Plenarprotokoll 17/89 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 89. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Zusatztagesordnungspunkt 1: Vereinbarte Debatte: zur Entwicklung in Ägypten Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Dr. Rolf Mützenich (SPD) Volker Kauder (CDU/CSU) Jan van Aken (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Rainer Stinner (FDP) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Holger Haibach (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Vierter Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes; sonstige Fragen zur Kabinettsitzung Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Jens Ackermann (FDP) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Rudolf Henke (CDU/CSU) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG René Röspel (SPD) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMG Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Eckart von Klaeden, Staatsminister BK Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Eckart von Klaeden, Staatsminister BK Tagesordnungspunkt 2 : Fragestunde (Drucksache 17/4638) Mündliche Fragen 1 und 2 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verwendung der in den Haushaltsjahren 2009 und 2010 für den Straßenunterhalt vorgesehenen Bundesmittel für den Neu- und Ausbau von Fernstraßen Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 3 Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Anteil der für die Refinanzierung von privat vorfinanzierten Projekten gebundenen Mittel in der Mittelplanung für Investitionen in Bundesfernstraßen in Baden-Württemberg Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Mündliche Frage 4 Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Bestandskräftig planfestgestellte Projekte für den Ausbau von Bundesfernstraßen in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Mündliche Frage 5 Uwe Beckmeyer (SPD) Auswirkungen der Handlungsempfehlungen des BMVBS zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Uwe Beckmeyer (SPD) Florian Pronold (SPD) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Gustav Herzog (SPD) Michael Groß (SPD) Burkhard Lischka (SPD) Ute Kumpf (SPD) Kirsten Lühmann (SPD) Johannes Kahrs (SPD) Mündliche Frage 6 Johannes Kahrs (SPD) Abgabe weiterer Aufgaben der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes an Dritte Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Johannes Kahrs (SPD) Uwe Beckmeyer (SPD) Florian Pronold (SPD) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Michael Groß (SPD) Gustav Herzog (SPD) Mündliche Frage 7 Florian Pronold (SPD) Umstrukturierung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in eine Gewährleistungsverwaltung Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Florian Pronold (SPD) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Herbert Behrens (DIE LINKE) Mündliche Frage 8 Gustav Herzog (SPD) Kriterien der Einteilung des Bundeswasserstraßennetzes in Vorrang-, Haupt-, Ergänzungs-, Neben- und Randnetz Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Gustav Herzog (SPD) Ute Kumpf (SPD) Johannes Kahrs (SPD) Uwe Beckmeyer (SPD) Mündliche Frage 9 Burkhard Lischka (SPD) Pläne für eine Erhebung streckenbezogener Nutzungsentgelte für Bundeswasserstraßen und seewärtige Hafenzufahrten Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Burkhard Lischka (SPD) Mündliche Frage 10 Michael Groß (SPD) Finanzierungskonzept für die deutschen Wasserstraßen Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Michael Groß (SPD) Mündliche Frage 16 Kirsten Lühmann (SPD) Integration der im Koalitionsvertrag festgelegten zusätzlichen Aufgaben für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Kirsten Lühmann (SPD) Mündliche Frage 12 Ute Kumpf (SPD) Gefährdung des Ausbaus der 27 Neckar-schleusen zwischen Mannheim und Plochingen infolge der Zuteilung dieses Streckenabschnittes zum Ergänzungs- und Nebennetz Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Ute Kumpf (SPD) Mündliche Frage 13 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Etwaige Kündigung des mit Baden-Württemberg geschlossenen Vertrags zum Neckarausbau Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Karin Roth (Esslingen) (SPD) Mündliche Frage 14 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Bereits vergebene Ingenieurleistungen für den Neckarausbau in Relation zu den geplanten Gesamtinvestitionen Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Karin Roth (Esslingen) (SPD) Mündliche Frage 15 Josip Juratovic (SPD) Auswirkungen der Verlängerung der Neckarschleusen auf die Erhöhung der Güterkapazitäten Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Josip Juratovic (SPD) Mündliche Frage 17 Sabine Stüber (DIE LINKE) Vereinheitlichung der Hochwasserwarnstufen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Sabine Stüber (DIE LINKE) Mündliche Frage 18 Sabine Stüber (DIE LINKE) Einrichtung eines bundeseinheitlichen Hochwasserwarnsystems Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Sabine Stüber (DIE LINKE) Mündliche Frage 28 Dr. Matthias Miersch (SPD) Interessenkonflikte bei der Sicherheitsüberprüfung kerntechnischer Anlagen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Mündliche Frage 29 Dr. Matthias Miersch (SPD) Kritik an der Qualität oder Objektivität bei der sicherheitstechnischen Überprüfung von kerntechnischen Anlagen durch den TÜV Süd Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Mündliche Frage 32 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) PCB-Skandal in Dortmund Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 33 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einsatz bestverfügbarer Technik und Umweltschutzpraktiken bei der Firma Envio AG Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 34 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kosten der Zwischenlagerung radioaktiver Brennelemente im Forschungszentrum Jülich und im Zwischenlager Ahaus Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Zusatzfragen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Gewalttaten und anhaltende Ausschreitungen in Berlin und anderen Städten im Zuge der Räumung eines besetzten Hauses ("Liebig 14") Kai Wegner (CDU/CSU) Wolfgang Gunkel (SPD) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Stephan Thomae (FDP) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Mechthild Rawert (SPD) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 11 Ulrike Gottschalck (SPD) Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Wasserstraße angesichts eines Entzuges von Finanzmitteln und der Aufgabe von Teilen der Infrastruktur Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 3 Mündliche Fragen 19 und 20 Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutsche Beteiligung am Green Climate Fund; Finanzielle Beteiligung und Federführung der Bundesministerien beim Green Climate Fund Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 4 Mündliche Frage 21 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Von der schleswig-holsteinischen Atomaufsichtsbehörde und den fünf weiteren Landesbehörden gemeldeter Nachrüstbedarf für Atomkraftwerke Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 5 Mündliche Frage 22 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verhalten der bayerischen Atomaufsichtsbehörde im Fall des Primärkreislaufbefundes im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 6 Mündliche Frage 30 Dirk Becker (SPD) Dioxinbelastung im Biodiesel Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 7 Mündliche Frage 31 Dirk Becker (SPD) Schadstoffbelastung mit Dioxin in Luft und Boden nach der Verbrennung in Kraftfahrzeugmotoren Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 8 Mündliche Fragen 35 und 36 René Röspel (SPD) Konzept "Akademie für die Lehre" Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 9 Mündliche Fragen 37 und 38 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Ergebnisse des Treffens der Steuerungsgruppe von Bund und Ländern am 28. Januar 2011 zur Umsetzung des Studienplatzmehrbedarfs im Hochschulpakt Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 10 Mündliche Frage 39 Nicole Gohlke (DIE LINKE) Verwendung der durch die Abschaffung leistungsabhängiger Schuldennachlässe im Rahmen des BAföG frei werdenden Gelder Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 11 Mündliche Fragen 40 und 41 Christine Buchholz (DIE LINKE) Befreiung des von den US-Streitkräften festgehaltenen Deutschen Haddid N.; Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Stellen in diesem Fall Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 12 Mündliche Frage 42 Inge Höger (DIE LINKE) Vorlage von Informationen über den vermuteten Giftgaseinsatz der türkischen Armee gegen die kurdische PKK im Jahr 2009 Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 13 Mündliche Frage 43 Inge Höger (DIE LINKE) Inhalt, Ziele, Ergebnisse und Teilnehmer der Gespräche mit politischen Führungspersönlichkeiten aus Bosnien-Herzegowina im Januar 2011 in Berlin Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 14 Mündliche Frage 44 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umstellung der IT-Infrastruktur des Auswärtigen Amts Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 15 Mündliche Frage 45 Klaus Hagemann (SPD) Pläne zur Anpassung des Renteneintrittsalters bei Beschäftigten der EU-Kommission Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 16 Mündliche Frage 46 Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Verlängerung des EU-Fischereiabkommens mit Marokko Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 17 Mündliche Frage 47 Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gefahr eines Übergreifens der revolutionären Entwicklungen in Ägypten und anderen arabischen Ländern auf den Sudan Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 18 Mündliche Frage 48 Heike Hänsel (DIE LINKE) Vorwürfe gegenüber dem Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Bezug auf eine etwaige Verharmlosung der Situation in Ägypten und fehlende Unterstützung bei der Ausreise Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 19 Mündliche Frage 49 Heike Hänsel (DIE LINKE) Aufenthalt von BKA-Beamten in Ägypten; Zusammenarbeit mit Ägypten bei der Ausbildung und Beratung ägyptischer Sicherheitskräfte Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 20 Mündliche Frage 50 Klaus Ernst (DIE LINKE) Entwicklung der Zahl der Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen bei bundesunmittelbaren, bundeseigenen und mehrheitlich in Bundeseigentum befindlichen Unternehmen und Einrichtungen seit 2005 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 21 Mündliche Fragen 51 und 52 Hans-Joachim Hacker (SPD) Befreiung der Inselflüge von der Luftverkehrsteuer; Kompensation für die verspätet erteilte Steuerbefreiung Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 22 Mündliche Frage 53 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Naturschutzrelevante Optionen zur weiteren Verwendung des Geländes des ehemaligen Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 23 Mündliche Frage 54 Klaus Hagemann (SPD) Für die Genehmigung der Verträge für das Atommüllzwischenlager Nord zuständige Stelle; Gesamteinnahmen aus der Zwischenlagerung von radioaktiven Reststoffen privater Atomkraftwerksbetreiber Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 24 Mündliche Frage 55 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Umsetzung der steuerlichen Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 25 Mündliche Frage 56 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Schlüsse aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes über die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen nach § 35 a EStG; Inanspruchnahme der Steuerermäßigung in den Jahren 2004 bis 2008 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 26 Mündliche Fragen 57 und 58 Peter Friedrich (SPD) Sonderkonditionen privater Krankenversicherungen für bestimmte Gruppen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 27 Mündliche Fragen 59 und 60 Gerd Bollmann (SPD) Zeitrahmen für den CCS-Gesetzgebungsprozess; Kompetenzen und Zuständigkeiten der Bundesministerien Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 28 Mündliche Frage 61 Ute Vogt (SPD) Beurteilung der Vorgänge um das offenbar leckgeschlagene CCS-Speicherfeld in der kanadische Provinz Saskatchewan Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 29 Mündliche Frage 62 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswirkungen des gestiegenen Ölpreises Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 30 Mündliche Frage 63 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Strategien im Fall eines Erdölpreisanstiegs auf über 150 bzw. 200 US-Dollar je Barrel Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 31 Mündliche Frage 64 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Industriepolitische Strategie der chinesischen Regierung bei der Photovoltaik und Schlussfolgerungen für die eigene Strategie Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 32 Mündliche Frage 65 Sevim Dadelen (DIE LINKE) Export von Polizeiausrüstung, sogenannten weniger letalen Waffen und IT-Technologie nach Ägypten und Tunesien Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 33 Mündliche Frage 66 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Vorlage eines Entwurfs zur Novellierung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung; Haltung von Mastkaninchen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 34 Mündliche Frage 67 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten in den Gutachten zur NS-Vergangenheit des Landwirtschaftsministeriums Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 35 Mündliche Frage 68 Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Proteste gegen die sogenannte Extremismusklausel Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 36 Mündliche Frage 69 Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erwartungen an die geforderten freiwilligen Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 37 Mündliche Fragen 70 und 71 Caren Marks (SPD) Heranziehung im Ausland versteuerter Einkünfte bei der Berechnung des Elterngeldes Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 38 Mündliche Fragen 72 und 73 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Unzureichende Hilfen und Entschädigungen für Contergangeschädigte; Zusammensetzung des Stiftungsrates der Conterganstiftung Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ 89. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 Beginn: 13.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die heutige Tagesordnung um eine vereinbarte Debatte zur Entwicklung in Ägypten zu erweitern, die gleich im Anschluss als Erstes aufgerufen werden soll. Außerdem ist vorgesehen, nach der Fragestunde, die auf die Befragung der Bundesregierung folgt, eine von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP verlangte Aktuelle Stunde durchzuführen, die sich mit den Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Räumung eines besetzten Hauses hier in Berlin befasst. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte zur Entwicklung in Ägypten Ich erteile dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was wir derzeit in Ägypten, aber nicht nur dort erleben, ist eine Zeitenwende, eine historische Zäsur. Wir wissen nicht, wie diese Entwicklung in Ägypten, in den anderen Ländern der arabischen Welt und in den Maghreb-Staaten weitergeht. Aber eines kann man schon jetzt sagen: Nichts wird danach noch so sein, wie es vorher gewesen ist. Das gilt zum einen für die gesellschaftliche Situation in den betroffenen Ländern, zum anderen für Europa und seine strategischen Nachbarschaftsbeziehungen. Ich will es hier vorab ganz klar sagen: Die Entwicklungen in Ägypten bergen aus Sicht der Bundesregierung eine große Chance auf mehr Demokratie. Wir stehen als Demokraten an der Seite von Demokraten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir stehen unzweideutig auf der Seite der Menschenrechte. Wir stehen unzweideutig an der Seite derer, die für Bürgerrechte eintreten. Wir fügen aber genauso klar hinzu: Wer das ägyptische Volk regieren wird, ist nicht unsere Sache, sondern Sache des ägyptischen Volkes selbst. Genau deswegen wollen wir freie und faire Wahlen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben klare Erwartungen an die ägyptische Seite formuliert und sie in persönlichen Gesprächen übermittelt: die Bundeskanzlerin in ihrem Gespräch mit Präsident Mubarak, ich selbst in zahlreichen Gesprächen mit dem Vizepräsidenten Suleiman und dem Außenminister Ägyptens, aber auch mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Herrn Amru Mussa, der in Ägypten ein gewichtiges Wort hat, und mit Vertretern der Opposition, beispielsweise mit Herrn al-Baradei, den wir aus anderen Zusammenhängen und von früheren Tätigkeiten sehr gut kennen. Unsere Erwartungshaltungen sind ganz klar: Wir wollen erstens die Aufhebung des Ausnahmezustandes, zweitens das Ende der offenen und verdeckten Einschüchterung von Demonstranten und Medien, drittens die Freilassung aller politischen Gefangenen und viertens die unverzügliche Umsetzung der Verfassungsreform. Wir wollen, dass die Menschenrechte geachtet werden; das sagen wir jedem Land, auch jetzt an die Adresse der ägyptischen Regierung. Das ist keine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten; es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die innere Angelegenheit der Menschenrechte. Das entspricht unserem Kompass einer interessengeleiteten und werteorientierten Außenpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Gegensatz, wonach eine werteorientierte Außenpolitik und eine interessengeleitete Außenpolitik nicht miteinander vereinbar seien, ist von gestern. Aus unserer eigenen, aus der deutschen Geschichte müssten wir erkannt haben, dass ein Wandel durch Handel sehr wohl möglich ist und befördert wird. Das, was wir derzeit sehen, ist das Ergebnis von Globalisierung. Entgegen der Meinung derer, die vor der Globalisierung als irgendeinem kapitalistischen Phänomen immer wieder gewarnt haben, erleben wir jetzt, dass eine Globalisierung der Aufklärung, eine Globalisierung von Werten und eine Globalisierung von Freiheitswerten stattfinden. Das ist in Wahrheit die Globalisierung: Eine Vernetzung der Gesellschaften, eine Weltgesellschaft mit der Konsequenz, dass wir immer mehr mit Weltinnenpolitik zu tun haben werden. Deswegen ist die Globalisierung nichts, was man bekämpfen müsste. Globalisierung ist vielmehr eine Globalisierung von Werten und Haltungen. Es ist die positive Seite der Globalisierung, die wir auf den Straßen derzeit augenscheinlich beobachten können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ebenso geht es nicht um ein Entweder-oder. Es geht nicht entweder um Stabilität oder um Demokratie - auch das ist ein Gegensatz von gestern -, sondern es geht um stabile Demokratie. Aber wie kommen wir dorthin? Wir kommen nicht dorthin, indem wir mit starken Sprüchen den Eindruck erwecken, dass die Angelegenheiten der Demonstranten, die wir derzeit in Ägypten beobachten, eine Angelegenheit des Westens, eine Angelegenheit ausländischer Regierungen sei. Genau damit wird derzeit Politik gemacht. Deswegen muss völlig klar sein: Wir unterstützen eine freiheitliche, aufklärerische Bewegung in Ägypten. Aber es ist selbstverständlich so, dass die Meinungsführer des ägyptischen Volkes vom ägyptischen Volk selbst ausgewählt werden müssen. Wer, nur um innenpolitisch Punkte zu machen, starke Sprüche von der Bundesregierung fordert, will in Wahrheit eigene parteipolitische Interessen in Deutschland bedienen; aber er dient nicht den Interessen der Demokratie in Ägypten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir müssen nach innen klar und nach außen so klug handeln, dass wir nicht denen in die Hände spielen, die in Wahrheit keine Demokratie wollen, sondern entweder die Verlängerung dessen, was war, oder ein anderes autokratisches System oder aber auch religiösen Fundamentalismus und Extremismus. Das muss genau beachtet werden. Das ägyptische Volk ist ein großes Volk, es ist ein selbstbewusstes Volk, es ist ein stolzes Volk, und es hat selbstverständlich das Recht, selbst zu entscheiden, wer es führt und wer es in der Opposition begleitet. Es ist nicht unsere Entscheidung, es ist die Entscheidung der Ägypter selbst. Wir wollen helfen, aber nicht bevormunden. Wir wollen im Rahmen der Transformationspartnerschaft helfen. Dieses Konzept hat Deutschland in die Europäische Union eingebracht. Dazu zählen zum Beispiel der Aufbau demokratischer Parteien und das Fördern der Menschenrechte. Den Rechtsstaatsdialog wollen wir intensivieren, die Justiz wollen wir modernisieren, wenn die Ägypter das gemeinsam mit uns wollen. Wir können beim Entwurf einer demokratischen Verfassung beraten, ebenso beim Aufbau eines fairen und transparenten Wahlsystems und bei der Unterstützung der Arbeit von freien und unabhängigen Medien. Darum geht es. Wir wollen einen Beitrag leisten, wir wollen unterstützen. Wir wollen den Prozess in die richtige Richtung bewegen. Die Regierung hat eine Kommission eingesetzt, die die Verfassung reformieren soll. Es soll auch die Gewalt auf dem Tahrir-Platz untersucht werden. Eines muss allerdings klar hinzugefügt werden: Die Ankündigungen zählen wenig, sondern es zählen ausschließlich die Taten. Wenn die ägyptische Regierung erklärt, sie wolle die Gewalttätigkeiten untersuchen, dann sind das gute Worte, denen aber Taten folgen müssen. Wir werden alle unsere Gesprächspartner nicht an ihren Worten messen, sondern nur an ihren konkreten Taten. Das ist für uns völlig klar und eindeutig. Umgekehrt haben wir auch in der internationalen Gemeinschaft unseren Beitrag zu leisten. Das neue Instrument in der Europäischen Union, eine Nachbarschaftsstrategie, ist und kann ausgebaut werden. Außerdem haben wir ein großes Interesse daran, dass die Zivilgesellschaften wachsen. Wir sind zum Beispiel im Gespräch mit den politischen Stiftungen, selbstverständlich überparteilich. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht, dass auch dadurch eine Zivilgesellschaft gestärkt werden kann. All diejenigen, die heute sagen, es müsse morgen in Ägypten gewählt werden, mögen bedenken, dass dann die moderaten demokratischen Kräfte der Opposition mit Sicherheit kaum eine Chance hätten, weil sie in ganz Ägypten noch nicht ausreichend organisiert sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Jeder Wandel braucht ordentliche Strukturen. Wenn es keine fairen Wahlen gibt, hat die gemäßigte Opposition, haben die moderaten demokratischen Kräfte gar keine Chance, für sich und ihre Ideen in ganz Ägypten zu werben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zwei Schlussbemerkungen. Niemals dürfen wir vergessen, dass der Nahostkonflikt in all diesen Debatten eine Rolle spielt; das gilt nicht nur für Ägypten. Deswegen war es richtig, dass das Nahost-Quartett am Samstag in München wieder ein eindeutiges Signal gegeben hat. Es ist wichtig, dass das Nahost-Quartett diese Aufgabe weiter wahrnimmt. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Friedensgespräche eine Chance haben. Stabilität durch Fortschritte im Nahostfriedensprozess, das wäre ein richtiger und wichtiger Beitrag. So ermutigen wir alle Partner in der Region. Nachdem ich an einer Beratung des Auswärtigen Ausschusses teilgenommen habe, danke ich ausdrücklich allen Fraktionen dafür, dass sie die Arbeit der mutigen Frauen und Männern, die bei der Botschaft und in den Konsulaten beschäftigt sind, anerkannt haben. Ihr Einsatz war keine Selbstverständlichkeit. Unsere Staatsangehörigen wurden mithilfe dieser Frauen und Männer außer Landes gebracht. Die Botschaftsangehörigen haben dabei zum Teil eine Gefahr für Leib und Leben in Kauf genommen, und sie sind immer noch vor Ort, um Landsleuten zu helfen. Ich denke, das verdient über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg unsere Anerkennung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Ernstberger [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Rolf Mützenich ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns - dabei schließe ich mich ausdrücklich ein - haben die Entwicklung in Tunis, Kairo und Sanaa - womöglich kommen in Zukunft noch viele weitere Orte hinzu - nicht vorhergesehen. Ich will aber betonen: Damit standen wir nicht allein. Wenn wir in das Pressearchiv des Deutschen Bundestages schauen, stellen wir fest, dass im Jahr 2010 17 Artikel über Tunis veröffentlicht wurden. Vier oder fünf Artikel, die ich mir angeschaut habe, beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Bewegungen, zum Beispiel mit Hungerkonflikten bzw. Armutsaufständen, die es dort gegeben hat. In den letzten fünf Jahren hat die Bundestagsbibliothek, die uns nach meinem Dafürhalten einen guten wissenschaftlichen Überblick gibt - Stichwort: Politikberatung -, sieben Bücher zu dem Thema angeschafft. Auch in diesen Bereichen gab es also eine Menge Fehleinschätzungen. Auch wenn wir es nicht vorausgesehen haben, müssen wir uns deutlich vor Augen führen, dass wir es heute mit Volksaufständen zu tun haben. Breite Teile der Gesellschaft gehen auf die Straße und verändern die Strukturen wirkungsmächtig - das gilt, egal wie die Ergebnisse aussehen werden -; denn diese Strukturen werden auch in 10 oder 20 Jahren noch existieren. Aus meiner Sicht ist eines heute vollkommen klar: Das Bild, das wir im Westen, auch in Deutschland, von islamischen Gesellschaften immer gezeichnet haben, ist falsch. Diese Menschen sind in der Lage, die Politik mitzubestimmen. Sie demonstrieren auf der Straße und in Foren und verändern so die Politik. Sie sind in diesen Fragen eben nicht rückständig. Viele Wissenschaftler haben immer wieder geschrieben und gesagt, dass die Entwicklung in islamischen Gesellschaften auf vielfältige Art und Weise behindert wurde. Jetzt zeigen diese Gesellschaften, was es ausmacht, wenn das Volk auf die Straße geht und für Veränderungen eintritt. Die Bundesregierung und wir alle stehen jetzt vor einer großen Bewährungsprobe. Es kommt darauf an, wie man in der konkreten Situation handelt. Herr Bundesaußenminister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes Vorbildhaftes geleistet haben, und zwar unter Zurückstellung ihrer persönlichen Interessen. Das gilt auch für die Mitarbeiter der politischen Stiftungen, die Sie eben genannt haben, und für die Mitarbeiter der Entwicklungshilfeinstitutionen. Wenn man das benennt, dann wird umso deutlicher, was die Bundesregierung eben nicht gemacht hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ihr Wirken in den ersten Tagen dieses Volksaufstandes war unentschlossen, missverständlich und folgenlos. Selbst als das Regime Gewalt provoziert und eingesetzt hat, war man nicht in der Lage - dies gilt sowohl für die Bundesregierung als auch für die Europäische Union -, deutliche Worte zu finden. Alles, was aus Berlin gekommen ist, war halbherzig. Sogar die türkische Regierung, sogar der türkische Präsident haben mehr Kritik am Regime in Ägypten als Sie geäußert. All das, was Sie in den ersten Tagen in Interviews gesagt haben - "glasklar", "eindeutig" -, waren nichts anderes als Füllwörter in der Politik. Was als eine Herausforderung für eine freiheitliche Außenpolitik hätte beginnen können, ist im Ungefähren geblieben. Genau das ist der Fehler, den wir Ihnen vorzuwerfen haben. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund dessen, was Sie in den vergangenen Jahren immer behauptet haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Eigentlich sind Sie besser!) Die Bundeskanzlerin hat es nicht geschafft, die Einzelinteressenvertreter in der Europäischen Union noch während des Konfliktes auch nur ein bisschen zu disziplinieren. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es nicht geschafft, zu verhindern, dass Sarkozy immer wieder französische Sonderinteressen reklamiert hat. Sie haben es nicht geschafft, zu verhindern, dass Regierungschef Berlusconi den bekannten Brief entwertet hat, indem er sagte, man habe es bei Mubarak mit einem weisen Mann zu tun. Dazu hätten Sie öffentlich eine Bemerkung machen müssen. Dass Sie das nicht getan haben, das ist doch der entscheidende Unterschied. Sie können nicht nur über Diplomatie und Vertraulichkeit etwas erreichen; die Außenpolitik steht heute vor anderen Herausforderungen. Anscheinend wollen Sie das nicht anerkennen. Sie müssen sich dem aber öffentlich stellen. (Beifall bei der SPD) Nur Öffentlichkeit hätte den Demonstranten die Solidarität zollen können, die diese gebraucht haben. Was brauchen wir jetzt? Sie kommen jetzt mit der Forderung nach der Freilassung der politischen Gefangenen. Nach meinen Informationen sind die politischen Gefangenen in Tunesien, die im Rahmen der Aufstände inhaftiert worden sind, wieder freigelassen worden. Gleiches verlangen wir von der ägyptischen Regierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen aber auch einen Dialog mit den Demonstranten, Herr Bundesaußenminister. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie auch den Vertretern Deutschlands sagen würden: Wir müssen den Dialog mit den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und an anderen Stellen so schnell wie möglich aufnehmen. Außerdem müssen die Hilfen an gesellschaftlichen Fortschritten gemessen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, das ist der entscheidende Aspekt der europäischen Politik in den nächsten Wochen. Andere Institutionen wie die Union für das Mittelmeer müssen genauso eingesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Bundeskanzlerin, es geht insbesondere um Glaubwürdigkeit in der Politik. Wenn Sie sagen, dass Sie für freie und faire Wahlen im Nahen und Mittleren Osten einstehen, dann glaube ich Ihnen das zunächst einmal. Das messe ich auf der anderen Seite an den Erfahrungen, die wir mit Ihnen gemacht haben, wenn es relativ freie und faire Wahlen gegeben hat. Hierbei haben Sie eine große politische Last auf die Schultern der deutschen Außenpolitik gelegt. Als es nämlich in Palästina relativ freie und faire Wahlen gegeben hat und uns das Ergebnis nicht gepasst hat, gehörten Sie als eine der Ersten zu denjenigen, die, auch nach Konsultationen, in der Europäischen Union eine Politik der Nichtakzeptanz betrieben haben. Glauben Sie denn, dass die Menschen in der Region vergessen haben, dass Sie, Frau Merkel, damals Präsident Bush ermutigt haben, die Intervention im Irak zu vollziehen? Sie haben diese Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten doch mit vorangetrieben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sagen immer wieder, dass Sie aufgrund eigener Erfahrung an der Spitze der Volksaufstände stehen. Daran misst man die Glaubwürdigkeit der Politik. Frau Bundeskanzlerin, wann immer dies möglich war, haben Sie den damaligen Außenminister Steinmeier behindert, das Tor zur syrischen Regierung aufzustoßen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Der ist doch im Flugzeug sitzen geblieben!) Sie haben damals Herrn Klaeden als Sprecher vorgeschickt und gesagt: Genau das ist die falsche Richtung. Deswegen müssen Sie sich gefallen lassen, dass Ihnen in diesem Zusammenhang Vorwürfe gemacht werden. Ich glaube, Sie müssen sich an Ihren eigenen Vorgaben messen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihre Aufregung an dieser Stelle ergibt sich daraus, dass Sie in den letzten Jahren in der Außenpolitik unglaubwürdig gewesen sind, wenn es um den Nahen und Mittleren Osten ging. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das hat Steinmeier nicht verdient!) Den einen oder anderen haben Sie nicht angesprochen; ich muss das einmal sagen. Herr Guttenberg hat zwar auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Kurve bekommen; aber noch in Davos hat er von der Infektion des Nahen und Mittleren Ostens gesprochen, als es um Tunesien und Ägypten ging. Das ist das Bild, das Sie in Ihren Köpfen haben. Deshalb haben Sie am Anfang dieser Volksaufstände gewartet: Sie konnten überhaupt nicht einschätzen, was dort passiert. Sie haben den NATO-Generalsekretär in München nicht einmal ein bisschen korrigiert, Herr Außenminister, als er gesagt hat, das seien nur noch sicherheitspolitische Herausforderungen. Wer Volksaufstände nur als eine sicherheitspolitische Herausforderung für die NATO ansieht, der hat die Zeichen der Zeit, das, was im Nahen Osten gegenwärtig passiert, nicht erkannt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass die Menschen im Nahen Osten jetzt Respekt, Aufmerksamkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit brauchen. Deutschland könnte durch eine kluge Außenpolitik eine Menge dazu beitragen und dabei auch gewinnen. Wir fordern Sie dazu auf. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle sind beeindruckt und bewegt von den täglich neuen Bildern aus Ägypten und von den Ereignissen dort. Wir bewundern den Mut, vor allem der vielen jungen Menschen, die für ihre Bürgerrechte, für mehr Demokratie in ihrem Land eintreten. Niemand von uns hätte noch vor einigen Wochen vorhersagen können, dass dies in Ägypten geschehen wird. Dem, der jetzt behauptet, er habe das alles schon früher gewusst, (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Mützenich hat das Gegenteil gesagt! Das war sein erster Satz! - Uta Zapf [SPD]: Zuhören!) dem glaube ich auch nicht, wenn er jetzt Aussagen über die Zukunft macht. Wir haben es nicht wissen können. Ich war am Anfang dieses Jahres in Ägypten, nachdem ein furchtbarer Anschlag auf koptische Christen in Alexandria verübt worden war, und habe dort Gespräche mit vielen jungen Leuten geführt. Es waren vor allem Gespräche mit jungen Christen und mit jungen Muslimen. Die jungen Kopten haben uns gesagt: Es war zum ersten Mal der Fall, dass wir nach solchen Anschlägen auf die Straße gegangen sind und uns nicht versteckt haben. Sie haben auch gesagt: Wir haben nicht nur für unsere Rechte und für unseren Schutz demonstriert, sondern wir haben auch demonstriert, weil wir mit den Verhältnissen in unserem Land nicht mehr zufrieden sind. Das haben uns auch junge Muslime berichtet. Sie haben gesagt: Wir studieren an den Universitäten unseres Landes und danach dürfen wir nicht einmal an einem Gemüsekarren arbeiten, um unser Leben fristen zu können. Das wird nicht lange gut gehen. Es geht also neben dem Wunsch, mehr Freiheit zu haben, auch um die Wünsche von jungen Menschen, Lebensperspektiven zu haben. Es wundert einen doch nicht, dass in einem Land, in dem 70 Prozent der Einwohner unter 30 Jahre alt sind und eine Arbeitslosigkeit von nahezu 50 Prozent herrscht, Perspektiven für junge Menschen gefragt sind. Deswegen müssen wir beides im Blick haben: Was können wir tun, um Lebensperspektiven für die Menschen in Nordafrika - jetzt geht es um Ägypten - zu ermöglichen und um die Demokratie dort voranzubringen? Ich kann Ihnen nur sagen: Die Rede, die Sie gerade gehalten haben, Herr Kollege, hat überhaupt keinen Beitrag zur Bewältigung dieser Aufgabe geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sehe keine Veranlassung für die Vorwürfe, die Sie erhoben haben. Die Bundesregierung hat sich - das gilt sowohl für den Außenminister als auch für die Bundeskanzlerin - klug verhalten und klug geäußert. Ich kann Ihnen nur raten: Lesen Sie den bemerkenswerten Beitrag des algerischen Schriftstellers Boualem Sansal in der Welt von heute. Er beschreibt dort ganz genau, dass es jetzt darauf ankommt, einen Prozess in Gang zu bringen, der auch den Gruppen, die bisher keine Chance hatten, sich zu organisieren, die Möglichkeit dazu gibt. Dazu können unsere Stiftungen einen Beitrag leisten, indem sie diesen Gruppen zunächst einmal eine Stimme geben und somit Gewicht verleihen. Bis jetzt sind nämlich nur die Muslimbruderschaften organisiert. Ich will Ihnen sagen: Ich bin von dem, was die jungen Leute tun, wirklich beeindruckt. Mit einigen, die ich Anfang des Jahres in Ägypten getroffen habe, habe ich in diesen Tagen gesprochen. Eine Sorge muss man allerdings ansprechen: Die Christen in Ägypten befürchten, bei diesem Prozess unter die Räder zu kommen. Deswegen: Wer jetzt einen schnellen Wandel fordert, der wird Strukturen befördern, die nicht denen entsprechen, die wir uns unter einer pluralistischen Gesellschaft vorstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es war richtig, dass sich die Bundesregierung auf die Seite der jungen Demonstranten gestellt, aber auch für einen geordneten Prozess geworben hat. Herr Außenminister und Frau Bundeskanzlerin, hier haben Sie unsere volle Unterstützung. Es geht auch darum, dass man die Bevölkerung in Ägypten darin bestärkt, diese Revolution bzw. diese Veränderungsbereitschaft als ihre ureigene Angelegenheit anzusehen und nicht als Sache einer bestimmten Religion oder einer bestimmten Kultur. Es wäre richtig, wenn die Ägypter sagen würden: Wir sind jetzt nicht in erster Linie Muslime, nicht Christen, nicht Araber, sondern Ägypterinnen und Ägypter, und wir wollen in unserem Land zu demokratischen Strukturen, zu Strukturen mit Perspektive kommen. - Das ist der entscheidende Punkt. Dafür wollen wir werben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist gut und richtig, wenn wir jetzt all diesen Gruppen die Möglichkeit geben, sich zu organisieren. Es ist richtig, dass jetzt mit der Verfassungsreform begonnen wird. Es ist richtig, dass alle Sachverhalte aufgeklärt werden. Es ist richtig, dass wir die jungen Leute in Ägypten darin bestärken, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch sagen mir alle, die sich in Ägypten auskennen - ich kenne mich dort nicht so gut aus -, dass die Hoffnungen groß sind, dass aber auch die Sorgen, ob alles auf den richtigen Weg kommt, noch groß sind. Wir müssen mit diesem Thema sehr behutsam umgehen, wir müssen diejenigen stärken, die diesen Weg einschlagen, ihnen Ratschläge geben, wie ein solcher Prozess gestaltet werden kann, und ihnen deutlich machen, dass man dafür Zeit braucht. All dies können unsere Stiftungen mit auf den Weg bringen. Bewegungen wie die gegenwärtige in Ägypten hat es immer wieder gegeben. In der Vergangenheit zeigte sich: Wenn die Dinge zu rasch eskaliert sind, haben wir ganz andere Ergebnisse bekommen als erwartet. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie vor allem Stimmen aus dem Lager, das ein bisschen links von uns angesiedelt ist, argumentiert haben, als die Menschen im Iran auf die Straße gegangen sind. Damals wurden Sätze gesagt wie: Eine Bürgergesellschaft wird entstehen. Wozu ist es im Iran gekommen? Auf jeden Fall nicht zu dem, was ich mir unter einer demokratischen Bürgergesellschaft vorstelle. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vor diesem Hintergrund sehe ich das Ganze durchaus mit Sorge. Wir als Koalition werden unseren Beitrag dazu leisten müssen, die Muslimbruderschaften in die Verantwortung zu nehmen - das ist richtig -, sodass sie sich nicht im Nachhinein als ausgeschlossene Opposition darstellen können. Aber das, was in diesen Tagen geschehen ist, geht nicht: dass man sich ausschließlich mit den Muslimbruderschaften trifft, um den Wandel zu besprechen, mit den koptischen Christen beispielsweise aber nicht. Da erwarten wir schon, dass alle gesellschaftlichen Gruppen an diesem Prozess beteiligt werden und einen Übergangsprozess moderieren. Dann kann es etwas werden. Bei aller Freude und aller Euphorie, die wir darüber verspüren, dass junge Menschen ihre Angelegenheiten in die eigene Hand nehmen, müssen wir die Dinge auch mit Augenmaß und einer gewissen Sorge über den Ausgang begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jan van Aken ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mubarak muss weg! - Das fordert das ägyptische Volk. Das fordern auch wir. Ich frage mich allerdings, warum ich das eigentlich nicht von Ihnen hier im Deutschen Bundestag höre. (Beifall bei der LINKEN) Seit zwei Wochen wird in Ägypten demonstriert. Millionen von Menschen gehen auf die Straße. Obwohl bereits 300 von ihnen getötet worden sind, gehen sie Tag für Tag mit einem unglaublichen Mut auf die Straße. Ich finde es bewundernswert. Ich muss an dieser Stelle sagen: All unsere Hoffnung und all unsere Wünsche sind bei den Menschen, die heute wieder auf dem Tahrir-Platz in Kairo und anderswo demonstrieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihna wa'ifin hadkum wa natlub maakum ad-dimuqratiyya wa l-hurriyya. - Wir stehen an eurer Seite und fordern mit euch Demokratie und Freiheit. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt aber etwas, was uns in den letzten Tagen immer mehr aus Ägypten erreicht: Das ist die Angst der Menschen - trotz des Mutes, der sie jeden Tag wieder auf die Straße treibt -, von uns verraten zu werden. Die Menschen in Ägypten wissen, dass die Bundesregierung und der Westen Mubarak und sein Regime 30 Jahre unterstützt haben. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie haben die Bürgerrechtler verraten und schwätzen hier so etwas daher! Das ist eine Frechheit!) Sie wissen auch, dass sie Mubarak und sein Regime niemals loswerden, wenn der Westen Mubarak oder Suleiman - das ist aus ägyptischer Sicht ein und dieselbe Soße - weiter unterstützt. Es gibt etwas, was mir persönlich wirklich Angst macht. Meine arabischen Freunde sagen mir, dass in diesen Tagen in der arabischen Jugend ein Satz, der über Facebook und Twitter millionenfach im Internet verbreitet wird, die Runde macht. Der Satz lautet: Wir hassen euch nicht für eure Freiheit, sondern dafür, dass ihr uns die Freiheit verwehrt. Darüber muss man einmal nachdenken. Der erste Teil des Satzes ist doch ganz interessant: Wir hassen euch nicht für eure Freiheit. - Das sind eben keine Westen-Hasser. Das sind keine religiösen Fundamentalisten, die auf die Straße gehen. Das ist die junge Generation, die für ihre Freiheitsrechte einsteht und die Pressefreiheit, soziale Gerechtigkeit und Arbeitsplätze fordert. Das alles sind Werte, die sie auch bei uns in Deutschland und im Westen bewundern. Sie schauen nicht mit Hass auf den Westen. Aber der zweite Teil des Satzes müsste uns wirklich zu denken geben: Wir hassen euch dafür, dass ihr uns die Freiheit verwehrt. - Die jungen Menschen sehen nämlich, dass weder Frau Merkel noch Herr Westerwelle noch Hillary Clinton oder irgendwer im Westen es fertigbringt, zu sagen: Mubarak muss weg! Suleiman muss weg! Die ganze Folterclique der letzten 30 Jahre muss weg! - Erst dann haben sie die Chance auf Freiheit. (Beifall bei der LINKEN) Daher, Herr Westerwelle, müssen Sie sich wirklich entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen. Stehen Sie auf der Seite der Demokratie und auf der Seite der Demonstranten? Oder stehen Sie auf der Seite des Despoten? Lassen Sie das ägyptische Volk jetzt nicht allein, und lassen Sie endlich Mubarak, Suleiman und alle anderen fallen. Das haben Sie bis heute nicht gemacht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da haben Sie als Nachfolgepartei der SED allen Grund, wenn man sieht, was Sie bei der Revolution in Deutschland angerichtet haben! - Gegenruf von der LINKEN: Das hat damit gar nichts zu tun!) Natürlich - da stimme ich mit Ihnen, Herr Westerwelle, überein - hat kein Mensch in Deutschland, kein Mensch im Westen darüber mitzubestimmen, (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: In Deutschland haben wir uns jedenfalls gegen euch durchgesetzt!) wann Wahlen in Ägypten stattfinden, ob es Mussa oder al-Baradei wird. Wir haben dafür zu sorgen, dass das ägyptische Volk die Freiheit bekommt, zu entscheiden, wer dort regiert. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hätten Sie mal in der DDR für Freiheit gesorgt!) Sie machen allerdings genau das Gegenteil von dem, was Sie hier gesagt haben. Sie haben hier behauptet, dass Sie auf der Seite der Demokratie sind. In Wahrheit sind Sie jedoch auf der Seite von Suleiman, dem Vizepräsidenten und Geheimdienstchef. Der hat genauso viel Blut an den Händen kleben wie Mubarak. Trotzdem bezeichnen Sie Suleiman als Ihren Partner. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!) Damit sind Sie nicht auf der Seite der Demokratie. (Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der LINKEN: Diktatorenfreunde!) Mit Ihrer Unterstützung für Suleiman machen Sie tatsächlich Brandstifter zu Feuerwehrmännern und lassen das ägyptische Volk und die Demonstranten alleine. Ich will noch ein Wort zum etwaigen Klinikaufenthalt von Mubarak sagen. Ich bin absolut dafür, dass Menschen nach Deutschland kommen können und hier medizinisch behandelt werden. Das gilt auch für Mubarak. Dabei muss aber Folgendes gelten: In dem Moment, wo die medizinische Behandlung abgeschlossen ist, muss er noch im Krankenhaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und - das darf man nie vergessen - wegen Diebstahls verhaftet werden. (Beifall bei der LINKEN) Mubarak und seine Familie haben Milliarden Euro beiseitegeschafft. Sie lagern auch hier in Deutschland und in Europa bei den Banken. Ich bin dafür, dass Sie dieses Geld einfrieren und es dem ägyptischen Volk zurückgeben. (Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wo sind eure SED-Milliarden?) Herr Mützenich, ich muss es einmal sagen: Den Tanz mit dem Teufel haben nicht nur die CDU/CSU und die FDP gemacht, den Tanz mit dem Teufel hat auch die SPD gemacht. Es gab ein Treffen zwischen dem Außenminister Steinmeier von der SPD und Mubarak, bei dem Herr Steinmeier Mubarak polizeiliche Hilfe zugesichert hat. Er hat ihm sogar - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - technische Hilfsmittel für den Polizeiaufbau zugesagt. Ich möchte mir nicht vorstellen, was in den Folterknästen Ägyptens mit technischen Hilfsmitteln aus Deutschland für die Polizei angestellt wird. Hier haben Sie sich genauso schuldig gemacht, und ich kann auch von Ihnen das erwarten, was die Grünen gemacht haben, nämlich dass auch Sie sich einmal kritisch mit Ihrer eigenen Vergangenheit im Außenministerium auseinandersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Es geht nicht nur um Waffen für die Polizei, und es geht nicht nur um Wasserwerfer. Apropos Wasserwerfer: Sie können sich das entsprechende Video im Internet anschauen. Sie sehen dort einen Wasserwerfer aus deutscher Produktion, mit dem in diesen Tagen in Kairo Demonstranten von der Straße gepustet werden. Es geht auch um ganz andere Waffen. Deutschland hat in den letzten zehn Jahren Waffen im Wert von sage und schreibe 276 Millionen Euro nach Ägypten geliefert. Herr Kauder, Sie können nicht sagen: Das hat doch niemand gewusst. - Sie wussten, dass Waffen im Wert von 276 Millionen Euro nach Ägypten geliefert wurden, und Sie wussten von all den Menschenrechtsverletzungen und Folterungen. (Beifall bei der LINKEN) Trotzdem haben Sie die Waffen geliefert. Darunter waren zum Beispiel 606 Maschinengewehre und 1 726 Maschinenpistolen. Das haben Sie zu verantworten, und Sie wussten alles vorher. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich persönlich wusste das nicht!) Wer Waffen an Diktatoren liefert, der macht sich mitschuldig an Folterung, an Unterdrückung und an Zensur. (Beifall bei der LINKEN) Mit diesen Waffenlieferungen haben Sie sich schuldig gemacht. Sie haben sie mit beschlossen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland gar keine Waffen mehr exportieren sollte, nirgendwohin, vor allen Dingen aber nicht an diejenigen Länder des Nahen und Mittleren Ostens, von denen wir heute schon wissen, dass es dort Menschenrechtsverletzungen gibt. Heute wissen wir das von Ägypten. Letzten Freitag haben Sie die Waffenlieferungen nach Ägypten eingestellt. Das ist auch gut so. Was ist aber mit Algerien? Was ist mit Jordanien? (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Saudi-Arabien!) Was ist mit Saudi-Arabien? (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sollen wir der afghanischen Armee Waffen geben oder nicht?) Soll ich Ihnen einmal kurz vorlesen, was Amnesty International zu Jordanien geschrieben hat, wo in diesen Tagen ebenfalls die ersten Demonstrationen stattfinden? (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sollen wir der afghanischen Armee Waffen geben oder nicht?) Amnesty International schreibt dazu: Es trafen erneut Berichte über Folter und Misshandlungen - in Jordanien - ein. Mindestens zwei Männer starben ... an den Folgen von Schlägen, die ihnen Polizisten zugefügt hatten. Tausende Personen befanden sich ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft. An diese Verbrecher liefern Sie weiter ungeniert Waffen: 2 496 Maschinenpistolen und 303 Gewehre in den letzten fünf Jahren. Hören Sie doch endlich damit auf, die Unterdrücker mit den Waffen auszurüsten, die sie für ihre Unterdrückung brauchen! (Beifall bei der LINKEN) Herr Kauder, wenn in vier Wochen die Revolution und der Volksaufstand Jordanien erreicht haben, können Sie nicht sagen: Wir haben das alles nicht gewusst. Sie wissen es heute, und Sie können heute die Konsequenzen ziehen. Deswegen bin ich dafür, dass ab sofort alle Waffenlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten eingestellt werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Demokratiebewegungen in Tunesien, in Ägypten, in Jordanien und anderswo machen deutlich - einige Vorredner haben es schon gesagt -, dass die arabische Welt wahrscheinlich am Beginn einer neuen Ära steht. Wir sehen Menschen aller Altersstufen und Gesellschaftsschichten auf den Straßen in Tunis, in Kairo und anderswo. Tausende von Frauen sind unter ihnen. Sie kämpfen für Demokratie, für Menschenrechte, für Freiheit, für Selbstbestimmung und auch für mehr soziale Gerechtigkeit, und sie stehen auf gegen autoritäre Regime, die ihre Menschenrechte schon viel zu lange mit Füßen getreten haben. Fest steht - ich glaube, das sehen wir alle so -: Die Region wird nicht mehr die gleiche sein wie vorher. Man muss hier aber auch sagen: Trotz der beeindruckenden Ausdauer der Menschen auf dem Tahrir-Platz ist heute noch nicht klar, ob diese Demokratiebewegung erfolgreich sein wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP]) Deshalb muss die zentrale Botschaft aus dieser Debatte sein: Wir, der Deutsche Bundestag, stehen an der Seite dieser Frauen und Männer, die ihre Forderungen nach Demokratie mit unglaublich großem Mut und großer Beharrlichkeit durchsetzen wollen. Das ist das Hauptsignal, das von dieser Debatte heute ausgehen muss. In diesem Punkt sind wir uns einig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin allerdings der Auffassung, Herr Außenminister, dass die Politik der Bundesregierung, der Europäischen Union, aber auch der USA gegenüber dieser beeindruckenden Bewegung in den vergangenen Wochen nicht gerade hilfreich war, um es diplomatisch auszudrücken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die deutsche Bundeskanzlerin gibt auf der Sicherheitskonferenz - ich selber war auch dort - Revolutionstipps nach dem Motto "Macht mal langsam, Jungs und Mädels!". Unsere Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler haben dazu übrigens gesagt: "Wenn uns das damals einer gesagt hätte und wir das ernst genommen hätten!" Die Bundeskanzlerin hat aber nicht den Mut, offen den Rücktritt von Präsident Mubarak zu fordern. Sie, Herr Außenminister, beschwören eine Globalisierung der Aufklärung - das haben Sie in verschiedenen Artikeln und auch heute wieder getan -, verstecken sich dann aber de facto hinter dem sogenannten Prinzip der Nichteinmischung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Am verheerendsten finde ich die Haltung der Europäischen Union. Die EU-Außenbeauftragte erleben wir überhaupt nicht. Es könnte ihr erster historischer Auftritt sein, aber sie scheint nicht zu existieren. Ich bin selber oft an Europa verzweifelt, aber ihrem Vorgänger Javier Solana wäre das nicht passiert. Davon bin ich fest überzeugt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Außenminister, ich stimme Ihnen zu: Es muss endlich Sache der Ägypter werden, wer Ägypten künftig regiert. Das Volk muss endlich selbst entscheiden. Aber für die Demonstranten ist es eine zentrale Voraussetzung für den Beginn eines glaubwürdigen Übergangs, dass Mubarak jetzt zurücktritt. Er ist für sie nicht der Mann des Übergangs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine Viertelmillion Menschen hat am Freitag in Kairo demonstriert. Hundertausende waren es gestern. Das müssen wir doch einmal zur Kenntnis nehmen. Muss es in den Ohren dieser Menschen nicht zynisch klingen, wenn der Westen, nachdem er Mubarak 30 Jahre lang gepampert hat, immer noch nicht zu klaren Worten bereit ist? Das ist Herumlaviererei, mit der man das Regime de facto dazu ermuntert, auf Zeit zu spielen. Davor haben die Demonstranten nämlich auch Angst: vor einem Spiel auf Zeit, bei dem nicht klar ist, ob am Ende die Demokratie gewinnen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Daher erwarten wir von der EU, aber auch von Ihnen als Bundesregierung, dass Sie die Forderung der Demokratiebewegung unterstützen und endlich klar sagen, dass Herr Mubarak zurücktreten muss. Die Protestierenden haben Vorschläge gemacht, zum Beispiel den, dass Mubarak seinen Vizepräsidenten zur Bildung einer Übergangsregierung ermächtigen könnte. Das mag uns nicht gefallen, aber es war ein Vorschlag. In dieser Übergangsregierung - das ist, glaube ich, von zentraler Bedeutung - muss eine breite Vertretung aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte und der Protestierenden verankert sein. Darauf soll es nach ihren Vorstellungen hinauslaufen. Jedenfalls gilt: Der Übergang muss maßgeblich von denjenigen organisiert werden, die jetzt für Demokratie kämpfen. Darum geht es, Herr Außenminister. Deshalb ist Unterstützung an der Stelle so wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die Demokratiebewegung weiß, dass die Voraussetzungen für wirklich demokratische Wahlen erst geschaffen werden müssen. Da wird man Vizepräsident Suleiman an seinen Taten messen müssen. Das Notstandsrecht muss aufgehoben werden. Es muss eine Verfassungsreform geben, die nicht nur Amtszeit und Machtbefugnisse beschränkt, sondern auch eine neutrale Wahlaufsicht schafft. Das Parteiengesetz muss reformiert werden. Nicht zuletzt: Die oppositionellen Kräfte wissen, dass sie Zeit brauchen, um sich zu formieren und als Partei zu organisieren. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist genau das Gegenteil von dem vorherigen Abschnitt!) - Nein, es gibt Wege. Das Argument der "60-Tage-Frist" ist vorgeschoben. Die Protestierenden haben Vorschläge gemacht. In Tunesien hat man Wege gefunden, und zwar von den Protestierenden selber, was einen vernünftigen Zeitplan bzw. eine Übergangsfrist angeht. Nur, Mubarak braucht man dafür nicht. Das ist die Forderung der Demonstranten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich komme noch einmal auf die Europäische Union zurück. Auch sie muss die Lehren aus dem Umbruch ziehen, der sich gerade vollzieht. Wo bleibt die ehrliche Bilanz der EU-Politik? Absolute Funkstille. Dabei sind doch die jetzigen Entwicklungen auch eine schallende Ohrfeige für die europäische und amerikanische Nahostpolitik. Ich habe es schon in der Tunesien-Debatte angesprochen: Die Mittelmeerunion, die von Sarkozy und anderen mit großem Pomp gegründet wurde, ist eine leere Hülle. Sie ist ein Potemkinsches Dorf. Auf der Höhe der Demonstrationen in Tunesien ist der Generalsekretär zurückgetreten, weil nichts passiert ist. Statt durch eine wirtschaftliche und politische Öffnung der Maghreb-Länder eine nachhaltige Stabilität anzustreben, wie es geplant war, haben wir den Kampf gegen den Terrorismus geführt und Flüchtlingsabwehrpolitik gemacht. Dazu muss man doch wenigstens heute einmal etwas sagen - das ist bisher nicht passiert; ich habe Frau Ashton sehr gut zugehört; sie hat dazu in München gar nichts gesagt -: Stabilität ohne Demokratie und Menschenrechte anzustreben, war ein fataler Irrweg. Das ist eine Politik der doppelten Standards, und mit dieser Doppelmoral in der europäischen Außenpolitik müssen wir Schluss machen. Das müssen heute die Lehren aus diesem Umbruch in der arabischen Welt sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir brauchen einen Politikwechsel und eine neue Strategie im Umgang mit solchen autokratischen Regimen in Ländern angefangen bei Ägypten über Algerien bis hin zu Weißrussland. Ich will nicht sagen, dass das einfach ist. Die Politik ist da oft in einem Dilemma. Aber es muss doch klar sein: Es darf nicht mehr um Stabilität um jeden Preis gehen. Budgethilfen müssen klar an demokratische Reformen gebunden werden. Das müssen doch die Lehren aus diesem Umbruch in der arabischen Welt sein. Ich will noch zwei weitere Konsequenzen nennen. Erstens. Wir brauchen einen realistischen und differenzierten Umgang mit islamistischen Parteien und Gruppierungen. Zweitens - das geht an die Adresse der Union in diesem Hause -: Wir müssen der Türkei endlich den Weg nach Europa öffnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Auch das ist wichtig; denn dann könnten sich diese Bewegungen - das Gespenst des Islamismus wird jetzt wieder an die Wand gemalt - an einem modernisierten Islam orientieren. Stattdessen werden da die Schotten dicht gemacht. Bei den islamistischen Bewegungen müssen wir doch erkennen, dass die Rechnung "islamistisch gleich terroristisch" falsch ist. Das hat uns in die Irre geführt. Diejenigen, die in Tunesien und Ägypten die Proteste tragen, scheinen doch wenig mit den Modellen real-islamistischer Herrschaft, wie in Gaza und im Iran, zu tun zu haben. Es ist eine andere Generation. Sie ist ideologiefern. Sie führt die Proteste an, und die islamistischen Gruppierungen sind eher marginal. Ein letztes Wort an der Stelle zu Israel: Ich verstehe die Sorgen; denn es gibt entsprechende Entwicklungen im Libanon, und es hat Wahlen gegeben, die die Hamas an die Macht gebracht haben. Aber Israel - ich habe es immer verteidigt - als die einzige Demokratie im Nahen Osten darf doch an dieser Stelle nicht nur Sorgen haben. Es muss doch der Demokratiebewegung in diesen Ländern auch die Hand reichen und sagen: Wir unterstützen euch. Wir haben die Hoffnung, dass es auch bei euch zu Demokratie und Rechtsstaat kommt. - Das ist auf jeden Fall meine Erwartung an unsere Freunde in Israel. Klar ist für uns: Wer auch immer in Ägypten regiert, muss den Friedensvertrag mit Israel zur Grundlage seiner Politik machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzte Bemerkung, Herr Präsident. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir wirklich einen Kompass im Umgang mit solchen Regimen brauchen. Stabilität ohne Demokratie, das steht auf tönernen Füßen. Wenigstens das sollten wir von den Menschen, die auf dem Tahrir-Platz demonstrieren, jetzt schon gelernt haben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Dr. Rainer Stinner ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Tagen ist eine Umfrage veröffentlicht worden, nach der 52 Prozent der Bürger in Deutschland die Situation, die wir gegenwärtig erleben, eher als Bedrohung und als Gefahr ansehen. Nun könnte man sagen, das ist auch ein Bild über die Verfasstheit unserer Gesellschaft. Aber selbstverständlich ist es richtig, zu sagen: Wir alle wissen noch nicht, wie es ausgeht. Obwohl wir hoffen, dass es gut ausgeht, können wir nicht ausschließen, dass wir in zwölf Monaten vielleicht feststellen müssen, dass ein autoritäres Regime durch ein anderes ersetzt wurde. Deshalb sagen wir ganz klar - die Botschaft ist eindeutig -: Wer in diesem Hause glaubt, er könne hier sein innenpolitisches Süppchen kochen, indem er die Eindeutigkeit der Aussagen der Bundesregierung infrage stellt, der ist auf dem falschen Dampfer. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es gibt an der Eindeutigkeit dieser Bundesregierung nicht den geringsten Zweifel. Lesen Sie nach und verstehen Sie, was gesagt worden ist. Aber Sie versuchen jetzt, weil Sie als Opposition das so nicht wahrhaben wollen, ein Haar in der Suppe zu finden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da gibt es aber keines!) Ich sage Ihnen: Wir müssen sehr behutsam und mit Bedacht vorgehen. Ich kann erkennen, dass zumindest in der SPD ein gewisser Lernprozess stattgefunden hat; denn, Herr Mützenich, Sie haben - im Gegensatz zu Ihrem europapolitischen Führer, Herrn Schulz, der das vor einigen Tagen getan hat - heute jedenfalls nicht ultimativ den unmittelbaren Rücktritt von Mubarak gefordert. Auch Sie haben erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, von Berlin aus den Rücktritt Mubaraks zu fordern. Die Zeit Mubaraks ist sicherlich vorbei; das weiß jeder. Aber es ist zu fragen, was der richtige Weg, der richtige Rahmen und der richtige Zeitplan ist. Wir sind nun wirklich nicht die richtigen Ratgeber für das ägyptische Volk. Wir unterstützen zwar die dortige Bewegung für Freiheit und Demokratie. Aber wir sagen gleichzeitig: Ihr müsst selber den Weg finden und darüber nachdenken, wie es weitergeht. Ich habe die Einlassungen der drei Kollegen der Opposition gehört. Bei den Linken kann ich es ganz kurz machen. Der Kollege Gehrcke befindet sich gerade in Kuba. Ich gehe nach der Rede von Herrn van Aken fest davon aus, dass er heute noch den sofortigen Rücktritt Fidel Castros fordern wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Mützenich, Sie haben mit Ihrer Tonlage und auch inhaltlich deutlich gemacht, dass es nichts bringt, einzugreifen. Sie machen der Bundesregierung offenbar routinemäßig Vorwürfe. Ich empfehle Ihnen sehr die Lektüre der Frankfurter Rundschau vom 16. April 2004. Dort wird über eine nachträgliche Geburtstagsfeier des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder berichtet, an der zwei sehr interessante Gäste teilgenommen haben, nämlich Herr Putin und Herr Mubarak. Das sind also die Freunde, die bei der SPD zu Geburtstagsfeiern eingeladen werden. So sah die Situation im Jahr 2004 aus. Herr Schröder ist heutzutage nicht mehr in Ihren Reihen. Aber immerhin! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie benehmen sich wie Leute, die stolz sind, am Montag die Lottozahlen zu kennen. Aber am Montag kennen wir alle die Lottozahlen. Da wir nicht wissen, wie sich die Situation in der Region in Zukunft weiterentwickeln wird, müssen wir gemeinsam sinnvolle Schritte machen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einen Satz - Frau Kollegin Müller hat das angesprochen; ich will darauf eingehen - zu Israel sagen. Ich wiederhole: Bei aller Kritik an Israel - ich gehöre zu denjenigen, die vieles kritisch betrach-ten - sollten wir in diesem Haus gemeinsam verstehen - von links bis rechts -, dass im Zentrum der israelischen Politik Tag und Nacht, Jahr für Jahr die Sicherheit steht und stehen muss. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Das ist der Nukleus jeder israelischen Politik. Wenn die Israelis nun sehen, dass es Bewegungen gibt, die eventuell die Bedrohung aus einem Land, mit dem trotz aller Probleme ein stabiler Frieden geschaffen worden ist, erhöhen, dann muss man für ihr Verhalten Verständnis aufbringen. Damit will ich nichts entschuldigen. Ich bitte nur darum, auch gegenüber Israel eine solches Verständnis aufzubringen. Ich sage im gleichen Zusammenhang, dass die Situation, die wir jetzt erleben, die israelische Regierung dazu bringen könnte, darüber nachzudenken, ob ihre Palästinapolitik zeitgemäß ist. Wir müssen Israel fragen, ob es in der Vergangenheit genug getan hat - darüber ist in WikiLeaks zu lesen -, um Chancen wahrzunehmen. Ich beantworte diese Frage nicht. Aber ich möchte die israelischen Freunde bitten, diese Frage zu beantworten. Frau Bundeskanzlerin, ich danke Ihnen außerordentlich dafür, mit welcher Deutlichkeit Sie bei den Gesprächen, die kürzlich in Israel stattgefunden haben, die Situation angesprochen haben. Es ist eine neue Qualität der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, dass wir auch gegenüber Freunden deutlich auf Reformprozesse dringen. Lassen Sie mich mit dem Appell an uns deutsche Politiker schließen, in der Europäischen Union - um es flapsig zu formulieren - einen Zahn zuzulegen oder - höflicher formuliert - besser zu werden. Wir müssen selbstkritisch sagen: Wir Europäer und damit auch wir Deutsche - Deutschland ist ein wichtiges Land in Europa - haben die Mechanismen, die wir für die Region entwickelt haben, nicht ernst genug genommen. Wir haben nicht genau hingeschaut, was mit den 8 Milliarden Euro, die wir innerhalb von fünf Jahren im Rahmen der Nachbarschaftspolitik für die Region ausgegeben haben, geschehen ist. Ich glaube, wir haben nun allen Anlass, darüber nachzudenken. Ich bin froh, dass alle Stiftungen hervorragende Arbeit in der Region leisten. Ich darf Sie auf Folgendes hinweisen: Heute Morgen hat eine Sitzung der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe mit allen Stiftungsvertretern stattgefunden. Die Botschaft aller Stiftungen lautete: Geht maßvoll vor! Haltet euch mit lautstarken Empfehlungen zurück! Unterstützt die Region, dominiert sie aber nicht von außen! - Das ist die Devise der Bundesregierung. Dabei wird sie von beiden Koalitionsfraktionen - ich hoffe, dass ich auch für Sie spreche, lieber Herr Kollege Schockenhoff - (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Ich spreche gleich selber noch!) deutlich unterstützt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Schockenhoff Gelegenheit, die Vermutung zu bestätigen, dass der Vorredner auch in seinem Namen gesprochen hat. Bitte schön. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bedanke mich, lieber Herr Kollege Stinner, dass Sie für mich gesprochen haben. Sie haben das in der Tat getan, aber ich will es trotzdem noch bekräftigen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Es war unzureichend!) - Ich habe noch sechs Minuten. (Zuruf von der SPD: Keine Drohungen!) Herr Außenminister, Sie haben zu Recht gesagt: Das ist ein historischer Umbruch. - Es wird in der arabischen Welt, es wird im Nahen Osten nicht bei der alten Ordnung bleiben. Was in Tunesien begonnen hat, wird nicht in Ägypten aufhören. Es ist vergleichbar mit der Situation, die wir in Europa zwischen 1989 und 1991 erlebt haben. 1996 ist das Buch The Clash of Civilizations des amerikanischen Politologen Samuel Huntington erschienen: Die These, unsere Werteordnung, geprägt von einem Menschenbild, das auf Freiheit, Pluralität, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungs-führung beruht, sei mit einem islamischen Kulturkreis nicht vereinbar, wird derzeit durch die Ereignisse in Ägypten widerlegt. Aber es handelt sich noch um einen fragilen und schwierigen Prozess. Ich finde es gut, dass alle, die bisher geredet haben, bei allen Unterschieden, die wir haben, gesagt haben: Wir stehen eindeutig auf der Seite derer, die diese Chance für die arabische Welt und den Nahen Osten nutzen wollen. Diejenigen, die Freiheit, soziale Gerechtigkeit und persönliche Lebensperspektiven wollen, haben unsere Unterstützung, und zwar uneingeschränkt. Es ist gut, dass das von links bis rechts in diesem Hause gilt. Wir alle werden sie in diesem Prozess unterstützen. Ich halte es für ziemlich wohlfeil, jetzt aufzulisten, welche deutsche Regierung wann welchen ägyptischen Präsidenten oder ägyptischen Regierungsvertreter getroffen hat. Herr Mützenich, ich schätze Sie als einen sehr nachdenklichen Politiker. Ich habe einmal erlebt - vielleicht können Sie sich daran erinnern -, dass Sie, als wir über die Reform der Vereinten Nationen gesprochen haben und Gerhard Schröder einen ständigen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat wollte, gesagt haben: Auch Ägypten muss einen Sitz im Sicherheitsrat haben. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich?) - Ja, das waren Sie, Herr Mützenich. Aus Ihrer Partei kam dieser Anstoß. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich war für einen ständigen Sitz für Deutschland! Vielleicht haben Sie das verwechselt!) Wir haben auf der Welt nicht nur Demokratien. Aber wir müssen überall auf der Welt Interessenpolitik und Wertepolitik betreiben. Ich halte China nicht für eine lupenreine Demokratie, aber ich hielte es für absolut unverantwortlich, wenn wir mit China keine konstruktiven außenpolitischen Beziehungen führten. Das ist doch völlig selbstverständlich. Unterlassen wir deswegen hier diese Form von Schuldzuweisungen. Ich bin froh, dass die letzten beiden Redner, Frau Müller und Herr Stinner, Israel angesprochen haben. Ägypten war das erste Land, das mit Israel Frieden geschlossen hat. Jordanien ist dann gefolgt. Jordanien und Ägypten sind die einzigen Länder in der Region, die mit Israel Frieden geschlossen haben und die diesen Frieden 30 Jahre lang - das ist der Fall bei Ägypten - gelebt haben. Es war deshalb unsere Pflicht, mit diesem Land zusammenzuarbeiten. Wir hätten doch auch aufgrund unserer eigenen historischen Verantwortung keinen größeren Beitrag zur Stabilität leisten können, als verantwortungsvoll mit diesem Land zusammenzuarbeiten. Ägypten war für alle Regierungen, ob schwarz-gelb, rot-grün, schwarz-rot oder jetzt wieder schwarz-gelb, eines der Hauptzielländer deutscher Entwicklungspolitik. Das war es aus guten Gründen, und das muss auch so bleiben. Ich will noch etwas zu dem Transformationsprozess sagen. Frau Müller, Sie haben recht: Ein Spielen auf Zeit garantiert nicht, dass die Demokratie gewinnt, aber ein Drängen auf Eile garantiert, dass die Demokratie verliert. Ob Mubarak bleibt oder nicht, entscheiden nicht wir. Ich bin stolz darauf, dass Honecker nicht vom amerikanischen Präsidenten abberufen oder von Gorbatschow abgesetzt wurde. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass wir sagen konnten "Wir sind das Volk", darauf bin ich als Deutscher, auch als Westdeutscher, stolz. Das ist Teil unserer Identität, und das ist ein Teil des Sieges der Demokratie. Vom 9. November 1989 bis zur ersten gesamtdeutschen Wahl ist über ein Jahr vergangen. Frau Müller, wenn wir diese Zeit nicht gehabt hätten und diesen Prozess der politischen Transformation, der an den runden Tischen stattgefunden hat, nicht zugelassen hätten, dann hätte eine Partei, die "Bündnis 90" in ihrem Namen trägt, an dieser ersten gesamtdeutschen Wahl nicht teilnehmen können. Das ist Demokratie. Wir müssen das zulassen. Wir müssen alle unterstützen, die diesen Wandel wollen. Sie haben unsere uneingeschränkte Unterstützung. Aber wir wollen diesen Prozess nicht von außen lenken. Wir haben eine historische Erfahrung, und diese können wir weitergeben. Dazu gehört, dass an den runden Tischen ein klarer Zeitplan festgelegt wird, so wie festgelegt wurde: Wir führen am 18. März die erste freie Wahl zur Volkskammer durch, am 1. Juli kommt die D-Mark, und am 2. Dezember findet die erste gesamtdeutsche Wahl statt. Das war gelebte Demokratie. Damit haben wir Erfolg gehabt. Aber es gibt auch Beispiele dafür, dass solche Prozesse schiefgelaufen sind. Die Ägypter sind das Volk. Ich habe Vertrauen in Ägypten. Das Volk wird es richten. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle will ich noch einmal für uns alle sagen: Wir haben großen Respekt und Hochachtung vor dem Mut der Ägypter und Ägypterinnen, die seit Tagen und Wochen für ihre Freiheit demonstrieren, und wir fordern die ägyptischen Behörden auf, alle freizulassen, die verhaftet wurden, weil sie politisch missliebig sind oder weil sie demonstriert haben, und wir fordern vor allen Dingen, Folter und Gewalt ein Ende zu setzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Denn beides besteht fort. Wir haben erlebt, wie eine ZDF-Journalistin, die verschleppt worden ist, berichtete, dass sie selbst zwar nicht gefoltert wurde, dass sie aber die Schreie von Ägyptern gehört hat, die gefoltert wurden. Auch möchte ich der fast 300 Menschen und deren Angehörigen gedenken, die zu Tode gekommen sind. Es ist wichtig, dass wir sagen: Es ist notwendig, dass jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Das gehört mit zu den Schlussfolgerungen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Westerwelle, ich will jetzt auch noch einmal sagen, worin die Differenz zwischen Ihnen und uns besteht. Nehmen wir folgende Situation: Vor wenigen Tagen knüppelten Polizisten in Zivil und Anhänger Mubaraks die Menschen, die auf dem Tahrir-Platz ihren Willen für Demokratie ausdrückten, nieder. Sie aber sagen, Sie nähmen nicht Stellung zur Frage des Rücktritts Mubaraks, weil dies eine innerägyptische Auseinandersetzung sei. Ich will uns alle noch einmal daran erinnern: Für die internationale Gemeinschaft besteht die "responsibility to protect", also die Verpflichtung zum Schutz der Menschen, die in ihren Ländern bedroht sind. (Beifall bei der SPD) Das heißt, dies ist eine politische Aufgabe, keine militärische Aufgabe. Die internationale Gemeinschaft muss sich auf die Seite dieser Menschen stellen. Spätestens nach dem Vorgehen seiner Schlägertrupps gegen die Demonstrierenden muss die klare Ansage gegenüber Husni Mubarak lauten: Treten Sie beiseite! Treten Sie zurück! Sie schützen die Bürger und Bürgerinnen Ihres Landes nicht, im Gegenteil, Sie üben Gewalt gegen sie aus! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Herr Westerwelle, deshalb ist diese Frage keine innerägyptische Angelegenheit, sondern gehört zur internationalen Verpflichtung des Schutzes, zur "responsibility to protect". Deshalb ist es notwendig, dass Sie sich dazu klar und deutlich äußern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wenn dieses Signal nicht erfolgt - liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch der Punkt, an dem eine Differenz besteht -, dann lautet die unterschwellige Botschaft an das System in Ägypten, das sich aus verschiedenen Geflechten zusammensetzt, und auch an die Systeme in anderen arabischen Ländern, dass es nach einer Phase der Aufwallung doch wieder ein Zurück zur Stabilisierungsstrategie geben könnte und dass diese Systeme fortbestehen könnten. Die Jugendlichen, die für ihre Zukunft und für Perspektiven demonstriert haben, brauchen von uns das klare und unmissverständliche Signal: Wir stehen auf eurer Seite. Euer Kampf ist nicht umsonst. Ihr wollt mehr Demokratie wagen; wir unterstützen euch - in Tunesien, in Ägypten, in den anderen arabischen Ländern. Euer Engagement ist eine historische Zäsur. Wir wollen, dass diese Zäsur für die Zukunft wirklich Bestand hat. - Darum geht es auch bei der Auseinandersatzung um die Frage: Wie geht es mit Mubarak weiter? Bisher gab es global zwei mögliche Strategien - da wollen wir doch ganz ehrlich sein -, und zwar für die unterschiedlichsten Regierungen; ich habe drei Regierungen angehört, zwei rot-grünen Regierungen und der Regierung der Großen Koalition. Diese beiden Strategien gegenüber den arabischen Ländern waren - ich sage es einmal idealtypisch -: Die US-amerikanische Strategie, der sich auch manche europäische Regierungen angeschlossen hatten, war die der militärischen Unterstützung für Ägypten in großem Umfang; sie hat die Erstarrung des Systems in Kauf genommen. Der zweite Ansatz, zu dem ich mich ausdrücklich bekenne, bestand - ähnlich wie bei der Entspannungspolitik - in der Zusammenarbeit mit den arabischen Regierungen, gleichzeitig aber verbunden mit dem Versuch, innergesellschaftliche Demokratisierungs-, Veränderungs- und Modernisierungsprozesse durch wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu unterstützen und voranzubringen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Wahrheit ist auch, dass die zweite Strategie international in vielen Fällen durch die Strategie der militärischen Stabilisierung überdeckt worden ist. Das drückt sich auch in der Frage der Waffenexporte aus. Wenn wir aus dieser Situation etwas lernen, dann ist es das: Die Zukunft muss der Demokratisierungsstrategie gehören. Es darf kein Zurück mehr geben. Jede Regierung muss darauf verpflichtet sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte an dieser Stelle all jenen Menschen danken - aus den arabischen Staaten, aus der Zivilgesellschaft, aber auch aus einzelnen arabischen Regierungen -, die über viele Jahre, beginnend 2002, den UN-Bericht Arab Human Development Report herausgegeben haben. Sie haben frühzeitig alle kritischen Punkte benannt, die heute auf dem Tisch liegen und die heute jeder wiederholt: den mangelnden Zugang zu Bildung, den mangelnden Zugang zu Jobs, die Benachteiligung von Frauen, die mangelnden demokratischen Beteiligungschancen. Die Arbeit dieser Menschen trägt jetzt Früchte. Deshalb danke ich ihnen. Sie haben sich unter schwierigen Bedingungen dazu bekannt. Ich bin froh darüber, dass wir durch unsere Arbeit, auch als Entwicklungsministerium seinerzeit, deren Arbeit haben unterstützen können; das ist für diese Länder ganz wichtig gewesen. (Beifall bei der SPD) Viele arabische Länder haben protestiert und gesagt - Ban Ki-moon hat bei seinem Besuch gerade wieder daran erinnert -: Das ist Nestbeschmutzung. - Übrigens: In einem Jahr hat auch die US-amerikanische Regierung den Bericht nicht publiziert wissen wollen, und zwar deshalb, weil die arabischen Fachleute den Irakkrieg kritisiert haben. Es ist eine Investition in die Zukunft, was die Menschen dort geleistet haben. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich auch mit Blick auf Ägypten sagen: Es geht um die Unterstützung der Demokratie und die Vorbereitung einer neuen Verfassung. Das Argument "Dazu muss Präsident Mubarak im Amt bleiben" ist schon von der Kollegin Müller widerlegt worden. Es geht um den Aufbau demokratischer Parteien und die Vorbereitung von Wahlen. (Zuruf des Bundesministers Dr. Guido Westerwelle) - Es gibt den einen Punkt, Herr Westerwelle. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das M-Wort!) - Wie auch immer. Die deutschen Stiftungen können wichtige Unterstützung geben. Sie leisten schon bisher eine ausgezeichnete Arbeit. Ich will ihnen an der Stelle - ich kenne all diese Stiftungen - ein Dankeschön sagen. Ihre Vertreter haben ausgeharrt und ihre Arbeit vor Ort geleistet; zum Teil sind ja auch deren Familien betroffen gewesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittelfristig, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es in Ägypten aber auch um wirtschaftliche und soziale Reformen, um die Verwirklichung freier Gewerkschaften, sodass die Menschen ihre Interessen frei artikulieren und für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen können. Lassen Sie mich zum Schluss in aller Kürze drei Anmerkungen für die weitere Arbeit machen: Erstens. Meines Erachtens ist es notwendig, dass endlich auch eine Lösung für die beiden Staaten Israel und Palästina gefunden wird. Das ist wichtig für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Es ist aber auch wichtig, weil in einer Reihe von arabischen Staaten dieser Konflikt als Instrument benutzt wird, um autoritäre Systeme zu stabilisieren. Auch deshalb ist es also notwendig, zu einer schnellen Regelung bezüglich der beiden Staaten zu kommen. Zweitens - auch das sage ich sehr verkürzt, denn ich kann nicht über Details sprechen, weil ich elf Jahre dem Bundessicherheitsrat angehört habe - sind die politischen Grundsätze, die Rot-Grün damals beschlossen hat, einzuhalten. Demnach dürfen in Spannungsregionen keine Waffen und Rüstungsgüter geliefert werden. Wir werden ja erst in ein, zwei oder drei Monaten wissen, was passiert. Deshalb sage ich noch einmal: Wir dürfen in solche Regionen keine Waffen und Rüstungsgüter liefern. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie werden nämlich dazu genutzt, Konflikte anzuheizen und anzutreiben. Mein dritter Punkt - ich bin sicher, er gibt Anlass zu vielen Diskussionen -: Im Widerspruch zu der wertegebundenen Außenpolitik, über die wir ja immer sprechen, steht, dass die Europäische Union und damit auch Deutschland einen Deal mit dem Despoten Gaddafi macht, nämlich in der Form, dass seine Häscher Flüchtlinge, die aus Afrika kommen, abfangen und sie in libysche Lager interniert werden. Ich sage, wir brauchen eine wertegebundene Außenpolitik. Wir brauchen aber auch eine wertegebundene Flüchtlingspolitik, die dieser Heuchelei ein Ende setzt. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Holger Haibach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Debatte heute hat unsere volle Aufmerksamkeit verdient; denn wenn man darüber nachdenkt, was in diesem Jahr in Ägypten, aber auch in anderen Ländern passiert, stellt sich automatisch die Frage: Geht es aus wie Teheran '79, geht es aus wie Peking '89, oder geht es aus wie Leipzig '89? Ich bin Andreas Schockenhoff ausgesprochen dankbar, dass er genau auf diese Frage hingewiesen hat. Natürlich ist unser Platz an der Seite der Menschen, seien sie in Ägypten oder anderswo, die für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit kämpfen. Und genau deshalb kann diese Debatte eines nicht gebrauchen, nämlich innenpolitisches Geplänkel. Jeder, der sagt, diese Regierung reagiere an der einen oder anderen Stelle falsch, der zeigt auf sich selbst zurück. Ich habe im Deutschen Bundestag seit 2002, ehrlich gesagt, keine Debatte erlebt - sei es unter einem Außenminister Fischer oder unter einem Außenminister Steinmeier -, in der diejenigen, die heute so klug daherreden, entsprechende Worte auch schon früher gebraucht hätten. Es ist immer wieder die gleiche Geschichte: Zeigen Sie mit dem Finger auf jemanden, zeigen drei Finger auf Sie zurück. Ich bitte Sie deshalb: Unterlassen Sie das! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen ein bisschen genauer hinschauen!) Das ist der eine Punkt. Ein weiterer Punkt kommt mir in dieser Debatte sehr merkwürdig vor: Hier wird sehr viel ineinandergemischt und zusammengetan, was aus meiner Sicht nicht zwingend zusammengehört. Die Situation in Tunesien ist eine andere als die in Ägypten, in Jordanien oder vielen anderen Ländern. Es gibt allerdings auch ein paar Gemeinsamkeiten. Schauen wir uns einmal die Situation in Ägypten an: Hier gibt es eine sehr junge Bevölkerung. Jedes Jahr kommen ungefähr 600 000 Menschen auf den Arbeitsmarkt; hiervon bleiben aber zwei Drittel arbeitslos. Seit Jahren schon gibt es circa 3 Millionen arbeitslose ägyptische Akademiker. Ähnliche Befunde bzw. entsprechende Parallelen lassen sich wahrscheinlich auch in Tunesien, in Jordanien und in vielen anderen Ländern finden. Wenn wir nach den Ursachen für diese Konflikte fragen, dann sollten wir einmal in die Entwicklungspolitik schauen. Wir haben die Problematik, dass wir es meistens mit autoritären Regimen zu tun haben, die nicht in der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen und Probleme zu lösen. Dies führt im Allgemeinen dazu, dass Menschen unzufrieden werden. Dies führt zu Arbeitslosigkeit und zu einem nicht funktionierenden Wirtschaftssystem. Das ist der Nährboden, aus dem Protest entsteht, neben dem Willen zu Freiheit und Demokratie. Auf diesem Nährboden kann sehr Unterschiedliches wachsen: Es kann entweder zu einem Streben nach Demokratie, nach Rechtsstaatlichkeit kommen, oder es kann dazu führen, dass der Extremismus gestärkt wird. Auf die Frage nach den Ursachen für Terrorismus und auf die Frage: "Wie können wir eigentlich dafür sorgen, dass Terrorismus im Keim erstickt wird?", ist eine richtige, gut geleitete Entwicklungspolitik in diesen Ländern die einzige Antwort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will das gar nicht gut- oder schlechtreden. Das bedeutet nicht, dass wir in der Vergangenheit alles richtig gemacht hätten. Aber was deutsche Entwicklungspolitik erkannt hat, was auch wir gemeinsam erkannt haben und was zwingend europäischer Konsens werden muss, ist, dass wir diese Schritte gehen müssen. Wir brauchen ein abgestimmtes Vorgehen, wenn es um so etwas wie Wirtschaftsförderung im Sinne von Aufbau einer selbsttragenden Wirtschaft mit Wertschöpfungsketten in den Ländern geht. Wir brauchen die Unterstützung beim Aufbau von Bildungs- und Berufsbildungssystemen. Wir brauchen die Unterstützung beim Aufbau von Infrastruktur, und wir brauchen die politischen Stiftungen. Die Tatsache, dass die Bundesregierung, dieses BMZ, gerade ein Programm aufgelegt hat, um die politischen Stiftungen in diesen Ländern zu unterstützen, zeigt sehr deutlich, dass wir nicht nur reden, sondern an dieser Stelle auch handeln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auf einen Punkt möchte ich noch gerne hinweisen. Wael Ghonim, der große Internetaktivist und Google-Manager, der in Ägypten lange in Haft war, hat gesagt: Ich hörte nichts, ich erkannte nichts, hatte keine Ahnung, was draußen auf den Straßen passiert. Und weiter: Wenn du zwölf Tage lang nichts siehst als schwarze Szenerie, dann betest du, dass die, die draußen sind, sich noch an dich erinnern. Vermutlich wird dies meine letzte Rede in diesem Hause sein, weil ich den Bundestag Ende dieses Monats verlasse. Wenn wir eine Aufgabe haben, dann ist es die Aufgabe, auch die Stimme derjenigen zu sein, die selbst keine Stimme haben, weil wir privilegiert sind. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen weiterhin eine gute Arbeit. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie für Deutschland die richtigen Entscheidungen treffen, was immer extrem schwierig ist. Ich habe hier sehr viele interessante Menschen kennengelernt. Ich möchte mich bei meiner Fraktion recht herzlich und auch bei Ihnen für manches gute überparteiliche Miteinander bedanken. Ich wünsche Deutschland und der Welt viele engagierte Demokraten. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Haibach, die für uns natürlich betrübliche Nachricht, dass Sie den Deutschen Bundestag vor dem Ende der Legislaturperiode freiwillig verlassen wollen, wird durch die Information beinahe ausgeglichen, dass Sie eine sehr ähnliche Aufgabe übernehmen, die aber mit der gleichzeitigen Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag schon aus räumlichen Gründen schwer vereinbar ist. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Das kann man so sagen!) Ich möchte meinen herzlichen Dank für Ihre Arbeit hier im Deutschen Bundestag mit allen guten Wünschen für die neue Aufgabe verbinden. (Beifall) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Kollegen Holger Haibach ist für seine Arbeit bereits gedankt worden. Ich darf die etwas verklausulierten Hinweise des Präsidenten auf seine Zukunft auflösen, indem ich anfüge, dass er für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Namibia gehen wird. Das bedeutet, lieber Holger, dass du unter Beweis stellen kannst und wirst, dass die Dinge, über die wir hier diskutiert haben und die du als entwicklungspolitischer Sprecher unserer Fraktion vorangetrieben hast, in der Praxis umgesetzt werden können. Viel Erfolg für deine künftige Aufgabe! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Stabilität ist brüchig geworden, nicht nur in Ägypten, sondern auch in weiten Teilen Nordafrikas und im Nahen Osten. Zu einer Analyse gehört sicherlich, dass wir uns zunächst eingestehen, dass wir alle von der Wucht und Geschwindigkeit der Ereignisse überrascht worden sind. Wir haben durchaus Anlass, unsere Politik zu überdenken. Dennoch ist nicht alles falsch gewesen, was wir bisher im Kontakt mit diesen Ländern getan haben; denn Ägypten hat sehr wohl eine konstruktive Rolle im Nahostfriedensprozess in den letzten Jahrzehnten gespielt. Ägypten ist der einzige arabische Staat, der einen Friedensvertrag mit Israel hat. Deswegen dürfen wir bei aller berechtigten Debatte über die Situation in Ägypten nicht aus dem Auge verlieren, dass wir auch den Nahost-Friedensprozess weiter vorantreiben müssen. Es wäre ein positives Signal, wenn es jetzt gelingen würde, im Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern weitere Fortschritte zu erzielen. Vor diesem Hintergrund war der Besuch der Bundeskanzlerin und des halben Kabinetts in Israel ein wichtiges Signal. Wir haben aber die gesellschaftlichen Entwicklungen in Ägypten und weiteren Staaten Nordafrikas deutlich unterschätzt, obwohl die Bundesregierung seit vielen Jahren auch für die Zivilgesellschaft in diesen Staaten unterwegs ist. Ägypten ist nicht ohne Grund einer der wichtigsten Partner in unserer Entwicklungszusammenarbeit. Auch für die Teilhabe der Zivilgesellschaft an politischen Prozessen, für privatwirtschaftliches Engagement und für Berufsbildung haben wir viel getan. Wir haben mit dem Goethe-Institut, einer deutschen Universität in Kairo und den Deutschland-Wochen in Ägypten ausgedehnte kulturelle Kontakte nach Ägypten geknüpft. Trotz dieser so vielfältigen Kontakte haben wir nicht geahnt, was sich - fast möchte man sagen: unter der Oberfläche der offiziellen Kontakte - abgespielt hat. Auch die Union für das Mittelmeer, die wir im Rahmen der Europäischen Union geschaffen haben, ist in der Tat das Papier kaum wert, auf dem sie geschrieben steht. Wir müssen uns kritisch die Frage stellen, ob wir in solchen Gesellschaften, die autokratisch regiert werden, nicht noch viel intensiver den Kontakt jenseits offizieller Stränge über unsere politischen Stiftungen stärken müssen. Deswegen ist es ein ganz wichtiges Signal, dass wir uns jetzt mit den Vertretern der politischen Stiftungen darauf verständigen, uns in Ägypten - sicherlich lässt sich das auch auf andere Staaten ausdehnen - intensiver zu engagieren. Es steht außer Frage, dass wir die Unterdrückung von Oppositionellen und die Verweigerung von Bürgerrechten offensiv anprangern müssen. Die Menschenrechte gelten universell, und deswegen müssen sie auch universell eingefordert werden. Wir dürfen nicht den Fehler machen, wie bei Facebook Staaten danach einzuteilen, ob sie unsere Freunde sind; vielmehr müssen wir unabhängig davon auf der Einhaltung der Menschenrechte bestehen, denn diese sind unteilbar. Deswegen ist die wichtigste Aussage, die wir in der aktuellen Debatte treffen können, dass wir als Deutsche und als Europäer an der Seite derjenigen stehen, die sich in Ägypten und in den anderen Gesellschaften der arabischen Welt und des Nahen Ostens für Freiheit und Demokratie einsetzen. Diese Menschen, die mutig unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße gehen, müssen wissen, dass sie unsere Unterstützung haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass auf Zeit gespielt wird, sondern müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen jetzt so gesetzt werden, dass diese Menschen ihre Anliegen in den politischen Prozess einbringen können. Wir sollten uns allerdings davor hüten, so zu tun, als wüssten wir besser, wie es dort vorangehen muss. Insbesondere die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Mubaraks ist nicht gerade hilfreich. Es hat auch niemand gefordert, dass er im Amt bleibt, um das einmal deutlich zu sagen. Aber die Entscheidung, wie es weitergeht, müssen wir dem ägyptischen Volk überlassen. Wenn wir für Demokratie eintreten wollen, dann muss die internationale Gemeinschaft jetzt deutlich machen, dass sie das Selbstbestimmungsrecht des ägyptischen Volkes hochhält und mit dazu beiträgt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Ägypter sich frei entscheiden können, wie es in ihrem Land weitergehen soll. Diesen Respekt vor dem Souverän sollten gerade diejenigen aufbringen, die die Volksherrschaft vor sich hertragen und mit guten Gründen jetzt die Chance sehen, dass in der arabischen Welt eine Demokratisierung stattfindet. Wir sollten mit großer Aufmerksamkeit die Stimmen aus Ägypten wahrnehmen, die für Demokratie und Freiheit eintreten, gleichwohl Zeit für die Gestaltung dieses Prozesses einfordern. Es besteht nun einmal offenkundig die Gefahr, dass eine zu frühe Wahl (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will ja keiner!) nur für diejenigen von Vorteil wäre, die schon jetzt so aufgestellt sind, dass sie in dem Land politisch agieren könnten, nämlich die Stützen des jetzigen Regimes, vielleicht die Muslimbruderschaft, daneben aber nicht allzu viele. Deswegen sollten wir es sehr ernst nehmen, wenn Friedensnobelpreisträger al-Baradei öffentlich dafür eintritt, dass erst im nächsten Jahr Wahlen stattfinden und jetzt ein Prozess eingeleitet wird - er fordert einen Präsidialrat -, um eine demokratische Entwicklung in Gang zu bringen. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der fordert aber auch den Rücktritt von Mubarak! Das ist jetzt ein schlechter Kronzeuge!) Wir sollten hier nicht als Besser-Wessis auftreten, sondern dafür sorgen, dass die Ägypter eine Chance haben, den Prozess selbst zu gestalten. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist einer der schärfsten Kritiker!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident, gestatten Sie mir bitte ein letztes Wort. Ich plädiere sehr dafür, dass wir in Deutschland und in der Europäischen Union eine engagierte Debatte dazu führen. Wir müssen diese Debatte aber so führen, dass Demokratie für die ägyptische Gesellschaft als erstrebenswert erlebt werden kann. Deswegen dürfen wir sie nicht mit innenpolitischen Kabbeleien überfrachten. Vielmehr sollten wir als Deutsche und Europäer gemeinsam an der Seite derjenigen stehen, die in Ägypten für Freiheit eintreten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Vierter Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes. Bevor ich dem Bundesminister für Gesundheit das Wort zu einem kurzen einleitenden Bericht erteile, bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Tagesordnungspunkt nicht mitwirken können oder wollen, ihre Gespräche oder Verhandlungen außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen, damit die einströmenden Kolleginnen und Kollegen ungehindert Platz finden können. Herr Bundesminister, Sie haben das Wort. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Bundesregierung hat heute den Vierten Erfahrungsbericht über die Durchführung des Stammzellgesetzes beschlossen; er geht dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat unverzüglich zu. Mit dem Stammzellgesetz vom 28. Juni 2002 wurde der Umgang, insbesondere die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen klar geregelt und unter strenge gesetzliche Voraussetzungen gestellt. Der Schutz der Embryonen bleibt durch das Embryonenschutzgesetz weiter gewährleistet, denn hier ist die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen weiterhin unter Strafe verboten. Die Berichtspflicht umfasst die Durchführung des Stammzellgesetzes, also die Genehmigung der Verwendung embryonaler Stammzellen, aber auch "die Ergebnisse der Forschung" an anderen Formen pluripotenter Stammzellen. Der Berichtszeitraum umfasst die Jahre 2008 und 2009. In diesem Zeitraum wurde die Frist für die Nutzung humaner embryonaler Stammzellen geändert: Man kann sie verwenden, wenn sie vor dem 1. Mai 2007 gewonnen wurden. Die Erweiterung der Frist hat die Möglichkeit verbessert, embryonale Stammzellen auch in Deutschland für Forschungszwecke zu nutzen, sodass die deutsche Forschung im internationalen Vergleich weiterhin mithalten kann. Die Stammzellforschung ist nach wie vor eine Domäne der Grundlagenforschung, selbst wenn sich in einzelnen Bereichen andere Möglichkeiten ergeben haben, etwa bei der Erweiterung der Möglichkeiten der Therapie und im Bereich der Medikamentenforschung. Schon der dritte Bericht hat gezeigt, dass man versucht, weitere Quellen für pluripotente Stammzellen zu erschließen. Trotz der zunehmenden Möglichkeiten in diesem Bereich kann man nach wie vor nicht auf humane embryonale Stammzellen für die Forschung verzichten. Es geht hier auch darum, die embryonalen Stammzellen des Menschen zu verstehen. Die Verwendung anderer pluripotenter Stammzellen hat oft nicht den Erfolg gebracht, den man sich zu Beginn davon versprochen hat, sodass davon auszugehen ist, dass weiterhin nicht auf humane embryonale Stammzellen verzichtet werden kann. Der Erfahrungsbericht zeigt, dass die Erweiterung der Fristen der deutschen Forschung die Möglichkeit gegeben hat, in dem Bereich weiter aktiv zu sein und gleichzeitig die ethische Komponente beizubehalten, die in der Diskussion aus dem Jahre 2002 herausgearbeitet wurde. Präsident Dr. Norbert Lammert: Gibt es Wortmeldungen zu diesem Bericht? - Bitte schön. Wir machen es diesmal von links nach rechts. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Minister Rösler, Ihre Zusammenfassung ähnelt der des ersten, des zweiten und des dritten Berichtes. Insofern ist es für uns jetzt schwierig, Fragen zu diesem Bericht zu stellen, die in die Tiefe gehen. Meine Frage ist daher eher ein Schuss ins Blaue. Ich schaue einmal, ob irgendwo ein Treffer zu landen ist. Wir haben eine sehr lange Debatte zu dem Stichtag selber geführt. Die Frage lautet: Ist in diesem Bericht etwas dazu ausgeführt, inwieweit die Verbesserungen, die Sie selber für die Stammzellforschung konstatiert haben, tatsächlich mit diesem veränderten Stichtag herbeigeführt wurden? Gibt es gar Stimmen, die erneut eine Veränderung dieses Stichtages für notwendig halten? Ist diese Frage Hauptinhalt mancher Debatten? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Sehr verehrte Frau Abgeordnete, mit der Novellierung des Stammzellgesetzes wurde der Stichtag auf den 1. Mai 2007 gelegt. Das hatte ich bereits erwähnt. Damit ist die Forschung in Deutschland auf eine tragfähige Basis gestellt worden. Man hat damit die Möglichkeit, sich international vernetzt - weil man auf die gleichen Stammzelllinien zurückgreifen kann - auch im Forschungsbereich an humanen embryonalen Stammzellen zu betätigen. Es wird deswegen nicht gefordert oder diskutiert, diese Fristenlösung nochmals in irgendeiner Form vom Datum her zu ändern. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Minister, weil es uns genauso geht wie Frau Sitte, möchte ich noch einmal nachfragen: Welche Daten können Sie uns zu den zur Verfügung gestellten Stammzelllinien, zur Nutzung, zur Beantragung, zur Konzentration auf bestimmte Forschungsstandorte und zur Schwerpunktbildung bei diesen beantragten Forschungen liefern? Werden wir nach der Änderung des embryonalen Stammzellgesetzes weitere Veränderungen vorfinden? Ich richte ausdrücklich die Bitte an Sie, uns aus Ihrem umfangreichen Bericht, den wir alle noch nicht kennen, diese Daten so zur Verfügung zu stellen, dass wir weiter fragen können. Also: Welche zusätzlichen Stammzelllinien, welche Beantragungen, welche Forschungsorte, welche Forschungsschwerpunkte und welche Nutzung hat es dafür gegeben? (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Warum lesen Sie nicht erst den Bericht? - Gegenruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil es den noch nicht gibt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Darüber muss nun hier keine Erregung stattfinden. Der Zweck der Regierungsbefragung besteht darin, dass die Regierung aktuell aus Kabinettssitzungen berichtet und das Parlament auch für nicht vorliegende Berichte die Möglichkeit hat, sich durch möglichst präzise Fragen einen besseren Informationsstand zu verschaffen, als er ohne die sicher intelligenten Antworten erreichbar wäre. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich bedanke mich für diese Unterstützung durch den Präsidenten. Das ist genau das Begehr, das wir als einfache Parlamentarier haben. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Herr Abgeordneter, es wurden in dem Zeitraum 2008 bis heute insgesamt 30 Anträge gestellt. Davon beziehen sich 17 bereits auf die neuen Stammzelllinien. Das ist die Information, die ich Ihnen jetzt hier geben kann. Die weiteren Frageschwerpunkte und die einzelnen Anträge sind dann dem Bericht selber zu entnehmen. Wie gesagt: Der Stand der Anträge - auch derer, die die Anträge gestellt haben - und das Genehmigungsverfahren über das Robert-Koch-Institut sind dann dem eigentlichen Bericht zu entnehmen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Frau Hinz. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, welche Zielsetzung ist denn bei diesen 30 Anträgen angegeben? Was soll mit den Projekten in der Forschung erreicht werden? Wovon gehen die Antragsteller aus? Welche Krankheiten sollen hier gezielt erforscht und vielleicht auch geheilt werden? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Frau Abgeordnete, eingangs habe ich erwähnt, dass die Erforschung der humanen embryonalen Stammzellen nach wie vor eine Domäne der Grundlagenforschung ist. Also geht es zunächst darum, die Zusammenhänge und die Entwicklung der embryonalen Stammzellen zu verstehen. Es geht nicht darum - darum geht es erst im Weiteren -, Therapien und präventive Maßnahmen zu entwickeln. Auch wenn das nach wie vor versucht wird und auch das Ziel ist, geht es zunächst einmal darum - das zeigt auch der Bericht -, sich auf die Grundlagenforschung zu konzentrieren. Dabei geht es auch um den Vergleich mit anderen Quellen für pluripotente Zellen. Es gibt immer wieder Überlegungen, ob man künftig nicht auf humane embryonale Stammzellen wird verzichten können. Die Entwicklung, die es in anderen Bereichen gegeben hat, ist aber nicht so vielversprechend, dass man schon jetzt davon ausgehen kann, dass man auf humane embryonale Stammzellen wird verzichten können. Man wird sie für vergleichende Studien brauchen, aber vor allem für die Grundlagenforschung. Deswegen gibt es noch keine Entwicklung in Richtung Therapie. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Ackermann. Jens Ackermann (FDP): Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte mich recht herzlich für den Bericht bedanken. Er war sehr informativ. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr aufschlussreich, stimmt!) - Ja. - Trotzdem habe ich noch eine Nachfrage. Das Ziel der Forschung ist natürlich, irgendwann aus dem Labor herauszukommen und die Erkenntnisse, die man in der Theorie gewonnen hat, in die Praxis umzusetzen. In der Vergangenheit war immer von sehr langen Zeiträumen die Rede. Wir haben gehört, dass es bis zu 20 Jahre dauern kann, bis man die theoretischen Erkenntnisse in die Praxis umsetzen kann. Wie sehen Sie das? Besteht aufgrund der guten Forschung an embryonalen Stammzellen die Chance, die Erkenntnisse jetzt in die Praxis umzusetzen? (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er doch gerade gesagt! Geht nicht! Haben wir nicht!) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Auch hier muss ich auf die Antwort von eben verweisen. Man ist noch im Bereich der Grundlagenforschung. Es geht also darum, die Mechanismen der Entwicklung der embryonalen Stammzellen zu verstehen. Weil aus Stammzellen ganze Organsysteme entwickelt werden können, verspricht man sich von der Stammzellforschung in der Tat, dass man eines Tages therapeutischen Nutzen daraus ziehen kann. Das geht aber nur, wenn man die Mechanismen verstanden hat und in der Lage ist, sie zu beeinflussen. Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen, dass es noch etwas länger dauern wird, bis man zu dem Punkt kommt, an dem man weiß, dass man alles richtig verstanden hat. Dann kann man Möglichkeiten finden, um aus pluripotenten Stammzellen klinische Entwicklungen und Anwendungen - so sage ich das einmal - zu entwickeln. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, auch ich möchte Sie gerne etwas fragen. Ich bin ein bisschen irritiert. Die Befragung der Bundesregierung führen wir eigentlich durch, um wirklich etwas zu erfahren. Der Bericht war aber äußerst dünn. Deswegen frage ich nach. Ich habe Sie so verstanden, dass die embryonale Stammzellforschung ein Schwerpunkt der Forschung ist und bei Ihnen Priorität hat. Habe ich das richtig verstanden? Auf die Frage meiner Kollegin Priska Hinz haben Sie so geantwortet. Vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Einlassungen frage ich, was Sie genau machen wollen. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Das Stammzellgesetz schreibt nicht nur vor, dass man nur unter bestimmten, engen und klaren Kriterien an humanen embryonalen Stammzellen forschen darf, sondern auch, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alle zwei Jahre darüber Bericht zu erstatten hat, und zwar im Rahmen eines Erfahrungsberichtes. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß ich alles!) Dieser wurde heute beschlossen. Dass er beschlossen wurde, habe ich berichtet. Bei dem Bericht geht es zunächst einmal darum, die Entwicklung auf dem Gebiet der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen und ihre Nutzung in Deutschland unter dem Gesichtspunkt der geänderten Frist - 1. Mai 2007 - darzulegen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß ich!) Es geht um die humanen embryonalen Stammzellen. Ich habe angedeutet, dass es im Rahmen der Forschung Versuche gibt, weitere Quellen für pluripotente Stammzellen zu erschließen, die eben nicht aus Embryonen stammen. Ich habe gesagt, dass die Entwicklung noch nicht so vielversprechend ist, dass man auf die Erforschung der humanen embryonalen Stammzellen wird verzichten können. Das ist eine große ethische Debatte. Die einen Stammzellen werden gewonnen aus Embryonen, die verstorben sind oder getötet wurden. Versuche, andere Stammzellen zu entwickeln, zum Beispiel induzierte pluripotente Stammzellen, beziehen sich auf adulte Zellen, die man versucht zurückzuentwickeln. Der Prozess der Umprogrammierung ist aber noch nicht so weit fortgeschritten, dass man sagen kann, dass man jetzt auf die anderen Stammzellen verzichten kann. Unabhängig von diesem Vergleich zwischen diesen beiden wird man weiterhin die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen brauchen, um - ich kann es nochmals sagen - das Verständnis der Zusammenhänge und Entwicklungen der embryonalen Stammzellen selbst zu erlangen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, mein Eindruck ist, dass die Kolleginnen und Kollegen gerne wissen wollen, ob es auf der Basis des Berichts, der uns noch nicht vorliegt, eine Präferenz der Bundesregierung für bestimmte Forschungsstrategien gibt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank für die Übersetzung!) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, es gibt ausdrücklich keine Festlegung. Es gibt keinen Goldstandard - wenn Sie so wollen - für die eine oder andere Zellrichtungsentwicklung. Das gibt der Bericht auch eindeutig her. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident, zunächst einmal vielen Dank dafür, dass Sie das, was eine ernsthafte Regierungsbefragung sein soll, weg von der Farce hin zur parlamentarischen Ernsthaftigkeit führen. Deshalb noch eine Rückfrage. Können Sie uns mit Blick auf den Bericht sagen, ob sich Anträge vorrangig auf die neu zugelassenen Stammzelllinien beziehen oder ob es auch Anträge gibt, die sich noch auf das "alte" Material beziehen? Es wurde immer argumentiert, dass die alten Stammzelllinien angeblich zu nichts mehr zu gebrauchen seien. Vielleicht habe ich das bisher in Ihren Darlegungen überhört. Mich interessiert, ob das sowohl für die neuen als auch für die alten Anträge gilt und in welcher Relation die entsprechenden Anträge genehmigt worden sind; denn das war ein Entscheidungskriterium im Rahmen der Novellierung. Deshalb ist das eine sehr wichtige Information der Regierung, die eigentlich aus dem ersten Überprüfungsbericht hervorgehen sollte. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Herr Abgeordneter, ich habe die Zahlen gerade genannt. Sie sind vielleicht ein bisschen untergegangen. Es gab 30 Anträge. Von Anfang an beziehen sich 17 Anträge auf die neuen Stammzelllinien. Deshalb kann man davon ausgehen, dass sich die anderen 13 Anträge auf die alten Stammzelllinien beziehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Henke. Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Minister Rösler, wenn ich es recht verstehe, ist man zurzeit dabei, die grundsätzlichen Wirkungen und Wirkmechanismen der biologischen Aktivität von Stammzellen zu erschließen. Erst wenn dieses Element der Grundlagenforschung verstanden sein wird, kann es um die Frage gehen, ob es mehr Nutzen oder mehr Risiko gibt. Mich interessiert deshalb, ob sich nach Ihrem Überblick überhaupt schon klinische Anwendungen in den Anträgen abzeichnen und ob gegebenenfalls auch ein Schwerpunkt für diese Fragen der Nutzen-Risiko-Abwägung zu finden ist. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Zum jetzigen Zeitpunkt ist dort kein klinischer Nutzen erkennbar. Es geht nach wie vor um die Grundlagenforschung. Wenn überhaupt, dann würde man mit bestimmten embryonalen Stammzellen bestimmte Medikamente und toxikologische Eigenschaften testen. Mit Blick auf klinische Anwendungen zeichnet sich in den 30 Anträgen aber bisher noch keine Entwicklung ab. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Sitte. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Minister, gemäß Stammzellgesetz sind Sie der Berichterstatter dieses alle zwei Jahre vorzulegenden Berichts. Nun haben Sie in der heutigen Kabinettssitzung über diesen Bericht gesprochen. Dennoch gibt es eine gewisse Vernetzung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und Ihrer Verantwortlichkeit. Wie hat sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung zu Ihrem Bericht positioniert? Außerdem bezieht sich meine Frage auf die Ausführungen des Präsidenten. Welche Ableitung von konkreten Strategien haben Sie unter Umständen in Ihren beiden Häusern ins Auge gefasst? Wenn man sich das Register des Robert-Koch-Instituts anschaut, dann stellt man eine breite Streuung fest. Im November vergangenen Jahres wurde bekannt gegeben, dass Kooperationen mit US-amerikanischen Wissenschaftlern mit 12 Mil-lionen Euro gefördert werden. Nach meiner Lesart müsste das alles einer bestimmten strategischen Ausrichtung folgen. Inwieweit hat es dazu in der heutigen Kabinettssitzung eine Verständigung gegeben? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Es hat ja nicht nur im Kabinett, sondern selbstverständlich auch vorher eine Verständigung gegeben. Der Bericht wurde von Frau Kollegin Schavan und mir gemeinsam erstellt. Es geht in der Tat auch darum, noch einmal das Ergebnis der Debatte zu zeigen, die 2002 und dann im Zusammenhang mit der Novellierung beispielsweise über die Änderungen der jeweiligen Fristen geführt wurde. Das Ziel war damals, auf der einen Seite die hohen ethischen Ansprüche zu erhalten und auf der anderen Seite die Forschungsfähigkeit in Deutschland für die Zukunft zu gewährleisten. Der Bericht zeigt, dass genau das gelungen ist. Auf der einen Seite gibt es nach wie vor den hohen Schutz, auch die ethische Bewertung wurde durch die Änderung nicht verändert, gleichzeitig hat die deutsche Forschungslandschaft die Möglichkeit, im Rahmen von internationaler Vernetzung - Sie haben das angesprochen - im Forschungswettbewerb mithalten zu können. Genau das war das Ziel der Bundesregierung insgesamt, von Forschung und Gesundheit gleichermaßen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Gibt es noch Fragen zu diesem Bereich? - Bitte schön, Frau Kollegin Hinz. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, nachdem Sie vorhin auf meine Frage geantwortet haben, dass sich auch nach weiteren zwei Jahren die embryonale Stammzellforschung im Bereich der Grundlagenforschung befindet, möchte ich Sie fragen: Könnten Sie uns vielleicht mitteilen, inwieweit bei der adulten Stammzellforschung die klinische Forschung vorangeschritten ist und ob es auf diesem Gebiet bereits Therapien gibt? Wie wird die Strategie der Bundesregierung im Hinblick auf solche Unterschiede künftig ausgerichtet sein? Soll der Schwerpunkt künftig eher bei der adulten Stammzellforschung liegen, oder wird er weiterhin bei der embryonalen Stammzellforschung liegen? (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung! - Gegenruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Unterstellung!) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Es gab in der Tat Forschungsergebnisse, in deren Rahmen vorgeschlagen wurde, sich andere Quellen zu erschließen. Dies war mit großen Hoffnungen belegt, die aber nicht in vollem Umfang erfüllt wurden. Das ist ein sehr dynamischer Forschungsbereich. Eine Schlussfolgerung der Bundesregierung daraus ist, dass man sich heute nicht schon auf nur die eine oder andere Zellart wird festlegen können, sondern dass man nach wie vor beide Forschungsmöglichkeiten braucht. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Beantwortung meiner Frage!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich möchte im Anschluss an die Frage von Frau Hinz Fakten abfragen. Können Sie uns, wenn dies im Bericht steht, sagen, wie sich die Entwicklung der embryonalen Stammzellforschung in Relation zur adulten Stammzellforschung abbildet, wohl wissend, dass das eine in Form von Anträgen - es sind genau 30 - belegbar ist? Sie werden sicherlich - auch im Vergleich - erhoben haben, wie sich das Forschungsfeld adulte Stammzellforschung in Deutschland insgesamt bis zum vierten Bericht abgebildet hat. Dies würde eine reale Einschätzung, wie sich beide Forschungslinien aufbauen, ermöglichen. Deshalb frage ich, ob das in dem Bericht enthalten ist und was Sie uns dazu sagen können. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Der Bericht hat die Aufgabe, über die embryonale Stammzellforschung zu berichten. Deswegen bezieht er sich vor allem auf die Entwicklung im Bereich der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen und auf andere Forschungsbereiche. In Bezug auf die ethische Debatte, die geführt wurde, sollte genau dieser Bericht geliefert werden, der sich nur mit der Forschung an embryonalen Stammzellen befasst. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Hinz noch einmal. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich versuche, auf einem anderen Wege Licht in das Dunkel zu bekommen. Inwieweit hat bei den genehmigten Projekten die zentrale Ethikkommission bewertet, ob die Forschung an embryonalen Stammzellen alternativlos ist? Gab es zum Beispiel auch das Kriterium, dass mit adulten Stammzellen in ähnlichen Bereichen geforscht wird und es da bereits Ergebnisse gibt? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Die Frage, ob es zu humanen embryonalen Stammzellen Alternativen gibt, ist Grundlage jeder Prüfung seitens der zentralen Ethikkommission für die Nutzung von Stammzellen. Es gab bei den Anträgen zwei Ablehnungen. Das heißt, man hat die Prüfungen durchgeführt und die Anträge abgelehnt. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht zu fassen! Keine Ahnung!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Röspel. René Röspel (SPD): Vielen Dank. - Ich möchte fragen, wie die Bundesregierung neue wissenschaftliche Studien bewertet, in denen gezeigt wird, dass die sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen zwar embryonale Eigenschaften, gleichzeitig aber auch deutliche Merkmale ihrer Herkunftszellen aufweisen? Es ist möglicherweise ein neuer ethischer Aspekt in der Debatte, dass sie eben nicht so einfach verwendbar sind wie embryonale Stammzellen. Ist im Stammzellbericht darüber etwas zu finden? Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Die Ergebnisse selber werden nicht von uns bewertet. Aber eines können wir an dieser Stelle festhalten: Das, was Sie als wissenschaftliches Ergebnis beschrieben haben, zeigt, dass es nach wie vor - diese Frage wurde schon beantwortet - keinen Goldstandard gibt, welche Zellen künftig alleine zu erforschen sind. Man wird weiterhin auf mehrere, auf verschiedene Zellarten zurückgreifen müssen, weil es nicht die eine Möglichkeit gibt, von der man sagen kann: Das ist die ideale Möglichkeit, um weiter Stammzellen zu erforschen und zu entwickeln. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt peinlich!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine letzte Frage des Kollege Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Minister, es ist mir ein Bedürfnis, zum Ausdruck zu bringen, dass es zur Novellierung des Stammzellgesetzes durch das Parlament im Rahmen einer sehr souveränen Entscheidung der Parlamentarier gekommen ist. Es ist allerdings ein Duktus in diese Debatte gekommen, der vermuten lässt, dass es eine Kontroverse zur Auffassung der Regierung gäbe. Wir haben uns von dem Bericht lediglich mehr Dienstleistungen im Hinblick auf unsere weitere Orientierung versprochen. Deshalb sage ich, auch an den Kollegen von der FDP gerichtet: So informativ, wie man es sich von einer Dienstleistung gewünscht hätte, war das am Anfang nicht. Wie auch Sie merken, wird es allerdings immer informativer. In Bezug auf die Forschung habe ich eine Rückfrage. Auch wenn dazu auf den wenigen Seiten, die dieser Bericht enthalten wird, wahrscheinlich nichts steht, haben Sie angesprochen, dass es eine verstärkte internationale Zusammenarbeit geben soll. Können Sie ausführen, inwiefern sich diese internationale Zusammenarbeit und die Öffnung gegenüber anderen internationalen Partnern in diesem Bericht widerspiegeln und inwiefern die Änderung des Stammzellgesetzes dies zusätzlich befruchtet hat? Sind mehr internationale Partner dazugekommen? Wie viele sind es inzwischen? Es wäre gut, wenn Sie das Parlament darüber informieren würden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Dazu kann und will der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel eine Auskunft geben. Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege Dr. Rossmann, selbstverständlich ist ein Kennzeichen der embryonalen Stammzellforschung, die von den deutschen Wissenschaftlern verantwortlich betrieben wird, dass sie in großer Kooperation über die nationalen Grenzen hinaus durchgeführt wird. Dies ist im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben selbstverständlich auch hier der Fall. Wir erwarten uns von den intensiven Kooperationen auch Erkenntnisfortschritte insgesamt. Ich will, weil Sie Ihren Blick auch ein Stück weit auf die Forschung gerichtet haben, an dieser Stelle betonen, dass man, wenn man den dritten mit dem vierten Stammzellbericht vergleicht, feststellen muss, dass die Frage an Gewicht gewonnen hat, inwiefern die induzierten pluripotenten Stammzellen, die sogenannten iPS-Stammzellen, tatsächlich das gleiche Niveau, die gleichen Fertigkeiten haben wie die humanen embryonalen Stammzellen, mit denen wir eine ethische Problematik verbunden sehen. Es zeichnet sich ab, dass es nicht nur technologische Schwierigkeiten bei der Reprogrammierung gibt - jedenfalls dann, wenn man das gleiche Niveau wie bei humanen embryonalen Stammzellen erreichen will -, sondern die Wissenschaftler beschäftigen sich in ihren Forschungsprojekten auch mit der Frage, ob die induzierten pluripotenten Stammzellen die gleiche Sicherheit bieten, damit sie später einmal - ich betone: später einmal - therapeutisch angewandt werden können. Eine weitere Frage, die im Kern der nationalen, aber auch der internationalen Forschungsbemühungen steht, lautet, ob eine reprogrammierte, eine induzierte pluripotente Stammzelle tatsächlich über die gleichen funktionellen Eigenschaften verfügt wie eine humane embryonale Stammzelle. Wenn Sie mir noch eine Bewertung gestatten: Die Projekte, die im Stammzellbericht beschrieben werden, befassen sich kaum mit der Forschung, die auf Therapieanwendung bezogen ist. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage, wie wir Stammzelllinien nutzen können, im Bereich der Medikamentenentwicklung beispielsweise im Rahmen von Wirkstoffscreenings oder pharma- bzw. toxikologischen Tests, bei denen man die Wirksamkeit bzw. Schädlichkeit eines Medikaments an Gewebe oder Zellkulturen erprobt, statt dies unmittelbar am Menschen zu tun. Präsident Dr. Norbert Lammert: Mit Blick auf die noch verfügbare Zeit und weitere angemeldete Fragewünsche an die Bundesregierung schließe ich diesen Teil jetzt. Er ist offenkundig weiterhin erläuterungs- und diskussionsbedürftig. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Allerdings!) Dazu werden wir in verschiedenen Ausschüssen und Gremien Gelegenheit haben, zumal zu Recht darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass sich auch der gesetzliche Rahmen in einer eher untypisch breiten parlamentarischen Weise ergeben hat und wir mögliche Rollenkonflikte hier eigentlich am wenigsten auszutragen haben. Ich darf jetzt fragen, ob es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung gibt. - Frau Kollegin Daðdelen. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Herr Präsident, verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen vorgreife. Es geht um ein Thema, das heute nicht auf der Tagesordnung stand - - Präsident Dr. Norbert Lammert: Dann können wir auch schön der Reihe nach verfahren. Ich frage zunächst - Sie kommen ja dran -, ob es jemanden gibt, der eine Frage zur heutigen Kabinettssitzung stellen möchte. (Zuruf von der LINKEN: Das ist doch zur Kabinettssitzung! Wir haben Hartz IV im Vermittlungsausschuss!) - Frau Kollegin Daðdelen hat doch gerade vorgetragen, sie bitte um Nachsicht, wenn sie eine Frage stellen würde, die nichts mit der Kabinettssitzung zu tun habe. Daraufhin habe ich gesagt, dazu bekomme sie sicherlich Gelegenheit. Nach unserer Geschäftsordnung erfolgt die Regierungsbefragung allerdings ganz präzise nach diesem Muster: Zunächst erfolgen Fragen zum vorgetragenen Bericht, dann Fragen zu möglichen anderen Themen der Kabinettssitzung und abschließend sonstige, von der Kabinettssitzung unabhängige Fragen. Nun haben wir uns gerade davon überzeugt, dass es Fragen zu möglichen anderen Themen der Kabinettssitzung nicht gibt und dass wir deshalb zu anderen Fragen an die Bundesregierung kommen können. - Bitte schön, Frau Kollegin Daðdelen. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Lammert. Es kann auch sein, dass es ein Missverständnis war. Ich möchte nun aber zu meiner Frage kommen. Ich möchte gerne wissen, ob es heute im Kabinett auch ein Gespräch zum Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen gegeben hat. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal darauf hinweisen - und diesbezüglich bitte ich hier und heute um eine Stellungnahme seitens der Bundesregierung -, welches Demokratieverständnis die Bundesregierung an den Tag legt. Denn die Fraktion Die Linke - diese ist bekanntlich eine Anti-Hartz-IV-Partei - ist von den Verhandlungsgesprächen der informellen Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses, einem gemeinsamen Gremium des Bundestages und des Bundesrates, ausgeschlossen worden; diese informelle Arbeitsgruppe ist übrigens illegal zustande gekommen. Herr Lammert, Sie haben heute den Brief meines Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi erhalten. Ich möchte fragen, was das für ein Verständnis von Demokratie ist und ob die Bundesregierung nicht auch glaubt, dass innerhalb Deutschlands die Politikverdrossenheit wächst und die Glaubwürdigkeit der Politik bei den Bürgerinnen und Bürgern leidet, weil seit einem Jahr kein verfassungskonformes Ergebnis präsentiert werden kann und die Frist abgelaufen ist. Es war schließlich möglich, innerhalb einer Woche ein Bankenrettungspaket zu schnüren. Es war allerdings nicht möglich, innerhalb eines Jahres eine verfassungskonforme Regelung bezüglich des Existenzminimums für Hartz-IV-Empfänger zu treffen. Was gedenken Sie insofern zu tun? Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Beantwortung der Staatsminister im Kanzleramt. Bitte schön, Herr Kollege von Klaeden. Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Frau Kollegin Daðdelen, es ist richtig, in der Kabinettssitzung ist unter dem Tagesordnungspunkt "Verschiedenes" auch über den aktuellen Stand der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zum Thema Hartz IV gesprochen worden. Das Thema ist auch angesprochen worden, als ich in meiner Funktion die Tagesordnung des Bundesrates und des Deutschen Bundestages vorgetragen habe. Die Bundesregierung hat das Verfassungsgerichtsurteil so schnell wie möglich umgesetzt und dazu einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Wie Sie wissen, hat dieser im Bundesrat keine Zustimmung gefunden. Deswegen gibt es jetzt das Vermittlungsverfahren zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat, bei dem die Bundesregierung lediglich Gast ist. Deswegen kann ich mich auch nicht im Namen der Bundesregierung zu den weiteren Fragen, die Sie gestellt haben, äußern. Ihnen ist das Verfahren vielleicht so weit geläufig, dass Sie wissen, dass es heute möglicherweise zu einem Beschluss im Vermittlungsausschuss kommt und dass sich am Freitag der Deutsche Bundestag und der Bundesrat mit dem Ergebnis befassen. Insofern ist von unserer Seite aus nicht zu 100 Prozent von einem Scheitern des Vermittlungsversuchs auszugehen. Was informelle Arbeitsgruppen angeht, so ist Deutschland ein freies Land, und es steht jedem frei, sich zu treffen und über politische Fragen zu sprechen. (Lachen bei der LINKEN - Zuruf von der LINKEN: Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! Missachtung des Parlaments!) Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. - Zu meiner ersten Frage: Ich hätte schon gerne gewusst, warum sich der Vermittlungsausschuss aus den fünf Fraktionen CDU, FDP, SPD, Grüne und Linke zusammensetzt, es der Linken aber sozusagen über den Ausschluss aus der informellen Arbeitsgruppe, die alle Unterlagen erarbeitet hat, verweigert wird, sich demokratisch zu beteiligen und an der Diskussion im Interesse der Bürger teilzunehmen, weshalb wir auch keinen Zugang zu bestimmten Unterlagen haben. Auch wir vertreten hier eine bestimmte Wählerschaft. Ein Teil dieser Menschen bekommt Hartz IV, und sie interessieren sich dafür, wie hier um das Geld geschachert wurde. Meine zweite Frage, die sich anschließt, ist: Warum muss ein Hartz-IV-Empfänger bei einem Meldeversäumnis mit der Streichung seiner Gelder rechnen, während die Bundesregierung, die ein Urteil nach einem Jahr noch nicht umgesetzt hat, keine Strafauflagen erhält? Es gibt keine Nachzahlungsfristen, die vielleicht sogar zugunsten der Hartz-IV-Empfänger wären. Hier wird eine Nichthandlung sozusagen straffrei gesetzt, das heißt, es erfolgt keine Strafe, obwohl ein demokratischer Prozess nicht eingehalten wurde. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Staatsminister. Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin: Die Antwort auf die letzte Frage ergibt sich unmittelbar aus unserer Staatsform, der parlamentarischen Demokratie. Danach ist die Bundesregierung nicht der Gesetzgeber, sondern der Gesetzgeber ist der Bundestag. Der Bundesrat hat folgende Aufgabe bei jedem Bundesgesetz: Wenn es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt, wird über die Zustimmung abgestimmt. Ein Einspruchsgesetz ist verabschiedet, wenn der Bundesrat keinen Einspruch einlegt. Im anderen Fall muss er Einspruch einlegen. Das Verfahren im Vermittlungsausschuss - hier ist die Bundesregierung Gast, wie ich vorhin schon sagte - ist ein Verfahren zwischen Bundestag und Bundesrat. Nach meiner Kenntnis ist die Linkspartei an der offiziellen Arbeitsgruppe und an den Unterarbeitsgruppen beteiligt gewesen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da wird ja alles wegverlagert!) Die Antwort auf Ihre Frage nach der Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses ergibt sich aus den allgemeinen, freien und geheimen Wahlen im Bund und in den Bundesländern. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die haben die Arbeit eingestellt, seitdem wir da mitmachen können!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 17/4638 - Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/4638 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer steht zur Beantwortung bereit. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Anton Hofreiter auf: In welcher Höhe flossen nach Kenntnis der Bundesregierung in den Haushaltsjahren 2009 und 2010 Bundesmittel, die für den Straßenunterhalt vorgesehen waren, in den Neu- und Ausbau von Fernstraßen (aufgeschlüsselt nach Bundesländern)? Herr Staatssekretär, bitte. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hofreiter, die Antwortet lautet wie folgt: Im Jahr 2009 haben nur die Bundesländer Hessen mit rund 6,5 Millionen Euro und Nordrhein-Westfalen mit rund 14 Millionen Euro geringfügig Mittel des Betriebsdienstes umgeschichtet, und zwar aufgrund dringend notwendiger Erhaltungsmaßnahmen und zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen und Geräten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Herr Hofreiter. Bitte schön. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kann die zweite Frage auch gleich beantwortet werden, weil sie im engen Sachzusammenhang steht? Die Nachfragen würde ich dann bündeln, so sie sich denn ergeben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Anton Hofreiter auf: In welcher Weise ist die Bundesregierung tätig geworden, wenn Bundesländer in diesen beiden Haushaltsjahren Erhaltungsmittel in Neu- und Ausbaumittel umwidmen wollten, und wie gedenkt sie künftig mit solchen Zielsetzungen der Länder umzugehen? Herr Staatssekretär. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Antwort lautet wie folgt: Auch unterstützt durch die Konjunkturprogramme haben die Länder 2009 und 2010, ausgehend von den Bedarfsvorgaben, keine Erhaltungsmittel zum Neu- und Ausbau umgeschichtet. Falls die Länder dies zukünftig anstreben, werden im Rahmen der turnusmäßigen Abstimmungen in den Ländern der Umfang und die Verträglichkeit eines solchen Vorgehens mit der Verkehrssicherungspflicht und den Anforderungen hinsichtlich der Erhaltung erörtert. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Hofreiter. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine erste Nachfrage lautet, ob sich das BMVBS wirklich ganz sicher ist. Nach zur Kenntnis gebrachten Unterlagen - aus dem Ministerium - ist in einem der beiden fraglichen Jahre nämlich fast eine halbe Milliarde Euro - 490 Millionen Euro - an Erhaltungsmitteln in Neu- und Ausbaumittel umgeschichtet worden. Dies war insbesondere in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg der Fall. Wie kann es sein, dass es solche Diskrepanzen zwischen Unterlagen Ihres Ministeriums und diesen Aussagen gibt? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Kollege Hofreiter, wenn Sie mir die Unterlage nennen, bin ich gerne bereit, das aufzuschlüsseln. Trotzdem bleibt es bei der Antwort, die ich vor allem für die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen gegeben habe. Sie können uns herzlich gerne andere Schriftstücke vorlegen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bedanke mich für die präzise Beantwortung und bin mir sicher, dass es noch spannend wird. Aus den Unterlagen geht nämlich etwas ganz anderes hervor. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Staatssekretär, bitte. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich weiß nicht, ob ich die Bemerkung des Kollegen Hofreiter als Frage aufgreifen darf, aber die Einladung ist ja bei der Beantwortung der ersten Nachfrage erfolgt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. Dann kommen wir zur Frage 3 der Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter: Wie hoch ist der Anteil der für die Refinanzierung von privat vorfinanzierten Projekten gebundenen Mittel in der Mittelplanung für Investitionen in Bundesfernstraßen im Land Baden-Württemberg für die Jahre 2010 bis 2013, und welchen Rang hat dieser Anteil im Vergleich zu den anderen Bundesländern? Bitte schön. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Da hat es eine Korrektur in der Reihenfolge gegeben!) - Ich habe Frage 3 aufgerufen. Die Frage wird jetzt beantwortet. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich beantworte die Frage wie folgt: In Baden-Württemberg sind im Zeitraum 2010 bis 2013 für die Refinanzierung der privat vorfinanzierten Projekte rund 228 Millionen Euro eingeplant. Das sind rund 24,3 Pro-zent der gesamten bundesweiten Refinanzierung. Baden-Württemberg hat damit sowohl nominal als auch prozentual den größten Anteil. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Der Bundesrechnungshof hat gesagt, dass die private Vorfinanzierung der Bundesfernstraßen quasi die gleichen Auswirkungen hat wie eine Kreditaufnahme des Bundes. Wie steht die Bundesregierung auch mit Blick auf die Schuldenbremse in Zukunft zur Vorfinanzierung solcher Straßen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: In großer Verantwortung und auch in Absprache mit dem BMF haben wir die verschiedenen Projekte aus den zwei Staffeln in die Wege geleitet. In der ersten Staffel sind es vier Projekte, von denen zwei schon abgeschlossen sind. Denken Sie nur an die A 8 zwischen München und Augsburg. Dieses Projekt haben wir in Rekordzeit und mit positiven Erfahrungen verwirklicht. Auch Projekte der zweiten Staffel wie der Abschnitt Augsburg-Ulm sind in der Umsetzung. Wir führen die Vorhaben in zwei Staffeln durch, um aus den Erfahrungen zu lernen. Im zuständigen Fachausschuss haben wir schon des Öfteren über die Vor- und Nachteile geredet. Jede Ausschreibung wird mit den Erfahrungen aus den vorhergehenden Projekten abgestimmt. Unser Ziel ist es, die ÖPP-Projekte, die unter einer anderen politischen Leitung des BMVBS in zwei Staffeln auf den Weg gebracht wurden, entsprechend umzusetzen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Das ist der Fall. Bitte sehr. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Gibt es Unterschiede zwischen den ÖPP- oder PPP-Projekten und anderen privat vorfinanzierten Projekten? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Man kann keinen Abschnitt und kein Projekt mit dem anderen vergleichen. Es gibt kein standardisiertes Verfahren. Beim Albaufstieg erfolgt jetzt eine neue Berechnung, weil die bekannten Modelle nicht passgenau sind. Man muss auch einen privaten Partner finden, der die Projekte umsetzt, damit durch privates Kapital neue Investitionen in die Infrastruktur möglich werden. Es gibt, wie gesagt, kein standardisiertes Verfahren. Erstens lernen wir aus den schon laufenden Projekten, und es wird das Ganze evaluiert. Das Zweite ist, dass jedes Projekt in Abstimmung mit dem Bundesrechnungshof und dem BMF erneut analysiert wird und demnach die Entscheidungen anhand der passgenauen Berechnungen für das einzelne Projekt getroffen werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann kommen wir zur Frage 4 der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter: In welchem Ausmaß verfügt das Land Baden-Württemberg über bestandskräftig planfestgestellte Projekte für den Ausbau von Bundesfernstraßen, und wie ist dieser Wert im Vergleich zu den anderen Bundesländern zu bewerten? Herr Staatssekretär. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Im Land Baden-Württemberg liegen bestandskräftige Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben bzw. Abschnitte von Vorhaben des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen, deren Finanzierung derzeit noch nicht gesichert ist, mit einem Kostenvolumen zulasten des Bundes von rund 700 Millionen Euro vor. Baden-Württemberg hat im Vergleich zu den anderen Bundesländern zurzeit ein sehr großes Volumen von bestandskräftigen planfestgestellten Maßnahmen. Nur der Freistaat Bayern weist ein noch größeres Volumen auf. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Sieht die Bundesregierung die Schwierigkeit, dass sich angesichts des Zeitraums, bis planfestgestellte Bundesfernstraßen tatsächlich realisiert werden - ich weise auf das Beispiel Stuttgart 21 hin -, die Prämissen zwischenzeitlich vielleicht ändern? Wie steht die Bundesregierung dazu? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, Sie haben das Projekt Stuttgart 21 genannt. Stuttgart 21 ist kein Projekt des Bundes, sondern nur die Strecke Wendlingen-Ulm ist in unserer Verantwortung. Es besteht auch kein Zusammenhang mit den Straßenbauprojekten in Baden-Württemberg. Man muss dazu sagen, dass wir allein in Baden-Württemberg Projekte mit einem Kostenvolumen von rund 1,4 Milliarden Euro im Bau haben. Daher haben wir eine starke Verpflichtung, die Baustellen wirtschaftlich abzuwickeln und die Projekte fertigzustellen. Natürlich gibt es durch den Anstieg der Verkehre einen erhöhten Bedarf. Wir können allerdings nicht jedem Begehren nach einer Ortsumfahrung nachkommen. Für uns besteht der Druck, die jetzt begonnenen Baumaßnahmen abzuarbeiten. In dem Sinne gibt es eine enge Kooperation mit der Auftragsverwaltung in Baden-Württemberg, damit alles möglich gemacht wird, um den Investitionsberg abzubauen und bedarfsorientiert zu arbeiten. Ich weiß, dass es viele Gespräche mit den Abgeordneten über die einzelnen Projekte gibt. Es gibt da neuralgische Punkte, bei denen wir momentan keine Finanzierung in Aussicht stellen können, weil wir in der Verpflichtung für die bereits laufenden Projekte sind. Da sind wir auch in der Verantwortung gegenüber dem Haushalt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine weitere Nachfrage. Bitte sehr. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Was gedenkt die Bundesregierung gegen die chronische Unterfinanzierung zu tun, die zum Beispiel in Baden-Württemberg und in Bayern erkennbar ist? Wie wird sie sich verhalten, wenn es bei den Planfeststellungsbeschlüssen eine weitere Beschleunigung gibt? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, bei uns gibt es immer Überlegungen, wie wir die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auch in Zukunft sicherstellen können. Natürlich vertrauen wir da auch auf die Mithilfe der SPD-Fraktion, dass sie der Koalition im Haushaltsausschuss bei dem Bemühen, dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für die nächsten Jahre eine konstante Investitionslinie zu garantieren, kräftig unter die Arme greift. Das haben wir mit diesem Haushalt dank der Koalitionsbeschlüsse weitgehend erreichen können. Somit ist das BMVBS weiterhin das Investitionsministerium des Bundes. Entsprechend diesem Zeitplan werden wir die Projekte, die planfestgestellt sind, verantwortungsvoll abarbeiten. Aber ich bedanke mich jetzt schon für Ihre Mithilfe. (Florian Pronold [SPD]: Scherzkeks!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen jetzt zur Frage 5 des Abgeordneten Uwe Beckmeyer: Welche konkreten Konsequenzen werden aus Sicht der Bundesregierung die in dem Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, enthaltenen Handlungsempfehlungen für die WSV haben? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das Konzept zur Neustrukturierung des Wasserstraßennetzes wurde dem Haushaltsausschuss zugeleitet. Es wird zur Stunde beraten. Im Anschluss daran werden die Aufgaben und die Personalstruktur sowie die Aufbauorganisation der WSV der neuen Netzstruktur angepasst. Ziel ist: Ausbau, Unterhaltung und Betrieb von Bundeswasserstraßen mit hoher Verkehrsbedeutung und damit eine Priorisierung dieser vor Wasserstraßen mit geringer oder sogar fehlender Verkehrsfunktion. Die Personal- und Aufbauorganisation der WSV wird daran angepasst. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr. Uwe Beckmeyer (SPD): Frau Präsidentin, danke schön. - Sie sind nach Art. 65 des Grundgesetzes für Ihren Geschäftsbereich selbstständig und eigenverantwortlich zuständig und dürfen sich nicht hinter dem Haushaltsausschuss verstecken. Herr Staatssekretär, meine Frage lautet: Welche Direktionen und Ämter werden von einem Stellenabbau betroffen sein? Vielleicht können Sie das nach Bundesländern aufschlüsseln. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Beckmeyer, momentan laufen Beratungen im Haushaltsausschuss. Der Haushaltsausschuss hat den infrage stehenden Bericht angefordert. Er ist am 26. Januar zugegangen. Wir haben die Meldung bekommen, dass der Haushaltsausschuss aufgrund der umfangreichen Überlegungen des BMVBS erst heute beraten kann. Meine Kollegen sind gerade im Ausschuss und erläutern den Aufbau und die Neustrukturierung der Organisation. Basierend auf diesen Grundüberlegungen, werden die Diskussionen im Haushaltsausschuss und in der Folge im zuständigen Fachausschuss, der heute eine Anhörung beschlossen hat, geführt. Von daher gibt es genügend Möglichkeiten, darüber zu diskutieren. Es wäre völlig verfrüht, jetzt über einzelne Ämter zu diskutieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön. Uwe Beckmeyer (SPD): Wir sind hier im Plenum, Herr Staatssekretär. Sie sagen, Sie arbeiteten daran. Sie haben einen Vorschlag gemacht. Vielleicht können Sie dem Deutschen Bundestag sagen, welche Außenbetriebe, Ämter und Direktionen kurz- oder mittelfristig von den Änderungen, die Sie dem Haushaltsausschuss vorschlagen, betroffen sein werden. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Beckmeyer, der 27 Seiten umfassende Bericht liegt Ihrer Fraktion vor. Er stellt das Grundgerüst dar und enthält die Aufgabenstellung aus dem Haushaltsausschuss. Ich kann gerne diese 27 Seiten vorlesen. Aber ich glaube, dass es besser ist, das nicht zu tun; denn es gibt im Vorfeld der Anhörung noch genügend Möglichkeiten, darüber zu sprechen. Zuerst sollten sich die zuständigen Ausschüsse mit dem Grundkonzept befassen; dann folgt die Anhörung. Es gibt also genügend Möglichkeiten, darüber zu diskutieren und Abwägungen vorzunehmen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage? - Bitte schön. Florian Pronold (SPD): Herr Staatssekretär, vielleicht ist es doch möglich, ein bisschen mehr zur Sache zu antworten und sich weniger in Ausflüchte zu begeben. Sie haben in dem Bericht, den Ihr Haus der Bundesregierung vorgelegt hat, das Fehlen höherwertiger Planstellen und den Beförderungsstatus im gehobenen und höheren Dienst bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes angesprochen und festgestellt, dass das zur Abwanderung von Fachpersonal in andere Verwaltungen und in die Privatwirtschaft geführt hat. Was gedenkt die Bundesregierung denn zu tun, um das zu unterbinden? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Durch das Modernisierungskonzept der Verwaltung wollen wir sicherstellen, dass der Sachverstand im Haus bleibt. Die WSV ist ein absolutes Flaggschiff, wenn es um die Ausbildung junger Menschen geht. Wir haben in der Vergangenheit - auch schon, als die Leitung des Hauses von Mitgliedern Ihrer Fraktion ausgeübt wurde - etwa 5 000 Stellen abgebaut. Wir werden die Strukturen mit dem infrage stehenden Konzept weiter verschlanken und damit die Schlagkraft erhöhen, sodass die Attraktivität für die Mitarbeiter gesteigert wird. (Florian Pronold [SPD]: Das hat aber nichts mit meiner Frage zu tun!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Welche konkreten Maßnahmen, Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung unternommen bzw. wird sie unternehmen, um künftig die Abwanderung von Fachpersonal zu verhindern? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ihre Frage deckt sich ungefähr mit der des Kollegen Pronold. (Florian Pronold [SPD]: Die Sie nicht beantwortet haben!) Ich möchte die Verteilung der Planstellen nach Laufbahngruppen darlegen: einfacher Dienst 3 Prozent, höherer Dienst 5 Prozent, 18 Prozent gehobener Dienst. Der Rest ist mittlerer Dienst. Sie sehen, dass wir mit den Stellen und Planstellen der WSV in den Laufbahngruppen rund 9 800 überwiegend Tarifbeschäftigte im mittleren Dienst haben, im gehobenen und höheren Dienst sind es 2 800, vor allem Ingenieure, Juristen, Nautiker und Verwaltungswirte. Es ist das Ziel der Verwaltungsreform, die Verwaltung so attraktiv zu gestalten, dass der Sachverstand dort gehalten werden kann. Das war die Aufgabenstellung einer Konzeptgruppe, die schon ab dem Jahr 2005 getagt hat, also zu einer Zeit, als das BMVBS unter Ihrer Leitung stand. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Herzog, bitte. Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin! Bevor ich dem Staatssekretär eine weitere Frage zu der möglichen Gefahr der Abwanderung von Fachkräften stelle, will ich als Abgeordneter aus Rheinland-Pfalz und Berichterstatter für die Binnenwasserstraßen und die Binnenschifffahrt etwas zu der Havarie auf dem Rhein sagen. Ich war am Freitag vor Ort. Ich glaube, ich spreche im Namen aller Kolleginnen und Kollegen, wenn ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Wasserschifffahrtsverwaltung, aber auch denen der anderen Organisationen wie Feuerwehr, Wasserschutzpolizei und Technisches Hilfswerk und denen des Bergungsunternehmens ein Wort des herzlichen Dankes und der Anerkennung für die schwierige Arbeit sage, die sie dort mit großer Verantwortung geleistet haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben an erster Stelle die Sicherheit gewährleistet, aber auch die Interessen der Binnenschifffahrt berücksichtigt. Als Chemielaborant weiß ich, dass 2 400 Tonnen hochkonzentrierte Schwefelsäure durchaus mit einer Bombe zu vergleichen sind. Darauf haben diese Menschen gearbeitet. Herr Staatssekretär, Sie haben zu den Fragen meiner Kollegin, was die mögliche Abwanderung von Fachkräften angeht, Stellung genommen. Nach Ihrem Konzept wird im Osten dieses Landes nichts mehr neu gebaut. Deswegen besteht die Gefahr, dass die Neubauämter, die es dort gibt, aufgelöst werden. Wie wollen Sie verhindern, dass die Fachkräfte abwandern? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Herzog, herzlichen Dank für dieses Lob der Verwaltung und der Beteiligten. Es ist wichtig, deren Arbeit hervorzuheben; denn eine sachkundige Verwaltung ist wichtig zur Bewältigung einer Havarie. Wir müssen diese Havarie auswerten und mögliche Havarien bei dem Modernisierungskonzept berücksichtigen; denn wir müssen auch nach einer Reform auf solche Havarien reagieren können und den Schutz der Bevölkerung und der Binnenschifffahrt gewährleisten. Der Haushaltsausschuss hat uns die Aufgabe gestellt, Strukturen zu ändern. Der Auftrag ist nicht neu, also nicht von 2010; ich möchte auf den Beschluss des Haushaltsausschusses vom 26. Januar 2005 verweisen, in dem eine konsequente Aufgabenkritik und Prozessoptimierung gefordert wurden. Der Haushaltsausschuss hat schon damals aufgrund eines Berichts des Bundesrechnungshofes das BMVBS aufgerufen, Modernisierungsschritte einzuleiten. Diese Aufgabe, die über Jahre liegen geblieben ist, haben wir aufgrund der Erneuerung des Beschlusses des Haushaltsausschusses wieder in Angriff nehmen müssen. Die kommende Struktur wird zentraler und schlanker sein. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ein Zentralamt! Nun wissen wir es!) Wir werden das Fachpersonal und damit den Sachverstand im Hause behalten, weil die Verwaltung an Attraktivität gewinnen wird. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat der Kollege Groß eine Nachfrage. Michael Groß (SPD): Können Sie etwas zur angedachten Aufgabenbeschreibung des Wasserstraßen-Neubauamtes Datteln sagen? Können Sie vor allen Dingen dort einen Personalabbau ausschließen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege, ich habe schon bei der Antwort auf die Frage des Kollegen Beckmeyer gesagt, dass wir uns jetzt nicht über einzelne Ämter und Direktionen unterhalten. Aus Respekt vor den Ausschüssen des Deutschen Bundestages wird zunächst einmal im Haushaltsausschuss das Grundkonzept vorgestellt, ebenso im Verkehrsausschuss, und anschließend wird eine Anhörung durchgeführt. Wir werden noch genug Zeit haben, über einzelne Ämter und Direktionen und deren Strukturen zu reden. Dazu lade ich Sie herzlich ein. Sie sind ja Mitglied im zuständigen Ausschuss. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Lischka. Burkhard Lischka (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich will jetzt gar nicht nach einzelnen Ämtern fragen. Aber wenn man den Bericht im Detail liest, wird man zumindest die Befürchtung haben, dass in Zukunft gerade an den ostdeutschen Standorten ein erheblicher Personalabbau stattfinden wird. Können Sie uns heute diese Befürchtung ein Stück weit nehmen? Was bedeutet das für den Standort der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich möchte noch einmal hervorheben, dass wir die Aufgabe gehabt haben, aus der Ableitung der Bedeutung der einzelnen Wasserstraßen und aufgrund der entsprechenden Priorisierung - da wären zu nennen: Vorrangnetz, Hauptnetz, Ergänzungsnetz, Nebennetz, Randnetz, Wassertourismusnetz, Restwassernetz - (Uwe Beckmeyer [SPD]: Abwassernetz!) eine Konzeption für die Verwaltung zu erarbeiten. Das heißt, wir gehen an die Aufgabe anders heran, als es die Vorgänger getan haben. Wir gehen, von der Verkehrsbedeutung ausgehend, an die Verwaltungsstrukturen heran. Das ist - Sie wissen das - über Jahre eine Aufgabenstellung für das BMVBS gewesen. Von daher sind wir zu dieser Priorisierung gekommen. Über die Herangehensweise können wir diskutieren. Sie mögen das anders sehen. Wir müssen aber realistisch einschätzen, dass es Verkehrsbedeutungen gibt, die sich aus dem Verkehr auf einer Wasserstraße und den dabei bewegten Gütern ergeben. Das wird in Millionen Tonnen pro Jahr gerechnet. Es gibt also, genauso wie bei der Schiene oder bei der Straße, ein Kernnetz, und entsprechend werden die Verwaltungsstrukturen angepasst. Es wäre völlig verfrüht, jetzt über einzelne Direktionen oder Ämter zu reden. Vielmehr wollen wir das Konzept zunächst den beteiligten Ausschüssen vorstellen. Danach werden wir die Veränderungsvorschläge des Parlaments mit berücksichtigen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kumpf, bitte. Ute Kumpf (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben gerade jenen gedankt, die an dem Einsatz bei St. Goarshausen tatkräftig mitwirken. Wir kennen ja die Vorliebe der christlich-liberalen Regierung für Privatisierung. Deswegen will ich ganz konkret nachfragen: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass bei der Havarie der "Waldhof" auf dem Rhein bei St. Goarshausen private Firmen besser, schneller und kostengünstiger arbeiten können als die Kräfte der WSV? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Kumpf, diese Havarie ist ein sehr komplexes Thema. (Ute Kumpf [SPD]: Ich frage nur komplex!) Viele Spezialisten werden hinzugezogen. Würde ich jetzt die Arbeitskraft und Kompetenz von jedem Einzelnen einschätzen, so würde das den Rahmen sprengen. Das müssen die Spezialisten, die mit dieser Havarie beschäftigt sind, tun. Wir werden selbstverständlich auch eine Evaluierung dieser Havarie durchführen. Das können wir nicht jetzt schon tun, sondern werden das nach Auswertung dieses Falls vornehmen. Von daher wäre es völlig verfrüht, ein Urteil über die privaten Firmen, die extern beigezogen worden sind, oder über die Verwaltung zu treffen. Ich bin davon überzeugt, dass es eine gute Mannschaftsleistung der Verwaltung, der Sicherheitsbehörden, auch unserer niederländischen Kollegen, die hinzugezogen wurden, der Verbände der Binnenschifffahrt und auch der Externen ist. Ich maße mir hier nicht an, Arbeit zu beurteilen, und freue mich darüber, dass wir in einem ganz schwierigen Fall in großer Verantwortung gut zusammenarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Lühmann, bitte. Kirsten Lühmann (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben angedeutet, dass viel Arbeit liegen geblieben sei, die Sie jetzt machen müssten. Darum konnten Sie aus Ihrer Sicht einige Fragen nicht beantworten. Ich weise aber darauf hin, dass aus Ihrem Haus, insbesondere als Antwort auf Fragen des Bundesrechnungshofs, Papiere vorliegen, aus denen hervorgeht, dass sich das Haus sehr wohl schon längere Zeit mit der Umgestaltung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung beschäftigt. Das heißt, die Fragen, die wir heute stellen, kommen nicht das erste Mal auf Sie zu. Vielmehr müsste sich das Haus über sie eigentlich schon Gedanken gemacht haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang, anschließend an die Kollegin Kumpf, noch einmal grundsätzlich auf Havarien eingehen. Denn bei der Veränderung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung muss man sich auch Gedanken darüber machen, ob die Verwaltung personell und technisch ausreichend gerüstet ist, um in solchen Fällen Nothilfe zu leisten. Ich kann vermuten, was Sie mir jetzt als Antwort sagen: Sie müssten noch evaluieren. Dann sagen Sie mir aber bitte, wann diese Evaluierung abgeschlossen ist, wann wir die Ergebnisse erhalten, damit wir sie in unsere Beratungen mit einbeziehen können. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Lühmann, was die aktuelle Havarie angeht, müssen wir erst einmal diesen Fall abschließen, bevor wir zu einer Auswertung kommen können. Wenn Sie sich den Fluss anschauen, auf dem die Havarie passiert ist, stellen Sie fest, dass das die wichtigste Wasserstraße in Deutschland ist. Sie wird von der Verwaltungsseite her auch in Zukunft bestens abgedeckt. Es geht sogar um eine Verstärkung der Stärken, die wir im Wasserstraßensystem haben. Von daher können Sie ganz beruhigt sein. Gerade die am meisten belasteten Wasserstraßen werden von der Verwaltungsstruktur her gut abgedeckt sein. Dass wir externen Sachverstand brauchen - es gibt Private, die schon jetzt Schleusen betreiben und vieles mehr -, wird auch in Zukunft kein Sonderfall sein, sondern es wird im Infrastrukturbereich immer Realität sein, dass man sich Private als zusätzliche Hilfe holt, auch unter Optimierungsaspekten, wobei die Qualität nicht auf der Strecke bleiben darf. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen Kahrs. Johannes Kahrs (SPD): Herr Staatssekretär, im Handelsblatt von gestern gibt es einen Artikel mit der Überschrift "Das ist Ramsauers Abwrackkarte". Darin steht, wie Sie wichtige Flussabschnitte verfallen lassen wollen und wie Sie verfügbare Sach- und Personalressourcen auf Teile der Wasserstraßeninfrastruktur konzentrieren wollen, die ein hohes oder ein sehr hohes Verkehrsaufkommen haben. Das haben Sie eben geschildert und bestätigt. Meine Frage ist, wie Sie denn künftig gewährleisten wollen, dass es dann, wenn Personal aus weiter Entfernung anreisen soll, nicht zu unnötigem Zeitverlust und zu einer Überlastung der Einsatzkräfte kommt. Das kann natürlich gerade bei solch extremen Gefahrensituationen von Bedeutung sein, wenn man es zeitlich gar nicht schaffen kann. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Kahrs, Sie waren als Berichterstatter für den Verkehrsausschuss in alle Diskussionen um die Reform der WSV eingebunden. Auch als erfahrenes Haushaltsausschussmitglied haben Sie schon seit Jahren die Möglichkeit gehabt, an dieser Reform mitzuarbeiten. Unser Ziel ist es, mit dieser Priorisierung vor allem für die Hauptstrecken, auf denen die größte Belastung ist, die absolut beste Abdeckung zu haben, dort auch in Bezug auf die Investitionen einen Schwerpunkt zu bilden. Wir werden weiter sicherstellen, dass in einer gewissen Zeit auch andere Wasserstraßen, Wassertourismusstraßen beispielsweise, dann, wenn es zu Unfällen kommt, von uns, von der Verwaltungsseite, abgedeckt werden können; das ist selbstverständlich. Aber auf einer Wassertourismusstraße ist es anders als auf einer Vorrangwasserstraße, auf der es viele Verkehre gibt. Sie haben gesehen, zu welchen Staus es durch die Havarie gekommen ist. Von daher haben wir die Aufgabe, vor allem die Hauptwasserstraßen in einem perfekten Zustand zu halten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Kahrs auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die WSV aufzufordern, weitere Aufgaben über das jetzige Maß hinaus auszuschreiben und an Dritte abzugeben? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Kahrs, aufgrund der haushaltsgesetzlichen Einsparauflagen seit 1993 und der im Zuge der weiteren Haushaltskonsolidierung zu erwartenden zusätzlichen Personaleinsparungen bei allen Bundesbehörden werden auch weitere Aufgaben der WSV an Dritte vergeben. Das deckt sich mit der Antwort, die ich vorher der Kollegin Kumpf gegeben habe. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr. Johannes Kahrs (SPD): Herr Staatssekretär, im Bericht vom 27. Oktober 2010 aus Ihrem Hause schreiben Sie, dass der Betreuungsaufwand für Vergabeverfahren deutlich gestiegen ist, das Nachtragsmanagement während der Auftragserledigung erheblich umfangreicher und komplexer geworden ist und die Ausführungsqualität nachgelassen hat. Sie schreiben also selber, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - ich zitiere - "nicht in der Lage ist, weitere Vergaben zu generieren". Das passt eigentlich überhaupt nicht zu dem, was Sie eben gesagt haben. Mich würde also interessieren, wie Sie zu den Ausführungen Ihres eigenen Hauses stehen. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Kahrs, ich stehe natürlich zu tausend Prozent zu den Ausführungen meines Hauses; aber seit Oktober hat sich halt auch einiges getan. So sind wir in der Aufgabenkritik und Prozessoptimierung einen Schritt weitergekommen, was die Aufgabenstellungen seitens Bundesrechnungshof und Haushaltsausschuss angeht. Wir müssen diese Erfahrungen einbeziehen, wenn wir einen Auftrag an Private vergeben. Das heißt, wir werden auch an dieser Stelle, bei der Vergabe an Private, wozu wir durch die Reform ja noch mehr angehalten werden, gemäß der Aufgabenkritik zu Verbesserungen kommen, vor allem die Aufgaben so definieren, dass es eine Partnerschaft aus Verwaltung und Privaten gibt. Aus diesen Erfahrungen werden wir natürlich bei der Aufgabenkritik unsere Schlüsse ziehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kahrs, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte schön. Johannes Kahrs (SPD): In dem Beschluss des Haushaltsausschusses, der eben erfolgt ist, schreiben Sie, dass Sie von einer Auftragsverwaltung zu einer Gewährleistungsverwaltung kommen wollen, das heißt, deutlich mehr privatisieren wollen. Dem haben CDU/CSU, FDP und die Grünen zugestimmt. Demnach glauben Sie also, dass Private künftig kostengünstiger, qualitativ hochwertiger, schneller und zuverlässiger diese Aufgaben erledigen können als Ihre eigene Verwaltung. Ich würde dazu gerne noch einen Kommentar von Ihnen hören; denn Sie sind ja schließlich die Spitze des Hauses, das Sie hier selber kritisieren. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Kahrs, zunächst einmal: Die Spitze des Hauses ist Bundesminister Dr. Ramsauer, dem ich sehr gerne zuarbeite. Das Zweite ist: Die Grünen haben heute im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ähnlich wie bei Fragen der Bahn die Koalition insofern unterstützt, als es unsere Aufgabe ist, Belastungsspitzen, die sich gerade bei Neubauten ergeben, in der Form abzufedern, dass zusätzlich zu der in der Verwaltung vorgehaltenen Sachkompetenz Externe für einen überschaubaren Zeitraum herangezogen werden. Damit fallen geringere Fixkosten an, als wenn ein Apparat vorgehalten werden müsste, der auf Spitzenbelastungen ausgelegt ist. Das ist doch selbstverständlich. Beim Straßenbau und bei der Schiene machen wir es ja genauso. Auch bei der Wasserstraßenverwaltung ist es natürlich unsere Pflicht, dann, wenn es zu Belastungsspitzen in Bezug auf Bauausführung und Planung kommt, externen Rat hinzuzuholen. Das wird vor allen Dingen dann der Fall sein, wenn es um Elbvertiefung, Weservertiefung, Maßnahmen beim Nord-Ostsee-Kanal und ähnliche Dinge geht. Zur Erfüllung dieser Aufgaben, die uns ordentlich binden, brauchen wir externen Sachverstand. (Johannes Kahrs [SPD]: Also, mit Schwarz-Grün haben wir in Hamburg keine guten Erfahrungen gemacht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Beckmeyer. Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Staatssekretär, über die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wurde in den letzten Jahren schon sehr viel externer Sachverstand eingekauft. Gleichwohl muss ja alles kontrolliert und auf Rechtmäßigkeit und Stand der Technik überprüft werden. Können Sie mir Beispiele nennen, bei denen die Übernahme von Aufgaben durch Private günstiger war als die Durchführung durch die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Beckmeyer, ich kann Ihnen gern zehn Beispiele aus den verschiedensten Aufgabenbereichen ausarbeiten lassen. Dann können Sie sehen, dass es sowohl positive als auch negative Beispiele gibt. Genauso ist es bei der Schiene und bei der Straße. Das ist ja nichts Neues. Wir handhaben es nämlich so, dass wir die Aufgabenerfüllung bewerten. Wir diskutieren hier also nicht über neue Sachverhalte, sondern genauso wie wir bei Bau- und Unterhaltsmaßnahmen bei anderen Verkehrsträgern Externe hinzuziehen, werden wir auch hier vorgehen und die Durchführung der Arbeiten immer wieder beurteilen. Wir werden Ihnen also zehn Beurteilungen nachreichen, damit Sie im Rahmen der Anhörung mit diesen Beispielen arbeiten können. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Danke schön!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Pronold zu einer Nachfrage, bitte. Florian Pronold (SPD): Zum Komplex "Vergabe nach außen" eine weitere Frage: Wie haben sich denn in den letzten Jahren das Nachtragsmanagement und die Überwachung der nach außen vergebenen Tätigkeiten entwickelt? Welche zusätzlichen Anforderungen sind da auf die WSV zugekommen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Zusätzliche Aufgaben haben sich vor allem in Bezug auf Neubaumaßnahmen, die wir machen müssen, ergeben. Denken Sie nur an die komplizierten Verfahren bei den Beispielen, die ich vorhin genannt habe, wie Elbvertiefung, Weservertiefung, Maßnahmen beim Nord-Ostsee-Kanal oder, Herr Kollege Pronold, Donau-Ausbau. (Florian Pronold [SPD]: Das wird eh nichts!) Gerade beim Donau-Ausbau, gegen den Sie seit Jahren massiv kämpfen, gibt es ja komplizierte Anforderungen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Es geht um das Nachtragsmanagement, Herr Kollege!) Ich nenne zum Beispiel die Aufgaben, die im Zuge des intensiven Bürger- und vor allem Expertendialogs im Lenkungsausschuss und in der Monitoringgruppe etc. auf uns zugekommen sind. Hier mussten Zusatzbohrungen vorgenommen und Gutachten erstellt werden, die ökologische Fragen untersuchen. Das alles wird nicht weniger. Die Großprojekte werden immer umfangreicher. Auch ist gewünscht, einen breiten Dialog zu führen. Wenn die Verfahren immer komplizierter, die Gutachten immer umfangreicher, die Anforderungen für diese Großprojekte an Ingenieure und Planer immer mehr, die Planstellen aber immer weniger werden, dann muss man sich natürlich externen Rat hinzuholen. Das macht nicht nur die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, sondern das gibt es auch bei der Straße und bei der Schiene. Der Donau-Ausbau ist ein prädestiniertes Beispiel dafür, dass die Anforderungen für die Verwaltung so immens steigen, dass sie externen Sachverstand braucht. (Florian Pronold [SPD]: Entschuldigung! Sie haben meine Frage nicht beantwortet!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Entschuldigung, Herr Pronold, Sie sind jetzt nicht mehr dran, sondern Ihre Kollegin Frau Schwarzelühr-Sutter. (Florian Pronold [SPD]: Dann rufe ich dazwischen, dass wir beim Donau-Ausbau bisher kein Nachtragsmanagement hatten!) - Auch das geht nicht. Frau Kollegin, Ihre Nachfrage, bitte schön. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Ich möchte an Ihre Ausführungen anknüpfen. Sie haben gerade Beschreibungen in Hülle und Fülle abgegeben, welche Aufgaben auf die WSV zukommen. Gedenken Sie, Externe zu holen, oder planen Sie eine Aufstockung des Personals der WSV für Ausschreibungen, Nachtragsmanagement, Auftragsbegleitung, Abnahmen und Nachbesserungen? Wenn Sie Externe hinzunehmen: In welchem Verhältnis stehen dann Externe und Interne vom WSV? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, in diesen komplizierten Abläufen ist es unser Ziel, eine Investitionsbündelungsstelle zu errichten - das haben wir in dem Bericht geschrieben -, um die Abläufe viel effektiver zu machen, auch wenn sie kompliziert sind. Bei Schleusen, Brücken und Wehren, bei denen wir große Instandhaltungsaufgaben haben, werden wir natürlich externen Sachverstand brauchen. Das Ziel ist - da haben Sie den Bericht und die Aufgabenstellung aus dem Haushaltsausschuss scheinbar missinterpretiert -, die Verwaltung, die jetzt noch aus rund 15 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht - 13 000 im harten Kern -, nach dem Abbau der Planstellen, der schon seit Jahren läuft, weiter zu verschlanken. Wir müssen Aufgaben auch extern vergeben, wobei damit natürlich eine gute Aufgabenkritik und -bewertung einhergeht. Wenn es zu Nachträgen kommt, Herr Kollege Pronold, dann wird das von den Stellen, beispielsweise von der Investitionsbündelungsstelle, abgefragt, genau angeschaut und analysiert. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Groß. Michael Groß (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die komplexen Aufgabenstellungen beschrieben und darauf hingewiesen, dass in den Ämtern und Direktionen eine hohe Fachkompetenz erforderlich sei. Wir beobachten aus Gesprächen mit den Ämtern und Direktionen, dass Private und Dritte zurzeit gar nicht in der Lage sind, ihren Aufgaben nachzukommen und sie zu erfüllen, sodass große Parallelstrukturen erforderlich sind. Gehen Sie davon aus, dass es zu Kostensteigerungen kommen wird? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich möchte noch einmal die zentralen Aufgaben beispielsweise im Bereich der Sicherheit aufzeigen: Überwachung und Vorhaltung entsprechender Tauchtiefen, bedarfsgerechter Ausbau der Infrastruktur, Hindernisbeseitigung, Betrieb von Schleusen, Schiffshebewerken und Wehranlagen, Verkehrsregelung, -überwachung, -beratung und -lenkung einschließlich der hierfür erforderlichen verkehrstechnischen Einrichtungen, Seezeichen und Fahrwasserkennzeichnungen, Leuchtfeuer, Radaranlagen, Funkstationen, Verkehrs- und Revierzentralen, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie sollten doch den Minister herholen, Herr Staatssekretär!) die Abwehr von Gefahren für den Zustand der Bundeswasserstraßen, den Schiffsverkehr sowie von Gefahren, die von der Schifffahrt ausgehen, also Verkehrsüberwachung, Verkehrslenkung und Havariemanagement. Hierzu haben wir 39 Wasser- und Schifffahrtsämter in 141 Außenbezirken, Bauhöfen sowie Revier- und Verkehrszentralen, 7 Neubauämter und viele Sonder- und Fachstellen. Das sind die umfangreichen Aufgaben, die die WSV hat. Von daher müssen wir jetzt durch die Aufgabenstellung eine Zweckkritik machen. Ein Konzept haben wir vorgestellt. Die Vergabe an Externe werden wir sehr sorgsam machen. Das ist unsere Aufgabenstellung, im Übrigen seit Jahren. Ich betone noch einmal: Die politische Hausleitung setzt jetzt die Bitten aus dem Parlament endlich um. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Herzog hat die letzte Nachfrage zu dieser Frage. Gustav Herzog (SPD): Herr Staatssekretär, vielen Dank, dass Sie die wichtigen Aufgaben der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, insbesondere im Bereich der Sicherheit, so ausführlich beschrieben haben. Meine Frage bitte ich nicht mit tausend Prozent Ministerium, sondern mit 100 Prozent gesundem Menschenverstand zu beantworten. Können Sie ausschließen, dass mit der insbesondere von der FDP geforderten Vergabepolitik, die vorsieht, möglichst alles zu vergeben, auch entsprechende Fachkompetenz aus der Verwaltung abwandert, die Sie spätestens in einem solchen Katastrophenfall, wie wir ihn an der Loreley haben, wieder brauchen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Herzog, ich habe die Reformbemühungen der Koalition, aber vor allem der Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion nicht so verstanden, dass zu 150 Prozent alles nach außen vergeben und privatisiert werden muss. Vielmehr werden wir nach dieser Reform eine schlagkräftige, modernisierte Verwaltung haben, die natürlich, so wie jetzt auch, den externen Sachverstand von Privaten zur Abwicklung der Aufgaben braucht. Ich möchte noch einmal auf das Modernisierungskonzept und dessen Ziele Bezug nehmen. Die verkehrspolitischen Anforderungen, zumindest in Bezug auf die Wasserstraßen mit hohem Verkehrsaufkommen, müssen erfüllt werden. Die Aufträge aus dem Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode, nach denen die WSV für weitere Aufgaben - Wassertourismus, Naturschutz, Umweltschutz, Hochwasserschutz - eingesetzt werden soll, müssen umgesetzt werden, um die Fachkompetenz der WSV langfristig zu sichern und die Effizienz zu steigern. In diesem Sinne wird diese Reform umgesetzt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Pronold: Wird die Bundesregierung weitere Schritte unternehmen, um die WSV in eine Gewährleistungsverwaltung umzustrukturieren, wie dies in dem Antrag der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vom 27. Oktober 2010 formuliert ist? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Pronold, aufgrund der Personaleinsparungen seit 1993 in Höhe von circa 5 000 Planstellen vergibt die WSV bereits heute zahlreiche Aufgaben an Dritte. Im Jahre 2009 lag das Vergabevolumen einschließlich der Konjunkturprogramme bei 1,08 Milliarden Euro. Weitere Personaleinsparungen aufgrund der Haushaltskonsolidierung werden dazu führen, dass auch weitere Aufgaben vergeben werden müssen. Basierend auf der neuen Netzstruktur werden allerdings die vergabefähigen und vergabewürdigen Aufgaben der WSV neu definiert. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Pronold, eine Nachfrage? - Bitte schön. Florian Pronold (SPD): Genau auf die Konkretisierung der zukünftigen Aufgaben, die in die Gewährleistungsverwaltung übergehen sollen, richtet sich meine Nachfrage. An welche konkreten Aufgaben denkt die Bundesregierung dabei? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Wir sind momentan mit der Analyse der Struktur und den dazu notwendigen Reformschritten beschäftigt. Ich habe Ihnen die Aufgabenstellungen genannt. Dazu gehört Effizienzsteigerung, aber auch, das Fachwissen in der Verwaltung zu behalten. Es wird einen Kernaufgabenbereich geben. Dazu hat es auch ein Gutachten gegeben. Das heißt, für die weitere Umsetzung des Kernaufgabengutachtens müssen wir weiterhin die Aufgaben - - (Ute Kumpf [SPD]: Jetzt fehlen die Worte!) - Entschuldigung, jetzt habe ich den Faden verloren. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Und das schon seit geraumer Zeit!) Die Umsetzung der Kernaufgaben wird in einem Gutachten geklärt - Entschuldigung, das habe ich falsch wiedergegeben -, wo noch fehlende Fragen zu klären sind. Mit diesem Kernaufgabengutachten werden Sie den Katalog bekommen, in dem steht, was nach außen vergeben wird und was bei der Verwaltung bleibt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Pronold, Sie haben eine weitere Nachfrage. Florian Pronold (SPD): Erstens glaube ich, dass "fehlende Fragen" sehr schwer zu klären sind, Herr Staatssekretär; denn wenn sie fehlen, sind sie nicht gestellt worden, und dann kann man sie auch nicht klären. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Danke, Herr Kollege Pronold, für die Belehrung; ich bin sehr dankbar dafür. Florian Pronold (SPD): Bitte. Ich versuche, mich Ihrem Stil anzupassen. (Heiterkeit bei der SPD) Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Wunderbar. Florian Pronold (SPD): Mich - und wahrscheinlich auch die staunende Öffentlichkeit - würde aber interessieren, ob Sie neben den sehr allgemeinen Ausführungen, die Sie gerade gemacht haben, auch konkrete Beispiele nennen können, welche Aufgaben zukünftig in die Gewährleistungsverwaltung übergehen sollen bzw., um das deutlich zu machen, privatisiert werden könnten. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Kollege Pronold, im Rahmen des Modernisierungsprozesses wird ein Produktkatalog mit Produktgruppen entwickelt, dem zu entnehmen ist, wofür die Gewährleistungsverwaltung bzw. die Durchführungsverwaltung zuständig ist. Das wird aufgabenbezogen konkretisiert. Damit ist auch die Frage beantwortet, was Kerngruppen sind, was in der Verwaltung bleibt und was nach außen vergeben werden kann. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Schwarzelühr-Sutter, bitte. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Herr Staatssekretär, inwieweit spiegelt die Äußerung des verkehrspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion, dass es sich bei der WSV um "eine extrem große Verwaltung für relativ wenig Verkehrsgeschehen" handelt, die Haltung der Bundesregierung wider? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Wasserstraßen bilden eine wichtige Säule im verkehrsträgerübergreifenden Ansatz des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion hat, so wie ich ihn verstehe, die Wasser- und Schifffahrt mit anderen Verkehrsträgern verglichen. Damit wollte er nicht die Wasserstraßen in Misskredit bringen, sondern darauf hinweisen, dass wir ein Kernnetz haben, das für den Logistikweltmeister Deutschland äußerst wichtig ist. Sein Vergleich dürfte auf die Tonnenkilometern bzw. die beförderten Tonnen der verschiedenen Verkehrsträger verweisen. Er steht damit nicht im Widerspruch zum Bundesministerium. Die FDP-Fraktion hat des Öfteren bewiesen, wie wichtig ihr die Wasserstraßen sind. Ich glaube, dass Sie die Haltung der FDP-Fraktion mit dem Zitat, das Sie wiedergegeben haben, verkürzt darstellen; denn die Überlegungen der FDP-Fraktion zum Modernisierungsprozess gehen sehr weit. Wenn man in einer Bürgerversammlung darauf hinweist, dass allein in der WSV rund 15 000 Stellen bestehen, dann - so stelle ich es fest - atmen viele durch und fragen: Was wird denn da gemacht? Dann muss man darüber aufklären, wie umfangreich die Aufgaben der WSV sind und wie kompetent sie ausgeführt werden. Es steht aber außer Frage, dass wir einen Modernisierungs- und Reformprozess in Angriff nehmen müssen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Behrens. Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, Sie erzählen sehr viel darüber, wie die Gewährleistungsverwaltung aussehen soll. Dabei haben Sie allerdings noch nicht erwähnt, dass beispielsweise in Ihrer Antwort an den Bundesrechnungshof berichtet wird: Aufgaben bei Betrieb und Unterhaltung werden seit 2008 vergeben und nicht mehr von der WSV durchgeführt; alle Aufgaben an Wasserstraßen mit geringer Transportfunktion werden an Dritte vergeben. Bundeswasserstraßen mit großer Verkehrsfunktion werden begutachtet; anhand von Kernaufgabengutachten wird entschieden, welche Aufgaben vergeben werden. - Daran schließt sich meine Frage an: Was bleibt denn als Aufgabe einer Gewährleistungsverwaltung übrig, wenn die genannten Bereiche gar nicht mehr Bestandteil der täglichen Arbeit der WSV sein werden? Sie haben einen weiteren konkreten Punkt aus dem Bericht erwähnt, nämlich dass das Personal der WSV bis 2020 auf jeden Fall um 20 Prozent reduziert wird. Für mich ist es wichtig, zu wissen: Wie sieht die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung künftig aus, wenn all die Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, umgesetzt werden? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich kann mich nur wiederholen: Zentrale Aufgaben sind die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffverkehrs, Überwachung und Vorhaltung entsprechender Tauchtiefen, bedarfsgerechter Ausbau der Infrastruktur, Hindernisbeseitigung, Betrieb von Schleusen, Schiffshebewerken und Wehranlagen, die Verkehrsregelung, -überwachung, -beratung und -lenkung einschließlich der hierfür erforderlichen verkehrstechnischen Einrichtungen, Seezeichen und Fahrwasserkennzeichnungen, Leuchtfeuer, Radaranlagen, Funkstationen, Verkehrs- und Revierzentralen, Abwehr von Gefahren für den Zustand der Bundeswasserstraßen, den Schiffsverkehr sowie von Gefahren, die von der Schifffahrt ausgehen, also Verkehrsüberwachung, Verkehrslenkung und Havariemanagement. Diese Aufgaben bleiben erhalten. Herr Kollege Behrens, zum zweiten Teil Ihrer Frage, der sich auf die Zukunft der Verwaltung bezieht. Wir diskutieren gerade über ein Basiskonzept genau dafür. Es hält fest, wie die Verwaltung 2020 aussehen soll. Das ist die Grundlage der Diskussion sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit. Sie haben die Möglichkeit, sich mit Ihrer Fraktion bei der bevorstehenden Anhörung im zuständigen Fachausschuss einzubringen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen jetzt zur Frage 8 des Abgeordneten Herzog: Nach welchen Kriterien kategorisiert die Bundesregierung das Bundeswasserstraßennetz in Vorrang-, Haupt-, Ergänzungs-, Neben- und Randnetz? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Kategorisierung des Wasserstraßennetzes erfolgt nach den bestehenden und gemäß der Verkehrsprognose für das Jahr 2025 zu erwartenden Gütermengen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Herzog, möchten Sie eine Nachfrage stellen? Gustav Herzog (SPD): Gern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das können Sie gerne tun. Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin, bei einer solch knappen, präzisen Antwort ist man natürlich aufgefordert, nachzufragen. Herr Staatssekretär, die Verbände haben sehr heftig kritisiert, dass Sie als einziges Kriterium die Tonnage zugrunde gelegt haben, also die pure Masse, die transportiert wird. Zur Erläuterung für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht aus diesem Fachbereich sind, ein anschauliches Beispiel: Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich 2 000 Tonnen Kies transportiere oder einen Generator von Dresden nach Hamburg fahre, der 120 Tonnen wiegt und somit nicht über die Straße transportiert werden kann, dessen Wert aber den von Kies um ein Vielfaches übersteigt. Sie beziehen sich nur auf die Masse. Deswegen meine Frage: Sind Sie bereit, über Alternativen nachzudenken? Könnten Sie sich vielleicht vorstellen, die Wertschöpfung oder den Wert des Gutes in die Berechnung einzubeziehen, oder wollen Sie bei der Tonnage bleiben? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Wir haben bei den anderen Verkehrsträgern die Prognose für 2025 darauf angelegt; das ist vergleichbar mit der Wasserstraße. Lassen Sie sie mich noch einmal vorstellen: Vorrangwasserstraßen im Küstenbereich: Verkehrsaufkommen größer 50 Millionen Tonnen pro Jahr; Hauptwasserstraßen: Verkehrsaufkommen größer 5 Millionen Tonnen im Jahr; bedeutender Fährverkehr oder sonstige Wasserstraßen - wohlgemerkt im Küstenbereich -: geringe oder ohne Bedeutung für den Gütertransport. Das ist nur der Küstenbereich. - Für die Binnenwasserstraßen haben wir quantifiziert: das Vorrangnetz mit 10 Millionen Tonnen pro Jahr, das Hauptnetz größer 5 Millionen Tonnen, das Ergänzungsnetz größer 3 Millionen Tonnen, das Nebennetz größer 1 Million Tonnen. Dann geht es in die Unterkategorien. Aus meiner Sicht haben wir mit den Tonnenkilometern gerade für die Schifffahrt einen wichtigen Indikator. Wir werden die Kritik natürlich aufnehmen; gestern habe ich bei der Podiumsdiskussion der fünf norddeutschen Länder genau dieselbe Kritik gehört. Das BMVBS erwartet diesbezüglich von den einzelnen Regierungen noch Stellungnahmen. Wir stehen erst am Anfang dieses Diskussionsprozesses. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Herzog, Sie haben noch eine weitere Nachfrage? Gustav Herzog (SPD): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Gustav Herzog (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben eben angesprochen, welche Auswirkungen Ihre Planung auf welche Bereiche unseres Landes hat. Ramsauers Abwrackkarte zeigt ein interessantes Farbenspiel: Im Osten sind die Strecken insbesondere schwarz-grün und blau markiert. Das heißt, Sie koppeln den Osten ab. Deswegen meine Nachfrage: Sind Sie bereit, Projektverkehre in Ihre Überlegungen einzubeziehen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Wie Sie das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung kennen, sind wir für konstruktive Vorschläge immer offen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Aha!) Deswegen werden wir die Vorschläge und Stellungnahmen diskutieren. Wir hängen die neuen Bundesländer keinesfalls ab, sondern erstellen und kategorisieren das Netz gemessen am Bedarf und der zurzeit gefahrenen Tonnen. Das heißt, wir berücksichtigen nicht nur die Prognose, sondern auch die bereits vorhandenen unterschiedlichen Belastungen im Netz. Wir beginnen ja nicht mit den Binnenwasserstraßen; wir werden auch keinen Fluss zuschütten. Das sage ich, um der Öffentlichkeit klarzumachen, dass unser Ziel nicht in einer Qualitätsreduzierung liegt, sondern, gemessen an den Hauptstrecken, in einer Kategorisierung und Priorisierung. Von teile ich Ihre Meinung nicht, dass wir die neuen Bundesländer abhängen. Im Gegenteil, Sie sind uns gerade im Bereich der Binnenwasserstraßen sehr wichtig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kumpf. Ute Kumpf (SPD): Herr Staatssekretär, es klang, als hätten Sie angedeutet, dass Sie noch einmal überdenken wollen, ob die Tonnage das alleinige Kriterium im Hinblick auf die Ausrichtung des Netzes sein soll - seien es die Kernnetze, seien es die nachrangigen Netze, ganz gleich, welche Netze Sie rauf- und runterdeklinieren. Wie lange wird dieser Prozess des Nachdenkens dauern? Was ist mit den Fachleuten, die ganz andere Kriterien heranziehen wollen, um den Ausbau entsprechend zu untermauern? Wann können wir mit entsprechenden Antworten rechnen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Kumpf, die Kategorisierung nach den Tonnen, die gefahren werden, hat für uns in der Beurteilung die höchste Priorität. Natürlich werden wir auch regionale Umstände in die Überlegungen einbeziehen. Um es noch einmal klarzustellen: Wir stehen erst am Anfang des Diskussionsprozesses. Der Verkehrsausschuss hat heute eine Anhörung beschlossen, um den Experten aus diesem Wirtschaftsraum die Möglichkeit zu geben, sich entsprechend zu äußern. Auch die politischen Vertretungen werden sich einbringen. Gestern habe ich gehört, dass von den Bundesländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ein Vorschlag kommt. Natürlich werden wir diesen in unsere Überlegungen einbeziehen. Dafür ist das BMVBS bekannt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kahrs. Johannes Kahrs (SPD): Herr Staatssekretär, in dem Artikel im Handelsblatt, in dem es um "Ramsauers Abwrackkarte" geht, steht auch, dass sich die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die künftig sparsamer sein soll, um das "Neben-, Rand- und Restnetz" nicht mehr kümmern soll, weil das Geld vorne und hinten nicht reicht. Dass der Etat nicht groß genug ist, wissen wir. Es wird weiter gesagt, dass man nur in bestimmten Bereichen etwas tun müsse. Ihr Kollege, Staatssekretär Scheurle, hat im Haushaltsausschuss gesagt, dass man zum Beispiel die Lahn an die Bundesländer abgeben könne. Dann müssten die sich darum kümmern. Beim Teltowkanal ist es ähnlich. Es gibt viele solcher Geschichten. In dem Artikel im Handelsblatt steht, dass der Bundesverband der Deutschen Binnenschiffahrt befürchtet, dass die Infrastruktur östlich von Braunschweig dem Verfall preisgegeben wird. Hier wird über die Elbe gesprochen, die den Anlagenbauern aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen als Transportweg nicht mehr zur Verfügung stehen soll. Wenn Sie sich den Faktor Wertschöpfung ansehen, stellen Sie natürlich fest, dass die Elbe auf ihrem Weg zur Nordsee eine unterschiedliche Wertschöpfung ermöglicht. Gleichzeitig gibt es aber das Ziel der Bundesregierung und Ihres Ministers, der immer wieder sagt: Wir wollen möglichst viel Verkehr von der Straße auf die Schiene und die Wasserwege umleiten. Wie stehen Sie zu der Aussage Ihres Ministers vor dem Hintergrund dieser Äußerungen zur Wertschöpfung? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege Kahrs, ich möchte die Antwort mit einer Vorbemerkung einleiten. Zur Vorbereitung der Untersuchungen zur Ämterstruktur wurde auf Grundlage der Gemeinsamen Vereinbarung vom 8. August 2005 zwischen dem Ministerium und den Gewerkschaften eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Die Arbeitsgruppe hatte unter anderem den Auftrag, verbindliche Leitlinien für die Geschäftsprozessoptimierung in der WSV, verbindliche Obergrenzen für die Vergabe an Dritte, Haltelinien usw. zu erarbeiten. Das heißt, diese ganze Reformdiskussion ist nicht neu. Wir haben jetzt die Kategorisierung vorgenommen. Das ist die gleiche Diskussion wie bei den Straßen. Im Rahmen der Föderalismuskommission haben wir Bundesstraßen, die parallel zu Bundesautobahnen verlaufen, an die Bundesländer abgegeben. Ich halte das nicht für verwerflich. Das ist sogar eine Chance für die Bundesländer, die Infrastruktur im Bereich der Wasserwege, gerade bei nachrangigen Flüssen, besser zu nutzen. (Johannes Kahrs [SPD]: Die wollen die gar nicht haben!) Ich meine zum Beispiel die Tourismuswasserstraßen, die auf diesem Wege besser für das Marketing genutzt werden können. Das ist eine Chance. Zusammen mit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung werden wir uns Kategorisierungen überlegen, welche Wasserstraßen man an Bundesländer oder Private abgeben kann. Das heißt aber auch, dass wir im Zusammenhang mit den anstehenden Investitionen äußerst sorgsam mit den Vorrangwasserstraßen umzugehen haben. Diese Kategorisierung erlaubt uns, das übergeordnete Wasserstraßensystem in einem perfekten Zustand zu halten. Die Karte, von der im Handelsblatt die Rede ist, will ich nicht kommentieren. Das steht mir auch nicht zu. (Johannes Kahrs [SPD]: Aber das war doch nur die Vorbemerkung! Jetzt fehlt noch die Antwort!) - Die Vorbemerkung bezog sich auf die Gemeinsame Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft und dem Ministerium sowie auf die Arbeitsgruppe. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben gleich während der Sitzungsunterbrechung Gelegenheit, diesen Dialog fortzusetzen. Jetzt folgt eine Nachfrage des Kollegen Beckmeyer. Danach lasse ich keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage zu, weil wir dann die Sitzung unterbrechen wollen. Bitte schön, Herr Beckmeyer. Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Staatssekretär, ich habe gerade gelernt, dass Sie ganze Flüsse oder Wasserstraßen an Private abgeben. (Ute Kumpf [SPD]: Kann man sich darum schon bewerben?) Das ist etwas ganz Neues. Sie haben eine Kategorisierung vorgenommen - das haben Sie gerade ausgeführt -, ohne dass Verbände, Länder oder wer auch immer angehört wurden. Ihnen wurde nicht Gelegenheit gegeben, ihren Sachverstand einzubringen. Ich frage noch einmal ganz konkret nach. Hier ist von Kollegen festgestellt worden, dass Ihrer Kategorisierung nur die Menge zugrunde liegt, also die Jahrestonnage auf den Flüssen. Dabei ist es egal, ob es um Sand, Pkws, Maschinen oder sonst etwas geht. Bei Ihnen zählt zurzeit nur die Menge, nichts weiter. Weil vorhin schon darauf hingewiesen worden ist, frage ich noch einmal bewusst nach, ob nicht auch andere Kriterien für Investitionen in Bundeswasserstraßen sinnvoll sein könnten, weil zukünftige Entwicklungen - - (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Das ist doch längst beantwortet! Hören Sie doch zu! Durch Wiederholen wird Ihre Frage doch nicht besser!) - Wie bitte? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: In erster Linie hat jetzt Herr Beckmeyer das Wort, um eine Frage an den Herrn Staatssekretär stellen zu können. Uwe Beckmeyer (SPD): So ist das. Ich möchte gern meine Frage zu Ende stellen, auch wenn es dem Kollegen Kammer nicht passt. Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Kriterien, die bei der Kategorisierung von Wasserstraßen sinnvoll sein könnten? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Kollege Beckmeyer, ich beziehe mich auf die Antwort, die ich Kollegen Herzog gegeben habe. Ich glaube, mehr ist dem nicht hinzuzufügen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt unterbreche ich die Sitzung für eine Fraktionssitzung der Fraktion Die Linke bis 16.35 Uhr. Dann setzen wir die Fragestunde fort. (Unterbrechung: 16.06 bis 16.39 Uhr) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bedanke mich bei Frau Keul, dass sie als Schriftführerin einspringt und hier so lange ausharrt, bis die Schriftführerin der Linken wieder da ist. Wir fahren mit der Fragestunde fort. Ich will kurz darauf hinweisen, dass wir die Frage 16 der Kollegin Lühmann zu den zusätzlichen Aufgaben für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes nach vorn ziehen werden, damit wir einen Komplex haben. Jetzt kommen wir zunächst zur Frage 9 des Kollegen Lischka: Welche konkreten Schritte zur Erhebung streckenbezogener Nutzungsentgelte für die Bundeswasserstraßen und die seewärtigen Hafenzufahrten plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Diskussion um eine Reform der WSV? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Danke an die Fraktion Die Linke für die kleine Pause. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ute Kumpf [SPD]: Aha! Das war wohl abgesprochen!) Herr Kollege Lischka, ich beantworte Ihre Frage 9 zu den Nutzungsentgelten wie folgt: Keine. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön. Burkhard Lischka (SPD): Ja. Bei dieser kurzen Antwort muss ich natürlich nachfragen. - Wenn ich in den Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP schaue, dann stelle ich fest, dass dort von verkehrsträgerbezogenen Finanzierungskreisläufen die Rede ist. Bedeutet Ihre kurze und knappe Antwort, dass diese Überlegungen für die Zukunft ad acta gelegt wurden? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Es gibt keine weiteren Überlegungen und Schritte bezüglich der Nutzungsentgelte. Somit kann ich Ihre Frage nur mit "keine" beantworten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine Nachfrage haben Sie noch. Bitte schön. Burkhard Lischka (SPD): Was bedeutet es für die Bundeswasserstraßen in Zukunft konkret, dass Sie tatsächlich keinerlei verkehrsträgerbezogenen Finanzierungskreisläufe aufbauen wollen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege, ich kann es nur wiederholen - ich könnte es auch umschreiben, aber Politiker sollten die Möglichkeit haben, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Die Wahrheit zu sagen!) mit einem Wort zu antworten -: Es gibt keine weiteren Überlegungen und damit auch keine konkreten Schritte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zu Frage 10 des Kollegen Groß: Arbeitet die Bundesregierung an einem Konzept zu einer reinen Nutzerfinanzierung für die deutschen Wasserstraßen, und wie sollen diese Maßnahmen im Detail umgesetzt werden? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Antwort ist: Nein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte. Michael Groß (SPD): Da die Antworten immer kürzer werden, habe ich eine Nachfrage. Die Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar schreibt: "Weil sie zu viel kosten, will der Bund Wasserstraßen loswerden." Wie hoch ist der aktuelle Finanzierungsbedarf für die Bundeswasserstraßen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sie wissen, dass wir im Haushaltsjahr 2011 900 Millionen Euro für die Bundeswasserstraßen vorsehen. Natürlich werden in 2011 auch wichtige Maßnahmen planfestgestellt; wir rechnen mit den Maßnahmen an der Elbe und an der Weser. Diese Maßnahmen binden uns in den Investitionen. Allerdings sind wir mit der Investitionslinie momentan gut ausgelastet. Das heißt, die Investitionen sind in den letzten Jahren angestiegen. Mit 900 Millionen Euro können wir den Betrieb sicherstellen. Der Finanzierungsbedarf ist wie im Straßenbereich sehr hoch, weil es um sehr große Projekte geht. Die konkrete Zahl der Verfahren, die jetzt abgeschlossenen sind, kann ich Ihnen nachreichen. Ich möchte die Randnotiz machen, dass wir in 2011 noch sehr große Projekte abwarten und vor allem auch mit Baurecht versehen. Insofern müssen wir noch darüber diskutieren, wie wir die Finanzausstattung für die Großprojekte gestalten und wie wir diese Großprojekte zeitlich ablaufen lassen. Ich werde Ihnen die Zahlen der bestandkräftigen bzw. mit Baurecht versehenen Maßnahmen, die momentan bei uns vorliegen, nachreichen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Frage 11 der Kollegin Ulrike Gottschalck wird schriftlich beantwortet. Wir kommen daher zu Frage 12 der Kollegin Kumpf. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sie wollten die Frage 16 vorziehen, Frau Präsidentin, oder? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben recht, vielen Dank. Wir kommen somit zu Frage 16 der Kollegin Lühmann: Wie beabsichtigt die Bundesregierung angesichts des Berichts des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zur Reform der WSV die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP festgelegten zusätzlichen Aufgaben für die WSV - Wassertourismus, Natur- und Umweltschutz, Hochwasserschutz - zu integieren, insbesondere angesichts der Tatsache, dass diese Aufgaben zurzeit teilweise in Länder- bzw. kommunaler Zuständigkeit liegen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Antwort lautet wie folgt: Zurzeit wird im Auftrag des Deutschen Bundestages eine Studie über die Zukunft des Wassertourismus gefertigt; wir haben heute einen Antrag dazu im Ausschuss gehabt. Die zurzeit noch nicht vorliegenden Ergebnisse werden in das Modernisierungskonzept integriert, weil wir diese Wasserstraßen in die Kategorie "Tourismuswasserstraße" aufgenommen haben. Bereits heute nimmt die WSV als Eigentümerin der Bundeswasserstraßen vielfältige Aufgaben des Natur- und Umweltschutzes und der Wasserwirtschaft wahr, auch wenn sie als Verkehrsverwaltung hierfür nicht hoheitlich zuständig ist. Die neue Netzstruktur konzentriert die verkehrsbezogene Verwaltung der Bundeswasserstraßen auf solche mit hohem Verkehrsaufkommen. Wasserstraßen mit geringem Verkehrsaufkommen oder gar gänzlich fehlender Verkehrsfunktion sollen gegebenenfalls in enger Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden so renatuiert werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Frau Lühmann. Bitte. Kirsten Lühmann (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, dass diese Aufgaben eigentlich nicht originäre hoheitliche Aufgaben der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sind. Bezogen auf den Wasserstrassenbau: Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten Überarbeitung des Baugesetzbuches Änderungen einzuführen, wonach diese Aufgabe, die im Baugesetzbuch zurzeit ja eindeutig den Kommunen und in Bezug auf die Finanzierung den Ländern zugewiesen ist, dann der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung übertragen wird? Anders könnten Sie die zusätzliche Aufgabe für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ja nicht begründen. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Noch einmal: Wir werden die Konsequenzen in Bezug auf das Straßennetz für den Wassertourismus definieren, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind. Natürlich haben wir aber auch die Verpflichtung - ich schaue auf meine Kollegin vom BMU -, dass wir diese Wasserstraßen unter Beachtung unserer großen ökologischen Verantwortung erhalten. Nach Abschluss dieser Untersuchungen müssen wir uns darüber einigen, wie wir das im föderalen System aufteilen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine zweite Nachfrage. Bitte schön. Kirsten Lühmann (SPD): Die erste Nachfrage haben Sie nicht beantwortet. Darin hatte ich nach dem Baugesetzbuch gefragt. Das macht aber nichts. Ich komme zu der zweiten Nachfrage, bei der ich einmal konkreter werde. Sie haben die Untersuchung angesprochen. Wir haben heute im Ausschuss den Zwischenbericht erhalten. In dem Zwischenbericht steht eindeutig, was noch erhoben werden muss. Diese Erhebungen sind gemacht worden; das geschah mit Datum Ende 2010. Insofern ist alles erhoben, was erhoben werden muss. Hinsichtlich der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung steht dort allein ELWIS drin. Insofern kann diese Untersuchung eigentlich nichts deutlich Neues bringen; denn bei ELWIS geht es um technische Dinge. Dies muss einfach nur für andere zugänglich gemacht werden. Daher kann der Verweis auf diese Studie nicht greifen. Da wir heute wissen, dass bei dieser Untersuchung nichts Neues über die Aufgaben der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung stehen wird, möchte ich jetzt konkret von Ihnen hören: Welche Aufgaben wollen Sie der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in diesem Bereich Wassertourismus zuweisen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Lühmann, ich will der Auswertung einer Untersuchung nicht vorgreifen. Wir werden das ausarbeiten. Sie bringen hier Ihre eigene Meinung in das Plenum ein, dass diese Untersuchung nichts bringt. Wir sind anderer Auffassung. Wir werden diese Auswertung durchführen und damit die auf das Modernisierungskonzept der WSV abgestimmten Ableitungen vornehmen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Sie weichen also auch dieser Frage aus!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Ute Kumpf auf: Gehört der gesamte Ausbau der 27 Neckarschleusen zwischen Mannheim und Plochingen, wie er von der letzten Bundesregierung im Investitionsrahmenplan zugesichert wurde, zu den laufenden Investitionsprojekten, oder wird die Bundesregierung den Ausbau der Neckarschleusen südlich von Heilbronn aufgrund einer Zuteilung dieses Streckenabschnittes zum Ergänzungs- und Nebennetz aufgeben? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Kumpf, erst im Anschluss an die Beratungen des Verkehrs- und des Haushaltsausschusses werden die Wasserstraßen bzw. Wasserstraßenteile der neuen Netzkategorie zugeordnet. Also wäre es verfrüht, Ergebnisse über den Neckar zu referieren. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Optimierung von Anlagen, also zum Beispiel eine Schleusenverlängerung, im Rahmen notwendiger Ersatzmaßnahmen auch in Netzteilen zulässig bleibt, die nicht der höchsten Kategorie zugeordnet werden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kumpf, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr. Ute Kumpf (SPD): Das war eine wunderbare, klar schwammige Antwort. (Heiterkeit bei der SPD) Ich will ein bisschen einfacher und plastischer nachfragen. Nachdem Sie das in irgendeiner Art und Weise und sehr nebulös nicht zum Kernnetz, sondern zum Randnetz gemacht haben: Heißt das vielleicht, dass Sie überlegen, diesen Abschnitt zukünftig als Daimler-River zu verkaufen? Sie haben vorher ja gesagt, dass Sie auch darüber nachdenken, Schifffahrtslinien und -strecken zu privatisieren. Ist das eine Möglichkeit? Wenn dieses schöne Netz nicht ausgebaut wird, werden zum Beispiel 290 000 Lastwagen auf der Straße sein, weil sich das große Unternehmen mit einem blinkenden Stern darauf verlassen hat, dieses Netz nutzen zu können, um seine Motoren zukünftig auf längeren Schiffen über Mannheim nach Rotterdam zu transportieren. Das würde natürlich auch eine wahnsinnige Entlastung für die Straße bedeuten, was die Unternehmen in Baden-Württemberg ja auch fordern. Mit Ihren Rand- und Kernnetzbetrachtungen würden Sie eine Leistungsregion wie Stuttgart natürlich total in den Schatten stellen. Wie gehen Sie mit diesem Problem um? Sie lesen schließlich auch Zeitungen, und vielleicht nicht nur bayerische, sondern auch schwäbische. Vielleicht können Sie ein bisschen konkreter darauf eingehen, ob das Versprechen, das Sie gegeben haben, nicht etwa ein Versprecher, sondern tatsächlich ein Commitment ist, dass sich die Unternehmen in der Region auf die Ausbaupläne verlassen können. Herr Grübel ist als Schriftführer anwesend und hört auch gerade zu. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Kumpf, die Bewertung meiner Antwort auf die Hauptfrage ist Ihre eigene Meinung. Ich könnte jetzt sagen, dass Ihre Nachfrage populistisch ist. Denn es geht beim Neckar nicht um ein Randnetz. Ich möchte zum Ersten auf das Verkehrsaufkommen eingehen. 1980 waren es über 11 Millionen Tonnen. 2009 waren es immer noch 6,5 Millionen Tonnen. Das zählt nicht zur Kategorie Randnetz; ein Verkehrsaufkommen über 5 Millionen Tonnen fällt in die Kategorie Hauptnetz. Die Unterstellung, dass wir den Neckar zum Randnetz zählen, ist völlig unzutreffend. Zum Zweiten hatte ich in der letzten Woche je einen Ortstermin in Ilvesheim und Heilbronn. In den vielen Gesprächen mit den Medien, aber vor allem auch mit den kommunalen Entscheidungsträgern und den Abgeordneten ist es uns äußerst wichtig, zu erklären, welche Investitionen in das Hauptnetz, zu dem auch der Neckar zählt, wir vornehmen wollen. Der Neckar bleibt also Hauptnetz. Auch der Bericht des BMVBS macht deutlich, dass der Neckar nicht zum Randnetz zählt. Ein Hauptnetz hat neben dem Vorrangnetz als Kategorie eine große Bedeutung. Ihre Frage ist völlig klar so zu beantworten, dass wir auch weiterhin zu unseren Aussagen stehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich weise darauf hin, dass Herr Grübel zurzeit Schriftführer ist und sich nicht nur um eine entsprechende äußere Form, sondern auch um einen außerordentlich neutralen Gesichtsausdruck bemüht. (Zuruf von der CDU/CSU: Und eine Krawatte trägt!) Insofern ist er nicht anzusprechen, weil er nicht als Fragesteller das Wort hat. Sie haben eine zweite Nachfrage, Frau Kumpf. Ute Kumpf (SPD): Ich habe noch eine Nachfrage zu Ihren Unterlagen. Es gibt so viele Rand-, Neben- und Kernnetze. Vielleicht muss ich Sie nach Stuttgart einladen. Wir könnten das auch gemeinsam mit der Kollegin Roth und dem Kollegen Grübel machen, um Ihnen zu zeigen, dass Stuttgart nicht Heilbronn ist und dass der ganze Neckar bis Stuttgart als Nebennetz kartiert ist. Vielleicht haben Sie in Bayern die schwäbische Karte nicht so genau studiert. Da kann man vielleicht ein bisschen Nachhilfe geben. Deswegen noch einmal: In Ihren Unterlagen ist er als Nebennetz kartiert. Meine Frage an Sie ist, ob Sie sich mit den Zuständigen in der leistungsstarken Region Stuttgart - es gibt nicht nur Heilbronn, sondern auch Stuttgart - in Verbindung gesetzt haben, und vor allem mit den Unternehmen, die auf das Wassernetz als Transportträger setzen. Das wäre sicherlich hilfreich. Der erste Punkt ist also meine Einladung an Sie, und dann kommt meine Frage, ob Sie mit den Menschen reden. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kumpf, ich komme gerne zu Ihnen. Das habe ich auch heute schon in einem anderen Zusammenhang im Ausschuss gesagt. Bei den ganzen Terminen, die Sie mir schon angeboten haben, wird das allerdings ein Mammuttag. (Florian Pronold [SPD]: Bist du sicher, dass du den willst?) Ich komme herzlich gerne, aber natürlich nur in Verbindung mit den zuständigen CDU/CSU- und FDP-Kollegen. Dann machen wir eine kleine Gesprächsrunde. Sie können mich gerne einladen, aber ich war ohnehin schon vor einigen Tagen in der Region und habe Gespräche mit der IHK und vielen anderen geführt. Die Aussage bleibt bestehen, dass wir um die Verkehrsbedeutung des Neckars wissen und ein Ausbaukonzept erstellen. Sie kennen aber auch die verschiedenen Planungsstände der einzelnen Schleusen und vieles mehr. Die Kollegin Roth hat die Frage 13 vorgelegt, bei der es um einen ähnlichen Sachzusammenhang geht. Ich kann definitiv sagen, dass uns die Neckarschleusen auch für die politischen Mandatsträger, die in den letzten Jahren dafür gekämpft haben, äußerst wichtig sind. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann kommen wir jetzt zu Frage 13 der Kollegin Karin Roth: Beabsichtigt die Bundesregierung, den mit der Landesregierung Baden-Württemberg geschlossenen Vertrag zur Neckarschleusenverlängerung von Mannheim bis Plochingen zu kündigen und dabei die bereits eingesetzten Personalkosten zu erstatten? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Danke, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Roth, die Antwort auf die Frage ist: Zurzeit gibt es keinen Anlass, mit dem Land Baden-Württemberg über eine vorzeitige Beendigung des Vertrags zu verhandeln - das deckt sich auch mit der vorhergehenden Antwort zur Frage von Frau Kumpf -, denn wir messen den Neckarschleusen eine hohe Bedeutung bei. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Frau Roth. Bitte sehr. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Scheuer, Sie waren - das haben Sie gerade gesagt - in der Region und haben natürlich auch Gespräche geführt. Darüber gibt es ja auch öffentliche Äußerungen. Am 4. Februar waren Sie in Heilbronn, und da haben Sie gesagt - ich darf zitieren -: Der Ausbau der 27 Neckarschleusen von Mannheim bis Stuttgart - nebenbei gesagt: bei 27 Schleusen wäre das bis Plochingen - ist nicht gefährdet. Das heißt auf gut Deutsch - das wird auch so interpretiert -, dass die Neckarschleusen ausgebaut werden. Ich weiß, eine Staatssekretärin oder ein Staatssekretär muss, wenn sie oder er etwas sagt, wissen, dass das dann verbindlich ist, und zwar nicht nur im Bundestag, sondern auch draußen in den Regionen. Kann ich also, wenn Sie den Vertrag nicht kündigen wollen und sich an das halten, was üblicherweise die Bundesregierung macht, nämlich nicht nur im Parlament zu reden, was Sache ist, sondern auch dazu zu stehen, was man in der Region erzählt, (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau das macht die Bundesregierung!) davon ausgehen, dass das, was Sie in den Regionen erzählen, zutrifft, das heißt, dass die Schleusenverlängerung von 110 Meter auf 135 Meter bei allen 27 Schleu-sen erfolgt, und zwar entsprechend dem Vertrag in den nächsten 15 Jahren Modernisierung und Sanierung zusammen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Roth, da Sie eine erfahrene Staatssekretärskollegin a. D. sind, möchte ich unterstreichen, dass die christlich-liberale Koalition mit ihren Vertretern natürlich zu den Aussagen in der Region steht. Ich könnte jetzt viel zu dem sagen, was Sie uns alles an Versprechen und an internationalen Verpflichtungen hinterlassen haben, die uns finanziell äußerst stark fordern werden. Das werde ich an dieser Stelle nicht machen. Zu Ihrer Zeit ist man eher leichtfertig mit solchen Zusagen umgegangen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Kommen die Neckarschleusen, oder nicht?) Sie zitieren den Oberbürgermeister der Stadt Heilbronn und stellen es so dar, als hätte ich das gesagt. Ich habe gesagt, dass uns die Neckarschleusen sehr wichtig sind und dass das Ausbaukonzept auch abgearbeitet wird - nicht mehr und nicht weniger. (Florian Pronold [SPD]: Bis wann?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte schön, Frau Roth. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Wir wollen ja konkret sein. Es ist eine erste baureife Schleuse in Baden-Württemberg vorhanden. Die Schleuse Feudenheim könnte sofort auf 135 Meter verlängert werden. Meine Frage ist: Wann ist der Baubeginn? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Gesamtsumme der Investitionen am Neckar belaufen sich auf 635,4 Millionen Euro. Wir werden uns im Rahmen der Diskussion um das Modernisierungskonzept der WSV die Neubauinvestitionen und die Erhaltungsinvestitionen genau ansehen. Das heißt, der Bauplan mit den konkreten Daten für diese Investitionen liegt mir noch nicht vor. Dieser wird im Rahmen dieses Modernisierungskonzeptes erstellt werden. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das habe ich aber nicht gefragt!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt rufe ich die Frage 14 der Kollegin Karin Roth auf: In welcher Höhe wurden bereits Ingenieurleistungen für den Neckarausbau vergeben, und in welcher Relation stehen diese zu den geplanten Gesamtinvestitionen von voraussichtlich 150 Millionen Euro? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Für die Grundinstandsetzung und/oder Verlängerung von insgesamt 15 Schleusenkammern hat das Amt für Neckarausbau Mitte 2010 Ingenieurleistungen in Höhe von 26,5 Millionen Euro beauftragt. Diese Leistungen umfassen im Wesentlichen alle Leistungsphasen der HOAI. Für die Ingenieurleistungen sowie die Baugrundaufschluss- und Betonuntersuchungen wurden in den Jahren 2009 und 2010 3,4 Millionen Euro verausgabt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage, Frau Roth. Bitte sehr. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Herr Staatssekretär Scheuer, kann ich davon ausgehen, dass alle Vergaben, die jetzt gemacht worden sind, auch realisiert werden? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin Roth, ich habe gerade gesagt, dass wir Verpflichtungen von nahezu 30 Millionen Euro für Leistungen eingegangen sind. Wir planen ja nicht ins Blaue hinein, sondern wir vergeben diese Leistungen, weil wir ein Ergebnis erzielen wollen, um dann den Bau zu realisieren. Von daher betone ich, es sind Verpflichtungen in Höhe von 26,5 Millionen Euro für Ingenieurleistungen und von 3,4 Millionen Euro für die anderen Leistungen in 2009 und 2010 eingegangen worden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben keine weitere Nachfrage. Dann kommen wir zu Frage 15 des Kollegen Josip Juratovic: Welche Auswirkungen hat die Verlängerung der Neckar-schleusen von 110 Meter auf 135 Meter auf die Erhöhung der Güterkapazitäten und damit auf die mögliche Erhöhung von Tonnagevolumen und Containerverkehr? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege, durch die Verlängerung der Neckarschleusen von 105 auf 140 Meter können zukünftig Einzelfahrer mit einer Gesamtlänge bis zu 135 Meter und Schubverbände mit einer Länge von 139 Metern den Neckar befahren. Durch die damit verbundene Erhöhung der durchschnittlichen Ladung je Schiff wird die Kapazität des Neckars ansteigen. Ein Kapazitätsengpass besteht zurzeit am Neckar jedoch nicht; ich habe zuvor die Tonnage auf dem Neckar seit 1980 genannt. Der wesentliche Effekt dieser Maßnahme ist die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Transporte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Juratovic, Sie haben eine Nachfrage. Josip Juratovic (SPD): Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Befürchtung, dass die Auslastung des mit 7 Millionen Euro geförderten Containerterminals in Heilbronn abnehmen wird, wenn flussaufwärts kein Ausbau der Neckarschleusen stattfinden wird? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege, Ihre Frage befindet sich im Widerspruch zur Haltung der Bundesregierung und zum Ausbaukonzept für den Neckar. (Florian Pronold [SPD]: Man kann sich nie im Widerspruch befinden! Das ist denklogisch nicht möglich!) Die Auslastung der Logistikzentren ist äußerst wichtig. Wie ich zuvor der Kollegin Kumpf und der Kollegin Roth gesagt habe, vergibt die Bundesregierung weiterhin Planungsleistungen und hat das Ausbaukonzept für den Neckar Priorität. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Juratovic, noch eine Frage? Josip Juratovic (SPD): Ich habe keine weitere Frage. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben keine weitere Frage. Die Frage 16 der Kollegin Kirsten Lühmann ist bereits beantwortet. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser zur Verfügung. Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Sabine Stüber auf: Welches sind die Gründe dafür, dass es bisher noch keine bundesweite Vereinheitlichung der Hochwasserwarnstufen gibt? Bitte, Frau Staatssekretärin. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Kollegin Stüber, wie Sie wissen, liegt der Hochwasserschutz in der Zuständigkeit der Länder. Für den Fall eines Hochwassers existieren in Deutschland mit Blick auf dessen Bewältigung verschiedene Meldestufen, Warnstufen oder Alarmstufen, um die notwendigen Schritte zur Vorbereitung bzw. Abwicklung eines derartigen Ereignisses für alle Beteiligten und zuständigen Behörden sowie vor allen Dingen für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu strukturieren und zu organisieren. Für jede Stufe ist sehr genau geregelt, welche Behörden und anderen Akteure, beispielsweise das Technische Hilfswerk oder die Feuerwehr, im Ereignisfall im jeweils betroffenen Flusseinzugsgebiet verantwortlich sind und welche fachlichen und organisatorischen Verpflichtungen ihnen obliegen. Dies kann in den einzelnen Ländern bei den jeweiligen Stufen unterschiedlich sein; darauf zielt Ihre Frage ab. Sollte ein Bundesland eine andere Festlegung zu Benennung, Anzahl und Verantwortlichkeiten zu einzelnen Stufen getroffen haben, sind in der Regel Besonderheiten in einzelnen Regionen oder Flusseinzugsgebieten ein Grund dafür oder schlichtweg eine unterschiedliche Gesetzgebung, die dem in den einzelnen Ländern zugrunde liegt, oder auch, dass die Begrifflichkeiten im Laufe der Jahre historisch gewachsen sind. Entscheidend im Fall eines Hochwassers ist letztendlich aber die länder- und einzugsgebietsübergreifende Koordinierung aller Schritte zur Bewältigung des Ereignisses. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte. Sabine Stüber (DIE LINKE): Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass es unterschiedliche Warn- und Alarmstufen gibt. Irgendwann wird auch der Bund informiert. Wissen Sie sofort, wenn Sie beispielsweise die Meldung bekommen, dass Warnstufe 3 in Thüringen - ich weiß nicht genau, wie es heißt - Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es heißt Alarmstufe 3 in Thüringen. Sabine Stüber (DIE LINKE): - und Alarmstufe 3 in Brandenburg gilt, was das bedeutet? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja. Sabine Stüber (DIE LINKE): Gut. Danke. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe mir die Frage eben selber gestellt und genau recherchiert. Sabine Stüber (DIE LINKE): Alles klar. Sehr schön. Danke. - Dann habe ich keine weitere Nachfrage. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit kommen wir zu Frage 18 der Kollegin Sabine Stüber: Was unternimmt die Bundesregierung, um bundesländerübergreifend die Standardisierung der verschiedenen Hochwasserwarnsysteme zu erreichen? Bitte sehr, Frau Staatssekretärin. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Hochwasserwarnsysteme, also Hochwassernachrichten-, Hochwassermelde- und Hochwasserinformationsdienste, sind sowohl innerhalb Deutschlands als auch grenzüberschreitend mit unseren Nachbarstaaten aufeinander abgestimmt. Jedoch ist eine Standardisierung von den Hochwasserwarnsystemen zugrunde liegenden Modellen und Berechnungen für alle Flüsse in Deutschland generell nicht ohne Weiteres möglich. Jeder Fluss weist aufgrund seiner geomorphologischen Besonderheiten spezifische Merkmale in seinem Fließverhalten auf, sodass nicht jedes entwickelte Warn- oder Vorhersagemodell automatisch in allen Flusseinzugsgebieten angewendet oder eins zu eins von einem auf einen anderen Flusslauf übertragen werden kann. Ob die Übertragung eines entwickelten Modells für einen Flusslauf möglich ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab und erfordert eine eingehende fachliche Prüfung und Abwägung, angefangen bei den Anforderungen an die Qualität der Vorhersageergebnisse über die geforderten bzw. vorhandenen Eingangsdaten bis hin zur Prüfung der Art und Weise notwendiger Auswertungen und Analysen nach einem Hochwasserereignis. Ein Beispiel dafür, dass die Anwendung eines Systems an mehreren Flüssen bereits gelungen ist, ist das von der Bundesanstalt für Gewässerkunde entwickelte Wasserstandsvorhersagesystem WAVOS. Es wird zur Niedrig- und Mittelwasservorhersage für Rhein, Elbe und Donau angewendet. Die Veröffentlichung dieser Vorhersagen erfolgt über ein elektronisches Wasserstraßeninformationssystem. Darüber hinaus wird WAVOS auch in den Hochwasservorhersagezentralen Rhein, Elbe, Main und Oder eingesetzt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön. Sabine Stüber (DIE LINKE): Danke schön, Frau Präsidentin. - Gibt es generell Gespräche mit den einzelnen Bundesländern, sämtliche Hochwasserwarnstufen zu synchronisieren, um eine Vereinfachung in der allgemeinen Wahrnehmung herbeizuführen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Kollegin Stüber, ich habe vorhin schon einmal gesagt: Der Hochwasserschutz liegt generell in der Zuständigkeit der Bundesländer. Wir sehen hier keinen Änderungsbedarf, weil er bei uns gut funktioniert. Was das Vorwarnsystem WAVOS angeht, habe ich vorhin schon einiges erläutert. Die Bundesländer wissen schon, wie sie mit ihren Flüssen umzugehen haben. Die Flüsse sind nun einmal sehr unterschiedlich. Ich glaube, was für die Elbe gilt, gilt nicht für den Main oder den Rhein und umgekehrt. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, warum wir nicht zu einer absoluten Vereinheitlichung kommen können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben keine weitere Nachfrage. (Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE] meldet sich zu einer Nachfrage) - Wir hatten verabredet, dass wir wegen der Unterbrechung nur noch die Nachfragen der Fragestellerinnen bzw. Fragesteller zulassen. Dafür bitte ich um Verständnis. Ich stelle fest, dass die Fragen 19 und 20 des Kollegen Ott und die Fragen 21 und 22 der Kollegin Kotting-Uhl schriftlich beantwortet werden. Frau Kofler - Fragen 23 und 24 - und Frau Vogt - Frage 25 - sind nicht anwesend. Dasselbe gilt für den Kollegen Bülow - Fragen 26 und 27. Es wird in diesen Fällen verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Dr. Miersch auf: Wie kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Mitgliedschaft der drei Atomkraftwerksbetreiber Eon, Vattenfall und EnBW im TÜV Süd e. V., der wiederum circa drei Viertel der Aktienanteile an der TÜV Süd AG hält, zu möglichen Interessenkonflikten bei der sicherheitstechnischen Überprüfung von kerntechnischen Anlagen bzw. der folgenden Bewertung der Prüfergebnisse durch den TÜV Süd führt? Frau Staatssekretärin. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Dieses Thema betrifft auch die Fragen 26 und 27 des Kollegen Bülow. Daher steht meine Antwort im Zusammenhang mit diesen Fragen. Kollege Miersch, die zuständigen Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, die Sachverständige nach § 20 des Atomgesetzes hinzuziehen, wenden die einschlägigen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts an, zum Beispiel die Regelung zum Ausschluss von Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen einschließlich des sehr umfangreichen kerntechnischen Regelwerks durch die Sachverständigen und die umfangreichen Kontrollen und Abnahmen durch Auftraggeber und Behörden zwingen die Sachverständigen zu hoher Qualität und Objektivität. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön. Dr. Matthias Miersch (SPD): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Dass das in den Bestimmungen steht und dass es zur Objektivität verpflichtete Gremien gibt, ist bekannt. Angesichts der Tatsache, dass der TÜV Süd damit betraut ist, mögliche Fehler in einem AKW festzustellen, und wir wissen, dass unter anderem EnBW und Eon, also große AKW-Betreiber, Mitglieder im TÜV Süd sind, habe ich die Frage an Sie: Sehen Sie jenseits dieser Bestimmungen aufgrund der Mitgliedschaften nicht zumindest Ansätze dafür, dass man an der Objektivität des TÜV Süd zweifeln muss? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zum Verfahren: Das Land Bayern ist zuständig für die Aufsicht über die Kernkraftwerke in Bayern und hat damit auch die Verantwortung für die Empfehlungen, die die Sachverständigen abgeben. Wir, der Bund, wiederum haben die Aufsicht über die Aufsichtsbehörden. Dies ist also die zweite Stufe. Sie spielen hier auf das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld an. In diesem Fall haben wir zusätzlich unsere Reaktor-Sicherheitskommission hinzugezogen, sodass man über verschiedene Ebenen hinweg ein und denselben Fall gemeinsam behandelt hat. Ich glaube, dass wir ein gutes System haben, um dies alles in Einklang zu bringen. Darüber hinaus darf ich in Erinnerung rufen, dass die Technischen Überwachungs-Vereine auch zur Selbsthilfe und Selbstkontrolle der Wirtschaft gegründet wurden. Sie kennen mittlerweile die Struktur der TÜVs: In diesem Verein sind die Unternehmen tatsächlich Mitglied. Diesem Verein gehört die Gesellschaft für Technische Überwachung an, die die Sachverständigenarbeit vornimmt. Insoweit besteht durchaus eine deutliche Entfernung zwischen dem einzelnen Mitgliedsunternehmen und den Sachverständigen. Wie ich Ihnen anhand der gesamten Struktur - Empfehlungen der sachverständigen Aufsichtsbehörde des Landes, Bund als Aufsicht über die Aufsichtsbehörden, in diesem Fall plus Hinzuziehen der Reaktor-Sicherheitskommission, also weiterer Sachverständiger - aufgezeigt habe, haben wir ein sehr umfangreiches System. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie noch eine Nachfrage, Herr Miersch? Dr. Matthias Miersch (SPD): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte sehr. Dr. Matthias Miersch (SPD): Nun sind Sie meiner Frage, ob Sie meine Auffassung teilen, dass es zumindest Ansatzpunkte geben könnte, die an der Objektivität zweifeln lassen, ein wenig ausgewichen. Ich will in diesem Zusammenhang fragen: Welche Rolle spielten die Feststellungen des TÜV Süd für die Einschätzung des Bundesumweltministeriums bezüglich Grafenrheinfeld? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich wiederhole: Der TÜV Süd hat seine Empfehlungen und seine Vorschläge an das Land Bayern abgegeben. Mit dem Land Bayern haben wir uns im Austausch befunden. Wir haben außerdem gesagt: Wir ziehen die Reaktor-Sicherheitskommission zusätzlich hinzu, sodass deren Sachverständige den Vorgang ebenfalls beurteilen. Alle gemeinsam sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das Kernkraftwerk und insbesondere der vermeintlich vorhandene Riss - wir wissen ja nicht, ob es einen gibt; wir wissen nur, dass es ein entsprechendes Ultraschallsignal gegeben hat - bei der Revision genauer betrachtet wird und dass, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, das Rohr ausgetauscht wird. Wir kommen jetzt zu Frage 29 des Kollegen Miersch: Ist der Bundesregierung jemals Kritik an der Qualität oder der Vorwurf der mangelnden Objektivität bei der Arbeit der sicherheitstechnischen Überprüfung von kerntechnischen Anlagen bzw. der folgenden Bewertung der Prüfergebnisse durch den TÜV Süd zu Ohren gekommen, und, wenn ja, wie hat die Bundesregierung darauf reagiert? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Angesichts der umfassenden Diskussion von wichtigen Sachverständigenaussagen im Bereich der kerntechnischen Anlagen stehen vermeintliche oder tatsächliche Qualitätsmängel von Gutachten in einzelnen Fällen immer wieder einmal zur Debatte. Die Bundesregierung sichert in diesen Fällen ihre Entscheidungsgrundlage zum Beispiel durch ergänzende Hinzuziehung weiterer Sachverständiger oder durch die Anhörung der Reaktor-Sicherheitskommission ab. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Miersch hat eine Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Sie sagen, dass Sie sich absichern. Ich frage Sie: Haben Sie sich auch in diesem Fall abgesichert, und können Sie dem Parlament heute sagen, welche Schadensfeststellungen im AKW Grafenrheinfeld nach Ihrer Kenntnis vorliegen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Miersch, ich habe schon oft, auch letzte Woche im Ausschuss, gesagt, dass wir die Reaktor-Sicherheitskommission gebeten haben, sich das Ganze noch einmal anzuschauen und eine Bewertung abzugeben. Auch die Reaktor-Sicherheitskommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Rohr bei der Revision im kommenden Monat ganz besonders zu untersuchen ist und wahrscheinlich ausgetauscht werden muss. Herr Miersch, dies ist keine Veränderung gegenüber allen anderen Darstellungen. Wir verlassen uns in dieser Frage nicht auf eine einzige Einschätzung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Miersch, Sie haben noch eine zweite Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich dachte, in den letzten zwei Wochen seien Ihre Erkenntnisse gewachsen und Sie könnten nun sagen, um welche Art Schaden es sich handelt. Immerhin geht es um einen vermeintlichen Riss in einem Rohr eines AKWs, der unter Umständen zu einem erheblichen Störfall führen könnte. Insofern wundert es mich, dass Sie das nach wie vor offenlassen. Noch einmal: War die Reaktor-Sicherheitskommission vor Ort, oder hat sich die Reaktor-Sicherheitskommission auch auf Feststellungen des TÜV Süd berufen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Frage, ob die Reaktor-Sicherheitskommission vor Ort gewesen ist, kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Die Antwort werde ich Ihnen schriftlich nachliefern. Ich will hier nichts Falsches behaupten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass sich die Reaktor-Sicherheitskommission zum einen in einem zuständigen Ausschuss und zum anderen auch in ihrer Kommissionssitzung mit dieser Frage noch einmal sehr intensiv befasst hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass das Ultraschallsignal, das man erhalten hat, auf einen kleinen Riss hindeuten kann. Wie es wirklich ist, wissen wir erst nach der Revision im kommenden Monat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vielen Dank. - Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dirk Becker werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Kurth: Inwiefern besteht für die Bundesregierung in Anbetracht neuester Entwicklungen im sogenannten PCB-Skandal in Dortmund weiterhin keine Veranlassung, weiter gehende Maßnahmen als die Unterrichtung der Behörden in Deutschland, in Europa und in Übersee über den aktuellen Stand der Ermittlungen durch das Regierungspräsidium Arnsberg zu ergreifen (siehe Antworten auf die schriftlichen Fragen 135 bis 138 vom 9. Juli 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/2537) - obwohl ein zur Gruppe der massiv PCB-Belasteten zählender, jahrzehntelang Beschäftigter der Firma Envio AG Ende Januar 2011 gestorben ist (siehe Westfälische Rundschau vom 29. Januar 2011) und obwohl die Kriminalpolizei Dortmund Zeugen im derzeitigen Ermittlungsverfahren vereinzelt Personenschutz angeboten haben soll (siehe Der Westen, Lokales, Dortmund vom 1. Februar 2011) -, und wie könnte die Bundesregierung aufgrund ihrer größeren Durchsetzungskraft im Vergleich zum Regierungspräsidium Arnsberg Letzteres dahin gehend unterstützen, weltweit Behörden und infrage kommende Geschäftspartner der Firma Envio AG über den Stand der hiesigen Ermittlungen zu unterrichten? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Bundesregierung hat auf Anregung des Landes Nordrhein-Westfalen ein Informationsschreiben zur gegenwärtigen Situation der PCB-Entsorgung bei der Firma Envio in Dortmund an die Globale Umweltfazilität - ich verwende im Weiteren die Abkürzung "GEF" - gesandt. Die GEF ist ein internationaler Mechanismus zur Finanzierung von Umweltschutzprojekten in Entwicklungsländern. Sie unterstützt unter anderem Maßnahmen zur Zerstörung und Entsorgung von bestimmten langlebigen organischen Schadstoffen wie PCB im Rahmen der Stockholmer Konvention. Die GEF wird in dem Schreiben gebeten, auch die für die Durchführung von GEF-Projekten zuständigen Organisationen, also Weltbank, UNDP, UNEP usw., über die Situation bei Envio zu informieren. In dem Schreiben wird auf die massiven Bodenkontaminierungen und die Verstöße gegen betriebliche Umwelt- und Sicherheitsstandards bei der Firma Envio hingewiesen, weshalb die Firma weiter geschlossen bleibe. Weiterhin wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Firma Envio in ihrem Geschäftsbericht angekündigt hat, ihr internationales Geschäft in der PCB-Entsorgung auszudehnen. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die GEF und die umsetzenden Institutionen sowie deren Vertragspartner bei ihren Operationen international hohe Umweltstandards einhalten. Es wurde außerdem darum gebeten, die Informationen zum Fall Envio an die Institutionen weiterzuleiten, die GEF-Projekte umsetzen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, die Bundesrepublik Deutschland hat nach einem mir vorliegenden Vermerk des Landesumweltministeriums Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren 8 Millionen Euro gezahlt, damit PCB-haltiger Transformatorenabfall nach Dortmund zur Envio AG geliefert wird. Gibt es eine besondere bilaterale Warnung an Kasachstan? Gibt es an die anderen Länder, in denen die Envio AG Standorte unterhält, besondere Warnungen, oder gibt es dort vor diesem Hintergrund Veranlassung zu Überprüfungen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Zahl von 8 Millionen Euro, die Sie genannt haben - sie ist aus einem älteren Drahtbericht der deutschen Botschaft in Astana, der Ihnen vorliegen könnte; ich vermute einmal, dass Sie oder die Landesregierung Nordrhein-Westfalen die Information da herhaben -, ist, um das vorweg zu sagen, in keinem Fall korrekt. Die GEF führt Projekte in Kasachstan über UNDP durch, um die kasachischen Behörden zu einem fachlich und technisch richtigen Umgang mit PCB-Abfällen zu befähigen. Da die Bundesregierung im Rahmen ihrer Beteiligung an der GEF diese Aktivitäten unterstützt, sind Kasachstan indirekt Bundesmittel zugutegekommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Frage, bitte. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Teil meiner ersten Frage ist nicht beantwortet worden, - Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Dann wiederholen Sie das bitte. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - nämlich ob Sie bilateral mit der kasachischen Regierung Kontakt aufgenommen haben. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Bundesminister Röttgen war im Juli des vergangenen Jahres in Astana. In einem Gespräch mit dem kasachischen Umweltminister wurde in der Tat über die Unterbrechung der Lieferungen von PCB aus Kasachstan zur Entsorgung nach Deutschland sowie darüber gesprochen, dass das zu Problemen führen könnte. Das Bundesumweltministerium hat auch deutlich gemacht, dass eine Verbringung der PCB-belasteten Kondensatoren nach Deutschland auf absehbare Zeit nicht stattfinden kann. Wir haben in der Folge der kasachischen Seite eine Beratung zur sachgemäßen Zwischenlagerung und zum Umgang mit gefährlichen Abfällen angeboten. Ich muss allerdings sagen, dass die kasachische Seite auf dieses Angebot bislang nicht eingegangen ist. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kurth, die zweite Zusatzfrage. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorwürfe gegenüber dem von deutscher Seite für den Import von PCB-haltigem Müll aus Kasachstan verantwortlichen Geschäftsmann, Herrn Boris Meckler, und seiner Firma Juwenta, wonach dieser sich aufgrund eines Korruptionsverdachtes in Kasachstan nach Süddeutschland abgesetzt haben soll? Über welche Firma wickelt die Bundesregierung gegebenenfalls künftig solche Schadstoffentsorgungen ab? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich muss ehrlich sagen, dass ich Ihnen diese Frage schriftlich beantworten werde. Ich habe dazu zwar noch umfangreiches Material, aber ich möchte Ihre Frage korrekt beantworten. Sie bekommen dann morgen die schriftliche Antwort. Können wir so verfahren? Vizepräsidentin Petra Pau: Das halten wir so fest. - Herzlichen Dank. Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen Kurth: Inwiefern wird die Firma Envio AG nach Ansicht der Bundesregierung der Verpflichtung aus der Stockholmer Konvention gerecht, wonach die Unterzeichner die besten verfügbaren Techniken und die besten Umweltschutzpraktiken einsetzen müssen, um PCB als eine der weltweit geächteten Stoffgruppen dauerhaft unschädlich zu machen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus ihrer Einschätzung? Bitte, Frau Staatssekretärin. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Nach Auffassung der Bundesregierung ist, sofern sich die Vorwürfe hinsichtlich des nicht zulassungskonformen Betriebs der Anlage und der damit verbundenen Verstöße der Firma Envio gegen die Rechtsvorschriften und Auflagen des Umwelt- und Arbeitsschutzes bestätigen, davon auszugehen, dass die Firma Envio den Verpflichtungen der Stockholmer Konvention bzw. des einschlägigen nationalen Rechts nicht gerecht wurde. Die Anlage der Firma Envio zur Behandlung von PCB-haltigen Abfällen in Dortmund wurde im Mai 2010 von der zuständigen Vollzugsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen stillgelegt, und es wurde ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Zuständigkeit bezüglich des Vollzugs des Umweltrechts liegt nach der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich bei den Ländern. Die Bundesregierung sieht in diesem Kontext keine Veranlassung, weiter gehende Maßnahmen über die von Nordrhein-Westfalen bereits eingeleiteten hinaus zu ergreifen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage. Bitte. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich selbst habe in einem Brief an verschiedene Organisationen auf den Sachverhalt und den PCB-Skandal in Dortmund hingewiesen. Mir wurde versichert, dass es besser wäre, wenn die Bundesregierung zusätzlich direkt tätig werden würde, weil Behörden wie die Bezirksregierung Arnsberg international nicht so bekannt sind. Wollen Sie zusätzliche Schritte zu den bereits vollzogenen unternehmen, um besonders auf diese Firma aufmerksam zu machen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erst einmal - das habe ich schon bei der Beantwortung Ihrer vorherigen Frage gesagt - geben wir über GEF Hinweise an alle, die mit der Entsorgung von PCB zu tun haben, sodass wir die tatsächlichen Verursacher direkt erreichen. Zum Zweiten hat das Bezirkspräsidium Arnsberg - ich würde dessen Licht wirklich nicht unter den Scheffel stellen - als zuständige Behörde die Behörden in Europa und Übersee über den aktuellen Stand unterrichtet. Ich glaube, es wäre kein vernünftiges und faires Verfahren, wenn wir vonseiten des Bundes, obwohl eine Behörde ordnungsgemäß arbeitet, alle unsere Verfassungsstrukturen umgehen und das Informieren der anderen Länder übernehmen würden. Das Regierungspräsidium Arnsberg ist die richtige Behörde dafür. Das Land Nordrhein-Westfalen hat klar entschieden. Ich glaube, dass die Informationen sehr nachhaltig sind, wie beispielsweise der Besuch in Kasachstan gezeigt hat. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Frage. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch einmal zur Entsorgungsproblematik in Kasachstan, die ja immens ist. Sie haben gesagt, dass die kasachische Regierung auf Ihre Beratungsangebote nicht eingegangen sei. Sind Sie weiterhin bestrebt, andere Möglichkeiten zur Entsorgung der Schadstoffe, die in Kasachstan lagern, zu suchen? Es besteht möglicherweise die Gefahr, dass dieser Müll vor Ort oder in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion unsachgemäß "entsorgt" wird. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die GEF hat Projekte in Kasachstan. Wir haben Kasachstan zusätzliche Beratung angeboten. Wir können unsere Hilfe und Unterstützung nicht aufzwingen. (Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) - Ja, das wissen auch Sie, Herr Kurth. Ich kann mir schon vorstellen, dass es in Ihrem Interesse wäre, darauf einzugehen. - Die kasachische Seite hat bislang aber noch kein Interesse bekundet, auf diese Form von Beratung zurückzugreifen. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke, Frau Staatssekretärin. - Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Krischer auf: Wie im Detail - Bau-, Personal-, sonstige Betriebskosten usw. - schlüsseln sich die vom Vorstandsvorsitzenden des Forschungszentrums Jülich, Professor Dr. Achim Bachem, gegenüber dem Aachener Zeitungsverlag (siehe Pressemitteilung "Aktionsbündnis STOP Westcastor", ASW, vom 1. Februar 2011) genannten Kosten einer über 2013 für 30 Jahre hinausgehenden Zwischenlagerung der 152 Castoren mit hochradioaktiven Brennelementekugeln in Jülich - Zitat Professor Dr. Achim Bachem: "40 Millionen kostet ein neues Gebäude. Und 180 Millionen würden wir weiter aufwenden müssen für Wachpersonal und alles, was an Sicherheitsvorkehrungen nötig ist." - auf, und wie hoch sind zurzeit die jährlichen Betriebskosten des bis 2036 genehmigten Brennelementezwischenlagers Ahaus? Bitte, Herr Staatssekretär. Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin, ich wünsche Ihnen erst einmal eine gute Stimme. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke. Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege Krischer, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen Folgendes antworten: Eine erste Kostenschätzung für die Sitzung des Aufsichtsrats des Forschungszentrums Jülich am 18. November 2008 ergab Investitionskosten in Höhe von rund 40 Millionen Euro für ein Lager am Standort Jülich. Zusätzlich zu diesen Investitionskosten fallen bei einem Verbleib am Standort Jülich pro Jahr durchschnittlich 6 Millionen Euro an laufenden Kosten an. Wenn man eine Lagerdauer von 30 Jahren berechnet, kommt man auf einen entsprechenden Betrag. Dieser Betrag muss insbesondere für die Objektsicherung, die wiederkehrenden technischen Prüfungen, den Lagerbetrieb, den Strahlenschutz und die Umgebungsüberwachung aufgewendet werden. Hierfür werden derzeit 4,7 Millionen Euro pro Jahr aufgewendet. Wenn man eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 1,5 Prozent pro Jahr zugrunde legen würde, würde dieser Betrag für das dreißigste Jahr der Lagerung bis auf 7,3 Millionen Euro anwachsen. In der Summe ergibt sich damit für eine weitere Lagerung der AVR-Brennelemente in Jülich für einen Zeitraum von 30 Jahren der genannte Betriebsaufwand von rund 180 Millionen Euro. Hinsichtlich der Betriebskosten für das Brennelementelager in Ahaus liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Die Höhe der für eine Lagerung der AVR-Brennelemente in Ahaus zu zahlenden Miete ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 1/272. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank für die Ausführungen, Herr Staatssekretär. - An dieser Stelle möchte ich nachfragen, ob die Bundesregierung bereit ist, die Kalkulationen, die dem Aufsichtsrat 2008 vorlagen und die offensichtlich die Grundlage für die Nennung der Zahlen durch Herrn Professor Bachem, Leiter dieses Forschungszentrums, sind, zur Verfügung zu stellen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Land Nordrhein-Westfalen als Mitgesellschafter dieses Forschungszentrums in der Zwischenzeit beschlossen hat - diesen Beschluss haben sowohl die Landesregierung als auch der Landtag gefasst -, die Transportvariante nicht mehr zu favorisieren. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht erforderlich, dass Sie hier Transparenz über die Zahlen herstellen. Sind Sie bereit, die Kalkulationen, die dieser Aufsichtsratsentscheidung zugrunde lagen, der Öffentlichkeit und dem Parlament zur Verfügung zu stellen? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Kollege, die Kostenschätzung ist in der Aufsichtsratssitzung des Forschungszentrums Jülich Gegenstand der Beratung gewesen. Wie Sie wissen, gehören Vertreter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen genauso wie Vertreter der Bundesregierung dem Aufsichtsrat des Forschungszentrums an. Insofern ist die Transparenz für die Beteiligten auch bei unterschiedlichen Grundauffassungen gewährleistet. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Frage. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich interpretiere Ihre Antwort so, dass Sie nicht bereit sind, dem Bundestag und der Öffentlichkeit diese Kalkulationsgrundlagen zur Verfügung zu stellen; danach habe ich gefragt. Die Bundesregierung hat mir auf Nachfrage geantwortet, dass die Einlagerungskosten für die 152 Castoren in Ahaus pro Jahr mit 700 000 Euro zu kalkulieren sind und dass die Transportvariante - das war den Aussagen von Herrn Professor Bachem in der Öffentlichkeit zu entnehmen - insgesamt 27 Millionen Euro kostet. Meine zweite Zusatzfrage ist: Sind die Kosten für die Einlagerung in Ahaus in diesen 27 Millionen Euro enthalten, oder sind sie hinzuzurechnen? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Zunächst möchte ich Ihnen ausdrücklich bestätigen, dass die Antwort der Bundesregierung bezüglich der 700 000 Euro weiterhin den Fakten entspricht. Die Antwort auf die zweite Frage möchte ich Ihnen gerne schriftlich nachreichen. Denn - wenn ich mir diese generelle Bemerkung auch zu Ihrer ersten Frage erlauben darf - man muss sehen, dass, je konkreter die verschiedenen Optionen sind, auch die Kostenkalkulationen konkreter werden. Bei einem Neubau beispielsweise, wie ihn die Landesregierung erwägt, müssten die Bedingungen und Kriterien, die das Bundesamt für Strahlenschutz in diesem Fall auferlegen wird, Grundlage einer konkreten Kostenkalkulation sein. Da diese natürlich nicht vorlagen, schon gar nicht bei den Überlegungen im Rahmen der damaligen Aufsichtsratssitzungen, kann die Kostenkalkulation logischerweise erst danach erfolgen. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke, Herr Staatssekretär. Die Fragen 35 bis 58 - das betrifft die übrigen Fragen des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie die Geschäftsbereiche des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Finanzen - werden schriftlich beantwortet. In den verbleibenden vier Minuten kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen war mir der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto angezeigt. - Ist die Zuständigkeit zu einem anderen Mitglied der Bundesregierung gewechselt? Könnte ich bitte ein Zeichen bekommen? (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Die Bundesregierung gibt kein Zeichen! Das ist unmöglich!) - Die Bundesregierung gibt sicherlich ein Zeichen, wie wir das jetzt lösen können und auf welche Art und Weise die Fragen des Kollegen Bollmann beantwortet wer-den. - Gut, dann schlage ich vor, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass die Fragen des Kollegen Bollmann und gegebenenfalls die Frage der Kollegin Vogt nicht mündlich, aber sicherlich in aller Ausführlichkeit schriftlich beantwortet werden. - Ich sehe keine Anträge auf Herbeiholung des Staatssekretärs für die verbleibenden drei Minuten. Die übrigen Fragen werden dann ebenfalls gemäß der Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Damit beende ich die Fragestunde. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP Gewalttaten und anhaltende Ausschreitungen in Berlin und anderen Städten im Zuge der Räumung eines besetzten Hauses ("Liebig 14") Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Kai Wegner für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kai Wegner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gewaltexzesse und Straftaten zu Beginn dieses Monats in Berlin im Zusammenhang mit der Räumung eines besetzten Hauses in der Liebigstraße 14 in Friedrichshain sollten uns allen Sorge bereiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Guter Einstieg!) Während die Zahl politisch motivierter Gewaltstraftaten aus dem rechten Spektrum - auf einem viel zu hohen Niveau - insgesamt rückläufig ist, zeichnet sich ab, dass die Zahl der Gewaltdelikte aus der linken Szene deutlich zunimmt. Laut Verfassungsschutzbericht haben wir eine Steigerung von über 59 Prozent im Jahr 2009 erleben müssen. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass die Bundesregierung die Sicherheitsbehörden angewiesen hat, sich künftig verstärkt auch um die linksextreme Szene zu kümmern und dem Linksextremismus unter anderem mit Schulungsprojekten entgegenzuwirken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine Demokratie darf ihren Feinden gegenüber nicht blind sein, weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge. Gewalt darf nie als Mittel der politischen Auseinandersetzung akzeptiert werden. Zu diesem gesellschaftspolitischen Konsens rufe ich alle demokratischen Parteien in diesem Hause, aber auch unsere gesamte Zivilgesellschaft auf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir hatten zur Zeit der Großen Koalition hier im Hause einen Konsens bei der Verurteilung rechtsextremer Straftaten. Ich bedauere zutiefst, dass es einen solchen Konsens offensichtlich bei linksextremen Straftaten nicht gibt. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kommen Sie denn darauf?) - Herr Wieland, das sage ich Ihnen gleich. - Gerade in der Stadt Berlin, in der nicht Sie, Herr Wieland, regieren, sondern ein roter Senat unter Beteiligung der Linkspartei, wird das Versagen im Kampf gegen linke Gewalt besonders deutlich. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aha!) Die Liebigstraße 14 steht symbolisch für die stetig steigende Gewalt von Linksextremen in dieser Stadt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie haben keine Ahnung, wie immer!) Kriminelle, die unter dem Deckmantel der vermeintlich alternativen Wohnform Rechtsbruch begehen und an den Grundfesten unserer rechtsstaatlichen Ordnung rütteln, wollen rechtsfreie Räume durchsetzen und nehmen dabei schwere, ja sogar lebensbedrohliche Verletzungen von Polizistinnen und Polizisten in Kauf. Dem muss der Rechtsstaat mit Entschlossenheit entgegentreten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Das ist richtig!) Der Berliner Senat sowie SPD und Linke sind beim Umgang mit diesen Vorgängen tief gespalten. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Gar nicht!) - Doch! - Vertreter der Linken sympathisieren offen mit der Hausbesetzerszene. Sie schlagen sich auf die Seite derer, die erworbenes Eigentum in Schutt und Asche legen, nämlich auf die Seite der Hausbesetzer. Lieber Herr Liebich, ich habe des Öfteren relativ wenig Verständnis für die Aussagen der Bundesvorsitzenden Ihrer Partei, Gesine Lötzsch. Wenn sich Frau Lötzsch nun auf die Seite der Hausbesetzer stellt (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es waren Bewohnerinnen und Bewohner!) und, nachdem die rot-rote Landesregierung die Räumung dieses Hauses veranlasst hat, erklärt, dass sie den Polizeieinsatz bedauert, dann ist das ein politisch falsches Verhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube: Es ist nicht zu bedauern, dass die Polizei Recht durchgesetzt hat. Vielmehr ist es zu bedauern, dass es viel zu viele verletzte Polizistinnen und Polizisten gab; die Beamten und ihre Familien sind zu bedauern, nicht die Straftäter, die ein Haus besetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es waren Bewohnerinnen und Bewohner!) Die Ausschreitungen im gesamten Stadtgebiet und auch in anderen Städten der Republik sind zu bedauern. Die Steuerzahler sind ebenfalls zu bedauern; denn sie müssen die Kosten tragen, die durch die sinnlosen Gewaltexzesse einiger Krimineller entstanden sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Wieland, auch die Rolle der Grünen muss hinterfragt werden. Die Gewerkschaft der Polizei sagt, Herr Ströbele trage "eine Mitverantwortung für diese Gewaltausbrüche". Das hat nicht die CDU/CSU oder die FDP gesagt, sondern die Gewerkschaft der Polizei. Der grüne Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, sympathisiert offen mit den Krawallmachern und kritisiert das Vorgehen der Polizei. Er müsste es doch besser wissen, denn er wird von Linksextremen in der Stadt bedroht und benötigt den Schutz der Polizei. Hier zeigen sich die zwei Gesichter der Grünen. Ja, Herr Wieland, es gab viele Grüne, deren Worte sehr vernünftig waren (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Praktisch alle!) und die gesagt haben, dass die Räumung rechtsmäßig war. Diese haben darauf gedrungen, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Es gibt aber auch ein zweites Gesicht der Grünen. Die Grünen müssen sich schon entscheiden: Akzeptieren sie das Gewaltmonopol des Staates? Sind sie gegen jede Form von Gewalt oder tolerieren sie diese? Die Grünen in dieser Stadt müssen sich endlich entscheiden. Ich habe das Gefühl, dass da einige Fragen noch offen sind. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur bei Ihnen!) Berlin ist eine moderne und vielfältige, eine liberale und tolerante Stadt. Dafür steht Berlin; das zeichnet Berlin aus. Aber auch in Berlin müssen Sicherheit und Recht durchgesetzt werden. Auch das gehört zu einer Hauptstadt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Wegner, achten Sie bitte auf die Zeit. Kai Wegner (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Menschen erwarten Freiheit und Sicherheit. Um diese Güter zu gewährleisten, sind unsere Polizistinnen und Polizisten da. Zum Abschluss möchte ich mich ganz herzlich bei den Polizistinnen und Polizisten für ihren besonnenen und konsequenten Einsatz bedanken. Lieber Herr Ströbele, sie tragen keine Schuld an der Eskalation. Sie haben konsequent und besonnen gehandelt. Hierfür gilt ihnen unser ganz besonderer Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir auch so!) Herzlichen Dank der Berliner Polizei und den Unterstützungskräften. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gunkel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Gunkel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der letzten Worte meines Vorredners musste ich ein wenig darüber schmunzeln, dass hier ausdrücklich dem Kollegen Ströbele für sein Wirken gedankt wird. (Kai Wegner [CDU/CSU]: Der sollte nur zuhören!) Nichtsdestotrotz verwundert und erstaunt es mich, dass ausgerechnet vonseiten der CDU/CSU-Fraktion und der FDP zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde anberaumt worden ist. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ist ja nichts gewesen! Alles ganz normal!) Weil Sie jetzt so schön dazwischenrufen: Man kann vor Wahlen natürlich immer ein bisschen Politikklamauk betreiben. Immerhin stehen einige Wahlen an. Es ist aber grundverkehrt, diese Situation zum jetzigen Zeitpunkt dazu auszunutzen, den Links- und Rechtsextremismus als eine Gefahr für Deutschland zu skizzieren. Zur Rechtslage möchte ich zunächst Folgendes sagen: Weder handelt es sich bei "Liebig 14" um ein besetztes Haus (Beifall bei der LINKEN) noch war es eine Maßnahme, die von der Polizei initiiert worden ist. Es ging stattdessen darum, dass in einem ehemals besetzten Haus die Wohnverhältnisse durch Mietverträge legalisiert worden waren. Wer in die Berliner Geschichte zurückblickt, der weiß, dass nach einigem Hin und Her in den 80er-Jahren - die "Berliner Linie" hatte für sozialen Frieden gesorgt - etwa Mitte der 1990er-Jahre die Häuser legalisiert wurden; das heißt, die dort lebenden Menschen haben Mietverträge bekommen und seitdem legal dort gewohnt. Auslöser für den aktuellen Konflikt war eine Streitigkeit mit dem neuen Vermieter, der das Haus im Jahr 1999 gekauft hat. Gegen die Mietersituation im Haus ist er zunächst mit Umbauten vorgegangen und hat daraufhin ein Gerichtsverfahren in die Wege geleitet. Dadurch wollte er erreichen, dass die Leute das Haus verlassen sollten. Dieser Rechtsstreit zog sich bis vor kurzem hin. Ein Gericht hat dann eine Entscheidung gefällt und einen vollstreckbaren Titel erteilt. Diesen Titel hatte ein Gerichtsvollzieher umzusetzen. So ist das nun einmal in unserer Rechtsordnung. Jeder, der die Situation vor Ort kennt, weiß, dass der arme Mann natürlich nicht alleine dort hingehen konnte; darum wurde durch die Polizei Vollzugshilfe geleistet. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Warum denn eigentlich nicht?) - Er kann das wohl kaum leisten, weil die Leute das Haus nicht freiwillig verlassen wollen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ach so! - Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Also keine Besetzung?) - Nein, das Haus ist nach wie vor nicht besetzt; die Leute sind nach wie vor Mieter. Sie müssen aber aufgrund des Räumungstitels das Haus räumen. Die Polizei hat also Amtshilfe bzw. in diesem Fall Vollzugshilfe geleistet und die entsprechenden Maßnahmen getroffen. Weil Sie so schön dazwischenrufen: Sie können anhand dieses hervorragend vorbereiteten, durchgeführten sowie nachbereiteten Einsatzes der Berliner Polizei lernen, wie man verhältnismäßig vorgeht. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Ihr Auftreten bei Stuttgart 21. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da wurde gegen friedliche Bürger, Kinder, Studenten und andere mit Maßnahmen vorgegangen, die zur Erblindung eines Menschen geführt haben. Hier sind ganz andere Leute auf der Straße gewesen, die die Polizei entsprechend eingedeckt haben. Wenn man es spaßig beschreiben will, kann man sagen: Da wurde mit Papierkügelchen geworfen, hier aber wurde richtig Rambazamba gemacht. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die Berliner Polizei hat mit den Unterstützungskräften der Bundespolizei und auch der Länderpolizei wirklich eine ordentliche Leistung hingelegt und die Angelegenheit unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gelöst. (Beifall bei der SPD - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist der Unterschied zu Stuttgart!) Sie wollen dem Volk doch nur erzählen, im Berliner Senat sei niemand in der Lage, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. (Beifall bei der SPD - Kai Wegner [CDU/ CSU]: Die Frage kann man doch stellen!) Ich muss Sie doch sehr bitten! Für wie dumm halten Sie denn die Anwesenden? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Berliner Senat hat in ganz konkreten Vorgaben dargelegt - auch die Linkspartei hat sich dem angeschlossen -, die Angelegenheit werde so friedlich wie möglich gelöst. Genau das ist auch geschehen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Endergebnis wurde dem Hauseigentümer sein Haus übergeben. Ich kann nicht verstehen, was man in dieser Aktuellen Stunde in den Vordergrund stellen will. Für mich als alter Berliner ist das kalter Kaffee. Sie buddeln hier eine Geschichte aus, die etwa 30 Jahre zurückliegt. Der Kollege Ströbele war damals schon dabei. (Heiterkeit bei der SPD) Er stand mir öfter mal gegenüber. Dass er seine Meinung nicht ändern wird, ist doch wohl klar. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren auch dabei, Herr Kollege Gunkel!) - Ja, auch ich, aber auch Frau Künast. (Lars Lindemann [FDP]: Da waren Sie ja alle dabei!) Sie hat damals als Vorsitzende der AL sogar die Koalition von Rot-Grün wegen einer Häuserräumung platzen lassen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei Häuser, bitte schön!) Der Wandel, dem sich die Grünen unterzogen haben, ist schon erstaunlich, lieber Kollege Wieland. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen heute Geschichtsstunde! - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Schön, dass Sie das alles laut sagen!) Da Frau Künast jetzt als Bürgermeisterin kandidiert, ist klar, dass sie heute eine andere Haltung einnehmen muss. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, dass dies keine Aktuelle Stunde, sondern eine Märchenstunde ist. In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Wir werden den Polizisten in Baden-Württemberg sagen, dass Sie das für "Papierkügelchen" gehalten haben!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Kurth hat für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gunkel, Sie sprachen von "kalter Kaffee" und "Märchenstunde". (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die haben wir hier!) 100 Polizisten wurden verletzt, 99 Personen festgenommen, Sachschaden in Millionenhöhe und ein über 4 Stunden dauernder Einsatz, der wahrscheinlich weitere Millionen gekostet hat - das ist die Bilanz des 2. Februar. Das ist keine "Märchenstunde", das ist kein "kalter Kaffee", das ist Berlin. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Lachen bei der SPD - Mechthild Rawert [SPD]: Sie wohnen hier! Vergessen Sie das nicht! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nun machen Sie Berlin mal nicht schlecht! Es ist unglaublich, wie Sie mit der Stadt umgehen! Da muss man sich ja schämen!) Worum ging es hier? Es ging um eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat. Es ging um den Schutz von Eigentum. In diesem Land wird Eigentum respektiert. Es wird nicht nur respektiert, es wird auch verteidigt. Eigentum ist nicht nur grundsätzlich vor staatlichem Zugriff geschützt, sondern eben auch vor unrechtmäßigem privaten Zugriff. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Eigentum verpflichtet!) Wir Liberale stehen dafür, dass der staatliche Einfluss da, wo es möglich ist, zurückgenommen wird. Bei solchen Dingen muss man aber konsequent vorgehen. Hier geht es nicht um Versammlungsfreiheit oder Ähnliches. Die Berliner FDP hat dazu richtigerweise Stellung bezogen - Zitat -: Die Freiheit des Einzelnen endet ... dort, wo mit Gewalt rechtswidrig in die Rechte Dritter eingegriffen wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was auffällt, ist, dass sich immer wieder eine bestimmte Richtung für diese Straftaten verantwortlich zeigt. Was man nicht oft genug wiederholen kann, ist, dass die Gewalttaten aus der linksextremen Szene klar verurteilt werden müssen, und zwar von allen in diesem Hause. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angriffe auf Polizisten, Beschädigung von Geschäften, Zerstören von Einrichtungen, Anzünden von Autos - all diese Taten in Berlin und im Rest der Republik sind durch nichts zu rechtfertigen. Das ergibt sich nicht nur aus dem grundsätzlichen Schutz des Eigentums, sondern ganz konkret auch aus dem Umstand, dass linke Gewalttaten einfache Menschen treffen: Ladengeschäfte gehören keinen Superreichen; die Zerstörung von Einrichtungen und abgebrannte Autos treffen keine Superreichen. Betroffen sind vielmehr ganz normale Versicherungsnehmer. Gewalt gegen Polizisten bedeutet verletzte Familienväter, bedeutet bedrohte Töchter und Frauen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) An dieser Stelle richte ich deshalb meinen herzlichen Dank an die vielen Menschen, die einen schweren Dienst verrichten, um den Rechtsstaat zu verteidigen: an die Polizisten, die Mitarbeiter der Verwaltung und die Ordnungsbeamten. Ihnen gilt unser Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die linksextreme Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Man vermisst, leider auch in dieser Diskussion, klare Worte der Opposition dazu. Man fragt sich schon, welche Vorstellung Menschen aus der linksextremen Szene vom gesellschaftlichen Zusammenleben haben. Leben auf Kosten anderer? Nehmen, was ihnen nicht zusteht? Zerstören, was ihnen in die Quere kommt? Und diese Straftaten sollen am Ende auch noch politisch geadelt werden? Ich hoffe, das gesamte Haus verurteilt solche Gewalttaten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Worum ging es im konkreten Fall? Um ein Kulturprojekt, um eine moderne Form des Lebens oder Ähnliches? Die Berliner Zeitung fragte: Warum eigentlich nochmal hätten "wir alle" uns gerade jetzt mit den Bewohnern der Liebigstraße 14 solidarisch erklären sollen? In welcher Hinsicht geht ihre Renitenz, ihr Kampf, ihr künstlerischer und kreativer Einsatz "uns alle" an? Welcher politische Wille verbindet sich mit diesem Projekt? Welche Vision einer Stadt steckt dahinter? Mit welcher Form von Kultur wollten die Bewohner dieses Hauses ihre Umgebung bereichern, herausfordern, beglücken? Man weiß es nicht. Auf alle diese Fragen haben die Bewohner der Liebigstraße 14 keine Antwort gegeben. Wenn man darauf hinweist, hierbei habe auch der Eigentümer eine Verantwortung, dann werden tatsächlich Ursache und Wirkung verdreht. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie haben keine Ahnung von dem Eigentümer!) Die Räumung der Liebigstraße 14 wurde mehrfach gerichtlich bestätigt. Das ist ein Rechtsstaatsgrundsatz. In einem Rechtsstaat entscheiden letztlich Gerichte. Dass man nun gegen die Eigentümer vorgehen will, sie politisch diffamieren will, nur weil sie auf ihr Recht beharren, das ist wirklich fraglich. Meine Damen und Herren, die Linke in Person von Frau Lötzsch gießt auch noch Öl ins Feuer und erklärt witzigerweise, der Berliner Senat trage die Verantwortung für diesen Konflikt, ganz so, als säße die Linke überhaupt nicht im Senat und hätte damit überhaupt nichts zu tun. Die Linkspartei drückt sich wie immer vor ihrer Verantwortung. Man könnte es auch "Wege zum Populismus" nennen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie versucht mit allen Mitteln, sich diesen Konflikten zu entziehen. Meine Damen und Herren, da von "Märchenstunde" und von "kalter Kaffee" gesprochen wurde, sage ich ganz deutlich: (Widerspruch des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Distanzieren Sie sich von allen Straf- und Gewalttaten der linken Szene! Verhindern Sie politische Gewalt und bleiben Sie - sofern Sie es können - mit beiden Beinen auf dem Boden unseres Rechtsstaats. Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Wawzyniak hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Willkommen im Berliner Wahlkampf. Das Abgeordnetenhaus befindet sich übrigens knapp 1 Kilo-meter Luftlinie entfernt. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe kein Verständnis für diese Aktuelle Stunde. Ich weiß vor allen Dingen gar nicht, was Sie wollen. Wollen Sie über den Konflikt Liebigstraße reden? Wollen Sie über Mietenpolitik reden, oder wollen Sie über Gewalt reden? Zur Gewalt kann ich mich einfach nur wiederholen: Gewalt ist für die Linke kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. (Beifall bei der LINKEN - Beifall bei der FDP - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sagen Sie das einmal Ihren Stalinisten!) Gewalt ist auch kein Mittel linker Politik. Wir haben hier ein absurdes Theater im Rahmen einer Aktuellen Stunde, die von den eigentlichen Problemen ablenkt. Wir haben einen verfassungswidrigen Zustand beim Regelsatz von Hartz IV. Da kommt es zu keiner Lösung. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Apropos Wahlkampf!) Die Linke fordert einen Regelsatz von 500 Euro. (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit der Liebigstraße zu tun?) Wir haben außerdem keinen gesetzlichen Mindestlohn, obwohl ab dem 1. Mai die Arbeitnehmerfreizügigkeit gelten wird. (Beifall bei der LINKEN) Diese Aktuelle Stunde erweckt bei den Menschen im Land den Eindruck, dass wir zu einer Schwatzbude für regionale Angelegenheiten werden. Vielleicht beantragen Sie demnächst eine Aktuelle Stunde zum Ausbau der 27 Neckarschleusen zwischen Mannheim und Plochingen. (Beifall bei der LINKEN) Als Teilnehmerin am runden Tisch und als jemand, der vor Ort bei der Räumung war, könnte ich einiges zur Liebigstraße sagen. Der Kollege Hans-Christian Ströbele könnte ebenso einiges dazu sagen. Aber er darf bei diesem Thema offensichtlich für die Grünen hier nicht mehr reden. (Kai Wegner [CDU/CSU]: Das ist auch besser so!) Da Sie alle offensichtlich keine Zeitung lesen, will ich einmal kurz die Fakten zusammenfassen, (Zuruf von der CDU/CSU: Aus der Zeitung!) obwohl Herr Gunkel einen Teil davon schon aufgeführt hat. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Frau Wawzyniak, wissen Sie, dass Berlin die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist?) Das Haus wurde Anfang der 90er-Jahre besetzt. Es fand eine Legalisierung statt. Die rechtskräftige Kündigung bezog sich auf eine eingebaute Zwischentür, die sich im Übrigen seit Jahren in diesem Wohnobjekt befindet. Am runden Tisch teilgenommen haben Herr Ströbele, das Bezirksamt und ich. Die SPD war nicht vertreten. Die CDU und die FDP als bezirkliche Splitterparteien hatten eine Teilnahme offensichtlich nicht nötig. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aufgrund seiner totalen Verhandlungsblockade für eine Lösung und seiner Gesprächsverweigerung trägt der Eigentümer, Herr Beulker, die Verantwortung für diesen Konflikt. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie am Thema Liebigstraße interessiert sind, dann befassen Sie sich mit den Eigentümern Beulker und Thöne und deren Methoden der Verdrängung von Mieterinnen und Mietern. Ich sage nur: Eigentum verpflichtet. Das scheint für diese Herren ein Fremdwort zu sein. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie Interesse an der Liebigstraße haben, dann beschäftigen Sie sich bitte mit dem dahinter liegenden Problem, mit dem Problem der Verdrängung von Menschen und der Aufwertung von Quartieren, die es Menschen mit niedrigem Einkommen unmöglich macht, weiter in der Innenstadt zu leben. Das ist das Problem. (Beifall bei der LINKEN) In vielen Gesprächen haben mir Mieterinnen und Mieter gesagt, dass sie das Recht auf Wohnen infrage gestellt sehen. Für mich bedeutet das Recht auf Wohnen auch, dass alternative und gemeinschaftliche Lebensformen ein Recht haben, in der Innenstadt zu leben. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Was ist mit dem Recht auf Eigentum?) Wir sollten über die Immobilienspekulationen oder Ihre Kürzung der Mittel für die Städtebauförderung reden. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Wer hat denn Tausende von Wohnungen an Hedgefonds verkauft? Wer hat das denn getan? Wer hat diese Wohnungen verkauft? Tausende von Wohnungen! Wer?) Dazu verweigern Sie Gespräche, Sie verweigern die Realität, Sie verweigern die Fakten. Kurz gesagt: Sie sind Totalverweigerer, und das ändert sich auch nicht durch Ihr Dazwischenbrüllen. (Beifall bei der LINKEN) In meinem Wahlkreis fand gestern eine Veranstaltung einer Betroffeneninitiative - die Wohnungen befinden sich in einem Sanierungsgebiet - statt. Dort sagte eine ältere Frau, dass sie in drei Jahren in Altersrente gehen wird und dass sie und ihr Mann sich die Wohnung dann nicht mehr leisten können. Darüber sollten wir reden, statt hier Pappkameraden aufzubauen. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Reden sie einmal mit Ihren Pappkameraden! - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Wer erhöht denn die Gebühren? Sie setzen alles rauf! Wasserpreise ohne Ende! Und hier stellen Sie sich so hin?) Wenn Sie wirklich etwas gegen Verdrängung aus Innenstädten, gegen Gentrifizierung tun wollen, dann kümmern Sie sich um die Fragen des Mietrechts und nicht um Scheinprobleme wie das sogenannte Mietnomadentum. Ich bin gespannt, wie Sie sich morgen zu unserem Antrag zum Mietrecht verhalten werden. Wir fordern einen Gesetzentwurf, mit dem rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, durch die Wohnen dauerhaft als soziales Grundrecht gesichert wird. (Beifall bei der LINKEN - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Dann setzen Sie das in Berlin um, bevor Sie hier solche Anträge stellen! Da können Sie das alleine!) Ich bin gespannt, was Sie zu unserer Forderung, dass eine Räumung nur zulässig sein soll, wenn zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung steht, sagen werden. Wir fordern, dass jemand, dessen Einkommen unterhalb des Bundesdurchschnitts liegt, nicht mehr als 30 Prozent des Einkommens für Wohnkosten aufwenden muss. Wir fordern auch den Stopp des Verkaufs öffentlicher Wohnungen und fordern eine Rekommunalisierung. (Beifall bei der LINKEN - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Sie reden vom Stopp? - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das sagen Sie! Das ist ja interessant!) Ich bin gespannt, wie Sie sich in Berlin verhalten werden, wo die Linke dafür streitet, den kommunalen Wohnungsbestand über die derzeit 15 Prozent hinaus auszuweiten. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was sagt Ihnen der Name Harald Wolf?) Kurz und gut: Die Aktuelle Stunde und Ihre Brüllerei zeigen nur, dass diese Regierung unfähig ist, die Probleme im Land zu lösen und die Frage des Mietrechts anzugehen. Die Frage des Mietrechts lautet: Wie verhindern wir, dass Menschen mit geringen Einkommen aus den Innenstädten verdrängt werden? (Beifall bei der LINKEN - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Handeln Sie, und reden Sie hier kein falsches Wort!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Wieland das Wort. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die Koalition mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde erreichen wollte, ist, denke ich, Frau Kollegin Wawzyniak, ganz eindeutig: Ihnen als rot-rotem Senat in Berlin etwas am Zeug zu flicken - das war die falsche Ebene; das haben Sie richtig gesehen - und uns bei der Gelegenheit auch noch etwas vorzuwerfen, nämlich dass der liebe Kollege Ströbele in der Liebigstraße nicht so agiert habe, wie sie es offenbar gerne wollte. Dazu sage ich zunächst einmal Folgendes: Nach der Räumung gab es Randale, zum Beispiel in Hamburg - zurzeit unter CDU-Alleinregierung; dies ist nicht mehr lange so -, in Göttingen - dort gibt es eine schwarz-gelbe Landesregierung - und in Rostock, wo die CDU mitregiert. Also hören Sie endlich auf, komplexe Fragen der inneren Sicherheit und des inneren Friedens plump auf eine Farbskala zu reduzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Dieser Stein fällt Ihnen auf die eigenen Füße. Gerade Sie, Herr Wegner - wir kennen uns nicht erst seit heute -, müssten doch wissen, dass in Berlin der größte Unfrieden um besetzte Häuser zu einem Zeitpunkt war, als Ihr Heinrich Lummer, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Genau!) dessen treuerster Schildknappe Sie waren, als Innensenator glaubte, ein Haus nach dem anderen räumen zu können. Zu der Zeit ging es richtig ab in dieser Stadt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Zu der Zeit war Hamburg kuschelig, oder wie?) Machen Sie jetzt nicht madig, dass Kollege Ströbele, aber auch der Bezirksbürgermeister Franz Schulz versucht haben, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Kollege Ströbele hat drei Jahre lang Briefe geschrieben, er ist initiativ geworden und hat mit der Senatsverwaltung geredet. Er hat sich ganz lange für dieses Haus eingesetzt. Sie haben hier gesagt, das seien alles Gewalttäter und die Situation sei fürchterlich. Ihr früherer Regierender Bürgermeister Richard von Weizsäcker war der Erste, der im Rathaus Schöneberg sogenannte Friedensgespräche mit verhandlungsbereiten Hausbesetzern, mit Kirchen und mit Verbänden initiiert und geführt hat. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Dagegen hat keiner etwas!) Das war richtig, das war notwendig, und das hat dazu geführt, dass mehr als 100 besetzte Häuser legalisiert wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum ist es richtig, wenn es Richard von Weizsäcker tut, und warum ist es falsch, wenn sich Christian Ströbele darum bemüht? (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt!) Das erklären Sie mir bitte! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt, Herr Wieland!) Nichts anderes haben der Bezirksbürgermeister und Christian Ströbele gemacht. Sie sagen, es sei eine riesige Doppelzüngigkeit der Grünen und eine Heuchelei, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Hören Sie sich Ratzmann und Pop doch mal an! - Gegenruf von der CDU/CSU: Die haben nun mal zwei Gesichter!) dass der Berliner Fraktionsvorstand erklärt, die polizeiliche Räumung sei besonnen und klug durchgeführt worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man kann doch sagen: Wir möchten diese oder jene Maßnahme verhindern. - Das machen wir sehr oft; denken Sie nur an Gorleben. Wenn die Maßnahme dennoch durchgeführt wird, können wir gleichzeitig sagen: Wir wollen, dass deeskalierend vorgegangen wird. Wir wollen, wie Herr Gunkel richtig gesagt hat, (Wolfgang Gunkel [SPD]: Oh!) professionelle Polizeieinsätze. (Zuruf von der LINKEN: Eben! Das mögen wir nicht! - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Ja!) Wenn sie stattfinden, dann loben wir sie auch. Das ist das Gegenteil von Doppelzüngigkeit. Das ist eine geradlinige, korrekte Haltung, die wir haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir wollen Ströbele hören!) Genauso eindeutig war bei allen, die von uns zu diesem Thema das Wort ergriffen haben, die Ablehnung von Gewalt. Wenn Sie das nicht verstehen, Frau Wawzyniak, und wenn Sie wirklich meinen, das sei keine einheitliche Haltung, dann haben Sie offenbar die gleichen Denkschemata wie die Autonomen im Kopf. Die können das auch nicht differenziert betrachten. Die können das auch nur einseitig beurteilen und glauben, hier gebe es einen riesigen Widerspruch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Natürlich! Was sagen denn Herr Ratzmann und die anderen dazu?) Abschließend. Wir haben natürlich auch kritisiert, dass der rot-rote Senat die Suche nach einer Alternativlösung, einer Ersatzlösung nicht betrieben hat; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/ CSU] - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich würde gerne mal hören, was Ströbele dazu sagt!) dafür gibt es Beispiele. Ströbele weiß das genau, (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Warum redet Ströbele denn nicht? - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Hätten Sie mal Ströbele reden lassen! Der weiß es besser als Sie!) und er hat es gesagt. Auch der Bezirksbürgermeister weiß das genau. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir wollen Ströbele hören!) Es gab kein Ersatzangebot. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch! Gab es!) So etwas gibt es in anderen Bezirken. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ach ja? In anderen Bezirken?) - Natürlich gibt es das in anderen Bezirken, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in Mitte zum Beispiel das Atelierhaus Wiesenstraße und das Ex-Rotaprint-Gebäude. Aus dem Liegenschaftsfonds des Senats, in den die Bezirke all ihre Grundstücke übertragen mussten (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Genau!) - sie konnten sie nicht behalten -, wurden Grundstücke zur Verfügung gestellt, und das wurde über eine Stiftung finanziert. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig! Dafür war das Geld auch!) Das ist eine politische Lösung, die der Bezirk wollte und für die es vom Senat null Unterstützung gab. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist ein Ammenmärchen!) Das müssen Sie sich sagen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]) Ihre Politik, Frau Wawzyniak, erst Zehntausende von Wohnungen zu verkaufen - das hat Rot-Rot gemacht - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) und dann die Wohnungen, die Sie gerade verkauft haben, zu rekommunalisieren, (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ach! So ein Quatsch! Ihr wollt doch alles verticken, was noch geht! - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sehr richtig! So war das!) ist nun wirklich alles andere als glaubwürdig. Das ist Heuchelei. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wo er recht hat, hat er recht!) Deswegen schreien Sie so. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Guter Mann! - Weiterer Zuruf von der FDP: Ja, genau! Da tut es den Linken weh! - Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir wollen Ströbele hören!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Mayer hat für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich habe Verständnis dafür, dass Ihnen, meine sehr verehrten Kollegen von den Oppositionsfraktionen, diese Aktuelle Stunde denkbar unangenehm ist. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Quatsch! - Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Den Eindruck hatten wir gerade aber nicht! Ein Grüner hat gesprochen, und die Union hat geklatscht! Das war doch wunderbar!) Mich befremdet aber - das muss ich in aller Deutlichkeit sagen -, dass Sie diese Aktuelle Stunde als Wahlkampfgetöse, als Märchenstunde und als Klamauk abtun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte Sie auffordern - das ist sehr ernst ge-meint -, dies den 61 Polizisten, die bei diesem Einsatz verletzt wurden, zu sagen. Ich möchte Sie bitten, dies den Nachbarn der Liebigstraße 14 zu sagen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicher! Wir gehen da nämlich hin, Sie aber nicht! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir! - Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geht doch mal mit da hin!) die geradezu flehend Transparente mit der Aufschrift "Hier lebt und schläft ein Kind" ins Fenster gehängt haben, weil sie Angst hatten, dass die Bewohner der Liebigstraße 14 Farbbeutel auf dieses Fenster werfen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit wem haben Sie denn da geredet?) Ich möchte Sie bitten, dies auch dem Inhaber des Autohauses, dessen Schaufenster zerstört wurden, zu sagen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: In der Liebigstraße? Da ist kein Autohaus! Schade, dass Sie sich in Berlin nicht auskennen!) Ich möchte Sie bitten, dies auch den Geschäftsführern der beiden Kaufhäuser, die im Rahmen der Krawalle und der Ausschreitungen am 2. Februar dieses Jahres demoliert wurden, zu sagen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir doch!) Ich höre in diesem Haus von Ihrer Seite kein einziges Wort des Bedauerns für die Opfer dieser Krawalle; das fehlt mir. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie sprechen nur über die Täter, aber in keiner Weise über die Opfer. Um eines einmal klar zu sagen: Die Rechtfertigung für diese Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag ergibt sich nicht daraus, dass offenbar einige Linksautonome und Linksextreme in Deutschland und vor allem in Berlin - und zu ihnen gehören auch (Mechthild Rawert [SPD]: Selbst in Bayern!) Vertreter dieses Hauses - immer noch (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was für Linksextreme?) in wie auch immer gearteten Hausbesetzernostalgien und Hausbesetzerseligkeiten schwelgen. Die bundespolitische Relevanz dieser Aktuellen Stunde ergibt sich daraus, dass es offenbar und offenkundig immer noch den Kern einer linksextremen und linksautonomen Szene hier in Deutschland und vor allem in Berlin gibt, die ein völlig verqueres Verständnis vom Rechtsstaat und Gewaltmonopol des Staates hat. Was genauso spannend ist und auch die Rechtfertigung für diese Aktuelle Stunde hier in diesem Haus darstellt, ist, wie manche politischen Verantwortungsträger in Berlin - aber auch seitens der Bundestagsfraktionen hier auf den Oppositionsbänken - auf diese unmöglichen Vorkommnisse reagiert haben. Ich möchte das Ganze noch einmal Revue passieren lassen. Es geht um ein Haus, das vor zwölf Jahren vom Land Berlin an zwei Privatpersonen verkauft wurde. Die Vermieter dieses Gebäudes haben nun seit vier Jahren versucht, dieses Haus zu sanieren, und dafür ist es nun einmal erforderlich, dass das Haus leer ist. Es gab Räumungsklagen, und erst vor drei Wochen wurde ein Räumungstitel erwirkt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt überhaupt nicht! Der ist schon ein Jahr alt! Sie haben keine Ahnung, Herr Mayer!) Jetzt ging es darum, dass dieser rechtskräftige Räumungstitel durchgesetzt wird. (Jan Korte [DIE LINKE]: Versuchen Sie es einmal mit Fakten!) Vor diesem Hintergrund ist es verwerflich und in keiner Weise akzeptabel, dass die Bewohner dieses Hauses weder diesen rechtsstaatlich erwirkten Titel noch das Gewaltmonopol des Staates akzeptiert haben. Sie sind in diesem Haus verblieben und haben es nicht nur weiterhin bewohnt, sondern auch verwüstet. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Schmarotzer!) Wenn man manchen Stimmen nach dem Auszug bzw. nach der Räumung Glauben schenkt, dann ist es gar nicht mehr rentabel, dieses Haus zu sanieren. Vielmehr sei es wirtschaftlich rentabler, dieses Haus abzureißen. Daran sieht man, welche Auswüchse manche Vorkommnisse hier in Berlin annehmen. Insgesamt waren 2 500 Polizeibeamte im Einsatz, und es sind Kosten von über 1 Million Euro verursacht worden. Auch dies gilt es einmal an dieser Stelle festzuhalten, und ich bitte Sie, dem Steuerzahler zu erklären, dass allein mit dem Einsatz von 2 500 Polizeibeamten Kosten von mehr als 1 Million Euro verursacht wurden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Ausschreitungen am und um den 2. Februar in und um die Liebigstraße hier in Berlin zeigen in eklatanter und erschreckender Weise, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie wissen gar nicht, wo die sich befindet!) mit welcher Ignoranz die linksextreme und linksautonome Szene in Deutschland nach wie vor fremdes Eigentum, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Liebigstraße war es ganz ruhig! Wenn Sie dort gewesen wären, wüssten Sie das!) Grundrechte wie Art. 14 (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Eigentum verpflichtet!) und auch Eigentum der öffentlichen Hand sieht. Ich möchte den Berliner Polizeipräsidenten zitieren, der diese Ausschreitungen und diese Krawalle als - ich zitiere wörtlich - "politisch motivierten Vandalismus" bezeichnet hat. Es herrschte in Berlin an diesem Abend und in dieser Nacht blanke Zerstörungswut, Spaß am Krawall, und die Ausschreitungen in der vergangenen Woche haben sogar die üblichen Ausschreitungen an und um den 1. Mai übertroffen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Kompletter Unsinn!) Es ist auch interessant, sich einmal näher vor Augen zu führen, wie die politischen Verantwortungsträger auf diese Krawalle reagiert haben. Vom Regierenden Bürgermeister hier in Berlin war überhaupt nichts zu hören. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Der nicht regierende Bürgermeister!) Bei den Grünen war Vielstimmigkeit angesagt. Aus Opportunismus hat die Herausforderin des Regierenden Bürgermeisters, die Grünen-Fraktionsvorsitzende Künast, den Einsatz begrüßt. Es gab allerdings viele unter den Grünen - einige von ihnen sind auch hier im Deutschen Bundestag anwesend -, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) die Sympathie für die Hausbesetzer bekundet und die Räumung des Hauses kritisiert haben. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird jetzt schwierig ohne Namensnennung!) - Das war der Kollege Ströbele, der ganz offen Sympathie mit den Hausbesetzern gezeigt und die Räumung des Hauses in der Liebigstraße 14 kritisiert hat. Den Vogel abgeschossen - und das sage ich jetzt zum Abschluss - hat die Parteivorsitzende der Linken, die sich wirklich erdreistet hat, zu behaupten, dass der Berliner Senat die Verantwortung für diese Ausschreitungen trage. Hier werden Ursache und Wirkung in eklatanter Weise verwechselt, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Altötting kann man das nicht verstehen!) und auch das zeigt in beschämender und peinlicher Art und Weise, welches Rechtsverständnis und welches Verständnis von einem freiheitlich demokratischen Staat in der Reihen der Linkspartei vorherrscht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Schulz hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Swen Schulz (Spandau) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir einmal einen Zeitungsartikel herausgesucht. Darin geht es um die Räumung besetzter Häuser in Berlin. Ich will daraus zitieren: Dort ist die Rede von "Straßenschlachten", die bis in die späte Nacht in Berlin tobten - mit 20 Brandstiftungen, 93 verletzten Polizisten, 143 beschädigten Polizeifahrzeugen, über hundert verletzten Demonstranten. Das ist eine schlimme Bilanz, aber das ist nicht die Bilanz von vor ein paar Tagen in der Liebigstraße, sondern dieser Artikel stand im Jahr 1981 im Spiegel. Der verantwortliche Innensenator war Heinrich Lummer von der CDU. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das war mir beim ersten Buchstaben Ihres Zitats klar!) Ich lebe schon lange in Berlin, und ich kann mich noch sehr gut an die Situation in den 80er-Jahren und daran erinnern, was am 1. Mai insbesondere in Berlin-Kreuzberg immer passiert ist. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Da waren Sie immer dabei!) Das waren sehr, sehr schlimme Situationen, die auch von CDU-Innensenatoren verantwortet wurden. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Aber Herr Schulz, es geht um die Gegenwart und die Zukunft!) Bei allen Problemen, die wir heute haben, kann ich da nur sagen: (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wer hat die Verantwortung?) Es ist gut, es ist vernünftig und es ist wirklich ein Segen für die Stadt, dass wir jetzt einen Senat haben, der auf Deeskalation setzt und das Konzept der ausgestreckten Hand praktiziert. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Um das für die SPD ganz klar zu sagen: Wir dulden Rechtsbruch nicht - ganz eindeutig. (Beifall bei der SPD - Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Es ist aber offensichtlich nötig, das zu sagen! Für uns ist das sicher! Es erwartet niemand, dass das von uns betont wird!) Natürlich wäre auch in dieser Situation eine friedliche Lösung wie sonst auch besser gewesen, doch wenn ein Gerichtsurteil vorliegt, dann muss das auch durchgesetzt werden - im Zweifelsfall auch mithilfe der Polizei. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!) Alles andere wäre die Kapitulation des Rechtsstaates. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP - Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Es geht doch, Kollege Schulz!) Ich will auch den Kolleginnen und Kollegen von den Linken und von den Grünen, die sich hier ein bisschen - ich sage es einmal so - differenziert geäußert haben, sagen: Man muss auch einmal sehen, dass wir hier über Verbarrikadierung, über Sachbeschädigung und teilweise auch über Körperverletzung reden. Man muss sich das einmal angucken. Teilweise wurden Fußböden unter Wasser gesetzt und Stromkabel freigelegt. Innensenator Körting hat vollkommen recht: An dieser Stelle darf es keine falsche Sympathie geben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Ich will an dieser Stelle auch den Beamtinnen und Beamten, den Polizistinnen und Polizisten, ganz herzlich für ihren engagierten, couragierten und mit Augenmaß versehenen Einsatz danken. Ich glaube, das sollten wir hier im Deutschen Bundestag auch einmal gemeinsam tun. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP - Stefanie Vogelsang [CDU/CSU], an die Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] gewandt: Wo bleibt Ihr Applaus, Frau Wawzyniak?) Genauso vollkommen klar ist aber, dass alleine mit polizeilichen Mitteln solche Ereignisse nicht zu verhindern und solche Probleme nicht zu lösen sind. Das haben CDU-Innensenatoren über Jahre immer wieder erfolglos und im Zweifelsfall auf dem Rücken der Polizei versucht. Die Polizistinnen und Polizisten mussten die Knochen für die Fehler dieser Politik hinhalten. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das war übrigens eine Große Koalition!) Wir müssen eine gute und soziale Politik machen, mit der verhindert wird, dass Extremisten Zulauf bekommen. Das liegt auch in der Verantwortung der Bundespolitik und natürlich auch der jetzigen Regierungskoalition. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich will in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel ansprechen, nämlich die Modelle und Projekte des Programms "Soziale Stadt". Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU, der CSU und der FDP, die Mittel dafür haben Sie zusammengestrichen. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Nach Ihrer Auffassung führen sie zu einer Gentrifizierung!) Dabei sind gerade die Projekte des Programms "Soziale Stadt" ein wichtiges Mittel, um die Quartiere zu stabilisieren, um den Menschen zu helfen, um in einen Dialog zu kommen und um den Extremisten nicht das Feld zu überlassen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist deren Scheinheiligkeit!) Es gab eine ganze Menge Demonstrationen, als die Bundesregierung ihre Kürzungspläne veröffentlicht hat. Ich selber habe teilweise an den Aktivitäten teilgenommen. Es gab die Forderung von den Engagierten vor Ort an die Kolleginnen und Kollegen von der CDU, der CSU und der FDP, diese von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzungen doch zurückzunehmen. Was war das Ergebnis? Sie haben diese Kürzungen noch ausgeweitet. Sie haben die "Soziale Stadt" kurz und klein geschlagen. Das muss man in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christian Lange [Backnang] [SPD]: So sind sie!) Das ist falsche Politik. (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Nachdem Sie vorher 500 Sozialarbeiterstellen abgezogen haben, sollten Sie das jetzt auch erwähnen!) Sie sollten Ihrer Verantwortung gerecht werden, statt andere zu kritisieren. Mit Ihrer Politik der sozialen Kälte legen Sie die Lunte in die Städte. Korrigieren Sie das, statt sich hier aufs hohe Ross zu schwingen! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der LINKEN - Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist beschämend für alle Rechtsgläubigen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Thomae das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP macht sich immer und jederzeit zum Anwalt der Vielfalt der Lebensentwürfe und Lebensformen, auch alternativer Lebensentwürfe und Lebensformen, aber nicht auf Kosten und zulasten anderer. Die Entfaltungsfreiheit findet in der Rechtsstaatlichkeit ihre Grundlage und ihre Grenzen. Ich bedauere es sehr, dass aufseiten der Grünen hierzu noch keine einheitliche und eindeutige Haltung gefunden worden ist. Was der grüne Bezirksbürgermeister Schulz dazu zu sagen hatte, waren lediglich Worte des Bedauerns. Er fand es einen schweren Verlust, was angesichts der Räumung des Hauses passiert. Ich finde es auch bemerkenswert, Kollege Ströbele - das kann ich Ihnen nicht ersparen -, dass Sie lediglich dem Geld nachgetrauert haben, das der Polizeieinsatz zur Räumung des Hauses gekostet hat. Sie sagten - ich erlaube mir, zu zitieren -: "Für den Preis hätte der Senat auch ein Haus kaufen und es den Bewohnern zur Verfügung stellen können." Das ist ein wörtliches Zitat. (Lachen bei der FDP und der CDU/CSU - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das war das Angebot! - Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Unfassbar!) Ich will dazu zum Ersten anmerken, dass den Besetzern sogar ein Haus angeboten worden ist, nämlich in Pankow, das aber als unzumutbar abgelehnt worden ist. Vielleicht war es ihnen nicht zentral genug. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist Quatsch! Die Bewohner haben es als ungeeignet abgelehnt!) Zum Zweiten wird daran ein merkwürdiges Verständnis deutlich. Denn wenn man diesen Gedanken um die Ecke und zu Ende denkt, dann heißt das, dass der Staat selber schuld ist, wenn er derartige Bürgerwünsche nicht erfüllt und die Kosten tragen muss, weil die Bürger ihr Recht selber in die Hand nehmen wollen; hätte der Senat den Bewohnern ein Haus gekauft, dann wäre all das nicht passiert. - Wer so argumentiert, der ermutigt letztlich, auch anderen Sonderwünschen durch Gewalt auf der Straße Nachdruck zu verleihen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich halte das für sehr bedenkenswert und warne vor einer solchen Brandstiftung, die sich leicht zu einem Flächenbrand auch in anderen Städten des Landes ausweiten kann. Schon wurde in Nordrhein-Westfalen beim Kinderschutzbund ein Schaufenster eingeschlagen, weil ein Mitarbeiter des Kinderschutzbundes angeblich ein Miteigentümer des Hauses Liebigstraße 14 ist. So weit kann es kommen. Das hat rein gar nichts mit Entfaltungsfreiheit zu tun. Es ist nur ein Vorwand, den Staat zu erpressen: Wenn du Ruhe haben willst, dann tu, was wir sagen! - Das darf ein Rechtsstaat nicht dulden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will mich auch an die Linke wenden, Frau Kollegin Wawzyniak, weil auch Sie versucht haben, dem Eigentümer die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil er Gespräche mit den Bewohnern verweigert habe und nicht an einer politischen Lösung interessiert gewesen sei. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig! Das haben Sie begriffen!) - Das haben Sie gesagt. Richtig. Aber ich frage mich, warum der Eigentümer des Hauses an einer politischen Lösung interessiert sein muss, wenn die Kündigung der Mietverträge rechtmäßig und der Räumungstitel rechtskräftig ist. Dann gibt es keinen Grund, warum der Eigentümer nicht daraus vollstrecken darf. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Weil Eigentum verpflichtet!) Das ist in meinen Augen ein bemerkenswerter Versuch, den Eigentümern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das werden wir zurechtrücken, meine Damen und Herren. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dass Sie "Eigentum verpflichtet" nicht akzeptieren, ist mir klar!) Ich will abschließend mit Erlaubnis der Präsidentin eine bemerkenswerte Äußerung eines 30-jährigen Autonomen aus Leipzig zitieren, (Mechthild Rawert [SPD]: Außerhalb von Berlin!) der extra nach Berlin angereist ist, Frau Kollegin, um hier mit zu demonstrieren. Er klagte wörtlich, dass immer mehr linke Freiräume verloren gehen. Wenn linke Freiräume dasselbe sind wie rechtsfreie Räume, dann, meine ich, ist der Verlust an linken Freiräumen leicht zu verschmerzen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Schuster hat für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir diese Debatte führen, und das aus drei Gründen: Erstens. Wir verurteilen die in Berlin leider schon üblich gewordene Randale wie vergangene Woche oder am 1. Mai ausdrücklich und scharf. Welcher absurde Kontrast, wenn regionale Politiker hier verharmlosend von Fun Events gewalttätiger Jugendlicher sprechen! (Mechthild Rawert [SPD]: Wo waren Sie denn bei der Rede von Herrn Schulz?) Herr Gunkel, Sie haben eben gerade "Rambazamba" gesagt. Für mich ist das zu verharmlosend. Ich halte es lieber mit dem Polizeipräsidenten Glietsch, der das Ganze politisch motivierten Vandalismus nennt und von blinder Zerstörungswut und wahlloser Sachbeschädigung spricht. Darüber muss man im Deutschen Bundestag reden. Zweitens müssen wir im Deutschen Bundestag auch darüber reden, dass die Berliner Verhältnisse zu Solidarisierungsaktionen in ganz Deutschland führen, wie in der vergangenen Woche in Hamburg, Saarbrücken und Rostock oder auch in Göttingen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wundern darf man sich über diese Ausstrahlungswirkung von Berlin aber nicht. Immerhin haben die hiesigen Hausbesetzer (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Keine Hausbesetzer! Mieterinnen und Mieter!) im vergangenen Jahr zu einer europaweiten Konferenz mit dem Thema "Straßenkampf" eingeladen, und die Gesinnungsgenossen sind gekommen. Die Folgen davon erleben wir jetzt im ganzen Land. Lieber Kollege Mayer, ich glaube, wir in Baden-Württemberg und Bayern verstehen unter einem Geberland etwas anderes. Berlin hat jetzt zum ersten Mal gezeigt, dass es auch etwas geben kann: Gewalt. Aber das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Christian Lange [Backnang] [SPD]: So wird Berlin nachgemacht!) Drittens. Schwere Ausschreitungen in Berlin und Hamburg, Parolen wie: "Tritt den Bullen ins Gesicht, bis der Schädel bricht", 61 verletzte Polizisten. Meine Damen und Herren, wir wünschen uns, dass Protest in anderen Ländern gewaltfrei stattfindet. Wir appellieren in dieser Form, waren aber in der vergangenen Woche ein ganz schlechtes Vorbild; das möchte ich einmal deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn "wir"?) Sogar die taz schreibt am 4. Februar: Es ist nicht nur die Politik der Zeichen, auch der Gewalt. Es ist ein Kampf auf der Straße überall und dessen Inszenierung ohne Rücksicht auf Verluste. Meine Damen und Herren, es geht den autonomen Chaoten nicht um eine Auseinandersetzung, um ein politisches Thema oder um eine Botschaft. Wir erleben bei "Liebig 14" das Ende eines linksradikalen Hausprojekts, eines Projekts ohne jede gesellschaftliche Relevanz. Alternative Lebensformen gewaltsam durchzusetzen, erzeugt in Deutschland schon längst keine Solidarisierung mehr. Genau genommen ist es ein anachronistischer Rückfall in die Zeiten der 80er- und 90er-Jahre. Das ist aus meiner Sicht ganz eindeutig das Ergebnis einer Stadtpolitik, die linksextreme Gewalt viel zu lange schon verharmlost. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür müssen wir die Regierenden in Berlin endlich zur Verantwortung ziehen, oder sie müssen beginnen, sich verantwortlich zu fühlen (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/ CSU] - Mechthild Rawert [SPD]: Wer ist denn "wir"? - Zuruf von der CDU/CSU: Abwäh-len! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das werden die Wähler tun!) für brennende Autos, besetzte Häuser, autonome Banden, die wahllos in dieser Stadt Sachbeschädigungen begehen. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: CDU 17 Pro-zent, FDP 4 Prozent! - Gegenruf der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Aber am 18. September 35 Prozent, Herr Kollege!) Meine Damen und Herren, die Berliner haben ein anderes Maß an öffentlicher Sicherheit und Ordnung verdient, und die Bundesbürger haben ein anderes Maß an öffentlicher Sicherheit und Ordnung in ihrer Bundeshauptstadt verdient. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es reicht auch nicht - das sage ich ganz ausdrücklich -, den Polizeibeamten für einen guten - da stimme ich Ihnen zu, Herr Gunkel - Einsatz zu danken. Das ist mir zu wenig. Für die Polizei ist es nicht sinnstiftend, sich mit einer größtmöglichen Zahl an Einsatzkräften immer wieder aufs Neue um eine gute Handvoll gewaltbereiter Chaoten kümmern zu müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Letztlich baden die eingesetzten Beamten eine gescheiterte Politik aus, die eine linke Kiezszene mit Kultstatus versehen soll, ja, zum Markenimage von Berlin machen soll, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Weil sie wirklich Ahnung von Berlin haben!) nur, dass die Folgen dieser Politik in dieser Stadt keiner mehr im Griff zu haben scheint. Es wird daher höchste Zeit, dass diese stolze Stadt endlich eine Regierung bekommt, die Gewaltritualen linker Chaoten konsequent und frühzeitig entgegentritt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und die in der Lage ist, den Berlinern eine erfolgreiche Politik für ihren städtischen Raum zu gestalten (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Also, laut Statistik ist die besser geworden in den letzten Jahren, nicht schlimmer!) und den Deutschen wieder eine Hauptstadt mit Glanz und Würde zu präsentieren. Dafür braucht es Freiheit und Sicherheit. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Luczak hat für die Unionsfraktion das Wort. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nein, Frau Rawert ist dran!) - Entschuldigung, mir ist die falsche Redeliste vorgelegt worden. Die Kollegin Mechthild Rawert hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Ich hätte Ihnen gerne den Vortritt gelassen, Herr Luczak. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie haben den Vortritt am Rednerpult, ich im Wahlkreis!) - Schauen wir einmal, wie lange das hält. Liebe Berliner und Berlinerinnen und vor allen Dingen liebe Nichtberliner, ich bin Berlinerin und freue mich, Sie alle hier in Berlin begrüßen zu dürfen, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) unabhängig davon, ob Sie in Friedrichshain oder in Spandau leben. Sie selber machen deutlich, wie schön diese Stadt ist, wie wild und sexy sie ist - um unseren Regierenden Bürgermeister zu zitieren -, wie intensiv Sie um Stadtentwicklung bemüht sind. Herr Wegner, ich bin sehr enttäuscht, dass ausgerechnet ein Spandauer - wie man so schön sagt: Spandau bei Berlin - (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ist denn schon Karneval?) versucht, in dieser Aktuellen Stunde eine Debatte über Extremismus zu führen. Angesichts Ihrer heutigen Auslassungen zu potenziellem Extremismus hoffe ich, dass Sie in Kürze im Hinblick auf die notwendige Abschaffung der Extremismusklausel genauso aktiv werden; denn diese Klausel, die Ihre Ministerin befürwortet, greift genau das auf, was Sie ständig versuchen, nämlich Menschen unter Generalverdacht zu stellen und dabei auf dem einen Auge blind zu sein. Die Rechtslage im Zusammenhang mit dem Projekt "Liebig 14" ist schon erläutert worden; das möchte ich nicht wiederholen. Der Kollege Gunkel und der Kollege Schulz haben die Rechtslage sehr kompetent dargelegt. Dass die Polizei hier einen rechtsstaatlichen Dienst geleistet hat, ist, denke ich, unumstritten. Wir danken ihr für den Einsatz und vor allen Dingen für die Umsetzung des Konzeptes der ausgestreckten Hand. Das hat im Übrigen eine gute Tradition hier in Berlin und wird auch im Hinblick auf den kommenden 1. Mai gelten. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es sind ganz schön viele ausgestreckte Hände notwendig!) Zu Recht wurde vorhin darauf hingewiesen, dass man sich bei Stuttgart 21 schlicht und ergreifend Berlin zum Vorbild hätte nehmen sollen, gerade was Polizeieinsätze betrifft. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es!) Ein anderer Anwurf war der Hinweis auf die potenzielle Gewaltbereitschaft in dieser Stadt. Die Berliner Parteien - in diesem Fall leider ohne die FDP - haben explizit eine Resolution zur Vermeidung von Gewaltaktionen verabschiedet. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: So ist es: ohne die FDP!) Auf diesen gemeinsamen Grundbeschluss hier in Berlin - wohlgemerkt: ohne die FDP - (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wollen die nicht oder können die nicht?) bin ich stolz. Das können alle Berliner Politikerinnen und Politiker durchaus sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Mayer, die bundespolitische Relevanz dieses Projekts hat sich mir in Ihren Äußerungen nicht so ganz erschlossen. Aber das, was der Kollege Swen Schulz gesagt hat, ist auf jeden Fall richtig: Die von Ihnen zu verantwortende Zerstörung des Programms "Soziale Stadt" wird flächendeckende Auswirkungen haben, und zwar nicht nur hier in Berlin. Dass Sie 75 Prozent der Teilhabemöglichkeiten kaltherzig gestrichen haben und dass es nur noch möglich ist, Investitionen in Steine zu tätigen, (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das rechtfertigt diese Gewalt?) ist Ausdruck einer unsozialen Politik. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist nicht nur ein flächendeckender Unsinn, sondern das ist ein soziales Verbrechen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/ CSU]: Ein bisschen abrüsten vielleicht! Verbrechen ist etwas anderes!) Es gibt heute keine Liveübertragung dieser Debatte. Vielleicht hatten Sie sich das bei der Inszenierung der heutigen Sitzung gewünscht. Ich wünsche mir, dass Sie dabei sind, wenn wir demnächst in Dresden gegen die NPD auf die Straße gehen. Dann reden wir weiter über Gewalt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Luczak für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich selber bin Berliner Abgeordneter. Deswegen freue ich mich normalerweise sehr, wenn die Aufmerksamkeit auf unserer schönen Stadt liegt. Aber wenn man sich anschaut, weswegen die Aufmerksamkeit auf Berlin gelegen hat - es waren die Umstände rund um die Räumung der Liebigstraße 14 -, dann muss man feststellen, dass das bestimmt nicht das ist, was wir unter Imageförderung verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Negativwerbung zulasten Berlins! - Weitere Zurufe von der SPD) - Hören Sie einmal zu! - Denn wieder einmal ist die Hauptstadt durch Chaoten und gewaltbereite Autonome aufgefallen, und das nur, weil eine Handvoll Anhänger, die sich in alternativen Lebensformen verwirklichen wollten, und ihre mehrere Tausend gewaltbereiten Sympathisanten meinten, sie könnten selbst bestimmen, was in unserem Land Recht und Gesetz ist. Das nehmen wir nicht hin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Jetzt stellt sich die Frage: Wie bewerten wir eigentlich diesen Vorgang politisch? Es gibt schon einige bemerkenswerte Unterschiede, wenn man genau hinschaut. Zunächst einmal können wir festhalten: Die Polizei hat diese Herkulesaufgabe, die es wirklich war, mit Bravour gemeistert. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Jawohl!) Darin sind wir uns, wenn man es oberflächlich betrachtet, erst einmal alle einig. Man muss festhalten: Diese Frauen und Männer haben das Recht und das Gesetz in unserem Land durchgesetzt und schützen damit unseren Rechtsstaat. Wer einen Polizisten angreift, wie das in der Liebigstraße passiert ist, greift nicht nur den Menschen in Uniform an, sondern er greift auch unseren Rechtsstaat und unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung an. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen verdienen diese Polizisten unser aller Unterstützung. Wenn man sich die Unterstützung anschaut, stellt man die ersten Unterschiede fest. Natürlich betonen erst einmal alle, dass sie hinter den Polizeibeamten stehen, und behaupten, alles sei gut gelaufen. (Mechthild Rawert [SPD]: Wir wünschen ihnen gute Besserung!) Wenn man aber genauer hinschaut, dann fällt zum Beispiel die aktuelle Große Anfrage der Fraktion der Grünen ins Auge. Sie ist vom 19. Januar 2011. Wenn man diese liest, kommen schon einige Zweifel auf. In dieser Großen Anfrage fordern die Grünen nämlich "eine an den Bürgerrechten ausgerichtete Polizei". Sie sprechen in diesem Zusammenhang von "exzessivem Verhalten" und "ungehemmten Aggressionsausbrüchen". (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Sie beklagen ein unzureichendes Antiaggressionstraining der Polizeibeamten. Ich glaube, sie verwechseln einiges. Wenn man sich die Ereignisse in der Liebigstraße 14 anschaut, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie waren doch gar nicht vor Ort!) dann wird ganz klar, wer ein Antigewalttraining braucht. Das ist nicht die Berliner Polizei, sondern es sind Linksautonome, die das brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Die Abendschau hat ausgesprochen friedlich berichtet, es gab keine Gewaltbilder!) Dass Sie an dieser Stelle etwas verwirrt sind, ist irgendwo verständlich. Schauen wir uns einmal an, was der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Schulz, sagt. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles richtig, was er sagt!) Er sagt, es sei kein schöner Tag, der Verlust des alternativen Wohnprojekts sei ein Rückschlag für die kulturelle Vielfalt in seinem Bezirk. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da hat er recht!) Dazu muss man sagen: Wer die kulturelle Vielfalt über unser Recht stellt, ist doch wohl falsch im Amt des Bezirksbürgermeisters. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er doch nicht gemacht! Meine Güte!) Jetzt kommen wir zum Kollegen Ströbele, der wieder da ist. Sie haben, wenn ich es richtig gesehen habe, in der Presse dieses alternative Wohnprojekt als Markenzeichen Berlins bezeichnet. Ich weiß nicht, wie es Ihnen, meine Damen und Herren, geht. Auf Markenzeichen, die von gewaltbereiten Leuten bewohnt werden, kann ich sehr gut verzichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Ströbele, man muss festhalten: Berlin hat ganz andere Markenzeichen. Berlin hat den Berliner Bären, (Mechthild Rawert [SPD]: Buddies!) Berlin steht für die friedliche Überwindung der deutsch-deutschen Teilung und der Mauer, die mitten durch die Stadt ging, und vieles mehr. Das sind die richtigen Markenzeichen Berlins, nicht aber linksautonome Projekte wie die in der Liebigstraße. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Schultheissberliner wie Sie!) Jetzt kommen wir - das ist schon angesprochen worden - zu der Bundesvorsitzenden der Linken. Da wird es wirklich ganz absurd. Sie sagt, sie hätte sich eine politische und friedliche Lösung gewünscht. Dann schiebt sie die politische Verantwortung dem Berliner Senat zu. In dem Falle hat sie zwar recht, aber vermutlich hat sie vergessen, dass die Linke seit zehn Jahren in dieser Stadt mitregiert. Das ist doch wirklich an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Mechthild Rawert [SPD]: Sie sind ja nur neidisch!) - Wir brauchen gar nicht neidisch zu sein, Frau Rawert. Wir schauen einmal, wie das nach dem 18. September aussieht, und dann sehen wir, wer in dieser Stadt künftig Verantwortung trägt. (Mechthild Rawert [SPD]: Sie nicht! - Gegenruf von der CDU/CSU: Sie sind ungeduldig! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es also! Missbrauch der Aktuellen Stunde! Jetzt wissen wir es!) Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken, mit der Scheinheiligkeit kennt sich Frau Lötzsch nun wirklich aus. Wer die "Wege zum Kommunismus" sucht und sich dabei nicht scheut, Veranstaltungen gemeinsam mit ehemaligen RAF-Terroristen durchzuführen, disqualifiziert sich an dieser Stelle wirklich selbst. (Mechthild Rawert [SPD]: Das war in Ihrem Wahlkreis! Vorsicht! - Lachen bei der CDU/ CSU) - Das tut gar nichts zur Sache. Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum Schluss. In Deutschland und besonders in Berlin ist nun wirklich viel Platz für bunte Lebensweisen, und das ist auch in Ordnung so. Aber in unserem Land ist kein Platz für Straftäter und Chaoten, deren einziges Ziel es ist, ihre Interessen auf Kosten anderer rücksichtslos und mit Gewalt durchzusetzen. In unserem Land ist kein Platz für die "Wege zum Kommunismus", wie sie die Linken suchen. In unserem Land ist kein Platz für die Verherrlichung oder Verharmlosung von links- oder rechtsextremer Gewalt. In unserem Land ist auch kein Platz für Angriffe auf Polizisten. Weil das so ist, ist in unserem Land auch kein Platz für Argumentationen, wie sie uns die Linken und die Grünen hier anbieten: widersprüchlich, inkonsequent und ohne klare Abgrenzung zu den Linksautonomen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Eine Große Koalition machen wir trotzdem nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. Februar 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss der Sitzung: 18.37 Uhr) Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bülow, Marco SPD 09.02.2011 Friedhoff, Paul K. FDP 09.02.2011 Gottschalck, Ulrike SPD 09.02.2011 Graf (Rosenheim), Angelika SPD 09.02.2011 Dr. Freiherr zu Guttenberg, Karl-Theodor CDU/CSU 09.02.2011 Herlitzius, Bettina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.02.2011 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 09.02.2011 Dr. Knopek, Lutz FDP 09.02.2011 Lenkert, Ralph DIE LINKE 09.02.2011 Leutert, Michael DIE LINKE 09.02.2011 Lutze, Thomas DIE LINKE 09.02.2011 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 09.02.2011 Dr. h.c. Michelbach, Hans CDU/CSU 09.02.2011 Möhring, Cornelia DIE LINKE 09.02.2011 Möller, Kornelia DIE LINKE 09.02.2011 Nietan, Dietmar SPD 09.02.2011 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 09.02.2011 Dr. Raabe, Sascha SPD 09.02.2011 Dr. Ruppert, Stefan FDP 09.02.2011 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.02.2011 Schlecht, Michael DIE LINKE 09.02.2011 Scholz, Olaf SPD 09.02.2011 Süßmair, Alexander DIE LINKE 09.02.2011 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.02.2011 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage der Abgeordneten Ulrike Gottschalck (SPD) (Drucksache 17/4638, Frage 11): Wie will die Bundesregierung dem Ziel gerecht werden, mehr Güter von der Straße auf den umweltfreundlichen Verkehrsträger Wasserstraße zu bringen, wenn sie diesem Bereich Finanzmittel entzieht und zudem große Teile der Infrastruktur aufgibt? Ein zentrales verkehrspolitisches Ziel der Bundesregierung ist die Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die umweltfreundlicheren Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße, wo immer dies möglich und sinnvoll ist. Ein Großteil der Verlagerung des zusätzlich zu erwartenden Transportaufkommens trägt dazu bei, Umwelt- und Klimaschutzziele zu erreichen und die optimale Nutzung des Verkehrsnetzes zu verbessern. Diese Zielsetzung ist daher auch in den Aktionsplan Güterverkehr und Logistik aufgenommen worden. Unter der Zielsetzung "Stärken aller Verkehrsträger durch optimal vernetzte Verkehrswege nutzen" enthält der Aktionsplan als konkrete Maßnahmen zum Beispiel die "Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Kombinierten Verkehr" und die "Förderung von Innovationen und Kapazitätssteigerungen im intermodalen Verkehr". Im Übrigen geht die Frage offenbar davon aus, dass dem Verkehrsträger Wasserstraße einseitig Finanzmittel entzogen würden. Dies ist unzutreffend. Die notwendige Konsolidierung des Bundeshaushaltes führt zu Restriktionen bei allen Verkehrsträgern. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ) (Drucksache 17/4638, Fragen 19 und 20): In welchem Rahmen - Zuständigkeit der Bundesministerien, Mitarbeit im Transitional Committee - und in welcher Form - Mittelhöhe und Verwendung - beteiligt sich Deutschland im Rahmen der multilateralen und bilateralen Klimapolitik am Green Climate Fund? Wie verteilt sich die finanzielle Beteiligung auf die verschiedenen Bundesministerien, und welches Bundesministerium hat die Federführung? Zu Frage 19: Deutschland wird sich aktiv in die Ausgestaltung des in Cancún etablierten Green Climate Fund einbringen und strebt einen Sitz im Transitional Committee an. Für den Green Climate Fund ist eine gemeinsame Federführung durch BMZ/BMU in enger Abstimmung mit dem BMF vereinbart. Zu Frage 20: Das Transitional Committee hat die Aufgabe, bis zur 17. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (Durban, Dezember 2011) Vorschläge zur näheren Ausgestaltung des Green Climate Fund vorzulegen. Daher können zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Aussagen zur möglichen finanziellen Beteiligung Deutschlands getroffen werden. Die Bundesregierung bekennt sich jedoch zu den in Cancún getroffen Beschlüssen und sieht die Einrichtung des Green Climate Fund als ein wichtiges Element zur Ausgestaltung der internationalen Klimafinanzierungsarchitektur. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 21): Was sind die wesentlichen Inhalte und Aussagen der Nachrüstliste, die die schleswig-holsteinische Atomaufsichtsbehörde dem BMU am 2. September 2010 übermittelt hat - bitte auch mit Angabe, auf welche der drei schleswig-holsteinischen Anlagen sie sich bezieht -, und welche weiteren Informationen zum anlagenspezifischen Nachrüstbedarf wurden dem BMU von den fünf Landesatomaufsichtsbehörden im Zusammenhang mit der Bund-/Länder-Nachrüstliste für Atomkraftwerke seit dem 2. September 2010 noch übermittelt - gegebenenfalls bitte insbesondere mit Angabe des Datums und Umfangs der übermittelten Informationen? Die am 2. September 2010 beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, eingegangene Liste des Landes Schleswig-Holstein ist eine tabellarische Auflistung zur Umsetzung von zehn Einzelmaßnahmen aus der sogenannten Nachrüstliste "Sicherheitstechnische Anforderungen/Maßnahmen zur weiteren Vorsorge gegen Risiken" in den drei schleswig-holsteinischen Anlagen. Weitere Informationen zum anlagenspezifischen Nachrüstbedarf in anderen Bundesländern liegen bisher nicht vor, werden aber Gegenstand der bevorstehenden Gespräche des BMU mit den Ländern sein. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 22): Ist es nach den Erkenntnissen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, korrekt, dass die bayerische Atomaufsichtsbehörde zunächst die Position vertrat, das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, KKG, über das Jahr 2011 hinaus mit dem bestehenden Primärkreislaufbefund weiterlaufen lassen zu wollen - gegebenenfalls bitte mit Angabe, bis wann die bayerische Atomaufsicht diese Position vertrat -, und ab wann hielt die bayerische Atomaufsicht nach den Erkenntnissen des BMU einen Austausch des vom Befund betroffenen KKG-Rohrsegments bzw. eine Verfügbarkeit des zu fertigenden Austauschrohrsegments circa ab März/ April 2011 für möglich? Der Vorgang ist von den beteiligten Behörden und Sachverständigenorganisationen intensiv erörtert worden. Im Rahmen der abschließenden Bewertung des Sachverhalts, unter anderem auch nach Beratung durch die Reaktor-Sicherheitskommission, hielt es die bayerische Atomaufsicht - wie auch das BMU - für erforderlich bereits im März 2011 eine abschließende Ursachenklärung herbeizuführen. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Dirk Becker (SPD) (Drucksache 17/4638, Frage 30): Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Dioxinbelastung und damit eine mögliche Gesundheitsschädlichkeit von Biodiesel vor? Auch bei den für die Biodieselproduktion eingesetzten Rohstoffen, wie beispielsweise Ölsaaten, muss grundsätzlich - wie bei allen anderen landwirtschaftlichen Produkten - von einer Hintergrundbelastung mit Dioxinen ausgegangen werden. Beim Einsatz in der Biodieselproduktion gelten für diese Rohstoffe die Grenzwerte der Chemikalienverbots-Verordnung. Bei der Herstellung von Biodiesel kann jedoch kein Dioxin entstehen. Voraussetzungen für die Entstehung von Dioxin sind sowohl die Anwesenheit von Chlor oder chemischen Verbindungen von Chlor, von organischen Materialien aber auch Reaktionstemperaturen von mehr als 250 °C. Entsprechende Bedingungen sind bei der Herstellung von Biodiesel aus Pflanzenölen und Tierfetten ausgeschlossen. Bei Biodieselanlagen, die gebrauchte Speisefette verarbeiten, könnte Dioxin nur unter bestimmten Voraussetzungen in den Prozess eingeschleust werden. Dies könnte der Fall sein, wenn der Rohstoff Altfett mit gebrauchten technischen Altfetten und (Bio-)Altölen, die bereits mit Dioxinen verunreinigt sind, vermischt wurde. Das Dioxin würde jedoch nach der Abdestillation des Biodiesels als Rückstand in der Sumpfphase der Vakuumdestillation zusammen mit den größtenteils höhermolekularen Fettsäureresten verbleiben. Ein entsprechender Rückstand muss in der Folge nach den Vorschriften des Abfallrechts - Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz - entweder schadlos und ordnungsgemäß verwertet oder allgemeinwohlverträglich beseitigt werden. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretä rin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Dirk Becker (SPD) (Drucksache 17/4638, Frage 31): Sind der Bundesregierung Studien bekannt, die die Schadstoffbelastung mit Dioxin nach der Verbrennung in Kraftfahrzeugmotoren in der Luft und in den Böden untersuchen, und, wenn ja, zu welchem Ergebnis führen diese? In einem vom Umweltbundesamt veröffentlichten Hintergrundpapier zu Dioxinen, Juni 2010, werden sowohl die Entwicklung der Dioxinemissionen im Zeitraum 1990 bis 2004 als auch die Dioxinemissionsquellen in Deutschland beleuchtet. Demnach konnten die jährlichen Dioxinemissionen, in Gramm Toxizitätsäquivalente, Gramm I-TEQ, seit 1990 um rund 92 Prozent gesenkt werden. Der gesamte Verkehrsbereich hatte dabei im Jahr 2004 einen Anteil von rund 4 Prozent an den Gesamtdioxinemissionen. Eine weitergehende Analyse hinsichtlich des Emissionsbeitrags straßen- und nichtstraßengebundener Kraftfahrzeuge erfolgt im Rahmen des genannten UBA-Hintergrundpapiers nicht. Die Dioxinemissionen des straßen- und nichtstraßengebundenen (Land-)Verkehrs werden im "European Union emission inventory report 1990 bis 2008 under the UNECE Convention on Long-range Transboundary Air Pollution, LRTAP" beleuchtet. Dem straßen- und nichtstraßengebundenen Verkehr wird in diesem zusammenfassenden Emissionsbericht für die "EU 27" nur ein sehr geringer Anteil von 2 Prozent an den Gesamtemissionen der Gruppe der "Dixone und Furane" zugeordnet. Der straßen- und nichtstraßengebundene Verkehrsbereich stelle demnach keine wesentliche Quelle, sogenannte Key Category, für Dioxine dar. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Fragen des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/ 4638, Fragen 35 und 36): Hat die Bundesregierung mit den Ländern eine Einigung für ein Konzept zur angekündigten Akademie für die Lehre erzielt, und, wenn nein, woran scheiterte bisher eine Einigung aus ihrer Sicht? Hat die Bundesregierung in den Verhandlungen vorgeschlagen, die Akademie für die Lehre durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft betreuen zu lassen, und wenn ja, welche Überlegungen liegen diesem Vorschlag mit welchem Nutzen zugrunde? Zu Frage 35: Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, GWK, von Bund und Ländern hat am 25. Oktober 2010 über den Vorschlag einer Akademie für Studium und Lehre beraten. Sie hat die Staatssekretärs-Arbeitsgruppe "Hochschulpakt" beauftragt, bis zur nächsten GWK-Sitzung am 21. März 2011 einen Vorschlag zu Aufgaben, Struktur und Finanzierung einer Akademie vorzulegen. Die Beratungen zwischen Bund und Ländern verlaufen konstruktiv, sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Zu Frage 36: Bund und Länder begrüßen, dass sowohl die Hochschulseite als auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft den Vorschlag einer Akademie für Studium und Lehre ausdrücklich befürworten. Mögliche Organisationsformen einer Akademie für Studium und Lehre sind Gegenstand der laufenden Beratungen. Selbstverständlich wird in diesem Zusammenhang auch die Einbeziehung relevanter Akteure erörtert, die sich für die weitere Qualitätsentwicklung in der Hochschullehre engagieren. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Thomas Rachel auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) (Drucksache 17/4638, Fragen 37 und 38): Welche Ergebnisse hatte das Treffen der Steuerungsgruppe von Bund und Ländern am 28. Januar 2011 zur Frage der Umsetzung des Studienplatzmehrbedarfs im Hochschulpakt aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht? Hat die Bundesregierung zum Treffen der Steuerungsgruppe von Bund und Ländern am 28. Januar 2011 den Ländern ein Angebot zur Umsetzung der Finanzierung vorgelegt, und, wenn ja, beinhaltet es eine Anpassung des Ausgabendeckels des Bundes im Hochschulpakt II oder die Anpassung der Vorauszahlungen an die Länder? Zu Frage 37: Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, GWK, von Bund und Ländern hat mit ihrem Beschluss vom 8. Dezember 2010 die Staatssekretärs-Arbeitsgruppe "Hochschulpakt" beauftragt, im Lichte der Entscheidung des Bundes zur Aussetzung von Wehr- und Zivildienst und einer Prognose der Kommission für Statistik der Kultusministerkonferenz über deren Auswirkungen Vorschläge zu erarbeiten, wie damit im System des bestehenden Hochschulpakts verantwortungsvoll umzugehen ist. Die Beratungen zwischen Bund und Ländern in Vorbereitung der nächsten GWK-Sitzung am 21. März 2011 dauern an. Zu Frage 38: Die Bundesregierung steht zu ihrer Zusage aus dem Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern am 15. Dezember 2010, die aus der Aussetzung des Wehr- und Zivildienstes resultierenden zusätzlichen Studienanfänger im System des bestehenden Hochschulpaktes gemeinsam, wie bislang hälftig durch Bund und Länder zu finanzieren. Wie damit im System des bestehenden Hochschulpakts umzugehen ist, ist Gegenstand der laufenden Beratungen, deren Ergebnissen ich nicht vorgreifen kann. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Helge Braun auf die Frage der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 39): Erwägt die Bundesregierung, die Gelder, die sie durch die Abschaffung von leistungsabhängigen Schuldennachlässen im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, BAföG, gestrichen hat, so einzusetzen, dass die BAföG-Schulden für alle Betroffenen niedriger ausfallen und im Gegenzug der Zuschussanteil im BAföG erhöht wird, und wie begründet sie dies? Die von Ihnen angefragte Regelung ist ein Element des 23. BAföGÄndG. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde der Bedarfssatz des BAföG um 2 Prozent und die Freibeträge um 3 Prozent angehoben. Die Altersgrenze wurde für Studenten, die einen Masterstudiengang absolvieren, auf 35 Jahre festgelegt, Verschlechterungen der Förderungsart nach einem Fachrichtungswechsel aufgehoben, Kinderbetreuungszeiten bei der Altersgrenze besser berücksichtigt, die Förderkonditionen für Schüler verbessert und eingetragene Lebenspartnerschaften gleichgestellt. Zudem wurden mit dem Ziel der Entbürokratisierung der Wohngeldzuschlag pauschaliert und spezielle Darlehensteilerlässe gestrichen. Die zahlreichen Verbesserungen des 23. BAföGÄndG führen in der Summe zu erheblichen Mehrausgaben beim Bund und bei den Ländern. Im Haushalt 2011 wurde der Haushaltsansatz für diese Mehrausgaben bereits um 162 Millionen Euro angehoben. Insofern ist aus dem 23. BAföGÄndG keine Einsparung entstanden, über deren Verwendung noch zu befinden sein könnte, sondern die erwähnten Mehrkosten. Diese tragen jedoch zu Verbesserungen bei, die BAföG-Beziehern nachhaltig zu Gute kommen. Anlage 11 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen der Abgeordneten Christine Buchholz (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Fragen 40 und 41): Was hat die Bundesregierung getan, um die Befreiung des ab dem 8. Januar 2011 von den US-Streitkräften festgehaltenen Deutschen Haddid N. - siehe "Zugriff nach Mitternacht", Süddeutsche Zeitung, 26. Januar 2011, Seite 1 - zu erwirken, und wie bewertet die Bundesregierung die Praxis der US-Streitkräfte, ausländische Staatsbürger zu verschleppen und ihnen konsularischen und Rechtsbeistand zu verweigern? Welche deutschen Stellen haben zu der Festnahme von Haddid N. - siehe "Zugriff nach Mitternacht", Süddeutsche Zeitung, 26. Januar 2011, Seite 1 - beigetragen, und wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der US-Botschaft in Kabul, sie arbeite in dem Fall eng mit der Bundesregierung zusammen? Zu Frage 40: Die Bundesregierung hat sich bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika intensiv um Zugang zu dem bis zum 29. Januar 2011 in Bagram inhaftierten deutschen Staatsangehörigen N. bemüht. Die Bundesregierung kann die Inhaftierung nicht bewerten, da ihr keine ausreichend detaillierten Angaben vorliegen, warum Herr N. inhaftiert wurde. Die Rechtslage zu Fragen des Zugangs in einer derartigen Situation ist nicht eindeutig. Das Recht von Konsularbeamten, einen eigenen Staatsangehörigen aufzusuchen, der sich in Straf- oder Untersuchungshaft befindet oder dem anderweitig die Freiheit entzogen ist, ist eine wesentliche Grundlage der konsularischen Beziehungen zwischen Staaten. Das im Rahmen eines bewaffneten Konflikts geltende humanitäre Völkerrecht sieht hingegen keinen konsularischen Schutz und für die Dauer einer Internierung keinen Rechtsbeistand - sofern die betreffende Person nicht strafrechtlich verfolgt wird - vor, sondern ermöglicht einer unparteiischen humanitären Organisation wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, den am Konflikt beteiligten Parteien ihre Dienste anzubieten. Die USA stellen beziehungsweise gewähren Inhaftierten dann einen Rechtsbeistand, sobald sie ein Strafverfahren gegen sie einleiten. Zu Frage 41: Zur Frage der Beteiligung deutscher Stellen an der Festnahme des Herrn N. hat sich die Bundesregierung bereits wiederholt geäußert. Insoweit erlaube ich mir, auf die Antworten der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen (Nr. 1/242 und 1/342) Ihrer Fraktionskollegen Jelpke und van Aken zu verweisen. Bei weiteren Nachfragen hierzu unterrichtet die Bundesregierung das Parlament in dem dafür zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium. Anlage 12 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 42): Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den vermuteten Giftgaseinsatz der türkischen Armee gegen die kurdische PKK im Jahr 2009, und welche Folgen ergeben sich daraus für die Bewertung des Einsatzes und seine Einordnung in die menschenrechtliche Lage in der Türkei durch die Bundesregierung? Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Hinweise darauf vor, dass die türkische Armee im Jahr 2009 Chemikalien gegen Kämpfer der PKK eingesetzt hat. Die im August 2010 in den Medien erhobenen Vorwürfe gegen die Türkei konnten auch im Zuge eingehender Nachforschungen nicht erhärtet werden. Das in den Medien seinerzeit zitierte Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat noch im August richtig gestellt, dass anhand der Fotos "keine eindeutige Aussage über Entstehungsursache und Entstehungszeitpunkt der Verletzungen" getroffen werden könne. Unabhängig von diesen unsubstanziierten Vorwürfen setzt sich die Bundesregierung in ihren Kontakten mit der türkischen Regierung auf allen Ebenen kontinuierlich für eine weitere Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei ein. Anlage 13 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 43): Welche Inhalte, Ziele und Ergebnisse hatten die Gespräche, zu denen laut Presseinformation - www.stern.de/news2/ aktuell/deutschland-vermittelt-offenbar-in-regierungskrise-in-bosnien-1644642.html - die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Januar 2011 politische Führungspersönlichkeiten aus Bosnien-Herzegowina nach Berlin eingeladen hatte, und wer genau hat daran teilgenommen? Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen Union großes Interesse daran, dass der Reformprozess in Bosnien und Herzegowina nach den allgemeinen Wahlen am 3. Oktober 2010 wieder an Fahrt gewinnt. Dies ist wichtig vor allem für Bosnien und Herzegowina selbst, aber auch von großer Bedeutung für die gesamte Region des Westlichen Balkans. Wenn Bosnien und Herzegowina Fortschritte bei der Annäherung zur Europäischen Union machen will, setzt dies vor allem Anpassungen der Verfassung voraus. Die jetzige Verfassung ist Teil des Dayton-Friedensabkommens von 1995 und hat als solche ihren primären Zweck, nämlich den Ausbruch neuer Feindseligkeiten zu verhindern, erfüllt. Mit ihren zahlreichen Veto- und Proporzvorschriften sowie einem überaus komplizierten Staatsaufbau lähmt sie jedoch die politische Entscheidungsfindung. Bemühungen um eine Verfassungsreform sind daher aus Sicht der Bundesregierung dringend erforderlich. Lösungen können dabei nur von den Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina gefunden werden. Die Bundesregierung ist aber bereit, den Gesprächsprozess zu begleiten. Vor diesem Hintergrund haben Ende Januar 2011 mehrere Treffen mit den Vorsitzenden der größten Parteien in Bosnien und Herzegowina stattgefunden. Weitere Gespräche sind geplant. An den Treffen haben Vertreter der bosnischen Parteien sowie seitens der Bundesregierung Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes und des Auswärtigen Amtes teilgenommen. Einige der Gäste haben auch kurze Vieraugengespräche mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel geführt. Anlage 14 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 44): Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass es Bestrebungen innerhalb des Auswärtigen Amts, dessen IT-Infrastruktur in der Vergangenheit mit großem Erfolg auf freie Software und offene Standards umgestellt wurde, gibt, die IT-Strategie zukünftig wieder auf proprietäre Software und nicht standardisierte Dateiformate umzustellen, und worin begründen sich, auch angesichts der positiven Erfahrungen, die im Zuge der Umstellung der IT-Infrastruktur gemacht wurden, vor allem hinsichtlich einer erheblichen Reduzierung der anfallenden Kosten und einer verbesserten Sicherheit durch den Einsatz von freien Formaten, sowie der Tatsache, dass auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, ausdrücklich zum Einsatz ebensolcher rät, diese Überlegungen? Die Bundesverwaltung verwendet freie (quelloffene) Software in großem Umfang. Die letztendliche Auswahl einer bestimmten Software erfolgt aufgrund der größten Wirtschaftlichkeit bei Berücksichtigung aller Anforderungen. Dies gilt ohne Unterschied sowohl für quelloffene als auch für proprietäre Software. Das Auswärtige Amt hat Mitte 2010 einen Modernisierungsprozess (AA 2020) gestartet. Die IT-Strategie ist eng mit diesem Modernisierungsprozess verknüpft. Im Koordinatensystem von Nutzerbedarf, Sicherheit und Kosten stellt die IT-Strategie den Nutzer in den Mittelpunkt. Nicht das technisch Machbare, sondern das für den Nutzer zur Erfüllung seiner Aufgaben Notwendige gibt das Maß für die IT-Entwicklung vor. Unter diesen Aspekten konsolidiert das Auswärtige Amt seine derzeitige sehr ausgefächerte IT-Landschaft. Dabei entwickelt das Auswärtige Amt seine ursprünglich ausschließlich auf quelloffene Software ausgerichtete IT-Strategie fort zu einer kooperativ ausgerichteten IT-Strategie im Rahmen der gemeinsamen IT-Strategie des Bundes. Wo immer möglich strebt das Auswärtige Amt im Sinne einer effizienten Ressourcennutzung den Einsatz von in der Bundesverwaltung bereits bestehenden Lösungen an, so zum Beispiel im Rückgriff auf die gemeinsamen IT-Dienstleistungszentren des Bundes. In der IT-gestützten Personalverwaltung beabsichtigt das Auswärtige Amt eine Kooperation mit dem Bundesministerium der Finanzen auf Basis einer dort bereits eingesetzten proprietären Standardsoftware. Im laufenden Projekt zur Hardware-Modernisierung der Server wird eine Virtualisierung der Backoffice-Systeme angestrebt. Hier wird dann auch wieder quelloffene Software eingesetzt. Die Weiterentwicklung der Client-Systeme orientiert sich stark an den Benutzerbedürfnissen. Hier werden proprietäre Client-Lösungen eingesetzt. Die AA-spezifischen IT-Systeme im Umfeld des Rechts- und Konsularwesens setzen auf webbasierte Oberflächen. Hier wird wiederum quelloffene Software eingesetzt. So wird es einen Mix aus quelloffenen und proprietären Software-Lösungen geben. Anlage 15 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksache 17/4638, Frage 45): Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung entsprechend den Ankündigungen von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel laut Spiegel 5/2011, "Agenda für Europa - Merkels Sofortprogramm", auch die Beschäftigten der EU-Kommission, die laut Wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestages auf EU-Unterausschussdrucksache 91 im Durchschnitt mit 60,04 Jahren und einer durchschnittlichen Monatsrente von 5 628,40 Euro brutto in den Ruhestand gehen, in die geplante Anpassung des Renteneintrittsalters innerhalb der Europäischen Union mit einzubeziehen, und in welchem Rahmen - unter Angabe der entsprechenden Änderungsvorschläge - beabsichtigt die Bundesregierung die erforderliche Umgestaltung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften gegebenenfalls mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso zu erörtern? Ziel der von Bundeskanzerin Dr. Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy bei der Sitzung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 vorgestellten Initiative eines Pakts für Wettbewerbsfähigkeit ist, die wirtschaftliche Koordinierung der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion und der Europäischen Union zu verstärken, um so die Wettbewerbsfähigkeit der EU als Ganzes zu stärken. Details des Plans sollen in den kommenden Wochen ausgearbeitet werden. Auch auf EU-Ebene setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Ausgabendisziplin zu verbessern. Dabei sollten sich die Anstrengungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auch durch Anpassungen in den Institutionen der EU widerspiegeln. Der Rat hat im Januar 2011 Ratsschlussfolgerungen, die Deutschland initiiert hat, angenommen, Rats-Dokument 18250/10, und darin die EU-Kommission ersucht, bis Ende 2011 angemessene Vorschläge für Änderungen des EU-Beamtenstatuts vorzulegen, um den prognostizierten Anstieg der EU-Pensionskosten zu drosseln. Dabei soll die EU-Kommission ausdrücklich auch eine Anhebung des Ruhestandseintrittsalters in Betracht ziehen. Auch im Rahmen der in 2012 anstehenden Neuverhandlungen der EU-Gehaltsanpassungsmethode wird sich die Bundesregierung mit Nachdruck für weitere Änderungen des EU-Beamtenstatuts einsetzen. Das alleinige Initiativrecht für jede Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Union liegt bei der Europäischen Kommission. Die EU-Mitgliedstaaten entscheiden über Änderungen des EU-Personalstatuts im Rat mit qualifizierter Mehrheit. Die Änderungen werden im Wege des Mitentscheidungsverfahrens unter Beteiligung des Europäischen Parlaments beschlossen. Anlage 16 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 46): Welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, dass das EU-Fischereiabkommen mit Marokko Ende Februar 2011 verlängert werden soll, obwohl die EU-Kommissarin für Fischerei das Fehlen von Menschenrechtsklauseln und eines Mehrwerts für die Sahrauis in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara im Rahmen des EU-Fischereiabkommens kritisierte - www.afrika.info/aktuell_detail.php?N_ID=1441&kp= aktuell -, und durch welche Initiativen hat die Bundesregierung sich dafür eingesetzt, dass zumindest das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko keine Gebiete vor der Küste der Westsahara einschließt? Das partnerschaftliche Fischereiabkommen zwischen der EU und dem Königreich Marokko gilt für den Zeitraum vom 28. Februar 2007 bis zum 27. Februar 2011 und verlängert sich um weitere vier Jahre, sofern es nicht gekündigt wird. Das im Rahmen dieses Abkommens ebenfalls auf vier Jahre geschlossene Protokoll zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der finanziellen Gegenleistungen läuft zum 27. Februar 2011 aus. Über ein neues Protokoll wurde noch nicht entschieden. Das Thema steht auf der Tagesordnung des Ausschusses der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten am 9. Februar 2011 (heute). Die Europäische Kommission wird dabei über das weitere Vorgehen informieren. Die Bundesregierung unterstützt die von der EU-Kommission an die marokkanische Seite wiederholt herangetragene Bitte um Informationen zu den Rückflüssen aus dem Fischereiabkommen der EU mit Marokko an die Bevölkerung der Westsahara. Eine Analyse der von der marokkanischen Seite vorgelegten Informationen wurde von der Kommission bislang nicht vorgelegt. Das Fischereiabkommen enthält keine Definition des Rechtsstatus der Meeresgewässer der Westsahara und greift einer Festlegung des Status nicht vor. Die Beachtung der Menschenrechte ist regelmäßiger Bestandteil des EU-Dialogs mit Marokko. Anlage 17 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 47): Für wie groß schätzt die Bundesregierung die Gefahr ein, dass die revolutionären Entwicklungen in Ägypten und anderen arabischen Ländern auch den Sudan erreichen, und hält die Bundesregierung es weiterhin für richtig, das autoritäre Regime al-Baschir für das friedliche Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan zu belohnen, wie es die USA angekündigt haben, obwohl das Beispiel in Tunesien und Ägypten gezeigt hat, dass dies der falsche Weg war? Es hat in der Republik Sudan seit dem 31. Januar 2011 drei kleinere Demonstrationen gegeben, die sich primär gegen die Streichung von Subventionen von Grundnahrungsmitteln und Treibstoff gerichtet haben, in deren Rahmen aber auch der Rücktritt der Regierung Baschir verlangt wurde. Die Teilnehmerzahl lag jeweils bei wenigen hundert Personen. Circa 70 Personen wurden vorübergehend verhaftet, meist aber nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Berichte über Todesfälle stellten sich im nachhinein als falsch heraus. Gleichzeitig finden gegenwärtig Gespräche im Nordsudan zwischen der Regierung und Oppositionsgruppen zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit und über eine Verfassungsreform statt. Die Bundesregierung sieht daher aktuell keine Parallele zwischen der Lage im Sudan und der in Ägypten oder Tunesien. Der politische Dialog mit der Regierung in Khartum war von zentraler Bedeutung, um Fortschritte bei der Umsetzung des Umfassenden Friedensabkommens, CPA, zu erreichen und zu sichern. Die Haltung der Bundesregierung deckt sich mit dem Ansatz der Internationalen Gemeinschaft, durch die Einbeziehung der Regierung in Khartum wie der Vertreter des Südsudans in Dschuba in einen politischen Dialog die Einhaltung der bei Abschluss des CPA gemachten Zusagen zu erreichen. Dazu zählen positive Signale wie die Umsetzung des Schuldenerlasses für den Sudan und die Verbesserung der politischen Beziehungen. Dieser Ansatz der Internationalen Gemeinschaft hat den friedlichen, freien und fairen Verlauf des Referendums ermöglicht. Die Bundesregierung will vor diesem Hintergrund den politischen Dialog weiterführen, um zur Stärkung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit im Sudan beizutragen. Anlage 18 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 48): Was sagt die Bundesregierung zu den Vorwürfen deutscher Staatsbürger, die an der deutschen Schule in Alexandria unterrichten, in der Sendung hart aber fair vom 2. Februar 2011, das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft hätten die Situation in Ägypten tagelang verharmlost und sie völlig im Stich gelassen bezüglich einer Unterstützung bei der Ausreise? Die Deutsche Botschaft Kairo hat im Zusammenhang mit den Ereignissen in Alexandria unverzüglich alle ihr möglichen, gebotenen und aus Sicherheitsgründen vertretbaren Maßnahmen ergriffen, um unsere Landsleute in ihrer schwierigen Situation schnell zu unterstützen. Sie hat zum frühestmöglichen Zeitpunkt (31. Januar 2011) unter Inkaufnahme hoher, aber kalkulierter Sicherheitsrisiken ein Konsularteam entsandt und mit der komplett organisierten sicheren Ausreise per gechartertem Sonderflug allen ausreisewilligen entsandten Lehrern der deutschen Schule in Alexandria und weiteren ausreisewilligen Deutschen effizient und sicher geholfen. Insbesondere die kritisierte Empfehlung des deutschen Botschafters am 30. Januar 2011 an den Schulleiter, vorerst in der sicheren Schule zu verbleiben, war unter den gegebenen Umständen und nach Prüfung aller verfügbaren Optionen einer Anreise nach Kairo (Flug, Fähre, Landweg) im Interesse und zum Schutz der Deutschen und des Lehrkörpers der Schule zwingend geboten. Jeder andere Ratschlag wäre nicht nur grob fahrlässig, sondern unverantwortlich gewesen. Die objektive Unmöglichkeit der von einigen Landsleuten erwarteten weitergehenden Soforthilfe der Botschaft - und die offene und ehrliche Mitteilung der Einschätzung durch den Botschafter in einem Gespräch mit dem Schulleiter hat der stellvertretende Leiter der Schule offenbar als Gleichgültigkeit der Botschaft missverstanden. Es ist zu unterstreichen, dass alle Empfehlungen ausschließlich unter fürsorglichen Aspekten erfolgten, um die Sicherheit der Lehrer und ihrer Familien zu gewährleisten. Die Entsendung des Konsularteams wurde fortlaufend geprüft, konnte aber erst nach einer ersten Beruhigung der dramatischen Ereignisse in Alexandria und Kairo sowie auf der Fahrstrecke Kairo-Alexandria nach eingehender Risikobewertung durchgeführt werden. Während alle ausreisewilligen Lehrer und Familienangehörige nach Deutschland sicher zurückkehrten, wurde die Botschaft personell verstärkt und ist vollständig arbeitsfähig. Alle Botschaftsangehörigen sind im intensiven Einsatz rund um die Uhr, um unsere Landsleute mit Familienangehörigen nach besten Kräften in Kairo und in ganz Ägypten zu betreuen und allen, die nach Deutschland zurückkehren wollen, bei der Rückreise zu helfen. Auch jetzt noch arbeiten unsere Kollegen rund um die Uhr im Schichtdienst in der Botschaft, schlafen mitunter nur wenige Stunden auf Iso-Matten in ihren Büros und leisten großartige Unterstützung für unsere Landsleute. Hervorzuheben ist hier insbesondere, dass - von den bekannten Ausnahmen abgesehen - die Zusammenarbeit gerade mit dem Schulleiter und den Schwestern, aber auch mit anwesenden Lehrern hervorragend war und die kurzfristige Ausreisemöglichkeit auch vielfach gewürdigt worden ist. So äußerte sich der Schulleiter nicht nur in persönlichen Gesprächen, sondern auch in Interviews und Pressemitteilungen positiv. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Ole Schrö der auf die Frage der Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 49): Gibt es zurzeit Beamte des Bundeskriminalamts in Ägypten, und existiert eine Zusammenarbeit zwischen der ägyptischen Regierung und der Bundesregierung im Bereich Beratung, Ausbildung und Ausstattungshilfe für die ägyptische Polizei oder militärische Ausbildungshilfe? Aktuell befindet sich ein Verbindungsbeamter des BKA in Ägypten. Seit 5. Februar 2011 sind zudem mehrere Beamte des BKA - Abteilung Sicherungsgruppe - zu Personenschutzaufgaben an die Botschaft Kairo abgeordnet. Im Bereich der bilateralen polizeilichen und grenzpolizeilichen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe existiert zurzeit keine Zusammenarbeit mit Ägypten. Ägypten gehört im Kontext der durch die Bundesregierung geleisteten militärischen Ausbildungshilfe zur Gruppe der uneingeschränkt förderungswürdigen Staaten, denen jährlich ein aktives Ausbildungsangebot von bis zu zehn Ausbildungsplätzen pro Jahr unterbreitet wird, um die Entwicklung demokratisch orientierter Streitkräfte in Staaten und Regionen, deren Stabilität im deutschen Interesse liegt, zu fördern. Diese Ausbildung findet in Deutschland statt. Derzeit sind elf ägyptische Lehrgangsteilnehmer zur Ausbildung in Deutschland. Zwei Lehrgangsteilnehmer werden ihre Ausbildung im März 2011, sechs Lehrgangsteilnehmer bis Ende 2011 und drei weitere in 2012 beenden. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 50): Wie hat sich die Zahl der Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen seit 2005 bei bundesunmittelbaren, bundeseigenen und mehrheitlich in Bundeseigentum befindlichen Unternehmen und Einrichtungen entwickelt (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren sowie Ressortzuständigkeit)? In der Antwort auf die Kleine Anfrage zur "Leiharbeit im Bankensektor" (Drucksache 17/2771) hat die Bundesregierung dargestellt, dass Personalfragen der Beschäftigten bei Banken, die Kapital oder Garantien des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung in Anspruch genommen haben, in den alleinigen Verantwortungsbereich des jeweiligen Unternehmens fallen. Auch bei anderen Unternehmen, an denen der Bund unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist und die in den Rechtsformen privaten Rechts geführt werden, zählen Personalfragen - und damit auch der Umfang von Zeitarbeitsverhältnissen - zum ausschließlichen Verantwortungsbereich der Unternehmen und nicht zu dem der Bundesregierung. Zu vergleichbaren Einrichtungen in den Rechtsformen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jeweils im Geschäftsbereich des BMF) entwickelte sich der Einsatz von Zeitarbeitskräften wie folgt: Bei der KfW, auf die die Bundesregierung bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage in der Drucksache 17/2771 für das Jahr 2010 eingegangen ist, zeigt sich folgende Entwicklung (Stand: jeweils 31. Dezember) Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anzahl der Zeitarbeitskräfte 121 148 127 124 216 175 Bei der am 17. Oktober 2008 gegründeten Finanzmarktstabilisierungsanstalt werden keine Zeitarbeitskräfte eingesetzt; im Hinblick auf die Struktur der Beschäftigung verweise ich auch hier auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage in der Drucksache 17/2771. Für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben stellt sich die Entwicklung wie folgt dar (Stand jeweils 31. Dezember) Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anzahl der Zeitarbeitskräfte 19 47 105 102 52 61 Museumsstiftung für Post und Telekommunikation (Stand jeweils 31. Dezember) Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anzahl der Zeitarbeitskräfte 0 0 1 0 1 1 Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost (einschließlich Sozialeinrichtungen) (Stand jeweils 31. Dezember) Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anzahl der Zeitarbeitskräfte 26 8 29 30 36 38 Unfallkasse Post und Telekom: Keine Zeitarbeitskräfte. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksache 17/4638, Fragen 51 und 52): Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung konkret unternommen, um die von ihr versprochene Befreiung der Inselflüge von der Luftverkehrsteuer in die Tat umzusetzen, und ab wann gilt die Steuerbefreiung - vergleiche § 5 Nr. 5 und 7 des Luftverkehrsteuergesetzes? Wie kompensiert die Bundesregierung den entstandenen wirtschaftlichen Schaden für die Inselflugunternehmen und die zu viel gezahlten Steuern der Reisenden durch die verspätet erteilte Befreiung von der Luftverkehrsteuer? Zu Frage 51: Die Steuerbefreiung für Rundflüge nach § 5 Nr. 7 Luftverkehrsteuergesetz ist nicht beschränkt und ist am Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft getreten. Die Steuerbefreiung für Abflüge auf Nordseeinseln - § 5 Nr. 5 Luftverkehrsteuergesetz - tritt nach Art. 24 Abs. 1 Satz 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft, sofern hierzu eine beihilferechtliche Genehmigung der Europäischen Kommission vorliegt. Die Bundesregierung hat das beihilferechtliche Notifizierungsverfahren bereits vor Verkündung des Luftverkehrsteuergesetzes durch Übermittlung der sogenannten Voranmeldung - Pränotifizierungsverfahren - am 1. Dezember 2010 eingeleitet; ergänzende Fragen der Kommission wurden durch die Bundesregierung am 11. Januar 2011 beantwortet. Zu Frage 52: Die Steuerbefreiung für Abflüge auf Nordseeinseln - § 5 Nr. 5 Luftverkehrsteuergesetz - wurde erst im Rahmen der 34. Sitzung des Haushaltsausschusses am 26. Oktober 2010 in den Gesetzentwurf aufgenommen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es durch die Einleitung des beihilferechtlichen Pränotifizierungsverfahrens am 1. Dezember 2010 und damit bereits vor Verkündung des Luftverkehrsteuergesetzes zu keiner Verzögerung gekommen ist. Darüber hinaus bittet die Bundesregierung zu berücksichtigen, dass die Steuerbefreiung rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft tritt, sofern die beihilferechtliche Genehmigung erteilt wird. Für die Luftverkehrsunternehmen besteht keine Verpflichtung nach dem Luftverkehrsteuergesetz, die Fluggäste mit der Steuer zu belasten oder etwa nach Erteilung der Genehmigung die bereits gezahlte Steuer zu erstatten, da Steuerschuldner nicht die Fluggäste, sondern die Luftverkehrsunternehmen sind. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 53): Welche konkreten naturschutzrelevanten Optionen zur weiteren Verwendung des Geländes des ehemaligen Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide werden aktuell von der Bundesregierung geprüft, und wann wird eine Entscheidung dazu fallen? Wie Ihnen bekannt ist, besteht ein Lenkungskreis zur Konversion des Truppenübungsplatzes, TrÜbPl, WITTSTOCK, in den die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Bundesanstalt, die Staatskanzlei des Landes Brandenburg, das Bundesministerium der Verteidigung sowie der Landrat des Landkreises Ostprignitz-Ruppin Vertreter entsandt haben. Die "Kommunale Arbeitsgruppe", KAG, als bündelnde Vereinigung der kommunalen Aufgaben und der örtlichen Interessensträger hat Beobachterstatus. Der Lenkungskreis hat den örtlich zuständigen Bundesforstbetrieb Westbrandenburg der Bundesanstalt beauftragt, zu den Kernthemen der Konversionsplanung vor Ort Arbeitskreise zu bilden, in die alle für das jeweilige Thema wichtigen öffentlichen Aufgabenträger sowie ein Vertreter der KAG eingeladen werden. Auf diese Weise wird der Planungsprozess auf eine möglichst breite Grundlage vor Ort gestellt. Die von Ihnen angesprochenen "naturschutzrelevanten Optionen" werden im Arbeitskreis "Naturschutzfachliche Entwicklung und Wildtiermanagement" erarbeitet. Dieser Planungsprozess ist gerade angestoßen worden, sodass Ergebnisse noch nicht vorliegen können. Der Facharbeit vor Ort sollte im Übrigen auch nicht vorgegriffen werden. Wichtige Planungsparameter werden aber die hohe Kampfmittelbelastung, das naturschutzfachliche Management der NATURA-2000-Lebensraumtypen sowie Planungen zur Einbeziehung der Liegenschaft in das Nationale Naturerbe Deutschlands sein. Alle Beteiligten am Planungsprozess gehen davon aus, dass Planung und Umsetzung der Konversion - und des naturschutzfachlichen Aspekts als einem der Teilaspekte dieser Konversion - sehr langfristig gedacht werden müssen. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksache 17/4638, Frage 54): Wer hat jeweils im Einzelnen den Abschluss der von den Energiewerken Nord, EWN, GmbH in der Antwort auf die Frage 4 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/4009 - Positionen 3, 4, 6 und 8 - genannten Verträge für das Atommüllzwischenlager Nord genehmigt, und wie hoch sind jeweils die in den Jahren ab 2010 erzielten bzw. eingeplanten Gesamteinnahmen, die aus der Zwischenlagerung von radioaktiven Reststoffen privater Atomkraftwerksbetreiber erzielt werden bzw. erzielt werden sollen? Die abgeschlossenen Verträge basieren auf bestehenden Genehmigungen der zuständigen Behörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechend den internen Regularien der Energiewerke Nord GmbH wurden die einzelnen Verträge von der Geschäftsführung bzw. von Prokuristen des Unternehmens gezeichnet. Soweit nach dem Gesellschaftsvertrag des Unternehmens erforderlich, wurde die Zustimmung des Aufsichtsrats zu den einzelnen Verträgen erteilt. 2010 wurden aus der Behandlung von radioaktiven Reststoffen privater Kernkraftwerksbetriebe Einnahmen in Höhe von 1,4 Millionen Euro erzielt. 2011 sind Einnahmen in Höhe von 1,6 Millionen Euro, 2012 von 3,2 Millionen Euro, 2013 von 2,6 Millionen Euro und 2014 von 2,8 Millionen Euro geplant. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 55): Welche Anstrengungen wird die Bundesregierung unternehmen, um das auch im Koalitionsvertrag verankerte Ziel der steuerlichen Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften zu verwirklichen, auch vor dem Hintergrund, dass nun bereits erste Gerichte - Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 9. November 2010 - den Ausschluss der eingetragenen Lebenspartnerinnen und Lebenspartner von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting für verfassungswidrig erachten, und stimmt die Bundesregierung damit überein, dass es nicht zielführend ist, diese Frage durch die Gerichte klären zu lassen, um dann lediglich passiv auf diese Urteile zu reagieren? Der Abbau gleichheitswidriger Benachteiligungen im Steuerrecht und insbesondere die Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten sind wichtige steuerpolitische Anliegen der Bundesregierung. Mit dem Jahressteuergesetz 2010 wurden daher Lebenspartner im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz und im Grunderwerbsteuergesetz den Ehegatten gleichgestellt. Der aufgeführte Beschluss des niedersächsischen Finanzgerichtes vom 9. November 2010 betrifft die Thematik des Splittingverfahrens. Gegenwärtig sind hierzu drei Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Gegen den aufgeführten Beschluss des niedersächsischen Finanzgerichtes vom 9. November 2010 wurde zudem von dem betroffenen Finanzamt Beschwerde eingelegt. Bei dem Verfahren ging es um eine Aussetzung der Vollziehung, sodass dementsprechend bisher nur eine summarische Prüfung erfolgt ist. Ob die Entscheidung über die Beschwerde und das Hauptsacheverfahren zu dem gleichen Ergebnis führt, ist daher offen. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 56): Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes über die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen nach § 35 a des Einkommensteuergesetzes hinsichtlich der zielgerichteten Wirkung für legale Beschäftigungsverhältnisse, Risikoprüfung durch die Finanzbehörden, Mitnahmeeffekte, und in welcher Höhe wurde die Steuerermäßigung in den Jahren 2004 bis 2008, basierend auf den Einkommensteuerstatistiken bzw. bisher vorliegenden Meldungen, im Durchschnitt gewährt - getrennt nach Grund- und Splittingtabelle? Die Steuerermäßigungsregelung des § 35 a EStG wurde 2003 als Anreiz zur Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen in Privathaushalten sowie zur Förderung von Arbeitsplätzen in Unternehmen, die hauswirtschaftliche Dienstleistungen anbieten, geschaffen. Die Bekämpfung der Schwarzarbeit in den jeweiligen Bereichen steht dabei im Vordergrund. Auch dient sie der gesellschaftlichen Anerkennung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten. Seit 2006 dient die Regelung zusätzlich der Förderung der häuslichen Pflege und Betreuung sowie der Stärkung von Handwerk und Mittelstand. Durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets "Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung" - "Konjunkturpaket I" - wurde die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen ab 2009 von bis dahin 600 Euro auf 1 200 Euro verdoppelt, "um auch für das Handwerk weitere Impulse für die Stärkung und Stabilisierung der Auftragslage zu setzen". Mit der Verdoppelung verbunden ist die Aussage des Gesetzgebers, die Wirkung der Regelung nach zwei Jahren zu evaluieren. Diese Überprüfung der Steuerermäßigungen nach § 35 a EStG hat das Ziel, festzustellen, ob der Gesetzeszweck, die Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsplätzen und die Bekämpfung der Schwarzarbeit zu fördern, erreicht wurde. Vor weiteren Entscheidungen sollten die Ergebnisse der angekündigten Evaluierung abgewartet werden. Nach aktuellem Stand belaufen sich die Steuerermäßigungen nach § 35 a EStG derzeit auf ein jährliches Volumen von rund 2 Milliarden Euro. Davon entfallen rund 80 Prozent, das heißt rund 1,6 Milliarden Euro pro Jahr auf Handwerkerleistungen. Diese Schätzung stützt sich auf aktuelle Verwaltungsdaten aus den Landesfinanzverwaltungen. Rückschlüsse auf Durchschnittswerte sind damit nicht möglich. Ergebnisse der Einkommensteuerstatistik liegen insbesondere für die Handwerkerleistungen noch nicht vor, da die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen erst 2006 eingeführt wurde. Erst nach Vorliegen statistischer Einzeldaten sind Durchschnittsbildungen und eine Aufgliederung nach Grund- und Splittingtabellenfälle möglich. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hartmut Koschyk auf die Fragen des Abgeordneten Peter Friedrich (SPD) (Drucksache 17/4638, Fragen 57 und 58): Wie beurteilt die Bundesregierung Sonderkonditionen privater Krankenversicherungen für bestimmte Gruppen wie beispielsweise die der Deutschen Krankenversicherung AG, DKV, für Mitglieder der FDP und deren Familienmitglieder und insbesondere die damit verbundene Aufnahmegarantie - siehe Süddeutsche Zeitung vom 21. Januar 2010, www.sued deutsche.de/politik/liberale-und-krankenversicherung-die-rabatt-koenige-der-fdp-1.57348? Hat die Bundesregierung Kenntnis über weitere Gruppentarife privater Krankenversicherungen mit Sonderkonditionen, die in ähnlicher Weise wie der Gruppentarif der DKV für Mitglieder der FDP und deren Familienangehörige eine Aufnahmegarantie aussprechen, und sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit, dagegen vorzugehen? Zu Frage 57: Gruppenversicherungsverträge sind in der Privatversicherung seit langem bekannt und grundsätzlich nicht zu beanstanden. Da sie in der Regel für die Versicherten zu günstigeren Beiträgen führen, ist ihre Verbreitung im Gegenteil eher zu begrüßen. Natürlich ist dafür Sorge zu tragen, dass es durch derartige Vertragskonstruktionen nicht zu einer ungerechtfertigten Besser- oder Schlechterstellung von Versicherten kommt. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und ihre Vorgängerbehörden haben seit jeher darauf geachtet, dass Gruppenverträge von Versicherungsunternehmen bestimmte Mindeststandards einhalten. Dazu gehört insbesondere, dass die im Rahmen eines Gruppenvertrags angebotenen besonderen Konditionen sich aus dem Vertrag heraus selbst tragen. Es darf keine Subventionierung eines solchen Vertrages durch die übrigen Versicherten geben. Niedrigere Beiträge sind nur zulässig, wenn ihnen entsprechende Kosteneinsparungen gegenüberstehen, zum Beispiel durch den Wegfall von Vermittlerprovisionen. Günstigere Konditionen in Bezug auf das sogenannte versicherungstechnische Risiko sind nur so weit zulässig, wie der tatsächliche Risikoverlauf des Vertrags es rechtfertigt. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, spricht nichts dagegen, wenn ein Unternehmen oder eine sonstige Organisation für ihre Angehörigen einen derartigen Vertrag abschließt. Zu Frage 58: Versicherungsunternehmen müssen Gruppenverträge nicht besonders anzeigen. Daher hat die Bundesregierung keinen Überblick über die aktuell tatsächlich bestehenden Gruppenverträge. Die Feststellungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht rechtfertigen die Annahme, dass die Versicherungsunternehmen die aufsichtsrechtlichen Vorgaben für Gruppenversicherungsverträge beachten und dass es nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Versicherten kommt. Eine Notwendigkeit, gegen Gruppenversicherungsverträge vorzugehen, ist daher für die Bundesregierung nicht ersichtlich. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Fragen des Abgeordneten Gerd Bollmann (SPD) (Drucksache 17/4638, Fragen 59 und 60): Wie sieht der Zeitrahmen für den aktuellen Carbon-Capture-and-Storage-Technologie-(CCS)-Gesetzgebungsprozess aus, und bis wann muss dieser Prozess abgeschlossen sein, um die EU-Fördermittel für Pilotprojekte abrufen zu können? Wie werden in Zukunft die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Bundesministerien im CCS-Bereich geregelt sein? Zu Frage 59: Eine zügige Kabinettsbefassung des gemeinsamen CCS-Referentenentwurfs des BMU und des BMWi zur Umsetzung der Richtlinie 2009/31/EG wird angestrebt. Die Bewertung von Pilotprojekten und die daran geknüpfte Vergabe der Fördermittel aus der Neuanlagenreserve des Europäischen Emissionshandels trifft die Kommission. Nach gegenwärtiger Rechtslage müssen die nationalen Genehmigungen in einem Zeitraum von 24 Monaten, im Falle der CO2-Speicherung in salinen Aquiferen innerhalb von 36 Monaten nach Erlass der Finanzhilfebeschlüsse der Kommission erteilt werden (Art. 9 des Beschlusses der Kommission vom 3. November 2010, 2010/670/EU). Zu Frage 60: Im Bereich der CCS-Gesetzgebung besteht eine gemeinsame Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Eine Änderung ist nicht geplant. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Ute Vogt (SPD) (Drucksache 17/4638, Frage 61): Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorgänge um das offenbar leckgeschlagene CCS-Speicherfeld in der kanadischen Provinz Saskatchewan im Hinblick auf die generelle Zuverlässigkeit und Zukunftsfähigkeit der CCS-Technologie? Die Bundesregierung hat die in den internationalen Medien sowie auf den einschlägigen Internetseiten veröffentlichen Informationen über einen möglichen CO2-Austritt im Zusammenhang mit der Nutzung von CO2 für Entölungsmaßnahmen im Ölfeld Weyburn verfolgt. Das vorliegende Gutachten von Petro-Find Geochem reicht für die Bewertung/Postulierung einer CO2-Leckage nicht aus. Wissenschaftler von Universitäten und Forschungseinrichtungen, die sich mit Weyburn, aber auch generell mit Bodengasanalysen befassen, haben in einer gemeinsamen Stellungnahme (PTRC [19.01.2011]: IEAGHG Weyburn - Midale CO2 monitoring & storage project: Response to a soil gas study performed by Petro-Find Geochem. Ltd.) festgestellt, dass es keine Hinweise auf Leckagen gibt. Sie legen unter anderem dar, dass hohe CO2-Konzentrationen im Boden auch anders als durch Leckagen erklärt werden können. In Deutschland werden sich alle Demonstrationsprojekte für die CO2-Speicherung nach der CCS-Richtlinie und einem eigenen CCS-Gesetz richten. Dieser Rechtsrahmen ist darauf ausgerichtet, speziell für die dauerhafte und sichere CO2-Speicherung geeignete Gesteinsschichten auszuwählen, zu untersuchen und auf ihre Eignung für eine langzeitsichere CO2-Speicherung hin zu bewerten. Das Ziel des Vorhabens in Weyburn ist einzig die Erhöhung der Ölproduktion im kommerziellen Maßstab. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 62): Welche Auswirkungen des infolge eines längerfristigen Trends auf nunmehr über 100 US-Dollar pro Barrel Brent gestiegenen Ölpreises erwartet die Bundesregierung für Wirtschaft und Verbraucher, und inwiefern hält die Bundesregierung die in den Energieszenarien für das Energiekonzept zugrundegelegte Annahme eines realen Ölpreises von 110 US-Dollar je Barrel im Jahr 2030, 120 US-Dollar im Jahr 2040 und 130 US-Dollar im Jahr 2050 aufgrund der aktuellen Preisentwicklung noch für realistisch? Für die am 19. Januar 2011 veröffentlichte Projektion der Bundesregierung wurde - unabhängig von kurzfristigen Schwankungen - ein durchschnittlicher Ölpreis von rund 94 US-Dollar je Barrel für das Jahr 2011 unterstellt. Eine weitere erhebliche Verteuerung von Energierohstoffen könnte bremsend auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wirken. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Verbraucher lassen sich aber aus vielen Gründen nicht exakt beziffern. So dämpft etwa die derzeitige tendenzielle Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar den Ölpreisanstieg für die europäischen Länder. Darüber hinaus fließt ein Teil der für Ölimporte ausgegebenen Mittel über höhere Importe wieder in das eigene Land zurück. Energiepreisannahmen für die Zukunft sind grundsätzlich mit Unsicherheiten verbunden. Die im Rahmen der Szenarien für das Energiekonzept verwendeten Annahmen orientieren sich an internationalen Expertenerwartungen und unterstellen künftig real steigende Ölpreise. Dabei steht jedoch nicht die aktuelle Preisentwicklung, sondern die künftig erwartete durchschnittliche Preisentwicklung im Vordergrund. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 63): Welche Strategien hat die Bundesregierung für den Fall entwickelt, dass der Erdölpreis dieses Jahr die Marke von 150 US-Dollar je Barrel überschreiten würde, sowie für den Fall, dass in den nächsten Jahren die Marke von 200 US-Dollar je Barrel überschritten würde? Die Bundesregierung beteiligt sich grundsätzlich nicht an Spekulationen über die kurzfristige Höhe des Erdölpreises. Die Bundesregierung ist aber fortlaufend in verschiedenen internationalen energiepolitischen Gremien aktiv, die den Produzenten-Konsumenten-Dialog sowie die Transparenz auf den internationalen Ölmärkten und Ölterminmärkten fördern und somit zu einer Stabilisierung des Ölpreises beitragen sollen. Hierzu gehören das Internationale Energieforum, IEF, sowie die Energie-Expertengruppe der G-20-Staaten. Mit dem Energiekonzept hat die Bundesregierung Leitlinien für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung formuliert und beschreibt erstmalig den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Die Energieszenarien für das Energiekonzept der Bundesregierung gehen von einem langfristig deutlich rückläufigen Mineralölverbrauch in Deutschland aus. Im Energiekonzept ist das Ziel verankert, den Primärenergieverbrauch gegenüber 2008 bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent zu senken. Damit ist auch eine Reduzierung der Abhängigkeit von Ölimporten verbunden. Zur Erreichung dieser Ziele ist die Ausschöpfung der Effizienzpotenziale und Energieeinsparung von zentraler Bedeutung. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 64): Welche detaillierten Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, welche industriepolitische Strategie die chinesische Regierung bei der Photovoltaik verfolgt, und welche Schlussfolgerungen leitet die Bundesregierung daraus für die eigene industriepolitische Strategie ab? Die Regierung der VR China betreibt auf dem Gebiet der Photovoltaik, PV, eine aktive Industriepolitik. Dazu wurde im Jahr 2009 das "Golden Sun Demonstration Program" ins Leben gerufen, um die heimische Nachfrage nach Solarindustrieprodukten zu stärken. Es soll für den Zeitraum 2009 bis 2011 gelten. Insgesamt umfasst das Projekt ein Finanzvolumen von 3 Milliarden Yuan (rund 340 Millionen Euro). Dabei werden rund 275 über das ganze Land verteilte Einzelprojekte unterstützt, die im Laufe der nächsten drei Jahre fertigzustellen sind. Die Mehrheit dieser Projekte sind lokale PV-Anlagen, die einzelne industrielle und kommerzielle Anlagen bedienen, nur etwa 35 Projekte sind größere Stromerzeugungsanlagen, die in das Stromnetz einspeisen sollen. Nach den Informationen, die der Bundesregierung vorliegen, sind ausländische Unternehmen nicht von vornherein von der Teilnahme an diesem Programm ausgeschlossen. Allerdings zeigt die Erfahrung in anderen Bereichen, dass der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in China für ausländische Unternehmen immer wieder schwierig ist, weil das Vergabeverfahren häufig intransparent ist und Fristen sowie Anforderungen oft auf chinesische Anbieter zugeschnitten sind. Die Bundesregierung setzt sich deshalb für einen Beitritt Chinas zum WTO-Beschaffungsabkommen ein, um die Bedingungen für ausländische Anbieter auf dem chinesischen Markt zu verbessern. Die Bundesregierung hat im Juli 2010 die Innovationsallianz Photovoltaik ins Leben gerufen. Bis 2014 werden das BMU und das BMBF für die Innovationsallianz Photovoltaik bis zu 100 Millionen Euro bereitstellen. Förderfähig im Rahmen dieser Initiative sind primär industriegeführte Verbundprojekte zu anwendungsorientierten Forschungsarbeiten des vorwettbewerblichen Bereichs. Die Bundesregierung setzt dabei insbesondere auf eine stärkere vertikale Kooperation innerhalb der Prozessketten sowie von Ausrüstungs- und Systemtechnologieunternehmen mit den Anwendern in der Photovoltaikindustrie. Die PV-Industrie hat zugesagt, im Ergebnis der Forschungsmaßnahmen 500 Millionen Euro für Investitionsmaßnahmen und weitere Forschungsleistungen einzusetzen. Vereinbarungen der Anlagenhersteller und der Photovoltaikunternehmen bilden einen wichtigen Bestandteil zur Umsetzung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse der Innovationsallianz. Die Bundesregierung leistet mit dieser Initiative einen wesentlichen Beitrag, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Photovoltaikindustrie mittel- und langfristig zu sichern und auszubauen. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 65): Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Export von Polizeiausrüstung - Helme und andere Schutzkleidung, Schilder, Handschellen, Funkgeräte, Fahrzeuge, Waffen -, sogenannten weniger letalen Waffen, insbesondere Wasserwerfer, deren Komponenten und chemische Reizstoffe - "Tränengas" etc. - und IT-Technologie, die sich für die Überwachung des Internets und der Telekommunikation und deren Zensur eignet, nach Ägypten und Tunesien und deren Anwendung im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Protesten in beiden Staaten? Die Bundesregierung verfügt über Informationen über die für den Export von ausfuhrgenehmigungspflichtigen Gütern erteilten Ausfuhrgenehmigungen, jedoch grundsätzlich nicht über alle auf deren Grundlage tatsächlich exportierten Güter. Über die tatsächlich erfolgte Ausfuhr von Kriegswaffen berichtet die Bundesregierung in ihrem jährlichen Rüstungsexportbericht. Entsprechende Lieferungen waren auch für das ägyptische Innenministerium bestimmt. Die Ausfuhr von Polizeiausrüstung ist zu einem großen Teil nicht genehmigungspflichtig. Eine Genehmigungspflicht besteht lediglich für Ausrüstung, die auch militärisch relevant sein könnte und somit in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste - Anhang zur Außenwirtschaftsverordnung - oder in Anhang I der EG-Dual-Use-Verordnung - EG Nr. 428/2009 - genannt ist. Dies gilt zudem für Ausrüstung, die auch zur Folter verwendet werden könnte, wie zum Beispiel bestimmte Hand- und Fußfesseln, und somit in Anhang III der Anti-Folter-Verordnung - EG Nr. 1236/2005 - aufgeführt wird. Seit 2007 bis heute hat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, nach vorläufiger Auswertung keine Ausfuhrgenehmigungen gemäß der Dual-Use-Verordnung oder Anti-Folter-Verordnung für Lieferungen der genannten Güter an die ägyptische bzw. tunesische Polizei oder das jeweilige Innenministerium erteilt. Für Lieferungen von Gütern, die von Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste (Anhang zur Außenwirtschaftsverordnung) erfasst werden, an die ägyptische Polizei und das Innenministerium wurden nach vorläufiger Auswertung im Jahr 2007 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von insgesamt rund 2,7 Millionen Euro, im Jahr 2008 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von insgesamt rund 500 000 Euro, im Jahr 2009 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von insgesamt rund 800 000 Euro, im Jahr 2010 eine Ausfuhrgenehmigung im Wert von insgesamt rund 100 Euro, und im Jahr 2011 bisher keine Ausfuhrgenehmigung erteilt. Derartige Lieferungen an die tunesische Polizei und das tunesische Innenministerium sind nach vorläufiger Auswertung seit 2007 bis heute nicht erfolgt. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Frage 66): Wann wird die Bundesregierung einen Entwurf zur Novellierung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vorlegen, und wie wird dabei die Haltung von Mastkaninchen geregelt werden? Die geplante Ergänzung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung um spezifische Anforderungen an die Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwecken bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat in einer Projektgruppe mit Ländervertretern Eckpunkte der zukünftigen Regelung erarbeitet. Diese werden nun mit den für den Tierschutz zuständigen Länderreferenten abgestimmt und danach Tierschutz- und Wirtschaftsverbänden zur Stellungnahme übersandt. Wesentliche Inhalte der Regelungen werden Anforderungen an die Besatzdichte und die Mindestgröße der Haltungseinrichtung, die Bodengestaltung, die Strukturierung der Haltungseinrichtung, die Fütterung, das Stallklima und die Betreuung sein. Das BMELV ist an einem zügigen Fortgang interessiert, der weitere Zeitablauf ist aber wesentlich vom Verlauf der Abstimmungen und dem Diskussionsbedarf der im üblichen Verfahren zu Beteiligenden abhängig. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Gerd Mü ller auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 67): Welche personenbezogenen Daten im Gutachten zur NS-Vergangenheit des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind anders als die personenbezogenen Daten in der Studie zur NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amts schutzwürdiger, und warum kann dieser angeblichen Schutzwürdigkeit nicht auf anderem Wege - zum Beispiel durch Schwärzung oder Anonymisierung - im Einzelfall Rechnung getragen werden? Die Frage geht davon aus, dass im BMELV ein Gutachten zur NS-Vergangenheit des heutigen Bundesministeriums vorliegt. Dies ist nicht der Fall. Wie sich bereits aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen - Bundestagsdrucksache 17/4344 - ergibt, sind im Jahr 2005 vom damaligen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zwei Untersuchungsaufträge erteilt worden: Auftrag 1: "Rolle und Inhalt der Agrarpolitik und Agrarforschung von Vorgängerinstitutionen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft". Auftrag 2: "Entwicklung von Kriterien zur Bewertung der Ehrwürdigkeit von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BML/BMVEL und der Dienststellen seines Geschäftsbereichs im Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus". Beide Untersuchungen sind angefertigt worden und liegen vor. Angesichts der Nachfragen ist beabsichtigt, die 2006 fertig gestellte Untersuchung zum Auftrag 1: "Rolle und Inhalt der Agrarpolitik und Agrarforschung von Vorgängerinstitutionen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft" auf den aktuellen Stand zu bringen und alsbald zu veröffentlichen. Schon jetzt kann nach den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes in die Untersuchung Einblick genommen werden. Ein entsprechender, dem BMELV vorliegender Antrag wird demnächst positiv beschieden werden. Gegenstand der Ende November 2007 fertig gestellten Untersuchung zum Auftrag 2 ist eine Bewertung der Lebensläufe von insgesamt 62 ehemaligen Bediensteten des heutigen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hinsichtlich ihrer politischen Belastung in der Zeit des Nationalsozialismus. Bei den 62 Personen handelt es sich um alle zum Zeitpunkt der Erteilung des Untersuchungsauftrages noch lebenden ehemaligen Bediensteten - vom Boten bis zum Staatssekretär - der potenziell NS-belasteten Jahrgänge. Es erfolgte also keine Vorauswahl nach Verdachtsmomenten und auch nicht danach, ob die Bediensteten bereits im Reichslandwirtschaftsministerium tätig waren. Die bereits verstorbenen Ehemaligen wurden nicht überprüft. Grundlage der Bewertung waren Personalakten des BML/BMELV. Die so gewonnenen Daten unterliegen dem Datenschutz und können deshalb nicht herausgegeben werden. Das BMELV lässt diese Rechtsauffassung, die sich aus § 5 Informationsfreiheitsgesetz ergibt, gegenwärtig durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit überprüfen. Auch wenn man personenbezogene Daten schwärzen würde, ergäben sich aus den Lebensläufen noch ausreichende Anhaltspunkte, aus denen auf die Person rückgeschlossen werden kann. Deshalb ist es aus den bereits angegebenen datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, eine Schwärzung oder Anonymisierung vorzunehmen. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Monika Lazar (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 68): Wie wird die Bundesregierung auf die zahlreichen Proteste gegen die sogenannte Extremismusklausel reagieren, nachdem an einem Aktionstag am 1. Februar 2011 Hunderte von Initiativen, Vereinen, Politikerinnen und Politikern sowie Privatpersonen schriftlich eine Rücknahme der Klausel gefordert haben, unter anderem auch Sachsen-Anhalts Landesregierung? Die Bundesregierung bekräftigt ihre Auffassung, dass für die Vergabe staatlicher Fördermittel im Bereich der Extremismuspräventionsprogramme wie bisher ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gefordert wird. Bei der Durchführung von Programmen zur Extremismusprävention gilt es insbesondere zu verhindern, dass extremistische Organisationen staatliche Zuwendungen für Programme der Bundesregierung für Demokratie und Toleranz ausnutzen und ihnen insoweit eine Plattform geboten wird. Über die Unterzeichnung der Demokratieerklärung soll vor allem eine Sensibilisierung, aber auch die Verpflichtung der geförderten Träger erreicht werden, eigene Verantwortung dafür zu übernehmen, dass extremistische Gruppierungen nicht von Bundesmitteln profitieren. Vor diesem Hintergrund wird weiterhin an dem Erfordernis der Unterzeichnung der Demokratieerklärung durch die in den Extremismuspräventionsprogrammen geförderten Träger festgehalten. Die Absender der bei der Bundesregierung eingegangenen Schreiben werden entsprechend informiert. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Landesregierung von Sachsen-Anhalt keine Rücknahme der Demokratieerklärung gefordert. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Monika Lazar (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/4638, Frage 69): Welche Erwartungen knüpft die Bundesregierung an die von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel geforderten freiwilligen Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft vor dem Hintergrund, dass die freiwillige "Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft" aus dem Jahr 2001 bisher ohne Erfolg geblieben ist und die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, gesetzlich bindende Maßnahmen vorgeschlagen hat? Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2001 zur Förderung der Chancengleichheit verfolgte vier Ziele: - die Verbesserung der Chancengerechtigkeit im Bereich der Ausbildung, - Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, - mehr Frauen in Fach- und Führungspositionen und - Abbau der Entgeltunterschiede. In den ersten beiden Bereichen hat die Vereinbarung - so konstatierte die 2008 vorgelegte 3. Bilanz - durchaus zu erkennbaren Fortschritten geführt, die sich seither fortgesetzt haben. Die Frage, ob die 2008 erhoffte Ausstrahlung der Dynamik aus den ersten beiden Zielbereichen auf die beiden letztgenannten in ausreichendem Maße erfolgt ist, wird aufgrund der 4. Bilanz der Vereinbarung zu beantworten sein, die in den nächsten Wochen vorgelegt wird. Im Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode verpflichten sich die Koalitionsfraktionen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft und öffentlichem Dienst maßgeblich zu steigern und dazu einen Stufenplan vorzulegen. Der Stufenplan setzt zuerst auf Selbstverpflichtungen und Berichtspflichten. Die Bundeskanzlerin hat ebenso wie mehrere Kabinettsmitglieder in den letzten Wochen nachdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass es der Bundesregierung sehr ernst ist mit dem im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel: Die Bundesregierung hält es für wirtschafts-, beschäftigungs- und gleichstellungspolitisch gleichermaßen unerlässlich, das Potenzial der gut ausgebildeten Frauen zu nutzen und den Anteil von Frauen in Führungspositionen in dieser Legislaturperiode maßgeblich zu steigern. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksache 17/4638, Fragen 70 und 71): Welche Höhe beträgt das Einsparvolumen insgesamt bei den Elterngeldleistungen aufgrund der Tatsache, dass - teilweise - im Ausland versteuerte Einkünfte seit Januar 2011 nicht mehr als Berechnungsgrundlage für das Elterngeld herangezogen werden, und wie viele Monate insgesamt entfallen bei laufender Zahlung an die Elterngeldbezieherinnen und -bezieher - bitte getrennt nach Geschlecht angeben und, falls nur Schätzungen möglich, diese bitte angeben - auf 2011? Wie bewertet die Bundesregierung die Kürzungen im Zusammenhang mit der Bundesprogrammlehrkraft, wobei Auslandslehrerinnen und -lehrer auch als Repräsentanten für die Bundesrepublik Deutschland verstanden werden müssen, und in welchen anderen Bundesprogrammen - bitte Auflistung - gibt es ebenfalls von der Gesetzesänderung betroffene Elterngeldbezieherinnen und -bezieher? Zu Frage 70: Das Einsparvolumen im Jahr 2011 beläuft sich auf rund 30 Millionen Euro. Für weibliche Elterngeldbezieher, deren Kind im Jahr 2010 geboren wurde, entfallen nach einer groben Schätzung im Durchschnitt rund 6 Bezugsmonate unter das neue Elterngeldrecht im Jahr 2011, für männliche Elterngeldbezieher sind es im Durchschnitt rund 2 Bezugsmonate. Die Schätzung wurde auf Basis der Elterngeldstatistik vorgenommen, wobei angenommen wurde, dass sich die durchschnittliche Bezugsdauer der Elterngeldbeziehenden mit ausländischem Einkommen vor der Geburt nicht von der durchschnittlichen Bezugsdauer aller Elterngeldbeziehenden unterscheidet. Zu Frage 71: Das Elterngeld ist eine Leistung, die aus Steuermitteln finanziert wird und nicht - wie etwa die Grundsicherungsleistungen nach SGB II - bedarfsabhängig ist. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, bei der Berechnung von einkommensabhängigem Elterngeld nur die Erwerbseinkünfte zu berücksichtigen, die nach den steuerlichen Regeln bei der Berechnung der Steuer berücksichtigt werden und mit denen damit grundsätzlich ein Beitrag zum Steueraufkommen geleistet wird. Diese Überlegung trifft auch auf das Einkommen von Bundesprogrammlehrkräften, BPLK, zu, die - vermittelt durch das Bundesverwaltungsamt, BVA, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen - ein Arbeitsverhältnis mit einer Schule im Ausland eingehen und dafür vom BVA an dieses Arbeitsverhältnis gekoppelte finanzielle Zuwendungen erhalten. Der Umstand, dass sie eine staatlich gewünschte und geförderte Tätigkeit ausüben, ändert nichts an der Berücksichtigungsfähigkeit des Einkommens bei der Elterngeldberechnung. Die Anerkennungswürdigkeit der Tätigkeit kann insoweit nicht dazu führen, dass das aufgrund dieser Tätigkeit erzielte Einkommen abweichend von den gesetzlichen Regelungen bei der Elterngeldberechnung berücksichtigt wird. Elterngeldberechtigte, die als Bundesprogrammlehrkräfte tätig sind oder waren, erhalten dementsprechend einkommensabhängiges Elterngeld nur auf den Teil ihres Einkommens, - das zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes, EStG, gehört oder - das in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz versteuert wird und damit nach Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 "im Inland versteuertem Einkommen" gleichgestellt ist - vgl. auch Bundestagsdrucksache 17/3030, Seite 48. Elterngeldberechtigte, die im maßgeblichen Bemessungszeitraum derartige Erwerbseinkünfte nicht oder nur teilweise erzielt haben, erhalten mindestens den Elterngeldmindestbetrag in Höhe von monatlich 300 Euro. Die Auflistung aller Bundesprogramme, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer - zumindest teilweise - nicht im Inland versteuertes Einkommen erzielt haben und damit als Elterngeldbezieherinnen und -bezieher ebenfalls von der Gesetzesänderung betroffen sind, kann angesichts des Umfangs einer solchen Auflistung im Rahmen dieser mündlichen Frage nicht erfolgen. Auf Einkommen, die im Rahmen der Teilnahme an solchen Programmen erzielt werden, werden aber die soeben dargelegten Berechungsgrundsätze in gleicher Weise angewendet. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretä rs Dr. Hermann Kues auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/4638, Fragen 72 und 73): Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der in der Arbeitsgemeinschaft Conterganopfer - Aufbruch 2011 zusammengeschlossenen Conterganinitiativen sowie des Bundesverbandes Contergangeschädigter e. V. - siehe unter anderem Pressemitteilung vom 30. September 2010 - dass trotz des im Jahr 2009 beschlossenen Zweiten Conterganstiftungsänderungsgesetzes die gewährten Hilfen und Entschädigungen unzureichend sind und ein selbstbestimmtes und umfassende Teilhabe ermöglichendes Leben in Würde nicht möglich ist, und gibt es in diesem Zusammenhang Pläne zu Veränderungen im Jahr 2011? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention aus der Kritik der Organisationen der Conterganopfer, dass im Stiftungsrat der Conterganstiftung - einer Stiftung mit Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - drei von fünf Stiftungsratsmitgliedern Regierungsvertreter und nur zwei gewählte Leistungsempfänger der Conterganstiftung sind, zwei freie Stiftungsratsplätze nicht besetzt werden und auch im Stiftungsvorstand die Betroffenen in der Minderheit sind? Zu Frage 72: Grundsätzlich ist die Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland Basis für eine umfassende und nachhaltige soziale Sicherung der Bürgerinnen und Bürger. Auf der Grundlage der geltenden Sozialgesetzbücher werden - orientiert am jeweiligen Bedarfsfall - für Menschen mit Behinderung finanzielle Leistungen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe erbracht. Contergangeschädigten Menschen stehen neben diesen Leistungen des Sozialstaats, abhängig vom Grad der Behinderung, auf Sozialleistungen nicht anrechenbare persönliche Leistungen der Conterganstiftung zu, insbesondere die seit dem 1. Juli 2008 verdoppelten monatlichen Conterganrenten und die seit 2009 erfolgenden zusätzlichen jährlichen Sonderzahlungen. Durch die Änderungsgesetze zum Conterganstiftungsgesetz in 2008 und 2009 sollten vor allem die finanziellen Auswirkungen sowohl der Spät- als auch der Folgeschäden gemildert werden. Dies schließt nicht aus, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen zusätzliche Hilfen benötigt werden. Weiteren Aufschluss hierzu werden die Ergebnisse des am 1. Oktober 2010 begonnenen Forschungsprojekts "Wiederholt durchzuführende Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten contergangeschädigter Menschen" geben. Ziel des Projekts ist es, Handlungsempfehlungen zur weiteren Verbesserung des Lebensalltags contergan-geschädigter Menschen zu erarbeiten. Gegenstand des Projekts ist die systematische Erfassung bereits vorhandener sowie künftig auftretender spezifischer Probleme, Bedarfe und Versorgungsdefizite contergangeschädigter Menschen, um rechtzeitig geeignete und nachhaltige Unterstützungsmaßnahmen anbieten bzw. entwickeln zu können. Durchgeführt wird das Projekt vom Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg. Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts werden im Rahmen eines Zwischenberichts Dezember 2011 vorliegen. Der Endbericht wird zum 31. Oktober 2012 erwartet. Insofern sind im laufenden Jahr keine Veränderungen geplant. Zu Frage 73: Das 2. Änderungsgesetz des Conterganstiftungsgesetzes hat eine Verkleinerung des Stiftungsrates und Direktwahl der Betroffenenvertreter umgesetzt. Damit verbunden ist eine Stärkung des Gewichts der Betroffenenvertreter. Der Stiftungsrat besteht seit dem 1. Dezember 2009 aus insgesamt fünf Mitgliedern: je ein Vertreter von BMFSFJ, BMF und BMAS sowie zwei Betroffenenvertreter. § 6 Abs. 1 des Gesetzes sieht ausdrücklich vor, dass drei Mitglieder vom BMFSFJ im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen, BMF, und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, als Stiftungsratsmitglieder benannt werden. Für die beiden Betroffenenvertreter und ihre Stellvertreter wurde vom BMFSFJ eine Direktwahl durchgeführt. Ein solches Wahlverfahren war in dem Gesetzgebungsverfahren von den damaligen Regierungsfraktionen gewünscht worden. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 60 Prozent. Die Stimmenauszählung erfolgte am 17. November 2009. § 6 Satz ContstiftG legt sieben als maximale Mitgliederzahl des Stiftungsrates fest. Damit soll die Möglichkeit eröffnet werden, zwei wissenschaftliche Expertinnen oder Experten zur Beurteilung von Fachfragen, insbesondere im Hinblick auf Forschungsvorhaben, in den Stiftungsrat zu berufen. Die Conterganstiftung für behinderte Menschen ist eine öffentlich rechtliche Stiftung. Mit der Besetzung des Stiftungsrats durch Vertreter von drei Bundesministerien hat die Bundesregierung bereits seit Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes im Jahr 1972 deutlich gemacht, dass sie sich in der Verantwortung für die Belange der Betroffenen sieht. Die Bundesregierung hält diese Besetzung für sachgerecht. 10028 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 89. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 89. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10027 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 10046 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 89. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 89. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10045