Plenarprotokoll 17/83 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 83. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2011 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Ulrike Flach und Holger Ortel Erweiterung der Tagesordnung Zusatztagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Verbraucher konsequent schützen - Höchstmaß an Sicherheit für Lebensmittel gewährleisten Ilse Aigner, Bundesministerin BMELV Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) Peter Bleser (CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD) Peter Bleser (CDU/CSU) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Michael Goldmann (FDP) Dr. Matthias Miersch (SPD) Margit Conrad, Staatsministerin (Rheinland-Pfalz) Hans-Michael Goldmann (FDP) Margit Conrad, Staatsministerin (Rheinland-Pfalz) Mechthild Heil (CDU/CSU) Karin Binder (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Johannes Singhammer (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Peter Bleser (CDU/CSU) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Migrationsbericht 2009 Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Rüdiger Veit (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Kornelia Möller (DIE LINKE) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksachen 17/4406, 17/4421) Dringliche Frage 1 Dorothee Menzner (DIE LINKE) Sicherheitsrelevanz eines möglichen Risses einer Hauptkühlleitung innerhalb des Reaktors im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dorothee Menzner (DIE LINKE) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) René Röspel (SPD) Dringliche Frage 2 Dorothee Menzner (DIE LINKE) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Prüfung des neuesten Vorfalls im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dorothee Menzner (DIE LINKE) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dringliche Frage 3 Kornelia Möller (DIE LINKE) Beweggründe der Experten in der Abteilung für Reaktorsicherheit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für das Nichterheben der Forderung nach einer sofortigen Abschaltung des Reaktors Grafenrheinfeld Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Kornelia Möller (DIE LINKE) Dorothee Menzner (DIE LINKE) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dringliche Frage 4 Kornelia Möller (DIE LINKE) Einstufung eines Vorfalls durch den Betreiber als ungefährlich trotz Kategorisierung als möglicher Störfall der Stufe 3 durch Experten in der Abteilung für Reaktorsicherheit des BMU Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Kornelia Möller (DIE LINKE) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dorothee Menzner (DIE LINKE) Mündliche Frage 1 René Röspel (SPD) Forschungsansätze betreffend Hilfsangebote für chronisch Kranke im Gesundheitsforschungsprogramm Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen René Röspel (SPD) Mündliche Frage 2 René Röspel (SPD) Defizite bei strukturellen Voraussetzungen für die klinische Forschung Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen René Röspel (SPD) Mündliche Frage 5 Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Auswirkungen der Haushaltskürzungen auf die Begabtenförderwerke Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Mündliche Frage 6 Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Erhöhung der Zahl der durch das Bologna-Mobilitätspaket geförderten Studenten Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Uwe Schummer (CDU/CSU) Mündliche Frage 7 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Teilnahme möglichst vieler Hochschulen am dialogorientierten Serviceverfahren bei der Hochschulzulassung Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Swen Schulz (Spandau) (SPD) Mündliche Frage 8 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Vorlage der Ergebnisse der Studienplatzbörse für das Wintersemester 2010/11 Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfrage Swen Schulz (Spandau) (SPD) Mündliche Frage 9 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Forderung nach einem weiteren Ausbau des Angebots an Ganztagsschulen zur besseren individuellen Förderung der Kinder und Jugendlichen sowie besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Mündliche Frage 10 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Forderungen nach Ausbau der Jugend- und Schulsozialarbeit zur besseren Verwirklichung des Rechts auf Bildungsteilhabe und soziokulturelle Teilhabe bedürftiger Kinder Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Mündliche Frage 11 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Kürzungen der Semesterstipendien sowie der Stipendien für Abschlussarbeiten, Praktika, Fachkurse, Sprachkurse und Studienreisen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Mündliche Frage 12 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Kompensation des Rückgangs in der internationalen Mobilität der Studierenden aufgrund der verringerten Fördertätigkeit des DAAD Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Mündliche Frage 13 Willi Brase (SPD) Finanzierung der angekündigten Bürgerdialoge des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Willi Brase (SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Mündliche Frage 14 Willi Brase (SPD) Auswirkungen der angekündigten Bürgerdialoge auf Fördertätigkeit oder Prioritätensetzung in der Arbeit des BMBF Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Willi Brase (SPD) Mündliche Frage 15 Dr. Barbara Hendricks (SPD) Instrumente und Verfahren der Bundesregierung zur Sicherstellung einer korruptionsfreien Entwicklungszusammenarbeit in den Partnerländern Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Barbara Hendricks (SPD) Anette Hübinger (CDU/CSU) Karin Roth (Esslingen) (SPD) Dr. Sascha Raabe (SPD) Mündliche Frage 18 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Abfluss der Mittel für den zivilen Aufbau im Norden Afghanistans Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Karin Roth (Esslingen) (SPD) Mündliche Fragen 19 und 20 Dr. Sascha Raabe (SPD) Unterstützung von verfolgten Christen im Wege der Entwicklungszusammenarbeit; Auswirkungen einer etwaigen Einstellung der Entwicklungszusammenheit in Ländern mit eingeschränkter Religionsfreiheit für Christen Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfrage Dr. Sascha Raabe (SPD) Mündliche Frage 21 Jan Korte (DIE LINKE) Politische Verantwortung für die fehlende oder verspätete Weitergabe von Informationen über den Aufenthaltsort des NS-Verbrechers Adolf Eichmann in den 1950er-Jahren Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK Zusatzfragen Jan Korte (DIE LINKE) Mündliche Frage 22 Jan Korte (DIE LINKE) Gründe für die Verhinderung der vollständigen Veröffentlichung der BND-Akte über Adolf Eichmann Antwort Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK Zusatzfragen Jan Korte (DIE LINKE) Dorothee Menzner (DIE LINKE) Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT: zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 21 und 22 auf Drucksache 17/4406 Jan Korte (DIE LINKE) Manfred Grund (CDU/CSU) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Clemens Binninger (CDU/CSU) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Christian Ahrendt (FDP) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 3 Michael Gerdes (SPD) Zukünftige Vermeidung von Planungsfehlern wie beim sogenannten Wissenschaftszug Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 3 Mündliche Frage 4 Michael Gerdes (SPD) Steigerung des Anteils deutscher Auftragnehmer beim Bau des Kernfusionsreaktors ITER Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 4 Mündliche Frage 16 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Überprüfung eines positiven Entwicklungseffektes von öffentlichen Krediten der Europäischen Investitionsbank auf die Privatwirtschaft der Entwicklungsländer Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 5 Mündliche Frage 17 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Strategie bei der Entwicklungskooperation mit afrikanischen Ländern hinsichtlich des Wirtschaftswachstums Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 6 Mündliche Frage 23 Niema Movassat (DIE LINKE) Überprüfung der Abkommen mit der tunesischen und algerischen Regierung über europäische Finanzhilfen und Wirtschaftskooperation aufgrund des Verstoßes gegen Menschenrechte Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 7 Mündliche Frage 24 Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aussetzen des Assoziationsabkommens der EU mit Tunesien Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 8 Mündliche Frage 25 Inge Höger (DIE LINKE) Partnerschaft mit Tunesien bei der Terrorismusbekämpfung vor dem Hintergrund der aktuellen Polizeigewalt Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 9 Mündliche Fragen 26 und 27 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Frühestmögliche Reduzierung des deutschen ISAF-Kontingents in Afghanistan Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 10 Mündliche Fragen 28 und 29 Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Strategie zum Friedensaufbau im Südsudan und weitere Zusammenarbeit mit der sudanesischen Regierung in Khartum Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 11 Mündliche Frage 30 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verwendung von Finanzmitteln des Kämpferdemobilisierungsprogramms im Südsudan für Verwaltungs- und Personalkosten der UN-Entwicklungsagentur UNDP Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 12 Mündliche Frage 31 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zypern-Konflikt und Zypern-Reise der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 13 Mündliche Fragen 32 und 33 Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unterstützung der infolge der Demonstrationen gegen die Fälschung der Präsidentenwahl in Belarus inhaftierten politischen Gefangenen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 14 Mündliche Frage 34 Dr. Barbara Hendricks (SPD) Korruptionsbekämpfung auf der Ebene internationaler Organisationen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 15 Mündliche Frage 35 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Etwaiges Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen des am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Mediengesetzes Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 16 Mündliche Frage 36 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 17 Mündliche Frage 37 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen der US-Justizbehörden gegen die als "Miami Five" bekannt gewordenen kubanischen Gefangenen in den USA vor dem Hintergrund einer neuerlichen Kritik von Amnesty International hinsichtlich der Gewährleistung eines fairen Verfahrens Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 18 Mündliche Frage 38 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schutz koptischer Christen; Aufnahme von Angehörigen christlicher und anderer in Ägypten bedrohter Minderheiten in Deutschland Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 19 Mündliche Frage 39 Andrej Hunko (DIE LINKE) Tod einer Roma nach Abschiebung in das Kosovo Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 20 Mündliche Frage 40 Andrej Hunko (DIE LINKE) Schutz politischer Aktivisten vor Strafverfolgung aufgrund falscher Anschuldigungen oder durch illegale Handlungen von M. K. Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 21 Mündliche Frage 41 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rechtfertigung der Praxis deutscher Militär- oder Sicherheitsbehörden einer Benennung angeblich Aufständischer für Maßnahmenlisten der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 22 Mündliche Fragen 42 und 43 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unversteuerte Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz; anonymisierende Wirkung von Versicherungsschutzmänteln Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 23 Mündliche Frage 44 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ankauf von Staatsanleihen krisenanfälliger Staaten nach Änderung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 24 Mündliche Frage 45 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Arbeitsplätze in nach der Wende nicht privatisierten Braunkohletagebauen und Braunkohleveredelungsanlagen in den neuen Bundesländern Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 25 Mündliche Frage 46 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rechtsgutachten der Europäischen Kommission zu unkonventionellen Erdgasbohrungen Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 26 Mündliche Frage 47 Inge Höger (DIE LINKE) Etwaige Überprüfung deutscher Ausstattungshilfen für Polizei und Militär in Tunesien vor dem Hintergrund der aktuellen Polizeigewalt Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 27 Mündliche Fragen 48 und 49 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Umstrukturierung der Integrationsfachdienste für den Fachbereich Berufliche Sicherung; Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 28 Mündliche Frage 50 Niema Movassat (DIE LINKE) Nationale und internationale Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Erhöhungen bei Nahrungsmittelpreisen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 29 Mündliche Frage 51 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) In den Handel gelangte dioxinbelastete Lebensmittel Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 30 Mündliche Fragen 52 und 53 Alexander Süßmair (DIE LINKE) Probenstrategie in den Bundesländern bei den Betriebsuntersuchungen im Zusammenhang mit dem Dioxinskandal; Berücksichtigung von Risikogruppen bei der Gefährdungsbewertung Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 31 Mündliche Frage 54 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aufgrund von Dioxinfunden in Futtermitteln gesperrte Landwirtschaftsbetriebe sowie Anzahl der Proben mit Grenzwertüberschreitungen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 32 Mündliche Frage 55 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Herkunft der bei der Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie sichergestellten Waffen Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 33 Mündliche Frage 56 Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Ergebnisse des runden Tisches Heimerziehung und Verfahren zur Erlangung einer Entschädigung Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 34 Mündliche Fragen 57 und 58 Caren Marks (SPD) Einsatz und Qualifikation von Familienhebammen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 35 Mündliche Frage 59 Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention auf § 35 a SGB VIII Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 36 Mündliche Fragen 60 und 61 Dr. Marlies Volkmer (SPD) Initiativen des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten für eine unabhängige Verbraucher- und Patientenberatung als Regelversorgung Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 37 Mündliche Frage 62 Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Konfliktlösungsverfahren zur Weiterentwicklung der Pflegetransparenzvereinbarungen Antwort Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär BMG Anlage 38 Mündliche Fragen 63 und 64 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Investitionsbedarf für Straßenbauprojekte des Bundesverkehrswegeplans 2003 in Bayern Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 39 Mündliche Frage 65 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Berücksichtigung des Vogelschutzes bei der Festlegung der Flugrouten am zukünftigen Flughafen Berlin Brandenburg International Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 40 Mündliche Fragen 66 und 67 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Atomrechtliches Verfahren für die Probeöffnung von Einlagerungskammern des Atommülllagers Asse II sowie Umsetzung des Notfallplans Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 41 Mündliche Fragen 68 und 69 Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Priorität der Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung des Laugeneintritts im Atommülllager Asse II; Beschleunigung des stockenden Genehmigungsverfahrens zum Anbohren der ersten Kammer Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 42 Mündliche Fragen 70 und 71 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erreichung der Erneuerbare-Energien-Ziele auf Grundlage der EU-Richtlinie und nationaler Aktionsprogramme sowie Schaffung eines einheitlichen europäischen Fördersystems Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 43 Mündliche Frage 72 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sicherstellung der Nutzung von Teilflächen für erneuerbare Energien bei der Übertragung des Geländes der ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf in das Nationale Naturerbe Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU 83. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2011 Beginn: 12.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur ersten Plenarsitzung des Bundestages nach der Weihnachtspause und dem Jahreswechsel. In den sitzungsfreien Wochen haben die Kolleginnen Mechthild Dyckmans und Ulrike Flach sowie der Kollege Holger Ortel ihre 60. Geburtstage gefeiert. Dazu möchte ich im Namen des gesamten Hauses auch auf diesem Wege noch einmal herzlich gratulieren. (Beifall) Die guten Wünsche für das begonnene neue Jahr haben wir mehrfach in vielfältiger Weise, schriftlich und mündlich, wechselseitig ausgetauscht. Sie sollten aber der guten Ordnung halber für das Protokoll ausdrücklich noch einmal festgehalten werden. Interfraktionell gibt es eine Vereinbarung, die heutige Tagesordnung um eine Regierungserklärung der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu erweitern, die jetzt gleich im Anschluss als Erstes aufgerufen werden soll. Außerdem ist vorgesehen, nach der Fragestunde eine von der SPD-Fraktion verlangte Aktuelle Stunde zum neuen ungarischen Mediengesetz durchzuführen. Sind Sie mit dieser Ergänzung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verbraucher konsequent schützen - Höchstmaß an Sicherheit für Lebensmittel gewährleisten Ich mache darauf aufmerksam, dass zu diesem Tagesordnungspunkt je ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegt. Bevor Sie, Frau Ministerin, mit Ihrer Regierungserklärung anfangen, brauchen wir auch noch die übliche Vereinbarung über die Gesamtdebattenzeit: Vorgeschlagen wird, im Anschluss an die Regierungserklärung eine Debattenzeit von 90 Minuten vorzusehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch das so vereinbart. Ich erteile nun der Bundesministerin das Wort zu ihrer Regierungserklärung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. Auch von meiner Seite natürlich ganz persönlich die besten Wünsche für ein gutes neues Jahr. Heute sind wir allerdings aus einem anderen Anlass hier zusammengetreten, der leider nicht so erfreulich ist. Ich will einen Blick in die Vergangenheit werfen: Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren, nämlich am 22. Januar 2001, haben wir in Deutschland ein Bundesministerium für Verbraucherschutz eingerichtet. Damals hatte die BSE-Krise unser Land, aber auch ganz Europa erschüttert. Die Verbraucher waren in Sorge um ihre Gesundheit, und die Landwirte fürchteten um ihre Existenz. Die Politik bekämpfte die Ursachen der Krise und änderte Strukturen: Sie regelte die Bestimmungen für das Tierfutter neu, auf das die Erkrankungen zurückgeführt wurden, und sie verschärfte die Überwachung. Das war die Geburtsstunde des Verbraucherschutzministeriums auf Bundesebene. Heute, zehn Jahre später und nach wechselnder politischer Verantwortlichkeit, sind wir mit einer ähnlichen Situation konfrontiert: Wieder sind die Verbraucher in Sorge um ihre Gesundheit, und die Landwirte fürchten um ihre Existenz. Ursache sind Dioxinfunde in Futtermitteln und danach auch in Lebensmitteln. Ausgangspunkt war verunreinigtes Futterfett eines Unternehmers: Dort wurden - völlig unverantwortlich - technische Fette, die für die Industrie bestimmt waren, dem Tierfutter beigemischt. Was nur zur Produktion von Schmiermitteln taugt, ist in die Nahrungsmittelkette gelangt. Und das ist ein echter Skandal! Dioxin gehört nicht in Futtermittel, und Dioxin gehört schon gar nicht in Lebensmittel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Beimischung verstößt gegen geltende Gesetze. Ja, mehr noch: Wir müssen zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass hier schlicht unverantwortlich und mit Vorsatz gehandelt wurde. Zu den Meldungen in der heutigen Presse, nach denen die kriminellen Machenschaften vermutlich schon vor März 2010 längere Zeit praktiziert worden seien, sagte das federführende Ministerium in Kiel heute Vormittag, dass derzeit keine neuen Erkenntnisse vorliegen, die eine solche Annahme bestätigen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Komisch!) Ich will den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen. Aus meiner Sicht besteht aber Grund zur Annahme, dass wir es mit einem hohen Maß an krimineller Energie zu tun haben. Die Täter waren und sind skrupellos. Eines ist klar und war auch damals jedem klar, nämlich, dass sich das belastete Futtermittel mit einer extrem großen Streuwirkung über die Republik verteilen würde. Auf dem Höhepunkt mussten deshalb in unserem Land 4 760 Höfe vorsorglich gesperrt werden, zugunsten des vorsorgenden Verbraucherschutzes. 931 Höfe sind noch immer gesperrt. Eier, Schweine und Legehennen durften und dürfen während der Sperre nicht in die Lebensmittelkette gelangen. Die Sperre gilt, bis die Unbedenklichkeit festgestellt ist. Zur nüchternen Bestandsaufnahme gehört aber auch, dass in einigen Fällen Lebensmittel, die vor der Sperre erzeugt wurden und vielleicht belastet sein könnten, in die Ladenregale gelangt sind. So etwas darf nicht passieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die bisher ermittelten Dioxingehalte bei Eiern und Fleisch liegen bei einigen wenigen Proben über dem Grenzwert. Dies stellt nach Einschätzung unserer Experten zwar keine unmittelbare gesundheitliche Gefährdung für Verbraucher dar, trotzdem gilt: Dioxin ist ein Umweltgift, dessen Eintrag in Lebensmittel, egal woher und egal in welcher Konzentration, soweit wie möglich begrenzt werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade weil jede zusätzliche Belastung unterbunden werden muss, sage ich den Verbraucherinnen und Verbrauchern: Dieser Skandal wird Konsequenzen haben. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Da sind wir aber gespannt!) - Darauf können Sie sich verlassen. (Thomas Oppermann [SPD]: Das haben wir schon öfter gehört!) Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir ein föderales System haben. Aber egal wer zuständig ist: Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Entscheidungen für ein Höchstmaß an Sicherheit bei Lebensmitteln. Ich sage ganz klar: Vorsorgender Verbraucherschutz liegt im gemeinsamen Interesse aller, vor allem im Interesse der 82 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Vorsorgender Verbraucherschutz muss deshalb unser gemeinsames Interesse sein. Dieses gemeinsame Interesse muss über allen Einzelinteressen stehen. Die Sicherheit unserer Lebensmittel geht uns alle an. Nach der gestrigen Sitzung mit den Verbraucher- und Agrarministern der Länder kann ich sagen: Wir ziehen an einem Strang und auch in dieselbe Richtung. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Das hat Kraft gekostet - das ist wohl wahr -, aber wir stehen zusammen. Von dem gestrigen Tag ist ein Signal der Geschlossenheit und der Entschlossenheit ausgegangen. Das ist eine gute Botschaft für die Verbraucherinnen und Verbraucher. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vorsorgender Verbraucherschutz muss vor allen wirtschaftlichen Interessen stehen. Der Schutz der Gesundheit hat die höchste Priorität. Das gilt und galt auch bei der Aufarbeitung dieses Falls. (Zuruf von der SPD: Merkt man!) Das galt und gilt auch weiter bei den Untersuchungen in den noch gesperrten Betrieben. Erst wenn alles untersucht und geklärt ist, dürfen gesperrte Betriebe und deren Produkte wieder freigegeben werden. Sicherheit geht vor Schnelligkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Und vor Lautstärke, Frau Höhn!) Und Gründlichkeit geht auch vor Schnelligkeit. Ich habe die Lage von Anfang an ernst genommen. Ich habe einen Krisenstab eingerichtet, ein Bürgertelefon eingerichtet, (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist vermutlich die Politik der ruhigen Hand!) mich eng mit der EU abgestimmt, mich um die internationalen Märkte gekümmert, und ich habe täglich mit den Ländern die aktuelle Lage geklärt. Ich habe zudem parallel an den Konsequenzen gearbeitet, damit sich so ein Fall in Zukunft nicht wiederholt. Das ist ein solides Vorgehen, und das ist das Gegenteil von blindem Aktionismus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Aber in Wirklichkeit haben Sie ein Chaos angerichtet! - Thomas Oppermann [SPD]: Vorsicht! - Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Zögern, zaudern, ankündigen!) Ergebnis der soliden Arbeit in meinem Haus ist ein Aktionsplan für Sicherheit und Transparenz, der die wichtigsten Maßnahmen bündelt. Er ist umfassend, konkret und konsequent, und er stellt die gesamte Futtermittelkette auf den Prüfstand: vom Stall bis auf den Teller. Wir werden die Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe verschärfen. Strenge Auflagen müssen her, und die Länder müssen diese umfassend und regelmäßig kontrollieren. Wir werden die Produktionsströme trennen. Es darf künftig nicht mehr sein, dass Stoffe für Futter und Stoffe für die industrielle Produktion in derselben Anlage verarbeitet werden. (Sonja Steffen [SPD]: Das ist ja alt!) Wir werden vorschreiben, dass die Futtermittelkomponenten auf die Gesundheit gefährdende Stoffe untersucht werden. Und schließlich: Alle Prüfungsergebnisse müssen nicht nur den Futtermittelherstellern mitgeliefert, sondern auch den Behörden zur Verfügung gestellt werden. Als weitere Sicherheitsmaßnahme müssen die Labore den Behörden Grenzwertüberschreitungen von sich aus melden. Die Kontrollen vor Ort müssen funktionieren. Die Verbraucher müssen sich auch darauf verlassen können. Deshalb sind Verbesserungen in der Kontrollpraxis für mich ein elementarer Punkt dieses Aktionsplans. (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Hundertprozentige Sicherheit kann es zwar nicht geben. Aber das Sicherheitsnetz muss so eng geknüpft sein, dass allein die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, abschreckt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nur so können wir für Sicherheit sorgen, Transparenz schaffen und das Vertrauen der Verbraucher wiedergewinnen. Bei allen Vorteilen des Föderalismus: Es kann doch nicht sein, dass heute zwar die EU die Befugnis hat, in einzelnen Bundesländern zu prüfen, der Bund aber bisher außen vor bleibt. Wir haben gestern beschlossen, dass wir eine gemeinsame Auditierung der Überwachungsbehörden vornehmen und sich alle zusammen die Qualität der Kontrollen anschauen. Ich freue mich, dass wir damit einen Paradigmenwechsel eingeleitet haben. Das ist ein großer Schritt für die Verbrauchersicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Dann ändern Sie das in konkrete Vorschläge!) - Ja, in der Tat: Es ist wichtig, dass wir diesen Plan schnell in die Tat umsetzen. Vieles wird noch in diesem Jahr geschehen; das kündige ich an. (Lachen bei der SPD - Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig, Sie kündigen an! Wie immer! - Thomas Oppermann [SPD]: Das ist ja Ihre größte Stärke! Da macht Ihnen so schnell keiner etwas vor! - Burkhard Lischka [SPD]: Das können Sie besonders gut!) - Genau, ja. - Ein konkreter Zeitplan liegt vor. Mit Ihrer Unterstützung, der des Parlaments und des Bundesrates, werden wir diesen Plan umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie Advent - womit wir wieder beim Thema wären! - Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Ach, Frau Künast! Sie müssen gerade reden!) - Ich weiß nicht, warum Sie sich immer so aufregen. Es ist in jeder politischen Debatte ein normaler Vorgang, dass man sich ein Ziel setzt, es ankündigt und dann auch umsetzt. Das machen wir jetzt auch; das ist ganz normal. (Burkhard Lischka [SPD]: Ja! Aber ihr kündigt schon seit Jahren an! - Ulrich Kelber [SPD]: Und täglich grüßt das Aigner-Tier!) Übrigens, meine Damen und Herren, setzen wir auf das, was Deutschland in Branchen wie dem Maschinenbau und der Automobilindustrie stark gemacht hat: Wir wollen hohe Qualität gewährleisten. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut! - Thomas Oppermann [SPD]: Ja! Aber bitte nicht nur ankündigen!) Das Qualitätssiegel "Made in Germany" muss auch hier gelten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Am morgigen Tag steht die Eröffnung der Internationalen Grünen Woche auf der Tagesordnung. Die weltgrößte Ernährungsmesse begrüßt hier in Berlin Hunderttausende Besucher. Ich werde bei der diesjährigen Messe den Wert von Lebensmitteln in den Mittelpunkt stellen; denn es geht um einen verantwortlichen Umgang mit unseren Lebensmitteln. Lebensmittel sind Mittel zum Leben; (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Toll! Ganz prima! - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja! So ist es!) Lebensmittel sind keine Industriegüter. Deswegen müssen wir hier den Anfang machen. Deswegen müssen hier die Anforderungen an die Sicherheit und Qualität ganz besonders hoch sein. Wir sind zu besonderer Sorgfalt verpflichtet, und wir sind zu Transparenz verpflichtet. Der Verbraucher muss wissen und verstehen können, was er isst. Vor diesem Hintergrund habe ich die Initiative "Klarheit und Wahrheit" gestartet, (Ulrich Kelber [SPD]: Ja, ja!) und gestern ist eine überarbeitete Fassung des Verbraucherinformationsgesetzes in die Ressortabstimmung gegangen, (Sonja Steffen [SPD]: Aha! Und wo ist dafür die Unterstützung in Ihren eigenen Reihen? - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Ganz toll!) ein Verbraucherinformationsgesetz, das Sie, Frau Künast, nicht zustande gebracht haben, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch wegen der CDU und wegen Ihnen! Sie haben das doch verhindert!) das von der Großen Koalition umgesetzt wurde (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Weil Sie dann mussten! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hat denn im Bundesrat Nein dazu gesagt? - Ulrich Kelber [SPD]: Verwässert durch Herrn Bleser!) und das wir nun im Sinne der Verbraucher noch besser und verbindlicher gestalten werden. All das gehört zur umfassenden Verbraucherinformation dazu. Meine sehr geehrten Damen und Herren, 5 Millionen Beschäftigte gibt es in der Land- und Ernährungswirtschaft. Wenige Einzelne haben offensichtlich mit hoher krimineller Energie gehandelt und gegen alle gesetzlichen, aber auch moralischen Regeln verstoßen. Es trifft die ganze Branche und ganz besonders unsere Landwirte. Sie sind diejenigen, die von harter und ehrlicher Arbeit leben. Sie sind unverschuldet Opfer in diesem ganzen Skandal geworden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Sie haben den Schaden noch vergrößert!) Auch für sie wollen wir schnell das Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen, indem wir an der politischen Aufarbeitung arbeiten, aber auch, indem wir den Wert von Lebensmitteln hochhalten. In diesen Tagen steht die Landwirtschaft besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Ich sehe darin auch eine Chance für eine breite gesellschaftliche Debatte um die Rolle der Landwirtschaft. Die Ansprüche und Wünsche der Verbraucher sollen dabei die Richtschnur sein. Es geht darum, unterschiedliche Zielvorstellungen miteinander in Einklang zu bringen: das Streben nach Nahrungssicherheit, die verstärkte Produktion nachwachsender Rohstoffe und den Schutz unseres Klimas und der Umwelt. Das sind die großen Zukunftsthemen, die diskutiert werden müssen. Ich habe deshalb einen Prozess in meinem Haus angestoßen. Am Ende soll eine Charta für Landwirtschaft und Verbrauchervertrauen stehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie die heutige moderne Landwirtschaft funktioniert, weiß in der breiten Bevölkerung leider eigentlich niemand so recht. Da herrschen Vorstellungen von einem Idyll, und da kursieren allerhand Klischees. Was aber hat die Land- und Ernährungswirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht alles geleistet? Jeder achte Arbeitnehmer in Deutschland arbeitet heute in dieser Branche. Produktivität, Ertrag und Nachhaltigkeit sind mithilfe moderner Technik enorm gestiegen. Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland haben davon profitiert. Hier hat sich also viel getan. Übrigens würde heute niemand mehr im Haushalt so arbeiten wie vor 50 Jahren. Niemand nimmt heute noch den Teppichklopfer, wenn der Staubsauger zur Verfügung steht, und die wenigsten brauchen im Garten noch den eigenen Obstbaum, um Marmelade einzumachen. (Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt sind Sie aber weit vom Thema weg! Teppichklopfen!) Landwirtschaft geht nun auch einmal mit der Zeit. Moderne Technik und eine stärkere Spezialisierung gehören auch hier dazu. Der Weg zwischen Acker und Teller ist heute länger: Futterwirtschaft, Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel arbeiten in einer Wertschöpfungskette. Die Dioxinfunde haben es deutlich gemacht: Allein Futtermittel gehen einen langen und komplizierten Weg. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn unsere Landwirte das Futter wieder mehr auf den eigenen Höfen oder in der eigenen Region produzieren würden; das will ich auch befördern. So sind Eiweißstrategie und regionale Wertschöpfungsketten in Ordnung, jedoch weiß auch ich: Wir können uns nicht zu 100 Prozent unabhängig von Zukäufen machen. Deshalb müssen auch diese Produkte allerhöchsten Sicherheitsmaßstäben gerecht werden und in der Qualität unantastbar sein. Damit nicht genug: Es ist auch wichtig, dass wir die regionale Herkunft stärken und "Region" zur Marke machen. Deshalb will ich ein regionales Herkunftskennzeichen befördern. Ich will eine unternehmerische bäuerliche Landwirtschaft, damit Landwirtschaft bei uns dauerhaft leistungsfähig sein kann. (Zuruf von der CDU: Richtig!) Ich will auch in Zukunft eine flächendeckende Landwirtschaft. Deshalb wird in Deutschland nur noch die Bewirtschaftung der Fläche gefördert und nicht mehr die Produktion. Deshalb bekommt nach der jetzt laufenden Umstellungsphase bei den Direktzahlungen ein Betrieb, der keine Fläche mehr bewirtschaftet und zum Beispiel ausschließlich mästet - auch wenn es Hunderte Tiere sind -, ab 2013 keinen einzigen Eurocent Förderung mehr. Das System verändert sich. Auch sonst hat sich viel verändert. Auch wenn vieles immer noch fälschlicherweise in den Köpfen der Menschen ist: Die Butterberge sind abgeschmolzen, die Milchseen sind ausgetrocknet, und ich bin mir mit dem zuständigen EU-Kommissar Ciolos vollkommen einig: Wir setzen auf eine Landwirtschaft, die für Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen Verantwortung übernimmt und Wissen und Können mit Sicherheit und Qualität zusammenbringt. (Ulrich Kelber [SPD]: Wenn einem nichts mehr einfällt, muss man die 15 Minuten nicht ausschöpfen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landwirtschaft gehört in die Fläche. Sie schafft dort Arbeitsplätze, sie produziert unser täglich Brot, sie belebt den ländlichen Raum. Ja, sie gehört in die Mitte der Gesellschaft. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Dafür braucht sie Akzeptanz. Landwirte und Verbraucher sind natürliche Verbündete. Für all das lohnt es sich zu kämpfen. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Priesmeier für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Ankündigungsministerin! (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) "Wir müssen", "wir wollen", "wir werden": Nichts Neues aus dem Hause Aigner. Wo konkrete Vorschläge und Maßnahmen gefordert sind, hört man nur wieder unverbindliche Phrasen, die uns letztendlich nicht weiterbringen. Ich höre Ihre Worte, Frau Ministerin, allein mir fehlt der Glaube. Der Markt für Geflügelfleisch ist zusammengebrochen, der Markt für Schweinefleisch und für Eier ebenfalls. Die Kosten gehen mittlerweile weit über 300 Millionen Euro hinaus und steigen täglich. Die Krise hat Folgen über Deutschland hinaus. Der russische Minister fragt besorgt, warum er seit Tagen keine Antwort aus Berlin auf konkrete Fragen bekommt, und in den Niederlanden planen die Bauern Protestdemonstrationen. Die Frage ist: Wer hat das verursacht? Kriminelle Machenschaften sind sicherlich ein Grund. Ein anderer Grund ist die hausgemachte Krise bei der Bewältigung dieser Dioxinkrise. (Beifall bei der SPD) Das ist die Folge Ihres persönlichen Führungsstils in Ihrem Hause, und das ist die Folge einer fehlenden und unzureichenden Lagebeurteilung und vor allen Dingen einer mangelhaften Kommunikation nach außen in dieser Krise. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Vertrauen in das System, das bisher selbst unter dem Minister Seehofer bei dem Gammelfleischskandal noch leidlich aufrechterhalten werden konnte, haben Sie gründlich vernichtet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die deutschen Verbraucher sind zutiefst verunsichert und fragen sich natürlich: Was gedenken Sie zu tun? Mit Ihren bisherigen Äußerungen und dem, was Sie heute hier vorgetragen haben, haben Sie keinen konstruktiven Beitrag geleistet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es hagelt Schlagzeilen wie: "UNGEAIGNERT! Wer schützt uns Verbraucher vor dieser Ministerin?" Frau Ministerin, das sind die Folgen Ihres konkreten Handelns: Zaudern, zögern, ankündigen. Das ist weiß Gott keine Strategie. Wo Ruhe, Übersicht und Führungsstärke gefordert sind, haben Sie in den letzten Wochen das konkrete Gegenteil abgeliefert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erlauben Sie mir einige Worte, auch kritische Worte, zum Ablauf dieses Krisenmanagements. Wir als SPD-Fraktion haben bereits am 8. Januar 2011 einen Katalog mit 15 Forderungen vorgelegt, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir haben 14!) um die Konsequenzen aus diesem Skandal zu ziehen. Ich bin nicht in den Urlaub gefahren, sondern habe mir die Mühe gemacht, konkret an diesem Katalog zu arbeiten. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Der von Ihnen angekündigte und im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Ergebnisse der gestrigen Konferenz veröffentlichte Plan enthält im Wesentlichen 14 dieser Forderungen. Eine ist offengeblieben, nämlich der Informantenschutz. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das haben Sie doch gerade noch kritisiert!) Darüber kann ich mich natürlich freuen. Wir wollen hierauf kein Copyright haben. Wenn es bei diesem Problem um konkretes Handel und auch um konkrete Vorschläge geht, stehe ich für den Sachverstand meiner Fraktion, der SPD-Bundestagsfraktion. Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Pressekonferenz am letzten Freitag behauptet, dass das, was von der SPD vorgeschlagen wurde, abgeschrieben worden ist. Damit treffen Sie mich persönlich. Das ist eine Unverfrorenheit. Das muss ich Ihnen deutlich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Behauptung, dass das, was vorgeschlagen wird, die SPD abgeschrieben habe, haben Sie am letzten Freitag auf Ihrer Pressekonferenz gemacht. Dies stimmt nicht. Frau Aigner, die Menschen haben kein Verständnis mehr für das föderale Kompetenzgerangel, wenn es um Gesundheit und Wohlergehen geht. Daher fordere ich Sie auf, bei der Novelle zum Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch endlich einen klaren, konkreten Rahmen mit gesetzlichen Bestimmungen vorzugeben, die die Futtermittel- und Lebensmittelkontrollen dezidiert regeln, entsprechende Quoten vorschreiben, strafbewehrt sind und nach denen die Eigenkontrollen der Betriebe in die gesetzlichen Kontrollen mit einbezogen werden sowie für betriebliche Kontrollen die gleichen Voraussetzungen wie für staatliche Kontrollen gelten. Anders kommen wir in dieser Frage nicht weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Egal ob die Bürger in Konstanz, Flensburg, Aachen oder Görlitz wohnen: Sie haben einen Anspruch darauf. Sie haben kein Verständnis dafür, dass die erforderlichen Maßnahmen im föderalen Kompetenzwirrwarr untergehen. Sie müssen jetzt konkrete Kontrollstandards vorlegen. Das erwarten wir von Ihnen. Sie müssen das auch durchkämpfen. Sie haben ja vorhin gesagt, dass alle an einem Strick ziehen. Wie das aussieht, wissen wir: Auf der einen Seite steht die Bundesministerin, auf der anderen Seite stehen beispielsweise die Landesminister, und irgendwann reißt der Strick. Wir haben das vielfach erlebt. Sie stehen an demselben Punkt, an dem schon der Kollege Seehofer gestanden hat, und Sie verfangen sich in denselben Bedingungen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Der ist jetzt Ministerpräsident! - Andreas Mattfeldt [CDU/ CSU]: Funke musste damals zurücktreten!) Die Kosten der Kontrollen für dieses System sind selbstverständlich nicht aus den öffentlichen Kassen, sondern von den Unternehmen bzw. Betrieben zu bezahlen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Bei Funke ist der Strick gerissen!) Ein Landrat in Niedersachsen hat mir gesagt, dass er in dem Bereich allenfalls 55 Prozent der Kosten vom Land ersetzt bekommt. Den Rest tragen die Kommunen. Solange sich daran nichts ändert, wird dieses System nicht funktionsfähig sein. Wir können so auch nicht den Kontrollumfang darstellen, der nötig wäre. Ihre Wettbewerbsidee à la PISA, was die Kontrollen betrifft, finde ich gut. Mein Vorschlag wäre aber: PISA für die Regierung, PISA für die Kanzlerin, PISA für die Minister, vor allen Dingen PISA auch für die Agrarministerin. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, wir würden aus der PISA-Bewertung das Fazit ziehen, dass Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gerade gut aussehen. Ich wünsche an dieser Stelle vor allen Dingen dem neuen niedersächsischen Agrarminister Gert Lindemann viel Erfolg. Gert Lindemann ist ein sach- und fachkompetenter Spezialist für den Agrarbereich. Das hat er immer wieder unter Beweis gestellt. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das stimmt!) Aus meiner persönlichen beruflichen Erfahrung weiß ich noch, welche dramatischen Folgen damals die Schweinepestkrise hatte. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, diese Krise und auch die BSE-Krise in den Griff zu bekommen, und zwar für Niedersachsen. Den Sachverstand hatten Sie bis letztes Jahr in Ihrem Hause. Sie haben dem Sachverstand einen Tritt versetzt und Ihren damaligen Staatssekretär vor die Tür gesetzt. Dass es Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Sachverstand fehlt, hätten Sie vielleicht vermeiden können. Dann hätten Sie vielleicht nicht ganz nackt dagestanden, was Vorschläge, Alternativen und vor allen Dingen das Krisenmanagement betrifft. Die SPD ist zum Dialog bereit. Es macht keinen Sinn, diesen Konflikt auf der Ebene der Parteien politisch weiter eskalieren zu lassen. Denn dafür haben die Bürger kein Verständnis. Wir reichen Ihnen die Hand für konkrete Vorschläge. Deshalb bitten wir Sie alle in diesem Hause: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das ist der erste Schritt dazu. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Happach-Kasan für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Fachverstand von Herrn Priesmeier kennen wir alle. Leider hat er uns davon keine Kostprobe gegeben. Schade eigentlich. Ich finde, er hätte etwas Vernünftiges sagen sollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Er hat vergessen, was wirklich unser Problem ist: Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind verunsichert. Es ist auch unsere Aufgabe - nicht nur die der Wirtschaft, sondern auch die der Politik -, das verloren gegangene Verbrauchervertrauen wieder zu stärken. Dazu haben Sie nichts beigetragen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist auch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass nicht diejenigen die Zeche zahlen, die nicht daran beteiligt waren, nämlich die kleinen und mittelständischen landwirtschaftlichen Betriebe, die jetzt Einnahmeverluste haben und in ihrer Existenz gefährdet sind. Auch für die haben Sie absolut nichts getan. Ich finde das schmählich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie wir alle wissen, ist die Qualität unserer Lebensmittel hoch. Wenn sie kriminell - wie in diesem Fall - oder fahrlässig gefährdet wird, dann müssen diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die dafür verantwortlich sind. Das sind wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern schuldig. Das sind wir aber auch den Unternehmen schuldig, die darunter leiden. (Ulrich Kelber [SPD]: Was ist Ihr konkreter Vorschlag?) Wir alle sind uns darin einig, (Ulrich Kelber [SPD]: Konkret!) dass Dioxine nicht in das Frühstücksei und nicht in das Kotelett gehören. Wir wissen aber auch, dass es eine latente Umweltbelastung mit Dioxinen gibt und dass deswegen das, was die Grünen immer fordern, nämlich Nulltoleranz, in diesem Fall nicht umzusetzen ist, obwohl es wünschenswert wäre. Ich frage in Richtung der SPD: Sie haben einmal den Umweltminister gestellt. Erinnern Sie sich noch? Das ist noch gar nicht so lange her. Was hat er denn eigentlich gemacht, um die Dioxinbelastung in der Umwelt zu mindern? Wie sah seine Vermeidungsstrategie aus? - Es ist so still bei euch. Ich verstehe das gar nicht. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sollten mal nachlesen, wenn Sie eine neue Funktion bekommen! Dann wären Sie besser informiert!) Wir wollen genauso wenig Dioxine in Weiderindern. Auch deswegen ist eine Strategie zur Vermeidung von Dioxinen wichtig. Futtermittel sind Lebensmittel für Tiere. Abfallbeseitigung durch den Tiermagen war und ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Am 21. Dezember waren erstmals erhöhte Dioxinwerte durch Eigenkontrollen festgestellt worden. Heute, am 19. Januar, legen wir einen bereits zwischen Bund und Ländern abgestimmten Aktionsplan vor. Das ist zügiges Handeln. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Sechs Jahre!) Ich bitte Sie herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass der Maßnahmenkatalog, der von Bund und Ländern erarbeitet wird, umgesetzt wird. Auch Sie sind hier in der Pflicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Wir setzen uns vor allem im Bundestag dafür ein!) Ich finde, es ist nach wie vor ein Skandal, dass wir in einem hochtechnologisierten Land immer noch nicht wissen, woher in diesem konkreten Fall die Dioxine kommen. Nach allen Analysen haben wir ein Dioxinmuster, das vollkommen unbekannt ist. Das heißt, dass wir in Dioxinforschung, -vermeidung und -analytik weiter verstärkt investieren müssen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen und den Verbrauchern bewusst machen: Das BfR hat festgestellt, dass keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Verzehr von belasteten Eiern zu erwarten sind. (Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!) Wir sollten auch darauf hinweisen, dass die Dioxinbelastung seit den 90er-Jahren auf ein Drittel gesunken ist. Ursache dafür war das konsequente Handeln der letzten christlich-liberalen Regierung in den 90er-Jahren. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott!) - Sie waren nicht dabei, liebe Frau Höhn. Das müssen wir schlicht und ergreifend feststellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Opfer des Vertrauensverlustes der Bürgerinnen und Bürger sind die kleinen und mittelständischen Betriebe. Deswegen haben wir als Liberale von Anfang an gefordert, dass alle Betriebe, die mit Futtermitteln handeln, eine Haftpflichtversicherung haben, die so ausgestaltet ist, dass die Betriebe, die in Not geraten, die entsprechenden Gelder bekommen; das ist wichtig. Wer angesichts dieser für die kleinen und mittelständischen Betriebe existenziellen Krise von einer industrialisierten Landwirtschaft spricht, der verfolgt eindeutig eigene Parteiinteressen und hat nicht das Wohl der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der betroffenen Betriebe im Sinn. (Widerspruch des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD] - Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Die FDP ist die einzige Partei, die keine eigenen Parteiinteressen verfolgt!) - Ich weiß gar nicht, warum du zuckst, Wilhelm; du bist gar nicht gemeint. Wir müssen dafür sorgen, dass die Betriebe, die unter der momentanen Krise leiden, ohne dass sie in irgendeiner Weise schuldig geworden sind, nicht existenziell gefährdet werden. Blicken wir auf die Dioxinfälle in der Vergangenheit zurück. 1999 ging es in Belgien um Verunreinigungen durch Transformatoröl. 2003 - daran erinnere ich mich gut; damit habe ich angefangen - gab es Fälle in Thüringen. Frau Ministerin Künast war zwar da, hatte aber nichts umzusetzen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie hat eine Menge gemacht!) - Sie hat nicht mehr gemacht, sondern hat schlicht und ergreifend andere mehr beschimpft, als Frau Aigner das gemacht hat. Was Sie sagen, Frau Höhn, ist nicht wahr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schauen wir uns die Lebensmittelskandale im letzten Jahr an. Damals gab es sieben Tote durch Listerien. Was haben die Grünen gesagt? Nichts. 2 500 Tonnen dioxinbelasteter, aber biozertifizierter Mais wurden an Biobetriebe geliefert. Was haben die Grünen dazu gesagt? Nichts. Es sieht doch so aus: Ihr sagt prinzipiell nichts; und euer Versagen, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch nichts gemacht, Frau Happach-Kasan! Das ist doch die letzte Verharmlosung!) insbesondere auf der linken Seite dieses Hauses, ist der Grund, dass sich die Öffentlichkeit sehr viel mehr mit Problemen beschäftigt, die gar keine sind. Sie verschärfen die GVO-Analytik, statt sich mit Dioxinanalytik zu beschäftigen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, im Schoß der Gentechnik! - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klientelpolitik für die Chemieunternehmen, Frau Happach-Kasan, das machen Sie!) Sie interessieren sich für Pflanzenschutzmittelrückstände. Dioxin hingegen steht bei Ihnen überhaupt nicht auf dem Programm. Sie beschäftigen sich nicht mit der größten Gefahr für die Verbraucherinnen und Verbraucher. (Ulrich Kelber [SPD]: Ihnen ist schon klar, dass Sie mit der Opposition reden! - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Herr Präsident, ich kann mein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist sicherlich richtig. Sie wissen allerdings auch, dass Ihre Redezeit eigentlich vorbei ist, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sodass wir vielleicht auf beiden Seiten ein bisschen - - (Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) - Einen Augenblick, bitte. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich möchte noch meinen letzten Satz sagen. - Wir als Politiker sind, auch gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern, gefordert, das Hauptaugenmerk auf die realen Gefährdungen zu legen. Das sind im Bereich der Lebensmittelsicherheit zum einen die Dioxine; zum anderen sind es aber auch bakterielle Verunreinigungen in größerem Umfang. Das hat das Beispiel aus dem letzten Jahr gezeigt. Wir sollten uns nicht von Skandalen treiben lassen, sondern von einem selbstbewussten und verantwortlichen Handeln für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Bartsch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Aigner, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung sehr viele, sehr wohlfeile Worte gefunden. Klarheit und Wahrheit, wer kann dem schon widersprechen? Da sind wir alle sehr dafür. Sie haben das Tempo gelobt. Sie sagen, Sie wollen die Maßnahmen schnell umsetzen. Die Realität ist aber eine andere. Sie mussten sogar zu dieser Regierungserklärung getragen werden. Erst aufgrund der Aktuellen Stunde haben Sie sich dazu entschlossen. Das ist schlicht die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter Bleser [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch glatt gelogen!) Sie müssen zum Jagen getragen werden. Sie haben zunächst zögerlich agiert und sind dann in Aktionismus verfallen. Dann sagen Sie so schöne Sätze wie: Sicherheit vor Schnelligkeit. Das ist ganz großes Kino. Das sagen auch die Formel-1-Manager nach einem Unfall. Dann wird aber sofort weitergerast. Das ist die Praxis. Wer ist denn schuld am Dioxinskandal? Da gibt es die Firmen, die sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben; da gibt es die Kontrollbehörden der einzelnen Länder, die die Schuld jeweils in den anderen Ländern suchen. Am Ende kommt heraus: Es gibt schwarze Schafe. Das haben Sie hier auch so dargestellt. Es gibt skrupellose Täter. Das stimmt, aber das ist nicht die Ursache. Die Realität sieht anders aus. Fest steht allerdings eines: Leidtragende sind die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Landwirte in diesem Land. Auch Ihr Agieren hat das Vertrauen in saubere Lebensmittel erschüttert. (Beifall bei der LINKEN) Das Highlight allerdings war Niedersachsen. Hier fordert die Bundesministerin personelle Konsequenzen. Diese hat es aber nicht gegeben. Es stellt sich die Frage: War die Forderung falsch, oder sind Herr McAllister und seine Regierung Futtermittelskandalvertuscher? (Zuruf von der CDU: Das ist unsachlich!) - Das ist ja nur eine Frage. - Frau Merkel musste sich einschalten, damit CDU-Ministerpräsident McAllister und Bundesministerin Aigner mit dem Schwarzer-Peter-Spiel aufhören. Das ist die Realität: Machtspiele und Schuldzuweisungen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wären froh, wenn die Regierung endlich damit anfinge, sie konsequent und wirksam vor kriminellen Futterpanschern zu schützen. Vielleicht ist sogar ein eigenes Verbraucherschutzministerium sinnvoll. Wir müssen aber vor allem die eigentlichen Ursachen benennen. Diese liegen nicht allein in den kriminellen Handlungen. Gründe sind auch der unkontrollierte Weltagrarmarkt und der gnadenlose Preiskampf, der stattfindet. Lebensmittel werden zum Sicherheitsrisiko, wenn Niedriglöhne und global gehandelte Billigrohstoffe den Ton angeben. Allein durch mehr Kontrolle und höhere Strafen sind die grundlegenden Ursachen nicht zu bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Nun haben Sie den mit den Landesministerinnen und Landesministern erarbeiteten 14-Punkte-Plan hier vorgestellt. Dieser ist durchaus vernünftig. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Immerhin!) Daran haben auch linke Minister aus den Ländern mitgearbeitet sowie Grüne und Sozialdemokraten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei kommt manchmal etwas Gutes heraus. Das ist gar keine Frage, um Gottes Willen, wenn man auch über Details streiten kann. Die Linke aber fordert, dass die Bundesregierung nicht nur die Symptome behandelt, sondern auch die Ursachen bekämpft. Das ist das Entscheidende. (Beifall bei der LINKEN) Es sieht doch jetzt so aus, dass eines gilt: Nach dem Skandal ist vor dem Skandal. Schauen wir einmal zurück. Unter Seehofer gab es den Gammelfleischskandal, unter Frau Künast gab es BSE, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorher! - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frau Künast ist erst Ministerin geworden durch BSE!) unter Frau Aigner gibt es den Dioxinskandal. Alle Ministerinnen und Minister haben bessere Kontrollen versprochen, wie auch Sie heute. Aber alle sind vor der Nahrungsmittelindustrie eingeknickt. Das ist die Realität. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Die Skandale werden doch durch die Bank zufällig entdeckt. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen sage ich: Legen Sie zügig hier im Hause Gesetze vor! Es waren die Länder, die gestern bei den Beratungen durchgesetzt haben, dass schon 2011 etwas geschieht. Sie hingegen wollten erst 2012 Gesetze vorlegen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!) Der Druck der Landesminister unterschiedlicher Parteien hat dafür gesorgt, dass Sie in diesem Jahr mit der Arbeit anfangen. Das ist die Realität. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben kein Verständnis für das Hin und Her zwischen Bund und Ländern. Man kann ihnen ein solches Hin und Her auch nicht zumuten. Sie müssen von der Ankündigungsministerin zu einer Handlungsministerin werden. Das wäre notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Damit könnten das Krisenmanagement vom Kopf auf die Füße und die Verbraucherschutzinteressen wirklich auf Platz eins gestellt werden. Das wäre nötig. Ich hoffe, dass wir in diesem Hause darin einig sind. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Peter Bleser ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder gute Feuerwehrleiter löscht erst das Feuer und spricht dann über die notwendigen Brandschutzmaßnahmen. So hat auch unsere Ministerin zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern gehandelt: ruhig, entschlossen, zielstrebig. Sie hat als Erstes die Quellen für die Dioxineinträge verstopft. Sie hat als Zweites die betroffenen Bauernhöfe ermittelt, die das verseuchte Futter erhalten haben konnten. Dann hat sie als Drittes die Lebensmittel, die schon auf dem Markt waren, zurückrufen lassen. (Widerspruch von der SPD) Das war genau die richtige Reihenfolge, um im Interesse der Verbraucher gesundheitliche Gefahren ausschließen zu können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie im Urlaub, Herr Bleser, dass Sie überhaupt nichts mitgekriegt haben?) Weil Frau Ministerin Aigner in der Öffentlichkeit sehr beschimpft und unter Druck gesetzt worden ist - Sie waren sich nicht zu schade, den Rücktritt der Frau Ministerin zu fordern -, will ich ihr ganz formal Lob und Dank für die Vorgehensweise in dieser Krise aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich weiß, dass gerade in den Tagen nach Weihnachten, als viele von Ihnen ihren verdienten Urlaub und ihre Freizeit genossen haben, eine ganze Reihe von Mitarbeitern in den Untersuchungsämtern in Niedersachsen und in den Ministerien durchgearbeitet haben, um diese Krise in den Griff zu bekommen (Kerstin Tack [SPD]: Das ist doch ihr Job!) und sofort Maßnahmen vorzuschlagen, die wir jetzt zügig umsetzen können, um ein derartiges Geschehen in der Zukunft zu verhindern. Ich will aber nicht verschweigen, dass auch der Futtermittelwirtschaft eine große Verantwortung zukommt. (Zurufe von der SPD: Aha!) Auch sie muss mithelfen, dass möglichst alle erfasst werden, die durch diese Futterlieferung geschädigt worden sind. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Forderst du jetzt nicht mehr die Selbstverpflichtung der Wirtschaft?) Ich sage es ganz offen: Ich bin es langsam leid, dass einige wenige in einer Branche das ganze Umfeld der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Verruf bringen. Das lassen wir uns nicht mehr bieten. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dann ändere doch selber etwas daran!) Das werden wir mit dem 14-Punkte-Plan verhindern. Alle Punkte, die gestern einvernehmlich mit den Ländern festgelegt worden sind, sorgen in voller Schärfe dafür, dass in Zukunft Derartiges nicht mehr geschieht. Ich habe mir alle Punkte angesehen. Es sind wesentlich mehr, als von der Opposition bisher vorgeschlagen wurden. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Es sind wesentlich mehr! - Ich war Gott sei Dank - das gehört auch zum Führungsstil unserer Ministerin - bei der Erarbeitung der Punkte involviert. Sie hat sehr engen Kontakt mit den Koalitionsfraktionen gehalten, um sicherzustellen, dass diese Punkte unser aller Zustimmung finden, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste sie auch! Sie haben doch alles abgelehnt vorher!) damit sie in den nächsten Monaten möglichst schnell umgesetzt werden können. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hat denn immer beim VIG auf die Selbstverpflichtung gepocht? Das war doch die CDU!) Herr Bartsch, es ist in der Tat so - auch wenn es nicht in meinem Sinne ist -: Alle hier vertretenen Parteien sind in den Ländern in Verantwortung. Wir werden sehen, ob die Länder bei der konkreten Umsetzung auf ihren Kompetenzen bestehen, ob sie das Audit der Futtermittelkontrollen, das der Bund jetzt einführen will, mittragen, ob sie sich gemeinsamen Standards stellen. Das werden wir in den nächsten Monaten sehen. Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass der Maßnahmenkatalog, der in der Kürze der Zeit erstellt worden ist, im Laufe dieses Jahres in konkretes Regelwerk umgesetzt werden kann. Meine Damen und Herren, es ist auch richtig, dass wir darüber hinaus die Verbraucherinformation verbessern wollen. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Und das aus Ihrem Munde, Herr Bleser! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Peters Märchenstunde!) Das steht übrigens schon in unserem Koalitionsvertrag. Auch durch viele öffentliche Erklärungen haben wir unsere Forderung dokumentiert: Wir werden in der Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes vorsehen, dass Gesetzesverstöße - und das sind solche Überschreitungen von Grenzwerten - unverzüglich ins Netz gestellt werden. Da braucht dann niemand mehr nachzufragen, ob das der Fall gewesen ist oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Des Weiteren werden wir die von Bayern beantragte Homepage Lebensmittelwarnung.de endlich auf den Weg bringen. Da waren die Bundesländer jetzt die Reichsbedenkenträger, die ihre Kompetenzen nicht so schnell wahrgenommen haben, wie es notwendig gewesen wäre. Auf dieser Homepage werden alle beanstandeten Lebensmittel für jeden nachlesbar sein. Auch das ist Teil des Fortschritts, den wir für die nächsten Jahre anstreben. Ich will hier aber noch einen anderen Punkt ansprechen, weil gerade dieser Skandal - das ist vorhin schon mehrfach angesprochen worden - wiederum Unschuldige trifft. Die Preise für Schweine und für Eier sind zusammengebrochen. Man fragt sich: Warum musste das sein? Auf der linken Seite des Hauses wird immer wieder die Generalforderung gestellt, möglichst alles mit ökologischer Landwirtschaft zu betreiben, denn dort komme das nicht vor. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein, nein! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ist doch gar nicht wahr! - Weiterer Zuruf von der SPD: Blödsinn!) Ich sage Ihnen eines: Wir hatten im letzten Jahr auch dort einen Skandal. Ich erinnere an dioxinverseuchten Mais aus Ungarn, der in ökologisch-landwirtschaftliche Betriebe geliefert worden ist. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten wir vielleicht mal hier erzeugen können! Aber wenn Sie die Förderung zurückfahren, macht das doch keiner mehr!) - Frau Höhn, wir werden uns - jetzt bin ich dankbar, dass Sie doch noch wach geworden sind - (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie mal wach werden, Herr Bleser!) in Deutschland und auch in der Welt nicht mehr von einer arbeitsteiligen Landwirtschaft und von einer arbeitsteiligen Produktion in Industrie und Handwerk trennen können. Diese Zeiten sind vorbei; ein Zurück wird es nicht geben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau Ihr Problem!) Ob ökologisch oder konventionell, alles muss sicher sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Verbraucher müssen darauf vertrauen können, dass die Lebensmittel, die sie erhalten, absolut in Ordnung sind. Das werden wir unter anderem mit diesem Maßnahmenkatalog sicherstellen. Es hat mich schon auf die Palme getrieben, dass es hier Rücktrittsforderungen und eine Skandalisierung des Vorfalls - den ich nicht verniedlichen will, ganz im Gegenteil - gab. Aber ich will in Erinnerung rufen, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung erklärt hat, dass von den hier genannten Überschreitungen beim Dioxingehalt keine gesundheitlichen Gefahren ausgehen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine akute Gesundheitsgefährdung!) Damit will ich nicht beschwichtigen; aber es wäre nicht notwendig gewesen, durch eine Skandalisierung die Märkte zusammenbrechen zu lassen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dann kann man das Zögern ja auch verstehen!) Ich will das noch einmal verdeutlichen: Es wird jetzt auch in den Medien immer wieder darauf hingewiesen, dass nur die biologische Landwirtschaft die richtige ist. Ich selber bin Landwirt und habe überhaupt keine Präferenzen für die eine oder andere Form. Jeder soll die Nische bedienen, in der er glaubt, seinen wirtschaftlichen Erfolg erzielen zu können. Wer hier aber ständig den Eindruck erweckt, dass man mit dieser Form der Landbewirtschaftung die Menschheit ernähren kann, der betrügt die Leute; er macht den Menschen etwas vor. Nach Angaben der FAO können über diese Art der Produktion nur 4 Milliarden Menschen ernährt werden; auf der Erde leben aber über 6 Milliarden Menschen. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben eine Krise vorgefunden, die durch kriminelle Machenschaften verursacht wurde. Es wurde konsequent gehandelt, und es wurde sehr schnell ein Maßnahmenkatalog beschlossen - das ist in dieser Krise ein Glücksfall; sonst ist so etwas oft nicht möglich; das sage ich ganz offen -, der eine Form von Lebensmittelsicherheit erwarten lässt, die auf der ganzen Welt nicht vorzufinden ist. Es besteht die Möglichkeit, dass wir nach dieser Krise besser dastehen als vorher. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Thomas Oppermann. Bitte schön. Thomas Oppermann (SPD): Herr Kollege Bleser, Sie haben eben ganz stolz darauf hingewiesen, die Koalition habe den Verbraucherschutz in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Da steht in der Tat etwas davon; aber im Regierungshandeln können wir nichts davon erkennen. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Vollkommener Blödsinn!) Ich darf da einmal nachfassen. Auch die Ministerin hat gesagt: Wer die Verbraucher schützen will, wer verhindern will, dass wir Gift im Essen haben, der muss die kriminellen Machenschaften in der Futtermittelindustrie und auch in der Lebensmittelindustrie beseitigen. Wer die kriminelle Energie, die da ganz offenkundig vorhanden ist, wirklich bekämpfen will, der muss dann aber auch wirksame Maßnahmen ergreifen. Es ist schon schlimm genug, dass wir ein Kontrollsystem haben, das so viele Mängel und Lücken hat, dass wir derartige Vorgänge nicht feststellen können. Aber noch schlimmer ist doch, dass Sie, die CDU/CSU-Fraktion, eine Maßnahme verhindert haben, über die Frau Zypries, Herr Scholz und Herr Seehofer in der letzten Wahlperiode schon eine Einigung erzielt hatten. Wir wollten die Arbeitnehmer in solchen Unternehmen ermutigen, Meldungen zu machen und zu berichten, wenn in ihrem Betrieb Gift beigemischt wird, wenn Unzulänglichkeiten vorhanden sind. Beim Gammelfleisch war das so, und beim Dioxin ist es jetzt wieder so. In den Unternehmen gab es viele, die das gewusst und gesehen haben. Wir müssen diese Personen ermutigen, Unzulänglichkeiten zu melden. Sie haben genau das verhindert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sagen Sie uns doch, ob Sie mit uns gemeinsam die Whistleblower-Regelung in das Gesetz einführen wollen, um diejenigen Arbeitnehmer zu schützen, die solche Meldungen machen, damit sie nicht hinterher dafür bezahlen müssen. Gift in Lebensmitteln ist das eine. Das müssen wir verhindern. Aber die Kompetenz im Ministerium muss hinzukommen. Gift im Essen und Inkompetenz im Verbraucherschutzministerium sind die zwei Seiten einer Medaille, Frau Ministerin. Sie müssen die Missstände endlich abstellen, indem Sie tatkräftig handeln. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Schwätzer!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Bleser, zur Erwiderung. Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Kollege Oppermann, ich freue mich, dass Sie unseren Koalitionsvertrag gelesen haben. Dort steht, dass wir eine Evaluierung, die wir bei der Verabschiedung des VIG, des Verbraucherinformationsgesetzes, durch die Große Koalition gemeinsam beschlossen haben, in diesem Jahr vornehmen. Es hat entsprechende Gutachten gegeben. In Kürze liegen Referentenentwürfe, die innerhalb der Regierung abgestimmt werden, vor. Wir werden das VIG im Laufe dieses Jahres entsprechend unseren Wünschen ändern. Außerdem haben Sie angesprochen, dass kriminelle Energie vorhanden gewesen ist. Ich als Abgeordneter darf mit aller Vorsicht, was Beschuldigungen angeht, sagen: Es gab wohl einen Betrieb, der überhaupt nicht zugelassen war, Futtermittel herzustellen, und der infolgedessen nicht registriert war. So etwas können Sie auch dann nicht vermeiden. Allerdings müssen wir - das ist mit der Abprobung von Futterzusatzstoffen, bevor sie in die Nahrungskette kommen, sichergestellt - die Hürden erhöhen, um so etwas zu verhindern. Sie haben verlangt - das ist der Kern Ihrer Botschaft -, dass wir den Denunziantenschutz in Deutschland einführen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Da ist es wieder!) Das bedeutet, dass Mitarbeiter ihren eigenen Betrieb bei Behörden denunzieren, indem sie entsprechende Ereignisse melden. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Schützen ist für Sie Denunziantentum! - Kerstin Tack [SPD]: Sie sollten sich was schämen!) Ich will Sie über Folgendes in Kenntnis setzen, Herr Oppermann: Schon jetzt hat jeder Mitarbeiter, der eine Straftat meldet, Kündigungsschutz. Das wäre im vorliegenden Fall so gewesen. Der Mitarbeiter hätte es also melden können. Das betroffene Unternehmen ist allerdings bereits insolvent; insofern hätte er seinen Arbeitsplatz ohnehin verloren. (Kerstin Tack [SPD]: Sie sollten sich was schämen!) Das ist aber nicht der Kern meiner Aussage. In keiner Forderung der SPD-geführten Länder ist ein solcher Ansatz enthalten. Warum wurde er gestern nicht vorgetragen? Diese Frage müssen Sie sich selber beantworten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Bärbel Höhn das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nun aber!) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts des Skandals fragen sich die Menschen: Warum sind schon wieder Dioxine in Eiern und Fleisch gefunden worden? Die Antwort des Bauernverbandes und auch die Antwort, die wir von Frau Ministerin Aigner und anderen Politikern bekommen haben, lautet: Das sind Einzelfälle. Das war ein Krimineller aus Schleswig-Holstein. Im Übrigen ist alles gar nicht so schlimm; denn die gefundenen Mengen sind nicht akut gesundheitsgefährdend, und nur wenige Proben lagen über dem Grenzwert. Eigentlich ist alles gar nicht so schlimm. - Durch diese Antworten versuchen Sie, den Skandal zu verharmlosen, aber damit kommen Sie nicht mehr durch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Verbraucher wollen mehr Antworten. Die Verbraucher merken, dass etwas anderes dahintersteckt und dass man viel intensiver diskutieren muss. Deshalb ist es sinnvoll, hier im Bundestag die Grundsatzfrage zu stellen: Welche Landwirtschaft wollen wir in Deutschland? Das ist die entscheidende Frage, über die wir debattieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unter Rot-Grün hat Renate Künast nach der BSE-Krise einen deutlichen Schwenk in der Agrarpolitik eingeleitet und klargestellt: Wir brauchen mehr Klasse und weniger Masse. Die Politik unter Schwarz-Gelb - leider auch schon vorher unter Seehofer - ist darauf ausgerichtet, in Deutschland immer mehr Fleisch zu produzieren, vor allen Dingen immer mehr Schweinefleisch. Die ganze Welt soll mit deutschem Schweinefleisch beglückt werden. Das ist die Politik, die Sie in den letzten fünf Jahren gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb muss man sich nicht über das wundern, was momentan geschieht. Vielmehr muss man sich fragen: Was ist die Voraussetzung, wenn man in die ganze Welt Schweinefleisch exportieren will? Die Voraussetzung sind möglichst niedrige Schweine- und Geflügelfleischpreise; (Peter Bleser [CDU/CSU]: Gute Qualität ist auch wichtig!) denn nur dann lässt sich das Fleisch gut verkaufen. Eine solche Entwicklung bedeutet Arbeitsteilung. Die Betriebe werden immer größer. In den neuen Bundesländern gibt es mittlerweile einzelne Betriebe mit Zehntausenden von Schweinen. Die Arbeitsteilung ist wichtig, weil die großen Betriebe das Futter für ihre Tiere nicht mehr selber anbauen können. Arbeitsteilung heißt: Es gibt eine Futtermittelwirtschaft. Diese Futtermittelwirtschaft handelt an vielen Stellen anonym. Da Futter der größte Kostenfaktor ist, wird durch den Wunsch nach immer mehr Schweine- und Geflügelfleisch auch der Druck auf den Futtermittelpreis erhöht. Die derzeitige Politik erhöht also das Risiko, dass im Futtermittelbereich Panscher tätig werden. Mit Ihrer Politik erhöhen Sie das Risiko von Lebensmittelskandalen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man technische Fette, die nur halb so teuer sind, in das Futtermittel mischt, dann kann man die Konkurrenz gnadenlos unterbieten und fette Gewinne machen. Genau das hat das Unternehmen in Uetersen in Schleswig-Holstein gemacht. Seehofer hat damals das Signal gegeben: Wir kehren zur alten Landwirtschaftspolitik zurück; die Förderung des Ökolandbaus wird zurückgeschraubt. Für die Fleischhändler bedeutete das: Wir können weitermachen wie damals. Der Gammelfleischskandal war eine logische Folge dieser Politik. Deshalb müssen wir zurück zu einer anderen Landwirtschaftspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Krisenmanagement, Frau Ministerin, ist hart zu kritisieren. Im Rahmen der vorhandenen Struktur haben Sie sogar richtig gehandelt. Sie haben sich erst gar nicht blicken lassen. Ich habe zwischen Weihnachten und Neujahr wenig von Ihnen gehört. Da haben die Behörden in Nordrhein-Westfalen gearbeitet, die Behörden in Niedersachsen weniger. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Die haben Urlaubssperre gehabt!) Die Behörden in Nordrhein-Westfalen haben die Eier untersucht. Erst dann, als wir in Nordrhein-Westfalen festgestellt hatten: "Die Eierwerte liegen über den Grenzwerten", ist Niedersachsen tätig geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, es ist gut, dass wir in Nordrhein-Westfalen jetzt einen grünen Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister haben. (Zuruf von der FDP: Fehlbesetzung!) Es war natürlich im Sinne des Agrarsystems, dass die Ministerin gesagt hat: Die Verantwortung liegt bei den Ländern. Gar nicht so viel darüber reden! Am besten runterkochen! Spannend ist, wie Niedersachsen da gehandelt hat. Spannend ist, dass der Staatssekretär bei uns im Ausschuss gesagt hat: Kein belastetes Schweinefleisch ist auf dem Markt. - Am nächsten Tag musste er zugeben: Das war doch der Fall. - Er hat die Ministerin nicht informiert, obwohl er schon mehr wusste. Spannend ist auch, dass es sich dabei um ein Unternehmen in Damme handelte, ein Unternehmen, das zum Raiffeisenverband gehört, für das am Ende jemand verantwortlich ist, der Bauernpräsident in Westfalen ist, einer der höchsten Bauernfunktionäre in Deutschland, nämlich Herr Möllers. Ich frage mich: Wo sind da die Äußerungen des Bauernverbands? Auch in Damme haben Leute offensichtlich kriminell gehandelt; denn sie haben nicht gesagt, dass sie verseuchtes Futtermittel bekommen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Am Ende, Frau Aigner, haben Sie McAllister eine Frist gegeben, um personelle Konsequenzen zu ziehen. Die Frist ist verstrichen. McAllister hat das abtropfen lassen. Damit haben Sie Ihre Autorität vollkommen verspielt; denn in Zukunft können die Länder sich sagen: Wenn es Forderungen von der Bundesministerin gibt, dann machen wir den McAllister, das heißt, wir lassen das einfach abtropfen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höhn. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit haben Sie Ihre Macht vollkommen ausgehöhlt. Sie sind nicht mehr in der Lage, den Ländern wirklich Zugeständnisse abzutrotzen und etwas für den Verbraucherschutz zu tun. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höhn, Sie müssten schon zum Ende gekommen sein. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. Letzter Satz. - Frau Ministerin, Sie haben gesagt, es gebe seit zehn Jahren das Verbraucherschutzministerium. Das war hart erkämpft. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höhn. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Renate Künast war die erste Verbraucherschutzministerin. Handeln Sie endlich als Verbraucherschutzministerin und nicht als Vertreterin der Futtermittelindustrie und der industriellen Landwirtschaft! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Goldmann hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Hans-Michael Goldmann (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Höhn - seien Sie so nett, mir zuzuhören! -, damit wir da gar keinen Zweifel aufkommen lassen: Es ist ganz schlimm, was hier passiert ist. Es ist ganz schlimm für die Bauern. Ich bin bei Bauern gewesen, deren Höfe gesperrt sind, die jeden Tag Tausende von Eiern weggeworfen haben. Es ist ganz schlimm für die Bauern, die im Moment bei jedem Kilo Schweinefleisch 40, 50, 60 Cent zusetzen müssen und daran pleitegehen. Und es ist ganz schlimm für die Verbraucher, die total verunsichert sind, nicht zuletzt durch eine Kampagne, die im Zusammenhang mit diesem Skandal läuft und zu der Sie eben entscheidend beigetragen haben, Frau Höhn. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben skizziert, dass diese Branche im Kern versifft ist. Das ist sie nicht. Diese Branche hat wie alle anderen Branchen in unserer Gesellschaft schwarze Schafe. (Lachen des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Verharmlosung!) Alle anderen in unserer Gesellschaft haben auch mit diesem Problem zu tun. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die FDP: Mal so, mal so!) - Frau Künast, das ist nicht ein Problem der Agrarwirtschaft oder der Ernährungswirtschaft, das ist ein grundsätzliches Problem mangelnder ethischer Verantwortung in bestimmten Bereichen unserer Gesellschaft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bin ein überzeugter Liberaler, aber ich verstehe Liberalität nicht so, dass ich in diesem Markt tun und lassen darf, was ich will, koste es den Verbraucher, was es wolle. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tragen diese Politik mit! Das ist der Punkt!) Frau Höhn, Sie liegen völlig daneben. In der Sondersitzung des Ausschusses am Dienstag hätten Sie der Frau Ministerin die Füße geküsst, wenn sie gesagt hätte: Diese 14 Punkte setzen wir um. (Lachen bei der SPD - Peter Bleser [CDU/ CSU]: Genau so! - Renate Künast [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso denn?) Da bin ich wirklich sauer auf Sie. Diese 14 Punkte sind fast identisch mit den 10 Punkten, die unter anderem Ihr grüner Landwirtschaftsminister aus Nordrhein-Westfalen in die Diskussion gebracht hat. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn dann Ihre eigene Arbeit dabei?) Diese 14 Punkte - das wissen Sie genauso gut wie ich - sind keine Erfindung der Ministerin, keine Erfindung der derzeitig amtierenden Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister, sondern sie sind im Grunde genommen eine sehr alte Forderung an diesen Bereich. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie früher immer verhindert haben!) Frau Künast, was die Umsetzung angeht, so haben Sie nicht den Erfolg gehabt, und wir hatten ihn bis jetzt auch nicht. Jetzt werden wir darangehen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Typischer FDP-Wendehals!) - Ganz ruhig, Frau Künast! - Wir werden das Punkt für Punkt abarbeiten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Landwirtschaftspolitik kostet Arbeitsplätze!) - langsam, Frau Höhn! -, weil wir Fairness in diesem Markt wollen, weil wir wollen, dass in diesem Markt die Machtverhältnisse richtig geordnet werden, weil wir nicht wollen, dass einige wenige dieses System missbrauchen und im Grunde genommen Arbeitsplätze zerstören. Ich wundere mich darüber, wie die Linken, die Sozialdemokraten und andere mit diesem Phänomen umgehen. Das Problem, das wir haben, kostet jede Menge Arbeitsplätze. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Landwirtschaftspolitik kostet Arbeitsplätze! Exakt!) Dafür übernehmen wir Verantwortung. Sie sollten sich einmal die Zeit nehmen, auf folgende Frage einzugehen - vielleicht tut es auch eine nachfolgende Rednerin aus Ihrer Fraktion -: Was stört Sie an diesen 14 Punkten? Welcher von Ihnen gewünschte Punkt ist in diesem Papier nicht drin? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Agrarwende ist nicht drin!) - Da können Sie ruhig noch weiter dazwischenrufen. Sie können mir keinen Punkt nennen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Alle Punkte sind drin. Wir werden sie umsetzen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden Sie alle nicht umsetzen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Goldmann, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Miersch zulassen? Hans-Michael Goldmann (FDP): Ja bitte, gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Kollege Goldmann, Sie haben eben gefragt, welche Punkte uns nicht gefallen. Wir müssen nicht darüber reden, wer der Urheber dieser Punkte ist. Als Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses möchte ich Sie dennoch etwas fragen. Ministerin Aigner hat uns hier und heute erklärt, dass es wahrscheinlich um vorsätzliches Handeln und um kriminelle Energie in der Futtermittelindustrie geht. Es gibt augenblicklich einen Vorschlag, der eine Haftpflichtversicherung für alle vorsieht. Wir alle, die wir mit diesem Bereich zu tun haben, wissen, dass keine Versicherung bei Vorsatz eintreten wird. Ich habe bisher von Mitgliedern der Koalition und auch von der Frau Ministerin noch kein Wort darüber gehört, wie es den Landwirten, die geschädigt wurden, augenblicklich geht. Sie werden ihren Schaden nicht ersetzt bekommen; das ist jedenfalls meine rechtliche Einschätzung. Wenn sie irgendwann den Urheber des Schadens nennen können, geht dieser wahrscheinlich in die Insolvenz. Müssen wir alle nicht viel ehrlicher mit dem Fakt umgehen, dass die Landwirte und die Verbraucherinnen und Verbraucher nach dem derzeitigen Haftungssystem die Gekniffenen sind? Müssen wir nicht zusammen mit dem Bauernverband, der ja zum Großteil in den Aufsichtsgremien der Futterindustrie vertreten ist, und mit der Industrie überlegen, wie wir verhindern können, dass das letzte Glied in der Kette am Ende der Geschädigte ist? Ich frage Sie also: Was sind Ihre Rezepte, um dieses Problem anzupacken? (Beifall bei der SPD - Peter Bleser [CDU/ CSU]: Gute Frage!) Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist natürlich eine gute Frage. - Herr Kollege, Sie waren in den Prozess mit eingebunden und haben die Diskussion verfolgt. Lassen Sie mich als Erstes sagen: Ich bin Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wir müssen im Kopf behalten, dass es nicht die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft auf der einen Seite und den Verbraucherschutz auf der anderen Seite gibt. Es handelt sich vielmehr um einen Strang. Wir gehen jetzt daran, diesen Strang von bösen - von mir aus auch: kriminellen - Elementen zu befreien. Die 14 Punkte sind die Grundlage, um entsprechende Gesetze und Verordnungen auf den Weg zu bringen. Ich gebe Ihnen recht, dass wir über dieses Problem nicht nur nachdenken müssen, sondern dass wir Lösungen entwickeln müssen, um den Landwirten, deren Betriebe völlig schuldlos gesperrt wurden und die vier oder fünf Tage keine Marktteilnehmer sein durften, zu helfen. Das ist doch überhaupt keine Frage. Wir können durchaus zu einer gemeinsamen Aktion all derjenigen kommen, die Sie eben genannt haben. Dazu gehören der Bauernverband, die großen Futtermittelhersteller und auch die Politik. Ich habe an einer Stelle schon angedeutet: Wie wir den Bauern in der Milchkrise geholfen haben, könnten wir auch angesichts dieses Problems die Weichen in Richtung Hilfe für die Betroffenen stellen. (Zuruf des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) Wenn Sie bessere Vorschläge haben, dann nehmen wir sie gerne auf. Herr Kollege Miersch, lassen Sie mich noch einen wichtigen Punkt ansprechen. Es bringt nichts, zu sagen, dieser und jener habe in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle Schuld gehabt. Das ist völlig uninteressant. Wir müssen alles unternehmen, damit ein solches Problem nicht wieder auf uns zukommt und wir nicht mehr in eine solche schwierige Situation kommen. Lassen Sie mich anknüpfen an das, was Frau Höhn vorhin gesagt hat. Frau Höhn, es gibt da ein Problem: Eier von freilaufenden Hühnern enthalten mehr Dioxin als Eier von Hühnern aus Gruppenhaltung. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist doch eine Frechheit!) - Nein. Das ist so. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat damit überhaupt nichts zu tun!) Das Fleisch von freilaufenden Rindern in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen enthält mehr Dioxin als das Fleisch von Tieren aus der Massentierhaltung. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. (Widerspruch der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) Liebe Frau Wolff, das ist keine Diskussion über Ökosystem, Regionalsystem und Intensivsystem. (Zuruf der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) - Entschuldigen Sie bitte. Ich habe es gut; denn ich kaufe meine Lebensmittel beim Sozialen Ökohof in Papenburg; das mache ich gerne. Allerdings habe ich auch die Zeitungen gelesen. Auf der ersten Seite einer großen Zeitung hatte der größte Marktteilnehmer Anzeigen geschaltet, in denen er garantierte, dass seine Produkte sicher sind, weil er alles selbst in der Hand hat und weil er selbst dafür sorgt, dass dieser Bereich sauber ist. Wir müssen mehrere Dinge miteinander verknüpfen. Wir müssen zunächst an die Eigenverantwortung, an die moralische, ethische und soziale Verantwortung der Betriebe appellieren und sie in die Pflicht nehmen. Denn der Drecksack im Markt - so will ich es einmal sagen; wahrscheinlich dürfte ich es nicht so ausdrücken - macht diejenigen kaputt, die ordentlich arbeiten. Das wollen wir nicht. Darin sollten wir uns einig sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich halte nicht sehr viel von den Ausführungen von Herrn Oppermann. Aber in dem Punkt, den er vorhin angedeutet hat, gebe ich ihm recht: Es muss auch die Selbstreinigungskräfte der Branche geben. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss kontrollieren!) - Nein, nicht kontrollieren. Die Betriebe müssen untereinander ein Auge darauf haben (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiwillige Selbstverpflichtung! QS-Siegel! Das ist ja super!) - Frau Höhn -, dass die Marktteilnehmer sich ordentlich verhalten. Wenn Sie der Meinung sind, dass man dies durch Gesetze und Verordnungen erreicht, dann kann ich nur sagen: Das wird Ihnen nicht glücken. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit freiwilligen Selbstverpflichtungen auch nicht!) Es muss das Miteinander aller Betroffenen geben, wenn wir zu Lösungen kommen wollen. Jetzt gehen wir daran und setzen diese 14 Punkte um. Wenn Sie dann noch weitere Punkte haben, bringen Sie die ins parlamentarische Verfahren ein. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gemacht!) Dann gehen wir zu Ihrem Landwirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und zu dem sozialdemokratischen in Rheinland-Pfalz und sagen: Jungs, kommt in die Pötte. Jetzt machen wir Lebensmittelkontrolle - rückwärtsgerichtet und vorwärtsgerichtet! Jetzt veröffentlichen wir die Proben, die über dem Grenzwert sind. Jetzt machen wir etwas beim Strafmaß, um die zu erwischen, die in diesem Markt Dinge kaputtmachen. Lassen Sie uns die Dinge gemeinsam anpacken! (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden alles wieder zerreden! Das haben wir doch bisher immer erlebt!) - Nein, Frau Höhn. Dieser Skandal ist nicht der Skandal der lauten Blubberbotschaften. (Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen dröhnen Sie auch so!) Dieser Skandal muss durch konsequentes Abarbeiten der 14 Forderungen bewältigt werden, die gestern zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen Sie doch eigentlich gar nicht lösen! Das ist der Punkt!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Als Vertreterin des Bundesrates hat die Staatsministerin Margit Conrad das Wort. (Beifall bei der SPD) Margit Conrad, Staatsministerin (Rheinland-Pfalz): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst die gute Botschaft. Ja, es ist richtig: Die Länder haben gestern zusammen mit dem Bund ein gemeinsames Handlungskonzept auf den Weg gebracht, das in der Summe - ich sage ausdrücklich, es ist ein Paket - und nicht in den Einzelbausteinen Veranlassung gibt, zu sagen: Es bedeutet mehr Sicherheit für Futter- und damit auch für Lebensmittel. Es ist eine klare Ansage an die Futtermittelhersteller, dass wir alles tun werden, um kriminelle Machenschaften aufzudecken und mit höheren Strafen zu sanktionieren. Es ist auch ein Signal an die Märkte, die ein solches Handeln dringend brauchen. (Beifall bei der SPD) Ich wollte eigentlich wenig zur Vergangenheit sagen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist recht so! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Vorsatz!) - Ja. - Aber man wird auch provoziert, wenn man auf der Bundesratsbank sitzt. Eines können Sie hier nicht behaupten: dass diese entscheidende gestrige Agrar- und Verbraucherministerkonferenz auf Initiative des Bundes, der Union oder der FDP zustande gekommen wäre. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das wäre Geschichtsklitterung. Aber das brauchen wir heute gar nicht mehr zu strapazieren. Ich bitte Sie nur: Rüsten Sie ab! Wenn man Gemeinsamkeit einfordert, muss man dies auch in der Diktion und im Handeln konkret unterstreichen. (Beifall bei der SPD) Ich will etwas zu den Bausteinen der Länder sagen. Wir Länder wissen sehr wohl, dass wir die Standards für die Kontrollen verbessern müssen, und wir werden deswegen auch länderübergreifend daran arbeiten. Dazu gehört auch, den Rahmenplan für die Futtermittelkontrolle weiterzuentwickeln. Es gehört auch - das war ein Vorschlag, der von uns Ländern kam - eine unabhängige und transparente Auditierung der Futtermittelkontrolle dazu. In der Lebensmittelkontrolle haben wir das schon eingeführt. Wir haben auch beschlossen, dass dazu länderübergreifend zusammengesetzte Auditorenteams eingerichtet werden unter - jawohl - Beteiligung des Bundes. Frau Aigner, im Übrigen war das für mich überhaupt kein Problem, weil der Bund beteiligt ist und auch in der Vergangenheit beteiligt war. Sie können sich nicht hinstellen und sagen, dass Sie damit bisher nichts zu tun hatten. (Beifall bei der SPD) Wenn Sie sich das Titelblatt für den "Rahmenplan der Kontrollaktivitäten im Futtermittelsektor" anschauen: Da sehen Sie die Überschriften von Ihrem Ministerium, von den zuständigen Bundeseinrichtungen, und Sie sehen natürlich auch die Wappen der Länder. Das heißt, Sie waren auch bisher an den Vorschriften für die Lebensmittelüberwachung beteiligt und haben sie auch ein Stück weit mit zu verantworten. Wir haben das deswegen gemacht, weil wir der Meinung waren, dass sich auch der Bund der Auditierung stellen muss; denn der Bund ist Teil des Systems und ein Baustein in der Sicherheits- und Warenkette. Deswegen gehören Sie dazu. Ich habe also überhaupt kein Problem damit, dass Sie vom Bund dabei sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja toll! Das ist ja super!) Nur, wenn Sie sich in der Öffentlichkeit hinstellen und sagen: "Allein die Tatsache, dass der Bund dabei ist, bürgt schon für Qualität": (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Auf die richtige Bundesregierung kommt es an!) Entschuldigen Sie, angesichts des Standards, den wir beim Krisenmanagement erlebt haben, kann ich das nicht automatisch nachvollziehen. Mehr will ich dazu, ehrlich gesagt, nicht sagen. (Beifall bei der SPD - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was werfen Sie denn dem Bund vor?) Es gehört auch zur Länderzuständigkeit, die Organisation der Strafverfolgungsbehörden zu überprüfen. Wir haben in Rheinland-Pfalz sehr gute Erfahrungen mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften gemacht. Ich denke, dass wir in den Ländern - ich schaue da auf einige Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern - hier wirklich mehr tun können. Es handelt sich um eine sehr spezielle Materie des Wirtschafts-, also des Fachrechts, die bei Schwerpunktstaatsanwaltschaften besser aufgehoben ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Beim Nürburgring beispielsweise!) Wir wollen auch eine zentrale Lebensmittelwarnplattform einrichten. Das ist eine Forderung, deren Umsetzung überfällig ist. Es bedarf einer Realisierung; sie ist bereits auf den Weg gebracht. Bessere Rechtsgrundlagen für bessere Kontrolle: Auch das ist notwendig. 10 der 14 Punkte des Maßnahmenpakets sind federführend, vorrangig oder vor allem vom Bund umzusetzen. Das zeigt, dass Defizite - Sie wollen das glauben machen - nicht nur bei den Ländern bestehen. Ich will natürlich nicht behaupten, dass bei uns alles in Ordnung ist. Die 14 Punkte müssen aber irgendwo auch in Bundeszuständigkeit angepackt werden, damit das ganze System verbessert wird. Dazu gehört auch Folgendes: Wir brauchen neue Rechtsvorschriften, etwa bessere Zulassungsvorschriften für die Futtermittelwirtschaft. Wir brauchen Standards für die innerbetrieblichen Kontrollen und eine Verbesserung der behördlichen Kontrollen. Wir brauchen eine Wiedereinführung der Meldepflichten. Dazu gehört auch der Informantenschutz: Wir wollen, dass er nicht nur bei Erkenntnissen in den Laboren gilt, sondern auch bei Erkenntnissen verantwortlicher Mitarbeiter in den einzelnen Betrieben; auch diese Erkenntnisse sind in Zukunft den Behörden zu melden. (Beifall bei der SPD - Volker Kauder [CDU/ CSU]: In der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz brauchen wir das auch!) Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund dessen, was ich in den letzten Monaten zu diesem Komplex gehört habe, gilt: Wir müssen die Maßnahmen umsetzen. Das ist der zweite Schritt, der wichtiger ist als der erste. Ich gebe zu: Auch ich habe einige Zweifel - aber Sie können sie durch Taten ausräumen -, dass die Umsetzung zügig erfolgt. Ich komme zu einem Punkt, der zu Recht in der Debatte angesprochen worden ist. Herr Goldmann, ich muss scharfen Widerspruch zu Ihren Äußerungen einlegen. Sie passen zur Diskussion: Sie von FDP und Union wollen immer weismachen, dass es sich hier um den Einzelfall eines schwarzen Schafes im Futtermittelsektor gehandelt hat. Wir hangeln uns vom Lebensmittelskandal zum Futtermittelskandal und wieder zurück zum Lebensmittelskandal. Wir müssen uns doch fragen: Was an diesen Skandalen ist ein Stück weit systembedingt? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wollen wir mit der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft so weitermachen? Was ist uns die bäuerliche Landwirtschaft noch wert, die jetzt das Opfer ist? Deswegen hatten wir gestern eigentlich vor - das können Sie nachlesen -, dass Länder und Bund gemeinsam ein Konzept auf den Weg bringen, sodass als eine der Konsequenzen aus dem Skandal eine entsprechende Debatte forciert wird. Union und FDP haben dies gestern gemeinsam abgelehnt, nachzulesen in einer Protokollerklärung der SPD-geführten Länder. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Peter Bleser [CDU/CSU]: Wo ist denn der Vorschlag? Sie haben noch keinen einzigen Vorschlag gemacht! Sie fordern nur eine Diskussion! - Gegenruf des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Das kannst du nachlesen!) Wir haben dennoch einen wichtigen Aufschlag gemacht. Wir alle sind gehalten - jeder und jede in seiner oder ihrer Verantwortung -, die Maßnahmen konsequent umzusetzen. Das ist das Signal, das die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch die Landwirtschaft von uns wollen. Ich denke, wir sollten nach vorne schauen. Wir sollten vor allen Dingen nicht in der Ich-Form reden, sondern darüber, was jetzt gemeinsam umzusetzen und zu tun ist. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Goldmann das Wort. Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr geehrte Frau Ministerin Conrad, lassen Sie uns ein Wort darüber verlieren, ob das systembedingt ist. Ich glaube, uns allen geht da eine Menge durch den Kopf. Ich fand es bei den Ausführungen von Frau Ministerin Aigner sehr wohltuend - Sie haben es leider nicht erwähnt -, dass sie sehr deutlich darauf hingewiesen hat, dass wir im Grunde genommen das Gesamtsystem - Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft und Verbraucherschutz - zukunftsfähig machen müssen. Dazu gehört für mich ein Mehrsäulensystem. Wenn wir gemeinsam darüber nachdenken, kommen wir doch zu dem Ergebnis, dass die Problematik der Dioxinbelastung von Lebensmitteln nichts mit dem System zu tun hat. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? - Bärbel Höhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat mit dem System zu tun!) Wir hatten Skandale mit sehr geringen Mengen im Ökosystem. Wir hatten und haben auch im verdichteten System Probleme; das ist überhaupt keine Frage. Ich weiß nicht, ob es zulässig ist, das zu sagen: Es gibt einen großen deutschen Hersteller in Südoldenburg, der Anzeigen geschaltet hat - er ist der größte Marktteilnehmer -, wonach es dieses Problem in seinem System nicht gibt, weil er sein Futter aus Südamerika holt, weil er eigene Schiffe hat, weil er einen eigenen Hafenumschlagsplatz hat, weil er eigene Lastwagen hat, weil er eine eigene Futtermittelfirma hat - nebenbei, er hat auch noch eine Arzneimittelfirma - und weil er eigene Vermarktungsstränge hat. Er hat die besten und die sichersten Produkte, und er hat die größte Nachfrage auf dem deutschen Markt. Er hat auch zufriedene Kunden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und glückliche Hühner!) Ich warne entschieden davor, den schlimmen Marktteilnehmern in diesem Bereich, den kriminellen Elementen, auch noch Rückendeckung zu geben, indem man sagt, dass das systembedingt ist. Nein, das ist kriminell, das ist ethisch nicht zu verantworten, das ist moralisch nicht zu verantworten, das ist wirtschaftlich nicht zu verantworten, das ist unter Tierschutzgesichtspunkten nicht zu verantworten, und das hat mit dem System überhaupt nichts zu tun. Das hat vielmehr etwas mit kriminellen Elementen zu tun, die wir aus dem Markt herausbekommen müssen. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU - Ulrich Kelber [SPD]: Dann bräuchten wir ja nur einen Staatsanwalt, wenn das stimmen würde!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Conrad, Sie möchten antworten? - Bitte schön. Margit Conrad, Staatsministerin (Rheinland-Pfalz): Sehr verehrter Herr Abgeordneter, bei dem Beispiel, das Sie angeführt haben, mag das ja funktionieren. Das ist aber kein typisches Beispiel für die deutsche Landwirtschaft heute, und im Übrigen ist das meines Erachtens auch kein Beispiel dafür, wie es in Zukunft überall aussehen sollte. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Ich habe nicht behauptet, dass es sich hier nicht um kriminelle Täter handelt. Das werden die Staatsanwaltschaften wahrscheinlich auch herausfinden. Was wir aber registrieren müssen, ist, dass auf den einzelnen Landwirten, auf den einzelnen Produzenten mittlerweile ein enormer Druck liegt. Wir haben das gerade erst bei der Diskussion über die Milchpreise erlebt. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Was schlagen Sie vor?) Mittlerweile verfügt der Einzelhandel über viel Marktmacht, auch gegenüber den Produzenten. Darüber muss man doch einmal reden können. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist so pauschal formuliert! Das ist Quatsch!) Wir wissen, unter welchem finanziellen Druck die einzelnen Betriebe mittlerweile stehen, und wir wissen, dass immer billiger produziert werden muss. Das bedeutet immer mehr Hochleistung. Das sind regelrecht Hochleistungskühe. Das sind doch keine Legehennen mehr. Heute braucht man fast Legemaschinen, um auf dem Markt noch mitmischen zu können. (Mechthild Heil [CDU/CSU]: Quatsch!) Hier stoßen wir an Grenzen. Darum geht es uns in der Debatte. Damit wollen wir nicht davon ablenken, dass es sich dabei um einen kriminellen Akt handelte, aber wir wollen in diesem Zusammenhang wenigstens die Frage stellen, was systembedingt ist. Das ist doch kein Einzelfall. Das mag jetzt zwar einer sein, aber morgen passiert der nächste. Darum geht es. Den Auftakt zu dieser Diskussion wollen wir damit verbinden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie machen nicht einen Vorschlag!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mechthild Heil (CDU/CSU): Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Widmen wir uns doch zunächst einmal den Fakten. Was sind die Tatsachen? Worüber reden wir eigentlich? Dioxine kommen überall in der Natur vor. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Jetzt kommt die Verharmlosungsgeschichte!) Sie werden unwillkürlich von Mensch und Tier täglich aufgenommen. 95 Prozent der Dioxinbelastung kommt aus der Nahrung. Die bedeutendsten Quellen in unserer Nahrung sind Milch und Milchprodukte, mit großem Abstand gefolgt von Fisch und Fleisch. Nur 10 Prozent machen Hühnereier aus. Die Dioxinbelastung ist seit Jahrzehnten rückläufig. Heute ist zum Beispiel ein Drittel weniger Dioxin in der Milch als vor 20 Jahren. Der Grund: Durch moderne Filtersysteme und optimierte Produktionsprozesse gelangt weniger Dioxin in die Luft, zum Beispiel bei Müllverbrennungsanlagen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wegen des Aufstands der Bürger für mehr Filter!) 1 Kilo Müll, im Garten verbrannt, setzt so viel Dioxin frei wie 10 Tonnen Müll in einer Müllverbrennungsanlage. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Was? - Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen ist es ja auch verboten!) Vieles ist in der Vergangenheit getan worden, um die Belastung durch Dioxin zu reduzieren. Manches kann man aber nicht ändern. Ich komme aus einer Region, deren Böden stärker mit Dioxin belastet sind als alle anderen Regionen in Deutschland. Grund dafür sind die Vulkanausbrüche, die sich vor Tausenden von Jahren ereignet haben. (Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!) Eine Nullbelastung ist mit der Natur also nicht zu machen. Wer das behauptet, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, der lügt. Deshalb werden Mensch und Tier immer mit Dioxin belastet sein, und sie werden über die Nahrung immer Dioxine aufnehmen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Nicht hinnehmbar ist allerdings, dass wir das unnötig tun, dass unnötig Dioxin in unseren Körper gelangt. Deswegen müssen wir das, wenn wir es verhindern können, auch verhindern. Woher das Dioxin in der Fettsäure von Harles und Jentzsch kommt, wissen wir noch nicht. Wir wissen aber, wohin geliefert wurde. Vor fünf Jahren wäre es noch nicht möglich gewesen, diese Lieferketten so schnell aufzudecken. Wir wissen auch, dass kriminelle Energie am Werk war. Man hat, vorsätzlich oder nicht - das wird die Staatsanwaltschaft entscheiden -, Fette, die nicht für die Fütterung zugelassen sind, ins Futter gemischt. Ein einzelner Futtermittelpanscher schädigte Hunderttausende unschuldiger Nutzer. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na super! Verharmlosen und herunterspielen! Das machen Sie immer wieder! Sie sagen ständig: Es war nur ein einzelner Betrieb! Nur nicht die Systemfrage stellen! - Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach was! Da steckte doch System dahinter!) Bauern und Verbraucher sind die Opfer dieser kriminellen Machenschaften eines einzelnen Panschers. Nun rufen wir alle nach mehr Kontrollen. Kontrollen sind gut und wichtig. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Kontrollen? Ich denke, die brauchen wir jetzt gar nicht mehr! Oder etwa doch?) Wir sind dankbar, dass unsere Ministerin Frau Aigner mit ihrem Aktionsplan die nötigen Voraussetzungen dafür schafft. Aber Kontrollen allein helfen gegen kriminelle Machenschaften nicht. In Baden-Württemberg gibt es auf 1 000 Betriebe nur einen Kontrolleur, in Niedersachsen sind es zwölf. Dennoch kam es in Niedersachsen zu diesem Skandal. Frau Conrad, ich finde es sehr mutig, dass Sie hier ans Rednerpult treten, obwohl Sie ganz genau wissen müssten, dass 80 Prozent der Kontrolleure in Rheinland-Pfalz die Behörden nach ihrer Ausbildung verlassen und in die Wirtschaft gehen, weil ihnen von der Wirtschaft viel attraktivere Angebote gemacht werden. Frau Conrad, Sie und Ihr Ministerpräsident Beck hatten nun 16 Jahre lang die Gelegenheit, dies zu ändern. Was haben Sie getan? Nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Um den Tarifvertrag der Länder auf Bundesebene zu ändern? Frau Heil, wissen Sie eigentlich, worüber Sie reden? Nach einem Jahr im Bundestag müsste man eigentlich wenigstens gewisse Grundkenntnisse des deutschen Rechtssystems haben!) Gegen kriminelle Energie ist kein Kraut gewachsen. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das war es dann wohl für die Veterinärämter!) Wir sind für Kontrollen, wir sind für Eigenkontrollen, und wir sind für Kontrollen von Staats wegen. Aber wir wollen keinen Kontrollstaat. Noch einmal: Bauern und Verbraucher sind die Opfer der kriminellen Machenschaften eines einzelnen Futtermittelpanschers. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Das konnten Sie vor 15 Jahren erzählen! Heute geht das nicht mehr! Am besten essen Sie gleich noch ein Dioxinei, um zu zeigen, wie harmlos das ist! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: So ein Unsinn! Das glaubt Ihnen doch kein Mensch mehr!) Produkte, die vollkommen unbelastet sind, erleiden einen herben Preisverfall, wirtschaftliche Existenzen sind bedroht, Staaten verhängen Importverbote, und der Markt für Schweinefleisch ist komplett zusammengebrochen. Was tun Sie von den Grünen und von der SPD? Sie schüren die Verunsicherung der Verbraucher. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Wir helfen, aufzuklären!) Mit Aufklärung und Information geben Sie sich nicht ab. (Iris Gleicke [SPD]: Leugnen verunsichert!) Sie sagen nicht, dass Dioxin in Eiern vermehrt im Falle der Freilandhaltung von Hühnern vorkommt. Sie sagen auch nicht, dass bestimmte Fischarten besonders viel Dioxin einlagern. (Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Das ist richtig! - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja! Zum Beispiel Ostseefisch!) Sie schüren die Verunsicherung der Verbraucher, und Sie benutzen die Verbraucher für Ihre eigenen ideologischen Zwecke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sie verharmlosen kriminelle Machenschaften!) Das Schlimmste, was Sie tun, ist Folgendes: Sie machen keinen Unterschied zwischen kriminellen Panschern und Landwirten und auch keinen Unterschied zwischen kriminellen Panschern und Tierhaltern. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist hier doch keine Vorlesung, Frau Kollegin! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wie bitte? Unmöglich!) Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe: (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Wo bleiben Ihre Vorschläge?) Sie werfen die Landwirte und die kriminellen Panscher in einen Sack und schlagen drauf. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: So ein Unsinn! Das ist doch jämmerlich, was Sie da erzählen!) Auf diese Weise versuchen Sie, einen Vorteil für sich herauszuholen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Höhn hat bereits darauf hingewiesen, dass Sie von einer Systemfrage sprechen. Ich zitiere Ihre Kollegin Ulrike Höfken; sie ist Wahlkämpferin in Rheinland-Pfalz, Grüne und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie sagte: Die Ursachen für die Verseuchung liegen in der Struktur und der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft ... (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Da hat sie doch auch recht! Genau das wollen Sie aber nicht wahrhaben!) Das ist falsch, und es ist gefährlich, so etwas zu sagen. Die Ursachen liegen in der kriminellen Handlung eines einzelnen Betriebes. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist eben falsch, liebe Frau Heil! Das ist wohl Frau Heils Märchenstunde!) - Frau Höhn, es wäre schön, wenn Sie Folgendes bestätigen würden: Die Ursachen haben nicht die Tausende Landwirte und Bauern zu verantworten, die sich Tag für Tag um ihre Tiere kümmern und ihr Land bestellen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bauern sind Opfer Ihrer Politik! Das ist der Punkt! Und immer mehr Bauern merken das! Das ist Ihr Problem! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sprache ist eigentlich die logische Aneinanderreihung von Worten! Bei Ihnen ist das anders!) Zumindest wenn ich die Aussage von Frau Höfken aus Rheinland-Pfalz beurteile, muss ich feststellen: In Rheinland-Pfalz sind Grün und Rot nicht zu wählen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das jetzt? Macht das doch in Rheinland-Pfalz aus, aber nicht hier! - Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Jetzt bitte eine Zusammenfassung!) Wir als CDU/CSU spielen konventionell wirtschaftende Betriebe nicht gegen Ökobetriebe aus; (Ulrich Kelber [SPD]: Oh nein! Nur durch die Kürzung der Fördermittel!) denn Vielfalt ist uns wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kriminelle Energie kann jeden Betrieb treffen, und jeden hat sie schon getroffen. Doch Frau Künast - sie ist leider nicht mehr hier - (Ulrich Kelber [SPD]: Frau Künast sucht wahrscheinlich Frau Klöckner!) hat das wohl vergessen. Sie müsste eigentlich aus Schaden klug geworden sein. Auch unter Landwirtschaftsministerin Künast gab es Lebensmittelskandale. (Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Oh ja! Jede Menge!) Die Methode Bio hat in ihrer Amtszeit ihre Unschuld verloren. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Quatsch! - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!) Abertausende nicht notgeschlachteter Nitrofen-Hühner wurden ein Beispiel dafür, dass es ohne Kontrollen auch bei Bioeiern zu einem Lebensmittelskandal kommen kann. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Es war die Methode Bio, die all das erst aufgedeckt hat! Vor allem waren davon doch die konventionellen Betriebe betroffen! Vielleicht informieren Sie sich erst einmal, bevor Sie hier etwas Falsches erzählen!) Wir unterstützen Ökobetriebe genauso wie herkömmlich wirtschaftende Betriebe. Denn überall können Futtermittel lange Wege über Händler, Zwischenhändler, Transporteure und Verarbeiter zurücklegen. Wir, die CDU/CSU, spielen auch keine kleinen Betriebe gegen große Betriebe aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Ihr macht die kleinen gleich platt!) Auch hier schützt die schiere Größe eines Betriebes nicht vor Kriminalität. Die Betriebsgrößen sind sehr unterschiedlich; das begrüßen wir. Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass in größeren Strukturen sicherere Lebensmittel produziert werden, Frau Höhn. Sprechen Sie darüber vielleicht einmal mit einem Betrieb, der über größere Strukturen verfügt und Lebensmittel produziert. Es ist auch erschütternd, zu sehen, dass Sie, Frau Höhn, Ihre Theorien am grünen Tisch entwickeln, und bei jedem Wort Ihres Vortrags festzustellen, dass Sie von der Praxis und vom Wirtschaften keine Ahnung haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, es ist genau umgekehrt!) Arbeitsteiliges Wirtschaften und die Konzentration auf eine Kernkompetenz sind in der Wirtschaft gang und gäbe, und das sollten wir auch der Landwirtschaft bzw. den Bauern ermöglichen. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Wann haben Sie das letzte Mal eine Kuh gemolken?) Wir, die CDU/CSU, wollen erschwingliche Lebensmittel, damit sie sich jeder leisten kann. Wir wollen Lebensmittel, die sowohl nach den neuesten wissenschaftlichen als auch den alten erprobten Erkenntnissen hergestellt sind: mit dem höchsten Stand an Hygiene und so arm an Schadstoffen, wie es eine moderne Wirtschaft nur tun kann. Wir müssen weg von der Ideologie und hin zu wissenschaftlich basierten Aussagen. Dass das funktioniert, hat unsere Ministerin Ilse Aigner eindrucksvoll bewiesen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ach was! - Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Wir fangen nicht bei null an. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Sie fangen bei minus zehn an!) Heute geht es darum, ein gutes System weiterzuentwickeln. Mit dem Aktionsplan der Ministerin Aigner werden wir die Sicherheit bei Futtermitteln - egal welcher Herkunft - erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ulrich Kelber [SPD]: Beim Phrasenbingo haben Sie auf jeden Fall mal gewonnen!) Der Verbraucher will Vertrauen in die Unbedenklichkeit seiner Nahrungsmittel haben können, und das will ich auch. Wir wollen das Nötige und Mögliche dafür tun. Wir wollen die Zulassungspflicht anstelle der heutigen einfachen Registrierungspflicht für Betriebe. Wir wollen die Anlagen trennen. Da, wo morgens für die Industrie produziert wird, dürfen nicht nachmittags Lebensmittel hergestellt werden. (Ulrich Kelber [SPD]: Wir stellen die Rede von Frau Heil auf unsere Website!) Wir wollen, dass bei der Lieferung von Futterfetten das Analyseergebnis direkt mitgeliefert wird. Also: Ohne Zeugnis darf kein Lkw vom Hof fahren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Heil, kommen Sie bitte zum Ende. Mechthild Heil (CDU/CSU): Es wäre unehrlich, zu sagen, dass es einen 100-prozentigen Schutz gibt. Wir von der CDU machen verantwortliche Politik, wir verharmlosen nicht, (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist ganz neu!) wir spielen aber auch nichts hoch. Wir stehen auf der Seite der Verbraucher und der Erzeuger der landwirtschaftlichen Produkte. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat Kollegin Karin Binder für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Seit vier Wochen wissen wir von diesem Dioxinskandal, und seit vier Wochen befassen wir uns damit. Seit vier Wochen stehen die Verbraucherinnen und Verbraucher aber im Regen. Frau Aigner, Sie haben die Menschen im Regen stehen lassen. Erst nachdem die Länder Sie an den Verhandlungstisch genötigt haben, kommt die Sache ins Laufen. Die Kompetenzrangeleien zwischen Bund und Ländern lösen die Probleme nicht; Verbraucherschutz sieht anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Der designierte Landwirtschaftsminister von Niedersachsen, Gert Lindemann, schließt eine nochmalige Ausweitung dieses Problems nicht aus. Es geht hier definitiv nicht nur um einzelne schwarze Schafe. Das ist der eigentliche Skandal. Hier läuft etwas grundlegend falsch, und daran ist die Regierungspolitik zumindest mit schuld. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert deshalb eine schnellstmögliche vollständige Aufklärung der gesamten Vorgänge, weil nur dann die betroffenen Bauern und Betriebe, die an diesem Skandal nicht schuld sind, dadurch aber hohe Einnahmeverluste haben, nicht Konkurs anmelden müssen. Wir brauchen eine Entschädigungsregelung für diese Betriebe. (Beifall bei der LINKEN) Die Politik muss einen Fonds schaffen, weil eine Haftpflichtversicherung in diesem Fall nicht zahlen wird. Gesunde Lebensmittel zu bezahlbaren Preisen bekommen wir nur durch klare gesetzliche Vorgaben. Die Erzeugung unseres Essens vom Acker bis zum Teller oder zumindest bis zur Ladentheke muss nachvollziehbar sein und nach einheitlichen Regeln überwacht werden. Wir brauchen auch eine neue Denke und eine Verständigung an der Ladentheke. Sichere Lebensmittel sollen unter fairen Bedingungen erzeugt werden. Die Produzenten müssen vor ruinösen Bedingungen globalisierter Agrarmärkte geschützt werden. (Beifall bei der LINKEN) Das hat natürlich seinen Preis, Frau Heil. Die Aufgabe der Politik ist es, sicherzustellen, dass unser Essen bezahlbar bleibt und alle Menschen es bezahlen können. Damit bin ich bei dem Punkt, dass ein menschenwürdiges und existenzsicherndes Einkommen die zentrale Voraussetzung dafür ist. (Beifall bei der LINKEN - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Hartz IV!) Die Linke fordert deshalb, dass die Bundesregierung die Ursachen des Dioxinskandals bekämpft und nicht an den Symptomen herumdoktert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu gehört erstens: Der Bund muss noch intensiver und noch besser mit den Ländern zusammenarbeiten. Der jeweils beste Kontrollstandard und die besten Erfahrungen in den Bundesländern sind deutschlandweit zum Maßstab zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Durch die Koordination auf der Bundesebene wird die Verantwortung der Länder selbstverständlich nicht ersetzt. Zweitens. Für gesunde und sichere Lebensmittel brauchen wir eine wirksame Kontrolle in der gesamten Erzeugungskette vom Acker bis zur vorher genannten Ladentheke. Herr Goldmann, ich muss sagen: Ich bin entsetzt. Sie glauben trotz dieses Skandals und der Probleme, die auf dem Tisch liegen, noch immer an die Eigenkontrollen der Betriebe und die Selbstheilungskräfte der Branche. Ich verstehe das nicht. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Darüber bin ich nicht traurig!) Kontrollen der Betriebe und auch Prüfsysteme wie das QS-System, das unter anderem für die Prozesszertifizierung notwendig ist, sind nach strengen gesetzlichen Vorgaben zu regeln. Anders geht es nicht. (Beifall bei der LINKEN) Prüfe ich, prüfe ich nicht, was prüft man, wie genau nimmt man es: Die Antwort auf all diese Fragen darf nicht dem Gutdünken der Privatwirtschaft überlassen werden. Deshalb hilft es auch nicht, der Privatwirtschaft diese Fragen zu stellen, sondern wir hier haben das Problem durch Vorgaben zu lösen. (Beifall bei der LINKEN) Zertifizierer wie die DEKRA müssen Verdachtsfälle und Grenzüberschreitungen an die Behörden melden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben, die die Behörden auf Missstände aufmerksam machen, müssen zum Beispiel nach dem Vorbild von Großbritannien als Whistleblower wirksam gesetzlich geschützt werden. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Gnädige Frau, fahren Sie einmal nach Großbritannien und gucken Sie sich das an! - Gegenruf des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben schon gedacht, du seiest krank!) Drittens. Unser Essen muss sauber bleiben. Die Überprüfung jeder Futtercharge auf Schadstoffe vor der Weiterverarbeitung kann sofort zur Pflicht gemacht werden. Viertens. Statt für den Export von Schweinefleisch zu werben, brauchen wir eine finanzielle Förderung der regionalen Kreisläufe. Dadurch wird eine größere Chance auf Lebensmittelsicherheit und im Verdachtsfall auf schnelle Untersuchungsergebnisse eröffnet. Deshalb müssen wir hier die Entwicklung schneller und sicherer Nachweismethoden wirklich gezielt fördern. Fünftens. Das Verbraucherinformationsgesetz - Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Karin Binder (DIE LINKE): - ich bin gleich fertig - muss endlich verbessert werden. Die Erzeugungskette von Lebensmitteln muss auch für die Kundinnen und Kunden nachvollziehbar sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Karin Binder (DIE LINKE): Daten der Behörden und Betriebe sind keine Betriebsgeheimnisse, sondern wichtige Verbraucherinformationen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, kommen Sie jetzt bitte zum Ende. Karin Binder (DIE LINKE): Jawohl, ich komme zum letzten Satz. - Frau Aigner, Sie blockieren seit einem Jahr die Erneuerung und die Verbesserung dieses Gesetzes. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Stimmt alles nicht!) Das fällt Ihnen im Augenblick wirklich auf die Füße. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Binder. Karin Binder (DIE LINKE): Wir sind gespannt, wie und wann Sie mit dem Verbraucherschutz ernst machen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Abmahnung!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Friedrich Ostendorff hat jetzt das Wort für Bünd-nis 90/Die Grünen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Aigner, ja, Sie haben, wenn auch etwas zögerlich, mittlerweile viele wichtige Forderungen verkündet bzw. von Ihrem grünen Kollegen Remmel aus Nordrhein-Westfalen abgeschrieben. Über die Quelle des Dioxins können Sie bis heute aber gar nichts sagen, Frau Aigner. Laut Focus hat das Ministerium wesentlich mehr verunreinigte Futtermittelchargen an die EU gemeldet, als Sie uns mitgeteilt haben. Erst hieß es, die Panscherei habe im November begonnen, dann hieß es: im März. Jetzt hören wir: schon lange davor. In Schleswig-Holstein wurden Giftproben vertauscht. Das Landesamt LAVES in Oldenburg verheimlichte bei Ihrem Besuch vor Ort die Verstrickung des Raiffeisen-Unternehmens in Damme. Der niedersächsische Staatssekretär Ripke hält Sie öffentlich zum Narren. Die Futtermittelwirtschaft - ich glaube, Kollege Bleser, das gilt auch für Ihre Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main, deren Aufsichtsratsvorsitzender Sie sind - lässt sich weiter bitten, auch wenn sie gerade mit ihrem QS-System katastrophal gescheitert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN - Peter Bleser [CDU/CSU]: Absolut sauber, Herr Kollege!) Der Skandal wächst Ihnen hoffnungslos über den Kopf, Frau Ministerin. Vor allem aber weichen Sie der entscheidenden Frage weiter aus. Der eigentlichen politischen Frage sind Sie in den Tagesthemen, im heute-journal und auch heute wieder ausgewichen. Sie flüchten sich in technische Details, wenn Sie eigentlich die entscheidende Frage stellen müssten. Wenn Sie das tun würden, hätten Sie aber in Ihren eigenen Reihen die größten Probleme. Niemals würden Vertreter des Bauernverbandes auf der CDU/CSU-Bank zulassen, dass Sie diese Frage stellen. Zu eng ist Ihre Partei mit der Agrarlobby verbandelt und verfilzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Spätestens mit der Genossenschaft in Damme hat der Dioxinskandal die Saubermänner in Ihren Reihen erwischt, von denen man auch viele auf den Funktionärslisten von Raiffeisen, Agravis, Bauernverband und QS wiederfindet. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Die entscheidende Frage lautet, ob wir in der Landwirtschaft heute mit der Industrialisierung, Exportorientierung und Massentierhaltung, auf deren Verbreitung Sie von der Regierungsbank und aus der Regierungskoalition tagtäglich hinarbeiten, auf dem richtigen Weg sind oder ob uns nicht erst dieses von der Gier getriebene System der Agrarfabriken in die Sackgasse geführt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist die entscheidende Frage, Frau Ministerin, zu der Sie auch heute nichts gesagt haben. (Mechthild Heil [CDU/CSU]: Unverschämtheit! - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind doch auch kein Wohltäter!) Die Bürgerinnen und Bürger haben diese Frage bereits beantwortet. Wer dieser Tage mit den Menschen spricht, den überrascht das Niveau, auf dem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die angeblich alles billig wollen, wie Sie immer sagen, heute diskutieren. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind informiert. Sie glauben das Märchen von den einzelnen schwarzen Schafen nicht mehr, Michael Goldmann. Sie glauben, dass die Herde grundsätzlich schwarz ist, Frau Heil von der CDU/CSU. Verharmlosung hilft an diesem Punkt nicht mehr weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind informiert. Sie sind auf dem Stand der Dinge und sagen eindeutig: Dieses System vergiftet unsere Nahrung, macht uns Konsumenten zur Müllkippe, zerstört unsere Umwelt und hält das Mitgeschöpf Tier in unerträglichen Verhältnissen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es degradiert es zum Produktionsfaktor, der mit demselben Müll gefüttert werden kann wie ein Kraftwerk. Hauptsache billig: Das ist die Logik der Agrarindustrie. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn wir alle Jahre wieder Lebensmittel als Sondermüll entsorgen müssen. "Branche gesund. Produkte gesund" lautet das zynische Motto des Bauernverbands auf der Grünen Woche, die übermorgen beginnt. Das System verrät sich scheinbar selbst. Gesunde Branche, gesunde Produkte? - Ungesunde Branche, ungesunde Produkte: So ist es, Michael Goldmann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Aigner, Ihr Problem ist, dass Sie auf das falsche System und auf die falschen Leute gesetzt haben. Sie lassen Ihren Exportstaatssekretär Müller um die Welt reisen, um Deutschland zum Exportweltmeister von Billigfleisch zu machen. Das Geschäft wird mit einer bisher nicht dagewesenen Veranstaltung, der Welt-Schweinefleisch-Konferenz 2011 in Deutschland, angekurbelt. Ihr erklärtes Ziel ist die Verdoppelung der Fleischexporte binnen fünf Jahren. Man fragt sich, ob es ein Ergebnis der Chinareisen war, dass jetzt auch noch chinesische Vitaminmischungen mit dem verbotenen Antibiotikum Chloramphenicol im Futter gefunden wurden. Zu Ihrer Exportideologie gehören logischerweise auch massenhafter Sojaimport, massiver Ausbau der Massentierhaltung und Fleischproduktion auf billigstem Niveau. Dabei entsteht der Anreiz, Futter auf Teufel komm raus billig zu beschaffen, sei es noch so risikobehaftet. Das ist kein Unfall, sondern innere Logik. Man muss das nicht so machen. Wir verfüttern zuhause in unserem Betrieb keines dieser Futtermittel. "Billig und gut passt selten unter einen Hut" sagt das Katholische Landvolk. Recht hat es! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Haben Sie endlich den Mut, Frau Ministerin, sich gegen die Agrarlobby zu stellen! Wahrheit und Klarheit, Frau Ministerin, vertragen sich nicht mit Seilschaften und Klüngelei! Knüpfen Sie an die Agrarwende Ihrer Vorvorgängerin Frau Ministerin Künast an! Unterstützen Sie die CDU Brandenburg, die eine Wende vollzogen hat und für die bäuerliche Landwirtschaft streitet! Die Menschen erwarten jetzt die Agrarwende 2.0. Deshalb gehen die Menschen am Samstag hier in Berlin am Reichstag auf die Straße unter dem Motto "Wir haben es satt!". Nehmen Sie, die schwarz-gelben Lobbyisten, dies bitte ganz persönlich! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Johannes Singhammer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Johannes Singhammer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer Dioxingift in das Futter für Hühner oder Schweine vorsätzlich hineinmischt, gehört eingesperrt. Das wollen die Menschen in Deutschland. Was die Menschen in Deutschland nicht wollen, ist, dass der Skandal verharmlost oder kleingeredet wird (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Ihre Kollegin Heil getan!) und dass Parteien übereinander herfallen. Herr Ostendorff, die Menschen in Deutschland wollen vor allem nicht, dass mit der tiefen Verunsicherung und den Ängsten Wahlkampf betrieben wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wollt nur nichts ändern! - Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Heil!) Herr Ostendorff, Sie sind nur der Stellvertreter von Frau Künast, der sich zu Wort meldet. Frau Künast ist leider nicht mehr da, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin der landwirtschaftspolitische Sprecher!) obwohl sie in der Öffentlichkeit das große Wort geführt hat. Deshalb muss ich auf sie eingehen. Frau Künast hat eine gewisse Skandalerfahrung; denn mindestens zwei Dioxinskandale haben ihren Weg als Ministerin gepflastert. Wir brauchen schärfere Kontrollen für Futtermittel und Lebensmittel. Dafür soll die Zuständigkeit des Bundes gestärkt werden. - Von wem stammt dieses Zitat? Wann sind diese Forderungen erhoben worden? Dieses Zitat stammt aus der Welt am Sonntag von 2002 - das war also vor rund neun Jahren - und wird der damaligen Bundesministerin Künast zugeschrieben. Wer die jetzige Agrarministerin kritisiert, weil sie das tut, was Frau Künast selber nie geschafft hat - sie ist nie über Ankündigungen hinausgekommen; sie hat sich als die Heilige Johanna der Dioxinbekämpfung aufgespielt und endete dann als Trümmerfrau der Schadensbegrenzung -, sollte ruhiger sein und diese Debatte verfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat Frau Aigner denn erreicht? Nichts! Keine zusätzlichen Kontrollen!) Ministerin Aigner hat nicht nur ein 10-Punkte-Aktionsprogramm aufgelegt, sondern hat gestern auch mit den Bundesländern 14 entscheidende Schritte für mehr Lebensmittelsicherheit vereinbart. Nur eine von vielen neuen Regelungen ist: Die Länder treten in einen vom Bund koordinierten Qualitätswettbewerb ein. - Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt. Dafür sage ich unserer Ministerin herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiwillige Selbstverpflichtung der Länder! Super!) Herr Ostendorff, es gibt eine große Zahl von Opfern dieses Skandals. Da sind zunächst Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher, deren Vertrauen in die Unbedenklichkeit von Eiern oder Schweinefleischprodukten erschüttert worden ist. Ebenso Opfer sind mehrere Zehntausende landwirtschaftliche Betriebe, Bauern und ihre Familien, deren Höfe gesperrt worden sind (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch Ihre Politik sind die Opfer geworden!) und die deshalb nichts verdienen können, obwohl sie dafür keine Verantwortung tragen. Wer jetzt versucht, Bauern aufgrund bestimmter Produktionsbedingungen in die Nähe des Generalverdachts einer Mitschuld zu schieben, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch!) der handelt in einem außerordentlichen Maße infam. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gruppen von Opfern und Geschädigten gegeneinander auszuspielen - seien sie Verbraucher oder bäuerliche Erzeuger -, ist schlimm; aber Bauern, die jetzt mit ihren Familien um ihre Existenz bangen müssen, weil sie ihre Eier oder Hühner nicht verkaufen dürfen oder weil sie gar keinen Käufer mehr finden (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch eine andere Agrarpolitik!) - hören Sie genau zu -, auch noch mit hämischen Mitschuldvorwürfen zu begegnen, das muss ein Ende haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch eine andere Agrarpolitik, damit die Bauern keine Opfer mehr sind und produzieren können!) Nachhaltiges Wirtschaften ohne Schielen auf den schnellen Euro wird nirgendwo anders so konsequent durchgeführt wie bei Familienbetrieben, die in Generationenfolge Bauernhöfe bewirtschaften und die aus diesem Grund das größte Interesse daran haben, dass die nachfolgende Generation auf Böden wirtschaften kann, die in Ordnung sind. (Beifall bei der CDU/CSU - Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach sieben Generationen bei mir zu Hause! - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wählen die zunehmend nicht mehr die CDU/CSU! Genau die Bauern verlieren Sie doch!) Wir ziehen Konsequenzen nach dem Grundsatz "Taten statt Worte", und das in Gemeinsamkeit mit den Ländern. Unser Ziel - und das ist schwierig genug - heißt: Vertrauen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zurückgewinnen. Das wird ein langer Weg werden. Ein chinesisches Sprichwort lautet: Ein langer Marsch beginnt mit dem ersten Schritt. Die Bundesministerin hat gestern gemeinsam mit den Ländern 14 Schritte unternommen, die ab sofort gelten. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dabei mitzuhelfen, damit diese Schritte gelingen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden sehen, ob sie die auch umsetzt!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Ulrich Kelber. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Löse das Problem, nicht die Schuldfrage - diese Lebensweisheit hat uns am vergangenen Montag die heute wieder nicht anwesende zuständige Staatssekretärin aus dem Verbraucherschutzministerium mit auf den Weg gegeben. Das kam mir ein wenig so vor wie ein versteckter Vorwurf an die eigene Chefin. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahlkampf!) Seit drei Wochen ist Bundesministerin Aigner vor allem um den Selbstschutz bemüht. Da werden Ultimaten an die eigenen Parteifreunde gestellt und wieder zurückgezogen; da werden Vorwürfe an die Opposition erfunden und konstruiert und ein künstlicher Streit um Bundeskompetenz ausgetragen, statt sich um die Maßnahmen zu kümmern, mit denen man im eigenen Zuständigkeitsbereich sofort beginnen könnte. (Beifall bei der SPD) Dabei geht es um eine einfache Sache, nämlich weg von Ankündigungen und hin zu Maßnahmen zu kommen, um Vertrauen in Lebensmittel und in die staatliche Lebensmittelkontrolle zurückzugewinnen. Dafür ist der Vorschlag der Verbraucherministerkonferenz von gestern durchaus eine geeignete Grundlage. Entscheidend aber ist, dass der Katalog diesmal umgesetzt werden muss. Ich kann mich noch an den letzten Katalog, den Seehofer-Katalog beim Gammelfleischskandal, erinnern, den wir alle mit viel Elan angegangen sind. Im Laufe der Zeit wurde Maßnahme um Maßnahme verwässert, gestoppt und denunziert. Deswegen muss es diesmal eine vollinhaltliche Umsetzung des Katalogs geben, nicht nur der Überschriften. Frau Aigner, dies wäre für Sie doch die Gelegenheit, den Vorwurf der Ankündigungsministerin zu widerlegen, indem Sie die Maßnahmen schnell umsetzen und nicht verwässern lassen. Es gibt in der Politik kein Urheberrecht, und das ist auch gut so. Für eine Opposition, die nicht allein handeln kann, ist es das größte Lob, wenn ihre Vorschläge von einer Regierung übernommen werden. Deshalb freuen wir uns in der SPD natürlich, dass von den 15 Maßnahmen, die wir vor zehn Tagen präsentiert und vor acht Tagen im Ausschuss vorgelegt haben, lieber Peter Bleser von der CDU/CSU, sich jetzt 14 Maßnahmen im Beschluss der Verbraucherministerkonferenz wiederfinden. Das muss man einmal aussprechen, nachdem vorhin etwas anderes gesagt wurde. Das ist wichtig. Sonst hätte ich hierzu nichts gesagt. Als wir unsere Vorschläge vor zehn Tagen, zwei Tage vor der Ausschusssitzung, vorgelegt hatten, war Ministerin Aigner noch der Meinung, eine Selbstverpflichtung der Futtermittelindustrie reiche aus. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Überhaupt nicht wahr!) Am Tag der Ausschusssitzung gab es bereits ein Fünf-Maßnahmen-Paket. Das ist acht Tage her. Vor fünf Tagen gab es schließlich ein 10-Punkte-Programm; und seit gestern sind es 14 Maßnahmen. Wir freuen uns über die Geschwindigkeit, und wir würden uns natürlich auch freuen, wenn auch der 15. Punkt, der Informantenschutz - ich komme gleich dazu -, genauso akzeptiert würde und in dieser Beziehung so dazu gelernt würde wie in den letzten Tagen bei den anderen Maßnahmen. (Beifall bei der SPD) Die entscheidende Frage, weswegen wir heute die Regierungserklärung eingefordert hatten, ist bis jetzt nicht beantwortet worden; das kann aber eventuell der Kollege Holzenkamp noch machen. Es handelt sich um die Frage, ob die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP eigentlich bereit ist, das 14-Punkte-Programm der Verbraucherministerkonferenz inhaltlich umzusetzen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist eine idiotische Frage!) - Nein, das ist keine idiotische Frage. - Wir gehen das einmal Punkt für Punkt durch. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habe ich doch gesagt! Punkt für Punkt arbeiten wir das ab!) Am Dienstag vor acht Tagen hat die SPD im Ausschuss die Ministerin Punkt für Punkt zu dem Programm befragt. Bei einigen Punkten hat sie gesagt, sie müsse noch nachhorchen, andere Punkte hat sie in den 14-Punkte-Plan übernommen. Als es um die Verschärfung des Verbraucherinformationsgesetzes ging, also den Zwang zur Veröffentlichung der Namen, war die FDP dagegen. Als es um die Beprobung jeder Charge ging, haben sich die Kollegen der CDU/CSU dagegen ausgesprochen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!) Als es um die Meldepflicht für die Labore bei Grenzwertüberschreitungen ging, sind Zwischenrufe aus der CDU/ CSU gekommen, das sei ein Bruch des Vertrauens zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Hört! Hört! Das ist eure Politik! Heute so und morgen so!) Wir sind gespannt, ob Sie hier diesen Maßnahmen zustimmen. Wir stellen diese Maßnahmen gleich erneut zur Abstimmung. Dann besteht die Chance, Farbe zu bekennen, anstatt nur Ankündigungen zu machen. (Beifall bei der SPD) Frau Ministerin Aigner, im Ausschuss haben Sie mir vorgeworfen, ich würde Sie zu den einzelnen Maßnahmen nur fragen, um eine Liste zu machen, bei der ich später abhaken könnte, wo Sie etwas angekündigt, aber nicht geliefert haben. Ich würde viel lieber Häkchen bei den Punkten machen, wo Sie angekündigt und geliefert haben. (Beifall bei der SPD) Nur, meine Aufgabe als Oppositionspolitiker ist doch auch, zu benennen, wenn Sie angekündigt, aber nicht gehandelt haben. Ich komme zu dem letzten Punkt, dem Informantenschutz, dem einzigen der 15 Punkte, den die SPD bisher nicht hat durchsetzen können. Fast alle Futtermittel- und Lebensmittelskandale der letzten Jahre sind durch mutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgedeckt worden, die sich an die Öffentlichkeit gewandt und vor solchen Straftaten gewarnt haben. (Zuruf von der FDP: Stimmt doch gar nicht!) Herr Singhammer, Sie sind von der CSU aus München. Herr Seehofer hat in München eine Medaille an den Lkw-Fahrer vergeben, der sich an die Behörden gewandt und gesagt hatte, er werde gezwungen, Gammelfleisch zur Lebensmittelverarbeitung zu fahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist ja auch richtig!) In Deutschland müssen diese mutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer noch befürchten, wenn sie an den falschen Richter geraten, dass sie wegen Störung des Betriebsfriedens entlassen werden, obwohl sie versucht haben, die Öffentlichkeit zu schützen. Dass Herr Bleser, der erst den 10-Punkte-Katalog von Herrn Seehofer, in dem der Informantenschutz stand, gefeiert hat, dann in den Verhandlungen in der Großen Koalition - ich war sein Gegenüber - diesen verhindert hat und mutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Unschuldige schützen wollen, in seiner Wortwahl mit Denunzianten vergleicht, die Unschuldige an ein Unrechtsregime ausliefern wollen, ist eine Unverschämtheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass Ihr Fraktionsvorsitzender, der in der sechsten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag sitzt, diese mutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch noch mit einer NS-Institution, dem Blockwart, vergleicht, ist eine bodenlose Frechheit. Herr Kauder, lernen Sie endlich einmal Anstand. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kelber, Herr Bleser würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Ulrich Kelber (SPD): Aber selbstverständlich. Bitte, Peter. Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Kollege Kelber, es ist noch nicht so lange her, dass wir in derselben Koalition gesessen haben. Wir haben gerade über das Thema Denunziantenschutz oft gesprochen. (Iris Gleicke [SPD]: Denunziatenschutz?) Es geht nicht darum - ich bitte Sie, das entsprechend zu bewerten -, dass jemand bei Straftaten seiner Pflicht nachkommt, diese den Behörden zu melden. Es geht ausschließlich darum, ob auch bei Ordnungswidrigkeiten - im Extremfall das falsche Sortieren von Müll - Arbeitnehmer den Betriebsfrieden stören dürfen, indem sie zum Beispiel auch Missbrauchsmöglichkeiten nutzen, die bei einem Kündigungsschutz entsprechende Entschädigungszahlungen zur Folge hätten. Ist es nicht besser, wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht als Gegner und Feinde betrachten, sondern als Partner? Ulrich Kelber (SPD): Herr Bleser, ich erinnere mich in der Tat noch an die Verhandlungen. Es hat ja viele Stunden gedauert, das Verbraucherinformationsgesetz durchzukriegen. Sechs Stunden lang haben wir auf Sie - inklusive die Bundesratsvertreter - eingeredet, um da die entsprechenden Maßnahmen hineinzuschreiben. Zum Informantenschutz: Sie kennen den Entwurf noch, der mit Herrn Seehofer verabredet war. Es gab ja bereits eine Verabredung zwischen Scholz, Zypries und Seehofer. Sie wissen, dass der entscheidende Absatz darin lautete: Wenn den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zuzumuten ist, bei dieser Angelegenheit firmenintern vorzugehen, haben sie nicht den Schutz durch das Gesetz. Es geht also um schwere Straftaten und schwere Ordnungswidrigkeiten, die anders nicht abzustellen sind. Ihr Beispiel ist in Bezug auf eine gesetzliche Regelung eindeutig ausgenommen. Das ist der entscheidende Punkt: Wir werden im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zum Informantenschutz zur Abstimmung stellen. Die Regierung weigert sich, einen zu machen. Wir werden ihn einbringen. Dann wird sich zeigen, ob die Fraktionen von CDU/ CSU und FDP bereit sind, gegen die schwarzen Schafe unter den Unternehmen - das sind in der Tat nur wenige - mit allen Maßnahmen und aller Schärfe vorzugehen, oder ob sie diese weiter vor den Konsequenzen schützen und den Verbraucherinnen und Verbrauchern weiter in den Rücken fallen wollen. Wir sind gespannt, wie CDU/ CSU und FDP reagieren, wenn es endlich mal darum geht, "Butter bei die Fische" zu geben, und wenn man von den Ankündigungen wegkommt. Dann entscheidet sich, wie man mit einem Skandal umgeht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der letzte Redner in dieser Debatte ist Franz-Josef Holzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den Beiträgen, die ich insbesondere von der linken Seite gehört habe, möchte ich mit einem Zitat beginnen: Eintausendsiebenhundertachtzehn Tage hatte die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zwischen dem 12. Januar 2001 und dem 27. September 2005, um ein für allemal die Lebensmittel, Futtermittel ... einer so straffen Kontrolle zu unterwerfen, dass nie mehr ein Nahrungsmittelskandal vorkommen könnte. Frau Künast hat ihre Chance für eine vorbildliche grüne Politik nicht nachhaltig genutzt. So die FAZ von vor wenigen Tagen. Ich finde, sie hat mit wenigen Sätzen - mit nur zwei Sätzen - alles auf den Punkt gebracht. (Ulrich Kelber [SPD]: Womöglich zitieren Sie als nächstes den Bayernkurier!) Wer selbst in einem Glashaus sitzt, sollte insbesondere nicht auf andere mit Steinen werfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihr kennt euch doch selber mit Dioxinskandalen in den unterschiedlichsten landwirtschaftlichen Betrieben - ob es um Freilandeier oder anderes geht - aus. Also, Sie selbst setzen nicht ganz viel um, hauen aber auf die Pauke. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür. Dem Verbraucher helfen nicht Worte allein, dem helfen Taten, und die vollbringen wir. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will dazu einen Punkt ansprechen, weil ich mich in der letzten Woche in unserem Ausschuss wirklich sehr darüber geärgert habe. Drinnen haben wir Fakten bearbeitet. Draußen mussten einige Damen und Herren der Grünen und der SPD den medialen Markt mit ihrer rot-grünen Apokalypse bedienen. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe da andere Vorstellungen von sachorientierter Politik. Jedenfalls entspricht das nicht dem, was Sie hier heute einfordern, meine Damen und Herren von der Opposition. Das ist wieder einmal Klamauk und sonst gar nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Angst, weil Sie selber betroffen sind!) In einem Punkt sind wir uns einig: Wir arbeiten daran, kriminelle Energie letztendlich so gut, wie es geht, in den Griff zu bekommen. Alle miteinander wissen wir, dass das sehr schwierig ist. Es gibt da immer neue Herausforderungen, und wir müssen Regeln auf den Weg bringen. Doch ich sage Ihnen noch einmal: Wenn man eine dicke Lippe riskiert, sollte man selbst auch etwas vorweisen können. Wir alle hier im Parlament sind uns einig, dass das, was vorgefallen ist, eine Riesensauerei ist, und zwar vollkommen unabhängig von irgendwelchen Grenzwerten. Es gehören keine Dioxine in Lebensmittel, egal in welche. Die Verbraucher sind total verunsichert und zu Recht mehr als wütend. Das liegt, wie schon erwähnt, offensichtlich an der kriminellen Energie Einzelner. Viele Tausend Bauern wurden - das will ich an dieser Stelle unterstreichen - in Mithaftung genommen. Gefährdet sind auch viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und in vielen Unternehmen. Ich wundere mich, dass das von Ihrer Seite fast gar nicht angesprochen wurde. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Gerade wenn es um Lebensmittel geht, steht der Verbraucher für uns - auch wenn Sie darüber immer wieder lächeln - an allererster Stelle. Wichtig ist, vernünftige, sachliche Aufklärung vorzunehmen und keine Panikmache zu betreiben. Ich finde richtig, dass das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, deutlich gemacht hat - für mich war das ein Lichtblick -, dass für die Menschen in Deutschland keine Gesundheitsgefährdung besteht. Frau Höhn, das hat mit Verharmlosung überhaupt nichts zu tun. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier, hier! Da wurde verharmlost, bei Frau Heil! Die hat verharmlost!) Es hat letztendlich einfach nur etwas damit zu tun, dass angesichts der Verbraucherverunsicherung vernünftig aufgeklärt werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir über Aufklärung reden, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie Dioxine entstehen - das ist mehrfach angesprochen worden -, nämlich durch Verbrennungsprozesse; ich brauche auf die Details nicht mehr einzugehen. Unser Ziel ist natürlich - ich hoffe, dass das unser gemeinsames Ziel ist - die Reduktion der Dioxinbelastung; sie sollte möglichst bei null liegen. Ich hoffe, wir kommen da sehr weit. Ich persönlich freue mich darüber, dass beispielsweise das Umweltbundesamt feststellt, dass seit 1990 eine deutliche Reduktion beim Dioxin gelungen ist. Ich will gar nicht im Detail darauf eingehen, dass einen wesentlichen Beitrag dazu das Verbot des verbleiten Benzins im Jahre 1989 geleistet hat. Ich will auch nicht darauf eingehen, wer in dieser Zeit an der Regierung war; Sie wissen es ja. Aufklärung gehört zum Verbraucherschutz. Sie ist notwendig und hilft dem verunsicherten Verbraucher, die Situation besser einzuschätzen. Deshalb legen wir im Gegensatz zu Ihnen, jedenfalls im Gegensatz zu dem, was ich heute von Ihnen gehört habe, darauf Wert, das zu tun, worauf es ankommt. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunderschöne Sonntagsrede! - Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie mal nach Nordrhein-Westfalen!) Zum 14-Punkte-Plan. Herr Kelber - Sie haben mich darauf angesprochen -, ich will Ihnen vorwegsagen: Ich bin überzeugtes Mitglied einer Volkspartei. In unserer Volkspartei ist es so, dass wir uns miteinander unterhalten, dass wir diskutieren. Bei uns ist es auch so, dass wir zuhören. Wenn es etwas Besseres gibt, dann nehmen wir diese Erkenntnis auf. Das kann auch zur Folge haben, dass wir Pläne erweitern. Aber ich will deutlich sagen: Vorschläge müssen auch wirklich Sinn machen. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Machen sie auch!) Im Hinblick auf das, was risikobasiert vernünftig ist, will ich Ihnen einmal ein ganz einfaches Beispiel nennen: Fette sind grundsätzlich mit Risiken verbunden; das wissen wir. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verbieten Sie sie doch! Raus aus der Nahrungsmittelkette!) Getreide birgt weniger Risiken. Wenn es darum geht, alle Chargen zu kontrollieren, dann will ich nicht, dass jeder Landwirt, der selbst mischt, sein gesamtes Getreide untersuchen muss; dadurch würde der Strukturwandel noch mehr forciert. Das kann nicht in unser aller Interesse sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Friedrich Ostendorff [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben Sie mal beim Thema!) Immer wieder wird die Systemfrage gestellt. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau der Punkt! Da tut es weh!) Hören Sie doch endlich auf, die Gesellschaft zu spalten, die Landwirtschaft aufzuteilen in Böse und Gute! Was soll das? Herr Ostendorff, Sie haben von Lobbyisten gesprochen. Eigentlich sind Sie der Oberlobbyist; ich frage mich nur, für welche Klientel. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sagen Sie mir mal, wo!) Ich habe mich vorhin sehr geärgert. Was maßen Sie sich an, wenn Sie gegen 300 000 Bauern in Deutschland zu Felde ziehen, diese stigmatisieren und diffamieren? Ich finde, das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen habe ich denn stigmati-siert? - Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Leute vertrauen doch gar nicht mehr der großen Volkspartei!) Ich will an diesem Punkt ergänzen: Die Landwirte sind in diesem Skandal wirklich Opfer und nicht Täter. Wer das noch nicht verstanden hat, der sollte sich tiefer damit beschäftigen. Zu einem weiteren Punkt: Es wird die Systemfrage gestellt und behauptet, das Problem sei die industrielle Landwirtschaft. Meine Gegenfrage lautet: Was heißt industriell? Industriell bedeutet nichts anderes als arbeitsteiliges Bewirtschaften. Ich verstehe die Diskussion nicht. Es gibt doch in allen Bereichen arbeitsteilige Landwirtschaft: Sie gibt es bei großen und bei kleinen Betrieben, sie gibt es in der ökologischen Landwirtschaft und in der herkömmlichen Landwirtschaft, sie gibt es bei großen und bei kleinen Futtermittelproduzenten. Lassen Sie uns deshalb mit der Spalterei aufhören. Wir tun der Landwirtschaft keinen Gefallen und dem Verbraucher durch die zunehmende Verunsicherung erst recht nicht. Ich bin Niedersachse. Niedersachsen ist ein Agrarland und besonders vom Dioxinskandal betroffen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie das wohl kommt?) Etwa 5 500 Betriebe wurden in Niedersachsen vorsorglich gesperrt. Lassen Sie mich das deutlich sagen: Das ist vorsorglicher Verbraucherschutz. Die Ergebnisse der Proben, die bereits vorgelegt wurden - in den nächsten Tagen werden weitere vorgelegt -, zeigen: Es gibt eine positive Probe beim Schwein und fünf positive Proben bei Hühnereiern. Ich will nicht ausschließen, dass es noch mehr werden, aber die Tatsache, dass wir so großzügig gesperrt haben, ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass der vorsorgliche Verbraucherschutz in Niedersachsen an allererster Stelle steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es wird oft darüber diskutiert, wer was erreicht hat. Ich frage Sie: Wer hat letztendlich dafür gesorgt, dass sich die Bundesländer auf eine gemeinsame Protokollerklärung geeinigt haben, der sich Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, NRW und Rheinland-Pfalz angeschlossen haben? Das ist unsere Bundesministerin Ilse Aigner gewesen. Wer hat das vorher geschafft? Niemand, auch Renate Künast nicht. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Ich bin Ilse Aigner sehr dankbar, dass sie sich an die Speerspitze dieser Bewegung stellt. (Ulrich Kelber [SPD]: Da muss sie selbst lachen!) Die 14 Punkte, Herr Kelber, die mehrfach angesprochen wurden, werden wir umsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abschließend will ich festhalten: Verbraucherpolitik, Verbrauchersicherheit und Verbraucherschutz stehen bei uns an erster Stelle. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) - Herr Ostendorff, wenn Sie meinen, wir seien Lobbyisten, dann sind wir Lobbyisten; (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mit Sicherheit!) denn wir stehen zu den 350 000 landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland. Sie tun das offensichtlich nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Zunächst geht es um die Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4426. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion, die Koalitionsfraktionen waren dagegen, Bündnis 90/ Die Grünen und Linke haben sich enthalten. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4430. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen. SPD und Linke haben sich enthalten, CDU/CSU und FDP dagegen gestimmt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Migrationsbericht 2009. Wir hören zur Einführung den fünfminütigen Bericht des Bundesministers des Innern, Thomas de Maizière. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute den Migrationsbericht 2009 beschlossen. Das ist ein jährlich abzugebender Bericht, der sich entwickelt hat zu einem, wenn Sie so wollen, statistischen Standardwerk über das Migrationsgeschehen, das Wanderungsgeschehen, in Deutschland, auch im europäischen Vergleich. Er liegt Ihnen vor. Er ist umfangreich, aufschlussreich und nüchtern. Er enthält keine Strategien zur Bewältigung der Probleme und Herausforderungen, sondern eben statistisches Material. Lassen Sie mich kurz auf einige wesentliche Zahlen und Aspekte eingehen: Der Anteil ausländischer Staatsangehöriger an der Gesamtbevölkerung in Deutschland ist seit Mitte der 90er-Jahre nahezu unverändert und liegt jetzt bei 8,7 Prozent. Etwa 35 Prozent der Ausländer in Deutschland sind Unionsbürger, also Bürger der Europäischen Union, 24 Prozent aus den alten und 11 Prozent aus den neuen EU-Mitgliedstaaten. Die zweitgrößte Gruppe der Ausländer in Deutschland stellen trotz eines relativen Rückgangs die türkischen Staatsangehörigen dar. Ihr Anteil liegt bei ungefähr 24,8 Prozent. EU-Bürger und Bürger mit türkischer Staatsangehörigkeit zusammen stellen also knapp 60 Prozent aller hier lebenden Ausländern. Fast zwei Drittel der in Deutschland lebenden Ausländer verfügen über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. In dieser Zahl sind die Unionsbürger eingeschlossen. Zwei Drittel der ausländischen Bevölkerung leben seit zehn oder mehr Jahren in Deutschland, über ein Drittel sogar seit mehr als 20 Jahren. 73 Prozent aller Ausländer, also fast drei Viertel, leben seit acht oder mehr Jahren in Deutschland und erfüllen insoweit, wenn nicht andere Kriterien dem entgegenstehen, die Bedingungen für eine Einbürgerung. Die Einbürgerungszahlen sind nahezu konstant. Wir haben im Jahr 2009 in Deutschland rund 96 000 Einbürgerungen vorgenommen. Im Jahr 2008 waren es 95 000. Die Größenordnung ist also knapp unter 100 000. Wenn Sie die Zahl der Auswanderungen mit der der Zuwanderungen vergleichen, stellen Sie fest: Wir haben erneut einen negativen Gesamtwanderungssaldo, das heißt, es sind mehr Menschen aus Deutschland abgewandert, als nach Deutschland zugewandert sind. Der Saldo beträgt minus 12 800. Allerdings ist er deutlich geringer als im Jahr 2008. Im Jahr 2008 waren 56 000 Menschen mehr abgewandert als zugewandert. Im Jahr 2009 ist die Zahl, wie gesagt, auf 12 800 zurückgegangen. Im Jahr 2010 - wir haben die Zahl noch nicht - könnte sich das insbesondere wegen der deutlich gestiegenen Asylbewerberzahlen ändern. Wer wandert zu? Wenn Sie die Zuwanderungen im Einzelnen analysieren, kommen Sie zu dem Ergebnis: Es sind drei große Gruppen, die zuwandern. Die größte Gruppe mit knapp 50 000 Personen sind Ehegatten oder sonstige Familienangehörige. Der ganz wesentliche Teil der Zuwanderung ist also im Familiennachzug begründet. Die zweite große Gruppe sind Studenten; auf die komme ich gleich noch zu sprechen. Die dritte große Gruppe bilden diejenigen, die zum Zweck der Erwerbstätigkeit hierherkommen. Das sind, wenn Sie so wollen, nur 26 000, etwas weniger als in den Vorjahren. Erfreulich ist die Zahl ausländischer Studierender. Sie hat in Deutschland im Jahr 2009 mit rund 245 000 einen Höchststand erreicht. Das ist eine sehr hohe Zahl, ein großer Anstieg, und auch im europäischen Vergleich sehr gut. Nur die Vereinigten Staaten von Amerika und ein anderes Land - es fällt mir im Moment nicht ein - verzeichnen eine ähnlich hohe Zahl. Das ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte, die sich dort abgespielt hat. Vielleicht noch etwas zu der Frage: Woher kommen die ausländischen Studienabsolventen? Ich sage das natürlich vor dem Hintergrund der Zuwanderungsdebatte, die uns beschäftigt. Im Jahr 2009 haben ungefähr 33 000 ausländische Studenten hier einen Hochschulabschluss gemacht. Sie sind bei der Zuwanderung für uns natürlich in besonderer Weise interessant. Auf Platz eins steht China mit 4 700 Studienabsolventen. Auf Platz 2 liegt die Türkei mit 2 300. Ich weiß aber nicht, ob Studenten mit doppelter Staatsangehörigkeit mitgezählt wurden. Diese Zahl muss man also vor die Klammer ziehen. Dann folgen Bulgarien, Russland, Polen, die Ukraine sowie Frankreich und Österreich. Aus diesen Ländern kommen die meisten Studenten, die bei uns ihren Abschluss gemacht haben. Menschen, die zu Erwerbszwecken hierherkommen, kommen oft aus Indien und interessanterweise aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Allerdings ist die Zahl absolut gesehen gering. Wir untersuchen seit einiger Zeit auch die Zahl der Abwanderungen. Allerdings ist die Statistik in diesem Punkt nicht sehr aussagekräftig. Warum? Wenn jemand abwandert, ist er nicht verpflichtet, zu sagen, welchen Bildungsabschluss er hat, wohin er geht und warum er auswandert. Außerdem wissen wir nicht genau, ob es eine temporäre oder eine dauerhafte Abwanderung ist. Wenn jemand nach dem Hochschulabschluss fünf Jahre eine Doktorarbeit in Amerika schreibt, dann ist er für diese Zeitspanne ausgewandert. Die Zahl der Abwanderungen ist, wie gesagt, nicht sehr aussagekräftig, weil es keine Vergleichszahlen aus weit zurückliegenden Jahren gibt. Insgesamt muss man sagen, dass die Zahl der Auswanderer in Deutschland rückgängig ist. Im Jahre 2009 gab es 154 000 Fortzüge von Deutschen aus dem Bundesgebiet. Das ist ein Rückgang um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings ist dies deutlich mehr, als wir es über viele Jahre gewohnt waren. Von den Fortzügen aus Deutschland im Jahre 2009 entfielen 34,9 Prozent auf die alten EU-Staaten. Das ist, wenn man so will, das erwünschte Ergebnis des Zusammenwachsens in Europa. In die USA zogen 13 000. Gleichzeitig kehrten 11 000 Deutsche aus den USA nach Deutschland zurück. Das ist zwar ein negativer Wanderungssaldo von rund 2 000; aber man sieht daran, dass es auf diesem Gebiet bei den Qualifizierten, was die USA angeht, viele Bewegungen gibt. Man kann dem Bericht für die Debatten, die wir vor uns haben, und auch für die Debatten, in denen wir uns befinden, eine ganze Menge an Information entnehmen. Ich hoffe, er findet Ihr Interesse. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank für den Bericht. Es gibt Nachfragen. Zunächst hat der Kollege Kilic das Wort. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr de Maizière, vielen Dank für Ihre Berichterstattung. Sie haben aktuelle Zahlen über die Einbürgerung genannt. Sie ist rückläufig; sie ging um 1 000 zurück. Langfristig betrachtet, muss man sagen, dass die Bundesregierung die Einbürgerungspolitik der Bundesrepublik Deutschland an die Wand gefahren hat. Denn seit 2004 ist die Zahl der Einbürgerungen um ein Viertel eingebrochen. Wie Sie richtig festgestellt haben, erfüllen 73 Prozent der Immigranten - das sind immerhin 5 Millionen Menschen - die wichtigste Einbürgerungsvoraussetzung, nämlich einen Aufenthalt von acht Jahren. Trotzdem können sie nicht eingebürgert werden. Es gibt immer wieder Maßnahmen, die es den Migranten erschweren, die Einbürgerung zu beantragen. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass 55 Prozent dieser Menschen bereit wären, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, wenn eine Mehrstaatlichkeit möglich wäre. Welche Erkenntnisse gibt es dazu im Migrationsbericht, und welche Erkenntnisse haben Sie, was den Optionszwang angeht, gewonnen? Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, der Migrationsbericht, den ich heute vorgestellt habe, enthält statistisches Material. Es werden sozusagen Köpfe gezählt, aber es wird nicht nach Motiven gefragt. Darüber bietet das statistische Material keine Auskunftsmöglichkeit. Man müsste im Einzelnen Befragungen durchführen. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Berichtes. Ich bin daher auf Mutmaßungen angewiesen. Wir möchten gerne, dass der Einbürgerungsantrag von Ausländern, die die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, positiv beschieden wird und dass sie ihre Loyalität zu unserem Land durch ihre Einbürgerung zeigen können. Dazu dienen viele Maßnahmen, etwa dass man Einbürgerungsfeiern veranstaltet, dass man eine Willkommenskultur etabliert. Dass diese Bundesregierung und ihre Vorgänger für die Reduzierung der Einwanderungszahlen verantwortlich sind, was Sie in Ihrer Frage unterstellen, weise ich zurück. Ich bin nicht dieser Auffassung. Wir haben allerdings einen Grunddissens - das will ich nicht in Abrede stellen -, nämlich in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft. Die Rechtslage ist so - und ich bekenne mich ausdrücklich dazu -, dass es, von Ausnahmen abgesehen, die es geben muss und die relativ zahlreich sind, grundsätzlich und prinzipiell geboten ist, sich zu einem Land zu bekennen und nicht zu zweien oder dreien. Deswegen ist der Grundsatz, dass, wer Deutscher werden will, zugleich seine bisherige Staatsbürgerschaft abgibt, meiner Ansicht nach richtig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die nächste Frage kommt von der Kollegin Daniela Kolbe. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Herr Minister, vielen Dank für die Vorstellung des Berichts, den ich noch nicht in Gänze gelesen habe, da er erst heute veröffentlicht worden ist. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Der ist auch so dick. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Sie haben eine Zahl genannt, die ich in der Tat sehr bemerkenswert finde, und zwar die Zahl der Bildungsausländer, die in Deutschland studieren: knapp 250 000 Personen, das heißt, wenn ich richtig im Bilde bin, fast 50 000 mehr als noch vor einigen Jahren; das ist eine signifikante Steigerung. Das ist sehr schön. In der Großen Koalition haben wir die Situation der ausländischen Absolventinnen und Absolventen, die für den deutschen Arbeitsmarkt sehr attraktiv sind, so verbessert, dass sie die Möglichkeit haben, hier ein Jahr zu bleiben, nämlich durch das Zuwanderungsgesetz. Danach gab es eine weitere Verbesserung: Sie haben keine Nachrangigkeitsprüfung mehr und können später auch wieder zuwandern. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Schlägt sich das in den Zahlen nieder? Nach den Zahlen, die mir bekannt sind, bleibt nach wie vor nur ein kleiner Teil der ausländischen Absolventinnen und Absolventen, die in Deutschland studiert haben, hier. Ich weiß, dass viele gern bleiben würden, aber innerhalb dieses einen Jahres schlicht - wie viele Deutsche auch - keine entsprechende Anstellung finden. Wenn Sie mir die Zahl nennen, sie einschätzen und vielleicht auch sagen würden, was Sie als Minister vorhaben, um es mehr Menschen zu ermöglichen, nach einem erfolgreichen Studienabschluss in Deutschland zu bleiben, wäre mir geholfen. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Abgeordnete Kolbe, ich habe diese Zahl natürlich nicht ohne Grund genannt; denn ich habe mir schon gedacht, dass das ein wesentlicher Punkt der Debatte ist. Das ist auch richtig so. Ich habe die Zahl aus diesem dicken Bericht jetzt nicht im Kopf. Wahr ist aber, dass aus dem Reservoir derer, die aus dem Ausland kommen, diejenigen, die hier studiert haben, das beste Potenzial für Zuwanderung haben, das Deutschland bekommen kann. Bei allem Streit über Zuwanderung ist das insoweit auch unstreitig. Deswegen ist es wichtig - ohne dass ich einer Beratung vorgreifen kann oder will -, dass wir genau dort ansetzen. Wir müssen insbesondere nach einem erfolgreichen Abschluss erleichtern, dass man hier bleiben kann, dass man Arbeit aufnehmen kann. Das ist auch in der Koalition längst unstreitig. Die Punkte, die streitig und jetzt hier nicht zu diskutieren sind, liegen woanders; sie liegen nicht hier. Nun muss man sehen, dass natürlich nicht alle Studenten, die aus dem Ausland kommen und hier studieren, hier bleiben wollen. Wir haben auch eine erhebliche Zahl deutscher Studenten, die im Ausland studieren. Wer im Ausland studiert, studiert deswegen dort, um seinen Erfahrungshorizont zu erweitern, nicht unbedingt, um im Ausland zu bleiben. Das ist auch kein vorwerfbares Verhalten. Insofern stehen nicht 245 000 potenzielle Zuwanderer zur Verfügung. Ein ganz erheblicher Teil will hier studieren und geht wieder weg. Das hat auch Vorteile, weil es Kontakte in die ganze Welt hinein schafft. Das muss man auch einmal sehen. In den 70er-Jahren war die entwicklungspolitische Debatte so, dass man sie gar nicht davon abhalten dürfte, zurückzugehen, weil das zu einem Braindrain bei den Entwicklungsländern führe; wir mussten sehen, dass sie zurückgehen und dort ihre Länder aufbauen - jedenfalls soweit es um entwicklungsschwächere Länder ging. Darüber redet heute keiner mehr. Ich sage das nur einmal ganz zart, weil uns inzwischen das Hemd näher ist als der Rock. Wir wünschen uns, dass sie hier bleiben. Aber ich sage nicht ohne Grund, dass die 240 000 Studenten - neben denen, die ohnehin nur auf Zeit da sein wollen - das größte und interessanteste Potenzial haben, um kluge und nachhaltige Zuwanderung in Deutschland zu organisieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die nächste Frage kommt von Sevim Daðdelen. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Sehr geehrter Herr Minister, nachdem der Migrationsbericht 2008 weder an den Bundestag überwiesen noch in diesem Hause debattiert wurde, wünsche ich mir, dass es mit dem Migrationsbericht 2009 anders sein wird: dass es zu einer Überweisung an den Bundestag kommen wird und wir uns die Zeit für eine Debatte nehmen werden. Das ist meine Bitte vorweg. Zweitens. Die wesentlichen Ergebnisse des Migrationsberichts 2009, die ich der Pressemitteilung der Bundesregierung von heute entnehmen kann, sind mit denen von 2008 zum Teil deckungsgleich, vor allen Dingen im Hinblick auf den Umfang der Einwanderung und den Wanderungssaldo. Sie haben eben angesprochen, dass es 2009 einen negativen Wanderungssaldo gab, wie es bereits 2008 der Fall war. Die Zuwanderung ist vor allen Dingen aus Ländern wie der Türkei rückläufig, aber auch aus den anderen Anwerbestaaten wie Griechenland und Italien, und der Wanderungssaldo ist hier seit 2006 negativ. Ich frage Sie vor dem Hintergrund der in Deutschland manchmal sehr hitzig geführten Debatten zum Thema Einwanderung, die mit den Schlagworten "Überfremdung" oder "Untergang des Abendlandes" manchmal auch in der Presse erscheinen, ob Sie solche Debatten angesichts der tatsächlichen Zahlen eigentlich nicht als realitätsfern bezeichnen. Im Zusammenhang mit den in den Migrationsberichten 2008 und 2009 vorliegenden Zahlen zum Trend der Pendelmigration möchte ich von Ihnen auch wissen, ob die Debatten, die wir führen, der Tatsache gerecht werden, dass dies eine temporäre und keine endgültige Migration nach Deutschland ist. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Abgeordnete, der erste Ihrer drei Punkte wundert mich; denn den Migrationsbericht erstellen wir auf Anforderung des Deutschen Bundestages zum achten Mal. Wenn der Bericht 2008 Ihnen nicht zugeleitet worden sein sollte, werde ich ihn gern zuleiten. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wurde zugeleitet!) Mich wundert, dass er bisher nicht zugeleitet worden ist; daran soll es nicht scheitern. Ob Sie es diskutieren oder nicht, müssen Sie entscheiden. Darüber entscheidet nicht die Bundesregierung; das müssen Sie dann im Deutschen Bundestag erörtern. Was die Frage des Saldos angeht, so haben Sie den Punkt schon richtig dargestellt. Wir machen hier zu einem Stichtag eine Statistik, und dahinter verbergen sich Wanderungsbewegungen verschiedener Art. Richtig ist, dass der Wanderungssaldo abgenommen hat. Ich könnte jetzt auch sagen: Die gute Nachricht ist, dass sich der Wanderungssaldo um zwei Drittel reduziert hat. Nur wäre diese Aussage angesichts der Zahlen nicht besonders glaubwürdig: Von 60 000 sind wir jetzt bei 12 000 angelangt. Das ist zwar ein Trend in die richtige Richtung; aber wahr ist, dass immer noch mehr Menschen weggehen als kommen. Insoweit stimmt, was die Zahlen angeht, objektiv die Aussage, dass Deutschland im Moment kein Zuwanderungsland, sondern ein Auswanderungsland ist. Man muss aber immer sehen, wer mit welchen Motiven und mit welchen Folgen kommt. Die Statistik kann wohl etwas über Abschlüsse sagen; aber sie sagt zum Beispiel nichts über die Zahl der Empfänger von Sozialleistungen und der Menschen mit einem gesicherten Lebensunterhalt aus. Diese Debatte haben wir in einem anderen Zusammenhang geführt. Wir wollen natürlich Zuwanderung von Menschen, die hier einen Beitrag leisten, die Arbeit haben, die Steuern zahlen, die Familien gründen und einen gesicherten Lebensunterhalt haben. Das sind wiederum nicht alle. Deswegen lässt allein die Tatsache, dass wir faktisch ein Auswanderungsland geworden sind, nicht den Schluss zu, dass wir alle, die nach Deutschland kommen wollen, auch nach Deutschland kommen lassen sollten; vielmehr geht es immer um gesteuerte Zuwanderung. Drittens. Die Pendelwanderung ist ein wichtiger Punkt. Ich mache es Ihnen an der größten Gruppe, den Polen, einmal deutlich: Im Jahre 2009 sind ungefähr 120 000 polnische Staatsbürger nach Deutschland zugewandert, aber es sind auch etwa 120 000 aus Deutschland abgewandert. Ob das die Gleichen sind - vielleicht Pflegekräfte - oder andere, das weiß ich nicht. Aber natürlich haben wir Pendelwanderungen. Die zweitgrößte Gruppe bilden hier die Rumänen: Wir hatten ungefähr 48 000 Zuwanderungen aus Rumänien und circa 37 000 Fortzüge. Die Zu- und Abwanderungen sind nicht ganz ausgeglichen, aber auch hier gibt es erhebliche Veränderungen. Im Falle Griechenland sieht es wiederum anders aus - man kann das erklären -: Es gab 8 200 Zuwanderungen und 16 000 Fortzüge. Wenn man zu einer qualitativen Zuwanderungsdebatte kommen möchte, müsste man die Statistik eigentlich anders darstellen und sagen: Unionsbürger sind das eine; denn wir wollen Freizügigkeit in der Europäischen Union. Unter Zuwanderungsgesichtspunkten ist es eigentlich fast egal, ob ein Belgier in Deutschland wohnt, ob er ein Deutscher oder ein Belgier ist. Als Zweites sollte man die Asylbewerberzahlen herausnehmen, weil es sich hier mit Blick auf die Bearbeitung, die Abschiebung, die Duldung usw. um eine Sondergröße handelt. Die Zuwanderungspolitik, über die wir uns sonst streiten, befasst sich mit der Frage, aus welchen Drittstaaten Zuwanderer aus welchem Grund kommen und wie lange sie bleiben, sowie mit der Frage, wer in Drittstaaten abwandert. Eine entsprechende Unterteilung böte eigentlich die vernünftige statistische Grundlage für die politische Debatte, die wir hier führen. Man kann vielleicht die entsprechenden Zahlen herausklamüsern; aber bisher wird nur zwischen den Ausländern unterschieden. Das ist insbesondere mit Blick auf die EU-Bürger nicht mehr so aussagekräftig, wie es vor 10 oder 20 Jahren war. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die nächste Frage stellt der Kollege Winkler. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. - Ich will zunächst zur Kollegin Daðdelen sagen: Der Migrationsbericht 2008 wurde uns am 8. Februar 2010 mit der Drucksache 17/650 zugeleitet. (Sevim Daðdelen [DIE LINKE]: Das wissen wir auch!) Was der Bundestag damit im Innenausschuss macht, ist natürlich seine eigene Angelegenheit. Es ist nicht die Aufgabe des Innenministers, sich dazu zu verhalten. Herr Innenminister, ich habe eine Frage zur demografischen Entwicklung. Wir hatten eine aufgeregte Debatte, angestoßen von Exsenator Sarrazin, der immer meint, seine Behauptungen seien unwiderlegt. Insofern frage ich Sie: Haben Sie nach Lektüre des Berichtes - Sie haben ihn schon ein paar Tage länger als wir - Indizien dafür gefunden, dass der Anteil der Unterschicht an der Bevölkerung kontinuierlich wächst bzw. dass die Migrantengruppen besonders viele Nachkommen haben, die als bildungsfern eingestuft werden müssten, also nach Meinung Sarrazins vor allem die Migranten aus der Türkei, dem Nahen Osten und Afrika? Stimmen Sie Sarrazins These zu, dass "die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa" darstellt, beispielsweise hier in Deutschland? Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, darüber gibt der Migrationsbericht keine Auskunft. Wir sind statistisch außerstande, eine Unterschicht zu definieren, dann die Kinder zu zählen und vorher noch nach der Religionszugehörigkeit zu fragen. Ich glaube auch nicht, dass Sie diese Statistik haben wollen, auch nicht den Erhebungsaufwand, der damit verbunden ist. Man kann anhand der Sozialstatistik - ich habe schon gesagt: sie ist hier nicht Gegenstand - feststellen, wer von den hier lebenden Ausländern seinen Lebensunterhalt aus eigener Arbeit bestreiten kann. Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Anteil derer, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Arbeit bestreiten können, unter Ausländern verglichen mit der deutschen Bevölkerung überproportional hoch ist. Jetzt kann man natürlich sagen: Wenn man es Asylbewerbern verbietet, zu arbeiten, dürft ihr euch nicht wundern. Das wäre Ihr Gegenargument. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erwischt! Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Ja. Man muss das also ein bisschen auseinanderklamüsern. Ich kann die Thesen, die Sie zitieren, nicht statistisch untermauern. Wir wissen: Je länger jemand hier ist, desto mehr passt sich sein sogenanntes generatives Verhalten - also die Frage, wie viele Kinder man bekommt - an die Aufnahmegesellschaft an. Migranten der zweiten oder dritten Generation kriegen also eher so viele Kinder wie die Familien in ihrer Umgebung als so viele, wie sie es von zu Hause gewohnt sind. Statistisch ist ein zweiter, sehr langfristiger Trend zu erkennen, der für uns ein schweres Dilemma bedeutet: Der Kinderreichtum nimmt in der Regel mit steigendem Wohlstand ab und nicht zu. Ich bezeichne das als Dilemma, weil das ja nicht bedeuten kann, dass die Leute einfach, weil wir mehr Kinder haben wollen, ärmer werden sollen, weil sie dann mehr Kinder bekommen. Eine solche These wäre absurd. Wahr ist aber leider: Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, umso weniger Kinder werden geboren. Das gilt mehr oder weniger weltweit. Es gibt ein paar Ausnahmen. Schweden und Frankreich werden genannt. Wie nachhaltig das ist, wissen wir aber nicht genau. Von daher kann man sagen, dass die erste Generation derjenigen, die hierherkommen, mehr Kinder bekommt als die folgenden Generationen. Solche grundsätzlichen Plausibilitätsüberlegungen kann man vielleicht anstellen. Ihr Nicken zeigt, dass Sie das nicht ganz abwegig finden. Die Äußerungen, die Sie aus dem Sarrazin-Buch anführen, kann ich anhand der Statistik nicht bestätigen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die nächste Frage kommt von Rüdiger Veit. Rüdiger Veit (SPD): Herr Minister, zunächst auch von mir herzlichen Dank für Ihren Vortrag. Sie haben in erfrischender Deutlichkeit und gestützt auf die Zahlen des Migrationsberichts eine Aussage getroffen, die ich teile: Im Augenblick ist Deutschland - das gilt schon seit einigen Jahren - kein Einwanderungsland, sondern ein Auswanderungsland. Ist vor dem Hintergrund der Entwicklung, dass in Deutschland immer weniger Menschen leben, zumal immer weniger Menschen hier geboren werden und sie im Durchschnitt sehr viel älter werden, nicht alle Anstrengung geboten, um diejenigen, die bereits in Deutschland leben - namentlich die Kinder und Jugendlichen, die hier aufgewachsen oder sogar hier geboren worden sind -, hierzubehalten und dafür zu sorgen, dass sie eine Perspektive in Deutschland bekommen, anstatt sie - daran sollte man nicht im Entferntesten denken - nach sechs oder acht Jahren Kettenduldung - davon können ihre Eltern oder sie selbst betroffen sein - abzuschieben? Meine Frage gipfelt mit anderen Worten darin, Sie zu bitten, eine Einschätzung vorzunehmen: Kann nicht eine vernünftige Altfall- und Bleiberechtsregelung gefunden werden, um dieser negativen Bevölkerungsentwicklung seitens des Staates entgegenzutreten? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist Aufforderung zum Rechtsbruch!) Die zweite Frage, die damit zusammenhängt, die ich Sie ebenfalls bitte zu beantworten: Andere europäische Staaten sind ganz offensichtlich überproportional stark davon betroffen, dass Flüchtlinge über das Mittelmeer oder auf dem Landweg zu ihnen gelangen. Ist es angesichts dieser Situation aus Sicht der Bundesregierung nicht geboten, im Sinne einer echten Lastenteilung in Europa zu sagen: "In Ordnung, wir nehmen nicht nur im bisherigen Rahmen wenige Flüchtlinge auf - in letzter Zeit haben wir Flüchtlinge aus dem Iran, wenige aus Malta, aus Syrien und Jordanien als Kriegsflüchtlinge aufgenommen -, sondern wir beteiligen uns sehr viel stärker an der Aufnahme von Flüchtlingen"? Wir hätten hier wesentlich mehr Platz für sie als andernorts und bessere Möglichkeiten, um sie zu versorgen. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter Veit, Ihrer Aussage, dass wir alle Anstrengungen unternehmen sollten, damit alle Menschen, die hier leben, auch hier bleiben, würde ich gerne mit zwei Ergänzungen zustimmen: erstens, wenn sie sich hier legal aufhalten, und zweitens, wenn sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das ist genau der Punkt, über den wir im Rahmen der Bleiberechtsdebatten diskutieren. Es kann keine Prämie dafür geben, dass man hier illegal eingereist ist und mit cleveren Anwälten möglichst lange hierbleibt. Wir können nicht sagen: Ihr seid schon lange hier, also dürft ihr hierbleiben. - Dafür können wir keinen Anreiz schaffen, weil das nur dazu führt, dass Verfahren verlängert werden. Insbesondere bei Kindern - das ist ein Beschluss der Innenministerkonferenz, den Sie kennen -, die sich gut integriert haben, die einen Schulabschluss haben und deren Eltern, sofern sie keine Straftäter sind, hier für ihren Lebensunterhalt sorgen können, kann eine Bleiberechtsregelung sinnvoll sein. Aber eine Bleiberechtsregelung, die eine Prämie dafür gibt, dass man illegal nach Deutschland gekommen ist, und die auch noch dazu führt, dass diejenigen, die illegal nach Deutschland gekommen sind, dem Steuerzahler dauerhaft zur Last fallen, wird meine Zustimmung nicht finden. Rüdiger Veit (SPD): Wir müssen aber erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie hier arbeiten können und dürfen. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Ja, auch darüber werden viele Debatten geführt. In diesen Diskussionen geht es zum Beispiel um Arbeitsverbote und die Residenzpflicht; Sie kennen diese Debatten. Noch einmal: Voraussetzung muss sein, dass der Betroffene nicht straffällig geworden ist und die Gewähr dafür bietet, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dauerhaft selbst zu bestreiten. Es reicht nicht aus, dass er sich nur darum bemüht hat. An diesem Punkt gibt es zwischen Union und SPD einen Streit. Viele von Ihnen sagen: Es muss reichen, wenn sich die Betroffenen ernsthaft darum bemüht haben, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wir sagen: Nein, der Lebensunterhalt muss gesichert sein. Das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Unterschied. Eine Regelung nach dem Motto "Wer ewig strebend sich bemüht" reicht nicht aus; denn diejenigen, die sich bemühen, es aber nicht schaffen, würden auf Kosten der Steuerzahler Sozialleistungen beziehen. Im Hinblick auf Personen, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und nicht straffällig geworden sind, ist eine Bleiberechtsregelung in dem Sinne, wie Sie es formuliert haben, auch unter dem Gesichtspunkt der Zuwanderungspolitik sicherlich sinnvoll. Jetzt zu der Frage des sogenannten Resettlements. Wahr ist: Aufgrund der geografischen Lage ist die Situation in Europa unterschiedlich. Bestimmte Staaten, die sogenannten Anrainerstaaten, leiden besonders unter Zuwanderung, andere Staaten weniger. Griechenland, Italien, Malta, Zypern und Spanien haben damit beispielsweise mehr zu tun als etwa Finnland. Vor diesem Hintergrund wurde die Idee geboren - auch die Europäische Kommission hat diesen Vorschlag gemacht -, ein sogenanntes Resettlement-Programm aufzulegen, das dazu führen soll, dass die Lasten geteilt werden. Es ist allerdings so, dass verpflichtende Quoten für die Anrainerstaaten keinen Anreiz darstellen, illegale Migration zu verhindern. Vielmehr würden diese Staaten Zuwanderer aufnehmen, ein bisschen abwarten und sie dann in Europa verteilen. Das kann nicht sinnvoll sein. Wir halten es vielmehr für sinnvoll, die Staaten, die besondere Lasten zu tragen haben und sich mit ihren Flüchtlingen große Mühe geben, wie es etwa Malta tut, freiwillig mit einem Rückkehrprogramm bzw. einem Hilfsprogramm zu unterstützen. Wenn man sich die entsprechenden Zahlen im Hinblick auf das Resettlement ansieht, stellt man fest, dass die Länder, die sich freiwillig zu einer Neuansiedlung bereit erklären, mehr Zuwanderer aufnehmen als die Länder, die nach Quoten vorgehen. Unser Nachbarland Frankreich zum Beispiel nimmt nach einer Quote pro Jahr 400 Zuwanderer auf. Deutschland hingegen nimmt freiwillig Zuwanderer auf. Wir gehen gezielt und in Absprache mit den Bundesländern vor, berücksichtigen humanitäre Gesichtspunkte und wollen die Länder, die sich im Hinblick auf Zuwanderer besonders große Mühe geben, entlasten. Insgesamt nimmt Deutschland eine größere Anzahl von Zuwanderern auf als Frankreich. Auch mit Blick auf die nachfolgende Integration haben wir damit bessere Erfahrungen gemacht als Länder, die nach einer verpflichtenden Quote vorgehen. Zu Resettlement-Programmen, wie sie fachlich heißen, sage ich also Ja, aber auf freiwilliger Basis. Das ist auch im Interesse der Flüchtlinge. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die nächste Frage kommt von Kornelia Möller. Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, zuerst eine Korrektur: Der Migrationsbericht 2008 wurde zugeleitet - ja -, aber er wurde nicht überwiesen. Das ist ein Unterschied. Überweisen kann ihn meiner Kenntnis nach nur die Bundesregierung; das ist aber nicht geschehen. Das ist allerdings nicht meine Frage. Meine Frage betrifft die Flüchtlingspolitik. Im Jahr 2010 wurden ungefähr 41 000 sogenannte Asylanträge gestellt. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 10 000 sogenannte Widerrufsverfahren eingeleitet, in denen der Status von bereits anerkannten Flüchtlingen noch einmal überprüft wurde. 3 000 Flüchtlingen wurde ihr bereits anerkannter Status daraufhin aberkannt. Das ist ein sehr hoher Anteil. In den meisten anderen EU-Ländern wird nicht nach dieser Praxis verfahren. In Frankreich allerdings gibt es sie; dort wurde nach Widerrufsverfahren ungefähr 2 Prozent der Flüchtlinge der Status aberkannt. Meine Frage lautet: Wird die Bundesregierung diese EU-weit nahezu einzigartige Widerrufspraxis beenden, was gerade angesichts der EU-weiten Harmonisierung der Flüchtlingspolitik angemessen wäre, und, wenn nein, warum nicht? Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Zum ersten Punkt. Wir geben diesen Bericht dem Deutschen Bundestag, wie auch immer Sie das bezeichnen. Was Sie damit machen, ist Ihre Sache. Sie können das gern mit uns oder im Ältestenrat klären. Ich tue alles, was der Bundestag möchte, (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das merken wir uns! - Iris Gleicke [SPD]: Das steht jetzt im Protokoll!) damit Sie das diskutieren können. An dem Terminus - Überweisung oder Zuleitung - soll das nicht scheitern. Vielleicht können wir uns darauf verständigen. Jetzt zu Ihrer Frage. Dies ist der Migrationsbericht 2009. Sie fragen nach den Asylbewerberzahlen des Jahres 2010. Die sind in der Tat sehr hoch; sie sind angestiegen. Wenn etwa die Zahlen der Asylbewerber aus Afghanistan und dem Irak hoch sind, ist das verständlich. Völlig unverständlich ist aber ein erheblicher - ich sage: dramatischer - Anstieg der Asylbewerberzahlen aus Serbien, insbesondere nachdem die Visumpflicht für Serbien abgeschafft worden ist. Das riecht nach einem Missbrauch des Asylverfahrens, und das werden wir nicht hinnehmen. Wir sind hier mit der serbischen Regierung im Gespräch. So kann es nicht weitergehen. Wir haben die Rückkehrhilfen eingestellt; wir werden entsprechende Maßnahmen ergreifen. Ähnliches gilt für Montenegro und andere Balkanstaaten. Der Wegfall des Visumverfahrens soll nicht dazu dienen, dass Ausländer, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen, bequemer in Deutschland einreisen und dann hier einen Antrag auf Asyl stellen. So war das Asylverfahren nicht gedacht; das kann nicht richtig sein. Ich kann Ihre Frage zwar nicht im Detail beantworten; jedoch haben wir hier keine Rechtsänderungen vor. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihnen die Begründung im Einzelnen gern schriftlich nachliefern. Kornelia Möller (DIE LINKE): Sehr gern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die letzte Frage stellt nun der Kollege Dr. Ernst Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Minister, Sie haben einen Zusammenhang zwischen dem Migrationsbericht und Bildungsfragen hergestellt. Ich möchte deshalb zweigeteilt auf ein Anliegen zurückkommen, das uns verbindet, nämlich dass wir aus allgemeinen Berichten wissen, dass es in Deutschland geschätzte 300 000 bis 500 000 eingewanderte Menschen mit akademischer bzw. beruflicher Qualifikation gibt, deren Qualifikation nicht anerkannt wird. Das Vorhaben der Bundesregierung ist ja, das über ein Anerkennungsgesetz zu ermöglichen. Das wird diesen Menschen nun schon seit über einem Jahr versprochen, und wir fragen im zuständigen Bildungsausschuss immer wieder nach: Wie weit ist das denn? Nun wurde uns gesagt, dass sich bis zum 15. November letzten Jahres alle Ressorts dazu äußern sollten und es auch durch Personalaufstockung leider noch nicht gelungen ist, das abzuarbeiten, damit das Verfahren trotz der Zerklüftung dieser Materie in Gang kommt. Ich bitte darum - die Regierungsbank ist jetzt stark besetzt -, dass die Ministerien mit Hochdruck daran arbeiten, damit dieses Versprechen gegenüber diesen qualifizierten Menschen zügig eingeleitet werden kann. Meine erste Frage lautet daher: Können Sie als verantwortlicher Innenminister, als Treuhänder für diese qualifizierten Menschen, nicht Ihren ganzen Einfluss für die Bundesregierung geltend machen, damit es nicht noch weitere Monate dauert? Was können Sie sich vorstellen, um dies zu erreichen? Um eine präzise Frage zu einer anderen Materie nachzuschieben: Frau Kolbe wollte gern wissen, was Sie sich als Innenminister in Bezug auf die von Ihnen so apostrophierten 32 000 hochinteressanten ausländischen Absolventinnen und Absolventen konkret vorstellen. Da haben Sie gesetzgeberische Möglichkeiten, zum Beispiel das Bleiberecht betreffend. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, zur ersten Frage: Ich werde gern meine ganze Kraft dafür einsetzen, dass das Gesetz schnell verabschiedet wird. Ich biete Ihnen auch an, noch einmal bilateral mit dem Staatssekretär zu sprechen. Er hat mir eben einen Zeitraum zugeflüstert, den ich aber nicht verbindlich nennen will. Es liegt nicht an bösem Willen, sondern die Sache ist kompliziert. Es ist nicht nur ein Bund-Länder-Streit. Es gibt über 400 Stellen in Deutschland, die Abschlüsse anerkennen, beispielsweise die IHKs und die Handwerkskammern. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes reicht nicht so weit. Deswegen ist der Kernpunkt, einen Anspruch zu schaffen, in einer bestimmten Zeit eine Entscheidung zu bekommen. Das ist eigentlich ziemlich wenig. Viel mehr wird aufgrund der zersplitterten Zuständigkeiten gar nicht möglich sein, und selbst das ist nicht so leicht zu regeln. Wir arbeiten aber mit Hochdruck an der Angelegenheit, und ich will mich gerne dafür verwenden. Zu Ihrer zweiten Frage: Ich kann ja verstehen, dass Sie und Frau Kolbe danach lechzen, irgendwelche Meinungsunterschiede in der Koalition bei diesem Punkt aus meinen Worten herauszuhören. (Rüdiger Veit [SPD]: Noch lieber wären uns Lösungen! - Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Konkrete Ansätze!) Ich werde Ihnen diesen Gefallen nicht tun. Wir werden darüber vortragen, wenn wir so weit sind. Ich habe nur gesagt, dass wir etwas tun wollen, um die hier lebenden Absolventen besser zu stellen als jetzt. Wie ist die Lage jetzt? Sie erhalten jetzt eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr, um sich Arbeit zu suchen. Der erste Vorschlag, der gemacht wird, lautet, diese Frist zu verlängern. Ich halte davon wenig. Das würde eher dazu führen, dass Arbeitgeber, die Akademiker, also Personen mit einem abgeschlossenen Studium, ohnehin mit Praktika abspeisen, dies dann zwei Jahre statt ein Jahr lang tun. Ich halte das nicht für vernünftig. Es gibt aber noch ein zweites Hindernis. Dabei geht es darum, wie viel nebenbei gearbeitet werden darf. Es ist schlecht, sie hier zu halten, wenn sie ein Jahr lang einen Job suchen, keine Arbeit finden und sich sozusagen nicht über Wasser halten können. Deswegen gibt es Überlegungen, bei dem Betrag oder den Tagen - wie die Regelung genau ist, habe ich jetzt nicht im Kopf - etwas zu verändern, sodass sie ihren eigenen Lebensunterhalt während dieses Jahres besser darstellen können als bisher. Das hat zwei Vorteile: Sie erhalten so lange keine Sozialleistungen, und sie sorgen selbst für ihren Unterhalt. Das führt zu mehr Bindungen. Es gibt allerdings einen Pferdefuß; deswegen muss man das klug machen. Wir wollen nämlich nicht, dass ein Diplom-Ingenieur, der Taxi fährt und dadurch seinen Lebensunterhalt bestreitet - quasi unter Niveau -, sagt: Dann bleibe ich halt Taxifahrer, und was nach fünf Jahren ist, weiß ich nicht. - Wir wollen ihn ja da einsetzen, wofür er ausgebildet ist. Das heißt, das Ganze darf wiederum nicht zu Fehlanreizen führen. Wir sind im Gespräch darüber, das im Detail herauszuklamüsern. Das sind die angedachten Instrumente: Verlängerung der Frist - davon halte ich wenig - und das Schaffen der Gelegenheit, in diesem einen Jahr wirklich Zeit und die Möglichkeit zu haben, einen Arbeitsplatz zu finden, der anschließend zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht führt. Ich glaube, das ist in der Koalition ziemlich unstreitig. Wie das im Einzelnen genau geht, werden wir noch entscheiden, aber die Zielrichtung ist unstreitig, und die unterstütze ich auch. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Regierungsbefragung mehr als ausgeschöpft. Herr Bundesminister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 17/4406, 17/4421 - Wir beginnen mit den dringlichen Fragen auf Druck-sache 17/4421. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung. Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin Dorothee Menzner auf: Welche Auffassung über die Sicherheitsrelevanz hat die Bundesregierung bezüglich des durch Ultraschallmessungen festgestellten möglichen Risses einer Hauptkühlleitung innerhalb des Reaktors im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld, über den seit dem Wochenende in den Medien berichtet wird? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Menzner, ich beantworte Ihnen die Frage wie folgt: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist nach seiner Sachverhaltsermittlung unter Hinzuziehung eigener Sachverständiger und insbesondere unter Würdigung der Bewertungen der Reaktor-Sicherheitskommission zu der Auffassung gelangt, dass eine Klärung eines bei einer Ultraschalluntersuchung festgestellten Befundes erforderlich ist, die nur bei abgeschalteter Anlage erfolgen kann. Ob das Ultraschallsignal tatsächlich von einem Riss herrührt, ist unbekannt. Es wird jedoch sicherheitsbedingt ein Riss unterstellt. In der betreffenden Sitzung der RSK hatte keiner der anwesenden Experten eine Wachstumsgeschwindigkeit des möglichen Risses für vorstellbar gehalten, welche vor März 2011 zu einem Erreichen der sogenannten kritischen Risstiefe, ab welcher ein Durchriss des Rohres nicht mehr auszuschließen wäre, führen würde. Deshalb ist das BMU mit einer Klärung der Ursache im Rahmen der Revision im März 2011 einverstanden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, wie Sie sich denken können, haben wir das Thema schon heute Morgen im Umweltausschuss behandelt. Dort hat der Vertreter des bayerischen Ministeriums für Umwelt und Gesundheit, Herr Lazik, sehr ausgiebig versucht, uns deutlich zu machen, wie sicher Grafenrheinfeld ist, dass überhaupt kein Problem vorliege und dass alle beteiligten Ämter und Behörden keinerlei Sicherheitsrisiko sähen. Aber wenn das alles so in Ordnung, so sicher und so unbedenklich ist, wieso empfiehlt dann der TÜV den Austausch des unbedenklichen Teiles, was nach meinem Kenntnisstand und meinem Verständnis doch eine etwas aufwendigere Angelegenheit ist? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es liegen Messergebnisse von Ultraschalluntersuchungen vor. Diesen Messergebnissen ist auch nachgegangen worden. Die Messergebnisse sagen nicht, dass es zwingend ein Riss ist. Aber gerade weil es sich um ein Kernkraftwerk und gerade weil es sich um einen sensiblen Bereich handelt, unterstellen wir einen solchen möglichen Riss. Darauf richten sich die Untersuchungen. Wir messen der Reaktor-Sicherheitskommission und ihrer Kompetenz große Bedeutung bei, und wir - das BMU als überwachende Behörde, aber auch das zuständige Ministerium in Bayern als unmittelbare Aufsichtsbehörde - sind gemeinsam zu der Überzeugung gelangt, dass es ausreicht, bei der Revision im März zu detaillierteren Erkenntnissen zu kommen. Es gibt zurzeit keinen Gefahrenverdacht. Das folgt auch aus der Beratung der RSK. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. - Der Vorfall war diese Woche unter anderem Gegenstand der Presseberichterstattung. Es wurde berichtet - das wurde auch heute im Ausschuss bestätigt -, dass das Bundesministerium erst Monate später von diesem Befund Kenntnis bekommen hatte. Dabei wurde auch deutlich, dass das nicht aufgrund eines regulären vereinheitlichten Verfahrens der Fall war. Es war vielmehr davon die Rede, dass Experten am Rande von Fachkonferenzen immer viel reden. In diesem Zusammenhang sei man auf den Vorfall in Grafenrheinfeld aufmerksam geworden, was dazu geführt habe, dass das Bundesumweltministerium Informationen angefordert habe. Ich frage Sie: Trifft das zu? Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus für Ihre interne Aufstellung, aber auch für die zukünftige Zusammenarbeit mit den ausführenden Landesbehörden? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: In der Tat haben wir im August von Ergebnissen erfahren und uns daraufhin mit der bayerischen Aufsichtsbehörde in Verbindung gesetzt. Die Behörde hat Ermessensspielräume, wann sie informiert. Wir haben das Gespräch intensiv gesucht. Auch das wurde berichtet. Berichtet wurde auch, dass in einem intensiven Schriftwechsel im September, Oktober und Dezember ein Austausch stattfand. Am 9. Dezember fand dann das Fachgespräch statt. Es bleibt festzuhalten, dass es einen intensiven Austausch gab. Es bleibt vor allem festzuhalten, dass es zurzeit keinen Gefahrenverdacht gibt und dass die RSK zu dem Schluss gekommen ist, dass wir bis März warten können, um dann weiterzusehen und intensivere Untersuchungen vorzunehmen. Das ist zum jetzigen Stand das, was das Ministerium heute Morgen im Ausschuss sagen konnte und was ich jetzt dazu sagen kann. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Zusatzfrage hat die Kollegin Kotting-Uhl. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie sagten, die Wachstumsgeschwindigkeiten gäben keinen Anlass, davon auszugehen, dass vor März 2011 oder überhaupt Handlungsbedarf bestehe. Ich wüsste gerne, auf welcher Grundlage Sie die Wachstumsgeschwindigkeiten berechnen. Wir haben gehört, dass der vermutete Riss eine Tiefe von maximal 2,7 Millimetern hat und dass die kritische Risstiefe bei 19 Millimetern liegt. Woher wissen Sie, in welcher Zeit dieser 2,7 Millimeter tiefe Riss entstanden ist? Schon 2001 ist bei einer Revision ein auffälliges Echogeräusch festgestellt worden. Man ging bereits damals davon aus, dass es sich um einen Riss handeln könnte. Aber woraus schließen Sie, dass anzunehmen ist, dass das Ganze - so habe ich es gelesen - um 0,1 Millimeter im Jahr wächst? Woher nimmt man die Gewissheit, dass dieser Riss, sofern es sich um einen handelt, gleichmäßig wächst? Wenn wir zum Beispiel davon ausgehen - ich finde, diese Vermutung ist nicht allzu fern -, dass, wie wir heute nebenbei gehört haben, der Lastfolgebetrieb, in dem der Reaktor gefahren wurde - ich nehme an, nicht seit zehn Jahren, sondern erst in jüngster Zeit -, durchaus etwas damit zu tun haben und eine solche Rissbildung beschleunigen kann, dann können diese 2,7 Millimeter sehr schnell entstanden sein. Worauf gründen sich also bitte Ihre Berechnungen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir werden im März vertiefte Prüfungen vornehmen. Ich gehe davon aus, dass die Messungen, die regelmäßig im Rahmen periodischer Prüfungen vorgenommen werden, so zustande kommen, dass sie allen Sicherheitsanforderungen entsprechen. Wir haben in diesem Fall auch aktiv mehr Informationen angefordert. Gleichwohl ist nicht ein Gremium im BMU alleine, sondern die RSK als fachliche Behörde nach Austausch mit Experten zu der Überzeugung gekommen, dass keine Sicherheitsbedenken bestehen, jedenfalls keine, die nicht bis zum März auf eine vertiefte Prüfung warten könnten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage hat der Kollege Fell. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, mich beunruhigt etwas, wann das alles aufgedeckt wurde und die Daten bereitgestellt wurden. Aus Presseberichten haben wir erfahren, dass im Juni letzten Jahres dieses Messergebnis aufgetaucht sei. Sie sagten, Sie hätten im August davon Kenntnis bekommen. Im Juni befand sich der Reaktor aber noch in einem ungewöhnlich langen Revisionsbetrieb. Das heißt, er war abgeschaltet. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Betreiber doch genauer hinschauen können, ob das besagte Echo auf einen Riss zurückzuführen ist oder nicht. Warum kann man jetzt nur Vermutungen anstellen? Warum gibt es nicht von vornherein Auflagen? Ich habe große Sorgen, vor allem auch deswegen, weil am 30. September letzten Jahres eine Schnellabschaltung von Grafenrheinfeld vorgenommen werden musste, und zwar aus angeblich externen Gründen. Wie wir aber wissen, üben Schnellabschaltungen hohe Belastungen auf die Kühlmittelleitungen aus. Damit könnte auch eine Erhöhung der Geschwindigkeit bei der Rissbildung zusammenhängen. Ich habe große Sorgen. Wie können Sie sicher sein, dass bis zum März dieses Jahres alles ohne Probleme über die Runden geht, obwohl inzwischen Ereignisse eingetreten sind, die a) schon während der Abschaltung hätten gelöst werden können und b) durch die Schnellabschaltung möglicherweise noch beschleunigt wurden? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sie haben bereits heute Morgen erfahren, dass der TÜV Süd in einer Stellungnahme vom 15. Juni zu dem Ergebnis kam, dass es aufgrund einer sehr geringen Befundtiefe sicherheitstechnisch unbedenklich ist, den Reaktor fahren zu lassen. Die Untersuchungen im Rahmen von Revisionen finden in Verantwortung der zuständigen Genehmigungsbehörde statt, in diesem Fall also in Zuständigkeit des Landes Bayern. Das Bundesumweltministerium wird über die Prüfergebnisse betreffend Kernkraftwerke in der Regel nicht informiert und schaltet sich in die Entscheidung über das Wiederanfahren grundsätzlich nicht ein. Das ist die übliche Praxis; das war schon immer so. Ich finde, allein dass wir im Verlaufe des Jahres nachgefragt haben, die RSK damit befasst haben, Informationen gesammelt haben und unsere Aufsichtspflicht ernst genommen haben, sollte Ihnen einen Teil Ihrer Bedenken - hoffentlich - nehmen können. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das kann es nicht nehmen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Röspel, bitte. René Röspel (SPD): Frau Staatssekretärin, von welcher Haltbarkeitsdauer geht man bei einer solchen Hauptkühlleitung aus? Ist diese bereits überschritten? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich kann Ihnen keine Jahreszahlen nennen. Es geht aber auch nicht um eine Jahreszahl, sondern darum, ob ein Teil funktionsfähig und intakt ist oder nicht. Sollten Zweifel bestehen, muss ein sensibles Teil ausgetauscht werden. Ich wiederhole mich: Sollten im März die vertieften Ultraschallmessungen und andere Messungen zu dem Ergebnis kommen, dass ein Austausch erforderlich ist, muss und wird ein Austausch vorgenommen werden. Ich kann Ihnen die Ergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht nennen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit kommen wir zur dringlichen Frage 2 der Kollegin Dorothee Menzner: Welche unmittelbaren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Prüfung des neuesten Vorfalls im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld hat die Bundesregierung eingeleitet? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Menzner, ich antworte wie folgt: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat sich von der zuständigen Atomaufsichtsbehörde des Freistaates Bayern schriftlich und mündlich über den Sachverhalt informieren lassen und hat darüber hinaus Bewertungen von eigenen Gutachtern und der Reaktor-Sicherheitskommission eingeholt, so wie ich es eben dargestellt habe. Im Hinblick auf die weiter gehende Bedeutung des Ereignisses hat das BMU die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, GRS, mit der Erstellung einer Weiterleitungsnachricht beauftragt. Durch diese Weiterleitungsnachrichten soll sichergestellt werden, dass andere deutsche Kernkraftwerke über den Sachverhalt aufgeklärt werden und, soweit erforderlich, geeignete Prüfungen vornehmen sowie Maßnahmen ergreifen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre Zusatzfrage, Frau Menzner. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Danke, Frau Vorsitzende. - Diesen recht umfangreichen Maßnahmen - wenngleich sie mit deutlichem Zeitverzug erfolgen - entnehme ich, dass die Bundesregierung diesen Befund als nicht ganz so harmlos einstuft, wie uns glauben gemacht werden soll. Ich frage Sie, ob Sie es für normal halten, dass sogar die Mitglieder des zuständigen Ausschusses solche Vorgänge, solche Probleme, solche Debatten erst aus den Medien erfahren. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich weise zurück, dass die Bundesregierung Vorkommnisse verharmlost oder Informationen nicht in erforderlichem Maße gibt. Wir haben im Ausschuss die entsprechenden Informationen gegeben. Auch im Ausschuss heute Morgen wurde erläutert, wie intensiv der Kontakt zu den bayerischen Behörden war. Dass wir andere Kraftwerksbetreiber darüber informieren und bitten, Prüfungen vorzunehmen, ist ein weiterer Beleg dafür, wie sensibel wir mit dem Thema Sicherheitsrelevanz bei Kernkraftwerken umgehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage? Dorothee Menzner (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, es ist vollkommen richtig, dass Sie heute auf Antrag aus den Reihen der Ausschussmitglieder Bericht erstattet haben. Eine solche Nachfrage war uns aber erst möglich, nachdem wir die Presseberichterstattung kannten. Ich möchte Sie an dieser Stelle noch einmal fragen, wie Sie für zukünftige Fälle gewährleisten wollen, dass der Informationsfluss zwischen den Ländern und dem Bund besser läuft und man nicht auf zufällig ausgetauschtes Wissen am Rande von Fachkonferenzen angewiesen ist - so wurde es zumindest heute Morgen dargestellt -, um erst dann Informationen von den jeweils zuständigen Landesbehörden anzufragen. Mir erscheint - das gilt sowohl innerhalb des Parlaments als auch beim Austausch zwischen den Ländern und der Bundes-ebene - noch einiges optimierungsfähig. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich kann hier keine Zufälligkeiten erkennen. Gleichwohl geht es immer darum, die Kommunikationswege zu verbessern. Allerdings gibt es eine klare Aufgabenteilung zwischen der Zuständigkeit der aufsichtsführenden Landesbehörden und dem Bund. Wir wollen es bei dieser bewährten Aufgabenteilung, deren Funktionsfähigkeit uns durch internationale Kommissionen in der letzten Legislaturperiode bestätigt wurde, belassen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Zusatzfrage hat die Kollegin Kotting-Uhl. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, wir reden hier nicht von einem Vorkommnis, das sich irgendwo im Außenbereich des Atomkraftwerks abgespielt hat. Wir reden von einem Befund aus dem Innersten, aus dem nuklearen Teil des Reaktors. Wenn dieser Befund tatsächlich zu einem Störfall führen würde, dann hätten wir einen Störfall der Stufe 3. Das ist in Deutschland bisher noch nicht vorgekommen. Das heißt, die ganze Anlage wäre atomar verseucht, was entsprechende Auswirkungen hätte. Da erscheint mir doch das Wort "Sensibilität", das Sie jetzt einige Male bemüht haben, nicht ganz richtig angewendet. Ich will Sie fragen, wie es sein kann, dass ein solcher Störfall, der eventuell nicht gemeldet wurde - das hat sich nämlich heute Morgen im Umweltausschuss nicht so angehört -, sondern mehr zufällig im August letzten Jahres bei irgendeiner Begegnung übermittelt wurde, der dem BMU aber immerhin bekannt war, nicht sofort, wie es - das will ich betonen - üblich ist bei Befunden im Primärkreislauf, dazu geführt hat, das entsprechende Atomkraftwerk abzuschalten, der Ursache auf den Grund zu gehen und, nachdem man die Ursache für den Befund kennt, zu entscheiden, ob das Atomkraftwerk wieder ans Netz kommt. Erklären Sie mir bitte, wie es sein kann, dass dieses Atomkraftwerk von August bis heute ungehindert weiterlief und man jetzt sagt: Jetzt lassen wir es weiterlaufen; denn es steht demnächst ohnehin eine Revision an, das reicht. - Das ist ein Tabubruch. Dies bricht mit dem, was bisher üblich war. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Auf Basis der Berechnungen, die vorliegen, kann nicht festgestellt werden, dass es ein von Ihnen unterstelltes erhebliches Sicherheitsrisiko gibt. Noch einmal: Das haben Experten des Umweltministeriums in Zusammenarbeit mit der RSK festgestellt. An der Betriebssicherheit des Kernkraftwerks - das ist entscheidend - bestehen keine Zweifel. Auch wenn ein hypothetischer Abriss - das ist das, was Sie beunruhigt - der Volumenausgleichsleitung an der befundbehafteten Stelle im Kraftwerk Grafenrheinfeld unterstellt würde, würde ein solcher Störfall von der Anlage beherrscht werden. Auch das ist eine Aussage, die heute Morgen im Ausschuss sowohl von der Leitung des Hauses als auch von dem bayerischen Ministerium so bestätigt wurde. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Fell zur nächsten Zusatzfrage. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, Sie sagen, an der Sicherheit des Kernreaktors bestünden keine Zweifel. Ich könnte das nur dann nachvollziehen, wenn es Beobachtungen gäbe, deren jeweilige Erklärung wir kennen würden. Aber es gibt Beobachtungen, die Fragen aufwerfen, die auch die Experten heute - weder die vom bayerischen Umweltministerium noch die vom Bundesumweltministerium - nicht zufriedenstellend beantworten konnten. Im Gegenteil: Sie konnten sogar überhaupt keine Antwort auf meine Frage geben. Der Zeitraum der Revision wurde im letzten Jahr um über einen Monat verlängert, weil Auffälligkeiten, nämlich erhebliche Mengen von radioaktivem Eisen, Chrom und Nickel, festgestellt wurden. Dieses Eisen, Chrom und Nickel kann nur aus der Leitung an anderer Stelle gekommen sein. Das heißt, es muss irgendwo etwas erodieren; sonst wären in dem Kühlmittel nicht solche großen Mengen, die immerhin zu einer Verlängerung des Revisionszeitraums geführt haben. Auf meine Frage, ob das denn nicht untersuchenswert wäre und ob sie denn eine Antwort darauf hätten, woher diese Mittel kommen, hatten sie eigentlich nur ein Achselzucken übrig. Sie wussten nichts. Dasselbe gilt für die andere Frage, nämlich ob eine Schnellabschaltung möglicherweise die Rissgeschwindigkeit erhöht: auch darauf nur Achselzucken. Aber es gibt diese Fragen, Frau Staatssekretärin. Damit ist doch bei der Bewertung, dass da kein Sicherheitsrisiko vorliegen würde, keine Sicherheit vorhanden. Es muss zu einer vorsorglichen Handlung kommen, die bisher auch immer üblich war, nämlich dass der Reaktor vorsorglich abgeschaltet wird, um diese Auffälligkeiten näher zu untersuchen und festzustellen, ob sie ein Problem darstellen oder nicht. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Staatssekretärin Heinen-Esser hatte Ihnen bereits heute Morgen angeboten, die Ereignismeldung, die Informationen enthält, weiterzuleiten. Ich möchte wiederholen, Herr Kollege Fell, dass zurzeit kein Gefahrenverdacht vorliegt, dass wir uns in dieser Bewertung mit der Reaktor-Sicherheitskommission in Übereinstimmung sehen und dass, wenn die Prüfung im März ergeben sollte, dass ausgetauscht werden muss, auch ausgetauscht werden wird. Aber zum jetzigen Zeitpunkt liegt kein Gefahrenverdacht vor. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dann kommen wir zur dringlichen Frage 3 der Kollegin Kornelia Möller zum selben Sachverhalt: Welche Informationen bzw. Erkenntnisse haben die Experten in der Abteilung für Reaktorsicherheit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, dazu bewogen, die sofortige Abschaltung des Reaktors Grafenrheinfeld und den sofortigen Austausch des mit einem Riss versehenen Bauteils nicht mehr zu fordern? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Auch Frau Kollegin Möller möchte gerne Auskünfte, Erkenntnisse und Informationen zu Grafenrheinfeld haben. Ich wiederhole mich insofern, als das Bundesumweltministerium nach seiner Sachverhaltsermittlung - unter Hinzuziehung eigener Sachverständiger und insbesondere unter Würdigung der Bewertungen der Reaktor-Sicherheitskommission - zu der Auffassung gelangt ist, dass die erforderliche Klärung eines bei einer Ultraschalluntersuchung festgestellten Befundes nur bei abgeschalteter Anlage erfolgen kann. Ich hatte auch ausgeführt, dass in der betreffenden Sitzung der Reaktor-Sicherheitskommission keiner der anwesenden Experten ein Wachstum des möglichen Risses für vorstellbar gehalten hatte. Wir werden somit im März 2011 eine erneute Überprüfung durchführen und haben uns einverstanden erklärt, im Rahmen der Revision im März 2011 eine Klärung - so wie ich es hier bislang auch im Rahmen der Fragen beantwortet habe - zu erreichen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie haben eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Möller? - Bitte. Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, ich habe Sie bei der Beantwortung der ersten Frage so verstanden, als sei es ungewiss, dass es einen Riss gebe. Es sei unwahrscheinlich, dass dieser Riss vor März eine relevante Größe erreichen werde. Der Kollege Fell hat jetzt Fragen gestellt, die sehr besorgniserregend sind und auf die es keine Antworten gegeben hat. Das Ganze erscheint mir sehr schwammig. Obwohl ich die Wiederholung von Ihnen gehört habe, dass dieser Riss keine relevante Größe hat, dass alles gut ist und dass eine Prüfung im März reicht, habe ich - auch hinsichtlich der Bürgerinnen und Bürger, die in der Nähe und im weiteren Umkreis leben müssen - Befürchtungen. Denn es erscheint doch sehr deutlich, dass Sie nicht wissen: Ist es nun gefährlich, oder ist es nicht gefährlich? Dazu meine Frage. Wenn es sich bei dem Störfall um die Stufe 3 handeln würde, dann würde das bedeuten, dass der ganze Bereich verseucht wäre. Sie sagen, das habe man im Griff. Sind Sie sich da sicher? Können Sie angesichts all dieser Ungewissheiten, all dieses Nichtwissens und Nicht-Beantworten-Könnens von relevanten Fragen gerade in diesem Bereich, der eine derartige Gesundheitsgefährdung für Menschen bedeutet, so leichtfertig damit umgehen, dass Sie sagen: "Es reicht, wenn das im März überprüft wird"? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erstens: Die Bundesregierung nimmt ihre Aufsichtsfunktionen und ihre Aufsichtspflichten sehr ernst. Zweitens: Den Vorwurf der Leichtfertigkeit möchte ich auch an dieser Stelle zurückweisen. Drittens: Es gibt Ultraschalluntersuchungen - es tut mir leid, dass ich mich wiederhole; aber offenbar ist es doch noch nicht angekommen -, die vermuten lassen, es könnte ein Riss vorliegen. Wir wissen nicht, ob tatsächlich ein Riss vorliegt. Aber allein die Vermutung, dass ein Riss vorhanden sein könnte, lässt uns alle Maßnahmen ergreifen, weiter auf diesen Befund hin zu forschen. Der aktuelle Befund ist allerdings nicht geeignet, einen Gefahrenverdacht zu begründen. Auch die Experten der Reaktor-Sicherheitskommission haben dies so bestätigt. Im Zusammenspiel von TÜV, RSK und GRS, aber auch im Zusammenspiel der Aufsichtsbehörden in Bayern und dem Bundesumweltministerium sind wir zu dem Ergebnis gekommen, bei der Revision im März vertieft zu schauen. Der Reaktor wäre allerdings nicht angefahren worden, hätten die Behörden in Bayern Gegenteiliges oder Besorgniserregendes festgestellt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre zweite Zusatzfrage, Frau Möller. Kornelia Möller (DIE LINKE): Meine zweite Zusatzfrage ist: Können Sie definitiv ausschließen, dass dieser Riss eine relevante Größe erreicht? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir wissen nicht, ob es ein Riss ist; auch das muss festgestellt werden. Das lässt sich mittels Ultraschalluntersuchungen nicht feststellen. Allein der Verdacht, es könnte ein Riss vorliegen, lässt uns alle nötigen Maßnahmen ergreifen. Wir haben sie bereits ergriffen und werden sie im März fortführen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer Zusatzfrage hat die Kollegin Menzner. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, diese Fragestellung - auch das Bekanntwerden der möglichen Probleme an dem Hauptkühlsystem - kam in einer Zeit auf, wo in diesem Land doch recht emotional über die Möglichkeit - das wurde dann von Ihrer Koalition auch umgesetzt - einer Laufzeitverlängerung diskutiert wurde. Wir und mit uns viele andere halten dies für kontraproduktiv und gefährlich. Der Verdacht liegt einfach nahe, dass es in solch einer Situation, bei einer so schwerwiegenden Sicherheitsfrage - ich spreche nicht von einem Problem - politisch ungewünscht war, das Ganze öffentlich zu machen, diesen Reaktor abzuschalten, um der Sache auf den Grund zu gehen. Natürlich war diese Frage auch vom Betreiber Eon ökonomisch nicht erwünscht. Was sagen Sie dazu? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich sehe den von Ihnen konstruierten Zusammenhang nicht. Wir haben unsere Entscheidung in Abwägung des Vorhabens getroffen, die erneuerbaren Energien auszubauen. Wir brauchen die Kernenergie und fossile Energieträger als Brücke. Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht schneller voran, als wir alle für möglich gehalten hätten. Wir brauchen aber für die Übergangszeit die Kernenergie. Mit der Atomgesetznovelle haben wir gezeigt: Wir werden das Thema Sicherheit neu anpacken und werden Sicherheitspflichten dynamisch einführen, um das Maximum an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Fell hat noch eine Zusatzfrage. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, das Sicherheitsrisiko wird auch dann erhöht, wenn es zu Schnellabschaltungen kommt. Die hydraulische und thermische Belastung von Kühlmittelleitungen werden dadurch drastisch erhöht, und Gefahrenstellen, wie mögliche Risse, werden damit zu einem größeren Sicherheitsrisiko. Können Sie ausschließen, dass bei diesem Reaktor bis zum März kommenden Jahres keine Schnellabschaltungen mehr stattfinden? Können Sie auch ausschließen, dass, wenn es doch zu einer Schnellabschaltung kommt, diese Rissbildung, die möglicherweise doch vorhanden ist - Sie wissen es nach Ihren Bekundungen ja nicht -, zu einem wirklich problematischen Störfall in diesem Reaktor führt? Können Sie diese Ereignisse mit Sicherheit ausschließen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir reden von März - der ist in zwei Monaten - und nicht vom kommenden Jahr. Ich bin der Überzeugung, dass auf Grundlage der Erkenntnisse der Reaktor-Sicherheitskommission, des TÜV Süd und der aufsichtsführenden Behörden dieses Kernkraftwerk weiterlaufen wird. Um mögliche weitere Erkenntnisse zu gewinnen, werden wir die Revision im März sorgfältig durchführen und gegebenenfalls Teile austauschen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Kotting-Uhl. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, Sie haben eben zum einen ausgeführt, dass die erneuerbaren Energien ziemlich schnell wachsen, und Sie haben zum anderen noch einmal die Laufzeitverlängerung begründet; sie sei notwendig und gerechtfertigt. Vonseiten der Befürworter der Laufzeitverlängerung haben wir immer wieder das Argument gehört, Atomkraft und erneuerbare Energien passten gut zusammen, man könne Atomkraftwerke sehr gut im Lastfolgebetrieb fahren. Bisher wussten wir offiziell nicht, welche Atomkraftwerke tatsächlich im Lastfolgebetrieb gefahren werden. Wir haben heute im Umweltausschuss eher zufällig gehört, dass Grafenrheinfeld so gefahren wurde. Es gab schon immer und es gibt bei vielen Wissenschaftlern den Vorbehalt gegen diesen Lastfolgebetrieb. Sie sagen: Das führt zu schnellerer Versprödung, und schnellere Versprödung könnte zu Rissbildung führen. Wie weit gehen Sie den Fragen nach einem Zusammenhang zwischen gefahrenem Lastfolgebetrieb und dieser Rissbildung nach? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich kann die Frage nach einem Zusammenhang, gerade im Fall Grafenrheinfeld - darüber reden wir hier ja -, weder bejahen noch verneinen. Gleichwohl ist es richtig, dass ein Kernkraftwerk, das stark beansprucht ist, das hoch- und herunterfahren muss, ein hohes Maß an Sicherheit liefern muss. Wir werden dieser Frage - ich wiederhole mich - im März erneut nachgehen, nachdem eine Revision erfolgt ist, um sicherzustellen, dass dieses Kernkraftwerk weiter sicher betrieben werden kann. Sollten sich Teile als nicht mehr gebrauchsfähig erweisen, dann müssen und werden sie ausgetauscht werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun rufe ich die dringliche Frage 4 der Kollegin Kornelia Möller zum selben Sachverhalt auf: Wie kann es sein, dass ein Vorfall, der nach Meinung von Experten in der Abteilung für Reaktorsicherheit des BMU einen möglichen "Störfall der Stufe 3 - meldepflichtiger Störfall" zur Folge hätte bzw. als solcher kategorisiert worden wäre, von dem Betreiber Eon als ungefährlich eingestuft worden ist und erst sechs Monate nach dessen Bekanntwerden an das BMU gemeldet wurde? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich antworte auf diese Frage wie folgt: Der Betreiber hielt eine Meldepflicht für zunächst nicht gegeben, entschied sich aber nach der vertieften Diskussion des Ereignisses in der RSK im Dezember 2010, vorsorglich eine Ereignismeldung nachzureichen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin? Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, es ging gerade um einen neuen Sachverhalt, nämlich um die extreme Belastung für das Material mit der Gefahr einer bestehenden Versprödung. Mir ist nicht ganz eingängig, warum Sie den Vorfall nicht sofort prüfen. Es handelt sich zwar nur um zwei Monate, aber immerhin sind es zwei Monate, das heißt, es handelt sich um einen Zeitraum, der relevant sein kann. Warum wird nicht sofort abgeschaltet? Ich sage das gerade vor dem Hintergrund der Verantwortung - ich komme immer wieder auf das Thema Verantwortung zurück -, die die Bundesregierung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern hat; denn man merkt an Begriffen wie "ungewiss" und "unwahrscheinlich", dass sie eine Gefahr nicht wirklich ausschließen können. Daher meine Frage: Was bedeutet für Sie Verantwortung? Ist es ein verantwortliches Umgehen, zwei Monate abzuwarten? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Aufsichtsbehörde hat im Schriftwechsel und auch heute im Fachausschuss klargemacht, dass an der Betriebssicherheit des Kernkraftwerks keine Zweifel bestehen. Wir sind deshalb gemeinsam zu der Auffassung gekommen, dass es ausreicht, diesen Fragen im Rahmen der Revision im März nachzugehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Möller, bitte sehr. Kornelia Möller (DIE LINKE): Vielen Dank. - Ich habe noch eine kurze Frage. Nachdem ich immer "wir" höre, frage ich Sie persönlich: Wenn Sie bei einem Störfall, der nicht ausgeschlossen werden kann, persönlich haftbar wären, würden Sie dann sofort abschalten, oder würden Sie diese zwei Monate abwarten? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Frage nach der persönlichen Haftung ist wohl eher rhetorischer Natur. Sie können sich darauf verlassen, dass das Bundesumweltministerium als Bundesaufsicht alles tut, um den sicheren Betrieb von Kernkraftwerken zu gewährleisten, um in einem engen Austausch der Aufsichtspflicht nachzukommen, und mit den aufsichtsführenden Behörden darauf achtet, dass ein maximales Maß an Sicherheit gegeben ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Kotting-Uhl. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, Sie sagten eben, der Betreiber hielt die Meldepflicht für nicht angemessen. Es handelt sich um eine Unregelmäßigkeit im Primärkreislauf. Teilen Sie die Ansicht des Betreibers, dass hier die Meldepflicht nicht angemessen war? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir haben im Verlauf des Erkenntnisgewinns - - (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nicht im Verlauf des Erkenntnisgewinns!) - Entschuldigung, Sie möchten eine Antwort von mir, Frau Kotting-Uhl. Ich unterbreche Sie auch nicht bei der Fragestellung. Ich würde also gerne antworten, Frau Kollegin Kotting-Uhl. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Antwort!) Wir haben den Betreiber und auch die aufsichtsführende Behörde gebeten, die RSK damit zu beschäftigen, um Sicherheit beim Erkenntnisgewinn und auch bei einer Entscheidung über einen Weiterbetrieb zu erhalten. Wir haben dies in der Diskussion mit den Experten entschieden und sind deshalb zu dem Schluss gekommen, dass während der Revision im März 2011 die umfängliche Prüfung erfolgen kann. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe eine ganz einfache Frage gestellt!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, die Frau Staatssekretärin antwortet. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sie antwortet nicht!) Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe geantwortet. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dann kommen wir zur Nachfrage der Kollegin Menzner. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ausgeführt, dass es sich nach Einschätzung des Betreibers um eine freiwillige Mitteilung und keine Pflichtmitteilung handelte, dass der Vorfall also nicht unter die Mitteilungspflicht fiel. Das Bundesministerium hat es aber sehr wohl als notwendig erachtet, die Informationen, die Sie offensichtlich haben - so haben Sie es auch ausgeführt -, anderen Betreibern von AKWs zu übermitteln mit der Bitte, zu überprüfen, ob das für sie eventuell relevant wäre. Also scheinen Sie doch die Einschätzung zu haben, dass es sich um eine Störung von einer gewissen Sicherheitsrelevanz handelt mit der Möglichkeit, dass es auch in anderen Anlagen zu ähnlichen Vorfällen kommt. Ich füge an: Das ist doch gerade dann von Bedeutung, wenn wir von vermehrtem Lastfolgebetrieb und damit erhöhter Beanspruchung von Kühlsystemen reden. Was bedeutet dieser Zusammenhang für Sie, wenn es darum geht, wie Betreiber die Frage "Was ist meldepflichtig, und was melden wir freiwillig?" selbst einschätzen? Sind also die Kriterien dafür, was Betreiber zu melden haben, aus Ihrer Sicht ausreichend, oder muss da nachgearbeitet werden, wenn bei einem Ereignis, das Sie so einschätzen, dass Sie es an andere zur Kontrolle und Prüfung weitermelden, der Betreiber zu der Einschätzung kommt, dass es um eine freiwillige Meldung geht? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Im Rahmen der Befragung hier ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es in 2001 im Rahmen einer Revision einen Hinweis gegeben hat. Bayern hat heute noch einmal ausgeführt, dass aufgrund des Prüfbefundes ein tatsächliches Risswachstum nicht nachgewiesen werden konnte. Wir sagen: Es muss weiter überprüft werden. Für März wurde die Überprüfung angesetzt. Wir warten jetzt auf die Ergebnisse. Ich gehe davon aus, dass die Betreiber ihren Meldepflichten nachkommen. Sollte es Unregelmäßigkeiten geben, wird nachgesteuert. Ich kann das im vorliegenden Fall - über diesen sprechen wir - aber nicht erkennen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die dringlichen Fragen sind damit aufgerufen und beantwortet. Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen. Wir kommen dann zur Beantwortung der Fragen auf Drucksache 17/4406 in der üblichen Reihenfolge und beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Für die Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Helge Braun zur Verfügung. Zunächst rufe ich die Frage 1 des Kollegen René Röspel auf: Warum hat die Bundesregierung bei der Ausgestaltung des Gesundheitsforschungsprogramms darauf verzichtet, konkrete Forschungsansätze für Hilfsangebote insbesondere für chronisch Kranke zu entwickeln? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege Röspel, das Gesundheitsforschungsprogramm ist die strategische Grundausrichtung der Gesundheitsforschung der Bundesregierung für die nächsten Jahre. Deshalb gliedert es sich in verschiedene Aktionsfelder. Selbstverständlich ist der Bereich von Hilfsangeboten insbesondere für chronisch Kranke ein wichtiges Arbeitsfeld. Sie fragen hier, warum wir nicht konkrete Forschungsansätze im Gesundheitsforschungsprogramm thematisieren. Das liegt daran, dass dieser Bereich sicherlich im Wesentlichen unter das Aktionsfeld 4 - Versorgungsforschung - subsumiert werden kann. Unter dem Dach des Rahmenprogramms, das sich in Schwerpunkte aufteilt, werden konkrete Förderlinien ins Leben gerufen. Aktuell gibt es zum Beispiel die Fördermaßnahme "Versorgungsnahe Forschung", die sich sehr stark mit der langfristigen Wirksamkeit von Versorgungsleistungen beschäftigt. Das ist quasi eine Ebene unterhalb des Rahmenprogramms und damit an dieser Stelle nicht thematisiert. Aber dass wir auf dem Gebiet viel tun, mögen Sie daran sehen, dass wir gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung Bund, der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung insgesamt 11 Millionen Euro für diesen Bereich aufgewendet haben. Davon beträgt allein der Anteil des BMBF 7 Millionen Euro. Bereits im Mai dieses Jahres werden wir eine neue Förderrunde einleiten. Insofern ist dies sicherlich ein Ansatz, der auch im Rahmen der Gesundheitsforschung der Bundesregierung verfolgt wird; aber er ist zu konkret, als dass wir ihn im Gesundheitsforschungsprogramm neben all den vielfältigen Aktivitäten der Gesundheitsforschung in Deutschland so ansprechen könnten, wie Sie es sich vielleicht erhofft haben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte. René Röspel (SPD): Vielen Dank. - Ich stelle allerdings fest, dass der Bereich "Pflege- und Versorgungsforschung" nur einen ganz geringen Teil des Gesundheitsforschungsprogramms ausmacht, nämlich nicht einmal 2 Seiten von 50. Da finde ich keine Ansätze für konkrete Maßnahmen. Warum misst die Bundesregierung der Pflege- und Versorgungsforschung, die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und für ganz viele Menschen, die pflegend tätig sind oder gepflegt werden müssen, so wichtig ist, nur einen so geringen Stellenwert bei? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege Röspel, wenn bei Ihnen der Eindruck entstanden ist - Sie haben die Seiten, die sich mit diesem Thema befassen, gezählt -, dass für uns dieser Bereich nicht wichtig ist, dann muss ich Ihnen sagen, dass das nicht der Fall ist. Es ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben bereits im Jahr 2010 gemerkt, dass im Bereich der Versorgungsforschung die von uns durchgeführten Ausschreibungen überaus gut angenommen worden sind. Wir haben zahlreiche, qualitativ sehr hochwertige Anträge bekommen. Deshalb führen wir diesen Prozess fort und intensivieren ihn. Wenn Sie auf konkrete Maßnahmen abstellen, dann muss ich Ihnen klar sagen: Wir haben in der Vergangenheit vielleicht etwas konkreter die Forschungsmethodik benannt. Aber ein Wunsch aus der Wissenschaft war, dass Politik das tun sollte, was sie besonders gut kann, nämlich die gesellschaftlichen Herausforderungen zu definieren. Das haben wir im Gesundheitsforschungsprogramm für den Bereich der Versorgungsforschung sehr konkret getan. Diese Forschung ist einer der Schwerpunkte des Programms. Wir definieren aber nicht die Methoden im Einzelnen. Ich will Ihnen auch sagen, warum nicht. Das Gesundheitsforschungsprogramm soll für die Dauer von vielen Jahren Leitlinie sein. Wir wollen diejenige wissenschaftliche Methodik, die zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen am besten geeignet ist, fördern. Wenn wir im Gesundheitsforschungsprogramm einen stärker technologieorientierten Ansatz wählen würden, würden wir Gefahr laufen, dass eine neue Technologie oder eine noch nicht ausreichend erprobte Technologie aus dem Gesundheitsforschungsprogramm herausfallen würde. Das ist unter dem Stichwort "missionsorientierter Ansatz" zu verstehen. Diese strukturelle Veränderung ist auch in den großen Forschungsprogrammen anderer Wissenschaftsnationen heutzutage üblich. Insofern handelt es sich um eine Modernisierung, die aber nicht bedeutet - das sage ich ganz deutlich -, dass wir diesem Bereich in irgendeiner Weise eine geringere Priorität beimessen. Ganz im Gegenteil: Die Versorgungsforschung ist ein relevanter Teil und damit ein Schwerpunkt des Gesundheitsforschungsprogramms. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte. René Röspel (SPD): Mein Einwand, dass auf dieses Thema nur 2 von 50 Seiten entfallen, ist vielleicht etwas zu kurz gegriffen. Daher möchte ich Sie konkreter fragen: Wie hoch ist der Anteil der finanziellen Mittel am Gesundheitsforschungsprogramm, die auf die Versorgungs- und Pflegeforschung entfallen? Liegt dieser Anteil ebenfalls bei 1 zu 25? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Das unterliegt letzten Endes der Ausgestaltung der Förderlinien. Darüber wird jährlich entschieden. Wir haben im vergangenen Jahr 20 Millionen Euro für den Bereich der Versorgungsforschung in dem entsprechenden Programm aufgewendet. Wir werden im kommenden Jahr im Zuge des Aufwuchses der Mittel für den Gesundheitsbereich mehr Geld im Haushalt dafür zur Verfügung stellen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Röspel: Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung im Nachgang zur Vorstellung des Gesundheitsforschungsprogramms, um die Defizite bei den strukturellen Voraussetzungen für die klinische Forschung in Deutschland abzumildern? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege, ich danke Ihnen für diese Frage, weil sie ein Thema anspricht, das auch aus unserer Sicht eine große Bedeutung hat. Die klinische Forschung ist diejenige Forschung in Deutschland, die dazu beiträgt, dass die vielen Erkenntnisse, die in der Grundlagenforschung gewonnen werden, letztlich dem Menschen zugutekommen. Deshalb ist die klinische Forschung für uns außerordentlich wichtig. Der Wissenschaftsrat hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder bemängelt, dass die klinische Forschung in Deutschland nicht den Stellenwert hat, den sie haben sollte. Darauf hat die Bundesregierung in vielfältiger Weise reagiert. So haben wir zum Beispiel rund 200 Millionen Euro für die Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren aufgewandt, die ihre Arbeit in den Jahren 2008 bis 2010 begonnen haben. Im Jahr 2011 beginnt die zweite Förderphase der Initiative "Klinische Studienzentren". Wir haben fünf solcher Zentren. Darüber hinaus haben wir für Mai geplant, eine Zwischenbilanz des gemeinsamen Förderprogramms "Klinische Studien" von DFG und unserem Hause zu ziehen. Wir unterstützen auch die Beteiligung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an europäischen Initiativen wie zum Beispiel einem Netzwerk von klinischen wissenschaftlichen Infrastrukturen auf europäischer Ebene. Damit das gut funktioniert, werden wir in den Jahren 2011 bis 2014 den Aufbau eines entsprechenden Büros vorantreiben. Wir wollen die Wissenschaftler mit insgesamt 2 Millionen Euro unterstützen, damit sie sich im europäischen Kontext besser an den klinischen Studien beteiligen können. Ich will zum Schluss auf Folgendes hinweisen: Man kennt zwar nicht genau die Anzahl der klinischen Studien in Gänze. Aber wir kennen die Zahl der klinischen Prüfungen von Arzneimitteln sehr präzise. Da finden im europäischen Vergleich inzwischen in Deutschland in absoluten Zahlen die allermeisten statt. Insofern kann man davon ausgehen, dass Deutschland heute ein Standort für klinische Studien ist - mit außerordentlich großer Expertise. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre Nachfrage. René Röspel (SPD): Welche Maßnahme wird die Bundesregierung in diesem Jahr konkret durchführen, um den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich der medizinischen und insbesondere klinischen Forschung stärker zu fördern? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege, zum einen haben wir im Rahmen des Gesundheitsforschungsprogramms einen zusätzlichen Schwerpunkt auf Nachwuchsforschergruppen gelegt. Bei den Ausschreibungen wollen wir darauf achten, dass in Zukunft die Fördergelder im Rahmen des Gesundheitsforschungsprogramms insbesondere auch jungen und innovativen Forschergruppen zuteilwerden. Ich glaube, da setzen wir ein sehr deutliches Signal. Darüber hinaus werden wir dann ab Mai nach den Erfahrungen aus dem Programm, das wir gemeinsam mit der DFG im Bereich der klinischen Studien machen, über eine Fortsetzung reden und auf die Frage Antwort geben, was wir in der ersten Förderrunde für Erfahrungen gesammelt haben. Insgesamt steigt die Aufwendung des BMBF für den Bereich der Förderung von Nachwuchswissenschaftlern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Michael Gerdes werden schriftlich beantwortet. Damit rufe ich die Frage 5 der Kollegin Marianne Schieder auf: Welche Auswirkungen der beschlossenen Haushaltskürzungen auf die Fördertätigkeit für die Begabtenförderwerke im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für das laufende Jahr sind der Bundesregierung bereits bekannt bzw. erwartet die Bundesregierung? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrte Frau Kollegin Schieder, durch einen Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses vom 11. November - das ist die Drucksache 17/(8)2769 - konnten die verfügbaren Mittel für die Begabtenförderung im Jahr 2011 noch einmal um 33 Millionen Euro erhöht werden. Deshalb sind keine negativen Auswirkungen für die Begabtenförderungswerke in diesem Jahr zu erwarten. Ganz im Gegenteil: Zum Sommersemester startet die Erhöhung des Büchergelds von 80 auf 150 Euro. Darüber hinaus erhalten die Studierenden der Begabtenförderwerke analog zur Erhöhung des BAföG auch entsprechend höhere Fördersätze in der Grundfinanzierung. Mit dem jetzt im Haushalt zur Verfügung stehenden Betrag einschließlich der Summe des Maßgabebeschlusses wird es auch möglich sein, finanziell die von uns gewünschte Quote, einem Prozent der Studierenden eine Förderung durch die Begabtenförderwerke möglich zu machen, zu erreichen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Nein. Dann kommen wir zur Frage 6 der Kollegin Marianne Schieder: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um mit dem Bologna-Mobilitätspaket in diesem und den folgenden Jahren deutlich mehr als die bisher rund 1 600 Studierenden zu erreichen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Liebe Frau Kollegin Schieder, den Hauptteil an dem Bologna-Mobilitätspaket hatte der DAAD mit dem Vorhaben "Bologna macht mobil". Zwei wichtige und stark aufwachsende Programme - darunter sind das Doppeldiplom und Bachelor Plus - zielen auf die Schaffung von nachhaltig mobilitätsfördernden Strukturen an den einzelnen Hochschulen ab und nicht auf die Förderung einzelner Studierender. Auf die direkte Mobilitätsförderung dagegen zielen vor allem die Programme ISAP, die integrierten Studien-und Ausbildungspartnerschaften im Rahmen von Hochschulkooperationen, sowie RISE, das sich um die Forschungspraktika im Ausland bemüht, ab. Außerdem wird unter dem Stichwort "Bologna macht mobil" eine stark erweiterte Informationskampagne für das Auslandsstudium gefördert, die den Titel "go out!" trägt. Die Erkenntnisse daraus werden erst in den nächsten Jahren sichtbar. Zur Mobilität von Studierenden trägt natürlich auch das Auslands-BAföG und das Internationalisierungs-Audit der Hochschulrektorenkonferenz bei. Sie sprechen hier von 1 600 Geförderten. Nach den ersten Schätzungen ist es so, dass 2010 wahrscheinlich sogar 1 900 Personen gefördert werden konnten. Wir gehen davon aus, dass in den Folgejahren die Zahlen noch steigen werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Nachfrage zu diesem Thema hat der Kollege Schummer. Uwe Schummer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, gibt es auch eine Entwicklung der Zahlen der Studenten, die durch Auslands-BAföG in den letzten drei Jahren gefördert wurden? Welche Prognose haben Sie für die nächsten drei Jahre? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege, wir haben im letzten Jahr den 18. BAföG-Bericht bekommen, in dem sich gezeigt hat, dass die Verbesserungen der Rahmenbedingungen für das Auslands-BAföG auch dazu geführt haben, dass viel mehr deutsche Studierende im BAföG-Bezug ins Ausland gehen. Während es im Jahr 2005 noch 21 000 waren, waren es zum Abschluss des BAföG-Berichts schon 28 000. Das bedeutet eine Zunahme um 32 Prozent, was ich für eine erstaunlich hohe Zahl halte. Offenkundig ist es für die Studierenden besonders attraktiv, einen Auslandsaufenthalt im deutschsprachigen Raum, also in Österreich oder in der Schweiz, anzugehen; diese beiden Länder waren Spitzenreiter beim Zuwachs mit über 140 Prozent. Ich denke, dass das BAföG auch in den kommenden Jahren einen Beitrag leisten wird, mehr Studierenden - gerade denjenigen, die aus weniger guten Verhältnissen kommen, was die Einkommen der Eltern angeht - einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Das ist insgesamt eine sehr erfreuliche Entwicklung. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Swen Schulz auf: Durch welche Maßnahmen stellt die Bundesregierung sicher, dass möglichst viele Hochschulen am vom Bund unterstützten dialogorientierten Serviceverfahren in der Hochschulzulassung teilnehmen, das zum Wintersemester 2011/ 2012 starten soll? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege Schulz, die Genese dieses dialog-orientierten Serviceverfahrens war durch die Notwendigkeit begründet, eine Nachfolge für die zentrale Studienplatzvergabe zu finden. Zum damaligen Zeitpunkt hat der Haushaltsausschuss die Bereitschaft des Bundes, die Entstehung dieses Projekts, also die Software und die Bereitstellung der Infrastrukturen, mit 15 Millionen Euro zu fördern, daran geknüpft, dass die Hochschulen und die Länder natürlich auch bereit sein müssen, dieses Verfahren im täglichen Betrieb zu nutzen. Die Länder haben dies in der KMK stets erklärt, und auch die Hochschulrektorenkonferenz hat in einer Umfrage unter ihren Mitgliedern bestätigt, dass ein Großteil der Hochschulen ein Interesse daran hat. Nach einer Versammlung wurde berichtet, dass 92 Prozent der Hochschulen bereit seien, daran teilzuhaben. Wenn Sie sagen, Sie hätten Bedenken, dass sich dies in der Vergangenheit verändert haben könnte, so weise ich darauf hin, dass zuletzt am 9. Dezember eine Konferenz der Präsidien der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz stattgefunden hat, auf der noch einmal bestätigt wurde, dass dieses Projekt in der Breite umgesetzt werden soll. Insofern sehen wir uns an dieser Stelle auf der sicheren Seite und sind davon überzeugt, dass die Hochschulen das neue Verfahren annehmen werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage dazu? - Bitte. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind uns einig, dass es wichtig ist, dass möglichst viele Hochschulen daran teilnehmen, weil sonst die Funktionsfähigkeit des Serviceverfahrens gefährdet wäre. Da Sie gerade gesagt haben, dass Sie sich auf der sicheren Seite fühlen, weil die große Mehrheit der Hochschulen teilnehmen wird, frage ich Sie: Können Sie eine Erwartungshaltung formulieren, wie viel Prozent der Hochschulen tatsächlich teilnehmen werden und welche Beteiligung notwendig ist, damit wir von einem funktionsfähigen Verfahren sprechen können? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Abgeordneter Schulz, die Ermittlung einer Mindestzahl von Hochschulen, die für ein solches Verfahren unerlässlich ist, haben wir gar nicht erst angestrengt. Die Tatsache, dass sich 92 Prozent bereit erklären, teilzunehmen, macht aus unserer Sicht ein so verhaltenes Vorgehen wie die Abschätzung einer Mindestzahl gar nicht erforderlich. Wichtig ist, dass Sie und wir alle gemeinsam uns auf das verlassen, was die Länder und die Hochschulen gesagt haben. Im Hinblick auf die Bedeutung kann ich nur noch einmal unterstreichen, dass im Augenblick - "alternativlos" darf man ja nicht mehr sagen - kein anderes konkurrierendes oder ergänzendes Verfahren angedacht ist, mit dem es möglich sein könnte, dafür zu sorgen, dass in den zulassungsbeschränkten Studiengängen alle Studierenden möglichst schnell zu Semesterbeginn auch einen Studienplatz zugewiesen bekommen. Insofern halten wir die Beteiligung aller Hochschulen für wünschenswert. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Swen Schulz (Spandau) (SPD): Ja, gerne. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Herr Staatssekretär, vielen Dank. Sie haben also keine Bedenken und glauben, dass das funktionieren wird, und die Bundesregierung wird hier keine Maßnahmen ergreifen. Haben Sie aber darüber hinaus die Sicherheit, dass die Teilnahme an dem Verfahren für die am Studium Interessierten gebührenfrei sein wird, wie es ursprünglich von Bundesseite - auch vom Haushaltsausschuss - gefordert war? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Wir haben in der KMK über die Frage der Betriebskosten gesprochen. Dort wurde vonseiten der Länder versichert, dass die Finanzierung des Betriebs auf Ebene der Länder sichergestellt wird. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Swen Schulz: Wieso liegen die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zugesagten Erfahrungen und Ergebnisse der Studienplatzbörse, die als Zwischenlösung bis zur Einführung des neuen Serviceverfahrens dient, für das Wintersemester 2010/ 2011 immer noch nicht vor? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege Schulz, die entsprechenden Erfahrungen werden in den Ländern zusammengetragen. Die Kultusministerkonferenz legt den entsprechenden Bericht, den Sie sehnlich erwarten, vor und leitet ihn an die Bundesregierung weiter. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt uns der Bericht vonseiten der Kultusministerkonferenz noch nicht vor. Sobald er der Bundesregierung vorliegt, werden wir ihn selbstverständlich unverzüglich dem Parlament zur Verfügung stellen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Keine Nachfrage? - Doch. Bitte. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, vielen Dank. Wir erwarten, dass der Bericht möglichst zügig übermittelt wird. Gibt es irgendeine Ansage bzw. Zeitplanung der KMK, wann der Bericht übermittelt wird? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Nein, uns liegen dazu keine Aussagen der KMK vor. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung nach einem weiteren Ausbau des Angebots an Ganztagsschulen zur besseren individuellen Förderung der Kinder und Jugendlichen sowie besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege Rossmann, der Ausbau des Angebots an Ganztagsschulen findet in Deutschland in der Breite statt. Er wird in der Verantwortung der Länder durchgeführt. Die Länder entscheiden, häufig gemeinsam mit den Kommunen, wo und in welchem Umfang ein weiterer Ausbau des Ganztagsschulangebots sinnvoll ist. Eine Beteiligung des Bundes etwa in Form eines neuen Ganztagsschulprogramms, wie es das schon einmal gegeben hat, ist nicht möglich, weil eine Beteiligung des Bundes an einem solchen Investitionsprogramm nach den Föderalismusreformen I und II, die nach dem letzten Ganztagsschulprogramm durchgeführt wurden, ausgeschlossen ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zur Nachfrage, Herr Kollege Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Staatssekretär, Ihrer euphorischen Unterstützung des Gedankens der Ganztagsschulen kann ich entnehmen, dass Sie auf Bundesebene dem Anliegen nicht fernstehen. Ich will Sie deshalb mit dem konfrontieren, was zwei gut beleumdete Kollegen aus Schleswig-Holstein, der Vorsitzende der dortigen CDU-Fraktion, Herr von Boetticher, und der Vorsitzende der dortigen FDP-Fraktion, Herr Kubicki, dringend vom Bund einfordern. Sie sagen: Ohne dass der Bund dabei mit in die Verantwortung tritt, kann man das große gemeinsame Ziel nicht erreichen. - Meine Frage ist, ob auch Sie diesem Gedanken nahetreten können, zumal Sie aus dem hohen Norden kommen. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege, ohne eine Veränderung der verfassungsrechtlichen Grundlagen ist dem Ansinnen nicht Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung plant eine solche Verfassungsänderung im Augenblick nicht. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Sie haben eben für die Bundesregierung gesprochen. Darf ich an der Stelle fragen, ob Sie damit auch für Ihre Ministerin gesprochen haben? Wir erinnern uns schwach, dass es von der zuständigen Bundesministerin durchaus Äußerungen gibt, dass sie sich eine Fortsetzung wünschen würde und sie sich dafür einsetzen möchte. Ich will die Frage ergänzen - die Beantwortung der ersten Frage könnte ja kompliziert für Sie werden -: Können Sie sagen, ob Sie Ihre euphorische Unterstützung des Ganztagsschulprogramms durch begleitende Unterstützung wie zum Beispiel Begleitforschung untermauern wollen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege, wir haben das Ganztagsschulprogramm, das jetzt abgeschlossen ist, einer wissenschaftlichen Evaluierung unterzogen. Wir werden den Ausbau der Ganztagsschulen, der an anderer Stelle stattfindet, dadurch unterstützen, dass wir die Ergebnisse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Ich denke, ich kann Ihnen bestätigen, dass es eine Diskussion um das Kooperationsverbot gibt und es aus bildungspolitischer Sicht immer wieder Gründe gibt, daran zu zweifeln, dass das Kooperationsverbot uneingeschränkt nützlich ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Dr. Rossmann: Wie bewertet die Bundesregierung die Forderungen nach einem Ausbau der Jugend- und Schulsozialarbeit zur besseren Verwirklichung des Rechts auf Bildungsteilhabe und soziokulturelle Teilhabe von bedürftigen Kindern? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege Rossmann, auch hier gilt: Das Schulwesen liegt in der Zuständigkeit der Länder. Die Umsetzung von Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe liegt in der Verantwortung der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften. Da Schulsozialarbeit ein integraler Bestandteil des Alltagslebens in der Schule und damit auch des Schulwesens ist, ist der Ausbau der Schulsozialarbeit folglich eine Aufgabe, die im Kontext des schulischen Bildungsauftrags von den Ländern wahrgenommen wird. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre Zusatzfrage, bitte. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Staatssekretär, könnten Sie jenseits dieser Einschätzung sagen, ob Sie damit ausschließen, dass es bundesgesetzliche Rechtsgrundlagen gibt, die dem Bund Zuständigkeiten zuweisen und es ihm ermöglichen, in dem offenen Feld, das von Schulsozialarbeit bis Bildungslotsen reicht - dieser Begriff ist auch von der Regierung in der aktuellen Diskussion genannt worden -, zu fördern? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Dazu hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung keine Rechtsprüfung angestellt. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Halten Sie es für vorstellbar, dass Sie bei oberflächlicher Kenntnis des Kinder- und Jugendhilferechts und des Arbeitsförderungsgesetzes - SGB III -, um zwei Rechtsgrundlagen zu nennen, zu dieser Einschätzung kommen könnten? Oder glauben Sie, dass im Vermittlungsverfahren aktuell nur über Stroh geredet wird? Das ist doch ein konkretes Thema, das im Vermittlungsverfahren auch von der Bundesregierung traktiert wird. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die Bundesregierung hat zu all den von Ihnen genannten Normen vertiefte Kenntnisse. Eine Antwort auf die Frage, welche Möglichkeiten und Spielräume der Vermittlungsausschuss hat, um die verschiedenen von Ihnen angesprochenen Initiativen in die Tat umzusetzen, sollten wir aus Respekt vor diesem Verfassungsgremium dem Vermittlungsausschuss überlassen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 11 der Kollegin Daniela Kolbe: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie viele Studierende durch die Kürzungen der Semesterstipendien sowie der Stipendien für Abschlussarbeiten, Praktika, Fachkurse, Sprachkurse und Studienreisen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, DAAD, im Jahr 2011 weniger gefördert werden als im Vorjahr, und, wenn ja, wie viele sind das? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrte Frau Kollegin Kolbe, die Bundesregierung hat dem DAAD auch für das Jahr 2011 eine finanzielle Förderung in der Höhe zugestanden, die für ihn in der mittelfristigen Finanzplanung, die übrigens noch Peer Steinbrück als Finanzminister aufgestellt hat, vorgesehen ist. Insofern kann man nicht von einer Kürzung sprechen. Wahr ist, dass wir seit dem Jahr 2005 Jahr für Jahr einen massiven Aufwuchs beim DAAD hatten. Diesen Aufwuchs wollen wir verstetigen. Im Jahr 2010 hatten wir eine zusätzliche Summe eingestellt, die in der mittelfristigen Finanzplanung aber nicht verstetigt worden ist. Insofern war eigentlich von Anfang an klar, dass hier keine Kürzung vorgenommen wurde, wie Sie unterstellen, sondern eine Umsetzung dessen, was die Bundesregierung in der mittelfristigen Finanzplanung geplant hat. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Braun, mir ging es bei der Frage insbesondere um ein Angebot des DAAD, das meiner Kenntnis nach mittlerweile vollkommen eingestellt worden ist, nämlich die einsemestrigen und kurzfristigen Stipendien, die bisher üblich waren. Dadurch war es möglich, dass Stipendiatinnen und Stipendiaten für ein Semester auch ins fernere Ausland reisen konnten. Für mich mutet ein solcher Schritt angesichts der Reform in Richtung Bachelor und Master ein wenig anachronistisch an. Schließlich empfehlen alle Dozentinnen und Dozenten ihren Studierenden, das fünfte Semester im Ausland zu verbringen. Vielleicht können Sie mir diesen Schritt einmal erklären. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Kollegin, mit den strukturellen Veränderungen, die der DAAD in letzter Zeit vorgenommen hat, hat er sich zum Teil von der Förderung einzelner Studierender wegbewegt und stattdessen Hochschulen ertüchtigt bzw. dabei unterstützt, selbst strukturierte Auslandsprogramme aufzulegen. Der DAAD kann sicherlich nicht die alleinige Förderinstitution sein, wenn es darum geht, die Mobilität von Studierenden zu fördern. Deshalb hat es eine Umstrukturierung bei den Programmen des DAAD gegeben. Diese ist aber nicht aufgrund der Finanzlage erfolgt, sondern aufgrund sachlicher Erwägungen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Ja. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Sie müssen mir vielleicht einmal erklären, wieso gerade diese kurzfristigen Stipendien gekürzt worden sind. Wenn strukturelle Überlegungen dahinterstecken, dann möchte ich die Nachfrage stellen, wie lange diese strukturellen Überlegungen gediehen sind; denn die Streichung der kurzfristigen und einsemestrigen Stipendien hat die Universitäten und die betroffenen Studierenden extrem kurzfristig erreicht. Die Studierenden wurden dadurch sehr kurzfristig vor die Wahl gestellt, entweder für zwei Semester ins Ausland zu gehen, was ihnen aufgrund ihrer Lebensplanung mitunter schwerfällt, oder ganz auf ein solches Stipendium zu verzichten. Was steckt dahinter, dass der DAAD diese Umstrukturierung so kurzfristig vorgenommen hat? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die Frage nach der Kurzfristigkeit der Umstrukturierung seitens des DAAD kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich würde vorschlagen, dass Sie im Rahmen des Ausschusses oder der Arbeitsgruppe einmal das direkte Gespräch mit den Verantwortlichen des DAAD suchen, um sich mit ihnen über diese Frage auszutauschen. Die Förderbilanzen für das Jahr 2010 liegen uns zwar noch nicht vollumfänglich vor, ich denke aber, dass es von der Struktur her insgesamt sinnvoll ist, gerade die kurzfristigeren Stipendien stärker an den Hochschulen zu verankern und die aufwendigeren Programme in die Verantwortung des DAAD zu legen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Dr. Feist. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wie sich die Zahl derjenigen Personen, die vom DAAD gefördert werden, verändert hat, seitdem Annette Schavan Bildungsministerin ist? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege, die Förderung des DAAD - ich habe das eingangs erwähnt - ist seit 2005 kontinuierlich ausgebaut worden. So standen im Jahre 2005 64 Millionen Euro zur Verfügung, im Jahre 2010 75 Millionen Euro. Dadurch hat sich auch die Zahl derer, die gefördert werden, dramatisch erhöht. So waren es im Jahr 2005 ungefähr 15 000 Studierende, im Jahr 2009 waren es etwa 17 000 Studierende. Zum Jahr 2010 liegen uns noch keine Zahlen vor; sie sind aber mit Sicherheit weiter gestiegen. Auf einem Niveau über dem des Jahres 2009 können wir sicherlich auch die Zahl der im Jahr 2011 Geförderten verstetigen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Daniela Kolbe: Wie bewertet die Bundesregierung die infolge der Haushaltskürzungen im Einzelplan 30 verringerte Fördertätigkeit des DAAD, und welche Planungen liegen seitens der Bundesregierung vor, um diesen Rückgang in der internationalen Mobilität der Studierenden zu kompensieren? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Haben wir darüber nicht gerade gesprochen? Die Fragen 11 und 12 habe ich eigentlich im Zusammenhang beantwortet, wenn Ihnen das recht ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wenn Sie noch Nachfragen haben, Frau Kollegin, dann haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, eine weitere Nachfrage zu stellen. Den Grund für die Umstrukturierung seitens des DAAD habe ich verstanden. Die Universitäten sollen sozusagen befähigt werden, die Mobilität der Studierenden zu fördern. Es gibt dabei aber ein Problem: Die Studierenden sind durch den Wegfall der Kurzzeitstipendien vonseiten des DAAD auf die Kooperationen der jeweiligen Universitäten angewiesen, zumindest dann, wenn sie nicht das dicke Geld haben. Unter anderem hat der DAAD Semestergebühren für den Besuch von Universitäten in nicht geringer Höhe übernommen. Wenn eine Studierende oder ein Studierender jetzt eine Universität auswählt, die keine Kooperation mit der eigenen Universität pflegt, bleibt ihr bzw. ihm ein Wechsel verwehrt. Sehen Sie hier Änderungs- oder Nachbesserungsbedarf, oder sollte es aus Ihrer Sicht dabei bleiben? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Will man die Auslandsmobilität fördern, muss man insbesondere diejenigen, die im Studium hervorragende Leistungen erbringen, unterstützen. Mit dem Deutschlandstipendium ist gerade für begabte Studierende ein neues Instrument geschaffen worden, um ihre finanzielle Situation zu verbessern und ihnen zusätzliche Möglichkeiten zu geben, Auslandsaufenthalte zu finanzieren. Ansonsten ist die nun gewählte Struktur der Programme des DAAD aus meiner Sicht sinnvoll und nachvollziehbar und aus Sicht der Bundesregierung nicht kritikwürdig. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Dr. Feist, bitte. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, könnte man eine verstärkte Kooperation zwischen Studierenden und Hochschulen nicht auch als Vorteil und Chance für beide Seiten begreifen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Selbstverständlich ist der Gedanke, für eine stärkere Vernetzung der Hochschulen zu sorgen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, an dieser Stelle sehr wichtig. Studierende brauchen nicht allein die Expertise des DAAD. Vielmehr bietet auch die Kooperation zwischen Hochschulen zusätzlich zur Chance auf einen Auslandsaufenthalt weitere Vorteile, zum Beispiel bei der wissenschaftlichen Zusammenarbeit oder bei dem Bemühen, Wissenschaftler und Studierende mit guter Expertise nach Deutschland zu holen und in unser Hochschulsystem zu integrieren. Ich glaube, ein solcher hochschulzentrierter Ansatz ist grundsätzlich sehr zu begrüßen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Dr. Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben absolute Zahlen genannt. Werden absolute Zahlen erwähnt, muss man immer nach der Relation fragen. Garantieren Sie vor dem Hintergrund Ihrer Finanzplanung für den DAAD, dass Sie in Zukunft bei deutlich zunehmenden Studierendenzahlen mindestens den gleichen Prozentsatz an Förderfällen erreichen wie bisher? Was die Zahl der vom DAAD geförderten Personen betrifft, sprachen Sie für den Zeitraum zwischen 2005 und 2009 von einem Aufwuchs von 15 000 auf 17 000 Studierende. Auch diese Zahlen sind natürlich zu relativieren, wenn man sich die Studierendenzahlen insgesamt vor Augen hält. Da wir in Zukunft nicht mit einer Erhöhung der absoluten Zahlen, sondern mit einer Verbesserung der Relation argumentieren wollen, frage ich Sie: Wie sehen angesichts Ihrer Finanzplanung Ihre Ziele, Ihre Garantien und Ihre Projektionen für die Zukunft aus? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege Rossmann, am Ende ist es die Entscheidung des Parlaments; denn der Haushalt wird hier aufgestellt. Wir wollen eine Verstetigung, wir wollen auch einen Aufwuchs. Ob ein Aufwuchs in der von Ihnen skizzierten Höhe möglich sein wird, hängt letzten Endes von der politischen Prioritätensetzung ab, und weil das das Haushaltsrecht angeht, obliegt das in letzter Instanz dem Parlament. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Willi Brase: Wie sollen die von der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, am 27. Dezember 2010 in einem Interview mit der Zeitschrift Focus ("Wohlstand macht bequem") angekündigten "Bürgerdialoge" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, finanziert werden, und welche Kosten erwartet die Bundesregierung für die Umsetzung des diesbezüglichen Gesamtkonzepts des BMBF (Bürgerdialoge, Internetangebot, Bürgerreport usw.)? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege Brase, die Bürgerdialoge sind für uns ein wichtiges Instrument, das in diesem Jahr startet. Wir wollen mit den Bürgerinnen und Bürgern ein intensives Gespräch über moderne Hoch- und Spitzentechnologie führen und ihnen, indem wir ihnen die wissenschaftliche Expertise der Experten in Deutschland direkt zugänglich machen, die Möglichkeit geben, die Chancen, aber auch die Risiken dieses Innovationsmotors für die Fortentwicklung Deutschlands abzuwägen, damit die Nutzung von Hoch- und Schlüsseltechnologien in Zukunft im gesellschaftlichen Konsens erfolgen kann. Deshalb wendet das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Zukunft 2 Millionen Euro pro Jahr für diese Bürgerdialoge auf. Sie finden sie im Haushalt unter dem Kapitel 3003 Titel 541 01. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage dazu? - Bitte sehr. Willi Brase (SPD): Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Braun. - Wenn ich das alles richtig mitbekommen habe, wollen Sie stärker auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen, wollen Sie die Meinung der Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis nehmen. Ich erlebe gleichzeitig in der Presse, dass die Spitze des Hauses - also die Ministerin und auch Sie als Staatssekretär - sehr viel unterwegs ist, vielfach mit Förderbescheiden; es gibt also schon einen Dialog mit den Menschen vor Ort. Mir ist nicht ganz ersichtlich, wie man das da einbauen kann. Ist der Besuch der Ministerin jetzt nicht mehr so wichtig? Oder sind diese Besuche kein Bürgerdialog, weil beim Bürgerdialog eben nicht gleich Geld in Form eines Förderbescheides verteilt wird? Wie kann man das miteinander in Verbindung bringen? Ich wäre dankbar, wenn Sie mir das noch erklären könnten. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich glaube, dass das, was Sie beschreiben, etwas anderes ist als das, was der Bürgerdialog bedeutet. Mit Wissenschaftlern darüber zu reden, welche Forschungsprojekte wir für die Zukunft initiieren, was wir finanziell unterstützen, ist eine andere Form des Dialogs als der mit der Breite der Gesellschaft und zwischen den Bürgern. Es geht also nicht darum, einen Dialog zwischen Politik und Wissenschaft, sondern einen Dialog im Dreiecksverhältnis zwischen Bürgern, Politik und Wissenschaft zu organisieren. Dabei wollen wir nicht darauf warten, bis die Bürger zu uns kommen und uns Fragen stellen, sondern auf die Bürger zugehen, um mit ihnen über die Zukunftstechnologien zu reden. Technologiedialoge gibt es ja an vielen Stellen. Wir fangen jetzt mit dem Dialog über Gesundheitstechnologien aus Anlass des Jahres der Gesundheitsforschung an. Da gibt es zahlreiche Fragen und unglaublich viele Sorgen: Ich nenne die Segnungen der modernen Medizin auf der einen Seite und die Sorge bezüglich Entpersonalisierung, Entfremdung und der vermeintlichen Apparatemedizin auf der anderen Seite. Um darüber zu reden, brauchen wir ein spezielles Veranstaltungsformat. Bei den Bürgerdialogen werden wir die Bürger zunächst über eine Onlineplattform dazu ermutigen, alle Fragen, die sie zu den jeweiligen Schlüsseltechnologien haben, an uns zu richten. Daraufhin kümmern wir uns darum, dass sie adäquate Antworten von den besten Wissenschaftlern auf dem jeweiligen Gebiet bekommen. Dabei kristallisieren sich dann öffentlich interessante Fragestellungen heraus. In konkreten Veranstaltungen, bei denen Wissenschaft, Politik und Bürger an einem Tisch sitzen, sollen vor einem sehr fundierten Hintergrund Antworten auf die wirklich drängenden Fragen der Gesellschaft gefunden werden. Das halte ich für außerordentlich vielversprechend und für eine gute Ergänzung der Veranstaltungsformate, die von der Bundesregierung heute schon genutzt werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage? Willi Brase (SPD): Ich habe nur noch eine kleine Nachfrage: Kann es sein, dass die Auseinandersetzungen um das Projekt Stuttgart 21 im Ministerium in gewisser Weise die Gedanken beflügelt haben bzw. Pate für die Idee standen, auf einem anderen Weg für eine bessere Kommunikation bei der Weiterentwicklung von Spitzentechnologien oder auch bei der Durchsetzung von bestimmten industriepolitischen Projekten in Deutschland zu sorgen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Brase, die Diskussion um Schlüsseltechnologien und um die Chancen und Risiken ist älter als die aktuelle Diskussion um Stuttgart 21, wahrscheinlich sogar älter als der Planungsprozess von Stutt-gart 21. Insofern ist dieser direkte Bezug zu verneinen. Das Bemühen, das gesellschaftliche Phänomen, dass ein Dialog über wichtige Zukunftsfragen stattfindet, aufzugreifen, steckt aber sozusagen sowohl hinter den Bürgerdialogen als auch den anderen Dialogformen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Zusatzfrage hat der Kollege Dr. Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben eben die Zahl 2 Millionen Euro genannt. Meine Frage geht dahin, wie Sie sicherstellen und ausdrücklich garantieren, dass Sie nicht durch schlechtes Management dieses Bürgerdialogs ein ähnliches Fiasko erleben wie bei dem ersten Bürgerdialog, bei dem ein Wissenschaftszug mit einem Gesamtinvestitionsaufwand von 9 Millionen Euro durch Deutschland geschickt worden ist, wobei alleine beim BMBF Parkgebühren von 240 000 Euro aufgelaufen sind. Ein Desaster droht ja immer da, wo man große Ideen hat, deren Umsetzung durch die Administration eines Hauses in der Praxis aber nicht wirklich kontrolliert wird. Ihr Haus ist ja leider in dem Ruf, solche Flops zu produzieren. Deshalb lautet die ganz konkrete Frage: Durch welche Maßgaben Ihrer Verwaltung stellen Sie sicher, dass nicht auch noch dieser Bürgerdialog den Weg ins sogenannte Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler findet? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Kollege, zunächst einmal zum Wissenschaftszug: Ich teile Ihre Bewertung überhaupt nicht. Der Wissenschaftszug war ein unglaublicher Besuchermagnet. Wir haben eine hohe Anzahl von Besuchern in den unterschiedlichsten Städten gehabt. Wir haben mit diesem wirklich sehr außergewöhnlichen Projekt viele Menschen direkt erreichen und für Forschung und Wissenschaft auch auf einem Niveau begeistern können - wenn Sie selber ihn einmal besucht haben, dann werden Sie das bestätigen -, das seinesgleichen sucht. Auch in der Zukunft werden die Exponate des Wissenschaftszuges in der Wissenschaftskommunikation sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Insofern ist das alles an dieser Stelle noch nicht zu Ende. Hinsichtlich des Vorliegenden habe ich Ihnen deutlich gemacht, dass eine aufwendige Infrastruktur nicht erforderlich ist: Infrastrukturmaßnahmen sind nur im Onlinebereich notwendig, ansonsten handelt es sich um konkrete Veranstaltungsformate. Das Entscheidende ist, dass die Bürgerinnen und Bürger das Dialogangebot wahrnehmen. Angesichts der drängenden Probleme unserer Gesellschaft, die wir ansprechen, und angesichts der Expertisen, die wir auf der wissenschaftlichen Seite dafür anbieten, bin ich mir ganz sicher, dass die Menschen diesen Bürgerdialog sehr positiv annehmen werden. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Willi Brase: Durch welche Maßnahmen stellt die Bundesregierung sicher, dass die Ergebnisse der "Bürgerdialoge" auch in die Arbeit des BMBF einfließen und Auswirkungen auf die Fördertätigkeit oder Prioritätensetzung haben? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege, das Ergebnis der Bürgerdialoge muss natürlich Eingang in das finden, was wir politisch im weiteren Kontext tun. Wir müssen das bewerten und daraus auch Schlüsse ziehen. Das muss nicht nur die Politik, sondern das müssen die Bürger insgesamt tun. Deshalb werden wir parallel zu den Initiativen einen sogenannten Bürgerreport aus den verschiedenen Veranstaltungen erstellen, in dem alle wesentlichen Fragen und Ergebnisse festgehalten werden. Er wird dann sowohl der Politik als auch den Repräsentanten von Wirtschaft und Wissenschaft übergeben werden, sodass alle Lehren aus ihm ziehen können. So kann es dazu kommen, dass der Bürgerdialog nicht nur Punktuelles bewirkt, sondern wirklich auch Konsequenzen für die praktische Arbeit mit sich bringt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie Nachfragen, Herr Kollege? Willi Brase (SPD): Ja. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte. Willi Brase (SPD): Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. - Ich will nur noch eine Frage stellen: Ist geplant, die Ergebnisse, also diesen Report, auch dem Bundestag zuzuleiten, damit wir über möglicherweise gute Erkenntnisse hier gemeinsam diskutieren können? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Da wir sogar beabsichtigen, diese Ergebnisse öffentlich zu machen, ist es selbstverständlich, dass sie auch dem Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellt werden. (Willi Brase [SPD]: Herzlichen Dank!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 15 der Kollegin Dr. Barbara Hendricks: Welche Instrumente und Verfahren setzt die Bundesregierung ein, um ihre eigene Entwicklungszusammenarbeit in den Partnerländern frei von Korruption zu halten? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Dr. Hendricks, hinsichtlich Ihrer Frage nach der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung in der Korruptionsbekämpfung verweise ich auf Frage 34. Für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit ist festzustellen, dass die Korruptionsbekämpfung als Querschnittsaufgabe für uns in allen Förderbereichen eine ganz zentrale Rolle spielt. Gezielte Maßnahmen werden darüber hinaus im Förderbereich "Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentliche Verwaltung" unterstützt, den die Bundesregierung mit rund der Hälfte der Partnerländer als Arbeitsschwerpunkt vereinbart hat. Dabei geht es um den Aufbau transparenter, leistungsfähiger und bürgerorientierter Strukturen in der Verwaltung, um die Schaffung eines effizienten Personal- und Beschaffungswesens, um die Verbesserung des öffentlichen Finanzwesens sowie den Auf- und Ausbau von Steuer- und Zollverwaltungen, von funktionstüchtigen und effizienten Rechnungshöfen und von rechtsstaatlichen Strukturen im Sicherheitsbereich. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Die Frage nach den multilateralen Institutionen wird wahrscheinlich später schriftlich beantwortet, weil wir wohl nicht mehr dazu kommen, den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts aufzurufen. Was unsere eigene Entwicklungszusammenarbeit - also nicht die multilaterale, sondern unsere bilaterale - anbelangt, gibt es zwei Ebenen. Die eine Seite, nämlich die Hilfe bei der Entwicklung möglichst korruptionsfreier Verwaltungen und Regierungen, die es auf vielen Ebenen zu leisten gilt, haben Sie eben kursorisch angesprochen. Man muss aber auch die andere Seite sehen. Dabei geht es um die Frage, wie wir bei der Vergabe von Mitteln sicherstellen, dass sie zumindest in gewissem Umfang tatsächlich dort hingelangen, wofür sie vorgesehen sind, also dass sie effizient eingesetzt werden, statt zugunsten korrupter Personen in Regierungen und Verwaltungen oder deren Verwandten und Begünstigten abgezweigt zu werden. Zurzeit steht in Rede - wir wissen im Moment noch nicht, ob es stimmt -, dass der bisherige Präsident Tunesiens mit einer größeren Summe Geld ins Ausland gegangen sei. Ich kann die genaue Höhe nicht benennen, aber man kann sicher sein, dass solche Summen - in welcher Höhe auch immer - nicht durch normale regierungsamtliche Tätigkeit erworben werden können. Die Frau Bundeskanzlerin zum Beispiel wird später sicherlich niemals 100 Millionen Euro übrig haben. Es sind also entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Auch wenn sie bei uns und auf internationaler Ebene noch nicht perfekt sind, ist der Weg dorthin richtig und notwendig und muss intensiv weiterverfolgt werden. Was geschieht in diesem Bereich nun konkret bei der Mittelvergabe? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das ist selbstverständlich der größte Knackpunkt. Wir wollen ja erreichen, dass mit der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit die größtmögliche Wirkung erzielt wird und Gelder denjenigen, die Hilfe brauchen, zugutekommen. Wir müssen also dafür sorgen, dass sie nicht in irgendwelchen dunklen Kanälen verschwinden. Genau diesen Punkt machen wir in allen Regierungsverhandlungen und bei allen Vertragsverhandlungen über Projekte, die wir angehen wollen, zur Auflage und verlangen entsprechende Nachweise. Wir führen dann mit der jeweiligen Regierung bzw. dem jeweiligen Partner - auch das ist wichtig - einen Evaluierungsdiskurs und schauen, wie mit den Geldern und Auflagen umgegangen wurde. Ein sehr positives Beispiel für gute Korruptionsbekämpfung kann der Umgang mit Rohstoffinitiativen sein. Mithilfe der Ihnen sicherlich bekannten Transparenzinitiative EITI werden Regierungen aufgefordert, im Rohstoffbereich Partner zu suchen, die bereit sind, bestimmte Auflagen betreffend die Mitarbeiter, gegen Kinderarbeit sowie betreffend Gesundheits- und Arbeitsnormen zu erfüllen. Wir helfen Regierungen, die willig sind - das sind leider nicht alle -, ein Finanzsystem aufzubauen, und vermitteln ihnen, wie man die Einnahmen in den Staatshaushalt transparent einstellen kann, um dann mit mehr Staatseinnahmen Sozial-, Gesundheits- oder Bildungssysteme aufzubauen. Ich nenne Ihnen Ghana als Beispiel. Ghana wird ab diesem Jahr im Rahmen einer solchen Rohstoffinitiative wahrscheinlich pro Jahr 1 Milliarde US-Dollar einnehmen. Dieses Geld wird dann über transparente Strukturen - darauf legen wir großen Wert, und darauf achten wir - in den Staatshaushalt fließen und die Entwicklungspolitik sowie den Aufbau von Strukturen vor Ort entsprechend befördern. Es ist sehr wichtig, unseren Partnern und den Unternehmen, die sich einer solchen Transparenzinitiative anschließen, zu vermitteln, dass wir darauf großen Wert legen und mit unserem Know-how - Evaluierungs-Know-how, Finanz-Know-how - den willigen Regierungen mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. Genau das machen wir. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Sind Sie bereit, auch in Zukunft solche Rohstoffpartnerschaften - so möchte ich sie nennen - zu befördern, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft, den internationalen Handelskammern und den dort tätigen deutschen Unternehmen, für deren Verhalten vor Ort wir letztlich eine politische Verantwortung haben, und zugleich mit den Regierungen der Länder, um die es geht, Abmachungen zu treffen, die festlegen, welche Steuersummen mindestens aus einer solchen Tätigkeit entstehen müssen? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das kann ich Ihnen sehr gerne bestätigen. Wir arbeiten auch hier ressortübergreifend. Wir müssen natürlich auch die Grenzen beachten. Wir befördern in diesem Bereich Entwicklungsprojekte und betreiben keine Außenwirtschaftsförderung; es ist völlig klar, dass hier die Schnittstelle ist. Genau das machen wir. Es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle weiterkommen. Es ist notwendig, weltweit die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit solcher legalen Einnahmen zu lenken. Wie Sie wissen, Frau Dr. Hendricks, erzielen die betreffenden Regierungen schon heute Einnahmen im Rohstoffbereich. Aber meistens landen diese auf irgendwelchen Konten im Ausland und kommen nicht den Menschen vor Ort zugute. Auch hier ist der entscheidende Punkt, Transparenz sicherzustellen und darauf zu achten, dass die Gelder im Land bleiben. Ich kann Ihnen bestätigen, dass genau das unser Bestreben ist. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Vielen Dank!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Hübinger, bitte. Anette Hübinger (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, welche Bedeutung messen Sie einer Konditionalisierung unserer Hilfe im bilateralen Verhältnis und gerade in der Bekämpfung der Korruption bei? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Hübinger, wir messen ihr eine sehr große Bedeutung bei. Ich versuchte schon, darzulegen, dass wir bei allen - auch bilateralen - Projekten sehr gezielt darauf achten, dass die Kriterien der Korruptionsbekämpfung in die Verhandlungen einbezogen werden, bevor die entsprechenden Verträge abgeschlossen werden; denn das Verschwinden von Mitteln, die für arme und ärmste Menschen gedacht sind, ist heute leider noch immer an der Tagesordnung. Deshalb ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, darauf zu achten, wie wir bei jeder kleinen, auch bilateralen Zusammenarbeit dazu beitragen können, Korruption effizient und effektiv zu bekämpfen. Das werden wir in Zukunft weiter ausbauen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Roth, bitte. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Vielen Dank, Frau Kollegin Kopp. - Mit Blick auf Ihre Ausführungen möchte ich Sie fragen: Welche Vereinbarungen haben Sie mit der Regierung von Afghanistan getroffen, damit der Vorwurf der Korruption, der öffentlich immer genannt wird, eingedämmt wird? Gibt es, beispielsweise im Bereich des Handels, aber auch bei anderen entwicklungspolitischen Maßnahmen, die wir dort finanzieren, ähnliche Vereinbarungen seitens der Bundesregierung mit der Regierung Karzai? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, ich kann Ihnen bestätigen, dass bei allen Regierungsverhandlungen genau diese Fragen Inhalt der Gespräche und der konkreten Verhandlungen waren. Gerade jetzt, da weitere Projekte entwickelt und umgesetzt werden, kommt es darauf an, dass wir alles tun, um schon jedem Anfangsverdacht von Korruption nachzugehen und sie effizient und effektiv zu bekämpfen. Es ist, gerade in Afghanistan, nicht leicht, solche Strukturen zu durchschauen und in die Teilevaluierung zu gehen. Aber auch hier ist es uns ein Anliegen, Korruption, wo immer möglich, zu bekämpfen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Raabe, bitte. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Staatssekretärin, es ist wirklich wichtig - auch im Sinne der deutschen Steuerzahler und der vielen Spender -, dass wir, wie Sie gerade sagten, darauf achten, in Entwicklungsländern umfassend gegen Korruption vorzugehen und schon jeden Anfangsverdacht zu verfolgen. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie man Korruption definiert. Würden Sie es als Korruption ansehen, wenn in einem Land eine Regierungspartei, sagen wir einmal, Steuern für eine gewisse Branche senkt und diese Partei anschließend eine beträchtliche Summe von dieser Branche gespendet bekommt? (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Danach? Das ist doch eine unglaubliche Geschichtsklitterung! Märchen!) Würden Sie das in einem Entwicklungsland in die Nähe von Korruption rücken oder nicht? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Lieber Herr Kollege, wir sprechen von Entwicklungszusammenarbeit. Alles, was ich zur Korruptionsbekämpfung darstellen konnte, habe ich vorhin gesagt. Spekulationen oder irgendwelche persönlichen Wertungen überlasse ich Ihnen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zur Frage 18 der Kollegin Karin Roth: Wie viel der 420 Millionen Euro, die im Jahr 2010 für den zivilen Wiederaufbau Afghanistans bereitstanden, ist abgeflossen, insbesondere in den regionalen Fonds im Norden Afghanistans zur Verbesserung der Regierungsführung auf Provinz- und Distriktebene, RCDF, und den Regionalinfrastrukturfonds im Norden Afghanistans zum Ausbau von Infrastrukturprojekten, RIDFA, und wie werden die restlichen Mittel verwendet? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Danke sehr, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Roth, zur Beantwortung Ihrer Frage muss ich Ihnen leider einige Zahlen vorlesen. Das ist zwar sehr detailliert; aber ich denke, es ist notwendig, um sich einen Überblick zu verschaffen. Für die Entwicklung und den zivilen Wiederaufbau haben wir im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Jahr 2010 240 Mil-lionen Euro als Jahreszusagerahmen - Verpflichtungsermächtigungen - im Bereich der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit und 10 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen zur Förderung des Engagements im Bereich der privaten Träger zur Verfügung gestellt. Aufgrund der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Globalkürzung im Bereich der Verpflichtungsermächtigungen - Sie wissen das, Frau Kollegin Roth - wurde bei der bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, das heißt der Finanziellen wie der Technischen Zusammenarbeit, eine Kürzung des Zusagerahmens für Afghanistan von den eben genannten 240 Mil-lionen Euro auf 224,5 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen erforderlich. Das ist eine Kürzung um 6 Prozent. Diese Zusage wurde im Mai 2010 im Rahmen der deutsch-afghanischen Regierungsverhandlungen erteilt. Damit wurden Afghanistan vom BMZ inklusive der Mittel für private Träger insgesamt 234,5 Millionen Euro zugesagt. Der Abfluss dieser Mittel - genau danach fragten Sie - war nicht für das Jahr 2010, sondern für die Folgejahre nach Projektfortschritt geplant. Für den Regionalinfrastrukturfonds, RIDFA, wurden im Rahmen der Regierungsverhandlungen im Mai 2010 insgesamt 22 Millionen Euro und für den regionalen Fonds, RCDF, 24 Millionen Euro durch das BMZ zugesagt. Im Jahr 2010 wurden die Vorbereitungen zur Implementierung der Fonds ausgeführt, also Unterschriften getätigt und Verträge geschlossen. Für beide Fonds wurden zahlreiche Projektvorschläge eingereicht, die momentan einer Überprüfung zur Durchführbarkeit unterzogen werden. Der Gesamtwert dieser Anträge beläuft sich auf über 30 Millionen Euro. Aus einem weiteren Titel leistete das BMZ zusätzlich anlassbezogene, entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe. Diese belief sich 2010 auf 11,67 Millionen Euro und wurde von einer staatlichen Durchführungsorganisation sowie deutschen Nichtregierungsorganisationen umgesetzt. Im Rahmen des Stabilitätspakts Afghanistan wurden dem Auswärtigen Amt für das Jahr 2010 insgesamt 180,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Davon sind nach derzeitigem Stand etwa 97 Prozent abgeflossen. Jedoch sind noch nicht alle Auszahlungen im System erfasst. Die Quote kann sich daher noch erhöhen. Die endgültigen Zahlen werden erst in der dritten Kalenderwoche 2011 vorliegen, also in Kürze. Mittel des Stabilitätspakts Afghanistan, die nicht im Jahr 2010 verausgabt wurden, fließen an das Bundesministerium der Finanzen zurück. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie Nachfragen? - Bitte sehr. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Vielen Dank, Kollegin Kopp, für die interessanten Zahlen. - Eine Frage steht aber trotzdem noch im Raum. Ich habe nach dem Abfluss der Mittel für die Fonds gefragt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind die 24 Millionen Euro und die 22 Millionen Euro bisher nicht abgeflossen. Sie haben erst die Fonds gegründet, dann haben Sie sich Projekte angeschaut. Das Geld ist aber noch nicht abgeflossen. Insofern danke ich Ihnen zwar für die Darlegung der Zahlen; aber meine zentrale Frage lautet: Ist denn im Jahr 2010 bezogen auf diese Fonds - natürlich ist auch das andere schön und gut und wichtig - Geld geflossen oder nicht? Aus der Beantwortung dieser Frage ergibt sich nämlich, wo wir - das spielt eine Rolle bei der Diskussion über die Verlängerung des Mandats - stehen. Auf der einen Seite ist die Abzugsperspektive entscheidend, auf der anderen Seite die Demokratisierung, die wir gerade mit diesen beiden Fonds unterstützen wollen. Darauf möchte ich eine ehrliche Antwort, nicht nur die Zahlen. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, Sie haben völlig recht, wenn Sie diese beiden absolut wichtigen Fonds ansprechen. Sie wissen aber auch, dass diese Fonds zunächst einmal vorbereitet werden mussten bzw. müssen. Sie mussten eingerichtet werden, es müssen Verträge geschlossen werden, und es sind strukturelle Maßnahmen zu treffen. Es sind Projekte auszuwählen, auszuschreiben, und diesen muss dann der Zuschlag erteilt werden. Ich habe eben auf die dritte Woche im Januar verwiesen, in der weitere Details zum Abfluss von Mitteln bekannt gegeben werden. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt lediglich die Zahlen nennen, die ich eben genannt habe. Was die beiden Fonds betrifft, so muss ich Sie noch einige wenige Tage um Geduld bitten, bis wir wissen, wie viel Geld konkret abgeflossen ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? Karin Roth (Esslingen) (SPD): Ja, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte sehr. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Vielen Dank für die Klärung der Situation. - Wir wissen, dass das Thema der Fonds schwieriger ist als das der anderen Projekte. Daran will ich keine Kritik üben; denn auch hier stellt sich das Thema der Korruption. Das ist gar keine Frage. Sie hatten für 2010 für den Fonds relativ viel Geld vorgesehen. Wir haben in diesem Bereich aus guten Gründen eine Verdopplung der Entwicklungshilfe vorgenommen, damit wir diese Fonds installieren können, um die Demokratisierungsprozesse in Afghanistan voranzubringen. Das ist auch eine wichtige Voraussetzung für den Abzug unserer Bundeswehr. Das soll ja gleichzeitig erfolgen. Gesetzt den Fall, dass nicht alle Mittel, wie ich annehme, abgeflossen sind, möchte ich nur wissen: Was passiert denn mit diesen Mitteln? Werden die dann in das Jahr 2011 transferiert? Ist das so von Ihrem Ministerium organisiert? Haben Sie dafür die Vorbereitung getroffen? Denn an diesen beiden Fonds hängt ja wirklich sehr viel, was die Infrastruktur, die politische Entwicklung der regionalen Strukturen und die Beteiligung von Menschen angeht und die Demokratisierung im Lande voranbringen soll. Oder geht das Geld dann auch - so wie die anderen 97 Prozent im Außenministerium - an den Finanzminister? Der freut sich; aber ich glaube, das ist nicht in unserem Sinne. Zumindest haben wir das anders verabredet. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin Roth, wir haben uns in der Tat auf allen Ebenen ein sehr ambitioniertes Arbeitsprogramm vorgenommen und sind daran interessiert, auch und gerade mit dem zivilen Aufbau erheblich weiterzukommen. Dazu haben wir dort etliche Projekte installiert. Ich kann Ihnen zum derzeitigen Zeitpunkt nur sagen: Ich gehe davon aus, dass diese beiden Fonds bei ihrer Installierung mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, damit sie in entsprechender Weise verwendet werden können. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 19 des Kollegen Dr. Sascha Raabe: Wird die Bundesregierung der in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 3. Januar 2011 ausgesprochenen Empfehlung des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, folgen und Christen in den Ländern, in denen sie verfolgt werden, künftig stärker im Wege der Entwicklungszusammenarbeit unterstützen? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Raabe, ich hoffe, Sie sind einverstanden, wenn ich Ihre beiden Fragen zusammenfasse, denn sie gehören zusammen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dann rufe ich auch die Frage 20 des Kollegen Dr. Sascha Raabe auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der in einem Interview mit der Rheinischen Post am 3. Januar 2011 gemachten Äußerung des Parlamentarischen Geschäftsführers der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Stefan Müller (Erlangen), wonach es keine Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern mehr geben solle, in denen Christen ihre Religion nicht ungehindert ausüben können, und sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass diese Forderung radikalen Kräften in den betreffenden Ländern in die Hände spielen könnte? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Sie fragen danach - ich sage es einmal mit meinen Worten -, ob wir als BMZ bereit sind, bestimmte Religionsgruppen in besonderer Weise bei der Entwicklungszusammenarbeit zu bedenken. Dazu kann ich Ihnen sagen: Wir legen als BMZ allergrößten Wert darauf, dass die Einhaltung der Menschenrechte in jedem Fall die Messlatte unseres Handelns ist. Das bedeutet natürlich auch die Gewährleistung von Religionsfreiheit. Für uns ist das ein ganz wichtiges Gut. Daran richten wir auch unsere staatliche Projektförderung aus. Wir sind nicht der Ansicht, dass bestimmte Religionsgruppen in bestimmter Weise besonders mit staatlichen Mitteln zu fördern sind. Da geht es zum Beispiel um nichtstaatliche Projekte; da kann man in bestimmter Weise hinschauen. Wir achten aber natürlich auf allergrößte Neutralität. Und wir achten darauf, dass Minderheiten nicht unterdrückt werden. Es geht uns darum, dass wir nicht durch bestimmte Bevorzugung von Gruppen möglicherweise konfliktverschärfend handeln. Insofern kann ich die Frage so beantworten: Wir handeln nach neutralen Regelungen, ausgerichtet an der Einhaltung von Menschenrechten, an der Religionsfreiheit für jedermann und jede Frau in allen Gruppen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre Nachfrage, bitte. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Staatssekretärin, es freut mich, dass das Ministerium offensichtlich eine andere Meinung als der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, und Stefan Müller von der CSU hat. Der Hintergrund der Frage war, dass nach den furchtbaren Anschlägen in Ägypten - die, was die Brutalität angeht, eigentlich nicht in Worte zu fassen sind - von Herrn Kauder und Herrn Müller die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass die Entwicklungsarbeit in Zukunft danach ausgerichtet werden solle, in welchen Ländern Christen verfolgt werden und in welchen nicht. Ich frage Sie in diesem Zusammenhang, ob Ihnen - ansonsten bitte ich Sie, das an Ihren Koalitionspartner weiterzugeben - die Aussagen der beiden kirchlichen Entwicklungswerke Misereor und EED bekannt sind, dass sie das für ganz falsch halten. Herr Michael Hippler vom katholischen Hilfswerk Misereor sagt, dass man mit solchen Vorschlägen gerade radikalen Kräften in die Hände spiele. Auch Frau Warning vom EED sieht das so. Als ebenfalls betroffener Christ, der ich immer wieder erleben muss, dass die Partei mit dem C im Namen mich in Mitverantwortung nimmt, würde ich mir wünschen, dass man mehr auf die Kirchen hört, die sagen, gerade moderaten Muslimen müsse man deutlich machen, dass Menschenrechte unteilbar seien und es keine explizite Förderung von Christen gebe. Hippler sagte, das katholische Hilfswerk sehe sich da in der Nachfolge Jesu, der ebenfalls keiner bestimmten, sondern allen Gruppen geholfen hat. Es freut mich, wenn das Ministerium es so sieht, und ich würde mich freuen, wenn dieser christliche Geist auch bei der Union einziehen würde. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Vielen Dank für die Belehrung! Die können Sie sich an den Hut stecken!) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, ich habe eben ausgeführt: Das Leitprinzip unserer Entwicklungszusammenarbeit - übrigens der Entwicklungszusammenarbeit auch der Bundesregierung, nicht nur des BMZ - ist die Einhaltung der Menschenrechte. Ich bin mir sehr sicher, Herr Kollege Raabe, dass das die Kollegen und Kolleginnen der Union genauso sehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur Frage 21 des Kollegen Jan Korte: Wer trägt nach Auffassung der Bundesregierung die politische Verantwortung dafür, dass die beim Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, BND, Organisation Gehlen, schon 1952 vorhandenen Informationen zum Aufenthaltsort des NS-Verbrechers Adolf Eichmann in Argentinien seitens der Bundesregierung nicht genutzt bzw. an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes oder befreundeter Staaten weitergegeben wurden, und wieso wurde die entsprechende Information erst 1958 an die USA weitergeleitet? Frau Staatsministerin. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Korte, ich nehme wie folgt Stellung zu Ihrer Frage: Die Organisation Gehlen befand sich vom 1. Juli 1949 bis Ende März 1956 in der Verantwortung der CIA der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Bundesnachrichtendienst als dem Bundeskanzleramt unterstellte Behörde wurde erst am 1. April 1956 gegründet. So weit diese Vorbemerkung. Die im BND derzeit vorhandene Aktenlage zu diesem Vorgang erlaubt überdies keine eindeutige Aussage zur damaligen Bewertung und Verwendung der in dieser Frage angesprochenen Information über den angeblichen Aufenthaltsort von Adolf Eichmann. Daher können derzeit auch die von Ihnen aufgeworfenen Fragen seriöserweise nicht belastbar beantwortet werden. Dies muss vielmehr - das halte ich für ganz entscheidend - der jetzt eingeleiteten wissenschaftlichen Erforschung der Frühgeschichte des Bundesnachrichtendienstes und seiner Vorläuferorganisation überlassen bleiben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte. Jan Korte (DIE LINKE): Schönen Dank. - Ich möchte Sie, Frau Staatsministerin, gerne fragen, ob Sie mir in der Bewertung zustimmen, dass die Geheimhaltung des Aufenthaltsorts von Adolf Eichmann, seit 1952 bekannt, als Strafvereitelung im Amt zu bewerten ist? Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Herr Kollege, dies ist eine Unterstellung. Ich habe Ihnen eben mitgeteilt, dass es keine Belastbarkeit bei den Aussagen gibt. Das ist gerade in einer solchen Frage entscheidend. Ich darf Ihnen sagen: Wir haben ein hohes Interesse daran, dass Transparenz hergestellt wird. Wir werden jegliche Unterstützung dazu leisten, dass in dieser Frage Aufklärung gegeben wird. Ich glaube, wir in diesem Hohen Hause sind uns einig, dass jeder ein Interesse daran hat, dass jeder Punkt aufgeklärt wird. Deshalb ist es so wichtig, dass jetzt Forschungen in diesem Bereich stattfinden. Darauf setzen wir. Wir haben die Ergebnisse dieser Forschungen in der gebotenen Gründlichkeit abzuwarten und auszuwerten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine weitere Nachfrage. Jan Korte (DIE LINKE): Ich versuche es einmal anders herum: Wie würden Sie aus heutiger Sicht - ich verweise auf den Stand der Wissenschaft und der politischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland - das damalige Verhalten einordnen? Wo sehen Sie die politische Verantwortung für diesen schier unglaublichen Vorgang? Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Herr Kollege, niemand in diesem Haus negiert das große Interesse, das jeder haben musste. Aufgrund meines Alters konnte ich als Schülerin vor dem Fernsehschirm den Prozess mitverfolgen, der damals in Israel durchgeführt worden ist. Er hat mich wie viele andere auch zutiefst aufgewühlt und bewegt. Man muss alles dafür tun, um Dinge aufzuklären, erst recht, wenn jetzt solche Vermutungen im Raum stehen. Deshalb ist es für mich von entscheidender Bedeutung, dass eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt wird und dass uns Historiker die damaligen Zusammenhänge erklären. Aufgrund dieser wissenschaftlich dezidiert vorgetragenen Erkenntnisse können wir uns dann ein Urteil bilden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Jan Korte: Wer genau im Bundeskanzleramt oder BND verhindert bis heute aus welchen Gründen die vollständige Einsichtnahme und/oder Veröffentlichung der mehrere Tausend mikroverfilmte Seiten umfassenden BND-Akte über Adolf Eichmann? Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Herr Kollege Korte, Sie wissen, dass derzeit vor dem Bundesverwaltungsgericht zwei Verwaltungsstreitverfahren gegen den Bundesnachrichtendienst auf Einsichtnahme in Akten zu Adolf Eichmann geführt werden. Das Bundeskanzleramt als oberste Dienstbehörde des BND hat in beiden Verfahren eine sogenannte Sperrerklärung auf der Grundlage der Verwaltungsgerichtsordnung gemäß § 99 abgegeben. Ich darf noch einmal sinngemäß § 99 in den Blick rücken: Danach kann die Vorlage von Akten verweigert werden, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Ein großer Teil der Akten des BND zu Eichmann wurde vom Bundesnachrichtendienst ungeschwärzt vorgelegt. Diese Akten stehen den Klägern im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts uneingeschränkt zur Verfügung. In Pressemitteilungen war zu lesen, dass auch eine Karteikarte zu diesen Unterlagen gehört. Ein geringerer Teil der Unterlagen wurde gemäß den gesetzlich vorgesehenen und gerichtlich anerkannten Sperrgründen durch den Bundesnachrichtendienst teilweise geschwärzt vorgelegt. Dies geschah aus berechtigten Gründen: wegen des Schutzes personenbezogener Daten von Dritten, von Informanten und nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung. Auf der einen Seite gibt es das Informationsinteresse der Kläger sowie der Öffentlichkeit an der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Ich habe eben betont, dass jeder von uns, gerade die Bundesregierung, ein deutliches und nachhaltiges Interesse an der Aufarbeitung hat. Auf der anderen Seite gilt es, die berechtigten Geheimhaltungsinteressen zu wahren. Beidem ist Rechnung getragen. Für das weitere Verfahren gilt es, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abzuwarten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr. Jan Korte (DIE LINKE): Ich würde gerne wissen, wie sich das Kanzleramt bzw. die Bundesregierung zu diesen Vorfällen verhält. Wie verhalten Sie sich politisch dazu, dass wir fast jeden Sonntag entweder im Spiegel oder in der Süddeutschen Zeitung neue Informationen bekommen? (Johannes Selle [CDU/CSU]: Pressefreiheit!) Wenn man den Fall Barbie betrachtet, dann stellt man fest, dass das vielleicht auch für Frankreich interessant ist. Was tut das Kanzleramt von sich aus politisch dafür, die maximale Transparenz herzustellen? Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir maximale Transparenz haben wollen. Das erkennt man daran, dass ein Großteil der Akten weitergegeben worden ist. Darüber hinaus wird die Erforschung der Unterlagen nachhaltig unterstützt. Das ist transparent und gegenüber der Öffentlichkeit deutlich gemacht worden. Im Übrigen wissen Sie - dafür bin ich sehr dankbar -, dass all dies - das wissen wir von den betreffenden Stellen, die sich sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigen - auch im Internet vorhanden ist. Ich glaube, Transparenz ist klar gegeben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte. Jan Korte (DIE LINKE): Ich habe noch eine Nachfrage. - Ich würde gerne wissen: Gibt es zu diesen oder ähnlichen Vorgängen - insbesondere was die NS-Vergangenheit in den Behörden, in dem Falle beim BND angesiedelt beim Kanzleramt, angeht - weitere Unterlagen, Akten etc. direkt in den Archiven des Kanzleramtes? Wenn dies der Fall wäre, wären Sie dann bereit, diese offenzulegen? Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Herr Kollege, mir ist das nicht bekannt; aber ich glaube, es macht Sinn, wenn die Frage geprüft wird. Ich würde Sie bitten, das klären zu lassen. Ich bin gerne bereit, das im Kanzleramt weiterzugeben. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Eine Zusatzfrage hat die Kollegin Menzner. Dorothee Menzner (DIE LINKE): Frau Präsidentin, ich spreche im Namen meiner Fraktion. Wir haben gesehen, wie umfänglich dieses Thema ist. Die Fragestellung ist schwierig, und die Fragen wurden nicht zu unserer Zufriedenheit beantwortet. Deswegen beantrage ich im Namen meiner Fraktion eine Aktuelle Stunde nach § 106 GO Anlage 5. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben das gehört. Nach unserer Geschäftsordnung verdrängt die jetzt beantragte Aktuelle Stunde die in der Tagesordnung vorgesehene Aktuelle Stunde. Ich bitte die Geschäftsführer, kurz zu mir zu kommen, um den Zeitplan zu besprechen. Ich unterbreche die Sitzung für einige Minuten. (Unterbrechung von 17.00 bis 17.02 Uhr) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Jetzt wird die unterbrochene Sitzung kurz wieder eröffnet. Wir haben uns mit den Geschäftsführern gerade darauf verständigt, dass wir die Sitzung für eine halbe Stunde, das heißt bis 17.35 Uhr, unterbrechen und dann die Sitzung wieder eröffnen mit der beantragten Aktuellen Stunde zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 21 und 22 - Stichwort: Adolf Eichmann -; darauf besteht ein Anspruch. Damit wird die Aktuelle Stunde, die für heute geplant war, auf morgen verdrängt; es sei denn, die Geschäftsführer vereinbaren etwas anderes. Jetzt wird die Sitzung also bis 17.35 Uhr unterbrochen. (Unterbrechung von 17.04 bis 17.45 Uhr) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet. Die Fraktion Die Linke hat aufgrund der Antworten in der Fragestunde eine Aktuelle Stunde verlangt. Ich rufe deshalb Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 21 und 22 auf Drucksache 17/4406 Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg möchte ich sagen: Würde sich diese Bundesregierung so verhalten, wie es damals Joschka Fischer - in diesem Falle muss ich ihn loben - mit der Beauftragung einer Studie zur NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes getan hat, hätten wir uns heute die Debatte hier sparen können, denn dann würden wir wirklich Aufarbeitung leisten. Am 8. Januar berichtete die Bild-Zeitung, dass die BND-Vorläuferorganisation, die Organisation Gehlen, bereits 1952 wusste, wo sich Adolf Eichmann versteckt hält. Er ist einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, der dafür gesorgt hat, dass bis 1945 die Deportationszüge mit Frauen, Kindern und Männern pünktlich in die Vernichtungslager rollten. Übrigens war Hans Globke seit 1953 Chef des Kanzleramtes. Gut eine Woche später berichtet Der Spiegel, dass Klaus Barbie für den BND gearbeitet hat. Der sogenannte Schlächter von Lyon, so steht es in den Akten, sei von "kerndeutscher Gesinnung" und "entschiedener Kommunistengegner". - Er war ein Massenmörder, einer der schlimmsten Massenmörder überhaupt, und er arbeitete für den BND. So läuft es seit einigen Wochen; jede Woche gibt es neue Meldungen. Ich frage mich schon, wo der notwendige Grad der Empörung über diese unfassbaren Vorgänge aufseiten der Regierung und der Koalitionsfraktionen bleibt. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wäre doch richtig, angesichts der empörenden Vorgänge gemeinsam darüber zu diskutieren, was die angemessene politische Schlussfolgerung wäre. Die politische Schlussfolgerung aus diesen schier unfassbaren Vorgängen kann doch nur in der schonungslosen Offenlegung all dieser Akten liegen, die zum Teil 50 oder 60 Jahre alt sind. Das ist die angemessene politische Schlussfolgerung, die wir ziehen sollten. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube, in der Debatte in den Medien ist die Frage zu kurz gekommen, wie diese Fälle eigentlich auf die Opfer wirkten: Wie wirkte es auf die Opfer, dass jemand wie Eichmann gedeckt wurde, dass jemand wie Barbie im Dienst des BND stand? In der neuen Biografie über Fritz Bauer, den hessischen Generalstaatsanwalt und großen Sozialdemokraten, steht Folgendes: Wie stellt sich diese Sicht auf die frühe Bundesrepublik eigentlich aus der Perspektive des Remigranten, des verfolgten Juden und Sozialdemokraten dar? Das ist die entscheidende Frage, um die es hier geht: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir, auch im Respekt vor den Opfern? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, dass es auch aus einem ganz anderen Grund für den Bundestag wichtig ist, über diese Fragen zu diskutieren: Welche Folgen hatten eigentlich diese Fälle - alle Forschungen in diesem Bereich besagen, dass das nur die Spitze des Eisberges ist - für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, für die Demokratie und den Rechtsstaat? Das ist eine ganz entscheidende Frage. Das wirkte sich bis in die Justiz hinein aus. Es kam nicht nur zu einer Rückkehr der alten Nazirichter in Amt und Würden. In den 50er- und 60er-Jahren wurden selbst die schlimmsten Massenmörder, zum Beispiel der Kommandeur der Einsatzgruppe 8, der für die Ermordung von 15 000 Jüdinnen und Juden verantwortlich war, oder sogar der stellvertretende Lagerkommandant des Vernichtungslagers Majdanek, von deutschen Gerichten nicht als Täter verurteilt, sondern, wenn sie überhaupt verurteilt wurden, als Gehilfen. Man muss sich das einmal vorstellen! Wann, wenn nicht jetzt, ist denn bitte der Zeitpunkt gekommen, dass wir alles dazu offenlegen? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Heute geht es darum, dass wir Ordnung in diese Debatte bringen. Dazu gehören die Offenlegung aller Akten zu diesem Punkt, der völlig offene Zugang zu den Akten, und zwar nicht nur zu den Akten, die vorher durchgesiebt worden sind. Das hat übrigens auch etwas mit freier Wissenschaft zu tun. Ich glaube, dass alle Bürger in diesem Lande - wir hier im Bundestag, aber auch jeder andere draußen auf der Straße - und die Wissenschaft, insbesondere die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die gerade in diesem Bereich in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet haben, vor allem aber die Opfer und ihre Angehörigen ein Recht darauf haben, dass hier alles offengelegt wird, dass nichts behindert wird, sondern dass es bei diesen Fragen größtmögliche Transparenz gibt. Ich glaube, das ist jetzt wirklich geboten. (Beifall bei der LINKEN) Letzte Anmerkung, die ich machen will: Wir müssen natürlich auch darüber diskutieren, wer die politische Verantwortung für diese Zustände in den 50er- und 60er-Jahren trägt - das ist eine wichtige Frage - und welche Verantwortung wir hier und heute haben. Ich glaube, dass unsere gemeinsame Verantwortung heute darin besteht, eine ungehinderte Offenlegung aller Unterlagen, die es gibt - inklusive der Unterlagen des Kanzleramtes -, zu gewährleisten. Fritz Bauer ist einsam gestorben, weil er allein ermittelt hat, weil er den Auschwitz-Prozess damals fast allein anstrengen musste. Leuten wie Fritz Bauer sollten wir auch im Nachhinein, obwohl sie schon so lange tot sind, unsere Anerkennung zollen. Das können wir, glaube ich, am besten, indem wir alles offenlegen und über diese Geschichte offen miteinander diskutieren. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Manfred Grund ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. Manfred Grund (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Dies ist eine der unnötigsten Aktuellen Stunden im Deutschen Bundestag. (Lachen bei der LINKEN - Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: "Unnötig"?) Sie ist unnötig, weil die Fragen, die die Linksfraktion gestellt hat, während der Fragestunde vom Kanzleramt beantwortet wurden und im Innenausschuss heute bereits dazu Stellung genommen wurde. (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Eben nicht! - Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!) Herr Kollege Korte, ein Nachrichtendienst wäre kein Nachrichtendienst, wenn er alle seine Unterlagen auf den Marktplätzen dieser Welt ausbreiten würde. Ein Nachrichtendienst in einer Demokratie - der Bundesnachrichtendienst ist ein Nachrichtendienst in einer Demokratie - hat natürlich ein demokratisches Profil. Im Rahmen dieses demokratischen Profils hat er aufgeklärt, und er hat auch selbstkritisch mit seinen eigenen Wurzeln umzugehen. Seit ungefähr fünf, sechs Jahren gibt es eine Aufarbeitung der Quellen. Diese Quellen des Bundesnachrichtendienstes und seines Vorläufers, der Organisation Gehlen - ich glaube, das sind 10 000 auf Mikrofilm niedergelegte Dokumente -, werden von einer Historikerkommission erforscht, um die Anfänge zu beleuchten und um das Wissen zu bekommen, das man braucht, um Lehren zu ziehen. Es geht nicht darum, den Nachrichtendienst in ein Zwielicht zu rücken, was Sie, Herr Korte, versuchen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das hat er selbst gemacht! Er hat sich in dieses Zwielicht gestellt!) In unserem Parlament gibt es ein Kontrollgremium, das Parlamentarische Kontrollgremium, in dem alle Fraktionen, auch die Linke, vertreten sind. Bei der nächsten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, nächste Woche Mittwoch, steht das, was in einigen Magazinen und Zeitungen zum Thema Eichmann angeführt und von Ihnen aufgegriffen worden ist, auf der Tagesordnung. Wir werden im Kontrollgremium auch mit Ihrem Vertreter ernsthaft über das diskutieren, worüber diskutiert werden kann. Es ist nicht so, dass diese Akten geheim und irgendwo verschlossen sind, sondern ein Großteil der Akten wurde der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Auch die Unterlagen, die mit dem Fall Eichmann zusammenhängen, werden, nachdem die Historikerkommission, die beim Bundesnachrichtendienst tätig ist, sie gesichtet hat, der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden, mit allen Implikationen, die damit verbunden sind. Aber noch einmal: Ein Nachrichtendienst kann nicht all seine Quellen öffentlich ausbreiten. Danach könnte er sich selber auflösen. Zwischen selbstkritischer Aufklärung, Selbstvergewisserung und den Aufgaben eines Nachrichtendienstes ist der richtige Weg zu finden. Dies wird das Parlamentarische Kontrollgremium leisten. Dazu leistet auch dieses Parlament seinen Beitrag. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich rufe Michael Hartmann für die SPD-Fraktion auf. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ein Dankeschön an die Fraktion der Linken. Das, was Sie uns heute auf den Tisch gelegt haben, ist eine Belebung parlamentarischer Formen. Es ist gut, wenn einmal wirklich spontan und unvorbereitet - das gilt zumindest für die übrigen Fraktionen des Hauses - eine Debatte zu einer durchaus wichtigen Frage zustande kommt. Das ist absolut in Ordnung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass der Anlass diese Debatte in gleichem Maße rechtfertigt, darüber habe auch ich Zweifel; vielleicht lassen sie sich im Rahmen dieser Debatte noch aus dem Weg räumen. Im Übrigen finde ich es gut, wenn eine Fraktion wie die Ihre, die nicht nur Menschen mit blütenweißer Biografie in ihren Reihen hat, die Aufarbeitung der Geschichte von Nachrichtendiensten offensiv angeht. Vielleicht stellen Sie ähnliche Anträge wie heute auch einmal im Hinblick auf die Vergangenheit mancher Ihrer Fraktionsmitglieder; ich nenne stellvertretend für andere nur Herrn Nord. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Zur Sache selbst. Es sei sehr deutlich gesagt: Auch die SPD-Bundestagsfraktion ist natürlich der Meinung, dass eine historische Fragestellung wie der Fall Eichmann im Interesse der deutschen Geschichtsschreibung und unserer internationalen Positionierung unbedingt und uneingeschränkt aufgeklärt gehört. Wenn da noch etwas unklar ist, muss es auf den Tisch des Hauses und soll es auf den Tisch des Hauses. Wir werden jedes Bemühen, das in diese Richtung geht, unterstützen. (Beifall bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings werden wir ein anderes Spiel, wenn es sich daraus entwickeln sollte, nicht mitmachen, nämlich ein BND-Bashing. Wir wissen, dass der Bundesnachrichtendienst eine unerlässliche Aufgabe für unsere Sicherheitsinteressen im Ausland wahrnimmt. Wir unterstützen den Bundesnachrichtendienst dabei. Wir sind froh, dass auch dank der guten, qualifizierten und engagierten Aufklärungsarbeit des BND beispielsweise die deutschen Soldaten in ihren schwierigen Auslandseinsätzen ein Stück weit sicherer sind, als sie es ohne den BND wären. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!) Der Bundesnachrichtendienst erfüllt eine wichtige Pflicht im Interesse Deutschlands. Dafür danke ich ihm bei dieser Gelegenheit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Wir haben eine klare Gesetzeslage, die vorschreibt, wie jeder BND-Präsident, wie die Bundesregierung, das Kanzleramt und der Koordinator agieren müssen. Erstens. Es ist eine Historikerkommission - ich nenne sie einmal so - aus vier unabhängigen, durchaus kritischen Wissenschaftlern eingesetzt worden, die dieses Thema aufarbeiten soll. Dann ist in den zuständigen Gremien - da haben Sie recht, Herr Kollege Grund - zu bewerten, wie mit den Ergebnissen im Einzelfall umzugehen ist. Zweitens. Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das von der Fraktion der Grünen, die sich da sehr engagiert hat, im Zusammenhang mit dem BND-Untersuchungsausschuss erwirkt wurde. Wir waren damals - die Frontstellung gab es nicht her - zwar nicht dafür, ein Urteil zu erwirken; aber mit dem Ergebnis können wir als Parlamentarier insgesamt zufrieden sein. Dieses Urteil besagt nämlich, dass die Bundesregierung Akten nicht einfach wegschließen oder schwärzen oder bestimmte Teile herausnehmen darf mit der Begründung "Das ist ein Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" oder Ähnlichem, sondern es muss detailliert begründet werden, warum was nicht vorgelegt wird. Wir wollen, dass auch der Fall Eichmann nach Maßgabe dieses Urteils aufgearbeitet wird. Das müsste eigentlich von allen Seiten dieses Hauses unterstützt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Letzter Punkt. Der BND arbeitet genauso wenig wie andere geheime Nachrichtendienste im luftleeren Raum. Das bedeutet, dass wir nicht nur von eigenen Informationen leben und eigene Informationen, die von eigenen Quellen gewonnen wurden, aufarbeiten. Vielmehr haben wir sehr viele unserer Informationen nur deshalb erhalten, weil wir mit Partnerdiensten zusammenarbeiten, weil uns Quellen von dort zugearbeitet haben. Auch das müssen wir, ob es uns gefällt oder nicht, respektieren, wenn wir nachrichtendienstliches Handeln nicht insgesamt bedrohen wollen. Dieses Geschäft lebt nun einmal vom Geben und Nehmen. Ich hoffe sehr und vertraue darauf, dass der skandalöse Fall Eichmann ohne Schonung aufgearbeitet wird und der Öffentlichkeit alle Akten zur Verfügung gestellt werden. Ich sehe und höre nicht, dass sich irgendjemand dem verweigert. Seien wir also nicht vorauseilend ungehorsam, sondern warten wir ab, was erarbeitet wird! Dann ist vielleicht Zeit für Kritik. Bis jetzt gehe ich allerdings davon aus, dass die Bundesregierung ebenso wie das gesamte Haus daran interessiert ist, dass eine gründliche, solide und vollständige Aufarbeitung stattfindet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat Dr. Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist auf mehreren Ebenen interessant. Die erste Ebene ist der historische Tatbestand; dazu hat Herr Hartmann, wie ich finde, Richtiges gesagt und es sehr sachlich vorgetragen. Zur zweiten Ebene, nämlich zur politischen Bewertung und zur Frage, warum Sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben, ist noch etwas zu sagen. Erst einmal zum historischen Sachverhalt selbst. Schon als Student, aber auch in meiner Tätigkeit als Rechtshistoriker am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte hat mich dieses Thema seit vielen Jahren, seit fast zwei Jahrzehnten, interessiert. Norbert Frei hat in seinem Buch Vergangenheitspolitik sehr viele historische Wahrheiten über die frühe Bundesrepublik erforscht. Es gibt keine zwei Meinungen: Auch in meiner Partei gab es Menschen, die früher Mitglied der NSDAP waren. Auch in meiner Partei gab es Menschen, die Mitglied der NSDAP geworden sind. In allen obersten Bundesbehörden, in Ministerien, im Bundesgerichtshof - hier besteht insofern Kontinuität gegenüber dem Reichsgericht -, gab es natürlich Mitglieder der NSDAP und Nazis, die dort bedauerlicherweise weiter beschäftigt worden sind. Das gehört aufgearbeitet, historisiert, bewertet. Kein Mensch - so hat es auch Herr Hartmann gesagt - hat etwas dagegen, und keine Partei in diesem Parlament will in irgendeiner Weise die Arbeit von Historikern erschweren. Insofern sollten Sie hier auch nicht diesen Eindruck erwecken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dann kommt aber die nächste Ebene, nämlich, dass dieses Thema heute Morgen im Innenausschuss diskutiert worden ist. Da hat der Kollege Hartmann als Einziger - wie ich finde, zu Recht - die Frage gestellt, die dieser Tage interessant ist: Wie arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz seine eigene Geschichte auf? - Da gab es eine Ausschreibung, die am 28. Dezember endete, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. In der FAZ und in anderen Medien gab es Diskussionen über die Frage: Wie weit soll die Offenlegung von Akten, die nicht bereits im Bundesarchiv liegen - das ist die Mehrheit der Akten -, gehen, vor allem wenn es um die Arbeit von Geheimdiensten geht, die auch international vernetzt sind und die natürlich ein legitimes Geheimhaltungsinteresse haben? Über diese Frage ist in der Tat zu entscheiden, und da muss man zwischen dem historischen Interesse, etwas aufzuarbeiten, und dem Interesse eines Bundesamtes für Verfassungsschutz - das keineswegs im rechtsfreien Raum agiert -, eben auch diese internationale Vernetzung und die Aufgabenwahrnehmung verantwortlich auszuüben, abwägen. Interessanterweise hatte der Kollege Korte, der hier so engagiert vortrug, heute im Innenausschuss alle Chancen, sich mit dieser Frage zu befassen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Hallo!) Er hat sie in keiner Weise genutzt. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Im Gegenteil: Als es zu der Frage kam, warum das Bundesamt für Verfassungsschutz - wie ich finde, zu Recht - die Linke weiter beobachtet, hat er die Situation ausschließlich dazu genutzt, sozusagen einen Ausfallangriff zu starten und diesen historischen Sachverhalt ausdrücklich zu thematisieren, und zwar ohne einen einzigen Moment der Selbstkritik, ohne eine einzige Reflexion, dass Ihre "Vergangenheitspolitik" - um mit Norbert Freis Worten zu sprechen - so defizitär ist, dass Sie sich schämen müssten, dass Sie dieses Thema nicht ordnungsgemäß und sachlicher angehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wozu machen Sie das? Ich habe als Vertreter einer jüngeren Generation kein Problem damit, die Geschichte meiner Partei historisch aufzuarbeiten. (Sönke Rix [SPD]: Das wird auch Zeit!) Sowohl im Archiv des Liberalismus als auch bei anderen - genauso wie bei Ihnen übrigens auch - gibt es Leute, die daran sehr gut arbeiten. Ich habe damit kein Problem. Womit ich ein Problem habe, ist, wenn von der Linkspartei in einer Art Entlastungsangriff eine Frage hochgespielt wird, ohne dass diese Frage in dem zuständigen Ausschuss auch nur einmal thematisiert worden ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau das ist es!) Da, lieber Herr Korte, bekommt die Frage ein ausdrückliches Geschmäckle, weil Sie eben nicht an ernsthafter historischer Vergangenheitsbewältigung interessiert sind, sondern einen Entlastungsangriff fahren wollen, weil Sie Ihre Wege zum Kommunismus noch nicht so genau bewerten können. (Zuruf von der SPD: Gilt das auch für Globke?) - Auch der Vorgang zu Herrn Globke ist natürlich aufzuarbeiten. Wir sollten nicht einen anderen Eindruck erwecken. Über diese Dinge forschen Generationen von Historikern, angefangen in den frühen 70er-Jahren unter schwierigen Bedingungen, in den letzten vielleicht 15 Jahren zunehmend erfolgreicher, sachlicher und auch besser. Ich nehme Ihnen Ihr ernsthaftes Interesse an historischer Aufarbeitung erst dann ab, wenn Sie sich der Aufarbeitung Ihrer eigenen Vergangenheit mit dergleichen Ernsthaftigkeit stellen. (Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Das ist unverschämt!) Diese lassen Sie jeden Tag wieder vermissen. (Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Das ist richtig unverschämt! - Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da hat er ausnahmsweise recht!) Stattdessen faseln Sie über Wege zum Kommunismus. Dies ist unseriös, sodass ich Ihnen Ihr Interesse nicht abnehme. Es besteht eben ein Unterschied zwischen dem verantwortungsvollen Redebeitrag der Opposition, von Herrn Hartmann, und dem Redebeitrag von Ihnen, Herr Korte, der eben nicht ernst zu nehmen ist. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grünen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Organe, Ämter und Beamte dieses Staates, unseres Staates - es ist lange her, aber es bleibt dabei: So war es -, haben nach dem Krieg nationalsozialistischen Mördern zur Flucht verholfen. Sie haben ihre Aufenthaltsorte verschwiegen und verhindert, dass sie der Justiz überantwortet werden konnten. Das ist ein Zustand, der zum Teil bekannt ist, zum Teil aber auch noch nicht bekannt ist. Die Debatte in diesem Hause darüber, wie wir uns auch nach Jahrzehnten mit diesem Phänomen beschäftigen - das will ich an den Anfang stellen -, ist, Herr Kollege Grund, jedenfalls für mich niemals eine unnötige Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Trotz aller Berechtigung der Vorwürfe gegenüber der Linken, dass sie in dieser Sache "Leichen im eigenen Keller" liegen hat - bezüglich ihrer Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der DDR zum Beispiel -, würde ich diese Themen gerne trennen und nicht in einem Atemzug nennen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und die Debatte über den Nationalsozialismus und seine Fortwirkung bis heute nicht zusammen mit der über die fehlende Aufarbeitung des Unrechts in der DDR führen wollen. Auch durch den Hinweis darauf, dass das heute Vormittag in einer nichtöffentlichen Innenausschusssitzung vielleicht schon besprochen worden ist, (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Hätte werden können!) werden wir nicht davon entbunden, über dieses Thema hier im Plenum zu diskutieren, wenn es aus diesem Hause den Wunsch danach gibt. Die Situation ist so - jedenfalls aus meiner Sicht -, dass sich die Historiker auch in den letzten Jahren und auch auf der Seite der FDP darum bemüht haben, aufzudecken, was man eigentlich schon vor Jahrzehnten hätte offenlegen müssen. Mich schmerzt, ärgert und wundert, dass es offensichtlich das Faktum gibt - das ist herausgekommen -, dass in den Akten des Bundesnachrichtendienstes aus dem Jahre 1952 steht, dass dem Bundesnachrichtendienst bekannt war, wo sich der Massenmörder Eichmann aufgehalten hat und unter welchem Decknamen er wo gelebt hat. Davon haben wir nichts gewusst. Ich würde mir wünschen, dass der Bundesnachrichtendienst - ich mache wirklich kein BND-Bashing - von sich aus ein Symposium organisiert, (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Hat er doch getan! - Clemens Binninger [CDU/CSU]: Hat er doch!) in dem er sich zum Beispiel mit seiner Frühgeschichte auseinandersetzt (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das macht er doch, Herr Montag!) und von sich aus offenlegt, dass er Informationen über den Fall Eichmann in seinem Keller hat. Solange so etwas nicht geschieht, (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Es geschieht!) habe ich die Befürchtung, dass nicht nur in den Aktenbeständen des BND, sondern auch in denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und vielleicht auch in den alten Akten des Bundeskriminalamtes noch mehr solcher Informationen zu finden sind. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Genau!) Solange wir die Vergangenheit und unsere Verantwortung aus der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland nicht lückenlos aufarbeiten, wird uns die Geschichte des Nationalsozialismus immer wieder einholen. Deswegen ist es mein Wunsch bzw. meine Forderung an die Bundesregierung, wirklich in einer radikalen Art und Weise zu sagen: Wir drehen jetzt die Richtung um. Die Ämter sind nicht in erster Linie daran interessiert, ihre alten Aktenbestände, ihre Historie aus 60 Jahren abzudecken und zu kuvrieren, sondern wir werden diese Unterlagen, soweit es unter der notwendigen Beachtung der Persönlichkeitsrechte und auch der heute aktuell noch vorhandenen Probleme mit benachbarten Staaten und befreundeten Diensten geht, selbst auf den Tisch legen. Wenn wir drei- oder viermal erleben, dass uns die Exekutive mit neuem Material versorgt, statt dass wir immer nur von investigativen Journalisten aus der Presse oder durch Zufall etwas erfahren, dann ändert sich etwas. Das ist mein Wunsch. Das wäre ein Gewinn aus dieser Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Clemens Binninger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Montag, gestatten Sie mir, dass ich zunächst auf Ihren Beitrag eingehe. Ich bin mit Ihnen einig, dass wir Verstrickungen oder Verbindungen zwischen Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Anfangszeit und Nazis und anderen Verbrechern aus dieser schlimmen Zeit deutscher Geschichte aufklären, jedem Einzelfall nachgehen und ihn bewerten müssen, um damit einen weiteren Beitrag dazu zu leisten, dass wir hier nichts, aber auch gar nichts zu verdecken haben. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Wenn es uns damit ernst ist, dann müssen wir aber in dieser politischen Debatte darauf achten, dass wir dieses ernsthafte Anliegen, das uns alle eint, nicht vordergründig politisch motiviert nutzen, um irgendetwas zu skandalisieren oder von irgendetwas abzulenken. Diesen Vorwurf mache ich Ihnen, Herr Korte. (Widerspruch bei der LINKEN) Sie haben eher den Eindruck erweckt, dass es Ihnen um die aktuelle Bundesregierung geht, die irgendetwas verdeckt, als um die wirkliche Aufklärung von Verstrickungen anhand von Akten unserer Sicherheitsbehörden. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Natürlich!) Wenn das so durchsichtig politisch motiviert ist, wie es bei Ihnen der Fall ist, dann sind Sie nicht glaubwürdig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das muss ich Ihnen in dieser Deutlichkeit sagen. Wenn es um Aufklärung geht, dann darf man, glaube ich, in dieser Debatte zu Recht darauf hinweisen, dass sich die Bundesregierung heute Nachmittag nicht geweigert hat, die Fragen von Herrn Korte zu beantworten, (Jan Korte [DIE LINKE]: Doch!) sondern beide Fragen beantwortet hat, (Jan Korte [DIE LINKE]: Nein!) und dass wir bei dieser Aufgabe schon seit geraumer Zeit dem Bundesarchiv in Koblenz eine zentrale Rolle zukommen lassen. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Interessant ist, dass die Bundesregierung jetzt dazu nicht spricht!) Die gleiche Debatte haben Joschka Fischer im Auswärtigen Amt und der Präsident des Bundeskriminalamtes Ziercke in seinem Amt angestoßen. Das liegt schon etwas zurück. Der BND-Präsident Ernst Uhrlau hat schon im letzten Jahr eine Historikerkommission eingesetzt, die inzwischen ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie befasst sich mit genau solchen Fragen und soll aufarbeiten, wo es solche schlimmen Verstrickungen gab. Dafür stellt die Bundesregierung Mittel zur Verfügung, und zwar je eine halbe Million Euro in 2010 und 2011. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Warum spricht die Bundesregierung nicht in dieser Aktuellen Stunde? Das würde mich mal interessieren!) - Herr Kollege Lange, wenn es uns wie mir, den Kollegen Montag und Hartmann - das nehme ich ihm ab - und auch dem Kollegen Ruppert von der FDP ernsthaft darum geht, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Deswegen erwarte ich eine Stellungnahme der Bundesregierung, und zwar definitiv!) dann müssen wir uns, glaube ich, nicht gegenseitig vorhalten, wer wie viel zu wenig oder noch nicht genug gemacht hat. Entscheidend ist für uns, dass wir uns darin einig sind, dass wir das machen wollen, und dass wir als Parlamentarier auch im Blick behalten, dass es umgesetzt wird. Aber wir sollten nicht so tun, als ob nichts gemacht würde. Trotz aller Aufarbeitung und der Notwendigkeit, historische Akten aufzuarbeiten und Versäumnisse aufzudecken, bleibt ein Spannungsfeld. Das wissen Sie, Kollege Montag. Ein Geheimdienst wird immer darauf hinweisen, dass eine Aufarbeitung in der Öffentlichkeit problematisch ist. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Auch bei Eichmann! Da bin ich auch gespannt! Haben wir nicht gemeinsam ein großes nationales Interesse daran, dass alles offengelegt wird, soweit irgend möglich?) - Ja, wie Sie gerade sagen: Soweit irgend möglich, muss jeder Fall offengelegt werden. Aber da es um den gesamten Aktenbestand geht, gilt für die Fälle, wo dies, wie auch seitens der Gerichte festgestellt wurde, nicht möglich ist, dass das Parlament nicht außen vor ist. Wir haben das Parlamentarische Kontrollgremium, das genau dieses Thema in der nächsten Woche auf die Tagesordnung setzen wird. Dieses Gremium ist schließlich dafür da, nachzufragen, ob wirklich eine Geheimhaltungspflicht besteht oder ob die betreffenden Fälle nicht doch offengelegt werden können. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Binninger, lassen Sie uns das doch gemeinsam offensiv angehen!) - Das tun wir ja offensiv. Aber tun Sie bitte nicht so, als ob das Parlament damit nicht befasst wäre. Wir sind damit in der heutigen Aktuellen Stunde befasst. Es eint uns, dass wir diese Fälle so weit wie möglich aufklären wollen, und zwar jeden Fall und je schwerwiegender, desto umfassender. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es Vorgänge geben kann, die zuerst dem Gremium vorgelegt werden müssen, das sich dieses Parlament für die Kontrolle der Geheimdienste gegeben hat. Das Parlamentarische Kontrollgremium wird sich in der nächsten Woche damit befassen. In diesem Gremium ist auch der Kollege Neškovic von der Linken Mitglied, der für die heutige Debatte leider keine Zeit gefunden hat. So viel zum Thema Interesse. Wir werden alles tun, um das gemeinsam in unserem Sinne aufzuklären und aufzuarbeiten. Wir sind dazu bereit. Die Bundesregierung ist dazu bereit. Ich habe dieser Debatte entnommen, dass auch alle Fraktionen dazu bereit sind. Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, unterstelle ich eine etwas doppelzüngige Motivation. Das ist schade und dient nicht der Sache. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Luk Jochimsen hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich eines festhalten: Erinnern Sie sich eigentlich noch, wer in diesem Hohen Haus die Initiative zur Rehabilitierung von Kriegsverrätern angestoßen hat? War das zufälligerweise Jan Korte von der Linksfraktion? Wie lange hat er gebraucht, bis Einigkeit in diesem Haus darüber herrschte, diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten? - Unterstellen Sie also uns und gerade ihm nicht, nicht an der Aufarbeitung der Geschichte interessiert zu sein, (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Welcher Geschichte?) sondern aufgrund irgendwelcher politischen Vorwände diese - unbedingt notwendige - Diskussion zu führen. (Beifall bei der LINKEN) Hunderttausende Franzosen lesen zurzeit das Buch des 93 Jahre alten Kämpfers der Résistance Stéphane Hessel mit dem Titel Empört euch! Empört euch endlich; es gibt so viele Anlässe dazu. Würden sich doch Hunderttausende auch bei uns und dieses Parlament über die ans Licht kommende Wahrheit über unseren demokratischen Staat und sein Verhältnis zu Massenmördern wie Eichmann und Barbie empören, darüber, wie er sie nicht verfolgt hat, sondern geschützt und sogar noch in Dienst genommen hat, und zwar im Jahr 1966 und nicht 1956, als Gehlen noch in der Verantwortung der CIA arbeitete. 1966 in Dienst genommen! Welch ein Abgrund tut sich da auf! 1987 habe ich für die ARD eine Dokumentation über Beate und Serge Klarsfeld gedreht, die Geschichte, wie sich zwei Individuen, der französische Rechtsanwalt, dessen Vater im KZ ermordet wurde, und seine deutsche Ehefrau, unterstützt von einer kleinen Gruppe Überlebender des Naziterrors, weltweit und verzweifelt auf die Suche nach dem Verbrecher Barbie gemacht haben - weil die Staaten untätig blieben -, einem Mann, der den Tod unzähliger Frauen und Männer und vor allen Dingen unzähliger Kinder betrieben und zu verantworten hatte. Zwei Einzelpersonen haben sich dies zur Aufgabe machen müssen, während die Herren des BND wahrscheinlich grinsend zugeschaut haben, wie die beiden nicht zum Zuge und zum Erfolg kamen. Nicht nur das: Serge und Beate Klarsfeld wurden von der bundesrepublikanischen Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt und drangsaliert. Bis heute wird Beate Klarsfeld das Bundesverdienstkreuz, dessen Verleihung wir beantragt haben, verweigert. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorschlagen! Das kann man nicht beantragen!) Beate und Serge Klarsfeld haben versucht, die Wahrheit herauszufinden und die Geschichte aufzuarbeiten. Aber wir sind mit ihnen so umgegangen und tun das bis zum heutigen Tag so. Es stimmt einfach nicht, dass wir an der Aufklärung der Wahrheit und an Transparenz nicht interessiert seien. "Lügen haben kurze Beine", sagt der Volksmund. Wenn sie lange Beine haben und die Wahrheit erst spät, unendlich spät herauskommt, ist die Erkenntnis aus meiner Sicht doppelt belastend. Uns geht es nicht darum, allein den BND in den Fokus der Diskussion zu stellen, sondern darum, die Verantwortung des Bundeskanzleramtes in der Diskussion herauszuarbeiten. Ich lasse mich übrigens auch nicht mehr mit dem Satz abspeisen, ein Geheimdienst sei nun einmal ein Geheimdienst und könne nicht alle seine Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das verlangt auch niemand. Die Akten von Massenmördern und von Kriegsverbrechern hingegen öffentlich zugänglich zu machen, wird doch wohl im Namen der Demokratie und des Staates zu verlangen sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man kann in dem Zusammenhang doch nicht sagen: "Ein Geheimdienst ist ein Geheimdienst, so wie eine Rose eine Rose ist, und weil das so ist, kann man nichts machen", aber gleichzeitig darauf bestehen, dass man die Wahrheit sucht. Ich kann nur sagen: Die Wahrheit, die hier gesucht wird, ist längst überfällig. Sie wird uns seit Jahrzehnten vorenthalten. Für Menschen meiner Generation, die in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen, erzogen und gebildet worden sind, bedeutet es eine Zerstörung des Glaubens an die Substanz dieser Bundesrepublik sowie ihres Anspruchs, ein im Grunde demokratischer Staat zu sein. Wenn wir die Angelegenheit nicht - so spät es auch sein mag - vollständig aufklären und die Wahrheit auf den Tisch bringen, machen wir uns wieder einmal vor der Geschichte schuldig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zurufe von der FDP: Unfassbar! Eine Frechheit!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Christian Ahrendt hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Ahrendt (FDP): Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns in der Debatte darüber einig, dass aufgeklärt werden muss und dass an die Aufklärung ein hoher Maßstab hinsichtlich des Wahrheitsgehalts zu legen ist. Ich glaube aber auch, dass die Partei, die heute die Aktuelle Stunde beantragt hat, an der einen oder anderen Stelle nicht bereit ist, die Maßstäbe, die sie bei anderen anlegt, auch bei sich selber anzulegen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erster Punkt. Solange Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Gysi, mit einstweiligen Verfügungen versucht, (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Kommen Sie zur Sache!) die Wahrheit darüber zu verschweigen, ob er den Bürgerrechtler Havemann bespitzelt hat oder nicht, haben Sie keinen Anspruch darauf, in diesem Hause solche Reden vorzutragen, wie Sie es hier tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Erbärmlich!) Zweiter Punkt. Der Kollege Hartmann hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aktuelle Stunde keine überraschende Stunde ist. Sie wissen, dass Aktuelle Stunden vorbereitet werden. Wenn man die Berichterstattung zum Thema Eichmann und zu der Frage, ob der BND diesbezüglich schon frühzeitig Kenntnis hatte, recherchiert, dann stellt man fest, dass der Spiegel hierzu bereits am 8. Januar dieses Jahres berichtet hat. Hätten Sie dieses Thema ordnungsgemäß anmelden und aufbereiten wollen, hätten Sie das lange vor Beginn dieser Sitzungswoche machen können. Ihnen ging es aber nur darum, die für morgen angesetzte Aktuelle Stunde zu verdrängen, die sich mit der Frage auseinandersetzt, ob Sie in Deutschland nach wie vor den Kommunismus wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Das ist Quatsch! Die findet trotzdem statt!) Dritter Punkt. Es ist unstreitig, dass es um die Frage geht, ob Akten offengelegt werden. Auch hierüber ist in dieser Woche berichtet worden: Am 13. Januar meldete der Spiegel, dass der Bundesnachrichtendienst seine umfangreichen Akten für Recherchen bereitstellt. Das zeigt, dass die Bereitschaft zur Offenlegung sogar beim Nachrichtendienst vorhanden ist. Wir werden uns in den entsprechenden Gremien mit dieser Frage auseinandersetzen. Es muss aufgeklärt werden: Was wusste man? Warum hat man hinsichtlich der fraglichen Personen keine Ermittlungen aufgenommen und dadurch dazu beigetragen, dass sie vor Gericht gestellt werden? Das gehört zur Geschichte der Nachrichtendienste und muss aufbereitet sowie historisch ordnungsgemäß bewertet werden. Die Debatte, wie wir sie hier führen, bedeutet aber keinen wesentlichen Fortschritt in der Bewältigung dieser Arbeit. Deswegen bleibt es dabei: Ich erwarte von Ihnen, dass Sie bei der Frage der Aufklärung Ihrer eigenen Vergangenheit endlich die Maßstäbe anlegen, die Sie von anderen verlangen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Die Sitzung ist beendet. Ich rufe Sie auf, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages am morgigen Donnerstag um 9 Uhr zu besuchen. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. (Schluss: 18.24 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barthle, Norbert CDU/CSU 19.01.2011 Bülow, Marco SPD 19.01.2011 Burchardt, Ulla SPD 19.01.2011 Connemann, Gitta CDU/CSU 19.01.2011 Edathy, Sebastian SPD 19.01.2011 Ernst, Klaus DIE LINKE 19.01.2011 Friedhoff, Paul K. FDP 19.01.2011 Friedrich, Peter SPD 19.01.2011 Funk, Alexander CDU/CSU 19.01.2011 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.01.2011 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.01.2011 Jelpke, Ulla DIE LINKE 19.01.2011 Klöckner, Julia CDU/CSU 19.01.2011 Dr. Kofler, Bärbel SPD 19.01.2011 Kruse, Rüdiger CDU/CSU 19.01.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 19.01.2011 Mücke, Jan FDP 19.01.2011 Nord, Thomas DIE LINKE 19.01.2011 Pothmer, Brigitte BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.01.2011 Remmers, Ingrid DIE LINKE 19.01.2011 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 19.01.2011 Scholz, Olaf SPD 19.01.2011 Sendker, Reinhold CDU/CSU 19.01.2011 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.01.2011 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19.01.2011 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 19.01.2011 Zöllmer, Manfred Helmut SPD 19.01.2011 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Drucksache 17/4406, Frage 3): Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung künftig sicherstellen, dass sich Planungsfehler wie beim sogenannten Wissenschaftszug, der mit Millioneninvestitionen des Bundes auf das Gleis gestellt und beworben wurde, letztlich aber aufgrund fehlender sinnvoller Nutzungskonzepte ungenutzt abgestellt werden musste und offenbar auch verschrottet werden soll, nicht wiederholen? Der Wissenschaftszug Science Express war eine zentrale Aktivität des Wissenschaftsjahres 2009. Mehr als 260 000 Besucher in 62 Städten haben im Jahr 2009 den Zug besichtigt und dadurch vielfältige Einblicke in Wissenschaft und Technik gewonnen. Der Science Express war damit ein großer Erfolg. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, hat den Zug auf Antrag der Max-Planck-Gesellschaft, MPG, vom 1. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2010 gefördert. Seit Anfang Januar 2011 steht der Zug auf einem Bundeswehrgelände im Land Brandenburg. Abstellung und Bewachung erfolgen dort kostenlos. Eigentümerin von Wagen und Loks ist die Deutsche Bahn AG, DB. Die MPG hat ein achtjähriges Nutzungsrecht für die Ausstellung. Die Max-Planck-Gesellschaft prüft derzeit intensiv die Option, die Exponate auszubauen und im Rahmen von bereits bestehenden Ausstellungen weiter zu nutzen, beispielsweise in Science Centern oder Museen - im Inland oder auch im Ausland. Aufgrund dieser Sach- und Planungslage rechnet die Bundesregierung nicht mit einer Verschrottung, sondern vielmehr damit, dass der Zug zu einem geeigneten Zeitpunkt an die Eigentümerin DB zurückgegeben und die Exponate weiter sinnvoll zur Wissenschaftskommunikation eingesetzt und genutzt werden. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Druck-sache 17/4406, Frage 4): Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um bei der Auftragsvergabe im Zusammenhang mit dem Bau des Kernfusionsreaktors ITER in Frankreich den Anteil von Auftragnehmern aus Deutschland über die bisherige Quote von rund 2,2 Prozent zu steigern? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, konnte in regelmäßigen Gesprächen mit der Kommission und der europäischen ITER-Agentur, F4E, erreichen, dass die Ausschreibungsregeln überarbeitet wurden. Im Blickpunkt stehen nun Fragen der Vergabepraxis als Teil der Managementreformen der europäischen ITER-Agentur. Die Bundesregierung konnte bereits durchsetzen, dass die Kommission vom Rat aufgefordert wurde, das Management von F4E zu optimieren. In diesem Zusammenhang fordert die Bundesregierung auch solche Änderungen, die auf Verbesserungen bei der Ausschreibungspraxis abzielen, zum Beispiel die Reduzierung des Umfangs von geforderten Detailbeschreibungen, die nach einschlägigen Erfahrungen bis zu mehr als tausend Seiten betragen können. Auf deutscher Seite vergibt das BMBF Projektmittel, die auch darauf abzielen, deutsche KMU zu ertüchtigen, sich durch Vernetzung mit den deutschen Forschungseinrichtungen erfolgreich auf die ITER-Ausschreibungen zu bewerben. In diesem Zusammenhang wurde das deutsche ITER-Industrie Forum, dIIF, im Rahmen der Projektförderung ins Leben gerufen. Das dIIF nimmt eine unterstützende und koordinierende Funktion gegenüber den Unternehmen wahr. Das BMBF steht mit deutschen Industrievertretern und dem dIIF in engem Austausch. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Gudrun Kopp auf die Frage der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler (SPD) (Drucksache 17/4406, Frage 16): Wie gedenkt die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass bei der Vergabe öffentlicher Kredite seitens der Europäischen Investitionsbank an die Privatwirtschaft in Entwicklungsländern überprüft wird, ob und inwieweit diese tatsächlich einen positiven Entwicklungseffekt auf die Entwicklungsländer hat? Alle Maßnahmen der Europäischen Investitionsbank, EIB, in den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raumes, AKP, müssen zur Erfüllung entwicklungspolitischer Ziele gemäß dem Cotonou-Abkommen beitragen. Eine in Kürze von der EU-Kommission zu veröffentlichende Evaluierung der EIB-Projekte in AKP-Ländern hat bestätigt, dass die Maßnahmen der EIB-Investitionsfazilität eine positive Wirkung auf Armutsminderung und nachhaltige Entwicklung entfalten. Für das sogenannte Außenmandat der EIB kann auf den aktuellen EU-Gesetzgebungsprozess verwiesen werden, in welchem sich die Bundesregierung bei der Stellungnahme des Rates dafür eingesetzt hat, dass auch die Aktivitäten unter dem EIB-Außenmandat in allen Entwicklungsländern stärker und kohärenter zu deren nachhaltiger Entwicklung beitragen sollen. In jährlichen Berichten der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat werden die entsprechenden Informationen über Finanzierungen im Rahmen des EIB-Außenmandats sowie der AKP-Investitionsfazilität veröffentlicht. Darüber hinaus führt die EIB eigene Evaluierungen zu ausgewählten Themen durch und veröffentlicht diese auf ihrer Internetseite. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Gudrun Kopp auf die Frage der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler (SPD) (Drucksache 17/4406, Frage 17): Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung in ihrer Entwicklungskooperation mit afrikanischen Ländern, wenn von wirtschaftlichen Wachstumsimpulsen die Rede ist, und wie will sie gewährleisten, dass wirtschaftliches Wachstum, wie beispielsweise in der Rohstoffindustrie in Sambia, auch zur Bekämpfung der Armut im Lande und zum Wohle der Bevölkerung konkret beiträgt? Die Bundesregierung unterstützt in ihrer Entwicklungskooperation in Afrika breitenorientierte Wachstumsprozesse, die gerade auch der armen Bevölkerung zugutekommen sollen. Unser Ziel ist, das zum Teil enorme wirtschaftliche Potenzial noch besser für die nachhaltige Entwicklung der afrikanischen Länder zu nutzen. Unser strategischer Ansatz zielt darauf ab, angepasste wirtschaftspolitische Reformen gemeinsam mit dem Privatsektor zur Erhöhung von Wettbewerb, Investitionen und Beschäftigung umzusetzen. Im Rohstoffsektor sind Transparenz und gute Regierungsführung von zentraler Bedeutung, um die nachhaltige Verwendung von Rohstoffeinnahmen zum Wohle der Gesamtbevölkerung zu ermöglichen. Die Bundesregierung unterstützt daher die internationale Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der Rohstoffindustrie, Extractive Industries Transparency Initiative/EITI, politisch und finanziell. Herausragende Beispiele sind Sambia und Ghana. In Sambia unterstützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nationale Governance-Reformprozesse, so im Finanzministerium und bei der Steuerbehörde, um beispielsweise die Steuereinnahmen aus dem Rohstoffsektor zu steigern und für die Entwicklung des Landes zu nutzen. Auch kooperieren wir eng mit der Zivilgesellschaft. In Ghana geht es um die transparente Verwaltung der ab 2011 beginnenden Öleinnahmen. Deutschland hat hier das Thema Rohstoffgovernance von Beginn an mit Reformen der öffentlichen Finanzen, Steuer-, Finanz-, Haushaltswesen, verbunden und als zentralen Gegenstand in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Ghana vereinbart. Auch privatwirtschaftliche Partner, wie SAP, sind hier eingebunden, um moderne Informationstechnologien für die Überwachung von Zahlungsströmen zu nutzen - nach unserer Auffassung ein einmaliges Referenzprojekt. Anlage 6 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Niema Movassat (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 23): Erwägt die Bundesregierung bzw. ihre Vertretung bei der EU, die Abkommen mit der tunesischen und der algerischen Regierung über europäische Finanzhilfen und Wirtschaftskooperation im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft zu überprüfen, aufgrund der Tatsache, dass die tunesische und die algerische Regierung gegen die Bedingungen dieser Kooperation - die Achtung demokratischer Rechte und Menschenrechte - verstoßen? Die Bundesregierung misst der Achtung demokratischer Rechte und Menschenrechte in den Außenbeziehungen der Europäischen Union große Bedeutung zu. Der Dialog über Grund- und Menschenrechte ist wichtiger Bestandteil der Außenbeziehungen der Europäischen Union. In Reaktion auf die Unruhen in der Demokratischen Volksrepublik Algerien und der tunesischen Republik hat die Bundesregierung deutlich ihre Erwartungen an die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten zum Ausdruck gebracht und wiederholt auf ein klares Signal der EU gedrängt. Auch in Anbetracht der Möglichkeit eines Neuanfangs in Tunesien ist eine klare Postitionierung der EU erforderlich, die nachhaltige Reformbemühungen unterstützt. Kurzfristig geht es um eine Unterstützung bei der Vorbereitung demokratischer Neuwahlen, die innerhalb von 6 Monaten stattfinden sollen. Die weitere konkrete Gestaltung der Zusammenarbeit, einschließlich der Frage der Fortsetzung europäischer Finanzhilfen bzw. der Wirtschaftskooperation, wird im Lichte der Entwicklung der nächsten Tage und Wochen zu entscheiden sein. Die Ankündigung der tunesischen Übergangsregierung, alle politischen Gefangenen freizulassen, ist ein erstes ermutigendes Zeichen. Anlage 7 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 24): Beabsichtigt die Bundesregierung, innerhalb der EU auf ein Aussetzen des Assoziationsabkommens der EU mit Tunesien zu drängen, und, wenn nein, warum nicht? Nachdem der ehemalige Staatspräsident der Tunesischen Republik, Ben Ali, am 14. Januar 2011 Tunesien verlassen hat, steht das Land vor einem Neuanfang. Die weitere konkrete Gestaltung der Zusammenarbeit wird im Lichte der Entwicklung der nächsten Tage und Wochen zu entscheiden sein. Die Ankündigung der tunesischen Übergangsregierung, alle politischen Gefangenen freizulassen, ist ein erstes ermutigendes Zeichen. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, hat am 15. Januar 2011 zu Demokratie und Stabilität aufgerufen. Das Auswärtige Amt hat im Verlauf der eskalierenden Unruhen auf eine deutliche und sichtbare EU-Haltung und Rolle gedrängt und wird diese Linie auch weiter verfolgen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat am 15. Januar 2011 die Bereitschaft der Bundesregierung und der Europäischen Union signalisiert, Tunesien bei einem Neuanfang wirklicher Demokratie unterstützend zur Seite zu stehen. Anlage 8 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksa-che 17/4406, Frage 25): Wie bewertet die Bundesregierung ihre Partnerschaft mit Tunesien im sogenannten Kampf gegen den Terrorismus vor dem Hintergrund der staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen Demonstrantinnen und Demonstranten, unter denen es laut tunesischen Quellen bislang 70 Todesopfer gab? Die Bundesregierung misst der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im Kampf gegen den Terrorismus große Bedeutung zu. Im Verlauf der Unruhen in Tunesien hat das Auswärtige Amt wiederholt die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten eingefordert. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, hat am 13. Januar 2011 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das massive Vorgehen gegen Demonstranten ein Ende haben muss und rechtsstaatliche Prinzipien gewahrt werden müssen. Die Erwartung des Respekts der Menschenrechte sowie der Garantie von Presse- und Versammlungsfreiheit hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 15. Januar 2011 an den amtierenden tunesischen Staatspräsidenten Mebazaa herangetragen. Anlage 9 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/4406, Fragen 26 und 27): Wird die Bundesregierung jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung des deutschen ISAF-Kontingents in Afghanistan nutzen? Teilen alle Mitglieder der Bundesregierung die Zuversicht, die Präsenz des deutschen ISAF-Kontingents ab Ende 2011 reduzieren zu können? Das Kabinett hat am 12. Januar 2011 vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen Bundestags die weitere deutsche Beteiligung an der Internationalen Sicherheits-unterstützungstruppe, ISAF, beschlossen. Im Antrag der Bundesregierung, der daraufhin dem Deutschen Bundestag zugeleitet wurde, heißt es: "Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können und wird dabei jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden." Damit ist die Haltung der Bundesregierung, die von allen Mitgliedern des Kabinetts getragen wird, umfassend dargestellt. Anlage 10 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Fragen 28 und 29): Welche Strategie zum Friedensaufbau im Südsudan verfolgt die Bundesregierung als verantwortliches Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, und welchen konkreten Beitrag will sie künftig dazu vor Ort leisten, um ihren Auftrag aus dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen vom 24. März 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1158) "Freie und faire Wahlen im Sudan sicherstellen, den Friedensprozess über das Referendum 2011 hinaus begleiten sowie die humanitäre und menschenrechtliche Situation verbessern" zu erfüllen? Unter welchen Voraussetzungen wird die Bundesregierung angesichts des bestehenden Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes gegen den Präsidenten des Sudan, Umar al-Baschir, wegen Völkermordes in Darfur künftig mit der sudanesischen Regierung in Khartoum zusammenarbeiten, und schließt sich die Bundesregierung dem Vorschlag der Regierung der USA an, die Sanktionen gegen die Regierung Umar al-Baschirs ohne Berücksichtigung des bestehenden Haftbefehls aufzuheben, falls diese das Ergebnis des Referendums akezptiert und den Südsudan in Frieden in die Unabhängigkeit entlässt? Zu Frage 28: Die Bundesregierung hat erheblich dazu beigetragen, dass das Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan nach Auffassung aller internationalen Beobachter weitestgehend die internationalen Standards für freie und faire Wahlen erfüllt hat. Die Bundesregierung hat sich entscheidend für die Entsendung der EU-Beobachtermission eingesetzt, an der fünf Deutsche teilgenommen haben. Das Auswärtige Amt hat das Carter Center und Maßnahmen zu Wähleraufklärung mit mehr als 3 Millionen Euro unterstützt. Mit ersten offiziellen Ergebnissen des Referendums wird Ende Januar, Anfang Februar 2011 zu rechnen sein. Mit Ausgaben von rund 87 Millionen Euro hat die Bundesregierung die Friedenssicherung mit ihrer Beteiligung an der Mission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, dem Training für die südsudanesische Polizei sowie an Versöhnungsprojekten zwischen Nord- und Südsudan unterstützt. Darüber hinaus werden die Rückkehr und Reintegration von Flüchtlingen, Maßnahmen der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe sowie Einsätze des Zivilen Friedensdienstes gefördert. Die Bundesregierung wird den Staatsaufbau im Südsudan weiter unterstützen, da die Stabilität in hohem Maße vom Vertrauen in staatliche Strukturen und von der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen abhängt. Angesichts der enormen Defizite im Land erscheinen Maßnahmen zum Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung, Polizeiausbildung und Basisdienstleistungen wie Wasserversorgung, Bildung und Ernährungssicherung vordringlich. Sowohl für den Nord- als auch den Südsudan ist ein konstruktiver Dialog über die Einhaltung globaler Menschenrechtsstandards erforderlich. Ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung ist auch die deutsche Unterstützung der internationalen Prozesse zu Entschuldungsfragen für den gesamten Sudan und der Frage der HIPC-Entschuldungsinitiative für schwer verschuldete arme Länder, Heavily Indebted Poor Countries. Dabei darf auch der Nordsudan nicht vergessen werden. Er muss zur Sicherung des Friedensaufbaus in Aufbauprogramme einbezogen werden. Zu Frage 29: Die Bundesregierung sieht in ihrem Sudankonzept die politische Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträgern im Nord- und Südsudan als entscheidend für die Sicherung der gegenwärtigen, immer noch fragilen Friedensprozesse im Sudan an. Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Lage für die Menschen im gesamten Sudan zu verbessern. Die Wiederaufnahme formeller bilateraler staatlicher Entwicklungszusammenarbeit mit der Regierung in Khartum ist aufgrund der Menschenrechtssituation und einer ausbleibenden friedlichen Lösung des Darfur-Konflikts noch nicht möglich. Dennoch beabsichtigt die Bundesregierung ihre politische Zusammenarbeit mit dem Nordsudan zu intensivieren. Dazu zählt die Förderung der zivilgesellschaftlichen Öffnung und der Entwicklung von Reformkräften, sowie die für die Friedenssicherung entscheidenden Bereiche der Entwaffnungs- und Demobilisierungsprogramme, die auch über übergeordnete EU- sowie VN-Programme unterstützt werden können. Wichtig ist auch die Aufnahme eines ergebnisorientierten Menschenrechtsdialogs und eine Stärkung eines den globalen Standards entsprechenden Justizsektors. Das Angebot der US-Regierung an den Sudan, Sanktionen aufzuheben, bezieht sich auf entsprechende nationale Embargomaßnahmen der US-Regierung. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht Mitglied des Römischen Statuts. Es steht der Bundesregierung nicht zu, dieses Vorgehen zu bewerten. Die Bundesregierung stimmt aber mit den USA, unseren Partnern in der EU und in der internationalen Gemeinschaft darin überein, dass nur ein konstruktiver Dialog und die politische Zusammenarbeit mit beiden Regierungen, sowohl im Norden mit der Regierung in Khartum als auch im Süden, die Friedensprozesse im Sudan voranbringen können. Bestandteil dessen ist unter anderem die deutsche Unterstützung der internationalen Entschuldungsprozesse für den gesamten Sudan. Anlage 11 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4406, Frage 30): Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass von den angesetzten Finanzmitteln für das Kämpferdemobilisierungsprogramm im Südsudan, welches die Bundesregierung mit mehreren Millionen US-Dollar mitfinanziert und die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH mit durchführt, allein 7 Prozent als Verwaltungskosten an das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP abzuführen sind sowie dass von den 20 Millionen US-Dollar Personalmitteln für 2010 allein 14 Millionen US-Dollar an 50 internationale Fachkräfte gezahlt wurden - bis zu einem Jahresgehalt von über 370 000 US-Dollar -, sodass einem UNDP-Prüfbericht zufolge das Programm 2011 deshalb finanziell nicht fortgeführt werden kann (vergleiche taz vom 23. Dezember 2010), und welche Initiativen wird die Bundesregierung - gegebenenfalls auch im UN-Sicherheitsrat - ergreifen, um solche Fehlentwicklungen nicht nur in diesem Einzelfall zu korrigieren und eine Fortführung des Programms im Sudan zu ermöglichen? Grundsätzlich ist die Kritik in den taz-Artikeln zutreffend: Das Programm leidet unter überdurchschnittlich hohen Personalkosten und wird nicht gut umgesetzt. Ineffizienzen haben sich im Laufe des Jahres 2010 angedeutet. So wurden zum Beispiel von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, geforderte finanzielle Informationen nicht in ausreichender Tiefe bereitgestellt. Dieser Eindruck hat sich während des Kontrollbesuchs der KfW im September 2010 erhärtet. Personalkosten standen in keinem Verhältnis zum Erfolg des Programms. Wie andere Geber auch hat Deutschland deshalb von dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, UNDP, die Erstellung eines Prüfberichts, "internal audit", gefordert und weitere Unterstützungsleistungen von den Ergebnissen dieses Berichts und daraus zu ziehender Konsequenzen abhängig gemacht. Der Prüfbericht liegt in seiner Endfassung noch nicht vor. Die Einsichtnahme ist beim UNDP-Hauptquartier in New York am 23. Dezember 2010 schriftlich beantragt worden. Mit einer Einsichtnahme ist nicht vor Mitte Februar 2011 zu rechnen. Allerdings ist die berechtigte Kritik in Relation zu den schwierigen Verhältnissen im Sudan zu stellen. Die Aufgabe der Demobilisierung ehemaliger Soldaten ist gewaltig, circa 180 000 Personen müssen im Nord- und Südsudan entwaffnet und in das Zivilleben eingegliedert werden. Bisher wurden 31 000 Personen entwaffnet. UNDP ist eine erfahrene Organisation. Leitendes Personal wurde bereits ausgetauscht. Die reinen UNDP-Verwaltungskosten, nicht die Personalkosten, entsprechen mit 7 Prozent den üblichen UNDP-Standards für die Durchführung von Projekten und können insoweit nicht als überhöht bezeichnet werden. Außer Zweifel steht, wie auch im taz-Artikel betont, dass das Programm als solches für die Stabilität des Sudan von hoher Bedeutung ist. Die Bundesregierung will daher Demobilisierungsmaßnahmen im Sudan weiter unterstützen. Umso wichtiger ist es, dass im Geberkreis konsequent und konstruktiv auf eine effiziente Verwaltung des Programms hingewirkt wird. Die deutsche technische Beratung für die Südsudanesische Kommission für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration, SSDDRC, wird daher zunächst bis Ende März 2011 verlängert. Ein erneuter finanzieller Beitrag wird von der Vorlage und Auswertung des UNDP-internen Audits abhängen. Anlage 12 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 31): Hat die Bundesregierung ein Interesse an der Lösung des Konflikts zwischen griechischen und türkischen Zyprioten, und warum hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel während ihres Besuchs der Insel Zypern nicht den höchsten Repräsentanten der türkisch-zypriotischen Gemeinschaft getroffen? Die Bundesregierung hat sich auch aus europapolitischen Gründen immer für eine umfassende Lösung des Zypern-Konflikts eingesetzt. Die Bundesregierung begrüßt daher die direkten Verhandlungen und ermutigt die Verhandlungspartner, entschlossen und konstruktiv nach einer dauerhaften und gerechten Lösung des Zypern-Konfliktes zu suchen. Der Besuch von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel galt dem EU-Mitgliedstaat Zypern und insbesondere dem Regierungschef dieses Mitgliedstaates. In diesem Rahmen wurde auch über die laufenden Verhandlungen gesprochen. Ein Treffen mit den Verhandlungsführern war nicht geplant. Die sogenannte Türkische Republik Nordzypern, TRNZ, umfasst das seit 1974 von der Türkei okkupierte Gebiet im Norden Zyperns, etwa ein Drittel des Territoriums. Die sogenannte TRNZ wurde 1983 gegründet und ist allein von der Türkei völkerrechtlich anerkannt. Dies bedeutet, dass weder "Regierung", "Parlament" oder "Präsident" des türkisch-zyprischen Teils international anerkannt sind. Treffen von Staats-und Regierungschefs mit Vertretern der türkisch-zyprischen Gemeinschaft könnten völkerrechtlich als Anerkennung gewertet werden. Ein entsprechender Präzedenzfall sollte hier vermieden werden. Anlage 13 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4406, Fragen 32 und 33): Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die aktuelle Anzahl, den seelischen sowie physischen Zustand und den Stand der juristischen Verfahren der wegen der Proteste gegen Fälschung der Präsidentschaftswahl in Belarus am 19. Dezember 2010 inhaftierten politischen Gefangenen, und was unternimmt die Bundesregierung zur Unterstützung dieser politischen Häftlinge? Hat die Bundesregierung Kenntnis über die drohende Kindesentziehung des dreijährigen Sohnes der beiden politischen Häftlinge Irina Chalip und Andrej Sannikow, denen wegen des Vorwurfs des Aufrufs zu Protesten gegen die Fälschung der belarussischen Präsidentschaftswahl am 19. Dezember 2010 langjährige Haftstrafen drohen, und was unternimmt die Bundesregierung, um die Eltern bei der Abwendung der drohenden Kindesentziehung zu unterstützen? Zu Frage 32: Nach Kenntnis der Bundesregierung sind zum jetzigen Stand 31 Personen wegen der Organisation von oder der Teilnahme an Massenunruhen angeklagt worden. Das belarussische Strafgesetz droht hierfür bis zu 15 Jahre Gefängnis für Organisatoren und bis zu 8 Jahre Haft für Teilnehmer an. Gegen 16 weitere Personen laufen Ermittlungsverfahren. Zwei Personen sind des Rowdytums angeklagt. Ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 10 Jahren. Es sind noch knapp 30 Personen in Haft. Mehrere Oppositionskandidaten und Journalisten wurden vor oder bei ihrer Festnahme verletzt. Kontakte der Inhaftierten zu ihren Anwälten sind eingeschränkt, Besuche der Familien nur in Ausnahmefällen gestattet. Präsidentschaftsbewerber Nikolai Statkewitsch befindet sich seit seiner Inhaftierung im Hungerstreik. Genaue Kenntnisse über den Zustand der Inhaftierten bestehen nicht, da ihre Anwälte angehalten sind, nicht darüber zu berichten, und sich belarussische Behörden gegenüber fortwährenden EU-Bemühungen in Minsk um Informationen über die Inhaftierten und um Besuchserlaubnis nicht kooperativ zeigen. Die belarussischen Behörden behaupten, dass die medizinische Versorgung in den Gefängnissen bei allen Inhaftierten sichergestellt sei. Es gibt jedoch Berichte über unzumutbare Haftbedingungen und die Versagung medizinischer Betreuung. Die Bundesregierung hat die Gewalt nach der Präsidentschaftswahl in Belarus am 19. Dezember 2010 öffentlich entschieden verurteilt und die belarussischen Behörden dazu aufgerufen, die Festgenommenen unverzüglich freizulassen und in einen Dialog mit der Opposition zu treten. Das Auswärtige Amt hat den Botschafter der Republik Belarus in der Bundesrepublik Deutschland dreimal einbestellt, seine große Besorgnis zum Ausdruck gebracht und die Freilassung aller Verhafteten gefordert. Aus diesem Grund ist auch der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning, am 14./15. Januar 2011 nach Minsk gereist. Dort traf er mit Vertretern der Opposition, Angehörigen inhaftierter Regimekritiker und Vertretern der Regierung zu Gesprächen zusammen. Er forderte die sofortige Freilassung der Gefangenen, das Fallenlassen der Anklagen, einen uneingeschränkten Zugang der Verwandten und Anwälte zu den Inhaftierten sowie ausreichende medizinische Versorgung. Die EU hat sich bereits darauf verständigt, Gewalt- und Repressionsopfer und deren Angehörige zum Beispiel durch rechtlichen Beistand zu unterstützen. Zu Frage 33: Die Bundesregierung und die Deutsche Botschaft in Minsk verfolgen die Entwicklung im Fall des drohenden Kindesentzuges mit großer Besorgnis und Aufmerksamkeit. Im Rahmen seines Besuches am 14. Januar 2011 in Minsk hat sich der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning, mit der Mutter von Frau Chalip getroffen und den dreijährigen Sohn der beiden Inhaftierten Frau Chalip und Herrn Sannikow gesehen. Die Bundesregierung fordert, dass der Junge in der vertrauten Umgebung bei seiner Großmutter bleiben kann. Anlage 14 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Hendricks (SPD) (Drucksache 17/4406, Frage 34): Mit welchen Schritten treibt die Bundesregierung die Korruptionsbekämpfung auf der Ebene internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Weltbank, der Europäischen Union und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung konkret voran? Korruption macht vor den Grenzen der Staaten heute nicht mehr Halt. Die Bundesregierung unterstützt die Schaffung internationaler Rechtsinstrumente zur Bekämpfung der Korruption nachdrücklich. Um möglichst gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen im Weltmarkt zu schaffen, ist ein koordiniertes Vorgehen der Staatengemeinschaft erforderlich. Die Bundesregierung begleitet und fördert seit Jahren die Umsetzung der völkerrechtlichen Instrumente zur Korruptionsbekämpfung in den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, im Europarat und in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD. Dies geschieht unter anderem durch finanzielle und projektgebundene Unterstützung von strukturschwachen Ländern. Ein Beispiel ist das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit 4,5 Millionen Euro - 2004 bis 2010 - finanzierte Sektorvorhaben "Unterstützung von Partnerländern bei der Umsetzung der VN-Konvention gegen Korruption". Ferner arbeitet die Bundesregierung multilateral mit der Weltbank, dem OECD-Ausschuss für Entwicklungshilfe, DAC, und regionalen Entwicklungsbanken zusammen. An den jährlichen Internationalen Antikorruptionskonferenzen - zuletzt in Bangkok vom 10. bis 13. November 2010 - beteiligt sich Deutschland mit Workshops und stellt seine vielbeachtete Projekt- und Programmarbeit vor. In Deutschland sind bisher zur Bekämpfung der Korruption im internationalen Bereich mit dem EU-Bestechungsesetz vom 10. September 1998 das EU-Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EG und das EU-Übereinkommen vom 26. Mai 1997 über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der EG oder der Mitgliedstaaten der EU beteiligt sind, umgesetzt worden. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom 10. September 1998 wurde das OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17. Dezember 1997 umgesetzt. Die Bundesregierung beteiligt sich aktiv an verschiedenen multilateralen Foren im Rahmen von Vertragsstaatenkonferenzen und Arbeitsgruppen, zum Beispiel über Vermögenseinfrierung und technischer Zusammenarbeit, und bringt sich bei den Anstrengungen der G20 ein, im Rahmen des Aktionsplans gegen Korruption die Bekämpfung der globalen Korruption zu verstärken. Der Aktionsplan fordert die G20-Staaten vorbildhaft zur Ratifizierung der VN-Konvention, zur Unterstrafestellung der Bestechung ausländischer Amtsträger, zu stärkerem Engagement in der OECD-Arbeitsgruppe gegen Bestechung und zu verstärkter Thematisierung von Korruption im Rahmen der Financial Action Task Force, FATF, auf. Informanten zu Korruptionsstraftaten sollen besser geschützt, die Rückführung von Vermögensgütern soll verstärkt, und die freie Bewegung korrupter Amtsträger soll im Rahmen des Möglichen eingeschränkt werden. Die Bundesregierung hat außerdem mit Nachdruck die Einrichtung des 2009 beschlossenen Mechanismus zur Überwachung der Implementierung der VN-Konvention gegen Korruption vom 31. Oktober 2003 durch die VN-Mitgliedstaaten vorangetrieben. Dem zuständigen Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, UNODC, wurden vom Auswärtigen Amt 2009/2010 Mittel in Höhe von 1,05 Millionen Euro zur Umsetzung der VN-Konvention zur Verfügung gestellt. Anlage 15 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 35): Wie steht die Bundesregierung zu dem Mediengesetz, das am 1. Januar 2011 in Ungarn in Kraft getreten ist, und wird die Bundesregierung gegebenenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 7 des Vertrags über die Europäische Union unterstützen? Die Bundesregierung hat ihre Kritik an dem ungarischen Mediengesetz mehrfach geäußert. Die EU-Kommission und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, äußerten ebenfalls ihre Besorgnis über mögliche Eingriffe in ein so hohes Gut wie die Pressefreiheit. Eine erste Analyse des Gesetzeswerks kommt zu dem Ergebnis, dass das Gesetz erhebliche Risiken für die Meinungs- und Medienfreiheit birgt. Diese erste Analyse der Gesetzesbestimmungen, Kritikpunkte von ungarischen Medienvertretern und der OSZE sehen formale und inhaltliche Unzulänglichkeiten: Mitglieder im Medienrat sind ausschließlich Mitglieder der Regierungspartei Fidesz, die auf neun Jahre ernannt wurden; anders als in Deutschland macht das ungarische Mediengesetz positive inhaltliche Vorgaben - "ausgewogene Berichterstattung, umfassend objektiv, Themen von nationaler Bedeutung" - statt, wie zum Beispiel in Deutschland, negative Schranken (Jugendschutz, Strafrecht) zu ziehen. Das Europäische Parlament trifft heute mit Ministerpräsident Viktor Orban zusammen, der das Gesetz weiterhin als EU-konform bezeichnet. Die Bundesregierung begrüßt aber die Ankündigung Orbans vom 7. Januar 2011 gegenüber dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, eventuelle Änderungsvorschläge der EU-Kommission zu akzeptieren. Eine abschließende Bewertung des Mediengesetzes nach detaillierter sachlicher Prüfung ist nun Aufgabe der EU-Kommission. Die Bundesregierung setzt sich für eine möglichst rasche Prüfung durch die EU-Kommission ein. Anlage 16 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 36): Gibt es innerhalb der Europäischen Union Überlegungen, das EU-Waffenembargo gegen China aufzuheben, und, wenn ja, welche Position bezieht die Bundesregierung zu diesem Vorschlag? Einzelne Partner im EU-Kreis haben die Überprüfung bzw. Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen die Volksrepublik China im Rahmen der Beratungen über die strategische Partnerschaft der EU mit China zur Diskussion gestellt. Dazu gibt es in der EU keinen Konsens. China spricht das Thema weiterhin bei Konsultationen mit EU-Mitgliedstaaten und mit der EU aktiv an. Die Bundesregierung würde bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen die völlige Normalisierung der Beziehungen der EU zu China begrüßen, kann aber einer Aufhebung des Waffenembargos gegenwärtig nicht zustimmen. Für eine Aufhebung des Waffenembargos müssen nach Ansicht der Bundesregierung bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, die auch in entsprechenden Beschlüssen der EU festgehalten wurden. Dazu gehören: 1. Nachhaltige Entspannung in der Taiwanstraße. Hier gibt es deutliche Fortschritte, diese sind jedoch noch nicht nachhaltig. China verhält sich derzeit konstruktiv und pragmatisch, hält sich aber auch die militärische Option weiterhin offen und unternimmt gegen Taiwan gerichtete Rüstungsanstrengungen. 2. Weitere Verbesserungen der Menschenrechtssituation. Auch hier gab es seit 1989 insgesamt große Fortschritte, aber gerade in den letzten zwei Jahren eher Stagnation und sogar negative Entwicklungen. Noch sind auch Personen in Haft, die im Zusammenhang mit Tiananmen verurteilt wurden. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, hat im August 2010 in einem Brief an die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Catherine Ashton, der auch an alle Außenminister der Mitgliedstaaten verteilt wurde, über eine umfassende Chinapolitik der Europäischen Union die deutsche Haltung in dieser Frage dargestellt. Dies wurde von vielen EU-Partnern ausdrücklich begrüßt. Anlage 17 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 37): Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung ihrer Vorgängerregierung aus CDU, CSU und SPD, wonach "die Bundesregierung keine Veranlassung hat, am rechtmäßigen Vorgehen der amerikanischen Justizbehörden" gegen die als "Miami Five" bekannten kubanischen Gefangenen in den USA zu zweifeln (Plenarprotokoll 16/135, Seite 14230 (B), Antwort zu Frage 21), nachdem die US-amerikanische Sektion von Amnesty International in einem Brief an den US-Justizminister Eric Holder vom 4. Oktober 2010 die Wahl von Miami als Ort der Verhandlung angesichts der überwiegenden Feindseligkeit gegenüber der kubanischen Regierung in dieser Region sowie deren Medienberichterstattung und anderer Ereignisse vor und während der Verhandlung, sodass eine faire Verhandlung unmöglich gewesen sei, kritisiert hat (www.amnestyusa.org/ document.php?id=ENGUSA20101013001&lang=e)? Die Bundesregierung hat ihre Einschätzung zum Fall der "Miami Five" nicht geändert. Aufgrund der öffentlich zugänglichen Informationen sieht die Bundesregierung weiterhin keine Veranlassung, am rechtmäßigen Vorgehen der amerikanischen Justizbehörden zu zweifeln. Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse zu den genannten Fällen. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ole Schrö der auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 38): Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung zum Schutz von koptischen Christen in Deutschland ergriffen, und erwägt sie nun eine verstärkte Aufnahme von Angehörigen christlicher und anderer in Ägypten bedrohter Minderheiten, wie etwa den Bahai, sollten diese in Deutschland Schutz suchen? Aus Sicht der Bundesregierung stellt der Anschlag auf Besucher der koptischen Kirche in Alexandria/ Ägypten am 1. Januar 2011 eine neue Dimension der Gewalt dar; vergleichbare Auswirkungen auf die Situation der Kopten in Deutschland sind jedoch gegenwärtig nicht zu erwarten. Die im Dezember 2010 im Internet gefundenen Aufrufe zu weltweiten Anschlägen gegen koptische Kirchen während der Weihnachtsfeiertage haben die Sicherheitsbehörden des Bundes unverzüglich an alle Länder gesteuert. Die Länder, nach dem Grundgesetz zuständig für den polizeilichen Schutz vor Ort, haben daraufhin die erforderlichen Maßnahmen in Abstimmung mit den jeweiligen koptischen Gemeinden ergriffen. Die zuständigen Stellen von Bund und Ländern stehen hierzu weiterhin in engem Kontakt. Sicherheitsrelevante Zwischenfälle zum Nachteil koptischer Interessen und Einrichtungen sind den Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang bisher nicht bekannt geworden. Den Sicherheitsbehörden liegen gegenwärtig weder Erkenntnisse noch Hinweise vor, die für eine konkrete Gefährdung koptischer Interessen und Einrichtungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sprechen würden. Für weitere Maßnahmen der Bundesregierung zum Schutz der koptischen Gemeinden im Bundesgebiet gibt es aktuell keine Ansätze. Die Bundesregierung plant derzeit keine Aktion zur Aufnahme von Angehörigen von Minderheiten aus Ägypten in Deutschland. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ole Schrö der auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 39): Welche Informationen hat die Bundesregierung über den Tod der 47 Jahre alten Roma aus dem Landkreis Mayen-Koblenz, die in Deutschland fachärztlich therapiert wurde und einen Monat nach ihrer Abschiebung aus Deutschland im Kosovo gestorben ist, und wie beurteilt es die Bundesregierung, dass bei der Einzelfallprüfung, bei der die Frau nicht als besonders schutzbedürftige Person anerkannt wurde, lediglich die Flugtauglichkeit der Frau, jedoch nicht die Diagnose ärztlich überprüft wurde (taz vom 13. Januar 2011)? Es handelt sich hierbei um einen Fall des Rückführungsvollzugs, den das Land Rheinland-Pfalz durchgeführt hat, weil Rheinland-Pfalz einzig zuständig ist. Der Fall wird derzeit im zuständigen Innenministerium Rheinland-Pfalz fachaufsichtlich überprüft. Die Prüfung dauert noch an. Nach Kenntnis der Bundesregierung wurde die Verstorbene mit ihrer Familie und weiteren Personen am 7. Dezember 2010 in den Kosovo zurückgeführt. Dabei kam es zu keinem besonderen Vorfall; auch während des Fluges und am Flughafen Pristina bereitstehendes ärztliches Personal musste weder in diesem Fall noch anderweitig in Anspruch genommen werden. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ole Schrö der auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 40): Wie können Aktivistinnen und Aktivisten aus dem globalisierungskritischen, antirassistischen oder antimilitaristischen Spektrum in Deutschland sichergehen, dass sie nicht in den letzten sieben Jahren aufgrund falscher Anschuldigungen oder durch illegale Handlungen - als Agent Provocateur oder auf andere Art und Weise, darunter den Einsatz von Sexualität - von M. K. ins Visier von Verfolgungsbehörden gerieten oder verurteilt wurden und werden, wie dies unter anderem in Großbritannien geschah und was nach Bekanntwerden zur sofortigen Einstellung von Gerichtsverfahren führte? Wie bereits in der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke, Bundestagsdrucksache 17/4333, vom 22. Dezember 2010 unter anderem zum grenzüberschreitenden Einsatz verdeckter Ermittler, verweist die Bundesregierung auf die allgemeinen Rechte des Betroffenen, im Strafverfahren Eingriffsmaßnahmen einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Diese ergeben sich unter anderem aus § 98 Abs. 2 Satz 2 analog, §§ 101 und 304 der Strafprozessordnung. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 41): Wie rechtfertigt die Bundesregierung auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten, vor allem einer bedingt vorsätzlichen Mordteilnahme, die laufende Praxis deutscher Militär- oder Sicherheitsbehörden, in Afghanistan angebliche Aufständische für diverse Maßnahmenlisten der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan zu benennen, obwohl die Bundesregierung dabei in Kenntnis entsprechender Vorgehensweisen nicht ausschließen kann, dass die betreffenden Personen daraufhin in Afghanistan oder Pakistan unter anderem durch Drohnenangriffe von US-Stellen getötet werden (vergleiche Antworten der Bundesregierung auf meine zahlreichen Anfragen sowie auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 17/2884 zu Frage 27), und wie beurteilt die Bundesregierung ebenfalls strafrechtlich die Praxis des Bundeskriminalamtes sowie wohl weiterer deutscher Sicherheitsbehörden, laufend an ausländische Partnerdienste Personaldaten über aus Deutschland ausreisende "Gefährder" zu übermitteln, ohne dabei eine Datenverwendung zu deren Tötung auszuschließen, wie - einer Strafanzeige des Richters am Oberlandesgericht Thomas Schulte-Kellinghaus zufolge - der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, schon am 21. Juni 2006 öffentlich eingeräumt haben soll (vergleiche Spiegel Online vom 8. Januar 2011, taz vom 12. Januar 2011)? Die strafrechtliche Beurteilung der von Ihnen angesprochenen Geschehnisse obliegt den zuständigen Stellen der Justiz des Bundes und der Länder. Dementsprechend hat - vergleiche die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 23 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen vom 23. November 2010 "US-Drohnenangriff tötet deutsche Staatsangehörige - Eingreifen der deutschen Justiz", Bundestagsdrucksache 17/3916, Seite 8, - der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof wegen eines mutmaßlichen Drohnenangriffs am 4. Oktober 2010 bei der Stadt Mir Ali, über den in den Medien berichtet wurde, einen Prüfvorgang angelegt. Gegenstand der Prüfung ist die Frage, ob Anlass besteht, ein Ermittlungsverfahren wegen eines in die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts fallenden Straftatbestandes einzuleiten. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Der Bundesregierung ist weiterhin bekannt, dass bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eine Strafanzeige im Zusammenhang mit den "Drohnenfällen" in Pakistan eingegangen ist, die dort derzeit bearbeitet wird. Im Übrigen darf ich auf die - auch von Ihnen bereits angeführte - Antwort der Bundesregierung auf die Frage 27 der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 8. September 2010 "Informationspolitik zum Afghanistan-Einsatz", Bundestagsdrucksache 17/2884, Seite 10 f., verweisen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der Bundesregierung ist bekannt, dass ein Richter am Oberlandesgericht eine Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Wiesbaden gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat den Vorgang mit der Bitte um Prüfung, ob der Anfangsverdacht einer in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallenden Straftat besteht, an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof übersandt. Diese Prüfung findet derzeit statt. In diesem Verfahrensstadium nimmt die Bundesregierung zu dem erhobenen strafrechtlichen Vorwurf keine Stellung. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4406, Fra-gen 42 und 43): Wie schätzt die Bundesregierung Umfang und Bedeutung des Sachverhalts der anonymisierenden Wirkung von Versicherungsschutzmänteln (Financial Times Deutschland vom 10. Dezember 2010) in Bezug auf die verschiedenen Staaten ein, über die dieses sogenannte Wrapping erfolgen kann? Wie beabsichtigt die Bundesregierung Steuerflucht über sogenanntes Wrapping zu verhindern, und welche Lösungsmöglichkeiten strebt die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen mit der Schweiz über ein Steuerabkommen für eine dauerhafte Lösung des Problems unversteuerter Kapitalanlagen deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz diesbezüglich an? Zu Frage 42: Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit der Einbringung von in einem ausländischen Staat geführten Bankdepots oder Bankkonten als Einmalbeitrag in eine nach ausländischem Recht abgeschlossene Lebensversicherung eine Auskunftserteilung für Steuerzwecke nach einer dem OECD-Standard für Transparenz und effektiven Informationsaustausch in Steuersachen entsprechenden Informationsaustauschklausel nicht ausgeschlossen werden kann. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach dem OECD-Standard betrifft alle Informationen, die zur Besteuerung im ersuchenden Staat "voraussichtlich erheblich" sind. Dies gilt für Steuern aller Art und Bezeichnung und schließt auch Angaben über die Berechtigten oder Begünstigten von Lebensversicherungen bzw. über Transaktionen wie die Übertragung von Depots oder Konten ein. Zu Frage 43: Der Gesetzgeber hat durch die gesetzliche Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG im Jahressteuergesetz 2009 etwaige steuerliche Privilegierungen für vermögensverwaltende Lebensversicherungen - den klassischen Versicherungs-"Wraps" - erheblich eingeschränkt, indem die Besteuerung durch den Lebensversicherungs-"Mantel" auf das vom Versicherungsunternehmen gehaltene Anlage-Produkt durchgreift. Außerdem hat er den Steuerabzug bei Lebensversicherungserträgen auf inländische Niederlassungen ausländischer Unternehmen erweitert. Schließlich sind nunmehr auch Versicherungsvermittler im Inland verpflichtet, den Vertragsabschluss eines Kunden mit einem ausländischen Unternehmen anzuzeigen. Ferner verfolgt die Bundesregierung im Rahmen der Revision der EU-Zinsrichtlinie das Ziel, bestimmte Lebensversicherungen in den Anwendungsbereich der Zinsrichtlinie aufzunehmen. In den Steuerverhandlungen mit der Schweiz ist es ein Anliegen der Bundesregierung, dass die zu vereinbarenden Lösungen nicht durch Umgehungsgestaltungen wie zum Beispiel durch die Verwendung von "Versicherungs-Mänteln" unterlaufen werden können. Ich bitte um Verständnis, dass die Bundesregierung keine weitergehenden Einzelheiten zum Inhalt der laufenden Verhandlungen mitteilt. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 44): Wie hat sich die Bundesregierung in den derzeit laufenden Verhandlungen gegenüber den geplanten Änderungen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF, positioniert, und wie steht sie zu dem Vorschlag, dass die EFSF in Zukunft nach einer vorherigen Gläubigerbeteiligung - sogenanntes Haircut - Staatsanleihen von krisengebeutelten Staaten ankauft? Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklungen an den Finanz- und Anleihemärkten sehr genau. Sie ist entschlossen, das Notwendige umzusetzen, um die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion als Ganzes zu sichern. Die Bundesregierung vertritt dabei die Auffassung, dass alle Maßnahmen zur Euro-Stabilisierung in eine Gesamtstrategie zur Krisenbewältigung eingebettet werden müssen, über die auch in einem Gesamtkontext zu befinden und entscheiden ist. Eine solche Gesamtstrategie beinhaltet beispielsweise auch die Anstrengungen der einzelnen Länder und eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung. Die EFSF hat im letzten Jahr ihre Arbeit aufgenommen. Ende Januar wird sie voraussichtlich zur Finanzierung der ersten Tranche des Irland-Kredits eine erste Anleihe begeben. Die Rating-Agenturen werden diese Anleihe erstklassig bewerten. Die EFSF ist als Refinanzierungsinstrument für Kredithilfen ausgestaltet. Die Euro-Staaten - sofern sie nicht selbst Nehmer eines Kredits sind - stellen hierzu Garantien bereit, um die Kredite abzusichern. Die Grundlagen dieses Mechanismus sind in einem Gesellschafts- und in einem Rahmenvertrag geregelt. Das Ziel der Bundesregierung ist, diesen Mechanismus effizient und effektiv zu nutzen. Nach der Mechanik der Fazilität stehen die beschlossenen 440 Milliarden Euro in der Realität nicht voll umfänglich zur Wahrung der Finanzstabilität zur Verfügung stehen, weil die EFSF ein erstklassiges Rating braucht und deshalb finanzielle Mittel in der EFSF gebunden werden müssen. Änderungen, die das Verhältnis von Mitteleinsatz und Wirkungsgrad verbessern, werden von der Bundesregierung geprüft. Eine Aufstockung des Eurorettungsschirms steht jetzt nicht an. Abzüglich des Irland-Kredits ist genügend Spielraum für weitere Stabilisierungshilfen vorhanden, wenn die Europäische Union, die Mitgliedstaaten und der Internationale Währungsfonds in bewährter Manier zusammenwirken. Zu der von Wissenschaftlern und Experten vorgeschlagenen Erweiterung des Aufgabenspektrums der EFSF in Form einer finanziellen Unterstützung von Schuldenrückkäufen durch die überschuldeten Staaten selbst hat sich die Bundesregierung bislang nicht positioniert. Schuldenrückkäufe durch die EFSF bewertet sie aber als äußerst problematisch. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 45): Wie viele direkte und indirekte Arbeitsplätze existieren in den Bundesländern der ehemaligen DDR in der Sanierung von Braunkohletagebauen und Braunkohleveredelungsanlagen - bitte nach aktuellem Stand nach Bundesländern aufschlüsseln, möglichst für 2010 -, die nach der Wende nicht privatisiert werden konnten? Gemäß Angaben des bundeseigenen Bergbausanierers LMBV, Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, bestanden im Jahr 2010 insgesamt circa 2 800 Arbeitsplätze in der Braunkohlesanierung. Davon ergeben sich 2 477 direkte Arbeitsplätze, gleich primäre Beschäftigungswirkung, aus folgenden Gruppen: Beschäftigte bei der LMBV, förderfähige Arbeitsplätze, Arbeitsplätze bei Nachauftragnehmern und Auszubildende. Circa 330 Arbeitsplätze ergaben sich aus der sekundäre Beschäftigungswirkung der Kaufkraft aus Arbeitseinkommen, indirekte Arbeitsplätze. Nachfolgend die erbetene Zuordnung auf die Bundesländer: Land Brandenburg: 1 134 direkte und circa 150 indirekte Arbeitsplätze; Freistaat Sachsen: 1 019 direkte und circa 140 indirekte Arbeitsplätze; Land Sachsen-Anhalt: 298 direkte und circa 40 indirekte Arbeitsplätze; Freistaat Thüringen: 26 direkte und circa 4 indirekte Arbeitsplätze. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 46): Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigungen der Europäischen Kommission zur Erstellung eines Rechtsgutachtens zu unkonventionellen Erdgasbohrungen und der damit einhergehenden Frage, ob die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa und Deutschland ausreichen (dpa-Meldung vom 10. Januar 2011), vor dem Hintergrund ihrer Aussagen in der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/1867, dass bei Beachtung der geltenden technischen Umweltstandards grundsätzlich keine Unterschiede zur Förderung von konventionellem Erdgas bestehen? Die Bundesregierung begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, durch externen Sachverstand überprüfen zu lassen, ob der bestehende europäische Rechtsrahmen ausreicht, um die geltenden Umweltstandards auch bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas europaweit einzuhalten. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Peter Hintze auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksa-che 17/4406, Frage 47): Hat die Bundesregierung vor, deutsche Ausstattungshilfe für die tunesische Polizei und das tunesische Militär sowie Rüstungsexporte nach Tunesien vor dem Hintergrund der aktuellen Polizeigewalt zu überprüfen (bitte begründen)? Die Bundesregierung entscheidet über Rüstungsexporte jeweils im Einzelfall und im Lichte der aktuellen Situation. Grundlage dafür sind die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" aus dem Jahr 2000 und der "Gemeinsame Standpunkt 2008/944/ GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern". Der Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland kommt danach eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt auch für Exporte und Ausstattungshilfe für Polizei und Militär in Tunesien. In den Jahren 2007 und 2008 wurde die tunesische Polizei mit Informationstechnik sowie mit Bürokommunikation in Höhe von circa 37 000 Euro durch das BKA unterstützt. Für 2011 sind keine polizeilichen Ausstattungshilfen vorgesehen. Die Streitkräfte der Republik Tunesien waren, mit zeitlichen Unterbrechungen, seit 1968 Empfängerland im Rahmen des Ausstattungshilfeprogramms, AH, der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte. Mit Billigung des Auswärtigen Ausschusses und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages wurden bisher in Bewilligungszeiträumen von jeweils 3 bis 4 Jahren insgesamt rund 44 Millionen Euro bereitgestellt. Die Lieferung von Waffen und Munition ist dabei ausdrücklich durch Haushaltsvermerk ausgeschlossen. Die Ausstattungshilfen bezogen sich unter anderem auf Transportfahrzeuge, technische Ausbildungszentren und medizinische Einrichtungen. Die entsprechenden Ausstattungshilfen sind abgeschlossen. Eine Wiederaufnahme Tunesiens in das Programm ist nicht vorgesehen. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Fragen 48 und 49): Welche Vorteile erwartet die Bundesregierung von der geplanten Umstrukturierung der Integrationsfachdienste, IFD, für den Fachbereich Berufliche Sicherung (§ 109 ff. des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX), wonach die freihändige Vergabe seitens der Bundesagentur für Arbeit für Vermittlungsdienstleistungen entfällt, in Anbetracht der Tatsache, dass damit die Umsetzung des im SGB IX formulierten Ziels, mit den Integrationsfachdiensten eine verlässliche und kontinuierliche Struktur für schwerbehinderte Menschen und ihre Arbeitgeber zu schaffen, gefährdet wird? Wie stellte sich 2010 die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung dar, und wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklungen? Zu Frage 48: Die Bundesregierung plant keine Umstrukturierung der Integrationsfachdienste. Die Bundesagentur für Arbeit beschafft Arbeitsmarktdienstleistungen im Rahmen des Vergaberechts. Dies gilt auch für die Leistungen der Integrationsfachdienste zur Vermittlung schwerbehinderter Menschen, soweit sie keine Rehabilitanden sind. Nach den Änderungen der VOL/A im Jahr 2009 können Integrationsfachdienste nicht mehr im Wege der freihändigen Vergabe beauftragt werden. Diese Rechtsänderung folgt der Rechtsprechung zum Vergaberecht, an das auch die Bundesagentur für Arbeit als öffentlicher Auftraggeber gebunden ist. Die in der Frage genannten §§ 109 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch, SGB IX, gelten nur für Rehabilitanden. Integrationsfachdienste werden in diesen Fällen nicht im Wege des Vergaberechts in Anspruch genommen und vergütet, sondern auf der Grundlage der Gemeinsamen Empfehlung nach § 113 SGB IX. Zu Frage 49: Von der guten Entwicklung des Arbeitsmarktes insgesamt hat im vergangen Jahr der Arbeitsmarkt für schwerbehinderte Menschen leider nicht in dem gewünschten Ausmaß profitiert. Entgegen der Gesamtentwicklung der Arbeitslosigkeit 2010, Rückgang um 5,2 Prozent auf 3,2 Millionen, nahm die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen um 4,8 Prozent auf 175 586 zu. Allerdings gelang es im Vergleich zu 2009 deutlich mehr schwerbehinderten Menschen, ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu beenden, + 20,2 Prozent. Dieser Anstieg liegt spürbar über der Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit insgesamt, + 11 Prozent. Angesichts der Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen und vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs muss es das Ziel sein, bisher ungenutzte Potenziale schwerbehinderter Menschen intensiver für den Arbeitsmarkt zu nutzen. Die Bundesregierung prüft derzeit in Abstimmung mit den Ländern, auf welche Weise vorhandene Bundesmittel aus der Ausgleichsabgabe zur Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen genutzt werden können. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Frage des Abgeordneten Niema Movassat (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 50): Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene ergreifen, um die Preisspirale bei Nahrungsmitteln, die sich derzeit wieder gefährlich in die Höhe dreht, zu stoppen und Hungerrevolten wie derzeit in Algerien zu verhindern? Die Bundesregierung sieht die extremen Preisschwankungen mit Sorge, weil sich damit die Risiken für die weltweite Ernährungssicherheit erheblich verstärkt haben. Sie setzt sich vor diesem Hintergrund aktiv dafür ein, im Rahmen der Bemühungen um eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte auch mögliche Maßnahmen im Agrarbereich intensiv zu prüfen. Auch hat sie ihr entwicklungspolitisches Engagement zur Sicherung der Welternährung in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Im internationalen Bereich setzt sich die Bundesregierung für einen erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde bei der WTO ein, von dem stabilisierende Wirkungen auf die Märkte erwartet werden. Außerdem veranstaltet das BMELV in dieser Woche die internationale Agrarministerkonferenz in Berlin, die sich im Rahmen des "Global Forum for Food and Agriculture" auch mit dem Thema Preisvolatilität und Auswirkungen auf die Welternährungslage befasst. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 51): Auf welcher Faktengrundlage - bitte für die jeweilige veröffentlichende Stelle mit Veröffentlichungsdatum aufschlüsseln - wurde den deutschen Verbrauchern mitgeteilt, es sei keine mit Dioxin belastete Ware in den Lebensmittelhandel gelangt, und welche dioxinbelasteten Lebensmittel sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Handel - sowohl in Deutschland als auch durch den Export - gelangt (Spiegel Online vom 13. Januar 2011)? Die Kontrolle von Lebensmitteln und Futtermitteln fällt in Deutschland in die Zuständigkeit der Länder. Über die Faktengrundlage, auf deren Basis die Länder die Öffentlichkeit informieren oder informiert haben, liegen dem Bund keine Erkenntnisse vor. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Fragen des Abgeordneten Alexander Süßmair (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Fragen 52 und 53): Welche Probenstrategie wurde in den jeweiligen Bundesländern bei der Untersuchung der Betriebe im Zusammenhang mit dem derzeitigen Dioxinskandal angewendet? Hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Bewertung der Gefährdung der Bevölkerung durch Dioxin im Zusammenhang mit dem aktuellen Skandal Risikogruppen wie Schwangere, Stillende, Personen mit Gewichtsreduzierung und andere gesondert berücksichtigt? Zu Frage 52: Die Zuständigkeit für die Durchführung der amtlichen Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung liegt bei den Ländern. Nach den dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz übermittelten Angaben geben die Überwachungsbehörden die Betriebe erst wieder frei, wenn die Erzeugnisse keine erhöhten Dioxingehalte aufweisen oder wenn durch Untersuchungen erwiesen ist, dass die verfütterten Partien keine überhöhten Dioxingehalte enthielten. Zu Frage 53: Das Bundesinstitut für Risikobewertung zieht bei seinen Risikobewertungen vielfältige Kriterien heran. Hierzu gehören auch die in der Fragestellung genannten empfindlichen Bevölkerungsgruppen. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 54): Wie viele landwirtschaftliche Betriebe sind aktuell aufgrund der Dioxinfunde in Futtermitteln noch gesperrt - bitte auch nach Bundesländern auflisten -, und wie viele der in diesem Zusammenhang bundesweit analysierten Proben weisen Dioxinwerte über dem entsprechenden Grenzwert auf? Nach derzeitigem Stand (16. Januar 2011, 18:00 Uhr) sind 943 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt, hiervon 879 in Niedersachsen, 56 in Nordrhein-Westfalen, 4 in Sachsen-Anhalt, 2 in Mecklenburg-Vorpommern und je ein Betrieb in Brandenburg und Hessen. Es liegen Analyseergebnisse für 34 amtliche Proben von Mischfuttermitteln vor. Die Ergebnisse liegen im Bereich von 0,039 (+/- 0,008) bis 0,41 (+/- 0,12) ng PCDD/F WHO-TEQ/kg und damit unterhalb des Höchstgehalts für Mischfuttermittel von 0,75 ng PCDD/ F WHO-TEQ/kg. Untersuchungsergebnisse von Eiern aus den betroffenen Betrieben zeigen Gehalte im Bereich des zulässigen Höchstgehalts von 3 pg/g Fett, WHO-PCDD/F-TEQ und in Einzelfällen Überschreitungen bis zum Vierfachen. Von insgesamt 98 Proben von Hühnereiern und Eiprodukten (homogenisiertes und pasteurisiertes Vollei) weisen 66 (73 Prozent) keine Höchstgehaltsüberschreitungen auf. Die Gehalte der Proben mit Höchstgehaltsüberschreitungen liegen zwischen 3 und 8,7 pg/g Fett. Zwei von drei amtlichen Untersuchungsergebnissen von Fleisch der Legehennen aus den betroffenen Betrieben wiesen erhöhte Dioxingehalte auf (4,99 pg/g bzw. 3,93 pg/g, Höchstgehalt 2 pg/g WHO-PCDD/ F-TEQ). Sechs Proben von Hähnchen - davon jeweils drei aus Eigenkontrollen und drei aus amtlichen Kontrollen - weisen keine Überschreitungen des Höchstgehalts von 2 pg/g WHO-PCDD/ F-TEQ) auf. Bei Mastputen liegen bisher amtliche Ergebnisse für 16 Proben und weitere 5 Ergebnisse aus betrieblichen Eigenkontrollen vor. Deren Gehalte liegen deutlich unterhalb des Höchstgehalts von 2,0 pg/g WHO-PCDD/ F-TEQ. 42 Untersuchungen vom Fleisch von Schweinen zeigen keine Überschreitungen des Höchstgehalts von 1 pg/g Fett WHO-PCDD/ F-TEQ. Bei zwei Probeschlachtungen von Schweinen aus gesperrten landwirtschaftlichen Betrieben wurde bei einer Probe eine Überschreitung des Höchstgehalts (1,51 pg/g) festgestellt. Eine weitere Probe liegt mit 1,07 pg/g im Streubereich des Höchstgehalts. Für Rindfleisch liegt bisher ein amtliches Untersuchungsergebnis vor, welches deutlich unterhalb des Höchstgehalts von 3,0 pg/g, WHO-PCDD/ F-TEQ, liegt. 26 amtliche Proben von Kuhmilch sind inzwischen analysiert. Die Ergebnisse liegen alle unterhalb des Höchstgehalts von 3,0 pg/g Fett WHO-PCDD/ F-TEQ. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 55): Welche Angaben kann die Bundesregierung über die Herkunft der Waffen machen, die bislang im Zuge der Militärmissionen von EU und NATO am Horn von Afrika bei der Bekämpfung der Piraterie - Atalanta, Allied Protection, Allied Provider, Ocean Shield - sichergestellt wurden, und welche Informationen hat sie darüber, ob von den Piraten auch Waffen verwendet werden, die im Zuge der Entführung des Motorschiffs "Faina", das Waffen von der Ukraine an die "Regierung des Südsudan" bzw. die Sudanesische Volksbefreiungsarmee SPLA lieferte, im September 2008 - unmittelbar vor dem drastischen Anstieg der Piratenübergriffe am Horn von Afrika, dem drastischen Appell des UN-Generalsekretärs zur Bekämpfung der Piraterie und dem Beginn der ersten entsprechenden NATO-Mission - erbeutet wurden? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zur Herkunft der im Rahmen der Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika beschlagnahmten Waffen vor. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Heidrun Dittrich (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 56): Inwieweit wurden die Ergebnisse des runden Tisches Heimerziehung zur Entschädigung ehemaliger Heimkinder angesichts des hohen Alters der Betroffenen und der finanziellen und psychischen Not vieler umgesetzt, und was müssen Betroffene tun, um eine Entschädigung für entgangenes Entgelt, nicht gezahlte Rentenversicherungsbeiträge sowie einen Nachteilsausgleich wegen zwangsläufigen Abbruchs der Berufsausbildung durch Heimunterbringung zu erlangen? Der runde Tisch Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren hat heute, 19. Januar 2011, seinen Abschlussbericht dem Bundestagpräsidenten übergeben. Damit hat er sein auf zwei Jahre befristetes Mandat des Deutschen Bundestags fristgerecht und mit einem sehr eindrücklichen Ergebnis erfüllt. Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich der Moderatorin des runden Tischs, Frau Dr. Vollmer, und natürlich allen Mitgliedern des runden Tischs aus Verbänden, Kirchen, Wissenschaft und Verwaltung, aber ganz besonders den ehemaligen Heimkindern, die trotz mannigfaltiger Anfeindungen von außen konstruktiv, aber nachdrücklich ihre Erfahrungen und Interessen in die Arbeit des runden Tischs sowie in den Abschlussbericht eingebracht haben. Nach Übergabe des Abschlussberichts an den Deutschen Bundestag obliegt es nun diesem, den Länderparlamenten sowie den beiden christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden, die im Abschlussbericht des runden Tischs Heimerziehung unterbreiteten Vorschläge und Empfehlungen zu bewerten, darüber zu entscheiden und die Umsetzung in die Wege zu leiten. Ich teile jedoch Ihre Auffassung, dass eine zügige Behandlung der Vorschläge des runden Tischs im Interesse der Betroffenen wünschenswert ist. Da die Arbeit der Geschäfts- und Infostelle des runden Tischs im Februar 2011 enden wird hat der runde Tisch Heimerziehung in seinem Anschlussbericht die dringende Empfehlung an Bund und Länder ausgesprochen, für eine Übergangszeit eine Stelle einzurichten, die als Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder dient und sonstige interessierte Personen über die Entwicklung informiert. Es ist geplant, die bisherige Ansprechstelle für die Betroffenen bis Ende 2011 fortzuführen. Derzeit finden hierzu Gespräche zwischen Bund, Ländern sowie dem bisherigen Träger der bisherigen Ansprechstelle zur Klärung der Rahmenbedingungen statt. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/4406, Fragen 57 und 58): Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass zur langfristigen Stärkung des Kinderschutzes - insbesondere des Netzwerks Frühe Hilfen - Familienhebammen eingesetzt werden sollen, während gleichzeitig die geplante Bundesinitiative Familienhebammen, die im Referentenentwurf des Bundeskinderschutzgesetzes enthalten ist, auf den Zeitraum von 2012 bis 2015 befristet ist? In welchem Zeitraum vor und nach der Geburt eines Kindes sollen die im Rahmen der geplanten Bundesinitiative Familienhebammen tätig werdenden Familienhebammen zum Einsatz kommen, und welche Qualifikation müssen diese haben? Zu Frage 57: Zuständig für den Einsatz von Familienhebammen sind ganz klar Länder und Kommunen - insbesondere im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Kinder- und Jugendhilfe. Um jedoch die Aktivitäten zu Familienhebammen als Teil der Frühen Hilfen von Ländern und Kommunen zu unterstützen und dort solche anzuregen, wo es noch keine gibt, möchten wir auch als Bund unseren Beitrag leisten und planen mit dem Bundeskinderschutzgesetz eine Regelung im Kontext der Vorgaben zur strukturellen Zusammenarbeit im Rahmen des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz, KKG. Wir werden uns im Rahmen unserer begrenzten Zuständigkeit mit der "Bundesinitiative Familienhebammen" dafür einsetzten, dass der Aus- und Aufbau der Arbeit der Familienhebammen auch im Hinblick auf ihre Funktion in Netzwerken Früher Hilfen so gestärkt wird, dass der Kinderschutz langfristig davon profitieren kann. Die Initiative ist auf den Zeitraum 2012 bis 2015, vier Jahre, befristet. Geplant ist ein Zwischenbericht nach zwei Jahren, der konkrete Empfehlungen enthält, wie die Erfahrungen aus dem Programm nach dieser durch den Bund initiierten und unterstützten Anlaufphase umgesetzt werden sollen. Klar ist, dass der Bund diese Leistung vor Ort nicht dauerhaft finanzieren kann. Wir werden rechtzeitige Gespräche zwischen Bund, Ländern und Kommunen initiieren, um die Nachhaltigkeit der Bundesinitiative sicherzustellen. Zu Frage 58: Die dazu im Einzelnen zu klärenden Fragen werden wir in den kommenden Monaten in engem Austausch mit Ländern und Kommunen sowie Verbänden und weiteren Expertinnen und Experten erörtern. Wir planen, für die Laufzeit der Bundesinitiative und die Vergabe der Bundesmittel eine Kooperationsvereinbarung mit den Ländern abzuschließen. Familienhebammen sind staatlich examinierte Hebammen mit einer Zusatzqualifikation. Die Weiterbildung erfolgt über die Länder, in der Regel durch Landesberufsverbände, aber auch Fortbildungsinstitute, Jugendämter oder Landessozialministerien, und ist bundesweit nicht einheitlich. Sie umfasst je nach Land 150 bis 240 Stunden in einem Zeitraum von 6 Monaten bis 1 Jahr und orientiert sich meistens an einem vom Deutschen Hebammenverband, DHV, entwickelten Fortbildungscurriculum. Familienhebammen begleiten Familien in belastenden Lebenslagen bis maximal zum 1. Lebensjahr des Kindes. Ziel ist es, in dieser Zeit die Familie so zu stabilisieren, dass sie selbstständig zu Recht kommt oder sie in die Hand einer anderen Hilfe zu geben zum Beispiel sozialpädagogische Familienhilfe, Vermittlung einer Elterngruppe in der örtlichen Familienberatungsstelle, usw. Für jede Hebamme - also auch die Familienhebamme - ist grundsätzlich eine Abrechnung der im Hebammenvergütungsvertrag, i. V. m. § 134 a SGB V, vorgesehenen Leistungen und damit über die Gesetzliche Krankenversicherung möglich, also eine Betreuung von Beginn der Schwangerschaft bis zur 8. Woche nach der Geburt. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) (Drucksache 17/4406, Frage 59): Inwiefern hat aus Sicht der Bundesregierung die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Auswirkungen auf § 35 a des Achten Buches Sozialgesetzbuch, und inwieweit sieht die Bundesregierung bei dieser Regelung Änderungsbedarf? Die VN-Behindertenrechtskonvention prägt grundsätzlich das Verständnis für die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft. Dieses Verständnis hat Ausstrahlungswirkung auf alle Bereiche, die Menschen mit Behinderungen betreffen. § 35 a SGB VIII dient dazu, Kindern und Jugendlichen mit seelischer Behinderung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Dies entspricht dem Anliegen der VN-Behindertenrechtskonvention, Menschen mit Behinderungen zu einer unabhängigen Lebensführung und zur vollen Teilhabe in allen Lebensbereichen zu verhelfen. Zur weiteren Beförderung des Inklusionsgedankens der VN-Behindertenrechtskonvention prüft die Bundesregierung derzeit die Zusammenführung der Eingliederungshilfe für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen. BMFSFJ und BMAS arbeiten hier eng zusammen und bringen sich aktiv in die neue gemeinsame Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, ASMK, und der Jugend- und Familienministerkonferenz, JFMK, ein, die sich unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger im Jahr 2011 vertieft mit der Thematik befassen wird. Die Arbeitsgruppe wird 2011 der ASMK und der JFMK einen qualifizierten Zwischenbericht vorlegen. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer (SPD) (Drucksa-che 17/4406, Fragen 60 und 61): Welche Maßnahmen hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten ergriffen, um seine Zuversicht, "dass wir mit Beginn des neuen Jahres eine unabhängige Verbraucher- und Patientenberatung als Regelversorgung haben werden" (Pressemitteilung vom 11. November 2010), in politisches Handeln umzusetzen? Aus welchen Gründen erweist sich die in Frage 60 zitierte Aussage bisher - ausweislich der nach wie vor nicht stattfindenden Beratung der Patientinnen und Patienten - als unzutreffend, und wann erwartet der Beauftragte der Bundesregierung, dass die Beratung der Patientinnen und Patienten in den Beratungsstellen telefonisch und über das Internet vollständig wieder aufgenommen wird? Zu Frage 60: Auch als Mitglied des Beirates, der den Spitzenverband Bund der Krankenkassen bei der Vergabe der Fördermittel nach § 65 b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB V, berät, hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten auf eine zügige und sachgerechte Bewertung der im Rahmen des Vergabeverfahrens eingereichten konkreten Konzepte zur Einrichtung einer unabhängigen Patienten- und Verbraucherberatung hingewirkt. Nach Auskunft des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, der über die Vergabe der Fördermittel entsprechend der gesetzlichen Vorgabe in § 65 b Abs. 1 SGB V mit dem Spitzenverband der Krankenkassen einvernehmlich entscheidet, gab es gute Bewerber, mit denen intensive Verhandlungen um die beste Qualität der Beratung geführt wurden. Die letzte Verhandlung mit den Bietern hat stattgefunden. Aktuell läuft die zehntägige sogenannte Stillhaltefrist bis zum 23. Januar 2011, 00:00 Uhr. Es ist geplant, am 24. Januar den Zuschlag an den Gewinner der Ausschreibung zu erteilen. Zu Frage 61: Bereits im August 2010 hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen unter dem Vorbehalt des Inkraft-Tretens der Neufassung des § 65 b SGB V mit einer europaweiten Neuausschreibung begonnen und die Vergabebekanntmachung veröffentlicht. Die im Einvernehmen mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten gefallene Entscheidung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen über die Vergabe der Fördermittel nach § 65 b SGB V wird aufgrund der gegenwärtig laufenden zehntägigen sogenannten Stillhaltefrist des Vergabeverfahrens bis zum 23. Januar 2011, 00:00 Uhr zum jetzigen Zeitpunkt nicht veröffentlicht. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten erwartet, dass die Beratungseinrichtung umgehend nach Zuschlag ihre Arbeit aufnehmen wird. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Daniel Bahr auf die Frage der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) (Drucksache 17/4406, Frage 62): Wann ist seitens der Bundesregierung mit einem, wie vom GKV-Spitzenverband gemeinsam mit den Vertragspartnern nach § 113 des Elften Buches Sozialgesetzbuch geforderten, für die Weiterentwicklung der Pflegetransparenzvereinbarungen ambulant und stationär geeigneten Konfliktlösungsverfahren und den dafür notwendigen Änderungen des SGB XI zu rechnen, und wie weit sind die dafür notwendigen Vorbereitungen für das gesetzgeberische Verfahren vorangeschritten? Eine Überarbeitung der Transparenzvereinbarungen kann derzeit nur einvernehmlich erfolgen. Notwendige Weiterentwicklungen können damit durch Minderheiten blockiert werden. Um die Chance zu erhalten, sowohl die Qualität der Einrichtungen als auch die Transparenz für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen weiter zu verbessern, wird - auch dem Wunsch relevanter Teile der Selbstverwaltung entsprechend - die Bundesregierung daher ein geeignetes Konfliktlösungsverfahren vorschlagen. Die Bundesregierung strebt die rasche Einbringung des Vorschlags einer gesetzlichen Änderung und parlamentarische Behandlung an. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Anton Hofreiter (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Fragen 63 und 64): Wie hoch ist der Investitionsbedarf in Summe und nach aktuellem Kostenstand für die Straßenbauprojekte des Bundesverkehrswegeplanes 2003 im Freistaat Bayern, für die ein unanfechtbarer Planfeststellungsbeschluss vorliegt, deren Bau jedoch noch nicht begonnen wurde, und wie hoch ist der Investitionsbedarf in Summe und nach aktuellem Kostenstand für die Straßenbauprojekte des Bundesverkehrswegeplanes 2003 im Freistaat Bayern, die sich derzeit im Planfeststellungsverfahren befinden? Wie hoch ist der Investitionsbedarf in Summe und nach aktuellem Kostenstand für die Straßenbauprojekte des Bundesverkehrswegeplanes 2003 im Freistaat Bayern, für die die Linienbestimmungsverfahren abgeschlossen sind und Planfeststellungsverfahren noch nicht aufgenommen wurden, und wie hoch ist der Investitionsbedarf in Summe und nach aktuellem Kostenstand für die Straßenbauprojekte des Bundesverkehrswegeplanes 2003 im Freistaat Bayern, für die bereits Entwurfsplanungen erarbeitet wurden bzw. werden, die jedoch noch nicht linienbestimmt sind? Zu Frage 63: Die Investitionssumme der Projekte mit Baurecht, die noch nicht begonnen wurden, beträgt nach derzeitigem Stand 1,42 Milliarden Euro, die der im Planfeststellungsverfahren befindlichen 1,23 Milliarden Euro. Zu Frage 64: Die geschätzte Investitionssumme für die linienbestimmten Projekte, die sich noch nicht im Planfeststellungsverfahren befinden, beläuft sich auf 2,49 Milliarden Euro, wobei auch Projekte berücksichtigt wurden, für die keine formale Linienbestimmung erfolgt ist. Davon ausgehend, dass im zweiten Teil der Frage Projekte in der Phase der Linienplanung gemeint sind, beträgt deren geschätzte Investitionssumme 3,01 Milliarden Euro. Nicht für alle diese Projekte wird eine formale Linienbestimmung erfolgen und die Entwurfsplanung wird erst nach der Linienplanung durchgeführt. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 65): Auf welche Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass bei den durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festzulegenden Flugrouten am zukünftigen Flughafen Berlin Brandenburg International BBI, die entsprechend der geltenden Gesetzeslage nicht im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens festgelegt worden sind und die nach aktuellen Vorschlägen anders verlaufen werden als nach der dem Planfeststellungsverfahren zugrunde liegenden Grobplanung, europäische Vogelschutzgebiete - Special Protection Areas, SPA - wie das SPA-Gebiet Nr. 7023 am Rangsdorfer See ausreichend Berücksichtigung finden, unter anderem durch eine Flora-Fauna-Habitat-Prüfung bzw. Umweltverträglichkeitsprüfung? Für die Festlegung von Flugverfahren durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung sieht das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch eine Strategische Umweltprüfung vor. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung beabsichtigt nicht, eine FFH-Verträglichkeitsprüfung gemäß § 34 und 35 Bundesnaturschutzgesetz, durchzuführen. Anlage 40 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Fragen der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4406, Fra-gen 66 und 67): Wie sind, wenn es richtig ist, dass für die Probeöffnung von Einlagerungskammern des Atommülllagers Asse II ein förmliches atomrechtliches Verfahren durchgeführt wird, die Zeitabläufe dieses Genehmigungsverfahrens, und aus welchen Gründen wurde nicht der nach dem Atomgesetz mögliche Weg einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr gewählt (bitte mit Angabe, wer in diesem Fall die Entscheidung für das förmliche Verfahren getroffen hat)? Werden bereits Komponenten des vom Bundesamt für Strahlenschutz vorgelegten Notfallplans für das Atommülllager Asse II umgesetzt - gegebenenfalls bitte mit Angabe, welche -, und, wenn nein, aus welchen Gründen wurde mit diesen Maßnahmen noch nicht begonnen? Zu Frage 66: Das Bundesamt für Strahlenschutz, BfS, hat am 27. Oktober 2010 beim Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, NMU, einen Antrag nach § 9 Abs. 1 Atomgesetz, AtG, für die Faktenerhebung Schritt 1 zum Anbohren von zwei ausgewählten Einlagerungskammern gestellt. Am 23. Dezember 2010 lagen dem NMU die Antragsunterlagen vor. Das NMU hat sich zum Ziel gesetzt, die Genehmigung circa zwei Monate nach Vorliegen der Antragsunterlagen zu bescheiden. Es liegt zurzeit keine Situation vor, die es als unabweisbar erscheinen lässt, nach Gefahrenabwehrrecht vorzugehen, so dass aufgrund der derzeitigen Situation das gesetzlich vorgesehene Genehmigungsverfahren durchgeführt wird. Diese Entscheidung hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit getroffen. Zu Frage 67: Nach Vorlage des Notfallplans im Februar 2010 hat das Bundesamt für Strahlenschutz, BfS, unverzüglich mit der Umsetzung von Vorsorge- und Notfallmaßnahmen begonnen. Bereits in der Umsetzung befinden sich die Rückholung gasbildender und wassergefährdender Stoffe sowie die Reduzierung des Resthohlraumvolumens durch Feststoffversatz als Maßnahmen zur Minimierung der Konsequenzen eines auslegungsüberschreitenden Lösungszutritts. Auch wurden Maßnahmen zur Verbesserung der Anlagenauslegung durchgeführt. Hierzu gehören die Einrichtung eines über- und unterirdischen Notfalllagers zur Lagerung technischer Geräte wie zum Beispiel Rohrleitungen und Pumpen für den Fall eines unvorgesehenen Lösungszutritts sowie die vertragliche Sicherung einer erhöhten Entsorgungskapazität für eine technisch förderbare Lösungsmenge von nunmehr 500 Kubikmetern. Daneben laufen die Auffahrungen von zusätzlichen Notfallspeichervolumen für steigende Lösungsmengen auf der 800-Meter-Sohle. Zur Stützung des Grubengebäudes wurde mit der Firstspaltverfüllung als Gefahrenabwehrmaßnahme begonnen; bisher wurden circa 9 000 Kubikmeter Sorelbeton in die Firstspalten gepumpt. Ebenfalls konnte die Planung der Maßnahmen zur Abdichtung potenzieller Wegsamkeiten durch die salinare Schutzschicht sowie zur Stabilisierung und Abdichtung der Zugangsbereiche zu den LAW-Kammern, Low Active Waste, deutsch: schwachaktive Abfälle, und der Einlagerungskammern für mittelaktive Abfälle abgeschlossen werden. Schließlich laufen derzeit Planungsarbeiten für den Fall, dass der Lösungszutritt in das Grubengebäude der Schachtanlage Asse II nicht mehr kontrolliert werden kann. Hierzu gehören das Verfüllen der Resthohlräume in den Nebenbauen der Einlagerungskammern mit schwachradioaktiven Abfällen, das Verfüllen der Resthohlräume in den Einlagerungskammern, das Verfüllen und Abdichten der Tagesschächte sowie die Gegenflutung zur Verringerung der Umlösungsprozesse. Anlage 41 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Fragen der Abgeordneten Dorothea Steiner (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Fragen 68 und 69): Wurden vor dem Hintergrund, dass im Atommülllager Asse II bei Wolfenbüttel in 750 Meter Tiefe erstmals von außen eindringendes Wasser den Weg in eine Lagerkammer mit über 11 000 Atommüllfässern gefunden hat, entsprechende Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung des Eintretens von Laugen in die Einlagerungskammern mit höchster Priorität versehen, wurde mit diesen Maßnahmen bereits begonnen und, wenn nein, warum nicht? Was gedenkt die Bundesregierung zur Beschleunigung des stockenden Genehmigungsverfahrens (vergleiche Braunschweiger Zeitung vom 8. Januar 2011) zum Anbohren der ersten Kammer im Atommülllager Asse II zu tun, welches der Gefahrenabwehr dient und eine wichtige Vorraussetzung für den schnellen Beginn der Rückholung der Fässer darstellt? Zu Frage 68: Vorsorge- und Notfallmaßnahmen zur Minimierung eines auslegungsüberschreitenden Lösungszutritts haben oberste Priorität. Um das Zutreten von Lösungen aus dem umgebenden Gebirge zu verhindern, werden potenzielle Wegsamkeiten abgedichtet, Resthohlräume aufgefüllt und Kammern mit Sorelbeton stabilisiert, in denen keine radioaktiven Abfälle lagern. Derzeit wird das Resthohlraumvolumen durch Feststoffversatz reduziert und bei der Firstspaltverfüllung zur Stützung des Grubengebäudes wurden bereits circa 9 000 Kubikmeter Sorelbeton in die Firstspalten gepumpt. Zutrittswässer werden soweit technisch möglich gesammelt, um ein Eindringen in die Einlagerungskammern zu verhindern. Die Planung der Maßnahmen zur Abdichtung potenzieller Wegsamkeiten durch die salinare Schutzschicht sowie zur Stabilisierung und Abdichtung der Zugangsbereiche zu den LAW-Kammern, Low Active Waste, deutsch: schwachaktive Abfälle, und der Einlagerungskammern für mittelradioaktive Abfälle konnte bereits abgeschlossen werden. Dagegen laufen noch die Planungsarbeiten für die Maßnahmen zum Verfüllen der Resthohlräume in den Nebenbauen der Einlagerungskammern mit schwachradioaktiven Abfällen, zum Verfüllen der Resthohlräume in den Einlagerungskammern, zum Verfüllen und Abdichten der Tagesschächte sowie für die Gegenflutung zur Verringerung der Umlösungsprozesse. Notfall- und Vorsorgemaßnahmen werden so geplant und durchgeführt, dass sie einer Rückholung der radioaktiven Abfälle möglichst wenig entgegenstehen. Zu Frage 69: Das Bundesamt für Strahlenschutz, BfS, hat am 27. Oktober 2010 beim Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, NMU, einen Antrag nach § 9 Abs. 1 Atomgesetz, AtG, für die Faktenerhebung Schritt 1 zum Anbohren von zwei ausgewählten Einlagerungskammern gestellt. Am 23. Dezember 2010 lagen dem NMU die Antragsunterlagen vor. Das NMU hat sich zum Ziel gesetzt, die Genehmigung circa zwei Monate nach Vorliegen der Antragsunterlagen zu bescheiden. Somit verläuft das Genehmigungsverfahren derzeit planmäßig. Die für ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren vergleichsweise kurze Bearbeitungszeit zeigt die Anstrengungen aller Verfahrensbeteiligten, das Genehmigungsverfahren unter Einhaltung der atomrechtlichen Bestimmungen schnellstmöglich zum Abschluss zu bringen. Anlage 42 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Fragen 70 und 71): Erwartet die Bundesregierung, dass die Erneuerbare-Energien-Ziele der Europäischen Union für 2020 auf der Grundlage der bestehenden Richtlinie für erneuerbare Energien und der vorliegenden nationalen Aktionsprogramme der Mitgliedstaaten erreicht werden, und was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, neben den Energiekonzernen auch die mittelständischen Vertreter der Erneuerbare-Energien-Branche zu ihren Energiegesprächen zur europäischen Energiepolitik der Bundesregierung ins Bundeskanzleramt einzuladen? Befürwortet die Bundesregierung den Fortbestand des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf der Grundlage der bestehenden EU-Richtlinie für erneuerbare Energien, oder unterstützt die Bundesregierung die Pläne der Europäischen Kommission für die Abschaffung der nationalen Fördersysteme und deren Ersatz durch ein europaweit vereinheitlichtes Fördersystem? Zu Frage 70: Die von den Mitgliedstaaten vorgelegten Nationalen Aktionspläne für erneuerbare Energie sind noch nicht von der Europäischen Kommission ausgewertet worden. Nach einer ersten, vorläufigen Abschätzung der Kommission kann das EU-Ziel von 20 Prozent erneuerbare Energien im Jahr 2020 erreicht werden. Die Bundesregierung führt zur europäischen Energiepolitik regelmäßig Gespräche mit allen betroffenen Wirtschaftsbranchen, selbstverständlich auch mit der Erneuerbare-Energien-Branche. Zu Frage 71: Die Bundesregierung hält am Erneuerbare-Energien-Gesetz fest und wird im Rahmen des EEG-Erfahrungsberichts über seine Weiterentwicklung beraten und entscheiden. Die Erneuerbaren-Energien-Richtlinie sieht als Instrument zur Zielerfüllung nationale Fördersysteme vor. Der Bundesregierung ist kein aktueller Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Abschaffung der nationalen Fördersysteme durch ein EU-weit vereinheitlichtes Fördersystem bekannt. Anlage 43 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4406, Frage 72): Inwieweit kann die von der Bundesregierung angedachte Übertragung des Geländes der ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf in das Nationale Naturerbe sicherstellen, dass das Gelände in seiner Gesamtheit erhalten bleibt, ohne dass der Status des Nationalen Naturerbes eine Nutzung von Teilflächen für erneuerbare Energien verhindert? Die Bundesregierung hat bisher keine Schritte zur Aufnahme der ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf in das Nationale Naturerbe ergriffen. Die Liegenschaft fällt unter das Verwaltungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Brandenburg zur Übertragung der von der Westgruppe der Truppen, WGT, genutzten Liegenschaften auf das Land Brandenburg vom 20. Juni 1994, WGT-Abkommen. Der Bund, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, hat sich mit diesem Abkommen verpflichtet, die Liegenschaft dem Land Brandenburg zu übereignen. Das Land Brandenburg ist im Gegenzug verpflichtet, diese Liegenschaft ohne weitere Bedingungen in ihr Eigentum zu übernehmen. Davon unabhängig gilt, dass auf Flächen des Nationalen Naturerbes nicht bzw. - in Ausnahmefällen - nur für einen Übergangszeitraum eine Nutzung möglich ist. 9334 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 83. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2011 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 83. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2011 9335 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 9356 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 83. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2011 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 83. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Januar 2011 9355