Plenarprotokoll 17/131 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. September 2011 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 28: Vereinbarte Debatte: 50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit – 50 Jahre verlässliche Entwicklungspartnerschaften Harald Leibrecht (FDP) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) Heike Hänsel (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD) Joachim Günther (Plauen) (FDP) Niema Movassat (DIE LINKE) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Helmut Heiderich (CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 29: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Altersarmut in Deutschland (Drucksachen 17/3139, 17/6317) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anette Kramme (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Pascal Kober (FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Angelika Krüger-Leißner (SPD) Pascal Kober (FDP) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Elke Ferner (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Frank Heinrich (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (Drucksachen 17/5894, 17/7170) Beatrix Philipp (CDU/CSU) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) Reiner Deutschmann (FDP) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Andrej Hunko, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Bedeutung von Whistleblowing für die Gesellschaft anerkennen – Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen (Drucksache 17/6492) Karin Binder (DIE LINKE) Gitta Connemann (CDU/CSU) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leidig (DIE LINKE) Kerstin Tack (SPD) Pascal Kober (FDP) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz – EinsatzVVerbG) (Drucksache 17/7143) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg Fritz Rudolf Körper (SPD) Elke Hoff (FDP) Harald Koch (DIE LINKE) Henning Otte (CDU/CSU) Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jürgen Hardt (CDU/CSU) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 131. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. September 2011 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich. Heute Morgen kann ich nicht mit zusätzlichen Mitteilungen dienen, weder zu Umbesetzungen von Gremien noch zu Änderungen der Tagesordnung, sodass wir gleich zu unserem Tagesordnungspunkt 28 kommen: Vereinbarte Debatte 50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit – 50 Jahre verlässliche Entwicklungspartnerschaften Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Harald Leibrecht für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Harald Leibrecht (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mittlerweile 50 Jahren gibt es das Bundesentwicklungsministerium, und die deutsche Entwicklungspolitik hat viel erreicht. Ich bewundere Walter Scheel, den Gründer des BMZ, der schon in den Kinderjahren deutscher Entwicklungspolitik die zukünftigen Herausforderungen erkannt hat. So sagte er bereits 1964 – ich zitiere –: Deutschlands Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern geht jeden von uns an. … Wir können diese Herausforderung nur dann zu einer geschichtlichen Chance gestalten, wenn alle Bürger unserer res publica bereit sind, diese Herausforderung anzunehmen, und ihr im Geist menschlicher Solidarität zu begegnen. Walter Scheel ist es wesentlich zu verdanken, dass Entwicklungspolitik in Deutschland von Anfang an auf einem überparteilichen Konsens fußt, dass sie breite Akzeptanz in der Bevölkerung genießt. 50 Jahre BMZ und deutsche Entwicklungszusammenarbeit bedeuten jedoch nicht 50 Jahre dieselbe Politik. Zwölf Minister haben seit 1961 die Entwicklungspolitik mitgestaltet und sie an die Herausforderungen der Zeit angepasst. Leider kann ich in der kurzen Zeit nicht alle angemessen würdigen. Die erste Frau in diesem Amt war Entwicklungsministerin Marie Schlei. Sie erkannte in den 1970er-Jahren das Potenzial der Frauen für die Entwicklung ihrer Länder. Carl-Dieter Spranger baute nach der Wiedervereinigung eine gesamtdeutsche EZ auf und unterstützte die Transformationsprozesse in den ehemaligen Ostblockstaaten. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für eine starke EZ eingesetzt. Unter Bundesminister Niebel erfährt die Kooperation mit der Wirtschaft und mit der Zivilgesellschaft eine stärkere Akzentuierung. (Zuruf von der SPD: Aber keine Akzeptanz!) Nur wenn Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen, kann nachhaltige Entwicklungspolitik und Entwicklung gelingen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich begrüße außerdem, dass das Thema „Effektivität der Hilfe und effizienter Mitteleinsatz“ in Zeiten knapper öffentlicher Kassen wieder ganz oben auf der Agenda steht. Hilfe zur Selbsthilfe war, ist und bleibt die Leitlinie deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Denn wir können ein Land letztendlich nicht entwickeln; das kann ein Land nur aus eigener Kraft selber schaffen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir können aber die notwendigen Werkzeuge bereitstellen, in erster Linie sicherlich Geld, aber auch Experten und Know-how, um diese Entwicklung zu ermöglichen. Die Herausforderungen sind gestern wie heute groß. Noch immer leben Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern in extremer Armut, sterben Mütter und Kinder an vermeidbaren Krankheiten und bleibt Millionen Menschen der Zugang zu Gesundheitsvorsorge, Nahrung und sauberem Trinkwasser verwehrt. Auch nach 50 Jahren werden das BMZ und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit dringend benötigt. Als eine der weltweit wichtigsten Wirtschaftsnationen trägt Deutschland eine besondere Verantwortung, die Schwächsten der Welt auf ihrem Weg aus der Armut zu unterstützen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei sollten wir nicht vergessen, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Empfängerland internationaler Entwicklungshilfe war. Die Hilfen der USA in Form des Marshallplans waren eine wichtige Voraussetzung für die rasante Wirtschaftsentwicklung und die Festigung der parlamentarischen Demokratie im Nachkriegsdeutschland. Die Deutschen haben in ihrer Geschichte selber erlebt, was internationale Hilfe und Zusammenarbeit bewirken können. Kritikern möchte ich an dieser Stelle sagen, dass Entwicklungszusammenarbeit keine Einbahnstraße ist. Auch die Geberländer profitieren von der Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Förderung von Sicherheit und Frieden in der Welt. Wenn wir unseren Wohlstand in Deutschland sichern und ausbauen möchten, müssen wir auch dafür sorgen, dass die Menschen in den Entwicklungsländern eine bessere Zukunft haben. Deutschland hat dank der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weltweit einen hervorragenden Ruf als verlässlicher Partner. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit sowie der KfW Entwicklungsbank würdigen. Mit ihrem Know-how leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Partnerländer und erfahren dafür weltweit Lob und Anerkennung. Dank gilt auch den deutschen Entwicklungshelfern, die in vielen Ländern der Erde unter oft schwierigsten Bedingungen eine wunderbare Arbeit leisten. (Beifall der Abg. Helga Daub [FDP]) In fünf Jahrzehnten haben die Bürger unseres Landes mit ihren Steuergeldern und ihrem Engagement einen großen Beitrag dazu geleistet, dass Hunger und Elend in der Welt bekämpft wurden. Ein Minister oder ein Ministerium alleine kann niemals all das leisten, was wir als bürgerschaftliches Engagement bezeichnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es sind nicht nur die großen Hilfsorganisationen, die seit vielen Jahren ganz hervorragende Arbeit leisten, sondern auch die vielen namenlosen Initiativen einzelner Menschen, von Schulen, Städten und Kommunen. Dies macht mich als Parlamentarier, der in diesem Bereich tätig ist, sehr stolz auf meine Landsleute. Das BMZ wirbt auf seiner Homepage mit dem Slogan „Wir machen Zukunft. Machen Sie mit“. Dazu möchte auch ich an dieser Stelle aufrufen. 50 Jahre Entwicklungszusammenarbeit haben gezeigt: Es lohnt sich. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nachdem der Kollege Leibrecht schon eine Reihe der bedeutenden Entwicklungspolitiker – aber natürlich bei weitem nicht alle – namentlich genannt hat, freue ich mich besonders, dass ich auf der Besuchertribüne Erhard Eppler und Egon Bahr begrüßen darf, (Beifall) die dieses Thema und das dafür verantwortliche Ministerium über viele Jahre geprägt und begleitet haben. Seien Sie herzlich willkommen im Deutschen Bundestag und herzlich bedankt für den Beitrag, den Sie zu diesem wichtigen Thema geleistet haben. (Beifall) Ich erteile das Wort nun der Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere an diesem Tag an den ersten Minister, der dieses Ministerium ab 1961 leitete: Walter Scheel. Er hat damals gesagt – ich zitiere –: Es geht darum, die Kluft zwischen reichen und armen Völkern zu beseitigen, … die Spannungen auf der Welt abzubauen, damit wir in Frieden leben können. Das ist heute noch aktuell. Diese Position war umso wichtiger, als im Zeichen der Ost-West-Konfrontation die Spaltung auch durch die sogenannte Dritte Welt und durch Afrika verlief. Unter der Amtsführung von Hans-Jürgen Wischnewski ab 1966 gelang es schrittweise, das Ministerium von der Orientierung an der Hallstein-Doktrin und von der Außenwirtschaftsbindung durch das Wirtschaftsministerium zu lösen. Erhard Eppler ist schon begrüßt worden. Ich sage an dieser Stelle: Er hat eine Vorreiterrolle eingenommen. Er hat die Grundbedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt gestellt, die Aspekte des Klima- und Umweltschutzes integriert und mehr Kompetenzen im Entwicklungsministerium gebündelt. Seine Arbeit war wegweisend für unsere moderne Entwicklungspolitik. Ich danke ihm – ich denke, auch in Ihrem Namen – für sein ganz besonderes Engagement. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Egon Bahr hat von 1974 an das Entwicklungsministerium geleitet und seinen außenpolitischen Grundsatz „Wandel durch Zusammenarbeit“ auf die Suche nach einer Lösung im sich zuspitzenden Nord-Süd-Konflikt übertragen. Auch ihn grüßen wir und danken ihm für sein Engagement. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Marie Schlei, die so früh starb, hat 1976 als erste Frau die Leitung des BMZ übernommen und dabei vor allen Dingen den heute noch aktuellen Grundsatz verankert, dass nämlich Entwicklungsprozesse ohne das Engagement von Frauen keine Effizienz und keine Wirksamkeit haben. Wir danken ihr dafür sehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Die Entwicklungsminister, die folgten, Jürgen Warnke von 1982 an und Hans Klein von 1987 bis 1989, hatten mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise und dem Anwachsen des Marktradikalismus von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auch in der Entwicklungspolitik zu kämpfen, und sie haben sich dem oft auch entgegengestellt. Von 1991 bis 1998 vertrat Carl-Dieter Spranger (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Guter Mann!) die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Er hat die Entwicklungszusammenarbeit den Ost-West-Beziehungen und den Veränderungen nach dem Wegfall der Blockkonfrontation angepasst. Obwohl wir aus unterschiedlichen Parteien stammen – er aus der CSU, ich bin Sozialdemokratin –, haben wir auch nach seinem Ausscheiden aus dem BMZ eine sehr gute Zusammenarbeit praktiziert. Ich danke ihm ausdrücklich dafür. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin dankbar, dass ich selbst von 1998 bis 2009, also für elf Jahre, dieses Ministerium leiten durfte. Ich habe immer auch parteiübergreifende Kooperationen erlebt. Übrigens kam in der Zeit der rot-grünen Koalition eine Staatssekretärin im Entwicklungsministerium vom Bündnis 90/Die Grünen. Dieses Ministerium ist durch all diese Minister und Ministerinnen gestaltet worden. Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich als ein lernendes System erwiesen. Wenn Fehler gemacht worden sind, dann sind sie erkannt und auch überwunden worden. Jeder und jede dieser Minister und Ministerinnen hat eigene Akzente gesetzt. Ich danke Ihnen allen und vor allen Dingen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des deutschen Entwicklungsministeriums sowie all denen – Gewerkschaften, Kirchen –, die sich in diesem Bereich engagieren. Ein herzliches Dankeschön. Sie haben sich für die Gerechtigkeit in der Welt engagiert. (Beifall im ganzen Hause) Dieses Ministerium ist ein kostbares Gut, das es im Sinne des Erhalts von Soft Power entschlossen zu verteidigen gilt. Deshalb haben wir es bewusst als eigenständiges Ministerium erhalten wollen. Ich bin im Übrigen dankbar, dass die Leitung in über 30 von diesen 50 Jahren in den Händen von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lag und die Entwicklungszusammenarbeit von diesen gestaltet werden konnte. Keiner dieser Minister und keine dieser Ministerinnen hat es verdient, dass das BMZ der Jahre zuvor vom jetzt amtierenden Entwicklungsminister als „Almosenministerium“ diffamiert wird. (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Das ist eine Diffamierung gegenüber den Beschäftigten und all denen, die sich engagieren. Herr Niebel, ich darf auch das sagen: Wenn Sie Ihre eigene Erfahrung aus den letzten zwei Jahren ehrlich einräumen würden, dann müssten Sie öffentlich eingestehen, dass es ein dem Populismus geschuldeter Fehler war, dass die FDP das Entwicklungsministerium auflösen wollte. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jeder, der genauer hinsieht, stellt fest: Sie, der Sie mich als Linke Heidemarie Wieczorek-Zeul bezeichnet haben, haben viel mehr meiner Prägung des Entwicklungsministeriums beibehalten, als Sie es offen eingestehen wollen. Das zeigt sich gerade in den letzten Strategiepapieren zu den Menschenrechten und zur ländlichen Entwicklung. Ich will aber auch sagen: Es gibt falsche Weichenstellungen, die an diesem Tag auch angesprochen werden müssen. Die erste dieser falschen Weichenstellungen ist eine Form der Renationalisierung von Entwicklungspolitik. Die strikte Bindung von zwei Dritteln der deutschen Mittel für bilaterale Projekte stellt deutsche Außenwirtschaftsinteressen in den Vordergrund. Das aber ist eine Aufgabe anderer Ressorts, unter anderem des Wirtschaftsministeriums. Wer das tut, entleert die Bedeutung des Entwicklungsministeriums. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der zweite Punkt. In manchen Bereichen drohen die Grenzen zwischen Militär- und ziviler Entwicklungspolitik verwischt zu werden. Dritter Punkt. Als Rainer Offergeld – bis 1982 – noch Minister war, betrug der Anteil der Mittel für die deutsche Entwicklungspolitik 0,48 Prozent. Wir waren also dem 0,7-Prozent-Ziel schon relativ nahe. Herr Ruck, der nach mir spricht, und Sie alle wissen: Ich habe immer und immer wieder dafür gekämpft und bin jedem Finanzminister – um es höflich auszudrücken – nahegerückt, dass die Mittel in diesem Bereich aufgestockt werden sollten. Und wir haben bis zum Ende der Großen Koalition im Jahr 2009 eine Steigerung von 0,26 Prozent im Jahr 1998 auf 0,35 Prozent geschafft. Herr Niebel, ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie die Vorlage von über 300 Mitgliedern dieses Hauses aus allen Fraktionen – diese haben sehr, sehr deutlich gesagt: Stocken Sie die Mittel im Haushalt deutlich auf – in keiner Weise aufgenommen haben. Stattdessen stagnieren die Mittel des Entwicklungshaushalts. Das ist unakzeptabel, wir dürfen das auch nicht zulassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft – ich freue mich, dass auch die Vertreter der Kirchen hier sind –, mit den Nichtregierungsorganisationen und mit Gewerkschaften hat für mich immer einen ganz besonderen Stellenwert gehabt. Mit ihnen sowie mit fortschrittlichen Regierungen zusammen haben wir wichtige Erfolge im Hinblick auf die Millenniumsentwicklungsziele erreicht. Dass in Afrika heute über 34 Millionen Kinder mehr in die Schule gehen können, ist ein Erfolg der multilateralen Entschuldung im Umfang von 125 Milliarden USDollar. Sie wurden zur Bekämpfung von Armut und Aids eingesetzt. Des Weiteren wurden sie mit eingesetzt zur Bekämpfung von Hunger in dieser Welt. Das sind wichtige Investitionen. Dass 7 Millionen Menschen vor dem Aids-Tod gerettet werden konnten, zeigt: Entwicklung, die auf Partnerschaft setzt, wirkt. Sie muss fortgesetzt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang sind übrigens die wirklich verheerenden Strukturanpassungsprogramme des IWF überwunden worden. Wir haben die Weltbank umorientiert: weg vom Marktradikalismus der 80er- und 90er-Jahre. Die Millenniumsentwicklungsziele – dass Armut bekämpft werden muss und dass Frauen gestärkt werden müssen – beinhalten acht Regeln für eine im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Sinn gerechte Gestaltung der Globalisierung. Aufgaben sind die Bekämpfung von HIV/Aids durch die Unterstützung des entsprechenden globalen Fonds, die Verankerung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, die Förderung freier Gewerkschaften und die Stärkung der Frauen. Das sind die Aufgaben der Zukunft, an denen wir festhalten müssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich freue mich im Übrigen, dass es gelungen ist, „weltwärts“ als entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Gang zu setzen. Über 10 000 Jugendliche sind „weltwärts“ gegangen und haben einen Beitrag zum Lernen, zum Helfen und auch für interkulturelle Zusammenarbeit geleistet. Ich danke den Jugendlichen, die diese Aufgabe immer wieder übernehmen, ganz besonders. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte im letzten Teil meiner Ausführungen sieben Herausforderungen nennen, vor denen deutsche Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stehen wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ihnen ist bewusst, Frau Kollegin, dass dafür nur noch eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung steht? Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Ich weiß, aber mein Kollege Sascha Raabe hat ein gewisses Maß an Verständnis gezeigt, mir einen Teil seiner Redezeit zu überlassen, wenn es recht ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Grandios. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Entschuldigung. Er blickt ganz verständnisvoll. Ich habe also eine Minute mehr Redezeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu den sieben Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit – das ist wirklich sehr ernst zu nehmen –: Erstens. Die Schwellenländer, zum Beispiel China, gewinnen ökonomisch und natürlich auch vom Anteil der Bevölkerung her an Bedeutung. Deshalb ist es so wichtig, dass es in der Entwicklungspolitik zu keinen nationalen Alleingängen kommt, sondern dass man sich europäisch organisiert und einen Beitrag dazu leistet, dass es in der Welt – das ist wichtig – ein Gegengewicht mit sozialen und ökologischen Regeln gibt. Deshalb müssen wir die Europäische Union einbeziehen. (Beifall bei der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie haben ja elf Jahre Zeit gehabt!) Zweitens. Der Kontinent, dem wir in enger Partnerschaft weiterhin eng verbunden bleiben müssen, ist Afrika. Die Bedeutung des großen Potenzials der Menschen, aber auch des ökonomischen Potenzials muss im Rahmen der Zusammenarbeit stärker hervorgehoben werden. Drittens. Der Demokratisierungsprozess in Nordafrika zeigt allen angeblichen Realpolitikern überdeutlich: Auf Dauer ist eine Gesellschaft nur dann stabil, wenn die Menschen die Chancen haben, ihr Leben selbst zu bestimmen. Diesen positiven Ansteckungseffekt muss die Entwicklungspolitik unterstützen und voranbringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Viertens. Trotz der Zusagen der Industrieländer, mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, sind hier Haushaltskürzungen geplant. Die Mittel müssen aber aufgestockt werden. Es gibt jetzt einen ersten Einstieg in die Finanztransaktionsteuer. Ich werbe dafür, dass die Einnahmen aus dieser Steuer für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Armut in der Welt eingesetzt werden. Das ist wichtig, damit in diesem Bereich Fortschritte erreicht werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Fünftens. Es gilt, die wachsenden Ungleichheiten in allen Gesellschaften zu bekämpfen, denn sie drohen das Band der Solidarität zu zerreißen. Die Millenniumsentwicklungsziele und die Klimaschutzziele müssen über das Jahr 2015 hinaus aktiv vorangebracht werden. Global Governance wird immer notwendiger, um die Finanzmärkte zu regulieren und die Globalisierung nicht dem Selbstlauf der Ungerechtigkeit zu überlassen. 11,4 Billionen US-Dollar hat die Welt zur Stabilisierung in der Finanzkrise 2008 und 2009 mobilisiert. Wir müssen uns gemeinsam dafür engagieren, dass die internationale Gemeinschaft Mittel mobilisiert – das kann auch weniger sein –, um extreme Armut, Hunger, Klimawandel und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das ist dringend notwendig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Siebtens. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ist das die neue Zeitrechnung?) – Danke für den Hinweis: Sechstens war der Punkt Global Governance. Siebtens. Gerade deshalb ist die Forderung nach einem „UN-Sicherheitsrat für soziale, wirtschaftliche und ökologische Fragen“ besonders aktuell. Wir dürfen den Lauf der Welt nicht der ungebremsten Ökonomie und der Gewalt der Finanzmärkte überlassen. Ich zitiere: Die Aufgabe besteht darin, die Menschheit von Abhängigkeit und Unterdrückung sowie von Hunger und Not zu befreien. Neue Bande müssen geknüpft werden, welche die Aussichten auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität für alle entscheidend verbessern. – Das hat Willy Brandt in seinem Nord-Süd-Bericht 1980 formuliert. Das ist auch für uns für die Zukunft Auftrag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bin ganz beruhigt, dass sich das zugesagte Einverständnis des Kollegen Raabe mit dem sprichwörtlichen Wohlwollen des amtierenden Präsidenten aufs Schönste zusammenfügen lässt. – Ich erteile nun dem Kollegen Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit – 50 Jah-re verlässliche Entwicklungspartnerschaften: Das ist in der Tat ein Grund zum Feiern und Dank sagen. Ich möchte mich den Dankesworten meiner Vorredner aufrichtig anschließen und richte den Dank an die Zigtausenden von staatlichen und privaten Entwicklungshelfern bei unseren Durchführungsorganisationen der TZ und FZ, bei unseren Kirchen, Stiftungen und den vielen engagierten Nichtregierungsorganisationen, die mit Kompetenz und Leidenschaft und auch oft unter lebensgefährlichen Bedingungen einen hervorragenden Job leisten und im besten Sinne des Wortes auch gute Botschafter und Sympathieträger Deutschlands sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auch den Millionen von Deutschen danken, die mit ihren Spenden die Entwicklungszusammenarbeit über all die Jahrzehnte unterstützt haben wie kein anderes Volk der Welt. Ich möchte auch den Kollegen aus der Politik, den engagierten Ministern und Staatssekretären, danken. Ich freue mich, dass sie bereits alle namentlich breit gewürdigt wurden, auch diejenigen aus meiner Partei, der CSU. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie haben es ja über viele Jahre gemacht!) – Genau. Sie haben das über viele Jahre gemacht und die Entwicklungszusammenarbeit geprägt. Aber ich möchte Sie, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, in einem Punkt korrigieren: Es wäre nicht nötig gewesen, den Kollegen Niebel ob der einen oder anderen Äußerung zu kritisieren. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Richtig! – Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Die Aussprüche waren nicht notwendig!) Denn ich finde, dass er den Koalitionsvertrag hervorragend umsetzt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der sich übrigens nicht fundamental von dem unterscheidet, was wir damals verhandelt haben. Ich hatte die Ehre, beide Koalitionsverträge mitverhandeln zu dürfen und kann mich daran erinnern, dass wir damals in Ausführung des Koalitionsvertrages wesentlich mehr gestritten haben, als es bei der christlich-liberalen Koalition der Fall war. So viel zur Wahrheit. Ich möchte mich auch ganz herzlich für die Arbeit der Beamten, vor allem des BMZ, bedanken. Auch Ihnen danke ich für eine hervorragende und engagierte Arbeit. Ich möchte mich nicht zuletzt bei meinen Bundestagskollegen, sowohl den aktuellen als auch den ehemaligen, bedanken. Ich bin seit 20 Jahren Mitglied des Ausschusses und habe viele Kollegen erlebt. Manchmal wurde der Verdacht geäußert, dass manchen Kollegen die Entwicklungspolitik wichtiger war als ihre Parteikarriere. Viele sind in dieser Aufgabe aufgegangen, und manche sind auch leider, wenn ich an meinen Freund Werner Schuster denke, untergegangen. Auch allen Kollegen ein herzliches Dankeschön für ihr engagiertes Auftreten und ihren engagierten Kampf für die gemeinsame Sache! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Entwicklungszusammenarbeit hat damals ein humanitär deklariertes politisches Mauerblümchendasein geführt. Die Länderauswahl war vom Ost-West-Konflikt geprägt. Die Probleme der Entwicklungsländer waren weit weg. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental geändert. Die Entwicklungen und Fehlentwicklungen in Asien, Lateinamerika und Afrika berühren uns in Europa und Deutschland inzwischen unmittelbar, sowohl positiv als auch negativ: unsere Wirtschaft, unsere Sicherheit und unsere gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen. Deswegen ist Entwicklungszusammenarbeit inzwischen nicht mehr nur eine humanitäre Angelegenheit, sondern auch die notwendige politische Einflussnahme zur Abwendung von Gefahren und zum Nutzen von Chancen für unser Land. Ich kann mich noch gut an die dramatischen Stunden und Tage nach dem 11. September 2001 erinnern, als die Entwicklungszusammenarbeit plötzlich in einen ganz anderen Fokus geriet, nach dem Motto: Ihr müsst es jetzt richten; ihr müsst das ganz anders angehen, um die Ursachen von Terrorismus und Gewalt zu beseitigen. Damit müssen wir umgehen. Es lastet ein viel größerer Erfolgsdruck auf der Entwicklungspolitik. Wir müssen uns der gewachsenen Verantwortung stellen. Ich möchte ein paar Punkte nennen, die ich für die großen Herausforderungen unserer Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren halte. Erstens. Wir müssen uns – das hat der Kollege Leibrecht schon genannt – zu einer realistischen Selbsteinschätzung durchringen. Wir können Prozesse unterstützen. Aber wir können nicht für schlüsselfertige Länder und Kontinente sorgen. Das dürfen wir auch niemandem vorgaukeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wäre kontraproduktiv, weil das jede Eigeninitiative der betreffenden Länder – Eigeninitiative ist der eigentliche Kern von Entwicklung – töten würde. Wir können Chancenfenster vorbereiten und nutzen. Aber es handelt sich immer um langfristige Prozesse, die unseres geduldigen Engagements bedürfen. Zweitens. Angesichts des Elends, der wachsenden Ungleichgewichte und der Umweltzerstörung ist es unstrittig, dass wir weitere Ressourcen mobilisieren müssen. Wir haben – auch unstrittig – einen großen finanziellen Bedarf. Aber ich bin verwundert, wie man aus denselben statistisch abgesicherten Zeitreihen unterschiedliche Erbsenzählereien veranstalten kann. Ich möchte es auf den Punkt bringen: Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ruder ist, hat sich das Volumen des Entwicklungshaushalts um mehr als 50 Prozent erhöht. Das ist ein gigantischer Sprung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür bin ich dankbar, auch dem Finanzminister. Wir haben die ODA-Quote nicht erfüllt. Wir müssen daran arbeiten, zumindest tendenziell in die richtige Richtung zu marschieren. Das ist doch etwas, das uns alle verbindet. Wir haben hier inzwischen die Sympathie des gesamten Hauses. Wir müssen Methoden und Wege finden, mit denen wir uns dem Ziel nähern. Das ist doch Ansporn genug. Daran sollten wir arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Drittens. Es ist richtig, dass wir effizienter mit den Ressourcen umgehen müssen; auch das ist klar. Meiner Ansicht nach gibt es hier wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir werden die Evaluierungsinstrumente verbessern. Wir sind einen großen Schritt vorangekommen, wenn es darum geht, die Kräfte in unserem Land – Stichwort TZ – zu bündeln. Aber eine Verbesserung der Arbeitsteilung auf nationaler und mehr noch auf internationaler Ebene ist eine Daueraufgabe, damit die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt schlagkräftiger wird. Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren bei der strategischen Auswahl der Länderliste und der Schwerpunkte unter dem Aspekt, was wirklich zu mehr Entwicklung führt, einen guten Schritt weitergekommen sind. Auch hier geht es um das Bündeln, eine bessere Arbeitsteilung und die Fokussierung auf die Schwerpunkte. Wir haben die Schwerpunkte definiert, die meiner Ansicht nach entscheidend für Entwicklung sind. Das ist nichts Neues. Daran haben wir jahrelang gearbeitet. Dabei geht es um die Bildung, die ländliche Entwicklung, den Schutz der Umwelt, Gesundheit und wirtschaftliches Wachstum, aber vor allem auch um – das ist der Schlüsselsektor – Good Governance. Ohne den politischen Willen zu guter Regierungsführung gibt es in keinem Land eine erfolgreiche Entwicklung. Viertens. Entwicklungspolitik muss daher politischer werden. Das ist nicht nur eine Aufgabe des BMZ, sondern auch eine Aufgabe von Kohärenz in Europa. Wenn ich sehe, dass Europa zum Teil noch immer auf kleinkarierte Weise mit dem arabischen Frühling umgeht und dass vor allem unsere südlichen Nachbarn in Europa zum Beispiel beim Export von landwirtschaftlichen Gütern nach Europa auf ihren Vorteil bedacht sind, dann muss ich sagen, dass wir in Europa unbedingt auf mehr Kohärenz drängen müssen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) um schneller und flexibler auf positive Entwicklungen in der Welt – nicht nur in arabischen Ländern, sondern zum Beispiel auch an der Elfenbeinküste – einwirken zu können. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, schauen Sie bitte auf die Uhr. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Ja, ich versuche den Sinkflug einzuleiten. Ich beschränke mich auf wenige Schlagworte. Ich halte zum Beispiel das Konzept der vernetzten Sicherheit für ein wichtiges Konzept, innerhalb dessen die Ausbildung der Armee und der Polizei äußerst wichtig für die Entwicklungsstrategie ist. Sicherheit ist für mich ein Schlüssel zur Entwicklung. Das sieht man vor allem in Afghanistan. Auch ich bin der Meinung, dass man die Schwellenländer stärker einbinden muss. Schließlich müssen wir den Mut haben, neue Konzeptionen für offene Probleme zu erarbeiten. Ich denke an Entwicklungen in Afrika, besonders in Nigeria und Angola, die wir nicht tolerieren können. Reichste Länder schaffen es nicht, trotz ihres Reichtums eine Entwicklung des Landes herbeizuführen. Da müssen wir konzeptionell weiterdenken. Alles in allem können wir sagen: In diesen 50 Jahren ist in der Entwicklungszusammenarbeit unendlich viel geleistet worden. Aber die Probleme sind gewachsen, und sie wachsen weiter. Deswegen sind Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit nötiger denn je. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Man merkt: Viele drängt es, viel zu sagen. Daher finde ich es schade, dass ausgerechnet der Herr Minister heute nichts zu 50 Jahren Entwicklungsministerium zu sagen hat und hier nicht spricht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht [FDP]: Das ist die Stunde des Parlaments! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er lässt uns den Vortritt!) Ein Tag wie heute ist ein Auftrag, nicht nur zu feiern, sondern auch eine kritische Bilanz zu ziehen, insbesondere wenn wir sehen, dass 1 Milliarde Menschen hungert und von Armut betroffen ist. Die Entwicklungspolitik in den 60er-Jahren war von der beginnenden Entkolonialisierung und der Ost-West-Konfrontation in Zeiten des Kalten Krieges geprägt. Dadurch war auch die deutsche Entwicklungspolitik – besser gesagt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit – auf westdeutsche Interessenpolitik in den Ländern der Dritten Welt festgelegt. Man erkaufte sich die ideologische Bündnistreue der Eliten des Südens und förderte gleichzeitig die eigene Exportindustrie. Der Kolonialisierung folgte also eine zweite Entmündigung in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten wurden weiter vertieft. Nach dem Ende des Kalten Krieges hofften viele auf die sogenannte Friedensdividende, die auch eine Entwicklungsdividende sein sollte. Stattdessen dominierten aber die in den 70er-Jahren begonnenen Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds mit ihren neoliberalen Rezepten – die kommen Ihnen wahrscheinlich bekannt vor – Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung. Die Folgen dieser verheerenden Politik sind bis heute spürbar. Diese Politik war der Beginn eines weltweit entfesselten Kapitalismus, der sogenannten neoliberalen Globalisierung. Mittlerweile haben Verfechter dieser Dogmen, zum Beispiel Joseph Stiglitz, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, diese widerrufen. Er stellt fest – ich zitiere –: Das politische Regelwerk, das wir im Ausland vorangetrieben haben, half unseren Unternehmen, erfolgreich zu sein. (Beifall bei der LINKEN) Aber es gab zweifellos auch immer wieder fortschrittliche und auf Entwicklung ausgerichtete Ansätze. Ich möchte in diesem Zusammenhang – das wurde schon erwähnt – den Nord-Süd-Bericht Willy Brandts in den 80er-Jahren und die Forderung der blockfreien Staaten nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die auf Gerechtigkeit und souveräner Gleichheit der Staaten beruhen sollte, nennen. Welch moderne Idee! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Vision Willy Brandts, dass Entwicklungspolitik die beste Friedenspolitik ist, ist bis heute eine große Herausforderung. Mit der Beteiligung am Afghanistan-Krieg – das kann ich der SPD nicht ersparen – hat sich leider auch die SPD von dieser Vision weit entfernt. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ach so!) Es gibt interessante Zitate des ersten Entwicklungsministers Walter Scheel – auf ihn berufen auch Sie sich gerne, Herr Niebel –, der unter anderem mit dem Spruch – ich zitiere – „Entwicklungspolitik ist eine Art Sozialpolitik im weltweiten Ausmaß“ doch andere Vorstellungen als Sie verdeutlicht hat, Herr Niebel, und der in meinen Augen weiter war als Sie, weil Sie einmal recht despektierlich gesagt haben, das Entwicklungsministerium sei nicht das Weltsozialamt. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es!) Auch in den 90er-Jahren gab es interessante Entwicklungen mit dem Rio-Prozess und dem Versuch, Entwicklungs- und Umweltfragen auf die Kommunen herunterzubrechen sowie eine breite Beteiligung der Bevölkerung im Rahmen von Entwicklungspolitik zu organisieren, und zwar in den sogenannten Lokale-Agenda-Prozessen. Dies war der Versuch, zu zeigen, dass die Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern des Südens direkt mit den Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern des Nordens zusammenhängen und dass wir deshalb eine Verantwortung haben, Strukturen sowie den Energie- und Ressourcenverbrauch massiv zu verändern, wenn wir wirklich Entwicklung wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten und der SPD) Heute, im Jahr 2011, in Zeiten des sogenannten Krieges gegen den Terror, der bereits seit zehn Jahren geführt wird und an dem sich auch Deutschland durch Auslandseinsätze der Bundeswehr beteiligt, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) wird Entwicklungspolitik im Rahmen der sogenannten vernetzten Sicherheit Teil der Sicherheitspolitik und dadurch eben missbraucht. Mit der Vision Willy Brandts „Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik“, die eigentlich dazu beitragen sollte, Konfliktursachen zu bekämpfen, hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Entwicklungspolitik wird Teil einer Kriegsstrategie, wie wir es in Afghanistan erleben. Genau deshalb sind wir gegen diese Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit. (Beifall bei der LINKEN) Die neoliberale Globalisierung und die Entfesselung der Finanzmärkte sind mittlerweile auch für die entwickelten Staaten zu einer existenziellen Bedrohung geworden und haben die Spielräume von Entwicklungspolitik erst recht massiv eingeschränkt. Das erleben wir zurzeit. So trägt zum Beispiel die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu Hungerkatastrophen bei und zerstört viel von dem, was wir durch Entwicklungszusammenarbeit erreicht haben. Die Regierungen schauen nur hilflos zu. Deshalb ist die Forderung nach einer strengen Regulierung der Finanzmärkte ganz zentral. Wir fordern das seit Jahren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die neoliberale Globalisierung hat aber auch weltweit – das ist der Hoffnungsträger – soziale Bewegungen auf den Plan gerufen und linke Regierungen hervorgebracht – zum Beispiel in Lateinamerika –, die sich gegen Ausbeutung, Abhängigkeit und Bevormundung zur Wehr setzen und sich für neue alternative Entwicklungsmodelle, eine solidarische Weltwirtschaft sowie eine breite demokratische Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen einsetzen. So sind zum Beispiel die Verfassungen von Venezuela, Bolivien und Ecuador wirklich zukunftsweisend. Genau da könnte deutsche Entwicklungspolitik ansetzen und solche Prozesse der selbstbestimmten Entwicklung stärken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Wir müssen uns nämlich davon verabschieden, dass die westlichen Industriestaaten den Süden entwickeln wollen. Vielmehr geht es darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen, eine eigenständige Entwicklung zu respektieren und voneinander zu lernen. Das müsste die Bilanz aus 50 Jahren Entwicklungszusammenarbeit sein. Stattdessen werden solche Entwicklungen bekämpft. Für den Zugang zu Rohstoffen und Märkten wird eine knallharte Interessenspolitik durchgesetzt. Es zeigt sich, dass sich die staatliche Entwicklungspolitik nie von kolonialem Denken befreit hat. (Beifall bei der LINKEN) Nun soll also die deutsche Wirtschaft im FDP-geführten Entwicklungsministerium Partner für Entwicklung sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Hänsel! Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. Aber das kann ich Herrn Niebel nicht ersparen. – Die deutsche Wirtschaft soll Partner für Entwicklung und für eine unternehmerische Entwicklungspolitik sein und nebenbei vielleicht noch die niedrige ODA-Quote erhöhen. Das, Herr Niebel, ist nichts anderes als Entwicklungshilfe für die deutsche Wirtschaft. Dieses Entwicklungsmodell ist ein Auslaufmodell, genauso wie die FDP. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ute Koczy ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir feiern heute 50 Jahre deutsche Entwicklungspolitik. Das sind fünf Jahrzehnte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den meisten Ländern dieser Welt. Diese Politik ist heute Teil der Identität der Bundesrepublik Deutschland. Wir Grüne gratulieren und freuen uns, dass wir dem Geburtstagskind, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die besten Wünsche für eine weltweit nachhaltig ökologische, sozial gerechte sowie gender- und friedensorientierte Politik übermitteln können. Für uns Grüne ist die Entwicklungszusammenarbeit eines der besten internationalen Instrumente der Politik, die wir haben und die wir behalten wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Es ist natürlich nicht nur eine Ironie des Schicksals, dass ein FDP-Minister diesem Ministerium heute Bestand und Stärke verleihen will. Herr Minister, Sie stoßen auf unser absolutes Unverständnis, dass Sie heute angesichts 50 Jahre BMZ nicht die Gelegenheit nutzen, an diesem Tag das Wort zu ergreifen und zu uns zu sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich frage mich, warum das der Fall ist. Liegt es vielleicht daran, dass ein Erfolg der EZ ausmacht, dass sie auf die sogenannten weichen und zivilen Themen setzt? Denn die Entwicklungszusammenarbeit tritt für internationalen Ausgleich und Fairness ein. Sie trägt so zum Erhalt des Friedens bei. Das ist eine Stärke. Demokratie und Rechtstaatlichkeit lassen sich nur so entwickeln, auf dass eigenständiges und eigenverantwortliches Handeln möglich wird. Lassen wir Wolfgang Gieler sprechen, der das BMZ von 1971 wie folgt beschreibt: Erfolg kann nur eine Entwicklungspolitik haben, die in Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern, den anderen Geberländern sowie internationalen Institutionen und Organisationen den ständigen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten anstrebt. Sie taugt nicht als Instrument kurzfristiger außenpolitischer Erwägungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die EZ arbeitet mit den Menschen vor Ort zusammen. Sie orientiert sich an deren Bedürfnissen und organisiert, wenn es richtig läuft, praktische wirtschaftliche und damit handfeste Chancen für die Menschen in diesen Ländern. Das geschieht zum Beispiel beim Aufbau der Wasserversorgung, bei der Stärkung der Frauenrechte, bei der Bildung, bei der Landwirtschaft oder aktuell bei erneuerbaren Energien. Nicht immer gelingt dies. Es braucht dazu vor allem eines: Zeit. Viele verschiedene Ansätze sind in den letzten 50 Jahren erprobt worden. Die deutsche EZ ist mit ihren Durchführungsorganisationen, allen voran den beiden großen Organisationen GIZ und KfW, und auch nicht zuletzt dank einer großartigen und vielfältigen Zivilgesellschaft professionell geworden. Vielleicht muss sich die EZ deswegen immer wieder neu hinterfragen. Angesichts der krassen Veränderungen in unserer Welt sind kritische Fragen und Analysen äußerst dringend notwendig. Wir Grüne wollen, dass sich die EZ erfolgreich und konstruktiv den heutigen globalen Herausforderungen und Problemen stellt. Da lohnt es sich schon, die Anfänge des Ministeriums einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, bevor ich meine Anliegen für die Zukunft äußere. Was führte damals zur Entscheidung für ein solches Ministerium? Deutschland lag nach dem Krieg in Trümmern. Die Erfahrungen der Kriege waren traumatisch, die ökonomischen Zerstörungen immens. Damals war Deutschland selbst ein Entwicklungsland. Wir bekamen Hilfe. Der Marschallplan war das Rettungsseil, an dem man sich heraushangelte. Somit wuchs in Deutschland das Gefühl für Verantwortung, für Unterstützung und für internationale Zusammenhänge. Aber bitte keine Schönfärberei: Auch damals galt, dass man die eigenen außen-, wirtschafts- und rohstoffpolitischen Interessen nicht aus den Augen verlieren wollte. Ein weiterer Anschub kam von außen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen rief 1960 die erste Entwicklungsdekade aus. Deutschland reagierte 1961 mit der Gründung eines neuen Ministeriums unter der Leitung von Walter Scheel. Viele Ministerinnen und Minister folgten. Ich will, weil viele Namen schon genannt wurden, an dieser Stelle auf Heidemarie Wieczorek-Zeul eingehen. Sie hat nicht nur für Frauenthemen gekämpft, sie hat sich auch erfolgreich darin engagiert, Deutschland in internationalen Zusammenhängen zum Vorreiter für eine gerechte und faire Politik zu machen. Ich danke ihr dafür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre EZ sind kein Selbstläufer und schon gar keine Selbstverständlichkeit. Deutschland hat sich aus historischen und guten Gründen und mit besonderem Einsatz diesem Politikfeld gewidmet. Auch deshalb ist die EZ Teil der Identität der Bundesrepublik Deutschland geworden. Doch die Welt hat sich gewandelt. Andere Länder treten erstarkend auf die Weltbühne. Das alte Europa verliert an Einfluss, die USA ebenso. Die Machtverhältnisse haben sich längst Richtung Süden verschoben. Das muss doch Anlass zu Fragen sein. Wissen wir genau, was das bedeutet? Sind unsere Reaktionen darauf angemessen? Heute findet doch eher ein Rückzug auf nationale, auf bilaterale Verhältnisse statt. Das ist gewiss der falsche Weg. Mit der Linie „Bilateral vor multilateral“ landen wir in der Sackgasse. Ich fürchte, dass sich Deutschland so zum Außenseiter macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wenn Entwicklungspolitik Teil der Zukunft sein will, so muss sie sich an der Gestaltung – ach was, an der Lösung der Probleme beteiligen. Klimawandel, Finanz- und Ernährungskrise, fragile Staatlichkeit, ungerechte Welthandelsordnungen und die globale Armut fordern uns heraus. Doch die Institutionenwelt, die wir kennen, ist nicht auf die Bearbeitung dieser Krisen und Themen ausgerichtet. Das internationale System ist zerklüftet, ineffizient und rückwärtsgewandt. Also dürfen wir nicht so weitermachen wie bisher. Die Entwicklungspolitik muss sich hier konstruktiv einmischen. Ziel muss sein, die weltweite Armut zu bekämpfen, den Klimawandel zu stoppen und die Probleme der wachsenden Menschheit beim Ressourcenmangel effizient, fair und konfliktvermeidend zu lösen. Die Entwicklungsdefizite in den Entwicklungsländern müssen auf den Tisch. Kritik an unserem Lebensstil muss zu Veränderung führen und darf nicht nur diskutiert werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Ganz klar: Wir müssen uns wirksam damit auseinandersetzen, wie wir die aufklappende soziale Schere innerhalb von Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern wieder schließen können. Dafür braucht es soziale Sicherungssysteme, eine intensive Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und Konzepte abseits der Ebene von zweijährigen Regierungsverhandlungen. Letztlich braucht es eine neuartige globale Entwicklungsarchitektur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre EZ, darin steckt für viele Menschen viel Herzblut, egal ob im positiven oder im negativen Sinne. Ich will all denjenigen, die sich der Aufgabe der Entwicklungspolitik und dem Ziel verschrieben haben, für bessere Verhältnisse zu sorgen, herzlich danken. Wir brauchen die zukunftsfähige deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Die Entwicklungszusammenarbeit ist und bleibt ein sinnvoller Bestandteil deutscher Identität. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag, BMZ, möchte man fast sagen; aber im Vorfeld des 14. November, des Gründungsdatums, zu gratulieren, bringt Unglück. Ich möchte dem BMZ eigentlich wünschen, viele weitere Jahrzehnte als selbstständiges Ministerium, als der Kanal für die Entwicklungszusammenarbeit, als erfolgreicher Kämpfer gegen Armut, Hunger und Not in dieser Welt zu wirken. Deshalb sage ich nicht „Herzlichen Glückwunsch!“, sondern: Viel Erfolg! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als 1961 dieses Ministerium gegründet wurde, gab es dafür viele gute Argumente. Man wollte die entwicklungspolitischen Aktivitäten bündeln. Man stellte fest, dass sich das Außenministerium mit Entwicklungspolitik beschäftigte, das Innenministerium usw. Das ist heute immer noch oder wieder so, liebe Freunde, auch wenn manches anders ist. Darauf möchte ich gleich zurückkommen. Es gibt sehr viele Parallelen zwischen der Gegenwart und 1961 und auch 1962, als im Februar oder März, wenn ich mich recht erinnere, der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründet wurde. Damals ging es um Themen wie: Wer in welchem Ministerium hat eigentlich die Federführung bei entwicklungspolitischen Fragen? Wie wird das Ganze finanziert? Wie grenzt man sich von anderen Ressorts ab? Freunde, da hat sich nicht viel geändert. Darum geht es heute auch noch. Insofern gibt es sehr wohl Parallelen. Es stellt sich die Frage, ob wir in diesen 50 Jahren nicht nur älter, sondern auch weiser geworden sind, was wir also dazugelernt haben. Zahlreiche Abgeordnete haben hier bereits Lob gespendet. Diesen Bogen möchte ich nicht weiter spannen. Wir müssen feststellen, dass dieses Ministerium im Hinblick auf die Bekämpfung von Not und Armut, Frieden und Sicherheit in der Welt, also auch in Europa und in Deutschland, unglaublich wichtig ist. Die Beiträge zur Krisenprävention sind sehr wichtig. Wenn wir diese Beiträge nicht leisten, können wir die notwendige Zusammenarbeit mit unseren Partnern auf Augenhöhe nicht sicherstellen. Dabei stellen sich lediglich die Fragen: Wie wollen wir Entwicklungszusammenarbeit gestalten? Welche Bedürfnisse gibt es? Welche Fragen stellen sich? Wie können beide Seiten von Entwicklungszusammenarbeit profitieren? Schauen wir uns einmal die Themen an, die in den vergangenen 50 Jahren eine Rolle gespielt haben. Ursprünglich war von Entwicklungshilfe die Rede. Dieses Wort ist zum Glück völlig aus unserem Wortschatz gestrichen worden. Das war in den Anfängen, in den 60er-Jahren. Damals diskutierte man schon über das Thema Wirtschaftswachstum, das meines Erachtens eines der wichtigsten Themen überhaupt ist; denn nur über die Selbstversorgung, über eigene Wertschöpfung und über eigenes kreatives Handeln schaffen wir Stabilität, Frieden und Sicherheit in der Welt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In den 70er-Jahren wurde dem Thema Frauen eine sehr große Bedeutung beigemessen. Dieses Thema haben hier zumindest die weiblichen Redner angesprochen. Wer weiß besser als Deutschland, dass die Entwicklung eines Landes ohne Frauen nicht passieren kann? Deshalb ist es richtig, dass wir Frauen in den Entwicklungsländern unterstützen, aber nicht nur in ihrem eigenen Selbstverständnis und nicht nur über das Thema Empowerment, sondern vor allen Dingen über das einfache, aber wirksame Mittel der Klein- und Kleinstkredite. Dabei haben wir mit den Frauen die allerbesten Ergebnisse erzielt, weil Frauen die Gelder, die man ihnen zur Verfügung stellt, zielorientiert einsetzen. Sie gehen sorgfältig mit diesen Geldern um und zahlen diese zu fast 100 Prozent wieder zurück. Gleichzeitig haben sie Werte geschaffen. Sie haben sich Kühe und Ziegen gekauft, Produkte auf den Markt gebracht und damit einen großen Beitrag zum Einkommen der eigenen Familie geleistet. Die 80er- und 90er-Jahre waren geprägt durch die Themen HIV/Aids, Umwelt, Drogen und Ähnliches. Ich will jetzt nicht zu lange in der Vergangenheit kramen, weil es ein Zukunftsthema gibt, das mich sehr beschäftigt, nämlich das Weltbevölkerungswachstum. Bereits 1972 hat der Club of Rome in einem Bericht auf die Grenzen des Wachstums hingewiesen und vor unkontrolliertem Bevölkerungswachstum gewarnt. In den Jahren 1974, 1984 und 1994 fanden Weltbevölkerungskonferenzen statt. Liebe Freunde, wir haben nicht hingehört. Vielleicht haben wir doch hingehört, aber keine politischen Konsequenzen daraus gezogen. Wenn wir heute wissen, dass im Oktober der siebenmilliardenste Mensch geboren wird, wenn wir heute wissen, dass die Weltbevölkerung im Jahr 2050 auf bis zu 13 Milliarden Menschen angewachsen sein wird, wenn es nicht gelingt, die Geburtenrate signifikant zu senken, dann müssen wir heute darauf reagieren, auch im Sinne unserer Kinder und Kindeskinder. Wir müssen Wege finden, die Geburtenrate zu senken. Wir müssen uns fragen: Welche Konsequenzen hat dieses Bevölkerungswachstum eigentlich für die Ernährungssituation der Menschen in den Entwicklungsländern, dort, wo das Bevölkerungswachstum stattfindet? Was bedeutet es für uns in Deutschland? Wir haben eine sinkende Bevölkerungszahl und eine alternde Gesellschaft. Das gilt im Übrigen auch für die Schwellenländer. Was bedeutet das für die Nutzung von Ressourcen? Was bedeutet das für die Wasserversorgung, aber auch für die Entsorgung? Megacities und Slums und die damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme sind die Folgen. Die jüngsten Entwicklungen im Norden Afrikas, in Tunesien, in Ägypten und in Algerien, haben auch etwas damit zu tun, dass es dort sehr viele junge Menschen gibt, die teilweise sehr gut ausgebildet sind. Dass sich daraus soziale Spannungsfelder ergeben, ist doch völlig klar. Wenn ich einmal das Bevölkerungswachstum bis zum Jahre 2050 hochrechne, dann weiß ich, vor welchen Problemen meine Enkeltochter im Jahr 2050 stehen wird. Deshalb müssen wir jetzt schon einige Probleme angehen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe und vor allen Dingen unsere Pflicht, darüber nachzudenken, was wir entwicklungspolitisch jetzt schon tun können – oder auch „erst“; denn wenn man bedenkt, dass schon im Jahr 1972 darüber diskutiert worden ist, dann kann man von „erst“ reden –, um mit den Problemen fertig zu werden, die auf uns, auf die internationale Gemeinschaft zukommen. Wir können die Entwicklungsländer damit nicht alleine lassen, weil das Problem auch uns direkt betrifft. Deshalb, liebe Freunde: Lasst uns in Zukunft auch über dieses Problem und eventuelle Lösungen reden. Das wäre mein Wunsch für die Zukunft, auch für das Ministerium. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält der Kollege Sascha Raabe das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern heute ein Jubiläum – 50 Jahre BMZ –, das es nach dem Willen des aktuellen Ministers eigentlich gar nicht gegeben hätte; denn dann würden wir nur 48 Jahre BMZ erlebt haben. Ich denke, das ist auch der Grund, warum der Herr Minister heute zu Recht nicht spricht – er kann ja nicht etwas feiern, was er gar nicht so gewollt hat. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Deswegen gilt mein Dank all den politisch Verantwortlichen, all den Ministerinnen und Ministern, die dieses Ministerium zu dem gemacht haben, was es heute ist. Auf die großen Verdienste von Erhard Eppler, Egon Bahr und natürlich auch Heidemarie Wieczorek-Zeul wurde bereits hingewiesen. Diesen Würdigungen möchte ich mich anschließen. Vor allem aber gilt mein Dank sowie der Dank der SPD-Fraktion allen Helferinnen und Helfern, die fast 50 Jahre lang – oft unter Einsatz ihres Lebens und unter schwierigsten Bedingungen – ihre Arbeit für die ärmsten Menschen geleistet haben. Ich glaube, das ist unser aller Anerkennung wert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich selbst bin seit knapp zehn Jahren in diesem Bereich tätig und habe auf vielen Reisen Menschen kennengelernt, die beispielsweise in Gebieten, in denen früher Bürgerkrieg herrschte, versuchen, Täter und Opfer zusammenzubringen. Daher weiß ich, wie schwer es ist, eine solche Arbeit zu verrichten. Das ist auch emotional schwierig; denn man trifft dort auf Menschen, deren Familien ausgelöscht wurden, deren Geschwister vergewaltigt wurden und die in einer sehr schwierigen Situation leben müssen. Insofern weiß ich, dass wir manchmal auch Instrumente einsetzen müssen, die eher im psychologischen Bereich wirken. Hier leistet der Zivile Friedensdienst eine ganz hervorragende Arbeit, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) indem er mit Psychologen oder zum Teil auf spielerische Art, zum Beispiel mit Theatertherapie oder anderen Projekten, versucht, den Menschen zu helfen. Herr Minister Niebel, Sie haben ja heute schon zu „50 Jahre BMZ“ geredet, indem Sie Phoenix kurz vor dieser Debatte ein Interview gegeben haben. In diesem Interview haben Sie gesagt: Ehe ich Tanztherapeuten irgendwohin in die Welt fliegen lasse, sorge ich lieber dafür, dass in Unternehmen investiert wird. Das liegt auf der gleichen Linie wie das Spiegel-Interview, in dem Sie gesagt haben: Die Entwicklungshelfer mit ihren Alpaka-Pullovern machen da immer nur so ein Gedöns; es geht vielmehr darum, den Menschen mit Wirtschaft und noch mal Wirtschaft zu helfen. – Ich lasse es nicht zu, dass Sie diejenigen, die im Zivilen Friedensdienst ihre Arbeit verrichten und dabei traumatisch verängstigten Menschen helfen – auch mit Mitteln, die Ihnen nicht gleich einleuchten –, verächtlich machen. Diese Menschen leisten eine sehr wichtige Arbeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen zurückweisen, wie Sie über Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer reden. Ihr Credo, dass „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ das Allheilmittel in der Entwicklungszusammenarbeit ist, können wir so nicht teilen. Natürlich hat es wirtschaftliche Hilfe auch schon unter Heidemarie Wieczorek-Zeul gegeben, die übrigens das Programm Public-Private-Partnership eingeführt hat, mit dem wir zusammen mit der Privatwirtschaft entwicklungsfördernde Projekte vor Ort unterstützen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war leider ein großer Fehler!) Aber Wirtschaft alleine kann nicht für Entwicklung sorgen; denn es kommt immer darauf an, welche Rahmenbedingungen die Wirtschaft hat und wie sie sozialverantwortlich abgesichert ist. Deswegen war es so wichtig, dass Heidemarie Wieczorek-Zeul das Ministerium zu einem Ministerium für globale Strukturpolitik gemacht hat. Wir erleben doch gerade jetzt wieder, was passiert: Ein Unternehmen wie Nokia wandert erst aus Deutschland nach Rumänien ab, weil die Sozialstandards dort niedriger sind und es die Arbeitnehmer dort ausbeuten kann, und dann, wenn diese Standards in Rumänien etwas gestiegen sind, wird die Produktion nach Indien und China verlagert. Insofern ist das Hohelied auf die Wirtschaft nicht allein das, was den Menschen nützt. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?) Wir müssen endlich dafür sorgen, dass die Gewinne der Globalisierung den Menschen zugutekommen, die sie erarbeitet haben. Deswegen brauchen wir dort Regeln, Herr Minister. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es wird unsere Aufgabe in den nächsten Jahren im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sein, vor allem dafür zu sorgen, dass soziale Standards wie die ILO-Kernarbeitsnormen, selbstverständlich die Menschenrechte, aber auch gewisse soziale Sicherungssysteme, Mindestlöhne und Umweltstandards auch in Entwicklungsländern durchgesetzt werden. Das muss man über das scharfe Schwert der Freihandelsabkommen der Europäischen Union machen. Es ist ganz wichtig, dass wir da sagen: Nur Länder, die sich diesen Spielregeln unterwerfen, die sich verpflichten, dafür zu sorgen, dass keine Kinderarbeit und keine Sklavenarbeit stattfinden und Koalitionsfreiheit herrscht, dürfen mit Europa Handel betreiben. Das wird unsere große Aufgabe sein. Wir brauchen hier nicht Liberalisierung, sondern endlich Regeln für die Menschen, die hart arbeiten und unsere Solidarität und Unterstützung brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme gehört es natürlich dazu, dass diese finanziert werden müssen. Wir erleben gerade bei der furchtbaren Dürrekatastrophe in Ostafrika, dass wir in einigen Teilbereichen aufgrund der klimatischen Veränderungen nicht mehr mit den traditionellen Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit Menschen retten können; denn wenn es fünf Jahre nicht regnet, nützt einem Bauern auch ein Bewässerungssystem nichts, auch nicht die besten Werkzeuge und das beste Know-how. Wir müssen schauen: Wie kann man die Menschen vor Hunger und Armut retten? Deshalb müssen wir einen stärkeren Fokus darauf richten, dafür zu sorgen, dass die Menschen ein existenzsicherndes Mindesteinkommen erhalten. Auch ein Menschenrecht auf Nahrung und Gesundheit sowie die Errichtung von Gesundheitssystemen sind dort wichtig. Das kann natürlich nur dann gewährleistet werden, wenn wir den Ländern, die noch nicht genug Möglichkeiten haben, das mit dem eigenen Steueraufkommen zu erreichen, zum Teil über Mittel wie die Budgethilfe eine Chance geben, solche Systeme zu errichten. Es gehört natürlich auch dazu, dass vor Ort mehr Steuern erhoben werden. Für alle diese Maßnahmen brauchen wir Geld. Insofern, Herr Minister Niebel, ist die ODA-Quote, das Ziel, dass die Industriestaaten im Jahr 2015 einen Anteil von 0,7 Prozent am Bruttonationaleinkommen für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, nicht irgendetwas Abstraktes; es ist konkret dafür da, Menschenleben zu retten. Wenn Sie einen Aufruf von 365 Abgeordneten hierzu in einer Art und Weise ignorieren, wie sich dies im Haushalt widerspiegelt, dann ist das nicht nur Ignoranz gegenüber dem Parlament und den Abgeordneten der eigenen Fraktion, sondern auch eine Schande für die vielen Menschen, die in Hunger und Armut leben; Sie tragen dazu bei, dass diese Menschen hungern. Deswegen, Herr Minister: Steuern Sie um und sorgen Sie endlich dafür, dass den ärmsten Menschen das Geld zur Verfügung steht, das wir ihnen seit Jahren versprechen! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß, dass es in vergangenen Jahren auch für sozialdemokratische Entwicklungsminister nicht immer leicht war, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) – Ja, es war schwierig, es zu erreichen. – Erhard Eppler ist damals sogar zurückgetreten, weil ihm der Mittelaufwuchs nicht ausreichte. Wir hatten mit Heidemarie Wieczorek-Zeul immer eine Ministerin, die gekämpft hat wie eine Löwin. Sie hat gesagt: Ich brauche 1 Milliarde Euro. – Dann waren es am Ende vielleicht nur 700 Millionen Euro. Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Herr Kollege. Dr. Sascha Raabe (SPD): Aber was machen Sie, Herr Minister? Sie kämpfen nicht einmal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Obwohl es 365 Abgeordnete gibt, die für die Aufstockung Ihres Haushalts sind, kommen Sie hier mit einem Haushalt, der einen lächerlichen Aufwuchs zu verzeichnen hat. Sie versuchen auch noch, das schönzurechnen. Sie sagen: In der Finanzplanung hatten wir eine Kürzung um Hunderte Millionen Euro vorgesehen. Deshalb gebe es im Haushalt angeblich einen Aufwuchs um 750 Millionen Euro. Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Herr Kollege. Dr. Sascha Raabe (SPD): Tricksen, Täuschen: Das ist, was Sie können, Herr Minister Niebel. Sie vernebeln, aber Sie helfen den ärmsten Menschen nicht. In diesem Sinne hoffe ich für die nächsten 50 Jahre Entwicklungszusammenarbeit, dass sie spätestens 2013 wieder in verantwortungsvollen Händen liegt, am besten in sozialdemokratischen Händen. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist ja peinlich!) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Joachim Günther für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Joachim Günther (Plauen) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben bereits deutlich dargelegt, dass es in den vergangenen 50 Jahren eine kontinuierliche Verbesserung in der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands gegeben hat. Herr Raabe, bisher waren alle Beiträge relativ sachlich gehalten. Ich weiß nicht, was Ihre letzten Darlegungen sollten. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Peinlich war das!) Ich glaube, wir sollten gemeinsam nach vorne schauen und uns nicht mit solchen Dingen beschäftigen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU]: Ja! Das sehe ich auch so!) Ich bin der Überzeugung, dass es vor 50 Jahren sehr vorausschauend war, ein solches Ministerium zu etablieren. Die Initiative ging damals vom Parlament aus. Deshalb ist das heute aus meiner Sicht die Stunde des Parlaments und nicht die Stunde von Ministern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Entwicklungspolitik ist heute meines Erachtens globale Zukunftspolitik. Sie trägt im Endeffekt dazu bei, die knappen Ressourcen gerechter zu verteilen und unsere Umwelt für die nächsten Generationen zu bewahren. Durch Entwicklungspolitik sollen wir Krisen und Konflikte friedlich bewältigen und die Armut weltweit bekämpfen. Darüber sind wir uns über die Parteigrenzen hinweg eigentlich alle einig. Entwicklungspolitik kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft und die Politik sich gemeinsam engagieren; denn nur gemeinsam können wir diesen globalen Herausforderungen begegnen. Die unterschiedlichsten Kräfte unserer Gesellschaft sollten wir dabei integrieren. Diesbezüglich gebe ich Ihnen recht; das ist ein großes Zukunftsfeld. Deshalb ist es in der Gegenwart wichtig, dass wir uns auf Schlüsselpositionen konzentrieren und dort unsere Kräfte bündeln, wo wir am schnellsten zu Erfolgen kommen können. Ich vertrete die Überzeugung, dass bei der Entwicklungspolitik auch unsere Werte und unsere Interessen eine Rolle spielen sollen. Der Mensch steht im Mittelpunkt der Zusammenarbeit. Das heißt, wir müssen vor allem bei der Bildung ansetzen; denn Wissen ist der Schlüssel zur Überwindung von Armut, und ohne Wissen ist Armut nicht zu überwinden. Erst die Bildung eröffnet den Menschen Chancen, ihr Leben mitzubestimmen und es frei von Not zu gestalten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Uns geht es darum, dass wir unsere Innovationskompetenzen in andere Länder befördern; denn nicht nur wir in Deutschland, sondern auch unsere Partnerländer müssen langfristig denken und planen, um die Zukunft sichern zu können. Ich möchte deshalb einige Schlüsselbereiche neben der Bildung ansprechen. Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben Afrika erwähnt. Afrika ist für uns der Kontinent der Chancen und Herausforderungen. Er liegt vor unserer Tür. Wir müssen durch kluge Zusammenarbeit die Armut senken, das Gesundheitswesen ausbauen und Produktionsmöglichkeiten vor Ort schaffen; denn damit geben wir den Menschen in ihren Heimatländern eine Chance, ihre Zukunft zu gestalten und ihre Existenz zu sichern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir müssen in den Entwicklungsländern vor allem zukunftsfähige Möglichkeiten zur Energiegewinnung entwickeln und ausbauen; denn erst dadurch wird es möglich, in den Regionen, in denen keine Energieversorgung vorhanden ist, die Lebensumstände zu verbessern. Das ist der Kreislauf „Energie – sauberes Trinkwasser – Gesundheit“. Das ist für viele Regionen dieser Welt ganz wichtig und eine große Chance für uns. Die Innovationspotenziale Deutschlands sollten wir für den Klimaschutz insgesamt nutzen. Das könnte das Weltklima beeinflussen. Das nenne ich nur als Stichwort. Herr Raabe, es ist anders, als Sie es gesagt haben: Wir engagieren uns nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch in den fragilen Ländern; denn nur wenn wir investieren, wenn wir in die Meinungsbildungs- und die Demokratisierungsprozesse einsteigen, haben wir die Chance, den weltweiten Frieden praktisch zu sichern. (Beifall des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP]) Diese Schlüsselbereiche wählen wir, weil wir in diesen Bereichen unseren Werten entsprechend arbeiten können. Das sind Bereiche, die auch in unserem eigenen Interesse sind; denn wachsender Wohlstand in den Partnerländern gewährleistet internationale Stabilität. Als Exportnation brauchen wir die Globalisierung dieser Stabilität; denn sie schafft für alle Menschen die Chance, friedlich miteinander auszukommen und im Austausch zu arbeiten. Wenn es aber zum Konflikt zwischen Werten und Interessen kommt – auch das möchte ich deutlich sagen –, dann stehen die Werte an erster Stelle. Menschenrechte dürfen nicht zur Disposition stehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Nichtregierungsorganisationen, die Unternehmer und die Privatleute haben viele gute Ideen und eine hohe Bereitschaft, sich für eine bessere Welt zu engagieren. Das merken wir tagtäglich auf vielen Veranstaltungen. Ich bin der Überzeugung, dass das BMZ eine Bühne dafür werden sollte. Diese vielfältigen gesellschaftlichen Engagements sollten besser koordiniert und gelenkt werden. Aus diesem Grunde finde ich es absolut positiv, dass es endlich gelungen ist, die Vorfeldorganisationen neu zu sortieren und somit ein besseres und einheitliches Erscheinungsbild in der Welt herzustellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Moderne Entwicklungsarbeit ist nicht nur, wie man so sagt, das Abspeisen von Armen. Wir haben es in der Regel mit intelligenten Menschen zu tun, die das Recht haben, für sich selbst zu sorgen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die Möglichkeit einzuräumen, durch Bildung und den Aufbau ihrer Strukturen zu diesem Recht zu kommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei dieser Gesamtbetrachtung dürfen wir den Klimawandel nicht aus den Augen verlieren. In diesem Zusammenhang möchte ich die gegenwärtige Hungersnot nach der Dürreperiode am Horn von Afrika nennen. Das BMZ sollte mit unseren Partnern innovative, effiziente und flexible Lösungen für diese Probleme entwickeln und auch andere Zukunftsfragen einbeziehen. Es gilt also, unsere Partner in den Regierungen, der Wirtschaft und der Gesellschaft davon zu überzeugen, dass dies die Weichenstellung für die Zukunft sein muss. Auf folgende drei Bereiche müssen wir uns konzentrieren: Chancen auf Arbeitsplätze und damit Einkommen in den Entwicklungsländern, Chancen auf verlässliche Rahmenbedingungen für unternehmerische Handlungen, damit in diesen Ländern überhaupt gearbeitet werden kann, und Chancen für neue Märkte mit effizienten und klimaverträglichen Produkten. Ich wäre froh – darin besteht der Unterschied –, wenn viele dieser Initiativen das Siegel „Made in Germany“ tragen würden. Denn dieses Zusammenspiel ist effektive Entwicklungspolitik im Interesse der Geber- und der Nehmerländer. Das wird die Zukunft sichern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Movassat für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bertolt Brecht schrieb einmal: Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich. Brecht wusste schon vor über 50 Jahren, dass herrschende Politik kein Interesse daran hat, Strukturen zu verändern. Genau das denke ich auch, wenn ich auf 50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit zurückblicke. (Beifall bei der LINKEN) Die Wahrheit ist doch: Der Bundesregierung fehlt der politische Wille, Armut und Hunger von der Weltkarte zu tilgen. Das offensichtlichste Beispiel dafür ist, dass Sie von der Regierung das internationale Versprechen gebrochen haben, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Obwohl dieses Versprechen 40 Jahre alt ist, sind wir von diesen 0,7 Prozent meilenweit entfernt. Wir erreichen heute gerade einmal 0,38 Prozent. Mittlerweile ist der Nachholbedarf so groß, dass fast 2 Milliarden Euro draufgesattelt werden müssten. Das Pech der Entwicklungsländer ist aber, dass sie keine kriselnden, systemrelevanten Banken sind. Ansonsten hätten alle anderen Fraktionen längst das Zehnfache draufgesattelt. Das ist der eigentliche politische Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Doch es ist keine reine Geldfrage. Es sind strukturelle Gründe, die Armut in der Welt schaffen. Die Bundesregierung setzt auf falsche Politikrezepte, und zwar wider besseres Wissen. Zwei Beispiele: Herr Niebel fordert gerne Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist nicht neu, sondern eine Idee aus den 70er-Jahren. Damals wurden den Entwicklungsländern Aktionsprogramme wie „Gesundheit für alle“, „Arbeit für alle“ oder „Nahrung für alle“ aufgedrängt. Gelder zur Veränderung der Rahmenbedingungen fehlten allerdings. Die Lehre daraus war: Hilfe zur Selbsthilfe ist richtig, funktioniert aber nur, wenn die Entwicklungsländer Mittel an die Hand bekommen, um die Strukturen für Bildung, Gesundheit und Ernährung selbst aufzubauen. Das interessiert diese Regierung aber nicht. Sie hat die Budgethilfe – die einzigen Mittel, über die die Entwicklungsländer relativ eigenständig verfügen können – zusammengestrichen. (Harald Leibrecht [FDP]: Aus guten Gründen!) Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Zwingen Sie den Partnerländern nicht länger Ihre Programme auf. Bauen Sie stattdessen die Budgethilfeprogramme aus. Schenken Sie den Entwicklungsländern – Ihren Partnern auf Augenhöhe, wie Sie immer so schön sagen – Vertrauen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mein zweites Beispiel betrifft die Marktöffnungspolitik, die diese Bundesregierung betreibt. Das ist auch nichts Neues, sondern bekannt aus den 80er-Jahren unter dem Titel „Strukturanpassungsmaßnahmen“. Diese hatten katastrophale Folgen. Die Entwicklungsländer wurden zur Öffnung ihrer Märkte gezwungen. Sie mussten Subventionen für Lebensmittel streichen, Ausgaben für Bildung und Gesundheit kürzen, und sie mussten privatisieren. In der Folge vervierfachte sich die Arbeitslosigkeit in Afrika. Der Reallohn fiel um ein Drittel. Die Lehre daraus war: Marktöffnung und Privatisierung sind der falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Hören Sie auf, die Auszahlung von Entwicklungsgeldern an den Abschluss von Freihandelsabkommen, also an Marktöffnungen, zu koppeln. Das ist Erpressung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Tragen Sie stattdessen dazu bei, dass die Entwicklungsländer ihre Märkte durch Zölle schützen. Nur durch zusätzliche Zolleinnahmen können die Entwicklungsländer Schulen und Krankenhäuser aufbauen. Entwicklungspolitik muss umfassend sein. Das Handeln aller Ministerien muss auf die Erreichung entwicklungspolitischer Ziele ausgerichtet sein. Nehmen wir das Finanzministerium: Das wäre zuständig für die Verhinderung von Nahrungsmittelspekulationen. Schauen Sie nach Ostafrika. Da sehen Sie, welches Elend hohe Nahrungsmittelpreise verursachen. Die Zockerei mit Weizen und Mais treibt die Preise hoch. Nahrungsmittelspekulationen müssen endlich verboten werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch das Landwirtschaftsministerium ist gefragt. Es muss die Agrarexportsubventionen bekämpfen. Schauen Sie nach Ghana. Da werden Sie sehen, wie deutsche Hähnchenschenkel die lokalen Märkte zerstören, weil sie dank Subventionen billiger sind als die Ware der örtlichen Bauern. Auch Agrarexportsubventionen gehören deshalb endlich verboten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Kanzlerin ist gefragt. Statt deutsche Patrouillenboote an Angola zu verkaufen, sollte sie sich für zivile Aufbauhilfe einsetzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt in Afrika keinen einzigen Konflikt, bei dem deutsche Waffen fehlen. Deutsche Waffen morden mit in aller Welt. Nichts verhindert Entwicklung mehr als Krieg. Deshalb brauchen wir das Ende von Waffenexporten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung sollte den heutigen Tag, nämlich 50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit, für eine Änderung ihres entwicklungspolitischen Kurses nutzen; denn sonst werden die schrecklichen Bilder aus Somalia, aus Kenia nicht die letzten ihrer Art sein. Geht es weiter wie bisher, wird weiter alle sechs Sekunden ein Kind an Unterernährung sterben. Geht es weiter wie bisher, wird Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, mit seinem Satz: „Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“, recht behalten. Es ist an Ihnen, Herr Niebel, endlich einen Beitrag zu leisten, dieses Morden zu beenden. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Hartwig Fischer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Movassat, Sie können sich gern meine Homepage anschauen: www.30000-kinder-sterben-taeglich.de. Das ist ein Thema, das alle hier im Hause beschäftigt. Ich sage Ihnen: Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir Ernährungssicherung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sondern durch Schwerpunktprogramme wie das Programm für ländliche Entwicklung, Wasser und Energie. Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir Selbstverantwortlichkeit und Eigenverantwortlichkeit, sondern durch Schwerpunktprogramme für Bildung und berufliche Bildung. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir Selbstständigkeit und den Aufbau von kleinen und mittleren Unternehmen, sondern durch Schwerpunktprogramme zum Beispiel im Bereich der Mikrofinanzen und durch Wirtschaftspartnerschaften. Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir eine an den Menschen orientierte Entwicklungszusammenarbeit. Diese christlich-liberale Koalition hat die Zusammenarbeit entwicklungspolitisch konditioniert, indem wir einen Menschenrechts-TÜV eingeführt haben und gute Regierungsführung zur Grundlage von entwicklungspolitischer Zusammenarbeit machen. Dabei haben wir auch die Korruptionsbekämpfung im Blick. Nicht mit ideologischen Schlagworten, Frau Hänsel und Herr Movassat, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Vielleicht mal einen neuen Satzanfang?) schaffen wir in Bürgerkriegsgebieten und in Kriegsgebieten Frieden für die Menschen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nicht mit ideologischen Schlagworten schaffen wir es, dass das Morden, das Vergewaltigen und das Sterben von Kindern beendet werden, sondern durch militärische und polizeiliche Stabilisierung im Rahmen von UN-Mandaten. Lieber Herr Raabe, mit ideologischen Schlagworten machen wir auch keine Haushaltspolitik. Ich erinnere daran – Frau Wieczorek-Zeul hat das sehr selektiv deutlich gemacht –: Wir haben in der Zeit der rot-grünen Regierung Stabilität in den Haushaltsansätzen gehabt. Ja, Sie haben entschuldet, aber wir haben in der Zeit, nachdem Angela Merkel die Verantwortung als Kanzlerin übernommen hat, den Haushalt von 3,9 Milliarden Euro um über 50 Prozent auf 6,0 Milliarden Euro gesteigert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das sollten Sie einmal anerkennen; denn Sie selbst waren in der Großen Koalition daran beteiligt. (Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Es ist doch vollkommen klar, dass es nicht das Geld allein ist, auch wenn es wichtig ist. – Herr Präsident, ich lasse jetzt keine Zwischenfragen zu. – Vielmehr geht es darum – das ist der entscheidende Punkt –, die Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit zu steigern. Wir haben in dieser Koalition geschafft, was wir in der Großen Koalition mit Ihnen, Frau Wieczorek-Zeul, nicht hinbekommen haben: die Durchführungsorganisationen zusammenzuführen und damit eine stärkere Effektivität in die Entwicklungszusammenarbeit zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Wenn ich das alles zusammenzähle, komme ich zu dem Ergebnis, dass es jetzt eine positive Ausrichtung gibt, mit der wir optimistisch in die nächsten 50 Jahre gehen können. Ich sage Ihnen: Zum ersten Mal seit zwei Jahren haben wir die Situation, in der der Begriff „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ einen Namen hat: Vielen Dank, Dirk Niebel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Thilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welchen Stellenwert, welches Image, welche Akzeptanz in der Bevölkerung Entwicklungszusammenarbeit hat, das hängt – zum Glück nicht allein, aber auch – vom Stellenwert des Ministeriums und vom Image des Entwicklungsministers ab. Wir haben im Laufe der Jahre ganz unterschiedliche Charaktere und Typen erlebt. Ich möchte jetzt nicht alle aufzählen, aber aus der langen Geschichte des BMZ eine Geschichte herausgreifen, einen Konflikt zwischen Erhard Eppler und Helmut Schmidt. Bei einem Streit am Kabinettstisch soll Eppler den Kanzler eindringlich auf negative Auswirkungen eines geplanten Bundestagsbeschlusses auf die Ärmsten der Armen in den Entwicklungsländern hingewiesen haben. Daraufhin soll der Kanzler Eppler an seinen Amtseid erinnert haben: Du hast doch geschworen, deine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. – Eppler ließ sich davon nicht beeindrucken. Er verstand sich bereits als Weltinnenpolitiker, als Anwalt der globalen Gerechtigkeit, auch als Fürsprecher derjenigen, die unter ungerechten Verhältnissen massiv leiden. In gewisser Weise war er ein Exot am Kabinettstisch, ein Außenseiter, ein Mahner, aber eine Stimme, die – ohne eigenständiges BMZ, ohne einen eigenständigen Entwicklungsminister mit Kabinettsrang – am Kabinettstisch gefehlt hätte. Entwicklungsministerinnen und Entwicklungsminister der Sorte Eppler gelten als unbequem und streitbar, als Weltverbesserer, was die einen als positiv ansehen, die anderen als naiv. Sie geben der Entwicklungszusammenarbeit insgesamt das Image: Hier geht es um eine gute Sache, um Hilfe zur Selbsthilfe, um gelebte Solidarität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Man kann manchmal den Eindruck bekommen, dass der jetzige Entwicklungsminister ein solches Image gar nicht haben möchte, dass es ihm im Kreise von führenden FDP-Politikern sogar peinlich wäre, als Helfer und Rächer der Enterbten zu gelten und einem Gutmenschen- und Gedönsministerium vorzustehen. Deshalb bemüht er sich, immer wieder klarzustellen, dass das BMZ nicht so etwas wie ein Weltsozialamt sei. Er betont die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die zu Win-win-Situationen führe. Sein Staatssekretär Beerfeltz sagt immer wieder: Pro Euro, den wir in den Entwicklungsländern investieren, fließen 1,80 Euro in unsere Wirtschaft zurück. So gewinnt man Akzeptanz in weiten Teilen der FDP und beim BDI, aber nicht in der breiten Bevölkerung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Denn sie erwartet gar nicht, dass wir an den Entwicklungsländern auch noch verdienen; mehrere Umfragen haben dies klar bestätigt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, auch dieser Entwicklungsminister hat einiges richtig gemacht – Stichwort GIZ –, (Beifall der Abg. Helga Daub [FDP]) und er betont nicht nur das Business, sondern auch das Humanitäre und die Menschenrechte. Insgesamt aber verschiebt die neue Führung die Ziel- und Schwerpunktsetzung so sehr in Richtung Wirtschaftsförderung, dass man eher von einer interessengeleiteten als von einer wertegeleiteten Entwicklungspolitik sprechen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Entwicklung ist nicht ungefährlich. Denn wenn es in diese Richtung weitergeht, dann könnte man auf die Idee kommen, zu fragen: Wozu noch ein BMZ? Das kann auch gleich die Exportförderabteilung des Wirtschaftsministeriums erledigen. (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] – Zuruf von der FDP: Das haben wir doch geklärt!) Doch so weit wird es hoffentlich nicht kommen. Viele gute Leute im BMZ und fraktionsübergreifend auch viele gute Leute im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden sich dem entgegenstellen. Außerdem finden in zwei Jahren – spätestens in zwei Jahren – wieder Bundestagswahlen statt. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Helmut Heiderich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! In den letzten 50 Jahren, über die wir heute Morgen schon eine ganze Menge gehört haben, haben die Industriestaaten mehr als 2 000 Milliarden für die Förderung der Entwicklung in Afrika gezahlt. 2009 hat die G 8 in L’Aquila beschlossen, 22 Milliarden Dollar zur Förderung der Ernährungssicherung bereitzustellen. Der Bundeshaushalt 2012 wird eine – wenn auch nur bescheidene – Steigerung der ODA-Quote ausweisen. Wer Entwicklungspolitik nur nach ausgegebenen Beträgen und finanziellen Quoten beurteilt, könnte sich jetzt also voller Stolz zurücklehnen. Einige solcher Bemerkungen haben wir im Laufe des Vormittags schon gehört. Nur: Es gibt ein paar andere Gesichtspunkte, die uns nachdenklich machen müssen. Da ist beispielsweise die eben angesprochene Hungersnot. Sie ist die größte, die wir in Nordafrika seit den 70er-Jahren erlebt haben. Wir müssen uns mit dem Gedanken abfinden – darauf hat die Präsidentin der Welthungerhilfe, als sie in der letzten Woche bei uns war, hingewiesen –, dass wir wohl über Jahre hinweg Millionen von Menschen von außen werden ernähren müssen. Ich denke, es genügt nicht – auch nicht an einem Tag wie heute, Frau Wieczorek-Zeul –, wenn wir die Millenniumsziele nur aufzählen. Vielmehr sollten wir uns auch die Frage stellen: Was ist daraus geworden? (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja, genau!) Als Beispiel nenne ich das Thema „Ernährung und Kampf gegen den Hunger“, das zu meinem Aufgabenbereich gehört. Im Jahre 2000 haben wir beschlossen: Wir wollen die Zahl derjenigen, die von Hunger betroffen sind, von 900 Millionen auf 450 Millionen zurückführen. Wenn Sie dieser Tage aktuelle Berichte lesen, dann stellen Sie fest, dass es mittlerweile 1 Milliarde Menschen sind. Es gibt heute also mehr Betroffene als damals. Wir haben, was die Erreichung dieses Ziels betrifft, keinen Schritt nach vorn gemacht. Wir haben nichts erreicht. Auch das muss man erwähnen; man sollte nicht einfach nur ablesen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auffassung, dass Entwicklungspolitik nicht nur nach dem Motto „Viel Geld, viel Ehr’ und viel Fortschritt“ funktioniert, (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hat hier doch keiner gesagt!) sondern dass man sich bei allem Rosarot auch ein wenig mit den Inhalten beschäftigen muss. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!) Um Rupert Neudeck zu zitieren: Die Dürrekatastrophen sind ja keine biblischen Plagen. Man kann sie bewältigen. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja, super! Wie denn?) Das muss man angehen. Ich will ein aktuelles Beispiel nennen. Die Israelis haben in Kenia von 1995 bis 2000 genau das gemacht, was man heute bräuchte: Sie haben in einem Trockengebiet eine Musterfarm mit einer Größe von 5 000 Hektar aufgebaut. Dort haben sie mit modernsten Methoden und mit eigens gezüchtetem Saatgut versucht, den Dürren, die es zeitweise gab, zu begegnen und die Ernährungssicherung zu gewährleisten. Sie haben das Projekt im Jahre 2000 der Universität von Nairobi übergeben. Ein halbes Jahr später war die Vorzeigefarm zugrunde gewirtschaftet. Alles, was beweglich war, war verschwunden und in Privateigentum überführt. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Was Sie da wieder erzählen! Das ist doch absurd!) Ganz aktuell – deswegen habe ich dieses Beispiel gewählt – ist die Regierung von Kenia dabei, dieses Vorhaben wiederzubeleben und mit neuen Investitionen genau das zu machen, was damals leider schiefgegangen ist. Ein Mitarbeiter der Caritas in Uganda hat geschrieben: Das Land ist fruchtbar, aber es fehlt eine Strategie. Es fehlt die Investition in eine leistungsfähige Landwirtschaft. – Einige von uns haben gehört, was der Präsident des IFAD vor zwei Tagen im Ausschuss gesagt hat. Er hat deutlich gemacht: Wir – nicht nur wir, die Deutschen, sondern wir als Industriegesellschaft – haben an dieser Stelle in den letzten Jahren gemeinsam versagt. Wir müssen mehr in die Kleinbauern, die weltweit etwa 70 Prozent der Landwirte ausmachen, investieren. Aber diese Investitionen sind nicht im Sinne der Lebenserhaltung oder in Richtung Subsistenzlandwirtschaft zu tätigen. Vielmehr müssen wir den Kleinbauern ermöglichen, für den Markt produktiv zu werden. Wir müssen ihnen die Möglichkeit verschaffen, dass sie ihre eigenen Produkte verkaufen können, dass sie Geld verdienen können, dass Entwicklung im ländlichen Raum und Arbeitsplätze entstehen, sodass wir auf diesem Weg aus dem Dilemma herauskommen, in dem wir noch immer stecken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es gibt eine Vielfalt von Argumenten. Aber ob Sie beim Committee for World Food Security nachfragen, ob Sie die Ergebnisse der L’Aquila-Konferenz zitieren oder ob Sie die FAO fragen – überall wird dasselbe Argument angeführt: Wir haben diesen Bereich über Jahrzehnte hinweg sträflich vernachlässigt, und wir müssen hier dringend einen anderen Weg einschlagen, und zwar einen Weg nach vorne. Deshalb ist es richtig – das sage ich noch einmal ausdrücklich in Bezug auf die Debatte über die Bundesregierung und Herrn Niebel –, dass die Bundesregierung mit dem Koalitionsvertrag einen Kurswechsel eingeleitet hat, um das Thema „Ländliche Entwicklung“ wieder zu einer Priorität der Politik zu machen. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Haben wir schon gemacht!) Ich hoffe, dass Sie alle dies unterstützen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den Argumenten sagen. Es geht um die Frage, wie wir verfahren sollen. Ich bin der Auffassung, wir sollten dem alten römischen Prinzip „Do ut des“ wieder etwas mehr Stellenwert beimessen. Was meine ich damit? Wir sollten vor allem dort Projekte durchführen und investieren, wo wir nachprüfbare Verbesserungen für die Bevölkerung erwarten können. Das heißt aus meiner Sicht eben gerade nicht, dass wir große Beträge bereitstellen nach dem Motto „Ihr werdet das schon richtig machen“, sondern dass wir mit den Partnern vorher vereinbaren, was wir Schritt für Schritt erreichen wollen, (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das haben wir gemacht!) dass wir die einzelnen Schritte überprüfen und dass wir dort, wo wir erfolgreich sind, diese Schritte fortsetzen, aber dort, wo wir nicht erfolgreich sind, prüfen, warum wir nicht erfolgreich waren und ob wir einen anderen Weg gehen können. Das heißt aber auch, Frau Wieczorek-Zeul, dass wir, wenn wir zu keinem gemeinsamen Ergebnis kommen, sagen müssen: Hier müssen wir unsere Beteiligung beenden. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das haben wir schon gemacht!) Wir müssen in diesem Hause dann auch den Mut haben, dies gemeinsam zu vertreten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! Helmut Heiderich (CDU/CSU): Meine Redezeit ist beendet. Ich glaube, wir bewegen uns auch in der Entwicklungspolitik auf eine Neuausrichtung zu. Wir sollten nach den vergangenen 50 Jahren die Gelegenheit nutzen, die Neuausrichtung für die nächsten zehn Jahre einzuleiten. Ich hoffe hierbei auch auf Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel ist heute und hier über die Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit, über Geld und über Effizienz gesprochen worden. Das sind sicherlich wichtige Themen, über die wir diskutieren müssen. Ich aber möchte die Gelegenheit, dass wir uns in einer Kernzeitdebatte befinden, nutzen, um die Entwicklungszusammenarbeit von abstrakten Begriffen wie multi- oder bilateral herunterzubrechen auf die Geschichte eines Lebens. Ich möchte von dem kurzen Leben von Emanuel erzählen. Emanuel wurde am 7. August 2011 mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren, sodass er nicht richtig Nahrung aufnehmen konnte. Emanuels Pech war, dass er mit dieser Behinderung nicht in Deutschland geboren wurde, sondern in einem philippinischen Dorf am Rande des Dschungels. So hat Emanuel auch nur bis zum 12. September 2011 gelebt. In Deutschland wäre Emanuel aufgrund der medizinischen Möglichkeiten noch am Leben. Jeden Tag – das wissen wir Entwicklungspolitiker – sterben 21 000 Kinder an vermeidbaren oder behandelbaren Krankheiten, zum Beispiel an Durchfall oder Lungenentzündung. Das sind immerhin mehr als 7,5 Millionen Kinder im Jahr. Viele sterben, weil sie eben nicht in München oder Düsseldorf, sondern in Mogadischu oder Addis Abeba geboren wurden. Ich habe Emanuel persönlich kennengelernt. Damit hat das ansonsten häufig namenlose Leiden von millionenfach vermeidbarem Sterben für mich plötzlich ein konkretes Gesicht und einen Namen bekommen. Wir alle sind uns einig: Es ist ein Skandal, dass sich der vermeidbare und millionenfache Tod von Kindern und Erwachsenen in den armen Ländern jeden Tag still und leise vollzieht, ohne dass es hier zu einem Aufschrei der Empörung kommt. Daher möchte ich an dieser Stelle ausnahmsweise nicht nur um mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit werben, sondern auch um mehr Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Es reicht eben nicht, wenn wir höchstens einmal vor hohen Feiertagen oder aktuell bei großen Katastrophen an die Armen dieser Welt und ihr Leid denken und dann einfach wieder zur Tagesordnung übergehen; denn so werden wir den Menschen nicht gerecht. Daher mein Appell heute an Sie und auch an die Zuschauer draußen: Helfen Sie mit, denen, die wenig Stimme besitzen und deren Leiden sich still und leise vollzieht, Gehör zu verschaffen. Es braucht viel mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein dafür, zu erkennen, dass es in vielen Teilen dieser Erde um die Lebensbedingungen vieler Menschen nicht gut bestellt ist. Das Parlament ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Öffentliches Bewusstsein und Empörung erhöhen auch den Handlungsdruck auf uns Politiker. Das ist dann sozusagen der Rückenwind aus der Bevölkerung für uns Entwicklungspolitiker, damit neben all den anderen wichtigen Themen auch die Themen der Entwicklungspolitik den Stellenwert erhalten, den sie angesichts der massiven Herausforderungen auch verdienen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Aufmerksamkeit ist die eine Seite der Medaille, mehr Geld ist die andere. Ja, wir brauchen mehr Koordination zwischen Geberländern und den NGOs. Wir brauchen mehr Effizienz, aber wir brauchen eben auch mehr Geld. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: So ist es!) Aber unser Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist mit 6,33 Milliarden Euro im Entwurf – das können wir nicht übersehen – wieder einmal ein Rekordhaushalt. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Er stagniert!) Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage, in der wir uns befinden, der Euro-Krise und der Schuldenbremse ist das zunächst ein Erfolg. Ich bin sicher, die meisten Kolleginnen und Kollegen würden liebend gerne noch mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit geben. (Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Raabe, lassen Sie mich einfach meinen Gedanken weiterführen; dadurch wird Ihre Frage wahrscheinlich beantwortet werden. 365 Abgeordnete, also mehr als die Hälfte, haben den entwicklungspolitischen Konsens unterschrieben, und das sicherlich nicht leichtfertig, sondern aus Überzeugung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir alle wissen, dass derzeit nicht die Zeit der anwachsenden Haushalte ist. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Muss es aber sein!) Dass der Entwurf für den Entwicklungsetat zunächst wieder – im Gegensatz zu fast allen anderen Bereichen – eine Steigerung vorsieht, zeigt doch, welchen Stellenwert die erfolgreiche deutsche Zusammenarbeit genießt. Wir haben in den letzten 50 Jahren viel erreicht. Dennoch wünscht sich mein entwicklungspolitisches Herz, unserem Versprechen schnell und fühlbar näher zu kommen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP) und es vielleicht im Jahr 2015 tatsächlich zu erfüllen. Ich weiß, es ist nie genug Geld für alles Erstrebenswerte und Notwendige da; aber Geld in der Entwicklungszusammenarbeit trägt eben auch dazu bei, viel, viel Leid zu lindern. Mein Fazit: Ich wünsche mir eine breitere Unterstützung und noch größere finanzielle Anstrengungen, um all die unglaublichen Ungerechtigkeiten noch tatkräftiger und entschlossener an der Wurzel packen zu können. Gesteigertes Bewusstsein erhöht den Handlungsdruck in den Ländern weltweit und hier bei uns. Mehr Aufmerksamkeit erhöht die Zahl der Mitkämpfer. Empörung führt zu mehr Tatendrang. Von all dem brauchen wir möglichst reichlich, damit der Skandal des millionenfach vermeidbaren Sterbens endlich ein Ende hat. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Beschlüsse oder Überweisungen sind dazu nicht vorgesehen, sodass wir gleich zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen können. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Altersarmut in Deutschland – Drucksachen 17/3139, 17/6317 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig nicht umstritten und damit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nachdem kurz vor den Haushaltsberatungen hektisch ein Rentendialog geschaffen worden ist, debattieren wir heute die ausführliche Große Anfrage von Bündnis 90/ Die Grünen und die Antwort der Bundesregierung. Unsere zweite Frage an die Bundesregierung lautet: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Altersarmut in den nächsten Jahren zu einem Problem wird bzw. ein Problem bleibt? Darauf antwortet die Bundesregierung: Es gibt bisher keine seriöse Studie, die die zukünftige Entwicklung von Personen, deren Gesamtalters-einkommen unterhalb der Grundsicherung liegt, zahlenmäßig verlässlich vorhersagt. Auf die Frage: „Hat die Bundesregierung die Absicht, Studien … in Auftrag zu geben?“ antwortet die Bundesregierung: Nein, die Bundesregierung hat nicht die Absicht, Studien zum Thema „Entwicklung der Altersarmut“ in Auftrag zu geben. Wenn dieses „Nein, die Bundesregierung hat nicht die Absicht“ ein Nein von Walter Ulbricht wäre, könnten wir uns Hoffnungen machen. Das ist es aber nicht. Daher müssen wir wahrscheinlich annehmen, dass sich die Bundesregierung mit diesem Thema überhaupt nicht beschäftigen will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es gibt genügend Leute, die zu diesem Thema forschen!) Diese Art von Vogel-Strauß-Politik ist gefährlich. Sie ignoriert nicht nur, dass mittlerweile jeder achte Rentner, jede achte Rentnerin in Deutschland armutsgefährdet ist; vor allem verstreicht wertvolle Zeit, die wir bräuchten, um dem Problem zu begegnen und entsprechend vorzubeugen. Wer das heute ignoriert, der agiert gegen den gesunden Menschenverstand und gleichzeitig bewusst gegen die Realität, frei nach dem Motto: Die alten Armen werden schon nicht auf die Straße gehen. – Frau von der Leyen, auch wenn Sie es nicht hören wollen: Altersarmut bekämpft man nicht mit Minimallösungen im Rentensystem, die nicht einmal mit dem Finanzminister abgestimmt sind, und auch nicht mit ein paar Interviews und in Talkshows. Armut im Alter ist deswegen besonders schwerwiegend, weil sich die Armen im Alter nicht mehr aus dieser Situation befreien, die Armut nicht aus eigener Kraft überwinden können. Wer im Alter arm ist, wird es vermutlich bis zum Lebensende bleiben. Das war übrigens einer der Gründe für die Einführung der Riester-Rente, die gerade bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen Wirkung zeigt. Aber das reicht eben nicht aus. Natürlich ist Altersarmut in erster Linie auf einen Mangel an Einkommen zurückzuführen. Aber diese eindimensionale Betrachtungsweise, die auch in der Handlungsweise der Bundesregierung zum Ausdruck kommt, ignoriert die vielfältigen zusätzlichen Benachteiligungen der Alten. Die Folgen sind häufig Vereinsamung, schlechte Wohnsituation, mangelhafte medizinische Versorgung, Beschränkung bei Ernährung, Kleidung und Mobilität, also dem Aktionsradius. Inzwischen wissen wir aus Studien: Es gibt die gefühlte und wohl auch reale Machtlosigkeit, die eigene Situation zu verändern, Rechte durchzusetzen, auch politisch einzufordern, und nicht zuletzt das Gefühl, Bürgerin oder Bürger zweiter Klasse zu sein. Alte, die sich gar nicht mehr trauen, ihre Ansprüche geltend zu machen, sie laut auszusprechen, befinden sich in der Situation der verdeckten Armut. Das ist ein zusätzlicher Skandal; das ist Folge einer solchen Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die OECD hat bescheinigt: Deutschland gehört international zu den Schlusslichtern bei der Alterssicherung von Geringverdienern. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Traurig! Traurig!) Für 6,5 Millionen Menschen aus dem Niedriglohnbereich ist die Altersarmut schon heute vorprogrammiert. Unter diesen 6,5 Millionen Menschen sind vor allem Frauen; denn 69 Prozent der Niedriglöhner sind Frauen. Herbert Rische, der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, stellte diese Woche fest: Klar ist: Wenn jemand sein Leben lang zu geringen Löhnen arbeitet, wird er vermutlich auch im Alter keine auskömmliche Rente haben. So weit, so klar. Er macht aber zusätzlich darauf aufmerksam: Zu den Risikogruppen gehören auch Minijobber und Selbstständige, die nicht vorsorgen. Ich füge hinzu: die nicht vorsorgen können. Die Bundesregierung hat keine Idee, wie man bei den Selbstständigen vorbeugen könnte. Ein Mindestlohn reicht als Vorsorge natürlich nicht aus, aber er wäre zumindest ein nicht unwesentlicher Schritt. Es gibt aber vor allem keine Lösungsvorschläge für die von Altersarmut bedrohten Langzeitarbeitslosen. Das erste Sparpaket der Bundesregierung hat die Möglichkeit genommen, Rentenanwartschaften aufzubauen. Jetzt nimmt die Bundesregierung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik für die Langzeitarbeitslosen erneut drastische Kürzungen vor: 7,8 Milliarden Euro sollen bei den Langzeitarbeitslosen gespart werden. Das hat nicht nur aktuell Auswirkungen, die schon drastisch genug sind, sondern es hat auch Auswirkungen, wenn die betroffenen Menschen ins Rentenalter kommen und dann von Armut bedroht sind. Dass die Bundesregierung zu den verschiedenen Gruppen, von denen wir heute schon wissen, dass sie besonders betroffen sein werden, keinerlei Vorschläge macht, muss einen beunruhigen. Obwohl sie aufgrund ihrer lebenslang schlechten Einkommenssituation vom Risiko der Altersarmut besonders betroffen sind, kommen Menschen mit Behinderung in den Überlegungen der Bundesregierung nicht vor. Ihr Anteil ist in den letzten Jahren um 11 Prozent gestiegen. Es gibt auch keine Vorschläge für Migrantinnen und Migranten. Geht die Bundesregierung davon aus, dass sie das schon innerhalb ihres Familienverbundes regeln werden? Auch für die Ostdeutschen gibt es keine Vorschläge. Sie alle werden von der Bundesregierung ignoriert. Einen Lösungsvorschlag hat sie, und zwar die Mehrgenerationenhäuser. Sie sollen, was die Wohnsituation, Vereinsamung etc. angeht, den armen Alten helfen. Man muss aber dazusagen: 157 Mehrfamilienhäuser stehen in diesem Herbst vor dem Aus, weil die Förderung ausläuft. Die einzige Lösungsmöglichkeit, die die Bundesregierung sieht, steht vor dem Aus. Das nenne ich Vogel-Strauß-Politik. Das nenne ich gefährlich. Diese Politik ist alles andere als sozial. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Peter Weiß für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer ein Leben lang gearbeitet und für das Alter vorgesorgt hat, der soll sich darauf verlassen können, dass er im Alter von seiner Rente und dem, was er für das Alter vorgesorgt hat, leben kann und nicht auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist Legitimation und Grundlage unseres deutschen Rentenversicherungssystems. Dass es uns gelungen ist, Altersarmut durch Rente und ein auskömmliches Altersauskommen zu vermeiden, ist die größte Erfolgsstory des deutschen Sozialversicherungssystems. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Von welchem Land reden Sie?) Nur 1,8 Prozent derer, die eine volle Rente beziehen, müssen zurzeit staatliche Unterstützung in Form von Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen. Das ist ein sagenhaft niedriger Wert. Von denjenigen in unserem Land, die über 65 Jahre alt sind, müssen 2,4 Prozent Grundsicherung im Alter beantragen. Interessant ist allerdings: Über die Hälfte derer, die Grundsicherung im Alter beantragen, hat nie in eine Rentenversicherung eingezahlt. Das zeigt: Rente schützt vor Altersarmut. Deswegen müssen wir die gesetzliche Rentenversicherung stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Leider wird das Gegenteil gemacht!) Frau Göring-Eckardt, Sie haben die anderen 50 Prozent angesprochen, die keinen Anspruch gegenüber der Rentenversicherung haben. Wir wollen gemeinsam mit der FDP in dem Rentendialog, den die Bundesministerin Ursula von der Leyen in diesem Herbst eingeleitet hat, auch darüber sprechen, wie wir die sogenannten Soloselbstständigen besser davor schützen können, dass sie nichts für das Alter tun. Wir müssen sie in die Pflicht nehmen, damit auch sie, die als Selbstständige ihre Altersvorsorge selber planen können, das in ausreichendem Maße tun, um im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein. (Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Herr Präsident, ich wollte eigentlich zum nächsten Punkt übergehen, aber Herr Strengmann-Kuhn hat offensichtlich eine Frage zu dem bisher Gesagten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Offenkundig scheint das Interesse an der Beantwortung der Frage mindestens so ausgeprägt zu sein wie an der Frage selbst. Dann will ich dem nicht im Wege stehen. – Bitte schön. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die Selbstständigen und insbesondere die Soloselbstständigen sind ein wichtiges Thema. Sie haben eben gesagt, man müsse die gesetzliche Rente stärken. Gilt das auch für die Selbstständigen? Was meinen Sie dazu, und was meint insbesondere Ihr Koalitionspartner dazu? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Fragen Sie mich das nachher bitte auch!) Wenn die gesetzliche Rente gestärkt werden soll, dann müssten auch die Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Gibt es darüber Einigkeit zwischen CDU/CSU und FDP? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Strengmann-Kuhn, wir stehen am Anfang des Rentendialogs. (Elke Ferner [SPD]: Frau von der Leyen steht eher auf Monologe!) Als Experte wissen Sie, welche Vorschläge es gibt. Als Vorbild für alle Selbstständigen könnte die traditionell sehr gute Lösung bei den Handwerkerinnen und Handwerkern dienen. Diese müssen 18 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung bleiben, nachdem sie sich selbstständig gemacht haben. Die entscheidende Frage ist: Schaffen wir es, jeden dazu zu verpflichten, für das Alter vorzusorgen? Niemand darf sich darauf verlassen, notfalls durch die staatliche Grundsicherung aufgefangen zu werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit Abschluss des Rentendialogs im Frühjahr kommenden Jahres ein Lösungskonzept haben, bei dem auch die Selbstständigen mitmachen; darauf kommt es mir an. Obwohl die Grundaussage „Rente schützt vor Altersarmut“ stimmt, stellen sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die bange Frage: Wird das auch in Zukunft so sein? – Es ist bekannt, dass das Rentenniveau insgesamt sinkt (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ja das Problem!) und dass es immer mehr Menschen gibt, die Unterbrechungen in ihrer Erwerbsbiografie haben, längere Phasen der Arbeitslosigkeit leider erleben mussten oder über lange Zeit im sogenannten Niedriglohnsektor beschäftigt waren. Deshalb brauchen wir in der gesetzlichen Rentenversicherung einen zusätzlichen Mechanismus, der vor Altersarmut schützt. In rot-grüner Regierungsverantwortung sind all die Rentenreformen beschlossen worden, die in den kommenden Jahren zu einer deutlichen Absenkung des Rentenniveaus führen. (Elke Ferner [SPD]: Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann ändern Sie es doch!) Aber eine untere Auffanglinie für Rentnerinnen und Rentner ist von Rot-Grün nie in Erwägung gezogen und im Gesetz verankert worden. Ich freue mich über die Große Anfrage der Grünen. Aber sie hätten längst zur Kenntnis nehmen können, dass es diese Koalition aus CDU/CSU und FDP ist, die in ihre Koalitionsvereinbarung klar hineingeschrieben hat: Wir wollen eine zusätzliche Sicherung, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie aber nicht!) die dazu führt, dass derjenige, der ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt hat, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhält und nicht der Gefahr von Altersarmut ausgesetzt ist. Das ist eines der großen Reformvorhaben dieser Koalition, das wir aktuell angehen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich bedanke mich bei Frau Bundesministerin Ursula von der Leyen, dass sie den Rentendialog mit einem konkreten Vorschlag eingeleitet hat; über diesen haben wir zu diskutieren. Ihr Vorschlag sieht vor, dass derjenige, der sich keine auskömmliche Rente in seinem Leben erarbeiten konnte, ab dem Jahr 2013 eine Zuschussrente beantragen kann, die eine monatliche Rentenzahlung in Höhe von 850 Euro garantiert. Es zeigt sich wieder einmal: Während sich die Opposition noch mit dem Was und dem Wie befasst und beantragt, dass die Bundesregierung zusätzliche Untersuchungen in Auftrag geben soll, sind wir als Koalition bereits einen Schritt weiter und legen konkrete Vorschläge auf den Tisch, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Vorschlag ist viel älter! – Elke Ferner [SPD]: Welche Drucksachennummer ist das noch mal?) aus denen hervorgeht, wie in Zukunft zusätzlicher Schutz vor Altersarmut geschaffen werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin mir sicher, dass wir über einzelne Rahmenbedingungen der Vorschläge von Frau Bundesministerin Ursula von der Leyen im Rentendialog offen diskutieren werden. Sicherlich sind Alternativen denkbar. Eine Alternative ist allerdings für mich nicht denkbar. In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder die Forderung erhoben, auch denjenigen, die weniger als 30 Beitragsjahre vorweisen können, eine Grundrente zu garantieren. Wer alle Unterschiede im Rentenversicherungssystem einebnet und gleiche Rente für alle fordert, ob sie gearbeitet oder nicht gearbeitet haben, ob sie einbezahlt oder nicht einbezahlt haben, der festigt nicht das System der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern er zerstört es in Wahrheit. Deswegen werden wir das nicht mitmachen. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Wenn die Rente nichts mehr mit Arbeits- und Beitragsleistung zu tun hat, dann wird einerseits das Arbeiten entwertet – der Wert der Arbeit wird nicht gestärkt, sondern sie wird entwertet –, andererseits ist die Rente keine Anerkennung mehr für die Lebensleistung. Warum soll sich jemand ein Leben lang anstrengen, wenn im Alter alle gleichbehandelt werden? Der Vorschlag von Frau von der Leyen hat den großen Charme, dass damit zu Recht diejenigen, die gearbeitet und sich bei der eigenen Alterssicherung angestrengt haben, aber trotzdem nur geringe Ansprüche erworben haben, für die lebenslange Arbeitsleistung und Vorsorgeleistung wirklich belohnt werden. Darauf kommt es an. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wer leider nie arbeiten konnte, für den hat die Rentenversicherung heute nichts bereit, und sie wird auch in Zukunft nichts auszahlen können, weil keine Beiträge geflossen sind. Aber dafür gibt es die staatliche Grundsicherung. Frau Kollegin Göring-Eckardt hat die Arbeitslosengeld-II-Bezieher angesprochen. (Elke Ferner [SPD]: In dem jetzigen Modell sind die gar nicht drin!) In dem Modell, das jetzt vorgelegt worden ist, ist es dadurch, dass Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II Anrechnungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, auch für die, die langzeitarbeitslos waren, möglich, die 850-Euro-Rente zu bekommen. (Elke Ferner [SPD]: Was ist mit denen, die keines haben?) Das ist deutlich mehr als der Betrag, den der Staat früher für eine Altersrente ausgezahlt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auch die Debatte über Mindestlöhne – Frau Göring-Eckardt, ich danke Ihnen, dass Sie darauf hingewiesen haben – hilft uns in diesem Zusammenhang nicht. Selbst ein Mindestlohn von mehr als 9 Euro würde nicht zu einer Rente von 850 Euro führen. Das zeigt: Man muss zwar die Mindestlohndebatte führen, sie ist aber nicht dazu geeignet, im Zusammenhang mit dem auskömmlichen Alterseinkommen weiterzuhelfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein ganz besonderes Augenmerk sollte den Erwerbsminderungsrentnern gelten, weil mittlerweile 9 Prozent dieser Personengruppe ergänzend auf Grundsicherung – sprich: staatliche Hilfe – angewiesen sind. Deswegen ist es richtig, dass Frau von der Leyen vorschlägt, die sogenannte Hinzurechnungszeit um zwei Jahre zu verlängern, was insgesamt zu höheren Ansprüchen von Erwerbsminderungsrentnern führen wird. Sicherlich werden wir im Rentendialog auch über weitere Maßnahmen diskutieren. Es geht bei der Debatte über Altersarmut und im Rentendialog in der Tat um Grundsätzliches. Bleibt die Rente Anerkennung für Lebensleistung, oder werden alle unabhängig von ihrer Arbeitsleistung gleichgestellt? Der Sozialstaat, auf den wir stolz sind, wird nicht sozialer, sondern unsozial, wenn immer mehr Menschen unabhängig von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit zu staatlichen Fürsorgeempfängern gemacht werden. Der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme bleiben dann sozial und finanzierbar, wenn sie die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Einzelnen fördern und erhalten. Darum geht es uns. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über Altersarmut in Deutschland reden, ist der Anlass sicherlich die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Grünen; aber das eigentliche Thema – da sind wir uns sicherlich einig – ist natürlich der Regierungsdialog Rente, der von der Bundesregierung jetzt gestartet worden ist. Herr Weiß, wir haben von Ihnen viele blumige Vorschläge gehört, aber konkrete Antworten konnten Sie uns leider nicht geben. Die ersten Vorschläge aus dem Haus der Bundesministerin lassen vielmehr vermuten, dass die zuständige Bundesministerin von der Leyen die Antwort ihres Hauses auf die Große Anfrage gar nicht kennt. Würde sie sie kennen, würde sie sicherlich andere Vorschläge unterbreiten. Wenn wir uns jetzt einmal anschauen, was in der Antwort auf die Große Anfrage herausgestellt wird, dann muss man feststellen, dass das im Großen und Ganzen bekannt ist. Wir wissen, es gibt vier zentrale Risiken, die zu Altersarmut führen. Das ist einerseits die Niedrig-lohnbeschäftigung. Das sind andererseits lange Phasen der Arbeitslosigkeit. Das ist des Weiteren die Erwerbsunfähigkeit, die Erwerbsminderung, und das ist die fehlende Absicherung bei Selbstständigen. Wenn wir uns das noch genauer anschauen, dann sehen wir, dass die ersten beiden Kriterien sehr viel mit dem Arbeitsmarkt zu tun haben. Damit ist der logische Ansatzpunkt, um Altersarmut zu bekämpfen, der Arbeitsmarkt. (Beifall bei der SPD) Niedriglohnbeschäftigung kann ich dadurch verhindern oder reduzieren, wenn ich in der Bundesrepublik Deutschland endlich die dringend geforderten Mindestlöhne einführe. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Was wir in der Bundesrepublik Deutschland brauchen, ist ein allgemeiner, genereller Mindestlohn. Aber nicht einmal beim Thema Leiharbeit ist die Bundesregierung konsequent. Wir haben die Situation, dass der Mindestlohn in der Leiharbeit zwar seit langem angekündigt ist. Aber bis heute existiert hierzu keine Regelung in abschließender Form, die tatsächlich weiter geht. Wenn die Bundesministerin sagt, sie hoffe, dass über kurz oder lang ein Mindestlohn in allen Branchen existiere, dann kann ich die von-der-Leyen’sche Terminologie nur als Drohung verstehen. Übersetzt heißt das nämlich letztlich: Über kurz oder lang wird nichts erfolgen. Das Ganze heißt: in weiter Ferne, konkret: am Sankt-Nimmerleins-Tag. Ich komme zum zweiten Thema, nämlich der Sicherung des Lebensunterhalts von Langzeitarbeitslosen. Auch das ist ein Thema, das sehr eng mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängt. Es wäre logisch, etwas gegen Langzeitarbeitslosigkeit zu tun. Aber wenn wir uns hier die konkrete Politik der Bundesregierung anschauen, dann stellen wir fest, dass auch da nichts passiert. Einerseits geschieht im Rentenversicherungssystem nichts. Da haben wir vielmehr die Situation, dass die Beiträge zur Rentenversicherung für SGB-II-Empfänger abgeschafft worden sind. Wir haben andererseits die Situation, dass die gesamte Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose kaputtgemacht worden ist. In den nächsten Jahren werden im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik 26,5 Milliarden Euro eingespart. Wir haben den Sachverhalt, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abgeschafft werden und dass der Beschäftigungszuschuss schon in der Vergangenheit niedergemacht worden ist. Statt Arbeitsgelegenheiten in intensiverer Weise zu nutzen, passiert auch hier das Gegenteil. Integrationsfirmen beispielsweise würden vielen Langzeitarbeitslosen helfen. Aber von diesen konkreten innovativen Vorschlägen ist in der Arbeitsmarktpolitik nichts zu hören. (Beifall bei der SPD) Dass die SPD gegen prekäre Beschäftigung etwas macht, haben wir demonstriert. Wir haben zahlreiche Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Zuletzt am gestrigen Tag haben wir über die Streichung der sachgrundlosen Befristung geredet. Wir haben Gesetzentwürfe zum Mindestlohn und auch zur Leiharbeit eingebracht. Auch werden wir noch Gesetzentwürfe zu der erzwungenen Teilzeitarbeit vorlegen. Dies ist in der ganzen Debatte ebenfalls ein wichtiges Thema. Wir wissen natürlich, dass wir rentenrechtlich an die Thematik herangehen müssen. Deshalb wollen wir einerseits bei Langzeitarbeitslosigkeit Anrechnungszeiten mit Durchschnittswerten schaffen, die eine verbesserte Situation für Langzeitarbeitslose bieten. Andererseits wollen wir die Rente nach Mindesteinkommen. Meine Damen und Herren der Koalition, da Ihre Ministerin es bislang nicht für nötig hielt, die Bundestagsfraktionen zum Regierungsdialog einzuladen, könnten Sie vielleicht zumindest noch den CDU-Fraktionsvorsitzenden in NRW, Karl-Josef Laumann, und die bayerische Sozialministerin Haderthauer einladen. Beide könnten Ihnen unseren Ansatz nicht nur erklären, sondern auch anpreisen. Sie unterstützen ihn nämlich. Nun zum dritten Risikofaktor: Dass Erwerbsminderung immer häufiger zu Altersarmut führt, ist mittlerweile unumstritten. Umstritten ist der Lösungsvorschlag von Schwarz-Gelb. Statt grundlegend etwas am Problem zu ändern, soll die Zurechnungszeit um zwei Jahre verlängert werden, aber nur parallel zur Anhebung der Regelaltersgrenze, also pro Jahr ein Monat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weiße Salbe!) Das ist sehr dünn. (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben doch gar nichts gemacht, als Ihr Minister damals die Regelaltersgrenze hochgesetzt hat! Was war denn Ihr Vorschlag? – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Das wollte doch die CDU nicht! Ihr Koalitionspartner wollte das nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben doch den Minister gestellt!) Ich komme zum letzten Grund, warum nach dem Erwerbsleben das Risiko von Altersarmut hoch ist, nämlich zur fehlenden obligatorischen Absicherung von Selbstständigen. Wir erfahren aus der Antwort auf Frage 25, dass bei älteren Soloselbstständigen das Armutsrisiko mit 27 Prozent am höchsten ist – viel höher noch als bei Arbeitslosen. Vorschläge der Bundesregierung hierzu: Fehlanzeige. Es gibt nur einige blumige Worte von Herrn Weiß. Sehen Sie denn nicht, was Sie hier tun müssen? Die einzige vernehmbare Lösung stammt im Übrigen von der FDP. Selbstständige sollen sich verpflichtend privat absichern. Das heißt aber nur, dass sie eine Lebensversicherung oder etwas Ähnliches haben müssen. Das ist aber eben keine echte Rentenversicherung. Das sind wieder einmal Sonderrechte für die eigene Klientel. Die SPD will eine Erwerbstätigenversicherung, eine moderne Sozialversicherung, die unabhängig von der Art der Arbeit alle Erwerbstätigen umfasst, damit Übergänge einfacher möglich sind. Noch eine kurze Bemerkung zum Regierungsdialog. Wenn man sich anschaut, was in dem Wolkigen und Ungefähren der Ministerin zum Vorschein kommt, dann stellt man fest: Es ist das Festschreiben eines konservativen Frauen- und Familienbildes. Was ist geplant? Eine Zuschussrente, die bedeutet, dass sie aktuell den langjährig tätigen Vollzeitbeschäftigten überhaupt nichts nutzt. Den maximalen Vorteil haben diejenigen, die einen Minijob ausüben, auf die Sozialversicherungsfreiheit verzichten und für fünf Jahre einen Riester-Vertrag abschließen. Wir müssen uns aber überlegen, welche Auswirkungen das für Menschen hat, die eine Rente knapp oberhalb der Grundsicherung beziehen. Wenn man das umrechnet, bedeutet dies, dass ein Durchschnittsverdiener knapp 35 Jahre Beiträge entrichten muss, um diesen Zuschuss zu erhalten. Viele Menschen werden sich zu Recht fragen, warum sie sich krummlegen sollen, wenn der Rest ihnen vom Staat geschenkt wird. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Anette Kramme (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU, ich glaube nicht, dass Sie diese Entwicklung wollen. Sie ergibt sich aber zwangsläufig, wenn die Rentenpolitik nicht mehr auf die Mitte der Gesellschaft ausgerichtet ist. In diesem Sinne appelliere ich an Sie: Machen Sie sich in Ihrer Fraktion bemerkbar und verhindern Sie solche Regelungen! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kramme, bei Ihrer Rede fällt mir spontan Wilhelm Busch ein: „Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.“ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will hier einmal sehr deutlich sagen: Über das Thema Altersarmut diskutieren wir nicht erst seit heute, es ist nicht erst seit heute auf der Agenda. Mit Ausnahme der Linken haben alle Parteien im Deutschen Bundestag schon einmal Verantwortung getragen, seitdem über dieses Thema diskutiert wird. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Regierungsverantwortung! Verantwortung tragen wir auch!) Deswegen nutzt es nichts, Frau Kollegin Göring-Eckardt, hier zu behaupten, es gebe keine Forschungsaufträge der Bundesregierung. Das mag zwar sein, aber es ist nicht so, dass zu diesem Thema nicht geforscht würde. Nehmen Sie die DIW-Armutsstudie, an der Herr Grabka mitgearbeitet hat. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihre Regierung sagt, es gibt nichts!) – Die Regierung erteilt zwar keine Aufträge, aber es wird doch auf diesem Gebiet geforscht. In der wissenschaftlichen Landschaft besteht großes Interesse an dieser Frage. Wer will, kann auch sehen. Das will ich hier sehr deutlich sagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal Frau von der Leyen!) Da hier ein Mangel an Konzepten beklagt wird, muss ich sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion hat in der letzten Legislaturperiode bereits umfassende Antworten vorgelegt, übrigens nicht nur den einen Antrag, der jetzt hier in Rede stand. Wir haben gesagt, wie die Bekämpfung der Altersarmut zielgruppengerecht und nach der Betroffenheit erfolgen kann. Wir haben das sehr sauber durchdekliniert. Ich empfehle Ihnen, das einmal nachzulesen. Es ist hier zu Recht gesagt worden: Im Alter ist es für eigene Anstrengungen zu spät. – Ich unterstreiche das. Deswegen geht die FDP-Bundestagsfraktion von einem präventiven Ansatz aus. Wenn wir nachsorgend kompensieren wollen, dann muss der Staat mit Steuermitteln ran. Wir müssen die Menschen ermuntern, mit eigener privater oder betrieblicher Vorsorge (Widerspruch bei der LINKEN) für ein ausreichendes Gesamtalterseinkommen zu sorgen. – Da schüttelt die Kollegin Ferner den Kopf. (Elke Ferner [SPD]: Genau!) Was war denn die Politik Ihrer Bundesregierung? Herr Riester hat einen Gesetzentwurf eingebracht und verabschieden lassen, in dem eine deutliche Absenkung des Versorgungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen war. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Leider! Leider!) Er hat gesagt, das sei deswegen vertretbar, weil gleichzeitig für private und betriebliche Altersversorgung verstärkt geworben werde. Die Einführung der Riester-Rente war doch die Reaktion Ihrer Partei darauf. Es ist sicherlich nur recht und billig, darauf hinzuweisen, dass es darum geht, alle drei Säulen zu stärken: die gesetzliche Rente – ich sehe sie unverändert als die wichtigste Säule an; das will ich hier gar nicht bestreiten –, aber auch die private und die betriebliche Rente. Das, was die Bundesregierung jetzt in den Dialog eingebracht hat, sind Ansätze, die zielführend sind. Ich will hier zur Frage der Selbstständigkeit deutlich Stellung beziehen: Die Selbstständigen sind eine der Gruppen, bei denen wirklich Handlungsbedarf besteht. Ja, wir sind der Meinung: Es braucht keine Pflichtversicherung, sondern es genügt eine Versicherungspflicht. Jeder Selbstständige muss in jedem Jahr seiner Erwerbstätigkeit einen Beitrag zu seiner Altersvorsorge leisten, mit dem Ergebnis, im Alter ein Versorgungsniveau oberhalb der Grundsicherung, zumindest oberhalb der Armutsgrenze zu erreichen. (Elke Ferner [SPD]: Mit oder ohne Risikoprüfung?) – Das hängt davon ab, wo eine Versicherung abgeschlossen wird. (Elke Ferner [SPD]: Die Schlechten ins Kröpfchen und die Guten in die Rentenversicherung!) Sie haben vorhin gesagt: Da sind private Lebensversicherungen vollkommen fehl am Platz. Das kann durchaus auch in der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgen, in die Selbstständige freiwillig Beiträge einzahlen können. Herr Strengmann-Kuhn hat leider nicht gefragt, ob es eine Stärkung oder eine Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung nach sich ziehen würde, wenn man die Selbstständigen einbeziehen würde. Ich warne da wirklich vor einfachen Antworten. Wenn Sie sich das einmal im Detail anschauen, Herr Kollege Strengmann-Kuhn – ich schätze, Sie haben das schon getan –, dann sehen Sie natürlich, dass zum Beispiel Beiträge in der Pflichtversicherung der Handwerker – sie müssen 18 Jahre lang einzahlen – verpflichtend nur im Verhältnis zu einem durchschnittlichen Verdienst zu entrichten sind; man kann freiwillig mehr zahlen. Wenn Sie das ändern wollen, nach dem Motto „Alle Selbstständigen in die Rentenversicherung“, wobei sich die Beitragshöhen an der Pflichtversicherung der Handwerker ausrichten sollen, dann stellt sich für die vielen anderen Versicherten die Frage: Warum müssen wir eigentlich verpflichtend bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge entrichten? Der Teufel steckt also im Detail. Ich warne davor, allzu früh „halleluja!“ zu rufen. Mindestlöhne sind definitiv keine Lösung. (Elke Ferner [SPD]: Das ist mir klar! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Erde ist eine Scheibe!) – Frau Ferner, Sie kennen doch die Rentenformel. Man kommt zu diesem Ergebnis, wenn man die entsprechenden Werte in die Rentenformel einsetzt. Dafür muss man kein Mathematiker sein; Adam Riese zu bemühen, reicht völlig aus. (Elke Ferner [SPD]: Da kann man schon sehen, wes Geistes Kind Sie sind!) Man stellt fest: Mindestlöhne – und schon gar nicht der allgemeine flächendeckende Mindestlohn, der nach aller Voraussicht nicht bei 12 oder 15 Euro, sondern deutlich darunter liegen würde – führen nicht zum Ziel. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 10 Euro wären aber ein Anfang!) Auch ich bin dafür, dass wir Voraussetzungen für eine gute eigene Altersvorsorge schaffen, nämlich dadurch, dass möglichst viele Arbeitsplätze in Deutschland bestehen. Da sind wir, die schwarz-gelbe Bundesregierung, sehr erfolgreich. (Elke Ferner [SPD]: Erfolg trotz der Regierung!) Erwerbsarbeit führt zu eigenen Altersvorsorgebeiträgen und ist allemal besser, Frau Ferner, als wenn Menschen arbeitslos oder gar langzeitarbeitslos sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“) Das sind erste Beiträge zu dieser Diskussion, die wir gerne mit Ihnen führen, weil gerade die FDP-Bundestagsfraktion auf dem Gebiet der Altersarmut intensiv vorgearbeitet hat. Sie braucht keine Diskussion mit irgendjemandem in diesem Hause zu scheuen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Matthias W. Birkwald für die Fraktion der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Anfang September hatte die Berliner B.Z. über Gerd Legler berichtet. Vorgestern ist er mir auf meinem Weg vom Reichstagsgebäude ins Büro auch begegnet. Gerd Legler ist 69 Jahre alt. Er ist Rentner, und er tourt als Berlins erste mobile Pfandflaschenstation mit seinem Rollstuhl jeden Tag acht Stunden durchs Regierungsviertel, um seine Rente aufzustocken. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollte ich auch als Aufhänger nehmen!) „Pfandflaschen gesucht“, hat er auf ein Schild geschrieben. Rund 18 Euro am Tag nimmt er mit dem Sammeln von circa 100 Pfandflaschen ein. Gerd Legler ist studierter Maschinenbauer. Er hat lange Jahre als Ingenieur gearbeitet und erhält dennoch nur 760 Euro Rente. Dies reiche hinten und vorne nicht, sagt er, und seinen Kindern wolle er nicht zur Last fallen. Wie heißt es doch in Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Eine Rentenpolitik, die dafür verantwortlich ist, dass sich alte Menschen zum Wühlen in Mülleimern und Flaschencontainern genötigt sehen, verstößt gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde. Eine solche Politik nenne ich erbärmlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Linken wollen, dass jede und jeder in Würde leben kann. Das muss für alle Menschen gelten, für die, die arbeiten, und auch für die, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht oder nicht mehr arbeiten. (Beifall bei der LINKEN) An diesem Würdeprinzip muss sich auch eine gute Rentenpolitik messen lassen. Doch vor zehn Jahren haben SPD und Grüne das Rentenniveau drastisch gesenkt und dafür gesorgt, dass es auch in Zukunft sinken wird. Sie haben die private Riester-Rente und ungerechte Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente eingeführt und den Niedriglohnsektor massiv ausgedehnt. Das alles war falsch, ist falsch und bleibt eine falsche Politik. (Beifall bei der LINKEN) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sagen in der Vorbemerkung zu Ihrer Großen Anfrage: Vergangene Rentenreformen haben die Ansprüche der Rentnerinnen und Rentner reduziert, die Reallöhne haben sich schwach entwickelt, die Anzahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse und die Spreizung der Erwerbseinkommen haben zugenommen. Das ist alles wahr. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Grüne und SPD mit diesem Unsinn begonnen haben, CDU und SPD mit der Rente erst ab 67 die rentenpolitische Demontage und diese falsche Politik nahtlos fortgesetzt haben und Schwarz-Gelb diesen Weg unbeirrt weitergeht. (Beifall bei der LINKEN) Die Folge: Die Rente sichert den einmal erreichten Lebensstandard schon längst nicht mehr. Und: Die Rente schützt nicht einmal mehr vor Altersarmut. Damit werden viele Alte an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das alles war und ist politisch gewollt. Wir Linken sagen Ihnen: Das ist ein völlig unhaltbarer Zustand. (Beifall bei der LINKEN) Wer heute in Rente geht, erhält eine immer niedrigere Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – die Herr Weiß stärken will –, als dies früher üblich war. Das kann bis zu 100 Euro im Monat ausmachen. Aktuell erhalten westdeutsche Neurentner nur noch 808 Euro Rente im Durchschnitt. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das sagt gar nichts!) Bei den Frauen zwischen Aachen und Helmstedt sind es mickrige 494 Euro. Bei den ostdeutschen Neurentnern sind es 785 Euro bei den Männern und nur 666 Euro bei den Frauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Renten, die deutlich unterhalb der Armutsrisikogrenze liegen. Diese beträgt derzeit 929 Euro für Alleinstehende. Schauen Sie einmal auf Seite 6 der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage. Dort finden Sie diese Zahl, die sogar von zwei Instituten bestätigt worden ist. Meine Damen und Herren von der christlichen Partei, da können Sie auch nachlesen, dass schon heute 15 Prozent der Menschen jenseits der 65 von Armut bedroht sind. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis, und hören Sie endlich auf, zu behaupten, Altersarmut sei heute kein Problem, weil nur 2,4 Prozent der älteren Menschen die sogenannte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Anspruch nehmen! Diese Art der Schönfärberei ist schlicht und einfach unerhört, Herr Weiß. (Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die Zahl 2,4 stimmt doch!) Herr Weiß, Sie haben eben gesagt, die Rente würde heute schon vor Altersarmut schützen. Dazu sage ich Ihnen jetzt einmal eine Zahl. Zwischen 2003 und 2010 ist bei den Grundsicherungsempfängern, bei denen eine Altersrente angerechnet wird, eine Steigerung von 71,7 Prozent zu verzeichnen gewesen. Das sind 113 480 Menschen mehr, bei denen die Rente nicht mehr zum Leben reicht. So sieht es aus. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie wissen doch gar nicht, was sie sonst noch an Einkommen haben!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen feststellen, dass die Altersarmut wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, vor allem bei den Ostdeutschen und bei den Frauen. Im Jahr 2003, Herr Weiß, waren knapp 260 000 Betroffene auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Ende 2009 waren es schon fast 400 000. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Zwischen 2007 und 2009 ist der Anteil gesunken!) Zwei Drittel davon sind Frauen. Zudem müssen immer mehr Alte einen Minijob annehmen, um überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen. Schon heute gehen mehr als 740 000 Menschen im Rentenalter einem Minijob nach. Auch hier sind zwei Drittel davon Frauen. Die meisten machen das sicher nicht nur aus Spaß an der Freude, wie eine Sprecherin der Bundesarbeitsministerin kürzlich behauptete. Die Bundesarbeitsministerin sehe ich da hinten sitzen. Seniorinnen und Senioren, die nachts Taxi fahren, im Morgengrauen Büros putzen oder abends als Klofrau jobben, machen das nicht, weil sie sich langweilen, sondern weil die Rente schlicht nicht zum Leben reicht. Meinen Sie denn ernsthaft, dass die große Mehrheit der 108 000 Minijobberinnen und Minijobber jenseits der 75 Jahre – auch diese gibt es – das zum Vergnügen machen? Wer das glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. (Beifall bei der LINKEN) Etwas drastisch zusammengefasst: Ruhestand war gestern, Malochen bis zum Tode droht als Schicksal. Das muss unbedingt verhindert werden. (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Frau von der Leyen, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Ihr Ohr liehen. Sie haben nämlich einen „Regierungsdialog Rente“ ins Leben gerufen, doch die bisher von Ihnen in diesem Rahmen vorgelegten Vorschläge sind wirkungslos und zum Teil kontraproduktiv. Warum? – Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie mir einmal zuhörten, Frau Ministerin. Immerhin ist Ihre Politik das Thema meiner Rede, und ich möchte sie kritisieren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Enkelmann? Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Aber selbstverständlich gerne. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Birkwald, wir reden hier über ein gravierendes Problem, wir reden über Altersarmut in Deutschland. Haben Sie den Eindruck, dass die Regierung, dass insbesondere die zuständige Ministerin Interesse an diesem Thema hat? (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist doch ungeheuerlich!) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Nein, diesen Eindruck habe ich nicht. Ich danke Ihnen für die Frage, Frau Kollegin. Ich habe die Ministerin eben zweimal freundlich gebeten, zuzuhören. Das ist nicht erfolgt. Bei dem „Regierungsdialog Rente“ sind die Oppositionsparteien bisher gar nicht eingeladen. Das heißt, unsere Meinung scheint die Regierung leider überhaupt nicht zu interessieren. Ich hoffe, das wird noch anders. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von unserem FDP-Kollegen Kober? Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Bitte schön. Pascal Kober (FDP): Lieber Kollege Birkwald, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an diesem heutigen Tag während dieser Debatte mit zwei Vertreterinnen bzw. Vertretern anwesend ist, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber nur körperlich!) dem Staatssekretär Hans Joachim Fuchtel und der Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen, die weite Teile der Debatte gemeinsam verfolgen, und dass das eine Ausnahme ist, womit das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unterstreicht, wie wichtig dieses Thema ist? Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Lieber Herr Kollege Kober, ich bin gerne bereit, Ihnen zu bestätigen, dass der Herr Kollege Staatssekretär aufmerksam zugehört hat. Wenn aber die Leiterin des Hauses, die Ministerin selbst, anwesend ist, dann ist es auch ein Gebot der Höflichkeit, den Oppositionspolitikerinnen und Oppositionspolitikern zuzuhören. Das aber ist auch auf zweimalige freundliche Aufforderung hin nicht erfolgt. Deswegen kann ich Ihnen dies, was die Ministerin anbelangt, leider nicht bestätigen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also noch einmal: Sehr geehrte Frau von der Leyen, Sie haben einen „Regierungsdialog Rente“ ins Leben gerufen. Ich sage Ihnen: Die bisher von Ihnen vorgelegten Vorschläge dazu sind wirkungslos und zum Teil sogar kontraproduktiv. Warum? Sie sind wirkungslos, weil Sie die Erwerbsminderungsrente nur an die unsägliche Rente ab 67 anpassen, aber kein bisschen verbessern wollen. Gerade die, die geschuftet haben, bis sie krank wurden, brauchen unsere Unterstützung und dürfen nicht mit Almosen abgespeist oder gar mit Abschlägen bestraft werden. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Vorschlag, die Hinzuverdienstgrenzen für vorzeitig in Rente gegangene Ältere zu erweitern, ist kontraproduktiv; denn mit Ihrer Kombirente werden prekäre Beschäftigungen als eine zentrale Ursache der Altersarmut eben nicht bekämpft. Im Gegenteil – Minijobs würden noch weiter hoffähig gemacht. Damit treiben Sie den Kombilöhner in die Kombirente und rufen den armen Alten zu: Geht doch arbeiten! (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist wirklich dummes Zeug!) Das ist die zynische Logik, die wir bereits von Hartz IV kennen. Wollen Sie allen Ernstes – wie in den USA –, dass die 70-Jährigen den 40-Jährigen im Supermarkt die Tüten packen und dass die 75-Jährigen den 55-Jährigen den Sprit in den Tank füllen? (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie reden dummes Zeug!) Das kann doch wohl nicht wahr sein! Würdevolles Altern geht anders, Frau Ministerin. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die Rentner wollen doch, dass die Grenzen wegkommen! Schämen Sie sich für den Unsinn, den Sie reden! – Zuruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]) – Herr Lindner, Ihre Beiträge sprechen immer für sich. Über Sie rede ich besser kein Wort, das geht nur zu Ihren Ungunsten aus. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Frau Ministerin, die von Ihnen vorgeschlagene Zuschussrente ist ungerecht. Sie würde nur einem Bruchteil der von Altersarmut Betroffenen zugutekommen. 40 Versicherungsjahre und 35 Beitragsjahre und 5 Jahre private Vorsorge, das ist für die, die die Zuschussrente brauchen, fast unmöglich. Ihre Zuschussrente geht in die falsche Richtung. Lassen Sie mich Ihnen das an einem Beispiel erläutern: Wer heute aus einem Minijob kleine Rentenansprüche erwerben will, muss aus eigener Tasche die pauschal vom Arbeitgeber abgeführten Rentenbeiträge aufstocken. Mit Aussicht auf die Zuschussrente könnten die wenigen Minijobberinnen und Minijobber, die das heute schon machen, bald mehr werden. Das wäre aber eine schlechte Entwicklung. Denn von den Minijobs kann man weder leben noch anständige Rentenansprüche aufbauen. Wenn wir dabei bedenken – Sie ahnen es schon –, dass zwei Drittel all derer, die ausschließlich einen Minijob haben, Frauen sind, dann müssen wir eines klar feststellen: Die Zuschussrente wäre nichts weiter als eine Minijobprämie für Frauen. Sie würde nämlich das althergebrachte Familienmodell vom männlichen Familienernährer und seiner hinzuverdienenden Ehefrau belohnen. Diese rückwärtsgewandte Politik gilt es zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Union und FDP, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie wenigstens den von der Bundesregierung im Juni dieses Jahres veröffentlichten Ersten Gleichstellungsbericht ernst. Dort wird klipp und klar festgestellt, dass sich Minijobs für Frauen „langfristig … häufig als biografische Sackgasse“ erweisen. Dort wird eindeutig gefordert, „alle Erwerbsverhältnisse sozialversicherungspflichtig zu machen“. Es muss also künftig jede Stunde Erwerbsarbeit sozialversicherungspflichtig werden, vom ersten Euro an. Das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn Sie schon nicht auf die Linke hören und den Gleichstellungsbericht Ihres Ministeriums ignorieren, dann hören Sie wenigstens auf den Deutschen Frauenrat, der genau das auch fordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rente muss vor Armut schützen. Aber eine gute Rentenpolitik ist deutlich mehr als eine reine Armutsvermeidungspolitik. Eine Rentenpolitik ist nur dann gut, wenn sie dafür sorgt, dass die Menschen ihren einmal erarbeiteten Lebensstandard auch im Alter halten können. Gute Arbeit – unbefristet, am besten in Vollzeit, keine Leiharbeit, mit guten Löhnen, von denen man leben kann – ist das Fundament einer guten Rente; das will die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass künftig alle, die ihren Lebensunterhalt, in welcher Form auch immer, mit Arbeit verdienen, in die Rentenkasse einzahlen, also zum Beispiel Angestellte, Beamte und Beamtinnen, Freiberuflerinnen und Freiberufler, natürlich auch Selbstständige, Abgeordnete und, ja, auch das, Ministerinnen und Minister – alle! Das wäre solidarisch. (Beifall bei der LINKEN) Damit die Rente das einmal im Leben durch gute Arbeit Erreichte sichert, müssen alle Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel gestrichen und die Rente erst ab 67 unbedingt zurückgenommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen brauchen wir dringend einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, natürlich im Osten und Westen in derselben Höhe von 10 Euro in der Stunde. Denn nur wer mindestens 9,98 Euro in der Stunde verdient, schafft es, nach 45 Jahren eine Rente oberhalb der heutigen Grundsicherung zu erhalten. (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Falsch gerechnet!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Um Altersarmut wirkungsvoll einzudämmen, muss auch der Solidarausgleich in der Rente gestärkt werden. Deshalb müssen erstens die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente zurückgenommen werden, zweitens Langzeiterwerbslose in der Rentenversicherung deutlich besser abgesichert werden, und drittens muss eine solidarische Mindestrente eingeführt werden, die Frauen und Männer in Ost und West wirksam vor Altersarmut schützt, damit auch Herr Legler in Zukunft keine Pfandflaschen mehr sammeln muss. Denn die Linke ist der Überzeugung: Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch im Alter. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Peter Tauber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über das Thema Altersarmut streiten, kann man sich manchmal fragen, ob man die Qualität der Reden an der Zahl der Zuhörer bemessen sollte. Ich schaue in Ihre Reihen: Sie sind nicht so sehr gefüllt, wie es der Bedeutung des Themas, die Sie in Ihrem Redebeitrag suggeriert haben, entspricht. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die Qualität hat für sich gesprochen! Das kann man eindeutig sagen!) Manchmal lohnt sich das Zuhören vielleicht auch nicht; es gibt andere wichtige Dinge, die man in der Zeit besprechen kann. Grundsätzlich richte ich zunächst einmal einen herzlichen Dank an die Bundesregierung, nicht nur für die Präsenz heute hier, sondern auch für die ausführliche Beantwortung der Großen Anfrage. Damit ist sicherlich eine gute Grundlage für die weitere Diskussion gegeben. Darauf, dass die Ministerin sogar über den Schritt der Beantwortung der Fragen hinausgegangen ist, indem sie eigene Vorschläge gemacht hat, werde ich später eingehen. (Elke Ferner [SPD]: Drucksachennummern interessieren uns hier!) Beim Thema „Rente und Alterssicherung“ haben wir von der Union immer die Leistungen der älteren Generation vor Augen. Von dieser Debatte sollte daher das Signal ausgehen, dass wir den Rentnerinnen und Rentnern Dank für ihre Lebensleistung, ihren aufopferungsvollen Einsatz für ihr Land und ihre Familie sagen. Das gilt ganz besonders auch deshalb – dessen bin ich mir als ein eher jüngerer Kollege natürlich bewusst –, weil die junge Generation in diesem Land bis heute von dieser Lebensleistung profitiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Das habe ich von der Jungen Union schon anders gehört!) Wenn wir über das Thema Altersarmut sprechen, dann sprechen wir zum einen über die Situation heute und zum anderen über das, was in der Zukunft sein wird. Letzteres hängt ja davon ab, welche politischen Konzepte zum Tragen kommen. Lassen Sie uns zunächst einmal über das Thema „Altersarmut heute“ sprechen. Natürlich ist es richtig, dass es um jeden, der von Altersarmut betroffen ist, schade ist. Dahinter stecken oft tragische Schicksale, auf jeden Fall aber immer individuelle Biografien. Manchmal lohnt es sich, genau hinzuschauen, wie es dazu kommen konnte, dass ein Mensch durch das sehr dicht gewebte soziale Netz, auch der Rentenversicherung, gefallen ist. Der Kollege Weiß hat schon darauf hingewiesen, dass die Hälfte derjenigen, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, überhaupt nicht in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Wir wissen also, dass es Menschen gibt, die tragische Schicksale erlitten haben und im Alter nicht die entsprechende soziale Sicherheit vorfinden. Aber – auch das gehört zur Wahrheit – das ist die Ausnahme. Der gegenwärtigen Rentnergeneration, also denjenigen, die heute über 65 Jahre sind, geht es so gut wie nie. Das ist die reichste Rentnergeneration, die dieses Land je gesehen hat. Auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen. Das liegt an der individuellen Lebensleistung, das liegt aber auch daran, dass wir in der Bundesrepublik ein gutes Rentensystem entwickelt haben. Wir dürfen also nicht vergessen, auf welchem Niveau wir diese Debatte führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ändert sich nur!) Auch Im internationalen Vergleich ist Deutschland hinsichtlich des Rentenniveaus gut aufgestellt. Schauen Sie sich einmal das durchschnittliche Renteneinkommen an. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden hier aber nicht über Durchschnitte, sondern wir reden über Armut! Da hat die OECD eine ganz andere Bewertung des deutschen Rentensystems!) Kaufkraftbereinigt liegen wir in der EU an der Spitze. Österreich, Frankreich, die Niederlande und selbst Wohlfahrtsstaaten wie Schweden liegen deutlich hinter uns. Man kann auch einmal den Vergleich zu unserem Nachbarland Polen ziehen. Dort liegt die Rentenhöhe kaufkraftbereinigt bei nur 40 Prozent des deutschen Rentenniveaus. Auch das gehört zur Wahrheit, darauf hinzuweisen und sich solche Zahlen einmal anzuschauen. Der Kollege Weiß hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, dass in Deutschland 2,4 Prozent der über 65-Jährigen Leistungen der Grundsicherung im Alter beziehen. Die Zahl ist seit 2007 sogar gesunken. Betrachten Sie daneben einmal die Zahl der Kinder in diesem Land, die in Armut leben. Das ist die entscheidende Zahl, wenn wir über die Vermeidung von Altersarmut in der Zukunft reden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum kommt denn das Wort Kinderarmut so oft im Koalitionsvertrag vor? – Mechthild Rawert [SPD]: Deshalb waren Sie bei den Regelsätzen auch so großzügig! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, die Armut zu beseitigen!) Wir müssen uns fragen: Welche Perspektiven geben wir Kindern und Jugendlichen in diesem Land? Diesbezüglich hat diese Ministerin mit dem Bildungs- und Teilhabepaket viel auf den Weg gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit sind wir beim Ausblick auf die Zukunft. Ich stehe nicht in Verdacht, regelmäßig bei den hier anstehenden Debatten Rot-Grün in Schutz zu nehmen. Wir könnten einmal darüber reden, dass sie Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen haben, oder darüber, dass sie die Maastricht-Kriterien als erste gebrochen haben. Aber im Zusammenhang mit der Demografie zu behaupten – ich sage das an die Adresse der Linken –, dass Rot-Grün Veränderungen im Rentensystem gemacht hat, um die Rentnerinnen und Rentner zu ärgern, ist schon ein starkes Stück. Das ist arg an den Haaren herbeigezogen. Diese Nebenbemerkung kann ich mir nicht verkneifen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Die Neujustierung des Rentensystems – beginnend bei den Entscheidungen von Rot-Grün bis zu dem, was wir in der Großen Koalition auf den Weg gebracht haben – ist eine logische Folge des demografischen Wandels. Wenn es immer mehr ältere Menschen und immer weniger jüngere Menschen gibt, dann können wir die Sozialsysteme nicht einfach so fortführen wie bisher. Das ist auch unter dem Aspekt Generationengerechtigkeit ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald? Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Nein. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) – Der Kollege Birkwald hat vorhin schon ausgiebig von seinem Recht, dazwischenzurufen, Gebrauch gemacht. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das geht jetzt alles von Ihrer Redezeit ab!) Ich habe mir schon den „Schweigefuchs“ verkniffen, den man in der Kinder- und Jugendarbeit immer zeigt, wenn jemand nicht aufmerksam zuhört, sondern dazwischenruft. Die Zwischenrufe habe ich gehört. Deswegen braucht er jetzt keine Zwischenfrage zu stellen. (Zuruf von der LINKEN: Sagen Sie das einmal Herrn Weiß!) – Ich habe Ihnen in Demut zugehört. (Marco Buschmann [FDP]: Das können die nicht!) Das ist der feine Unterschied. Ich habe in der heutigen Debatte kein einziges Mal dazwischengerufen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer nichts zu sagen hat! – Elke Ferner [SPD]: Phantasielos! – Weitere Zurufe von der LINKEN!) Sie rufen ständig dazwischen. Wenn Sie nicht dazwischenrufen, sondern aufmerksam zuhören würden, dann bräuchten Sie keine Frage zu stellen. So einfach ist das manchmal. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der Linken) Deshalb der Schweigefuchs, extra für Sie. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Es gibt noch eine Anfrage. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Nein, ich lasse auch keine Zwischenfrage der Kollegin Dittrich zu. Wenn wir über die Zukunft reden, lautet die entscheidende Frage: Was können wir tun, damit Altersarmut in dieser Gesellschaft künftig kein Thema mehr ist? Damit sind wir an einem entscheidenden Punkt: Natürlich müssen wir denjenigen, die heute arbeiten, und vor allem den Kindern und Jugendlichen eine Perspektive geben: Ihnen müssen Angebote gemacht werden, damit sie eine gute Schulbildung genießen, eine gute Ausbildung machen und eine möglichst ungebrochene Erwerbsbiografie hinlegen können. Das bedeutet nicht, dass wir uns wünschen, dass jeder in dem Beruf, in dem er in das Erwerbsleben eingestiegen ist, auch aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Es geht vielmehr um die Anschlussfähigkeit. Die Phasen der Arbeitslosigkeit müssen möglichst kurz sein, (Elke Ferner [SPD]: Deshalb streichen Sie hier alles zusammen!) damit eine nahezu vollständige Erwerbsbiografie möglich ist und möglichst lang in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt werden kann. Das ist ganz wichtig. Auch das ist ein Beitrag zum Kampf gegen die Altersarmut. Dafür schaffen wir die Voraussetzungen, indem wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern; das Elterngeld und der Ausbau der Krippenplätze tragen ihren Teil dazu bei. (Elke Ferner [SPD]: Sie mussten beim Krippenausbau ja zum Jagen getragen werden!) Am Ende ist das ein wichtiges Signal an die jungen Menschen in diesem Land. Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland – auch das gehört dazu – ist im Vergleich zu anderen Ländern in Europa schon heute ein ganz maßgeblicher Beitrag zum Kampf gegen die Altersarmut. Wer heute Arbeit hat, der wird morgen nicht in gleichem Maße von Altersarmut bedroht sein. Das ist ein ganz wichtiges Signal. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur wenn man mindestens 10 Euro die Stunde verdient! Sonst wird das nichts!) – Auf diesen Zwischenruf möchte ich gerne eingehen: Der Kollege Lehrieder wird Ihnen das mit dem Mindestlohn und der Grundsicherung noch einmal in Ruhe durchrechnen und Ihnen aufzeigen, warum Ihre Rechnung falsch ist und nicht stimmt. Das überlasse ich aber dem Kollegen Lehrieder; denn mit Blick auf meine Redezeit muss ich die verbleibende Minute ein bisschen anders nutzen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die zunehmend hohe Erwerbsquote von Frauen. Diese sind ja überproportional oft von Altersarmut betroffen. Initiativen wie der Ausbau der Kinderbetreuung, Ganztagsschulprogramme, Initiativen zu familienbewussten Arbeitszeiten, die Schaffung von Perspektiven zum Wiedereinstieg und der Einsatz für eine geschlechtergerechtere Lohnstruktur – all das sind wichtige Beiträge, um Frauen künftig vor Altersarmut zu bewahren. Es kommt ein weiterer wichtiger Punkt hinzu, über den man einmal eine Minute nachdenken sollte: Es geht um die Frage, in welchen gesellschaftlichen Strukturen Altersarmut vorkommt. Die Zahlen belegen sehr eindrucksvoll, dass diejenigen, die sich für eine Familie entscheiden, also eine Ehe oder eine feste Lebenspartnerschaft eingehen, proportional weniger von Altersarmut betroffen sind. Denn in der Regel ist es so, dass besser für die soziale Sicherheit gesorgt ist, wenn Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, als wenn sie sich allein auf den Staat verlassen. Bei einem Zweipersonenhaushalt liegt die Armutsgefährdungsquote nämlich bei nur 11 Prozent. Bei alleinstehenden Männern liegt sie hingegen bei 18 Prozent und bei alleinstehenden Frauen sogar bei 24 Prozent. (Elke Ferner [SPD]: Was sagt das den alleinstehenden Frauen? Sollen sie nun gut heiraten, oder was?) Diese Zahlen zeigen aus meiner Sicht eindrucksvoll, dass die Familie, der Familienverbund eine Form des Zusammenlebens und eine solidarische Partnerschaft ist, die vor Altersarmut schützt. Das entspricht auch unserem Gesellschafts- und Familienmodell und bestätigt dieses aus meiner Sicht eindrucksvoll. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Elke Ferner [SPD]: Das ist peinlich, was Sie da erzählen!) Im Rahmen des „Regierungsdialog Rente“ ist die Bundesministerin zudem auf die Rentenversicherungen, die Wohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, die Fachpolitiker und die Arbeitgeber zugegangen. Auch das war ein Schritt in die richtige Richtung. Während die Opposition noch ausladend fragt, liefert die Ministerin bereits Antworten. So soll das sein. So erwarten wir das von unserer Regierung. Vielleicht hören Sie nächstes Mal zu. Vielleicht beteiligen Sie sich an der Diskussion. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir mal eingeladen würden, würden wir das gerne tun! Sorgen Sie für die Einladung!) Darüber würden wir uns freuen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Angelika Krüger-Leißner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Warnungen vor Altersarmut kommen von allen Seiten. Sie sind unüberhörbar in Deutschland. Zuletzt kamen sie Anfang des Monats vonseiten der OECD. Diese hat bescheinigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich im Hinblick auf die Alterssicherung von Geringverdienern zu den Schlusslichtern zählt. Ich sage Ihnen: Das ist eine Schande! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das bedeutet nämlich, dass auch für Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet, aber nur ein geringes Einkommen bezogen haben, das Risiko der Altersarmut besteht. Denn sie erhalten nur eine Minirente, die ein menschenwürdiges Leben im Alter nicht sichert. Auch nach der Auswertung der Antworten der Bundesregierung zur Großen Anfrage komme ich zu dem Schluss: Das sind keine guten Aussichten für den Ruhestand der Menschen. Das gilt nicht nur für Einzelne. Das gilt gleichermaßen für Ost und West. Es gilt gleichermaßen für Männer und Frauen, für Jugendliche ebenso wie für die heute 40- bis 50-Jährigen, für Menschen, die zu Niedriglöhnen beschäftigt sind, für Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen Brüche in ihrer Erwerbsbiografie zu verzeichnen haben, aber genauso auch für Selbstständige, die nicht in der Lage sind, ausreichend für das Alter Vorsorge zu tragen, für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert und eingeschränkt sind, und für Alleinerziehende. Heute Morgen haben mir Künstler in einer Runde gesagt, dass das auch für den Bereich der Kreativen gilt. Viele Menschen in Deutschland sind in Sorge. Sie fragen sich: Wie komme ich im Alter über die Runden? Werde ich staatliche Hilfe brauchen oder wird meine Rente reichen? – Diese Fragen, Frau Ministerin von der Leyen, beschäftigen die Menschen in Deutschland. Altersarmut ist ein zentrales Thema in unserer Gesellschaft. Die Menschen fürchten sich vor der Zukunft. Sie haben Angst. Sie erwarten von Ihnen eine Rentenreform, die Lösungsvorschläge bezüglich der Frage bietet, wie wir der Zunahme von Altersarmut entgegentreten können, und zwar wirksam. Aber leider ist das, was ich von der Bundesregierung bisher gehört habe, auch im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage, höchst unbefriedigend. Dazu möchte ich gern zwei Beispiele nennen. Erstens. Auf die Frage, ob Altersarmut gegenwärtig ein Problem ist, antwortet die Bundesregierung – ich zitiere –: Nein, Altersarmut ist heute kein verbreitetes Phänomen. Wer im Alter bedürftig ist, dem sichert die Grundsicherung im Alter den Lebensunterhalt. Mit anderen Worten, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Hinweis auf die Grundsicherung im Alter zeigt, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung weder jetzt noch in Zukunft beabsichtigt, das Thema Altersarmut ernst zu nehmen. (Frank Heinrich [CDU/CSU]: Quatsch!) Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bezogen Ende 2009 rund 764 000 Personen in Deutschland Leistungen aus der Grundsicherung, darunter mindestens 400 000 Personen im Rentenalter. Herr Weiß, Sie haben versucht, das gering zu reden, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein!) indem Sie gesagt haben: 1,8 Prozent, was ist denn das schon? – Das sind 400 000 Menschen, die ein schweres Schicksal haben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die in der Regel ein Leben lang gearbeitet haben und dennoch nur eine Minirente beziehen. Dabei will ich eines sagen: Es ist gut, dass wir die Grundsicherung in Deutschland überhaupt haben; schließlich habe ich daran mitgearbeitet, dass wir sie eingeführt haben. (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ach! – Elke Ferner [SPD]: Wollte die CDU nämlich nicht haben!) Es ist ebenfalls gut, dass die Kommunen dafür auch das nötige Geld haben. Aber wir dürfen uns darauf doch nicht ausruhen; (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Tun wir auch nicht!) wir müssen handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass der beste Schutz vor Altersarmut stabile Erwerbsbiografien sind. Das wissen wir auf allen Seiten im Hause. (Elke Ferner [SPD]: Nein, dass wissen die von der Koalition nicht! Wir schon!) Aus diesem Grunde kommen wir nicht darum herum, die Situation für die Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, zu verbessern. Dafür gibt es nur einen Weg, und zwar die Einführung eines Mindestlohns. Sie kommen nicht darum herum. Genau diese Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Altersarmut nicht entsteht, sind seit langem nicht mehr erfüllt. Die Versicherungsverläufe im Westen sind schon seit den 70er-Jahren nicht mehr stabil, weil sich die Arbeitsmarktlage in Richtung Langzeitarbeitslosigkeit zu verändern begonnen hatte. Nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Wirtschaft im Osten gab es eine Arbeitsmarktkrise ungeahnten Ausmaßes mit letztendlich gravierenden Auswirkungen auf die Alterssicherung der Menschen. Beides, die Entwicklung im Westen wie die Entwicklung im Osten, hat starke Spuren in den Erwerbsbiografien hinterlassen. Die Auswirkungen des demografischen Wandels kommen noch dazu; leider habe ich zu wenig Zeit, darüber zu reden. Alles spricht aber dafür, dass bei den Problemen, die wir lösen müssen, Altersarmut zukünftig eine immer größere Rolle spielen wird. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist so!) Hier vermisse ich Ihre Konzepte. Wenn ich gerade von Konzepten spreche, möchte ich als zweites Beispiel die kürzlich von Ihnen, Frau von der Leyen, entwickelte Idee einer Zuschussrente ansprechen. Ich habe gehofft, dass die Bundesregierung endlich aufwacht und mit dem „Regierungsdialog Rente“ eine grundlegende Reform beginnt, um Altersarmut entgegenzuwirken. Aber vielleicht war das gerade schon der kleine Regierungsdialog, den wir hier gerade beobachtet haben. Ich habe mich getäuscht. Nach Ihren Vorstellungen, Frau von der Leyen, soll unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufstockung von kleinen Renten auf 850 Euro erfolgen. Lücken sollen also geschlossen werden. Was bei Ihnen so schön klingt, ist leider nicht zu Ende gedacht; denn viele Bedürftige werden außen vor gelassen. Diese Ankündigung erinnert mich fatal an die Ankündigung der Bildungs-Chipkarte. Diese Idee ist zerplatzt wie eine Seifenblase. (Beifall bei der SPD) Ich fürchte, so wird es auch mit der von Ihnen angesprochenen Zuschussrente sein. Ich will Ihnen das gerne begründen: Mit Ihrem eigenen Koalitionspartner, der FDP, war Ihr Vorgehen offenbar überhaupt nicht abgestimmt. Die Kolleginnen und Kollegen der FDP fielen im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Wolken, als sie morgens die Zeitung aufschlugen. Als Beleg dafür möchte ich die Aussagen einer Kollegin zitieren. Frau Dr. Winterstein hat unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Idee einer Zuschussrente am 8. September 2011 hier im Plenum erklärt – ich zitiere –: Ich denke, man muss über die entsprechenden Vorschläge noch ausführlich diskutieren und die Details klären. … (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ist ja auch gut so!) – Jetzt kommt der wichtigste Satz! Bei alldem muss man natürlich im Auge haben, dass Verbesserungen bei Sozialleistungen immer das Problem mit sich bringen, dass sie Geld kosten. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ja! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!) Das ist doch fast eine klare Absage von Ihrer Haushälterin. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!) Mehr Geld für die von Armut im Alter bedrohten Menschen – das ist wohl kaum mit der FDP zu machen. Diese Menschen sind ja auch nicht die Zielgruppe, für die sie arbeitet. (Pascal Kober [FDP]: Wir arbeiten für dieses Land und für alle!) Dafür haben wir genügend Beispiele erfahren. Die Auswirkungen dieser Idee auf den Haushalt sind ja noch nicht einmal durchgerechnet, geschweige denn, dass ihre Umsetzung ab dem Jahr 2013 finanziert wäre. Ich kann nur sagen: Das ist – wie auch an anderen Stellen – purer Aktionismus und sozial unverantwortlich. Deshalb fordere ich Sie auf: Beenden Sie dieses planlose Agieren, nehmen Sie die Warnung der OECD ernst, packen Sie das Thema „Altersarmut in Deutschland“ endlich an, hören Sie auf die Gewerkschaften, die Sozialverbände und die Kirchen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Höchste Zeit!) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Legen Sie ein grundlegendes Konzept vor. Das, was Sie bisher zeigen, ist ein sozialpolitisches Armutszeugnis. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wenn wir uns als Politik mit dem Thema Altersarmut beschäftigen, dann tun wir das in einer dreifachen Verantwortung. Zunächst einmal, lieber Matthias Birkwald – das ist überhaupt gar keine Frage –, haben wir eine Verantwortung gegenüber denjenigen Menschen, die geringe Einkünfte im Alter haben. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!) Aber wir alle hier haben in unseren Reden betont, dass das höchste Risiko für Altersarmut unterbrochene Erwerbsbiografien sind. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt für die Zuschussrente nicht?) Ich bitte Sie, anzuerkennen, dass diese Bundesregierung und die sie tragende Regierungskoalition vor allen Dingen einen präventiven Ansatz wählen, weil das Problem der Altersarmut mit Blick auf die Zukunft gelöst werden muss. Ich bitte Sie, anzuerkennen, dass seit langer Zeit keine Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik so erfolgreich war wie diese Bundesregierung. (Elke Ferner [SPD]: Die Erfolge kommen trotz der Regierung, nicht wegen der Regierung!) 28,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze – das kann sich sehen lassen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Erfolg der Arbeitsmarktpolitik!) Wir haben jetzt beispielsweise auch eine Pflegereform in Angriff genommen (Elke Ferner [SPD]: Was? Sie haben noch nicht einmal Eckpunkte, Herr Kollege! „In Angriff genommen“! – Gegenruf von der FDP: Das ist mehr, als Sie geschafft haben, Frau Kollegin!) – Sie können mir ja eine Zwischenfrage stellen –; denn wir wissen, dass Pflegezeiten auch eine Ursache für unterbrochene Erwerbsbiografien sind. Ich bin meinem jüngeren Kollegen Tauber durchaus dankbar, dass er an die zweite Verantwortung, die wir haben, erinnert hat: die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Ich denke, allen hier im Saal – bis auf den Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei – ist klar, dass wir nicht ewig an der Sozialversicherungsschraube drehen können, weil höhere Sozialversicherungsbeiträge wie zum Beispiel höhere Rentenversicherungsbeiträge langfristig zu einer Verschärfung des Problems der Altersarmut führen würden; denn sie brächten zwangsläufig Arbeitsplatzabbau und damit unterbrochene Erwerbsbiografien mit sich. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch! – Elke Ferner [SPD]: Aha! Deshalb das Mövenpick-Geschenk!) Wir können auch nicht ewig an der Steuerschraube drehen oder die Zuschüsse an die Rentenversicherung erhöhen; denn auch das belastet künftige Generationen und nimmt ihnen die Chancen. (Elke Ferner [SPD]: Aber die Mövenpick-Steuersenkung belastet niemanden!) Ich möchte auch an die dritte Verantwortung, die wir bei so einem sensiblen Thema wie der Altersarmut haben, erinnern: die Verantwortung gegenüber der Wahrhaftigkeit, der Ernsthaftigkeit und der Glaubwürdigkeit von Politik. (Elke Ferner [SPD]: Neuland! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Jetzt sind wir gespannt!) Ich glaube, das sehe ich nicht allein so. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das können wir nur hoffen!) Wir alle sollten zugeben, dass es auf diese Frage keine einfachen Antworten gibt. Ich habe mit Freude vernommen, dass der von Ihnen propagierte Mindestlohn von 8,50 Euro, Frau Göring-Eckardt, auf den Sie heute hingewiesen haben, nicht alle Rentenprobleme lösen wird, auch nicht das Problem der Altersarmut. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch nicht behauptet! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 8,50 Euro reichen dafür nicht!) Ich bitte Sie, wenigstens so ehrlich zu sein, dass Sie Ihrer eigenen Fraktion im Deutschen Bundestag und den Menschen, die dieser Debatte folgen, einmal vorrechnen, wie viel für die Menschen bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro, effektiv zur Verhinderung von Altersarmut herauskommt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch im Ausschuss und auch sonst alles schon mehrere Male gemacht!) Das lassen Sie ganz gezielt verschleiert und im Halbdunkeln. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr! Das ist nicht ehrlich!) Ich rufe Sie dazu auf: Beziffern Sie, was Sie mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro erreichen wollen! Kollege Birkwald hat Ihnen ja vorgerechnet, dass man mindestens einen Stundenlohn von 10 Euro bräuchte, um das Niveau der Grundsicherung zu erreichen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Rechnen kann er, der Kollege Birkwald! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was ist denn Ihr Vorschlag?) Frau Göring-Eckardt, Sie haben in der heutigen Debatte wie auch in der Debatte zur Einbringung des Haushalts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine Fülle von Fragestellungen benannt, von der Wohnsituation von Älteren bis zur Situation von Älteren mit Migrationshintergrund. Sie haben Fragen gestellt und suggeriert, die Bundesregierung würde sich um diese Themen nicht ausreichend kümmern. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So ist es auch!) Aber Sie haben null Komma null Antworten und Lösungen skizziert. Nichts haben Sie zur Lösung dieser Probleme beigetragen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie doch mal in unsere Große Anfrage! Da sagt die Bundesregierung zu allen Fragen, die wir gestellt haben: Wir haben keine Antwort! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch, das tun wir! Machen Sie sich da mal keine Sorgen! – Elke Ferner [SPD]: Sie doch auch nicht! – Diana Golze [DIE LINKE]: Wo sind denn die FDP-Vorschläge?) Jetzt beginnt der Rentendialog. Eigentlich sollten Sie sich konstruktiv daran beteiligen und Ihre Vorschläge vortragen. Dass Sie einfach nur kritisieren, ist mir, gerade als Vertreter der jüngeren Generation, zu wenig. Das möchte ich im Hinblick auf die Verantwortung und die Glaubwürdigkeit der Politik betonen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Was haben Sie denn jetzt gerade gesagt? Was war denn Ihr Vorschlag? – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Haben wir Ihren Vorschlag überhört?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz kurz zu Herrn Kober. Wir haben in unserer Großen Anfrage unter anderem nach zielgruppenspezifischen Maßnahmen gefragt. Wir wollten wissen, ob die Bundesregierung Antworten auf diese Fragen hat. (Pascal Kober [FDP]: Wir wollen ja Ihre Antworten hören! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Ja, wer regiert denn?) Von der Bundesregierung, die auch beim Regierungsdialog gefordert ist, kam immer nur die Antwort: Nein, wir planen keine speziellen Maßnahmen für spezielle Gruppen. (Pascal Kober [FDP]: Ihre Antworten! – Gegenruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie regieren ja auch nicht!) Das ist daneben. Wir brauchen neben den allgemeinen Maßnahmen auch zielgruppenspezifische Maßnahmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. Es geht bei diesem Thema nicht nur um Altersarmut. Das Problem ist weitaus größer. Es geht um die Akzeptanz der Rentenversicherung insgesamt; der Kollege Weiß hat das schon angedeutet. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung beträgt etwa 20 Prozent. Wegen der Riester-Rente kommen für viele Menschen weitere 4 Prozent obendrauf. Das heißt, ein Viertel des Einkommens vieler Menschen fließt in die Rentenkasse. Wenn es uns nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass die Rente vor Armut schützt, dann haben wir ein großes Problem: Die Menschen stellen die gesetzliche Rentenversicherung infrage. Auf diese Herausforderungen müssen wir dringendst reagieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn der Kollege Kolb sagt: „Wir brauchen einen präventiven Ansatz“, dann ist das völlig richtig. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr gut!) Wir brauchen auch eine präventive Rentenpolitik. Wir wollen hier in Richtung einer Bürgerversicherung gehen, weil wir mittelfristig eine Rentenversicherung brauchen, in die alle Beiträge auf alle Einkommen zahlen, unabhängig vom Erwerbsstatus. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auf alle Einkommen?) Dadurch würden Lücken in den Versicherungsbiografien tatsächlich geschlossen. Es müssen auch deshalb Beiträge auf alle Einkommen gezahlt werden, damit wir eine nachhaltige Finanzierung der Rentenversicherung gewährleisten können. Das ist nicht von heute auf morgen zu erreichen. Außerdem hat diese Maßnahme nur langfristige Wirkungen. Präventive Maßnahmen wirken ja insgesamt nur langfristig; das ist aber auch gut so. Dafür muss man, wie gesagt, unbedingt sorgen. Hierfür sind die Vorschläge der Bundesregierung allerdings zu schwach. Wir brauchen aber auch kurzfristige Lösungen. Ich bin dem Kollegen Matthias Birkwald sehr dankbar, dass er an einem Einzelbeispiel, aber auch an den Zahlen, die in der Großen Anfrage zu finden sind, deutlich gemacht hat: Es gibt heute schon Altersarmut. Davon betroffen sind nicht nur die 440 000 Menschen, die in der Grundsicherung sind. Wenn man sich die Zahlen zum Altersarmutsrisiko ansieht, dann stellt man fest, dass in Deutschland 2,4 Millionen Menschen leben, die ein Einkommen beziehen, das unterhalb der Altersarmutsrisikogrenze liegt. Diese Grenze ist nicht sehr hoch. Sie liegt für einen Alleinstehenden bei 929 Euro, für einen Paarhaushalt bei nur 1 400 Euro, das heißt bei 700 Euro pro Person. Davon müssen in Paarhaushalten 1 Million Menschen in Deutschland leben, Herr Tauber, und allein 1 Million alleinstehende Frauen bekommen weniger als 929 Euro pro Monat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und das in dieser reichen Gesellschaft!) Dieser Betrag ist nicht sehr weit von den 850 Euro, die die Ministerin gefordert hat, entfernt. Nun freue ich mich, dass sich alle Parteien, was die kurzfristigen Maßnahmen betrifft, unserer Forderung nach einer Garantierente langsam annähern, wenn auch nur schrittweise. (Pascal Kober [FDP]: Was? – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Haben wir etwas verpasst?) Die Linke fordert mittlerweile eine bedürftigkeitsorientierte Mindestrente; diese ist allerdings eher ein besseres Hartz IV. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na, na, na! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ CSU]: Die Linke hätte sowieso am liebsten alle Menschen in Hartz IV!) Herr Gabriel hat in der Sommerpause öfter mal von einer Sockelrente geredet. Dazu habe ich von der SPD überhaupt noch nichts gehört. Sie sind hier sehr vage. Bisher gibt es die Forderung der Linken und der SPD, die Rente nach Mindesteinkommen wieder einzuführen. (Elke Ferner [SPD]: Richtig! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist vernünftig!) Das halten wir für falsch, weil sie in der Tat nicht sehr zielgenau ist. Hier teilen wir die Position der Bundesregierung. Ein Experte hat in der Ausschussanhörung gesagt, das sei vergleichbar mit einer Schrotflinte, also nicht zielgenau. Im Gegensatz dazu ist die Zuschussrente, die die Ministerin vorgeschlagen hat, vergleichbar mit einer Wasserpistole, weil damit fast niemand erreicht wird. (Elke Ferner [SPD]: Wasserpistole ohne Wasser, bitte! Da ist kein Wasser drin!) Sie sprechen von 15 000 Menschen im Jahre 2013. Die Zahl soll dann langsam ansteigen. Aber wer erreicht heutzutage noch 45 Versicherungsjahre? Wenn es die Diagnose ist, dass es vor allem um die Menschen mit einer unterbrochenen Erwerbsbiografie geht, dann darf man die Hürde für eine Zuschuss- oder Mindestrente nicht zu hoch setzen. Wir fordern mit der Garantierente, dass Menschen mit 30 Versicherungsjahren eine Rente bekommen, die über dem Grundsicherungsniveau liegt. Das wäre wirklich eine armutsfeste Sicherung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig ist – das ist auch noch einmal zu betonen –: Für die Akzeptanz der Rentenversicherung müssen wir gewährleisten, dass derjenige, der mehr einzahlt, auch eine höhere Rente erhält. Auch hier ist die Zuschussrente wieder die falsche Lösung; denn es wird zwar gefordert, dass man 45 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt und am Ende 35 Jahre lang geriestert hat, aber welche eigenen Beiträge geleistet wurden, um einen Anspruch zu haben, ist egal. Das Geld wird komplett wieder einkassiert. Völlig unabhängig davon, ob jemand 100 Euro, 500 Euro oder 800 Euro im Monat selbst vorgesorgt hat, wird die Rente immer auf 850 Euro aufgestockt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Auch dadurch wird die Akzeptanz der Rentenversicherung gefährdet. Ich fasse zusammen: Die Regierung hat sich zwar bemüht, aber es ist nur ein mickriges Reförmchen mit unerwünschten Nebenwirkungen herausgekommen. Hier muss dringend nachgebessert werden, um zu einer echten Garantierente zu kommen, bei der sich die Menschen darauf verlassen können, dass nach langer Beitragszahlung eine Rente herauskommt, die sie wirklich vor Armut schützt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen! Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wir haben unser Konzept einer Garantierente vorgelegt, die besser ist als eine Zuschussrente, weil sie vor Altersarmut schützt und die Akzeptanz der Rentenversicherung wiederherstellt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Strengmann-Kuhn, ich fange da an, wo Sie aufgehört haben. Sie haben ausgeführt, Sie könnten nicht nachvollziehen, dass 45 Beitragsjahre erreicht werden können. Sie haben schlicht überhört bzw. eben nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass in die Anrechnungszeit auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, Zeiten der Kindererziehung und sonstige Zeiten der Beitragsfreistellung einfließen. Das heißt, die Hürden bei der Erreichung dieser 45 Jahre werden abgesenkt. Das wollte ich gleich zu Beginn korrigieren, damit sich da kein falscher Eindruck verfestigt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Pascal Kober [FDP]) Ich muss auch noch etwas zum Aufschlag der hochgeschätzten Frau Kollegin Göring-Eckardt sagen. Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben ausgeführt, die Riester-Rente sei wirksam. Das unterstreiche ich voll und ganz. Ich glaube, wir haben mit der gestrigen Entscheidung zur Euro-Stabilität einen wichtigen Schritt in Bezug darauf getan, dass durch einen stabilen Euro die in Riester-Verträgen angelegten Gelder auch in Zukunft zur Verfügung stehen. Das alles hängt zusammen. Frau Göring-Eckardt, mit Ihrem großen Lamento, wir hätten im Sparpaket Kürzungen bei der vernünftigen Alterssicherung für Langzeitarbeitslose vorgenommen, liegen Sie falsch. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über 7 Milliarden Euro Streichung!) In einem Jahr der Langzeitarbeitslosigkeit entsteht eine Rentenanwartschaft in Höhe von 2,06 Euro. Das heißt, nach 40 Jahren Langzeitarbeitslosigkeit hat man eine Rentenanwartschaft in Höhe von über 80 Euro erworben. Wenn Frau Ministerin von der Leyen jetzt eine Zuschussrente von 850 Euro auf den Weg bringt, dann ist das mehr als zehnmal so viel, wie Langzeitarbeitslose bzw. Hartz-IV-Empfänger über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung als Anwartschaft erreichen können. Das muss man auch einmal richtigstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Pascal Kober [FDP] – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur dass die Leute nicht mehr aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauskommen!) Jetzt komme ich zum Mindestlohn. Kollege Tauber hat die Spannung bereits aufgebaut. Herr Kollege Birkwald, in der letzten Ausschusssitzung haben Sie die Frau Ministerin gefragt – sie hat Ihnen ganz ergriffen zugehört –, wie hoch der Verdienst sein müsse, um eine auskömmliche Rente in der Größenordnung der von uns geplanten Zuschussrente zu erreichen. Die Frau Ministerin hat Ihnen geantwortet: 12 Euro. Jetzt haben Sie die Chuzpe, hier abermals 10 Euro pro Stunde zu verlangen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Als Einstieg! Da sehen Sie mal, was wir für eine realistische Politik machen!) Damit erreichen Sie doch keine Alterssicherung! Hier sind wir doch schon zwei Schritte weiter als die Linkspartei. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Als Einstieg, Herr Kollege!) Es ist richtig: Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger können von einem funktionierenden Staat erwarten, dass er sich darum kümmert, dass nach mehreren Jahrzehnten Arbeit eine auskömmliche Rente zur Verfügung steht. Es ist auch richtig – ich glaube, Frau Kollegin Krüger-Leißner hat bereits darauf hingewiesen –, dass die Sorge um ein gewisses Auskommen bzw. einen gewissen Lebensstandard im Alter sehr viele Menschen, auch junge, umtreibt. Ich bin froh, dass sehr viele junge Menschen auf der Tribüne sind, die von den Entscheidungen, die wir heute treffen, in Zukunft betroffen sein werden. Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen auf uns, und dieser Verpflichtung müssen wir nachkommen. Wir werden ihr auch nachkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Über die Fragen, die durch die Bundesregierung beantwortet wurden, wurde bereits am 7. September dieses Jahres – die Frau Ministerin machte den Aufschlag zum „Regierungsdialog Rente“ – hier an diesem Mikrofon intensiv diskutiert. Der Regierungsdialog ist ein offener Diskussionsprozess. Im Übrigen stehen wir hier am Anfang. Das heißt also, Ihre Anregungen und Ideen sowie Ihre geschätzte Kritik, Herr Kollege Strengmann-Kuhn, werden wir natürlich im Rahmen dieses Dialogs sehr gern aufnehmen. Wir hören aufeinander. Natürlich können wir auch von den Grünen das eine oder andere lernen; das will ich nicht verhehlen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Es handelt sich um einen offenen Diskussionsprozess, an dem die Rentenversicherung, die Fachpolitiker, die Wohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber sowie weitere Institutionen und Akteure mit dem Ziel beteiligt sind, mögliche Änderungen im Rentenrecht daraufhin zu prüfen, ob sie die Lebensleistung gerecht belohnen und den Bedürftigkeitsrisiken wirksam entgegenwirken. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich zitieren, was unsere Bundesministerin zur Eröffnung des „Regierungsdialog Rente“ sagte: Die Renten selbst sind demografiefest und sicher. – Sie hat recht, wie immer. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich denke, unfehlbar ist bei euch nur der Papst!) Ich bitte den Herrn Staatssekretär, es der Ministerin entsprechend mitzuteilen. Unsere Renten sind heute in den allermeisten Fällen ausreichend. Heute ist die gesetzliche Rente noch die wichtigste Form der Altersvorsorge. Sie macht 65 Prozent aller Alterseinkommen in Deutschland aus. 68 Prozent der Rentner leben allein von der gesetzlichen Rente als Alterseinkommen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Im Osten sind es über 90 Prozent, Kollege Lehrieder!) Herr Kollege Birkwald, ich muss Ihnen schon wieder eine kleine Richtigstellung zumuten. Sie haben vorhin ausgeführt, die Frau im Westen habe eine Durchschnittsrente von 494 Euro, die im Osten eine von 666 Euro. Man muss fairerweise – das hat bereits Winston Churchill erkannt – sagen: Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selber gefälscht habe. – Dies sind Durchschnittsrenten; das ist richtig. (Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Kollege Birkwald, warten Sie mit Ihrer Frage, bis ich Ihnen das erklärt habe. – Es sind aber auch Anwartschaften dabei, die nicht für ein auskömmliches Leben im Alter gedacht sind. Wenn ich mir als Rechtsanwalt im Rahmen einer Zusatzbeschäftigung als abhängig Beschäftigter eine Rentenanwartschaft von 4,50 Euro erwerbe, wird diese in das Gesamtpaket der Durchschnittsrenten mit eingerechnet. Die Zahlen beziehen sich also nicht nur auf die Menschen, die von dieser gesetzlichen Rente im Alter leben, sondern auch auf solche, die ihr Haupteinkommen von berufsständischen Altersversorgungswerken beziehen. Der Kollege Birkwald will etwas fragen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Birkwald, Sie haben das Wort. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Kollege Lehrieder, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Rentnerinnen und Rentner im Osten zu über 90 Prozent ausschließlich von der gesetzlichen Rente leben und sie gar keine Chance hatten, privat vorzusorgen oder sich eine betriebliche Altersvorsorge aufzubauen? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist eine Systemfrage! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist aber so!) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Herr Kollege Birkwald, ich danke Ihnen ausdrücklich für die Frage. Wir können nichts dafür, dass in früheren Zeiten der damalige Staat auf dem Gebiet der heutigen neuen Länder für seine Menschen nicht mehr an Altersvorsorge erwirtschaften konnte. Die Fehler der SED bzw. Ihrer Vorgänger uns in die Schuhe zu schieben, geht natürlich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das zeigt Ihre Ignoranz und Arroganz!) Es ist richtig, dass das unterschiedliche Rentenniveau auch daher rührt, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir haben ein anderes Rentensystem! Das ist eine Tatsache!) dass es im Osten keine Pensionen, keine Beamtenversorgung etc. gegeben hat, die in das Rentensystem einfließen konnten. – Herr Birkwald, ich bin noch nicht fertig; ich möchte noch zwei Sätze sagen. Bleiben Sie noch ein bisschen stehen, dann passt es schon. – Wir müssen aber aufpassen, dass für diejenigen, die heute im Berufsleben stehen, eine auskömmliche Sicherung im Alter möglich ist. Ich komme – der Kollege Weiß hat es eben bereits ausgeführt – zu den Zahlen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kenne ich jetzt aber schon! Das ist keine Antwort mehr auf meine Frage!) – Ja, aber das zu wissen, hilft Ihnen sicherlich weiter. – 2,4 Prozent der Menschen auf dem Gebiet Deutschlands leben derzeit von ergänzenden Transferleistungen im Alter. Das ist – bezogen auf den gesamten Schnitt der Bevölkerung – unterdurchschnittlich wenig. Dies ist gut. Es wurde darauf hingewiesen, dass es der heutigen Rentnergeneration so gut geht wie sicherlich wenigen Rentnergenerationen in Deutschland, und das gilt auch für die Zukunft. Wir müssen ebenfalls darauf hinweisen, dass – das ist auch ein Appell an die Jugend – rechtzeitig vorgesorgt werden muss, weil die gesetzliche Rente allein möglicherweise in vielen Bereichen nicht mehr ausreicht. Auch der Präsident der Rentenversicherung, Herr Rische, hat bestätigt, dass die Altersarmut heute kein – ich möchte ausdrücklich sagen: noch kein – Thema ist. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch kein großes Thema wird. Heute haben 97,6 Prozent aller Menschen über 65 Jahre eine ausreichende Versorgung. Von rund 20 Millionen Seniorinnen und Senioren sind heute rund 400 000 – das sind natürlich 400 000 zu viel – oder 2,4 Prozent auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen. Es ist richtig – der Kollege Weiß hat bereits darauf hingewiesen –, dass die Hälfte von diesen auf Grundsicherung angewiesenen Seniorinnen und Senioren in unserer Gesellschaft nie in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Das muss man fairerweise dazusagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Der Kollege Weiß hat auch immer recht!) – Der hat auch immer recht. – Dank zahlreicher Reformen basiert unser Rentensystem auf drei Säulen und konnte deswegen unbeschadet die Wirtschaftskrise überstehen. Diese Säulen sind erstens die gesetzliche Rente, zweitens die betriebliche Altersvorsorge und drittens die zusätzliche Vorsorge. Unsere Aufgabe ist es nun, Anpassungen vorzunehmen, die weiterhin eine gerechte Verteilung garantieren. Renten müssen ein Spiegel der Erwerbsphase bleiben. Wir haben gestern Abend in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen beschlossen. Das ist ein richtiger Weg, weil die Kommunen dadurch entlastet werden. Der eine oder andere hat dabei im Vermittlungsausschuss mitgewirkt; auch das will ich nicht verhehlen. Ich sage das, weil die Grundsicherung im Alter, die der Bund in den nächsten Jahren komplett übernehmen wird, selbstverständlich weiterhin als steuerfinanzierte Fürsorgeleistung erhalten bleiben soll, um all denjenigen, denen keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen, auszuhelfen. Zusätzlich müssen allerdings gesellschaftlich relevante Leistungen wie Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen entsprechend berücksichtigt werden. Das wird bei den Beitragsbemessungszeiten der Zusatzrente in dem neuen Rentenmodell erfolgen. Insbesondere Frauen erfahren im bisherigen Modell Benachteiligungen. Außerdem sollen Niedrigverdiener oder Menschen, die einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen und privat vorgesorgt haben, besser gestellt werden als die, die wenig gearbeitet und nicht vorgesorgt haben. (Elke Ferner [SPD]: Oder Vollzeit gearbeitet und nicht vorgesorgt haben!) – Frau Ferner, Sie sprechen doch gleich. (Elke Ferner [SPD]: Ich stimme mich schon mal ein!) Private und betriebliche Vorsorge muss sich auch für Geringverdiener lohnen. Hier gilt es, existierende Fehlanreize auszuhebeln. Wie genau diese Probleme zu lösen sind, wird der „Regierungsdialog Rente“ bis Ende des Jahres erarbeiten. Es ist wichtig, die Ergebnisse gemeinsam mit Experten und Verbänden zu entwickeln. Die Zuschussrente, die unsere Bundesministerin 2013 einführen möchte, verspricht einen guten Lösungsansatz. Damit sollen diejenigen ein monatliches Nettoeinkommen von 850 Euro und damit deutlich mehr als in der Grundsicherung erhalten, die „jahrzehntelang gearbeitet und eingezahlt …, erzogen und gepflegt und dabei zusätzlich privat vorgesorgt“ haben, um unsere Ministerin zu zitieren. Das ist der richtige Weg. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, auch die Kolleginnen und Kollegen in der Opposition, im Interesse unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konstruktiv an diesem Dialog mitzuwirken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Eine kluge Rede! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind immer konstruktiv! – Gegenruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Ich habe es nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Elke Ferner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Lehrieder, Sie haben eben von Dialog gesprochen. Ich glaube, man kann hier nicht von einem Regierungsdialog sprechen, sondern das ist eher ein Von-der-Leyen-Monolog, zumindest so, wie es bisher angelegt war. (Pascal Kober [FDP]: Mit mir hat sie heute gesprochen!) Diese Zuschussrente ist die übliche Methode von Frau von der Leyen: viel Wind, aber fast keine Wirkung; mehr Schein als Sein. Außerdem hilft es nur wenigen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das trifft nicht zu! – Pascal Kober [FDP]: Das erinnert mich an Herrn Steinbrück! Reden Sie von Herrn Steinbrück?) Vor allen Dingen ändert es nichts an den Ursachen, Herr Kober. Die Gründe für Altersarmut kennen wir alle. Menschen mit Erwerbsminderung haben im Alter ein hohes Armutsrisiko. Langzeitarbeitslosigkeit ist ein großes Armutsrisiko. Das Gleiche gilt für Menschen mit niedrigen Löhnen und mit Minijobs. Das trifft auch auf Selbstständige zu, zumindest dann, wenn die Tätigkeit nicht wirklich erfolgreich ist und sie nicht entsprechend vorsorgen können. Ein Grund ist auch eine schlechte Qualifikation, weil diese zu einem geringen Einkommen führt. Diese Gruppe ist häufiger von Arbeitslosigkeit bedroht. Dass Herr Tauber eben sagte, dass Menschen, die zu zweit zusammenleben, ein höheres Einkommen und damit ein niedrigeres Armutsrisiko haben, ergibt sich von alleine. Aber das Partnerschaftsmodell als Mittel zur Bekämpfung von Altersarmut darzustellen, ist schon ein bisschen skurril; das muss ich ehrlich sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Denn viele suchen es sich nicht selber aus, allein alt zu werden. Ich finde: Egal, ob ein Mann oder eine Frau alleine alt wird, ihre Rente sollte zumindest so auskömmlich sein, dass sie nach langjähriger Arbeit und Erwerbstätigkeit nicht zum Sozialamt oder zur Grundsicherungsstelle gehen müssen. (Beifall bei der SPD) Wenn man die Ursachen kennt, dann muss man auch fragen: Was tut Schwarz-Gelb, um die Ursachen zu bekämpfen? Nichts tun Sie. (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gehen wir mal einen Schritt zurück! Was hat denn die SPD gemacht?) Sie würden am liebsten den Niedriglohnsektor und den Kombilohnbereich ausweiten. (Pascal Kober [FDP]: Den haben Sie doch geschaffen!) Sie weigern sich ständig, über Mindestlöhne zu diskutieren oder sie gar einzuführen. Dass 8,50 Euro, ein Leben lang verdient, nicht ausreichen, um eine altersarmutsfeste Rente zu bekommen, ist wohl wahr. Die Frage ist aber auch, welches Menschenbild man hat, nämlich ob man davon ausgeht, dass jemand sein Leben lang im Mindestlohnbereich bleibt, oder ob man davon ausgeht, dass Menschen durch Leistung aufsteigen können. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Daran glauben wir!) Letzteres ist unser Menschenbild. (Beifall bei der SPD) Sie scheinen eher dem Menschenbild verhaftet zu sein, dass jemand, der einmal Mindestlohn bezieht, immer im Mindestlohn bleibt. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. (Pascal Kober [FDP]: Sie wollen den Einstieg der Leute in den Arbeitsmarkt verhindern!) Von Mindestlöhnen würden im Übrigen gerade Frauen profitieren. Denn über 70 Prozent der im Niedriglohnsektor Beschäftigten sind Frauen. Was aber tun Sie? Sie tun nichts. Auch Frau von der Leyen, obwohl es als Arbeitsministerin ihre originäre Aufgabe wäre, tut nichts, um die Entgeltungleichheit zu beseitigen. Wo bleibt denn die Initiative der Regierung, was die Leiharbeit, aber auch die Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen betrifft? Ich habe bisher noch nichts dazu gesehen. (Diana Golze [DIE LINKE]: Das passt nicht zu ihrem Weltbild!) – Das passt nicht zum Weltbild. Das ist wohl wahr. Es gibt auch kaum Initiativen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab 2013 haben wir in der Großen Koalition durchgesetzt. Das ist aber immer noch kein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. Auch das hat negative Auswirkungen auf die Möglichkeiten von Frauen, vollzeiterwerbstätig zu sein. Viele, die zurzeit teilzeitbeschäftigt sind, würden lieber mehr Stunden arbeiten als bisher. Teilzeitbeschäftigung ist eine der Ursachen von Altersarmut. Eine andere Ursache ist, wie gesagt, die geringe Qualifizierung. Gerade in Zeiten, in denen es wirtschaftlich besser läuft und mehr Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, sollte man sich eigentlich mehr um diejenigen kümmern, die noch keinen Anschluss am Arbeitsmarkt gefunden haben. Was aber macht diese Regierung? Sie machen einen Kahlschlag in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Sie haben zu verantworten, dass im nächsten und übernächsten Jahr reihenweise Bildungsträger, die sehr gute Arbeit für benachteiligte Menschen leisten, über die Wupper gehen werden und dann, wenn sie dringend gebraucht werden, nicht mehr zur Verfügung stehen. Damit haben Sie auch zu verantworten, dass insbesondere diejenigen, die Nachteile am Arbeitsmarkt haben, es dann noch schwerer haben werden, wieder Anschluss zu finden, und damit auch ein höheres Altersarmutsrisiko haben. Das haben Sie zu verantworten. (Beifall bei der SPD) Wenn man sich genauer mit der Zuschussrente befasst, dann zeigt sich: Das ist ein Placebo. Es ist nichts anderes als die Verlängerung des Kombilohns in die Rente. Es ist nicht mehr als eine Kombirente. Die Anreize gehen nicht unbedingt in die Richtung, möglichst lückenlos und in Vollzeit einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nachzugehen; es wird vielmehr der Anreiz gesetzt, Teilzeit zu arbeiten. Man kann sich ausrechnen, ob man mit Minijobs unter Verzicht auf die Versicherungsfreiheit und mit 5 Euro Riester-Rente im Monat zu derselben Rente kommt wie eine Verkäuferin, die Tag für Tag sechs Tage die Woche im Laden steht und ihr Leben lang vollzeiterwerbstätig ist. Sie riskieren damit auch ein Stück weit die Beitragsbezogenheit der Rente. Das ist dem Rentensystem insgesamt mit Sicherheit nicht zuträglich. Sie versuchen, möglichst wenige in den Genuss Ihrer Zuschussrente kommen zu lassen. Das haben Sie vorgestern in Ihrer Antwort auf meine Frage auch zugegeben, Herr Staatssekretär. Ich hatte gefragt, wie sich die Zuschussrente bei denjenigen bemisst, die unter Inkaufnahme von Abschlägen Rente beziehen. Dazu sagt die Bundesregierung: Die „Zuschussrente“ wird dann geleistet, wenn die vollen Ansprüche aus der eigenen Alterssicherung nicht ausreichen. Wer wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme eine Rente mit Abschlägen bezieht, kann ab dem Erreichen der Regelaltersgrenze eine „Zuschussrente“ erhalten, wenn er die Voraussetzungen erfüllt. Durch die „Zuschussrente“ sollen allerdings die Abschläge nicht kompensiert werden. Alles klar: Wer unter Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Rente geht – warum auch immer –, bekommt natürlich keine Zuschussrente in Höhe von 850 Euro. Ihnen geht es gar nicht darum, möglichst viele Menschen in den Genuss der Zuschussrente kommen zu lassen. Vielmehr geht es Ihnen darum, etwas vorzugaukeln, was es gar nicht gibt. (Beifall bei der SPD) Ihre Vorschläge sind wie immer mehr Schein als Sein. Wir werden die Vorschläge aus unserem letzten Regierungsprogramm noch einmal in den Bundestag einbringen. Wir werden auf unserem Parteitag im kommenden Dezember über das Thema Rente ausführlich diskutieren und entsprechende Maßnahmen beschließen. Dann werden Sie Gelegenheit haben, hier im Plenum darüber zu diskutieren. Ich hoffe, dass Sie sich bis dahin auf konkrete Vorschläge einigen können. Entsprechende Drucksachen liegen uns bislang nicht vor. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nicole Bracht-Bendt (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rente ist ein Spiegelbild des Arbeitslebens. Den meisten Rentnern geht es heute gut. Altersarmut ist also aktuell kein verbreitetes Phänomen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Der Anteil der Menschen im Alter von 65 Jahren und darüber, die auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sind, liegt nach letzten Untersuchungen bei rund 2 Prozent der Altersgruppe. Zudem hat sich die Einkommenssituation der Älteren in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert. Das bleibt aber wohl kaum so. Viele Jüngere haben bis zum gesetzlichen Ruhestand noch eine schwierige Wegstrecke vor sich. Immer mehr Erwerbsbiografien enthalten Zeiten von Arbeitslosigkeit oder Selbstständigkeit mit nur geringem Verdienst. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lässt Fragen zur Altersarmut von morgen offen. Genaue Zahlen und Prognosen helfen allerdings auch nicht weiter, wenn wir nicht die Ursachen an den Wurzeln packen. Statt zu lamentieren, müssen wir die Voraussetzungen verbessern, um Altersarmut möglichst zu verhindern. Männer und Frauen müssen in der Lage sein, durch eigene Beitragsleistungen ihr Auskommen im Alter zu sichern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb setzt die FDP-Fraktion darauf, die betreffenden Menschen schnell wieder in Beschäftigung zu bringen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das gelingt uns sehr gut!) Das macht den Unterschied zwischen der christlich-liberalen Koalition und den Oppositionsfraktionen aus. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Deshalb kürzen Sie die Arbeitsmarktmittel!) – Hören Sie gut zu! – Wir setzen auf Vorsorge, Sie auf Nachsorge. (Elke Ferner [SPD]: Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus! – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr habt schon brutto und netto verwechselt! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Ich nicht, Herr Kolb!) Frauen sind von Altersarmut überproportional betroffen. Durch familienbedingte Unterbrechungen, aber auch durch Teilzeitarbeit – das wurde schon mehrfach angesprochen – ist die Rente von Frauen häufig niedriger als die von Männern. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, deutlich!) Die FDP-Fraktion setzt hier auf bessere Aufklärung. Frauen sollten sich nicht auf die Altersabsicherung durch den Mann verlassen. (Elke Ferner [SPD]: Richtig!) Das Modell der Versorgerehe in einer Zeit, in der jede zweite Ehe geschieden wird, ist ein Auslaufmodell. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der LINKEN) Ich halte es für unverzichtbar, schon in der Schule den jungen Menschen dies klarzumachen. Sie müssen wissen, dass sie schon in frühen Jahren an später denken müssen. Gerade bei Frauen ist auch die Berufswahl entscheidend. Klassische Frauenberufe führen bei Einkommen und Weiterbildung häufig in die Sackgasse. (Elke Ferner [SPD]: Vielleicht liegt es an der Bezahlung!) Lehrer und Eltern müssen jungen Frauen deutlich machen, dass Teilzeitarbeit über einen längeren Zeitraum Abschläge in der Rente bedeutet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: In der Schule muss es losgehen!) Altersarmut muss keine tickende Zeitbombe sein. Unser Ziel muss sein, die Voraussetzungen zu schaffen, dass alle im Alter weiter gut leben können, ohne junge Generationen über Gebühr zu belasten. Die FDP hat dafür klare Konzepte. Wer will, soll neben der Rente unbegrenzt hinzuverdienen dürfen. Zusammen mit unserem Koalitionspartner haben wir die Hinzuverdienstgrenzen deutlich ausgeweitet. Private Altersvorsorge muss sich lohnen. Deshalb hat die Koalition hier schon gehandelt, indem sie das Schonvermögen für die private Altersvorsorge von ALG-II-Beziehern verdreifacht hat; das ist teilweise schon vergessen. Auf diesem Weg werden wir weitergehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die FDP-Fraktion setzt daneben auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Danach wird derjenige, der arbeitet und vorsorgt, immer besser gestellt sein als derjenige, der nicht arbeitet und keine Vorsorge trifft. Freiwillige Altersvorsorge muss sich auszahlen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteile ich Kollegen Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Frank Heinrich (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende einer solchen Debatte sind wir doch nicht am Ende der Debatte, wie wir wissen; denn wir treten in einen Dialog. Ich unterstütze das, was mein Kollege Lehrieder gesagt hat, nämlich dass wir den Diskurs über dieses Thema pflegen wollen. Heute hatten wir eine Auseinandersetzung, die teilweise scharf geführt wurde, in deren Verlauf aber doch Argumente auf den Tisch kamen, die in die Diskussion einzubeziehen sind. Ich möchte, auch in Rückschau auf diese Debatte, einige Argumente, die mir wichtig sind, zusammentragen. Wir reden über die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Grünen, die 278 Fragen umfasst. Das ist kein Thema, das uns, wie Sie vielleicht denken, nicht wichtig wäre. (Pascal Kober [FDP]: So ist es nämlich!) Wir wollen es aber auf eine andere Weise als Sie angehen. Ich habe sehr viel aus den Antworten der Bundesregierung gelernt, ich habe aber auch aus den noch nicht beantworteten Fragen – das haben Sie, Herr Strengmann-Kuhn zu Recht angesprochen – gelernt. Wir werden die Antworten auf diese Fragen suchen. Diese Fragen jetzt in den Mittelpunkt zu stellen und sie dann quasi zu zerschießen, würde aber keinen Sinn ergeben. (Elke Ferner [SPD]: Was heißt das denn?) Zu Anfang der Debatte sagte mein Kollege Weiß: Es muss in diesem Rentensystem eine auskömmliche Rente für denjenigen geben, der einen Großteil seiner Lebenszeit gearbeitet hat. – Das Thema der Rente darf aber nicht dazu missbraucht werden, Ängste zu schüren. Die Angst, keine auskömmliche Rente zu erhalten, ist für Leute, die in den nächsten ein, zwei oder drei Jahren in den Ruhestand gehen, unbegründet. Die Ängste werden vielmehr unnötigerweise angeheizt. (Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/ CSU]) Allerdings sehen wir, dass eine bedenkliche Entwicklung am Horizont auftaucht. Sie haben vorhin Zahlen genannt und unterstellt, die Altersarmut sei jetzt schon existent. Wir leugnen die Zahlen – 1,8 Prozent in den neuen Bundesländern (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da ist das Armutsrisiko bei 15 Prozent!) und 2,8 Prozent im Westen – nicht. Gleichwohl wird die Angst geschürt und so getan, als ob Altersarmut schon vorhanden sei. Gestern habe ich einen Artikel in einer sächsischen Zeitung gelesen, in dem dieses Thema behandelt wurde. So hieß es, Sachsens Senioren würden irgendwann unbezahlbar werden. Der Bericht als solcher war dann doch sehr konstruktiv, und es wurde gut argumentiert; es dient aber dem Thema nicht, wenn solche plakativen Äußerungen in den Mittelpunkt gestellt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das dient der Erhöhung der Auflage der Zeitung!) Lassen Sie uns also vorsichtig mit der Angst der Leute umgehen. Wir wollen das Thema fair diskutieren und dem Problem gerecht werden. Lassen Sie mich auf die Definition der Armut eingehen, über die wir im Ausschuss schon verschiedentlich diskutiert haben. Die Bundesregierung stützt sich bei der Messung von Armut sehr stark auf die EU-Kriterien, nimmt aber auch auf andere Indikatoren Bezug. Die Weltgesundheitsorganisation definiert denjenigen als arm, der weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens bezieht. Nach einer anderen Definition ist derjenige arm, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat. Lassen Sie uns bei solchen Definitionen vorsichtig sein. Wir haben im Ausschuss schon öfter darüber geredet. Wenn jeder Bürger Deutschlands jetzt 1 Million Euro erhalten würde, dann lebten einige Millionäre gemäß diesen Definitionen unterhalb der Armutsgrenze. Das muss man also differenziert betrachten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Denkfehler!) Die Ursachen einer möglichen Armutsgefährdung haben wir deutlich genannt. Da sind wir uns einig. Die Hauptursache sind die Brüche in der Erwerbsbiografie. Diese können mit geringen Einkommen oder Arbeitslosigkeit einhergehen. Sie, Frau Krüger-Leißner, haben darauf hingewiesen. Die Sorge, dass Niedriglöhne zu niedrigen Renten führen, ist berechtigt. Ich möchte aber noch auf eine andere Sorge hinweisen. Gestern sprach ich mit einem Herrn, der sagte, dass er es als Gipfel der Ungerechtigkeit empfinde, dass derjenige, der 35 oder 40 Jahre gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt habe, genauso viel Rente erhalte wie jemand, der nie einen Tag gearbeitet habe, aus welchen Gründen auch immer. Man darf also bei der Diskussion nicht nur eine Personengruppe der Gesellschaft unter die Lupe nehmen. Prognosen, wie sich Bedürftigkeit im Alter entwickeln wird – einige Fragen, die Sie an die Bundesregierung gestellt haben, betrafen dieses Thema –, lassen sich heute noch nicht seriös abgeben, obwohl wir diese bedrohliche Entwicklung am Horizont sehr wohl ernst nehmen. Dies hängt von der Beschäftigungs- und Einkommensentwicklung ab und hat mit dem Erwerbs- und Vorsorgeverhalten der Bürger zu tun. Da rechnen wir als christlich-liberale Koalition mit Eigenverantwortung. Uns ist wichtig, zu betonen, dass die Bürger zunächst selbst verantwortlich sind und erst dann auf die Solidarität der Gesellschaft zählen dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Selbst dran schuld, wenn sie nicht genug haben, oder wie?) Eine Folgerung aus der Krise ist zum Beispiel, dass die kapitalgedeckten Zusatzrentenversicherungssysteme sehr stabil geblieben sind. Sie haben die Wirtschaftskrise sehr gut überstanden. Bei uns wurden die Zusatzrenten – anders als in anderen Staaten – nicht gekürzt. (Elke Ferner [SPD]: Dazu fällt einem nichts mehr ein, oder?) Ein Thema, das in den Fragen, die Sie gestellt haben, sehr stark zum Vorschein kam, ist die verdeckte Armut. Ich habe versucht, mich zu erinnern: Sehr viele Leute haben mir aus persönlicher Betroffenheit erzählt, dass sie sich nicht trauen, zum Sozialamt zu gehen und Unterstützung zu beantragen. Ich habe verdeckte Armut oft gemerkt, aber zum letzten Mal vor 10 oder 15 Jahren, einschließlich der Armut im eigenen Familienumfeld. Ich höre davon in den letzten Jahren je länger umso weniger, weil Altersarmut inzwischen – das wird in einigen Antworten zum Ausdruck gebracht – nicht mehr in dem Maße wahrgenommen wird. (Elke Ferner [SPD]: Auf welchem Planeten leben Sie denn eigentlich?) Hinsichtlich der Vermeidung von Altersarmut – da spreche ich nicht nur die Antworten der Bundesregierung an, sondern auch die Pläne, die wir an der Stelle haben – geht es sehr stark um Prävention und den Arbeitsmarkt, um die Stärkung und die Taten, die wir dort hineingeben. Denn die Integration in den Arbeitsmarkt führt dazu, dass auf der einen Seite die Rentenkassen stabiler werden und dass auf der anderen Seite am Ende weit weniger Leute mit Brüchen in ihrer Erwerbsbiografie zu tun haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das hat auch etwas – Sie haben es bereits gesagt – mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Aber in diesem Bereich sind schon Sachen auf den Weg gebracht worden. Was tut die Bundesregierung (Elke Ferner [SPD]: Das fragen wir uns schon länger!) für soziale Integration? Ich habe in meinem Wahlkreis nicht nur geförderte Projekte der Bundesregierung, sondern Projekte aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft. Ich halte das Problem der Altersarmut nicht nur für ein bundespolitisches Thema; vielmehr hat die ganze Gesellschaft darauf zu reagieren. Als eine Forschungsmaßnahme möchte ich auf den modularen Alterssimulationsanzug MAX zu sprechen kommen. Man kann diesen Anzug anziehen, bekommt noch eine Brille und fühlt sich dann zehn Jahre älter. Dann darf man damit in Geschäfte gehen und das alles aus der Sicht eines älteren Menschen betrachten. Es werden Möglichkeiten entwickelt, das Leben im Alter und die Schwierigkeiten, die damit einhergehen, schon jetzt vorherzusehen. In dieses Projekt fließen Fördermittel. Ein weiteres Beispiel: Es soll ein Lehrstuhl für Demografie entstehen. Sie sehen: Wir forschen auf verschiedensten Gebieten unserer Gesellschaft, um dem Thema Altersarmut sowohl finanziell als auch in vielen anderen Bereichen gerecht zu werden. Zum Schluss noch etwas zum „Regierungsdialog Rente“: Wir sind – das wissen wir aus den Statistiken – der Staat Europas mit der ältesten Bevölkerung. Sachsen, woher ich komme, hat in Bezug auf den Altersdurchschnitt die älteste Bevölkerung in Deutschland. Man unkt, dass Chemnitz in 20 Jahren die Stadt mit der ältesten Bevölkerung Europas sein wird. Aber das eröffnet uns doch eine Chance, nämlich vor allen anderen etwas zu entwickeln – samt der Sozialsysteme –, woran sich andere dann messen können. In Bezug auf das Thema Altersarmut sind wir jetzt sogar schneller, als wir am Anfang gedacht haben; denn erst wollten wir eine Kommission einsetzen. Ich meine, dass wir – um ein Bild vom Golfen zu bemühen –, möglicherweise schon beim Putten sind, während Sie gerade erst zum Abschlag gehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe ich nicht! Ich spiele kein Golf!) Ich glaube, dass wir schneller sind, als wir am Anfang gesagt haben, und dies aus gutem Grund. Wir haben nämlich begriffen, was unser Auftrag ist. Wir haben den Regierungsdialog gestartet, werden ihn ernst nehmen und gehen damit in konkrete Planungen. Schlusswort. Die Vermeidung von Altersarmut ist eine elementare Aufgabe staatlicher Sozialpolitik; wir und auch die Regierung zeigen dies. Die Risiken, die im Alter zu Armut führen können, sind bekannt. Deshalb muss dieses Problem mit verlässlicher Arbeit und den von den beiden liberalen Rednern genannten vorsorglichen Maßnahmen angegangen werden. Es hat mit fairen Löhnen und mit zusätzlicher privater Vorsorge zu tun. Das sind unsere erklärten Baustellen bei diesem Thema. Es ist uns wichtig, dass wir trotz der Tatsache, dass die Erstellung von Studien eine lange Zeit, über ein Jahr, in Anspruch nehmen kann, schnell unterwegs sind, ob Ihnen das nun zu schnell geht oder nicht. Es wird also eine Kommission arbeiten; das könnte langwierig sein. Wir treten jetzt in einen Dialog ein, und wir werden ein Ergebnis vorlegen. Die Umsetzung werden wir mithilfe konkreter Maßnahmen machen. Dazu bedarf es aber noch Antworten der Bundesregierung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes – Drucksache 17/5894 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) – Drucksache 17/7170 – Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Dr. h. c. Wolfgang Thierse Reiner Deutschmann Dr. Rosemarie Hein Wolfgang Wieland Hierzu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Beatrix Philipp von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Beatrix Philipp (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht genau, was Sie heute empfunden haben, als Sie in einer großen Berliner Tageszeitung lesen konnten – ich zitiere –: … setzte er – gemeint ist Roland Jahn – eine befremdliche Tradition fort: – jetzt kommt es – Die Bürgerrechtler an der Spitze der Behörde scheren sich wenig um Bürgerrechte und nutzen ihr Amt, um politisch Missliebige ins Abseits zu stellen. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Abenteuerlich!) Ich finde das empörend. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist eine Sauerei!) Es ist eigentlich eine Beleidigung aller Bürgerrechtler. Jetzt O-Ton von Roland Jahn: Wer einen Schlussstrich will, hat nicht begriffen, dass Aufarbeitung nicht Aufrechnung ist. Aufarbeitung ist eine Investition in die Zukunft unserer Demokratie. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Damit hat er recht!) So schreibt Roland Jahn in der evangelischen Wochenzeitschrift Die Kirche unter der Überschrift „Der lange Schatten der Mauer“. (Christoph Poland [CDU/CSU]: Genau so!) Wir wollen keinen Schlussstrich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir novellieren heute zum achten Mal das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Wer sich mit der Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes beschäftigt hat, der wird erkennen, dass dieses Gesetz ein herausragendes Beispiel für lebendige Demokratie ist. Es ist gewachsen und veränderte sich, sozusagen wie alles im richtigen Leben. Immer wieder wurde das StUG an die Rechtsprechung und an die Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis angepasst. Es wurde aber eben auch an Erfordernisse angeglichen, wie sie sich aus der öffentlichen Wahrnehmung und den Vorkommnissen ergaben, die ich beispielhaft bei der ersten Beratung am 26. Mai dieses Jahres erwähnt habe. Der vorliegende Gesetzentwurf steht also in der Kontinuität der notwendigen Veränderungen. Was sind nun diese Veränderungen und diese Neuerungen? Zum einen verlängern wir die Dauer der Überprüfungsmöglichkeiten um weitere acht Jahre bis 2019. Denn: Immer wieder zeigen neue Stasienthüllungen wie zum Beispiel in Brandenburg und steigende Zahlen von Antragstellungen, dass das Thema Aufarbeitung noch immer aktuell ist. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: So ist es!) Wie ich eingangs erwähnte, ist es auch anscheinend deswegen nötig, weil einige immer noch nicht wissen, worum es geht. Zum anderen erweitern wir den überprüfbaren Personenkreis. So sollen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ab der Besoldungsgruppe A 9 bzw. ab der Entgeltgrupe E 9, die eine leitende Funktion ausüben, von nun an auf eine frühere hauptamtliche oder inoffizielle Stasitätigkeit überprüft werden können. Außerdem werden alle Beschäftigten unabhängig von ihrer Vergütungsgruppe dann überprüft, wenn – so das Gesetz – „Tatsachen den Verdacht einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR rechtfertigen“, Zitatende. Dazu nenne ich ein aktuelles Beispiel. Nachdem Anfang dieses Jahres bei der Brandenburger Polizei drei neue Stasifälle ans Licht kamen, wollte der brandenburgische Innenminister Dietmar Woidke, SPD, immerhin Schutzbereichs- und Wachenleiter der Polizei auf eine frühere Stasitätigkeit überprüfen. Das derzeitige StUG ließ eine solche umfassende Überprüfung allerdings nicht zu. Das heißt, der Innenminister wollte, aber er durfte nicht. Deswegen ändern wir das jetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Schutzbereichsleitern stimmt das auch nicht! Die wurden überprüft!) Nächstes Beispiel. Beim brandenburgischen Justizminister Volkmar Schöneburg, immerhin Mitglied der Linkspartei – das diskutieren wir jetzt nicht –, war die Sachlage anders: Das StUG gab ihm die Möglichkeit, Richter und Richterinnen zu überprüfen; aber er lehnte dies ab, obwohl es in der Justiz neue und auch empörende Stasifälle gab, wie ich letztens schon einmal ausgeführt habe. (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) – Das können Sie nachlesen, wenn Sie es nicht wissen. Es ist sehr erstaunlich, dass Sie es nicht wissen. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wieso? Wir wissen das!) Auch das korrigieren wir. Zurück zum Gesetzentwurf. Mit der neuen Regelung sorgen wir für Transparenz, für Integrität und für Vertrauen in die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, so wie Ulrike Poppe dies in der Anhörung ins Gedächtnis rief. Ich zitiere: „Die Intention des ersten StUG war nicht, die Stasimitarbeiter und -spitzel zu bestrafen, sondern das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu ermöglichen“, Zitatende. Das ist richtig so, und es ist auch so geblieben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, im Grundsatz war das ja wohl auch Ihre Meinung. Ich zitiere aus der Begründung Ihres Änderungsantrages: Vertrauen ist das Grundkapital unserer rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung. Solches Vertrauen kann erschüttert werden. Dann muss es die Möglichkeit geben, angemessen zu reagieren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Bei Anlass!) Sehr richtig. Das tun wir auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber Sie ziehen die falschen Schlüsse. Sie argumentieren, dass Wissenschaftler und Journalisten solche Stasifälle schon aufdecken würden; alles andere wäre ein Generalverdacht oder unverhältnismäßig. Wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, heißt das, dass der Dienstherr auf mehr oder weniger zufällige Enthüllungen von Journalisten und Wissenschaftlern angewiesen und eben nicht mehr Herr des Verfahrens wäre. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nun nicht in dem Änderungsantrag!) Das halten wir einfach für überhaupt nicht akzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Reiner Deutschmann [FDP]: Denunziantentum!) Ich denke, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus zuzumuten ist, sich überprüfen zu lassen. Auf eine Überprüfung kann eben noch nicht verzichtet werden, wie wir gesehen haben. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag! Bis alle Schnipsel zusammengesetzt sind!) Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen und Wochen wurde in den Medien eine geplante Änderung im Stasi-Unterlagen-Gesetz besonders kontrovers diskutiert. Die christlich-liberale Koalition spricht sich mit dem neuen § 37 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ganz klar gegen eine Beschäftigung von ehemaligen Stasimitarbeitern bei der Stasiunterlagenbehörde aus. Die Vorstellung, in der Stasiunterlagenbehörde früheren Peinigern begegnen zu können, ist den Opfern, aber auch der Öffentlichkeit überhaupt nicht zu erklären. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Das hat schon mal anders ausgesehen!) – Diese alte Debatte möchte ich hier eigentlich nicht wieder aufwärmen. (Christine Lambrecht [SPD]: Das glaube ich!) Aufgrund der einzigartigen Funktion dieser Behörde, nämlich der Aufarbeitung, halten wir es für richtig, Stasimitarbeiter woandershin zu versetzen, wenn ihnen dies zuzumuten ist. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist Ihnen unangenehm! Schäuble war es, der hat die dahin geschoben!) Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit wird auf die persönlichen und familiären Umstände ausdrücklich Rücksicht genommen. Ich kenne niemanden, der nicht verwundert ist, wenn er zum ersten Mal hört, dass in der Aufarbeitungsbehörde, also in der Stasiunterlagenbehörde, immer noch ehemalige Stasimitarbeiter tätig sind. Mit der Novellierung bringen wir aber zum Ausdruck, dass wir diese für Opfer unerträgliche Situation, natürlich unter rechtsstaatlichen Bedingungen, ändern wollen. Wir setzen darauf, dass es zu einvernehmlichen Lösungen kommt. Damit starten wir weder eine Hetzjagd, wie gesagt wurde, noch sind wir von Rache geleitet, wie oftmals von verschiedenen Seiten behauptet wurde. Herr Thierse, auch von Verfolgungsradikalismus kann eigentlich überhaupt keine Rede sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zum Vorwurf, es handele sich um eine Einzelfallregelung: In Anbetracht von geschätzt 189 000 inoffiziellen Mitarbeitern und fast 100 000 hauptamtlichen Mitarbeitern ist es völlig unzutreffend, hier von einer Einzelfallregelung zu reden. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja nur 45, um die es geht!) Schließlich: Innen- und Justizministerium haben den Gesetzentwurf geprüft und halten ihn für verfassungskonform. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das überrascht uns nun nicht!) Ich halte die Bedingungen, unter denen eine Versetzung erfolgen kann, wie sie in § 37 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes formuliert sind, für absolut zumutbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. Mehr Redezeit habe ich nicht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir die Konsequenzen aus der Anhörung im Kulturausschuss im Juni gezogen. Wir haben viele fraktionsübergreifende Gemeinsamkeiten gefunden. Die beiden wesentlichen Unterschiede bleiben leider bestehen. Ich bedaure das sehr. Vielleicht ist es aber doch noch möglich, zu einer gemeinsamen Aufarbeitung zu kommen und dafür ein Zeichen zu setzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD spricht nun der Kollege Dr. Wolfgang Thierse. (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich ein wenig grundsätzlich und zugleich persönlich beginnen. Die Aufarbeitung der unseligen Erbschaft des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und des SED-Staates insgesamt ist wesentlich für unser demokratisches Selbstverständnis, so wie das auch für die Nazi-Erbschaft gilt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Diese Aufarbeitung ist seit 1990 gemeinsames Anliegen einer breiten Mehrheit des Deutschen Bundestags. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Und soll es auch bleiben! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Dann darf man den Konsens nicht auflösen!) Sie ist mir auch persönlich sehr wichtig. Ich war seit 1990 an allen wichtigen Entscheidungen zu diesem Thema beteiligt. Ich habe mich 1990 in der Volkskammer für die Öffnung der Akten des Stasiministeriums ausgesprochen. Ich habe mich 1991 für die Errichtung der Stasiunterlagenbehörde eingesetzt, und dafür, dass diese Errungenschaft der friedlichen Revolution auch heute noch existiert. Ich habe an allen Novellierungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes mitgewirkt. Das hat durchaus auch biografische Gründe. Ich möchte zumindest einen Aspekt erwähnen. Ich bin aufgewachsen als Sohn eines Rechtsanwalts in der DDR. Das heißt, ich bin aufgewachsen mit den Niederlagen meines Vaters in politischen Verfahren. Ich will nur ein Beispiel erzählen, das zu meinen frühesten politischen Erinnerungen gehört. Als im März 1953 Stalin gestorben war, rief ein Mann im Suff auf dem Dorfplatz: Hurra, der größte Verbrecher aller Zeiten ist gestorben. – Mein Vater hat diesen Mann verteidigt. Er hat acht Jahre Zuchthaus bekommen. Ich werde nie das Gesicht meines Vaters vergessen, als er beim Abendessen mit Tränen in den Augen davon erzählte und sagte: Ich habe nichts für ihn tun können. Wenn man so geprägt ist, wird man nie Kommunist. Mein Vater hat Menschen verteidigt – wir haben in der Nähe zur Grenze im Thüringischen gewohnt –, die angeklagt und verurteilt wurden wegen versuchter Republikflucht, wegen der Inanspruchnahme eines elementaren Menschenrechts. Ich erinnere daran, weil daher eine fast unstillbare Sehnsucht rührt nach unbedingter Rechtsstaatlichkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Stasiunterlagenbehörde das werden konnte, was sie heute ist, nämlich die zentrale Einrichtung zur Aufklärung von DDR-Unrecht. Die nicht rechtsstaatlich zustande gekommenen Stasiakten den Opfern, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, dafür haben wir eine rechtsstaatliche Ausnahmeregelung geschaffen. Mit ihren drei Schwerpunkten, nämlich Aufarbeitung, Forschung und Bildung über die Funktionsweise und Struktur der SED-Herrschaft, erfüllt diese Behörde eine unersetzliche Aufgabe. International ist sie zum Vorbild für einen geordneten und zukunftsweisenden Umgang mit einer diktatorischen Vergangenheit geworden. Dass die SPD für Aufarbeitung steht, daran darf und kann kein Zweifel bestehen. Wir sind gegen einen Schlussstrich. Lieber Kollege Kurth, Sie sollten nicht das Gegenteil öffentlich behaupten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auch die erneute Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes unterstützen wir. Die Überprüfungsmöglichkeiten bis 2019 zu verlängern, halten wir für genauso richtig, wie wir der Mehrzahl der Veränderungen im Gesetzentwurf ausdrücklich zustimmen. Konsens herrscht darüber, dass auch ehrenamtliche Bürgermeister, Kommunalvertreter und Bewerber für ein Wahlamt auf eine Stasimitarbeit hin überprüft werden können. Sinnvoll ist eine Vereinfachung des Zugangs zu den Unterlagen für Wissenschaftler und Journalisten. Richtig sind auch Regelungen, die klar umrissenen Personengruppen die Einsichtnahme in Akten erleichtern, beispielsweise Angehörigen Vermisster oder Verstorbener. Über all diese Punkte sind wir uns mit den Koalitionsfraktionen rasch und problemlos einig geworden. Dennoch wird die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes erstmals ohne breite parlamentarische Mehrheit verabschiedet werden. Ich bedaure dies sehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Wir auch!) Mit zwei Vorschlägen nämlich sind die Koalitionsfraktionen so weit über das Ziel hinausgeschossen, dass weder SPD noch Bündnis 90/Die Grünen zustimmen können. Unser Änderungsantrag spiegelt dies wider. Dissens herrscht zum Ersten über die Ausweitung des überprüfbaren Personenkreises im öffentlichen Dienst, wie Schwarz-Gelb das will. Eine Überprüfbarkeit ohne die Voraussetzung eines auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Verdachts lehnen wir ab. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist diese Regelung schlicht unverhältnismäßig. Die vergangenen zwei Jahrzehnte müssen bei der Beurteilung einer Person und ihrer Tätigkeit genauso zählen wie das möglicherweise moralisch falsche Handeln in der DDR zuvor. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Meine Grundüberzeugung lautet – Kollegin Philipp hat es ebenfalls zitiert –: Vertrauen ist eine wesentliche Grundlage rechtstaatlicher Demokratie – Vertrauen in die Veränderbarkeit von Menschen. Dieses Vertrauen kann enttäuscht werden. Wenn dies geschieht und Anhaltspunkte den Verdacht auf eine Tätigkeit für das MfS nahelegen, dann – und nur dann – muss die Überprüfung für alle Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst möglich sein. Diese Überprüfung dient allen. Sie liegt im Interesse der arbeitgebenden Behörde, der Öffentlichkeit und nicht zuletzt der verdächtigten Person selbst. Deshalb haben wir vorgeschlagen, immer dann die Überprüfung möglich zu machen, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, unabhängig von Funktion und Entgeltgruppe des Betroffenen. Das war unser Vorschlag, auf den Sie leider nicht eingegangen sind. Dissens herrscht zum Zweiten über die Einführung eines de facto rückwirkenden Einzelfallgesetzes, mit dessen Hilfe sich die Koalitionsfraktionen jener 47 ehemaligen Stasimitarbeiter aus der Behörde entledigen wollen, die aber mittlerweile seit über zwei Jahrzehnten in dieser Behörde arbeiten. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Schlimm genug!) Die mögliche Begegnung mit früheren Tätern ist für Opfer gewiss schwer erträglich. Wenn ehemalige Stasimitarbeiter in der Behörde Opfer von der Einsichtnahme ihrer Akten abhalten, dann ist das ohne Zweifel ein gravierendes Problem. Die ehemaligen Stasimitarbeiter sind aber unter Schäuble und Gauck eingestellt worden, weil man sie damals zu brauchen meinte. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Erst mal befristet!) Heute arbeiten diese Mitarbeiter seit über 20 Jahren in der Behörde und haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Sie haben sich Vertrauensschutz in das Fortbestehen ihrer Arbeitsverhältnisse erworben. Die Fürsorgepflicht der Behörde als Arbeitgeber gilt auch gegenüber diesen Mitarbeitern. (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Genau das beurteilen wir anders!) Eine Lösung des Dilemmas kann es nur in rechtsstaatlich – also arbeits- und dienstrechtlich – einwandfreier Weise geben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie muss gemeinsam mit den 47 Mitarbeitern gefunden werden. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen dagegen schlägt einen verfassungsrechtlich wie rechtspolitisch bedenklichen Weg ein. Wir lehnen ihn deshalb in diesem Punkte entschieden ab. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es ist übrigens eine Illusion, wenn man meint, möglichen arbeitsrechtlichen Konflikten durch eine solche gesetzliche Regelung aus dem Weg gehen zu können. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Einvernehmlich! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen Sie es nicht in ein Gesetz zu schreiben!) Wir lehnen diesen Gesetzentwurf auch in der Gewissheit ab, dass eine andere Lösung des Problems möglich ist. Dass die Bundesregierung in nachgeordneten Einrichtungen adäquate Arbeitsplätze für diese Mitarbeiter anbietet, scheint mehr eine Frage des Wollens als des Könnens zu sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dies entnehme ich der Antwort von Staatsminister Neumann auf meine Anfrage von letzter Woche. Darin hat er mitgeteilt, dass er jetzt bereit ist, 19 Stellen in nachgeordneten Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Ganz ohne dieses Gesetz ist das möglich. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Dann stellen Sie doch einen ein! – Gegenruf der Abg. Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Jetzt sind Sie sprachlos!) Die Aufarbeitung des DDR-Unrechts ist ein Kapitel unserer Geschichte, das nicht abgeschlossen ist und auf absehbare Zeit nicht abgeschlossen werden kann. Hier bedarf es der nötigen Instrumente, gewiss, aber auch des rechten Maßes. Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen und Einlassungen auch mancher Kollegen kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Radikalität der Beurteilung der DDR-Geschichte mit der zeitlichen Distanz zu- statt abnimmt. Nach meiner Überzeugung ist das notwendige Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen nicht dadurch zu gewinnen, dass ein latentes Misstrauen gegenüber Mitbürgern ostdeutscher Herkunft in Gesetzen festgeschrieben wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hier entsteht über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer eine Schieflage; denn faktisch ist – auch wenn Sie anderes behaupten – nicht der 1958 in Mannheim Geborene gemeint, sondern der 1958 in Leipzig Geborene. (Beifall bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: So ist das! Ganz genau! Das ist nämlich der Punkt! – Christoph Poland [CDU/CSU]: Nein! Das ist völliger Unsinn! Es geht um den Mannheimer! Eine öffentliche Falschmeldung!) Um eine Formulierung aus dem Historikerstreit aufzunehmen: Auch die DDR-Vergangenheit ist eine „Vergangenheit, die nicht vergeht“. Weitere Anstrengungen bleiben nötig, um diese Geschichte präzise und gründlich zu erforschen und sichtbar zu machen. Akten müssen zugänglich bleiben. Die Aufklärungsarbeit und die politisch-historische Bildung bleiben wesentliche Aufgaben der Zukunft. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles sollte einer wichtigen Unterscheidung folgen, ohne die die historische und politisch-moralische Aufarbeitung schiefläuft: der Unterscheidung einerseits zwischen dem Urteil über das politische, wirtschaftliche, ideologische System, das falsch war und zu Recht gescheitert und überwunden ist – dieses Urteil muss hart und entschieden sein –, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und andererseits dem Urteil über die Menschen, die in diesem System gelebt haben, (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Über die Täter, Herr Kollege, nicht über die Opfer!) die Biografien, die in diesem System gelebt worden sind, die nicht alle falsch waren und nicht alle gescheitert sind. Dieses Urteil sollte sehr differenziert, behutsam und menschenfreundlich sein. Es geht um das rechte Maß. (Beifall bei der SPD) Deshalb können wir dem Gesetzentwurf der Koalition nicht zustimmen. Ich lade Sie ein, dem ausgewogenen und maßvollen Änderungsantrag von SPD und Bünd-nis 90/Die Grünen zu folgen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP hat jetzt das Wort der Kollege Reiner Deutschmann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Reiner Deutschmann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Roland Jahn, auch 21 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sind Opfer der Stasi noch immer traumatisiert. Eine neue Langzeitstudie belegt, dass eine große Zahl der Opfer auch Jahrzehnte danach noch immer unter Angstzuständen und innerer Unruhe litt und weiter leidet. Sie wurden durch diesen Staat schikaniert, geprügelt und weggesperrt. Lebensläufe wurden zerstört, Karrieren verhindert und Menschen gegeneinander aufgebracht. Womit hatten die Opfer das verdient? Sie wollten nichts anderes als ein Stück Freiheit im sogenannten Arbeiter- und Bauernstaat. Sie wollten sich nicht verbiegen; sie wollten ein selbstbestimmtes Leben. Das einfache Verlangen nach Freiheit schien der Führung der DDR und ihrem schärfsten Schwert, der Stasi, gefährlicher als der gemeine Schwerverbrecher. So wurden die Opfer auch behandelt: wie Schwerstverbrecher. Dies ist im ehemaligen Stasiuntersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen zu sehen, wo die Opfer beispielsweise durch Dunkelhaft oder simuliertes Ertränken gequält wurden. Wenn wir uns dies klarmachen, wenn wir uns in die Lage der Opfer versetzen, dann wissen wir, warum es in Deutschland keinen Schlussstrich unter der Aufarbeitung des Stasiunrechts geben darf. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Neben der grundsätzlichen Verlängerung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bis 2019 verfolgt die christlich-liberale Koalition zwei zentrale Anliegen: Erstens wollen wir verhindern, dass die Täter von damals Karriere im öffentlichen Dienst machen. Deswegen haben wir die Überprüfungsmöglichkeit, und zwar auch ohne Vorliegen eines Verdachts, auf die mittlere Leitungsebene ausgeweitet. Der Vorschlag der Opposition, nur bei einem konkreten Verdacht Überprüfungen zuzulassen, ist aus unserer Sicht unangemessen. So hinge es von Journalisten oder sogar von Denunzianten ab, ob zufällig etwas über jemanden an die Öffentlichkeit gelangt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zweitens. Es darf nicht sein, dass Opfer der Stasi in der für sie geschaffenen Behörde auf Täter von damals treffen oder das Wissen haben, ihre Akten würden von denen bearbeitet, die sie damals beschatteten. Ein Opfer der Stasi sprach letzte Woche im ZDF-heute-journal davon, dass es ein Tritt in die Seele sei, zu wissen, dass ehemalige MfS-Leute in dieser Behörde arbeiten. Deshalb haben wir eine Regelung vorgesehen, die das untersagt. Die dort verbliebenen Stasimitarbeiter sollen auf gleichwertige Stellen in anderen Bundesbehörden versetzt werden. Dies ist unser ausdrücklicher politischer Wille. (Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl! – Genau!) Zum ersten Punkt. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie werfen uns vor, mit der Ausweitung der Überprüfung würden Beamte und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes unter einen Generalverdacht gestellt. Darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, eine Bewertung der Eignung für einen bestimmten Dienstposten vorzunehmen. Das ist eine Kannregelung, und diese gilt sowohl in den alten wie in den neuen Bundesländern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Gerade in den alten Bundesländern besteht, denke ich, einiger Handlungsbedarf. (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]) Es geht um die Integrität des öffentlichen Dienstes. Dazu kann zum Beispiel Brandenburgs Innenminister, Dietmar Woidke, zurzeit nur wenig beitragen; denn trotz vieler Stasialtfälle im Land Brandenburg, beispielsweise bei der Polizei, bliebe ein Überprüfungsantrag beim BStU nach geltendem Recht derzeit ohne Erfolg. Die Koalition sorgt dafür, dass dies ab dem 1. Januar 2012 anders ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!) Wir geben dem brandenburgischen Innenminister und vielen anderen die Möglichkeit, den von Woidke so bezeichneten Schatten des Verdachts von der Polizei zu nehmen und das Vertrauen der Bürger wieder herzustellen. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was ist los in Ihren Reihen? Ihr brandenburgischer Innenminister und die Landesbeauftragte, Ulrike Poppe, wollen es. Sie stellen sich hier, im Bundestag, dagegen. Nun zur zweiten Änderung der letzten Wochen. Uns geht es bei der Umsetzung der stasibelasteten Mitarbeiter nach dem neuen § 37 a Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht um Rache oder um Vergeltung. Es geht darum, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Opfer – die sollten wir vor allem im Blick haben – und der betroffenen Mitarbeiter zu finden. Wir meinen: Kein Opfer sollte einem ehemaligen Stasimitarbeiter in der Behörde des BStU gegenübertreten müssen oder das Gefühl haben, die Stasi säße immer noch in seinem Nacken, sei es im Archiv oder auch nur an der Pforte. Dass Mitarbeiter bei vollen Bezügen unter Wahrung aller Anwartschaften versetzt werden, gehört woanders zum normalen Behördenalltag. Das ist meiner Meinung nach auch von den stasibelasteten Mitarbeitern beim BStU auszuhalten. (Zurufe von der SPD) Die Glaubwürdigkeit der Behörde ist angekratzt. Zur Aufarbeitung gehört, dass die Behörde einen respektvollen Umgang mit den Opfern pflegen kann. Das kann sie nur, wenn keine ehemaligen Mitarbeiter des MfS in diesem Haus tätig sind. (Klaus Hagemann [SPD]: Und das fällt euch nach 20 Jahren ein?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Deutschmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Reiner Deutschmann (FDP): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege. Ich stimme völlig mit Ihnen überein, dass es für die Opfer der Stasi, des SED-Staates unzumutbar ist, in der Behörde, die diese Angelegenheiten untersuchen soll, ehemaligen Stasispitzeln gegenüberzutreten. Darin stimmen wir völlig überein. Sie wissen aber, wie lang die Einstellung dieser Personen schon zurückliegt, und Sie wissen, dass es Schuld des Arbeitgebers und nicht der Betroffenen ist, dass sie in dieser Behörde beschäftigt sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Das macht es nicht besser!) Der Arbeitgeber hätte doch längst, auf jeden Fall bis zur Abfassung dieser Gesetzesnovelle, eine Lösung für die Betroffenen finden können. Ich frage Sie nun: Wie kommt es Ihrer Meinung nach an, wenn dieser Personenkreis jetzt kraft Ihres Gesetzes, dessen Verfassungsmäßigkeit durchaus anzuzweifeln ist, in andere Bundeseinrichtungen versetzt wird? Wie stellen Sie sich das vor? Welchem Stigma werden diese Personen ausgesetzt? Halten Sie das für rechtsstaatlich vertretbar? (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das ist doch unglaublich! Jetzt sind wir auch noch für das Stigma verantwortlich!) Reiner Deutschmann (FDP): Ich habe bereits gesagt, dass es unser politischer Wille ist, dass dies geschieht, weil das den Opfern nicht zuzumuten ist. Das ist unsere Sicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hinsichtlich Ihrer Feststellung, dass dieses Problem eigentlich schon 20 Jahre in diesem Land besteht, kann ich Ihnen nur zustimmen. Man hätte in dieser Frage viel eher handeln müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Höchste Zeit!) Der Kollege Thierse hat angedeutet, dass man den Weg der Freiwilligkeit hätte wählen müssen. Dazu sage ich: Die Gespräche haben in den letzten Monaten stattgefunden. Es sind schon viel eher Angebote unterbreitet worden. Es ist nur keiner darauf eingegangen. Gerade deshalb haben wir gesagt: Dann können wir nur diesen Weg gehen. Jetzt muss es ins Gesetz. Wenn die freiwillige Lösung nicht funktioniert, dann kommt unser politischer Wille so zum Ausdruck. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Also doch nicht freiwillig! – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Im Geiste der Opfer! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wer hat denn vor 20 Jahren regiert? – Gegenruf des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Fragen Sie einmal Herrn Thierse!) – Sie glücklicherweise nicht mehr. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Thierse, Sie sprechen oft von gesellschaftlichem Ausgleich und Versöhnung. Die Zeit mag die eine oder andere Wunde heilen. Aber aus unserer Sicht gibt es unter keinen Umständen eine Rechtfertigung dafür, dass in einem Unrechtssystem Unrecht begangen wird. Ich komme zum Ende meiner Rede. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wünschte ich mir, dass mehr Stasitäter dazu bereit wären, sich ernsthaft und aufrichtig bei den Opfern für die Dinge zu entschuldigen, die sie ihnen angetan haben. Ohne eine solche Entschuldigung werden ein Ausgleich und eine Versöhnung nur schwerlich möglich sein. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich am Anfang zu sagen: Die weitere Auseinandersetzung mit der Geschichte ist für die Linke gerade wegen ihrer eigenen Geschichte unverzichtbar. (Beifall bei der LINKEN) Die Aufarbeitung von Geschichte ist nicht nur wichtig für die, die in der Zeit der DDR Nachteile erlitten und Unrecht erlebt haben und deshalb Genugtuung erwarten und zu Recht Rehabilitation einfordern, sie ist auch für diejenigen wichtig, die in irgendeiner Weise Verantwortung für erlittenes Unrecht tragen oder gar selbst Schuld auf sich geladen haben. Wer nicht bereit und in der Lage ist, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, läuft Gefahr, sie zu wiederholen. Das wollen wir nicht, und deshalb ist uns an einer ehrlichen Aufarbeitung gelegen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke befürwortet eine tiefgreifende und differenzierte Aufarbeitung von DDR-Unrecht und die Anerkennung des durch dieses Unrecht zugefügten Leids und, soweit das überhaupt möglich ist, eine Wiedergutmachung. Ich habe großen Respekt vor den Erfahrungen der Menschen – Herr Thierse hat es eben angesprochen –, die solche Sachen erlebt haben. Ich habe große Achtung vor ihnen. Opfer der Staatssicherheit müssen darum – daran führt kein Weg vorbei – dauerhaft ein Recht auf Akteneinsicht haben. (Beifall bei der LINKEN) Dennoch werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, und ich möchte versuchen, Ihnen zu begründen, warum. Unsere Ablehnungsgründe werden durch mehrere Gutachten von Sachverständigen gestützt, die im Bundestag angehört wurden. Erstens. Mehrere Sachverständige kritisieren, dass Sie die Geltungsdauer des Gesetzes nunmehr bis zum Jahre 2019 ausweiten wollen. Dadurch wird die Überprüfungspraxis in Bezug auf Wahlämter und Mandate sowie auf Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit allen Folgen für die Betroffenen auf 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ausgedehnt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Damit gehen Sie weit über die üblichen strafrechtlichen Verjährungsfristen hinaus. Wir halten das für unangemessen. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist kein Strafrecht! – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Einzelmeinung!) – Das ist ja das Problem. Es ist nicht einmal Strafrecht, es ist ein moralisches Recht, (Reiner Deutschmann [FDP]: Genau! Das wirkt auch noch 20 Jahre danach!) das Sie höher als Strafrecht werten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir gehen davon aus – Sie offensichtlich nicht –, dass auch Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, zugestanden werden muss, dass sie in den letzten 20 Jahren dazugelernt haben, dass sie sich in der Demokratie gewissermaßen bewährt haben. Ich finde, man sollte das auch anerkennen. (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen Ehrlichkeit, wir auch. Für mich wäre aber wichtig, dass sich offizielle und inoffizielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatssicherheit heute ihrer Verantwortung von damals stellen. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das tun Sie nicht! Lug und Trug! Das ist die Realität! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen sie aber nicht! – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Sie wollen eine Gesinnungsprüfung?) Das aber erfahren sie nicht durch eine derartige Überprüfungspraxis. So werden der gesellschaftliche Dialog und die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Unrecht nicht befördert, sondern eher behindert. Ein zweiter Grund. Sie erweitern den Personenkreis der Regelüberprüfung künftig auf alle leitenden Beschäftigten bis zur Entgeltgruppe A 9 bzw. E 9. Sie weiten sie außerdem auf Wahlämter wie Ortsbürgermeister oder Aufsichtsräte in öffentlichen Unternehmen aus. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass alle diese Personen künftig ohne Anlass überprüft werden sollen. Auch das können wir nicht nachvollziehen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Natürlich können Sie das nicht nachvollziehen! Nestbeschmutzung? Wer will das schon machen! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ein Schelm, der Böses dabei denkt!) – Hören Sie mir einfach einmal zu. Ich habe Ihnen auch sehr aufmerksam zugehört. In einem Gutachten von Professor Weberling wird das berechtigte Interesse betont, zu wissen, wen man wählt und wer für ein öffentliches Amt tauglich ist. Ich verstehe das. Aber Regelüberprüfungen finden immer erst nach der Wahl statt, und Mitarbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst werden nicht gewählt. Ihr Ziel erreichen Sie über diesen Weg also nicht. Auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sehen sich viele leider immer noch nicht in der Lage, eine Verstrickung oder gar Schuld öffentlich zu bekennen, weil dieses Bekenntnis auch heute noch zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann und damit eine existenzielle Bedrohung bedeutet. (Zuruf von der CDU/CSU: Das war auch für die anderen so!) Eine offene und öffentliche Auseinandersetzung über Schuld und Verantwortung, ein gesellschaftlicher Dialog darüber ist so nicht zu führen. Das bedarf einer anderen gesellschaftlichen Atmosphäre, und die schaffen Sie mit dieser Gesetzesänderung nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ein dritter Grund. Sie schaffen mit dem neuen § 37 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes eine besondere rechtliche Regelung für eine sehr kleine Personengruppe. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Für eine große! Das ist nach vorn gerichtet!) Es geht um Personen, die seit 20 Jahren in der Stasiunterlagenbehörde arbeiten – und das offensichtlich zuverlässig; sonst hätte es ja andere arbeitsrechtliche Möglichkeiten gegeben. Ihre frühere Mitarbeit im Ministerium für Staatssicherheit war immer bekannt. Es gibt aus unserer Sicht auch heute keinen Grund, eine Versetzung in andere Behörden sozusagen per Gesetz zu verordnen. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist gar nicht wahr!) Wir halten das für verfassungsrechtlich höchst bedenklich. (Beifall bei der LINKEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Falsche Information der Öffentlichkeit! Bewusst falsch!) 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wäre es eigentlich an der Zeit, Frau Philipp, die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit in das Bundesarchiv einzugliedern, so wie es ursprünglich beabsichtigt war. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und versenken dort!) – Es geht eben gerade nicht darum, sie zu versenken, Herr Wieland. Eine umfassende Aufarbeitung von Geschichte bedarf nämlich nicht nur des Zugangs zu den Unterlagen der Staatssicherheit, sondern auch des Zugangs zu den Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen sowie des Staatsapparats. Die aber liegen schon im Bundesarchiv. (Beifall bei der LINKEN) Eine Zusammenführung der Archivbestände könnte eine wissenschaftliche Aufarbeitung erleichtern, würde sie gerade nicht erschweren. Schon jetzt steht im Gesetz, dass der Zugriff auf diese Akten ermöglicht werden soll. Den Zugang für die Opfer müsste man nicht erschweren. Im Gegenteil: Man könnte sogar im Gesetz festschreiben, dass es ein lebenslanges Recht gibt, in diese Unterlagen einzusehen. Wir bitten Sie nachdrücklich, über eine Zusammenführung der Archivbestände in absehbarer Zukunft nachzudenken. Das würde den notwendigen gesellschaftlichen Dialog befördern, nicht verhindern; eine Schlussstrich-Mentalität wäre das auch nicht. Zum Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD möchte ich noch sagen: Wir stimmen mit Ihnen bezüglich der Streichung des neuen § 37 a überein. Wir respektieren auch, dass Sie zumindest die Ausweitung des Personenkreises im Zusammenhang mit der anlasslosen Überprüfung zurücknehmen wollen. Wir würden aber mit einer Zustimmung zu Ihrem Änderungsantrag auch der Ausweitung der Fristen zustimmen, und das können wir nicht. Deshalb wollen wir uns bei der Abstimmung über den Änderungsantrag enthalten. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Wolfgang Wieland das Wort. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hein, der Beitrag, den Sie hier geleistet haben, war ein relativ maßvoller. Im Ausschuss für Kultur und Medien haben Sie noch von Vergeltung gesprochen. Hier haben Sie die Forderung „Man muss doch endlich einmal alles aufarbeiten“ formuliert. Wenn Sie dieser Meinung sind, dann sollte Ihre Partei einmal damit anfangen, und zwar bei den ganz grundsätzlichen Fragen, wie es zum Beispiel mit dem Mauerbau war, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das tun wir auch!) und dann sollte Ihre Partei, die die Stasi als Schild und Schwert eingerichtet hat, sich einmal fragen, welchen Beitrag sie leistet, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das wissen Sie doch viel besser!) und zwar täglich, zur Rehabilitierung der Spitzel und zu deren gesellschaftlicher Aufwertung, indem sie sie in allen Etagen der Parlamente unterbringt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir können uns gern darüber unterhalten, was wir tun!) – Frau Enkelmann, es sind immer die Getroffenen, die so schreien und so emotional sind. – Was Ihre jetzige Vorsitzende, Frau Lötzsch, sagt, wenn sie zu den Alt-Tschekisten geht und über Rentenunrecht jammert, und was Ihre designierte Vorsitzende, Frau Wagenknecht, zur DDR zu sagen hat – der humanste Staat, den es in Deutschland je gab –, zu Walter Ulbricht und zu Erich Honecker, das sollten Sie einmal aufarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: So funktioniert es nicht, Herr Wieland!) Das Problem ist tatsächlich, dass es nach der friedlichen Revolution in der DDR – das ist wohl die einzige Revolution, von der man das sagen muss – ganz vielen der Täter materiell besser geht als ganz vielen der Opfer. Das ist bitter; das weiß ich. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Das ist aber auch deswegen so, weil der Rechtsstaat Rache und Vergeltung – darüber haben Sie noch in den Ausschüssen geredet – nicht kennt. Er nimmt keine Rache, er zahlt sogar Rente an die früheren Stasispitzel. Ja, ich weiß, dass das für viele Opfer sehr bitter ist. Ich sage das ganz bewusst und erinnere an den folgenden Satz von Bärbel Bohley: Wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen. – Dieser Satz ist von einer sehr klugen und sehr mutigen Frau. Er hat mir aber wirklich noch nie gefallen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Denn wo soll sich Gerechtigkeit materialisieren, wenn nicht im Rechtsstaat? Nur dort geht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Nur dort haben wir die prozessualen und prozeduralen Mittel. Der Rechtsstaat sagt zum Beispiel auch, dass ein verurteilter Mörder – Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes – ein Recht darauf hat, dass die Zeitungen ihn nicht mehr Mörder nennen. Der Rechtsstaat sagt auch – das haben uns die großen alten Männer des Datenschutzes Bull und Garstka in der Anhörung erklärt –, dass er das Vergessen kennt und es beim Datenschutz und an anderen Stellen sogar organisiert. Wenn man das alles weiß, dann kann man nicht, je länger der Untergang der DDR her ist, mit einem zunehmenden Furor – Heribert Prantl hat es so genannt – an diese Fragen herangehen. Wir sind nicht mehr im Jahre eins der deutschen Einheit, wir sind im Jahre 21 der deutschen Einheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Frau Kollegin Philipp, wenn Sie hier bedauern, dass wir aus dem gemeinsamen Boot ausgestiegen sind, dann muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Ausgestiegen sind Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Noch vor der Sommerpause haben Sie gesagt: Wir werden das doch nicht mit der „Gruppe der 47“ belasten. Nach der Sommerpause haben Sie es belastet. Dieses Sondergesetz, sorry, halte ich in dieser Form für verfassungswidrig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es ist ein Gesetz für 47 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gleichzeitig nutzt es überhaupt nichts. Es schreibt die geltende Rechtslage fest. Es macht die Arbeit nicht einfacher. (Zuruf von der FDP: Ist die geltende Rechtslage verfassungswidrig?) Deswegen hat Wolfgang Thierse völlig recht, wenn er sagt: Es geht nur im Einvernehmen, und es geht nur dann, wenn die Bundesregierung andere Verwendungsmöglichkeiten anbietet. Daran wird auch diese Formulierung nichts ändern. Sie ist falsch und grundsätzlich abzulehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zum zweiten Streitpunkt. Wir sind Ihnen sehr weit entgegengekommen; das muss ich einmal deutlich sagen. Wir sind Ihnen in den vielen Verhandlungen, die wir geführt haben, sehr entgegengekommen und haben spontan den Vorschlag aufgegriffen, den Hubertus Knabe als Sachverständiger in der Anhörung gemacht hat. Dieser sieht vor, dass bei Verdacht jeder überprüft werden kann, sogar ein Pförtner. Dadurch würde der Personenkreis also viel stärker ausgeweitet werden, als wir es ursprünglich wollten. Das haben Sie abgelehnt; auch das wollten Sie nicht machen. Nun sage ich ganz eindeutig: Auch Sie als CDU/CSU haben bei der Verlängerung im Jahre 2006 das Untersuchungsfeld auf Behördenleiter und entsprechende Funktionen eingeengt. Wenn Sie es jetzt so ausweiten, dann müssten Sie uns eine Begründung dafür liefern, warum das jetzt notwendig ist. (Zuruf von der FDP: Brandenburg!) Stattdessen kommen falsche Beispiele aus Brandenburg. Die Schutzbereichsleiter in Brandenburg wurden nach dem geltenden Gesetz überprüft. Woidke musste nur richtig vortragen, dann hat er die Akten bekommen. Ansonsten könnte er in die Personalakten der Brandenburger Polizisten sehen, in denen das alles steht. Das hat zum Beispiel auch den CDU-Innenminister Jörg Schönbohm in Brandenburg nicht gehindert, diese Polizeibeamten zu befördern – das nur einmal am Rande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben Vertrauen in die integrative Wirkung des Rechtsstaates. Wir sagen: Man muss auch eine 20-jährige unbeanstandete Tätigkeit, auch die von Polizeibeamtinnen und -beamten in Brandenburg, würdigen. Das fehlt mir bei Ihnen völlig. Sie beschäftigen sich nur mit Stasiverstrickungen. Diese dürfen nicht verniedlicht werden. Aber es handelt sich hier um einen Abwägungsprozess. Sollte man eine zweijährige Ausbildung an einer Stasihochschule, der keine berufliche Tätigkeit, sondern direkt eine Tätigkeit im Rechtsstaat folgte, so bewerten, dass man sagt: Hier geht nichts mehr? Roland Jahn hat, als er bei uns und im Ausschuss war, deutlich gesagt, dass er zukünftig mehr die Abhängigkeit der Stasi und das Verhältnis zwischen SED und Stasi in den Vordergrund stellen möchte, um die Unwucht aus dieser Debatte zu bekommen. Ich erinnere an Berghofer, der deutlich gemacht hat, dass Modrow und Gysi seinerzeit sagten: Wenn wir wollen, dass die Partei fortbesteht, brauchen wir einen Schuldigen. Das ist die Stasi. Auf sie müssen wir die Volkswut lenken. – Das ist ganz sicher so gewesen. Aber wir alle sollten darauf achten, was der Hund und was der Schwanz ist. So schlimm das, was die Stasi gemacht, auch war, sie hat es im Auftrag und mit Wissen und Wollen – sie wurde dazu gegründet – Ihrer Partei getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Zum Schluss – ein ganz schlichter und einfacher Satz kommt jetzt noch; er wird Ihnen nicht gefallen, aber er ist richtig –: Die Antwort auf die Stasi ist der Rechtsstaat. Oder, wie es Joachim Gauck ausgedrückt hat: Staatliche Verwaltung muss dem Recht gehorchen. Weder Gutdünken noch Gutmeinen dürfen das Handeln leiten. – Das würde ich Roland Jahn gerne mit auf seinen weiteren Weg geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das hat er gar nicht nötig!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten der verantwortlichen Täter der Jahre 1989 und davor sind heute Anfang/Mitte 40. Sie stehen also noch richtig in Saft und Kraft. Sie werden uns im Rahmen ihrer Berufsausübung noch die nächsten 20, 30 Jahre begleiten, möglicherweise in politischen Wahlämtern, möglicherweise im öffentlichen Dienst. Genau das ist der Grund, warum wir den Deckel nicht einfach zumachen dürfen, sondern uns noch eine ganze Zeit lang sehr genau damit befassen müssen, was damals passiert ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nicht wenige dieser Täter – Kollege Deutschmann hat es schon angesprochen – haben ganz konkret das Leben von Menschen ruiniert, die Gesundheit von Menschen ruiniert, Familien kaputtgemacht und Berufschancen kaputtgemacht. Diese Erfahrungen tragen die Betroffenen ihr Leben lang mit sich herum. Sie haben sie auch in den neuen Rechtsstaat hinübergerettet. Wenn man beispielsweise kein Abitur machen oder nicht studieren konnte, dann hängt einem das ein Leben lang nach. Der Täter von damals, der protegiert wurde und aufgestiegen ist, profitiert sein Leben lang von dem, was er damals für seine Tat bekommen hat. Wir sagen zur Einzelfallprüfung absolut Ja. Natürlich müssen wir genau hinsehen. Wir sind auch bereit, zu differenzieren: zwischen den großen Tätern, denen, die ganz vielen Menschen geschadet haben, und denen, die, weil sie in einer Zwangslage waren, zwar mitmachen mussten, aber keinem geschadet haben, die beispielsweise einen bestimmten Bericht geschrieben haben. Aber: Trotz der Einzelfallprüfungen sind wir nicht bereit, kraft Zeitablauf so etwas wie eine Pauschalabsolution zu erteilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Das will doch keiner! – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ja! Genau das ist nämlich die Absicht!) – Herr Kollege Thierse, ich habe nicht in Ihre Richtung geschaut, als ich das gesagt habe. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das will auch bei uns keiner! Das haben Sie bis heute nicht kapiert!) – Das Problem an Ihrer Rede, Frau Kollegin, war: Der erste Teil war die schöne Prosa. Aber ab der Mitte haben Sie leider in jedem Satz das genaue Gegenteil davon gesagt. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr! Wir haben nur eine andere Auffassung von Geschichtsaufarbeitung!) – Ich glaube, der Rest des Hauses hat das so wahrgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was leitet uns? Offenbar ist es uns nicht einmal ansatzweise gelungen, alle Täter zu enttarnen. Die Aufarbeitung in der Behörde geht weiter. Es gibt beispielsweise die sogenannte Schnipselmaschine, mit der es uns gelingen wird, vernichtete, zerrissene Akten zu rekonstruieren. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Auch das muss sein!) Es spricht ja eine ganze Menge dafür, dass in diesen Tagen einiges vielleicht planlos, anderes aber vielleicht auch mit einem gewissen Plan vernichtet worden ist. Es spricht auch einiges dafür, dass Handakten von aktiven Vorgängen dabei waren und dass dort auch die Täter der letzten Jahre – eben auch die jüngeren verantwortlichen Täter, die ich am Anfang meiner Rede beschrieben habe – vermerkt waren. Genau deshalb, weil es neue Erkenntnisse gibt, glauben wir, dass einiges dafür spricht, in gewissen Momenten, die sich anbieten – das kann zum Beispiel vor einer Beförderung auf einen noch verantwortlicheren Posten sein –, noch einmal hinzuschauen, ob da vielleicht doch mehr war. Es geht nicht um die Privatwirtschaft, sondern es geht um Klarheit bei Wahlämtern. Wenn im Angesicht einer solchen Tat trotz alledem die Wahl stattfindet, dann muss man das in der Demokratie akzeptieren. Wir wollen aber Klarheit. Hinsichtlich des öffentlichen Dienstes steht dahinter natürlich, wie Reiner Deutschmann schon gesagt hat, der politische Wille: Wir wollen dort keine Täter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun will ich es einmal so sagen: Lieber Wolfgang Wieland, lieber Kollege Thierse, ich will der Versuchung, den Konflikt zu suchen, mit der ich vielleicht hierhergekommen bin, widerstehen und einfach einmal versuchen, aufzuzeigen, wo die gedanklichen Unterschiede zwischen uns sind, weil ich glaube, dass wir den guten Willen bei uns allen in diesem Hause sehen können. Der erste Denkunterschied ist, dass Sie sagen, man müsse die letzten 20 Jahre mit anschauen. Das verstehe ich. Wir reden aber zumindest vorrangig über Leute, die sich 20 Jahre lang weggeduckt haben. Wir reden jetzt nicht über die 47, die noch immer in der Stasiunterlagenbehörde arbeiten, sondern über die, die unerkannt im öffentlichen Dienst arbeiten, die bei der Einstellung gelogen haben und die wir bis jetzt noch nicht gefunden haben. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das!) Die haben sich 20 Jahre lang geduckt und werden jetzt im Vergleich zu denen, die nicht gelogen haben und damit nicht übernommen oder nicht eingestellt worden sind, und denen, die wir gefunden haben, dafür belohnt, dass sie weiter gelogen und sich weggeduckt haben. Das kann ich nicht akzeptieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das darf nicht sein! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sehr gut beschrieben!) Der zweite Punkt, bei dem wir offensichtlich eine andere Ansicht haben, ist der – ich nenne es einmal so – Kollektivverdacht. Wenn ich in meinem Wahlkreis im sächsischen Südwesten mit den Menschen über diese Thematik rede, dann sagen mir die Opfer unisono: Gut, dass ihr es so macht, dass ihr das noch einmal ausweitet, dass ihr noch einmal genauer schaut und dass ihr nicht aufhört. – Die, die nicht konkret betroffene Opfer, aber eben auch nicht Täter waren, sagen: Ich fühle mich durch diese Regelung in keinster Weise stigmatisiert; denn sie dient der Findung der Täter. Das könnt ihr gerne so machen. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) Es mag ja vielleicht sein, dass die Menschen bei mir zu Hause anders ticken – ich weiß es nicht –, aber in meinem Wahlkreis ist das jedenfalls die Meinung der Menschen, und das leitet mich. Widerstand in der Diktatur muss sich lohnen. Wir haben gesagt, wie schwer es ist, zumindest ein bisschen von dem wiedergutzumachen. Norbert Röttgen spricht hier und da ganz gerne davon, dass man Politik durch die Brille der Kinder machen soll. Das gefällt mir grundsätzlich sehr gut. In dieser Debatte hier will ich das einmal ein bisschen umformulieren: Wir versuchen – ich lade noch einmal herzlich dazu ein, den Gedankengängen, die ich geäußert habe, näherzutreten –, Politik durch die Brille der Opfer und nicht durch die Brille der Täter zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Kurth für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Opposition, ich hatte mir heute auch mit Blick auf die Rednerreihenfolge und die Redezeit vorgenommen, nicht auf die inhaltlichen Punkte einzugehen, sondern Sie noch einmal aufzufordern, Ihre Fehlentscheidung – Sie begehen hier einen Fehler – zu revidieren und zuzustimmen. (Christine Lambrecht [SPD]: Ein guter Einstieg!) Ich habe mir vorgenommen, dass außer der Linken alle anderen vier Fraktionen in diesem Haus gemeinsam und geschlossen vorgehen und dass wir uns nicht wegen der Details, die Sie vorgebracht haben, auseinanderdividieren lassen; (Christine Lambrecht [SPD]: Der Rechtsstaat ist kein Detail!) denn man kann sie entkräften. Sie sind widerlegbar und widersprüchlich. Sie stehen unter einem Rechtfertigungsdruck. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Unsinn!) Sie müssen der Öffentlichkeit und vor allen Dingen den Opfern erklären, warum Sie erstmals Ihre Zustimmung zu einer Änderung dieses wichtigen Gesetzes verweigern und aus welchen Gründen Sie das machen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Weil Sie es überfrachtet haben!) Kein Mensch versteht, warum Stasileute in der Stasiunterlagenbehörde arbeiten. (Christine Lambrecht [SPD]: Warum wurden sie eingestellt?) Sie sollen – bei gleichem Arbeitsort, gleichem Gehalt und gleichen Rentenansprüchen – versetzt werden. Die allermeisten Arbeitnehmer in diesem Land, die sich übrigens nichts zuschulden kommen ließen, können von solchen Versetzungsgründen bzw. Versetzungsbedingungen nur träumen. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Wir bauen eine Luxusbrücke, über die man offensichtlich nicht bereit ist, zu gehen. Es wurden bereits Stellen angeboten. Soweit ich weiß, haben die Stasileute in der Stasiunterlagenbehörde abgelehnt. (Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Daran ändert das Gesetz auch nichts!) – Freiwillig geht da keiner, Herr Thierse. Es ist auch ein Widerspruch, wenn Sie heute im Radio erklären, Sie seien für die Versetzung der Mitarbeiter, und einen Satz später erklären, man müsse die letzten 20 Jahre berücksichtigen. Dann dürften Sie auch nicht für die Versetzung der Mitarbeiter sein. Das ist einer von vielen Widersprüchen. (Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Nein!) Sie behaupten, es liege ein rückwirkender Gesetzentwurf vor. Das wird doch kein rückwirkendes Gesetz, sondern nach vorne gerichtet. Das, was Sie sagen, ist falsch und widersprüchlich. Wir wollen eine Sachlage klären, die in Zukunft so nicht mehr Anwendung finden wird. Sie, Herr Thierse, spielen – das finde ich nicht in Ordnung – Ost gegen West aus, obwohl Sie wissen, dass es sich hier um ein gesamtdeutsches Gesetz handelt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Sie sagen – das hat Herr Wieland noch einmal wiederholt –, wir würden nur geltendes Recht wiederholen. Anschließend erklären Sie, es sei verfassungswidrig. Das heißt doch, dass die aktuelle Rechtslage verfassungswidrig ist. Oder was? Auch das ist ein Widerspruch. Sie behaupten, es gehe um ein unzulässiges Einzelfallgesetz. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) – Nein, es gilt für jeden. Wir legen endlich ausdrücklich und allgemeingültig fest, dass es nicht sein kann, dass in der Stasiunterlagenbehörde auch in Zukunft Exstasileute arbeiten. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind 45!) Ich stimme da mit Ihrem Exparteifreund Otto Schily überein, der sagte, dass dies unverständlich ist. Das ist es ja auch. Unverständlich ist, warum ehemalige Stasimitarbeiter unbedingt in der Stasiunterlagenbehörde resozialisiert werden müssen. Es gibt genügend andere zumutbare Stellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch in Bezug auf die Ausweitung der Überprüfung gibt es nur Widersprüche. Sie fordern Nachsicht mit den Stasileuten und Verjährung. (Christine Lambrecht [SPD]: Wer fordert Verjährung?) Aber Sie wollen – das geht nicht, wenn Sie diesen Grundsatz wirklich konsequent weiterführen wollen – trotzdem überprüfen lassen. Wenn Sie das konsequent zu Ende denken würden, unter Berücksichtigung von Verjährung usw., müssten Sie sagen: Schluss mit der Überprüfung. Wir vergeben und vergessen und nehmen keine Überprüfung mehr vor. Letztlich werfen Sie uns vor, wir hegten einen Generalverdacht. Dazu möchte ich Ihnen – den Begriff „Verfolgungsfuror“ haben Sie hier auch noch einmal erwähnt – nur sagen: Sie geben jetzt praktisch das rechtsstaatliche Instrument, dass der Rechtsstaat sich selber überprüfen kann, in die Hände der Bürger bzw. der Presse. Das heißt, wenn jemand einen Verdacht äußert, dann können wir nach Ihren Vorstellungen auch überprüfen. Damit fördern Sie ein Klima des Misstrauens. Sie fördern Denunziantentum. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) „Ich habe den Verdacht, dass mein Nachbar, der schon immer an seinem Gartenzaun stand usw., möglicherweise …“, diesen Verdacht spreche ich aus, setze ihn in die Zeitung, und dann darf die Stasiunterlagenbehörde untersuchen oder nicht untersuchen: Es kann nicht im Sinne des Rechtsstaates sein, so etwas zuzulassen. Deswegen bitte ich Sie noch einmal: Überdenken Sie, ob Sie an der Stelle wirklich richtig liegen oder ob Sie nicht doch zustimmen sollten. Ich kann Ihnen sagen, was ansonsten passieren wird: Wenn bei Unrechtsaufarbeitung Verjährung einsetzt, hat man keine Nähe mehr zu dem Thema. Dann ist man nicht mehr dran an den Themen, es fehlt einem die Sensibilität. Dann schaltet man irgendwann auch solche Anzeigen, in denen die Kanzlerin – Deutschland 2011 – mit einem Satz von Walter Ulbricht aus dem Jahr 1961 in Verbindung gebracht wird: „Niemand hat die Absicht, …“ Ich bitte Sie: Kommen Sie davon weg und stimmen Sie heute zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Stephan Mayer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Meine sehr geehrten Kollegen! Von der heutigen Debatte und von der heutigen Abstimmung über das Stasi-Unterlagen-Gesetz geht wenige Tage vor dem Tag der Deutschen Einheit eine positive Botschaft aus: Es gibt weiterhin keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung und Aufklärung der schrecklichen und unmenschlichen Verbrechen der Stasi in der DDR. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das ist gut. Genauso gut ist, dass die Überprüfungsfrist bis Ende 2019 verlängert wird und dass auch der Kreis der überprüfbaren Personen auf die mittlere Führungsebene erweitert wird, vor allem auch auf kommunale Wahlbeamte. Allein der Umstand, dass im vergangenen Jahr 89 000 Neuanträge an die Stasiunterlagenbehörde gestellt wurden, zeigt, dass das Thema – ich sage: leider – nach wie vor hochaktuell ist und deshalb weiterhin unsere Aufmerksamkeit benötigt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie begehen in Ihrer Kritik an unserem Gesetzentwurf meines Erachtens einen groben Fehler: Es geht hier nicht um strafrechtliche Aufarbeitung. Es geht auch nicht um strafrechtliche Vergeltung. Es geht um historische Aufarbeitung. Es geht um individuelle und moralische Verantwortung und Verantwortlichkeit. (Dr. h. c. Wolfgang Thierse [SPD]: Moralische Verantwortung kann man nicht durch ein Gesetz regeln!) Dafür darf und wird es auch kein Rückwirkungsverbot geben. Das ist der Grund, warum dieser Gesetzentwurf beileibe nicht verfassungsrechtlich oder rechtspolitisch bedenklich ist, wie Sie, Herr Kollege Thierse, behaupten. Es ist eine neue Attitüde, bei jedem Gesetz stereotyp zu behaupten, es sei verfassungswidrig und man werde es in Karlsruhe überprüfen lassen. Ich fordere Sie auf: Machen Sie das! Lassen Sie das Gesetz in Karlsruhe überprüfen. Ich sage Ihnen ganz offen: Sie werden Schiffbruch erleiden. Herr Kollege Thierse, ich bin durchaus bei Ihnen, wenn Sie fordern: Man muss Vertrauen schaffen. Aber man schafft Vertrauen nicht dadurch, dass man sich blind stellt. Ich möchte hier mit Johannes 8, 32 sprechen: Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. – Sonst sind Sie bei allen Themen immer für größtmögliche Offenheit und größtmögliche Transparenz. Transparency International ist Ihr größter Ratgeber und Befürworter. Warum sind Sie bei diesem wichtigen Thema nicht für größtmögliche Offenheit und größtmögliche Transparenz? Ich möchte ausdrücklich dem neuen Leiter der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn, für seinen Mut und seine Tatkraft ganz herzlich danken. Er hat deutlich gemacht, dass es nicht angehen kann, dass weiterhin ehemalige Stasimitarbeiter in der Behörde arbeiten, die der Aufarbeitung und der Aufklärung des Stasiunrechts dient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Thierse, es ist, gelinde gesagt, euphemistisch, wenn Sie erklären: Es ist für Opfer der Stasi schwer erträglich, wenn sie ihren ehemaligen Tätern ins Gesicht blicken müssen. – Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie müssen sich einmal in die Situation dieser Personen versetzen: Sie gehen in das Gebäude der Stasiunterlagenbehörde, und dort sitzen vorne freundlich lächelnd als Pförtner diejenigen, die früher die Täter waren, die Sie ausspioniert, drangsaliert und schikaniert haben, die Sie vielleicht sogar persönlich an Leib und Leben erheblich bedroht und geschädigt haben. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Verleumdung!) Das ist an Zynismus und Verhöhnung in keiner Weise zu übertreffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen ist es vollkommen konsequent und richtig, dass wir jetzt mit der gesetzlichen Änderung die Möglichkeit zur Versetzung innerhalb der Bundesverwaltung schaffen, um diesen unmöglichen Zustand, der derzeit noch vorherrscht, zu beenden. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie begehen meines Erachtens einen weiteren Fehler. Mit der Fortschreibung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist kein Unwerturteil gegenüber den früheren Bewohnerinnen und Bewohnern der DDR verbunden. Auch werden die ehemaligen Bürger der DDR nicht unter Generalverdacht gestellt, sondern es geht um die weiterhin vorhandene und aus meiner Sicht dringend notwendige Möglichkeit, dieses schreckliche Unrecht, das von Tausenden von Stasimitarbeitern in 40 Jahren verübt wurde, aufzuarbeiten und aufzuklären. Deshalb kann ich an Sie nur herzlich, aber umso dringender appellieren: Steigen Sie wieder ins Boot ein! (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ausgestiegen!) Noch haben Sie die Möglichkeit. Zeigen Sie Mut und auch die Bereitschaft, an diesem gesamtgesellschaftlichen Thema weiterhin ernsthaft mitzuarbeiten. Dazu möchte ich Sie kollegialerweise auffordern. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Wolfgang Börnsen von der CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte möchte ich für die Koalition feststellen: Einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Diktatur wird es mit uns nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit uns auch nicht!) Wir stehen für eine Verlängerung der Arbeit der BStU bis 2019. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! Das haben wir immer gesagt! – Christine Lambrecht [SPD]: Wir auch!) 90 000 Anträge jährlich beweisen: Es gibt einen großen Bedarf an weiterer Aufklärung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Hunderte von Bürgern wollen Woche für Woche wissen, wie der Geheimdienst ihr Leben, ihren Beruf und ihre Familie gewissenlos manipuliert hat. In den vergangenen 20 Jahren hat es über 6,6 Millionen Anträge gegeben. Dahinter steckt millionenfaches Leid. Zu fast allen Vorschlägen, die heute beraten werden, besteht zwischen vier Fraktionen fast Einigkeit. Nur die Linke will die brutale Vergangenheit der DDR vergessen lassen. Das ist typisch für die Linke. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist eine Unterstellung! Ich habe etwas anderes für die Fraktion gesagt!) Bei unserer Anhörung über den Entwurf des neuen Stasi-Unterlagen-Gesetzes sprach sich die übergroße Mehrheit aller Experten für die Neufassung aus: für die Verlängerung der Frist der Überprüfung, für die Ausweitung des Personenkreises und für die Erweiterung der Zugangsrechte für Stasiopfer, Wissenschaftler und Journalisten. Eine unterschiedliche Einschätzung gibt es nur zu den 47 Mitarbeitern, den Geheimagenten im Dienst der DDR, die heute noch weiterhin im Behördendienst tätig sind. Wir lehnen eine weitere Beschäftigung dieser Mitarbeiter mit Stasivergangenheit ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir als Gesetzgeber haben das Heft des Handelns in der Hand. Die jetzt erzielte Lösung ist personal- und verfassungsrechtlich geprüft. Das Gutachten von Weberling bestätigt diese Rechtsauffassung. Evelyn Finger hat in ihrem Aufsatz in der Zeit noch einmal deutlich darauf aufmerksam gemacht: Jetzt ist Zeit, zu handeln. Die Rechtsstaatlichkeit wird gewährleistet. Die einstigen Mitarbeiter des MfS werden nicht entlassen, sondern versetzt. Roland Jahn hat vor seiner Wahl in allen Fraktionen des Bundestages erklärt, worauf es ihm ankommt: Die Behörde muss das Vertrauen der Bürger genießen. Sie muss in ihrer Arbeit glaubwürdig sein, und sie darf nie die Leiden der Opfer vergessen. Jetzt gilt es, Roland Jahn den Rücken zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihn erst im Parlament mit großer Mehrheit in sein Amt zu wählen und ihn jetzt, wo es darauf ankommt, in dieser entscheidenden Frage alleinzulassen, geht nicht. Bereits die Einstellung von Stasispitzeln in eine Behörde, die Stasivergehen aufdecken soll, war eine Fehlentscheidung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihres Innenministers Schäuble!) Sie war gewollt, weil man angeblich auf deren Fachkunde nicht verzichten konnte. Kritiker bezeichnen diese Maßnahme zu Recht als naiv, leichtgläubig, folgenschwer und der Reputation dieser Behörde abträglich. Jahrelang wurde der Sachverhalt unter der Decke gehalten. Erst Ende der 90er-Jahre erfuhr das Parlament erstmalig von diesen Vorgängen. Man hatte nicht nur den Bock zum Gärtner gemacht, sondern Brandstifter zum Feuerlöschen eingesetzt. Das geht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In die Arbeit der Behörde zog Misstrauen ein. Mit diesem Misstrauen machen wir heute Schluss. Die BStU muss von diesem Verdacht befreit werden. Die Umsetzung erfolgt in fairer und gerechter Weise. Dem Einzelfall wird Rechnung getragen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht auch jetzt schon!) Vergünstigungen wird es nicht geben. Das breite Vertrauen in die Behörde wird wiederhergestellt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir als Parlament waren zu lange zögerlich. Das gilt für die Veröffentlichung der Rosenholz-Unterlagen über die Auslandsspionage der Stasi ebenso wie für die Aufklärung über die zerrissenen Akten in 16 000 Säcken. Auch hier ist Handeln geboten. Die ganze Wahrheit muss auf den Tisch. Aufklärung und Aufarbeitung dürfen kein Ende haben, wenn wir eine Befriedung unserer Gesellschaft erreichen wollen. Darum geht es, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Genau diese Zielsetzung leitet inzwischen 14 Partnerorganisationen der BStU weltweit. In 14 Ländern, in denen es Militär- und Parteiendiktaturen gab, wird nach dem Vorbild der BStU und mit großer Unterstützung aus Berlin aufgeklärt und aufgearbeitet. Neu ist Ägypten hinzugekommen. Insgesamt wird die BStU in ihrer Arbeit international anerkannt. Damit es so bleibt, hat das Parlament, haben auch wir darauf zu achten, dass es keinen Anlass zu Misstrauen gibt, dass unsere Behörde beispielhaft arbeitet. Wir handeln auch im Sinne der Bürgerkomitees, die am 14. Februar 1991 als Erste einen Entwurf für ein Stasi-Unterlagen-Gesetz vorgelegt und gesagt haben: Es muss eine glaubwürdige Behörde sein, die den Opfern gerecht wird. Zeigen Sie heute Solidarität mit dieser Behörde! Zeigen Sie Solidarität mit den damaligen Bürgerkomitees! Stimmen Sie für eine kluge, weitsichtige und glaubwürdige Vorlage der Koalition. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7170, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/5894 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7199 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung der SPD und der Grünen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt getrennte Abstimmung über den Gesetzentwurf. Ich rufe zuerst Ziffer 4 Nr. 12 der Beschlussempfehlung auf. Das betrifft die Einfügung eines § 37 a in das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Maßgabe der Ziffer 4 Nr. 12 angenommen. Nun rufe ich die Maßgaben der Beschlussempfehlung unter den Ziffern 1 bis 3, Ziffer 4, soweit Nrn. 11 und 13 betroffen sind, und Ziffer 5 auf. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist ebenfalls angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von SPD und Grünen und Gegenstimmen der Linken. Schließlich rufe ich die übrigen von der Beschlussempfehlung unverändert gelassenen Teile des Gesetzes auf. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Diese sind angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen. Somit ist der Gesetzentwurf insgesamt in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Andrej Hunko, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Bedeutung von Whistleblowing für die Gesellschaft anerkennen – Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen – Drucksache 17/6492 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Rechtsausschuss Petitionsausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Karin Binder von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zivilcourage ist ein wichtiges Element unserer Demokratie und notwendig für eine funktionierende Gesellschaft. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb hat die Linke einen Antrag zur Beratung mit dem Titel „Die Bedeutung von Whistleblowing für die Gesellschaft anerkennen – Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber schützen“ vorgelegt. Noch gibt es keinen wirklich zutreffenden deutschen Begriff für Whistleblowing. Das Wort „Hinweisgeber“ trifft es nicht ganz. Auch der Begriff „Informantenschutz“ ist nur eine unzureichende Beschreibung. Deshalb reicht auch eine kleine Änderung im BGB nicht aus, um das Thema zufriedenstellend zu behandeln. Wir meinen, dass Menschen, die den Mut und die Courage haben, auf Missstände aufmerksam zu machen, dafür nicht benachteiligt oder gar bestraft werden dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dies ist in unserer Gesellschaft aber fast die Regel. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen damit rechnen, dass sie verleumdet werden, dass sie gemobbt werden und dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Dagegen können sie zwar klagen, aber unsere Arbeitsgerichte versagen ihnen häufig den notwendigen Rückhalt und Schutz. Manche von diesen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern wurden für ihre Verdienste schon mit Medaillen ausgezeichnet oder erhielten einen Preis, wie zum Beispiel Miroslaw Strecker. Vielleicht erinnern Sie sich an ihn: Ohne diesen Mann wäre der Gammelfleischskandal vielleicht nie aufgeflogen. Als Lkw-Fahrer einer Spedition hat er beobachtet, wie seine Lieferung vom Empfänger umetikettiert wurde, und so wurden aus Schlachtabfällen plötzlich Dönerspieße. Ohne Herrn Streckers Hartnäckigkeit bei den Behörden wären vielleicht sogar Menschen zu Schaden gekommen. Dazu kommt der eindeutige Betrug mit minderwertigen Lebensmitteln und der gravierende wirtschaftliche Schaden für viele unbeteiligte Unternehmen. Auch Herr Strecker wurde danach im Betrieb gemobbt und verlor seinen Arbeitsplatz. Inzwischen hat er glücklicherweise eine neue Stelle, und ich wünsche ihm von hier aus alles Gute. (Beifall bei der LINKEN) Viele Arbeitgeber setzen sich ungern mit kritischen und couragierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auseinander. Sie versuchen, sie loszuwerden. Das macht ihnen das deutsche Arbeits- und Beamtenrecht auch leicht. Da wird schnell einmal ein gestörtes Vertrauensverhältnis ins Feld geführt, und schon ist die Kündigung durch. So bezahlen viele Whistleblowerinnen und Whistleblower für ihre Zivilcourage einen hohen Preis. Spricht sich das herum, brauchen wir uns über Duckmäusertum in unserer Gesellschaft nicht zu wundern. Aus aktuellem Anlass möchte ich diese Debatte auch nutzen, um Sie auf das Schicksal eines jungen US-amerikanischen Soldaten hinzuweisen: Bradley Manning. Manning war im Irak stationiert. Er wurde im Mai 2010 unter dem Verdacht verhaftet, als Whistleblower der Internetseite WikiLeaks Videos zugespielt zu haben. Darunter war jenes weltweit bekannt gewordene Video des US-Hubschrauberangriffs im Irak. Die Zuschauer mussten zusehen, wie die Besatzung gezielt auf Zivilisten schoss und sie ermordete. Der junge Mann, dem dafür ein Preis für Zivilcourage gebührt, sitzt stattdessen schon über ein Jahr in Haft, zeitweilig sogar in Isolationshaft. Ihm wurde die Kleidung abgenommen. Er musste nackt auf dem Boden schlafen. Er soll vor ein Militärgericht gestellt werden. Das kann für ihn die Todesstrafe bedeuten. Ich bitte Sie dringend: Setzen Sie sich für das Leben dieses jungen Mannes ein. Er muss entlassen und rehabilitiert werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich bitte die Bundesregierung eindringlich, auf die US-Regierung und auf die Regierung Großbritanniens einzuwirken. Bradley Manning besitzt neben der amerikanischen auch die britische Staatsangehörigkeit. Bradley Manning hat schlimmste Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit gebracht und erfährt sie nun selbst. Dieses Beispiel zeigt eindringlich, wie sehr es an der Zeit ist, Menschen mit Zivilcourage zu schützen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke will mit ihrem Antrag eine lange überfällige gesellschaftliche Diskussion anstoßen. Bereits seit November 2010 gibt es einen Beschluss der G-20-Staaten zur Bekämpfung der Korruption. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. Karin Binder (DIE LINKE): Noch zwei Sätze. – Dafür muss der Schutz von Whistleblowern gesetzlich geregelt werden. Das sagt ein Beschluss der G-20-Staaten. Deshalb fordern wir die Bundesregierung heute auf, uns bis zum Jahresende einen Vorschlag vorzulegen, damit das Parlament genügend Zeit hat, die vielen notwendigen Gesetzesänderungen angemessen und qualifiziert zu beraten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gitta Connemann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! WikiLeaks ist spätestens seit dem letzten Jahr wohl jedem von uns bekannt. Die Internetplattform war angetreten, die Welt transparenter und damit vermeintlich auch besser zu machen. Zu diesem Zweck wurden mehr als 250 000 Berichte aus US-Botschaften aus aller Welt ins Netz gestellt. Diese Enthüllung liegt übrigens neun Monate zurück. Heute bedeutet die so gepriesene Transparenz für mehr als 100 Informanten vor allem eines: Angst um ihre Sicherheit und ein Leben in Angst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn die Geheimnisträger müssen um ihre Sicherheit fürchten. Bislang waren ihre Namen in den Botschaftsdepeschen unkenntlich gemacht worden. Jetzt allerdings stehen die Originaltexte mit den Namen aller Geheimnisträger im Internet. Grund dafür war eine Datenpanne bei WikiLeaks. Die bittere Erkenntnis lautet: Die Computerexperten konnten nicht – ich wiederhole: nicht – die Sicherheit der ihnen anvertrauten Daten gewährleisten. Gerade diese enthüllten Enthüller sollen aber zukünftig für gar nichts mehr haften, wenn es nach dem Antrag der Linken geht, über den wir heute debattieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In ihrem Antrag fordern die Genossinnen und Genossen nämlich den – ich zitiere: Schutz von Medien und anderen Publizierenden wie z. B. WikiLeaks, anderen Leak-Plattformen … Personen, die Verschlusssachen erhalten und verbreiten, dürfen dafür nicht haftbar gemacht werden können. Ohne Ausnahme, niemals Haftung. Ich finde schon das absolut unfassbar; denn Portale wie WikiLeaks würden nach dem Willen der Linken zukünftig vollkommen außerhalb des Rechts stehen, im Guten wie im Schlechten. Das wäre der absolute Freibrief für jegliches Handeln; denn die Linken machen keinerlei Unterschied, ob diese Plattformen selbst gegen Normen verstoßen oder Menschen gefährden. Sie sollen alle Rechte haben, aber keinerlei Pflichten, selbst wenn Menschen in Gefahr geraten wie jetzt. Das finde ich unfassbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jerzy Montag? Gitta Connemann (CDU/CSU): Sehr gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön. – Frau Kollegin Connemann, ich habe Ihnen genau zugehört und möchte Sie gerne fragen, ob Sie bei Ihren Überlegungen nicht reflektieren wollen, dass das, was Sie jetzt als so ungeheuerlich bezeichnet, als eine Forderung der Linken betrachtet und hier dargelegt haben, der geltenden Rechtslage in Deutschland entspricht. Der Schutz von Dienstgeheimnissen unterliegt bei uns in Deutschland den Polizeibeamten sowie anderen Beamten des Staates und in Ihrem Beispiel den US-amerikanischen Dienststellen. Wenn Informationen, die als Geheim eingestuft sind, in die Hände von Journalisten gelangen und in Deutschland veröffentlicht werden, dann sind die Journalisten selbstverständlich nicht zu bestrafen. Das ist die Rechtslage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen frage ich Sie, ob Sie das eventuell ändern wollen. Das würde uns doch sehr interessieren. Gitta Connemann (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Montag, natürlich ist mir das bekannt. Wir beide sind Juristen und wissen sehr gut um die Rechtslage, offensichtlich anders als die Antragsteller; denn sie beziehen die Haftungsfreistellung auf jeden, der den Hinweis gegeben hat, auf WikiLeaks und auch auf die Beamten, die diese Geheimnisse gegebenenfalls weitergetragen haben und damit unmittelbar Leben gefährden. Das heißt, nach heutiger Rechtslage kann man diese Beamten haftbar machen und bestrafen. Wenn sich die Rechtslage aber zukünftig nach den Vorstellungen der Linken verändern würde, dann wären sie aus jeder Haftung heraus. Das wäre unglaublich. (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bestrafung von WikiLeaks wollen Sie nicht!) – Ich habe nicht über die Bestrafung von WikiLeaks gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich die Beibehaltung der strafrechtlichen Normen in dieser Form will. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorsitzende des Rechtsausschusses will es anders!) Noch schlimmer finde ich allerdings die Begründung. Ich empfehle daher wirklich jedem, diesen Antrag zu lesen. Die Linke fordert nämlich die totale Haftungsfreistellung mit der Begründung – ich bitte darum, jetzt genau zuzuhören –: Jene Enthüllungsplattformen sind zugleich eine legitime und zeitgemäße Erscheinungsform der vierten Gewalt. Sie müssen auch rechtlich vor Übergriffen …, gleich ob durch öffentliche oder private Stellen, geschützt werden. Als ich das las, war ich noch fassungsloser. Ich will hier gar nicht mehr von der bewährten Gewaltenteilung – Exekutive, Judikative und Legislative – sprechen. Darüber müssen wir mit Ihnen auch nicht mehr reden. Das alles scheint für Sie wirklich nur eine Petitesse zu sein, weil Sie auf die Schnelle eine neue Gewalt – Sie sprechen von der vierten Gewalt – generieren. Das ist unglaublich. In Ihrem Antrag, den Sie vorlegen, fordern Sie, dass WikiLeaks als höchste Instanz vollkommen unantastbar ist, obwohl in keiner Weise legitimiert. Ich sage Ihnen allen persönlich, meine Damen und Herren von der Linken: Mir graut vor Ihrem Demokratieverständnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schon deshalb ist Ihr Antrag vollkommen unakzeptabel. Das gilt auch mit Blick auf Ihr Rechtsverständnis. Dafür gibt es einmal mehr die Note „mangelhaft“. Im Mittelpunkt Ihres Antrags stehen die sogenannten Whistleblower, also Informanten oder Hinweisgeber. Sie, meine Damen und Herren von der Linken, fordern in diesem Zusammenhang weitreichende gesetzliche Regelungen. Anlass für Ihre Forderung war im Übrigen nicht die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Heinisch. (Karin Binder [DIE LINKE]: Der Antrag war schon vorher da!) – Das wollte ich gerade sagen. Es wäre gut, wenn Sie mich ausreden lassen würden. – Die Entscheidung erging erst nach Vorlage Ihres Antrages. Sie stützen Ihren Antrag ausschließlich auf Wahrnehmungen. Danach sind Whistleblower, Informanten und Hinweisgeber, nicht hinreichend geschützt. (Kerstin Tack [SPD]: Was tun Sie denn für den Schutz?) Dumm ist nur, dass Ihr Befund nicht stimmt. Das stelle ich bei vielen Ihrer Anträge fest. Die Rechtslage ist so – ich empfehle immer den Blick ins Gesetz, der die Rechtsfindung erleichtert –, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) dass ein Schutz besteht; das ist auch gut und wichtig. In Deutschland gibt es entsprechende spezialgesetzliche Regelungen, beispielsweise das Anzeigerecht in § 17 Abs. 2 des Arbeitsschutzgesetzes. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Connemann, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Leidig? Gitta Connemann (CDU/CSU): Auch gerne. Sabine Leidig (DIE LINKE): Kollegin Connemann, Sie haben vielleicht zur Kenntnis genommen, dass meine Kollegin in ihrem Beitrag deutlich gemacht hat, dass es durch die G-20-Beschlüsse die Verpflichtung gibt, an einem Schutz für Whistleblower zu arbeiten. Mit unserem Antrag, der explizit Anregung für eine Debatte sein soll, wollen wir dieses Thema voranbringen. Meine Frage lautet nun, ob Ihre Fraktion mit irgendeinem Vorschlag, Gesetzentwurf oder Antrag diese Debatte konkret unterstützen und voranbringen will. Gitta Connemann (CDU/CSU): Meine Fraktion wird zunächst einmal abwarten, was die G-20-Staaten tatsächlich beschließen. Denn anders, als Sie es darstellen – das zeigt einmal mehr Ihre Ungenauigkeit, über die ich manchmal nur den Kopf schütteln kann –, ist Deutschland nach den Beschlüssen des Europarates und der G-20-Staaten nicht verpflichtet, bis 2012 ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern zu verabschieden. Ein Gesetz ist auch europarechtlich nicht geboten. Die Entschließung des Europarates aus dem Jahre 2010 – auch darauf bezog sich Ihre Frage – ist eine unverbindliche Erklärung, die die Mitgliedstaaten lediglich dazu einlädt, gesetzliche Regelungen zum Whistleblowing zu schaffen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das war nicht meine Frage! – Kerstin Tack [SPD]: Sie wollen also nichts machen!) – Frau Leidig, Sie können ruhig stehen bleiben. Ich komme nämlich jetzt zu den G-20-Staaten. Ich finde es bemerkenswert, dass sich in diesem Haus Kollegen aus der Opposition inzwischen zwar ständig zu Wort melden, um Fragen zu stellen, sich aber dann hinsetzen, um die Antwort nicht bis zum Ende hören zu müssen. Sie sind manchmal wie bockige kleine Kinder. Anders kann ich das nicht bezeichnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie stehen geblieben wären, hätte ich Ihnen sagen können (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) – Frau Kollegin, quaken Sie nicht dazwischen; hören Sie zu; auch das gehört zum Erwachsensein –: Das Gleiche gilt für den im Jahr 2010 von den G-20-Staaten vereinbarten Aktionsplan gegen Korruption, von dem Sie gerade sprachen. Dieser Plan sieht unter anderem die Schaffung von Regelungen vor, die Personen vor Diskriminierung und Vergeltungsmaßnahmen schützen sollen. Auch diese Erklärung ist unverbindlich. Machen Sie doch einfach Ihre Hausaufgaben! (Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Wir waren bei den spezialgesetzlichen Regelungen. Ich wiederhole es gerne, weil Sie sich damit offensichtlich nicht beschäftigt haben: In Ihrem Antrag gibt es dazu kein einziges Wort, auch nicht zu § 4 g Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz oder zu § 84 Betriebsverfassungsgesetz. Das alles sind Regelungen, die schon einen spezialgesetzlichen Schutz beinhalten. Im Übrigen werden in Deutschland Arbeitnehmer, die den zuständigen Behörden echte oder vermeintliche Missstände in Betrieben melden, darüber hinaus durch die allgemeinen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes geschützt. Schutz erfahren sie auch durch das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot. Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, wenn der Arbeitnehmer seine Rechte in zulässiger Weise nutzt. Das alles sind Regelungen, die wir heute haben, die in Ihrem Antrag aber mit keinem einzigen Wort angesprochen werden; das ist ja auch bequemer, als die bestehende Rechtslage als richtig aufzufassen. Dem liegt ein interessantes Rechtsverständnis zugrunde. Die Arbeitnehmer werden durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts geschützt. Diese Gerichte erkennen schon heute ein ungeschriebenes Anzeigerecht an: Arbeitnehmer können sich an öffentliche Stellen wenden, wenn sie sich vorher ernsthaft um eine innerbetriebliche Klärung bemüht haben und ihre Anzeigen nicht leichtfertig erfolgen. Bei Straftaten mit schweren Folgen für den Kollegen oder die Allgemeinheit kann auf eine innerbetriebliche Klärung verzichtet werden. Keinesfalls darf eine Anzeige mit dem Ziel ergehen, in erster Linie den Kollegen oder Arbeitgeber zu schädigen. Die Rechtsprechung berücksichtigt also die Interessen von Arbeitgebern und von Arbeitnehmern ausgewogen. Sie schützt das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer auf der einen Seite, und sie sichert auf der anderen Seite die innerbetriebliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Deshalb existieren in vielen Unternehmen inzwischen interne Regelungen; es ist anders, als in Ihrem Antrag dargestellt; Sie beziehen sich auf eine inzwischen veraltete Untersuchung einer Unternehmensberatung. In Deutschland haben sich bereits viele Unternehmen entschieden, Whistleblowing betrieblich zu regeln, zum Beispiel die Deutsche Bahn, Daimler, ThyssenKrupp, BASF, Vattenfall Europe, Hochtief, ABB Deutschland usw. usf., und das immer im betrieblichen Miteinander. (Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]: Selbstverpflichtungen sind immer unwirksam!) – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Aber dann bleiben Sie stehen und setzen sich nicht gleich wieder hin. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Darauf können wir auch verzichten!) Petra Pau (DIE LINKE): Einen kleinen Moment. Das Wort erteile immer noch ich. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja, Entschuldigung!) Wie ich sehe, wollen Sie, Frau Leidig, eine Zwischenfrage stellen, und die Kollegin Connemann gestattet das; das habe ich jetzt verstanden. Gitta Connemann (CDU/CSU): Sehr gerne. Petra Pau (DIE LINKE): Ich habe die Zeit angehalten. Frau Leidig, bitte. Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich möchte Sie fragen, woher Sie den Optimismus nehmen, dass Selbstverpflichtungen von Unternehmen zu irgendwelchen nachhaltigen Ergebnissen führen. Wenn man sich die Erhöhung der Frauenquote in Führungspositionen anschaut, dann stellt man fest: Trotz der mindestens zehn Jahre alten Selbstverpflichtung der großen Unternehmen ist das Ergebnis gleich null. Gitta Connemann (CDU/CSU): Ich habe nicht von der Selbstverpflichtung der Unternehmen gesprochen, sondern von mehr; denn es handelt sich um Betriebsvereinbarungen, Frau Kollegin. Sie sollten wissen – so viele rechtliche Kenntnisse traue ich Ihnen zu –, (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) dass Betriebsvereinbarungen von den Kolleginnen und Kollegen in einem Betrieb eingeklagt werden können; es sind einklagbare Rechte. Eine Betriebsvereinbarung ist also mehr als eine Selbstverpflichtung. Ich habe zuvor die gesetzlichen Regelungen dargestellt, die heute schon greifen. Ich wäre dankbar, wenn Sie sich diese einfach einmal ansehen und zur Kenntnis nehmen würden. Dann würden wir sicherlich zu einer versachlichten Diskussion kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Reiner Deutschmann [FDP] – Zuruf von der Linken: Wir kennen die!) Das Abstellen auf Gutgläubigkeit allein, wie es auch in Ihrem Antrag gefordert wird, ist zwar wichtig, aber völlig unzureichend. Es müssen belastbare Informationen vorliegen. Wir müssen daran denken, dass eine Anzeige immer ein scharfes Schwert gegenüber dem Betroffenen darstellt. Das ist übrigens nicht immer der Arbeitgeber, sondern manchmal auch der Arbeitnehmer. Deshalb dienen diejenigen Regelungen, die wir bis dato haben, dem innerbetrieblichen Frieden. Ich könnte noch vieles ansprechen. Unter anderem könnte ich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen Brigitte Heinisch hinweisen. Dieser Fall wird sicher in den Folgebeiträgen angesprochen werden. Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet Deutschland nicht dazu, tätig zu werden. Vielmehr war das ein Appell an die Arbeitsgerichte. Diese Entscheidung war übrigens auch eine Bestätigung der in Deutschland geltenden Beweislastregelung. Das Gericht hat festgestellt, dass die deutschen Arbeitsgerichte die Interessen in diesem Fall nicht abgewogen haben. Darin haben sie eine Verletzung von Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gesehen. Das zeigt aber, dass das Ganze bei uns im Prinzip gut geregelt ist und dass bereits heute die Möglichkeit besteht, dagegen vorzugehen. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der Empfehlung der G20-Staaten, die wir abwarten sollten, glaube ich, dass wir uns noch über dieses Thema unterhalten werden. Ich wünsche mir, dass wir diese Diskussion dann auf einer anderen Ebene führen, nämlich auf einer sachlichen und profunden, aber nicht auf einer laienhaften Ebene, die letztlich nur dazu geeignet ist, irgendwelche Stimmungen in den Medien aufzunehmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Brigitte Heinisch war eine verantwortungsbewusste Mitarbeiterin. Als sie wegen Personalmangels ihre Arbeit in einem Berliner Pflegeheim nicht mehr korrekt erledigen konnte, informierte sie das Management. Als es schlimmer wurde, hielt sie nach außen still, lehnte aber intern die Übernahme jeglicher Verantwortung ab. Als sie überarbeitet war, ging sie zuerst zum Arzt, später zum Anwalt. Dieser wandte sich an die Heimleitung, aber nichts passierte – anderthalb Jahre lang –, obwohl auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Mängel beanstandet hatte. Daraufhin zeigte sie ihren Chef an. Sie verlor ihren Job bzw. wurde entlassen – aus wichtigem Grund. Erfolglos versuchte sie, in Deutschland gegen die Kündigung vorzugehen. Jetzt hat ihr der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte recht gegeben. Er hat Deutschland wegen der Verletzung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit verurteilt und ihr Entschädigung zugesprochen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Zwar hätten die Vorwürfe gegen das Pflegeheim eine rufschädigende Wirkung, aber – so stellt der Gerichtshof fest – das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der Altenpflege überwiegt in einer demokratischen Gesellschaft das Interesse eines Unternehmens am Schutz seines Rufes. Das ist doch eine erstaunliche Bemerkung und zudem eine knallende Ohrfeige für die Bundesregierung; denn das Urteil richtet sich gegen den Staat und nicht gegen das Pflegeheim. Die Bundesregierung hat es trotz mehrfacher Ermahnungen auch der Opposition versäumt, einen Gesetzentwurf zum besseren Schutz von Informanten vorzulegen. Wir alle kennen die Fälle, in denen engagierte und couragierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Anzeigen den Schutz der Öffentlichkeit vor den Schutz des eigenen Unternehmens gestellt haben, und das war richtig so. Der Lkw-Fahrer, der 2007 den Gammelfleischskandal ins Rollen brachte, die Prokuristin, die Verstöße der damaligen DG Bank gegen Insiderregeln publik machte, der Revisor, der auf gefälschte Statistiken der Arbeitsämter aufmerksam machte, sie alle verloren ihre Jobs. Wenn es um den Schutz von Informanten geht, ist Deutschland im internationalen Vergleich längst abgehängt. Ob in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, beim G-20-Gipfel und in der Europäischen Sozialcharta, überall werden wirksame Vorkehrungen für Whistleblower eingefordert. Andere Länder sind längst viel weiter. Ob in Großbritannien, in Belgien, in Frankreich, in Norwegen, in Rumänien, in den Niederlanden und in den USA, überall dort gibt es bereits wirksame gesetzliche Regelungen zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern. Im Jahre 2008 – nach dem Gammelfleischskandal – legte der Bundeslandwirtschafts- und -verbraucherminister Seehofer gemeinsam mit Olaf Scholz und Brigitte Zypries einen Entwurf zur Stärkung des Informantenschutzes vor. Dieser Entwurf ist damals von der CDU/ CSU-Fraktion strittig gestellt und zurückgezogen worden. Das ist schon deshalb skandalös, weil Bundesverbraucherminister Seehofer zuvor den Lkw-Fahrer mit der goldenen Plakette des Bundeslandwirtschaftsministeriums für seine couragierten Dienste ausgezeichnet hatte. Das Ganze hat er dargestellt als einen ganz wesentlichen und bahnbrechenden Erfolg im Hinblick auf die Vermeidung von Lebensmittelskandalen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben immer wieder, insbesondere im Zusammenhang mit dem Dioxinskandal Anfang dieses Jahres, gefordert, dass endlich ein vernünftiges Informantenschutzgesetz vorgelegt wird. Aber jedes Mal wurde das in den Reihen von CDU/CSU und FDP als Teufelswerk bezeichnet, das zu Denunziantentum führe. Ich frage deshalb die Regierungskoalition, warum sie den Schutz des Leiters des Pflegeheimes, in dem Frau Heinisch tätig war, vor den Schutz der bedürftigen Se-niorinnen und Senioren und des Pflegepersonals stellen will. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Skandalös!) Ich frage auch, warum denn Ihrer Meinung nach der Schutz des Fleischbetriebes, der vergammeltes Fleisch ausliefern wollte und damit unabsehbar viele Menschen hätte krankmachen können, vor den Schutz genau dieser Menschen und des Fahrers gestellt werden soll? Wie wollen Sie den betroffenen Menschen und dem Personal diese Fragen beantworten? Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates hat in seiner Sitzung am 26. September 2011 einen Antrag des Landes Berlin zur gesetzlichen Verankerung des Informantenschutzes im BGB beschlossen. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, entsprechend tätig zu werden. Auch das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung am 15. September 2011 beschlossen, weitere Maßnahmen zum Schutz von Informanten zu ergreifen. Sie werden also zum Glück von außen getrieben; denn Sie selber werden ja nicht tätig. Die SPD-Bundestagsfraktion wird in den nächsten Wochen einen eigenen Gesetzentwurf zum Informantenschutz in den Bundestag einbringen. Einige Bereiche müssen klar geregelt werden: Wann liegt ein Missstand vor? Wir brauchen eine klare Definition. In welcher Form können Missstände geäußert werden? Können die Hinweise auch anonym erfolgen? Soll immer eine innerbetriebliche Regelung vorgeschaltet werden, bevor die Behörden angesprochen werden oder gar die Öffentlichkeit informiert wird? Welchen Schutz sollen Hinweisgeber neben dem allgemeinen Kündigungsschutz genießen? Das ist die Frage nach dem Schutz vor Beeinträchtigungen von Entwicklungs- und Karrierechancen und vor ungewollten Versetzungen im Betrieb. Es muss auch geregelt werden, welches die jeweils zuständige Behörde ist oder ob in Zweifelsfällen auch die Polizei für die Entgegennahme zuständig sein kann, wenn ein Hinweisgeber nicht weiß, wohin er sich wenden soll. Welche Schulungs- und Bildungspflichten obliegen einem Dienstherrn, damit er seine Mitarbeiter über ihre Rechte und ihren Schutz informiert? Die Rolle der Personal- und Betriebsräte muss geklärt werden. Es muss geklärt werden, ob interne Systeme freiwillig oder verpflichtend eingeführt werden sollen und wann ein Hinweisgeber Rückmeldung von der zuständigen Stelle innerhalb des Betriebes bekommen muss, damit er entscheiden kann, ob er weitere Schritte einleiten sollte oder nicht. Schließlich muss geklärt werden, wer die Hinweisgeber berät, wer sie rechtlich unterstützt und wer die Beweislast trägt. Das sind noch sehr viele offene Fragen. Der Fall Heinisch zeigt aber, wie groß die Not und wie wichtig die Klärung dieser Fragen ist. Insbesondere im Pflege- und Gesundheitsbereich, im Lebensmittelbereich und im Finanzbereich ist der Informantenschutz sehr wichtig. Denn es geht um das Leben von Menschen und das Abwenden von Krankheiten und körperlicher Beeinträchtigung, und es geht nicht zuletzt um die Existenzen von Menschen im Finanzdienstbereich. Deshalb fordere ich – so wie der Fachausschuss des Bundesrates und das Europäische Parlament – die Bundesregierung auf: Hören Sie auf, zu sagen, alles sei geregelt; denn das ist es nicht. Legen Sie endlich ein vernünftiges Gesetz vor! Das ist in Deutschland überfällig. Wir warten auf Ihre Vorschläge. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Pascal Kober (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Tack, Sie haben der Koalition Einseitigkeit in der Argumentation vorgeworfen. Ich finde, das trifft nicht zu. Meine Kollegin Gitta Connemann ist das Problem hier eindeutig sehr differenziert angegangen. (Kerstin Tack [SPD]: Das bleibt noch zu klären, wie eindeutig das war!) Ich werde für die Regierungskoalition versuchen, mit derselben Differenziertheit fortzufahren, und beginne mit einer Wertschätzung für Whistleblower. Da es noch nicht so lange her ist, dass der Papst hier im Deutschen Bundestag geredet hat, fühle ich mich auch als evangelischer Theologe eingeladen, mit einem katholischen Kirchenvater zu beginnen, nämlich mit Thomas von Aquin. Er hat einmal eine Handlungsmaxime formuliert: Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten. Es wäre nicht Thomas von Aquin, wenn er seine Handlungsmaxime nicht zugleich normativ fundieren würde. Diese Norm, diese Fundierung ist bei ihm in genauso klaren Worten zu finden: Alles, was gegen das Gewissen geschieht, ist Sünde. Viele Whistleblower handeln nach genau diesen beiden Grundsätzen von Thomas von Aquin: Sie stellen einerseits ihr Gewissen über Abhängigkeiten und Zwänge; sie handeln andererseits, um für ihre Mitmenschen Veränderungen zum Positiven zu bewirken. Für ihr Streben nach Recht und Gerechtigkeit nehmen sie oft Ausgrenzungen, Anfeindungen und weitere, manchmal schwerwiegendere Repressalien in Kauf. Aber – Gitta Connemann hat diese Differenzierung schon sehr gut für die Regierungskoalition zum Ausdruck gebracht – sie finden sich auch in Konfliktsituationen wieder, mit widerstreitenden Interessen und Rechten. Ich nenne nur einmal das Beispiel des Datenschutzes, auf das ich jetzt näher eingehen will. Wenn ein Hinweisgeber Verstöße meldet, dann muss er unter Umständen auch personenbezogene Daten erheben, speichern und weitergeben: vielleicht seine eigenen Daten, vor allen Dingen aber die Daten mutmaßlicher Übeltäter. Er stößt damit natürlich sehr schnell an die Grenzen datenschutzrechtlicher Vorgaben. Damit sowohl der Hinweisgeber als auch der vielleicht Unschuldige geschützt werden, muss an dieser Stelle eine ganze Reihe von Fragestellungen differenziert beantwortet werden, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nur zu!) beispielsweise: Inwieweit sind datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten? Inwieweit ist die Datenverarbeitung bei Hinweisen rechtlich zulässig? Überwiegt das Interesse des verdächtigten Mitarbeiters am Schutz seiner personenbezogenen Daten oder aber die Aufklärungspflicht? Wie können die gegenläufigen Interessen des betroffenen Mitarbeiters am Schutz seiner Daten sowie des Hinweisgebers am Schutz vor strafrechtlichen und zivilrechtlichen Risiken im Einzelfall abgewogen werden? Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr vorliegender Antrag liefert leider nur unzureichende Antworten auf diese Fragen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind auch nicht die Regierung!) – Aber Sie wollen sich doch am demokratischen Prozess beteiligen. Sie sind zwar nicht die Regierung; aber Sie können uns doch helfen, indem Sie kluge Anträge formulieren und sich am parlamentarischen Prozess beteiligen. Immerhin sind wir noch das Parlament. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihre Zwischenrufe sind im Hinblick auf Ihr Verständnis von Parlamentarismus und von der Oppositionsarbeit schon bemerkenswert. Wenn wir über Whistleblowing diskutieren, geht es nicht nur um das moralische Handeln von Einzelpersonen; es geht auch um die freiheitlichen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung: um die Meinungs- und Redefreiheit einerseits und um den Schutz des Einzelnen vor dem Missbrauch personenbezogener Daten andererseits; beides sind Fundamente eines liberalen Rechtsstaates. Folgte man Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, so würden wir bestimmte Prinzipien unseres Rechtsstaats opfern, um damit vermeintlich mehr Schutz für eine bestimmte Personengruppe, für eine bestimmte Seite, zu erreichen. So wird in Ihrem vorliegenden Antrag unter anderem gefordert, eine unabhängige Ombudsstelle für Whistleblower einzurichten, die über angemessene Durchsetzungs- und Weiterverfolgungsmechanismen verfügen muss. Die Kernfrage lautet aber: Inwieweit dürfen dabei ohne konkrete Verdachtsmomente Daten ohne Zustimmung der betroffenen Personen erhoben, gespeichert und weitergegeben werden? Diese Kernfrage bleibt im vorliegenden Antrag, wie so viele andere Fragen auch, unbeantwortet. An dieser Stelle ist mal wieder Thomas von Aquin zu zitieren. Er hat klargestellt, dass das Menschenrecht – damit meint er, wenn ich noch einmal an den Papst erinnern darf, eine naturrechtliche Begründung des Menschenrechts – über dem Staatsrecht stehen muss. Das heißt, die staatlichen Gesetze dürfen nicht im Widerspruch zum Menschenrecht stehen. In genau diesem Sinn hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehandelt, als er klargestellt hat, dass sich jeder, der Fehlverhalten meldet, auf sein Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen kann. Die Rechtsprechung hat also bereits Kriterien für ein Anzeigerecht des Arbeitnehmers aufgestellt. Auch nach § 84 ff. Betriebsverfassungsgesetz darf eine Beschwerde nicht zu Nachteilen für den Arbeitnehmer führen. Insofern sind die Gerichte nach unserer Ansicht besser geeignet, die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls zu berücksichtigen. Ebenso wie bei den sogenannten Bagatellkündigungen ist die Frage der Verhältnismäßigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Kober, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Binder? Pascal Kober (FDP): Nein, ich bin gleich fertig. Die übrigen Kolleginnen und Kollegen wollen auch noch reden und Debattenzeit haben, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) zumal die Kollegin klargestellt hat, dass sie nicht positiv mitarbeiten, sondern nur Fragen stellen will. Dazu hatten Sie schon genügend Gelegenheit. (Karin Binder [DIE LINKE]: Wozu legen wir einen Antrag vor, Herr Kollege, wenn wir nicht positiv arbeiten wollen?) Die Gerichte sind besser dazu geeignet, Entscheidungen zu treffen. Ich habe gerade die Verhältnismäßigkeit angesprochen. Diese Verhältnismäßigkeit würde bei Erfüllung der in Ihrem Antrag formulierten Forderungen nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die Linke, beteiligen Sie sich doch an der Diskussion über die Fragen, die ich hier gestellt habe. (Karin Binder [DIE LINKE]: Wir stoßen sie gerade an, wenn Ihnen das nicht aufgefallen ist, Herr Kober!) Versuchen Sie einmal, nicht nur anzuklagen, sondern positiv am parlamentarischen Prozess mitzuwirken. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Hochmut kommt vor dem Fall!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Ingrid Hönlinger hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Aufdecken von Missständen in Unternehmen und Institutionen ist von großer gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Kritikwürdige Zustände im Pflegebereich und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe sind nur zwei Beispiele von vielen. Oft hat nur ein begrenzter Personenkreis Zugang zu den relevanten Informationen, um von Missständen überhaupt erfahren zu können. Deshalb ist die Gesellschaft auf diese Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber angewiesen. Es gehört viel Mut dazu, Missstände beim eigenen Arbeitgeber oder beim Dienstherrn anzuprangern. Umso empörender ist es, dass diesen Menschen in der Folge auf ihren Hinweis noch immer häufig die Kündigung droht. Hierfür gibt es leider viele Negativbeispiele. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch die Öffentlichkeit hat ein Interesse daran, dass skandalöse Zustände aufgedeckt werden. Dieses Interesse ist gewichtig. An dieser Stelle nenne ich nur das Beispiel Gammelfleisch. Wir müssen endlich anerkennen, dass Whistleblower einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten. Whistleblower sind Indikatoren für gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Sie haben unseren Schutz verdient, auch den gesetzlichen. Die Bundesregierung scheint diese Problematik einfach zu übergehen. Diese Ignoranz ist umso beschämender, als erst vor kurzem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Deutschland in einem Whistleblower-Fall wegen Verletzung der Meinungsfreiheit verurteilt hat. Sie alle haben von dem Fall gehört. Der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch wurde von ihrem Arbeitgeber gekündigt. Dabei haben wir es ihr zu verdanken, dass menschenunwürdige Zustände in einer Berliner Pflegeeinrichtung aufgeklärt wurden. Das ist nur ein Fall von vielen, aber er zeigt, in welch schwieriger Situation Menschen stecken, die Ungerechtigkeiten entdecken und aufdecken wollen. Wir Grünen wollen, dass nicht die Vertuscher von Missständen geschützt werden, sondern die Aufdecker von Missständen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vor diesem Hintergrund kann ich es einfach nicht verstehen, dass diese Regierung nach wie vor keine Pläne hat, um den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern gesetzlich zu regeln. Trotz des dringenden Handlungsbedarfs hält es die Regierung nicht einmal für nötig, aktiv zu werden und sich einen Zeitplan zu geben. Stattdessen bleibt sie passiv und wartet auf die Empfehlungen und Diskussionsergebnisse der G20-Staaten. Das ergibt sich aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Regierung sieht sowieso sehr müde aus!) Ich frage mich: Will sich die Regierung hinter dieser G20-Arbeitsgruppe verstecken? Es muss doch eigentlich allen klar sein, dass eine internationale Arbeitsgruppe den nationalen Gesetzgeber weder ersetzen noch ihm die Arbeit abnehmen kann. Für die konkrete Formulierung eines nationalen Gesetzes kann eine internationale Arbeitsgruppe wenig Hilfestellung leisten. Die G-20-Arbeitsgruppe wird kaum Untersuchungen dazu anstellen, auf welche Weise sich eine gesetzliche Neuregelung am besten in das bestehende deutsche Recht eingliedern lässt. Das ist schon Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren von der Regierungsbank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder von der Koalition, Herr Kober!) Den Antrag der Linken zum Thema Whistleblowing finden wir prinzipiell berechtigt, aber uns fehlt die Konkretisierung für eine gesetzliche Gestaltung. Der Antrag ist so unkonkret, dass er sich in dieser Form nicht in ein Gesetz umsetzen lässt. Zum Beispiel lässt sich nicht erkennen, wie Sie den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern im Arbeitsrecht und im Beamtenrecht verankern wollen. Welche Rechtsgüter sollen geschützt werden? Wie kann ein angemessener Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefunden werden? Wir Grünen haben uns intensiv mit dem Problem auseinandergesetzt. Wir wollen keinen schnellen Antrag, sondern einen gründlichen und ausgereiften. Deshalb werden wir demnächst einen Gesetzentwurf vorlegen und zur Diskussion stellen. Er wird eine praktikable Entscheidungsgrundlage darstellen. Wir meinen nämlich, dass die Regelung zum Schutz von Whistleblowern eine präzise Diskussion verdient. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/6492 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz – EinsatzVVerbG) – Drucksache 17/7143 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat allein in diesem Jahr siebenmal über die Entsendung von Streitkräften debattiert und abgestimmt. Dabei stehen naturgemäß die Sicherheitspolitik und die Sinnhaftigkeit eines solchen Einsatzes im Mittelpunkt. Das ist verständlich und gut so. Wir dürfen aber niemals vergessen, dass es bei diesen Entscheidungen um Menschen geht, um Soldaten, manchmal auch um zivile Mitarbeiter, die wir in die Welt schicken, um Menschen, die uns anvertraut sind. Deswegen debattieren wir heute über den vorliegenden Gesetzentwurf. Die Soldatinnen und Soldaten und ebenso die zivilen Mitarbeiter werden, wenn auch in unterschiedlicher Form, durch unsere Entscheidung Gefährdungen ausgesetzt. Die Soldatinnen und Soldaten wissen das. Sie kennen die Gefährdungen. Sie haben durch Ablegung ihres Diensteids zugesagt, sich diesen Gefährdungen auszusetzen. Viele sind stolz darauf. Loyalität und Pflichterfüllung sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber keine Einbahnstraße. Für Staat und Politik folgt vielmehr im Gegenzug die Verpflichtung, Verletzte und Hinterbliebene so gut wie möglich abzusichern. Pflichterfüllung der Soldaten und Fürsorgepflicht des Dienstherrn sind zwei Seiten derselben Medaille. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Art und Weise, wie unser Land mit den Veteranen der Bundeswehr umgeht, wie es sie nach dem Einsatz wieder aufnimmt, wie ihre Versorgung gestaltet wird, ist ein zentraler Gradmesser der gesellschaftlichen Anerkennung des soldatischen Dienstes. Hier setzt der Gesetzentwurf an, den ich heute hier einbringen darf. Es ist nicht das erste Gesetz zu diesem Thema. Wir haben bereits 2004 und 2007 entsprechende Gesetze beraten. Vieles ist besser geworden. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Initiative zu diesem Gesetzentwurf, die vom Parlament und nicht von der Regierung ausgegangen ist. Ich freue mich, dass wir uns darüber einig sind, weitere Verbesserungen vorzunehmen. Ich nenne einmal fünf: Erstens. Die einmalige Entschädigungszahlung bei schweren Einsatzunfällen wird deutlich erhöht. Zweitens. Einsatzzeiten werden bei der ruhegehaltfähigen Dienstzeit in Zukunft doppelt berücksichtigt. Das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt. Drittens. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wirkt rückwirkend. Diese Änderung ist vielleicht noch wichtiger als die vorige. Wir führen einen Stichtag ein, den 1. Juli 1992. Das war, wenn ich das richtig weiß, der Kambodscha-Einsatz. Das heißt, es gilt für alle, die seit 1992 gefallen sind oder verwundet worden sind. Es wird also niemand benachteiligt. Viertens. Hinterbliebene von im Einsatz gefallenen Zeitsoldaten werden genauso behandelt, als wenn der Angehörige – meist ist es der Ehemann – Berufssoldat gewesen wäre. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Aus guten Gründen werden Dienstverhältnisse auf Zeit anders behandelt als unbefristete Dienstverhältnisse. Hier, wenn es um das Beklagen eines gefallenen Soldaten geht, wird die Versorgung gleich gestaltet. Fünftens. Wir schließen eine Lücke bei den sogenannten Kriegsklauseln. Auch bei Lebensversicherungen zur Finanzierung von Immobilien tritt künftig der Bund mit einem Schadensausgleich ein. Ich will das zum Anlass für eine Bemerkung nehmen. Wir schaffen diese Regelung gern, und wir halten sie auch für richtig. Aber ich möchte von hier aus an unsere Versicherungen appellieren. Wenn es eine Kriegsklausel in einem Lebensversicherungsvertrag gibt und der Soldat etwa in Afghanistan gefallen ist, dann ist es für die Versicherung nicht nur eine Frage der Kulanz, sondern der selbstverständlichen Ehre, sich in diesem Fall gegenüber den Hinterbliebenen nicht auf die Kriegsklausel zu berufen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich doch auf die Klausel beruft, steht der Bund dafür ein. Das wird hier geregelt. Einzelne Zielvorstellungen, die in dem Beschluss dieses Hauses niedergelegt waren, sind in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht umgesetzt worden; dazu werden wir in der Debatte gleich noch etwas hören. Dabei geht es um die Frage, ab wann eine dauerhafte Wehrdienstbeschädigung vorliegt, ab einem Schädigungsgrad von 30 Prozent oder von 50 Prozent, und wie die Beweislast ist. Im Rahmen der Ressortabstimmung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, das nicht in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Dafür gibt es auch gute Gründe. Es wird jetzt versucht – das habe ich gehört; die Koalitionsfraktionen werden das sicher gleich näher begründen –, das noch nachzubessern. Wenn es dazu kommt, freut mich das sehr. Ich will, auch in Richtung der Opposition, noch sagen: Egal, wie diese Debatte ausgeht – es sind ja hoffentlich wenige Fälle, in denen der Schädigungsgrad zwischen 30 und 50 Prozent beträgt –: Wir sollten nicht vergessen, dass die großen Maßnahmen, die auf Ihre gemeinsame Initiative hin jetzt eine gesetzliche Grundlage finden, als Erfolg bleiben. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Ich will abschließend darauf hinweisen, dass diese gesetzlichen Regelungen nicht nur für Soldatinnen und Soldaten gelten, sondern auch für alle zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für Polizistinnen und Polizisten in Einsätzen. Wir haben in dem Bereich weniger Opfer zu beklagen, aber es gibt Opfer. Wer weiß, vielleicht werden es mehr. Für diesen Personenkreis wird in gleicher Weise gesorgt. Ich freue mich auf eine konstruktive Beratung. Ich bin sicher, dass dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung in diesem Haus mit einer breiten Mehrheit verabschiedet wird. Das wäre insbesondere für die Soldatinnen und Soldaten gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper für die SPD-Fraktion. Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz ist keine Materie, die sich zu einem poltischen Schlagabtausch eignet. Herr Minister de Maizière hat darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Einsatzversorgung schon einige Gesetzgebungsverfahren gegeben hat. Ein Sprichwort besagt: Man steigt nie zweimal in denselben Fluss. Das bedeutet: Die Herausforderungen sind immer neu, und man muss gerade hier die Fähigkeit zeigen, auf diese Herausforderungen einzugehen. Ich glaube, die Soldatinnen und Soldaten, die ihr Leben im Einsatz riskieren, haben ein Anrecht darauf, dass wir uns um sie kümmern und ihnen hilfreich zur Seite stehen, wenn es beispielsweise zu Verletzungen, Erkrankungen oder sogar noch Schlimmerem kommt. (Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD]) Ich könnte jetzt sagen: Der Deutsche Bundestag hat schon vor etwa zwölf Monaten einen entsprechenden Antrag verabschiedet, aber erst jetzt haben wir den Gesetzentwurf vorliegen. Diesen Hinweis will ich mir jedoch verkneifen. Ich hoffe nur: Was lange währt, wird endlich gut. Herr Minister de Maizière hat aufgezeigt, welche inhaltlichen Punkte in dem Verbesserungsvorschlag enthalten sind; diese begrüßen wir ausdrücklich. Ich hätte mir zu einigen Punkten gerne noch ein Wort gewünscht; vielleicht gehen die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen noch darauf ein. Heute steht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein kleiner Artikel mit der Überschrift „Soldaten werden besser versorgt“. Unter anderem kann man dort lesen: Beamtenbund und Bundeswehrverband begrüßten am Donnerstag eine angebliche Einigung, wonach Kürzungen bei diesen Zahlungen vom nächsten Jahr an zurückgenommen werden sollten. Hier ist insbesondere das Weihnachtsgeld gemeint. Ich denke, das wäre in Anbetracht der Tatsache, dass aus dem Bereich der Bundeswehr fast 80 Prozent des Personalkörpers des Bundes gestellt werden, eine ganz wichtige Maßnahme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) – Ich sehe zwar keinen heftigen Applaus vonseiten der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, aber immerhin Applaus. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir hier ansprechen müssen. Ich will mich nicht in Wiederholungen ergehen und aufzählen, was in diesem Gesetz alles vorgesehen ist. Aber da Herr Minister de Maizière auf die Frage eingegangen ist, ob die Grenze der Schädigung von 50 Prozent auf 30 Prozent gesenkt werden sollte: Ich zähle in der Tat zu denjenigen, die noch einmal genau darüber diskutieren wollen, was man an dieser Stelle tun sollte. In dem Zusammenhang kommt es mir noch auf einen anderen Punkt an. Wir sollten etwas stärker darauf schauen, wie die Wehrdienstbeschädigungsverfahren abgewickelt werden. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass diejenigen, die einen Antrag stellen, relativ zeitnah eine qualifizierte Entscheidung bekommen, sodass den Betroffenen geholfen werden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir führen, glaube ich, am 17. Oktober dieses Jahres eine Anhörung zu diesem Gesetzgebungsvorhaben durch. Wir sollten einmal überlegen, ob wir nicht dem Gedanken einer Genehmigungsfiktion Rechnung tragen sollten. Bei anderen Verfahren ist es so, dass, wenn Anträge in einer bestimmten Frist nicht entschieden werden, dies als positive Entscheidung gilt. Wir sollten einmal darüber nachdenken, dieses Verfahren hier einzuführen. Ich bin sicher, dass das den Druck erhöhen und die zeitlichen Abläufe beschleunigen würde. Vor allem in den Fällen, in denen sich Rehamaßnahmen und Kuren an die Behandlung der Betroffenen anschließen, ist es wichtig und im Interesse der Betroffenen, dass es zu zeitnahen Entscheidungen kommt. Diesbezüglich ist meine herzliche Bitte, dass wir auch im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens noch einmal überlegen sollten, ob wir diesen Gedanken aufgreifen. Ich denke, das wäre hilfreich, sowohl für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten als auch für die betroffenen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Richtig ist, dass wir den Zeitrahmen, der für die Anwendung dieses Gesetzes gilt, bis zum 1. Juli 1992 ausweiten. Ich gebe zu, dass ich zuerst gedacht habe: Das ist ein sehr mutiger, waghalsiger Schritt. Aber die Zahl der Betroffenen bzw. die Betroffenheiten sind wohl überschaubar, sodass man mit Fug und Recht die Zusage machen kann, den gesamten genannten Zeitraum einzubeziehen. Dies wird von uns ausdrücklich begrüßt. Dem können wir zustimmen. In diesem Sinne: Wir werden diesen Gesetzgebungsprozess weiterhin konstruktiv begleiten. Wir werden darüber hinaus vielleicht auch die eine oder andere Anregung geben. Ich finde, die Zielsetzung, die Soldatinnen und Soldaten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im zivilen Bereich sowie ihre Angehörigen gleich zu behandeln, ist völlig richtig. Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz, der diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt. Ich hoffe, dass das Gesetzgebungsverfahren zügig abgeschlossen werden kann, sodass dieses Gesetz möglichst schnell im Bundesgesetzblatt zu finden sein wird. Wir können es gut gebrauchen. Ich glaube, es ist ein gutes Signal an unsere Soldatinnen und Soldaten, aber auch an die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Hoff das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Elke Hoff (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache kein Hehl daraus, dass heute ein ganz besonderer Tag für mich ist. Ich glaube, das gilt auch für die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, die seit nunmehr weit über sechs Jahren dafür kämpfen, dass wir für unsere im Einsatz verwundeten Soldatinnen und Soldaten einen optimalen Rahmen schaffen, um zu vermeiden, dass sie – ich formuliere das immer so – eine zweite Existenzangst erleiden bzw. einen zweiten Tod sterben müssen. Viele unserer Soldatinnen und Soldaten, die von einem schwierigen Einsatz nach Hause kommen, wissen nicht, wie ihre sozialen Grundlagen, ihre soziale Perspektive und ihre Zukunft in dieser Gesellschaft aussehen werden. Sie müssen zum zweiten Mal erleben, dass ihre Existenz gefährdet ist. Vor diesem Hintergrund war uns besonders wichtig, dass wir als Gesetzgeber die Initiative ergreifen – der Herr Minister hat das sehr deutlich gemacht – und die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um unseren Soldatinnen und Soldaten klarzumachen: Wenn sie wieder zu Hause sind, müssen sie keine Bedrohung ihrer Existenz – als solche wurde die Situation von vielen wahrgenommen – befürchten. Herr Kollege Körper, Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, ich glaube, dass wir es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, aber auch mit dem bereits angekündigten Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen wie in der Vergangenheit schaffen werden, am Ende ein gemeinsames Signal an die Soldatinnen und Soldaten zu senden. Uns war wichtig, dass eine geringe Schwelle festgesetzt wird, wenn es darum geht, Soldatinnen und Soldaten, die in einem Einsatz verwundet worden sind, die Möglichkeit zu geben, einen Beruf beim Arbeitgeber Bundeswehr auszuüben. So sollte die Erwerbsfähigkeit von Soldaten nicht mehr um mindestens 50 Prozent, sondern nur noch um 30 Prozent gemindert sein, damit die Bundeswehr zur Weiterbeschäftigung verpflichtet ist. Es kann nicht sein, dass Männer und Frauen, die in Ausübung des Soldatenberufes verwundet und verletzt worden sind, diesen Weg zurück nur unter schwierigsten Bedingungen gehen können. Für seelisch verwundete Soldatinnen und Soldaten ist es besonders schwierig, die 50-Prozent-Grenze zu erreichen. Wissenschaft und Forschung sind in diesem Bereich nämlich sehr komplex und kompliziert. Ich glaube, dass hier das Parlament das Signal an die betroffenen Soldatinnen und Soldaten senden muss: Wir wollen euch die Möglichkeit eröffnen, dass ihr weiterhin als Soldaten – natürlich mit den entsprechenden Einschränkungen – den Dienst für unser Vaterland verrichten könnt. Ich hielte es wirklich für absurd, wenn das Signal ausginge: Wir brauchen euch zwar für den Einsatz, dafür, unser Vaterland zu verteidigen; aber wenn ihr zurückkommt und nicht mehr hundertprozentig einsatzfähig seid, dann können wir euch nicht helfen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich glaube, wir sind an dieser Stelle zutiefst moralisch verpflichtet, diesen Anliegen Rechnung zu tragen. Für uns ist auch wichtig, dass wir gerade gegenüber den seelisch Beeinträchtigten – ich sage das ganz bewusst so – deutlich machen: Das ist keine Krankheit, sondern eine Verwundung, die ihre Ursache in einem Einsatz hat. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir den Männern und Frauen, die mit einer seelischen Verwundung aus einem Einsatz kommen, helfen können, wenn es uns über den Änderungsantrag gelingt, die Glaubhaftmachung auf eine andere Grundlage zu stellen. Dazu müssen wir in einer untergesetzlichen Regelung Parameter festlegen, die für den Tatbestand der Verwundung erfüllt sein müssen. Der Dienstherr müsste dann den Vollbeweis erbringen, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich glaube, wenn alle Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament mitmachen, werden wir eine faire Lösung finden, den Besonderheiten des Soldatenberufes Rechnung zu tragen. Es geht nämlich auch um eine Änderung des Bewusstseins nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Verwaltung. Ich glaube, dass wir durch Hartnäckigkeit des Parlamentes die Chance haben, deutlich zu machen, dass der Beruf des Soldaten im Einsatz etwas ganz Besonderes ist und deswegen auch besonders betrachtet werden muss. Insofern bin ich all denen, die in der Vergangenheit Kurs gehalten und diese Verbesserungen mit uns gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wirklich dankbar. Herr Minister, wenn wir dieses Gesetz im Parlament verabschiedet haben werden – wie auch immer es aussehen mag –, dann ist es ganz besonders wichtig – und hier fängt Ihre Arbeit eigentlich erst an –, auch innerhalb der Strukturen den Geist dieses Gesetzes umzusetzen, damit ganz deutlich wird, dass es nicht darum geht, durch Bürokratie und Hinterfragen Hürden aufzubauen, die die Soldatinnen und Soldaten als weitere Bedrohung ihrer Existenz wahrnehmen müssen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kollege Körper, vielleicht entscheidet ein Gericht tatsächlich, dass die eine oder andere Regelung nicht unumstößlich ist. Uns ist es aber wichtig, dass dieses Parlament den politischen Willen artikuliert, dass wir an dieser Stelle alles tun und nichts unterlassen, was die Situation von verwundeten Soldatinnen und Soldaten, die aus einem Einsatz kommen, verbessern kann. Ich habe vor kurzem bei Gesprächen mit Soldaten einen Hauptmann mit über 800 Einsatztagen getroffen. Dieser Mann sagte: Ich bin müde, und ich möchte eine Perspektive sehen und wissen, dass mich mein Land auffängt. – Ich glaube, es ist an uns, diese Aufgabe zu erfüllen. Deswegen geht auch von dieser Stelle aus ein ganz herzlicher Gruß an die Betroffenen, die heute wieder bei uns sind und diese Debatte verfolgen: Ich glaube, Sie alle können den Eindruck mit nach Hause nehmen, dass dieses Parlament wirklich bereit und willens ist, den Anliegen, die Sie berechtigterweise an uns herangetragen haben, Rechnung zu tragen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Harald Koch für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Koch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, nennt sich Entwurf eines Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetzes. Seinem Namen wird er jedoch nicht gerecht; denn de facto verbessert sich damit für die im Auslandseinsatz geschädigten Soldatinnen und Soldaten nicht viel. (Elke Hoff [FDP]: Ach! Sie sollten den Entwurf mal lesen!) Das ist – auch wenn die Regierung, wie der Minister heute angekündigt hat, weitere Anpassungen vornehmen will – nicht nur bedenklich, sondern geradezu fahrlässig; denn es kann nicht sein, dass die Bundesregierung zwar einerseits auf militärische Intervention und Krieg als Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik setzt, andererseits für die Versorgung der dabei zu Schaden gekommenen Soldatinnen und Soldaten aber wenig übrig hat. Vor einem Jahr – daran möchte ich erinnern – haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, vollmundige Versprechungen gemacht. Ihr damaliger Antrag sollte zügig in eine Gesetzesinitiative münden. Erst jetzt, nach einem Jahr, liegt uns ein extrem lückenhafter Umsetzungsversuch vor. Dabei wollten Sie doch – ich zitiere – „Lücken schließen, Ungleichgewichte ausgleichen, großzügig verfahren“ und vor allem „Verantwortung übernehmen“. Im jetzigen Gesetzentwurf findet man davon so gut wie nichts wieder. Ich möchte Ihnen nicht die Beweise für diese Behauptung schuldig bleiben. Der Gesetzentwurf enthält weder die von den Betroffenen und deren Angehörigen schon so lange geforderte und dringend benötigte Beweislastumkehr noch die versprochene Beschleunigung und effizientere Gestaltung der Anerkennungsverfahren von Wehrdienstbeschädigungen. Gerade dies wären aber Maßnahmen, mit denen den Geschädigten wirklich geholfen werden könnte. Daher muss an dieser Stelle dringend nachgebessert werden. Der Minister hat vorhin davon gesprochen, dass die Ungleichbehandlung von Berufssoldatinnen und -soldaten auf der einen Seite sowie Zeitsoldatinnen und -soldaten auf der anderen Seite wohl doch aufgehoben werden wird. Zumindest die Hinterbliebenen hat er erwähnt. Ich habe in meinem Manuskript einen Absatz in Bezug auf die Privilegierung der Berufssoldatinnen und -soldaten stehen. Diese Privilegierung sollte abgeschafft werden. Ich hoffe nicht, dass es eine Nebelgranate war, die hier verschossen wurde, sondern dass es hier wirklich zu einer Verbesserung kommen wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Koch, gestatten Sie eine Frage? Harald Koch (DIE LINKE): Ja, gerne. Henning Otte (CDU/CSU): Herr Kollege Koch, am vergangenen Mittwoch hatten wir eine Vorberatung zu diesem, wie ich finde, sehr wichtigen Tagesordnungspunkt. Sie kritisieren jetzt enorme Lücken. Leider haben Sie in der Vorberatung im Ausschuss kein einziges Wort dazu gesagt. Ich möchte gerne wissen, warum Sie am Mittwoch diese Probleme nicht gesehen haben, aber jetzt vor diesem Hohen Hause vor laufender Kamera zu dieser Feststellung kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Harald Koch (DIE LINKE): Soweit ich mich erinnern kann, war ich gar nicht da, weil ich krank war. Aber wir haben dort auch Vertreter. Es gibt Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiter, die daran teilnahmen und mich darüber informiert haben. Letztendlich habe ich noch keine nennenswerten Ansätze erkannt. Wir werden sehen – heute befinden wir uns in der ersten Lesung; das ist der Beginn der Beratungen –, was dann bei der zweiten und dritten Lesung auf dem Tisch liegen wird. Die Linke tritt für die unverzügliche Beendigung des Krieges in Afghanistan, den Abzug der Bundeswehr und eine andere, friedensorientierte Ausrichtung der deutschen Außenpolitik ein. Wenn alle diese Forderungen erfüllt werden würden, bräuchten wir heute nicht über diese Probleme zu diskutieren. Natürlich hat die Versorgung auch finanzielle Aspekte. Genau das ist wohl der Grund, warum so viele Forderungen des ursprünglichen Antrags im nun vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr enthalten sind. Angemessene und dauerhafte Versorgung der Kriegsveteranen ist Ihnen schlichtweg zu teuer. Genau das ist nicht akzeptabel. Der Verteidigungshaushalt ist groß genug, um daraus problemlos die anfallenden Kosten zu schultern. Mit der Streichung einiger aus unserer Sicht sinnloser Beschaffungsprogramme wäre das problemlos machbar. (Beifall bei der LINKEN) Ihren selbst formulierten Anspruch, mit diesem Gesetzentwurf die Versorgungslage der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern und damit Ihrer Fürsorgepflicht als Dienstherr nachzukommen, haben Sie jedenfalls klar verfehlt. Sollten in diesem Gesetzentwurf nicht noch wirksame Verbesserungen im Sinne der Betroffenen eingefügt werden, kann die Fraktion der Linken den Gesetzentwurf nur ablehnen; denn mit diesem Stückwerk wäre niemandem geholfen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Agnes Malczak das Wort. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geschieht äußerst selten, dass ein Gesetz dieser Bundesregierung eine wirkliche Verbesserung bringt und nur begrüßt werden kann. Beim Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz ist dies der Fall. An dieser Stelle möchte ich den Organisationen der Betroffenen danken, die immer wieder auf die schwierigen Schicksale aufmerksam gemacht und auf Verbesserungen gedrungen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Robert Hochbaum [CDU/ CSU]) Die in diesem Gesetz vorgeschlagenen Verbesserungen sind dringend notwendig, denn sie sind Ausdruck der Verantwortung, die wir für die Menschen tragen, die sich im Auftrag des Deutschen Bundestages in Einsätzen im Ausland befinden und dabei zu Schaden kommen. Diese Verantwortung tragen wir ebenfalls für die Hinterbliebenen derer, die diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen. Bereits seit mehreren Jahren wurden die bisher geltenden Regelungen dieser Verantwortung nur noch bedingt gerecht. Heute begrüßen wir also den Gesetzentwurf. Aber ich finde, man muss schon kritisch anmerken dürfen, dass es eine geraume Zeit gebraucht hat, bis Sie sich überhaupt auf den Weg gemacht haben, und dass es dann ein bisschen an Mut und vielleicht sogar an politischem Willen gemangelt hat, alle entscheidenden Schritte zu gehen, denn dieser Gesetzentwurf bleibt in zentralen Punkten hinter den richtigen Forderungen Ihrer eigenen Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker zurück. Die Mängel dieses Gesetzentwurfes lassen nämlich einige Probleme einer ganzen Gruppe unter den Betroffenen ungelöst. Das ist das Dramatische. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen, die nach einem Einsatz im Ausland an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkranken, haben ebenso erhebliche Schwierigkeiten auf dem zivilen Arbeitsmarkt wie körperlich Versehrte. Traumatisierte sind darum ebenso auf die Möglichkeiten der Versorgung angewiesen wie physisch Beeinträchtigte. Jedoch ist es für sie ungleich schwerer, den Beweis des Zusammenhangs zwischen Einsatz und Erkrankung zu erbringen. Dann wird ihnen oft nicht der Grad der Schädigung zuerkannt, der Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung ist. Der Deutsche Bundestag hat daher im vergangenen Herbst die Forderungen nach einer Absenkung des Schädigungsgrades für die Weiterbeschäftigung und einer Erleichterung der Beweislast gestellt, und das mit breiter Zustimmung über die Parteigrenzen hinweg. Niemand hat bei diesem Antrag damals mit Nein gestimmt. Ich hoffe, dass auch die Linke am Ende bei dem Gesetzentwurf nicht mit Nein stimmen wird, denn er ist wichtig und richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte der Kollegin Hoff und auch dem Kollegen Beck danken, die sich bereits in der Presse mit aller Deutlichkeit zu den Mängeln dieses Gesetzentwurfs geäußert haben und Korrekturen ankündigten. Ich danke Ihnen auch, dass Sie das heute in Ihren Reden noch einmal deutlich gemacht haben. Auch wir halten an dieser Kritik fest und werden weiterhin Nachbesserungen einfordern. Ich versichere Ihnen: Wir lassen nicht locker. Beim Begriff der Einsatzversorgung denken die meisten Menschen wahrscheinlich ausschließlich an die Soldatinnen und Soldaten und deren Angehörigen. Aber nicht nur Angehörige der Bundeswehr, sondern Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ziviler Organisationen setzen sich in Konflikten im Auftrag des Deutschen Bundestages für Frieden und Sicherheit ein. Auch sie tragen ein hohes Risiko für ihre Gesundheit. Soldatinnen und Soldaten und zivile Kräfte verdienen gleichermaßen unseren Respekt, unsere Anerkennung, aber vor allem auch unsere Fürsorge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Grundsätzlich haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das erkannt. Tatsächlich sehen der Beschluss des Bundestages aus dem letzten Jahr und der vorliegende Gesetzentwurf Verbesserungen für das militärische und zivile Personal im Auslandseinsatz vor. Aber aus dieser Erkenntnis folgt bei Ihnen leider dennoch nicht immer konsequentes Handeln. Wir Grüne haben diese Woche einen Antrag eingereicht, der von der Bundesregierung Verbesserungen bei der Betreuung ziviler Kräfte in Einsätzen zur Konfliktbewältigung fordert. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wollten das heute nicht gemeinsam mit dem Gesetz über die Versorgung diskutieren. Versorgung und Betreuung sind zwei Seiten derselben Medaille, nämlich unserer Fürsorgepflicht. Diese tragen wir für militärisches wie ziviles Personal gleichermaßen. Wir dürfen nicht davor zurückscheuen, uns in diesem Bereich umfassend mit den Mängeln auseinanderzusetzen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist sicherlich ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Aber es bleibt noch viel zu tun. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktionen hat nun der Kollege Jürgen Hardt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf das eine oder andere eingehen, das hier angesprochen worden ist. Der Kollege Körper hat nach dem Weihnachtsgeld gefragt. Ja, ich glaube, es gibt Bewegung in dieser Frage. Für die Bundeswehr würde das bedeuten, dass rund 250 Millionen Euro zusätzlich aufgebracht werden müssten. Es gibt zu diesem Sachverhalt in diesen Tagen und Wochen Gespräche, wie das im Haushalt so dargestellt werden kann, dass wir unsere sonstigen Ziele bei der Bundeswehr dadurch nicht gefährden. Aber ich glaube, es ist eine gute Botschaft – der Bundeswehrverband ist heute durch seinen Vorsitzenden vertreten –, dass wir Möglichkeiten sehen, in diesem Punkt etwas zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Koch [DIE LINKE]) Ich möchte aber nun konkret zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz kommen. Die Initiative dieses Hauses ist von allen Fraktionen getragen worden. Die Linke hat sich enthalten. Bei dem einen oder anderen linken Politiker stellt sich allerdings die Frage, warum er sich damals enthalten hat. Denn diesem Gesetzentwurf könnte man wirklich zustimmen, selbst wenn man die Einsätze der Bundeswehr im Ausland nicht unterstützt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der vorliegende Gesetzentwurf beschäftigt sich mit denjenigen, die die größte Solidarität dieses Hauses und unserer Gesellschaft erfordern, nämlich den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und den Zivilisten, die in Auslandseinsätzen zu Schaden kommen. Am 13. Oktober 1993 ist der erste deutsche Soldat, Alexander Arndt, im Auslandseinsatz gefallen. Das ist immerhin schon 18 Jahre her. Seitdem haben 99 Bundeswehrangehörige bei Auslandseinsätzen ihr Leben verloren, 36 davon durch Feindeinwirkung. 300 sind körperlich verwundet worden, und rund 400, vielleicht sogar mehr, sind an der Seele verwundet. Das ist eine große Zahl von Menschen, die für unser Vaterland in Auslandseinsätzen ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben. Hinter jedem einzelnen Schicksal steht auch das Schicksal der Angehörigen, die die Last ein gutes Stück mittragen müssen. Der Bundesverteidigungsminister hat in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit dem Bericht des Wehrbeauftragten davon gesprochen, dass wir uns zum Begriff des „Veteranen“ bekennen müssen. Ich war darüber sehr erfreut, aber auch kleines bisschen überrascht. Denn unter Veteranen stellt man sich alte Männer in krumpligen Uniformen mit vielen Orden vor, die bei Militärparaden in der ersten Reihe stehen. Unsere Veteranen, die aus einem Kriegseinsatz nach Hause kommen, sind häufig junge Männer und Frauen, die mitten im Leben stehen und noch viele Jahrzehnte der Berufstätigkeit in der Bundeswehr oder im Zivilleben vor sich haben und ganz und gar nicht aufs Altenteil gehören, sondern mitten in unserer Gesellschaft stehen. Wir sollten den modernen deutschen Veteranenbegriff entsprechend prägen. Vielleicht können wir alle einen Beitrag dazu leisten. Ich komme kurz zu den einzelnen Punkten des Gesetzentwurfs. Das meiste, was wir letztes Jahr gefordert haben, ist von der Bundesregierung in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Auch ich glaube, dass wir hinsichtlich der Grenze für den Grad der Beschädigung bei entsprechender Übernahme noch im Ausschuss und in der Anhörung am 17. Oktober darüber reden müssen, ob wir nicht doch von 50 Prozent auf 30 Prozent heruntergehen sollten. Denn gerade für die seelisch Verletzten könnte diese Senkung der Grenze eine deutliche Erleichterung bedeuten. Ich glaube des Weiteren, dass wir bei der Beweislastumkehr eine Regelung finden könnten, dass wir im Rahmen der Richtlinien oder der entsprechenden Rechtsverordnung, die die Feststellung solcher Beschädigungen regelt, bestimmte Tatbestände definieren, indem wir sagen: Wenn der Soldat oder Zivilist in einer solchen Situation gewesen ist, dann gehen wir immer davon aus, dass seine Beschädigung Folge dieses Einsatzes ist. Umgekehrt bedürfte es des Nachweises, dass es in dem Einzelfall nicht zutrifft. Das wäre eine Beweislastumkehr innerhalb von Grenzen, von denen ich glaube, dass man sie gut akzeptieren könnte. Ich persönlich würde mir auch wünschen, dass wir uns bei der Verdoppelung der Beträge für die Anrechnung der Einsatzzeiten für die Rente nicht auf 365 Tage, also ein Jahr, festlegen, sondern dass wir die notwendige Hürde auf 180 Tage reduzieren, damit wir mehr Soldaten berücksichtigen können. 180 Tage bedeuten immerhin, dass man mindestens zweimal in einem Kontingent im Auslandseinsatz gewesen ist. Das halte ich für durchaus angemessen. Der Gesetzentwurf, den wir sicherlich demnächst mit großer Mehrheit verabschieden werden, ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Es wurde gesagt, dass das auch der Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr dient. Ich glaube, es ist zu kurz gegriffen, das Gesetz als Attraktivitätsmaßnahme zu verstehen. Es handelt sich um eine Maßnahme der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, die den schwierigsten und gefährlichsten Job in unser aller Namen machen, den Soldatinnen und Soldaten sowie den Zivilbediensteten der Bundeswehr, die entsprechend zu behandeln sind. Ich wünsche mir, dass die Klagen Einzelner über bürokratische oder schwerfällige Prozesse bei der Anerkennung von Wehrdienstbeschädigungen ein Ende finden. Bund und Länder arbeiten daran, das Ganze zu beschleunigen. Ich vertraue darauf, dass das klappen wird. Wir, die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, werden darauf genau achten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/7143 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. Oktober 2011, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. (Schluss: 15.11 Uhr) Redetext Bundesminister Dr. Thomas de Maizière Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 30.09.2011 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 30.09.2011 Brinkmann (Hildes-heim), Bernhard SPD 30.09.2011 Burchardt, Ulla SPD 30.09.2011 Buschmann, Marco FDP 30.09.2011 Dr. Geisen, Edmund Peter FDP 30.09.2011 Gottschalck, Ulrike SPD 30.09.2011 Hempelmann, Rolf SPD 30.09.2011 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.09.2011 Jelpke, Ulla DIE LINKE 30.09.2011 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 30.09.2011 Kekeritz, Uwe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.09.2011 Kelber, Ulrich SPD 30.09.2011 Kolbe, Manfred CDU/CSU 30.09.2011 Korte, Jan DIE LINKE 30.09.2011 Krellmann, Jutta DIE LINKE 30.09.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 30.09.2011 Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine FDP 30.09.2011 Lühmann, Kirsten SPD 30.09.2011 Meierhofer, Horst FDP 30.09.2011 Menzner, Dorothee DIE LINKE 30.09.2011 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 30.09.2011 Nord, Thomas DIE LINKE 30.09.2011 Ortel, Holger SPD 30.09.2011 Dr. Ott, Hermann E. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.09.2011 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 30.09.2011 Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 30.09.2011 Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 30.09.2011 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.09.2011 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.09.2011 Dr. Schwanholz, Martin SPD 30.09.2011 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 30.09.2011 Dr. Stinner, Rainer FDP 30.09.2011 Süßmair, Alexander DIE LINKE 30.09.2011 Werner, Katrin DIE LINKE 30.09.2011 Wicklein, Andrea SPD 30.09.2011 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 30.09.2011 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 30.09.2011 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 30.09.2011 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 30.09.2011 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 886. Sitzung am 23. September 2011 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimG) – Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex – Gesetz zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften – Neunundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – Einführung eines Ordnungsgeldes – Gesetz zur Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie im Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (Fernunterrichtsschutzgesetz) – Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 und zur Anpassung der Chemikaliengesetzes und andere Gesetze im Hinblick auf den Vertrag von Lissabon Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Entschließung zu fassen: Zu Artikel 1 Nummer 49 Buchstabe c (§ 28 Absatz 12 ChemG) Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Bundesregierung entgegen dem Bundesratsvotum (Ziff. 2 der BR-Drucksache 215/11 – Beschluss –) bei einigen der neu unter die Meldepflicht fallenden Gemische statt einer Mitteilung nach §16e ChemG an das Bundesinstitut für Risikobewertung an der übergangsweisen Übermittlung von Sicherheitsdatenblättern an eine externe Datenbank festhält. Der Informationsgehalt in den Sicherheitsdatenblättern ist jedoch vielfach nicht ausreichend, um eine adäquate Beratung in Vergiftungsfällen zu ermöglichen. Der Standard eines Sicherheitsdatenblattes darf daher nicht als ausreichend bei der noch zu erfolgenden Festlegung eines einheitlichen Formats nach Artikel 45 Absatz 4 der CLP-Verordnung (EG) 1272/2008 angesehen werden. Die Bundesregierung wird somit insbesondere gebeten, sich bei den Verhandlungen zur vorgesehenen EU-Harmonisierung der Mitteilungspflichten dafür einzusetzen, dass der Umfang dieser Mitteilungen bei allen Produkten die vollständige Zusammensetzung (Rezeptur) unter Angabe der konkreten Konzentrationen der Inhaltsstoffe umfasst, damit im Vergiftungsfall geeignete Informationen schnell zur Verfügung stehen. – Gesetz zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie sowie zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes und des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes – Gesetz zu dem Abkommen vom 9. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Juni 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Turks- und Caicosinseln über den steuerlichen Informationsaustausch – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. Juni 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik San Marino über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch – Gesetz zu dem Abkommen vom 5. Oktober 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Britischen Jungferninseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch – Gesetz zu dem Abkommen vom 28. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 5. April 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien über den Sitz des IRENA-Innovations- und Technologiezentrums – Gesetz zur Vierten, Fünften und Sechsten Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonal (AETR) – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur – Zweites Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 4. August 1963 zur Errichtung der Afrikanischen Entwicklungsbank – Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom 29. November 1972 über die Errichtung des Afrikanischen Entwicklungsfonds – Steuervereinfachungsgesetz 2011 Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2011 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine außerplanmäßige Ausgabe im Einzelplan 05 Kapitel 05 02 Titel 866 01 – Darlehen an den Nationalen Übergangsrat zur Sicherung der demokratischen Entwicklung in Libyen in Höhe von 100 Mio. Euro – Drucksachen 17/6739, 17/6961 Nr. 1.6 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2011 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 30 03 Titel 687 70 – Leistungen für die Europäischen Forschungseinrichtungen CERN, ESO, ESRF und ILL – bis zur Höhe von 10 Mio. Euro – Drucksachen 17/6740, 17/6961 Nr. 1.7 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2011 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 25 Titel 671 02 – Außergerichtlicher Vergleich mit der Luftverkehrsindustrie zu streitigen Luftsicherheitsgebühren seit der Gebührenperiode 2000/2001 – bis zur Höhe von 77 Mio. Euro – Drucksachen 17/6786, 17/6961 Nr. 1.11 – Der Bundesrat hat in seiner 887. Sitzung am 30. September 2011 beschlossen, zu dem nachstehenden Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Stabilisierungmechanismusgesetz – StabMechG) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/136 Nr. A.10 Ratsdokument 13130/09 Drucksache 17/6176 Nr. A.2 EP P7_TA-PROV(2009)0097 Drucksache 17/6176 Nr. A.3 EP P7_TA-PROV(2011)0227 Drucksache 17/6176 Nr. A.4 EP P7_TA-PROV(2011)0228 Drucksache 17/6407 Nr. A.2 Ratsdokument 10794/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.4 EuB-BReg 174/2011 Finanzausschuss Drucksache 17/6985 Nr. A.16 Ratsdokument 11813/11 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 17/6985 Nr. A.53 Ratsdokument 13074/11 II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. September 2011 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15575 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 15580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. September 2011 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 131. Sitzung, Berlin, Freitag, den 30. September 2011 15579