kommission eine Vorschrift auf, nach der als Organgesellschaft nur Kapitalgesellschaften in Betracht kommen, die sowohl ihren Sitz als auch den Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (sogenannter doppelter Inlandsbezug). Es handelt sich dabei lediglich um eine Detailfrage innerhalb der deutschen Organschaftsregelungen; die Organschaftsregelungen werden - wie die Europäische Kommission ausdrücklich klarstellt - in ihrer Gesamtheit von der Europäischen Kommission nicht beanstandet. Die Bundesrepublik Deutschland hat zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 30. September 2010 Stellung genommen. In dieser Stellungnahme wurde darauf hingewiesen, dass der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien die Prüfung der Einführung eines modernen Gruppenbesteuerungssystems anstelle der bisherigen Organschaft vorsieht. In diesem Zusammenhang wird auch die im Vertragsverletzungsverfahren angesprochene Detailfrage aufgegriffen. Das Bundesministerium der Finanzen wird bis September 2011 Vorschläge zu dem Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag vorlegen. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 69): Welche Einzeldaten sind den Finanzbehörden bekannt, die im Rahmen einer vorausgefüllten Steuererklärung dem Steuerpflichtigen bereitgestellt werden können, und bezieht sich die von der Bundesregierung angestrebte vorausgefüllte Steuererklärung lediglich auf Fälle der Onlineerklärung via Elster oder auch auf die Zusendung von vorausgefüllten Vordrucken an den Steuerpflichtigen auch vor dem Hinblick einer Differenzierung zwischen Steuerpflichtigen als natürliche Personen mit Neben- bzw. Haupteinkünften und der Besteuerung von juristischen Personen? Bund und Länder streben seit geraumer Zeit an, das Besteuerungsverfahren grundlegend zu modernisieren, um die Qualität des Steuervollzugs zu verbessern und Bürokratiekosten abzubauen. Um dies zu erreichen, sollen sukzessive für möglichst alle Phasen im Besteuerungsprozess IT-basierte Verfahren entwickelt und angeboten werden. In diesem Zusammenhang soll auch eine elektronisch vorausgefüllte Einkommensteuererklärung zum Einsatz kommen, die über das Verfahren Elster zu Beginn für das ElsterOnlinePortal und im Anschluss daran sowohl für die kostenlose Steuersoftware der Finanzverwaltung "ElsterFormular" als auch für kommerzielle Softwareprodukte als Service angeboten werden soll. Die der Finanzverwaltung bereits vorliegenden aktuellen Daten des Veranlagungsjahres sollen automatisch in den richtigen Feldern der Erklärung beigesteuert werden. Macht der Steuerpflichtige von dem Serviceangebot Gebrauch, ruft er seine Erklärung im Internet ab und sendet sie nach Prüfung und gegebenenfalls Ergänzung an die Finanzbehörde zurück. Damit eine "Vorausgefüllte Steuererklärung" bei den Bürgerinnen und Bürgern auf breite Akzeptanz stößt, ist ein solider Datenbestand für die Voreintragungen (sogenannte eBeleg-Daten) Voraussetzung. Wichtige Schritte zur Verbreiterung der von der Finanzverwaltung beizusteuernden Datenbasis wurden bereits unternommen. So wurden insbesondere die gesetzlichen Regelungen zur elektronischen Übermittlung der Daten der Rentenbezugsmitteilungen, der Bescheinigungsdaten über Lohn-/ Entgeltersatzleistungen, über geleistete Altersvorsorgebeiträge, über Beiträge zur privaten und gesetzlichen Basiskranken- und Pflegepflichtversicherung sowie über Zuwendungsnachweise (Spendenbescheinigungen) geschaffen. Eine Verordnung zur Übermittlung von Bescheinigungsdaten über vermögenswirksame Leistungen ist in Vorbereitung. Insgesamt handelt es sich um ein technisch sehr anspruchsvolles Vorhaben. Deshalb wird die Bereitstellung der eBeleg-Daten stufenweise erfolgen. In der ersten Stufe sollen die Daten aus der Lohnsteuerbescheinigung, aus Lohnersatzleistungen und Rentenbezugsmitteilungen bereitgestellt werden. Nach Verfügbarkeit weiterer Daten wird das Angebot dann jährlich ausgebaut. Angestrebt wird, für das Gros der Bürgerinnen und Bürger eine weitgehend papierlose Kommunikation zwischen Steuerbürger und Finanzverwaltung bis 2013 zu erreichen. Mit der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist die Zielsetzung einer möglichst weitgehend ohne zusätzlichen Erfassungsaufwand und den damit verbundenen Reibungsverlusten und zeitlichen Verzögerungen stattfindenden Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und der Finanzverwaltung auf der anderen Seite verbunden. Eine vorausgefüllte Papier-Steuerklärung ist daher nicht vorgesehen. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 70): Welcher Vereinfachungseffekt bei Anhebung des Arbeitnehmerpauschbetrages auf 1 000 Euro tritt bei Steuerpflichtigen mit tatsächlichen Werbungskosten unter 920 Euro hinsichtlich des Erfordernisses der Belegpflichten ein, und stimmt die Bundesregierung zu, dass in den genannten Fällen die Erhöhung des Pauschbetrages zu Mitnahmeeffekten führt? Eine Anhebung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages auf 1 000 Euro wird zusätzlich gut eine halbe Million Arbeitnehmer von Einzelnachweisen befreien. Die von Ihnen im Übrigen angesprochenen Effekte können bei jedem steuerlichen Pauschbetrag eintreten. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Christine Scheel (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 71): Wie berechnete die Bundesregierung die in ihrer Initiative zur Steuervereinfachung geplanten aufkommensneutralen Entlastungen von rund 4 Milliarden Euro für Unternehmen - vergleiche Pressemeldungen vom 10. Dezember 2010 - im Genauen - bitte komplette Maßnahmen auflisten und finanzielle Wirkungen im Detail aufschlüsseln -, und wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen von den Entlastungen profitieren? Das vorgesehene Paket gesetzlicher Maßnahmen zur Steuervereinfachung zielt im Verbund mit flankierenden untergesetzlichen Maßnahmen im Besteuerungsverfahren in erster Linie darauf ab, ein Weniger an Erklärungs- und Prüfaufwand und ein Mehr an Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit zu bewirken. Die damit verbundene finanzielle Steuerentlastung ist mit Blick auf die Situation der öffentlichen Haushalte auf ein verkraftbares Maß begrenzt worden. Oberste Priorität hat die Einhaltung der Schuldenbremse des Grundgesetzes und damit die Umsetzung des von der Bundesregierung eingeschlagenen konsequenten Konsolidierungskurses. Aber auch wenn nur eine begrenzte monetäre Steuerentlastung möglich ist, so wird die Gesamtbelastung von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachungsmaßnahmen deutlich gesenkt: Allein die Unternehmen in Deutschland werden durch die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Steuervereinfachung um circa 4 Milliarden Euro pro Jahr an Bürokratieaufwand entlastet. Die ausgewiesenen Bürokratiekosteneinsparungen in Höhe von circa 4 Milliarden Euro pro Jahr beruhen im Wesentlichen auf der geplanten "Erleichterung bei der elektronischen Rechnungsstellung" im Umsatzsteuerrecht. Nachstehend die weiteren Maßnahmen mit relevanten zahlenmäßig bezifferten Bürokratiekosteneinsparungen für die Wirtschaft: - Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in der Forstwirtschaft durch Verzicht auf amtlich anerkanntes Betriebsgutachten oder Betriebswerk als Voraussetzung für die Feststellung des Nutzungssatzes für die ermäßigte Besteuerung - Bürokratiekosteneinsparungen in Höhe von 0,7 Millionen Euro; - elektronische Abgabe der Erklärung zur Körperschaftsteuerzerlegung - Bürokratiekosteneinsparungen in Höhe von 1 Million Euro. Die Erleichterung bei der elektronischen Rechnungsstellung verteilt sich wiederum auf drei einzelne Informationspflichten: Ausstellung von Rechnungen - für die gesetzlich bestehende Pflicht, für Umsätze an andere Unternehmen Rechnungen zu erteilen, schlägt die vorgesehene elektronische Rechnungserteilung durch, Verzicht auf die qualifizierte elektronische Signatur bei elektronisch übermittelten Rechnungen - Unternehmen, die diese weiter benutzen wollen, dürfen dies - und Aufbewahrung von Rechnungen - elektronisch erstellte und übersandte Rechnungen brauchen nicht in Papierform aufbewahrt zu werden. Die Entlastung bei der elektronischen Rechnungsstellung kommt allen Unternehmen zugute, die die Vereinfachung in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für die übrigen Maßnahmen. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 72): Gibt es konkrete Kompensationsgeschäfte - wie etwa, von der Rheinischen Post am 9. Dezember 2010 veröffentlicht, ein Einlenken Deutschlands beim Euro-Rettungsschirm -, die im Gegenzug zum Zugeständnis der anderen EU-Staaten an Deutschland bei den Kohlebeihilfen gemacht werden, und, wenn ja, welche? Die Bundesregierung hat sich mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, dass die auf nationaler Ebene vereinbarten Regelungen für ein sozialverträgliches Auslaufen des subventionierten heimischen Steinkohlenbergbaus bis Ende 2018 durch einen entsprechenden EU-Beihilferahmen abgesichert werden. Ich bin sehr zufrieden, dass dies mit überzeugenden Argumenten inzwischen gelungen ist. Ein Zusammenhang mit anderen zurzeit auf EU-Ebene diskutierten Dossiers wurde dabei nicht hergestellt. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Richard Pitterle (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 73): Wie viele Verwaltungsanweisungen wurden durch das Bundesministerium der Finanzen in den Jahren 2000 bis 2010 hinsichtlich eines vereinfachten Spendennachweises bei Naturkatastrophen erlassen - bitte differenziert nach Jahren -, und welchen Effekt misst die Bundesregierung einer Verkürzung der Aufbewahrungszeiten auf deutlich unter zehn Jahre für Belege für Privatpersonen bzw. Gewerbetreibende zu? Zum ersten Teil der Frage nehme ich wie folgt Stellung: Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder hat das Bundesministerium der Finanzen im Jahr 2010 Verwaltungsanweisungen zur Unterstützung der Opfer des Erdbebens in Haiti im Januar 2010, vergleiche BMF-Schreiben vom 4. Februar 2010, und zur Unterstützung der Opfer der Flutkatastrophe in Pakistan im Sommer 2010, vergleiche BMF-Schreiben vom 25. August 2010, als Hilfsmaßnahme zur Beseitigung der bei diesen Katastrophen entstandenen beträchtlichen Schäden herausgegeben. Diese BMF-Schreiben regelten unter anderem auch Erleichterungen zum Spendennachweis bei Naturkatastrophen. Im Jahr 2002 erging ein bundeseinheitlich abgestimmter Katastrophenerlass zur Unterstützung der Opfer der Hochwasserkatastrophe im August 2002, die in weiten Teilen des Bundesgebiets erhebliche Schäden hervorgerufen hat, vergleiche BMF-Schreiben vom 1. Oktober 2002. Weitere Katastrophenerlasse wurden durch das Bundesministerium der Finanzen zur Hilfe der Opfer der Seebebenkatastrophe im Dezember 2004 in Indien, Indonesien, Sri Lanka, Thailand, Malaysia, Birma (Myanmar), Bangladesch, auf den Malediven, den Seychellen sowie in Kenia, Tansania und Somalia, vergleiche BMF-Schreiben vom 14. Januar 2005, sowie zur Unterstützung der Opfer des Hurrikans Katrina im Süden der USA im Sommer 2005, vergleiche BMF-Schreiben vom 19. September 2005, herausgegeben. Eine ausführliche Aufzählung der seit dem Jahr 2000 erlassenen Verwaltungsanweisungen zur Regelung steuerlicher Erleichterungen in Katastrophenfällen war in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit leider nicht möglich. Zum zweiten Teil der Frage nehme ich wie folgt Stellung: Nach den Vorschriften der Abgabenordnung, AO, haben Unternehmen Bücher und Aufzeichnungen sowie alle Unterlagen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, sechs bzw. zehn Jahre aufzubewahren. Eine entsprechende Aufbewahrungspflicht ergibt sich auch aus § 257 Handelsgesetzbuch, HGB. Für Steuerpflichtige, deren Summe der positiven Überschusseinkünfte mehr als 500 000 Euro im Kalenderjahr beträgt, sieht § 147 a AO eine sechsjährige Aufbewahrungspflicht für Aufzeichnungen und Unterlagen über die den Überschusseinkünften zugrunde liegenden Einnahmen und Werbungskosten vor. Demgegenüber haben "Privatpersonen" nur bei ganz bestimmten Sachverhalten eine Aufbewahrungspflicht, wie zum Beispiel bei Rechnungen im Zusammenhang mit Vermietungseinkünften. Die Bundesregierung definiert in ihrem Kabinettsbeschluss vom 27. Januar 2010 die "Harmonisierung und Verkürzung der Aufbewahrungs- und Prüfungsfristen nach Handels-, Steuer- und Sozialrecht" als eines von acht Projekten in prioritären Lebens- und Rechtsbereichen, in denen die Erzielung spürbarer Vereinfachungen geprüft werden. Dabei werden wir auch untersuchen, inwieweit bestehendes Vereinfachungspotenzial tatsächlich umgesetzt werden kann, denn Unterlagen werden nicht nur aus handels-, steuer- oder sozialrechtlichen Gründen aufbewahrt. Hinzu kommt eine Rechtsfolgenabschätzung, in der wir die Auswirkungen von potenziellen Rechtsänderungen auf das Normengefüge beurteilen müssen. Es handelt sich um einen laufenden Prozess. Ergebnisse können naturgemäß erst bei Abschluss des Projektes vorliegen. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Thomas Jarzombek (CDU/CSU) (Drucksache 17/4153, Frage 74): Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer Breitbandstrategie und der Tatsache, dass die Mobilfunkanbieter beim Breitbandausbau - LTE-Technologie - eine tragende Rolle spielen sollen, dass die Bundesnetzagentur die Terminierungsentgelte für die Mobilfunkanbieter auf die Hälfte gesenkt hat, obwohl eine solche drastische Senkung ungewöhnlich ist - bisher waren 16 bis 19 Prozent schon viel -, und dadurch den Mobilfunkanbietern möglicherweise Erlöse für Investitionen in den Breitbandausbau fehlen? Die Bundesnetzagentur entscheidet unabhängig auf Basis der gesetzlichen Grundlagen. Daher kann die Bundesregierung zu der genannten Entscheidung inhaltlich nicht Stellung nehmen. Allerdings erwartet die Bundesregierung, dass der Ausbau von mobilem Breitband ungeachtet der Entscheidung der Bundesnetzagentur weiter voranschreiten wird. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Gerd Bollmann (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 75): Wann wird die Bundesregierung den CCS-Gesetzentwurf vorstellen, und wie sollen die Kompetenzen für die Bundesländer geregelt werden? Die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die geologische Speicherung von Kohlendioxid muss bis 25. Juni 2011 umgesetzt werden. Eine zügige Kabinettsbefassung des gemeinsamen CCS-Referentenentwurfs des BMU und des BMWi zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht wird angestrebt. In Einzelfragen ist die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 76): Weshalb wird bei der Leistungserbringung für Schulausflüge und Klassenfahrten auf Gutscheine verwiesen, obwohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - vorsieht, dass für diese Leistungen die tatsächlichen Kosten übernommen werden? Die Leistungserbringung durch Gutscheine schließt eine Übernahme der tatsächlichen Kosten ein. Der Gutschein ist das Versprechen des Leistungsträgers, für die Erbringung der im Gutschein genannten Leistungen die entsprechende Vergütung zu zahlen. Steht die Höhe der Vergütung zum Zeitpunkt der Ausstellung noch nicht fest, steht dies einer Erteilung des Zahlungsversprechens nicht entgegen, wenn die Vergütungshöhe bestimmbar ist. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf für mehrtägige Klassenfahrten sowohl im Regierungsentwurf als auch in der vom Bundestag beschlossenen Fassung in Art. 2, § 29 vorsieht, dass mehrtägige Klassenfahrten - wie bisher auch - durch Geldleistung gedeckt werden können. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 77): Nach welchen Kriterien soll ein persönlicher Berater im Jobcenter über den individuellen Bedarf für die Art der Lernförderung entscheiden, sofern keine Empfehlung eines Fachlehrers vorliegt, und ab wann stehen hierfür geschulte Mitarbeiter zur Verfügung? Ausgangspunkt für die Feststellung des Bedarfes für Lernförderung ist regelmäßig die fachkundige Stellungnahme einer Lehrerin oder eines Lehrers. Auch für die Frage, ob schulische Angebote ausreichen, um festgestellte Lerndefizite zu beheben, werden regelmäßig Angaben aus der Schule erforderlich sein. Stellen Lehrerinnen und Lehrer oder andere fachkundige Personen Lerndefizite fest, die durch Lernförderung behoben werden können, und liegen die weiteren Anspruchsvoraussetzungen vor, so haben die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Jobcenter die erforderliche Lernförderung zu bewilligen. Ihnen steht dabei kein Ermessensspielraum zur Verfügung. Die Bundesagentur für Arbeit wird zur Feststellung des Lernförderbedarfes ein Formular "Bestätigung der Schule" bereitstellen, das die für das Jobcenter erforderlichen Entscheidungsgrundlagen enthält und als Nachweis der Leistungsvoraussetzungen dient. Daneben sind besondere personelle Maßnahmen zur Umsetzung der Lernförderung nicht erforderlich und auch nicht beabsichtigt. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) (Drucksache 17/4153, Fragen 78 und 79): Wie begründet die Bundesregierung die im Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommene unterschiedliche Altersgrenze beim Bildungs- und Teilhabepaket von 18 Jahren einerseits und 25 Jahren andererseits? Welche Basisleistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket werden ab 1. Januar 2011 flächendeckend bundesweit durch die Jobcenter angeboten? Zu Frage 78: Die Leistungen für Bildung und Teilhabe unterteilen sich in Bedarfe, die nur im Zusammenhang mit dem Schulbesuch auftreten können - Schulausflüge, Schulbedarf, Schülerbeförderung, Lernförderung und Mittagsverpflegung - und solche, die eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglichen sollen. Da der Schulbesuch nicht zwingend mit Vollendung des 18. Lebensjahres endet, musste die Altersgrenze für diese Leistungen angehoben werden. Entsprechend der bestehenden Systematik im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch wurde die Vollendung des 25. Lebensjahres als Altersgrenze eingeführt. Die Altersgrenze wurde im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch auf Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 15. Februar 2006, Bundestagsdrucksache 16/688, mit dem Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zum 1. Juli 2006 eingeführt. Zu Frage 79: Die Bildungs- und Teilhabeleistungen sind Teil des Gesetzentwurfs zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Der Bundesrat wird am 17. Dezember 2010 über den Entwurf abstimmen. Bei Zustimmung durch den Bundesrat und Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt vor dem 1. Januar 2011 werden die Bildungs- und Teilhabeleistungen bundesweit durch die Jobcenter angeboten. Für das Schulbasispaket ist ein Inkrafttreten erst zum 1. August 2011 vorgesehen, da die Leistungen für das laufende Schuljahr bereits im August 2010 im Rahmen des existenten Schulbedarfspakets ausgezahlt worden sind. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen des Abgeordneten Werner Dreibus (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Fragen 80 und 81): Ist für das Bildungspaket - Leistungen zu Bildung und Teilhabe nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - eine Deckelung vorgesehen, und wie gestaltet sich die Regelung für Geringverdiener? Wie hoch sind die Umsetzungskosten - Personal- und Verwaltungskosten - an den Gesamtkosten des Bildungspaketes? Zu Frage 80: Die Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II in der Fassung des Gesetzentwurfs sind - mit Ausnahme des Schulbasispakets und der Leistung zur sozialen und kulturellen Teilhabe - nicht der Höhe nach begrenzt. Eine Begrenzung ergibt sich aber mittelbar aufgrund der jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen beispielsweise dann, wenn als Zuschuss zum Mittagessen nur die Differenz zwischen Eigenanteil und Preis des Mittagessens gezahlt wird. Eine Sonderregelung nur für Geringverdiener gibt es nicht. Geringverdiener können erwerbstätige hilfebedürftige Jugendliche oder Eltern sein, die Arbeitslosen-geld II beziehen, oder kinderzuschlagsberechtigte Eltern. Diese sind genauso anspruchsberechtigt wie auch Leistungsberechtigte nach dem SGB XII. Die Leistungen für Bildung und Teilhabe sind im Bundeskindergeldgesetz und im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - jeweils in der Fassung des Gesetzentwurfs - unterschiedlich ausgestaltet. Neben den oben bereits genannten Leistungen werden im Bundeskindergeldgesetz auch die Leistungen für die Schülerbeförderung in pauschalierter Höhe erbracht. Grundsätzlich gilt das Folgende: Sofern - nach Berücksichtigung vorrangiger Bedarfe - noch zu berücksichtigendes Einkommen vorhanden ist, deckt es die Bedarfe für Bildung und Teilhabe und vermindert den Leistungsanspruch entsprechend. Zu Frage 81: Die Gesamtkosten des Bildungs- und Teilhabepakets in den Bereichen SGB II, SGB XII und dem Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz belaufen sich auf rund 740 Millionen Euro. Im Verwaltungsbereich werden die Mehraufwendungen für die Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgrund der Einführung der Leistungen für Bildung und Teilhabe auf rund 135 Millionen Euro im Jahr 2011 und auf 110 Millionen Euro ab dem Jahr 2012 geschätzt. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE ) (Drucksache 17/4153, Fragen 82 und 83): Wie viel zusätzliches Personal wird den Grundsicherungsstellen zur Umsetzung des Bildungspaketes - Leistungen zu Bildung und Teilhabe nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - zur Verfügung gestellt - bitte nach Bundesländern aufgliedern -, und ab welchem Zeitpunkt steht dieses vollständig zur Verfügung? Nach welchen Kriterien wird das Personal eingesetzt, und ist für den Fall, dass ab dem 1. Januar 2011 das Bildungspaket noch nicht umgesetzt werden kann, eine Barauszahlung der Ansprüche vorgesehen (bitte auch die Höhe der geschätzten Ansprüche nennen)? Zu Frage 82: Um die Mehrbelastungen aufgrund der neuen Aufgabe "Umsetzung Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder" aufzufangen, wurden im Haushalt 2011 der Bundesagentur für Arbeit zusätzlich 1 300 Stellen etatisiert. Die konkrete Verteilung dieser Stellen auf die Regionaldirektionsbezirke befindet sich derzeit in der Abstimmung zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Diese wird bis zum Jahresende abgeschlossen. Zu Frage 83: Über den konkreten Einsatz des Personals entscheiden die zukünftigen gemeinsamen Einrichtungen vor Ort. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das Gesetzgebungsvorhaben vor dem 1. Januar 2011 abgeschlossen werden kann. Der Gesetzentwurf sieht im Übrigen - mit Ausnahme des Schulbasispakets und gegebenenfalls der mehrtägigen Klassenfahrten - keine Geldleistungen und damit keine Barauszahlung vor. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Dr. Carola Reimann (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 84): Ist der Bundesregierung bekannt, welche Praktiken Arbeitgeber in der ambulanten Pflege nutzen, um die Bezahlung des Mindestlohns zu umgehen, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun? Die Bundesregierung verfolgt aufmerksam die Entwicklung in der Pflegebranche, wie auch in den übrigen Branchen, in denen ein Mindestlohn nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingeführt worden ist. Dazu gehört auch der Bereich der Kontrolle. Unabhängig davon sieht die Bundesregierung das nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zur Verfügung stehende Kontroll- und Sanktionsinstrumentarium als ausreichend an. Anlage 47 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Julia Klö ckner auf die Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4153, Frage 85): Sieht sich die Bundesregierung durch die bestehende Gesetzeslage und die Ausgestaltung der DIMDI-Arzneimittelverordnung, DIMDI-AMV, in der Lage, wirksam zu kontrollieren, ob und inwieweit der Antibiotikaeinsatz in der gewerblichen Tierhaltung zugenommen hat, zumal in der Geflügelindustrie, für die in der DIMDI-AMV aus Datenschutzgründen eine Sonderfallregelung festgelegt wurde? Ziel der DIMDI-Arzneimittel-Verordnung, DIMDI-AMV, ist es, die Abgabemengen von bestimmten Arzneimitteln im Rahmen eines Monitorings zu erfassen. Mit den durch die Verordnung getroffenen Regelungen ist es möglich, einen Überblick über den Umfang und die regionale Verteilung von Antibiotika in Deutschland zu erhalten. Die Daten werden dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zur Verfügung gestellt. Diese werden in der Folge mit anderweitig erzielten Monitoringdaten zu Antibiotikaresistenzen für eine wissenschaftliche Bewertung der Resistenzsituation in Deutschland herangezogen. Da die mit der DIMDI-AMV erhobenen Daten einer Risikobewertung dienen und nicht unmittelbar der Überwachung, müssen diese aus Datenschutzgründen anonymisiert erhoben werden. Diese Anonymisierung ist notwendig und behindert nicht - wie in der Frage unterstellt - eine Risikobewertung des Antibiotikaeinsatzes. Die in der Frage erwähnte Ausnahmeregelung bei Geflügel bezieht sich auf den Abruf der Daten durch die zuständige oberste Landesbehörde. Die Ausnahme hinsichtlich der ausschließlich für Geflügel zugelassenen Tierarzneimittel bei einem Abruf der Daten durch die Länder ist sowohl zum Schutz personenbezogener Daten als auch zur Einhaltung der Ermächtigung des Arzneimittelgesetzes notwendig. Die Ausnahme läuft dem Verbraucherschutzzweck der DIMDI-AMV nicht zuwider. Der mit der DIMDI-AMV angestrebte Verbraucherschutzzweck wird dadurch nicht tangiert, da der Bund jederzeit auf den vollen Umfang der Daten zurückgreifen kann. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Christian Schmidt auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/4153, Fragen 86 und 87): Welche NATO-Länder haben mit welchen militärischen Kräften in den vergangenen zwölf Monaten aktiv - das heißt nicht anlässlich von Transiten bzw. Passagen - an der Operation Active Endeavour, OAE, im Mittelmeer teilgenommen? Für welche Zeiträume haben diese Kräfte jeweils an der NATO-Mission OAE teilgenommen? Zu Frage 86: An der NATO-Operation Active Endeavour haben in den vergangenen zwölf Monaten, Dezember 2009 bis Oktober 2010, folgende NATO-Nationen mit aktiven Kräftebeiträgen teilgenommen: Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Polen, Portugal, die Türkei, die Vereinigten Staaten von Amerika, Rumänien sowie Deutschland. Diese Nationen haben mit Schiffen, U-Booten, Hubschraubern und Seefernaufklärern zur Operation beigetragen. Russland und die Ukraine haben als Nicht-NATO-Länder ebenfalls an der Operation teilgenommen. Darüber hinaus wurden durch das zuständige NATO-Hauptquartier in Neapel maritime Lage-Informationen gesammelt, zusammengeführt, ausgewertet und den Mitgliedsländern zur Verfügung gestellt. Zu Frage 87: Der NATO-Operation Active Endeavour sind Kräfte nicht dauerhaft unterstellt. See- und Seeluftstreitkräfte tragen zu dieser Operation zumeist durch kürzere Unterstellungen im Rahmen von begrenzten Schwerpunktoperationen, Surge, zur Seeraumüberwachung, Informationsgewinnung und Präsenz bei. Diese werden in der Regel für Zeiträume zwischen einer und zwei Wochen durchgeführt. In diesen Schwerpunktoperationen werden in erster Linie die stehenden NATO-Einsatzverbände und die Flugzeuge aus dem NATO-AWACS-Verband eingesetzt. Ergänzt wird dies durch Einzelabstellungen, die diese Operationen verstärken oder eigene begrenzte Überwachungsaufgaben durchführen. In diesem Zusammenhang leisten auch die deutschen Einheiten im Transit einen wertvollen Beitrag. Darüber hinaus tragen die Mittelmeeranrainer durch Bereitschaftskräfte einem kurzfristig entstehenden Informations- oder Handlungsbedarf Rechnung. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/4153, Frage 88): Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Anhebung der Altersgrenze von 12 auf 14 Jahre im Unterhaltsvorschussgesetz umzusetzen, und inwieweit sind dann mit dieser Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes auch Maßnahmen zur Entbürokratisierung beim Unterhaltsvorschuss geplant? Die derzeitige Haushaltslage lässt eine weitere Verfolgung des im Frühjahr an die Ressorts versendeten Entwurfes eines UVG-Neuregelungsgesetzes nicht zu. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) (Drucksache 17/4153, Fragen 89 und 90): Trifft es zu, dass die Bundesregierung nicht nur im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern auch in anderen Geschäftsbereichen, wie zum Beispiel dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, von den Trägern, die an den Extremismuspräventionsprogrammen partizipieren wollen, eine gesonderte Erklärung zur Verfassungstreue verpflichtend erwartet und die Träger verpflichtet werden, dafür Sorge zu tragen, dass sich auch ihre Partner und Projektbeteiligten entsprechend verhalten? Müssen Träger, die per Verwaltungsakt bereits durch die zuständigen Behörden als Träger der Jugendhilfe oder als Träger der politischen Bildung staatlich anerkannt sind, ebenfalls eine Erklärung zur Verfassungstreue unterschreiben, und wird diese Erklärung auch von Trägern, die zum Beispiel in der Erinnerungsarbeit bei dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien oder in den Bereichen der Jugendhilfe sowie der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung gefördert werden, abverlangt? Zu Frage 89: Ja, das trifft zu. Das Bundesinnenministerium verlangt beispielsweise in seinem Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe" ebenfalls eine Erklärung, mit der die Träger sich dazu verpflichten, eine dem Grundgesetz förderliche Arbeit zu leisten und sich zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bekennen. Sie erklären zudem damit, dafür Sorge zu tragen, dass sich auch ihre Partner und Projektbeteiligten den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Zu Frage 90: Das Bundesfamilienministerium und das Bundesinnenministerium verlangen die Unterzeichnung einer entsprechenden Erklärung, da es sich bei den Programmen zur Extremismusprävention um ein besonders sensibles Feld handelt. Die Zeichnung ist unabhängig vom Vorliegen einer Anerkennung zum Beispiel als Freier Träger der Jugendhilfe. Im Rahmen der Extremismusprävention verlangt auch Mecklenburg-Vorpommern seit diesem Jahr, dass Träger von Kindertageseinrichtungen eine Erklärung unterzeichnen müssen, dass sie die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit leisten. Demgegenüber wird keine gesonderte schriftliche Erklärung bei der Förderung aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes, bei der Förderung durch die Bundeszentrale für politische Bildung sowie im Bereich der Erinnerungsarbeit im Rahmen der Gedenkstättenförderung des Bundes verlangt. Bei einer Förderung aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes sowie durch die Bundeszentrale für politische Bildung wird allerdings in den entsprechenden Förderrichtlinien darauf hingewiesen, dass eine Bejahung der freiheitlich demokratischen Grundordnung eine Voraussetzung für die Anerkennung als Träger der Jugendhilfe bzw. der politischen Bildung darstellt. Die Förderrichtlinien sind Bestandteil des Zuwendungsbescheids. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/4153, Frage 91): Wie hat die Bundesregierung die in der Fragestunde des Deutschen Bundestages gegebene Zusage des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Hermann Kues an den Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Die Linke: "Ich sage Ihnen allerdings zu, Herr Kollege Seifert, dass wir das zum Anlass nehmen werden, bei der nächsten Bund-Länder-Besprechung zur Kriegsgräberfinanzierung das Thema ‚Barrierefreiheit bei Kriegsgräbergedenkstätten und Ehrenmalen' als eigenen Tagesordnungspunkt vorzusehen", Plenarprotokoll 17/42 vom 19. Mai 2010, Seite 4171, erfüllt, und welche diesbezüglichen Ergebnisse wurden dabei erzielt? Die Bundesregierung hat mit den für die Kriegsgräberfürsorge zuständigen Länderministerien Kontakt aufgenommen. In keinem Land gab es Beschwerden über mangelhafte barrierefreie Zugangsmöglichkeiten zu Kriegsgräberstätten. Die meisten Kriegsgräberstätten sind ebenerdig, sodass sich keine Probleme ergeben. Wenn im Einzelfall Probleme auftreten sollten, werden diese bei Friedhofsrenovierungen mit behoben. Ich weise aber ausdrücklich darauf hin, dass die Frage der Barrierefreiheit und der Verkehrssicherheit in den Aufgabenbereich der jeweiligen Friedhofsträger fallen. Selbstverständlich werden von diesen die landesrechtlichen Bauvorschriften beachtet. Viele Friedhöfe, auf denen Kriegsgräber schon im 18. oder 19. Jahrhundert angelegt worden sind, dürfen von den jeweiligen Friedhofsträgern nur mit Zustimmung der Denkmalbehörde verändert werden. Deshalb ist eine Barrierefreiheit leider nicht immer gewährleistet, da dies eventuell das vorhandene schmale Wegesystem oder kleinere Treppenabsätze einfach nicht zulässt. Wenn Zugangshindernisse festgestellt werden, so werden diese in der Regel bei Grundsanierungen der Begräbnisstätten behoben, wie zurzeit bei der Sanierung des Soldatenfriedhofs Schönholz hier in Berlin. 8868 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 80. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 80. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 8869 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 8894 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 80. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 80. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 8893