Plenarprotokoll 17/94 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 94. Sitzung Berlin, Freitag, den 25. Februar 2011 I n h a l t : Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/3404, 17/3958, 17/3982, 17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304, 17/4719, 17/4770, 17/4830) Namentliche Abstimmung Ergebnis Zusatztagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte: zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS Manuela Schwesig, Ministerin (Mecklenburg-Vorpommern) Birgit Homburger (FDP) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Katja Kipping (DIE LINKE) Elke Ferner (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Jan Korte (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes (Drucksache 17/4230) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Beate Müller-Gemmeke, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes personenbezogener Daten der Beschäftigten in der Privatwirtschaft und bei öffentlichen Stellen (Drucksache 17/4853) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI Gerold Reichenbach (SPD) Gisela Piltz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Frieser (CDU/CSU) Anette Kramme (SPD) Tagesordnungspunkt 29: a) Antrag der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Quotenregelung für Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich festschreiben (Drucksache 17/4683) b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtergerechte Besetzung von Führungspositionen der Wirtschaft (Drucksache 17/4842) Christel Humme (SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Cornelia Möhring (DIE LINKE) Marco Buschmann (FDP) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Hendricks (SPD) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) Willi Brase (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dorothee Bär (CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD) Rita Pawelski (CDU/CSU) Elke Ferner (SPD) Rita Pawelski (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 31: a) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Vorstand der Deutschen Bahn AG mit fachkundigem Personal besetzen (Drucksache 17/4838) b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.: Umgehend die Konsequenzen aus dem Unglück von Hordorf ziehen (Drucksache 17/4840) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Thomas Lutze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunft der Bahn - Bürgerbahn statt Börsenbahn (Drucksachen 17/652, 17/4828) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Heidrun Bluhm, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.: Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG kompetent und demokratisch besetzen (Drucksachen 17/2189, 17/4829) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Waltraud Wolff, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen (Drucksachen 17/4854) Sabine Leidig (DIE LINKE) Ulrich Lange (CDU/CSU) Sabine Leidig (DIE LINKE) Ulrich Lange (CDU/CSU) Uwe Beckmeyer (SPD) Patrick Döring (FDP) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 32: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gegen das Zwei-Klassen-Internet - Netzneutralität in Europa dauerhaft gewährleisten (Drucksache 17/3688) b) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netzneutralität sichern (Drucksache 17/4843) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD) Claudia Bögel (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jimmy Schulz (FDP) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Hubertus Heil (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 4) Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 4) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Christine Buchholz (DIE LINKE) Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Thomas Dörflinger (CDU/CSU) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Diana Golze (DIE LINKE) Michael Groß (SPD) Annette Groth (DIE LINKE) Heike Hänsel (DIE LINKE) Bettina Hagedorn (SPD) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Andrej Hunko (DIE LINKE) Katja Kipping (DIE LINKE) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Katrin Kunert (DIE LINKE) Sabine Leidig (DIE LINKE) Cornelia Möhring (DIE LINKE) Kornelia Möller (DIE LINKE) Niema Movassat (DIE LINKE) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) Aydan Özoguz (SPD) Jens Petermann (DIE LINKE) Richard Pitterle (DIE LINKE) Yvonne Ploetz (DIE LINKE) Mechthild Rawert (SPD) Ingrid Remmers (DIE LINKE) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) Harald Weinberg (DIE LINKE) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bärbel Bas, Gerd Bollmann, Edelgard Bulmahn, Elvira Drobinski-Weiß, Elke Ferner, Angelika Graf (Rosenheim), Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Josip Juratovic, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Katja Mast, Hilde Mattheis, Manfred Nink, Heinz Paula, Dr. Carola Reimann, Karin Roth (Esslingen), Werner Schieder (Weiden), Kerstin Tack und Rüdiger Veit (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 4) Anlage 5 Nachträglich zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes (93. Sitzung, Tagesordnungspunkt 16) Dieter Jasper (CDU/CSU) Anlage 6 Amtliche Mitteilungen 94. Sitzung Berlin, Freitag, den 25. Februar 2011 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, soweit Sie noch keinen Platz gefunden haben, sich einen der wenigen freien Sitzplätze zu sichern, damit wir in unsere Tagesordnung eintreten können. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Drucksachen 17/3404, 17/3958, 17/3982, 17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304, 17/4719, 17/4770, 17/4830 - Der Berichterstatter zu diesem Themenkomplex im Bundestag, der Abgeordnete Hubertus Heil, wünscht nicht das Wort zur Berichterstattung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Mit einer schriftlichen Erklärung macht er aber auf sechs von Bund und Ländern abgegebene Protokollerklärungen aufmerksam. Diese Erklärung und die Protokollerklärungen nehmen wir zu Protokoll. Das gilt selbstverständlich auch für solche Erklärungen, die einzelne Abgeordnete zu ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten gegebenenfalls zu Protokoll geben wollen.1 Soweit der Wunsch nach mündlichen Erklärungen geltend gemacht werden sollte, schlage ich vor, dies nach der vereinbarten Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt durchzuführen. Das erscheint mir deswegen sachgerecht, weil dann jeder für sich noch einmal die Frage prüfen kann, ob die ihm wesentlichen Gesichtspunkte nicht in der Debatte gerade vorgetragen worden sind. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf der Drucksache 17/4830. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustimmen ist. Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Abstimmungsurnen besetzt? - Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? - Nachdem sich nun auch Mitglieder der Bundesregierung noch rechtzeitig an der Abstimmung haben beteiligen können, schließe ich jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden das Ergebnis der Abstimmung während der Debatte bekannt geben.2 Ich rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf: Vereinbarte Debatte zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in den letzten Wochen immer viel Kraft aus einem Zitat geschöpft (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon wieder ein Plagiat!) - es wurde dazwischengerufen: schon wieder ein Zitat -, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ein gekennzeichnetes!) das vom guten alten Goethe stammt: "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen." Ich finde, jetzt ist die Einigung da. Wir haben viele Steine im Weg gehabt. Jeder Stein ist jetzt an seinem Platz. Ich bin der festen Überzeugung: Wir haben mit dem Bildungspaket etwas richtig Gutes gebaut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Hauptgewinner dieser Reform sind die Kinder, und es sind die Kommunen. Wenn ich mich daran zurückerinnere, wie groß die Zahl der Kritiker des Bildungspaketes noch im letzten Jahr war, dass ich Sätze gehört habe wie "Wo kommen wir denn da hin? Das haben wir noch nie gehabt. Wie soll das denn enden?", und wenn ich heute sehe, wie groß die Zahl der Befürworter ist, dann kann ich nur sagen: Schön, dass das Bildungspaket jetzt so viele Väter und Mütter hat! Das ist der sicherste Beweis dafür, dass der Grundgedanke richtig ist und dass er überzeugend ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Mit dem Bildungspaket denken wir zum ersten Mal in den Hartz-Gesetzen wirklich vom Kind her. Es ist der richtige Ansatz, nicht mehr Geld mit der Gießkanne auszuschütten, sondern etwas im Leben der Kinder ganz konkret zu verändern. Es macht eben einen Unterschied, ob Kinder beim Schulmittagessen danebensitzen und nicht mitessen können oder ob sie daran teilnehmen können. Es macht einen Unterschied, ob sie beim Schulausflug dabei sind. Es macht einen Unterschied, ob ein 16-Jähriger den Schulabschluss durch Lernförderung noch schafft oder ob er die Schule schmeißt. Es macht einen Unterschied für die Kinder - und zwar ein Leben lang -, ob sie ihr Leben selbstständig in die Hand nehmen können oder nicht. Ich weiß, dass es im Verlauf der Verhandlungen viele Kritiker gegeben hat, die vor allem das Trennende aufgezählt haben, das, wo wir nicht einer Meinung waren. Aber ich glaube im Rückblick: Das Bildungspaket ist im Verlauf des Vermittlungsverfahrens so gut geworden, weil es unser gemeinsames Bildungspaket geworden ist. Es gibt einen guten Grund, warum wir uns bei großen sozialpolitischen Reformen bemühen, einen breiten Konsens nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch zwischen den verschiedenen politischen Parteien herzustellen. Keiner hat mehr versucht, das Bildungspaket aufzuschnüren. Ich freue mich, dass es auf die Kinder von Geringverdienern ausgeweitet worden ist. Man hat wirklich gemerkt, dass dieser Gedanke uns gemeinsam am Herzen lag. Die Einigung hat sicherlich nicht so lange gedauert, weil wir so weit auseinander waren, sondern eher, weil wir viel näher am Ziel und beieinander waren und es nicht wirklich wahrhaben wollten und deshalb um jedes Detail so erbittert gerungen haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Der Riss ging quer durch beim Thema Regelsatz. Mir ist völlig klar, dass Teile der Opposition sehr damit hadern, dass sie die Gesetze mit dem Namen Hartz auf den Weg gebracht haben. (Elke Ferner [SPD]: Mit Ihnen zusammen im Vermittlungsausschuss!) Sie haben mir immer wieder gesagt, dass sie nicht noch einmal wegen der Höhe der Regelsätze in Karlsruhe landen möchten. Aber, meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Höhe der Regelsätze angeprangert. (Elke Ferner [SPD]: Die Berechnung, Frau von der Leyen!) Es hat die Intransparenz, die Abschläge und die Schätzung ins Blaue angeprangert. Das haben wir korrigiert. Dazu können wir jetzt stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Völlig intransparent ist für mich allerdings das Verhalten der Grünen. Sie haben noch im Sommer letzten Jahres auf einen neuen Regelsatz von 420 Euro spekuliert. Am Ende der Verhandlungen sind Sie bei 6 Euro ausgestiegen. Wo ist da noch die Nachvollziehbarkeit? Da ging es nicht mehr um konkrete Gründe. Da ging es einfach nur darum, die Flucht nach vorne aus der Verantwortung anzutreten. Damit haben Sie Ihrem Ruf als Dagegen-Partei wahrlich wieder Ehre gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie bei Ihrer handwerklichen Schlamperei! Das ist dreist, Frau von der Leyen!) Es gibt bei dieser Reform neben den Kindern einen weiteren großen Gewinner: Das sind die Kommunen. Sie erhalten durch das Bildungspaket eine schöne Aufgabe, (Lachen bei der LINKEN) eine nachhaltige Aufgabe. Sie werden durch die Übernahme der Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte dauerhaft entlastet. Das sind alleine bis zum Jahr 2020 52 Milliarden Euro. Damit haben wir den Kommunen gegenüber Wort gehalten. Die Kommunen erhalten vor Ort Spielraum für alle Familien und alle Kinder. Der Bund hat sich sehr weit bewegt, damit dieser Anfang auch ein neuer Anfang für die Kommunen sein kann. Darauf sind wir stolz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es sind harte Verhandlungen gewesen. Bei diesem großen und wichtigen Thema ist das auch nachvollziehbar und verständlich. Am Ende stand die Allianz der Vernünftigen, der Konsensorientierten, der Lösungsorientierten. Das gilt auch für die Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit, die zum 1. Mai kommen wird. Das gilt für die Mindestlöhne im Wach- und Sicherheitsgewerbe und in der Weiterbildungsbranche. Ich danke allen Beteiligten, die die Kraft aufgebracht haben, diese große Reform auf den Weg zu bringen: auf der Seite der Koalition, auf der Seite der SPD, im Bund, aber auch in den Ländern. Es ist wahrlich eine gute Tradition, solche großen Themen, die mit vielen Auseinandersetzungen und Konflikten, aber auch mit den richtigen Schwerpunkten verhandelt werden, gemeinsam zu bewältigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Der Weg dahin war mühsam. Ich finde, Politik muss am Ende nicht einen Schönheitspreis gewinnen, sondern sie muss gut sein. Das heißt, sie muss nachhaltig etwas für die Menschen bewegen. Genau das lösen wir mit diesem Gesetz ein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich kann Ihnen nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses bekannt geben: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 433, mit Nein haben gestimmt 132, enthalten haben sich 2 Mitglieder des Hauses. Damit ist die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 433 nein: 132 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Florian Hahn Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Reiner Deutschmann Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Bettina Hagedorn DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Daðdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovic Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Anna Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Agnes Malczak Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Enthalten CDU/CSU Thomas Dörflinger SPD Ottmar Schreiner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich erteile das Wort nun der Ministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD) Manuela Schwesig, Ministerin (Mecklenburg-Vorpommern): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ihnen liegt heute der Vorschlag des Vermittlungsausschusses vor. Es ist ein guter Kompromiss erreicht worden, (Zurufe von der LINKEN: Nein!) wenn auch nicht alles erreicht wurde, was wichtig wäre. Es hat lange gedauert. Es waren harte und zähe Verhandlungen bis auf die letzten Meter; aber am Ende hat es sich gelohnt. Es ist uns gelungen, in drei wichtigen Bereichen Verbesserungen zu erzielen. Wir haben aus dem Bildungspäckchen ein Bildungspaket gemacht. Wir haben Fortschritte beim Mindestlohn erzielt, und beim Regelsatz konnten wir zwei Korrekturen erreichen. Deshalb wird die SPD heute, nach diesen vielen zähen Verhandlungen im Bundestag und im Bundesrat, diesem Kompromiss zustimmen. Aber, sehr geehrte Frau von der Leyen, bleiben wir realistisch: Sozialpolitische Geschichte wird heute hier nicht geschrieben; denn das, was vorliegt, reicht noch nicht, um die Armut in Deutschland zu bekämpfen und die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu beseitigen. Dazu muss es mehr geben: flächendeckende Mindestlöhne, Ganztagskitas, Ganztagsschulen und viel mehr Investitionen in Bildung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin sicher, dass diese große sozialpolitische Reform kommen wird. Sie war in dieser Größe mit der Bundesregierung nicht möglich, weil soziale Gerechtigkeit und Aufstieg durch Bildung auf ihrer Prioritätenliste nicht ganz oben stehen. Unsere Aufgabe konnte deshalb nur sein, den vorliegenden Gesetzentwurf zu verbessern. Das ist uns gelungen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gelungen ist uns dies gemeinsam mit den Grünen. Auch wenn die Grünen heute am Ende nicht zustimmen werden - aus Gründen, die ich teilweise verstehe -, möchte ich Danke sagen für die gute rot-grüne Teamarbeit, danke vor allem dir, lieber Fritz Kuhn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für mich zählt unter dem Strich, was wir erreicht haben und ob es den Menschen nach dieser Reform besser geht. Wir haben erreicht, dass zusätzlich 500 000 Kinder aus Geringverdienerfamilien ein warmes Mittagessen bekommen, in Vereinen gefördert sowie in Kitas und Schulen unterstützt werden. Diese 500 000 Kinder hatte die Bundesregierung vergessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben erreicht, dass 3 000 Schulsozialarbeiter zukünftig die Kinder unterstützen - Menschen für Kinder und Jugendliche anstatt Chipkarten, Automaten und Bürokratie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben erreicht, dass die Kinder nicht zum Arbeitsamt gehen müssen, um sich Essensmarken abzuholen; vielmehr werden die Kinder vor Ort unterstützt, in den Städten und Gemeinden, in den Kitas und in den Schulen. Da, wo sie sind, bekommen sie ihre Unterstützung. Die Kommunen sind die Experten für die Kinder und nicht das Arbeitsamt. Deshalb ist es gut, dass wir die Umsetzung des Bildungspakets in die Hand der Kommunen geben. Ich freue mich darüber, dass wir am Ende diesen Weg gemeinsam gehen, auch wenn Sie sich manchmal selbst am meisten im Weg gestanden haben, Frau von der Leyen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/ CSU und der FDP) Dabei war es uns wichtig, dass die Kommunen das Geld wirklich eins zu eins bekommen. Das ist deshalb wichtig, weil, wenn die Kinder Leistungen bekommen, dann das Geld vor Ort zur Verfügung gestellt werden muss. Ich bin froh darüber, dass wir in der letzten Sitzung des Vermittlungsausschusses parteiübergreifend mit den Ländern knallhart waren und die Istkostenerstattung durchgesetzt haben. (Otto Fricke [FDP]: Was tut ihr Länder denn für die Kinder?) Damit gibt es die Garantie, dass die Leistungen wirklich bei den Kindern ankommen. (Beifall bei der SPD) Wir haben erreicht, dass zukünftig 1,2 Millionen Menschen mit Mindestlöhnen unterstützt werden. Die Hilfe für 170 000 Menschen, die Tag und Nacht Wachdienst schieben, für 25 000 Menschen, die sich in der Weiterbildungsbranche engagieren, und für 900 000 Menschen, die in Leih- und Zeitarbeit arbeiten und einen ordentlichen Job machen, also für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die tagtäglich schuften und davon nicht leben können, war uns wichtig. Das zeigt, dass es richtig war, hartnäckig zu bleiben. Der Mindestlohn gehört zum Existenzminimum und zur Menschenwürde. Deswegen ist es gut, dass wir uns beim Mindestlohn durchgesetzt haben. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der FDP: Wir sind doch hier auf keinem Parteitag!) Auch haben wir erreicht, dass das Thema "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Gesellschaft und in den Medien bewusst diskutiert worden ist und dass uns die Bürgerinnen und Bürger dabei mit großer Mehrheit unterstützen. Es muss so kommen, dass Menschen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Es ist schade, dass wir bei dieser Reform noch nicht weiterkommen. Aber ich verspreche Ihnen: Wir bleiben dran. Wir werden gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchsetzen - entweder mit Ihnen oder mit einer Mehrheit gegen Sie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schwierig waren die Verhandlungen beim Regelsatz. Die Bundesregierung und Union und FDP haben den Regelsatz zum Tabu erklärt. Es sollte keine Korrekturen geben. Deshalb ist es gut, dass trotzdem Korrekturen stattgefunden haben. Der Regelsatz wird nicht nur um 5 Euro steigen, sondern zum 1. Januar 2012 um 8 Euro zuzüglich Preissteigerungen. (Zuruf von der LINKEN: Luxus!) Klar muss sein: Das ist nicht viel Geld. Für die betroffenen Menschen ist es schwer, mit so wenig Geld klarzukommen. Uns war ebenfalls wichtig, dass ehrenamtlich tätige Hartz-IV-Empfänger nicht bestraft werden, sondern dass sie weiterhin ihre Übungsleiterpauschale behalten können. Es darf nicht sein, dass Ehrenamtliche im Jahr des Ehrenamtes bestraft werden. Dafür haben wir uns eingesetzt. (Beifall bei der SPD) Auch für die Menschen mit Behinderung wird es eine Lösung geben. Da nehmen wir Länder und Bundesregierung beim Wort. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten auf den Weg bringen, dass wir Menschen mit Behinderung nicht benachteiligen, sondern dass wir die UN-Konvention in Deutschland leben. (Beifall bei der SPD) Ich will auch sagen, dass für uns die Bedenken beim Regelsatz nicht vollständig ausgeräumt sind. Die Bundesregierung hat hier die juristische Einschätzung abgegeben, dass dies ausreiche. Deshalb müssen Sie dafür die Verantwortung tragen. Zur Teilhabe gehört auch, dass Städte und Kommunen in der Lage sind, Teilhabe zu sichern. Deswegen ist es gut, dass wir sie mit 4 Milliarden Euro entlasten. Auch hier, Frau von der Leyen, nehmen wir Sie beim Wort, dass das nicht zulasten des Arbeitsmarktes gehen kann. Ziehen wir einen Strich unter all diese Punkte. Mit diesem Gesetz wird zwar nicht alles gut sein, aber das Leben für viele Menschen, vor allem für über 2 Millionen Kinder, wird sich wesentlich verbessern. Mir ist wichtig, dass wir gemeinsam ein Gesetz machen, das die Lebenssituation von Menschen verbessert. Deswegen ist es gut, zuzustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir bringen heute dieses Gesetz für mehr Bildung und mehr Mindestlöhne für die Menschen auf den Weg und werden ab morgen dafür kämpfen, dass es so weitergeht: für soziale Gerechtigkeit, mit flächendeckenden Mindestlöhnen, mit mehr Bildung für Kinder und mit einer fairen Unterstützung für sozial Schwache. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Das versprechen wir den Menschen. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, ist die FDP immer noch nervös wie vorhin?) Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede von Frau Schwesig hat noch einmal dokumentiert, dass sich die SPD in keiner Weise entscheiden kann: Auf der einen Seite tragen Sie vor, was Sie Großartiges erreicht haben; auf der anderen Seite haben Sie in Ihrer Rede immer wieder erklärt, dass Sie vollkommen unzufrieden sind und dass Sie sich noch viel mehr gewünscht hätten. (Thomas Oppermann [SPD]: Mit Ihnen sind wir nach wie vor unzufrieden! - Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Damit haben Sie dokumentiert, dass die Koalition in diesem Verfahren den Kurs der Vernunft und der Verfassungskonformität durchgesetzt hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze ist eine gute Nachricht für diejenigen in diesem Land, die die Solidarität der Gemeinschaft brauchen. Wir werden jetzt endlich die 5 Euro Regelsatzerhöhung auszahlen können, die zum 1. Januar dieses Jahres gelten sollte. Endlich sind wir auch in der Lage, das Bildungspaket umzusetzen, das diese Koalition auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist eine gute Nachricht, nicht nur für diejenigen, die die Solidarität brauchen, sondern auch für diejenigen, die das Geld erwirtschaften. Wir haben nämlich durchgesetzt, dass es im Jahr 2011 bei der Regelsatzerhöhung um 5 Euro bleibt. Frau Schwesig, es sind eben nicht 8 Euro zum 1. Januar 2012. Streuen Sie den Menschen keinen Sand in die Augen! Im Jahr 2011 sind es 5 Euro und ab dem Jahr 2012 3 Euro. (Thomas Oppermann [SPD]: Das rechnen Sie uns mal vor! - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da sind Sie wohl auch noch stolz drauf!) Danach folgt der Ausgleich, der nach dem Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, gezahlt werden muss. Das bedeutet, dass wir in diesem Jahr eine Regelsatzerhöhung um 5 Euro haben. An dieser Systematik halten wir fest. Der Vermittlungsausschuss hat ein weiteres gutes Ergebnis erzielt, nämlich dass es keine neuen Sonderbedarfe, beispielsweise in der Mobilität, gibt. Damit ist eine unkontrollierte Ausweitung in einen Nebenregelsatz verhindert worden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Verfahren hat erneut gezeigt: Die Grünen scheuen die Verantwortung wie der Teufel das Weihwasser. Der Regelsatz ist angeblich nicht verfassungskonform. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass das Gesetz, das wir heute im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts reparieren, unter Rot-Grün gemacht wurde. Ihr Gesetz war nicht verfassungskonform, und wir reparieren es. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Terpe? Birgit Homburger (FDP): Ja, bitte. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Homburger, ich habe eine Frage an Sie - wahrscheinlich habe ich Ihre Rede nicht richtig verstanden -: Sie wollen zum 1. Januar 2012 den Regelsatz wieder kürzen? (Elke Ferner [SPD]: Versteht sie selber nicht!) Können Sie uns das noch einmal erklären? (Otto Fricke [FDP]: Meine Güte! Kein Wunder, dass Sie abgelesen haben!) Birgit Homburger (FDP): Herr Kollege, ich erkläre es Ihnen gerne. Eben habe ich erläutert, was wir gemeinsam im Vermittlungsverfahren beschlossen haben, natürlich ohne die Grünen, weil sich die Grünen mal wieder aus der Verantwortung stehlen. Das ist ihr Markenzeichen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Dafür kann ich nichts. Damit müssen Sie leben. Das Vermittlungsverfahren hat folgendes Ergebnis erzielt: Der Regelsatz wird - genau das hat das Bundesverfassungsgericht von uns verlangt - nach den Bestimmungen des neuen Gesetzes transparent errechnet. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt schon mal nicht!) Es wird nicht Pi mal Daumen geschätzt, es wird nicht nach dem Motto "Wünsch dir was" verfahren, sondern es wird klar errechnet, und zwar nach transparenten Kriterien. (Elke Ferner [SPD]: "Wünsch dir was nicht" haben Sie gemacht!) Danach ergibt sich zum 1. Januar 2011 eine Erhöhung um 5 Euro. Zum nächsten Jahr wird es, so wie es das Gesetz vorsieht, eine entsprechende Berechnung geben. Ebenso wird, wie es im Gesetz steht, ein Ausgleich unter Berücksichtigung der Preis- und Lohnentwicklung vorgenommen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie doch sowieso! Deswegen wird es doch noch nicht verfassungsgemäß!) Es gibt auch noch eine entsprechende Veränderung beim Berechnungszeitraum. Das bedeutet, dass wir jetzt umstellen: Die Anpassung findet zukünftig nicht mehr zum 1. Juli statt, sondern zum 1. Januar, wie es das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nicht verstanden, worüber wir verhandelt haben! - Elke Ferner [SPD]: Das steht so im Gesetz!) - Genau, Frau Ferner. Es steht im Gesetz. (Elke Ferner [SPD]: Es stand schon im Gesetz! Das ist gar nicht geändert worden! - Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Elke, du kannst es doch gerne erklären! - Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Besser als sie!) Aber der Kollege hat gerade noch einmal nachgefragt. Es ist ja nicht mein Problem, dass er es noch einmal erklärt haben möchte. Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, es noch einmal zu erklären. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für das erste Halbjahr 2010 - Sie dürfen gerne stehen bleiben, Herr Kollege; ich bin immer noch bei der Beantwortung Ihrer Frage - (Elke Ferner [SPD]: Dann würde ich mal sagen: Setzen, sechs, Frau Homburger!) wird es eine entsprechende Erhöhung geben, nämlich die 3 Euro zum 1. Januar 2012, und dann für den Zeitraum 1. Juli 2011 - - (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Korrigieren Sie das nachher noch einmal im Protokoll!) - Entschuldigung, für den Zeitraum 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 wird es die entsprechende Berechnung geben, wie ich es gerade gesagt habe. Ich stelle fest: Wir haben in diesem Verfahren einen Weg gefunden, um zu erreichen, dass es transparente Berechnungen und ein verfassungskonformes Gesetz gibt. (Elke Ferner [SPD]: Das können Sie noch so lange herunterbeten!) Sie haben die ganze Zeit nach dem Motto "Wünsch dir was" erst 6 Euro mehr, dann 17 Euro mehr, anschließend 3 Euro mehr gefordert. Die Grünen haben zwischendurch einen Regelsatz von 420 Euro gefordert, also 61 Euro mehr. Das ist nicht realistisch. Das macht keinen Sinn. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht gar nicht um die Höhe, sondern um die Verfassungsgemäßheit!) Es geht hier nicht um ein Würfelspiel, sondern um transparente Berechnung. Genau das haben wir an dieser Stelle gemacht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben sich aus der Verantwortung gestohlen, so wie Sie es in vielen anderen Fällen gemacht haben. Sie festigen Ihren Ruf als Dagegen- und Auf-und-davon-Partei. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Schwesig, ich erwarte, dass Sie endlich Schluss machen mit der Märchenstunde. (Elke Ferner [SPD]: Sie sind doch die größte Märchentante in diesem Hause!) Tun Sie doch nicht so, als ob Sie das Bildungspaket erfunden hätten. Rot-Grün hat in seinem Gesetz die Kinder vergessen und sich nicht gekümmert. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht reklamiert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben jetzt ein Bildungspaket auf den Weg gebracht. Für uns steht soziale Gerechtigkeit ganz oben. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Darauf ein Mövenpick-Eis!) Für uns ist Bildung die soziale Frage unserer Zeit. (Beifall bei der FDP) Genau aus diesem Grunde haben wir dieses Bildungspaket so gemacht. Es gibt eine weitere gute Nachricht für die Arbeitnehmer. Wir haben die Zeitarbeit als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt gerettet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Auch das ist ein gutes Ergebnis, das in diesen Verhandlungen erreicht wurde. Die Zeitarbeit, für deren Erhalt wir gesorgt haben, stellt insofern eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt dar, als sie denjenigen, die es schwer haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen, die Chance bietet, auf Dauer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das ist ein großer Erfolg, der zeigt, dass wir an die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land denken und nicht Sie, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Das glaubt Ihnen nicht einmal die CDU! - Weiterer Zuruf von der SPD: Kamelle!) Wir haben ein großzügiges Angebot vorgelegt. Wir sind bis an die Grenze des Finanzierbaren gegangen. (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) Ich sage Ihnen: Wir hätten sehr viel früher zu diesem Ergebnis kommen können. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ohne die FDP!) - Nein, das hat der Richtige dazwischengerufen. Ausgerechnet die SPD war es doch, die mit ihren Maximalforderungen diese Verhandlungen über Wochen hinweg auf dem Rücken der Schwächsten blockiert hat. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir wollen etwas für die Menschen erreichen!) - Sie brauchen nicht dazwischenzurufen, Herr Heil. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In Hamburg entdeckt die SPD die Wirtschaft neu; in Berlin und in Düsseldorf befindet sie sich mit den Linken in einem sozialen Überbietungswettbewerb. Etwas weniger Schwesig und etwas mehr Scholz hätte der SPD gutgetan und dafür gesorgt, dass in diesem Verfahren schon etwas früher ein Ergebnis erreicht worden wäre. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hat es immer noch keiner verstanden! Wie war das noch mit den Regelsätzen? - Thomas Oppermann [SPD]: Worüber haben Sie gesprochen? - Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ahnungslos!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN - Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt kommt "Seine Selbstgerechtigkeit"! Jetzt ducken wir uns schon weg!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Dass Sie mich fürchten, begrüße ich. (Lachen bei der SPD - Thomas Oppermann [SPD]: Da haben Sie mich missverstanden!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Union, FDP und SPD haben sich auf dem Rücken der Ärmsten unserer Gesellschaft auf ein verfassungswidriges Gesetz verständigt, (Beifall bei der LINKEN) das das Urteil des Bundesverfassungsgerichts weitgehend ignoriert und - auch das sage ich - die Hartz-IV-Beziehenden verhöhnt. Außerdem wurden der Rechtsstaat und die Demokratie schwer beschädigt. Führende Politikerinnen und Politiker der SPD haben verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, stimmen aber trotzdem zu. Ich halte das für unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN - Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann man wohl sagen!) Die Grünen haben erst fünf Minuten vor zwölf kalte Füße gekriegt, aber immerhin: Sie haben sie bekommen; das ist ja ein kleiner Fortschritt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halb elf! Wenn ich für kalte Füße dich brauche ... Schnösel! - Heiterkeit) Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit und verantwortlich für Hartz IV, sagte in der Sendung Klipp & Klar des RBB am Dienstag, dass niemand auf Dauer von diesem Regelsatz leben könne. (Zuruf von der CDU/CSU) - Ja, er wies darauf hin, das Ziel sei ja, die Hartz-IV-Beziehenden wieder in Erwerbsarbeit zu bringen. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!) - Ja, aber er und Sie übersehen zwei Tatsachen: Sie übersehen nämlich, dass 860 000 Menschen, die Hartz IV als Grundsicherung im Alter erhalten, überhaupt nicht mehr für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und da auch keine Chance haben. Sie übersehen außerdem, dass, seitdem SPD und Grüne Hartz IV eingeführt haben, das heißt seit knapp sechs Jahren, rund 1,4 Millionen Menschen ununterbrochen Hartz-IV-Leistungen empfangen, weil sie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Warum nicht?) Das heißt, 2,3 Millionen Menschen sind dauerhaft auf Hartz IV angewiesen, wozu Herr Alt von der Bundesagentur sagt, dass man davon dauerhaft nicht leben kann. Nehmen Sie doch einmal zu dieser Tatsache Stellung! (Beifall bei der LINKEN) Der Kompromiss, den Sie gefunden haben, ist scheinheilig, unsozial und unredlich. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!) Ich darf daran erinnern, dass mit dem sogenannten Sparpaket 3,8 Milliarden Euro bei den Leistungen für Hartz-IV-Beziehende gestrichen wurden. Das Elterngeld wurde gestrichen. Die Rentenbeiträge wurden gestrichen. Leistungen für Weiterbildung wurden drastisch gekürzt. Das bedeutet doch, dass die Hartz-IV-Empfangenden sämtliche gefeierten Leistungssteigerungen selbst bezahlen. Das kommt dabei heraus. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Genau das!) Stolz verkünden Sie zum Beispiel - Frau von der Leyen ist ganz stolz darauf -, dass das Bildungspaket um 500 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt wird. Aber die gleiche Summe sparen Sie durch die Streichung des Elterngeldes pro Jahr ein. Das heißt, die Eltern und die Hartz-IV-Kinder finanzieren das Bildungspaket selbst. Das kommt dabei heraus und nichts anderes. (Beifall bei der LINKEN) Stolz haben Sie auch verkündet - damit wurden die Länder geködert -, dass die Grundsicherung im Alter nicht mehr von den Kommunen bezahlt wird, sondern vom Bund. Das ist aber nicht wahr; denn es bezahlt nicht der Bund, sondern es bezahlt die Bundesagentur für Arbeit. Das heißt, es bezahlen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. (Elke Ferner [SPD]: Das zahlen die Mehrwertsteuerzahler!) Soweit die es nicht bezahlen, werden Leistungen gekürzt. Dann geht es wieder zulasten der Erwerbslosen. Nicht aus Steuermitteln wird das Ganze finanziert, sondern aus Beitragszahlungen, und das ist völlig falsch. (Beifall bei der LINKEN - Thomas Oppermann [SPD]: Es sind aber die Mehrwertsteuermittel!) Es ist gut - das begrüße ich auch -, dass 3 000 Schulsozialarbeitsstellen geschaffen werden. Aber die Mittel dafür werden nach drei Jahren wieder gestrichen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da gibt es andere Mehrheiten! - Elke Ferner [SPD]: Nach drei Jahren haben wir andere Mehrheiten!) Es gilt der Grundsatz: Arm, ärmer, Kommune. In drei Jahren sind die Kommunen nicht reicher. Sie wissen schon heute nicht mehr, wie sie ein Bad, eine Bibliothek oder ein Theater bezahlen sollen. Deshalb hätten sie sich niemals auf die Befristung auf drei Jahre einlassen dürfen. (Thomas Oppermann [SPD]: Besser gar nichts, Herr Gysi?) Man hat ein schlechtes Gewissen, etwas einzuführen, wenn man es wieder abschaffen muss. Unbefristet brauchen wir Schulsozialarbeitsstellen. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat die Regelsätze für Kinder ermitteln lassen und kam zu dem Ergebnis, dass die heutigen Regelsätze sogar zu hoch seien. Nur: Ihre Verbrauchsstichproben in Bezug auf Kinder wurden von allen Sachverständigen als nicht repräsentativ qualifiziert. Auch das verstößt gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie stellen 10 Euro im Monat für Kinder für eine Mitgliedschaft in einem Sportverein, für Musikunterricht etc. zur Verfügung. Finden Sie das nicht verhöhnend niedrig? Wer soll denn davon eigentlich was real bezahlen? Rechtsstaat und Demokratie, habe ich gesagt, wurden schwer beschädigt - damit auch das Ansehen der Parteien, und zwar aller Parteien: Erstens. Im Jahr 2008 hat Finanzminister Steinbrück verkündet, dass die Erwachsenenregelsätze um 5 Euro zu erhöhen sind. Sie haben die Vergleichsproben willkürlich so zugeschnitten, bis die 5 Euro herauskamen. Das widerspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie haben die Bezugsgröße geändert. Statt 20 Prozent der unteren Einkommen beziehen Sie nur 15 Prozent ein, damit die 5 Prozent, die schon etwas höher sind, nicht mehr in die Berechnung hineinfallen. Sie haben die verdeckt Armen nicht herausgerechnet. All das verstößt gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. (Beifall bei der LINKEN - Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tricksen und täuschen!) Zweitens. Der ganze Widerstand der SPD endete in willkürlich gewählten weiteren 3 Euro, die aber erst im nächsten Jahr gezahlt werden. Die SPD ist der Union und der FDP also nur 3 Euro wert, und das auch erst in einem Jahr. Das andere, das Sie aufzählen, sind völlig unverbindliche Protokollerklärungen. Die FDP wird selbst gegen die unbefriedigenden Regelungen beim Mindestlohn für die Zeitarbeit tapferen Widerstand leisten. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Alles ungedeckte Schecks!) Drittens. Die Vergleichsprobe bei den Kindern - das habe ich schon gesagt - war unzulässig. Viertens. Dies ist das Entscheidende in Bezug auf das Urteil: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grundsicherung verlangt, die ein menschenwürdiges Existenzminimum und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gewährleistet. Davon sind wir meilenweit entfernt. Wir brauchen neben dieser Grundsicherung natürlich endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, (Beifall bei der LINKEN) der selbstverständlich in verschiedenen Branchen verbindlich überschritten werden darf, und zwar auch, um das Abstandsgebot zwischen Grundsicherungsbeziehenden und Erwerbstätigen zu wahren und aus vielen anderen Gründen. Außerdem ist Ihr Ergebnis illegal zustande gekommen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat bildete eine Arbeitsgruppe unter Ausschluss der Linken. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Falsch!) Erst mithilfe des Bundesverfassungsgerichts wurden wir in die Arbeitsgruppe einbezogen. Ab Mitte Januar tagte sie nicht mehr. Es wurden illegale Kungelrunden organisiert. (Widerspruch bei der FDP - Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Vor der Hamburg-Wahl konnten sich Union, FDP, SPD und Grüne nicht einigen. So entschied der Bundesrat - hören Sie zu! -, erneut den Vermittlungsausschuss anzurufen, und zwar mit den Stimmen aus Brandenburg und Berlin, also auch mit den Stimmen der Linken. Bis Dienstag dieser Woche hat der angerufene Ausschuss nie getagt. Seit Sonntag gibt es aber ein Ergebnis, wieder in einer illegalen Kungelrunde unter Ausschluss der Linken zustande gekommen. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Da müsste die Polizei einschreiten!) Sie wollen verhindern, dass die Linken von Ihren verabredeten Nebendeals erfahren. Aber Sie beschädigen die Demokratie, weil Sie das Wahlergebnis nicht respektieren. (Beifall bei der LINKEN) So wie wir die Wahl der anderen Fraktionen und die Bildung von Landesregierungen respektieren, müssten Sie eigentlich bereit sein, unsere Wahl und unsere Teilnahme an Landesregierungen anzuerkennen. Es tut mir leid: Aber Sie sind undemokratischer als wir, und zwar alle zusammen. (Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) - Hören Sie zu! Ich mache Ihnen jetzt ein schönes Angebot. - Ich denke, wir sehen uns wieder, und zwar vor dem Bundesverfassungsgericht. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Manfred Grund [CDU/CSU]: Vorwärts Genossen! - Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Jetzt haben wir das Eingeständnis: Wir sind undemokratisch!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Gysi, zumindest in der Bemessung der Ihnen zugedachten Redezeit werden Sie eine Benachteiligung gegenüber anderen Fraktionen beim Verfassungsgericht nicht geltend machen können. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Vermittlungsverfahren, das ein Kompromissverfahren ist, muss es informelle Gespräche zwischen allen, die an einer Einigung interessiert sind, geben können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Das ist nichts Illegales, Herr Kollege Gysi. (Widerspruch bei der LINKEN) Als Jurist sollten Sie mit solchen Begriffen vorsichtiger sein. Ich will aber jetzt zur Sache reden. Wir haben nach neun Wochen Verhandlungen dem Kompromiss am Ende nicht zugestimmt, und zwar nicht deswegen, weil wir uns in der Nacht aus der Verantwortung hätten stehlen wollen, sondern weil wir die Regelsätze, wie sie jetzt festgelegt sind, nicht für verfassungskonform halten. Von der Regierung sind keine Vorschläge, mit denen man dies hätte heilen können, unterstützt worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass man dann Nein sagt, heißt eigentlich, Verantwortung zu übernehmen. Jedenfalls haben wir es so interpretiert. Was haben Sie denn bei den Regelsätzen gemacht? Sie haben zunächst die Referenzgruppe arm gerechnet, indem Sie den Anteil der unteren Einkommensbezieher von 20 auf 15 Prozent reduziert haben. Dann haben Sie entgegen der Mahnung des Bundesverfassungsgerichts Zirkelschlüsse ausdrücklich zugelassen, indem Sie die Aufstocker und die verdeckten Armen nicht herausgerechnet haben. Das heißt, Sie haben die Referenzgruppe durch die Verschiebung nach unten arm gerechnet. In einem weiteren Schritt haben Sie Einzelposten so massiv gestrichen - quasi nach der alten Warenkorbmethode -, dass ein Ausgleich zwischen den verschiedenen zugewiesenen Posten nach der Statistikmethode gar nicht mehr möglich ist. Deswegen glauben wir in der Summe, dass Sie ein verfassungswidriges Gesetz vorgelegt haben; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber das wird in Karlsruhe entschieden. Niemand kann - Frau Homburger, da erstaunt mich Ihr Politikverständnis - von einer Fraktion, die dieser Überzeugung ist, erwarten, dass sie dennoch zustimmt und deswegen bis 3 Uhr nachts dableibt. (Birgit Homburger [FDP]: Beim letzten Mal war es Ihnen einfach egal! - Weiterer Zuruf von der FDP: Lassen Sie die Richter entscheiden!) Ich glaube, das ist erklärt. Die Nummer mit der Dagegen-Partei können Sie sich an dieser Stelle sparen. Wir haben - ähnlich wie Manuela Schwesig; ich möchte mich an dieser Stelle auch für die gute Kooperation bedanken - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) die FDP in diesen neun Wochen als verkörperte Instruktion und Obstruktion wahrgenommen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) weil sie nie Kompromissvorschläge auf den Tisch gelegt hat. (Birgit Homburger [FDP]: Einen nach dem anderen haben wir auf den Tisch gelegt! Wir haben den Durchbruch geschafft! Sie sind gegangen!) Frau von der Leyen, was Sie gerade gemacht haben, war wirklich nicht okay. Wir haben einen Kompromissvorschlag nach dem anderen zum Regelsatz gemacht, um zu einer Verfassungskonformität zu kommen, aber Sie haben keine Vorschläge dazu gemacht. Sie haben in einem Kompromissverfahren blockiert. Damit haben Sie der deutschen Politik keinen größeren Gefallen getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Aber ich will jetzt einmal nach vorne schauen. Was heißt das eigentlich für die Zukunft der Hartz-Gesetzgebung? Da, Frau von der Leyen, gibt es einen eklatanten Widerspruch zwischen Ihnen und uns. Sie haben den Kompromiss in einer Feierrede als toll, als Rieseneinschnitt dargestellt. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Zwar ist es richtig, dass das Bildungspaket verbessert worden ist. Wir haben zusammen erreicht, dass die Schnapsidee, dass die Jobcenter für die Umsetzung zuständig sind - bürokratisch mit Gutscheinen oder Chipkarten -, fallen gelassen wurde. Jetzt sollen die Gemeinden das umsetzen, in deren Zuständigkeit dies auch gehört. Aber dennoch folgt für mich aus dem Urteil und den Verhandlungen ein Auftrag an den Gesetzgeber, in Zukunft mehr für die Infrastruktur zu tun, weil die Integration sonst gar nicht funktionieren kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Gegenwärtig gibt es - interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass der Ministerin diese Zahlen in den Verhandlungen zunächst nicht vorlagen - (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!) in nur etwa einem Drittel der Schulen, Kitas und sonstigen Einrichtungen eine Kantine. Das kostenlose Schulessen, für das sie sich feiern lässt, kann derzeit allerhöchstens bei einem Drittel der Einrichtungen ausgebracht werden. Das ist doch ein Schrei nach einer besseren Infrastruktur in unserem öffentlichen Schul- und Kindergartenwesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Eines sei am Rande einmal festgehalten: Diese Schwierigkeiten im Detail, auch die rechtlichen Schwierigkeiten, verdanken wir dem Kooperationsverbot, das fallen muss, wenn wir endlich eine vernünftige Infrastruktur für Bildung und Bildungsteilhabe in Deutschland haben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Der zweite Punkt mit Blick auf die Zukunft ist: Wir werden einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn brauchen; denn auch das folgt aus dem Urteil des Verfassungsgerichts. Das hat die Kanzlerin immer noch nicht verstanden. Sie begründet ihre fehlende Bewegung beim Regelsatz in den Wahlkämpfen noch immer mit dem Lohnabstandsgebot. Das Verfassungsgerichtsurteil bedeutet aber nicht nur, Frau Homburger, dass wir transparente Regelsätze brauchen, sondern auch, dass wir Regelsätze brauchen, die jederzeit und realitätsgerecht, wie das Verfassungsgericht sagt, das Existenzminimum sichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie doch immer noch nicht verstanden!) Das heißt, Sie können ein niedrig angesetztes Existenzminimum nicht mehr mit dem Lohnabstandsgebot begründen. Sie müssen Mindestlöhne einführen und die Schmutzlöhne endlich abschaffen. An der Stelle muss Bewegung her, damit wir die Grundsicherung realitätsgerecht erhalten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Des Weiteren folgt für uns aus dem Urteil - ich weiß nicht, wie das die anderen Parteien sehen; Schwarz-Gelb hat sich dazu jedenfalls nicht geäußert -, dass wir die Hartz-Gesetzgebung gründlich überarbeiten müssen. Ich meine, aus dem Urteil folgt auch - Karlsruhe hat ja festgestellt, dass es ein Grundrecht auf Grundsicherung gibt, das sich aus dem Grundsatz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 des Grundgesetzes ergibt -, dass wir überprüfen müssen, ob es nicht zu viel Diskriminierung und zu viele Sanktionen in den Hartz-Gesetzen gibt und wir die Grundsicherung sanktionsfreier gewähren müssen. Das ist der erste wichtige Punkt. Zweitens müssen wir überprüfen, Frau von der Leyen, ob der alte Satz "Fordern und Fördern" aufgegangen ist. (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD]) Ich meine: Nein, es wird zu wenig gefördert. (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD]) Wenn es in Deutschland 1 Million Dauerarbeitslose gibt und wir einen sozialen Arbeitsmarkt für mindestens 400 000 Menschen brauchen, die nie auf einem normalen Level qualifiziert werden können, dann haben wir doch ein gigantisches Problem in Deutschland. Wir müssen uns deswegen fragen, ob in den Jobcentern die richtigen Instrumentarien, die richtige Betreuung und die richtigen Jobs angeboten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir meinen, dass aus den Diskussionen der letzten Wochen und Monate die Aufgabenstellung folgt, mehr zu fördern. Frau von der Leyen, wenn die Langzeitarbeitslosigkeit dauernd sinken würde, dann müssten wir darüber nicht reden; aber das ist nicht in größerem Umfang der Fall. Ich komme zum Schluss. Wir haben dem Gesetzentwurf nicht zugestimmt, weil wir die Regelsätze für verfassungswidrig halten. Wir sehen die Erfolge, die uns beim Bildungspaket gelungen sind. Ich sage Ihnen voraus: Sie von Schwarz und Gelb werden in den nächsten Monaten beim Thema Mindestlohn in ein Rückzugsgefecht geraten. Das wird sich gewaschen haben; denn Sie können diesen sozialpolitischen Unsinn nicht halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn man in Deutschland ganztags arbeitet und damit nicht seine Familie ernähren kann, dann wird das Leistungsprinzip und, wie ich finde, auch das Sozialstaatsprinzip systematisch ausgehöhlt. Wenn Sie von der FDP auch noch darauf stolz sind, dann verweist das auf Ihre innere Geisteshaltung, aber nicht auf eine vernünftige, kompetente Sozialpolitik. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach langem Ringen ist ein guter Kompromiss entstanden. Herr Kollege Gysi, dieser Kompromiss ist nicht das Ergebnis "illegaler Kungelrunden", sondern das Ergebnis ganz normaler demokratischer Prozesse und Auseinandersetzungen zwischen Parteien. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Nee, nee, nee!) Ich finde es schon sehr bezeichnend, dass Sie sagen, wir seien undemokratischer als Sie. Damit haben Sie eine prima Selbsteinschätzung gegeben. Nur bestehe ich ausdrücklich darauf, dass wir uns in Ihrer Einschätzung nicht einordnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Meine Damen und Herren, die Gewinner dieses zugegebenermaßen komplizierten Prozesses sind zu unserer großen Freude die Kinder und die Kommunen. Die Kommunen werden als Ergebnis dieses Prozesses - anders als Sie, Herr Kollege Gysi, es dargestellt haben - deutlich entlastet und nicht weiter belastet. In Nordrhein-Westfalen kommt es derzeit zu einer gigantischen Umverteilung: Die Kommunen, die ordentlich gewirtschaftet haben, werden bestraft. Diese Kommunen erhalten jetzt Gott sei Dank einen Ausgleich. Die anderen Kommunen erhalten zwar auch Mittel; aber die Kommunen, die jetzt benachteiligt sind, erhalten jetzt wenigstens eine ordentliche Perspektive. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, dass das eine gute Entscheidung war. Aber noch viel wichtiger ist das Ergebnis, das wir zugunsten der Kinder durchgesetzt haben. Herr Kollege Kuhn, meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das darf ich an dieser Stelle sagen: Ich bedaure sehr, dass Sie die Verhandlungen abgebrochen haben und ausgestiegen sind. Ich hätte gedacht, dass Sie sich Ihrer Verantwortung stellen würden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) und mithelfen würden, dass das, was 2004 - das habe ich hier immer betont - von Rot-Grün auf den Weg gebracht worden ist und letztendlich im Vermittlungsausschuss von Union und FDP (Elke Ferner [SPD]: Verschlechtert!) mitgetragen wurde, (Klaus Hagemann [SPD]: Aha!) jetzt wieder gemeinsam in Ordnung gebracht wird. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie sich dieser Verantwortung gestellt hätten. Ich glaube, dass das ein gutes Zeichen für die Demokratie in Deutschland gewesen wäre. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Herr Kollege Schiewerling, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Sie haben eben gesagt, dass die Kommunen die Gewinner seien, weil sie von den Kosten der Grundsicherung im Alter entlastet würden. Es ist erst einmal richtig, dass der Bund die Kosten für die Altersarmut übernimmt, weil schließlich verschiedene Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur mit rentenpolitischen Mitteln zur Altersarmut beigetragen haben. So weit, so schlecht. Nun soll die Bundesagentur für Arbeit die Kosten übernehmen. Bedeutet das nicht, dass letztendlich die Arbeitslosen selber die Einsparungen tragen müssen, ebenso die Beschäftigten bzw. die Versicherten, deren Beiträge zur Arbeitslosenversicherung deswegen erhöht werden könnten? Aus meiner Sicht ist das eine Pervertierung des Gedankens, Erwerbslose zu fördern; eigentlich müssten die Leistungen für Erwerbslose und ihre Familien mit dem Gesetz erhöht und nicht gekürzt werden. Was sagen Sie dazu? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ich sage dazu: Ich bedanke mich bei Ihnen herzlich dafür, dass Sie bestätigt haben, dass die Kommunen entlastet werden; denn das war meine Kernaussage. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Frage der Gegenfinanzierung und die Frage, wie wir das Geld zusammenhalten - das ist ein völlig anderes Thema; dazu werde ich gleich noch etwas sagen, weil mir das wichtig ist -, stehen auf der anderen Seite. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das gehört aber zusammen!) Ich bin mir sicher, dass nicht die Arbeitslosen den Beitrag der Bundesagentur für Arbeit zu entrichten haben. Ich bin mir auch sicher, dass wir bei abnehmender Arbeitslosigkeit gerade im Bereich des Arbeitslosengeldes I über Möglichkeiten verfügen, flexibel auf die Situation zu reagieren, und dass wir ebenso verantwortungsbewusst, wie wir die Kommunen entlastet haben, die Gegenfinanzierung organisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Bei der beruflichen Weiterbildung wird gekürzt!) Ich möchte einen Hinweis zu der Hilfe für die Kinder geben. Frau Ministerin Schwesig, ich finde es etwas abenteuerlich, wenn Sie so tun, als wäre das Bildungspaket und die Hilfe für die Kinder von Ihnen organisiert worden. (Elke Ferner [SPD]: Jetzt reicht es aber!) 2004 sind Sie noch nicht einmal auf die Idee gekommen. Wir haben ein Paket vorgelegt, das zu 100 Prozent umgesetzt wird (Elke Ferner [SPD]: Stimmt doch gar nicht!) und das in seinen Grundstrukturen lediglich durch unsere erklärte Zustimmung auch auf die Kinder, deren Eltern Wohngeld beziehen, erweitert wird. (Elke Ferner [SPD]: Warum haben Sie es nicht gleich gemacht?) Ansonsten ist das Bildungspaket von Frau von der Leyen geprägt, gestaltet, konzipiert und auf den Weg gebracht worden. Es wird ein erfolgreiches Instrument werden, (Elke Ferner [SPD]: Weil wir etwas verändert haben, war es erfolgreich!) an dem erstmals auch die Kinder in umfänglicher Weise partizipieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schiewerling, darf Ihnen auch noch Frau Enkelmann eine Zwischenfrage stellen? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Präsident, das ist gemäß Geschäftsordnung keine Zwischenfrage, sondern eine Zwischenbemerkung. Ich habe im Vermittlungsausschuss die Frage zur Gegenfinanzierung der Übernahme der Kosten für die Grundsicherung durch den Bund gestellt und darauf hingewiesen, dass die Bundesagentur für Arbeit bereits in diesem Jahr ein Defizit von 5 Milliarden Euro hat und jetzt durch die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung zusätzlich belastet wird. Ich habe gefragt, wie das ohne Leistungskürzung funktionieren soll. Daraufhin hat mir die Ministerin geantwortet, man könne über Darlehen nachdenken, die der Bund an die Bundesagentur vergibt. Aber die Gewährung von Darlehen bedeutet in der Konsequenz die Kürzung von Leistungen und möglicherweise Beitragssteigerungen. Das war die Aussage im Vermittlungsausschuss. Das ist der Stand heute. (Beifall bei der LINKEN) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Auch eine Stellungnahme von mir: Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit sind etwas völlig Normales. Sie hat es in der Vergangenheit immer gegeben. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Zuschüsse!) Das ist ein bewährtes Finanzierungsmittel. Sie werden wieder zurückgezahlt, spätestens dann, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt. Da wir uns in einem wirtschaftlichen Aufschwung beispiellosen Ausmaßes befinden und die Arbeitslosenzahlen sinken, haben wir die berechtigte Hoffnung, dass wir das so finanzieren können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich möchte auf das Bildungspaket zurückkommen. Ich habe die große Hoffnung, dass die über 700 Millionen Euro - ich möchte die zusätzlichen Leistungen, die für die Organisation erbracht werden, bewusst nicht in den Mittelpunkt stellen -, die den Kindern an Leistungen unmittelbar zugutekommen, auch tatsächlich von den Kindern und deren Familien in Anspruch genommen werden. Es würde mich sehr freuen, wenn jetzt Kindern Mut gemacht wird, sich auf den Weg zu machen - zu Sportvereinen, Verbänden oder anderen Organisationen - und ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Ich bin sicher, dass dies ein wichtiges Zeichen ist. Hier liegt viel Verantwortung bei den Kommunen. Sie bekommen nicht nur Geld für die Umsetzung des Paketes; sie tragen auch die Verantwortung dafür. Ich hoffe sehr, dass die Kommunen dies in umfänglicher Weise wahrnehmen. Ich halte diesen Weg für geeigneter als den Weg über die Schulsozialarbeit. Ich bin der Letzte, der nicht sieht, dass es notwendig ist, dass wir Schulen in Brennpunkten über Schulsozialarbeit begleitende Hilfen geben. Aber es ist nicht die Aufgabe des Bundes, Schulsozialarbeit zu finanzieren. Das ist Aufgabe der Länder. Wir sind nicht dazu da, 45 000 Sozialarbeiter in 45 000 Schulen unterzubringen. Um dieses Problem müssen sich die Länder kümmern; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sonst fangen wir auch noch auf der Bundesebene an, Mittel zu verteilen. Deswegen ist es der richtige Weg, die Kommunen in den Mittelpunkt zu stellen, sie finanziell entsprechend auszustatten und ihnen die Möglichkeit zu geben, die personellen Voraussetzungen zu schaffen, damit den Kindern, die auf diese Hilfe angewiesen sind, effizient geholfen werden kann. Die Regelsätze sind korrekt errechnet. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt nicht!) Ich sage Ihnen das an dieser Stelle frank und frei. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Anfang des vergangenen Jahres haben wir in der Koalition vereinbart, dass, was auch immer geschieht, die Regelsätze verfassungskonform auszugestalten sind. Wir wollen kein zweites Mal vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Das ist die Maßgabe in der Koalition. (Elke Ferner [SPD]: Die Maßgabe waren 5 Euro, Herr Schiewerling!) Ich bin ganz sicher, dass das Bundesarbeitsministerium, dass die Bundesarbeitsministerin nicht nur korrekte Zahlen vorgelegt hat, sondern auch verfassungskonforme Zahlen und dass diese Zahlen auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. (Elke Ferner [SPD]: Mehrfach verrechnet haben Sie sich!) Wenn wir davon nicht überzeugt wären, würden wir diesem Gesetz heute nicht zustimmen. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass dagegen geklagt werden kann, gehört zu der Freiheit, die wir in unserem Staat haben. Aber eine Klageandrohung bedeutet noch nicht, dass man recht bekommt. Deswegen warten wir erst einmal das Urteil ab, das kommen wird, wenn eine Klage eingereicht wird. Ich möchte kurz auf einen weiteren Punkt eingehen. Mit liegt sehr am Herzen, dass wir bei allem, was wir tun, bei allen berechtigten Leistungen, die wir den Hilfeempfängern gewähren, immer im Blick behalten, dass dies finanzierbar sein muss. Es muss immer im Blick behalten werden, dass dies durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu erwirtschaften ist. Es ist im Blick zu behalten, dass gerade diejenigen, die erwerbstätig sind und deren Einkommen knapp über den Transferleistungen liegt, von ihrem Einkommen Steuern zahlen und dadurch letztendlich die Leistungen mit finanzieren. (Elke Ferner [SPD]: Immer noch nichts verstanden!) Es gehört auch zur sozialen Gerechtigkeit in Deutschland, die Leistungsträger in unserer Gesellschaft - dazu gehören die Kindergärtnerinnen, die Krankenpflegerinnen und all die Menschen, die sich täglich abmühen - nicht mit dem zu überfordern, was sie zur Finanzierung des Sozialstaates und der berechtigten Ansprüche der Leistungsempfänger aufzubringen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Deshalb bremsen Sie bei den Mindestlöhnen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schiewerling, kurz vor Ende Ihrer Redezeit würde die Kollegin Kipping auch gerne noch eine Bemerkung machen. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Dass mir das Glück noch zuteil wird, Frau Kollegin. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Extra zum Wochenende!) Katja Kipping (DIE LINKE): Herr Schiewerling, zu den Ergebnissen des Vermittlungsausschusses gehören auch diverse Protokollerklärungen. Eine davon beschäftigt sich mit der Regelbedarfsstufe 3. Ich muss jetzt Sie dazu befragen, weil vor zwei Tagen der im Ausschuss anwesende Staatssekretär nicht in der Lage war, uns eine klare Auskunft darüber zu geben, wie diese Protokollerklärung zu interpretieren ist. (Birgit Homburger [FDP]: Das geht gar nicht! Staatssekretäre sind immer in der Lage, eine Antwort zu geben!) Ich finde es im Übrigen höchst problematisch, wenn Sie uns heute auffordern, unsere Hand für dieses Gesetz zu heben, obwohl zentrale Sachen nicht geklärt sind. Nur zur Erläuterung: Regelbedarfsstufe 3 bedeutet, dass bedürftige erwachsene Menschen mit einer Behinderung, die mit anderen Erwachsenen zusammenleben, in Zukunft nicht mehr 100 Prozent des Regelsatzes, sondern nur noch 80 Prozent bekommen. Das heißt, dass mit der Regelung, die Sie neu eingeführt haben, erwachsenen Behinderten jeden Monat noch einmal 68 Euro genommen werden würden. Die Protokollerklärung lautet: Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel, Menschen mit Behinderung ab dem 24. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft. Nun ist meine Frage: Was heißt das? Wann soll das überprüft werden? Warum hat man das nicht sofort in das Gesetz übernommen und die neu eingeführte Regelbedarfsstufe 3 einfach gestrichen? Heißt das, dass das am Sankt-Nimmerleins-Tag überprüft werden soll? Müssen wir jetzt vier Jahre warten? Oder können wir darauf hoffen, dass das sofort erfolgt und rückwirkend zum 1. Januar 2011 umgesetzt wird? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Schönen Dank, Frau Kollegin, für die Frage. Erstens. Der anwesende Staatssekretär hat die meines Wissens richtige Antwort gegeben. Er hat im Ausschuss gesagt, dass man sich noch in den Verhandlungen befindet. Deswegen konnte er auch nicht mehr dazu sagen. Zweitens. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist das, was Sie gerade vorgetragen haben, dass nämlich die Regelbedarfsstufe 3 überprüft wird. Das ist am Dienstag beschlossen worden. Die Prüfung ist heute, am Freitag, noch nicht abgeschlossen. Wann sie abgeschlossen wird, werden wir sehen. Ich hoffe, dass dies dann auch zielorientiert stattfindet. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das steht in den Sternen!) Drittens. Zum sachlichen Gehalt Ihrer Frage: Es ist richtig, dass ursprünglich vorgesehen war, die Regelbedarfsstufe 3 für Behinderte, die über 25 Jahre alt sind und im Haushalt der Eltern wohnen, abzusenken. Die Begründung lautete, dass wir entsprechende Zusatzzahlungen und Zusatzleistungen für Behinderte auf anderen gesetzlichen Grundlagen haben, die weit über das hinausgehen, was selbst die oberste Spitze der Regelbedarfsstufe 3 ausmachen würde. (Elke Ferner [SPD]: Lächerlich!) Das Ganze wird jetzt in die Prüfung mit einbezogen, gut abgewogen, und das Ergebnis wird schließlich im Deutschen Bundestag zur Abstimmung gestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, dass wir mit dem heutigen Tag den zweiten Teil der Reformen zum Zweiten Buch Sozialgesetzbuch abschließen. Der erste Teil war die Organisationsreform. Das haben wir im Sommer letzten Jahres gemeinsam gemacht. Der zweite, wesentlich emotionalere Teil ist der Teil der Regelsätze. Er ist deswegen so emotional gewesen, weil wir es bei dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch mit dem kompliziertesten Sozialgesetz in Deutschland zu tun haben, von dem Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Bildungspolitik und Familienpolitik, Bund, Länder und Kommunen betroffen sind. Das macht die Komplexität dieses Gesetzes aus. So zu tun, als hätte jemand in diesen hochkomplexen Fragestellungen eine einfache Lösung, ist eine glatte Irreführung im Land. Es ist komplex. Es ist schwierig. Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt. Wir stellen uns auch der dritten Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, nämlich die Instrumentenreform so zu gestalten, dass die Hilfe passgenau bei den Menschen ankommt; denn unser Ziel bleibt es - das ist die Aufgabe des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, von Arbeitslosengeld II oder Hartz IV, wie es im Volksmund heißt -, Menschen in Beschäftigung zu bringen und ihnen so eine Perspektive zu geben, dass sie mit ihrer eigenen Hände und Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen können. Diesem Ziel bleiben wir verpflichtet. Es ist der eigentliche Geist des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Elke Ferner ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wenn der Geist des SGB II so ist, wie Herr Schiewerling es gerade gesagt hat, dann frage ich mich natürlich, warum diese Koalition die aktive Arbeitsmarktpolitik bei den letzten Haushaltsverhandlungen und Haushaltsberatungen so rasiert hat, dass die Argen und die Jobcenter überhaupt nicht wissen, ob sie in diesem Jahr noch neue Maßnahmen anfangen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Schiewerling, ich möchte noch einmal auf das Thema Bildungspaket zurückkommen. Sie haben eben so getan, als sei das, was jetzt beschlossen worden ist, alles Ihre Erfindung. Sie haben, weil die Ministerin es so wollte, zusammen mit der FDP ein Bildungspaket beschlossen, das an Bürokratie nicht zu überbieten war. Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist. Auf alle Fälle haben mich während der Zeit der Neujahrsempfänge alle Kommunalpolitiker, ob von SPD, von CDU oder von anderen Parteien, gebeten, um Gottes willen die Gutscheinlösung, die Chipkartenlösung nicht zu machen, um Gottes willen die Jobcenter und die Argen nicht zu einem Bundesjugendamt zu machen. Genau das aber haben Sie hier mit Mehrheit im Bundestag beschlossen. Wir haben es im Vermittlungsausschuss zusammen mit den Grünen erreicht, dass das nachhaltig geändert worden ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ohne dieses Vermittlungsverfahren wären weniger Kinder anspruchsberechtigt. Dass jetzt auch die Kinder von Wohngeldempfängern in den Genuss des Bildungspakets kommen, ist nur deshalb so, weil es dieses Vermittlungsverfahren gegeben hat. Sie haben hier im Deutschen Bundestag etwas anderes beschlossen. Auch Ihre Länder im Bundesrat haben etwas anderes beschlossen. Sie hatten dafür nur keine Mehrheit. Ein weiterer Punkt ist, dass wir einen Einstieg in die Schulsozialarbeit bekommen haben. Natürlich kann man Schulsozialarbeiter gut oder schlecht finden, Herr Schiewerling. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Ich finde sie gut, nur will ich sie nicht bezahlen! Das sollen die Kommunen tun!) Aber ich finde es eigentlich besser, dass Kinder dort, wo sie sind, nämlich in den Schulen, in den Kitas, in den Horten, an die Hand genommen werden, damit sie in den Genuss des Bildungspakets kommen, als wenn die Eltern auf irgendein Amt gehen und einen Antrag stellen müssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das ergibt sich schon aus den Problemen, die an den Brennpunktschulen und -einrichtungen vorhanden sind, wo ohnehin Schulsozialarbeit angesagt ist. Ferner haben wir einen Einstieg in Mindestlöhne erreicht. (Zuruf von der LINKEN: Ach!) - Ja, das ist so. - Für die auf der ganz linken Seite, die es nicht wissen: Es ist üblich - das ist über die gesamten Jahre der Republik und auch über alle Vermittlungsverfahren so eingehalten worden -, dass, wenn Protokollerklärungen gemacht werden, das dann auch im Anschluss in der Gesetzgebung umgesetzt wird. Darauf können Sie sich genauso verlassen, wie wir uns darauf verlassen, wenn wir in der Opposition sind, und genauso wie wir uns daran halten, wenn wir in der Regierung sind. Sie werden erleben, dass wir noch vor dem 1. Mai Regelungen für die Leiharbeit haben werden, dass Mindestlöhne bei der Aus- und Weiterbildung, beim Wach- und Sicherheitsgewerbe und, wie gesagt, für die Leiharbeit kommen werden. Sie werden es erleben. (Birgit Homburger [FDP]: Das ist schon im Gesetz!) Ihnen wird das nicht gefallen, weil das ein weiterer Punkt ist, bei dem wir uns durchgesetzt haben, während Sie sich einer Lösung verweigert haben. (Beifall bei der SPD) Wir haben natürlich auch über die Regelsätze diskutiert. Ich bleibe dabei: Es gibt nach wie vor gravierende Bedenken bei der Frage der Zirkelschlüsse, bei der Frage des internen Ausgleichs und bei der Frage der Größe der Referenzgruppe. Frau von der Leyen, wir haben Ihnen zu allen Punkten Vorschläge gemacht. Wenn Sie heute Morgen hier behaupten, es sei um x Euro gegangen, dann ist das schlicht und ergreifend falsch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!) Sie versuchen hier, die Tatsachen zu verdrehen. Wir haben immer gesagt: Wir wollen eine bessere Methode, die das Ganze verfassungsfester macht. Wir wussten, dass wir es im Vermittlungsverfahren sowieso nicht ganz verfassungsfest hinbekommen würden. (Birgit Homburger [FDP]: Wieso stimmen Sie denn dann zu?) Am Ende der Berechnung mit einer bestimmten Methode steht ein Betrag und nicht umgekehrt, wie Sie das gemacht haben. In der Rede von Frau Homburger ist ganz deutlich geworden, dass die 5 Euro das Maß der Dinge waren. Die Gesichtswahrung der Ministerin war das Maß der Dinge. (Birgit Homburger [FDP]: Nein!) Frau Homburger, wissen Ihre Kollegen, dass durch die Umfirmierung der Warmwasserkosten, die Sie vorgenommen haben, die eigentliche Regelsatzerhöhung zum 1. Januar dieses Jahres nicht 5 Euro, sondern 5 Euro plus 8,47 Euro, sprich: 13,47 Euro beträgt? Wissen Ihre Kollegen und Kolleginnen das? Nein, das wissen sie nicht. Frau Homburger, offenbar wissen Sie das selbst nicht. (Beifall bei der SPD - Patrick Döring [FDP]: Das ist nicht umfirmiert worden!) - Bitte? (Patrick Döring [FDP]: Das ist nicht umfirmiert worden! - Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Seit wann haben Sie denn Ahnung davon? - Gegenruf des Abg. Patrick Döring [FDP]: Mehr als Sie glauben!) - Natürlich ist das umfirmiert worden. Bisher waren die Warmwasserkosten in den Regelsätzen enthalten. Jetzt sind sie in den Kosten der Unterkunft enthalten. Am Ende werden nicht alle Hilfeempfänger unter dem Strich 564 Euro haben. Diejenigen, die ihr Warmwasser mit Strom aufbereiten, werden 564 Euro plus 8,47 Euro haben, und bei denjenigen, die ihr Warmwasser mit der Heizung erzeugen, werden 6,43 Euro weniger abgezogen. Offenbar wissen Sie das nicht, Frau Homburger. (Birgit Homburger [FDP]: Rechnen Sie sich das Ding schön! Ist okay! Peinlich! - Patrick Döring [FDP]: Was ist daran falsch? - Otto Fricke [FDP]: Was ist daran falsch?) - Daran ist nichts falsch, (Patrick Döring [FDP]: Danke!) aber Sie verheimlichen das. Jetzt will ich Ihnen noch einmal sagen, was daran falsch ist, Herr Fricke. Sie haben durch die Umbucherei, die Sie vorgenommen haben, um Ihre eigenen Kollegen und die Öffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Regelsatzerhöhung hinwegzutäuschen, einen Fehler gemacht. Das Gesetz, das Sie beschlossen haben, war schon allein deshalb verfassungswidrig, weil Sie für diejenigen, die ihr Warmwasser mit Strom aufbereiten, weder im Regelsatz noch bei den Kosten der Unterkunft einen Posten hierfür vorgesehen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Insofern können Sie froh sein, dass es ein Vermittlungsergebnis gegeben hat. Wir haben zugestimmt. Unter dem Strich sind wir zu einem anderen Ergebnis gekommen als die Grünen. Erstens glauben wir, dass die Regelsatzfrage so oder so in Karlsruhe entschieden wird. Zweitens. Wenn man es bei der alten Regelung, die bekanntermaßen verfassungswidrig ist, belassen hätte, wäre weder für die Kinder etwas erreicht worden - bei dem Bildungspaket geht es um Teilhabe -, noch wären hinsichtlich der Mindestlöhne Fortschritte erzielt worden. Was ich zutiefst bedauere, ist, dass sich die Koalition - ich meine insbesondere die Parteien und die Fraktion mit dem C im Namen - nicht in der Lage sah, bei der Regelbedarfsstufe 3 insbesondere die Schlechterstellung der Menschen mit Behinderungen, die von ihr verursacht worden ist, schon jetzt zu korrigieren. Ich kann Ihnen schon jetzt eine Ansage machen: Wenn das Ministerium nicht in einem positiven Sinne prüft - so haben wir und, ich hoffe, auch Sie das gemeint -, werden wir in dieses Haus einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen. Dann kann sich die schwarz-gelbe Koalition entscheiden, ob sie für Menschen mit Behinderungen etwas tun will oder nicht. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Heinrich Kolb das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte fast am Ende dieser Debatte noch einige Anmerkungen machen, zunächst an Ihre Adresse, Frau Schwesig. Sie haben nach langen, zähen Verhandlungen, die mit einem Kompromiss beendet wurden, hier eine Rede gehalten nach dem Motto: Wir stimmen zu, aber wir bekennen uns nicht dazu. Das finde ich sehr bemerkenswert und nicht akzeptabel. Ihre siebenminütige Meckerrede, Frau Schwesig - das muss ich Ihnen noch mit auf den Weg aus dem Plenarsaal geben -, zeigt deutlich, wie wenig Sie am Ende tatsächlich erreicht haben. Das ist hier sehr klar geworden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Manfred Grund [CDU/CSU]: Und wie wenig sie von Parlamentarismus hält! Das ist ungeheuerlich!) Die zweite Anmerkung geht an das Team Rot-Grün. Herr Kuhn, Frau Ferner, Herr Oppermann - ich spreche Sie stellvertretend an -, Sie sind wahrlich kein Dream-Team; das muss man sagen. (Thomas Oppermann [SPD]: Aber wir arbeiten daran!) Sie sind eine Schönwettertruppe, und wenn es ernst wird, dann laufen Sie auseinander. Mit einer solchen Methode ist kein Staat zu machen. Das will ich an Ihre Adresse sehr deutlich sagen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Räumen Sie erst einmal Ihren Hühnerhaufen auf!) Die dritte Anmerkung geht an Herrn Kuhn; er ist gerade in ein Gespräch mit Herrn Heil vertieft. Herr Kuhn, Sie haben gesagt, die FDP hätte Obstruktion betrieben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau!) Das haben wir wirklich nicht, aber wir haben auch nicht zu allem, was Sie gefordert haben, Ja und Amen gesagt. Das war auch gut und richtig so. (Beifall bei der FDP) Dadurch ist es uns gelungen, Ihre Liste von Maximalforderungen sehr deutlich auf ein erträgliches Maß zu verkürzen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]) Das wird beispielsweise bei der Frage der Mindestlöhne deutlich. Es ist nicht richtig, Frau Ferner, hier zu sagen: Es gibt jetzt für 1,2 Millionen Beschäftigte neue Mindestlöhne. So ist es nicht. Es gibt bereits für 900 000 - jetzt sind es wohl eher 950 000 - Zeitarbeiter einen tariflichen Mindestlohn. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Caren Marks [SPD]: Den Blödsinn haben Sie gestern schon erzählt!) Er wird in dieser Höhe auch Grundlage für die absolute Lohnuntergrenze, die wir einziehen wollen, sein. Ihr Erfolg besteht darin - auch das will ich sagen -, dass Sie für polnische und litauische Zeitarbeiter höhere Löhne erkämpft haben. Die Sozialistische Internationale wird Ihnen das danken, (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) rühmen für die deutschen Zeitarbeiter dürfen Sie sich mit dieser Tat aus unserer Sicht jedenfalls nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Schwesig hat hier am Ende zu Equal Pay gesagt: Na ja, gut, dass wir einmal darüber gesprochen haben. - Das war es nicht. Ich will darauf hinweisen, dass sich, nachdem wir als FDP im Frühsommer dieses Thema in der politischen Debatte mit angestoßen haben, sehr viel bewegt hat. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gar nichts!) Es ist deutlich geworden, dass es für die gesellschaftliche Akzeptanz der Zeitarbeit erforderlich ist, dass die Heranführung der Bezahlung der Zeitarbeiter an die der Stammbelegschaften auf einer Zeitschiene stattfindet. Wir sind der Meinung - anders als Sie -, dass das Sache der Tarifpartner sein soll. Sie sollen Branche für Branche in einem fein ausdifferenzierten Netz entscheiden, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist. Der Gesetzgeber kann allenfalls eine Auffangfrist definieren. So haben wir uns in den Verhandlungen eingebracht. Ich stelle fest: Wir sind mit diesem Kompromiss zufrieden. Wir bekennen uns auch dazu. Der Regelsatz ist verfassungsfest. Wenn Sie, Frau Ferner, hier heute zugestimmt haben, dann dokumentieren Sie das konkludent mit Ihrem Stimmverhalten. (Elke Ferner [SPD]: Falsch! Nein! Das tun wir eben nicht!) Das Bildungspaket wird vor Ort umgesetzt. Das ist das Richtige für die Kinder und wird deutlich verbesserte Chancen für die Kinder von Hartz-IV-Beziehern und von Kinderzuschlags- und Wohngeldberechtigten schaffen. (Caren Marks [SPD]: Es fällt Ihnen schon schwer, das Wort auszusprechen! - Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben nichts dazu beigetragen!) Beim Arbeitsmarkt sind die Verhandlungen mit minimalen Zugeständnissen ausgegangen. Deswegen freue ich mich heute, dass es gelungen ist, dieses Kapitel abzuschließen. (Elke Ferner [SPD]: Es ist noch nicht abgeschlossen, Herr Kolb!) Wir werden sicherlich neue Themen finden, über die wir streiten können. Ich bedanke mich bei allen, die in diesen Verhandlungen hart, aber fair miteinander gerungen haben und dieses Ergebnis möglich gemacht haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine solche Debatte bietet immer wieder, auch wenn schon viel gesagt worden ist, erstaunliche Erkenntnisgewinne. Lieber Herr Gysi, wenn Sie sich an dieses Rednerpult stellen und sagen, das Verfahren sei undemokratischer als Ihre eigene Partei, dann geben Sie konkludent zu - das ist etwas, was ich nie behaupten würde -, dass die Linke eine undemokratische Organisation ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Ich würde das schon behaupten!) Lieber Herr Gysi, für diese Aufklärung danke ich Ihnen ausdrücklich. Wir können es schwarz auf weiß im Protokoll dieser Plenardebatte nachlesen. Herzlichen Dank, ich habe wieder etwas dazugelernt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Zu den Inhalten des Vermittlungsergebnisses wurde bereits einiges ausgeführt. Nachdem momentan in vielen Medien über den Zeitablauf ein bisschen kritisch berichtet wird, bietet diese Debatte, glaube ich, die Gelegenheit zur Richtigstellung: Wir hatten am 9. Februar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erhalten. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Letzten Jahres!) - Völlig korrekt, Herr Heil, am 9. Februar 2010 war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. - Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe lag uns im September vor. Aus dieser Einkommens- und Verbrauchsstichprobe - es ist wichtig, darauf noch einmal hinzuweisen -, die immerhin die Befragung von 60 000 Haushalten umfasst, wurden verlässliche, belastbare Zahlen zugrunde gelegt, um die Regelsätze neu zu berechnen. Diese wurden im Herbst letzten Jahres in das gesetzgeberische Verfahren eingebracht. Im Dezember wurde das Ergebnis vom Bundesrat nicht mitgetragen. Dann wurde in den letzten acht Wochen verhandelt. Jetzt haben wir ein Ergebnis. Viel schneller wäre es auch bei einem geordneten Gang der Dinge - ohne Schätzungen, ohne grobes Pi-mal-Daumen-Rechnen - überhaupt nicht gegangen. Dafür danke ich unserer Ministerin. Dafür danke ich auch all denen, die an der Regelsatzermittlung mitgewirkt haben, an dieser Stelle sehr herzlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich darf in meinen Dank auch die Genossinnen und Genossen von der SPD einbeziehen. (Elke Ferner [SPD]: Ich bin nicht Ihre Genossin! - Thomas Oppermann [SPD]: Wollen Sie vielleicht in unsere Genossenschaft eintreten?) Ich weiß: Ich habe erst vor ein paar Wochen hier gestanden und an Sie, Frau Kollegin Lösekrug-Möller, appelliert, noch einmal Rücksprache mit Ihren Ministerpräsidenten und Ihren Oberbürgermeistern zu halten. Das Ergebnis, das wir heute gefunden haben - die Entlastung der Kommunen um immerhin über 4 Milliarden Euro, bis 2014 aufwachsend -, ist eine grandiose Geschichte. Das kann man den Kommunen gar nicht deutlich genug vermitteln. Danke dafür, dass Sie hier im Interesse der Kommunen, im Interesse der Betroffenen, vor allem aber im Interesse der Kinder an diesem Vermittlungsergebnis mitgewirkt haben. Das Abstimmungsergebnis in der vorangegangenen namentlichen Abstimmung hat dokumentiert, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Für Ihr Mitwirken sage ich noch einmal Danke. Ich danke allen Verhandlungsführern, aus unserer Sicht natürlich unserem Ministerpräsidenten, dem Kollegen Straubinger, dem Kollegen Schiewerling (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die waren gar nicht dabei!) und den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium. Ich danke natürlich auch der Ministerin für das Ergebnis, dass wir jetzt im Vermittlungsausschuss eine gute Lösung für die bedürftigen Kinder in unserer Gesellschaft gefunden haben. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Danken Sie doch mal Manuela Schwesig!) Ich muss etwas richtigstellen. Herr Kuhn, Sie haben vorhin hier gestanden und gesagt: Es reicht nicht aus, Teilhabe zu fordern. Man muss die Teilhabe auch gewähren. - Sie kennen die Föderalismusreform I. Sie wissen, dass die Kultushoheit bei den Ländern liegt. Ich nehme an, dass die Frau Kollegin Schwesig, die hier vorhin lebhaft gesprochen hat, aber jetzt leider durch wichtige Amtsgeschäfte verhindert ist, der Debatte weiter zu lauschen - - (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bundesrat, Herr Kollege! Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!) - Bundesrat, okay; gut. Ich wollte unterstellen, sie geht vielleicht nach Mecklenburg-Vorpommern und richtet Sozialarbeiterstellen an den Schulen ein. Das wäre auch eine gute Geschichte. - (Elke Ferner [SPD]: Die haben schon welche, im Gegensatz zu Ihnen! - Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja eine Große Koalition, Herr Kollege!) All diese Aufgaben liegen in der Kompetenz der Länder, Herr Kuhn. Im Bundesverfassungsgerichtsurteil - Sie haben es sicherlich genauso gründlich gelesen wie ich - ist von Teilhabe an bestehenden Einrichtungen die Rede. Das heißt, wir müssen uns fragen: Gibt es genügend Einrichtungen? Da haben Sie mich an Ihrer Seite. Ich habe bei mir im Wahlkreis vor einigen Jahren erreicht, dass wir das Programm "Vertiefte Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler" mit Kofinanzierung des Freistaats hinbekommen haben: 50 Prozent Bundesmittel, 25 Pro-zent Landesmittel, 25 Prozent Eigenanteil des Schulaufwandsträgers. Da kann man vieles erreichen. Lassen Sie uns hier gern im Dialog bleiben, weil es wichtig ist, dass man diese Angebote, diese Möglichkeiten für die bedürftigen Familien schafft. Meine Damen und Herren, der Weg zu dem heutigen Vermittlungsergebnis war sicher nicht leicht. Frau Ministerin hat ausgeführt: Aus den Steinen, die man einem in den Weg wirft, kann man auch etwas Schönes bauen. Ich glaube, es ist heute zumindest etwas Vernünftiges, etwas Sinnvolles - ob es von allen als schön empfunden wird, werden wir sehen - erreicht worden. Es wird - da will ich ein Stück weit um Verständnis bitten - auch bei den Kommunen, die jetzt für das Bildungspaket zuständig sind, möglicherweise nicht ganz ohne Anlaufschwierigkeiten gehen. Hier bitte ich die betroffenen Familien, die betroffenen Kinder, die betroffenen Eltern um ein bisschen Verständnis. Da wir hier Neuland beschreiten, sollten sie uns über die Kommunen Verbesserungsvorschläge zuleiten, wie es weitergehen kann. Man sollte dieses Neue mit positiven Erwartungen begleiten und nicht, wenn es am Anfang etwas zwickt oder hakt, gleich alles schlechtreden. Meine Damen und Herren, wir können stolz darauf sein, dass am Ende auch die Inhalte, die wir uns vorgenommen haben, umgesetzt werden konnten. In der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses haben wir es geschafft, mehr Chancengerechtigkeit für alle Kinder zu erreichen, insbesondere für 2,5 Millionen bedürftige Kinder aus Hartz-IV-Familien. Sie haben nun die Chance auf einen sozialen Aufstieg. So lässt sich der Kreislauf aus ererbter Armut und Chancenlosigkeit durchbrechen. Dafür, meine Damen und Herren, hat es sich gelohnt zu kämpfen. Wir haben mehr Hilfe für Langzeitarbeitslose erreicht. Ihnen wollen wir gute Bedingungen bieten, um den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu meistern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Wir haben mehr Unterstützung und Entlastung für unsere Kommunen erreicht. Sie müssen als unsere besonderen Partner in der Sozialpolitik gestärkt werden. Das tun wir mit dem heute gefundenen Kompromiss. Damit haben wir es geschafft, Hartz IV so umzugestalten, dass ein faires und gerechtes Konzept entstanden ist - ein großer Gewinn an sozialer Sicherheit, an sozialer Gerechtigkeit und an sozialstaatlicher Verantwortung. Insgesamt haben wir viel mehr umgesetzt, als uns das Bundesverfassungsgericht mit seiner Forderung nach transparenten Regelsätzen aufgetragen hat. Ich bin sehr froh, dass unsere Kommunen zu den klaren Gewinnern dieser Reform gehören. Wir haben eine deutliche und nachhaltige Verbesserung ihrer Finanzen durch eine milliardenschwere Entlastung von Sozialausgaben erreicht. Die Kommunen sind, wie bereits ausgeführt, unser wichtigster Partner in der Sozialpolitik. Sie haben die Expertise vor Ort dafür, den Menschen zielgerichtet, sachgerecht und effektiv zu helfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir entlasten unsere Kommunen nicht nur finanziell, sondern greifen ihnen auch bei der Aufgabenbewältigung tatkräftig und verlässlich unter die Arme. Der Bund wird bis 2014 die Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte zu 100 Prozent übernehmen. Bereits ab dem nächsten Jahr erfolgt die Anpassung schrittweise: zunächst mit der Übernahme von 45 Prozent und dann mit der Übernahme von 75 Prozent im Jahre 2013. Die komplette Übernahme erfolgt schließlich im darauffolgenden Jahr. Das ist ein finanzieller Befreiungsschlag für die Kommunen. Gerade die Durchführung von Sozialprojekten im Bereich der Städtebauförderung wird für die Kommunen in Zukunft leichter in eigener Zuständigkeit möglich sein. Man braucht nicht nur zu jammern, nach dem Motto: "Der Bund hat uns bei der Städtebauförderung ein Stück weit nicht weiter so unterstützt wie bisher", sondern man kann das jetzt durch die Entlastung im Bereich des SGB XII kompensieren. Meine Damen und Herren, nach Informationen des Deutschen Städtetages bedeutet dieser Schritt für die Kommunen in Deutschland eine Entlastung von knapp 12,3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2015. Der bayerische Anteil hieran beträgt immerhin 1,3 Milliarden Euro. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Herr Präsident, aufgrund der Wichtigkeit der Materie habe ich mir erlaubt, diesen Satz noch anzufügen. Ich bedanke mich für Ihre Geduld, wünsche Ihnen alles Gute und gratuliere diesem Hohen Hause und allen, die mitgewirkt haben, zu dem gefundenen Ergebnis. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bedanke mich natürlich für die Glückwünsche, die Sie an das ganze Haus gerichtet haben, im Namen desselben besonders herzlich. (Heiterkeit - Elke Ferner [SPD]: Das hat er nicht verstanden!) Es gehört offenkundig zum ständigen Schicksal bei der Disposition solcher Parlamentsreden, dass die besonders wichtigen Sätze erst zu einem Zeitpunkt vorgesehen sind, zu dem die Redezeit bereits abgelaufen ist. (Heiterkeit) Ich schließe die Aussprache. Wie zu Beginn der Debatte erstens angekündigt und zweitens vereinbart, gibt es einige persönliche Erklärungen zur Abstimmung, die wir dem üblichen Verfahren entsprechend zu Protokoll geben. Den Wunsch zu einer mündlichen Erläuterung des Abstimmungsverhaltens hat die Kollegin Dagmar Enkelmann, der ich hierfür jetzt das Wort erteile. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe gegen den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Hartz-IV-Regelsätze gestimmt. (Beifall bei der LINKEN - Birgit Homburger [FDP]: Ich habe nichts anderes erwartet!) Ich habe dagegen gestimmt, weil das, was vom Vermittlungsausschuss vorgelegt wurde, ein fauler Kompromiss ist. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Es ist ein fauler Kompromiss zulasten von 6,7 Millionen Menschen in diesem Land. Als Mitglied des Vermittlungsausschusses stelle ich hier fest: Um einen wirklich verfassungskonformen Regelsatz ging es in den offiziellen Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die Wahrheit!) Ich habe der Einigung des Vermittlungsausschusses nicht zugestimmt, weil das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht umgesetzt worden ist. Bis heute gibt es keine Transparenz in Sachen Berechnung des Regelsatzes. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Wie kommen Sie auf 5 Euro mehr für 2011? Wie kommen Sie auf 3 Euro mehr ab 2012? Diese Berechnung liegt bis heute nicht vor, und das ist vom Bundesverfassungsgericht angemahnt worden. (Beifall bei der LINKEN) Die vereinbarte Regelsatzhöhe reicht auch nicht, um die physische Existenz der Betroffenen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern, wie es vom Bundesverfassungsgericht gefordert worden ist. Ich habe dem Gesetzentwurf nicht zugestimmt, weil Sie eine weitere Forderung des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten haben, nämlich eine selbstständige Berechnung des Kinderregelsatzes nach dem tatsächlichen Bedarf für Kinder und Jugendliche durchzuführen. Ihr Gesetz wird keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben. Ich habe dagegen gestimmt, weil ich nicht an einem erneuten Verfassungsbruch beteiligt sein will. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer weiteren mündlichen Erklärung erhält die Kollegin Senger-Schäfer das Wort. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Gesetz nicht zugestimmt, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wissen wir! - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir übrigens auch nicht! Das könnten wir jetzt auch noch einmal erläutern!) und ich muss im Namen vieler Bürgerinnen und Bürger aus meinem Bundesland Rheinland-Pfalz, die ich hier vertrete, und als pflegepolitische Sprecherin meiner Fraktion eine persönliche Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben. Ich stimme dagegen, weil das, was Sie, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb und SPD-Rot, ausgehandelt haben, nicht mehr ist als ein fauler Kompromiss und ein Hohn für die Betroffenen. (Beifall bei der LINKEN) Ich stimme dagegen, weil die bisherige Bilanz von Hartz IV eine Katastrophe ist, die durch dieses Gesetz kein bisschen verbessert wird. Sie ignorieren nicht nur die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, sondern Sie verhöhnen vor allem die betroffenen Menschen. (Beifall bei der LINKEN) Ich stimme dagegen, weil in Rheinland-Pfalz bei den unter 18-Jährigen die Armutsquote einen neuen Höchststand erreicht hat. Bei uns in Rheinland-Pfalz gelten 19,6 Prozent aller unter 18-Jährigen als armutsgefährdet. Ich stimme dagegen, weil allein in Rheinland-Pfalz 44 Prozent der Alleinerziehenden, 52 Prozent der Erwerbslosen, 33,7 Prozent der Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und 28,9 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund als armutsgefährdet gelten. Ich stimme dagegen, weil den Verhandlerinnen des Vermittlungsausschusses Menschen mit Behinderungen nicht mehr als eine Protokollnotiz wert sind. (Beifall bei der LINKEN) Was Herr Schiewerling auf die Fragen gesagt hat, war unbefriedigend. Was die Kollegin Kipping gefragt hat, ist hier nicht ausreichend beantwortet worden. Es bleibt dabei: Eine menschenwürdige gesetzliche Regelung haben Sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. (Beifall bei der LINKEN) Das ist unglaublich, und es ist diskriminierend. Ich stimme dagegen, weil Sie, als die Banken in Schieflage gerieten, ohne Mühe in der Lage waren, innerhalb einer Woche einen sogenannten Rettungsschirm von 500 Milliarden Euro aufzuspannen. Auch zur Euro-Rettung hatten Sie flugs 148 Milliarden Euro parat. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie haben es immer noch nicht verstanden!) - Oder Sie nicht. Ich stimme dagegen, weil der Gesetzentwurf der blanke Zynismus ist. Ich stimme auch deshalb dagegen, weil es Ihnen innerhalb einer Wochenfrist möglich gewesen ist, 650 Milliarden Euro für Banken, Spekulanten und Vermögensbesitzer zu mobilisieren. Ich stimme dagegen, weil Ihnen auf der anderen Seite die Ärmsten in diesem Land nicht einmal eine Handvoll Euro wert sind, ganz nach dem Prinzip "Wir da oben, ihr da unten". Das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN - Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Was soll der Scheiß?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun möchte der Kollege Jan Korte noch eine Erklärung abgeben. (Zurufe: O nein!) - Liebe Leute, mal einen Augenblick! Zur Geschäftslage: Die Geduld ist bei verschiedenen Tagesordnungspunkten und verschiedenen Beteiligten je nach Gefechtslage unterschiedlich ausgeprägt. Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass nach unserer Geschäftsordnung ein solcher Anspruch auf mündliche Erklärungen zur Abstimmung besteht, die wiederum nach unserer Geschäftsordnung in der Regel vor der Abstimmung erfolgen. Ich habe erläutert, warum ich von dieser Regel abweichen möchte. Dem hat das Plenum auch zugestimmt. Aber es gibt überhaupt keine Veranlassung, damit den Anspruch auf Erläuterung der eigenen Position zu verkürzen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Im Übrigen finde ich es auch ausgesprochen angemessen, dass bei mehr als 20 Erklärungen zur Abstimmung für ganze drei eine mündliche Erläuterung gewünscht wird. Bitte schön, Herr Kollege Korte. Sie haben das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Schönen Dank. - Dass die Grünen das nicht nachvollziehen können, kann ich wiederum nachvollziehen. Ich will noch einmal deutlich sagen, warum ich aus tiefster Überzeugung heute dagegen gestimmt habe, nämlich erstens, weil ich dieses Geschacher und dieses Theater, das in den letzten Wochen hier aufgeführt worden ist, für unwürdig und skandalös halte. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Ich habe dagegen gestimmt, weil ich es für einen "dollen" Vorgang halte, dass ausgerechnet diejenige Partei, die hier eine fundamental andere Auffassung hat im Vergleich zu Ihnen allen und die die Interessen von vielen Betroffenen vertritt, als einzige Partei von diesem Prozess ausgeschlossen und nicht einmal gehört wird. (Beifall bei der LINKEN) Drittens stimme ich dagegen, weil in meinem Wahlkreis in Sachsen-Anhalt, in Anhalt-Bitterfeld und im Salzlandkreis, unzählige Menschen zu jeder Bürgersprechstunde in die Büros der Linken kommen, um Rat und Hilfe zu suchen, wie sie mit ihrem Leben bei den Regelsätzen, um die es hier dieses Geschacher gegeben hat, zurechtkommen sollen. Dass sie in ein FDP-Büro niemals kommen, das ist sicher, Herr Döring. (Beifall bei der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Da täuschen Sie sich sehr, geschätzter Herr Kollege!) Viertens stimme ich aus voller Überzeugung dagegen, weil in Sachsen-Anhalt, wo mein Wahlkreis liegt, der Niedriglohnsektor geradezu explodiert ist und fast doppelt so groß ist wie im Rest der Republik. Ich stimme dagegen, weil Sie nicht einmal ansatzweise den Schritt gehen, endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, den gerade die Menschen in meinem Wahlkreis so dringend brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Ich frage mich - auch deswegen habe ich dagegen gestimmt -, wie lange Sie diese Zustände weiter dulden wollen. In Sachsen-Anhalt ist von 2002 bis heute die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs um 4,48 Pro-zent gesunken. Ich habe noch aus einem anderen Grund - das will ich hier deutlich sagen - dagegen gestimmt. Wenn sich die Kollegin Schwesig hier hinstellt und sagt, dass irgendwann ganz sicher eine große sozialpolitische Reform in diesem Bereich kommen muss, dann ist zumindest eines sicher: Ohne die Linke wird sie bestimmt nicht kommen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will noch eines sagen: Sich als SPD hier zum Gralshüter des Mindestlohns zu machen, ist geradezu absurd, wenn man dann gleichzeitig ein Vergabegesetz in Sachsen-Anhalt will, das in Richtung Mindestlöhne geht, und mit der CDU koalieren will, die ein solches Gesetz mit Sicherheit verhindern will. Auch deswegen habe ich dagegen gestimmt. Ich hoffe, dass es bald noch mehr werden. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Protokollführer haben einen Zwischenruf des Parlamentarischen Staatssekretärs Hans-Joachim Otto von der Regierungsbank aus festgehalten, den ich nicht gehört habe, der aber nach unseren Regeln erstens unzulässig ist und zweitens, wenn er aus den Reihen der Abgeordneten erfolgt wäre, von mir als unparlamentarisch gerügt worden wäre. Damit können wir den Punkt hoffentlich abschließen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10 a und b: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes - Drucksache 17/4230 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Beate Müller-Gemmeke, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes personenbezogener Daten der Beschäftigten in der Privatwirtschaft und bei öffentlichen Stellen - Drucksache 17/4853 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache dazu 45 Minuten dauern. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich erteile das Wort dem Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute - ich füge leise hinzu: endlich - in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Beschäftigtendatenschutz. Wir greifen damit ein Thema auf, das seit vielen Jahren diskutiert wird und das nach etlichen Datenschutzskandalen in großen deutschen Unternehmen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist. Gesetzliche Regelungen gibt es bis heute nur vereinzelt. Vieles ist der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte überlassen. Wir beschäftigen uns jetzt mit diesem Gesetzentwurf, um für mehr Rechtssicherheit zu sorgen und einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeber und den Interessen der Arbeitnehmer zu finden. Warum ist das so schwierig? Weil eben die Interessen und die betrieblichen Fallgestaltungen im Einzelnen sehr unterschiedlich sind. Arbeitnehmer wollen zum Beispiel vor Bespitzelung und Überwachung geschützt werden. Arbeitgeber wollen etwa durch den Einsatz neuer Informationstechnologien geordnete Betriebsabläufe haben, wodurch automatisch Erkenntnisse über Beschäftigte anfallen. Arbeitgeber wollen Korruption bekämpfen - das erwartet die Öffentlichkeit von ihnen -; Arbeitnehmer wollen nicht unter Korruptionsverdacht gestellt werden. All das sind berechtigte Interessen, die in geordneter Weise in einen Ausgleich gebracht werden müssen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf den Versuch unternommen, das zu erreichen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält Regelungen zum Fragerecht des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren. Die klassische Frage an Frauen in diesem Zusammenhang ist: Sind Sie eigentlich schwanger, ja oder nein? In diesem Gesetzentwurf ist geregelt, ob diese Frage gestellt werden darf, was mit der Antwort darauf passiert und vieles andere mehr. Behandelt wird darin auch die Zulässigkeit ärztlicher und sonstiger Untersuchungen. Wir erinnern uns, dass manche Unternehmen selbst dann sämtliche infrage kommenden Mitarbeiter aufgefordert haben, einen Bluttest zu machen, wenn bei ihnen keine Tätigkeiten ausgeübt werden, die mit Blutkonserven oder Ähnlichem zu tun haben. Darüber hinaus werden in diesem Gesetzentwurf Fragen der Videoüberwachung und der Nutzung von Telekommunikationsdiensten am Arbeitsplatz geklärt. Letzteres ist ein sehr schwieriges Thema. Zu klären ist etwa: Wenn man gegen Abrechnung privat telefonieren darf, darf dann der Arbeitgeber feststellen, mit wem man telefoniert hat, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob ein Telefonat privat war? Auch das ist eine schwierige Abwägung. Außerdem geht es um die Nutzung von Ortungssystemen, etwa um GPS bei Spediteuren. Während ein Spediteur etwa wissen möchte, wo sein Lkw ist, möchte der betreffende Fahrer nicht dahin gehend überwacht werden, wohin er sich bewegt. An diesen Beispielen sieht man, dass die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer in berechtigter Weise unterschiedlich sind. Die Bundesregierung hat für diesen Gesetzentwurf Kritik erfahren: sowohl von Arbeitgebern als auch von Gewerkschaften. Normalerweise freut man sich nicht, wenn man von zwei Seiten kritisiert wird. Wenn hier aber die eine Seite sagt: "Das geht zu weit", und die andere Seite sagt: "Das geht nicht weit genug", dann haben wir, glauben wir, einen ausgewogenen Entwurf vorgelegt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Lassen Sie mich kurz auf ein paar Beispiele eingehen. Umfangreich diskutiert wird das Thema der heimlichen Videoüberwachung. Nach diesem Gesetzentwurf soll die heimliche Videoüberwachung im Beschäftigungsverhältnis ausnahmslos verboten werden. Es handelt sich um eine Vorschrift, mit der zugunsten des Datenschutzes der Arbeitnehmer über die geltende Rechtsprechung hinausgegangen wird. Nach geltender Rechtsprechung ist die heimliche Videoüberwachung als letztes Mittel zur Aufklärung von Straftaten zulässig. Das wollen wir ändern. Wir glauben, dass es nicht sinnvoll ist, dass es in unserem Land eine heimliche Videoüberwachung von Arbeitnehmern geben soll. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber eine offene!) Gleichwohl besteht die Möglichkeit - Sie sagen es -, kritische Bereiche durch eine offene Videoüberwachung zu schützen - das wird in diesem Gesetzentwurf klar benannt -, zum Beispiel Kassenbereiche in Supermärkten und Einkaufshallen. Dort werden dann beispielsweise Ladendiebe mit einer Videokamera gefilmt. Aber man kann einen Ladendieb nicht filmen, ohne automatisch das Verhalten der Kassiererin mit zu erfassen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja!) Wenn die Videoaufzeichnung offen geschieht, wenn die Mitarbeiter darüber also informiert sind - all das ist in diesem Gesetzentwurf vorgesehen -, dann ist eine solche Überwachung meines Erachtens dringend geboten und notwendig, und sie ist hier auch vorgesehen. Ausdrücklich ausgenommen sind Sanitär-, Umkleide- oder Schlafräume. Diese Teile von Arbeitsstätten werden privat genutzt und sollen überhaupt nicht videoüberwacht werden. Ein weiteres schwieriges Thema war der automatische Datenabgleich. Wir wollen nicht, dass es Korruption in großen Unternehmen gibt. Gleichzeitig wollen wir die Mitarbeiter nicht unter einen Generalverdacht stellen. Deswegen ist es in bestimmten Fällen - ich denke etwa an die Mitarbeiter einer Vergabeabteilung - und unter bestimmten Voraussetzungen, die ich aus Zeitgründen jetzt nicht näher erläutern will, möglich, dass man Kontodaten der Beschäftigten mit Kontodaten bestimmter Auftragnehmer, also solcher Firmen, an die von der jeweiligen Abteilung Aufträge vergeben werden, abgeglichen werden, auch wenn es keinen konkreten Verdacht gibt. Ein automatischer Datenabgleich ist unter bestimmten Voraussetzungen zur präventiven Korruptionsbekämpfung notwendig. Wir halten das für richtig. Ich will noch kurz einige Vorschläge von uns erwähnen, über die noch diskutiert wird. Ein Punkt sind die Betriebsvereinbarungen. Ich will den damit verbundenen Interessengegensatz kurz erläutern. Warum soll eigentlich der Gesetzgeber klüger sein als die Betroffenen vor Ort? Wenn Arbeitgeber und Betriebsräte eine Vereinbarung geschlossen haben, dass mit personenbezogenen Daten in einer bestimmten Weise umgegangen wird, warum soll das in dem Gesetz eigentlich untersagt werden? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen wir überhaupt kein Gesetz mehr!) Die einen sagen: Jawohl, das ist eine Stärkung der Tarifautonomie und der Partnerschaft im Betrieb. Da hat eine Betriebsvereinbarung Vorrang vor dem Gesetz. - Das sagen viele. Die anderen fragen: Wie sind eigentlich die Machtverhältnisse in den Betrieben? Bei großen Unternehmen mit 100 000 Beschäftigten mag das gehen. Aber wie ist es bei einem kleinen mittelständischen Betrieb mit 50 Beschäftigten? Wie stark ist da der Betriebsrat gegenüber dem Betriebsinhaber? Kann nicht durch eine Betriebsvereinbarung das Schutzniveau dieses Gesetzes unterlaufen werden? Wir haben vorgeschlagen, dass Betriebsvereinbarungen Vorrang vor dem Gesetz haben, aber das Schutzniveau des Gesetzes nicht unterschreiten dürfen. Das ist umstritten. Ich bin gespannt, was im Gesetzgebungsverfahren dabei herauskommt. (Gerold Reichenbach [SPD]: Das ist schon ein halber Rückzug! Und das schon bei der Gesetzeseinbringung!) Der zweite Punkt, der in diesem Zusammenhang ebenso interessant ist, ist die Frage: Wie ist es eigentlich mit der Einwilligung des Betroffenen? Ist die Einwilligung des Betroffenen für ein System, das auf Freiheit beruht, nicht wichtiger als die Weisheit des Gesetzgebers? Das ist ein starkes Argument. Wenn jemand eingestellt werden will und der Arbeitgeber sagt: "Du bekommst die Stelle aber nur, wenn du eine Blutprobe abgibst" - Blutproben sind nach dem Gesetz an sich verboten -, dann ist der Arbeitnehmer, der die Stelle haben will, nicht besonders frei darin, zu sagen: Nein, du bekommst keine Blutprobe. - Daraufhin sagt nämlich der Arbeitgeber: Dann bekommst du die Stelle leider nicht. - Er würde es zwar nicht direkt so sagen, aber sich so verhalten. Somit muss nach unserer Auffassung auch die Einwilligung Grenzen haben. Auch da sagen wir: Das Schutzniveau darf in bestimmten Fällen, etwa bei ärztlichen Eingriffen, wie es der Gesetzgeber sagt, auch durch eine Einwilligung nicht ausgehebelt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Jan Korte [DIE LINKE]: Aber warum schreiben Sie es dann ins Gesetz?) Auch dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Auch das wird sicherlich Gegenstand der Anhörung sein. Ich sage das nur deswegen, weil das ein wichtiger Punkt ist, der deutlich macht, dass wir dieses Gesetz nicht hinbekommen, ohne dass wir immer einen Abwägungsprozess zwischen den berechtigten Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, des Betriebsrats gegenüber dem Gesetzgeber und des Einzelnen gegenüber dem Gesetzgeber machen. Ich denke, wir haben hier einen ausgewogenen Kompromiss vorgelegt. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen und im weiteren Gesetzgebungsverfahren und hoffe auf einen zügigen Abschluss dieser Beratungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gerold Reichenbach (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, es sind Datenskandale bei der Telekom und bei der Bahn angesprochen worden. 150 000 E-Mails von Mitarbeitern wurden überwacht. Lidl filmte seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis in die Toiletten hinterher. All das macht deutlich: Es gibt einen erheblichen Regelungsbedarf. Denn in einem freiheitlichen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland muss der Grundsatz gelten: Grundrechte machen nicht vor dem Werkstor halt. Da unterscheiden wir uns von Ihrem Regierungsentwurf. Es kann die Frage des Eingriffs in Persönlichkeitsrechte, in die Hoheit über die eigenen Daten, die durch Bundesverfassungsgerichtsurteile mehrfach gestärkt worden ist, nicht zu einem Abwägungsgegenstand zwischen dem Schutz der Arbeitnehmerrechte auf der einen Seite und betrieblichen Interessen auf der anderen Seite gemacht werden. Vielmehr muss deutlich werden, dass auch vom Grundgesetz her unterschiedliche Rechtsgüter gegeneinander stehen. Das ist der Grund, warum wir gesagt haben: Auch weil es - dies haben Sie gerade deutlich gemacht - im Machtgefüge ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt, weil man Arbeitnehmer nicht wie einen Kunden behandeln kann, der irgendwo im Internetverkehr einem Anbieter gegenübertritt, müssen die Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz im Arbeitsrecht vorgenommen werden und nicht im Datenschutzrecht. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Wir haben eine Fülle arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften, zu denen es eine umfangreiche Rechtsprechung gibt. Wir haben auf der anderen Seite eine allgemeine Rechtsprechung zum Datenschutzrecht. Sie erwecken mit Ihrer Einbringungsrede den Eindruck, dass Sie an zwei Stellen faktisch bereits den Rückzug angeboten haben, nämlich bei der Frage, ob vom Schutzniveau des Gesetzes zum einen per Betriebsvereinbarung und zum anderen per mehr oder weniger freiwilliger Einwilligung des Arbeitnehmers abgewichen werden kann. Deswegen halten wir den Weg, den die Sozialdemokraten vorgeschlagen haben - unser Gesetzentwurf liegt längst vor, und zwar vor dem Ihren - und den jetzt auch die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf einschlagen, für den richtigen. Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat nicht im Datenschutzrecht stattzufinden, sondern im Arbeitsrecht. Man stellt sich die Frage: Warum gehen Sie diesen Weg nicht? Eine Antwort ist schon deutlich geworden: Sie wollen die Arbeitnehmerrechte zum Abwägungsgegenstand machen. Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf offensichtlich einen Teil dessen, was in der Arbeitsrechtsprechung inzwischen erreicht wurde, über das Datenschutzrecht zumindest relativieren oder den Arbeitgebern mit sehr weit gefassten Begrifflichkeiten eine Auslegungsmöglichkeit eröffnen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Über das Datenschutzrecht führen Sie einen Umstand ein, den es bislang im Arbeitsrecht nicht gibt: Beim bloßen Verdacht des Arbeitgebers, beim Arbeitnehmer könne keine Eignung mehr vorliegen, dürfen jetzt auch während des laufenden Arbeitsverhältnisses medizinische und psychologische Eignungstests vorgenommen werden. Bislang war das nur aufgrund arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen möglich und nicht aufgrund einer Abwägung oder eines Verdachtsmoments seitens des Arbeitgebers. Das ist eine klare Abweichung gegenüber dem geltenden Arbeitsrecht, die Sie jetzt im Datenschutzrecht vornehmen, und zwar zulasten des Arbeitnehmers. Die im Übrigen bereits durch EuGH-Rechtsprechung verbotene Frage nach einer Schwangerschaft taucht bei Ihnen in dem entsprechenden Passus nicht mehr auf. Es geht dort nur noch um Behinderungsgründe. Auch hier wird deutlich, wo die Reise hingehen soll. Die Begriffe, die Sie verwenden, sind sämtlich unbestimmt. Das zeigt sich unter anderem bei der Frage der Verhinderung von Korruption, wie Sie das gerade angesprochen haben, oder bei der Einhaltung von Compliance. Bei der Compliance stelle ich mir die Frage: Warum führen Sie diesen unbestimmten Begriff in der Begründung ein? Compliance bedeutet eigentlich nichts anderes, als sich an Recht und Gesetz zu halten. Das ist in unserem Entwurf deutlich geworden, und zwar, wenn es darum geht, Straftaten oder Verstöße gegen gesetzliche Regelungen oder Verordnungen zu verhindern. Sie aber verwenden einen Compliance-Begriff, der dem Belieben des Unternehmens und der Definitionshoheit des Arbeitgebers unterliegt. Wenn man schon diesen modernen Begriff verwenden will, dann nur, wenn die Compliance und die Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung der Mitbestimmung unterliegen und nicht allein der Abwägung und des Wertsetzens des Arbeitgebers. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zurufe von der FDP: O wei!) Es kommt ein weiterer Punkt hinzu. Viele Unternehmen sind international aufgestellt. In die Compliance-Regelungen der Unternehmen fließen teilweise Rechtsnormen aus anderen Ländern ein. Wollen Sie diese Normen dann auch zum Gegenstand der Abwägungsbefugnisse des Arbeitgebers machen? Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf anschaut, dann stellt man beispielsweise in den Regelungen des § 32 d Abs. 3 oder des § 32 e fest, dass es einen Großteil der Skandale, die wir bislang bei der Telekom oder der Bahn erlebt haben, so nicht mehr geben wird. Denn nach den Regelungen Ihres Gesetzentwurfes würden diese Vorgänge legalisiert oder zumindest einer Abwägung zugänglich. Genau das wollen wir nicht. Deswegen - wir werden uns ja in einer Anhörung über die Gesetzentwürfe unterhalten können und müssen - sagen wir eindeutig: Arbeitnehmerdatenschutz heißt Schutz der Arbeitnehmer und der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer und nicht Abwägen der Arbeitnehmerrechte gegen betriebliche Interessen. Vielmehr hat das Schutzniveau Vorrang. Deswegen wird ein Gesetz auf Basis des Gesetzentwurfes, der hier von der Bundesregierung vorgelegt wurde, mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen sein. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegen Gisela Piltz für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gisela Piltz (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne zitieren: Der Schutz der Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird erstmals in einem eigenen Gesetz verankert. (Gerold Reichenbach [SPD]: Nein! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen zitieren Sie denn? Jetzt eine Fußnote! - Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) - Auf die Frage habe ich gewartet. Das ist nämlich ein Zitat, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag von 2002. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten die besten Absichten, Frau Kollegin! - Gegenruf der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU]: Dabei bleibt es dann!) Das haben Sie geschrieben, aber Sie haben es in all den Jahren nicht fertiggebracht, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von der destruktiven Opposition verhindert!) diese gute Absicht, die ich Ihnen gerne unterstellen möchte, in einen Gesetzentwurf zu gießen. (Gerold Reichenbach [SPD]: Das gilt nur für die Grünen! Unter Schwarz-Rot haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt!) Da muss ich wirklich einmal feststellen, dass wir das nun tun. Dass dieser Gesetzentwurf sicherlich noch diskussionswürdig ist, ist klar. Wir sitzen ja auch hier, damit wir darüber diskutieren. Aber allein dieser Formulierung wegen müsste man Ihnen schon dankbar sein. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir freuen uns über jede, die korrekt zitiert!) Vier Jahre vorher spielte der Arbeitnehmerdatenschutz bei Ihnen nämlich gar keine Rolle. (Gerold Reichenbach [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht!) Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben darf: Dass Sie von der SPD, die Sie sich ja als die stolze Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer präsentieren, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das war früher einmal!) hier heute nur zu Dritt sitzen - nehmen Sie mir es nicht übel -, gibt einem schon zu denken. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Gerold Reichenbach [SPD]: Bei uns geht Qualität vor Quantität! Das müsste Ihnen doch sofort aufgefallen sein!) Bei der jetzigen Bundesregierung ist das ein bisschen anders. Wir haben den Reformstau beim Arbeitnehmerdatenschutz erkannt. Wir gehen ihn jetzt an. Es ist richtig, wie der Bundesinnenminister gesagt hat, dass es kaum eine zweite Regelungsmaterie gibt, bei der man so stark zwischen verschiedenen Interessen abwägen muss. Das ist auch aufwendig. Diesem Prozess unterziehen wir uns gerade und werden wir uns weiterhin unterziehen. Dass man das Ganze nicht einfach mit einem Federstrich lösen kann, haben wir ja alle im Laufe unserer Diskussionen gemerkt. Wir gehen das nun, wie gesagt, an. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, die Grundrechte und die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch am Arbeitsplatz zu schützen. Genau das ist der Grund, warum wir dieses Gesetz vorlegen. Bespitzelungen, Ausspähungen - diese Beispiele sind ja schon genannt worden -, heimliche Überwachungsmaßnahmen bis in den intimsten Bereich haben auch und vor allen Dingen im Beschäftigungsverhältnis nichts zu suchen. Deshalb verbietet dieser Gesetzentwurf die heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz. Ich glaube, das ist ein guter und richtiger Schritt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und der LINKEN) Allein dort, wo belegbare berechtigte Interessen des Arbeitgebers erkennbar sind und/oder gesetzliche Verpflichtungen und Standards eingehalten werden müssen - der Innenminister hat dazu einiges gesagt -, können Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen gerechtfertigt sein, aber auch nur dann. Natürlich sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz bereits heute nicht rechtlos. Das Problem ist nur: Kaum einer kennt seine Rechte. Die aktuelle Rechtslage ist doch vor allem durch eine Rechtsprechung geprägt, die einzelfallorientiert und damit weithin unübersichtlich ist. Ich glaube, wir verfolgen ein gutes Anliegen, wenn wir uns darum bemühen, das endlich zu verbessern. Was aufseiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung führt, führt auf der Arbeitgeberseite zu Unsicherheiten, welche Datenverarbeitungen zulässig sind und welche nicht. Diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen, muss ein Ziel dieses Gesetzes sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist kein Geheimnis, dass sich meine Fraktion - ich glaube, ich kann hier für beide Koalitionsfraktionen sprechen, auch wenn ich hier für die liberale Fraktion stehe - schon jetzt viele Nachbesserungen an dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wünscht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!) Aber Sinn einer ersten und zweiten Lesung ist ja, Verbesserungen und Veränderungen am Gesetzentwurf vorzunehmen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich mache gleich ein paar Vorschläge! - Zuruf des Abg. Gerold Reichenbach [SPD]) Es genügt nach meiner Überzeugung in keiner Weise, streitige Fragen, wenn überhaupt, erst in der Gesetzesbegründung aufzulösen. Auch das ist aus meiner Sicht bisher einer der Schwachpunkte des Gesetzentwurfes. Offene Fragen müssen im Gesetz selbst beantwortet werden. Wir wollen Rechtssicherheit. Diese schafft man nicht, wenn Klarstellungen allein in der Begründung vorgenommen werden. Auch dazu werden wir im Parlament sicherlich eigene Akzente setzen. Das gilt vor allen Dingen für die Zulässigkeit von Mitarbeiterscreenings. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Ein Gesetz, das ein Massenscreening, wie es zum Beispiel bei der Deutschen Bahn stattgefunden hat, am Ende legalisieren würde, wird es mit uns nicht geben. Das wäre auch das falsche Signal, das von diesem Gesetz ausginge. (Beifall bei der FDP - Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das tun Sie aber in Ihrem Gesetzentwurf!) - Herr von Notz, deshalb wird es Veränderungen geben. Wenn Sie zuhören würden, dann hätten Sie das auch realisieren können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lausche! Ich lausche! Ich lausche! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr habt auch nur gute Absichten, was ihr uns vorgeworfen habt!) Um der großen praktischen Relevanz Rechnung zu tragen, wird sich das Parlament des Weiteren auch den Regelungen zur Datenerhebung im Bewerbungsverhältnis, zur privaten E-Mail-Nutzung, zu Konzernsachverhalten und zu der Frage, inwieweit Einwilligungen des Arbeitnehmers und Betriebsvereinbarungen als Zulässigkeitskriterium für die Datenerhebung und -verarbeitung anerkannt werden können, zuwenden müssen. Das sind offene Punkte, die wir regeln wollen und die wir - davon bin ich überzeugt - auch regeln werden. (Gerold Reichenbach [SPD]: Jetzt habe ich nur noch eine Frage: War Ihre Ministerin im Kabinett beim Gesetzentwurf dabei?) - Wenn Sie eine Frage haben, wenden Sie sich an den Präsidenten! In sämtlichen Bereichen eines Arbeitsverhältnisses muss die Freiwilligkeit von Einwilligungen des Arbeitnehmers, sei es in der Datenverarbeitung durch den Arbeitgeber, sei es bei Fragen zur Arbeitszeit, intensiv hinterfragt werden. So weit, so bekannt. Da ein Gesetz aus guten Gründen aber nur abstrakte Vorgaben machen kann, müssen wir einen Weg finden, wie wir allen betroffenen Unternehmen - von der Drei-Mann-Werkstatt bis zum DAX-Konzern mit bis zu 250 000 Mitarbeitern - die Möglichkeit eröffnen können, punktgenau auf die eigenen innerbetrieblichen Anforderungen zu reagieren. Im Gesetzentwurf wird endlich zu Recht anerkannt, dass kollektivrechtliche Vereinbarungen als eigenständige Rechtsvorschriften möglich sind. Dass Betriebsvereinbarungen dabei natürlich nicht den Kern des Gesetzes und der damit verbundenen Schutzregeln verletzen dürfen, steht aus unserer Sicht außer Frage und ist, wenn ich das richtig sehe, im Übrigen schon heute geltendes Recht. Ob allerdings eine allzu starre Regelung sinnvoll ist, wonach auch bei nur minimaler Unterschreitung des gesetzlichen Schutzniveaus das Fine-Tuning in den Unternehmen über Betriebsvereinbarungen nicht mehr möglich sein soll, wird - das haben wir heute schon gemerkt - in den weiteren Beratungen eine Rolle spielen. Dass wir heute überhaupt einen Gesetzentwurf einer Bundesregierung, und zwar dieser Bundesregierung, zur Verbesserung des Arbeitnehmerdatenschutzes auf dem Tisch des Hohen Hauses haben, ist, gemessen an der Leistung der Vorgängerregierungen, schon, so finde ich persönlich, eine kleine Sensation. (Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Da ist was dran!) Darauf können und werden wir uns nicht ausruhen. Der Gesetzentwurf markiert den ersten Schritt. Ich freue mich auf eine konstruktive Debatte im Sinne von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. Wir bieten das an, und wir würden uns freuen, wenn Sie unser Angebot nutzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Redner der Koalition - das ist in der Tat interessant - kündigen schon bei der Einbringung des eigenen Gesetzentwurfs bedeutende Änderungen an. Vielleicht machen Sie das in Zukunft vorher. Dann könnten Sie mit mehr Güte der Opposition rechnen. Das als kleiner Verfahrenshinweis. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Frieser [CDU/CSU]: Dann bräuchten wir Sie nicht mehr, Herr Korte!) Aber gut, der Gesetzentwurf ist nun eingebracht. Ich will ein Beispiel dafür geben, worum es hier eigentlich geht. Im Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten von Sachsen-Anhalt wird der Fall eines Discounters beschrieben. Dieser Discounter hat Privatdetektive engagiert, angeblich um Ladendiebstahl aufzudecken. So weit, so nachvollziehbar. Real waren die Detektive aber für etwas ganz anderes da, nämlich für die Ausforschung und die Beobachtung sowie die Kontrolle des Verhaltens der Mitarbeiter. Dort ist beispielsweise protokolliert worden - ich zitiere -: Frau K. ist im sechsten Monat schwanger. - Oder: Frau G. tätigt während der Pause Privateinkäufe. - Solche Beispiele gibt es reihenweise. Das zeigt eines, nämlich dass ein solches Vergehen in diesem Land nicht die Ausnahme, sondern mittlerweile die Regel ist. Deswegen brauchen wir Schutz für die Beschäftigten und nicht so einen Wischiwaschi-Gesetzentwurf, wie er vorliegt. (Beifall bei der LINKEN) Fehlender Datenschutz, fehlende Arbeitnehmerrechte betreffen natürlich in ganz besonderer Art und Weise - darauf will ich eingehen - diejenigen, die in prekärer Beschäftigung sind. Die unteren Lohngruppen betrifft es besonders. Den Leuten dort muss man unbedingt helfen. Das gilt besonders angesichts der Tatsache, dass prekäre Beschäftigung, Minijobs, Midijobs - das ist übrigens von allen anderen Parteien außer der Linken politisch gewollt - weiter ausgebaut werden. (Gerold Reichenbach [SPD]: Das ist ja Quatsch!) - Diesen Zwischenruf hätte ich mir an Ihrer Stelle verkniffen; denn die Explosion der Anzahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist in der Regierungszeit der SPD geschehen. - Wir brauchen deswegen ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz und nicht sozusagen ein Anklatschen an das Bundesdatenschutzgesetz. (Beifall bei der LINKEN) Weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen - es heißt "abhängig Beschäftigte" -, ist es natürlich ganz entscheidend, dass insbesondere sie mehr Rechte - im Übrigen auch stärkere Gewerkschaften - brauchen. Bei Ihren Abwägungen, die Sie dargestellt haben, besteht das Problem, dass Sie zugunsten der Arbeitgeber abgewogen haben. Wir aber wollen zugunsten der Arbeitnehmer abwägen. Das ist der entscheidende Unterschied. (Beifall bei der LINKEN) Die Hans-Böckler-Stiftung hat vor kurzem das Ergebnis einer Abfrage unter Betriebsräten veröffentlicht. Die entsprechenden Zahlen zeigen, dass im Schnitt jeder siebte Betrieb grundsätzlich und massiv gegen den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte seiner Beschäftigten verstößt. Das muss man sich einmal vorstellen: jeder siebte Betrieb. Aufgrund dieser unhaltbaren Zustände ist der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf völlig ungenügend. In ihm wurde eine Abwägung zugunsten der Arbeitgeber getroffen. Das kann doch angesichts der Zustände, die wir Woche für Woche hier erleben, nicht sein. Ich komme jetzt zu einer, wie ich finde, besonders bizarren Finte, die Sie hier eingebaut haben. Sie haben es eben selbst angesprochen und als eine Verbesserung dargestellt. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man von einem guten Gag sprechen. Sie sagen nämlich, dass Sie die illegale Videoüberwachung verbieten wollen. (Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister: Die heimliche!) - Die heimliche Videoüberwachung. Man kann auch illegale Videoüberwachung sagen. - Sie wollen also die heimliche Videoüberwachung verbieten. Jetzt kommt aber der Hammer: Als Alternative führen Sie eine flächendeckende offene Videoüberwachung ein. Das ist doch absurd; das kann doch nicht der Weg sein. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer Einwand betrifft § 32. Der Minister ist vorhin diesbezüglich zu einer richtigen Erkenntnis gekommen. Ich verstehe nur nicht, warum er sie nicht in den Gesetzentwurf hat einfließen lassen. Ich zitiere: Mit Einwilligung des Beschäftigten darf der Arbeitgeber auch bei sonstigen Dritten personenbezogene Daten des Beschäftigten erheben; ... Das ist doch absurd. In der Realität sieht es einfach so aus, dass der Chef sagt: Wenn du nicht einwilligst, ist dein Bewerbungsverfahren beendet. - Ich kann also nicht verstehen, dass Sie diesen Satz in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben. (Beifall bei der LINKEN - Michael Frieser [CDU/CSU]: Deshalb steht er ja da drin!) Abschließend möchte ich sagen: Dieser Gesetzentwurf ist im Sinne der großen Konzerne. Auch wenn man sich ihn in mühevoller Kleinarbeit durchliest, kann man keine Richtungsänderung erkennen. Ein brauchbares Arbeitnehmerdatenschutzgesetz - das ist der Kern - muss man in diesen Zeiten als Arbeitnehmer am besten als Fibel in der Tasche haben, um dem Chef sagen zu können: Das, was du von mir verlangst und was du mit meinen Persönlichkeitsrechten machst, ist nicht erlaubt. So etwas brauchten wir. Leider ist das in diesem Gesetzentwurf noch nicht einmal ansatzweise geregelt. Deswegen werden wir ihn so, wie er ist, ablehnen. Aber wie wir nun einmal sind, werden wir natürlich versuchen, konstruktiv mitzuarbeiten. Nur leider hören Sie nicht auf die klugen Ratschläge der linken Opposition. Danke. (Beifall bei der LINKEN - Dorothee Bär [CDU/CSU]: Welche klugen Ratschläge? - Gisela Piltz [FDP]: Wenn ich sie klug finden könnte, wäre es hervorragend!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz von Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gläserne Beschäftigte ist technisch heute problemlos möglich. Die technischen Möglichkeiten werden genutzt. Das haben die letzten Skandale, die heute Morgen schon vielfach angesprochen wurden, deutlich gezeigt. Diese spektakulären Fälle sind aber nur die Spitze eines Eisberges aus wachsender Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz. Es ist Konsens, dass heute ein massives strukturelles Ungleichgewicht zugunsten der Arbeitgeber beim Datenschutz von Beschäftigten besteht. Deswegen ist das Austarieren eines Gleichgewichts - da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Minister - zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern seit langem überfällig. Mit Ihrem Gesetzentwurf aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, scheitern Sie an dieser Aufgabe - das muss man leider so hart sagen - in allen Bereichen. Sie selbst, Herr Minister, haben eben davon gesprochen, dass Sie mit dem Gesetzentwurf den "Versuch" unternommen hätten, die Lage zu verbessern. So kann man es in der Tat ausdrücken. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein untauglicher Versuch!) Die Kollegin Piltz hat erklärt, der Gesetzentwurf sei eine brauchbare Grundlage, auf der man aufbauen könne. Das zeigt doch vor allem eins, nämlich dass die Begeisterung in Ihren eigenen Reihen ausgesprochen überschaubar ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es kommt massivste Kritik von allen Seiten, vom DGB bis hin zum Arbeitgeberverband, und das völlig zu Recht; denn Ihr Entwurf scheitert bereits an den von Ihnen selbst sehr niedrig gesteckten Zielen. Er regelt nur unzureichend, er bringt weder Rechtsklarheit noch Rechtssicherheit. Der Entwurf ist handwerklich völlig missglückt. Selbst Fachleute sehen ihn als praktisch durchgängig unverständlich an. Abzuwägen ist völlig okay, aber wenn sich in jedem zweiten Paragrafen eine andere Formel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet, dann ist es unmöglich, das einer juristischen Dogmatik zu unterwerfen. Daran scheitert so ein Gesetzentwurf auch. Mir ist es auch völlig unverständlich, warum Sie jetzt versuchen, diese Regelungen gegen den Rat aller Fachleute in das völlig veraltete, chaotische und unübersichtliche Bundesdatenschutzgesetz zu implementieren. So eine Verschlimmbesserung hat diesem Gesetz gerade noch gefehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Arbeitgeber - und deswegen nützt Ihr Gesetzentwurf leider keinem - erhalten keine Konzernklausel. Das zentrale Problem, wie innerhalb von Konzernen eine vernünftige Personalverwaltung datenschutzrechtlich abgesichert werden kann, bleibt in Ihrem Entwurf - offenbar bewusst - weiter ungelöst. Auch die Beschäftigten werden bei den zentralen Fragen weiter im Regen stehen gelassen. Denn der Entwurf bedeutet vor allem eines: die Legalisierung vormals höchst fragwürdiger Vorgehensweisen. Frau Piltz hat es eben angesprochen: Sie legalisieren das anlasslose Massenscreening von ganzen Belegschaften zu "Compliance"-Zwecken ins Blaue hinein, um selbst bloßen Pflichtverletzungen nachspüren zu können. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Das entspräche exakt einer Legalisierung der Praxis der Deutschen Bahn, die rasterfahndungsähnliche Maßnahmen gegen 170 000 Bedienstete durchgeführt hat (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) und dafür zu Recht vom Landesdatenschutzbeauftragten hart sanktioniert wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Korte hat es eben schon angesprochen: Mit dem vorgeblichen Verbot der heimlichen Videoüberwachung haben Sie sich ein bürgerrechtliches Feigenblättchen zugelegt. Aber allgemeines heimliches Schnüffeln mittels Detekteien und Sicherheitsdiensten wird nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch zur Verfolgung von Pflichtverletzungen erlaubt. (Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!) Nach Ihrem Gesetzentwurf kann eine solche Überwachung sogar präventiv und damit anlasslos erfolgen. Da lässt wieder Lidl grüßen. Dieser Wertungswiderspruch ist absurd und nicht erklärlich. Diese wenigen Beispiele zeigen: Ihr Entwurf lässt praktisch alle drängenden Fragen offen; der wesentliche Baustein der innerbetrieblichen Kontrolle findet überhaupt keine Berücksichtigung. Der grüne Gesetzentwurf dagegen - und jetzt kommen wir zum erfreulichen Teil dieses Morgens - (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Frieser [CDU/CSU]: Jetzt kommt es! - Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]) zielt auf Vollständigkeit, ist sachgerecht, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Überraschung!) an den Grundrechten der Beschäftigten ausgerichtet und verliert auch nicht die Interessen der Arbeitgeber aus dem Blick. Jetzt können auch Sie einmal klatschen, Herr Uhl. Wir Grüne sind nämlich der Meinung, die Grundrechte und nichts anderes sollten auch beim Beschäftigtendatenschutz der Maßstab sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit sind wir gleich beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das selbstverständlich auch im Betrieb gelten muss. In unserem Entwurf werden Massenscreenings untersagt, Videoüberwachungen nur in engsten Grenzen zugelassen und die Aufsicht und Kontrolle gestärkt. In unserem Entwurf ist das heimliche Schnüffeln durch Detekteien grundsätzlich unzulässig. Nur bei rein dienstlich genutzten Kommunikationsmitteln kann bei konkretem Verdacht eine Überprüfung der Verkehrsdaten vorgenommen werden. Wir wollen ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften und Betriebsräte schaffen und damit die innerbetriebliche Kontrolle stärken. All das sind Punkte, die man in Ihrem Entwurf leider schmerzlich vermisst. Sie müssen dringend nachbessern und sollten hierfür am besten bei unserem Entwurf - dazu erteile ich Ihnen offiziell die Erlaubnis - ordentlich und intensiv abschreiben. Viel Arbeit liegt vor Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Mit oder ohne Quellenangabe?) - Gerne auch ohne Quellenangabe, mir ist die Gewissheit, dass sich das Gesetz verbessert, genug. Packen Sie die wirklichen Probleme endlich an! Beim nächsten Datenskandal - er kommt so sicher wie das Amen in der Kirche - können Sie sich hinter den dürren Regelungen, die Sie hier heute vorgelegt haben, nicht wegducken. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Frieser von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was soll man zu den Beiträgen der beiden Herren Vorredner zum Beschäftigtendatenschutz noch sagen? (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass das fantastisch war! - Jan Korte [DIE LINKE]: Gute Reden!) Ich kann nur eines sagen: Passen wir bitte auf, dass wir bei solch einem Thema, einem Dauerbrenner in der politischen Öffentlichkeit und der öffentlichen Wahrnehmung, nicht in eine Grabenkampfrhetorik verfallen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe doch die Zusammenarbeit angeboten!) die in dem Satz der Linken gipfelt: Bitte lasst uns endlich verbieten, was schon illegal ist. - Wenn das der Programmsatz der Linken ist, dann kann sie eigentlich einpacken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!) Folgendes ist entscheidend - vielleicht ist das der Grund für die etwas aufgeregte Stimmung hier -: Die Bundesregierung geht mit diesem Gesetzentwurf einen bemerkenswerten Schritt; sie ist tatsächlich in der Lage, ein Konzept vorzulegen und für die Lösung von politischen Fragen in diesem Land zu sorgen, die die Diskussion in der Öffentlichkeit schon seit langer Zeit bestimmen. Der konzeptionelle Ansatz des Gesetzentwurfs, über den wir schon lange diskutiert haben, ist sehr wohl geeignet, die Themen der großen Diskussionen, die wir alle geführt haben, aufzuarbeiten. Wir alle sind wegen der Vorfälle enerviert, etwa wegen der skandalträchtigen Überwachungen und Bespitzelungen, die wir im Jahr 2009 erleben mussten. Ich kann an dieser Stelle nur sagen, dass wir bei diesem Gesetzentwurf keine Nachhilfe brauchen. Wir mussten nämlich bei der Aufarbeitung des Themas erleben, dass die Bespitzelungen bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem sie stattgefunden haben, illegal waren. Was war der Grund für die unübersichtliche Rechtslage? Die Tatsache, dass wir eine Reihe von konzeptionellen Richtlinien und Betriebsvereinbarungen, aber vor allem eine umfassende Rechtsprechung vorfinden. Das macht es sehr schwierig, eine gelebte Praxis ausfindig zu machen. Ich selber kann mit Blick auf meine Tätigkeit in der freien Wirtschaft sagen: Es ist wichtig und notwendig, sich sehr tief einzuarbeiten, um zu wissen, wie der Datenschutz in den Unternehmen praktisch umgesetzt werden kann. Es geht natürlich um die Frage, inwieweit verschiedene Sphären gegeneinander abgewogen werden können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstverständlich!) Ich kann für die CDU/CSU-Fraktion und für die Kollegen von der FDP, also für die gesamte Koalition, sagen: Die Bundesregierung hat hier die Herausforderung angenommen, den Koalitionsvertrag umzusetzen und den Schritt zu wagen, auf den die Öffentlichkeit, die Unternehmen und vor allem die Arbeitnehmer warten. Ich darf mich im Namen der Koalition bei der Bundesregierung und bei Ihnen, Herr Bundesminister des Innern de Maizière, herzlich bedanken, dass Sie den Entwurf in dieser Form schon jetzt vorgelegt haben, sodass wir ihn in dieser Legislatur wirklich zeitgerecht umsetzen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Marco Buschmann [FDP]) Es ist entscheidend, dass wir uns die Herausforderungen deutlich vor Augen führen: Worum geht es im Kern? Es geht um zwei sich überlagernde Sphären. Herr de Maiziére, Sie haben in diesem Zusammenhang von einem "Abwägungsprozess" gesprochen; ich halte ihn für die entscheidende Herausforderung. Es geht um Folgendes: Auf der einen Seite haben wir die Personalität des Mitarbeiters, des Arbeitnehmers. Er unterliegt der informationellen Selbstbestimmung und muss in seinem Bereich geschützt werden. Auf der anderen Seite haben wir das Rechtssubjekt des Mitarbeiters, der seinen Arbeitsvertrag erfüllen muss. Der Mitarbeiter hinterlässt zu jeder Zeit Daten, die zweierlei Zwecken dienen: erstens der Selbstdefinition als Person, zweitens der Erbringung der Arbeit und der Umsetzung des Arbeitsauftrages. Es ist deshalb entscheidend, dass wir an dieser Stelle die Unternehmen stärken und gleichzeitig die Mitarbeiter schützen; hier liegt die Herausforderung bei diesem Gesetzentwurf. Insofern ist das, was die Grünen vorgelegt haben, leider Gottes unbrauchbar. Wir kommen nicht in die Verlegenheit, daraus tatsächlich in irgendeiner Art und Weise zu zitieren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kritik ist ein bisschen unterkomplex, wenn ich das sagen darf!) Worum geht es? Es geht darum, Unternehmen in die Lage zu versetzen, legal Daten zu sammeln, die dem Unternehmen dienen können, wobei diese Daten des Mitarbeiters aber auch einem Schutz unterliegen müssen. Ich komme zu dem Ergebnis, dass das nur gewährleistet sein kann, wenn wir die verschiedenen Interessen ordnen. Wir regeln den Beschäftigtendatenschutz im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes, weil wir dadurch Redundanzen vermeiden und Bezüge herstellen können, was wir an anderer Stelle - das haben wir erlebt - nicht können; denn dann müssten wir Wiederholungen einfügen bzw. bestimmte Fragen anders regeln. Es kommt darauf an, dass wir die Definitionen in einem Kapitel des Bundesdatenschutzgesetzes vornehmen, damit sowohl die Unternehmen als auch die Mitarbeiter wissen, an welcher Stelle sie nachlesen können. Worum geht es in zweiter Linie? Selbstverständlich geht es um den Umgang mit wachsender Korruptionsanfälligkeit. Selbstverständlich geht es um den Umgang mit Geheimnisverrat und um die Bekämpfung von Straftaten. Herr Kollege Reichenbach, zur Definition: Unter dem Begriff Compliance versteht man das Durchsetzen und das Einhalten von Rechtsvorschriften. Ein Unternehmen kann sich beispielsweise dem Deutschen Corporate Governance Kodex unterwerfen. Grundsätzlich geht es um die legalen Grundlagen. Das kann ich nicht ins Belieben des Unternehmers, des Arbeitgebers oder der Betriebsverfassung stellen. Vielmehr geht es darum, dass sich das Unternehmen verpflichtet, alles zu tun, damit diese Grundregeln wirklich eingehalten werden. (Zuruf des Abg. Gerold Reichenbach [SPD]) Natürlich sind Daten in einem Konzern immer eine Sache der Definition. Die Vorlage dieses Gesetzes ist erst der Beginn des parlamentarischen Verfahrens. Wir würden uns doch die Kollegen der Opposition nicht leisten, wenn wir nicht auch im Parlament mit ihnen darüber diskutieren würden. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!) Sonst brauchte man uns kaum. Deshalb kann ich nur sagen: Jedes Gesetz ist es wert, dass wir darüber diskutieren und dass wir es an bestimmten Stellen ändern. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran will ich Sie erinnern!) Wir müssen immer versuchen, im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses zu einer Abwägung zu kommen. Dazu gehört es selbstverständlich, dass wir uns über Betriebsvereinbarungen und Einwilligungen unterhalten. Wie geht es weiter mit den Daten in Konzernen ab einer bestimmten Größe? Die Beantwortung dieser Fragen haben Sie heute in Ihren Reden leider Gottes offen gelassen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht richtig, Herr Kollege Frieser, Sie haben nicht zugehört, und Sie haben nicht gelesen! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) Ich kann Sie nur einladen, das Thema grundsätzlich zu diskutieren und Bezüge herzustellen, zum Beispiel zum Telekommunikationsgesetz. Es geht darum, wie Mitarbeiter am Arbeitsplatz mit ihren Daten umgehen. Dürfen sie privat telefonieren? Dürfen sie privat ins Internet? Dürfen sie private E-Mails verwenden? All diese Fragen sind es wert, dass wir sie im Innenausschuss diskutieren. Helfen Sie mit, dass sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen in der Lage sind, Arbeitsplätze weiter zu sichern, dass der Mitarbeiter sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch am Arbeitsplatz wahrnehmen kann, dass Unternehmen im Interesse des Betriebsfriedens - das wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf erreicht - in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit ordentlich zu tun, und dass sie Rechtssicherheit erhalten, was die Behandlung von Daten betrifft. Dazu laden wir ein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heutzutage gibt es viel freiwilliges Zurschaustellen. Das geht los mit Partybildern, die auf Facebook zu sehen sind, und endet mit öffentlichem "Demutsgefasel" - ich danke Claudia Roth für dieses Zitat - des Baron zu Guttenberg. Mich stört nicht, wenn Menschen mit ihren Privatheiten freigiebig sind: Jeder nach seiner Fasson, jeder soll dürfen, aber keiner soll müssen. Genau das ist heutzutage das Problem vieler Arbeitnehmer: Sie müssen, und sie werden nicht gefragt. Sie werden nicht gefragt, ob ihre Betriebsratssitzung bei Burger King gefilmt werden darf. Sie werden auch nicht gefragt, ob sie ihre Umkleideräume per Video überwacht haben möchten, wie es bei der Fleischerei Tönnies geschehen ist. Sie werden auch nicht gefragt, ob es ihnen recht ist, dass Lidl Profile über Gewohnheiten, Gespräche und sogar soziale Beziehungen seiner Mitarbeiter erstellt oder die Deutsche Bahn die Daten von rund 200 000 Mitarbeitern ohne vorherige Rücksprache vergleicht. Diese wenigen und besonders spektakulären Fälle zeigen: Datenschutz wird in vielen Betrieben kleingeschrieben, vereinzelt wird er krass ignoriert. Datenschutz interessiert viele Arbeitgeber überhaupt nicht. Es fehlt oft schlicht das Problembewusstsein. Delikte dieser Art werden im Betrieb sehr lax gehandhabt - genauso wie Urheberrechtsdelikte, möchte man aus aktuellem Anlass anfügen. Wir müssen uns endlich klarmachen: Missbrauch von Daten ist kein Kavaliersdelikt - erst recht nicht, wenn es um sensible Daten wie diejenigen in Personalakten, etwa Krankendaten, und um versteckte Überwachung geht. Wir brauchen aus zwei Gründen einen guten Arbeitnehmerdatenschutz: Erstens müssen wir das Recht auf informationelle Selbstbestimmung endlich auch am Arbeitsplatz umsetzen. Ein Arbeitnehmer gibt seine Rechte nicht an der Stechuhr ab. Zweitens brauchen wir faire Regelungen, um motivierte Arbeitnehmer in unseren Betrieben zu haben und um damit unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Es ist sicherlich nachvollziehbar, dass Motivation nicht vorhanden ist, wenn Dauerüberwachung und Dauerkontrolle stattfinden. (Beifall bei der SPD) Ich bin froh, dass wir nun endlich über ein Gesetz zum Arbeitnehmerdatenschutz debattieren. Schon in der Großen Koalition haben wir ein solches Gesetz eingefordert. Der damalige Innenminister Schäuble sah jedoch keinerlei Handlungsnotwendigkeit bei dem Thema, zumindest nicht in Richtung mehr Datenschutz. Außerdem bin ich froh, dass die Bundesländer bereits wichtige Änderungen an dem Gesetzentwurf vorgenommen haben. Der ursprüngliche Vorschlag der Union war kein Gesetz zum Arbeitnehmerdatenschutz, sondern ein Arbeitnehmerüberwachungsgesetz. Dank Bundesrat hat sich etwas betrieblicher Sachverstand in dem Gesetzentwurf niedergeschlagen. Aber es sind immer noch sehr gravierende Mängel enthalten. Erstens ist auch der neue Gesetzentwurf in einigen Punkten ein Rückschritt im Vergleich zur bisherigen Rechtslage, zum Beispiel bei der Videoüberwachung. Zwar soll die heimliche Kontrolle ausgeschlossen sein, die offene Kontrolle wird allerdings schrankenlos zugelassen. Erforderlich ist nur, dass sie zur Wahrung wichtiger betrieblicher Interessen notwendig ist. Das ist eine Verschlechterung gegenüber der Rechtsprechung, die offene Kontrollen nur für eine begrenzte Zeit und bei konkretem Tatverdacht zulässt. Dauerhafte, verdachtsunabhängige Kontrollen per Video sind nach der Rechtsprechung unzulässig, und dafür gibt es auch gute Argumente. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie sich die Situation für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Betrieben darstellt, in denen jeder Moment der Anwesenheit, jede Bewegung und jedes Detail überwacht werden. Zweitens soll der Arbeitgeber im laufenden Beschäftigungsverhältnis verlangen können, dass der Arbeitnehmer an einem Eignungstest oder an einer ärztlichen Untersuchung teilnimmt, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der fortdauernden Eignung des Beschäftigten begründen, oder wenn ein Wechsel der Tätigkeit beabsichtigt ist. Auch diesbezüglich ist der Gesetzentwurf überhaupt nicht nachvollziehbar. Vor allen Dingen gibt es bereits einen hervorragenden Schutz der Arbeitgeber. Wenn ein Arbeitnehmer krank ist, dann gibt es in den ersten Wochen eine Entgeltfortzahlung, wenn ein Arbeitnehmer längere Zeit krank ist, gibt es Krankengeld, das der Arbeitgeber nicht zahlt. Wenn der Arbeitnehmer sehr lange krank ist, kann selbstverständlich die personenbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Es gibt also überhaupt kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers. Die Grundsätze der Datensparsamkeit und Datenvermeidung müssen auch für Arbeitnehmerdaten gelten. Beide Grundsätze werden in dem Gesetzentwurf aber nicht berücksichtigt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass so großzügig neue Rechte eingeräumt werden sollen. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass die FDP an dieser Stelle so großzügig ist, die ansonsten sehr wohl auf freiheitliche Traditionen achtet. Sie sollten sich einmal ganz genau überlegen, ob Sie nicht noch den einen oder anderen Grund finden, um mehr Einschränkungen vorzusehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/4230 und 17/4853 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Quotenregelung für Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich festschreiben - Drucksache 17/4683 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Geschlechtergerechte Besetzung von Führungspositionen der Wirtschaft - Drucksache 17/4842 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Christel Humme von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Christel Humme (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir legen heute mit unserem Antrag ein klares SPD-Konzept vor. Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wir wollen eine 40-Prozent-Quote für Vorstände und Aufsichtsräte. Wir wollen das gesetzlich regeln, und wir wollen auch Sanktionen festlegen. (Beifall bei der SPD) Darin unterscheiden wir uns ganz wesentlich von der zerstrittenen Bundesregierung. Ich weiß ja, dass auch die Gruppe der Frauen in der Union eine gesetzliche Regelung möchte; Frau Pawelski, das ist bekannt. Das schreiben Sie in allen Pressemitteilungen, und das ist auch auf der Homepage zu lesen. Gestern hat Frau Fischbach uns vehement aufgefordert, initiativ zu werden und eine übergreifende Fraueninitiative zu starten. Ich finde, das ist eine gute Idee. Ich glaube, unser Antrag könnte eine Grundlage für eine gute Zusammenarbeit sein. (Beifall bei der SPD) Aber ich habe so ein bisschen den Verdacht: Ganz ehrlich war das nicht gemeint. Sie von der Union haben keine Quote. Das sieht man auch ganz deutlich: Gut 19 Prozent in Ihrer Fraktion sind Frauen. Damit sind Sie von der Menge her nicht besonders schlagkräftig; das ist so. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Unsere Frauen sind so gut, dass sie in die Länderparlamente abgeworben werden!) Der Presse ist zu entnehmen - Frau Pawelski, hören Sie zu -, dass Sie von Ihrem Fraktionschef Kauder und von dem CSU-Landesgruppenchef zurückgepfiffen werden mussten, als Sie in einem Positionspapier gesetzliche Initiativen zur Quote einforderten. Das konnte man im Spiegel nachlesen. Ist es das, was Frau Fischbach gestern meinte, als sie sagte, man müsse die Männer mitnehmen, wenn man etwas erreichen will? (Lachen der Abg. Caren Marks [SPD]) Ich glaube, da haben Sie noch eine Menge zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Caren Marks [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Wir sind an Ihrer Seite!) Ich verstehe natürlich das große Dilemma. (Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]) - Ach, jetzt machen Sie doch nicht Vergangenheitsbewältigung, Frau Fischbach. Das bringt nichts. Wir gehen in die Zukunft. Wir konzentrieren uns auf den Fortschritt und nicht auf den Rückschritt wie Sie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe natürlich das Dilemma. Es ist ganz klar: Sie, die Frauen in der Union, möchten eine gesetzliche Quote. Frau Ministerin Schröder möchte sie nicht, die Kanzlerin ebenfalls nicht. Es kann eigentlich nicht wahr sein, Frau Schröder, dass nach zehn Jahren Freiwilligkeit immer noch ein altes Instrument bemüht wird, von dem wir genau wissen, dass es in der Vergangenheit erfolglos war. Frau Schröder, ich will nicht gerade sagen, dass Sie beratungsresistent sind; ich gebe Ihnen noch eine Chance. (Marco Buschmann [FDP]: Unanständig! - Dorothee Bär [CDU/CSU]: Oh, ist das gnädig!) Aber Sie berufen jetzt - das haben Sie angekündigt - für März einen Frauenquoten-Gipfel ein; (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist der Gipfel!) so stand es in der Presse. In der Presse stand weiter: Da dürfen dann auch die Unternehmen Vorschläge machen, wie sie - das muss ich jetzt ablesen, weil es so schwer ist - die "individuelle und selbst bestimmte Pflicht zur Selbstverpflichtung" umsetzen wollen (Heiterkeit bei der SPD) oder, anders ausgedrückt, wie sie die Flexiquote - oder soll ich besser "die Frauenquote nach ihrem Belieben" sagen? - einführen wollen. Was heißt denn das, Frau Schröder? Sind es 2, 3, 5 oder 10 Prozent, oder darf es etwas mehr sein? Ich sage Ihnen: Alle Untersuchungen ergeben, dass man keine Quote unter 30 Prozent nennen soll; denn sonst verändert man in den Strukturen der Betriebe nichts, und das ist der Vorschlag von Frau von der Leyen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Elke Ferner [SPD]: Das hat sie aber auch schon einmal anders gesehen!) Doch was sagen Sie dazu? Ihre Aussage in einem Zeit-Interview hat mich ein bisschen irritiert. Sie haben gesagt, das sei "sozialistische Bevormundung". (Elke Ferner [SPD]: Es geht doch nichts über gute Vorurteile! - Monika Lazar [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Schröder hat doch nie Sozialismus erlebt!) Da muss ich die Frauen von der Union fragen: Was sagen Sie denn zu diesem Vorwurf, der natürlich auch an Sie, die Sie eine Quote wollen, gerichtet ist: Halten Sie das für sozialistische Bevormundung? (Elke Ferner [SPD]: Peinlich ist das nur! - Caren Marks [SPD]: Ein peinlicher Vorschlag von einer peinlichen Ministerin!) Die öffentliche Debatte über die Quote hat auch die Einstellung eines Teils unserer Gesellschaft zur Gleichstellungspolitik offenbart. Wenn kein Argument mehr zieht, wird endgültig behauptet: Die Frauen wollen gar nicht an die Spitze. Stereotype und Bilder über Frauen werden gleich mitgeliefert: Frauen sind nicht mutig, sie richten sich ein in ihrer rosaroten Welt und sind bequem. Aber die Wahrheit ist - das hat eine Stern-Umfrage gezeigt -: 75 Prozent der jungen Frauen zwischen 18 und 29 Jahren wollen mehr Verantwortung in den Betrieben übernehmen. Denen ist es völlig egal, ob sie deshalb "Quotenfrau" genannt werden oder nicht. Das Gleiche gilt für 39 Prozent aller Frauen. Das zeigt doch, dass Frauen die Ziellinie selbst dann nicht überschreiten, wenn sie ehrgeizig sind. Das liegt natürlich nicht, wie Sie, Frau Schröder, immer gerne sagen, an den Frauen selbst, (Caren Marks [SPD]: Nein!) sondern an den vorhandenen Strukturen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Caren Marks [SPD]: So ist das!) Wie sonst ist es zu verstehen, dass auch in typisch weiblichen Branchen Männer die Führungsaufgaben wahrnehmen? Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Banken und Sparkassen sind Frauen; in den Führungsetagen sind die Frauen aber nur mit 2,9 Prozent vertreten. Frauen haben keine Wahlfreiheit - diesen Begriff haben Sie, Frau Schröder, in Ihrer gestrigen Rede immer wieder betont -; (Caren Marks [SPD]: Das Problem ist, dass sie nichts begreift!) im Gegenteil: Sie scheitern spätestens an den Personalchefs, die die Frauen immer noch als potenzielle Mütter sehen und meinen, sie würden ihren Job nicht wirklich ausfüllen können, weil sie mehr an die Familie denken, oder sie scheitern aufgrund einer fehlenden flexiblen Kinderbetreuung oder schlicht daran, dass Männer lieber unter sich bleiben wollen und den Staffelstab an ihresgleichen weitergeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sage ich Ihnen, Frau Schröder: Schaffen Sie die Wahlfreiheit, die Sie gestern in Ihrer Rede so oft bemüht haben, auch für die Frauen, die beides wollen, Karriere und Familie! Gestern wurde deutlich: 100 Jahre Internationaler Frauentag ist eine Verpflichtung für uns Frauen, weiterzugehen. Wir dürfen die Erfolge nicht leichtfertig verspielen. Frau Schröder, ich bin davon überzeugt: Freiwilligkeit ist Kapitulation. (Caren Marks [SPD]: Ja!) Gesetzliches Handeln erfordert Mut, und den erwarten wir von Ihnen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man möchte fast sagen: Willkommen zur sitzungswöchentlichen Diskussion über die Frauenquote. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Elke Ferner [SPD]: Bis Sie es verstanden haben, Frau Kollegin!) In letzter Zeit haben wir oft darüber gesprochen. Ich beteilige mich immer wieder gerne an dieser Diskussion; denn das ist ein wirklich wichtiges Thema. Mir ist es auch ein Anliegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den Status quo hinter uns lassen und zu anderen Verhältnissen kommen müssen, weil mehr Frauen und andere Männer gut wären für die Unternehmen. (Christel Humme [SPD]: Dafür schätze ich Sie auch, Frau Winkelmeier!) Die Unternehmen müssen sich besser aufstellen und bessere Entscheidungen in ihren Führungsgremien treffen. Das können sie gerade dann, wenn sie sich anders aufstellen. Zum Frauenanteil gibt es mehrere Studien: die Catalyst-Studie, die McKinsey-Studie, die Sinus-Studie. Der Hintergrund ist nicht, dass Frauen durch die Bank besser sind, sondern es geht um den Diversity-Ansatz, das heißt, dass es zu besseren Ergebnissen führt, wenn Personen mit unterschiedlicher Denkweise, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Karrieren zusammenkommen und nicht alle von derselben Eliteuniversität stammen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Mast [SPD]) Wir brauchen vor allem eines nicht: Wir brauchen keinen Biotopschutz für bestehende Führungszirkel; denn die haben in der Vergangenheit nun wirklich nicht nur Erfolge vorzuweisen gehabt. Einige Entscheidungen von Banken, Kaufhauskonzernen und Autoherstellern waren durchaus suboptimal. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!) Ich komme darauf zurück, aber ich möchte zunächst kurz auf die Anträge eingehen, die zu diesem Thema vorgelegt worden sind. Mein Heimatland Nordrhein-Westfalen hat in den Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, der sich nur auf die Gleichberechtigung in Aufsichtsräten bezieht. In diesen soll die Frauenquote bis 2017 30 Prozent und bis 2022 40 Prozent betragen. Wenn die Wahl nicht damit im Einklang steht, soll die Wahl unwirksam sein. Hier im Bundestag haben wir von der SPD ein anderes Konzept vorgelegt bekommen: Die Frauenquote in den Aufsichtsräten soll bis 2015 40 Prozent betragen; das soll ebenso für die Vorstände gelten. Als Sanktion sehen Sie die Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse vor. Die Linke will tatsächlich eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent erreichen. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Genau!) Da ist der Punkt überschritten. Eine solche Vorschrift durch den Staat wäre wohl verfassungswidrig. Mein Eindruck ist, dass hier nach dem Motto "Wer bietet mehr, wer will es schneller, und wer ist radikaler?" vorgegangen wird. Diese Diskussion hilft der Sache nicht unbedingt weiter. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag! Was machen Sie denn jetzt?) Ich sehe zwar nicht mit Neid, aber durchaus mit Anerkennung, dass diese Anträge in Ihren Fraktionen die Mehrheit haben, also auch von den Männern getragen werden; deren Namen stehen ja auch auf den Anträgen. Aber der kleine Wermutstropfen ist, dass solche Anträge immer aus der Sicherheit der Opposition heraus oder auf der föderalen nichtzuständigen Ebene gestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Elke Ferner [SPD]: Keine Sorge! - Christel Humme [SPD]: Wir wollten das schon zu Regierungszeiten der Großen Koalition!) Solange Sie die Regierung gestellt haben - nach diesem Hinweis bin ich mit diesem Thema fertig -, hatten Sie diese Mehrheit nicht. Ich füge hinzu: Leider hatten Sie sie nicht. Es gibt also Handlungsbedarf für den Bundesgesetzgeber. Das Hauptargument - das möchte ich noch einmal betonen - ist der wirtschaftliche Nutzen, den die Unternehmen hätten, wenn sie ihre Führungsgremien besser bestücken würden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Rita Pawelski [CDU/CSU]: So ist es!) Jetzt kann man natürlich fragen, ob es nicht Sache der Unternehmen sein sollte, dafür zu sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Sie haben jetzt lange genug bewiesen, dass sie es nicht können!) - Es wäre ja in ihrem eigenen Interesse. Aber ich stimme Ihnen zu: Wir reden hier über die großen börsennotierten Unternehmen, bei denen wir auch in anderen Zusammenhängen nicht immer automatisch davon ausgehen, dass diese alles richtig machen. Es gibt einen strukturellen Unterschied zu den kleinen familiengeführten Unternehmen, in denen der Eigentümer nachhaltig dafür sorgt, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Bei den großen börsennotierten Unternehmen ist die Eigentümerposition sehr zerstritten. Das Management ist nicht identisch mit den Eigentümern. Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, dass das, was zum langfristigen Erfolg solcher Unternehmen führt, nicht unbedingt mit dem identisch ist, was das Management kurzfristig anstrebt. Deshalb haben wir schon einiges nachgebessert, gerade als Reaktion auf die Wirtschaftskrise. Wir haben die Haftungsregeln verändert. Wir haben die Fristen verändert, die eingehalten werden müssen, wenn man vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechseln möchte. Wir haben die entsprechenden Bundesregeln verändert. Das alles sind Ansätze, die sich daraus ergeben, dass gerade bei den großen börsennotierten Unternehmen nicht alles automatisch in die richtige Richtung geht. Dort muss man nachhelfen. Das ist auch der Ansatz der Regierungskommission "Deutscher Corporate Governance Kodex" und natürlich der Ansatz für Überlegungen, die wir als Bundesgesetzgeber anstellen müssen. Mein Fazit an dieser Stelle ist, dass wir in der Tat Handlungsbedarf haben. Nun hat die zuständige Ministerin ihren Stufenplan vorgelegt. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Der ist aber langweilig!) Er sieht Steigerungen bei Aufsichtsräten und Vorständen vor. Er ist wirklich ambitioniert. (Lachen bei Abgeordneten der SPD - Elke Ferner [SPD]: Wenn das ambitioniert ist, o Gott, o Gott!) Es wäre klasse, wenn wir es schafften, diese Ziele zu erreichen. Die vorgesehenen Berichtspflichten sind durchaus wirksam. Wir sehen das jetzt in der Reaktion auf den Women-on-Board-Index, den FidAR vorgelegt hat. Angesichts der aktuellen Diskussion wissen die Unternehmen, dass jede Entscheidung, jede Nachbesetzung beobachtet wird und dass sie unter Druck stehen. Das ist hilfreich. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Machen Sie lieber Ihren Männern in der Fraktion Dampf!) Aber ich bleibe dabei und stehe dazu: Es muss noch etwas hinzukommen, damit das begonnene Umdenken jetzt nicht wieder endet. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja!) Dazu brauchen wir - zusätzlich zu dem in Ansätzen guten Stufenplan - zumindest für die Aufsichtsräte in absehbarer Zeit und unter Berücksichtigung der Amtszeiten - diese dauern fünf Jahre; daher ist es wichtig, dies jetzt zu tun - eine verbindliche Vorgabe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Ich bleibe dabei, dass wir diese Regelung schon 2013 treffen müssen, (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau!) damit der Druck, der jetzt entstanden und spürbar ist, nicht nachlässt. Sonst hätten wir den Effekt, dass wieder Entspannung einsetzt und man denkt: Das Thema ist noch einmal an uns vorübergegangen; wir warten einfach ab. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Sie haben echt Mut, Frau Winkelmeier!) Nun höre ich von Männern des Öfteren die Frage, ob das nicht langsam zur Diskriminierung von Männern führe. Ich muss sagen: Das ist schon ein bisschen verkehrte Welt, wenn man sich die Ausgangsposition anschaut. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Buschmann, hören Sie jetzt genau zu! - Gegenruf des Abg. Marco Buschmann [FDP]: Das mache ich doch immer!) Angesichts eines Verhältnisses von 3 : 97 in den Vorständen bzw. 10 : 90 in den Aufsichtsräten muss man sich schon fragen, ob sich wirklich diejenigen, die ihren Anteil von 3 auf 25, 30 oder 40 Prozent - über die verschiedenen Zahlen kann man streiten - erhöhen wollen, rechtfertigen müssen oder ob nicht diejenigen, die bisher 97 oder 90 Prozent beanspruchen, unter Rechtfertigungsdruck stehen müssten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, es ist klar und in vielen Gutachten belegt, dass eine entsprechende Regelung mit Verfassungs- und Europarecht konform ginge. Wir merken, dass ein Umdenken spürbar ist. Aber es darf nicht beim Wording bleiben. Wir hören von Vorständen, dass alle Botschaften angekommen sind, dass man zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Karriere beitragen will, dass die Kinderbetreuung verbessert werden soll. All das hören wir; aber greifbare Ergebnisse lassen noch auf sich warten. Ich habe nur noch ganz wenig Redezeit. Ich möchte sie nutzen, um ein besonders beliebtes Argument aufzugreifen, das gegen eine Quotenregelung ins Feld geführt wird: Es seien nicht in ausreichender Zahl Frauen mit geeigneter Qualifikation vorhanden, und sie hätten die falschen Berufe. Die Praxis zeigt: Das ist überhaupt nicht der entscheidende Punkt, (Elke Ferner [SPD]: So ist das! Frau Schröder, hören Sie gut zu!) jedenfalls nicht für die Besetzung von Aufsichtsräten. 62 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder in den DAX-Unternehmen sind Juristen oder Betriebs- bzw. Volkswirte; in den Vorständen sind es 59 Prozent. Gerade das sind Ausbildungsgänge, in denen Frauen seit Jahrzehnten die gleichen Anteile haben und mindestens so gute Examina abliefern wie Männer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP]) Noch eines: Dass Branchenkenntnisse im engeren Sinne - bei aller Qualifikation, die diese Personen mitbringen müssen - nicht das Entscheidende sein können, (Elke Ferner [SPD]: So ist das!) zeigt sich beim Blick auf einzelne Karrieren. Da kann man als Eon-Vorstand auch in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank, als Bayer-Chef in den Aufsichtsrat von Eon und Deutscher Bank, (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Richtig! Man kann überall sein!) als Eon-Chef in den Aufsichtsrat der Allianz und als Trumpf-Chef in den Aufsichtsrat von Lufthansa und Siemens. Das ist also nicht das entscheidende Argument. Das zeigt der Blick auf die Praxis. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Karin Roth [Esslingen] [SPD]: So sind sie, die Männer! - Elke Ferner [SPD]: Ja! Männer können alles!) Wir werden diese Diskussion weiterführen. Ich glaube, die Anhörung haben wir schon terminiert. (Zuruf von der SPD: Nein! Aber bald!) Ich freue mich auf eine gemeinsame Diskussion, mit Betonung auf "gemeinsam". (Zuruf von der SPD: Wir uns auch!) Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN - Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Frau Winkelmeier, das war sehr mutig! Wunderbar!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Möhring von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Norwegen hat sie, Frankreich und Spanien haben sie eingeführt, und wir brauchen und - vor allem - wollen sie ebenfalls: die verpflichtende Quote für Frauen in Vorstandsetagen und Aufsichtsräten. (Beifall bei der LINKEN) Nun hören wir in letzter Zeit allerlei Schönrederei im Hinblick auf die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Dazu gesellt sich auch manch bizarrer Vorschlag aus dem Bundeskabinett. Unsere Frauenministerin - das haben wir eben schon gehört - will die bisherige Tatenlosigkeit mit einem Gesetz absichern. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Frauenministerin?) - Ja, mir fällt auch manchmal eher "Männerministerin" ein; (Michaela Noll [CDU/CSU]: So ein Quatsch! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Was soll denn das? - Wie lächerlich!) aber wir wissen ja, über wen wir sprechen. - Wie gesagt, Frau Schröder möchte die bisherige Tatenlosigkeit mit einem Gesetz absichern und nennt das auch noch irreführend Flexiquote. Der Gipfel der Tatenlosigkeit wird vielleicht tatsächlich der Frauenquoten-Gipfel. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser Wirtschaftsminister setzt noch einen drauf - das ist sogar relativ lustig -: Er schlägt einen Pakt für Frauen vor, und diesen Pakt für Frauen vergleicht er mit dem Pakt für Auszubildende. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Elke Ferner [SPD]: Herr Brüderle ist ja selber Lehrling!) Herr Brüderle ist jetzt leider nicht da. Allerdings habe ich mir die Ergebnisse des Paktes für Auszubildende einmal angesehen - vielleicht wäre eine Wirtschaftsministerin, die rechnen kann, auf diesem Platz angemessener -: (Elke Ferner [SPD]: Ja!) Im Sommer 2004 waren bei den Arbeitsagenturen noch 463 000 betriebliche Ausbildungsplätze gemeldet. Im August 2010, also sechs Jahre später, waren es gerade noch 418 000. Das sind 45 000 weniger. Folgen wir dem Vorschlag von Herrn Brüderle, dann können wir uns ziemlich sicher sein, dass im Jahr 2016 garantiert keine Frau mehr in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft sitzen wird. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Monika Lazar [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vielleicht will Herr Brüderle das auch so!) Das ist eher ein Pakt mit dem Teufel als ein Pakt für die Frauen. (Marco Buschmann [FDP]: Haben Sie ein Sachargument?) - Ach, Herr Buschmann, schade, dass Sie heute nach mir sprechen. (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Nein, wie gut!) Ich habe noch viele sachliche Argumente. (Marco Buschmann [FDP]: Wir warten!) An dieser Stelle will ich noch einmal deutlich sagen: Im Kern geht es nicht um eine 30-, 40- oder 50-Prozent-Quote. Wir reden über die Realität in dieser Gesellschaft: über eine 97-Prozent-Männerquote in den Vorstandsetagen und eine 90-Prozent-Männerquote in den Aufsichtsräten und damit über einen ziemlich hohen Männeranteil in den entscheidenden Positionen der Wirtschaft und einen ziemlich mickrigen Anteil für die Mehrheit der Bevölkerung. (Elke Ferner [SPD]: Ja! 90-Prozent-Quote bei der FDP!) Das toppt nur der Vatikan, aber das hat andere Ursachen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Glücklicherweise ist die Meinung von Frau Merkel und der Mehrheit ihrer Regierung nicht die Meinung der Mehrheit in diesem Land. Daran wird auch das kategorische Nein von Frau Merkel zur Quote nichts ändern. Der Druck wächst. Immer mehr Frauen, aber auch immer mehr Männer erwarten endlich verbindliche Festlegungen statt folgenloser Selbstverpflichtungen. Meine Fraktion fordert mit dem vorliegenden Antrag die stufenweise Einführung einer Mindestquotierung in Höhe von 50 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten und in Vorständen. Es ist für uns eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch angemessen an den wichtigsten wirtschaftspolitischen Entscheidungen beteiligt sein muss. (Marco Buschmann [FDP]: Im Totalitarismus wurde noch nie zwischen Staat und Gesellschaft unterschieden!) Die Frauen müssen aufgrund ihrer Mehrheit auch die Folgen überproportional auslöffeln. Die Quote und die Angst der Mehrheit der Regierung vor dieser Quote sind doch, wenn wir ehrlich sind, nur Ausdruck der gesellschaftlichen Situation. Ich vermute trotzdem, dass Ihnen die Debatte über die Quote eigentlich zupasskommt. Dadurch lenken Sie nämlich vom Kern und von den Ursachen Ihrer unsozialen Politik ab. Sie machen Politik für Banken, (Marco Buschmann [FDP]: Ach Gott!) Politik für Energiekonzerne, Politik für Versicherungskonzerne. Sie machen Politik für diejenigen, die sich immer mehr zulasten der Mehrheit bereichern. Ihre Politik ist frauenfeindlich, unsozial und ungerecht. Es ist keine Politik für die Menschen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das wurde übrigens spätestens durch die Debatte heute Morgen noch einmal deutlich gemacht. Sie brauchen Frauen an den Stellen, wo sich jemand unentgeltlich oder zu Hungerlöhnen um den Erhalt des Lebens kümmern muss. Auch hier haben die Frauen keine Wahlfreiheit. Für Wahlfreiheit müssen nämlich die entsprechenden Bedingungen und Voraussetzungen existieren, wie meine Kollegin Humme schon richtig gesagt hat. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke ist für eine umfassende, gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an dieser Gesellschaft und ihren Ressourcen. Ich glaube tatsächlich: Wenn heute 50 Prozent oder mehr Frauen an den Entscheidungen in der Wirtschaft und in der Politik beteiligt wären, dann würden die Welt und der Umgang miteinander bereits jetzt anders aussehen. Die Linke will die gleiche Teilhabe in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft. Frauen wie Männer sollen gute Arbeit haben, die so bezahlt wird, dass sie auch gut davon leben können. Frauen wie Männer sollen sich zu gleichen Zeitanteilen um Kinder, Freunde, Familie, ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung und das menschliche Miteinander kümmern können. Frauen wie Männer sollen in der Politik mitmischen und ihre Erfahrungen einbringen können. Dazu gehört, dass Frauen wie Männer selbstverständlich auch Unternehmen leiten. Freuen Sie sich also schon jetzt auf weitere Anträge der Linken, in denen es mit wirklich guten Argumenten um eine rundum solidarische Gesellschaft und um soziale Gerechtigkeit geht. Wenn auch Sie anfangen wollen, Politik für die Menschen zu machen, dann können Sie ja unseren Anträgen zustimmen. Ich befürchte aber, das werden Sie nicht tun. (Marco Buschmann [FDP]: Das ist ja einmal originell!) Erlauben Sie mir, mit einem Zitat der Frauenrechtlerin Simone de Beauvoir zu schließen; denn darin wird ihre Erfahrung aus den langen Frauenkämpfen zusammengefasst, und es sollte Aufforderung an alle Frauen hier im Parlament und überall sein. Sie sagte: Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen. Sie bekommen nichts. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Buschmann von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marco Buschmann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns in der Tat wieder mit einem wichtigen gesellschaftspolitischen Thema. Hier im Plenum eint uns alle natürlich das Ziel, dass Frauen die gleichen Karrierechancen haben wie Männer. (Zuruf von der SPD: Das bezweifeln wir!) Worum geht es? Es geht darum, dass Sie zum wiederholten Male ein untaugliches Mittel in einer besonders unverhältnismäßigen Art und Weise vorschlagen. (Elke Ferner [SPD]: Was ist unverhältnismäßig? Was ist denn verhältnismäßig an 90 Prozent Männer?) Das wird deutlich, wenn man Ihren konkreten Vorschlag kurz beschreibt. Sie schlagen eine Zwangsquote von 40 Prozent für Aufsichtsräte und Vorstände für sämtliche Gesellschaften vor, die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft organisiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen. (Christel Humme [SPD]: Das hat Norwegen auch geschafft! Da spielt die Musik!) Eine Differenzierung nach Börsennotierung, wie sie auch andere Fraktionen anstreben, die durchaus für die Quote sind, sehen Sie nicht vor. Das Modell ist so undifferenziert, beispiellos und mittelstandsfeindlich, (Caren Marks [SPD]: Wenn Frauen führen, ist das mittelstandsfeindlich, oder was?) dass nicht einmal Anhänger der Quote es unterschreiben würden. Das möchte ich mit einigen Hinweisen auf die Lebenswirklichkeit belegen. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Buschmann, Frau Kollegin Deligöz würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie haben zwar gerade erst begonnen, aber bitte schön. (Elke Ferner [SPD]: Schon jetzt unerträglich, Herr Präsident!) Marco Buschmann (FDP): Ja, bitte. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Buschmann, Sie haben das Instrument als unqualifiziert bezeichnet. Marco Buschmann (FDP): Nein, das war nicht mein Wortlaut. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe das so verstanden. Marco Buschmann (FDP): Nein, ich habe "untauglich" und "unverhältnismäßig" gesagt. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann habe ich das wohl wie die Kollegen rechts und links neben mir anscheinend auch, wie Sie hören, total falsch verstanden. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Er hat "untauglich" gesagt!) - Ich korrigiere also: untauglich. In den letzten Tagen konnte man den Medien entnehmen, dass es eine Gruppe von FDP-Frauen gibt, die auch innerhalb der FDP eine Quote verlangen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Heißt das, dass Sie das Instrument auch innerhalb Ihrer Partei als untauglich qualifizieren, (Elke Ferner [SPD]: Na klar, es geht doch um seinen Job!) und bedeutet das, dass Sie Ihre Rede auch auf Ihrem Parteitag halten werden? (Beifall der Abg. Gabriele Fograscher [SPD]) Marco Buschmann (FDP): Die Frage beantworte ich sehr gerne. Wie Sie der Berichterstattung entnommen haben, bezieht sich der Vorschlag der Kolleginnen eben nicht auf das Thema des heutigen Tages, eine Quotenregelung für die Leitungsorgane von Unternehmen, sondern einzig und allein auf unsere parteiinternen Gremien. Im Gegenteil: Die liberalen Frauen haben sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen, Quoten für Unternehmen vorzuschreiben. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Aber nicht alle! - Elke Ferner [SPD]: Ich sage nur: 75 Prozent!) Sachkenntnis würde hier nicht schaden, Frau Kollegin. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Buschmann, auch die Kollegin Hendricks würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Marco Buschmann (FDP): Ja. Gleichbehandlung gilt für alle Kolleginnen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Dr. Hendricks, bitte. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herr Kollege Buschmann, bitte erlauben Sie mir, dass ich traurig an die Kollegin Ina Lenke erinnere, die für die FDP-Fraktion sehr lange, bis 2009, Mitglied des Deutschen Bundestages war und die entsprechenden Fähigkeiten hatte, um sich zu einem solchen Thema zu äußern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Marco Buschmann (FDP): Ich habe die Frage nicht verstanden, Frau Kollegin; deshalb bin ich außerstande, sie zu beantworten. (Elke Ferner [SPD]: Das war eine Zwischenbemerkung!) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Es war eine Feststellung, die ich allerdings mit den Worten "bitte erlauben Sie mir" eingeleitet habe. Sie können es mir erlauben oder auch nicht; jedenfalls habe ich an die Kollegin Lenke erinnert. Marco Buschmann (FDP): Möglicherweise haben Sie auch das Instrument der Zwischenfrage missbraucht. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Nein! - Katja Mast [SPD]: Geschäftsordnung lesen! - Elke Ferner [SPD]: Keine Ahnung!) Ich komme zurück zum Gegenstand der Debatte. Es geht um die Lebenswirklichkeit, auf die Ihr Modell nicht passt. Sie behandeln jede Aktiengesellschaft wie ein Großunternehmen. Das zeigt, dass Sie von der Lebenswirklichkeit nicht viel verstehen. In Deutschland gibt es über 16 000 Aktiengesellschaften. Nur 800 bis 1 000 davon sind börsennotiert. Das sind die Großunternehmen, an die Sie wahrscheinlich denken, wenn Sie von den Aktiengesellschaften sprechen. Ein Großteil der übrigen Aktiengesellschaften, nämlich über 15 000, sind mittelständische und kleine Betriebe sowie Familienbetriebe. Die Mittelständler stellen Sie mit Ihrem Modell vor große Probleme, weil es undifferenziert ist. Nehmen Sie beispielsweise die Gesellschaften, deren Vorstand zulässigerweise nur aus einer Person besteht. § 76 Aktiengesetz lässt das ausdrücklich zu. Hier führt Ihr Modell ohne jede Abstufung zu einem Einstellungsverbot für Männer. (Christel Humme [SPD]: Lesen Sie doch mal den Antrag! Dann kennen Sie die Antwort selber! Da steht das alles drin!) Oder aber die Unternehmen werden gezwungen, ihre Vorstände auf zwei Personen aufzustocken. Das bedeutet eine Verdopplung der Personalkosten. (Christel Humme [SPD]: Wenn Ihnen die Argumente ausgehen, kommen solche Beispiele!) Das muten Sie den Mittelständlern zu. Es ist unvernünftig und in hohem Maße mittelstandsfeindlich. (Beifall bei der FDP) Nehmen Sie die Familien-AGs. Wir haben eine Kultur von Familienunternehmen, in denen die Leitung auf die Nachkommen übergeht. Es kann doch nicht vom Geschlecht der Nachkommen abhängen, ob wir diese Kultur der Familienbetriebe weiter aufrechterhalten können. Es ist doch unvernünftig, eine Kultur der Familienbetriebe durch ein so undifferenziertes Modell zu gefährden. (Elke Ferner [SPD]: Kein Argument ist zu doof! - Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind undifferenziert!) Das sieht übrigens auch Ihre Vorbildnation Norwegen so. Sie tun immer so, als hätten Sie das Modell aus Norwegen übernommen und als wären Sie sozusagen die legitimen Vertreter der Erfolgsmodelle dort. In Norwegen hat man gerade nicht eine pauschale 40-Prozent-Quote eingeführt. In Norwegen greift die 40-Prozent-Quote überhaupt erst bei Leitungsorganen, die neun oder mehr Mitglieder haben. Bei kleineren Gremien hat man dort eine differenziertere Lösung. (Christel Humme [SPD]: Das können Sie doch machen!) Sie kennen offensichtlich noch nicht einmal die Rechtslage, die dort gilt. Ihr Modell ist also nicht einmal in den Augen Ihrer Vorbilder tauglich; denn die Praktiker, auf die Sie sich berufen, machen es anders, als Sie es vorschlagen. (Elke Ferner [SPD]: Sie wollen noch nicht einmal das norwegische Modell!) Ich verschweige aber natürlich nicht, dass wir nicht nur gegen Ihr spezielles Modell Vorbehalte haben, (Zurufe von der SPD: Aha!) sondern (Elke Ferner [SPD]: Überhaupt gegen Frauen sind!) dass wir als FDP-Fraktion jedwedes Quotenmodell ablehnen; (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in Ihrer Partei!) das habe ich schon zu verschiedenen Anlässen hier im Parlament deutlich gemacht. Wir haben bereits über die Kollateralschäden in Norwegen gesprochen, (Elke Ferner [SPD]: Kollateralschäden! Ich glaube, der steht hier gerade vor uns!) wie Rechtsformwechsel und Delistings. Wir haben auch schon über die neuen Diskriminierungen in Norwegen gesprochen, über das Thema Goldröcke. Da mir niemand vorwerfen soll, dass ich Sie mit den immer gleichen Argumenten langweile, möchte ich ein neues in die Debatte einbringen, nämlich die empirisch belegte Untauglichkeit des Instruments. (Christel Humme [SPD]: Welches?) Die Befürworter behaupten stets, dass die Zwangsquotierung der Leitungsorgane Strahlungswirkung auf die Führungspositionen darunter entfalten würde und dass so insgesamt Frauen in Führungspositionen gestärkt würden. (Christel Humme [SPD]: So sollte es sein!) Diese Hoffnung ist mittlerweile empirisch widerlegt, und zwar gerade in Norwegen. (Christel Humme [SPD]: In der Bundesregierung ist das richtig! Da sind Frauen nicht gerade förderlich!) Die Soziologin Catherine Hakim von der London School of Economics hat dazu Folgendes publiziert - das möchte ich Ihnen zitieren -: Norwegens 40-Prozent-Quote hat überhaupt gar keinen Einfluss auf den Frauenanteil in den leitenden Positionen dieser Firmen gehabt. Der "Erfolg" dieser Maßnahme ist reinweg symbolisch. Tatsächlich zeigt Frau Hakim, dass der Anteil von Frauen in den nicht geschäftsführenden Führungspositionen in Norwegen sogar niedriger ist als überall sonst in Europa. Selbst in Deutschland stehen wir in diesen Bereichen besser da. Eine Vorstandsvorsitzende sucht man in Norwegen übrigens vergebens, anders als etwa in Deutschland. In Deutschland gehen wir einen intelligenteren Weg. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Diese Bundesregierung hat eine Änderung des Corporate Governance Kodex im Jahr 2010 herbeigeführt. Zu behaupten, dass das nicht sanktioniert sei, zeigt, dass Sie den Comply-or-explain-Mechanismus des Corporate Governance Kodex überhaupt nicht verstanden haben. Natürlich hat das Sanktionswirkungen. Das sehen Sie auch bei den Unternehmen. Die Justizministerin nimmt die Wirtschaft in die Pflicht. Mittlerweile gibt es entsprechende Programme etwa bei Telekom, Eon, Karstadt oder Daimler. Im Übrigen wissen wir, dass andere Themen für gleiche Karrierechancen viel entscheidender sind. Ich habe bereits in den letzten Wochen auf das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hingewiesen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist Quatsch!) Beim letzten Mal habe ich Ihnen aus dem Plädoyer von Daniela Weber-Ray, einer extrem erfolgreichen Frau, zitiert, die für eine Kultur aus Kindern, Krippe und Karriere wirbt. (Elke Ferner [SPD]: Deshalb brauchen Sie Betreuungsgeld!) Heute möchte ich mit dem Ergebnis einer Untersuchung von Frau Professor Dr. Renate Köcher schließen. Das Ergebnis ihrer Untersuchung zum Thema "gleiche Karrierechancen" lautet: Das Problem ... ist, dass die Berufstätigkeit von Müttern stigmatisiert wird. Wir brauchen eher eine kulturelle Revolution in den Köpfen, als dass wir Quoten brauchen. Dem ist nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Dann fangen wir bei Ihrem Kopf an, Herr Kollege!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von Bündnis 90/Die Grünen. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Buschmann, das letzte Zitat ist sehr interessant. Vielleicht können Sie bei sich und Ihrer Fraktion anfangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Marco Buschmann [FDP]: Wir haben eine Fraktionsvorsitzende!) Wenn Sie Frau Köcher ausführlicher zitiert hätten, dann hätte man auch erfahren, dass es - genauso wie in vielen anderen Bereichen - Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Ich weiß nicht, ob die Frauen und Männer in Ostdeutschland so viel anders sind. Vielleicht sind sie durch den Sozialismus tiefgeschädigt. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Christel Humme [SPD]: Sozialistisch bevormundet!) Aber wir sind nicht alle geschädigt herausgekommen. Bei uns ist es völlig normal und selbstverständlich, dass Frauen arbeiten. Das ist auch für die Männer kein Problem mehr. Es wäre mir lieb, wenn Sie vollständig zitierten. Auch die westdeutsche Gesellschaft sollte sich von einigen Barrieren befreien. Wir haben in den letzten Wochen auch hier im Plenum so häufig wie fast noch nie über das Thema "Frauenpolitik/Frauen in Führungspositionen" diskutiert. Man könnte fast die Hoffnung haben: Wenn wir so weitermachen, kommen wir in dieser Wahlperiode wirklich noch voran. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Winkelmeier-Becker, ich höre Ihnen sehr gerne zu. Vielleicht sollten Sie Herrn Buschmann und die FDP einmal zu einer Sitzung der Gruppe der Frauen in der Unionsfraktion einladen. Wenn Herr Buschmann von uns schon nichts lernen will, dann klappt es vielleicht bei Ihnen. (Marco Buschmann [FDP]: Wenn Sie was hätten, wovon man lernen könnte!) Laden Sie zu dieser Sitzung auch die Ministerin ein. Ich habe nämlich den Eindruck: Die Ministerin (Elke Ferner [SPD]: Braucht auch noch Nachhilfe! Bildungspaket für die Ministerin!) vertritt rückständigere Positionen als Sie. Jetzt liegen Vorschläge aller Oppositionsfraktionen vor. Diese Vorschläge unterscheiden sich in Details. Wir warten jetzt auf Ihre Vorschläge. (Lachen der Abg. Caren Marks [SPD] - Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird nichts kommen! - Marco Buschmann [FDP]: Die Grünen haben doch ein ganz anderes Modell!) Sie können sich gern aus unseren Vorlagen bedienen. Im Mai wird im Rechtsausschuss eine Anhörung stattfinden. An dieser Anhörung werden auch die Mitglieder des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend teilnehmen. Wir werden einmal sehen, was die Sachverständigen sagen. Ich hoffe wirklich sehr, dass wir hier in den nächsten Jahren vorankommen. Man kann es wirklich nicht oft genug betonen: Auf die Freiwilligkeit zu setzen, hat doch nichts genutzt; seit 2001 ist nichts passiert. (Marco Buschmann [FDP]: Das ist keine Freiwilligkeit! Comply or explain! - Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Wir sind hier im Deutschen Bundestag! Denken Sie an Ihren Parteivorsitzenden!) Die Unternehmen waren gehalten, etwas zu machen. Was ist denn das für ein Instrument? Die Ministerin hat auf den Stufenplan verwiesen; allerdings ist zwischen 2001 und 2013 nur eine einzige Stufe in Angriff genommen worden. So etwas kann man doch nicht Stufenplan nennen. Wir müssen jetzt wirklich Nägel mit Köpfen machen, damit wir vorankommen. Ich möchte noch einige Ausführungen zu den heute vorliegenden Anträgen machen. Zum SPD-Antrag. Sie fordern, dass die 40-Prozent-Quote schon ab 2015 gilt. Wir weichen von dieser Forderung geringfügig ab. Das ist jetzt aber nicht das Problem. Auch bezüglich der Forderungen sind wir einverstanden. Ich finde es ein bisschen schade, dass Sie in vielen Punkten so unkonkret bleiben. Sie wollen Festlegungen auch für die Arbeitnehmerseite. Der Anteil der weiblichen Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten ist bereits relativ hoch; sonst würde der Gesamtanteil von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft noch niedriger sein. Daher wäre es mir lieber, wenn das, was geplant ist, etwas ausgewogener ist. Auch sind Sie etwas unkonkret, was die Sanktionen betrifft. Im Antrag steht, dass die Nichteinhaltung der Quote im Ergebnis zur Nichtigkeit der Beschlüsse der Gesellschaft führen könnte. Wir sind diesbezüglich konkreter und haben Vorschläge gemacht, wie Fehlentwicklungen entgegengewirkt werden kann. Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns bezüglich der einzelnen Stufen annähern. Dass das nicht bereits geschehen ist, fand ich etwas schade. (Christel Humme [SPD]: Wir haben ja noch eine Anhörung am 11. Mai, Frau Lazar! Da können wir uns annähern!) - Ja, genau. Ich habe ja auf diese Anhörung verwiesen. Ich hoffe, wir alle werden dann schlauer. Ich möchte noch etwas zum Antrag der Linksfraktion sagen. Auch im Vergleich zu den Forderungen der Linken unterscheiden wir uns etwas, was Zeitraum und Höhe der Quote angeht. Das ist aber kein großes Problem. Was ich in ihrem Antrag allerdings nicht so ganz nachvollziehen kann, ist die Forderung, dass Unternehmen einen Nominierungsausschuss einrichten. Unseres Erachtens ist das ein unnötiges Gremium, mit dessen Einrichtung über das Ziel hinausgeschossen wird. Eine solche Forderung ist Wasser auf die Mühlen der FDP, die immer wieder kritisiert - das wurde auch vorhin getan -, dass alle Unternehmen unter die Knute der Erfüllung der Frauenquote kommen könnten. Ich denke, die Linke geht mit dieser Forderung an das Ganze etwas zu heftig heran. Ansonsten geht es bei der Regierung und bei der Koalition - wie meistens - ziemlich durcheinander. Die Justizministerin hat vor einigen Tagen in einem Interview eine deutliche Verbesserung angemahnt. Mittlerweile droht sie mit dem Damoklesschwert einer gesetzlichen Frauenquote. Ich will einmal sehen, was die Frauenministerin dazu sagt. Sie findet die Lage ja immer noch nicht allzu dramatisch. Ich möchte noch einmal auf den Gleichstellungsbericht des Ministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend verweisen. In diesem Bericht wird auf die Forderungen wirklich sehr deutlich eingegangen. Ich wünsche mir, dass dieser Bericht über die Homepage dieses Ministeriums zugänglich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte, an die FDP gerichtet, kurz Folgendes zitieren - es wurde in der Debatte gestern schon angesprochen -: Die Kosten des Nichtstuns übersteigen die Kosten einer vernünftigen Gleichstellungspolitik bei weitem. - Das, was Sie machen, ist also auch aus Kostengesichtspunkten einfach unsinnig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie gesagt: Wir haben in dieser Wahlperiode noch einige Jahre. Ich hoffe, wir kommen zu einem guten Schluss. Der nächste Höhepunkt wird sicherlich die Anhörung im Rechtsausschuss sein, aus der Herr Buschmann hoffentlich weitere Erkenntnisse im positiven Sinn mitnehmen wird. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Marco Buschmann [FDP]: Ich lerne immer gern!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal debattieren wir heute über das Thema Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch sehr gut!) Wir haben das in der Plenardebatte im Dezember und auch in der Aktuellen Stunde vor zwei Wochen getan. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann darüber nicht oft genug reden!) Heute beraten wir über zwei Anträge, die in eine ähnliche Richtung gehen wie der Antrag der Grünen, den wir Ende letzten Jahres diskutiert haben, die aber an entscheidenden Stellen weiter gehen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesetzentwurf!) Die Grünen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, den ich in der Sache nicht für richtig, wohl aber für diskutabel halte. Sie sehen eine Quotenregelung erstens für mitbestimmte Unternehmen und zweitens für börsennotierte Aktiengesellschaften vor. Der Antrag, den die SPD vorgelegt hat, geht weit darüber hinaus. Er enthält keine Einschränkung auf börsennotierte Aktiengesellschaften, sondern Sie wollen die Quote für Aktiengesellschaften generell einführen. Wenn man sich die Realität der Aktiengesellschaften in Deutschland anschaut, dann stellt man fest, dass mindestens drei Viertel der Aktiengesellschaften in Deutschland typisch mittelständische Unternehmen sind. (Christel Humme [SPD]: Ja und? Was spricht denn dagegen? - Elke Ferner [SPD]: Gilt da Art. 3 Grundgesetz nicht?) Nach dem Institut für Mittelstandsforschung in Bonn, basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes, haben 75 Prozent der Aktiengesellschaften in Deutschland einen jährlich Umsatz von weniger als 10 Millionen Euro. Das ist der Mittelstand; das sind viele kleine Unternehmen. (Marco Buschmann [FDP]: So ist es!) Die Linkspartei geht in ihrem Antrag auch darüber noch hinaus. Die Linkspartei will eine Quotenregelung nicht nur für Aktiengesellschaften, sondern dies auch auf "aufsichtsratsfähige GmbHs" ausdehnen. "Aufsichtsratspflichtige GmbHs" sagen Sie nicht; Sie sagen ganz bewusst "aufsichtsratsfähige GmbHs". Aufsichtsratsfähige GmbHs sind in Deutschland alle. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In jeder GmbH besteht die Möglichkeit, einen Aufsichtsrat einzurichten, wenn die Gesellschafter dies wollen. Die Linkspartei möchte also die Quotenregelung nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für Kleinstunternehmen einführen. Sie möchte das für den örtlichen Handwerksmeister, der seinen Betrieb als GmbH organisiert, und für die örtliche Autowerkstatt, die als GmbH organisiert ist, einführen. Der Handwerksmeister, der bisher als Geschäftsführer fungiert, muss dann eine zweite Handwerksmeisterin einstellen. Das gilt übrigens auch für Vorstände. Damit verlangt man aber von den Kleinstunternehmen etwas, was man, wenn man einen halbwegs gesunden Menschenverstand hat, von ihnen nicht verlangen kann. Das, was Sie vorschlagen, ist Gängelung pur; das ist Irrsinn pur. Für so etwas stehen wir nicht zur Verfügung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Wer lesen kann, ist stets im Vorteil!) Wir haben die politische Entscheidung zu treffen, ob wir eine starre Quote oder einen durchdachten Stufenplan mit flexibler Quote einführen wollen. Meine feste Überzeugung ist: Dort, wo Unzulänglichkeiten und Missstände ohne gesetzgeberische Überregulierung gelöst werden können, verdient dies den Vorzug. So lassen sich Probleme passgenauer und durchdachter lösen. Dieser bessere Ansatz spiegelt sich auch in dem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgelegten Stufenplan wider, wie wir dies auch im christlich-liberalen Koalitionsvertrag vereinbart haben. Der in Eckpunkten vorgelegte Stufenplan erlaubt maßgeschneiderte Lösungen. Er kommt ohne umfassende staatliche Eingriffe aus und wird deshalb zu besseren Ergebnissen führen. Die erste Stufe zielt auf die Schaffung der Voraussetzungen hinsichtlich der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben und speziell in Führungspositionen ab. Die zweite Stufe setzt auf die Implementierung von transparenten freiwilligen Selbstverpflichtungen. In einer dritten Stufe des Plans wird die gesetzliche Verpflichtung zur Selbstverpflichtung zur Förderung des Frauenanteils eingeführt. (Elke Ferner [SPD]: Gesetzliche Verpflichtung zur Selbstverpflichtung! Das ist genial!) Die dann vorgesehene flexible Quote soll so ausgestaltet sein, dass Unternehmen sich selbst eine quantifizierbare Zielvorgabe für die Aufsichtsrats- und Vorstandsbesetzung setzen können, die innerhalb einer bestimmten Frist erreicht werden soll. (Elke Ferner [SPD]: Die wird wirklich hoch sein!) Mithilfe einer solchen Regelung können die Unternehmen auf ihre jeweilige spezifische Unternehmenssituation flexibler reagieren und auf spezifische Unternehmensbesonderheiten besser eingehen. (Elke Ferner [SPD]: Frau Schröder ist ganz glücklich!) Wenn man den Blick auf die Realität noch nicht zu sehr verloren hat, dann wird man feststellen müssen, dass sich die Situation in den verschiedenen Branchen völlig unterschiedlich darstellt, sodass der von Ihnen vorgesehene pauschalierende Ansatz falsch ist. Es gibt Branchen mit einem sehr hohen Frauenanteil. (Dr. Eva Högl [SPD]: Aber keine Frauen in den Führungspositionen!) Es gibt andere Branchen, in denen der Frauenanteil sehr niedrig ist. (Elke Ferner [SPD]: Das heißt, die Frauen sind mal wieder selbst daran schuld, oder wie?) Bei den Ingenieurwissenschaften liegt der Frauenanteil im Durchschnitt bei nur 20 Prozent; in speziellen Disziplinen liegt er noch wesentlich darunter. Wenn Sie dann vorschlagen, dass beispielsweise bei Maschinenbauunternehmen im Vorstand genau die gleiche Quote gelten soll wie vielleicht bei einem Verlagsunternehmen, wo der Frauenanteil ein ganz anderer ist, dann zeigt das doch - - (Elke Ferner [SPD]: Gibt es keine Juristinnen? Gibt es keine BWLerinnen?) - Ich bin Jurist, aber wenn Sie glauben, Maschinenbauunternehmen sollten intelligenterweise von Juristen geführt werden, (Elke Ferner [SPD]: Was ist mit dem Personalvorstand?) dann zeigt das doch, wie weit Ihre praktische Anschauung reicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Elke Ferner [SPD]: Sie meinen auch, die Männer hätten die Intelligenz gepachtet! Wenn man sich das anhört, kommt man zum gegenteiligen Ergebnis!) Die Verhältnisse am Arbeitsmarkt sind zu unterschiedlich, als dass man schlicht und ergreifend den einfachsten Weg beschreiten könnte. Ich gebe gerne zu, dass Ihr Modell das simpelste ist. Wir sind aber nicht gewählt worden, um das simpelste Modell umzusetzen - das könnten auch andere -, sondern wir sind gewählt worden, um eine gute Lösung zu präsentieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine solche gute Lösung stellt der flexible Quotenplan dar. Wenn man einen Blick auf die letzten Jahre wirft, dann müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, warum Sie mit Ihren Überlegungen gerade jetzt kommen, zu einem Zeitpunkt, zu dem zum ersten Mal in den vergangenen zehn Jahren etwas in Bewegung gekommen ist. (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU] - Elke Ferner [SPD]: Man fragt sich natürlich, was Frau Merkel als Frauenministerin bewegt hat!) In den vergangenen zwölf Monaten haben wir in großen Unternehmen und mittleren Unternehmen mehr Bewegung gesehen als davor in einem ganzen Jahrzehnt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir sind im Moment noch nicht dort, wo wir hin wollen. (Elke Ferner [SPD]: Sie wollen da gar nicht erst hin!) Aber wir sehen beispielsweise an SAP, Daimler, BASF, Merck oder ThyssenKrupp - ich könnte noch viele andere Unternehmen nennen -, dass eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die auf den konsequenten Ausbau des Frauenanteils setzt. In diese Entwicklung passt der in Eckpunkten vorgelegte Stufenplan mit flexibler Quote hervorragend hinein. Wenn Sie immer wieder vom Modell Norwegen sprechen, dann möchte ich Ihnen einmal zurufen: Ziel kann es nicht sein, dauerhaft einen Frauenanteil von nur 40 Prozent zu haben, (Elke Ferner [SPD]: Wir reden von einem Mindestanteil pro Geschlecht!) sondern wir müssen dauerhaft einen Frauenanteil von 50 Prozent haben. In Norwegen gibt es seit Jahren eine 40-Prozent-Quote, und der Frauenanteil in den Unternehmen liegt bei 42 Prozent. (Elke Ferner [SPD]: Und in Ihrer Fraktion? Wie viel haben Sie in Ihrer Fraktion noch einmal, Herr Kollege?) Das zeigt, dass die Bewegung, die wir in Gang setzen wollen, nämlich dass Frauen ganz selbstverständlich entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung in den Unternehmen vertreten sind, in Norwegen noch nicht in Gang gekommen ist. Dort stellt sich die Situation so dar, dass die Unternehmen einer als lästig empfundenen Pflichtübung genügen und die 40-Prozent-Schwelle gerade einmal marginal übertreffen. (Christel Humme [SPD]: Wie viel hätten sie ohne Quote? Gar nichts!) Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: Die Anträge, die die SPD und die Linkspartei vorgelegt haben, sind nicht durchdacht. Sie setzen auf Gängelung von mittelständischen Unternehmen. (Elke Ferner [SPD]: Sozialistische Gängelung, wenn schon! Darauf bestehe ich, Herr Kollege!) Sie setzen auf Gängelung von kleinen Unternehmen bis hinunter zu den kleinsten Handwerksbetrieben. Das ist angesichts Ihrer Weltanschauung nicht überraschend. Dass wir uns aber für so etwas nicht zur Verfügung stellen, das mag andererseits Sie nicht überraschen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Willi Brase von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte zeigt, dass es mehr als notwendig ist, dieses Thema anzugehen und vernünftig auf den Weg zu bringen. Wir können in allen Statistiken nachlesen: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist gering und sogar gesunken. Die freiwilligen Vereinbarungen sind kritisch zu überprüfen. Ich will nur darauf hinweisen, dass schon im Jahr 2000 die OECD gemäß ihren Leitsätzen von multinationalen Unternehmen erwartete, dass sie die Chancengleichheit von Frauen und Männern fördern, wobei das Schwergewicht auf gleichen Kriterien bei Auswahl, Arbeitsentgelten und Beförderung sowie auf der gleichen Anwendung dieser Kriterien liegt; ... Wir haben unter Rot-Grün ein Jahr später auf dieser Basis entgegen der Auffassung mancher in unseren Reihen freiwillige Vereinbarungen geschlossen. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Toll gescheitert!) Wir sind an der Stelle auch etwas schlauer geworden. Wir glauben nicht, dass diese freiwilligen Vereinbarungen gezogen haben. Deshalb ist es richtig, dass wir uns über eine Quotenregelung unterhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wir erleben, dass im Wesentlichen die Arbeitnehmerorganisationen, sprich: die Gewerkschaften, mehr und verstärkt Frauen in die Aufsichtsräte hineindelegieren. Die Arbeitgeberseite hängt gnadenlos hinterher. Deshalb brauchen wir die Quote; als ein Mittel zum Zweck ist sie notwendig und richtig. Die Debatte zeigt, dass jetzt auch manche Führungskräfte einsehen, dass hier mehr zu tun ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht darum, die Durchsetzbarkeit auf den Weg zu bringen. Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wir Männer müssen begreifen, dass wir zukünftig Positionen abgeben müssen bzw. nicht mehr alle bekommen können. Mir scheint ein größeres Problem zu sein, dass ein Teil der Männer nicht bereit ist, etwas abzugeben. Ich meine, das ist falsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir streiten darüber, welchen Weg wir gehen wollen. Sollen wir noch einmal auf Freiwilligkeit setzen? Nach den bisherigen Erfahrungen glaube ich, dass das nicht mehr viel bringt. Was soll eigentlich in den nächsten zehn Jahren besser werden, wenn wir wieder auf Freiwilligkeit setzen? Machtbastionen werden niemals freiwillig geräumt. Hier muss nachgeholfen werden. Deshalb ist unser Antrag notwendig und richtig. (Beifall bei der SPD) Dass Frauen die Möglichkeit eröffnet wird, im Berufsleben Führungspositionen zu besetzen, sehen wir auch als Ansporn und Perspektive für die Frauen. Wir wollen noch einmal festhalten: Häufig haben die Frauen, vor allem die jungen Frauen, einen höheren Bildungsabschluss als die jungen Männer. 45 Prozent der jungen Frauen verfügen über die Hochschulreife und 14 Prozent über einen akademischen Abschluss. Bei den Männern besitzen 40 Prozent die Hochschulreife und 13 Prozent einen akademischen Abschluss. Häufig hören wir in der Debatte, dass es für die in den Aufsichtsräten und Vorständen zu besetzenden Positionen gar nicht genug Frauen gibt, die qualifiziert sind. Da habe ich mich an eine wunderbare Statistik erinnert, die ich neulich in der Hand hielt. Ich will kurz zitieren, was das Statistische Bundesamt über deutsche Studierende im Wintersemester 2009/2010 - Fachserie 11, Reihe 4.1 - schreibt: Studierende der Betriebswirtschaftslehre: männlich 83 000, weiblich 72 000; Studierende der Rechtswissenschaft: weiblich 42 000, männlich 37 000; Studierende der Wirtschaftswissenschaften: weiblich 25 000, männlich 35 000. Diese Zahlen belegen eindeutig: Wir haben genügend Frauen, die bereit sind, sich in diesen Feldern einzuarbeiten, und damit die Voraussetzung haben, auch Führungspositionen zu übernehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt noch einen anderen Punkt, den ich kurz ansprechen möchte. Es geht uns nicht nur darum, junge Frauen zu unterstützen und ihnen Chancen zu eröffnen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass unsere Frauen vielfach nicht Vollzeit beschäftigt sind. Der Anteil von Frauen in Vollzeitbeschäftigung ist zurückgegangen, der in geringfügiger Beschäftigung ist gestiegen. Das ist für die Frauen nicht immer gut. (Elke Ferner [SPD]: Karrierekiller!) Viele junge Frauen üben nach statistischen Angaben eine atypische Beschäftigung aus. Das Anwachsen des Niedriglohnsektors hat ein Übriges dazugetan. Der überwiegende Teil der Beschäftigten in diesem Sektor ist weiblich; dabei sind sie gut ausgebildet; denn über 72 Prozent von diesen Frauen haben einen beruflichen Abschluss. Ich glaube, dass die Frauen nicht länger bereit sind, solche Entwicklungen zu akzeptieren. Das wollen und werden wir ändern. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn trotz besserer Schulausbildung und Qualifikation verdienen sie weniger und haben geringere Aufstiegschancen. Was wir brauchen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, für gleichwertige Arbeit. Aufstiegschancen und das Mitwirken in Leitungspositionen und Aufsichtsräten sind wichtig. Das sind vernünftige gleichstellungspolitische Teilhabe und Perspektive, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit unserem Antrag erfüllen wir auch den Auftrag des Grundgesetzes. Art. 3 Abs. 2 lautet - ich zitiere -: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das ist der grundgesetzliche Auftrag. Ich will schließen mit einem Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann: Gleichberechtigung zielt darauf ab, dass Männer und Frauen unsere Gesellschaft in voller Gleichwertigkeit dessen, was sie an körperlichen, geistigen und seelischen Verschiedenheiten einbringen, miteinander gestalten. - Lassen Sie uns dieses tun und die Quote durchsetzen! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Bracht-Bendt von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Nicole Bracht-Bendt (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal Folgendes zur Kenntnis: Wir haben im FDP-Fraktionsvorstand einen Frauenanteil von 45 Prozent. Ich glaube, das haben Sie nicht. (Beifall bei der FDP - Elke Ferner [SPD]: Aber sie setzen nichts durch! Das ist der Unterschied!) Seit Monaten diskutieren wir über die Frage, was Politik leisten kann, damit mehr Frauen in die Führungsetagen unserer Unternehmen einziehen. Die Debatte ist mittlerweile in einen Streit eskaliert. Das Schlimmste daran: Es ist ein Streit zwischen Frauen; ich wiederhole: zwischen Frauen. Ich finde es sehr unerfreulich und kontraproduktiv, wie kompromisslos und polemisch Quotenbefürworterinnen auf Frauen einprügeln, die eine Quote per Gesetz nicht wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir prügeln nicht, wir diskutieren!) Jüngstes Beispiel: Während der Aktuellen Stunde in der letzten Sitzungswoche fiel das Wort "Verräterin". (Marco Buschmann [FDP]: Skandalös! Unparlamentarisch!) Darüber bin ich entsetzt. Ich will es kurz machen. Ich halte eine gesetzlich verordnete Quote für Aufsichtsräte und Vorstände für den falschen Weg, wie Ihnen sicherlich bekannt ist, (Beifall bei der FDP) erstens weil ich sicher bin, dass wir den Wandel auch ohne Quote erreichen werden, (Christel Humme [SPD]: Wann denn?) zweitens weil ich es ablehne, in die Vertragsfreiheit der Wirtschaft einzugreifen. Einem Arbeitgeber vorzuschreiben, wem er welchen Posten gibt, das ist mit mir nicht zu machen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Argumente!) Was die Aufsichtsräte angeht, halte ich die Forderung nach einer starren Quote für Blödsinn. (Christel Humme [SPD]: Blödsinn?) - Ja, Blödsinn. (Christel Humme [SPD]: Mein Gott!) Es gibt nicht nur inkompetente männliche Platzhirsche in den Aufsichtsräten. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber viel zu viele!) Wollen Sie einen männlichen Aufsichtsrat abservieren, obwohl er einen guten Job gemacht hat, nur weil er ein Mann ist? (Beifall bei der FDP - Elke Ferner [SPD]: Das heißt, Sie haben nicht genug Frauen, die qualifiziert genug sind, um in Ihrer Fraktion dabei zu sein?) Wenn Sie etwas verändern wollen, müssen Sie mit den Aufsichtsratsvorsitzenden Tacheles reden. (Elke Ferner [SPD]: Bei Ihnen muss man ein besserer Mann sein, um als Frau eine Chance zu haben!) Aufsichtsräte verfolgen, denke ich, die Diskussion selber. Es vergeht ja kein Tag mehr, an dem wir im Wirtschaftsteil nichts darüber lesen. Erst gestern hat eine große Tageszeitung dem Thema "Frauen in Führungspositionen" vier Seiten gewidmet. Was die Vorstände in den DAX-Unternehmen angeht, ist das ähnlich. Statt eine starre Quote einzuführen, müssen wir direkt mit den Personaldirektoren reden. Mich verblüfft ohnehin der Zeitpunkt der Quotendiskussion. Es ist richtig: Appelle an die Wirtschaft haben in der Vergangenheit nicht viel bewirkt. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ziehen Sie daraus für Konsequenzen?) In den 30 im Deutschen Aktienindex, DAX 30, notierten Unternehmen lag im Jahr 2009 der Frauenanteil bei Vorstandsmitgliedern bei 0,55 Prozent (Elke Ferner [SPD]: Ist doch klasse, oder?) und 2010 bei 2,16 Prozent. In den Aufsichtsräten der 30 DAX-Unternehmen lag der Frauenanteil auf der Anteilseignerseite 2009 bei 6,45 Prozent und 2010 bei 7,2 Prozent. Das ist nicht akzeptabel. Das muss sich schleunigst ändern. (Elke Ferner [SPD]: Aha! - Christel Humme [SPD]: Aber wie?) Ich bin da guter Dinge. Schauen Sie sich doch um! Jetzt passiert gerade eine Menge. Karstadt berief vor wenigen Wochen eine Frau in den Aufsichtsrat. (Elke Ferner [SPD]: Wie viele Frauen arbeiten da noch mal?) Bei Siemens haben es zwei Frauen nach oben geschafft. SAP holte letztes Jahr eine Frau in den Vorstand. (Inge Höger [DIE LINKE]: Eine!) Das Gleiche machte Eon. Der Energielieferant will den Frauenanteil mehr als verdoppeln. (Elke Ferner [SPD]: Von eins auf zwei!) Die Telekom - Sie wissen es sicherlich schon - will den Anteil von Frauen in Führungspositionen (Zurufe von der SPD) - hören Sie zu! - bis 2015 auf 30 Prozent steigern. (Beifall bei der FDP) Daimler holte gerade eine Frau in den Vorstand. Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt soll beim Autobauer das Ressort Recht übernehmen. (Elke Ferner [SPD]: Das kann man in Prozent gar nicht ausdrücken: von null auf eins!) Das ist zwar noch kein Durchbruch; Sie haben recht. Ich weiß, Sie sagen jetzt: Das sind Ausnahmen, und das ändert nicht viel an den Tatsachen. - Das sehe ich anders. In den Chefetagen wird jetzt durchgezählt: Wie viele Frauen sind bei uns in Führungspositionen? Wer zu wenige findet, gerät unter Druck. Man hat mittlerweile den Eindruck, den Unternehmen sind die vielen Chefs jetzt unangenehm; die Männerriege gilt zunehmend sogar als Makel. "Frauen, haben Sie keine Frauen?", ist zurzeit die Standardfrage an Headhunter. Ein Partner eines bekannten Beratungsunternehmens sagte wörtlich: Auch die letzten Machos in den Unternehmen sind aufgewacht. (Christel Humme [SPD]: Sie sind jetzt alarmiert!) Die Unternehmen haben begriffen, dass sie auf die hervorragend ausgebildeten Frauen nicht verzichten können. Beim Wettlauf um die besten Fach- und Führungskräfte im Zuge des demografischen Wandels werden sie nur mithalten können, wenn sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwas bieten, (Beifall bei der FDP) zum Beispiel familienfreundliche Bedingungen. Auch flexible Arbeitszeiten gehören dazu und natürlich auch mehr Kindertagesstätten und Ganztagsschulen. Familie und Beruf dürfen aber nicht zu einem reinen Frauenthema gemacht werden. Flexible Arbeitszeiten und -orte sind auch für Väter wichtig. Früher galt Frauenförderung als gute Tat für das sogenannte schwache Geschlecht. Heute ist sie eine gute Tat für das eigene Unternehmen. Immer mehr Studien belegen: Gemischte Teams erwirtschaften mehr Gewinn. Jetzt sind aber auch die Frauen am Zuge. Ich wünsche mir, dass mehr Frauen sagen: Ja, ich will nach oben. - Wenn Sie ständig Norwegen über den grünen Klee loben, verschweigen Sie, dass die 40-Prozent-Quote nicht das Allheilmittel ist. Es ist Quatsch, wenn Unternehmen die Gesellschaftsform ändern müssen, weil sie die Quote nicht erfüllen können. Die FDP-Fraktion hat diese Woche ein Positionspapier verabschiedet, (Zurufe von der SPD) - hören Sie einmal zu! -, und zwar auf der Grundlage von Freiheit, Eigeninitiative und Selbstbestimmung. (Beifall bei Abgeordneten der FDP - Christel Humme [SPD]: Da müssen Sie selber lachen!) Statt einer starren Quote wollen wir erst den Stufenplan umsetzen, wie wir ihn im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Die Berichtspflichten, also die Offenlegung der Besetzung von Führungspositionen, müssen ein erster konkreter Schritt sein. Dann sehen wir weiter. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Bracht-Bendt, darf ich Sie kurz unterbrechen? Die Kollegin Dittrich von der Fraktion Die Linke möchte eine Zwischenfrage stellen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Nein, danke. Ich möchte die Zwischenfrage nicht zulassen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächste Rednerin rufe ich die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion Die Linke auf. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Lötzer (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Harbarth, Herr Buschmann und Frau Bracht-Bendt, man kann es Ihnen nicht oft genug ins Stammbuch schreiben: Zehn Jahre freiwillige Regelungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen haben sich als zehn Jahre Freifahrtsschein für die Unternehmen herausgestellt, diese Positionen mit Männern und nicht mit Frauen zu besetzen. Frau Winkelmeier-Becker, nachdem ich Ihnen zugehört habe, muss ich sagen: Was Ihre Kollegen hier an Gründen gegen eine gesetzliche Quote anführen oder auch die Tatsache, dass Ihre Kanzlerin, Frau Merkel, mit einem Machtwort gegen eine gesetzliche Quote vorgeht, muss Ihnen doch peinlich sein. Sie selber haben sich deutlich dafür ausgesprochen. Neben Frau Merkel blockiert die FDP; das haben wir gerade wieder sehr deutlich vor Augen geführt bekommen. So hat auch ihr Generalsekretär, Herr Lindner, gesagt, bis 2013 ständen in vielen Unternehmen Führungswechsel an, bis dahin verböten sich gesetzliche Bestimmungen. (Marco Buschmann [FDP]: Guter Mann, der Herr Lindner!) Frau Bracht-Bendt, von Juni 2009 bis Juni 2010 wurden 34 Positionen bei DAX-30-Unternehmen neu besetzt, davon genau zwei mit Frauen. Gerade wird eine fünfte Frau in einen Vorstand berufen; insgesamt gibt es aber 182 Vorstandspositionen. Mit Ihrer Politik schieben Sie die Frauen auf lange Frist in die Warteschleife. Gerade weil jetzt neue Führungspositionen zu besetzen sind, ist es Zeit, zu handeln und für eine gesetzliche Quote einzutreten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD]) Deshalb legen wir Ihnen heute unseren Antrag vor. Wir wollen in zehn Jahren eine Quote von 50 Prozent erreichen. Außerdem treten wir für Sanktionsmöglichkeiten ein. Herr Lindner hat ähnlich wie Sie argumentiert, Liberale gingen davon aus, dass Unternehmen im eigenen Interesse die Bestqualifizierten berufen würden. Er nimmt die Realität offensichtlich genauso wenig wie Sie zur Kenntnis. Circa die Hälfte aller Hochschulabsolventen in Deutschland sind Frauen - Herr Brase hat die detaillierten Zahlen vorhin genannt -, oft mit deutlich besseren Abschlüssen als die Männer. (Patrick Döring [FDP]: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!) Aber diese Qualifikation spiegelt sich eben nicht in den Führungsetagen wider. Genau deshalb brauchen wir endlich eine Quotenregelung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Patrick Döring [FDP]: Es gibt aber keinen Zusammenhang!) Wir helfen Ihnen mit unserem Antrag auch da weiter: (Patrick Döring [FDP]: Wir müssen ja nicht jede Hilfe annehmen!) Unternehmen sollen verpflichtet werden, ein Qualifizierungskonzept für Führungspositionen zu erarbeiten und geeignete Kandidatinnen und Kandidaten auf dieser Grundlage zur Übernahme von Führungsverantwortung zu befähigen. Dabei sind internationale Erfahrungen mit Mentoringprogrammen einzubeziehen. Mit Herrn Westerwelle haben Sie, Herr Buschmann, wieder angeführt, die Lösung könne nicht in einer Zwangsquote liegen, sondern nur in besseren Bildungs- und Betreuungsangeboten - etwa Ganztagsschulen -, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Wir treten immer für bessere Bildung und Kinderbetreuung, für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Aber haben Sie eigentlich einmal einen der 177 Vorstandsmitglieder von DAX-Unternehmen gefragt, wie er seine Karriere denn mit der Betreuung seiner Kinder vereinbart? (Elke Ferner [SPD]: Ja! Genau!) Ihr Einwand zeigt die Wurzel des Problems; er zeigt, weshalb Sie nicht an eine Lösung heranwollen: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Patrick Döring [FDP]: Ich wüsste gerne mal, mit wie vielen von den Vorständen Sie schon gesprochen haben!) In Ihrem Weltbild sind immer noch die Frauen für Kinderbetreuung zuständig - die Männer und nicht die Frauen sind zu Beruf, Führung und Macht befähigt. Eine gesetzliche Quote würde mit genau diesem Rollenbild brechen, das Sie angeführt haben. Eine gesetzliche Quote würde den Druck erhöhen, Arbeitswelt und Gesellschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer die gleiche Chance auf Arbeit, Karriere und Kinderbetreuung haben. (Marco Buschmann [FDP]: Das ist empirisch widerlegt!) Das gilt auch - davon war noch gar nicht die Rede - für die Bezahlung. Denn haben es Frauen einmal in die Hierarchien geschafft, werden sie schlechter bezahlt als Männer in gleichen Positionen. (Marco Buschmann [FDP]: Auch das ist empirisch widerlegt! - Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Natürlich stimmt das! - Patrick Döring [FDP]: Sie müssen Vollzeit mit Vollzeit vergleichen!) Auch hier liegt Deutschland auf dem drittletzten Rang - auch das ist empirisch belegt, und nicht das Gegenteil. Deshalb fordern wir in unserem Antrag konkrete Maßnahmen zur Schaffung von Entgeltgleichheit. Die Mehrheit der Deutschen traut den Unternehmen im Gegensatz zu Ihnen keine angemessene Frauenförderung zu - das hat Forsa gerade festgestellt -; sie spricht sich für staatliche Vorgaben aus und auch für eine Frauenquote in Führungspositionen. Das Grundgesetz schreibt die Gleichberechtigung als Gesetz des Handelns eigentlich auch für Ministerin Schröder, Frau Merkel und Herrn Westerwelle vor. Mit dem DGB stellen wir fest: Die Zeit für Appelle ist vorbei. Frauen sind nicht die besseren Menschen; sie müssen es aber auch nicht sein, um in Vorstandspositionen zu kommen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben ein Recht auf gleichen Lohn, gleiche Arbeit und gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Ekin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Winkelmeier-Becker, ich will einen Satz von Ihnen aufgreifen: Sie haben gesagt, wir debattieren inzwischen fast wöchentlich über dieses Thema. Damit haben Sie auch recht. Aber woran liegt das? In der Gesellschaft gab es noch nie ein so großes Bündnis für die Quote, wie wir es zurzeit erleben: von FidAR über den Deutschen Juristinnenbund und den Verband deutscher Unternehmerinnen bis hin zu Journalistinnen, die sich plötzlich mit dem Thema Quote in ihrem Arbeitsfeld beschäftigen. Dieses starke Bündnis reicht quasi bis zur EU, die darüber diskutiert, ob man nicht EU-weite Regelungen mit Blick auf die Quote einführen muss. Vor diesem Hintergrund stellt sich umso mehr die Frage, ob es uns im Parlament gelingt, diese gesellschaftliche Debatte aufzunehmen; denn das ist ja auch ein Auftrag an uns. Genau deshalb ist es richtig, dass wir - wenn nötig - jede Woche darüber diskutieren; denn wir müssen das in die Köpfe hineinkriegen. Das ist ein Auftrag an uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich bin aber schon sehr unglücklich über die Antworten der Koalitionäre. Ich weiß ja trotz allem, dass es auch hier - an dieser Stelle mache ich eine Pause -, mit Ausnahme der FDP, ein großes Bündnis der Frauen im Bundestag gibt, die sich für die Quote aussprechen. Viele Argumente kommen auch aus der CDU/CSU-Fraktion. Aber die Freiwilligkeit, auf die Sie als Koalition setzen, wird uns nicht weiterhelfen. Wenn wir am Anfang der Debatte stehen würden, dann könnte man so argumentieren. Wir führen diese Debatte über die Freiwilligkeit aber schon seit zehn Jahren. Jetzt, nach zehn Jahren, stellen wir fest, dass das nicht mehr reicht, dass der nächste Schritt kommen muss. Vielleicht beschäftigt sich die FDP zum ersten Mal mit diesem Thema, das heißt aber noch lange nicht, dass alle anderen auch blind, taub und stumm gewesen sind und sich zum ersten Mal damit beschäftigen. Der Rest in diesem Land ist einfach schon weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das gilt ja auch für Ihre Fraktion, das müssen Sie auch einmal konstatieren. Frau Merkel selber hat in einer Rede über familienfreundliche Arbeitszeiten gesagt, es sei ein "ziemlicher Skandal", dass es so wenige Frauen in Führungspositionen gibt. Jetzt sagt aber die Ministerin, die leider gegangen ist - so wichtig ist ihr die Debatte doch nicht, denn es geht "nur" um Frauen - (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie war ja da!) - na ja, die Debatte läuft noch ein bisschen -, dass sie keine Quotenfrau sein möchte; als Quotenfrau habe man so einen Makel. (Elke Ferner [SPD]: Sie ist aber eine!) Ich bin eine Quotenfrau; ich stehe dazu. Das ist auch gut so. Die Quote ist ein Instrument, um Frauen in bestimmte Positionen zu bringen. Trotzdem müssen sich die Frauen selber weiter durchsetzen und bewähren. Im Moment existiert doch die berühmte gläserne Decke; es geht längst nicht nur um die Qualifikation. Wie erklären Sie sonst, dass an der Spitze der 200 größten Unternehmen zu 96 Prozent Männer sind? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Heißt das, wir haben in diesem Land keine qualifizierten Frauen? Was ist mit den weiblichen Absolventinnen, die 51 Prozent aller Absolventen ausmachen und oft Supernoten haben? Sind sie, salopp formuliert, zu doof dazu, in Führungspositionen zu arbeiten? Das kann ja wohl nicht sein. Ich komme zum Argument der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das immer wieder angeführt wird. Ich kann mich immer nur wiederholen: 25 Prozent der Frauen in diesem Land erziehen minderjährige Kinder; 75 Prozent tun es nicht. Auch von diesen 75 Prozent der Frauen sind kaum welche an der Spitze. Es kann also kein Argument sein, zu sagen: Aufgrund des Problems der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es kaum Frauen in Führungspositionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Für 75 Prozent der Frauen gilt dieses Argument nicht; sie haben keine Kinder bzw. die Kinder sind schon aus dem Haus oder bereits volljährig. Auch diese Frauen muss man mit der Lupe in Führungspositionen suchen. Ich komme zur Frauenquote in Norwegen. Sie sagen: "Der Anteil der Frauen in den Vorständen der Unternehmen liegt in Norwegen bei nur 42 Prozent." Ich sage: Immerhin wurde in Norwegen ein Anteil von 42 Prozent erreicht. Bei uns liegt der Anteil bei nur 2 Prozent; das sind 40 Prozentpunkte weniger. In Norwegen hat sich doch etwas geändert: Wir wissen, dass die Unternehmen, in denen Frauen in Führungspositionen sind, in der Krise eine andere Bewältigungsstrategie gewählt haben und damit erfolgreicher waren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) Worum geht es uns? Es geht uns nicht um Semantik; es geht nicht darum, dass Frauen viel besser sind. Frauen haben aber einen anderen Blick auf die Dinge und gehen anders mit Risiken um. Auch manchen Männern in den Vorstandsetagen gefallen gewisse Verfahren der Entscheidungsfindung nicht besonders gut, siehe VW. Wenn Frauen in die Vorstandsetagen kommen, wird anders mit Risiken umgegangen. Wir wollen doch wirtschaftlich weiterkommen und erfolgreich sein; wir wollen Vorreiter sein. Warum können wir nicht ausnahmsweise an solch einem Punkt als Vorreiter auftreten und vorausmarschieren? Warum können wir uns das nicht leisten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Warum überlassen wir das Norwegen, den Niederlanden, Frankreich und demnächst der EU? (Elke Ferner [SPD]: Spanien, Österreich!) Wir hecheln hinterher und diskutieren und diskutieren. Das kann doch nicht die Lösung sein. (Marco Buschmann [FDP]: Genauso wenig wie die Quote!) Das haben übrigens auch die Frauen in der FDP erkannt; es wurde schon an Ina Lenke erinnert, die sich in die Debatte um die Frauenquote eingebracht hat. Nur haben es die Männer in der FDP-Fraktion nicht erkannt; sie sind die letzte Bastion. (Marco Buschmann [FDP]: Ich verwahre mich gegen die Ignoranz gegenüber meiner Kollegin Bracht-Bendt!) Die öffentliche Meinung dazu steht eigentlich schon fest. Die Tatsache, dass die FDP vorwiegend von Männern gewählt wird, heißt noch lange nicht, dass Sie nur Politik für Männer machen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gemischte Teams sind effizienter und erfolgreicher; man kann das nachmessen. Jetzt kommt es darauf an, ob es uns Frauen im Bundestag gelingt, einen anderen Blick auf die Dinge durchzusetzen. In diesem Fall geht es um unseren Einsatz für die Quote. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Marco Buschmann [FDP]) Dorothee Bär (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beinahe könnte man sagen - es ist mehrfach angesprochen worden -: Unsere tägliche Quotendebatte gib uns heute. Frau Deligöz hat in diesem Zusammenhang auf meine Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker Bezug genommen: Sie hat etwas Ähnliches gesagt und es sehr positiv gemeint. Auch ich sehe das positiv, (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!) denn je öfter wir darüber sprechen und je länger der Druck aufrechterhalten wird, desto eher können wir uns an dieser Stelle durchsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns doch einig!) Es ist historisch belegt, dass es möglich ist, sich durchzusetzen, wenn auch in einem negativen Fall: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam Ich glaube nicht, dass wir so martialisch vorgehen müssen, um die Frauenquote letztendlich durchzusetzen; aber es ist ein Beispiel dafür, dass nur immer wiederkehrende Wiederholung die Möglichkeit eröffnet, sich letztendlich durchzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben uns schon gestern in der Debatte zum Thema "100 Jahre Internationaler Frauentag" in ähnlicher Weise, aber etwas ausführlicher - wir hatten mehr Themen auf der Palette - mit der Thematik beschäftigt. Wir haben bereits gestern festgestellt, dass wir alle mit dem Anteil von Frauen in Toppositionen unzufrieden sind und dass wir natürlich auch unzufrieden sind, dass sich in den letzten zehn Jahren nichts geändert hat und dass die freiwillige Vereinbarung zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Spitzenverbänden aus dem Jahr 2001 krachend gescheitert ist. Das hat uns allen gezeigt, dass auf unverbindliche Selbstverpflichtungen kein Verlass ist. Wenn der Anteil von Frauen in Führungspositionen signifikant geändert werden soll, dann brauchen wir verbindliche Zielgrößen, (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) von mir aus auch in einem angemessenen Zeitraum für die Unternehmen. Frau von der Leyen hat davon gesprochen, dass sie nicht alle Finger ihrer Hand brauchen möchte. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß jetzt nicht, wie viele Finger die FDP an einer Hand hat!) Ich würde die Anzahl der Finger an der Hand sogar noch etwas verringern. Ich glaube, wir brauchen diese Regelung schneller. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der gestrigen Debatte zum Thema Frauen hat sich gezeigt, dass sich in den letzten Jahren in Sachen Frauenpolitik schon viel getan hat. In Sachen Entscheidungsteilhabe sind wir jedoch in den letzten zehn Jahren kaum vorangekommen. Gestern kam der Einwurf von der Opposition: Wenn die Selbstverpflichtung so falsch war, warum macht ihr dann nichts anderes? Natürlich machen wir etwas anderes. Ich habe es gestern bereits angesprochen: Wir haben das Thema überhaupt wieder auf die Tagesordnung gebracht. (Zurufe von der SPD: Oh!) Wir, die Regierungskoalition, sind diejenigen, die sich umfassend mit diesem Thema beschäftigen. Man sollte festhalten: Unsere beiden Parteien sind die letzten verbliebenen Volksparteien in unserem Lande. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Elke Ferner [SPD]: Das sieht man in Hamburg!) Es gibt unterschiedliche Meinungen. Das ist doch nichts Ehrenrühriges. Man muss ehrlicherweise darauf hinweisen, dass letztendlich wir diejenigen sind, die das Thema umsetzen können. Die Familienministerin hat gestern die frauenpolitischen Erfolge der Union herausgestellt. Wir haben das Thema auf die Agenda gesetzt. Die Unionsfrauen haben sich schon im letzten Jahr damit beschäftigt. Ich bin sehr froh, dass unsere Vorsitzende der Gruppe der Frauen später noch das Wort ergreifen wird, weil sie die treibende Kraft ist, die im letzten Jahr einen überzeugenden Stufenplan zur Erhöhung des Frauenanteils vorgelegt hat. Diese Zielsetzung ist für uns weiterhin aktuell, weil wir es als gesellschaftliches Topthema erachten und deshalb auch etwas dafür tun. Wir diskutieren - auch das ist ein wichtiger Schritt - anders als zu Schröders Zeiten nicht mehr über die Frage des Ob, sondern wir diskutieren ausschließlich über die Frage des Wie. (Gabriele Fograscher [SPD]: Frau Schröder?) Dass wir noch andere wichtige Themen der Frauenpolitik auf der Agenda haben, das kann uns kaum zum Vorwurf gemacht werden. Ich höre oft, dass es keiner gesetzlichen Regelung bedarf. Man müsse nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Das sehe ich nicht so. Eine aktuelle Studie zu Frauen im Management belegt, dass 44 Prozent der Befragten Kinder haben. Sie sagen, dass es für sie nicht schwierig ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Andere befragte Frauen, die keine Kinder haben, sehen auch keine Möglichkeit, die gläserne Decke zu durchstoßen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sicherlich ein wichtiger Baustein - an dieser Stelle tun wir sehr viel -, aber es ist eben nicht der ausschlaggebende Grund. Wenn selbst Frauen, die keine Kinder haben, die gläserne Decke nicht durchstoßen, dann können Kinder nicht das große Karrierehemmnis sein. Man sieht beispielsweise an Frankreich, dass eine flächendeckende Kinderbetreuungsstruktur allein nicht das Problem der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen löst. Deswegen freue ich mich, dass unsere Nachbarn im Januar eine Regelung für eine gesetzliche Frauenquote verabschiedet haben. Frau Humme, Sie haben vorhin angesprochen, dass wir angeblich zurückgepfiffen worden wären. (Christel Humme [SPD]: Das stand im Spiegel!) - Danke, dass Sie darauf hinweisen. Das ist das lächerlichste Argument überhaupt: Ich habe es irgendwo in der Zeitung gelesen, also wird es schon stimmen. - Nehmen Sie nicht alles für bare Münze, was Sie lesen. Fragen Sie lieber uns. (Christel Humme [SPD]: Wie war es denn wirklich?) Wir erfahren von unserem Fraktionsvorsitzenden große Unterstützung, was sich auch daran zeigt, dass er der einzige Fraktionsvorsitzende von allen fünf Fraktionen war, der gestern beim Thema Internationaler Frauentag die ganze Debatte über anwesend war. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat noch am meisten zu lernen! - Zuruf von der SPD: Sie müssen zuhören!) - Sie hören ja auch nicht zu, sondern gatzen nur rein. Er war der Einzige, der vor Ort war und der das Thema ernst genommen hat. Alle anderen waren nicht da. Sie haben vorhin mehrere Beispiele gebracht, wie großartig Ihre Fraktion dasteht. Ihr Fraktionsvorsitzender war nicht da, weder Herr Gabriel noch Herr Steinmeier waren da. (Elke Ferner [SPD]: Er unterstützt uns aber!) Im Laufe der Jahre gab es in der SPD noch nie eine weibliche Fraktionsvorsitzende. Es gab noch nie eine Parteivorsitzende. (Elke Ferner [SPD]: Und bei Ihnen?) - Natürlich! Frau Merkel war Fraktionsvorsitzende, Frau Merkel ist Parteivorsitzende, und jetzt ist sie Bundeskanzlerin. (Beifall bei der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Aber das hilft den Frauen leider auch nicht weiter, Frau Bär!) - Frau Ferner, Sie haben ja noch nicht einmal eine Kanzlerkandidatin aufgestellt. Das muss man an dieser Stelle einmal klar sagen. Sie stellen immer nur dann Frauen auf, wenn sie chancenlos sind, aber nicht, wenn sie die Möglichkeit haben, sich auch durchzusetzen. (Elke Ferner [SPD]: Das sieht man an Hannelore Kraft!) Noch einmal zum Frauenanteil in der Fraktion und zu internen Quoten. (Elke Ferner [SPD]: Wir haben fast 40 Prozent! Wie viel haben Sie noch mal? 20 Prozent?) - Hören Sie mir doch einmal zu. Sie dürfen doch nachher selbst noch reden und können dann alles ausbreiten. Es ist natürlich leicht, Quoten für Listen einzuführen; da sind wir uns sicherlich einig. Aber bei Direktmandaten ist das wesentlich schwieriger. Da wir ein größeres Vertrauen in der Bevölkerung genießen, müssen wir insgesamt auch noch an unserem Frauenanteil arbeiten. Eine Quote einzuführen ist für die Parteien viel leichter, die ihre Abgeordneten ausschließlich über Listenplätze ins Parlament bringen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Norwegen ist mehrfach angesprochen worden. Ich habe heute ganz aktuell erfahren, dass es auch sehr positive Signale von unserem Nachbarn Österreich gibt. Es ist sehr positiv, wenn man sieht, dass sich auch im Nachbarland etwas bei diesem Thema tut. Wir alle wissen, dass es außerdem sehr viele ökonomische Vorteile gibt. Ich persönlich sehe - das ist kein Geheimnis - keine Lösung mehr, die ohne Gesetze auskommt. Angesichts der ökonomischen Vorteile darf ich zum Schluss noch die Ökonomin Laura D. Tyson zitieren, die gesagt hat: Die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation hängt maßgeblich davon ab, wie sie talentierte Frauen fördert. Wir tun das. Helfen Sie uns dabei! (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir Frauen haben genug davon, zu warten. Wir Frauen sind ungeduldig und wollen nicht länger vertröstet werden. Herr Buschmann, wir warten auch nicht darauf, dass Männer uns Platz machen, sondern wir wollen die Positionen und die Plätze, die uns zustehen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich habe bei dieser Debatte festgestellt, dass es in jeder Fraktion hier im Bundestag Frauen gibt, die in ihrer Fraktion für eine Quote streiten. Ich drücke ihnen die Daumen, dass sie sich durchsetzen. Liebe Kolleginnen, lassen Sie uns zusammenarbeiten und lassen Sie uns das nicht der Bundesregierung überlassen, sondern lassen Sie uns hier im Parlament gemeinsam die Initiative ergreifen, damit die Frauen endlich an die Plätze kommen, die ihnen zustehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin doch einigermaßen sprachlos - das ist nicht häufig der Fall -, welche Rechtfertigungstiraden wir uns heute wieder anhören mussten, warum wir nichts tun können, nichts tun dürfen und nichts tun sollen. Ich bin auch einigermaßen sprachlos, wenn ich die Arroganz einiger Männer zur Kenntnis nehmen muss, mit der sie begründen, warum wir für Frauen nichts tun müssen. (Beifall bei der SPD) Die Zahlen werden nicht besser, wenn man sie wiederholt, aber ich muss sie einfach noch einmal aussprechen. Frauen sind in allen Bereichen unserer Gesellschaft dramatisch unterrepräsentiert, und Deutschland ist im internationalen Kontext Schlusslicht. Ich will einen Index zitieren, der nicht verdächtig ist, von der SPD aufgestellt worden zu sein, nämlich den Global Gender Gap Index des World Economic Forum. In diesem fällt Deutschland bei der Bewertung der Gleichstellungspolitik im fünften Jahr in Folge zurück und landet auf Platz 13 hinter - damit will ich nichts gegen diese Länder sagen - Ländern wie den Philippinen und Lesotho. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen etwas tun! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Patrick Döring [FDP]: Da sind ja auch unheimlich viele DAX-Konzerne, in Lesotho!) Wir sind in Europa beim durchschnittlichen Bruttoverdienst von Frauen - das ist bekannt, ich sage es aber noch einmal - auf dem drittletzten Platz. In Richtung der Bundesregierung sage ich auch noch einmal, dass wir bei der Bundesverwaltung mit 14 Prozent Frauen in Leitungs- und Führungspositionen ebenfalls auf dem drittletzten Platz sind. 90 Prozent der hundert größten deutschen Unternehmen haben zudem keine einzige Frau im Vorstand. Das ist eine desaströse Bilanz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir hier im Deutschen Bundestag sind der Gesetzgeber, und wir alle müssen etwas tun. Wir, liebe Kolleginnen, säßen hier alle nicht, wenn es nicht - das ist gestern in der Debatte über den Internationalen Frauentag schon angesprochen worden - engagierte und streitbare Frauen, Kämpferinnen gegeben hätte, die Nachteile für ihre Position in Kauf genommen haben, die gekämpft und sich durchgesetzt haben, damit wir hier sitzen können. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir hier im Bundestag jetzt gefragt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte auch noch einmal an Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz erinnern. Der Kollege Brase hat ihn schon zitiert. Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz beinhaltet für uns als Gesetzgeber die klare Verpflichtung, tätig zu werden. Ich will auch deutlich sagen: Es ist ein permanenter Rechtsbruch und ein Verstoß gegen unsere Verfassung, (Patrick Döring [FDP]: Quatsch!) wenn wir diesen Auftrag nicht ernst nehmen. Jawohl, das ist ein Auftrag im Grundgesetz. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Zuruf von der FDP: Klagen Sie doch einmal in Karlsruhe! Das will ich sehen!) Wir lassen die Frauen im Stich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir den Auftrag als Parlament nicht ernst nehmen. Zwei kurze Bemerkungen zur Frage der Quote. Herr Buschmann, Sie haben gesagt, das sei ein untaugliches Instrument. Lassen Sie uns doch einmal anfangen. (Marco Buschmann [FDP]: Aber doch nicht mit einem untauglichen Instrument!) Wir haben jetzt genügend untaugliche Instrumente ausprobiert. Es ist schon gesagt worden: zehn Jahre freiwillige Verpflichtung. (Marco Buschmann [FDP]: Corporate Governance funktioniert doch!) - Das funktioniert überhaupt nicht; das wissen wir. - Wir probieren jetzt etwas Neues aus. Es ist kein untaugliches Instrument. Wir probieren es aus, und es wird sich erweisen, dass es etwas bringt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen darüber hinaus Sanktionen. Wir können uns das im öffentlichen Dienst angucken. Wir haben ein Bundesgleichstellungsgesetz. Wir haben ein Bundesgremiengesetz. Wir haben Berichte dazu. Wir stellen fest, dass die Bilanz trotz dieser Gesetze nicht gut ist. Was sagt uns das? Wir brauchen Sanktionen, wir brauchen wirksame Maßnahmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Marco Buschmann [FDP]: Dass Gesetze nicht funktionieren, zeigt uns das!) In Richtung Bundesregierung sage ich: Berichte reichen auf keinen Fall. Als Letztes eine Bemerkung zum Thema Wahlfreiheit. Ich persönlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, empfinde ich es als zynisch und arrogant, wenn wir den Frauen sagen, sie haben die Wahlfreiheit. Was für eine Wahl haben denn Frauen, wenn Arbeitgeber sie nicht einstellen oder nicht befördern, weil sie im gebärfähigen Alter sind? (Elke Ferner [SPD]: So ist das!) Was für eine Wahl haben denn Frauen, wenn sie nicht in Vorstände kommen, weil die Vorstände aufgrund von Männernetzwerken besetzt werden und sie sich überhaupt nicht bewerben können? (Marco Buschmann [FDP]: Frauen im gebärfähigen Alter sind auch nicht in dem Alter, Vorstand zu werden!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde das zynisch, und ich finde das arrogant. Ich finde, es ist vor allen Dingen auch - es sind einige hier und hören zu - ein ganz verheerendes Signal an junge Frauen, wenn wir so argumentieren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen appelliere ich noch einmal an alle Kolleginnen in allen Fraktionen: Lassen Sie uns gemeinsam einen Anlauf nehmen. Lassen Sie uns nicht länger warten. Die Zeit der Appelle ist vorbei. Lassen Sie uns bitte 62 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes endlich einen großen Schritt in Richtung Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen machen. Die Mischung macht es. Es tut uns allen gut, wenn Vorstände und Aufsichtsräte mit Männern und Frauen besetzt werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Rita Pawelski von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Rita Pawelski (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg, liebe Christel Humme: Der Artikel im Spiegel war falsch. Volker Kauder hat mich nicht zurückgepfiffen. Im Gegenteil, er hat von Anfang an unsere Interessen unterstützt. Darum denke ich, es hat jemand bewusst versucht, einen Keil zwischen uns zu treiben. Aber das klappt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir reden wieder einmal über die Einführung einer Quote. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mehr als 20 Jahre lang über dieses Thema reden muss. Ich hatte geglaubt, irgendwann wird es selbstverständlich sein, dass Frauen berücksichtigt werden. Diesmal geht es um die Quote für Frauen in Führungspositionen. Ich weiß, das ist ein höchst umstrittenes Thema. Allein mit dem Wort "Quote" will man am liebsten gar nichts zu tun haben. Ich stelle fest: Es löst bei einigen immer noch panikartige Attacken aus. Ich gestehe zu: Ich bin eine Quotenfrau, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) und das ist gut; denn wenn nicht vor vielen Jahren die Mitglieder der CDU ein Quorum für Kandidatenlisten beschlossen hätten, dann wäre ich heute nicht im Bundestag. Das sind einfach Fakten, die ich natürlich dankbar zur Kenntnis nehme. Ich sage Ihnen, ich fühle mich wohl im Kreise meiner Quotenkolleginnen und -kollegen. Natürlich gibt es auch Quotenmänner, die aufgrund einer Länderquote in bestimmte Ämter gewählt wurden, sogar bei der FDP. (Elke Ferner [SPD]: Sogar eine Quotenministerin!) Ich habe bisher von keinem gehört, dass diese Art von Quote ein schlechtes Gefühl vermittelt oder dass sich jemand diskriminiert fühlt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da schmunzelt sogar Herr Buschmann!) Alle wissen, dass für einen Quotenposten dasselbe gilt wie für jeden anderen Job: Leistung zählt, Kompetenz zählt, Einsatz zählt. Wer das nicht verinnerlicht, dem hilft auf Dauer keine Quote. Die Quote ist ein Türöffner, mehr nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich, bevor ich zum Antrag der SPD komme, mit einigen Quotenvorurteilen aufräumen: Vorurteil Nummer eins: Frauen wollen nicht über eine Quote in Vorstände oder Aufsichtsräte. - Ich habe den Eindruck, dass das Wort "Quote" bewusst negativ belegt wird, allerdings nur, wenn es um Frauen geht; denn es gibt viele Quoten, in der Landwirtschaft die Milchquote, die Ackerflächenquote, bei der Börse die Quote, die Einschaltquote bei Radios - danach errechnen sich die Werbepreise - und, und, und. (Elke Ferner [SPD]: Herr Buschmann fällt gleich in Ohnmacht! - Gegenruf des Abg. Marco Buschmann [FDP]: Die Milchquote! Donnerwetter! - Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie zu, Herr Buschmann! Sie können von der Kollegin was lernen!) Für mich ist es aufgrund der Diskussion selbstverständlich, dass die Frauen sagen: Wir wollen keine Quotenfrauen sein. - Sie sollen es auf Dauer auch gar nicht sein. Die Quote ist eine Art Hilfskrücke, wie ich sie nach einem Beinbruch brauche. Kann ich wieder laufen, schmeiße ich die Krücke weg. Ähnlich ist es mit der Quote: Haben wir, die Frauen, die kritische Masse in Vorständen und Aufsichtsräten erreicht, brauchen wir auch keine Quote mehr. Vorurteil Nummer zwei: Wir haben nicht ausreichend qualifizierte Frauen, um eine Quote zu erfüllen. - Mit Verlaub: Das ist Quatsch! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Verband deutscher Unternehmerinnen und die Initiative "Frauen in die Aufsichtsräte" verfügen über riesige Datenpools mit Adressen von klugen, kompetenten, hochqualifizierten Frauen, die sofort bereit wären, in Aufsichtsräte oder Vorstände zu gehen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der FDP ist das immer noch nicht angekommen! - Gegenruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! - Patrick Döring [FDP]: Das Argument hat überhaupt keiner von uns vorgebracht!) Vorurteil Nummer drei: Die Besten werden sich durchsetzen. - (Elke Ferner [SPD]: Dann wären aber viel mehr Frauen im Bundestag!) Sind wirklich nur die Besten in den Vorständen und Aufsichtsräten unserer großen Unternehmen? Haben alle Herren dort immer nur zum Wohl der ihnen anvertrauten Unternehmen gehandelt? (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Berechtigte Frage!) Ich möchte jetzt nicht die Namen all derer aufführen, gegen die in den letzten zehn Jahren ermittelt wurde, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber ich möchte doch sagen, dass ich die Illusion, dass dort nur die Besten sitzen, schon längst aufgegeben habe. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Patrick Döring [FDP]: Das ist kein Argument!) - Patrick, ich zähle die Namen gleich auf. Dann schauen wir uns einmal die Prozente an und überlegen, ob das wirklich die Besten sind. (Caren Marks [SPD]: Da bleiben wenig über! - Patrick Döring [FDP]: Denk an deinen Blutdruck!) - Der ist immer noch zu niedrig. Ich muss mich ab und zu aufregen, damit er hochkommt; das hat mir der Arzt empfohlen. (Patrick Döring [FDP]: Wenn ich dir dabei helfen kann, gerne! - Elke Ferner [SPD]: Bei dem Koalitionspartner ist das ja kein Problem!) Ich arbeite hier also auch ein Stück weit präventiv. Außerdem wird man in diese Gremien berufen. Frau kann sich nicht bewerben wie um einen anderen Job. Darum kann sie nicht beweisen, dass sie es kann. Sie muss erst einmal drin sein, um das beweisen zu können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Caren Marks [SPD]: Genau!) Vorurteil Nummer vier: Frauen wollen sich dem Stress, der mit diesen Positionen verbunden ist, nicht aussetzen. Sie wollen keinen 14-Stunden-Tag und keine Arbeit am Wochenende. - (Elke Ferner [SPD]: Viele Männer auch nicht!) Das ist eine absurde Behauptung. Es gibt Tausende Frauen, die erfolgreich Unternehmen führen, die Behörden leiten, die in den Universitäten forschen und arbeiten, bei Tag und, wenn es sein muss, auch bei Nacht, und dabei Kinder erziehen und sogar noch Elternabende besuchen, was ich bei manchen Männern vermisse. (Beifall der Abg. Gabriele Fograscher [SPD]) Aber ist es überhaupt notwendig, immer 14 oder gar 16 Stunden pro Tag zu arbeiten? Muss man wirklich so lange arbeiten? (Elke Ferner [SPD]: Mann schon!) Nein. Die nordeuropäischen Länder zeigen, dass es anders geht: Keine Meetings nach 17 Uhr, keine Tagung am Wochenende. Zeitmanagement ist das Zauberwort. Wer sagt, das sei nicht machbar, sollte vielleicht einmal darüber nachdenken, dass sehr viele Vorstandsmitglieder neben ihrem sehr verantwortungsvollen und sehr zeitaufwendigen Amt noch viele ebenfalls wichtige Aufsichtsratsmandate ausüben können, und das alles bei einem 24-Stunden-Tag. Vorurteil Nummer fünf: Wir dürfen nicht mit staatlichen Maßnahmen in die privaten Unternehmen hineinregieren. - Wäre das das erste Mal, dass wir das machen? (Lachen der Abg. Caren Marks [SPD] - Patrick Döring [FDP]: Grundrechte! Eigentum!) Wir haben gerade den Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes beraten. Ich bin Berichterstatterin und muss sagen: Da gehen wir aber richtig zur Sache. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben unglaublich viele Gesetze, mit denen sehr wohl in die Unternehmen hineinregiert wird, gemacht. Wir haben viele Vorschriften erlassen, sinnvolle, aber auch weniger sinnvolle. Vorurteil Nummer sechs: Es ist nicht möglich, per Gesetz eine Geschlechterquote zu verordnen, weil das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. - Dazu gibt es viele Gutachten, solche und solche. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält eine gesetzliche Regelung sehr wohl für machbar, wenn erst mildere Mittel eingesetzt werden, zum Beispiel die Freiwilligkeit gefordert wurde. Die EU sieht das ebenfalls so. Und überhaupt: Über allen Gesetzen steht unser Grundgesetz. (Elke Ferner [SPD]: So ist das!) Ich zitiere noch einmal Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass das Grundgesetz endlich anerkannt und umgesetzt wird. Vorurteil Nummer sieben: Die Männer werden benachteiligt, wenn Frauen bevorzugt werden. - (Heiterkeit der Abg. Elke Ferner [SPD]) Frauen wollen nicht bevorzugt werden, sie wollen aber auch nicht benachteiligt werden, weil sie Frauen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wenn für 49 Prozent der Bevölkerung, die männlich sind, immer noch über 70 Prozent der Posten in Vorständen und Aufsichtsräten zur Verfügung stehen, kann man dann wirklich allen Ernstes und berechtigt von einer Benachteiligung der Männer sprechen? (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich! - Patrick Döring [FDP]: Hat hier niemand gemacht!) Wer wagt es, so etwas zu behaupten? Vorurteil Nummer acht: Frauen haben nicht die richtige Ausbildung, um in diese Position berufen zu werden. - Wenn 62 Prozent der Vorstände und Aufsichtsräte der DAX-30-Unternehmen - das sind 182 Personen; 62 Prozent davon sind etwa 120 Personen - eine juristische oder kaufmännische Ausbildung haben und wenn genau in diesen Studiengängen - im Studiengang Jura sind übrigens 52 Prozent und bei den Wirtschaftswissenschaften 45 Prozent der Studenten weiblich - Frauen im Durchschnitt über bessere Abschlüsse verfügen als Männer, wenn Frauen in den Assessment-Centern bessere Abschlüsse erzielen als Männer, dann kann das doch den Frauen nicht zum Nachteil gereichen, dann kann man doch nicht sagen: Die Frauen sind nicht klug genug. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) - Nicht so doll klatschen; Sie kommen auch noch dran. Ich habe acht Vorurteile genannt. Es gibt noch mehr. Sie spuken immer noch in den Köpfen herum, aber man merkt auch, dass sich eine zarte Bewegung zum Umdenken entwickelt. Erste Unternehmen kündigen an, Frauen demnächst verstärkt zu berücksichtigen: BASF, Eon, Daimler, Volkswagen. Sogar die Berliner Stadtreinigung - da kann man eigentlich nur schmunzeln - kündigt eine 50-Prozent-Quote an. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das passt zwar nicht zum Thema "Frauen in Führungspositionen", aber es zeigt, dass man umdenkt. Wer jetzt sagt, in Kindergärten und Grundschulen würden Männer fehlen, dem sage ich: Ja, recht habt ihr! Wenn eine Quote hilft, bin ich gerne bereit, auch eine Männerquote einzuführen. Es gibt so viele Fakten, die für mehr Frauen in Führungspositionen sprechen, dass man sich nur wundern kann, dass die am 2. Juli 2001 geschlossene Vereinbarung nicht umgesetzt wurde. Aber eigentlich wundert es mich nicht; denn der Kanzler, der dieses Papier mit den Spitzen der Wirtschaft ausgehandelt hat, bezeichnete Frauenpolitik als Gedöns. Was soll man von so jemandem erwarten? Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Pawelski, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Rita Pawelski (CDU/CSU): Ich bin sofort fertig. - Ich finde es schlimm, dass die Frauen der SPD dazu geschwiegen haben. (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt nicht!) - Ich habe alle Anträge durchgesehen; bis 2005 gab es von euch keinen Antrag zu diesem Thema. (Elke Ferner [SPD]: Stimmt doch nicht!) Erst seitdem ihr in der Opposition seid, seid ihr mutig und fordert eine 40-Prozent-Quote. Ihr habt zwischen 2001 und 2005 nicht ein Mal die Quote gefordert. (Christel Humme [SPD]: Das stimmt nicht!) Wir werden über das Thema in den Ausschüssen sprechen. Zu der von Ihnen geforderten Quote für alle Aktiengesellschaften hat Herr Dr. Harbarth schon deutlich vorgetragen; das geht überhaupt nicht. Vizepräsidentin Petra Pau: Das müssen Sie im Ausschuss klären. Hier geht es jetzt nicht weiter. Rita Pawelski (CDU/CSU): Ich bin sicher, dass wir uns in einem Jahr einig sind: Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, egal ob durch eine Flexiquote oder eine feste Quote. Über 2013 hinaus auf Freiwilligkeit zu setzen, das tue ich nicht mehr. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Ferner das Wort. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegen und Kolleginnen! Frau Pawelski, ich hätte mir gewünscht, dass es von Ihrer Sorte mehr in der Koalition gibt, (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das kann ich verstehen!) insbesondere bei der FDP. Ich würde mir wünschen, dass die amtierende Frauenministerin nur halb so engagiert für die Rechte der Frauen streiten würde wie Sie. Dann wären wir hier schon ein gutes Stück weiter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte aber auch sagen: Es ist richtig, dass wir 2005 keine Anträge zu diesem Thema in den Bundestag eingebracht haben. Aber raten Sie doch einmal, warum das so war! Weil die damalige Frauenministerin, Frau von der Leyen (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Nein! Die kam erst 2005!) - ich war in den Koalitionsverhandlungen damals dabei -, es abgelehnt hat, eine gesetzliche Regelung für Frauen in Führungspositionen zu treffen; das ist der erste Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Zuhören! Die kam doch erst 2005!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Ferner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pawelski? Elke Ferner (SPD): Wenn Sie die Uhr anhalten, gerne. Vizepräsidentin Petra Pau: Ja, natürlich. Rita Pawelski (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich habe mich ausdrücklich auf die Zeit zwischen 2001 und 2005 bezogen, (Christel Humme [SPD]: Da war schon viel Gleichstellungspolitik: Ganztagsbetreuungsprogramm, Bundesgleichstellungsgesetz usw.!) als Sie noch an der Regierung waren, und auf Herrn Schröder hingewiesen. Ab 2005 - das weiß ich selber - waren wir an der Regierung. (Sören Bartol [SPD]: Wenn Sie so weitermachen, wird das ein totales Eigentor!) In der Zeit zwischen 2001 und 2005 haben Sie keinen entsprechenden Antrag eingebracht. Die damalige Frauenministerin Bergmann hat gesagt: Wenn sich bis 2003 nichts Entscheidendes tut, wird das Gesetz doch noch kommen. - Das waren aber hohle Worte. Sie hat nichts weiter getan, (Caren Marks [SPD]: Nein! Falsch!) sondern Sie haben darauf gewartet, dass wir Ihnen auf die Sprünge helfen. Elke Ferner (SPD): Frau Kollegin Pawelski, ich beantworte Ihre Frage natürlich gerne. Erstens haben Sie uns leider nicht auf die Sprünge geholfen. Denn sonst hätten wir schon in der letzten Wahlperiode, in der Großen Koalition, eine gesetzliche Regelung treffen können. Frau von der Leyen hat das rundweg abgelehnt, sowohl als Verhandlungsführerin bei den Koalitionsverhandlungen als auch als Frauenministerin; ich kann Ihnen die Zitate zeigen. (Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Wir hatten nun mal andere Schwerpunkte!) Es ist schon etwas merkwürdig, dass sie ihr Herz für die Quote dann entdeckt, wenn sie selber dafür gar nicht mehr zuständig ist. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: O nein! Darf ich Ihnen darauf direkt antworten?) Das Zweite. Es ist richtig, dass wir in der Zeit der rot-grünen Koalition hier im Deutschen Bundestag keinen Antrag, in dem wir eine gesetzliche Regelung gefordert haben, eingebracht haben. Es ist aber auch richtig, dass sowohl die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen als auch diverse Gliederungen der SPD - ganze Landesverbände - (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Ja, ja! Und hier?) auf Parteitagen einen solchen Antrag nicht nur gestellt haben, sondern dass er auch mehrfach beschlossen worden ist. Sie kennen mich wahrscheinlich noch nicht so lange. Ich habe hier in diesem Haus, dem ich seit 1990 angehöre, (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was? So lange noch keine Erfolge?) immer für eine Quote gekämpft. Ich habe auch zu rot-grünen Zeiten hier im Plenum öffentlich gesagt, dass es falsch gewesen ist, auf eine freiwillige Vereinbarung zu setzen. Jetzt, zehn Jahre später, sehen wir: Sie hat nichts bewirkt. Wir kommen um eine gesetzliche Regelung nicht herum. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich würde mir wünschen, dass man von der zuständigen Ministerin zu diesem Thema mehr hört als nur Plattitüden. Die letzte Plattitüde war ihre Aussage zur sozialistischen Bevormundung, groß getitelt in einem Zeit-Interview. Ich will aus dem Gesellschaftsentwurf, den August Bebel bereits 1879 hatte, zitieren, wie er die Stellung der Frau in der Gesellschaft gesehen hat; insofern ist das Wort "sozialistisch" für mich auch überhaupt kein Schimpfwort. Er sagte damals in seinem Buch Die Frau und der Sozialismus - ich zitiere -: Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leider sind wir im Jahr 2011 immer noch nicht so weit. Das hat Ursachen. Die Argumente, die ich eben von den Kollegen der FDP gehört habe, haben wir vor 25, 26 Jahren auch in der SPD gehört, als wir für eine Frauenquote gestritten haben. (Marco Buschmann [FDP]: Die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aus Norwegen aus dem letzten Jahr können Sie damit aber nicht widerlegen!) Sie sind damals falsch gewesen, und sie sind heute falsch. Es geht Ihnen letztendlich nur darum, Ihre eigene Position zu retten. Es geht Ihnen nicht darum, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das ist der Unterschied zwischen uns und der schwarz-gelben Seite in diesem Haus: Wir wollen Fortschritt. Wir sind bereit, dafür zu kämpfen. (Marco Buschmann [FDP]: Oh! Sie kennen sich aus mit Plattitüden! Ich merke es!) Wir sind vor allen Dingen bereit, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Sie wollen die bestehenden Verhältnisse so lassen, wie sie sind. Das ist rückwärtsgewandt, und vor allen Dingen hat das mit einer aktiven Frauenförderung und Gleichstellungspolitik null zu tun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Der "Gedöns"-Kanzler war doch von Ihnen, nicht von uns!) Andere Länder machen es uns vor. Norwegen hat angefangen, Frankreich und Spanien haben nachgezogen, Österreich wird in Kürze eine entsprechende Regelung beschließen. Wir wissen, dass gemischte Teams nicht nur erfolgreicher sind. Sie sind auch wirtschaftlich besser. Die Unternehmen und die Wirtschaft profitieren davon. Und was ist mit Deutschland? Deutschland tritt auf der Stelle. Die Quote ist ein Mittel zum Zweck und kein Ziel. Das Ziel ist die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Führungspositionen, nicht nur in der öffentlichen Verwaltung - auch hier ist noch viel zu tun -, sondern auch in der Privatwirtschaft, in Forschung und Lehre und in anderen Bereichen. Ich muss sagen: Ich wundere mich, dass insgesamt der Mut fehlt - insbesondere auch dieser Frauenministerin -, zu kämpfen, obwohl es auch in der Unionsfraktion mehr und mehr Frauen gibt. Sie wollen nicht kämpfen. Wissen Sie, was das ist? Das ist die Kapitulation vor den Männerseilschaften. So werden wir keinen Millimeter vorankommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Lösung ist eigentlich einfach. Sie lautet: Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen, und zwar nicht nur für die Aufsichtsräte, sondern auch für die Vorstände. Bei uns ist die Aufgabenverteilung zwischen den Aufsichtsratsgremien und den Vorständen eben eine etwas andere als in Norwegen. Man braucht Sanktionen und nicht den leise erhobenen Zeigefinger, sonst wird sich hier nichts verändern, und man braucht den Willen zur Veränderung statt Hasenfüßigkeit. Mit Hasenfüßigkeit sind wir noch nie vorangekommen. Alle Fortschritte, die wir erzielt haben, sind mühsamst erkämpft worden, und ich hoffe, dass wir das parteiübergreifend auch in diesem Haus erkämpfen können. Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt anschließen. Alle Fraktionen hier in diesem Haus sollten sich noch einmal überlegen, ob wir es bei der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" wirklich so lassen wollen, dass unter den 17 Sachverständigen keine einzige Frau ist. Es wurde keine einzige Frau, von keiner einzigen Fraktion, benannt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zuruf von der LINKEN: Auch nicht von Ihrer Fraktion!) - Ich sage es ja: von keiner einzigen Fraktion; von meiner nicht, von Ihrer nicht. - Es wäre vielleicht ein Anfang, wenn wir als Frauen in diesem Parlament gemeinsam mit den Männern, die das unterstützen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenigstens ein paar Frauen zusätzlich als Sachverständige in diese Kommission berufen könnten. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/4683 und 17/4842 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen jeweils Federführung beim Rechtsausschuss. Die Fraktionen der SPD und Die Linke wünschen jeweils Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. (Christel Humme [SPD]: Das waren Juristen!) Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 a bis d sowie den Zusatzpunkt 6 auf: 31 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den Vorstand der Deutschen Bahn AG mit fachkundigem Personal besetzen - Drucksache 17/4838 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Umgehend die Konsequenzen aus dem Unglück von Hordorf ziehen - Drucksache 17/4840 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Thomas Lutze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zukunft der Bahn - Bürgerbahn statt Börsenbahn - Drucksachen 17/652, 17/4828 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Heidrun Bluhm, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG kompetent und demokratisch besetzen - Drucksachen 17/2189, 17/4829 - Berichterstattung: Abgeordneter Thomas Jarzombek ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen - Drucksache 17/4854 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vier Minuten, um über vier Anträge zu sprechen, mit denen sich die Linke für eine bessere Bahn starkmacht. Erstens. Wir wollen, dass der Bundestag den Privatisierungskurs der Deutschen Bahn AG beendet und dass die Bahn stattdessen als gemeinwohlorientiertes öffentliches Unternehmen entwickelt wird, unter Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger, wie es die Schweiz erfolgreich praktiziert. (Beifall bei der LINKEN) Warum ist ein Kurswechsel nötig? Weil die Bahnreform von 1994 im Wesentlichen nicht erfolgreich war. 7 000 Kilometer des Schienennetzes wurden abgebaut. 1 500 Bahnhöfe und Tausende Bahnschalter sind geschlossen worden. Die Zahl der Beschäftigten wurde halbiert. Die Infrastruktur wird schlechter, weil zu wenig in den Erhalt investiert wird. Die Pannenserien im Sommer und im Winter zeigen, dass es auch bei den Zügen hapert. Es sind nicht viel mehr Menschen von der Straße auf die Schiene umgestiegen. Es gibt auch kein schlüssiges Gesamtkonzept, wie die Bahn als umweltverträgliches und bürgerfreundliches Transportsystem ausgebaut werden soll. Wir wollen, dass die Bahn umgesteuert wird. Das muss beim Spitzenpersonal anfangen. (Beifall bei der LINKEN) Es geht nicht, dass Minister Ramsauer für den Eigentümer Bund die Mehrzahl der Sitze im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG mit Vertretern großer Privatunternehmen und ausschließlich mit Männern besetzt. In diesem Kontrollgremium müssen auch Fahrgastverbände, Umweltorganisationen und Eisenbahnsachverständige vertreten sein, und es muss zur Hälfte mit Frauen besetzt werden, worüber wir gerade debattiert haben und wie es übrigens das Bundesgremienbesetzungsgesetz vorsieht. (Beifall bei der LINKEN) Vor allem aber muss der Vorstand eine bahnkundige Ausrichtung bekommen. Wir fordern, dass die Vorstände und Vorstandsvorsitzenden Männer und Frauen sind, die faktisch und praktisch das Eisenbahnwesen kennen und sich mit Herz und Verstand für eine nachhaltige Stärkung der Bahn einsetzen. Wissen Sie, dass es seit über zehn Jahren im Vorstand der Deutschen Bahn AG kein einziges Mitglied mehr gibt, das als Vollbluteisenbahner bezeichnet werden kann? In der Privatwirtschaft wird Wert darauf gelegt, dass Spitzenpositionen nicht von Personen mit betriebsfremden Interessen besetzt werden. Aber bei der Bahn kommen seit 1994 drei von vier Vorstandsvorsitzenden von der Konkurrenz: aus der Auto- und Flugzeugindustrie. (Zuruf von der FDP: Das liegt ja auch nahe!) Das wirkt sich aus: In einer Anhörung zum S-Bahn-Chaos in Berlin wurde kürzlich zum Beispiel beklagt, dass die Deutsche Bahn AG in den Planungstreffen mit dem Verkehrsverbund nur noch von Juristen vertreten wird. Diese fragen nicht mehr, wie man ein möglichst gutes Angebot für die Menschen auf der Schiene hinbekommt; sie wollen nur noch wissen: Was müssen wir tun, damit man uns nicht an den Karren fahren kann? Diese Haltung kann tödlich sein. Damit komme ich zu dem jüngsten Antrag und zu dem schlimmen Zugunglück in Hordorf, wo am 29. Januar zehn Menschen getötet wurden, weil auf einer eingleisigen Strecke das Haltesignal überfahren wurde und zwei Züge aufeinandergeprallt sind. Wir alle wissen, dass dieses Unglück nicht stattgefunden hätte und diese Menschen nicht ihr Leben verloren hätten, wenn die Bahn rechtzeitig das automatische Bremssystem PZB als Standardsicherheitstechnik eingebaut hätte. Aber da wurde geknausert und die Verantwortung verschoben. Die Bahnvorstände wollten die Kosten nicht tragen. Statt das gesamte Schienennetz für rund 30 Millionen Euro deutlich sicherer zu machen, haben Bahnvorstand und Aufsichtsrat allein im letzten Jahr hundertmal mehr Euro ausgegeben, um Großunternehmen im Ausland aufzukaufen. Ich frage Sie: Wem nützt das? Die Bundesregierung muss zumindest an dieser Stelle sofort die Prioritäten zurechtrücken und dafür sorgen, dass die optimale Sicherheitsausstattung aller Strecken in spätestens eineinhalb Jahren umgesetzt ist. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Von den erfolgreichen Schweizern hören wir: Die Bahn muss eine Seele haben - das finde ich auch -, aber keine Global-Player-Krämerseele, sondern eine Bürgerbahn-Seele: Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Lange hat für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Tagen ereignete sich ein schreckliches Unglück, bei dem zehn Menschen ihr Leben lassen mussten. Ich habe es schon im Ausschuss getan und möchte auch von dieser Stelle aus allen Angehörigen, Familien und Freunden im Namen dieses Hauses unser Mitgefühl ausdrücken. Ich möchte all denen, die verletzt sind und an den Folgen dieses Unglücks noch lange tragen werden, unsere Genesungswünsche übermitteln. (Beifall) Die Ursache des Unglücks ist noch nicht endgültig geklärt. Fakt ist aber, dass dieser Streckenabschnitt nicht mit PZB ausgerüstet war. Ich glaube, auch hier besteht Einigkeit über alle Fraktionsgrenzen hinweg, dass wir unbedingt handeln müssen. Wir brauchen klare, neue Regelungen. Deshalb bringen wir als Koalitionsfraktionen einen Antrag ein, der vorsieht, dass PZB auf allen Strecken mit Personenverkehr obligatorisch wird und dass die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung entsprechend geändert wird. Das ist konsequentes und konstruktives Handeln. Liebe Frau Leidig, den zweiten Teil kann ich nur als destruktiv bezeichnen. Bezeichnenderweise haben Sie mit diesem Teil begonnen und nicht mit dem anderen. Was Sie als Bürgerbahn bezeichnen, soll am Ende wohl nichts anderes sein als die gute alte Reichsbahn. Es war schon verräterisch, als Ihr Fraktionsvorsitzender heute Morgen gesagt hat, dass Sie als Partei undemokratisch seien (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben Sie nicht richtig verstanden!) - das habe ich schon verstanden -, dass wir aber noch undemokratischer seien. Das weise ich zurück. Eines funktioniert sicherlich nicht, über Posten und Positionen in Vorständen in irgendeiner Form das Volk bestimmen zu lassen, wie Sie sich das vorstellen. Wir brauchen einen Bahnvorstand und einen Aufsichtsrat, die mit fachlich qualifizierten Frauen und Männern besetzt sind. Wir brauchen einen Aufsichtsrat, der die Kontrolltätigkeit und die Beratungsfunktion wahrnimmt. Wir brauchen Wirtschaftsfachleute. Wir brauchen die Besten. - Frau Leidig, Sie brauchen sich nicht zu melden. Ich lasse keine Zwischenfrage zu. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr gut! - Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schade!) - Nein. Sie hatten Ihre Redezeit. Ihre Anträge haben wir gelesen. Wir brauchen also fachliche Qualifikation in diesen Positionen. Hier möchte ich unserem Verkehrsminister danken. Peter Ramsauer hat konsequent qualifiziertes Personal in die Schaltzentralen der bundeseigenen Betriebe gesetzt. Er hat damit eine komplette Neuorientierung vorgenommen. Dass eine solche nötig ist, haben wir mehrfach besprochen. (Gustav Herzog [SPD]: Die haben für das Winterchaos gesorgt, Ihre Experten!) - Auch über das Winterchaos haben wir schon gesprochen. Ihr Antrag dazu ist eine Erinnerung an Ihre eigene Zeit. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Nein!) Insbesondere mit der Datenschutzbeauftragten Frau Newiger hat die Bahn - um die Debatte von vorhin aufzugreifen - eine hochqualifizierte Frau an die richtige Stelle gesetzt. Professor Felcht ist ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann. Wir brauchen bei unserer Bahn ausgewiesene Qualität. Wir brauchen Managementqualitäten. Wir brauchen Leute mit jahrelanger Erfahrung in Großbetrieben. Nur so schaffen wir es, die Bahn zu dem Verkehrsmittel zu machen, das wir uns wünschen. Wir wollen die in Rede stehenden Posten nicht betriebsblind oder nach ideologischen Kriterien besetzen. Frau Kollegin Leidig - auch wenn Sie das jetzt vielleicht nicht hören wollen; Sie werden nachher ja noch eine Kurzintervention machen -, wir stellen uns eine Postenbesetzung eben nicht so vor, wie Sie es aus früherer Zeit kennen, nach dem Motto: Genosse, Obergenosse, Lieblingsgenosse. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klar! Sie sind aus der CSU!) Wir setzen auf Qualität. Wir wollen eine erfolgreiche, eine kundenorientierte, eine sichere Bahn. Wir wollen keine Verhältnisse wie bei der DDR-Reichsbahn. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daher unterstützen wir, die Koalitionsfraktionen, unseren Bundesverkehrsminister. Er hat die richtigen und wichtigen Schritte eingeleitet. Wir unterstützen Dr. Grube. Er ist der richtige Mann am richtigen Platz, wie er mehrfach, auch im Ausschuss, bewiesen hat. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man sich bei Ihnen nicht so sicher sein!) Wir sind sicher, dass Kundenorientierung und Sicherheit die Zukunft unserer Bahn gewährleisten. Wir arbeiten weiter und kommen Schritt für Schritt voran. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Leidig das Wort. Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich nicht damit aufhalten, die Unterstellungen uns gegenüber zurückzuweisen. Sie sind so haltlos, dass es mir ganz leicht fallen würde. Ich möchte zu der Behauptung des Kollegen Stellung nehmen, der Bahnaufsichtsrat sei fachlich überaus kompetent besetzt. Ich möchte nur den Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn Utz-Hellmuth Felcht, herausgreifen, der am 24. März 2010 dieses Amt übernommen hat. Er sagt von sich selber in der Financial Times Deutschland: "Ich bin kein Bahnfachmann". Auf die wichtige Frage, ob Netz und Betrieb bei der Bahn getrennt werden sollten, hat er geantwortet: "Da habe ich schlicht und einfach noch keine Linie". Außerdem hat er, gelinde gesagt, ein etwas simples Bild davon, wie das System Bahn funktioniert. Er sagt: Herr Grube ist Beckenbauer, Herr Ramsauer ist der Besitzer des Vereins, und ich bin der Trainer. Ich frage mich, wie er dazu kommt, sich als Mannschaftstrainer zu sehen - die Deutsche Bahn AG hat immerhin etwa 180 000 Beschäftigte -, wenn er zugleich sagt, er werde seine Mandate und Ehrenämter behalten. Das bedeutet, dass er Aufsichtsratsvorsitzender der Süd-Chemie bleibt und zugleich Managing Director bei einem großen Unternehmen, das zu J. P. Morgan gehört. Außerdem übt er weitere Aufsichtsratsmandate aus, etwa in der Reisebranche. Das möchte ich zur Richtigstellung, was die Kompetenz angeht, anmerken. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort zur Erwiderung hat der Kollege Lange. Ulrich Lange (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Leidig, ich habe vorhin versucht, klarzumachen, worum es uns geht: nicht um eine Betriebsblindheit, sondern um Managementqualitäten. Dass der von Ihnen Angesprochene Führungsqualitäten, Wirtschaftskompetenz, Managementqualitäten aus einem Großunternehmen mitbringt, wird wohl nicht bestritten. Es geht nicht darum, ob er den letzten Kilometer Schiene kennt, sondern darum, ein großes Gesamtunternehmen mitverantwortlich leiten zu können. Dafür haben wir - davon sind wir überzeugt - den richtigen Mann. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ganz schwache Antwort!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Beckmeyer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns über die Bahn sprechen. Ich glaube, die Zukunft des Schienenverkehrs in Deutschland ist wichtiger als der Austausch, den wir hier eben erlebt haben. Zur Fraktion der Linken. Es ist eine leicht aufgewärmte Debatte. Das, was Sie da betreiben, ist ein Recycling von Anträgen. Ich bin damit gar nicht zufrieden. Wir sollten, auch in Ihrem Interesse und im Interesse der Bürger, die Sie angeblich vertreten, lieber keine Anträge stellen, die uns in dieser Republik im Grunde nicht weiterbringen und die am Ende mehr oder weniger nur taktische Spielchen sind. Reden wir über die Zukunft des Schienenverkehrs, über die Leistungsfähigkeit, über die Umweltverträglichkeit, über die Zuverlässigkeit, über die Attraktivität des Schienenverkehrs, über ein leistungsfähiges Schienennetz, über eine gute Vertaktung, über kundengerechte Tarifsysteme, die die Leute verstehen, und über die Erschließung der Fläche. Damit sind wir genau bei dem Thema, über das wir uns unterhalten müssen. Das ist eine Frage an die Bundesregierung: Ist die Konzernpolitik der DB AG in Deutschland einer Politik für den Schienenverkehr in Deutschland gleichzusetzen? (Patrick Döring [FDP]: Das haben doch die SPD-Minister immer gemacht!) Da habe ich in den vergangenen Monaten allmählich einige Zweifel bekommen; denn es gibt unterschiedliche Sichtweisen und unterschiedliche Erwartungen, die politisch aufbereitet und diskutiert werden müssen. Das ist das Erste. Kommen wir zum zweiten wichtigen Thema, das völlig ungeklärt ist, und zwar zur Finanzierung der Schienenprojekte aus dem öffentlichen Haushalt. Wir Sozialdemokraten als größte Oppositionsfraktion bemühen uns seit Monaten, einige Aussagen dazu zu erhalten und einige Fragen beantwortet zu bekommen. Aber wir bekommen nichts. In dieser Frage gibt es aus dem Haus des Bundesverkehrsministers keine plausible Antwort. (Gustav Herzog [SPD]: Funkstille!) Die Bedarfsplanüberprüfungen versus Haushaltsansätze 2011 zeigen, dass wir allein im Schienenverkehr eine Unterfinanzierung von 26 Milliarden Euro haben. Wir geben 1,1 Milliarden Euro Bundesmittel für den investiven Bereich aus. Sie können sich ungefähr vorstellen, wie lange es dauert, auch nur ansatzweise eine Chance zu haben, den Schienenverkehr nach vorne zu bringen und so auszustatten, wie er in Deutschland gebraucht wird. Wir haben einen deutlichen Anstieg der Baukosten festzustellen. Das liegt aber nicht daran, dass die Baumaterialien vom Preis her explodieren; die erhöhten Anforderungen an Sicherheit, Lärmschutz und Interoperabilität sind die Preistreiber. Aber dies bildet sich nirgendwo im Haushalt ab. Das geht nicht. Ich erwarte von der Bundesregierung - nicht vom Bundesverkehrsminister - eine plausible Antwort. Wir haben von der Kanzlerin und dem Verkehrsminister endlich Antworten auf den Wandel der gesellschaftlichen Priorität "pro Schiene" zu bekommen. Das vermissen wir zurzeit komplett. Es gehört mehr dazu, die Schiene zu stärken. Dazu gehört auch, dass man sich überlegt, ob man mit der Politik der Fernbuslinien die Schiene nicht vielleicht sogar schwächt. (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) Das ist ein Punkt, bei dem man überlegen muss, was man tut. Bei dem Thema "Maut auf allen Straßen" müssen wir aufpassen, liebe Freunde. Wird da der Zubringer zu KV-Terminals nicht übergebührlich belastet? Ist es nicht wichtiger, zu überlegen, die Kosten für den Verkehr auf der langen Strecke per Maut zu erhöhen, damit die Schiene eine Chance bekommt? Die Diskussion, die wir hier, von der FDP getrieben, zurzeit hören, lautet: DB Netz unabhängig machen und entsprechende Verträge ändern. - Alles das sind Nebenkriegsschauplätze, die am Ende nicht dazu führen, die Schiene zu stabilisieren. Das, lieber Herr Lange, lieber Herr Staatssekretär, liebe Damen und Herren der Regierungskoalition, sind die zentralen Frage der Schiene. Ich bitte darum, dazu von Ihnen endlich einmal Antworten zu hören; denn das Thema, worüber wir uns unterhalten müssen, ist: Wie bekommen wir eine bessere Ausstattung der Schiene hin? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie wissen genauso wie ich, dass damit die Diskussion einhergeht, die wir im Bundesrat führen - ich will das nicht aufwärmen, weil wir vor einem Monat hier schon einmal darüber gesprochen haben -, nämlich über Ihre unsägliche Politik mit dem Einsammeln der 2 Milliarden Euro. Sie nehmen der Schiene Geld weg, statt ihr Geld zuzuführen. Diese Zwangsdividende von 2 Milliarden Euro, 500 Millionen pro Jahr, ist eine dramatische Fehlentscheidung. Die Bundesländer sehen das im Bundesrat Gott sei Dank genauso. Es ist richtig, dass hier alsbald ein Korrekturbedarf ansteht. Zum Schluss darf ich noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, und zwar auf das, was hier am Anfang eine Rolle gespielt hat, nämlich das Zugunglück von Hordorf. Gemeinsam mit der Grünen-Fraktion haben wir heute einen Antrag vorgelegt. Das ist der Versuch, so wie wir es im Ausschuss eingefordert haben, einen überfraktionellen Antrag zu beschließen, der uns gemeinsam in die Verantwortung zwingt, mit dem etwas von der Bundesregierung erwartet und eingefordert wird. Es geht darum, zu klaren Nachbesserungen auf den Schienenstrecken zu kommen, auf denen Personenzugverkehr stattfindet und die bisher nicht mit entsprechenden Sicherheitseinrichtungen ausgestattet worden sind. Das ist aber ein absolutes Muss. Es kann nicht angehen, dass in einem Teil unseres Landes, und zwar in den neuen Bundesländern, überproportional wenige Sicherheitseinrichtungen vorhanden sind. Das ist ein Umstand, den wir zügig ändern müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der letzte schwere Unfall mit mehr als zehn Todesopfern ist ein schreckliches Beispiel dafür, was nicht passieren darf. Ich halte es für notwendig, dass wir hierfür die Finanzierungsmittel bereitstellen, auch über das hinaus, was wir an Finanzierungsvereinbarungen mit der Bahn getroffen haben. Das ist unverzichtbar. Ein letzter Gedanke: Die Bundesregierung befindet sich in der Frage der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung generell, insbesondere aber bei der Schiene, in einer absoluten Schieflage. In dieser Legislaturperiode hat sie noch nichts auf den Weg gebracht. Sie hat anderthalb Jahre vergeudet und uns keine einzige Lösungsmöglichkeit aufgezeigt. Ich befürchte, dass auch in den folgenden zweieinhalb Jahren nur Nebelkerzen geworfen werden, nicht aber das Grundübel der minimalen, nicht ausreichenden Finanzierung angegangen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, das aber ist Ihre Aufgabe. Sie müssen endlich zu einer Entscheidung kommen. Wie wollen Sie die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland besser ausstatten? Darum bitte ich Sie: Machen Sie endlich vernünftige Vorschläge! Sagen Sie uns, wie Sie sich das Ganze vorstellen! Es kann nicht angehen, dass auf dieser Ebene nichts passiert. Meine Fraktion ist bereit, darüber mit Ihnen zu reden. Das habe ich in diesem Hause schon mehrfach gesagt. Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens beginnt jedoch damit, dass die Regierung zunächst einmal sagt, was sie möchte, bevor sie uns fragt, welchen Beitrag wir dazu leisten können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Döring für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Patrick Döring (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst halte ich es für gut, dass wir im Ausschuss gemeinsam die nötigen ordnungsrechtlichen Schlüsse hinsichtlich des Infrastrukturmangels ziehen, der letztlich zu dem schrecklichen Unglück in Hordorf geführt hat, und anschließend gemeinsam die nötigen Vorschriften ändern wollen. Dann werden wir uns vielleicht auch in der Ausschussdebatte darüber verständigen, wer das am Ende bezahlt. Es ist ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit auf der Schiene zu leisten, und das geht offenbar nur ordnungsrechtlich. Das ist der einzige Punkt, in dem ich der Frau Kollegin Leidig zustimme. Es ist bedauerlich, dass die freiwilligen Vereinbarungen in diesem Bereich nicht zu einem Erfolg geführt haben. Nun muss man die Konsequenz ziehen und zum Erlass der nötigen Regelwerke gesetzgeberisch tätig werden. Das ist die richtige Reihenfolge. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will auf die vorliegenden Anträge gar nicht weiter eingehen, weil sich die Debatte extrem rückwärtsgewandt mit vermeintlichen Begründungen beschäftigt, die die ohnehin immer falsch wiedergegebenen Thesen über das Funktionieren dieses Unternehmens bestätigen sollen. Das Unternehmen DB AG befindet sich heute in hundertprozentigem Bundesbesitz und ist in keiner Weise mehr vergleichbar mit den Konstrukten der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn. Das ergibt sich anhand von drei Kennzahlen. Erstens haben wir heute ein Unternehmen, das Geld verdient. Das sollte den Eigentümer freuen; (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) denn früher haben die Umsatzerlöse aus Fahrkartenverkäufen nicht einmal ausgereicht, um die Personalkosten zu decken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie schon einmal mit der Bahn gefahren? Haben Sie schon einmal in einem Zug gesessen? - Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Döring. Patrick Döring (FDP): Kollegin Leidig hatte Gelegenheit, ihre Position darzustellen. Wir haben zweitens leistungsfähige unternehmerische Strukturen, die dazu führen, dass sich das Unternehmen in der strategischen Ausrichtung und bei seinen Entscheidungen auch an den Kundenwünschen orientiert. Die Einrichtung von Schnellbahnstrecken, also alles, was mit dem ICE zusammenhängt, war keine Erfindung des Deutschen Bundestages. Die Umsetzung ist durch eine leistungsfähige AG erfolgt. Drittens haben wir mit der DB AG - auch das gehört zur Wahrheit - ein großes, weltweit aufgestelltes Logistikunternehmen. Es war übrigens im Wesentlichen der Wunsch der Sozialdemokraten, dass sich die Bahn nicht nur mit Schienenpersonenfern- und Schienenpersonennahverkehr befasst, sondern weltweit Logistik betreibt. Die wesentlichen Akquisitionen, die die Grundlage für weltweite Logistikaktivitäten bildeten, sind unter sozialdemokratischen Verkehrsministern sanktioniert und finanziert worden. Geschätzte Kollegin Leidig, deshalb ist in Ihrem Antrag ein Denkfehler. Dieser fiel mir auf, nachdem ich Ihre Rede gehört habe und sie mit dem verglichen habe, was ich im Antrag gelesen habe. Eine Annahme Ihres Antrags zum Thema "Bürgerbahn statt Börsenbahn", in dem steht, dass niemals irgendetwas verkauft werden dürfte, würde ja mit sich bringen, dass der Steuerzahler auf Dauer für die Risiken aus Güterverkehr in China, auch von Verkehrsgesellschaften in Südostasien und vieler, vieler Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn in der ganzen Welt haftet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden Sie doch gut!) Ich glaube nicht, dass das ordnungspolitisch der richtige Weg ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Sabine Leidig [DIE LINKE]: Darum geht es nicht!) Sie können dieses Konzept gerne weiterverfolgen. Es ist ordnungspolitisch nicht vernünftig (Abg. Karin Binder [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) - nein, danke -, dass das Risiko aus staatsfernen Tätigkeiten wie Güterverkehr auf der Straße und Lufttransport von Gütern dauerhaft einzig und allein vom Bundeshaushalt zu tragen ist. Uwe Beckmeyer hat insofern recht: Es geht in Wahrheit um die Fragen von Wettbewerb, Regulierung, Finanzierung und Qualität. Beim Thema Wettbewerb werden wir im Laufe dieser Wahlperiode gegenüber dem Zeitpunkt der Regierungsübernahme deutliche Fortschritte erzielen. Wir haben nämlich gemeinsam mit der Bundesnetzagentur dafür gesorgt, dass die Zugangsmöglichkeiten zu Zugbildungsanlagen und die Frage des Bahnstroms erstmals wettbewerbsfördernd reguliert werden. Wir werden gemeinsam im Laufe dieser Wahlperiode weitere regulierungsverstärkende, wettbewerbserhöhende Elemente einführen. Dazu gehört ausdrücklich, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland die Möglichkeit erhalten, zu wählen, ob sie von Hannover nach Berlin mit dem ICE oder mit dem Fernbus fahren wollen. (Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Oder mit dem Wassertaxi!) So erhalten die Kunden Wahlmöglichkeiten und sind nicht auf ein Verkehrsmittel angewiesen. Auch das kann Qualität im Schienenverkehr erhöhen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind doch gemeinsam der Auffassung, dass es klug ist, den Gedanken eines Finanzierungskreislaufs Schiene zu verfolgen, welcher am Ende dazu führt, dass mehr Mittel in der Infrastruktur verbleiben. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wo kommt der her?) Dieser Idee werden wir uns in der Koalition im Laufe der nächsten Wochen intensiver zuwenden. Jeder hier im Saal, der ein bisschen seriös mit der Frage umgeht, weiß auch, dass sich die Finanzierungsströme und die gemeinsamen Vereinbarungen zwischen Eigentümer und Management eines Unternehmens mit fast 35 Milliarden Euro Umsatz so schnell nicht verändern lassen. Ich will noch eines zu der immer wieder genannten Mär, das Unternehmen werde kaputtgespart, sagen: Das Unternehmen hat im Jahr 2009, als diese Koalition Regierungsverantwortung übernahm, aus eigenen Mitteln 500 Millionen Euro in das Schienennetz investiert. Im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr 2010, in dem wir die volle Verantwortung getragen haben, wurden über 700 Millionen Euro aus eigenen Mitteln in die Infrastruktur investiert, und das Unternehmen wird im Laufe dieser Wahlperiode eigene Mittel in Höhe von insgesamt 4 Milliarden Euro zusätzlich zu den staatlichen Mitteln für das Netz zur Verfügung stellen. Das können übrigens nur Unternehmen, die unternehmerisch geführt werden und wirtschaftlich erfolgreich sind. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber 15 Milliarden Euro wären nötig! - Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist doch absurd! Das sind doch alles öffentliche Mittel! Sie kriegt mehr öffentliche Mittel als je zuvor!) Das können keine Unternehmen, die von Subventionen aus dem Bundeshaushalt abhängig sind. Deshalb ist der Weg, den wir beschreiten, richtig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Bahndebatten ist eines auffällig: Wenn man nur die Reden hört, kann man sich gar nicht sicher sein, wer wirklich von einer Regierungsfraktion und wer von einer Oppositionsfraktion ist. Wir haben jetzt zum Beispiel die Rede von dem geschätzten Kollegen Döring gehört. Er hat sich ausführlich darüber beklagt, dass die Bahn große internationale Akquisitionen getätigt hat, (Patrick Döring [FDP]: Im Güterverkehr, ja!) dass wir als öffentliche Hand inzwischen auf Märkten tätig sind, mit denen wir überhaupt nichts zu tun haben. Die Klage ist richtig. Es stellt sich bloß die Frage: Wer ist gerade an der Regierung? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE]) Ich vermute: Es ist der rechte Teil des Hauses; (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) man liest es zumindest überall und kann es auch an den Abstimmungsergebnissen erkennen. Also: Schwarz-Gelb regiert. Was hat Schwarz-Gelb gemacht? Es ist ja noch schlimmer, als der Kollege Beckmeyer es dargestellt hat. Sie haben nicht nichts gemacht; Sie haben in der Vergangenheit einiges gemacht. Zum Beispiel hat unter Schwarz-Gelb die DB AG für 2,7 Milliarden Euro den Marktführer für Busse gekauft. (Patrick Döring [FDP]: 1,7!) Jetzt könnte man natürlich sagen: Den Marktführer für Busse zu kaufen, ist ganz spannend. Aber es war der Marktführer für Busse in Großbritannien. (Patrick Döring [FDP]: Personenverkehr soll das Unternehmen doch auch betreiben!) Es ist schön, dass Schwarz-Gelb mit Geld der DB AG ein Unternehmen in Großbritannien verstaatlicht. Vielleicht ein Ratschlag an die Linken: Wie Verstaatlichen funktioniert, das können Sie von denen lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn man sich anschaut, wer im Verstaatlichen noch gut ist, kommt man zu dem Ergebnis: Es ist Baden-Württemberg, auch eine schwarz-gelbe Regierung. Da hat man einen Energieversorger verstaatlicht. Also: Nicht immer nur vom Verstaatlichen reden! Die wissen, wie es geht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gustav Herzog [SPD] - Patrick Döring [FDP]: Ich habe nur über Güterverkehr gesprochen!) Aber dadurch, dass man erkennt, dass die Regierung falsch handelt, wird bei der Bahn noch nichts besser. Was haben Sie weiter getan? Sie haben wirklich nicht nichts getan. Sie haben als Weiteres den intermodalen Ansatz bei der Finanzierung der Schienenwege zerschlagen. (Patrick Döring [FDP]: Das hat nicht zu weniger Geld geführt!) Unter Rot-Grün ist eine vernünftige Logistikabgabe eingeführt worden. Diese Logistikabgabe nennt man "Maut", und diese Logistikabgabe sollte dazu dienen - sie hat lange Zeit auch dazu gedient -, die Logistikstandards zu verbessern. Wir haben Geld ausgegeben für die Straße, wir haben Geld ausgegeben für die Schiene, wir haben Geld ausgegeben für die Wasserstraße, um ein integriertes Logistikkonzept anzubieten, wie es einer modernen Industrienation angemessen ist. (Patrick Döring [FDP]: Wir geben das Geld auch weiter aus! - Sebastian Körber [FDP]: Das ist doch nicht weniger Geld geworden!) Was haben Sie getan? Sie haben das zerschlagen und nennen das jetzt "Finanzierungskreislauf". (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) Damit ist Geld für die Bahn weg. (Patrick Döring [FDP]: Es ist doch nichts verloren gegangen! Das ist schlicht gelogen!) Was haben Sie als Nächstes getan? Als Nächstes wollen Sie Jahr für Jahr 500 Millionen Euro aus der Bahn herausziehen. Das begründen Sie damit, dass die Bahn so hohe Gewinne macht. Na ja! Das ist auch wieder ein schöner Taschenspielertrick. Wie macht die Bahn denn hohe Gewinne? Die Bahn macht hohe Gewinne, indem wir 7 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel an die Länder ausreichen, von denen über 5 Milliarden Euro bei der DB AG landen. (Patrick Döring [FDP]: Das ist Gesetz! Das Gesetz haben wir gemeinsam verabschiedet!) Dann reichen wir 2,5 Milliarden Euro LuF-Mittel aus und 1,2 Milliarden öffentliches Geld für Neu- und Ausbaumaßnahmen. (Patrick Döring [FDP]: Gemäß Grundgesetz!) Es sind in der Summe rund 10 Milliarden Euro, die die Bahn bekommt. Von diesem Geld bleibt ein Teil übrig und ist sozusagen Gewinn, wenn man es ganz böse ausdrücken will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Die Geschäftstätigkeit macht auch Gewinn!) Davon schnappen Sie sich wieder 500 Millionen! Warum machen Sie das? Weil Sie einfach zu feige sind, zuzugeben, dass Sie 500 Millionen Euro aus dem Eisenbahnverkehr herausnehmen. Das ist "rechte Tasche, linke Tasche" und nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN - Patrick Döring [FDP]: Das ist Voodoo-Ökonomie!) Was ist notwendig? Dringend notwendig ist die Aufhebung der Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge, (Patrick Döring [FDP]: Das stimmt!) damit wir zu vernünftigen und klaren Finanzströmen kommen. Davon reden Sie immer. Das steht auch in Ihrem Koalitionsvertrag. Aber was passiert? Nichts passiert! DB Netz wird ausgequetscht. Die Mittelfristplanung besagt, dass Sie sie noch weiter ausquetschen wollen. Was ist der Effekt? Der Effekt ist, dass das Schienensystem weiterhin verlottert. Das mag den einzelnen Kunden vielleicht nicht so interessieren; aber ein verlottertes Schienensystem führt dazu, dass die Züge Verspätung haben. Wenn die Leute eines wollen, dann ist es ein pünktliches, sauberes und gut funktionierendes Bahnsystem. Das ist mit dem System, das Sie errichten und weiter betreiben, nicht zu erreichen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jarzombek für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Diskussion hat sich ein Stück weit in eine allgemeine Debatte über die Bahnpolitik entwickelt. Ich würde daher gerne zu den Anträgen zurückkommen und darlegen, was eigentlich beantragt worden ist. Sie machen sich die Sache sehr leicht. Sie beantragen, den Vorstand anders zu besetzen, den Aufsichtsrat abzuberufen und die Privatisierungsanstrengungen zurückzufahren. Ich glaube, dass Sie damit den Menschen Sand in die Augen streuen; denn das ist eine sehr einfache Antwort auf komplizierte Sachverhalte. Außerdem tun Sie noch eines: Sie reden pausenlos die Deutsche Bahn AG schlecht. Aber Schlechtreden ist keine gute Vorgehensweise; denn auch auf die Bahn passt ein Zitat des Bankers Giles Davison: Mit einer Bank verhält es sich wie mit einem Mädchen. Wenn die Leute zu viel darüber reden, schädigt das den guten Ruf. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh! - Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Willkommen im Jahr 2011!) - Stellen Sie eine Zwischenfrage, und echauffieren Sie sich nicht. (Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Frau Präsidentin! - Der Vergleich mit der Bank kommt nicht von ungefähr; denn auch da geht es um das, was Sie hier beantragen, nämlich um eine Verstaatlichung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat über eine Studie des Dresdner Wirtschaftsprofessors Marcel Thum geschrieben - das konnte man am 14. September 2009 unter dem Titel "Staatsbanken schneiden in der Krise schlechter ab" nachlesen -, in der festgestellt wurde, dass die öffentlich-rechtlichen Banken, also die Staatsbanken, in der Krise zwei- bis dreimal so viele Verluste gemacht haben wie die privaten Banken. (Gustav Herzog [SPD]: Da meinen Sie aber nicht die Sparkassen, oder?) Darunter fallen die IKB, die West LB, die Bayern LB; die Liste ließe sich noch weiter fortführen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern LB ist doch klar! Bei der CSU kopiert man Doktortitel!) - Melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage, Herr Kollege Hofreiter. Ihr Geschrei kann ich hier nicht verstehen, und es hilft in der Sachdebatte auch nicht weiter. - In Nordrhein-Westfalen hat sich sogar das Verfassungsgericht mit der Politik der Linken in Sachen West LB befassen müssen. Schauen Sie sich die Telekom an. Dieses Unternehmen war früher ein reiner Staatsbetrieb. Können Sie sich noch daran erinnern? Der Tagesspiegel hat in den 90er-Jahren geschrieben: Jetzt günstig telefonieren mit der Telekom ab 2 Uhr morgens. - Die heutigen Preise liegen nur noch bei einem Zehntel des damaligen Niveaus. Dies ist der Effekt von Privatisierung und Wettbewerb. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Löhne und Gehälter?) Beim Thema Bahn wollen wir einmal in Ihren Verantwortungsbereich, Kollegen von der Linken, schauen. Wie sieht die Situation der Bahn in Berlin aus? (Dorothee Menzner [DIE LINKE]: Das wird ja spannend!) Ich zitiere an dieser Stelle Harald Wolf, den Wirtschaftssenator von der Linkspartei (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Guter Mann!) - ein guter Mann -: Beim öffentlichen Eigentümer besteht aus meiner Sicht das Risiko darin, dass der Eigentümer seine Unternehmen mit politischen Ansprüchen überlädt ... Jetzt komme ich zu den Fragen bezüglich der Dividende. Herr Wolf sagte nämlich weiter: Das heißt nicht, sich als öffentliche Hand ausschließlich an der Maximierung des Shareholder Value oder der Dividendenabführung ... zu orientieren, obwohl Letzteres natürlich auch ein öffentliches Interesse ist. Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Anspruch im Deutschen Bundestag und Ihrer Politik, die Sie im Senat von Berlin betreiben. Dort wollen Sie Dividendenabführungen durchsetzen und wollen keine Verstaatlichungen durchführen. Aber hier propagieren Sie genau das Gegenteil. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Seit wann gehört die SPD-Bahn dem Senat von Berlin?) Ich sage Ihnen: Wenn Sie hier Regierungsverantwortung erlangen würden, würden Sie etwas ganz anderes tun. Staatswirtschaft ist nie eine Antwort auf wirtschaftliche Probleme. In diesem Sinne werden wir die Anträge, die Sie uns vorlegen, nicht zur Annahme empfehlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Uwe Beckmeyer [SPD]: Was ist denn das für eine überkommene Ideologie und Phrasendrescherei?) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/4838, 17/4840 und 17/4854 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel "Zukunft der Bahn - Bürgerbahn statt Börsenbahn". Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4828, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/652 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel "Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG kompetent und demokratisch besetzen": Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4829, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2189 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gegen das Zwei-Klassen-Internet - Netzneutralität in Europa dauerhaft gewährleisten - Drucksache 17/3688 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Netzneutralität sichern - Drucksache 17/4843 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der unbeschränkte Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, Informationen frei verbreiten zu können, sind ganz zentrale Grundrechte. Sie müssen auch im und für das Netz gelten, ohne Wenn und Aber. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das haben selbst Sie im Koalitionsvertrag erkannt. Bislang wurden Datenpakete gleichberechtigt im Netz transportiert, ungeachtet ihres Inhalts, des Absenders oder des Empfängers. Erst die Netzneutralität machte die beispiellose Erfolgsgeschichte des Internets in der Form überhaupt möglich. Genau hier liegt das Missverständnis derjenigen, die jetzt nichts tun und erst einmal abwarten wollen: Nicht der Wettbewerb sichert die Netzneutralität, sondern die Netzneutralität gewährleistet den Wettbewerb. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie ist von einer enormen Bedeutung für unsere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft. Tunesien und Ägypten zeigen derzeit eindrücklich, welche Rolle der freie und gleichberechtigte Zugang zum Internet für die Menschenrechte und die Demokratie spielt. Auch da liegt Ihr Missverständnis: Sie vonseiten der Koalition definieren Netzneutralität oft rein wirtschaftspolitisch, sie ist aber vor allem auch eine zentrale Frage unseres demokratischen Selbstverständnisses. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Netzneutralität ist ein ganz wichtiges Gut, das wir schon aus ordnungspolitischer Sicht zwingend wahren müssen. Längst stehen große Konzerne, auch deutsche, in den Startlöchern und stellen das Prinzip selbst infrage. Weil das Thema so wichtig und der Gesetzgeber in der Pflicht ist, diese Grundlage des Netzes zu schützen, bringen wir heute diesen Antrag ein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Netzneutralität technisch heißt: gleichberechtigte, diskriminierungsfreie Übertragung von Datenpaketen im Internet, in einer Ende-zu-Ende-Architektur, die das Internet als Netz der Netze gesellschaftlich, ökonomisch und kulturell erfolgreich gemacht hat. Aber die Netzneutralität hat auch eine soziale Ebene. Netzneutralität sozial heißt: Alle haben Netzzugang unter gleichen technischen Bedingungen, können Geräte und Programme ihrer Wahl nutzen; Teilhabe, Engagement und Kreativität sind unter gleichen Bedingungen möglich; Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt werden gewährleistet; der faire Wettbewerb ist gesichert; es gibt keine Spitzel-/Überwachungstechniken wie Deep Packet Inspection. Kurz: Netzneutralität steht für ein lebenswertes Internet, in dem alle Sender und Empfänger zugleich sein können, Provider sich auf die Rolle des neutralen Mittlers beschränken und nicht derjenige besser gestellt wird, der für Informationen mehr bezahlen kann. Denn ein Zwei-Klassen-Internet, in dem das bisher zentrale Prinzip der Netzneutralität nicht mehr gilt, ist das Letzte, was wir im Augenblick gebrauchen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diensteklassen und Priorisierungen gegen Aufpreis, die immer wieder aus durchsichtigen Gründen ins Spiel gebracht werden, kommen erst einmal ganz harmlos daher, führen aber letztlich dazu, dass die zukünftige Entwicklung des Internets als demokratischer Raum grundlegend infrage gestellt wird. Nichts gegen innovative Anwendungen und sinnvolles und transparentes Netzwerkmanagement, solange sie die Neutralität des freien Internets nicht unterlaufen. Speziell zeitkritische Anwendungen wie die Telemedizin sind in eigenen Netzwerken sowieso viel besser aufgehoben. Beschwichtigungen und Abwarten reichen nicht. Sie haben es im Koalitionsvertrag stehen. Die Europäische Kommission hat es in ihre Digitale Agenda geschrieben. Erst gestern hat die von Ihnen selbst eingesetzte Expertenkommission Forschung und Innovation dringend geraten, die Netzneutralität rechtlich abzusichern. Alle reden davon, wie wichtig es ist, die Netzneutralität zu schützen. Ein konkreter Antrag liegt Ihnen vor. Los geht's! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Schön für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es richtig und wichtig, dass wir im Bundestag über das wichtige Thema der Netzneutralität diskutieren. Allerdings ist es ein schwieriges Unterfangen, das in einer halben Stunde zu tun. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innerhalb von vier Minuten, Frau Kollegin!) Denn man könnte allein über die Begriffsdefinition stundenlang streiten, ebenso über mögliche Gefahren und Regulierungsmöglichkeiten; derzeit tut das dankenswerterweise eine Arbeitsgruppe der Enquete-Kommission. Sehen Sie es mir deshalb nach, wenn ich die Punkte, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, nur anreißen kann. Zum Ersten will ich problematisieren, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs der Netzneutralität gibt; jeder hat da seine eigene Lesart. Mittlerweile ist eine Definition weitgehend anerkannt, die besagt: Der Begriff Netzneutralität bezeichnet die neutrale Übermittlung von Daten im Internet, das bedeutet eine gleichberechtigte Übertragung aller Datenpakete unabhängig davon, woher diese stammen, welchen Inhalt sie haben oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben. Ich will diese Definition gerne zugrunde legen; allgemeingültig ist sie allerdings nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil die Definition des Begriffs schon schwer ist und deshalb auch die Frage schwer zu beantworten ist, was denn die Netzneutralität überhaupt gefährden kann, müssen wir zumindest positiv gemeinsame Zielvorstellungen definieren: Klar ist für uns: Wir wollen zum einen die Bedeutung des Internets für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft erhalten. Das Internet hat die Art, wie wir kommunizieren, wie wir Wissen und Informationen generieren, revolutioniert. Das Internet schafft für uns als Konsumenten und als Bürger eine Transparenz und Offenheit, die in dieser Form vorher nicht denkbar war. Diese Freiheit wollen wir erhalten und lehnen deshalb die Behinderung einzelner Dienste genauso wie eine Differenzierung nach Inhalten, Diskriminierung und Zensur ab. Wir wollen zum anderen die Innovationskraft erhalten, die vom Internet ausgeht. Viele Start-ups, die erst vor ein paar Jahren gegründet wurden, haben sich mittlerweile zu großen Dienstanbietern entwickelt. Wir wissen nicht, was sich morgen entwickeln wird und welche Datenmengen die Start-ups brauchen werden. Bezahlbare und gleichzeitig schnelle Übertragungswege sind maßgeblich für den Erfolg junger Unternehmen. Genauso wichtig sind gewisse Qualitätsstandards und der weitere Ausbau der Netze. Das ist nur zu haben, wenn wir den Unternehmen, die den Netzausbau leisten, zugestehen, dass sie ihre Kosten amortisieren. Wir müssen beides im Blick haben, wenn wir über Regulationen reden. Richtschnur für uns ist, das wir möglichst viel über den Wettbewerb lösen. Regulatorische Maßnahmen kommen nur infrage, wenn technische Möglichkeiten oder die soziale Entwicklung gefährdet sind. Das sind ganz allgemein die Grundsätze, die als Überschrift über allem stehen müssen. In einem nächsten Schritt ist dann zu prüfen, ob denn derzeit die Netzneutralität bedroht ist. Die Antwort darauf ist: zurzeit nicht. Bisher konnte der Wettbewerb alle Probleme lösen. Das gilt auch, sehr geehrter Herr Kollege von Notz, für das von Ihnen gern gewählte Beispiel mit Skype und der Telekom. Hier war kein regulatorischer Eingriff nötig, um das Problem zu lösen. Auch das Horrorszenario, das die Grünen des Öfteren malen, nämlich die künstliche Verknappung vonseiten der Anbieter, um den Preis hochzutreiben, halte ich derzeit nicht für besonders wirklichkeitsnah; die Realität beweist zurzeit das Gegenteil. Allerdings ist das nur die Beschreibung des Istzustands. In Zukunft können wachsende Datenmengen, wirtschaftliche Interessen und auch die technischen Möglichkeiten durchaus zur Einschränkung der Netzneutralität führen. Das muss man wissen. Deshalb stellt sich als Konsequenz daraus die Frage, wie wir Vorsorge treffen wollen. Es brennt auch nicht jeden Tag, und trotzdem hat man einen Feuerlöscher zu Hause. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Deshalb müssen wir Vorsorge treffen und ebenfalls einen Werkzeugkasten bereithalten, und diesen Werkzeugkasten haben wir. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Beispiel!) Mithilfe der bestehenden Maßnahmen der Missbrauchsaufsicht und des Wettbewerbsrechts kann schon heute diskriminierendes Verhalten von marktbeherrschenden, aber auch von nicht marktbeherrschenden Unternehmen unterbunden werden. Zusätzlich zu den bestehenden Instrumenten sieht der Entwurf der TKG-Novelle Verbesserungen vor. Zum einen soll die Bundesnetzagentur Qualitätsanforderungen festlegen. So wird verhindert, dass sich Dienste massiv verschlechtern und dass der Datenverkehr in den Netzen behindert oder verlangsamt wird. Zum anderen wird die Bundesnetzagentur Transparenz schaffen, für den Kunden und für den Wettbewerber. Diese beiden Punkte - Transparenz und Mindestqualitäten - halte ich für elementar wichtig, um möglichen Bedrohungen vorzubeugen. Schließlich tragen auch die Förderprogramme zum Netzausbau des BMWi dazu bei, dass die überhaupt zur Verfügung stehenden Übertragungsmöglichkeiten verbessert werden. Alles in allem ist festzuhalten: Es gibt Werkzeuge, sowohl schon jetzt als auch im neuen TKG, und die reichen aus. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Da sagt Ihr Expertenrat aber das Gegenteil!) Für vorsorgliche Regulierung gibt es darüber hinaus keinen Bedarf. Das bestätigte uns auch gestern Abend Dr. Iris Henseler-Unger, die Vizepräsidenten der Bundesnetzagentur. Das Gleiche steht beispielsweise auch im Thesenpapier der Arbeitsgruppe "Digitale Infrastruktur" des Nationalen IT-Gipfels. Auch in der Anhörung der Enquete haben sich viele dahin gehend geäußert. (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Es gibt minimale Verbesserungsvorschläge, aber für eine große regulatorische Initiative, wie sie die Grünen und auch die Linke planen, gibt es derzeit keinen Bedarf. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden sich noch an unseren Antrag erinnern!) Ich sage "derzeit", weil wir alle wissen, wie dynamisch die Branche ist und wie schnell sich die Situation ändern kann. Deshalb sage ich auch: Wir werden die Entwicklung genau im Auge behalten. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hintertür wird aufgemacht!) - Lieber Kollege, das ist keine Hintertür, sondern rationales Vorgehen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau so ist das! - Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Hören Sie zu, dann können Sie noch etwas lernen!) Wir werden nachbessern, wenn es zu Problemen kommen sollte, die mit den bestehenden Instrumenten nicht zu lösen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns ist die Netzneutralität ein wichtiges Gut. Wir wollen weiterhin, dass das Internet ein Raum der Freiheit und der Innovation bleibt. Diesem Grundsatz sehen wir uns verpflichtet, und danach richten wir unsere Politik aus. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür muss man auch etwas tun!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dörmann für die SPD-Fraktion. Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Basis der Netzneutralität hat sich das Internet als Innovationsmotor für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung erwiesen. Deshalb kommt der Sicherstellung der Netzneutralität für die Bundestagsfraktion der SPD eine zentrale Bedeutung zu. Wir wollen den Charakter des Internets als freies und offenes Medium bewahren und stärken. Jeglicher Form der Diskriminierung im Netz sollten wir alle entschieden entgegentreten. Netzpolitisch stehen für uns folgende Zielsetzungen im Vordergrund. Wir wollen ein offenes Internet ohne Kontrolle und Zensur der Inhalte, Meinungsvielfalt und Teilhabe sowie die Möglichkeit, selbst und gleichberechtigt im Internet aktiv zu werden. Wir wollen ein funktions- und leistungsfähiges Netz für alle, attraktive und stabile Dienste, Innovationen, die den persönlichen und ökonomischen Nutzen mehren, und schließlich einen fairen Wettbewerb zur Sicherung einer dynamischen Entwicklung. Gerade hierfür brauchen wir eine gesetzliche Absicherung der Netzneutralität. Die SPD-Bundestagsfraktion wird hierzu in Kürze einen eigenen Antrag vorlegen. Die heute zu beratenden Anträge der beiden Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zielen in die richtige Richtung, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) sind aber nicht präzise genug. Insbesondere der Antrag der Grünen, sehr geehrter Herr Kollege Notz, nimmt in seinen Forderungsteil an die Bundesregierung eher sehr allgemeine Formulierungen auf. Das reicht uns eben nicht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das müssen Sie genauer lesen!) Die SPD-Bundestagsfraktion will in ihrem Antrag zudem Überlegungen aus der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" aufgreifen. Derzeit erfolgen die entscheidenden Diskussionen in der Projektgruppe Netzneutralität. Es ist sinnvoll und unterstreicht die Bedeutung der Enquete-Kommission, wenn wir diese Diskussion auch hier im Plenum berücksichtigen. (Beifall des Abg. Jimmy Schulz [FDP]) Die SPD will eine gesetzliche Regelung, die deutlich über das hinausgeht, was die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes vorgelegt hat. Im Gesetzestext wird selbst das Wort "Netzneutralität" nicht ein Mal erwähnt. Das muss man erst einmal hinbekommen. Frau Kollegin Schön, wenn Sie von einem "Feuerlöscher" sprechen, dann hat der, so wie Sie ihn geschildert haben, wohl eher die Größe eines Fingerhutes, und das reicht uns eben nicht. (Jimmy Schulz [FDP]: Das ist technische Innovation! - Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein digitaler Feuerlöscher!) In dieser Woche hat sogar die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission "Forschung und Innovation" den Referentenentwurf als unzureichend kritisiert. Sie vermisst sowohl eine Definition von Netzneutralität als auch konkrete Aussagen darüber, wie diese gesichert werden soll. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!) Die im Internet nachgefragten Anwendungen und Datenraten werden weiter drastisch steigen. Neue IP-Netze bieten heute den Netzbetreibern neue Möglichkeiten, Nachfrage und knappe Kapazitäten intelligent zu managen. Insofern können Netzwerkmanagement und gesicherte Transportklassen im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sein, aber eben nur dann, wenn es um das Ziel geht, die Stabilität der Netze zu sichern und dafür zu sorgen, dass zeitkritische Dienste in der erforderlichen Qualität beim User ankommen. Das darf aber nicht dazu führen, dass das Best-Effort-Internet, wie wir es kennen, zurückgedrängt wird. Dessen Kapazität muss auch in Zukunft wachsen, und es darf nicht von priorisierten Diensten abgelöst werden. Deshalb sind klare gesetzliche Vorgaben notwendig. Netzneutralität darf nicht nur als Fußnote der Internetkommunikation verstanden werden. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion sollten daher im Telekommunikationsgesetz insbesondere folgende sechs Punkte berücksichtigt werden: Erstens. Wir wollen, dass Netzneutralität als eines der Regulierungsziele im TKG aufgenommen wird. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Zweitens. Wir brauchen ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für den Datentransport im Internet. Das Verlangsamen, Benachteiligen oder Blockieren von Inhalten, Diensten oder Diensteanbietern muss verhindert werden. Auch darf es eine Inhaltekontrolle durch Netzbetreiber nicht geben. Drittens. Den Netzbetreibern müssen eindeutige Informations- und Transparenzverpflichtungen auferlegt werden, und zwar sowohl gegenüber dem Endkunden als auch gegenüber den Diensteanbietern und der Bundesnetzagentur. Wesentliche Maßnahmen des Netzwerkmanagements, Transportklassen und andere Eingriffe in die Datenübertragung müssen offengelegt werden. Viertens. Die Bundesnetzagentur ist zu beauftragen, die Einhaltung der Netzneutralität zu sichern. Hierfür sind ihr ausreichende Kontroll- und Sanktionsinstrumente an die Hand zu geben, um Verstößen effektiv entgegenwirken zu können. Fünftens. Die Bundesnetzagentur ist zu ermächtigen, angemessene Mindestqualitätsstandards für die Durchleitung von Datenpaketen festzulegen. Es geht darum, die Best-Effort-Qualität im Internet zu sichern, Diensteanbieter und Endkunden zu schützen und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Sechstens. Kunden sollte ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt werden, falls ihr Anbieter festzulegende Mindeststandards nicht einhält oder nachhaltig gegen die Netzneutralität verstößt. Das würde dem Nutzer und dem Wettbewerb entscheidende Vorteile bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Netzneutralität ist die eine Seite der Teilhabe an unserer Informationsgesellschaft. Damit alle Menschen die Möglichkeit haben, das Internet zu nutzen, brauchen wir darüber hinaus einen konsequenten Ausbau der Breitbandnetze, gerade auch in eher ländlichen Räumen. Es gibt immer noch zu viele Menschen, die keinen leistungsfähigen Internetzugang haben. Deshalb muss die flächendeckende Versorgung mit Breitbandinternet entschiedener als bisher vorangetrieben werden. (Beifall bei der SPD) Auch hier tut die Bundesregierung einfach viel zu wenig und wird ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Ihr Wirken kann man also in gewisser Weise als "netzneutral" bezeichnen. In diesem Zusammenhang ist das allerdings kein Ruhmesblatt. Auch diese Debatte, so denke ich, werden wir in diesem Hause demnächst intensiv führen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Bögel für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Claudia Bögel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! "Freie Fahrt für freie Bürger", so die Forderung vor Jahren in diesem Hohen Hause. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, FDP und ADAC, daran können wir uns erinnern!) Freilich war es ganz anders gemeint als heute. Dennoch: Wenn wir von Infrastruktur reden, so dürfen wir keinesfalls nur an Straßen denken, sondern wir sollten insbesondere die Datenautobahnen im World Wide Web betrachten. Für immer mehr Bürgerinnen und Bürger sind diese eine nicht mehr wegzudenkende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am weltweiten Wissensstand unserer Zeit. Dies gilt es zu beachten. (Beifall bei der FDP) Das Internet ist zu einem globalen Marktplatz für immer neue innovative Dienstleistungen zum Nutzen von Unternehmen und Verbrauchern geworden. Fast 2 Milliarden Menschen nutzen diesen Weg. Meine Fraktion wird alles dafür tun, um diese Freiheits- und Marktfunktionen des Internets zu erhalten. (Beifall bei der FDP - Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst einem Grünen-Antrag zustimmen!) Das Netz hat sich seit seiner Entstehung gravierend gewandelt. Es dient heute nicht mehr allein zur Recherche wichtiger Informationen, sondern bietet Unterhaltung und den elektronischen Diensten eine Übermittlungsbasis. Durch kostenlose Angebote wie YouTube, Videotelefonie und Google werden die Datenautobahnen immer stärker beansprucht. Aber auch neue kommerzielle Angebote wie das Cloud Computing oder Skypen erfordern Transportkapazitäten, die - wen wundert es? - immer knapper werden. Geplagte Smartphone User wissen, wovon ich rede. Erste Priorität sollte sein, Transportkapazitäten zu erhöhen. Dazu wird die Bundesregierung ihre erfolgreiche Breitbandinitiative weiterführen, bis auch der letzte weiße Fleck auf der Landkarte der Bundesrepublik verschwunden ist. Die Novelle zum TKG setzt noch in diesem Jahr die Rahmenbedingungen für die nächste Generation hochleistungsfähiger Datenautobahnen, die nicht nur mit einem 2-PS-Trecker, sondern mit einem hochkarätigen Sportcoupé genutzt werden können. Unser Ziel ist es, in drei Jahren drei Viertel der Bevölkerung mit einer Bandbreite von mindestens 50 MBit zu versorgen und bereits vier Jahre später die flächendeckende Vollversorgung mit dem Hochgeschwindigkeitsinternet sicherzustellen. (Martin Dörmann [SPD]: Die Ziele sollte man aber auch verwirklichen!) Ich bin mir sicher, lieber Kollege Dörmann: Wir werden dieses Ziel erreichen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und zwar effektiv und kostengünstig; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Marktwirtschaftler begeistern sich für Fünfjahrespläne!) denn, lieber Kollege, wir werden auf den Wettbewerb aller verfügbaren Technologien setzen, flankiert durch eine investitionsfreundliche Regulierung. Auch im Fall von Engpässen im Netz ist und bleibt Wettbewerb das effektivste Mittel, um diskriminierende Eingriffe in den Datentransport abzuwenden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie im Mobilfunk, so ist auch im Internet die Netzqualität der entscheidende Marktvorteil. Bevor wir also schillernde Begriffe wie den der Netzneutralität in Gesetzesform gießen, halte ich es für zielführender, über die Vorgabe bestimmter Mindestqualitäten für den Datentransport zu diskutieren. Netzneutralität darf nämlich nicht zu sozialistischer Gleichmacherei verkommen. (Beifall bei der FDP - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Für demokratischen Sozialismus war und ist die Linke zuständig!) Ist der Kunde bereit, für qualitätsgesicherte Dienste wie zum Beispiel Skypen oder Cloud Computing zu zahlen - so stellt es sich doch heute schon dar -, dürfen solche Geschäftsmodelle nicht mit dem Dogma der Netzneutralität verhindert werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Bögel, ich weiß, drei Minuten sind eine kurze Zeit. Aber Sie haben sie schon überschritten. Claudia Bögel (FDP): Ich bin gleich fertig. Einen Augenblick. Vizepräsidentin Petra Pau: Das müssen Sie dann mit dem Kollegen Schulz klären. Claudia Bögel (FDP): Gerade für viele mittelständische Unternehmen können diese Angebote hochattraktiv sein. Hier darf nicht vorbeugend reguliert werden, sondern hier muss Offenheit bestehen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Wawzyniak für die Fraktion die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage der Netzneutralität gehört zu den wichtigsten Herausforderungen der aktuellen Netzpolitik. Für die Linke ist klar: Wir wollen die Netzneutralität dauerhaft sichern. Wie dies geschehen kann, haben wir in unserem Antrag beschrieben. Wir begrüßen es, dass - anders als die Regierungskoalition - auch die Grünen die Netzneutralität sichern wollen. Herr Dörmann, wenn Ihnen nicht ausreicht, was wir machen, empfehle ich Ihnen: Lassen Sie es uns machen wie in Schleswig-Holstein. Dort gibt es einen Antrag von Rot-Rot-Grün "Netzneutralität in Europa sichern". (Beifall bei der LINKEN) Die Regierung setzt auf die Kräfte des Marktes. Diese Strategie ist gescheitert. Der Gesetzgeber muss endlich handeln. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! - Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Wo ist sie gescheitert?) Worüber reden wir hier? Das Internet, wie wir es bisher kennen, verdankt seinen Erfolg unter anderem der Tatsache, dass es einen gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Datenverkehr gibt, unabhängig vom Inhalt oder dem verwendeten Dienst. Bisher ist es völlig egal, ob ein Nutzer Videos bei YouTube anschauen oder Fotos an seine Verwandten verschicken wollte. Der Zugang und die Qualität waren für alle Nutzerinnen und Nutzer gleich. Auf der anderen Seite konnten die Anbieter neuer Dienste davon ausgehen, dass die Nutzer ihre Angebote in gleichem Maße nutzen konnten wie existierende Dienste. Dies ist möglich, weil die Netzbetreiber selbst seit einigen Jahren sogenannte Netzmanagementmaßnahmen ergreifen. So ist es zum Beispiel für ein störungsfreies Internettelefonat notwendig, dass die Datenpakete zur richtigen Zeit und in der richtigen Reihenfolge bei den Teilnehmern ankommen. Das soll auch so bleiben. Wir lehnen eine rein technisch bedingte Priorisierung von Datenpaketen nicht ab. Wir sagen: Eine rein technisch bedingte Priorisierung ist möglich und in engen Grenzen sinnvoll, aber eine Priorisierung als Geschäftsmodell zur Profitsteigerung der Netzbetreiber, wie in jüngster Zeit offen gefordert, lehnen wir ab. Hierbei geht es allein um den schlichten Versuch, die eigenen Profite zu maximieren. (Beifall bei der LINKEN) Dabei hat doch in den letzten Jahren der Ausbau der Netzinfrastruktur mit den technischen Entwicklungen bei Diensten und Inhalten Schritt gehalten. Warum das nicht mehr gehen soll, konnte bisher kein Netzbetreiber ausreichend erklären. Trotz mehrmaliger Nachfrage konnten bis heute auch keine Zahlen vorgelegt werden, die zeigen, dass das Internet demnächst tatsächlich aus allen Nähten platzt. Hier wird aus reiner Profitgier der Teufel an die Wand gemalt. Doch wir bezweifeln, dass es diesen Teufel überhaupt gibt. (Beifall bei der LINKEN - Claudia Bögel [FDP]: Unfassbar!) Der Ausweg, den die Netzbetreiber anbieten, um aus dem vermeintlichen Dilemma herauszukommen, ist ein massiver Ausbau der Netzinfrastruktur mit Kosten in Milliardenhöhe. Dies wollen sie freilich nicht selbst finanzieren; im Gegenteil, sie wollen doppelt kassieren. Das notwendige Geld wollen sie sich bei den Endkunden und Inhalteanbietern holen. Die Endkunden, also Sie und ich, sollen extra zahlen, wenn sie ruckelfreies Onlinefernsehen oder die Möglichkeit des Videotelefonierens nutzen wollen, (Jimmy Schulz [FDP]: Mehr Leistung kostet mehr Geld!) und die Anbieter sollen dafür zahlen, dass ihre Inhalte schneller beim Kunden ankommen. Das Ganze wird dann unter dem Begriff "Qualitätsklassen" schmackhaft gemacht. Dahinter versteckt sich allerdings die Abkehr vom Prinzip eines gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Datenverkehrs, und das ist am Ende nichts anderes als der Anfang vom Ende des freien Internets. (Beifall bei der LINKEN) Bestimmte, von den Netzbetreibern definierte Dienste und Anwendungen sollen priorisiert, andere hingegen behindert und blockiert werden. Zukünftig entscheiden also Telekom, Vodafone und Co., welche Inhalte im Netz schnell und in guter Qualität genutzt werden können und welche nicht. Die Folge ist ein Basisinternet für alle und ein Premiuminternet für die, die es sich leisten können. Das ist mit uns nicht zu machen, (Beifall bei der LINKEN) auch deshalb nicht, weil beispielsweise NGOs, die für die Verbreitung ihrer Arbeit auf Internetvideos setzen, gar nicht in der Lage sind, Geld dafür zu bezahlen, dass ihre Videos ins Netz gelangen. Wir wollen die Festschreibung der Netzneutralität anhand klarer Kriterien. Dies haben wir in unserem Antrag formuliert. Dafür bitten wir um Ihre Zustimmung. Wenn das Sozialismus ist, dann ist es Sozialismus, aber es schadet ja nichts. (Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Tauber für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Antrag der Linkspartei habe ich jetzt verstanden. Immer, wenn es um Revolution geht, packen Sie Ihre Klassenkampfrhetorik aus, blenden die Wirklichkeit aus - das haben Sozialisten schon immer gemacht - und erklären uns, wie die Welt aus Ihrer Sicht sein sollte. Sie haben nur an einem einzigen Punkt recht: In der Tat reden wir über eine Revolution. Damit meine ich nicht die Ereignisse in Nordafrika. Wir erleben eine Revolution, die man wahrscheinlich nur mit der Erfindung des Buchdrucks vergleichen kann. Das Internet eröffnet nicht nur der Wirtschaft, wie Sie, lieber Herr von Notz, unterstellen, sondern allen Menschen neue Möglichkeiten in der Bildung, der gesellschaftlichen Teilhabe und Partizipation. Es bietet neue Perspektiven für Innovationen, für die Wissenschaft und letztendlich auch im Bereich der Unterhaltung, so trivial das klingen mag. Auch deshalb hat der Deutsche Bundestag auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" ins Leben gerufen. Es soll darüber geredet werden, welche Chancen und Perspektiven das Internet für unsere Gesellschaft und für unser Land bietet. Es ist schön, zu wissen, dass zumindest der demokratische Teil dieses Hohen Hauses in dieser Sache einer Meinung ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt geht es um die Frage: Welches Ziel hat Netzpolitik? Das Ziel ist es, Chancen und Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, ohne die Risiken auszublenden. Was wir nicht machen dürfen - da waren wir uns in der Enquete eigentlich einig -, ist, so stark auf die Risiken zu fokussieren, dass die Chancen aus dem Blick geraten. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass wir gerade dabei sind, das in der Debatte über die Netzneutralität zu tun. Denn es ist ein Wesensmerkmal des Internets, dass es für die Bürgerinnen und Bürger, für gesellschaftliche Gruppen und Organisationen, für die Wissenschaft und natürlich für Unternehmen der Wirtschaft, aber auch für den Staat neue positive Möglichkeiten eröffnet. Einige habe ich genannt. Man kann die Liste beliebig fortführen. Open Data, E-Government und Medienkompetenz sind weitere Stichworte. Für uns als Union ist klar: Wir halten das Internet für einen Segen für eine moderne, pluralistische und demokratische Gesellschaft. Wir sind auch der Auffassung: Netzneutralität ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass wir diesen Segen weiter nutzen können. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also! - Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Los geht's!) Zurzeit ist es beliebt, den Wissenschaftlichen Dienst zu zitieren. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit Fußnoten!) Auch ich will dies tun: Der Begriff Netzneutralität bezeichnet die neutrale Übermittlung von Daten im Internet, das bedeutet eine gleichberechtigte Übertragung aller Datenpakete unabhängig davon, woher diese stammen, welchen Inhalt sie haben oder welche Anwendungen die Pakete generieren. Dies galt - man möchte hinzufügen: gilt - bislang als essentielle Eigenheit des weltweiten Netzes. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zitat Ende! Vorbildlich zitiert!) Jetzt fordern Sie, das noch stärker zu regulieren, indem wir ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen. Auch diese Diskussion ist nicht neu. Auch die Debatte darüber, was man unter diese Definition fassen soll, ist nicht neu. Wir führen sie an anderer Stelle - Herr Dörmann hat darauf hingewiesen - zurzeit sehr intensiv. Doch aus der Frage, was getan werden kann und muss, um Netzneutralität für die Zukunft zu gewährleisten, muss man zunächst einmal die Frage ableiten, ob diese überhaupt gefährdet ist. Ich bin der Kollegin Schön sehr dankbar, dass sie deutlich gemacht hat, dass das derzeit nicht der Fall ist. Deswegen stellt sich die Frage, ob es nicht nur eine leere Worthülse ist, wenn die Kollegin von der Linksfraktion sagt, Netzneutralität sei gescheitert. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Zuhören, bitte!) Auch wenn wir über die konkreten Fälle reden, sagt uns der Chef der Bundesnetzagentur dazu: Wir haben bis jetzt in Deutschland einen Fall, bei dem wir weit gefasst über eine Verletzung der Netzneutralität reden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die Aufhebung wird gefordert!) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz? Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Beim Kollegen von Notz sehr gerne. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege Tauber, dass wir am Freitagmittag (Jimmy Schulz [FDP]: Nachmittag!) - Nachmittag, meinetwegen - hier etwas intensiver darüber diskutieren können. Ich möchte Sie bezüglich des Punktes, inwieweit man warten kann oder inwieweit Sie bezweifeln, dass es drängend ist, fragen, ob Sie die gestrige Stellungnahme der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission "Forschung und Innovation" kennen. Dieses Gremium hat einem Bericht zufolge in seinem Jahresgutachten 2011 geschrieben: Die Expertenkommission vermisst insbesondere eine Definition von Netzneutralität und Aussagen darüber, wie diese gesichert werden soll. Der bestehende Rechtsrahmen müsse daher präzisiert und erweitert werden. Mit der Gefährdung der Netzneutralität drohe sonst die Innovationskraft des Internets verloren zu gehen. Das klingt doch nicht so, als könne man noch länger warten, sondern als müsste man jetzt loslegen, oder sehen Sie das etwa anders? Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege, ich bin sehr dankbar für Ihre Frage. Ich weiß nicht, ob alle Mitglieder des Expertenrats das Exposé des Wissenschaftlichen Dienstes kennen und es gelesen haben. Ich habe es daher vorgelesen und ergänzt. Wir befinden uns in der Tat noch in einem Diskussionsprozess - das wissen wir beide ganz besonders gut - darüber, was wir am Ende im Detail unter Netzneutralität verstehen, wie weit wir das fassen und inwieweit der Breitbandausbau damit korreliert. Wir haben über Kapazitätsengpässe gestritten. Insofern, glaube ich, hilft es ein bisschen weiter, uns gemeinsam daran zu erinnern, was der Chef der Bundesnetzagentur uns gesagt hat. Er hat gesagt, dass die Instrumentarien, die er derzeit hat - er hat nicht nur auf das TKG verwiesen, das gerade in der Diskussion steht; er hat noch viel weiter ausgeholt und am Ende Art. 5 Grundgesetz, das Wettbewerbsrecht und das Kartellrecht erwähnt -, ihm ausreichen, um Netzneutralität in der Aufsicht und in der Regulierung in Deutschland zu gewährleisten. Von daher ist die Frage, wem man Glauben schenkt. Ich will das Thema nicht vom Tisch wischen - auf keinen Fall -, aber ich erinnere an das, was Matthias Kurth uns gesagt hat: Er hat die Instrumentarien und ist im Zweifel bereit, sie zu nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und wie lange?) Da bin ich beim entscheidenden Punkt - das haben wir uns auch im Koalitionsvertrag gemeinsam fest vorgenommen -: Wir vertrauen darauf, dass der bestehende Wettbewerb und die neutrale Datenübermittlung im Internet und in anderen Medien Netzneutralität sicherstellen. Wir werden die Entwicklung aber sorgfältig beobachten und nötigenfalls mit dem Ziel der Wahrung der Netzneutralität gegensteuern. Ich will eines anmerken: Man könnte jetzt sagen, die leeren Ränge sind dem Desinteresse am Thema geschuldet. Das wird nicht so sein. Es ist Freitag, und wir behandeln den letzten Tagesordnungspunkt. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hätten ja alle hier sein können! Wenn Ihre Kollegen wissen, dass Sie reden, hätten sie alle hier sein können! Es ist keiner entschuldigt!) Man könnte aber auch sagen: Vielleicht liegt es ein bisschen daran, dass wir zu diesem Thema an manchen Stellen eine Phantomdebatte führen. Ich sage auch: Man kann ein bisschen den Eindruck haben, dass die Debatte unter Umständen schizophrene Züge annimmt. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer davon reden, dass das Internet ein freier Raum ist, in dem sich der Staat möglichst zurücknehmen soll, in dem wir wenig Regulierung brauchen, dass wir auf die Kräfte der Freiheit setzen wollen, Menschen die Möglichkeit geben wollen, das Internet für sich zu nutzen und zu entdecken, und dass wir dann bei nächster Gelegenheit reflexartig sagen: Aber jetzt muss bitte der Staat regeln. (Martin Dörmann [SPD]: Zur Sicherung der Freiheit!) Das ist auch der Grund, warum ich ein Gegner des Zugangserschwerungsgesetzes bin. Nur, ich glaube, dann muss man konsequent sein. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Genau!) Man muss erst einmal darauf vertrauen, dass die Freiheit - in dem Falle, wenn wir über die ökonomische Komponente reden, ist Freiheit Wettbewerb - dies regelt, und dafür Sorge tragen, dass der immanente Wesenskern des Internets erhalten bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, das müssen wir logisch zu Ende denken. Es kann doch nicht sein, dass wir an der einen Stelle darüber reden, dass wir den Staat unbedingt brauchen und dass der Staat wieder alle in den Arm nehmen und alle schützen muss, und dass wir an der anderen Stelle sagen: Das Internet ist ein Raum, in dem der Staat, wenn überhaupt, höchstens als Partner der Bürgerinnen und Bürger auftritt. - Das passt aus meiner Sicht nicht ganz zusammen. Darüber werden wir in nächster Zeit sicherlich nicht nur in der Enquete-Kommission gemeinsam reden müssen. Ich habe ein bisschen die Sorge, dass wir eine Diskussion führen, die sehr stark durch negative Argumente, durch Angst, durch Misstrauen geprägt ist. Ich glaube nicht, dass das gutgehen wird. Das merkt man auch deutlich an der Debatte um Kapazitätsengpässe, in der Sie davon sprechen, sie seien künstlich herbeigeführt und nur eine Strategie, um am Ende neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie mögen wissen, wie das Internet funktioniert. Wie Wirtschaft und Wettbewerb funktionieren, wissen Sie offensichtlich nicht. Sonst würden Sie sich nicht zu dieser These versteigen. (Aydan Özoðuz [SPD]: Wie ist das denn beim Urheberrecht gelaufen?) Die Netzneutralität ist für uns als Union und für diese christlich-liberale Koalition ein hohes Gut. Wir sehen sie als Voraussetzung für Innovation und Teilhabe in unserer Gesellschaft. Deswegen werden wir die notwendigen Schritte tun, um Netzneutralität auf Dauer zu gewährleisten. Wir machen das richtig und nicht mit Schaufensterpolitik. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Aydan Özoðuz [SPD]: Sie reden auch überall anders!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Schulz für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP - Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wo ist das iPad? Was ist denn los? Heute "analog"? - Martin Dörmann [SPD]: Akku leer oder was? - Vereinzelt Heiterkeit) Jimmy Schulz (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer an den Rundfunkgeräten sind uns herzlich willkommen! (Heiterkeit - Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Netzneutralität - worum geht es da? Das ist eigentlich ein ganz trockener Begriff. Noch vor einem Jahr wusste kaum einer, was er überhaupt bedeutet, was er für uns alle bedeutet. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft des freien Internets. Deswegen ist es auch richtig und wichtig, dass wir diese Debatte hier führen. (Aydan Özoðuz [SPD]: Tauber findet das aber nicht! Er hält das für eine Phantomdebatte!) Ich halte es aber für falsch, zu regulieren und zu bevormunden. Wir stehen für Freiheit, für Transparenz, für Wettbewerb. Dadurch wird die Netzneutralität seit jeher gesichert und auch in Zukunft gesichert werden. (Beifall bei der FDP) Wir wollen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass wir sehr wohl achtsam sein müssen, dass die Netzneutralität nicht verletzt wird. Dann wären auch wir bereit, zu handeln. Aber die Diskussion und die Anhörung in der Enquete-Kommission haben sehr wohl gezeigt, dass im Moment keine Gefahr im Hinblick auf eine Verletzung der Netzneutralität besteht, dass der Wettbewerb funktioniert. Deswegen führen wir momentan - der Kollege Tauber hat es schon gesagt - möglicherweise wirklich eine Art Scheindebatte. Nichtsdestotrotz - das ist das Wichtige -: Die Projektgruppe in der Enquete-Kommission arbeitet noch; darauf hat der Kollege Dörmann auch vollkommen zu Recht hingewiesen. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass wir diese Debatte gemeinsam zu Ende führen und da, wo es Gemeinsamkeiten gibt, zu einem gemeinsamen Verständnis kommen. Mit Sicherheit wird es auch Unterschiede geben. Dann, wenn wir diese Gemeinsamkeiten finden, sollten wir diese gemeinsam formulieren. Erst danach sollten wir die Anträge in den Bundestag einbringen und nicht schon vorher die Diskussion dadurch torpedieren, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) dass wir hier Anträge einbringen, bevor wir den Zwischenbericht gemeinsam verfasst haben. (Beifall bei der FDP - Martin Dörmann [SPD]: Nach der Debatte wird es schwer, eine gemeinsame Position zu finden, fürchte ich!) - Das glaube ich kaum. Wir werden auf jeden Fall in der Diskussion über die Definition des Begriffs weiterkommen. Das ist sehr wichtig. Der Begriff wurde hier schon vielfach definiert, deswegen brauche ich das nicht zu tun. Ich glaube, hier sind wir uns weitgehend einig. Wir sind uns aber nicht über die Wege einig, wie wir dahin kommen. Das gilt insbesondere, weil die Linken hier ein "Sozialismus-Internet" fordern. Entschuldigung, aber das haben wir auf der Welt schon, nämlich in China. Das will keiner von uns. Tut mir leid. Darin sind wir alle hier uns doch einig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Peter Tauber [CDU/ CSU]: Hört! Hört! - Widerspruch bei der LINKEN) Ich glaube, wir können diese Diskussion in der Enquete-Kommission und in der Projektgruppe "Netzneutralität" gemeinsam fortführen, den Begriff definieren, Unterschiede herausarbeiten und Gemeinsamkeiten finden. Das werden wir auch tun. Danach werden wir gemeinsam über mögliche Folgen bzw. Konsequenzen daraus diskutieren, aber nicht heute. Ich glaube, deswegen brauchen wir diese Diskussion hier heute auch nicht weiterzuführen. (Aydan Özoðuz [SPD]: Wir haben auch gar keine Zeit mehr! - Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sobald Sie aufhören, ist sie zu Ende!) - Deswegen ist sie jetzt auch zu Ende. Wo ist hier eigentlich der Lichtschalter? (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Martin Dörmann [SPD]: Der letzte Satz war der beste!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/3688 und 17/4843 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. März 2011, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.41 Uhr) Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 25.02.2011 Barnett, Doris SPD 25.02.2011** Breil, Klaus FDP 25.02.2011 von Cramon-Taubadel, Viola BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.02.2011** Dr. Danckert, Peter SPD 25.02.2011 Daub, Helga FDP 25.02.2011 Dr. Djir-Sarai, Bijan FDP 25.02.2011** Dött, Marie-Luise CDU/CSU 25.02.2011 Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU 25.02.2011* Friedhoff, Paul K. FDP 25.02.2011 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 25.02.2011 Gabriel, Sigmar SPD 25.02.2011 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.02.2011 Golombeck, Heinz FDP 25.02.2011 Groschek, Michael SPD 25.02.2011** Heil, Mechthild CDU/CSU 25.02.2011 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 25.02.2011 Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 25.02.2011 Hörster, Joachim CDU/CSU 25.02.2011** Dr. Hoyer, Werner FDP 25.02.2011 Jung (Konstanz), Andreas CDU/CSU 25.02.2011 Karl, Alois CDU/CSU 25.02.2011** Klimke, Jürgen CDU/CSU 25.02.2011** Dr. Knopek, Lutz FDP 25.02.2011 Kretschmer, Michael CDU/CSU 25.02.2011 Laurischk, Sibylle FDP 25.02.2011 Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine FDP 25.02.2011 Liebich, Stefan DIE LINKE 25.02.2011** Lindner, Christian FDP 25.02.2011 Lutze, Thomas DIE LINKE 25.02.2011 Mattheis, Hilde SPD 25.02.2011 Meinhardt, Patrick FDP 25.02.2011 Merkel (Berlin), Petra SPD 25.02.2011 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.02.2011 Dr. Ott, Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.02.2011 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 25.02.2011 Schlecht, Michael DIE LINKE 25.02.2011 Schmidt (Bochum), Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.02.2011 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 25.02.2011 Scholz, Olaf SPD 25.02.2011 Steinke, Kersten DIE LINKE 25.02.2011 Strenz, Karin CDU/CSU 25.02.2011* Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 25.02.2011** Zapf, Uta SPD 25.02.2011** Zimmermann, Sabine DIE LINKE 25.02.2011 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Hubertus Heil (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 4) Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschließenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am 22. und 23. Februar 2011 mache ich darauf aufmerksam, dass Bund und Länder sechs Protokollerklärungen abgegeben haben. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis: Bund und Länder erklären, dass folgende Punkte Grundlage einer Einigung sein sollen: 1. Grundlage für die Einigung ist der unechte Vermittlungsvorschlag vom 10. Februar 2011. 2. Der Regelsatz steigt zum 1. Januar 2011 um 5 Euro, am 1. Januar 2012 um weitere 3 Euro, unabhängig von den notwendigen Anpassungen aufgrund der Preis- und Lohnentwicklung. 3. 400 Millionen Euro per annum werden vom Bund für Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horten für 2011 bis 2013 zur Verfügung gestellt. 4. Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung übernimmt der Bund bis 2014 zu 100 Prozent nach den im unechten Vermittlungsvorschlag vorgesehenen Stufen. 5. Das Bildungspaket für die Kommunen wird auf Basis der Ist-Kosten des Vorjahres abgerechnet und die Kostenerstattung jährlich angepasst. 6. Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft. 7. Mindestlöhne für das Wach- und Sicherheitsgewerbe, darunter fällt auch der Bereich der Geldtransporte, und die Aus- und Weiterbildung werden nach dem AEntG auf den Weg gebracht. Der Mindestlohn für die Zeit- und Leiharbeit wird im AÜG geregelt, wobei der jeweilige tarifliche Mindestlohn, derzeit 7,60 Euro West/ 6,65 Euro Ost, als eine absolute Lohnuntergrenze festgesetzt wird. Der Mindestlohn gilt als absolute Lohnuntergrenze für die Einsatzzeit, wie für die verleihfreie Zeit. Zudem werden die dazu notwendigen Instrumente des AEntG im AÜG analog abgebildet. Das Inkrafttreten dieser Regelungen soll bis zum 1. Mai 2011 erfolgen. Protokollerklärung: Vermittlungsausschuss Hartz IV - Gemeindefinanzkommission In Ergänzung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses werden durch Bund und Länder folgende Erklärungen zu Protokoll gegeben: Um zu einer baldigen Verbesserung der kommunalen Finanzsituation beizutragen, ist der Bund bereit, Sozialausgaben, die bisher von den Gemeinden getragen wurden, zu übernehmen. - Unter diesen Bedingungen wird der Bund die Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in drei Schritten, 2012: 45 Prozent, 2013: 75 Prozent, 2014: 100 Prozent, bis zum Jahr 2014 vollständig übernehmen. - Die vier Themenbereiche, die die Beratungen der Gemeindefinanzkommission bestimmen, werden weitergeführt. Einigung in diesen Bereichen ist keine Vo-raussetzung für die vorbezeichnete Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben. - Unabhängig von anderen möglichen Änderungen bei der kommunalen Steuerfinanzierung wird die Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben im Rahmen der Gemeindefinanzkommission einvernehmlich beschlossen. - Zur Gegenfinanzierung der Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund wird die Bundesbeteiligung an den Kosten der Arbeitsförderung der Bundesagentur für Arbeit im entsprechenden Umfang abgesenkt und in der letzten Stufe maximal dem Wert eines halben Mehrwertsteuerpunktes entsprechen. Die Länder stellen dann diesbezüglich keine Forderungen an den entsprechendie Mehrwertsteuereinnahmen. - Die Länder stimmen einer entsprechenden Änderung des § 363 Abs. 1 SGB III, Bundesbeteiligung an den Kosten der Arbeitsförderung, zu. Es besteht Einvernehmen zwischen Bund und Ländern, dass eine klarstellende Anpassung des § 1 Abs. 1 Satz 1 FAG zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. - Die Länder verzichten auf ihre Forderung einer Veränderung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft im laufenden Vermittlungsverfahren zum 7. SGB-Il-Änderungsgesetz. Protokollerklärung: Vermittlungsausschuss Hartz IV, Regelbedarfsstufe 3 In Ergänzung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses wird durch Bund und Länder folgende Erklärung zu Protokoll gegeben: Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft. Protokollerklärung: Abrechnung Bildungs- und Teilhabepaket/Revisionsklausel Rechtzeitig bis zur Anpassung für das Jahr 2014 wird die Neuregelung zu § 46 Abs. 6 und 7 SGB II daraufhin überprüft, inwieweit die Verteilungswirkungen der Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung einerseits und die tatsächlichen Belastungen hinsichtlich Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene andererseits - jeweils bezogen auf die einzelnen Länder - übereinstimmen. Im Lichte dieser Erkenntnisse wird die jeweilige Quote nach § 46 Abs. 6 Satz 1 SGB II als länderspezifische Neuverteilung angepasst. Der Bund und die Länder setzen dies im Rahmen der jeweiligen Jahresquote um. Protokollerklärung: Vermittlungsausschuss - Zeitarbeit Lohnuntergrenze für Verleihzeiten und für verleihfreie Zeiten im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, AÜG. - Im AÜG wird vorgesehen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund eines gemeinsamen Antrags von Tarifvertragsparteien der Arbeitnehmerüberlassung durch Rechtsverordnung einen tarifvertraglichen Mindestlohn für die Arbeitnehmerüberlassung als absolute Lohnuntergrenze für Verleihzeiten und verleihfreie Zeiten festsetzen kann. Es wird davon ausgegangen, dass die Anträge für die erstmalige Festsetzung einer Lohnuntergrenze auf der Basis der vorliegenden Mindestlohntarifverträge in der Arbeitnehmerüberlassung gestellt werden. - Der Verordnungsgeber kann den Antrag nur inhaltlich unverändert in eine Rechtsverordnung übernehmen. - Dem Verordnungsgeber werden Kriterien für die Entscheidung vorgegeben. Dies sind: die Repräsentativität der antragstellenden Tarifvertragsparteien, die Berücksichtigung der bestehenden bundesweiten Tarifverträge in der Arbeitnehmerüberlassung und die Geeignetheit der Regelung, die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme zu fördern. - Beim Vorliegen mehrerer Anträge wird ein Verfahren in Anlehnung an § 7 Abs. 2 und 3 AEntG vorgesehen. - Vor Erlass einer Rechtsverordnung wird der Tarifausschuss mit dem Antrag befasst. - Die Rechtsverordnung setzt eine absolute Lohnuntergrenze fest und gilt als Mindestlohn für Zeitarbeitskräfte für Verleihzeiten und verleihfreie Zeiten. Unterschreitet ein Tarifvertrag den in der Rechtsverordnung festgesetzten Mindestlohn, hat der Zeitarbeitnehmer Anspruch auf die Zahlung von Equal Pay, mindestens aber auf den Mindestlohn. - Zur effektiven Kontrolle werden für die Zollbehörden im Bereich des AÜG die Kontroll- und Sanktionsvorschriften des AEntG analog abgebildet. - Tarifvertragsparteien aus der Arbeitnehmerüberlassung können unter den gleichen Voraussetzungen wie beim Erlass einer Rechtsverordnung gemeinsam auch einen Vorschlag zur Änderung einer bereits erlassenen Rechtsverordnung unterbreiten. - Das Inkrafttreten der Regelung erfolgt spätestens zum 1. Mai 2011. Protokollerklärung Vermittlungsausschuss - Hartz IV, Mindestlohnregelungen Mindestlöhne für das Wach- und Sicherheitsgewerbe und die Aus- und Weiterbildung werden nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz, AEntG, auf den Weg gebracht. In der Branche Sicherheitsdienstleistungen, darunter fällt auch der Bereich der Geld- und Werttransporte, wurde mit dem am 18. Februar 2011 im Bundesanzeiger veröffentlichten Antrag auf Erstreckung eines Mindestlohntarifvertrags vom 11. Februar 2011 ein Mindestlohnverfahren auf den Weg gebracht. Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen der Tarifvertragsparteien, einen Mindestlohn auf tarifvertraglicher Grundlage nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu etablieren. Im Falle eines neuen Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Mindestlohntarifvertrages nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der Branche Weiterbildung wird die Bundesregierung die maßgeblichen Verhältnisse erneut eingehend prüfen. Sie wird dabei insbesondere ermitteln, ob sich aufgrund eingetretener Erhöhung der Tarifbindung auf Arbeitgeberseite und der Bandbreite der vertretenen Arbeitgeber eine gegenüber Oktober 2010 geänderte Sachlage ergeben hat. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 4) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Es gibt sehr viele Gründe, warum ich gegen die vorliegende Beschlussempfehlung stimme. Ich will nur wenige nennen. Ich stimme dagegen, weil der vorliegende Kompromiss von Schwarz-Gelb und SPD das bürgerschaftliche Engagement und damit auch die Motivation zu ehrenamtlicher Arbeit in Vereinen und Verbänden das Wasser abgräbt. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil ein soziokulturelles Existenzminimum einerseits ein menschenwürdiges Leben garantieren und andererseits die ökonomische Grundlage für ein bürgerschaftliches Engagement ermöglichen muss. Ich stimme gegen diesen Kompromiss von CDU/ CSU, FDP und SPD, weil er weder die vom Bundesverfassungsgericht geforderte menschenwürdige Teilhabe ermöglicht noch eine demokratienotwendige Teilnahme und Beteiligung in Vereinen und Verbänden fördert. Im Gegenteil! Ich stimme dagegen, weil mit der teilweisen Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten auf Hartz IV das bürgerschaftliche Engagement von Hartz-IV-Betroffenen unter Strafe gestellt wird, statt es zu fördern. Und ich stimme dagegen, weil ehrenamtliches Engagement keine Frage des Geldbeutels sein darf! Ich stimme auch aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit gegen diese Beschlussempfehlung. Ich stimme dagegen, obwohl es richtig ist, die Kommunen endlich von den Kosten der Altersarmut zu entlasten, die systematisch durch eine Verarmungspolitik mit rentenpolitischen Mitteln von Ihnen in die Höhe getrieben werden. Ich stimme dagegen, weil stattdessen letztendlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch die Erwerbslosen dafür bluten müssen. Denn der Bundesagentur für Arbeit werden die Kosten aufgebürdet. Dadurch droht ihr ein Milliardendefizit, und sie wird förmlich dazu genötigt, diese Kosten über Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen auf die Beschäftigten und die Arbeitslosen abzuwälzen. Und schlussendlich stimme ich auch dagegen, weil das Gesetz - mit dem eigentlich die Leistungen für Arbeitsuchende und ihre Familien erhöht werden müssten - in Wahrheit zu Leistungskürzungen für alle Erwerbslosen führen wird. Dabei wäre ein Regelsatz in der Größenordnung von 500 Euro notwendig und auf jeden Fall auch verfassungsgemäß. Christine Buchholz (DIE LINKE): Das Hartz-IV-Verhandlungsergebnis ist ein Hohn für die Betroffenen. Allein im Bundesland Hessen leben derzeit mehr als 400 000 Menschen von Hartz IV. Das Arbeitslosengeld II steigt rückwirkend um 5 auf 364 Euro im Monat. Selbst die für 2012 anvisierten 3 Euro mehr sind allenfalls ein Inflationsausgleich, jedoch keine Erhöhung, die zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Betroffenen führt. Für Gesundheitspflege stehen Hartz-IV-Empfängern jetzt 15,55 Euro zur Verfügung, das sind 1,19 Euro mehr als zuvor. Damit wird bereits eine einfache Grippe zum Risiko: Der Preis für einen durchschnittlichen Hustenlöser liegt bei 15,70 Euro, schon für Taschentücher bleibt dann kein Budget mehr. Das ist die Lebensrealität von nahezu einer halben Million Hessinnen und Hessen. Die willkürliche Veränderung der Berechnungsgrundlagen, um den Sparvorgaben des Finanzministers gerecht zu werden, war und ist verfassungswidrig. Es ist ein Skandal, dass die Hartz-IV-Parteien acht Wochen verhandeln mussten, um eine Erhöhung des Regelsatzes um insgesamt 8 Euro zu erreichen. Die gleichen Parteien haben nur eine Woche gebraucht, um mit 480 Milliarden Euro die Banken in der Finanzkrise zu retten. Die Linke bleibt deshalb bei ihrer Forderung nach der Abschaffung von Hartz IV. Bis dahin braucht es eine Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 500 Euro, der es den Betroffenen ermöglicht, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Höhere Regelsätze können mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns finanziert werden. Hier können bis zu 11 Milliarden Euro eingespart werden, die zurzeit von den Arbeitsagenturen an die sogenannten Aufstocker gezahlt werden. Anstatt ausbeuterisches Lohndumping der Unternehmen zu finanzieren, sollte sich der Staat um ein menschenwürdiges Leben für Hartz-IV-Empfänger sorgen und für gerechten Lohn einstehen. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Ich lehne das Vermittlungsausschussergebnis zu Hartz IV in namentlicher Abstimmung ab, weil der vermeintliche Kompromiss ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen ist. Auf dem Rücken der betroffenen Erwerbslosen und Beschäftigten wird auch weiterhin durch das Hartz-IV-System Armut produziert, und Beschäftigte werden unter Druck gesetzt. Bei dem wahltaktischen Geschacher der Hartz-IV-Parteien CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne wurden die statistischen Fälschungen der Arbeitsministerin widerspruchslos hingenommen. Deshalb lehne ich diesen vorsätzlichen Verfassungsbruch gemeinsam mit meinen Fraktionskolleginnen und -kollegen ab und unterstütze ich eine erneute Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht. Hartz IV muss weg. Das Mindeste ist ein Regelsatz von 500 Euro. Davon ist der faule Kompromiss einer rückwirkenden Erhöhung der Leistung für erwachsene Hartz-IV-Bezieher um 5 Euro auf 364 Euro und der im nächsten Jahren hinzukommenden 3 Euro weit entfernt. Das ist nicht einmal eine ernstzunehmende Anpassung an die Preis- und Lohnentwicklung sowie die Inflation. Für das 480 Milliarden Euro teure Bankenrettungspaket brauchten die Hartz-IV-Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen im Jahr 2008 weniger als eine Woche. Geht es um die Armen dieser Gesellschaft, wird ein ganzes Jahr um 3 Euro gefeilscht. Das ist erbärmlich. Ich fordere eine echte sanktionsfreie Mindestsicherung, die Armut dauerhaft verhindert, einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde und die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Es muss Schluss sein mit Lohndumping in diesem Land! Und Leiharbeit als moderne Form der Sklaverei muss endlich ein Ende haben! Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Ich werde dem durch den Vermittlungsausschuss erzielten Verhandlungsergebnis heute meine Zustimmung nicht erteilen, sondern mich der Stimme enthalten. Für meine Entscheidung sind dabei folgende Gründe ausschlaggebend: Erstens. Die per Nebenabrede der verhandelnden Parteien getroffene Vereinbarung, nach der der Bund bis 2014 in drei Stufen die Kosten für die Grundsicherung im Alter übernimmt, wird von mir ausdrücklich begrüßt. Es wird damit eine Entscheidung der seinerzeitigen rot-grünen Bundesregierung korrigiert, die die Kosten für die Grundsicherung im Alter den Kommunen überließ. Mit der Einigung im Vermittlungsausschuss entstehen den Kommunen beträchtliche neue finanzielle Spielräume, die dort sinnbringend investiert werden können. Zweitens. Leider wurden die aus meiner Sicht bestehenden ordnungspolitischen und verfassungsrechtlichen Mängel des Gesetzentwurfs, die ich bereits in meiner Erklärung nach § 31 GO am 3. Dezember 2010 dargelegt hatte, durch das Vermittlungsergebnis nicht behoben, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Drittens. Da die Regelsätze in einem transparenten Verfahren mit bewussten und richtigen Wertentscheidungen - zum Beispiel Ausschluss der Berechnungsanteile von Alkohol und Tabak - ermittelt wurden, ist nicht einsichtig, weshalb der Regelsatz zum 1. Januar 2012 zuzüglich zum Inflationsausgleich um 3 Euro erhöht werden soll, wodurch alleine den Kommunen zusätzliche Kosten von etwa 180 Millionen Euro pro Jahr entstehen. Viertens. Nachdem der Bund im bislang vorliegenden Gesetzentwurf bereits Finanzierungen an sich ziehen wollte, für die er keine originäre Zuständigkeit besitzt - zum Beispiel Schulmittagessen, Klassenausflüge, Lernmittelfreiheit -, wird dies nun auf den Bereich der Schulsozialarbeit ausgedehnt. Dies erscheint mir durch die grundgesetzlichen Vorgaben hinsichtlich des Art. 104 b nicht oder nur eingeschränkt gedeckt. Fünftens. Es erscheint fraglich, ob der Bund sich aus der temporär zugesagten Finanzierung von 400 Millionen Euro für Schulsozialarbeit nach Ablauf von drei Jahren einfach zurückziehen kann oder ob nicht vielmehr eine mindestens politische Verpflichtung zur dauerhaften Finanzierung entsteht, die den Bundeshaushalt in der Zukunft erheblich belastet. Sechstens. Durch die Einbeziehung von Wohngeldempfängern in den Kreis der Berechtigten für Bildungsleistungen an Kindern, der ursprünglich auf den Rechtskreis des SGB II beschränkt war, entsteht eine Gerechtigkeitslücke, weil sich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit einem Nettoeinkommen knapp oberhalb der Berechtigung zu Leistungen nach dem SGB II oder dem Wohngeldgesetz abzüglich ihrer - aus eigener Tasche zu leistenden - Bildungsausgaben für ihre Kinder unter dem Strich finanziell schlechterstellen als Empfänger von Transferleistungen. Siebtens. Die Administrierbarkeit von Teilen des Gesetzes ist fragwürdig. Wenn etwa der Eigenanteil von 1 Euro für das warme Essen in der Schule durch Eltern bzw. Kinder nicht erbracht wird, kann einem Kind einerseits wohl der Essensbezug nicht verweigert werden; andererseits ist aber die Beitreibung des Fehlbetrages mit höherem Aufwand verbunden als der Fehlbetrag selbst. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschusses gestimmt, weil die Ermittlung des Regelsatzes verfassungswidrig ist. Dabei wurde bewusst manipuliert. Eine gesunde Ernährung und eine kulturelle und gesellschaftliche Beteiligung von Kindern ist mit den Regelsatzbeträgen nicht möglich. Fahrtkosten und Kosten des Internets müssen sich die Familien von Munde absparen. Ich habe auch dagegen gestimmt, weil ich mich an dem Hartz-IV-Schwindel nicht beteiligen will. Bei diesem Gesetz stimmt nichts, weder die handwerkliche Seite noch die Zielsetzung. Hartz IV ist und bleibt Armut per Gesetz. Mit meiner Ablehnung will ich mich auch von der Verhandlungsposition der SPD distanzieren, die gerade mal 3 Euro wert ist. Außerdem ist man einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn nicht nähergekommen, und Leiharbeit wird nicht bekämpft. Diana Golze (DIE LINKE): Ich kann der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes, Vermittlungsausschuss, zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 17/4830, nicht zustimmen. Ich begründe meine Ablehnung mit der erneuten verfassungswidrigen Berechnung der Kinderregelsätze nach SGB II. Auch der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung basiert nicht auf einer seriösen Berechnung des tatsächlichen Bedarfs von Kindern. Die zugrunde gelegte Datengrundlage ist aus Sicht meiner Fraktion, aber auch diverser Fachverbände nicht ausreichend, und die Aufteilung der Familienausgaben auf einzelne Mitglieder ist und bleibt problematisch. Die von der Bundesregierung vorgelegte Neuregelung entspricht nicht den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil am 9. Februar 2010 zur Sicherung des physischen und soziokulturellen Existenzminimums von Kindern eingefordert hat. Der Leitsatz des Gerichts "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen" wurde auch im vorgelegten Verhandlungsergebnis nicht umgesetzt. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung; denn die Regelsätze für die unter 18-Jährigen bleiben in der Höhe unverändert. Allein dies steht exemplarisch für die fragwürdige Neuregelung. Die gleichzeitige Aussetzung zukünftiger Erhöhungen ist nicht akzeptabel. Wie das menschenwürdige Existenzminimum mit einer Regelsatzermittlung gesichert werden soll, die erwiesenermaßen verfassungswidrig ist, bleibt nebulös. Seit langem ist wissenschaftlich erwiesen, dass zum Beispiel eine gesunde Ernährung für Kinder mit diesem Regelsatz faktisch nicht möglich ist. Dieser Fakt wird auch durch die vorgesehene Kofinanzierung des Mittagessens für Kinder in Kitas und Schulen nicht beseitigt. Denn erstens brauchen Kinder mehr als nur ein warmes Mittagessen an den Wochentagen, und zweitens steht die Möglichkeit, in Kita oder Schule ein warmes Essen zu erhalten, nur einem geringen Teil von Kindern in der Bundesrepublik überhaupt zur Verfügung. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung; denn auch das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket ist nicht zustimmungsfähig. Nur ein kleiner Teil der öffentlich genannten 1,6 Milliarden Euro wird tatsächlich in Leistungen fließen, die Bildung und Teilhabe der betroffenen Kinder sichern. Es bleibt die Kritik an den durch die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses entstehenden Doppelstrukturen. Auch wenn die Kommunen innerhalb des Hartz-IV-Systems zuständige Träger im Jobcenter sind, entstehen dramatisch hohe Verwaltungskosten: Leistungen in Höhe von 626 Millionen Euro stehen 136 Millionen Euro Verwaltungskosten bei den Kommunen entgegen. Ein ähnliches Verhältnis von Leistung zu Verwaltungsaufwand findet sich bei Kinderzuschlag- und Wohngeldberechtigten. Die versprochene Senkung der Verwaltungskosten wird es also nicht geben. Von dem erklärten Ziel von Ministerin von der Leyen, dass das Geld auch tatsächlich bei den betroffenen Kindern ankommen solle, ist man auch nach wochenlangen Verhandlungen meilenweit entfernt. Stattdessen ist und bleibt die angestrebte Gutscheinlösung stigmatisierend und begünstigt lediglich die Privatisierung der Leistungserbringung. Es bleibt also dabei: Weder die Regelsätze für Kinder und Jugendliche noch das Bildungs- und Teilhabepaket decken den Bedarf von Kindern. Unter dem Strich sollen Kinder von Hartz-IV-berechtigten Eltern zusätzlich etwa 500 Millionen Euro über das Bildungs- und Teilhabepaket bekommen. Exakt diese Summe hat die Bundesregierung durch die Streichung des Elterngelds für Hartz-IV-Beziehende eingespart. Eltern im Hartz-IV-Bezug bezahlen also die Gutscheine für ihre Kinder. Auch deshalb stimme ich gegen diese Beschlussvorlage. Michael Groß (SPD): In dem Vermittlungsverfahren ist es gelungen, das sogenannte "Bildungs- und Teilhabepaket" gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf deutlich zu verbessern: Es konnte eine soziale Ausweitung erreicht werden, indem auch die Kinder von Wohngeldempfängern und -empfängerinnen dieses in Anspruch nehmen können; durch die Änderung in der Trägerschaft vom Jobcenter zu den Kommunen und Landkreisen wird dafür gesorgt, dass Bürokratie vermieden und diejenigen mit der Erbringung der Leistungen beauftragt werden, die die Kompetenzen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit haben; zudem werden die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass - zuerst einmal bis 2013 befristet - 3000 zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen und sozialen Brennpunkten sich um Kinder und Jugendliche kümmern können. Für die Umsetzung des "Bildungs- und Teilhabepakets" ist eine deutliche Entlastung der Kommunen und Kreise erreicht worden, indem der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in drei Schritten, 2012: 45 Prozent, 2013: 75 Prozent, 2014: 100 Prozent, bis zum Jahr 2014 vollständig übernehmen wird. Bis 2013 erhöht sich zudem die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft im SGB II. Bei der Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns sowie der Durchsetzung des Prinzips "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Zeitarbeit, wodurch die Zahl derjenigen, die aufgrund unzureichender Löhne ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen müssen, reduziert werden sollte, war aufgrund der bornierten Blockadehaltung der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP und der von diesen Parteien regierten Bundesländer kein Ergebnis zu erzielen. Damit haben es diese Parteien zu verantworten, dass auch zukünftig der Niedriglohnsektor durch öffentliche Transferzahlungen finanziert werden muss. Gleichwohl konnte für den Bereich der Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze in Höhe des jeweiligen tariflichen Mindestlohnes erreicht werden; ebenso können zukünftig für die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungsbranche Mindestlöhne gelten. Allerdings ist die Ermittlung und Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und SGB XII weiterhin unbefriedigend. Die von der SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch eine transparente Bemessung der Regelsätze und eine Förderung der Teilhabe von Kindern umsetzen", Bundestagsdrucksache 17/3648, formulierten verfassungsrechtlichen Bedenken konnten nicht beseitigt werden, da die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, die Bundesregierung und die CDU/CSU-geführten Länder nicht bereit waren, an den zentralen Punkten des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes Änderungen vorzunehmen. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 geforderte transparente, nachvollziehbare und realitätsgerechte Ermittlung der Regelbedarfe ist unterblieben; im Gegenteil haben Äußerungen aus dem Kreis der Bundesregierung und der Regierungskoalition deutlich gemacht, dass die Festsetzung der Regelbedarfe haushaltspolitisch motiviert ist und eben nicht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dient. Damit wird die zentrale Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes nicht umgesetzt. In Würdigung des Gesamtergebnisses werde ich dem Vermittlungsergebnis zustimmen, wobei ich hinsichtlich der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe meine verfassungsrechtlichen Bedenken aufrechterhalte. Annette Groth (DIE LINKE): Ich werde dem "Scheinkompromiss" zur Hartz-IV-Reform nicht zustimmen, da ich einen Gesetzentwurf, der offensichtlich verfassungswidrig ist, ablehne. Dieser Kompromiss schreibt für fast 17 000 Menschen in meinem Wahlkreis Pforzheim-Enzkeis die Armut per Gesetz weiterhin fest. Ich halte es für völlig inakzeptabel, dass den Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfängern in einem völlig intransparenten Geschacher dieses Jahr 5 Euro Regelsatzerhöhung zugestanden werden soll und im nächsten Jahr 3 Euro. Mit der Zustimmung der SPD zu diesem verfassungswidrigen Kompromiss setzt sie die unsoziale Politik der Schröder-Regierung fort, die in den Hartz-IV-Gesetzen gipfelte. Nehmen Sie nur meinen Wahlkreis Pforzheim. In der Stadt Pforzheim leben fast 12 000 Menschen in 5 832 Be-darfsgemeinschaften von SGB II. Mit dem Hartz-IV-Kompromiss müssen diese Menschen weiterhin in Armut leben. Das widerspricht meinem Verständnis von Menschlichkeit. Schaut man sich für die Stadt Pforzheim die Zahlen etwas näher an, sieht man, dass 8 143 Menschen sogenannte erwerbsfähige Leistungsempfänger sind und 3 564 sogenannte nicht erwerbsfähige Leistungsempfänger. Ähnlich stellt sich die Situation im Enzkreis dar. In den 2 585 sogenannten Bedarfsgemeinschaften leben 3 501 Menschen, die "erwerbsfähig" sind; 1 521 sind "nicht erwerbsfähig". Es ist für mich in keiner Weise vereinbar, dass alleine in meinem Wahlkreis für über 16 700 Menschen die Armut zementiert wird. Ich hoffe, dass viele Menschen gegen ihre Bescheide Einspruch einlegen werden und Recht erhalten. Ich finde es wirklich empörend, dass die Regierungsparteien mit den Sozialdemokraten beschlossen haben, dass Menschen in einem der reichsten Länder der Welt weiterhin ohne ausreichende, bedarfsorientierte Sicherung leben müssen. Im Interesse aller Menschen werde ich auch in Zukunft weiterhin dafür kämpfen, dass ein flächendeckender Mindestlohn von mindestens 10 Euro und ein monatlicher Regelsatz von mindestens 500 Euro eingeführt wird. Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich stimme heute gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, da ich dieses für völlig inakzeptabel halte, ein Ergebnis, das schon formal durch eine illegal zustande gekommene Arbeitsgruppe ausgekungelt wurde und die Existenzgrundlage von Millionen von Menschen zu einer billigen Verhandlungsmasse der Hartz-IV-Parteien CDU, FDP, SPD und Grüne wurde. Das ist ein Skandal. Ich stimme dagegen, weil ich deutlich machen will, dass ich eine Politik ablehne, die ohne die Beteiligung der Betroffenen entscheidet. Die Regelsätze werden völlig intransparent festgelegt. Das ist in hohem Maße ignorant gegenüber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts; ich halte das für nicht verfassungskonform. Ich stimme gegen diesen schlechten Deal, der auf Kosten der Betroffenen gemacht wurde. Ich komme aus Baden-Württemberg und die heutige Entscheidung betrifft in Baden-Württemberg, mehr als 346 000 Hartz-IV-Beziehende und mehr als 100 000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Gerade die Leiharbeit boomt in Baden-Württemberg. Laut Statistischem Landesamt sind 83 Prozent der neuen Arbeitsplätze in Baden-Württemberg Leihjobs, allein für den Zeitraum Sommer 2009 bis Sommer 2010. Bei Daimler zum Beispiel in Stuttgart-Untertürkheim haben vor der Krise rund 10 000 fest Beschäftigte gearbeitet, heute sind es nur noch 9 000. Aber dafür gibt es jetzt fast 700 Leiharbeiter mehr. Mit dem heutigen Beschluss wird es weder das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Leiharbeit noch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Im Klartext: Das Lohndumping geht weiter. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb stimme ich dagegen. Und ich stimme dagegen, weil ich wie viele in diesem Land es nicht nachvollziehen kann, dass für Banken innerhalb einer Woche mehr als 500 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, aber für die menschenwürdige Existenz von Millionen Menschen nicht. Meine Fraktion setzt sich für einen Regelsatz in Höhe von 500 Euro und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro sowie die massive Einschränkung von Leiharbeit ein. Genau deshalb stimme ich heute gegen diesen faulen Kompromiss. Bettina Hagedorn (SPD): Am 25. Februar 2011 wird der Deutsche Bundestag abschließend über das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens abstimmen. Ich werde dem Gesetz nicht zustimmen, da es aus meiner Sicht unverantwortlich ist, die gebotene bessere Finanzausstattung der Kommunen auf Dauer zulasten der Bundesagentur für Arbeit, BA, zu finanzieren. Dies ist keine solide Gegenfinanzierung für die dauerhafte Übernahme der "Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung" durch den Bund, die stufenweise aufwachsend ab 2014 mit zusätzlich 4 Milliarden Euro - Tendenz rapide steigend - vom Bund zu tragen sein wird. Deshalb bedeutet dieses Vorgehen das Verschieben eines strukturellen Defizites des Bundeshaushaltes zulasten der Sozialversicherung, da die Bundesagentur ohne Anhebung des ALV-Beitrages nicht in der Lage sein wird, die ab 2010 begonnene Darlehensaufnahme je abzubauen und Rücklagen für Krisenzeiten zu bilden. Laut Finanzplan sollte die BA auf der Grundlage der jetzt gültigen Voraussetzungen - voller Mehrwertsteuerpunkt zugunsten der BA, 3 Prozent Arbeitslosenversicherungsbeitrag, Rücklage seit Ende 2010 auf null, Belastung durch 1,1 Milliarden Euro Insolvenzgeldumlage - ab 2013 das Darlehen aus 2011/2012 zurückzahlen und 2015 erstmalig eine Rücklage von 2,5 Milliarden Euro bilden. Darlehen, mit Rückzahlung, sind unter dem Aspekt der Schuldenbremse anders zu bewerten als der 2010 an die BA gewährte einmalige Zuschuss. Ein Darlehen setzt jedoch voraus, dass eine Rückzahlung des Darlehens überhaupt möglich ist, ansonsten ist es "Etikettenschwindel" und de facto eben doch ein Zuschuss. Zur Gegenfinanzierung der dauerhaften Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung ist vorgesehen, dass die Bundesmittel an die BA jährlich und auf Dauer um einen halben Mehrwertsteuerpunkt gesenkt werden. Dadurch fehlen der BA allein bis 2015 kumuliert 12,15 Milliarden Euro und danach circa 4,4 Milliarden Euro pro Jahr, sodass in deren Haushalt bis 2015 kontinuierlich ein Defizit/Darlehensbedarf von knapp 10 Milliarden Euro anwachsen wird, ohne dass die BA absehbar in den Folgejahren die Chance auf "schwarze Zahlen" haben wird. Eine Rückzahlung des Darlehens ist absehbar unter diesen Voraussetzungen unmöglich. Zusätzlich haben CDU/CSU/FDP mit dem 2010 beschlossenen "Sparpaket" unter der Überschrift "Ersatz von Pflicht- durch Ermessensleistungen im SGB II + III" Kürzungen bis 2014 von 16 Milliarden Euro im Bereich der Eingliederungsleistungen vorgesehen, die erst in der 2. Jahreshälfte 2011 durch diverse Gesetzesänderungen umgesetzt werden. Allein die BA ist von diesen zusätzlichen Kürzungen mit kumuliert 10 Milliarden Euro bis 2014 betroffen (2011 minus 1,5 Milliarden Euro. 2012 minus 2,5 Milliarden Euro, 2013 und 2014 je minus 3 Milliarden Euro). Gekürzte Leistungsansprüche auf Qualifizierung werden vor allem zulasten von Frauen, zum Beispiel nach langer Familienphase) Alleinerziehenden, Migranten und von Menschen mit Behinderung gehen. Auch Instrumente wie der Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss werden zur Disposition gestellt. In der Konsequenz wird es - trotz eines anwachsenden Fachkräftemangels von nie gekanntem Ausmaß - drastisch weniger Qualifizierungsmöglichkeiten für Arbeitsuchende geben. Dieser "doppelte Griff" von zusammen über 22 Milliarden Euro binnen weniger Jahre in die Finanzausstattung der BA bedeutet das Ende einer verantwortlichen aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wer dieses Szenario abwenden will, dem bleibt nur die Erhöhung des Arbeitslosenversicherungs-Beitragssatzes um circa 0,5 Prozent. Das allerdings ist das Gegenteil dessen, was die Große Koalition gemeinsam als Ziel verfolgt hat, als sie beschloss, einen vollen Mehrwertsteuerpunkt (aktuell circa 8 Milliarden Euro pro Jahr) dauerhaft zur Reduzierung des ALV-Beitrages zugunsten der BA zu verwenden. Und es ist das Gegenteil von "Mehr Netto vom Brutto", da höhere Sozialversicherungsbeiträge stets überproportional zulasten von Gering- und Normalverdienern mit ihren Familien gehen und den Faktor Arbeit zulasten von Arbeitnehmern wie Arbeitgebern belasten. Abschließend möchte betonen, dass sich mein "Nein" keineswegs gegen das im Vermittlungsausschuss erzielte Paket insgesamt richtet. Ich befürworte vor allem die Verbesserungen beim Bildungspaket und die angemessene Entlastung der Kommunen und trage auch die Kompromisse zum Regelsatz und Mindestlohn mit. Als Hauptberichterstatterin für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit im Haushaltsausschuss kann ich aber vor dem Hintergrund der schon 2010 beschlossenen milliardenschweren Kürzungen im "Sparpaket" der CDU/CSU/ FDP zulasten der aktiven Arbeitsmarktpolitik den jetzt zusätzlich drohenden massiven Kürzungen bei Arbeitsförderung und Qualifizierung nicht zustimmen. Ich stimme dem vorliegenden Gesetzentwurf auch deshalb nicht zu, weil er nach meiner Überzeugung eine künftige ALV-Beitragserhöhung schon in sich trägt, die gegenüber den Festlegungen in der Großen Koalition eine Rückwärtsrolle darstellt. Die Finanzierung der Entlastung der Kommunen auf dem Rücken von Arbeitsuchenden und Beitragszahlern ist falsch. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Zu den vielen Gründen, die Änderung der Hartz-IV-Regelsätze abzulehnen, gehört auch das von der Regierung so hochgejubelte Bildungspaket für Kinder und Jugendliche. Zum einen hat der Verlauf der Debatte gezeigt, dass der Regelungs- und Änderungsbedarf wesentlich höher ist, als von der Regierung angenommen. Meine Fraktion hat, ungeachtet ihrer Grundkritik an den Hartz-Gesetzen, schon in der vergangenen Wahlperiode eingefordert, wenigstens die Schülerbeförderungskosten für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II zu erstatten, um einen besseren Bildungszugang der Betroffenen zu ermöglichen; jetzt endlich haben Sie reagiert. Trotz dieser und noch ein bis zwei anderer Regelungen, die geeignet sind, wenigstens einige wenige der schlimmen Folgen für Kinder in Bedarfsgemeinschaften zu mildern, kann man das Bildungspaket nicht bejubeln. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens. Das Bildungspaket stellt Familien unter den Generalverdacht, Barleistungen für Bildung würden nicht bei den Kindern ankommen. Zweitens. Das Bildungspaket ist Beginn eines Umstiegs auf ein Gutscheinsystem, das nur scheinbar Bildungsgerechtigkeit gewährleistet, das faktisch aber ein Zuteilungssystem auf niedrigem Niveau ist. Drittens. Mit dem Bildungspaket wird die Verantwortung für erfolgreiche Bildungsabschlüsse auf private Träger übertragen, weil die Schule nicht mehr leisten kann, was sie leisten müsste. Zudem geht es nur um Versetzungsgefährdung, mehr höhere Bildungsabschlüsse, der Wechsel in Bildungswege, die höhere Schulabschlüsse anstreben, werden gar nicht vorgesehen. Viertens. Außerschulische Bildungs- und Freizeitangebote können mit den vorgesehenen Mitteln so gut wie nicht finanziert werden; es ist zu gering ausgelegt und lässt wesentliche Kostenbestandteile, wie Mobilität und Sportausrüstung oder Instrumente, außer Acht. Fünftens. Mit dem Bildungspaket werden originäre Bildungsaufgaben der Länder und Kommunen für einen bestimmten, eingeschränkten Personenkreis über den Umweg der Arbeitsverwaltung finanziert, auch wenn die Kommunen nun die Ausführung übernehmen sollen. Das ist ein Systembruch, der sich rächen wird. Insgesamt wurde aber das Ziel des Spruchs der Verfassungsrichter, die Bildungsteilhabe für Kinder in Bedarfsgemeinschafen im Regelsatz zu berücksichtigen, nicht erfüllt. Darum kann ich keinem Teil der Änderung zustimmen. Eine bessere Bildungsbeteiligung wäre zu erreichen über eine eigenständige bedarfsgerechte Kindergrundsicherung sowie die bessere Finanzierung der kulturellen Infrastruktur und der Bildungslandschaft in den Ländern und Kommunen über die Schulen, Vereine und Verbände so ausgestattet werden, dass sie einen sozial gerechten Zugang zu Bildung sichern können. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): In dem Vermittlungsverfahren ist es gelungen, das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf deutlich zu verbessern: Es konnte eine soziale Ausweitung erreicht werden, indem auch die Kinder von Wohngeldempfängern und -empfängerinnen dieses in Anspruch nehmen können; durch die Änderung in der Trägerschaft vom Jobcenter zu den Kommunen und Landkreisen wird dafür gesorgt, dass Bürokratie vermieden und diejenigen mit der Erbringung der Leistungen beauftragt werden, die die Kompetenzen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit haben; zudem werden die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass - zuerst einmal bis 2013 befristet - 3 000 zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen und sozialen Brennpunkten sich um Kinder und Jugendliche kümmern können. Für die Umsetzung des "Bildungs- und Teilhabepakets" ist eine deutliche Entlastung der Kommunen und Kreise erreicht worden, indem der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in drei Schritten - 2012: 45 Prozent, 2013: 75 Prozent, 2014: 100 Prozent - bis zum Jahr 2014 vollständig übernehmen wird. Bis 2013 erhöht sich zudem die Beteiligung des Bundes an der Kosten der Unterkunft im SGB II. Bei der Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns sowie der Durchsetzung des Prinzips "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Zeitarbeit, wodurch die Zahl derjenigen, die aufgrund unzureichender Löhne ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen müssen, reduziert werden sollte, war aufgrund der bornierten Blockadehaltung der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP und der von diesen Parteien regierten Bundesländer kein Ergebnis zu erzielen. Damit haben es diese Parteien zu verantworten, dass auch zukünftig der Niedriglohnsektor durch öffentliche Transferzahlungen finanziert werden muss. Gleichwohl konnte für den Bereich der Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze in Höhe des jeweiligen tariflichen Mindestlohnes erreicht werden; ebenso können zukünftig für die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungsbranche Mindestlöhne gelten. Außerdem hat die SPD im Vermittlungsverfahren erreicht, dass die Kürzung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Tätige zurückgenommen wurde und dass die Kosten für die Warmwasserbereitung auch für Haushalte, die ihr Warmwasser mit Strom bereiten, übernommen werden. Allerdings ist die Ermittlung und Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und SGB XII weiterhin unbefriedigend. Die von der SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch eine transparente Bemessung der Regelsätze und eine Förderung der Teilhabe von Kindern umsetzen", Bundestagsdrucksache 17/3648, formulierten verfassungsrechtlichen Bedenken konnten nicht beseitigt werden, da die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, die Bundesregierung und die CDU/CSU-geführten Länder nicht bereit waren, an den zentralen Punkten des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes Änderungen vorzunehmen. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 geforderte transparente, nachvollziehbare und realitätsgerechte Ermittlung der Regelbedarfe ist unterblieben; im Gegenteil haben Äußerungen aus dem Kreis der Bundesregierung und der Regierungskoalition deutlich gemacht, dass die Festsetzung der Regelbedarfe haushaltspolitisch motiviert ist, und eben nicht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dient. Damit wird die zentrale Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes nicht umgesetzt. Es bestehen insbesondere in folgenden Punkten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken: Zirkelschlussproblematik. Das Bundesverfassungsgericht hat eine eindeutige Vorgabe gemacht, diejenigen Haushalte, deren Einkommen unterhalb der Bedarfsschwellen des SGB II/SGB XII liegt, die aber nicht die entsprechenden Leistungen in Anspruch nehmen, sogenannte verdeckt Arme, bei der Bemessung der Referenzgruppe auszuschließen. Diese Vorgabe wurde nicht umgesetzt. Unzulässige Zirkelschlüsse ergeben sich auch dadurch, dass alle Haushalte, die neben den Regelleistungen des SGB II bzw. SGB XII weiteres Erwerbseinkommen erzielen, in Gänze bei den Referenzhaushalten berücksichtigt werden, selbst wenn sie nur einen einzigen Euro an zusätzlichen Einkünften erzielen. Allein die Berücksichtigung derjenigen Aufstocker und Aufstockerinnen, die nur ein Einkommen bis zu der Freibetragsgrenze von 100 Euro nach § 30 SGB II beziehen, führt dazu, dass der Regelbedarf in der Regelbedarfsstufe um 6 Euro geringer ausfällt. Interner Ausgleich. In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht das Statistikmodell, das auf den in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben basiert, als eine geeignete Methode zur Ermittlung der Regelbedarfe bezeichnet. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, politische Setzungen vorzunehmen. Allerdings hat es dabei eine kohärente und nachvollziehbare Methodenanwendung verlangt und insbesondere gefordert, dass die Regelbedarfe so zu ermitteln sind, dass für die Leistungsempfängerinnen und -empfänger, die in einzelnen Bereichen einen höheren Bedarf als den durchschnittlich ermittelten haben, ein interner Ausgleich möglich ist. Diese Anforderungen sind nicht umgesetzt worden, da eine willkürliche und methodisch falsche Herausrechnung von Verbrauchspositionen, so zum Beispiel einerseits die Ermittlung der Verkehrsausgaben auf Grundlage einer Sonderauswertung und andererseits die Nichtberücksichtigung einzelner Verbrauchspositionen in der Gesamterhebung, stattgefunden hat. Das Statistikmodell ist deshalb fehlerhaft angewendet worden. Größe der Referenzgruppe. Nicht nachzuvollziehen ist die Entscheidung, die Regelbedarfe von Erwachsenen auf der Grundlage der untersten 15 Prozent der Haushalte durchzuführen und nicht mehr die untersten 20 Prozent als Referenzgruppe zu betrachten. Die Verkleinerung der Referenzgruppe erklärt sich einzig mit dem Ziel, die Anhebung der Regelbedarfe möglichst gering ausfallen zu lassen. Dabei ist es auch methodisch nicht nachzuvollziehen, dass für die Ermittlung der Bedarfe von Kindern weiterhin auf die untersten 20 Prozent der Paarhaushalte mit Kind abgestellt wird; für diese unterschiedliche Größe der Referenzgruppe gibt es keine systematische Begründung. Fortschreibung der in der EVS 2008 ermittelten Werte. Darüber hinaus wurde der Preisstand der in der EVS 2008 ermittelten Verbrauchsausgaben ursprünglich nur einmalig gemäß dem neu entwickelten "Mischindex" fortgeschrieben. Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Bundesländer konnten in den Verhandlungen durchsetzen, dass nunmehr auch die Veränderungsrate des ersten Halbjahres 2010 berücksichtigt wird. Dennoch erfolgt die so errechnete Erhöhung des Regelbedarfes um 3 Euro in der Regelbedarfsstufe 1 nicht systematisch korrekt bereits zum erstmaligen Inkrafttreten der Regelbedarfe, sondern aufgrund des massiven Widerstandes der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP erst zum 1. Januar 2012. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP zu keiner Zeit bereit waren, auf die von der SPD-Bundestagsfraktion, den SPD-geführten Bundesländern und der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken einzugehen. Es stellt sich daher die Frage der Abwägung, ob der verfassungswidrige Zustand der bisherigen Bemessung der Regelbedarfe fortbestehen soll oder ob einem Vermittlungsergebnis, das zwar mit großen verfassungsrechtlichen Risiken behaftet ist, aber auch große Fortschritte bei der Bildungsteilhabe von Kindern, der Ausweitung von Mindestlöhnen und der Entlastung der Kommunen beinhaltet, zugestimmt werden kann. Dabei wird es unzweifelhaft zu einer Überprüfung der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe durch das Bundesverfassungsgericht kommen, wobei davon auszugehen ist, dass das Bundesverfassungsgericht die von der Bundesregierung zu verantwortenden Regelbedarfe erneut beanstanden wird. Allerdings ist durch das Vermittlungsergebnis sichergestellt, dass die Bildungsteilhabe von Kindern verbessert wird. Besonders kritikwürdig ist auch das Ergebnis zur Regelbedarfsstufe 3. Gerade Menschen mit Behinderung, die keinen eigenen Haushalt führen und zum Beispiel in Wohngemeinschaften wohnen, werden so weiterhin nur 80 Prozent des Regelsatzes erhalten. Das bedeutet rund 70 Euro monatliche Einbußen. Es ist unverantwortlich, dass die kommunalen Entlastungen voll zulasten der Bundesagentur für Arbeit gehen. Wie die stufenweise Absenkung eines halben Mehrwertsteuerpunktes für die Bundesagentur kompensiert werden soll, ist offen. Ich befürchte weitere Leistungseinschränkungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Hiervon sind vor allem auch Alleinerziehende betroffen. Außerdem ist eine Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung wegen dieser politisch gewollten Unterfinanzierung zu befürchten. Unvertretbar ist darüber hinaus, dass die ärmsten Kinder in Deutschland, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, vom Bildungspaket ausgeschlossen bleiben. Ich werde trotz meiner erheblichen verfassungsrechtlichen und sozialen Bedenken dem Gesamtergebnis zustimmen, da ich keine Hoffnung habe, dass erneute Verhandlungen ein besseres Ergebnis bringen würden. Ich bedaure sehr, dass nun wieder das Bundesverfassungsgericht und nicht der Gesetzgeber die politischen Weichen stellen muss. Das bedeutet einen Verlust an Demokratie, den wir uns nicht leisten sollten. Andrej Hunko (DIE LINKE): Hartz IV bleibt menschenunwürdig und verfassungswidrig. Als vermutlich einziger ehemaliger Hartz-IV-Betroffener im Bundestag stimme ich gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Das ausgehandelte Ergebnis ist vom Standpunkt der Erwerbslosen völlig unzureichend. Nach meiner Auffassung sind weder die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt, noch ist die grundlegende Problematik von Hartz IV angegangen worden. Mit der Einführung von Hartz IV durch die damalige SPD-Grünen-Regierung ist ein Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eingeleitet worden. Eine Versicherungsleistung für Beschäftigte wurde in ein System übergeführt, das Erwerbslose zu einem bizarren Spießrutenlauf nötigt, um überhaupt die elementarsten Lebensgrundlagen zu erhalten. Parallel wurde ein drakonisches Sanktionsregime etabliert, das selbst bei kleinen Verfehlungen zum Entzug der lebensnotwendigen Leistungen führt. Das Ziel und Ergebnis dieser "Reform" waren die Errichtung eines beispiellosen Niedriglohnsektors in Deutschland und das Abwälzen des gesellschaftlichen Problems der Arbeitslosigkeit auf die jeweiligen Erwerbslosen. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Berechnungsgrundlage der Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt und damit einem Teil der Kritiken recht gegeben. Der jetzt zwischen den Hartz-IV-Parteien SPD, Grüne, CDU und FDP ausgehandelte Kompromiss hebt die Verfassungswidrigkeit nicht auf. Notwendig wäre bis zur völligen Abschaffung von Hartz IV die sofortige und repressionsfreie Erhöhung der Eckregelsätze auf 500 Euro, die Abschaffung des Sanktionsregimes und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 10 Euro. Die Zustände in den Jobcentern können nur als Zustände bezeichnet werden, "in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen" ist, um einen bekannten deutschen Philosophen zu zitieren. Daran ändert das Ergebnis des Vermittlungsausschusses nichts. Diesen Zuständen kann ich meine Zustimmung nicht geben. Katja Kipping (DIE LINKE): Ich erkläre, dass ich die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ablehne, weil die Ermittlung der Höhe der Regelleistungen weder transparent noch nachvollziehbar noch realitätsgerecht - also nicht verfassungskonform - erfolgte. Es wurden erstens bei der Regelleistungsbestimmung entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts keine verdeckten Armen aus der Referenzgruppe zur Ableitung der Regelleistung herausgerechnet. Zweitens wurde die Referenzgruppe von den untersten 20 Prozent der Ein-Personen-Haushalte auf die untersten 15 Prozent beschränkt. Dies ist ein willkürlicher Eingriff mit dem ausschließlichen Ziel der Senkung der Regelleistung. Auf diese Art und Weise wurde eine statistische Referenzgruppe aus armen Menschen geschaffen, die zu einem Fünftel aus Hartz-IV-Beziehenden, Aufstockern, besteht und deren durchschnittliches Nettoeinkommen bei 716 Euro pro Monat liegt. Es wurden drittens bei der Regelleistungsbestimmung willkürliche Abschläge vorgenommen, so werden beispielsweise erstmals Tabak und Alkohol nicht mehr als Bestandteil einer menschenwürdigen Existenzsicherung angesehen, werden die Kosten für eine Tierhaltung nicht anerkannt, werden Ausgaben für Gaststättenbesuche nur anteilig anerkannt. Damit wird auch deutlich, dass eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben - entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts - nicht vorgesehen ist. Prinzipiell ist festzustellen, dass in keiner Weise dargelegt worden ist, ob das der Regelleistungsbestimmung zugrunde gelegte Ausgabeverhalten unterer Einkommensgruppen der Bevölkerung zu erkennen gibt, welche Aufwendungen für das menschenwürdige Existenzminimum tatsächlich erforderlich sind. Das ist aber ein verfassungsrechtliches Erfordernis. Der Regelsatz muss transparent ermittelt werden und ist kein Spielball für Polit-Rambos. Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ab, weil mit der festgelegten Regelsatzerhöhung ein menschenwürdiges Leben und die Teilhabe an der Gesellschaft nicht möglich sind. Sowohl die Bundesregierung als auch die an der Bestimmung der Regelleistung beteiligten Fraktionen des Deutschen Bundestages verletzen in eklatanter Weise die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Die Bestimmung der Regelleistung wurde zum Spielball parteipolitischer Interessen und Kalküle. Die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland erfahren, dass die Interessen der Betroffenen vollkommen nachrangig sind. Ich appelliere an die Abgeordneten von Bündnis 90/ Die Grünen und von der SPD, mit unserer Fraktion gemeinsam eine Normenkontrollklage gegen die vorliegende Regelleistungsbestimmung beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Die heute durchgepeitschte Abstimmung über ein Grundrecht der Menschen in Deutschland ist eine Schande. Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ab. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Ich lehne das "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Hartz IV)" ab. Nicht nur die niedrige Erhöhung der Regelsätze betrachte ich als Verstoß gegen die Menschenwürde, auch den im Zuge des Gesetzes vereinbarten Mindestlohn in der Leiharbeit lehne ich als völlig unzureichend ab. Um das Lohndumping in der Leiharbeit wirksam zu begrenzen, wäre die Rückkehr zum Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", und zwar vom ersten Tag, Minimalbedingung gewesen. Die Zustimmung der SPD zu diesem Ergebnis ist enttäuschend. Die Forderung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns und die Forderung nach gleicher Entlohnung wie Stammbelegschaften hat die SPD einfach aufgegeben. Im Ergebnis gibt es einen Branchenmindestlohn für die Leiharbeit, der voraussichtlich im Westen bei 7,79 Euro pro Stunde und im Osten bei 6,89 Euro liegt. Dieser Mindestlohn war bereits von den Tarifparteien vereinbart. Seine Allgemeinverbindlichkeitserklärung beendet das Lohndumping nicht. Er begrenzt schlichtweg die Ausbeutung nach unten. Das Zweiklassensystem der Löhne im Betrieb bleibt bestehen. Das lukrative Geschäft mit der Leiharbeit als systematisches Instrument der Lohndrückerei wird fortgesetzt. Auch die Kompromisse zu den Branchenmindestlöhnen in Weiterbildung und im Wach- und Sicherheitsgewerbe sind enttäuschend: In der Aus- und Weiterbildung beschränkt sich die Protokollnotiz auf eine neuerliche Prüfung durch das zuständige Ministerium. Im Wach- und Sicherheitsgewerbe wird ein bereits eingeleitetes Verfahren von der Bundesregierung "unterstützt". Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat für die Hartz-IV-Betroffenen und für die Beschäftigten im Niedriglohnbereich und in der Leiharbeit nicht einmal Krümel übrig. Aus diesen Gründen lehne ich das vorliegende Gesetz ab. Katrin Kunert (DIE LINKE): Ich möchte eine persönliche Erklärung dazu abgeben, weshalb ich dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch nicht zustimme. Der Gesetzentwurf sieht in § 22 a die Möglichkeit vor, in kommunalen Satzungen pauschal zu regeln, bis zu welcher Höhe die Kosten der Unterkunft als angemessen angesehen werden. Das Merkmal der Angemessenheit bildet das entscheidende Kriterium für die Höhe der Leistungen, die für Unterkunft und Heizung gewährt werden. Wenn nun bei dem Kriterium der Angemessenheit nicht mehr die Umstände des Einzelfalls, sondern nur noch Pauschalen zugrunde gelegt werden, besteht für die Betroffenen in vielen Fällen die Gefahr von Leistungskürzungen im Bereich der Kosten der Unterkunft. Zum Ausgleich dieser Leistungskürzungen muss dann ein Teil des Regelsatzes herangezogen werden. Wenn man bedenkt, dass die Regelbedarfe durch ein verfassungswidriges Ermittlungsverfahren künstlich niedrig gehalten werden, kann es in vielen Fällen dazu kommen, dass der von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ausgehandelte Kompromiss für die Betroffenen unterm Strich eine Verschlechterung darstellt. Die Satzungsermächtigung zugunsten der Kommunen darf auch keinesfalls als Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung missinterpretiert werden. Die Kommunen leiden derzeit unter dem höchsten Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Eine der Hauptgründe für dieses Defizit besteht gerade darin, dass der Bund den Kommunen bereits seit mehreren Jahren zahlreiche kostenträchtige soziale Aufgaben übertragen hat, ohne für eine angemessene Finanzierung zu sorgen. Durch die Satzungsermächtigung wird für Kommunen mit angespannter Haushaltslage nun eine Möglichkeit eröffnet, die kommunalen Leistungen durch niedrige Pauschalen zu drücken. Im Endeffekt werden die Haushaltsnöte der Kommunen gegen das physische Existenzminimum der Betroffenen ausgespielt. Durch die unterschiedliche Finanzlage der Kommunen droht zudem ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen, der die jetzt schon äußerst problematische Rechtsanwendung zusätzlich erschweren wird. Gegen eine Satzungsermächtigung zugunsten der Kommunen im Bereich der Kosten der Unterkunft spricht auch, dass es hier um Kosten geht, die gänzlich dem Einfluss der Kommunen sowie der Betroffenen entzogen sind. Wenn der von Ihnen vorgestellte Kompromiss schon keine wirkliche Verbesserung für die Betroffenen darstellt, sollte er deren Lage wenigstens nicht verschlechtern. Insbesondere das Recht auf ein physisches Existenzminimum darf nicht beschnitten werden. Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich habe mit Nein gestimmt, weil dieser würdelose Hartz-IV-Deal demokratische Grundrechte missachtet. Ein menschenwürdiger Regelsatz ist längst überfällig - aber CDU/CSU, FDP und SPD haben die Chance vertan. Nachdem das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr festgestellt hat, dass die Regelsätze - zumindest die für Kinder - grundgesetzwidrig sind, wäre eine politische Umkehr möglich gewesen. In Deutschland ist die Ungleichheit bei den Einkommen, der Gini-Koeffizient - im Vergleich zu den anderen OECD-Staaten -, in den vergangenen zehn Jahren besonders stark gewachsen: Immer mehr immer ärmeren Menschen stehen immer mehr immer reichere gegenüber. Anstatt eine gesellschaftliche Debatte über dieses Problem anzustoßen und den bedürftigen Personen wirklich gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, hat die Bundesregierung einen Regelsatz nach Kassenlage, für Erwachsene 364 Euro, systematisch kleingerechnet: Kinder und Jugendliche bekommen statt mehr Geld Gutscheine - auf Antrag. Das ist diskriminierend, bürokratisch und teuer. Auch zukünftig gibt es keine Mindestlöhne und keinen Schutz gegen entwürdigende Arbeit. Leiharbeiter erhalten auch zukünftig keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Das Zweiklassensystem in der Erwerbsarbeit bleibt. Die Abstimmung zur Frage des Existenzminimums, also zu einer Grundrechtefrage, wurde an diesem heutigen Freitag durch den Bundestag gepeitscht. Skandalös ist, dass die SPD wider besseres Wissen einer nicht verfassungskonformen Regelleistungsbestimmung zustimmen will. Informationen zu den zu beschließenden Regelungen werden den Abgeordneten durch die Bundesregierung vorenthalten. Damit ist den Abgeordneten zur Abstimmung am Freitag im Bundestag unklar, wieso die 3 Euro Regelleistungserhöhung zum 1. Januar 2012 nicht sofort erfolgt, zuzüglich zu den geplanten 5 Euro, handelt es sich doch um eine Dynamisierung der Regelleistung für die Zeit vom Juli 2009 bis zum Juni 2010. Unklar bleibt, wie die in Zukunft im Eingliederungsetat fehlenden 4 Milliarden Euro finanziert werden sollen. Unklar bleibt, ob für Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr im Haushalt Bedürftiger die Regelleistung tatsächlich die volle Höhe erreichen soll und nicht nur bei 80 Prozent liegen wird. Von den Spitzen der CDU/CSU, FDP und SPD wird die Demokratie verhöhnt: Sie missachten die Grundrechte der Bedürftigen und machen die Abgeordneten, die über die Umsetzung eines Grundrechts befinden sollen, zu Statisten in einem unwürdigen Politiktheater. Cornelia Möhring (DIE LINKE): Ich stimme gegen das Ergebnis des Vermittlungsausschusses, weil Hartz IV endlich abgeschafft und durch eine Mindestsicherung für jede Frau, jeden Mann und jedes Kind ersetzt werden muss. Diese soll für Erwachsene mindestens 500 Euro betragen und von Gegenleistungen und damit auch Sanktionen frei sein. Außerdem fordere ich ebenso wie meine Fraktion die sofortige Beseitigung der diskriminierenden und frauenfeindlichen Bedarfsgemeinschaft. Die jetzt vorliegende Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes fällt viel zu gering aus und garantiert nicht einmal das Existenzminimum, ganz zu schweigen von einem Leben in Würde. Auch 8 Euro mehr verringern weder die gesellschaftliche Ausgrenzung der betroffenen Kinder noch die per Gesetz verordnete Armut der Erwachsenen. Sie sind eine Verhöhnung dieser Menschen. Daran werde ich mich ebenso wie meine gesamte Fraktion nicht beteiligen. Kornelia Möller (DIE LINKE): Das heute hier vorliegende Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu Hartz IV ist eine Farce und stellt wieder einmal die Unfähigkeit der Koalition, aber auch der SPD dar, Politik für Menschen zu machen. Von der Koalition ist man nichts anderes gewohnt und von der SPD leider auch nicht. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hätten hier die Möglichkeit gehabt, zu zeigen, dass Sie Ihre Politik und Ihre aktuellen Forderungen ernst nehmen. Die Chance haben Sie vertan. Trotzdem Sie wissen, dass die Regelleistungsbestimmung nicht verfassungskonform ist, tragen sie diesen faulen Kompromiss mit. - Sie begehen damit Verfassungsbruch! Und Sie verhöhnen mit diesem Kompromiss viele Menschen. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die SPD die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat, ihre Fehler, die sie mit der Einführung der Hartz-Gesetze begangen hat, zu beheben oder wenigstens zu korrigieren: Erstens. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter hätten zumindest gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten können. Zweitens. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn hätte eingeführt werden können. Drittens. Die Regelsätze hätten zumindest verfassungskonform ermittelt werden können. Doch scheinbar sind Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, diese Themen nicht so viel wert, wie Sie immer vorgeben. Ihnen ist nicht an einer wirklichen Veränderung und Verbesserung für Hartz-IV-Opfer gelegen. Aber in dieser Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Ich möchte mit einem Zitat enden: Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruss: Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss. Vorschwebte uns: die goldene Legende. Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende. So Bertolt Brecht in "Der gute Mensch von Sezuan". Niema Movassat (DIE LINKE): Ich - wie meine gesamte Fraktion - lehne das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu Hartz IV ab. Das Ergebnis ist nicht nur verfassungswidrig, es ist auch ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Der Hartz-IV-Regelsatz wird auch nach dem vorgelegten Ergebnis menschenunwürdig niedrig bleiben. Alle Hartz-IV-Parteien haben die statistischen Fälschungen der Arbeitsministerin, also die willkürliche Veränderung der Berechnungsgrundlage, hingenommen. Hier wurde ein Regelsatz nicht nach dem, was notwendig ist, vereinbart, sondern nach Kassenlage. Dass dieses Geschacher um insgesamt 8 Euro mehr als acht Wochen gedauert hat, ist ein Hohn, wenn man bedenkt, dass dieselben Parteien nur eine Woche gebraucht haben, um 480 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um die Banken zu retten. Die Erhöhung verdient kaum diesen Namen, da sie nicht einmal eine Anpassung an die Preis- und Lohnentwicklung sowie die Inflation darstellt. Insbesondere die SPD, die heute der Beschlussempfehlung zustimmt, hat offensichtlich vor der Wahl in Hamburg Opposition gespielt und sich in der Hartz-IV-Frage in Szene gesetzt, um nach der Wahl diesen faulen Kompromiss mitzuentwickeln und mitzutragen. Sie bleibt damit der Hartz-IV-Logik voll verhaftet. Dieses Ergebnis macht eine erneute Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nötig. Die Linke wird sich dafür einsetzen. Hartz IV muss weg. Notwendig ist ein Regelsatz, der wirklich existenzsichernd ist. Dieser muss daher 500 Euro betragen. Um Armutsfestigkeit und Würde für die Betroffenen zu erreichen, braucht es eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Die Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro die Stunde bleibt weiterhin genauso berechtigt wie die nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Lohndumping und Leiharbeit als moderne Form der Sklaverei müssen endlich ein Ende haben. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Ich begrüße es, dass nach intensiven Verhandlungen nun ein Kompromiss zur Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze gefunden wurde. Ebenso ist zu begrüßen, dass Bildungsleistungen für bedürftige Kinder und eine deutliche Entlastung der Kommunen durch die schrittweise Übernahme der Alterssicherung in diesem Paket enthalten sind. Daher stimme ich dem Kompromiss insgesamt zu. Gleichzeitig ist es aus meiner Sicht jedoch wichtig, folgende Punkte deutlich zu machen: Erstens. Insgesamt umfasst das Paket voraussichtlich mehr als 5 Milliarden Euro per annum, die sich aufgrund der demografischen Entwicklung möglicherweise noch erhöhen werden. Angesichts der notwendigen Einhaltung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse wäre jedoch auch eine Einigung über die notwendige Gegenfinanzierung zwingend gewesen. Zweitens. Es muss klar sein, dass die Gegenfinanzierung vorwiegend aus dem Sozialhaushalt kommen muss und nicht zulasten von Arbeitnehmern und Unternehmen, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Arbeitslosenversicherung, gehen darf. Das wäre kontraproduktiv. Drittens. Auch muss klar sein, dass dieser Kompromiss nicht auf Kosten zukünftiger Investitionen des Bundes in Bildung, Forschung und Infrastruktur gehen darf. Viertens. Weiterhin darf der jetzt geschlossene Kompromiss die begonnene Diskussion über eine notwendige Gemeindefinanzreform nicht aushebeln. Die Verhandlungen zwischen Bund und Kommunen über strukturelle Reformen müssen konstruktiv weitergeführt werden. Aydan Özoðuz (SPD): Am Ende des mehrmonatigen Beratungsprozesses über die Regelbedarfe und die Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bleibt für mich leider festzuhalten, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP nicht bereit waren, auf die vielfach von Fachgremien, von der SPD-Bundestagsfraktion und von einigen Bundesländern geäußerten Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit des vorgelegten Beschlusses einzugehen. Unzweifelhaft konnten durch das Vermittlungsergebnis Fortschritte bei der Bildungsteilhabe von Kindern, bei der Ausweitung von Mindestlöhnen und bei der Entlastung der Kommunen erreicht werden. Nichtsdestotrotz habe ich die Befürchtung, dass es bei einer erneuten Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe durch das Bundesverfassungsgericht zu Beanstandungen kommen könnte. Als Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist mir besonders die Verbesserung der Bildungsteilhabe von Kindern wichtig, weshalb ich unter Abwägung aller Argumente und trotz meiner Bedenken hinsichtlich der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe heute dem Gesetz zustimmen werde. Jens Petermann (DIE LINKE): Ich stimme nicht zu, weil dieses Gesetz von Anfang an verfassungswidrig war und auch über 60 Veränderungen seit Inkrafttreten nicht zu einer Verbesserung der Lage der Betroffenen geführt haben. Das nunmehr vorgelegte Vermittlungsergebnis beseitigt den vorliegenden verfassungswidrigen Zustand nicht. Alles begann im Sommer 2002. Unter Führung des inzwischen rechtskräftig verurteilten Peter Hartz erarbeitete eine von Bundeskanzler Schröder einberufene Gruppe eine neue Sozialgesetzgebung. "Fordern und Fördern" hieß das Motto dieser tiefgreifendsten Einschnitte in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Februar 2010 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das geltende Gesetz nicht verfassungskonform ist, und verlangte eine Novellierung bis Ende 2010. Da die schwarz-gelbe Regierungskoalition inzwischen ihre Mehrheit im Bundesrat verloren hatte, scheiterte der Gesetzentwurf, der nur eine minimale Erhöhung des Regelsatzes um 5 Euro vorsah, in der Länderkammer. Der daraufhin angerufene Vermittlungsausschuss bildete eine Arbeitsgruppe, bei der Union, SPD, FDP und Grüne versuchten, die Linke außen vor zu lassen. Da wir in diesem Vorgang eine Verletzung unserer Parlamentsrechte sahen, hat unsere Fraktion eine einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht beantragt. Auf Druck des Bundesverfassungsgericht musste eine Vertreterin der Linken in die Arbeitsgruppe aufgenommen werden. Nun saß aber jemand mit am Verhandlungstisch, der die Hartz-Gesetzgebung an sich kritisierte und mit anhören konnte, welche Deals am Rande geplant waren. Also gründeten die Hartz-IV-Parteien kurzerhand eine extralegale Arbeitsgruppe in der Arbeitsgruppe, die die Linke erneut ausschloss. Dieses Vorgehen verstößt gegen die Verfassung. Zu einvernehmlichen Lösungen kam die Verhandlungsgruppe ohne die ungeliebte Linksfraktion nun doch endlich. Das herausragende Ergebnis liegt heute auf dem Tisch: 5 Euro Erhöhung in diesem Jahr und noch einmal 3 Euro im nächsten. Das ist peinlich! Das ist Hohn! Ein solches Ergebnis hätte es mit unserer Fraktion nie gegeben. Alternative Berechnungen, die auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes beruhen, haben ergeben, dass ein Regelsatz von 392 Euro die absolute Untergrenze für ein Leben in Würde bildet. Die schwarz-gelbe Regierung hat das Existenzminimum also bewusst kleingerechnet und damit einen verfassungswidrigen Entwurf vorgelegt. Es ist erschreckend, wie parteipolitische Kleingeistigkeit das Wohl der betroffenen Menschen missachtet, nur weil im Jahr 2011 sieben Landtagswahlen anstehen. Da wird Wahlkampf auf dem Rücken von Millionen Betroffenen geführt. Das Verhandlungsergebnis der Hartz-IV-Koalition entspricht in keiner Weise den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Damit sind die Betroffenen weiterhin gezwungen, ihre Rechte vor den Sozialgerichten unseres Landes zu erstreiten. Diese sind aber dank Hartz IV derart überlastet, dass die Prozesse sich unnötig in die Länge ziehen, wodurch die Betroffenen noch zusätzlich belastet werden. Ich und meine Fraktion lehnen die Hartz-IV-Regelung ab und werden alle juristischen Möglichkeiten nutzen, um dem im Grundgesetz verankerten Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum Geltung zu verschaffen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Es war mir nicht möglich, dem ausgehandelten Kompromiss zur Hartz IV zuzustimmen. Die katholische Betriebsseelsorge in meinem Wahlkreis organisiert regelmäßig Begegnungen von Bezieherinnen und Beziehern von Hartz-IV-Leistungen mit den Abgeordneten. Wenn man diese Menschen, die mit dem wenigen Geld ihr Leben fristen müssen, persönlich und nicht nur aus den Statistiken kennt, dann kann man sich vorstellen, wie demütigend es für sie sein muss, wenn sie hören, dass für sie lediglich eine monatliche Erhöhung um 8 Euro und das noch in zwei Raten vorgesehen ist. Obwohl die Arbeitslosigkeit im Kreis Böblingen zurückgegangen ist, gibt es viele Frauen und Männer, die über 50 Jahre alt sind und die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, die von einer Umschulung zur anderen geschoben werden und auf die Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Diese Leistungen - auch mit der vorgesehenen Erhöhung - ermöglichen kein menschenwürdiges Leben. Obwohl das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ins Stammbuch geschrieben hatte, dass der Staat den Bedürftigen eine Teilhabe am soziokulturellen Leben ermöglichen müsse, wird ihr "Kompromiss" dieser Vorgabe nicht gerecht. Wenn etwa im Pauschbetrag 22 Euro für Mobilität eingeplant sind, reicht es bei uns nicht einmal für ein Wochenticket für zwei Zonen. Wenn die Mehrheit des Parlaments die Vorgaben des höchsten Gerichts missachtet, ist es ein Skandal. Da ich als Mitglied im Finanzausschuss erlebe, wie andere Summen bewegt werden, wenn es um die Rettung von zockenden Banken geht oder wenn es darum geht, die Steuern für die Hoteliers zu senken mit Steuerverlusten von 1 Milliarde Euro, halte ich das Verhalten gegenüber den Bezieherinnen und Beziehern von Hartz IV für ungerecht und menschenunwürdig. Daher konnte ich auch nicht zustimmen. Yvonne Ploetz (DIE LINKE): Ich lehne den vorliegenden Vorschlag zur Neugestaltung der Hartz-IV-Regelungen mit äußerstem Nachdruck ab. Der Umgang mit Jugendlichen im ALG-II-Bezug macht den skandalösen Charakter der Neuregelung besonders deutlich. In meiner Begründung möchte ich deshalb auf diesen Punkt Bezug nehmen. Die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze, die in den letzten Monaten stattfand, ist unzumutbar. Die Ermittlung des neuen Regelsatzes für 14- bis 18-Jährige basiert auf insgesamt nur 168 Haushalten. Auf Basis einer solch geringen Stichprobe sind keine validen Aussagen möglich - das weiß jeder Studierende der Sozialwissenschaften im ersten Semester! Zudem finden die besonderen Bedarfe junger Menschen bei der Neuberechnung keinerlei Niederschlag. Eine gesunde Ernährung im Wachstum, Mobilität, Ausgaben für Bildung sind auch auf Grundlage der neuen Sätze einfach nicht finanzierbar. Es bleibt dabei: Hartz IV ist und bleibt eine gesetzlich verordnete Armut - auch bei Jugendlichen und auch auf Basis der neuen Sätze. Wir brauchen eine soziale Sicherung, die die Würde sozial Schwächerer sicherstellt und nicht verletzt. Ich lehne die Regelung ab, weil mit Hartz IV keine gesunde Ernährung möglich ist. Ab dem 15. Lebensjahr erhalten Jugendliche im Hartz-IV-Bezug 4,13 Euro für Nahrungsmittel. Doch selbst "wenn nur die preiswertesten Produkte in ein und derselben Einkaufstätte gekauft werden, reichen die Regelsätze im jugendlichen Alter nicht aus." Das bilanzierte das renommierte Forschungsinstitut für Kinderernährung in einer durch die Linke in Auftrag gegeben Studie. Das ist der Bundesregierung bekannt und hat bei der Neuregelung trotzdem keine Berücksichtigung gefunden. Dieser Punkt ist ein besonderer Skandal. Soziale Benachteiligung und Armut sind selbst schon in hohem Maße mit gesundheitlichen Belastungen verbunden. Die Hartz-IV-Parteien nehmen zusätzlich in Kauf, dass junge Menschen aufgrund zu geringer finanzieller Mittel einem erhöhten Krankheitsrisiko ausgesetzt sind, da sie kein Geld für eine gesunde und ausgewogene Ernährung haben, und das, obwohl jeder weiß, dass Gesundheit eine zentrale Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung der Heranwachsenden ist! Und auch die Kritik im Grundsatz bleibt bestehen. Hartz IV sollte als arbeitsmarktpolitisches Instrument Menschen wieder schnell in Beschäftigung bringen. Die verfestigte Jugendarbeitslosigkeit zeigt, dass dies auch bei Jugendlichen massiv gescheitert ist. 1-Euro-Jobs bringen für Heranwachsende gar nichts, sondern führen nur in eine Sackgasse. Und wer sich dagegen wehrt, wird sanktioniert. Ich lehne diese Regelung ab, weil die untragbare Sanktionspraxis des § 31 SGB II durch die Neuregelung nicht beendet, sondern fortgeschrieben wird. Jugendlichen kann der Regelsatz bei einem "Vergehen" sofort um 100 Prozent für drei Monate gekürzt werden. Beim zweiten Vergehen betrifft die Streichung auch die Heizkosten und Miete. Diese verfassungsrechtlich hoch- problematischen Regeln wurden durch das Gesetz nicht aufgehoben, obwohl das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für "unverfügbar" erklärt hat. Rund 900 000 junge Menschen waren 2009 auf staatliche Hilfe in Form von Hartz IV angewiesen. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 78 558 Sanktionen gegen die 15- bis 25-Jährigen ausgesprochen. Mit Meldeversäumnissen beläuft sich die Zahl auf 239 989 - so die Angaben, die ich am 19. November 2010 auf eine schriftliche Frage erhalten habe. Dem Regelsatz von 287 Euro stand ein durchschnittlicher Sanktionsbetrag von 269 Euro gegenüber. Viele waren auf Lebensmittelgutscheine angewiesen. Allein im Zeitraum von September bis Dezember wurden 9 927 Gutscheine an Jugendliche ausgegeben. Studien des Deutschen Jugendinstituts zeigen, dass junge Menschen sehr unterschiedlich auf diese Art von Druck und Sanktionen reagieren. Überschuldung im Jugendalter ist hier nur eine mögliche Folge neben Armut, Kriminalität, Vertrauensverlust, Perspektivlosigkeit und Krankheit. Sie können sich sicherlich vorstellen, was eine solche - oftmals erste - Erfahrung mit dem Sozialstaat für Auswirkungen haben kann - gerade in einer Zeit, in der junge Menschen Vertrauen in einen Staat und seine demokratische Verfasstheit erlernen sollten. Ich fasse meine Kritik zusammen: Die neue Regelung schreibt - wie die alte - per Gesetz Armut schon seit Jahren systematisch fest, und das mit einem dramatischen Ergebnis. Die Jugendarmutsquote liegt derzeit bei 19 Prozent, das ist jeder fünfte Jugendliche! Es ist Zeit für eine radikale sozial- und jugendpolitische Kehrtwende. Ich fordere das Ministerium für Arbeit und So-ziales auf, endlich ihre "Jugendverdrossenheit" abzulegen und jungen Menschen auf ihrem Weg ins Erwachsenensein die Steine aus dem Weg zu nehmen. Mechthild Rawert (SPD): In einem monatelangen Vermittlungsverfahren, welches über die vom Bundesverfassungsgericht festgelegte Frist bis zum 1. Januar 2011 hinausging, haben CDU/CSU und FDP sowie SPD einen vorläufigen Kompromiss gefunden. Das war dringend notwendig, um die Fristsetzung des Bundesverfassungsgerichts nicht noch weiter zu überschreiten, den ALG-II-Empfängern und -Empfängerinnen die notwendige Erhöhung des Regelsatzes in Kürze tatsächlich auszahlen zu können, das Bildungs- und Teilhabepaket für alle bedürftigen Kinder zu starten und die Kommunen mit den Kosten für steigende Sozialleistungen nicht weiter allein zu lassen. Die SPD hat wesentliche Erfolge errungen. Dennoch gibt es meinerseits weiterhin verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Berechnung der Regelsatzhöhe. Die Errechnung des Regelsatzes genügt meiner Meinung nach nach wie vor nicht den geforderten Kriterien des Bundesverfassungsgerichtsurteils nach einer transparenten, nachvollziehbaren und realitätsgerechten Ermittlung. Die Festlegung der Referenzgruppe ist meines Erachtens haushaltspolitisch motiviert. Allein die CDU/CSU - und FDP - geführte Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben die Verfassungsmäßigkeit der Berechnung der Regelsätze zu verantworten. Ich bedaure außerordentlich, dass eine Einigung aufgrund der vollständigen Blockade von CDU/CSU und FDP beim Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" für Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen und Stammbelegschaft unmöglich war. Im Kompromisspaket enthalten sind viele Vereinbarungen, die Berlin als Metropole mit seiner unterdurchschnittlichen Erwerbsquote von 64,9 Prozent und den rund 590 000 Arbeitslosengeld-Il-Leistungen erhaltenden Menschen, davon rund 178 000 Kinder und Jugendliche, in hohem Maße unmittelbar betreffen und insgesamt einen Fortschritt darstellen. Dazu gehört unter anderem Folgendes: Die Ausweitung des Bildungs- und Teilhabepakets auch auf Kinder von Familien mit Wohngeldansprüchen ist ein wichtiger Schritt für mehr Bildungsgerechtigkeit. Die Kostenübernahme für das Bildungs- und Teilhabepaket durch den Bund entlastet alle Kommunen, wovon Berlin in seiner schwierigen Finanzlage besonders profitiert. Zu begrüßen ist die vereinbarte Revisionsklausel, mit der sichergestellt wird, dass die Kommunen die durch die Übertragung des Bildungs- und Teilhabepakets entstehenden Kosten auch zeitnah erstattet bekommen. Auch das nützt Berlin. Die Beschäftigung von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen für Kinder und Jugendliche an Schulen in sozialen Brennpunkten ist in Berlin im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" bereits erfolgreich erprobt. Da dieses Bundesprogramm durch Schwarz-Gelb nun gestrichen wurde, ist dies ein wichtiger Teilersatz für die erfolgreiche Weiterführung der Arbeit in schwierigen Berliner Quartieren. Das kostenlose Mittagessen in Schulen, Kitas und nun auch in Horten für bedürftige Kinder ist eine gute Weiterentwicklung des Berliner Angebots. Das bundesweite Angebot unterstützt die Berliner Bildungs-, Jugendhilfe- und Sozialpolitik. Die schrittweise Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter bis 2014 durch den Bund entlastet die Berliner Kommune erheblich, da in Berlin überdurchschnittlich viele Ältere auf die Altersgrundsicherung angewiesen sind, nämlich 57 500 Ende 2009, Tendenz steigend. Die Festlegung von Mindestlöhnen für das Wach- und Sicherheitsgewerbe als auch für Beschäftigten der Aus- und Weiterbildung sowie für Beschäftigte in Zeit- und Leiharbeit sowohl in Verleihzeiten als auch in verleihfreien Zeiten schützen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Berlin und aus den europäischen Nachbarstaaten, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa ab 1. Mai 2011 gilt. In Berlin erhalten rund 120 000 Menschen zusätzliche ALG-Il-Leistungen zu ihren zum Lebensunterhalt nicht ausreichenden Niedriglöhnen. Aufwandsentschädigungen für Übungsleiter und Übungsleiterinnen, die Arbeitslosengeld II empfangen, werden nun auch zukünftig bis zu 175 Euro monatlich nicht auf den Regelsatz angerechnet. Damit werden die Bemühungen Berlins bei der Förderung ehrenamtlichen Engagements im Rahmen der Sportförderung, die ein wichtiger Bestandteil der lokalen Jugendsozialarbeit ist, weiterhin ermöglicht. Nach starkem Drängen wurde ein Prüfauftrag vereinbart mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz für die Regelbedarfsgruppe 3 zu gewähren. Die stufenweisen Erhöhungen des Regelsatzes unabhängig von den notwendigen Anpassungen aufgrund der Preis- und Lohnentwicklung sind immerhin ein erster Schritt. Nach sorgsamer Abwägung entscheide ich mich für die im Kompromiss des Vermittlungsausschusses ausgehandelten Bedingungen und werde zustimmen. Meine oben erläuterten Bedenken gegen den Kompromiss sind allerdings nicht ausgeräumt, und ich begrüße daher ausdrücklich die Ankündigung einiger Sozialverbände, an ihrer Normenkontrollklage festzuhalten. Die Ablehnung der Grünen ist für mich keine Option, weil sie die ausgehandelten Verbesserungen insbesondere für Familien mit Kindern weiter verzögern würden. Das ist aber nicht zumutbar. Ich schließe mich mit dieser Haltung der Empfehlung meiner Fraktion an. Ingrid Remmers (DIE LINKE): Ich stimme gegen den Antrag, weil der Kompromiss der Hartz-IV-Parteien zur Ermittlung der Regelsätze eine Farce ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, dass die frühere Berechnung der ALG-II-Regelsätze nicht mit Art. 1 - Würde des Menschen - und Art. 20 - Sozialstaatsprinzip - des Grundgesetzes zu vereinbaren ist. Die nun vorgelegte Berechnung entspricht nicht annähernd diesen Anforderungen und wird deshalb das Bundesverfassungsgericht erneut beschäftigen. Dasselbe gilt für die Frage, ob der Vermittlungsausschuss in seiner Zusammensetzung, das heißt unter Ausschluss der Linken, korrekt getagt hat. Abgesehen von diesen Verfahrensfehlern ist die Erhöhung um 5 Euro bzw. insgesamt 8 Euro ab dem 1. Januar 2012 weiterhin völlig unzureichend, um einen menschenwürdigen Lebensstandard zu gewährleisten. Die Sanktionsmöglichkeiten in Form von Leistungskürzungen wurden erst gar nicht diskutiert. Dabei bedrohen sie die Leistungsberechtigten in ihrer materiellen Existenz. Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft greift tief in die Persönlichkeitsrechte zusammenlebender Paare ein, und Leistungskürzungen bei Nichtannahme einer Tätigkeit sorgen weiter für eine massive Lohnentwicklung nach unten, da sie den Zwang zur Annahme von Niedriglöhnen erhöhen. Deshalb wird es für die Linke weiter heißen: Hartz IV muss weg! Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Erstens. Als Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion nehme ich zur Kenntnis, dass die schwarz-gelbe Koalition die vereinbarte Protokollerklärung "Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft" gänzlich anders interpretiert als die SPD. Während wir das Ziel des vollen Regelsatzes als unumstößlich vereinbart ansehen und nur den Weg dahin überprüfen wollen, Ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, der Auffassung, dass es in erster Linie um die Ermittlung der Höhe der Bedarfe von Menschen mit Behinderungen, die gemeinsam mit anderen leben, geht, und dass damit die Höhe des Regelsatzes weiterhin völlig offen ist. Des Weiteren beabsichtigt das BMAS offenbar, eine Änderung erst auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 vorzunehmen, und damit erst zum 1. Januar 2016. Diese Auslegung des vereinbarten Ergebnisses sowie die Verzögerung der Ausführung sind nicht hinnehmbar. Da zu erwarten ist, dass die schwarz-gelbe Koalition weiterhin versuchen wird, die Angleichung zu verschleppen, werden wir als SPD-Bundestagsfraktion das Thema weiterhin kritisch begleiten. Zweitens. In dem Vermittlungsverfahren ist es gelungen, das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf deutlich zu verbessern: Es konnte eine soziale Ausweitung erreicht werden, indem auch die Kinder von Wohngeldempfängern und -Empfängerinnen dieses in Anspruch nehmen können; durch die Änderung in der Trägerschaft vom Jobcenter zu den Kommunen und Landkreisen wird dafür gesorgt, dass Bürokratie vermieden und diejenigen mit der Erbringung der Leistungen beauftragt werden, die die Kompetenzen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit haben; zudem werden die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass - zuerst einmal bis 2013 befristet - 3 000 zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen und sozialen Brennpunkten sich um Kinder und Jugendliche kümmern können. Für die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets ist eine deutliche Entlastung der Kommunen und Kreise erreicht worden, indem der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in drei Schritten - 2012: 45 Prozent, 2013: 75 Prozent, 2014: 100 Prozent - bis zum Jahr 2014 vollständig übernehmen wird. Bis 2013 erhöht sich zudem die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft im SGB II. Drittens. Bei der Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns sowie der Durchsetzung des Prinzips "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Zeitarbeit, wodurch die Zahl derjenigen, die aufgrund unzureichender Löhne ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen müssen, reduziert werden sollte, war aufgrund der bornierten Blockadehaltung der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP und der von diesen Parteien regierten Bundesländern kein Ergebnis zu erzielen. Damit haben es diese Parteien zu verantworten, dass auch zukünftig der Niedriglohnsektor durch öffentliche Transferzahlungen finanziert werden muss. Gleichwohl konnte für den Bereich der Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze in Höhe des jeweiligen tariflichen Mindestlohnes erreicht werden; ebenso können zukünftig für die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungsbranche Mindestlöhne gelten. Viertens. Allerdings ist die Ermittlung und Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und SGB XII weiterhin unbefriedigend. Die von der SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch eine transparente Bemessung der Regelsätze und eine Förderung der Teilhabe von Kindern umsetzen" - Bundestagsdrucksache 17/3648 - formulierten verfassungsrechtlichen Bedenken konnten nicht beseitigt werden, da die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, die Bundesregierung und die CDU/CSU-geführten Länder nicht bereit waren, an den zentralen Punkten des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes Änderungen vorzunehmen. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 geforderte transparente, nachvollziehbare und realitätsgerechte Ermittlung der Regelbedarfe ist unterblieben; im Gegenteil haben Äußerungen aus dem Kreis der Bundesregierung und der Regierungskoalition deutlich gemacht, dass die Festsetzung der Regelbedarfe haushaltspolitisch motiviert ist und eben nicht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dient. Damit wird die zentrale Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes nicht umgesetzt. Es bestehen insbesondere in folgenden Punkten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken: Zirkelschlussproblematik: Das Bundesverfassungsgericht hat eine eindeutige Vorgabe gemacht, diejenigen Haushalte, deren Einkommen unterhalb der Bedarfsschwellen des SGB II/SGB XII liegt, die aber nicht die entsprechenden Leistungen in Anspruch nehmen, verdeckt Arme, bei der Bemessung der Referenzgruppe auszuschließen. Diese Vorgabe wurde nicht umgesetzt. Unzulässige Zirkelschlüsse ergeben sich auch dadurch, dass alle Haushalte, die neben den Regelleistungen des SGB II bzw. SGB XII weiteres Erwerbseinkommen erzielen, in Gänze bei den Referenzhaushalten berücksichtigt werden, selbst wenn sie nur einen einzigen Euro an zusätzlichen Einkünften erzielen. Allein die Berücksichtigung derjenigen Aufstocker und Aufstockerinnen, die nur ein Einkommen bis zu der Freibetragsgrenze von 100 Euro nach § 30 SGB II beziehen, führt dazu, dass der Regelbedarf in der Regelbedarfsstufe um 6 Euro geringer ausfällt. Interner Ausgleich: In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht das Statistikmodell, das auf den in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben basiert, als eine geeignete Methode zur Ermittlung der Regelbedarfe bezeichnet. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, politische Setzungen vorzunehmen. Allerdings hat es dabei eine kohärente und nachvollziehbare Methodenanwendung verlangt und insbesondere gefordert, dass die Regelbedarfe so zu ermitteln sind, dass für die Leistungsempfängerinnen und -empfänger, die in einzelnen Bereichen einen höheren Bedarf als den durchschnittlich ermittelten haben, ein interner Ausgleich möglich ist. Diese Anforderungen sind nicht umgesetzt worden, da eine willkürliche und methodisch falsche Herausrechnung von Verbrauchspositionen, so zum Beispiel einerseits die Ermittlung der Verkehrsausgaben auf Grundlage einer Sonderauswertung und andererseits die Nichtberücksichtigung einzelner Verbrauchspositionen in der Gesamterhebung, stattgefunden hat. Das Statistikmodell ist deshalb fehlerhaft angewendet worden. Größe der Referenzgruppe: Nicht nachzuvollziehen ist die Entscheidung, die Regelbedarfe von Erwachsenen auf der Grundlage der untersten 15 Prozent der Haushalte durchzuführen, und nicht mehr die untersten 20 Prozent als Referenzgruppe zu betrachten. Die Verkleinerung der Referenzgruppe erklärt sich einzig mit dem Ziel, die Anhebung der Regelbedarfe möglichst gering ausfallen zu lassen. Dabei ist es auch methodisch nicht nachzuvollziehen, dass für die Ermittlung der Bedarfe von Kindern weiterhin auf die untersten 20 Prozent der Paarhaushalte mit Kind abgestellt wird; für diese unterschiedliche Größe der Referenzgruppe gibt es keine systematische Begründung. Fortschreibung der in der EVS 2008 ermittelten Werte: Darüber hinaus wurde der Preisstand der in der EVS 2008 ermittelten Verbrauchsausgaben ursprünglich nur einmalig gemäß dem neu entwickelten Mischindex fortgeschrieben. Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Bundesländer konnten in den Verhandlungen durchsetzen, dass nunmehr auch die Veränderungsrate des ersten Halbjahres 2010 berücksichtigt wird. Dennoch erfolgt die so errechnete Erhöhung des Regelbedarfes um 3 Euro in der Regelbedarfsstufe 1 nicht systematisch korrekt bereits zum erstmaligen Inkrafttreten der Regelbedarfe, sondern aufgrund des massiven Widerstandes der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP erst zum 1. Januar 2012. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP zu keiner Zeit bereit waren, auf die von der SPD-Bundestagsfraktion, den SPD-geführten Bundesländern und der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken einzugehen. Es stellt sich daher die Frage der Abwägung, ob der verfassungswidrige Zustand der bisherigen Bemessung der Regelbedarfe fortbestehen soll, oder ob einem Vermittlungsergebnis, das zwar mit großen verfassungsrechtlichen Risiken behaftet ist, aber auch große Fortschritte bei der Bildungsteilhabe von Kindern, der Ausweitung von Mindestlöhnen und der Entlastung der Kommunen beinhaltet, zugestimmt werden kann. Dabei wird es unzweifelhaft zu einer Überprüfung der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe durch das Bundesverfassungsgericht kommen, wobei davon auszugehen ist, dass das Bundesverfassungsgericht die von der Bundesregierung zu verantwortenden Regelbedarfe erneut beanstanden wird. Allerdings ist durch das Vermittlungsergebnis sichergestellt, dass die Bildungsteilhabe von Kindern verbessert wird. Swen Schulz (Spandau) (SPD): In dem Vermittlungsverfahren ist es gelungen, das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf deutlich zu verbessern: - Es konnte eine soziale Ausweitung erreicht werden, indem auch die Kinder von Wohngeldempfängern und -empfängerinnen dieses in Anspruch nehmen können; - durch die Änderung in der Trägerschaft vom Jobcenter zu den Kommunen und Landkreisen wird dafür gesorgt, dass Bürokratie vermieden und diejenigen mit der Erbringung der Leistungen beauftragt werden, die die Kompetenzen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit haben; - zudem werden die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass - zuerst einmal bis 2013 befristet - 3 000 zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen und sozialen Brennpunkten sich um Kinder und Jugendliche kümmern können, - und die Kosten für das Mittagessen auch für Hortkinder übernommen werden. Für die Umsetzung des "Bildungs- und Teilhabepakets" ist eine deutliche Entlastung der Kommunen und Kreise erreicht worden, indem der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in drei Schritten, 2012: 45 Prozent, 2013: 75 Prozent, 2014: 100 Prozent, bis zum Jahr 2014 vollständig übernehmen wird. Bis 2013 erhöht sich zudem die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft im SGB II. Bei der Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns sowie der Durchsetzung des Prinzips "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Zeitarbeit, wodurch die Zahl derjenigen, die aufgrund unzureichender Löhne ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen müssen, reduziert werden sollte, war aufgrund der bornierten Blockadehaltung der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP und der von diesen Parteien regierten Bundesländer kein Ergebnis zu erzielen. Damit haben es diese Parteien zu verantworten, dass auch zukünftig der Niedriglohnsektor durch öffentliche Transferzahlungen finanziert werden muss. Gleichwohl konnte für den Bereich der Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze in Höhe des jeweiligen tariflichen Mindestlohnes erreicht werden; ebenso können zukünftig für die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungsbranche Mindestlöhne gelten. Allerdings ist die Ermittlung und Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und SGB XII weiterhin unbefriedigend. Die von der SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch eine transparente Bemessung der Regelsätze und eine Förderung der Teilhabe von Kindern umsetzen" (Drucksache 17/3648) formulierten verfassungsrechtlichen Bedenken konnten nicht beseitigt werden, da die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, die Bundesregierung und die CDU/CSU-geführten Länder nicht bereit waren, an den zentralen Punkten des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes Änderungen vorzunehmen. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 geforderte transparente, nachvollziehbare und realitätsgerechte Ermittlung der Regelbedarfe ist unterblieben; im Gegenteil haben Äußerungen aus dem Kreis der Bundesregierung und der Regierungskoalition deutlich gemacht, dass die Festsetzung der Regelbedarfe haushaltspolitisch motiviert ist und eben nicht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dient. Damit wird die zentrale Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes nicht umgesetzt. Es bestehen insbesondere in folgenden Punkten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken: - Zirkelschlussproblematik: Das Bundesverfassungsgericht hat eine eindeutige Vorgabe gemacht, diejenigen Haushalte, deren Einkommen unterhalb der Bedarfsschwellen des SGB II/ SGB XII liegen, die aber nicht die entsprechenden Leistungen in Anspruch nehmen, verdeckt Arme, bei der Bemessung der Referenzgruppe auszuschließen. Diese Vorgabe wurde nicht umgesetzt. Unzulässige Zirkelschlüsse ergeben sich auch dadurch, dass alle Haushalte, die neben den Regelleistungen des SGB II bzw. SGB XII weiteres Erwerbseinkommen erzielen, in Gänze bei den Referenzhaushalten berücksichtigt werden, selbst wenn sie nur einen einzigen Euro an zusätzlichen Einkünften erzielen. Allein die Berücksichtigung derjenigen Aufstocker und Aufstockerinnen, die nur ein Einkommen bis zu der Freibetragsgrenze von 100 Euro nach § 30 SGB II beziehen, führt dazu, dass der Regelbedarf in der Regelbedarfsstufe um 6 Euro geringer ausfällt. - Interner Ausgleich: In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht das Statistikmodell, das auf den in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben basiert, als eine geeignete Methode zur Ermittlung der Regelbedarfe bezeichnet. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, politische Setzungen vorzunehmen. Allerdings hat es dabei eine kohärente und nachvollziehbare Methodenanwendung verlangt und insbesondere gefordert, dass die Regelbedarfe so zu ermitteln sind, dass für die Leistungsempfängerinnen und -empfänger, die in einzelnen Bereichen einen höheren Bedarf als den durchschnittlich ermittelten haben, ein interner Ausgleich möglich ist. Diese Anforderungen sind nicht umgesetzt worden, da eine willkürliche und methodisch falsche Herausrechnung von Verbrauchspositionen (so zum Beispiel einerseits die Ermittlung der Verkehrsausgaben auf Grundlage einer Sonderauswertung, und andererseits die Nichtberücksichtigung einzelner Verbrauchspositionen in der Gesamterhebung) stattgefunden hat. Das Statistikmodell ist deshalb fehlerhaft angewendet worden. - Größe der Referenzgruppe Nicht nachzuvollziehen ist die Entscheidung, die Regelbedarfe von Erwachsenen auf der Grundlage der untersten 15 Prozent der Haushalte durchzuführen, und nicht mehr die untersten 20 Prozent als Referenzgruppe zu betrachten. Die Verkleinerung der Referenzgruppe erklärt sich einzig mit dem Ziel, die Anhebung der Regelbedarfe möglichst gering ausfallen zu lassen. Dabei ist es auch methodisch nicht nachzuvollziehen, dass für die Ermittlung der Bedarfe von Kindern weiterhin auf die untersten 20 Prozent der Paarhaushalte mit Kind abgestellt wird; für diese unterschiedliche Größe der Referenzgruppe gibt es keine systematische Begründung. - Fortschreibung der in der EVS 2008 ermittelten Werte Darüber hinaus wurde der Preisstand der in der EVS 2008 ermittelten Verbrauchsausgaben ursprünglich nur einmalig gemäß dem neu entwickelten Mischindex fortgeschrieben. Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Bundesländer konnten in den Verhandlungen durchsetzen, dass nunmehr auch die Veränderungsrate des ersten Halbjahres 2010 berücksichtigt wird. Dennoch erfolgt die so errechnete Erhöhung des Regelbedarfes um 3 Euro in der Regelbedarfsstufe 1 nicht systematisch korrekt bereits zum erstmaligen Inkrafttreten der Regelbedarfe, sondern aufgrund des massiven Widerstandes der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP erst zum 1. Januar 2012. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP zu keiner Zeit bereit waren, auf die von der SPD-Bundestagsfraktion, den SPD-geführten Bundesländern und der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken einzugehen. Im Ergebnis stehe ich als Bundestagsabgeordneter vor der Frage, ob ich dem Gesetz aufgrund politischer und verfassungsmäßiger Unzulänglichkeiten nicht zustimme, obwohl hinsichtlich Bildungsteilhabe und Mindestlöhne Verbesserungen erreicht sind. Letztlich gibt für mich den Ausschlag, dass ein Scheitern des Gesetzes keinerlei Verbesserungen bringen würde. Im Gegenteil würden weder das Bildungspaket noch die Mindestlöhne noch die - wenn auch zu gering berechneten - neuen Regelsätze in Kraft gesetzt. Diese ganz lebenspraktische Wirkung einer Ablehnung des Gesetzes kann ich nicht verantworten. Dabei wird es unzweifelhaft zu einer Überprüfung der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe durch das Bundesverfassungsgericht kommen, wobei davon auszugehen ist, dass das Bundesverfassungsgericht die von der Bundesregierung zu verantwortenden Regelbedarfe erneut beanstanden wird. Es wird dann Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Regelsätze neu und verfassungsfest zu berechnen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/4830 ab, weil damit weder den Anliegen der betroffenen Menschen noch den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung getragen wird. Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auch stellvertretend für die Behindertenbewegung und den von mir vertretenen Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland "Für Selbstbestimmung und Würde e. V." ab, weil damit Menschen mit Behinderungen noch schlechtergestellt werden als bisher. Trotz aller Beteuerungen von CDU/ CSU und SPD im Bundestag am 11. Februar dieses Jahres wird Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr, die bei ihren Eltern leben, der Regelsatz um 73 Euro gekürzt. Das hat mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nichts zu tun. Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ab, weil die Koalition und die SPD diese beschämende Entscheidung nicht zurückgenommen haben, sondern lediglich in einer Protokollerklärung festhalten: "Der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 wird mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen, überprüft". Das heißt, er wird erst einmal eingeführt und irgendwann einmal überprüft. Die Erfolgsmeldung der SPD, dass die Kürzung der Regelsätze für Menschen mit Behinderungen vom Tisch sei, entpuppt sich schon jetzt als Lüge. Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses ab, weil durch die Nichteinbeziehung von Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen in dieses Gesetzverfahren klar gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 4, sowie die von CDU/ CSU und FDP in der Koalitionsvereinbarung selbst formulierten Ansprüche verstoßen wird. Ich lehne die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auch als tourismuspolitischer Sprecher der Linken ab. In den Regelsätzen sind Mittel für einen Urlaub nicht vorgesehen. Dies hat Staatssekretär Hinze in seiner Antwort auf meine Frage am 6. Oktober 2010 klargestellt. Damit verwehrt die Bundesregierung Familien mit Kindern, Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Behinderungen und weiteren Geringverdienern wichtige Möglichkeiten für Erholung, Gesundheitsvorsorge und Bildung und widerspricht damit eklatant ihrem eigenen - in den tourismuspolitischen Leitlinien formulierten - Ziel der Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus. Zitat: "Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können." Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Hartz IV ist Armut per Gesetz. Daran ändert eine Erhöhung um jämmerliche fünf Euro mit einem weiteren Aufschlag um drei Euro ab 2012 gar nichts. Dieser Betrag reicht noch nicht mal aus, um den Kaufkraftverlust wettzumachen. Er reicht nicht für ein menschenwürdiges Leben - und erst recht nicht dazu, eine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Doch das war auch nicht Ziel der sogenannten Verhandlungen im Vermittlungsausschuss, die aufgrund des vernichtenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur bisherigen Praxis notwendig wurden. Die beteiligten Parteien waren sich von vornherein darin einig, dass es vor allem darum geht, ein möglichst kostengünstiges Ergebnis zu erzielen. Da die Linke als grundsätzliche Kritikerin der von SPD und Grünen eingeführten Hartz-Gesetzgebung bei den Verhandlungsrunden nur gestört hätte, wurde sie mit Verfahrenstricks ausgeschlossen - ein unglaublicher Vorgang, wenn man Demokratie ernst nimmt. Das Ergebnis der Kungelrunde ist wie erwartet: Die Hartz-IV-Parteien haben deutlich gemacht, dass soziale Gerechtigkeit für sie nicht zählt. Während für die Rettung von Banken in Windeseile Milliardenbeträge beschlossen werden, dauerte es ein geschlagenes Jahr bis zur Neuregelung von Hartz IV, die das Bundesverfassungsgericht verlangt hatte. Als sogenannter Kompromiss der wochenlangen Verhandlungen wurde schließlich ein Minimalbetrag präsentiert, der auf der manipulierten Rechnung der Bundesregierung zum Regelsatz basiert, das Ganze garniert mit einer unpraktikablen und bürokratischen Gutscheinregelung für Kinder. Es ist ein Scheinkompromiss, bei dem höchst zweifelhaft ist, ob er vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird und den die Linke verfassungsrechtlich überprüfen lassen wird. Einer solchen Regelung werde ich selbstverständlich meine Zustimmung verweigern. Wer ein soziales Gewissen hat, darf nicht bei den Ärmsten der Gesellschaft sparen, während Banken und Reiche gemästet werden. Die Linke steht für einen grundlegenden Kurswechsel: Wir setzen uns ein für eine andere Arbeitsmarktpolitik und eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten. Das demütigende Hartz-IV-System muss weg! Mindestens aber fordert die Linke einen Regelsatz für Hartz-IV-Beziehende in Höhe von 500 Euro und eine Anhebung der Leistungen für Kinder auf ein bedarfsdeckendes Niveau. Außerdem müssen endlich ein flächendeckender Mindestlohn von 10 Euro eingeführt und eine Millionärsteuer erhoben werden. Harald Weinberg (DIE LINKE): Es gibt genügend Gründe, gegen dieses Gesetz zu stimmen. Viele wichtige Argumente werden in der Debatte sicherlich noch dargestellt. Für mich persönlich spielt der Zusammenhang von Hartz IV und Krankenversicherung zudem eine wichtige Rolle, weil ich mich als Gesundheitspolitiker damit eingehend befasst habe. Die an dieser Schnittstelle existierenden und seit langem kritisierten Probleme sind mit diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht gelöst worden. Erstens betrifft das die Deckungslücke beim Basistarif in der privaten Krankenversicherung. Hier hatte die sogenannte Große Koalition Anfang 2007 eine Regelung beschlossen, die zum 1. Januar 2009 in Kraft trat. Seitdem müssen sich alle bislang Unversicherten, die der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sind, zum Beispiel Selbstständige, bei einer privaten Versicherungsgesellschaft melden. Das gilt auch für Hartz-IV-Opfer, die vor der Hilfebedürftigkeit privatversichert waren. Um auch diesen Menschen einen "bezahlbaren Krankenversicherungsschutz" zu gewähren, wurde der Basistarif ins Leben gerufen. So weit, so gut. Dieser Basistarif kostet die Hilfebedürftigen rund 290 Euro. Sie bekommen aber nur rund 130 Euro von den Jobcentern erstattet und müssen folglich rund 160 Euro aus ihrem Regelsatz an das Versicherungsunternehmen zahlen. Die Linke hat die Bundesregierung schon Ende 2008 auf dieses Problem aufmerksam gemacht und für diesen verfassungswidrigen Zustand eine Lösung gefordert. Passiert ist seitdem nichts. Die Politik, genauer gesagt die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionen, also Union und SPD und nun Union und FDP, haben versagt. Ausbügeln musste dies nun das Bundessozialgericht. Es hat im Januar 2011 klargestellt, dass die Jobcenter die gesamten Krankenversicherungskosten übernehmen müssen. Hier hätte ich mir innerhalb dieses Gesetzgebungsverfahrens eine klare und politische Lösung gewünscht. Das hat auch der Vermittlungsausschuss nicht geschafft. Auch aus diesem Grund lehne ich diesen Gesetzentwurf ab. Zweitens sind durch das GKV-Finanzierungsgesetz von Hartz IV betroffene gesetzlich Versicherte benachteiligt worden. In diesem Jahr müssen sie die kompletten Zusatzbeiträge selbst zahlen, wenn die Kasse das verlangt. Bislang gab es eine Härtefallregelung. Danach konnten die Hartz-IV-Behörden die Zusatzbeiträge wenigstens in Härtefällen übernehmen, wenn die Hilfebedürftigen in speziellen Behandlungsprogrammen ihrer Kasse eingeschrieben waren. Das betrifft chronisch Kranke Hilfebedürftige, zum Beispiel Diabetiker, deren Kasse sich speziell um die Versorgung dieser Krankheit kümmert. Erhebt diese Kasse nun zufällig Zusatzbeiträge, dann bleibt den Hilfebedürftigen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder sie wechseln die Kasse um den Preis, schlechter versorgt zu werden, oder sie zahlen ständig steigende Zusatzbeiträge, die gar nicht in dem Hartz-IV-Satz berücksichtigt sind. Auch diese Regelung hätte in dem Hartz-IV-Gesetz berücksichtigt werden müssen. Das ist nicht erfolgt, und auch deshalb lehne ich dieses Gesetz ab. Drittens: der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf eine Große Anfrage der Linken bestätigt: Gesundheitszustand und sozialer Status hängen eng zusammen. Das ärmste Fünftel hat eine bis zu zehn Jahre geringere Lebenserwartung als das reichste Fünftel in Deutschland. Zudem haben einige internationale Vergleichsstudien das folgende erstaunliche Ergebnis erbracht: Gleicht man die sozialen Verhältnisse mehr und mehr an, schafft man also mehr Gleichheit, dann profitieren die ärmeren Teile der Gesellschaft zwar gesundheitlich am meisten, aber auch die Reichen profitieren gesundheitlich. Dieses Gesetz kämpft nicht gegen Armut und schafft kein Mehr an Gleichheit, sondern es schreibt die Armutsgesetzgebung namens Hartz fort. Daher ist es auch unter den Gesichtspunkten der Prävention und Gesundheitsförderung abzulehnen, und das werde ich tun. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bärbel Bas, Gerd Bollmann, Edelgard Bulmahn, Elvira Drobinski-Weiß, Elke Ferner, Angelika Graf (Rosenheim), Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Josip Juratovic, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Katja Mast, Hilde Mattheis, Manfred Nink, Heinz Paula, Dr. Carola Reimann, Karin Roth (Esslingen), Werner Schieder (Weiden), Kerstin Tack und Rüdiger Veit (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 4) In dem Vermittlungsverfahren ist es gelungen, das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf deutlich zu verbessern: Es konnte eine soziale Ausweitung erreicht werden, indem auch die Kinder von Wohngeldempfängern und -empfängerinnen dieses in Anspruch nehmen können. Durch die Änderung in der Trägerschaft vom Jobcenter zu den Kommunen und Landkreisen wird dafür gesorgt, dass Bürokratie vermieden und diejenigen mit der Erbringung der Leistungen beauftragt werden, die die Kompetenzen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit haben. Zudem werden die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass - zuerst einmal bis 2013 befristet - 3 000 zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen und sozialen Brennpunkten sich um Kinder und Jugendliche kümmern können. Für die Umsetzung des "Bildungs- und Teilhabepakets" ist eine deutliche Entlastung der Kommunen und Kreise erreicht worden, indem der Bund die Finanzierung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in drei Schritten - 2012: 45 Prozent, 2013: 75 Prozent, 2014: 100 Prozent - bis zum Jahr 2014 vollständig übernehmen wird. Bis 2013 erhöht sich zudem die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft im SGB II. Bei der Schaffung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns sowie der Durchsetzung des Prinzips "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in der Zeitarbeit, wodurch die Zahl derjenigen, die aufgrund unzureichender Löhne ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen müssen, reduziert werden sollte, war aufgrund der bornierten Blockadehaltung der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP und der von diesen Parteien regierten Bundesländer kein Ergebnis zu erzielen. Damit haben es diese Parteien zu verantworten, dass auch zukünftig der Niedriglohnsektor durch öffentliche Transferzahlungen finanziert werden muss. Gleichwohl konnte für den Bereich der Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze in Höhe des jeweiligen tariflichen Mindestlohnes erreicht werden; ebenso können zukünftig für die Aus- und Weiterbildungsbranche und die Sicherheitsdienstleistungsbranche Mindestlöhne gelten. Allerdings ist die Ermittlung und Bemessung der Regelbedarfe im SGB II und SGB XII weiterhin unbefriedigend. Die von der SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch eine transparente Bemessung der Regelsätze und eine Förderung der Teilhabe von Kindern umsetzen", Bundestagsdrucksache 17/3648, formulierten verfassungsrechtlichen Bedenken konnten nicht beseitigt werden, da die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, die Bundesregierung und die CDU/CSU-geführten Länder nicht bereit waren, an den zentralen Punkten des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes Änderungen vorzunehmen. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 geforderte transparente, nachvollziehbare und realitätsgerechte Ermittlung der Regelbedarfe ist unterblieben; im Gegenteil haben Äußerungen aus dem Kreis der Bundesregierung und der Regierungskoalition deutlich gemacht, dass die Festsetzung der Regelbedarfe haushaltspolitisch motiviert ist und eben nicht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dient. Damit wird die zentrale Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes nicht umgesetzt. Es bestehen insbesondere in folgenden Punkten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken: Zirkelschlussproblematik: Das Bundesverfassungsgericht hat eine eindeutige Vorgabe gemacht, diejenigen Haushalte, deren Einkommen unterhalb der Bedarfsschwellen des SGB II/SGB XII liegt, die aber nicht die entsprechenden Leistungen in Anspruch nehmen - verdeckt Arme -, bei der Bemessung der Referenzgruppe auszuschließen. Diese Vorgabe wurde nicht umgesetzt. Unzulässige Zirkelschlüsse ergeben sich auch dadurch, dass alle Haushalte, die neben den Regelleistungen des SGB II bzw. SGB XII weiteres Erwerbseinkommen erzielen, in Gänze bei den Referenzhaushalten berücksichtigt werden, selbst wenn sie nur einen einzigen Euro an zusätzlichen Einkünften erzielen. Allein die Berücksichtigung derjenigen "Aufstocker" und "Aufstockerinnen", die nur ein Einkommen bis zu der Freibetragsgrenze von 100 Euro nach § 30 SGB II beziehen, führt dazu, dass der Regelbedarf in der Regelbedarfsstufe um 6 Euro geringer ausfällt. Interner Ausgleich: In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht das Statistikmodell, das auf den in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben basiert, als eine geeignete Methode zur Ermittlung der Regelbedarfe bezeichnet. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, politische Setzungen vorzunehmen. Allerdings hat es dabei eine kohärente und nachvollziehbare Methodenanwendung verlangt und insbesondere gefordert, dass die Regelbedarfe so zu ermitteln sind, dass für die Leistungsempfängerinnen und -empfänger, die in einzelnen Bereichen einen höheren Bedarf als den durchschnittlich ermittelten haben, ein interner Ausgleich möglich ist. Diese Anforderungen sind nicht umgesetzt worden, da eine willkürliche und methodisch falsche Herausrechnung von Verbrauchspositionen - so zum Beispiel einerseits die Ermittlung der Verkehrsausgaben auf Grundlage einer Sonderauswertung und andererseits die Nichtberücksichtigung einzelner Verbrauchspositionen in der Gesamterhebung - stattgefunden hat. Das Statistikmodell ist deshalb fehlerhaft angewendet worden. Größe der Referenzgruppe: Nicht nachzuvollziehen ist die Entscheidung, die Regelbedarfe von Erwachsenen auf der Grundlage der untersten 15 Prozent der Haushalte durchzuführen und nicht mehr die untersten 20 Prozent als Referenzgruppe zu betrachten. Die Verkleinerung der Referenzgruppe erklärt sich einzig mit dem Ziel, die Anhebung der Regelbedarfe möglichst gering ausfallen zu lassen. Dabei ist es auch methodisch nicht nachzuvollziehen, dass für die Ermittlung der Bedarfe von Kindern weiterhin auf die untersten 20 Prozent der Paarhaushalte mit Kind abgestellt wird; für diese unterschiedliche Größe der Referenzgruppe gibt es keine systematische Begründung. Fortschreibung der in der EVS 2008 ermittelten Werte: Darüber hinaus wurde der Preisstand der in der EVS 2008 ermittelten Verbrauchsausgaben ursprünglich nur einmalig gemäß dem neu entwickelten "Mischindex" fortgeschrieben. Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Bundesländer konnten in den Verhandlungen durchsetzen, dass nunmehr auch die Veränderungsrate des ersten Halbjahres 2010 berücksichtigt wird. Dennoch erfolgt die so errechnete Erhöhung des Regelbedarfes um 3 Euro in der Regelbedarfsstufe 1 nicht systematisch korrekt bereits zum erstmaligen Inkrafttreten der Regelbedarfe, sondern aufgrund des massiven Widerstandes der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP erst zum 1. Januar 2012. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP zu keiner Zeit bereit waren, auf die von der SPD-Bundestagsfraktion, den SPD-geführten Bundesländern und der gesamten Fachwelt geäußerten Bedenken einzugehen. Es stellt sich daher die Frage der Abwägung, ob der verfassungswidrige Zustand der bisherigen Bemessung der Regelbedarfe fortbestehen soll oder ob einem Vermittlungsergebnis, das zwar mit großen verfassungsrechtlichen Risiken behaftet ist, aber auch große Fortschritte bei der Bildungsteilhabe von Kindern, der Ausweitung von Mindestlöhnen und der Entlastung der Kommunen beinhaltet, zugestimmt werden kann. Dabei wird es unzweifelhaft zu einer Überprüfung der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe durch das Bundesverfassungsgericht kommen, wobei davon auszugehen ist, dass das Bundesverfassungsgericht die von der Bundesregierung zu verantwortenden Regelbedarfe erneut beanstanden wird. Allerdings ist durch das Vermittlungsergebnis sichergestellt, dass die Bildungsteilhabe von Kindern verbessert wird. In Würdigung des Gesamtergebnisses werden wir dem Vermittlungsergebnis zustimmen, wobei wir hinsichtlich der Ermittlung und Festsetzung der Regelbedarfe unsere verfassungsrechtlichen Bedenken aufrechterhalten. Anlage 5 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes (93. Sitzung, Tagesordnungspunkt 16) Dieter Jasper (CDU/CSU): Die christlich-liberale Koalition hat sich darauf verständigt, die Revisionsklausel aus dem Steinkohlefinanzierungsgesetz zu streichen, da sie im Widerspruch zum Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Steinkohlebeihilferegelung steht, in der die endgültige Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Bergwerke geregelt wird. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde vom Kabinett am 17. November 2010 beschlossen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Februar 2011 entschieden, gegen diesen Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben. Von dieser Entscheidung sind insbesondere die Bürgerinnen und Bürger in meinem Wahlkreis direkt betroffen. Dieser Wahlkreis befindet sich im Münsterland in Nordrhein-Westfalen. Er umfasst das gesamte Tecklenburger Land sowie die Emsgemeinden Greven, Emsdetten und Saerbeck. In Ibbenbüren im Tecklenburger Land liegt eine der letzten Steinkohlezechen in Deutschland. Hier wird schon seit langer Zeit hochwertige Anthrazitkohle gefördert. Diese wird zu einem großen Teil im direkt anliegenden hocheffizienten Kohlekraftwerk verfeuert und zum anderen Teil für den regionalen Wärmemarkt verwendet. Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Bergbaus für die Stadt Ibbenbüren und die umliegenden Bergbaugemeinden Mettingen, Recke, Hopsten, Hörstel und Westerkappeln ist enorm. In der Bevölkerung und über alle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg herrscht eine hohe Akzeptanz. Im Bergbau sind derzeit direkt über 2 300 Menschen beschäftigt, im Bereich der Zulieferbetriebe sind im Laufe der Zeit mehrere Tausend Arbeitsplätze entstanden. Auch im Bereich der Ausbildung leistet die Zeche ganz hervorragende und unverzichtbare Arbeit. Eine meiner Grundaussagen im Wahlkampf 2009 war, dass ich mich mit ganzer Kraft für den Erhalt des Steinkohlenbergbaus gerade in unserer Region einsetzen werde. An dieses Versprechen habe ich mich gehalten und gemeinsam mit vielen Akteuren aus unserer Region und der Bundesregierung für den Erhalt des subventionierten Steinkohlenbergbaus in Deutschland gekämpft, als die EU-Kommission vorgeschlagen hat, den Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau bereits für das Jahr 2014 vorzusehen. Dieser Beschluss hat in meiner Heimatregion zu großen Irritationen und Verunsicherungen geführt. Der zwischen allen Beteiligten mühsam gefundene Kompromiss, den Steinkohlenbergbau bis zum Jahr 2018 sozialverträglich zu beenden, sollte auf einmal nicht mehr gelten. Betriebsbedingte Kündigungen standen im Raum. Diese Situation konnten die Menschen im Tecklenburger Land zu Recht nicht verstehen. Die Verlässlichkeit und die Glaubwürdigkeit politischer Entscheidungen standen auf dem Spiel. Schon sehr frühzeitig habe ich mich damals an unsere Kanzlerin Frau Dr. Angela Merkel mit der Bitte um Unterstützung gewandt. Die Bundeskanzlerin hat ihre Hilfe zugesagt und sich in den folgenden Wochen und Monaten als Fels in der Brandung erwiesen und sich auf nationaler und europäischer Ebene nachhaltig und unbeirrbar für den Erhalt der ursprünglichen Regelung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes eingesetzt. Besondere Unterstützung haben wir auch durch den Chef des Bundeskanzleramtes, Ronald Pofalla, und den Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Peter Hintze, erfahren. Insbesondere durch ihre unermüdliche Arbeit auf europäischer Ebene konnte in letzter Konsequenz erreicht werden, dass der Vorschlag der EU-Kommission im Hinblick auf einen Ausstieg im Jahr 2014 revidiert wurde. Das war ein wirklich seltener und bemerkenswerter Vorgang. Der Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau in Deutschland und in meiner Heimatregion kann jetzt sozialverträglich gestaltet werden. Kein Bergmann fällt ins Bergfreie. Das ist die gute Nachricht, und ich möchte allen Beteiligten ausdrücklich für ihren enormen Einsatz danken. Leider gab es aber auch zwei bittere Pillen zu schlucken. Zum einen müssen die gewährten Beihilfen schneller als ursprünglich geplant zurückgezahlt werden. Hier besteht aber die Hoffnung, dass sich dies durch zusätzliche Anstrengungen und Bemühungen vor Ort realisieren lässt. Weit problematischer ist der Wegfall der sogenannten Revisionsklausel. Hier ist gerade unser Standort im Tecklenburger Land betroffen. Die EU-Kommission hat zur Voraussetzung der Revidierung ihres Beschlusses hinsichtlich eines vorzeitigen Ausstiegs aus dem Steinkohlebergbau gemacht, dass die Stilllegung der deutschen Bergbaubetriebe unumkehrbar sein muss. Aus diesem Grund musste von deutscher Seite zugestanden werden, dass die im Jahr 2012 geplante Überprüfung des Ausstiegsbeschlusses aus dem Steinkohlefinanzierungsgesetz nicht mehr durchgeführt wird. Viele Bergleute haben aber ihre Hoffnung auf diese Revisionsklausel gesetzt, wie realistisch das auch immer gewesen sein mag. Nach heutigem Stand würde eine Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Steinkohlenbergbaus wahrscheinlich zu keinem anderen Ergebnis als vor einigen Jahren führen; dennoch wäre das noch immer eine, wenn auch geringe, Chance für den Bergbau in Deutschland und bei uns gewesen. Diese Chance gibt es nun nicht mehr. Der von der EU geforderte endgültige Ausstieg wird unumkehrbar. Das wichtigste Ziel eines sozialverträglichen Ausstiegs aus dem Steinkohlenbergbau ist jedoch erreicht worden. Der von mir gewünschte und propagierte Erhalt der Revisionsklausel ist nicht gelungen. In dem Bewusstsein, dass das Mögliche erreicht worden ist, fühle ich mich dennoch an mein Versprechen gebunden und werde einem Streichen der Revisionsklausel aus dem Steinkohlefinanzierungsgesetz nicht zustimmen. Es ist aber nicht nur das Einlösen dieses Versprechens, das meine Ablehnung des Gesetzes begründet. Ich möchte auch meiner tiefen Überzeugung Ausdruck verleihen, dass es meines Erachtens ein Fehler ist, eine der letzten nationalen Energiereserven, die wir in Deutschland haben, aufzugeben. Bei aller wünschenswerten Förderung alternativer, regenerativer Energieträger halte ich es für fahrlässig, die vorhandenen fossilen Energieträger wie die Steinkohle nicht weiter zu nutzen. Für mich ist ein Energiemix anzustreben, der nicht nur sauber, sondern auch sicher und bezahlbar ist. Hierzu könnte die Steinkohle, gerade die Anthrazitkohle aus Ibbenbüren, einen guten Beitrag leisten. Trotz meiner grundsätzlichen Bedenken möchte ich noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich die Verlässlichkeit unserer Kanzlerin und die konsequente Arbeit der Regierungsmitarbeiter sehr zu würdigen weiß und meine Ablehnung des Gesetzes keine Kritik an ihrer Arbeit ist. Im Gegenteil: Mir ist bewusst, dass ohne diese Unterstützung das wichtigste Ziel eines sozialverträglichen Ausstiegs bis zum Jahr 2018 niemals erreicht worden wäre. Dennoch werde ich aus den genannten Gründen das Gesetz in der vorliegenden Form ablehnen. Anlage 6 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 879. Sitzung am 11. Februar 2011 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: - Gesetz zur Umsetzung der Zweiten E-Geld-Richtlinie - Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung erneut, in das Energiesteuergesetz zu Gunsten einer klima- und umweltfreundlichen Versorgung eine Regelung zur steuerlichen Entlastung von Fernwärme aufzunehmen. Begründung: Die Fernwärme leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Klima- und Umweltziele Deutschlands. Insbesondere in Verbindung mit der Kraft- Wärme-Kopplung (KWK) sowie bei der Nutzung von Abwärme bietet sie eine hocheffiziente Verwendung regenerativer und fossiler Energieträger sowie die Nutzung erneuerbarer Energien für Ballungsräume, die ein relativ begrenztes Dachpotenzial und eingeschränkte Möglichkeiten für die Nutzung von Wärmepumpen auf der Basis von Erd- oder Umweltwärme aufweisen. Darüber hinaus reduzieren moderne hocheffiziente Fernwärmeanlagen im Vergleich zu Einzelheizungen die Bildung von Feinstaub und luftgetragenen Schadstoffen und tragen somit zu einer Verbesserung der Luftqualität in städtischen Verdichtungsräumen bei. Eine steuerliche Entlastung der Fernwärme im Energiesteuergesetz ist wichtig und notwendig, um das von der Bundesregierung gesetzte Ziel, den KWK-Anteil an der gesamten Stromerzeugung bis 2020 auf 25 Prozent zu erhöhen, nicht zu gefährden. Neben KWK-Anlagen sind Heizwerke ein wichtiger und notwendiger Bestandteil in den meisten Fernwärmenetzen. Sie gewährleisten nicht nur die effiziente Abdeckung von Bedarfsspitzen, sondern auch den ökologisch und ökonomisch sinnvollen Ausbau von Wärmenetzen. Die an die Fernwärmenetze angeschlossenen Heizsysteme unterliegen in der Regel dem Emissionshandel und treten auf dem Wärmemarkt in Konkurrenz mit anderen Heizlösungen, die nicht am Emissionshandel teilnehmen, sodass keine vergleichbaren Ausgangsbedingungen auf dem Wärmemarkt bestehen. Durch die steuerliche Entlastung könnten bestehende Wettbewerbsnachteile zu Gunsten der Fernwärme abgebaut und ein Beitrag zur Vermeidung der Steigerung der Mietnebenkosten geleistet werden. - Zweites Gesetz zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes und der Flächenerwerbsverordnung (Zweites Flächenerwerbsänderungsgesetz - 2. FlErwÄndG) - Gesetz zur Anpassung des deutschen Rechts an die Verordnung (EG) Nr. 380/2008 des Rates vom 18. April 2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige - Gesetz zu dem Zusatzprotokoll vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art - Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/Jl des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art - Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates - Gesetz zur Neuregelung des Post- und Telekommunikationssicherstellungsrechts und zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften - Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Eichgesetz sowie im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz und zur Änderung des Verwaltungskostengesetzes, des Energiewirtschaftsgesetzes und des Energieleitungsausbaugesetzes - Gesetz zu dem Protokoll vom 23. Juni 2010 zur Änderung des Protokolls über die Übergangsbestimmungen, das dem Vertrag über die Europäische Union, dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft beigefügt ist Der Bundesrat stellt fest, dass das Gesetz gemäß Artikel 23 Absatz 1 des Grundgesetzes seiner Zustimmung bedarf. Begründung: Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil (Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, Rn. 243) festgestellt hat, gilt für die europäische Integration der besondere Gesetzesvorbehalt des Artikels 23 Absatz 1 Satz 2 und ggf. Satz 3 GG, wonach Hoheitsrechte nur durch Gesetz und mit Zustimmung des Bundesrates übertragen werden können. Dieser Gesetzesvorbehalt ist "zur Wahrung der Integrationsverantwortung und zum Schutz des Verfassungsgefüges so auszulegen, dass jede Veränderung der textlichen Grundlagen des europäischen Primärrechts erfasst wird. Die Gesetzgebungsorgane des Bundes betätigen somit auch bei vereinfachten Änderungsverfahren oder Vertragsabrundungen, bei bereits angelegten, aber der Konkretisierung durch weitere Rechtsakte bedürftigen Zuständigkeitsveränderungen und bei Änderung der Vorschriften, die Entscheidungsverfahren betreffen, ihre dem Ratifikationsverfahren vergleichbare politische Verantwortung. Dabei bleibt ein der Ratifikationslage entsprechender Rechtsschutz gewahrt." Wenn der besondere Gesetzesvorbehalt des Artikels 23 Absatz 1 GG, wie auch im Integrationsverantwortungsgesetz klargestellt, schon bei vereinfachten und besonderen Vertragsänderungsverfahren, der Anwendung von Brückenklauseln oder der Flexibilitätsklausel Anwendung findet, so muss dies erst recht bei Vertragsänderungen im ordentlichen Änderungsverfahren nach Artikel 48 Absatz 2 bis 4 EUV wie hier gelten. - Gesetz zu dem Änderungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen vom 17. Oktober 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer - Gesetz zu dem Abkommen vom 29. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Vincent und die Grenadinen über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch - Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Juni 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Lucia über den Informationsaustausch in Steuersachen - Gesetz zu dem Protokoll vom 17. Juni 2010 zur Änderung des Abkommens vom 8. März 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 zur Verhütung des Terrorismus - Gesetz zu dem Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen vom 12. Dezember 2006 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (Vertragsgesetz Europa-Mittelmeer-Luftverkehrsabkommen - Euromed LuftvAbkG-Marok) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Naturlandschaft Senne erhalten - Beteiligungsrechte beim Ausbau des Truppenübungsplatzes gewährleisten auf Drucksache 17/2483 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - Unterrichtung durch die Bundesregierung Achtzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2008/2009 - Drucksachen 17/2600, 17/2971 Nr. 1.6 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2010/11 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 17/3700 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Achtzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2008/2009 - Drucksache 17/2600 - hier: Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksachen 17/4305, 17/4499 Nr. 1.8 - - Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2011 der Bundesregierung - Drucksache 17/4450 - Ausschuss Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwischenbericht der Bundesregierung über die Verbesserung von Infrastruktur und Marketing für den Wassertourismus in Deutschland - Drucksachen 17/2538, 17/2971 Nr. 1.4 - Petitionsausschuss - Bericht gemäß § 56a GO-BT des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Technikfolgenabschätzung (TA) Öffentliche elektronische Petitionen und bürgerschaftliche Teilhabe - Drucksachen 16/12509, 17/591 Nr. 1.8 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/4509 Nr. A.2 EuB-BReg 129/2010 Drucksache 17/4509 Nr. A.3 EuB-BReg 134/2010 Drucksache 17/4509 Nr. A.4 EuB-EP 2095; P7_TA-PROV(2010)0419 Drucksache 17/4598 Nr. A.2 EuB-EP 2117; P7_TA-PROV(2011)0490 Rechtsausschuss Drucksache 17/3955 Nr. A.3 Ratsdokument 15319/10 Finanzausschuss Drucksache 17/4509 Nr. A.11 Ratsdokument 17849/10 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/4509 Nr. A.17 Ratsdokument 17296/10 Drucksache 17/4509 Nr. A.18 Ratsdokument 17565/10 Drucksache 17/4509 Nr. A.19 Ratsdokument 17678/10 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/1492 Nr. A.27 EuB-EP 2013; P7_TA-PROV(2010)0039 Drucksache 17/1821 Nr. A.10 EuB-EP 2015; P7_TA-PROV(2010)0046 Drucksache 17/2580 Nr. A.9 EuB-EP 2045; P7_TA-PROV(2010)0182 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/2071 Nr. A.27 Ratsdokument 8443/10 Drucksache 17/2071 Nr. A.28 Ratsdokument 8585/10 Drucksache 17/2994 Nr. A.47 EuB-EP 2065; P7_TA-PROV(2010)0285 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/790 Nr. 1.40 Ratsdokument 17559/08 Drucksache 17/1492 Nr. A.30 Ratsdokument 8898/10 Drucksache 17/1492 Nr. A.31 EuB-EP 2010; P7_TA-PROV(2010)0019 Drucksache 17/1492 Nr. A.32 Ratsdokument 7438/10 Drucksache 17/2224 Nr. A.7 Ratsdokument 9955/10 Drucksache 17/2408 Nr. A.30 Ratsdokument 10230/10 Drucksache 17/2408 Nr. A.31 Ratsdokument 10554/10 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/3791 Nr. A.18 EuB-EP 2071; P7_TA-PROV(2010)0310 Drucksache 17/3791 Nr. A.19 EuB-EP 2075; P7_TA-PROV(2010)0350 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/4338 Nr. A.19 Ratsdokument 16146/10 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 17/2408 Nr. A.35 EuB-EP 2029; P7_TA-PROV(2010)0129 1Anlagen 2 bis 4 2Seite 10 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 10714 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 94. Sitzung, Berlin, Freitag, den 25. Februar 2011 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 94. Sitzung, Berlin, Freitag, den 25. Februar 2011 10715 Deutscher Bundestag - 15. Wahlperiode - 38. Sitzung - 4. April 2003 4 10810 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 94. Sitzung, Berlin, Freitag, den 25. Februar 2011 Deutscher Bundestag - 17. Wahlperiode - 94. Sitzung, Berlin, Freitag, den 25. Februar 2011 10809