Plenarprotokoll 17/134 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 134. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 I n h a l t : Absetzung der Zusatztagesordnungspunkte 6 und 7 sowie des Tagesordnungspunktes 5 Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Plenarbefassung gemäß des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Drucksache 17/7410) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Barthle (CDU/CSU) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Barthle (CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD) Otto Fricke (FDP) Dr. Barbara Hendricks (SPD) Roland Claus (DIE LINKE) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Tagesordnungspunkt 28: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 (Drucksache 17/4485) b) Antrag der Abgeordneten Florian Hahn, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Lutz Knopek, Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln (Drucksache 17/7184) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Florian Hahn (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 27: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Franz Müntefering, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Der demografische Wandel in Deutschland – Handlungskonzepte für Sicherheit und Fortschritt im Wandel (Drucksache 17/6377) Franz Müntefering (SPD) Dr. Günter Krings (CDU/CSU) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Manuel Höferlin (FDP) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Manfred Behrens (Börde) (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Mechthild Rawert (SPD) Ewa Klamt (CDU/CSU) Sebastian Körber (FDP) Petra Crone (SPD) Michael Frieser (CDU/CSU) Petra Ernstberger (SPD) Tagesordnungspunkt 29: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren (Drucksache 17/7197) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Praxisgebühr und andere Zuzahlungen abschaffen – Patientinnen und Patienten entlasten (Drucksachen 17/241, 17/7152) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Willi Zylajew (CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD) Lars Lindemann (FDP) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stephan Stracke (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme (Drucksache 17/7033) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Abschaffung der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage – § 100 g Absatz 2 Satz 2 StPO) (Drucksache 17/7335) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sebastian Edathy (SPD) Christian Ahrendt (FDP) Manuel Höferlin (FDP) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Unterrichtung: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 – Antrag: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln (Tagesordnungspunkt 28 a und b) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs: – Gesetz zu einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme – … Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung (Abschaffung der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage – § 100g Absatz 2 Satz 2 StPO) (Tagesordnungspunkt 30 a und b) Jan Korte (DIE LINKE) Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 134. Sitzung Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 Beginn: 9.16 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen zunächst zwei Mitteilungen zu machen: (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP ist verloren gegangen!) Erstens. Die für den heutigen Morgen zunächst vorgesehene Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu den Beratungen des europäischen Gipfels ist aus den Ihnen bekannten Gründen abgesetzt. Es gibt eine Vereinbarung der Fraktionen über die Aufsetzung eines neuen Tagesordnungspunktes und über die Vorziehung anderer für den heutigen Tag ohnehin vorgesehener Beratungspunkte. Zweitens. Die FDP-Fraktion hat mir soeben auf dem Weg zum Mikrofon mitgeteilt, dass sie noch Beratungsbedarf habe und deswegen darum bitte, erst in einer halben Stunde mit den Plenarberatungen zu beginnen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Peinlich! – Weitere Zurufe) – Einen Augenblick. Wir haben gestern auf Wunsch verschiedener Fraktionen zu verschiedenen Zeitpunkten das Plenum jeweils unterbrochen. Entweder bleiben wir bei dieser schönen Tradition, dass wir auf Wunsch einer Fraktion, wenn sie Beratungsbedarf hat, einvernehmlich das Plenum unterbrechen, (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) oder wir kommen an dieser Stelle, was ich ausdrücklich nicht empfehle, in die Situation, dass wir in Zukunft darüber durch Mehrheitsbeschluss verfügen. – Ich stelle fest, dass wir einvernehmlich bei der bewährten Tradition bleiben und berufe deswegen das Plenum für 9.45 Uhr ein. Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 9.18 bis 9.45 Uhr) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. – Frau Bundeskanzlerin, wir möchten gerne anfangen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wollen wir die heutige Plenarsitzung mit der Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Plenarbefassung gemäß dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“, der Ihnen auf der Drucksache 17/7410 vorliegt, beginnen. Danach zieht das Plenum des Deutschen Bundestages vorsorglich die Befugnisse des Haushaltsausschusses gemäß § 4 Abs. 4 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes an sich. Anschließend wird die Plenarsitzung mit der Beratung des Tagesordnungspunktes 28, Aktionsplan Nanotechnologie 2015, fortgesetzt. – Dazu kann ich offenkundig Ihr Einvernehmen feststellen. Dann verfahren wir so. Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Plenarbefassung gemäß dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus – Drucksache 17/7410 – Nach dieser gerade genannten interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 30 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Kollege Jürgen Trittin. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle in Europa sind in einer schwierigen Situation. Es zeigt sich, dass die umfassende Schuldenkrise – das ist mehr als eine Staatsschuldenkrise – bis heute nicht bewältigt ist. Es mehren sich die Anzeichen, dass zunehmend auch gegen Spanien und Italien spekuliert wird. Die Gefahr eines Downratings von Frankreich steht bevor. Ich sage sehr deutlich – an dieser Stelle soll klar sein, dass das keine Kritik an der Bundesregierung, an Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, ist –, dass es in dieser Situation eine schlechte Nachricht ist, dass die Widerstände innerhalb der Europäischen Union dazu geführt haben, dass es auf dem Gipfel am Sonntag nicht zu einer Entscheidung kommt. Wir stehen in dieser Situation dazu, dass schnell gehandelt werden muss. Zum schnellen Handeln gehört nach unserer festen Überzeugung, dass die Stabilisierungsfaszilität, die wir in der letzten Sitzungswoche beschlossen haben, ihre Mittel so effizient einsetzt, dass die Spekulation gegen Spanien und Italien abgewehrt werden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage das in dieser Deutlichkeit, weil ich glaube, dass man deswegen um ein bestimmtes Instrument, nämlich die sogenannte Hebelung dieser Mittel, nicht herumkommen wird. Das ist keine neue Botschaft. Das ist vielleicht eine neue Botschaft für Sie, Herr Brüderle. (Rainer Brüderle [FDP]: Ich kenne das!) Sie haben in der letzten Sitzungswoche hier erklärt, diese Hebelwirkung sei mit – ich zitiere – „Massenvernichtungswaffen“ gleichzusetzen. (Rainer Brüderle [FDP]: Das war ein Zitat von Warren Buffett! – Thomas Oppermann [SPD]: So ist es!) – Ja, das war ein Zitat von Warren Buffett. Ihr Wirtschaftsminister hat erklärt, diese Hebelung werde es nie geben. Wir alle wissen, dass es diese Hebelung geben wird. Darauf bezieht sich der Kern unseres Antrages. Wir finden, dass über ein solches Instrument hier im Deutschen Bundestag vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger entschieden werden muss und nicht hinter den verschlossenen Türen eines wichtigen Ausschusses. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das ist der Kern. Wir sagen: Wir werden diesen Hebel brauchen. Wir werden darüber diskutieren müssen, wie ein solcher Hebel auszugestalten ist. Aber wir möchten, dass über diesen Hebel hier entschieden wird, damit sich nicht wiederholt, was wir drei Wochen lang erlebt haben, nämlich dass das, was jetzt kommt, von denjenigen, die die ganze Zeit darüber verhandelt haben, zunächst für unmöglich erklärt wird. Als mein Kollege Schick Ihnen, Herr Schäuble, vor drei Wochen die Frage gestellt hat, ob es Verhandlungen über einen Hebel gibt, haben Sie allein die Frage danach als unanständig und unangemessen bezeichnet. Ich finde, Herr Schäuble, Sie sollten sich hier und heute bei Herrn Schick für diese Äußerung entschuldigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Nun sagen Sie, Sie wollten am Sonntag nicht entscheiden. Das würden wir Ihnen gerne abnehmen. Meine Fraktion würde das, was Sie bisher verhandelt haben, werter Herr Schäuble, auch mittragen, wenn darin nicht schon enthalten wäre, was Sie seit Wochen leugnen, nämlich eben jener Hebel. Sie haben in den Unterlagen, die Sie uns übermittelt haben, ausdrücklich vorgesehen, dass die EFSF diese Anleihen bei Ankäufen auf dem Sekundärmarkt für sogenannte Repo-Geschäfte mit Geschäftsbanken nutzen darf. Für Rückkaufvereinbarungen mit Geschäftsbanken darf sie diese auch für Ankäufe auf dem Primärmarkt nutzen. Das ist nichts anderes als ein Hebel, den Sie schon jetzt in die Guidelines aufgenommen haben, die Sie heute Nachmittag im Haushaltsausschuss beschließen wollen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Unfug!) – Ich habe eben „Unfug“ gehört. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich erkläre Ihnen das gleich!) Ich kann Ihnen berichten, was Banker dazu sagen. Natürlich könnte der Hilfsfonds solche Repo-Geschäfte auch mit Banken abschließen, allerdings würden diese wohl deutlich höhere Sicherheiten fordern, womit der Hebel weniger groß wäre. Das heißt, Sie wollen hier den Weg freigeben. Sie können nicht ausschließen, dass diese Passagen dazu genutzt werden, einen solchen Hebel, falls es keine Einigung über ein anderes Hebelmodell gibt, genau dafür zu verwenden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, ich glaube, dass diese Entscheidung ins Plenum gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deswegen beantragen wir, dass diese Entscheidung unabhängig davon, wie Sie entscheiden, hier getroffen wird. Die Frage der staatspolitischen Verantwortung beantwortet sich darüber, ob die Vertreter des Souveräns ihre Entscheidungen öffentlich vor den Bürgerinnen und Bürgern vertreten und öffentlich treffen. Nehmen Sie diese staatspolitische Verantwortung in dieser schwierigen Krise endlich wahr! (Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Trittin, ich glaube, man muss zuerst wieder Ordnung in die Debatte bringen. (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU) – Was gibt es da zu lachen? Das erschließt sich mir nicht. (Burkhard Lischka [SPD]: Chaosklub!) Erstens. Es ist festzustellen: Die Aufforderung an Herrn Schäuble, sich zu entschuldigen, geht völlig an der Sache vorbei. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Stimmt! Er muss sich auch bei Herrn Schneider entschuldigen!) Sie wissen genau, dass diese Äußerung des Finanzministers in einem Kontext gefallen ist, der ganz anders ist, als Sie es dargestellt haben. (Lachen bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Kontext denn?) Deshalb geht das an der Sache vorbei. Zweitens. Herr Trittin, ich halte es für ziemlich arrogant, hier zu sagen: Wir Grünen wissen ganz genau, was es geben wird und was nicht. Sie sprechen über Dinge, die noch längst nicht verhandelt sind. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Entwurf der Guidelines vorgelegt! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich habe ihn vorliegen!) Deshalb rate ich Ihnen dringend: Beraten Sie sich vielleicht etwas intensiver mit Ihrer Kollegin Priska Hinz, die dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages angehört. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja gemacht!) Sie hat gestern über viele Stunden hinweg alle Debatten verfolgt. Das ist eine kluge Frau mit einer raschen Auffassungsgabe. Dann sind Sie besser beraten und wissen vielleicht besser Bescheid. Was ist der Stand der Dinge? Wir haben gestern von der Bundesregierung den Entwurf dieser Leitlinien bekommen, in denen bestimmt wird, wie die vier neuen Instrumente der EFSF angewandt werden können. Diese vier neuen Instrumente haben wir vor zwei Wochen hier im Deutschen Bundestag – übrigens mit Ihrer Zustimmung – beschlossen. Darin steht, was alles neu gemacht werden kann. Ich brauche das nicht zu wiederholen; aber ich will es kurz referieren: Das sind die Sekundärmarktoperationen, das sind vorsorgliche Kreditlinien, das sind Primärmarktankäufe, und es ist die Bankenrekapitalisierung. Wenn man sich diese Leitlinien, die wir gestern ausführlich im Haushaltsausschuss beraten haben, vor Augen führt, dann kann man feststellen, dass sich in all diesen Punkten die Verhandlungspunkte, die die deutsche Bundesregierung, der deutsche Finanzminister und die Bundeskanzlerin in die internationalen Verhandlungen eingebracht haben, vollumfänglich wiederfinden. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Darüber diskutieren wir heute. Alle Journalisten, die gestern vor dem Sitzungssaal des Haushaltsausschusses versammelt waren, haben begriffen, dass in diesen Leitlinien nichts über einen Hebel gesagt wird. Die Grünen haben es nicht begriffen; denn die Grünen reden jetzt von den sogenannten Repo-Geschäften, die bei den Sekundärmarktaufkäufen als eine Maßnahme innerhalb dieser Leitlinien möglich sind. Nun muss man Ihnen, Herr Trittin, glaube ich, zuerst einmal erklären, was das ist. Repo-Geschäft ist ein Begriff aus dem Geldmarkt. Das ist nichts anderes als eine Aufkaufs- und Verkaufsverabredung unter festen Bedingungen. Die EFSF wird also künftig auf dem Sekundärmarkt tätig sein können und dort Staatsanleihen aufkaufen. Nun kann sie diese Staatsanleihen selbstverständlich auch wieder verkaufen. Wer aufkauft, muss auch verkaufen können. Anders macht das Ganze keinen Sinn. Wer atmet, muss auch ausatmen; sonst platzt er irgendwann. (Burkhard Lischka [SPD]: Das war aber jetzt ein schönes Bild! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die EFSF soll nicht platzen, sondern sie soll handlungsfähig sein. Dazu gehört, dass sie Anleihen zu vorher vereinbarten Bedingungen auch wieder verkaufen und sich dadurch kurzfristig Liquidität beschaffen kann – kurzfristig. Das ist der entscheidende Unterschied, Herr Trittin. Kurzfristige Liquiditätsbeschaffung ist nicht geeignet, um langfristig eine Hebelwirkung zu erzeugen und damit die Wirksamkeit des Rettungsschirms zu vergrößern. Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages haben die Mitarbeiter des Bundesfinanzministers Ihrer Kollegin Frau Priska Hinz gegenüber genau diese Definition bestätigt, und zwar im Beisein des Bundesfinanzministers. Sie müssten es also begriffen haben. Offensichtlich haben Sie es immer noch nicht begriffen; deshalb versuche ich, es Ihnen jetzt noch einmal zu erklären. Repo-Geschäfte sind nicht geeignet, um einen langfristig angelegten Hebel zu erzeugen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, was über Wochen hinweg unter dem Stichwort „Hebel“ in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, hat mit diesem Instrument überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun will ich auf etwas anderes hinweisen, was ich schon bemerkenswert finde: Wir haben vor zwei Wochen – ich glaube, in einem wirklich beispielhaften Vorgang – die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages ausgeweitet und entsprechend gestaltet. Im StabMechG heißt es unter § 4 Abs. 2: Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bedürfen: 1. die Annahme oder Änderung der Leitlinien des Direktoriums der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität durch die Bundesregierung … Uns werden jetzt Leitlinien vorgelegt, über die auf internationaler Ebene schon beraten wurde. Über die können wir abstimmen, und das werden wir auch tun. Wenn es dazu Änderungen gibt, müssen sie uns wieder vorgelegt werden; so steht es im Gesetz. Dann werden wir zuvor zumindest im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages darüber beraten. Falls es notwendig sein sollte, werden wir das selbstverständlich auch im Plenum des Deutschen Bundestages tun. Warum Sie, Herr Trittin, jetzt vorsorglich etwas an sich ziehen wollen, wofür es noch gar keine schriftliche Unterlage gibt und wozu es noch keine Vereinbarung gibt, erschließt sich mir überhaupt nicht; denn damit konterkarieren Sie das Recht, das wir uns selbst ausbedungen haben, damit konterkarieren Sie die Geschäftsabläufe, die wir vorgesehen haben. Das unterminiert unsere Vereinbarungen, anstatt sie zu bestärken. Das ist der Hauptvorwurf, den ich Ihnen mache. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was wir derzeit auf europäischer Ebene und weltweit brauchen, ist Vertrauen. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU) Was Sie hier betreiben, ist nicht geeignet, das Vertrauen auf deutscher Ebene und das Vertrauen in die Bundesregierung zu stärken. (Lachen bei der SPD) Wir brauchen aber gerade in diesen Verhandlungen Vertrauen. Das ist auch Ihre Verantwortung, bei allem Verständnis für Oppositionsspielereien. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn die Bundesregierung auf europäischer Ebene schwierige Dinge durchsetzen will, dann braucht sie den Rückhalt des gesamten Parlaments und kein solches Theater der Opposition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie will doch gar nichts durchsetzen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Priska Hinz das Wort. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Barthle, ich freue mich grundsätzlich, wenn Sie mich loben. Ich halte nur nichts davon, wenn Sie mich zur Kronzeugin einer Falschdarstellung machen wollen, die Sie hier im Plenum geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben gestern im Haushaltsausschuss lange und ausführlich über die sogenannten Guidelines gesprochen; das ist richtig. Allerdings ist das Bundesministerium bei unserem ständigen Bohren in Bezug auf die sogenannten Repo-Geschäfte ziemlich ins Schlingern geraten. Entweder hat der Bundesfinanzminister selber nicht gewusst, was da hineinverhandelt wurde, oder er war irritiert, dass wir ihm auf die Spur gekommen sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oh! Kommissarin Hinz! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Unterstellung!) Das Bundesfinanzministerium musste zugeben, dass diese Repo-Geschäfte dazu dienen können, die Liquidität zu steigern, eine sogenannte kleine Banklizenz zu erwerben, und dass damit natürlich eine Hebelwirkung stattfinden würde. Die Aussage war, dass die EFSF dies wahrscheinlich machen könnte, dass man aber davon ausgeht, dass die EFSF es nicht tut. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Das war die Darstellung des Bundesfinanzministeriums. Im Übrigen sollten wir bis heute Morgen eine schriftliche Klarstellung haben, ob wir das richtig sehen oder ob das Bundesfinanzministerium ausräumen kann, dass dieser Hebel so benutzt wird. Diese Klarstellung liegt uns bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Ich habe schon gestern im Haushaltsausschuss und auf mehrfache Nachfrage Ihrer Kollegen deutlich gesagt: Wir sind bereit, den Guidelines zuzustimmen, und wir sind auch bereit, die Zustimmung dafür zu erteilen, dass es Repo-Geschäfte gibt, wenn ausgeschlossen ist, dass damit eine Hebelwirkung einhergeht; dann müsste dieser Passus umformuliert werden. Wir haben bis zum jetzigen Zeitpunkt keine weitere Aussage des Finanzministeriums, außer dass die Befürchtung besteht, dass eine Hebelwirkung tatsächlich möglich ist, dass das nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher liegen wir völlig richtig, wenn wir sagen: Wir wollen diesen Guidelines zustimmen; aber wenn, wie bislang vorgesehen, eine Hebelwirkung enthalten ist, wollen wir dafür einen Parlamentsbeschluss, denn das ist ein neues Instrument mit neuen Risiken, und darüber muss die Öffentlichkeit informiert werden. Dann sind wir gerne bereit, zu unserer Verantwortung zu stehen und das mit zu beschließen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) hier im Plenum, wo wir auch der Öffentlichkeit nachvollziehbar erklären können, warum diese Erweiterung und diese Hebelung für den Rettungsschirm notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor der Kollege Barthle Gelegenheit zur Replik erhält, möchte ich für den deutschsprachigen Teil der Bevölkerung ergänzen, dass die mehrfach erwähnten Guidelines Richtlinien sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, Herr Präsident! – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Es sind Leitlinien, Herr Präsident!) – Der Bundesminister des Auswärtigen legt Wert auf die Feststellung, dass es sich um Leitlinien handele. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Richtlinien sind was anderes europäisch!) Bitte schön, Herr Kollege Barthle. Norbert Barthle (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – In den uns vorliegenden Leitlinien für die EFSF, die in der Haushaltsausschussdrucksache 3514 dargelegt sind, steht tatsächlich: Nutzung von Anleihen für Repo-Geschäfte mit Geschäftsbanken, um das Liquiditätsmanagement der EFSF zu unterstützen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Das ist genau das, was ich vorhin ausgeführt habe. Die EFSF muss die Möglichkeit haben, sich kurzfristig Liquiditätsvorteile zu verschaffen, um damit ihre Tätigkeiten auf dem Sekundärmarkt entsprechend unterfüttern zu können. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Hebel!) Wenn Sie diese Repo-Geschäfte ausschließen, dann verteuern Sie sozusagen die EFSF, und dann steht weniger Kapital zur Verfügung, um die eigentlichen Aufgaben der EFSF zu erfüllen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist beschrieben, wie der Hebel funktioniert!) Frau Kollegin Priska Hinz, daraus entsteht aber kein Hebel. Ein Hebel würde nur dann entstehen, wenn man das als Kaskadengeschäft dauernd fortführen würde, um damit Liquiditätsreserven unendlich – unendlich geht es zwar nicht, aber ein Stück weit – auszubauen. Sie benutzen eine sophistische Definition des Begriffs „Hebel“, und daran hängen Sie diese Debatte auf. Frau Kollegin Hinz, die Länge Ihrer Kurzintervention zeigt schon, dass Sie vieles zu vernebeln haben. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Burkhard Lischka [SPD]: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gestern hat Ihnen die Bundesregierung im Haushaltsausschuss klipp und klar gesagt, dass in den Vereinbarungen für die Leitlinien genau diese Absicht, die Sie unterstellen, niemals verfolgt wurde und auch nicht verfolgt werden wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kommen selber mit den Begriffen nicht klar!) Die Bundesregierung ist sogar bereit, Ihnen das schriftlich zu geben und noch in die Leitlinien einzuarbeiten. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen und nicht einen Trick dahinter vermuten. Bauen Sie keinen Popanz auf! Dafür gibt es keinen Grund. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Thomas Oppermann. (Beifall bei der SPD) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in der Tat in einer schwierigen Situation, in einer Situation, die dieses Parlament so noch nicht erlebt hat. Zum zweiten Mal ist ein europäischer Gipfel verschoben worden. Die Bundeskanzlerin hat die für heute angekündigte Regierungserklärung zum Gipfel abgesagt. Heute Nachmittag soll in einer nichtöffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses legitimiert werden, über was am Wochenende beim Gipfel verhandelt wird. Da sagen Sie, Herr Barthle, wir sollten Vertrauen in diese Regierung haben. Ich sage Ihnen: Wir haben kein Vertrauen in diese Regierung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist richtig: Über die Leitlinien zum Rettungsfonds wird nach dem Gesetz im Haushaltausschuss entschieden. Als wir aber vor drei Wochen dieses Gesetz im Bundestag verabschiedet haben, sind alle davon ausgegangen, dass Leitlinien eine Art Geschäftsordnung, technische Regeln sind. Aber nach der Verabschiedung des Gesetzes begann eine Debatte darüber, dass in diesen Leitlinien gehebelt werden soll. Die Leitlinien sind jetzt plötzlich der Ort, wo aus den Milliarden, die wir hier beschlossen haben, Billionen werden. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wo steht das über den Hebel? Es steht doch nirgendwo! Wie kommen Sie darauf!) Das berührt selbstverständlich das Ausfallrisiko und das Verlustrisiko. Dieses Verlustrisiko ist eine inhaltliche, materielle Frage und keine Frage, die in einer Geschäftsordnung geregelt werden kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Wo steht das?) Wo kommen wir hin, wenn der Bundestag über Milliarden beschließen darf, aber die Entscheidung über die Billionen im nichtöffentlich tagenden Haushaltsausschuss fällt? (Peter Altmaier [CDU/CSU]: Das tun wir doch gar nicht! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das tun wir nicht!) Sie nähren doch mit diesem Verfahren den Verdacht, dass Sie uns und der Öffentlichkeit etwas unterjubeln wollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Unverantwortlich!) Es kann doch nicht sein, dass wir hier über einen Teil der Richtlinien beschließen und nächste Woche der andere Teil kommt. Diese Richtlinien sind ein Torso. Der Bundesfinanzminister hat gestern im Haushaltsausschuss noch gesagt, das sei der Entwurf eines Entwurfes. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Können Sie wirklich alle Details überblicken, die in diesen Leitlinien geregelt sind? (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Brüderle kann das!) Haben Sie in diesen wenigen Stunden den notwendigen Sachverstand hinzuziehen können, um das jetzt beurteilen zu können? – Nein, meine Damen und Herren, dies ist kein angemessenes Verfahren. Die Debatte über die Leitlinien gehört hier in den Deutschen Bundestag. Vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger muss debattiert und entschieden werden, mit welchem Haftungsrisiko wir in den Rettungsfonds hineingehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dem einmal beschlossenen! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Worauf beziehen Sie sich eigentlich?) Wir stehen zur Euro-Rettung. Wir haben der Entscheidung zum Rettungsschirm zugestimmt. Wir waren auch diejenigen, die gesagt haben, dass die bewilligten Mittel wahrscheinlich nicht ausreichen, um eine Stabilisierung unserer Währung herbeizuführen. Da haben Sie widersprochen. Jetzt wollen Sie in den Leitlinien hebeln. Sie wollen ein Verlustrisiko beschließen, ohne dass die Öffentlichkeit genau weiß, was da passiert. Frau Bundeskanzlerin, sagen Sie uns bitte nicht, Sie stünden jetzt unter Zeitdruck. Auch wir meinen, dass schnell entschieden werden muss, aber Sie hatten alle Zeit der Welt. (Lachen bei der FDP – Otto Fricke [FDP]: In welcher Welt leben Sie?) Statt diese Zeit zu nutzen, haben Sie hier Regierungserklärungen gehalten und der Opposition vorgeworfen, sie betreibe die Vergemeinschaftung der Schulden. Statt Ihre Hausaufgaben zu machen, haben Sie gestern den Bundesfinanzminister und den Vizekanzler vor die Presse treten und unverantwortliche Steuersenkungen verkünden lassen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer inmitten der größten Schuldenkrise, inmitten der größten europäischen Krise Steuersenkungen auf Pump beschließt und damit die Schulden erhöht, der handelt nicht verantwortlich. Deshalb, meine Damen und Herren: Über den Rettungsschirm und über die Richtlinien muss im Parlament entschieden werden. Dies ist der Ort, vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger, die am Ende mit ihren Euros für das haften müssen, was wir hier tun. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Oppermann, ich kann bei den Grünen die Fragen noch nachvollziehen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Die werden wir im Haushaltsausschuss auch weiter beantworten und diskutieren. Ich sage das auch der Kollegin Hinz, weil ich versuchen will, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende auch ein Ergebnis zu bekommen, damit die Regierung mit einem durch das Parlament gestärkten Rücken verhandeln kann. Denn die schwierigste Aufgabe ist nicht hier im Parlament; die schwierigste Aufgabe hat die Bundesregierung, von der jeder in Europa etwas will und die versuchen muss, einerseits Führung zu zeigen und andererseits die anderen mitzunehmen. Aber da liegt unsere Verantwortung, ihr den Rücken zu stärken und das nicht durch falsche Äußerungen, wie es der Kollege Oppermann jetzt wieder versucht hat, kaputtzumachen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Oh!) Herr Kollege Oppermann, der Kollege Trittin hat bewusst nicht das gesagt, was Sie versucht haben, zu sagen; er hat nicht gesagt, dass das Volumen erweitert wird. Ich finde, Sie oder der Kollege Schneider – er ist ja ebenfalls ein erfahrener Haushälter, also auch dem Grundsatz von Klarheit und Wahrheit verpflichtet – sollten das noch einmal klarstellen. Das Volumen, mit dem der deutsche Steuerzahler maximal haftet, wird durch die Guidelines nicht erhöht, kann durch die Guidelines auch nicht erhöht werden, weil die Leitlinien diese Möglichkeit nicht geben. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das hat niemand behauptet!) Sie wissen es doch ganz genau, dass über die Frage einer Volumenerweiterung immer nur – das ist auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts so – das Parlament entscheiden kann. (Manfred Zöllmer [SPD]: Eben!) Deswegen sollten wir nach außen zumindest klarstellen: Was auch immer passiert, welcher Hebel oder welche Änderungen oder welche Optimierungen kommen, eine Erhöhung des Risikos für den deutschen Steuerzahler – im Sinne eines höheren Volumens – wird es darüber nicht geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Keinen Cent mehr!) Zu der Frage, die dann von Ihnen angedeutet worden ist und die wir alle im Kopf haben: „Erhöht sich das Risiko, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit?“, sage ich Ihnen: Wenn Sie das wissen, sind Sie wahrscheinlich klüger als der Rest des Parlaments. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt verleugnen Sie aber Ihren Intellekt! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Mathematik!) Dann wollen wir doch einfach einmal eine Sache festhalten. Das Problem, mit dem wir uns jetzt seit mehreren Jahren beschäftigen, ist: Wie sorgen wir dafür, dass einerseits die Rettungspakete so groß sind, dass sie zur Ruhe führen, aber andererseits auch so klar bedingt sind, dass das Spiel der Neuverschuldung auf anderer Ebene, in den Peripherieländern, nicht weitergeht? Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Fricke, darf die Kollegin Hendricks eine Zwischenbemerkung machen? Otto Fricke (FDP): Ich würde diese Ausführung gern erst beenden. Danach gern. Wenn der Schirm ohne die Maßnahmen Dritter zu klein ist, dann würde er am Ende nichts nützen. Wenn er groß genug wird, indem wir andere dazu bringen, in Risiken zu gehen, dann brauchen wir am Ende überhaupt nichts zu zahlen. Daher ist die Frage, wie sich dieses Risiko auswirkt, von Ihnen und von uns auch nicht zu beantworten. Am Ende wird es eine einzige Frage geben: Sind wir durch die Verhandlungen, die die Bundesregierung führt, in der Lage, den Ländern, die eine andere Finanzmentalität als die Deutschen, die Niederländer oder die Finnen haben, klarzumachen, dass es so nicht weitergeht? Denn eines möchte diese Koalition nicht: dass wir im Falle einer Krise so reagieren, wie es Rot-Grün damals getan hat. Sie haben nämlich gesagt: Wir weichen die Regeln einfach auf. Dann sind wir alle wieder glücklich. – Das ist der Kampf, den diese Koalition und diese Regierung gegenwärtig in Europa führen. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung und keine falschen Aussagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte sehr, Frau Hendricks. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herr Kollege Fricke, ich stimme Ihnen darin zu, dass das Risiko für die Bundesrepublik Deutschland durch den aufgespannten Schirm auf 211 Milliarden Euro begrenzt ist. Stimmen Sie mir im Gegenzug zu und räumen dies auch vor der Öffentlichkeit ein, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos innerhalb der 211 Milliarden Euro durch eine wie auch immer geartete Hebelung erhöht wird? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Otto Fricke (FDP): Frau Kollegin, ich habe eben bereits versucht, dies darzustellen. Es gibt viele Möglichkeiten. Wenn der Schirm die richtige Größe hat – in diesem Punkt würden Sie mir wieder zustimmen –, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was ist denn die richtige Größe?) dann können wir dafür sorgen, dass im Falle der Insolvenz eines Mitgliedstaates eine Beruhigung auf den Märkten eintritt und es nicht zu Verlusten kommt; ich denke, darin sind wir uns beide einig. Wenn der Schirm aber zu klein ist, dann kommt es zu einem Vollverlust. Von daher kann man nicht sagen, dass sich das Risiko erhöht oder verändert. Wir versuchen, mithilfe einer Maßnahme gerade zu erreichen, dass sich das Risiko nicht verwirklicht. (Thomas Oppermann [SPD]: Das haben wir Ihnen vorletzte Woche schon gesagt! – Weitere Zurufe) – Ja, ich weiß. Komplexe Antworten sind unangenehm. Das ist an dieser Stelle einfach so. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist nur der Nachweis Ihrer Unkomplexität!) Ich möchte an dieser Stelle eines festhalten: Warum debattieren wir hier heute eigentlich? Wir debattieren deswegen, weil wir ein Gesetz beschlossen haben, dem die Grünen und die SPD zugestimmt haben, in dem wir gesagt haben: Wir übernehmen eine Verantwortung, die dem Parlament in keinem anderen Land zugebilligt wird. Wir als Koalition – nicht die Opposition – haben eine Parlamentsbeteiligung durchgesetzt, Herr Kollege Trittin. (Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] führt ein Gespräch mit Abg. Thomas Oppermann [SPD]) – Herr Kollege Trittin, Sie erklären das dem Kollegen Oppermann jetzt wahrscheinlich noch einmal; das ist auch nicht schlecht. – Diese Parlamentsbeteiligung sorgt dafür – das ist das Wichtige –, dass wir die Sachen im Detail besprechen. Wenn es um das Volumen, also den Haushalt selber, geht, ist das Sache des Parlaments. Wenn es um technische Vorgänge geht, ist das Sache des Ausschusses. Der Frau Kollegin Hinz möchte ich sagen: Was wollen wir heute im Haushaltsausschuss machen? Wir wollen die von Ihnen zu Recht gestellten Fragen beantworten. Die Regierung muss eine entsprechende Vorlage machen. Ich bin mir sicher, dass der gegenwärtig im Sonnenlicht sitzende Parlamentarische Staatssekretär Kampeter diese strahlend präsentieren wird. Herr Kollege Oppermann, ich möchte noch Folgendes festhalten: Jede Veränderung der Leitlinien muss durch den Haushaltsausschuss. Das gilt nicht nur für den Beschluss der Basis, sondern auch für den Beschluss einer eventuellen Erweiterung oder einer eventuellen Veränderung. Das werden wir in den nächsten Jahren wiederholt machen müssen. Das ist das Wasserdichte dabei. Wir sorgen dafür, dass das Parlament in jedem Fall auf der jeweils zuständigen Ebene einbezogen wird. In Richtung der SPD möchte ich noch sagen: Was ist Ihr eigentliches Ziel? Darüber redet hier keiner gerne. Sie möchten weitere Abstimmungen. Ich bin mir sicher, dass Sie für die nächste Woche am liebsten auch schon wieder eine namentliche Abstimmung haben wollen, obwohl es darum gar nicht geht. (Thomas Oppermann [SPD]: Ist das so schlimm? Haben Sie Angst davor?) – Dann sind wir uns einig, Herr Oppermann. Danke, es ist gut, dass wir das festhalten. Wir brauchen keine namentliche Abstimmung. Wir brauchen auch keine Kanzlermehrheit. (Lachen bei der SPD) Das alles ist in der nächsten Woche nicht notwendig. Ich finde es sehr gut, dass Sie dem zustimmen. Das können wir ja schon einmal festhalten. (Manfred Zöllmer [SPD]: Eigentor! – Thomas Oppermann [SPD]: Es muss ihm aber schlechtgehen, dass er so laut pfeifen muss!) Herr Kollege Oppermann, ich möchte einmal das wahre Verhalten der SPD aufzeigen. Voraussetzung für ein Handeln des Parlaments wäre das Neuner-Gremium gewesen. Was aber hat die SPD gemacht? Sie sagt: Nein, in Bezug auf das Neuner-Gremium können wir diese Woche leider nicht entscheiden. Wir wissen zwar schon seit drei Wochen, dass wir das wählen müssen, aber wir können noch nicht entscheiden. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Es gibt die Woche nichts zu entscheiden!) Die ehrliche Beantwortung der Frage ist doch: Sie versuchen, hier zu verzögern; Sie versuchen, Politik zu machen. Sie vergessen dabei leider Europa. (Thomas Oppermann [SPD]: Aber Sie haben das voll im Auge!) Das wird diese Koalition eben nicht tun. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke redet jetzt der Kollege Roland Claus. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Barthle, Ihre erkenntnisreiche Aufklärung über die Geheimnisse der Atemtechnik veranlasst mich zu der schlichten Bemerkung: Bei dieser Koalition ist einfach die Luft raus. (Beifall bei der LINKEN) Die Beratung des Antrags der Bündnisgrünen – das gehört auch zur Wahrheit – sollte ja zunächst verhindert werden. Dabei muss hier daran erinnert werden, dass sich die Grünen auf eine Regierungserklärung verlassen haben und dachten: Dazu können wir einen Vorschlag machen. Eine angesetzte Regierungserklärung – so könnte man ja annehmen – ist sicher wie eine Staatsanleihe. – Dabei sind die Grünen reingefallen. Man darf auch nicht ausblenden, dass sie diesem Gesetz zur neoliberalen Version der Euro-Rettung zugestimmt haben. Ausgetrickste reagieren bekanntlich empfindlich. Worum geht es hier? Wichtige Entscheidungen für die Europäische Union stehen an. In Griechenland eskaliert die Gewalt. Von heute bis Sonntag tagen die EU-Regierungen nahezu permanent. Das Parlament erwartet Klarstellung. Dafür taugt eine Regierungserklärung. Die bleibt hier aus. Warum? Deutschland und Frankreich können sich nicht einigen, in welches Kasino sie gehen wollen. Denn – um das einmal so deutlich zu sagen – „Hebel“ heißt doch nichts anderes als: Mach aus 1 Euro 3 Euro durch Beteiligung am spekulativen Finanzmarkt! Frankreich will den Hebel durch eine Banklösung, Deutschland durch eine Versicherungslösung. Die Frage ist also, weshalb hier eine Regierungserklärung ausbleibt. Zocken wir so oder so? Da kann man doch nur sagen: Wo leben wir denn? Das kann ein Parlament doch nicht hinnehmen! (Beifall bei der LINKEN) Weil Deutschland und Frankreich sich nicht einigen können, welches Kasino besser ist, wird hier einfach entschieden, dass Volk und Parlament nicht informiert werden. Das ist nicht akzeptabel. Nun sagt die CDU/CSU ebenso wie die FDP: Die Risikosumme bleibt gleich. Das mag ja stimmen. Es macht aber verdammt noch mal einen Unterschied, ob ich das Geld solide anlege oder ob ich es auf den spekulativen Märkten anlege und den gleichen Weg gehe, der vor 2008 in den USA beschritten worden war, was dann völlig schiefgegangen ist. Das muss man Ihnen einmal so deutlich sagen. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke wird dem Antrag der Bündnisgrünen zustimmen. Allerdings hätten wir etwas mehr Demut oder wenigstens Selbstkritik erwartet. Liebe Bündnisgrüne, man kann nicht mit der CDU in einem Boot auf hohe See gehen und dann zugleich die Piraten geben wollen. Das glaubt euch doch keiner. (Beifall bei der LINKEN) Wenn man dann denkt, der Gipfel der Verwirrung sei erklommen, dann hat man die FDP unterschätzt, die in einer solchen Situation – sekundiert vom Bundesfinanzminister – doch ernsthaft Steuersenkungen einfordert. Eine völlig verantwortungslose Politik, meine Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN) So kann es hier nicht weitergehen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Oppermann wie der Kollege Trittin haben eingangs ihrer Reden davon gesprochen, dass wir uns in einer ernsten Situation befinden würden. Umso weniger habe ich dafür Verständnis, dass Sie einen Popanz aufbauen, eine Vortäuschung falscher Tatsachen vornehmen, um hier eine Scheindebatte loszutreten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich denke, wir alle sollten uns so weit ernst nehmen, dass wir unserer Verantwortung in dieser Situation gerecht werden wollen. Deswegen haben wir vor wenigen Wochen das Gesetz beschlossen, das die Parlamentsrechte deutlich stärkt. Wir wollen diese Verantwortung ernst nehmen. Das würde doch niemand abstreiten wollen. Gestern – das war im Haushaltsausschuss schon zu merken – hat man immer wieder versucht, künstlich etwas in die sogenannten Leitlinien hineinzuinterpretieren, was darin nicht enthalten ist. Insofern müssen wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Der Bundesfinanzminister hat gestern im Haushaltsausschuss ausdrücklich erklärt, dass über die Frage, wie die Wirksamkeit der Instrumente erhöht werden kann, weiter verhandelt werden muss und dass er danach entsprechend dem Gesetz, das wir verabschiedet haben, selbstverständlich erneut auf das Parlament zukommen wird; nichts anderes hat Schäuble gestern im Haushaltsausschuss gesagt und in Aussicht gestellt. Es versteht sich von selbst, dass die Bundesregierung gesetzestreu ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist doch nicht verboten, darüber nachzudenken, wie man einen vereinbarten Gewährleistungsrahmen so nutzen kann, dass er die höchstmögliche Effizienz erhält; es ist aus meiner Sicht sogar die Aufgabe, darüber nachzudenken. Die Erhöhung der Effizienz, die Verbesserung der Wirksamkeit, hat noch lange nichts mit dem zu tun, was man klassischerweise als Hebel oder, wie es im Englischen heißt, als Leveraging bezeichnet. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht die Commerzbank anders!) Die Situation würde sich verändern – da kann ich die Frage von Frau Hendricks durchaus verstehen –, wenn eine Haftungskaskade eingeführt würde. In diesem Falle müsste der Vorgang von uns im Parlament sicherlich neu bewertet werden. Ich denke, auch darüber gibt es keinen Dissens. Ich will auf den Beitrag des Kollegen Oppermann zurückkommen. Herr Oppermann, Sie haben sich in zwei Sätzen dreimal widersprochen: Sie haben in Richtung der Bundeskanzlerin gesagt, sie habe alle Zeit der Welt gehabt. Einige Sätze später haben Sie gesagt: „inmitten der größten Schuldenkrise, inmitten der größten europäischen Krise“. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie hat sie mit herbeigeführt!) Irgendwie passt das nicht zusammen. (Thomas Oppermann [SPD]: Doch!) Wenn wir eine krisenhafte Situation haben, dann muss sehr schnell krisenorientiert und sachgerecht gehandelt werden. (Thomas Oppermann [SPD]: Aber nicht krisenverschärfend!) Wenn wir wollen, dass die deutschen Positionen durchgesetzt werden – da haben Sie sich von dem, was eigentlich gute Parlamentstradition ist, verabschiedet –, dann können Sie hier nicht erklären, Sie entzögen der Bundesregierung sozusagen das Vertrauen. Wenn wir wollen, dass die deutschen Positionen, über die wir uns weitestgehend einig sind, durchgesetzt werden, dann müssen wir, wie es Kollege Barthle und Kollege Fricke schon gesagt haben, der Bundesregierung den Rücken stärken, in unserem ureigenen Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Natürlich nehmen wir unsere parlamentarischen Mitwirkungsrechte sehr ernst; wir haben sehr viele Entscheidungen ins Parlament zurückgeholt. Auf der anderen Seite stärken wir der Regierung nicht den Rücken, wenn wir nicht auch ein Mindestmaß an Vertrauen gegenüber denjenigen aufbringen, die für uns auf der politischen Bühne in Brüssel und anderswo verhandeln. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das Vertrauen haben Sie selbst zerstört!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist viel von „Vertrauen“ die Rede gewesen. Es ist richtig: Es geht nicht nur um das Vertrauen des Parlaments in die Regierung und ihre Aussagen, sondern auch um Vertrauen darauf, dass die Handlungen der Regierung in Europa zu einem Ziel führen, durchdacht sind und gemeinschaftlich angegangen werden. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, dieses Vertrauen kann man nach der am gestrigen Nachmittag erfolgten Absage der Regierungserklärung nicht mehr haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Barthle und Kollege Kalb, Sie erwarten von uns, der Opposition, dass wir der Bundesregierung, die den Namen nicht wirklich verdient, den Rücken stärken, obwohl Sie selbst ihr permanent in den Rücken fallen. Das ist nicht wirklich Aufgabe der Opposition. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben gesagt: Wir stehen hier für ein wehrhaftes Europa. Wir haben dem Euro-Rettungsfonds trotz dieser Regierung zugestimmt, aber gesagt: Es muss klar sein, worüber wir abstimmen. Ich habe, wie der Kollege Schick, im Haushaltsausschuss und hier im Plenum an Herrn Schäuble die Fragen gerichtet: Gibt es eine Hebelung oder nicht? Denken Sie darüber nach, die Mittel zu hebeln? – Eine Hebelung bedeutet nicht, die Mittel nur zu effektivieren; das ist ein Euphemismus. Letztendlich bedeutet eine Hebelung, dass man, wie es der Kollege Claus gesagt hat, wieder ins Kasino geht. Denn eine CDO ist nichts anderes als eines dieser Produkte, die wie Massenvernichtungswaffen wirken. Da haben Sie, Herr Brüderle, gesagt: Auf gar keinen Fall! – Sie haben es geleugnet. Der Bundestag, die Öffentlichkeit und die Kollegen hatten den Eindruck, das alles gebe es gar nicht. Währenddessen ist auf der IWF-Jahrestagung insgeheim darüber verhandelt worden. Das ist der eigentliche Skandal, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Frage ist doch: Reicht das Volumen von insgesamt 440 Milliarden Euro aus, um überzeugende Signale an die Finanzmärkte zu geben? Die klare Antwort lautet: So, wie es ist, nein. – Das haben wir schon von Anfang an gesagt. Sie haben doch nur, damit Sie noch halbwegs eine Mehrheit in dieser Stümperkoalition zusammenbekommen, nichts mehr gesagt. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU) Sie haben das durch den Bundestag gepeitscht, ohne darauf einzugehen, dass Sie schon über eine Hebelung, über eine Risikoausweitung der deutschen Haftung verhandelt haben. Es darf nicht sein, dass diese Diskussion nur im Haushaltsausschuss unter „ferner liefen“, fernab der Öffentlichkeit, geführt wird, sondern es muss so sein, dass die entsprechenden Entscheidungen hier im Bundestag getroffen werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es ist vollkommen klar, dass, wenn Sie ein Volumen in fünffacher Höhe der Fondsmittel generieren wollen, damit auch ein höheres Risiko einhergeht. Das wird Ihnen auch jeder Ökonom sagen. Ich würde gerne das eine oder andere Instrument bewerten, aber uns liegt dazu bis heute noch nichts vor. Das ist der wahre Skandal. Bis heute hat Herr Schäuble nichts weiter dazu gesagt, als dass es Verhandlungen gibt. Das ist nicht akzeptabel. Das ist nicht überzeugend und führt zu weiterer Verunsicherung. Für uns stellt sich jetzt die Frage: Stimmen wir den Richtlinien in der Fassung, wie sie uns seit gestern Mittag auf Deutsch vorliegen, heute in einer noch schnell einberufenen Sitzung zu? Die neuen Richtlinien liegen mir bislang nicht vor. Angeblich sollen sie noch kommen. Bei dem, was wir gestern bekommen haben, handelte es sich nur um einen Entwurf des Entwurfs. (Zuruf von der SPD: Genau!) Nun zu den Repo-Geschäften. Man wird gegenüber dieser Regierung bösgläubig. Man wird auch, wenn man all das sieht, gegenüber der EZB bösgläubig. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Wir werden nur bei Carsten Schneider bösgläubig!) Warum kann die EZB Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen? Weil es in den Verträgen nicht ausdrücklich verboten wurde. Deswegen schauen wir uns ganz genau an, was in diesen Richtlinien steht. Jetzt kann das Finanzministerium hundertmal sagen, man wolle nur für Liquiditätsgeschäfte zusätzliche Ausleihungen ermöglichen. Rechtlich verboten ist es allerdings nicht, auch in anderen Fällen zu hebeln. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) So wie Sie hier die ganze Zeit das Parlament, die Öffentlichkeit und die eigene Koalition an der Nase herumführen, tun Sie es auch in diesem Punkt. Deswegen sagen wir: Nur wenn das klargestellt ist, nur wenn der Bundestag darüber entscheidet und abstimmt, nur dann ist es möglich, die Tragweite wirklich zu begreifen und auch die Öffentlichkeit angesichts all dieser Milliardensummen halbwegs aufzuklären und mitzunehmen. Das ist ja sowieso schon schwer genug. Dieses Signal muss also vom Bundestag ausgehen. Deswegen stimmen wir dem Antrag der Grünen zu. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7410 mit dem Titel „Plenarbefassung gemäß des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 a und b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Aktionsplan Nanotechnologie 2015 – Drucksache 17/4485 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Hahn, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Lutz Knopek, Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln – Drucksache 17/7184 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich darf diejenigen, die an dieser Debatte nicht mehr teilnehmen können oder wollen, bitten, entweder den Plenarsaal zu verlassen oder auf andere Weise für eine geordnete Debatte Sorge zu tragen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Rachel. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steht ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Uns fordert der Klimawandel. Wir haben die Energiewende eingeläutet, und wir spüren die ersten Auswirkungen der demografischen Entwicklung. Es ist die Nanotechnologie, die hier wie kaum eine andere Technologie Chancen bietet. Ich nenne Energieversorgung und Ressourcenschonung als Beispiele. Moderne Gebäudetechnik, zum Beispiel Dämmstoffe oder energiesparende Beleuchtungstechnologien, ist ohne nanotechnologische Materialien nicht denkbar. Auch die Verfügbarkeit seltener Rohstoffe ist ein großes Problem. Auch wenn in diesem Bereich noch viel Forschungsbedarf besteht, so ermöglichen Nanomaterialien zukünftig die Nutzung von Einsparpotenzialen und werden ein Ersatz für seltene Rohstoffe sein. Das Besondere und Spannende bei Nanomaterialien ist, dass ein Material in dieser kleinsten Dimension eine neue Eigenschaft und eine neue Funktionalität gewinnt. Wir wollen die technologischen Innovationen nutzen und damit zur Standortsicherung in Deutschland beitragen. Deshalb ist die Nanotechnologie ein wichtiger Bestandteil der Hightech-Strategie der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir können die Chancen, die uns die Nanotechnologie bietet, allerdings nur dann verantwortlich nutzen, wenn die Anwendung der Nanotechnologie sicher ist, sodass keine negativen Auswirkungen für die Gesundheit der Menschen oder die Umwelt entstehen können. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung den „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“ beschlossen, der sechs Aktionsfelder umfasst. Erstens. Wir wollen die Forschung und den Technologietransfer fördern. Wir müssen die Lösung der globalen Herausforderungen angehen. Ohne Zweifel kann die Nanotechnologie wesentlich zur CO2-Einsparung beitragen. Im Bereich der diagnostischen und therapeutischen Ansätze in der Medizin oder im Bereich der Elektromobilität werden wir nur mithilfe von Nanotechnologie weiterkommen. Deshalb hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Nanotechnologie mit 400 Millionen Euro im Rahmen von Projekten und institutionell unterstützt. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 50 Prozent gegenüber den Ausgaben im Jahr 2006. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens. Wir möchten die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sichern. In Deutschland sind bereits über 960 Unternehmen mit der Nanotechnologie beschäftigt. 63 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben hier ihre berufliche Grundlage. 75 Prozent dieser Unternehmen sind kleine oder mittlere Unternehmen. Sie haben wir fest im Blick. Die meisten von ihnen sind jung. Der größte Teil, zwei Drittel, wurde erst nach 1990 gegründet. Weil das so ist, haben wir mit dem Förderprogramm „KMU-innovativ“ ein Flaggschiff aufgebaut, um die kleinen und kleinsten Unternehmen besonders zu fördern. Drittens: internationale Kooperation. 90 Prozent des Wissens weltweit entstehen nicht in Deutschland. Es muss unser Ziel sein, dass wir am entstehenden Wissen teilhaben. Umgekehrt muss Deutschland sein Wissen zur Verfügung stellen, wenn es beispielsweise darum geht, die Ergebnisse zu den Auswirkungen von Nanomaterialien auf Mensch und Umwelt auf internationaler Ebene zusammenzufassen. Im Rahmen der OECD liefert Deutschland deshalb konkrete Daten über industriell gefertigte Nanomaterialien wie Nanosilber und Titandioxid. Viertens: Risiken der Nanotechnologie erforschen. Natürlich bewegen uns die Themen Gesundheitsschutz, Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ganz unmittelbar. Zumindest eine Antwort hat uns die Forschung in der Vergangenheit schon gegeben: Nano per se ist kein Hinweis auf ein Risiko. Nein, es müssen stets die chemische Zusammensetzung, die Struktur und die Konzentration eines Stoffes berücksichtigt werden. Erst dann kommen wir zu klaren Aussagen. Wir werden deshalb die Forschungen zu Auswirkungen auf die Menschen und die Umwelt sowie zum Arbeitsschutz fortsetzen; „Nanosilber“ und „Kohlenstoffnanoröhrchen“ nenne ich hier als Stichworte. Wir werden dies nicht nur unter technologischen Gesichtspunkten tun, sondern auch unter ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten. Um eine Zahl zu nennen: Die Mittel für die Risiko- und die Begleitforschung belaufen sich derzeit auf 14 Millionen Euro im Jahr. Gegenüber dem Jahr 2006 ist dies ein Anstieg von über 60 Prozent seit dem Amtsantritt von Bundesforschungsministerin Annette Schavan. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fünftens: Kommunikation intensivieren und Dialog führen. Für uns ist es selbstverständlich, dass wir mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Chancen, die Risiken und Fragen zur Nanotechnologie sprechen und diskutieren. Wir haben dazu verschiedene Foren, beispielsweise nanoTruck als ein wichtiges Instrument mit neuem Gesicht, eingerichtet, um die Menschen anzusprechen. Mit NanoNature und NanoCare stellen wir uns der Diskussion. Sechstens. Wir möchten die Rahmenbedingungen verbessern und weiterentwickeln. Ein wichtiges Stichwort ist in diesem Zusammenhang das Thema Regulierung, das, wie Sie wissen, weitgehend auf europäischer Ebene, was auch Sinn macht, diskutiert wird. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Sehr richtig!) In diesen Tagen hat die EU-Kommission erstmalig – das war dringend notwendig – eine Definition für Nanomaterialien vorgelegt. Grundlage ist die Größe der konstituierenden Partikel von 1 bis 100 Nanometer. Diese Definition, die uns endlich ein gemeinsames Verständnis in Europa gibt, schließt natürliche und künstliche Materialien ein. Diese Definition ist eine wichtige Grundlage, die es uns ermöglicht, die Regelwerke anzupassen und zum Beispiel die Chemikalienrichtlinie zu überarbeiten. In diesem Zusammenhang wird immer wieder über Produktregister und eine generelle Kennzeichnungspflicht gesprochen. Wenn wir über ein übergreifendes Produktregister sprechen, sollten wir uns vor Augen führen, dass es bereits eine Vielzahl von sektorspezifischen Registrierungs- und Zulassungspflichten gibt, und zwar für Chemikalien, Lebensmittelzusatzstoffe, Lebensmittelkontaktmaterialien, Kosmetika, Biozidprodukte und Pflanzenschutzmittel, um nur einige zu nennen. Natürlich fallen die Nanomaterialien und entsprechende Produkte unter diese spezifischen Regelungen. Der Aktionsplan der Bundesregierung zielt darauf, sektorspezifische Regelungen zu prüfen und dort, wo die Eigenschaften von Nanomaterialien und produkten nicht ausreichend berücksichtigt werden, auf europäischer Ebene an notwendigen Anpassungen mitzuarbeiten. Mancher fragt sich: Macht es Sinn, alle Nanoprodukte zu kennzeichnen? Die entscheidende Frage lautet: Was leistet eigentlich eine solche Kennzeichnung? Im Einzelfall und bezogen auf die jeweiligen spezifischen Produktklassen kann eine solche Kennzeichnung sachgerecht sein. Ich möchte Kosmetika als Beispiel nennen. Die besondere Relevanz von Kosmetika für uns Verbraucherinnen und Verbraucher liegt auf der Hand. Hier macht eine sektorspezifische Kennzeichnung ohne Zweifel Sinn. Aber welchen Sinn macht es eigentlich, wenn auf einem Laptop wegen der Elektronik „Nano“ steht oder wenn auf einem Brillenglas wegen der Beschichtung „Nano“ vermerkt ist? Nein, Nano an sich ist weder eine Qualitätsaussage noch ein geeigneter Warnhinweis. Daher ist die Position der Bundesregierung, die auch in den Aktionsplan Eingang gefunden hat: die Kennzeichnung nach Produktklassen prüfen und im Lichte neuer Erkenntnisse gegebenenfalls auf europäischer Ebene handeln. – Das ist ein vernünftiges und sachgerechtes Vorgehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, Sie sehen daran: Mit dem Aktionsplan zur Nanotechnologie sind wir breit aufgestellt. Wir wollen die verschiedenen Facetten der Nanotechnologie berücksichtigen, von der Forschungsförderung über die Frage der wirtschaftlichen Verwertung in den Betrieben, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer kleinen und mittelständischen Unternehmen zu erhöhen und um Arbeitsplätze am Standort Deutschland zu sichern, bis hin zu Risikobetrachtung und Kommunikation mit der Bürgerschaft. In diesem Sinn wollen wir die Potenziale der Nanotechnologie nutzen, und zwar auf verantwortliche und sichere Weise. Dafür investieren wir in Forschung und Entwicklung und haben die Mittel seit 2001 verdoppelt. Es ist unser Ziel, die Nanotechnologie für und in Deutschland zu einem Erfolg zu machen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Bundeskanzlerin einmal eine Regierungserklärung absagt, damit ich zu Nanotechnologie reden kann. (Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Das könnte man fast lustig finden, wenn das Ganze nicht so traurig wäre. Es zeugt von der dramatischen Situation, in der sich die Regierung befindet, dass das nötig wurde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das kann man wohl sagen!) Herr Hinsken, die Geschäftsordnung verlangt, dass wir jetzt nicht über die große Finanzproblematik reden, sondern über die kleinsten Teile, mit denen wir umgehen, über Nanotechnologie und den Aktionsplan der Bundesregierung. Das wollen wir dann auch tun. Der Bundestag war in den letzten Tagen Ausrichter und Gastgeber einer Konferenz der Büros für Technikfolgenabschätzung in Europa. Einige von uns waren dabei. Ein geladener Gast aus dem österreichischen Umweltministerium hat im Zusammenhang mit Nanotechnologie gesagt, dass ein Aktionsplan einer Regierung sinnvoll sei, weil er eine Positionsbestimmung für diejenigen sei, die sich mit dem Thema befassen. Das ist richtig. Deswegen begrüßen wir, dass der Aktionsplan der Bundesregierung vorgelegt worden ist. Die Erstellung des Berichts war eine Fleißarbeit; das ist schon angeklungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMBF sind durch die Labore gegangen und haben sich Anträge und Projekte angeschaut. Sie haben zusammenfassend aufgeführt, was alles mit Nanotechnologie möglich ist, welches Potenzial sie bietet, was geleistet werden kann: von der beweglichen Solarzelle über die „Bewältigung potenzieller Folgen bei Großunfällen“ bis zur „intelligenten Straße“. Nebenbei: Mir sind intelligente Autofahrer immer noch lieber. Diese Aufstellung zeigt aber in der Tat das große Spektrum und die Chancen auf, die die Nanotechnologie bietet. An der einen oder anderen Stelle wurde vielleicht ein bisschen zu viel unter Nanotechnologie eingeordnet, aber das sei verziehen. Das ist eine ausreichende und, wie ich finde, gute Bilanz. Erlauben Sie mir eine Bemerkung, weil in den politischen Debatten mitunter der Eindruck entsteht, als sei die Politik für diese tollen Forschungsprojekte, diese Ideen und Erfindungen verantwortlich. Das ist nicht der Fall. Man muss ganz klar sagen: Die Beispiele, die in solchen Berichten genannt werden, sind das Ergebnis der Arbeit der Forscherinnen und Forscher. An dieser Stelle ist es angebracht, die große Leistung der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu loben und anzuerkennen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie werden mir nachsehen, dass ich an diesem Aktionsplan nicht viel zu mäkeln habe. Das ist einfach so. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]) Ich finde, darin steht viel Richtiges. Auch die aufgezeigten Wege sind sicherlich richtig. Da gibt es wenig zu mäkeln. Wenn man den Aktionsplan unter dem Gesichtspunkt einer Positionsbeschreibung, wie der österreichische Wissenschaftler das formuliert hat, bewertet, dann stellt man allerdings fest, dass ein paar Fragen offenbleiben. Zur Kennzeichnung haben wir bereits einiges gehört. Den Bereich Produktregister zum Beispiel finde ich durchaus ausbaufähig. Der Aktionsplan, über den wir heute beraten, ist ein paar Monate alt. Er ist Anfang des Jahres veröffentlicht worden. Ich finde es spannend, dass wir in diesem Zusammenhang auch über einen Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln“ beraten. Ich habe gedacht, wenn es einen Antrag gibt, mit dem das Ziel verfolgt wird, den Aktionsplan der Bundesregierung weiterzuentwickeln, dann enthält er vielleicht Antworten auf die offenen Fragen im Aktionsplan, oder wir finden darin etwas Neues. Erstaunlicherweise finde ich in diesem Antrag überhaupt nichts Neues, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen. Das ist eine Verbeugung vor der Regierung; mit dieser Feststellung können Sie umgehen. Das ist eine Inhaltsangabe des „Aktionsplans Nanotechnologie 2015“. Ich habe gehofft, dass Sie wenigstens eine Schwerpunktsetzung vornehmen, aber nicht einmal das ist der Fall. Diesen umfangreichen Antrag hätten Sie sich sparen können; denn er gibt nur das wieder, was bereits im Aktionsplan steht. Ich möchte die längere Redezeit, die mir zur Verfügung steht, weil die Debattenzeit verlängert wurde, nutzen, um ein paar Ihrer revolutionären Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag mutig an die Regierung richten, aufzugreifen: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Stärkung der Nanotechnologie im Rahmen des nationalen Aktionsplans … weiter voranzutreiben. Alle Achtung! Die Bundesregierung hat jetzt also den Auftrag, ihren Plan weiter voranzutreiben. Die Bundesregierung wird weiter aufgefordert, eine „geeignete Definition des Begriffs Nanotechnologie zu erreichen“. Das ist ein wichtiger Punkt. Dies wurde aber schon längst gefordert. Sie, Herr Staatsekretär, haben deutlich gemacht, dass die Europäische Kommission bereits eine Definition des Begriffs „Nanotechnologie“ vorgelegt hat. Interessanterweise haben aber gestern diejenigen, die sich mit Technikfolgenabschätzung befassen, deutlich gemacht – dies entspricht nicht Ihrer Einschätzung –, dass die von der Kommission vorgelegte Definition für mehr Verwirrung als für Klarheit sorgt. Sie fordern die Bundesregierung des Weiteren auf – das ist sehr mutig –, die „gezielte KMU-Förderung im Bereich Nanotechnologie fortzusetzen und weiter zu stärken“. Ich habe im Aktionsplan nicht gelesen, dass die KMU-Förderung beendet werden soll. Warum fordern Sie dann in Ihrem Antrag ihre Fortsetzung? Ich gehe davon aus, dass wir gleich noch etwas dazu hören werden. Im Antrag wird die Bundesregierung ebenfalls aufgefordert, „Ressourcen für die Risikoforschung bereitzustellen“. Das finde ich gut, aber auch das ist im Aktionsplan enthalten. An einer Stelle habe ich tatsächlich etwas Neues entdeckt, das Sie leider nicht weiter ausführen. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Fördermittel ausreichend sein müssen, „um die derzeit offenen Felder Umweltverhalten, Lebenszyklusanalysen und Langzeituntersuchungen abzudecken“. Einverstanden, das ist ein wichtiger Punkt und im Vergleich zum Aktionsplan etwas Neues. Aber das ist nur ein Punkt Ihres sieben Seiten umfassenden Antrags. Sie haben die Chance verpasst, sich zu positionieren. Sie geben wieder, was der „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“ schon enthält. Ihr Antrag ist eigentlich überflüssig. Ich bin gespannt, wie uns der Vertreter der Koalitionsfraktionen gleich erklären wird, warum dieser Antrag nötig ist und uns in der Debatte weiterbringt. Ich möchte eine Stelle aus dem Antrag zitieren, die ich ausdrücklich gut finde, weil sie zeigt, dass wir in der Diskussion insgesamt weitergekommen sind. Auf Seite 3 heißt es: Es kann festgestellt werden, dass Deutschland hinsichtlich Forschungs- und Innovationsförderung, Begleitforschung und vielfältiger Dialogaktivitäten unter Einbeziehung aller Vertreter aus Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft schon heute eine weltweit führende Rolle bei der Entwicklung der Nanotechnologie als sicherer und nachhaltiger Zukunftstechnologie einnimmt. Das stimmt; dies ist ausdrücklich zu unterstützen. Aber, liebe Koalitionskollegen, dies ist leider nicht Ihr Verdienst. Es ist richtig, dass die Nanotechnologie zu Beginn der 90er-Jahre, also auch unter ihrer damaligen Regierungskoalition, gefördert worden ist. Aber die Diskussion über wichtige Themen wie Sicherheit, Akzeptanz und Transparenz wurde nicht von Ihnen vorangetrieben. Wenn ich mich nicht falsch erinnere, waren es im Wesentlichen die Kollegen Ulla Burchardt und Hans-Josef Fell, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die damals darauf gedrängt haben, dass wir die Diskussion über die Chancen und die Risiken der Nanotechnologie führen. Das hat dazu geführt, dass das Büro für Technikfolgenabschätzung schon im Jahre 2003 einen ausführlichen Bericht dazu verfasst hat. In der Nachfolge haben wir dazu Veranstaltungen durchgeführt, um zu zeigen, dass diese Technologie große Chancen bietet, dass man aber auch rechtzeitig auf mögliche Sicherheitsprobleme achten muss. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Ich erinnere mich noch sehr gut an den Vorwurf, wir seien technologiefeindlich und überbetonten die Risiken. Ich freue mich, dass Sie dazugelernt haben und wir jetzt gemeinsam die Chancen und die Risiken betrachten können. Das ist ein guter Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie in den TAB-Bericht aus dem Jahr 2003 geschaut hätten, hätten Sie Punkte finden können, die Ihr Antrag nicht enthält. Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, Sie hätten besser recherchieren können. Dass Sie das nicht getan haben, mag vielleicht daran liegen, dass nicht mehr allzu viele Ihrer damaligen Kollegen Mitglieder des Parlaments sind. Aber es ist erst zwei Jahre her, dass die damalige Große Koalition einen Antrag zur Nanotechnologie mit dem Titel „Nanotechnologie – Gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder“ vorgelegt hat. Diesen haben wir im Juli 2009 beschlossen. Es war ein Antrag der Großen Koalition, den die SPD-Fraktion und die Unionsfraktion – Herr Kretschmer, Sie waren dabei – gemeinsam eingebracht haben. Lassen Sie mich ein paar der damaligen Forderungen, die inzwischen Beschlusslage des Deutschen Bundestages sind, vortragen. Dort steht zum Beispiel: Dabei sollten auch gesellschaftliche Bedarfsfelder wie die Nutzung der Nanotechnologie in den Bereichen sauberes Wasser und Energieeffizienz/Klimaschutz in die Technologieförderung einbezogen werden … Das steht auch im Aktionsplan. Diese Forderung unseres gemeinsamen Antrags wurde erfüllt. Vor rund zwei Jahren wurde auch gefordert, Start-up-Unternehmen mit genügend Risikokapital auszustatten. Dazu steht eine Menge im Aktionsplan; das können wir auch abhaken. Des Weiteren wurde gefordert, „Chancen und Risiken der Nanotechnologie noch stärker in der Gesellschaft zu kommunizieren“. Auch darauf wird im Aktionsplan eingegangen. Aber damals wurde auch gefordert – das hätten Sie als neuen Punkt in Ihren Antrag aufnehmen können –, eine Informationsplattform zu schaffen, die die Bürger über Vorschriften, Bestimmungen und Empfehlungen informiert und die laufend aktualisiert wird. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das haben wir doch!) Das taucht zwar irgendwo im Aktionsplan auf, ist aber noch immer nicht umgesetzt, obwohl zwei Jahre Zeit war. (Beifall bei der SPD) Eine weitere wichtige von uns damals erhobene Forderung, die bereits Beschlusslage des Deutschen Bundestages ist und aus meiner Sicht bisher von der Bundesregierung nicht erfüllt wurde und in Ihrem vorliegenden Antrag nicht aufgegriffen wird, ist, „zu prüfen, wie eine sachgerechte Entsorgung von synthetischen Nanomaterialien sichergestellt werden kann, ohne dass gefährliche Nanopartikel in die Umwelt gelangen“. Das ist keine Kleinigkeit, sondern ein zentraler Punkt. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Diese Partikel sind relativ unproblematisch, solange sie an Oberflächen gebunden sind und nicht freigesetzt werden können. Wenn aber zum Beispiel ein beschichteter Anorak einfach verbrannt wird oder auf andere Weise nicht sachgerecht entsorgt wird, werden diese Partikel möglicherweise freigesetzt und verursachen eventuell Umweltprobleme oder gesundheitliche Schäden, wenn sie in die Lunge gelangen. Unsere damalige Forderung nach einer sachgerechten Entsorgung ist daher von zentraler Bedeutung und hätte von Ihnen in Ihrem Antrag aufgegriffen werden müssen. Wir erwarten nach wie vor von der Bundesregierung, in diesem Bereich aktiv zu werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir haben damals zu Recht auch bessere Messverfahren und Messtechniken zur Identifizierung von Nanomaterialien in Wasser, Boden und Luft gefordert. Es lassen sich entsprechende Passagen im Aktionsplan finden, aber nicht in Ihrem Antrag. Die meisten von Ihnen kennen vermutlich die jüngsten Studien – zum Beispiel die der Universität Landau –, die zeigen, dass die bisher angewandten Standardverfahren offenbar nicht tragfähig sind. Danach verhalten sich Wasserflöhe, die für 48 Stunden mit Titandioxidnanopartikeln in Kontakt gebracht wurden, einigermaßen normal. Verdoppelt man aber die Standardzeit auf 96 Stunden, stirbt eine große Zahl der Tiere. Allein durch die Veränderung des Beobachtungszeitraums kommt man zu anderen Ergebnissen. Das heißt, wir müssen die Messverfahren entsprechend anpassen. In der gestrigen Expertendiskussion wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass in vielen Bereichen der Nanotechnologie zwar kein Risiko besteht, wohl aber Unsicherheit herrscht und dass sämtliche Testverfahren im Labor und nicht in der Umwelt durchgeführt werden. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Das ist ein großes Manko. Wir erwarten, dass das geändert wird. Herr Rachel, ein Punkt, den Sie als positives Beispiel hervorgehoben haben, ist die Risikoforschung. Wir haben bereits 2009 eine solche Forschung gefordert. Ich erinnere mich noch gut an die damalige Diskussion und die Auseinandersetzungen in der Großen Koalition. Wir haben Sie immer getrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass eine Begleit- und Risikoforschung dazugehört. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir haben es damals nach großen Kämpfen geschafft, dass in unserem gemeinsamen Antrag gefordert wurde – das fordert auch die NanoKommission –, mindestens 10 Prozent der Mittel für die Risikoforschung zur Verfügung zu stellen. Die 14 Millionen Euro, die Sie erwähnten, Herr Staatssekretär, machen gerade einmal 6,2 Prozent aus. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Mehr als andere Länder!) Das sind die Zahlen, die ich der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage meiner Fraktion zur Nanotechnologie entnehme. 6,2 Prozent für die Sicherheitsforschung sind deutlich zu wenig. Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Der gesamte Verbraucherschutz ist in Ihrem Antrag völlig unterbelichtet. Ich finde es schade, dass Sie Ihren Antrag vor der Anhörung eingebracht haben. Am kommenden Montag gibt es im Verbraucherausschuss eine Anhörung zu Nanoprodukten und ihren möglichen Auswirkungen im Umweltbereich. Es liegt bereits eine Reihe kluger Fragen und Stellungnahmen vor. Wenn Sie ein bisschen länger gewartet hätten, hätten Sie die Aussagen der Stellungnahmen berücksichtigen können und vielleicht nicht einen so substanzlosen Antrag vorgelegt. Ich verweise auf die Stellungnahme des ehemaligen Vorsitzenden der NanoKommission, die aus Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Umweltverbände zusammengesetzt war. Diese haben sich ihre Empfehlungen sehr genau überlegt. Wenn Sie diese berücksichtigt hätten, hätte das Ihrem Antrag sehr gutgetan. Wir werden weiterhin mit allem Optimismus, aber auch mit der nötigen Kritik die Nanotechnologie und vor allen Dingen Ihre Regierung begleiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion erhält jetzt der Kollege Dr. Martin Neumann das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Röspel, Sie haben völlig recht: Es geht um ganz kleine Teilchen, aber um ganz wichtige Teilchen. Wir stellen fest, dass Deutschland nach wie vor die treibende Wirtschaftskraft im europäischen Wirtschaftsraum ist. Unser Land erwirtschaftet allein 27 Prozent des gesamten europäischen Bruttoinlandsprodukts. Diese Leistungsfähigkeit – an dieser Stelle muss man nach den Ursachen fragen – ist natürlich maßgeblich von den Potenzialen unseres Forschungs- und Innovationssystems abhängig. Jenes Potenzial zu erhalten, zu aktivieren und zu stärken, gelingt nur, wenn es auf einem funktionierenden – ich bezeichne es einmal so – Innovationsdreieck beruht, das aus Forschung, Wirtschaft und Politik besteht. Ich zähle die Politik ganz bewusst dazu; denn die entscheidenden Weichenstellungen im Innovationssystem werden von der Politik vorgenommen. Allerdings – darüber sind wir uns im Klaren – kann die Politik Innovationen nicht erzwingen. Der Staat kann Entwicklungen lediglich moderieren und begleiten; das tut er. Viel entscheidender für die Durchsetzung von Innovationen ist es, dass der Forschung die notwendigen Freiheiten bewahrt bleiben. Die Nanotechnologie – das haben wir in den bisherigen Diskussionen immer wieder festgestellt – sieht sich wie kaum ein anderes Technologiefeld der Gefahr ausgesetzt, durch Überregulierung oder Bürokratismus blockiert zu werden. Meine Damen und Herren, die Nanotechnologie als wirklich wichtige und wegweisende Technologie durchdringt alle Lebensbereiche. Im Jahr 2015 – davon gehen wir aus – wird es in unserem Leben kaum noch einen Bereich geben, in dem Materialien in Nanogröße keine wichtige Rolle spielen. Nanomaterialien werden künftig zu einer verbesserten und verträglichen Individualmedizin beitragen und somit auch verbesserte Diagnose- und Therapieverfahren ermöglichen. Wir werden neue Materialien für die effiziente Energieumwandlung – das Thema Dämmung ist angesprochen worden – und vor allen Dingen für das große Thema der Zukunft, die Energiespeicherung, schaffen. Ich denke – das ist vom Kollegen Röspel angesprochen worden – an Verfahren zur Sanierung von Luft, Wasser und Boden mithilfe von Nanomaterialien. Die Potenziale und Möglichkeiten – ich glaube, auch darin sind wir uns einig – sind vielfältig. Doch man spürt – das ist an dieser Stelle deutlich anzusprechen –, dass an diese Technologie in zunehmendem Maße zuerst die Fragen gestellt werden: Wo sind die Risiken? Wie groß sind die Risiken? (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja gar nicht! Diese Fragen werden nicht zuerst gestellt!) Chancen und Risiken werden in diesem Kontext möglicherweise nicht klar voneinander getrennt. Aus genau diesem Grund ist es notwendig, sich mit der Frage der Sicherheit zu beschäftigen. Denn die Potenziale der Nanotechnologie dürfen nicht leichtfertig verspielt werden, indem wir überregulieren – diese Gefahr besteht – und bürokratische Hürden aufbauen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Im vorliegenden Antrag „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln“ haben wir genau diesen Aspekt aufgegriffen und uns – neben den Chancen und Potenzialen – vor allen Dingen mit der Sicherheit der Nanotechnologie im Forschungs- und Innovationssystem deutlich sichtbar auseinandergesetzt. Wir messen der Sicherheitsforschung – auch darauf ist mit Nachdruck hingewiesen worden – eine ganz wichtige Bedeutung bei. Man muss an dieser Stelle aber auch die Feststellung treffen, dass wir in der Sicherheitsforschung im Bereich der Nanomaterialien im europäischen und weltweiten Vergleich auf einem der vordersten Plätze stehen. Die entscheidende Frage, auch in der heutigen Debatte, lautet: Was brauchen wir? Wir brauchen in Zukunft nicht nur viel größere Transparenz in der Sicherheitsforschung – ich glaube, dadurch würden viele Fragen beantwortet –, sondern vor allen Dingen auch eine umfangreichere öffentliche und verständliche Bereitstellung relevanter Informationen. Mit dem BMBF-Projekt DaNa wurde bereits ein Anfang gemacht. Es wurde begonnen, die Vermittlung und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu verbessern. Nanomaterialien – das muss man deutlich hervorheben – sind nicht per se toxikologisch, wie das manchmal hier und da in der Diskussion gesagt wird. Für eine Beurteilung des Potenzials von Nanomaterialien auf Mensch und Umwelt fehlen bislang klare und eindeutige Erkenntnisse. Die Wissenschaft und die Forschung können bisher kein einheitliches und generell verbindliches Urteil über die Gefahren der einzelnen Nanomaterialien fällen. Ich erläutere das an einem Beispiel: Während durch die einen Studien belegt wird, dass zum Beispiel Nanosilber krankhafte Veränderungen des Gewebes in Leber und Lunge verursacht, wird durch andere Studien wiederum belegt, dass im menschlichen Körper aufgenommenes Silber nach einiger Zeit ohne toxikologische Effekte abgebaut wird. (René Röspel [SPD]: Wo steht, dass das abgebaut wird? Das wird nicht ohne toxikologische Effekte ausgeschieden!) – Das steht in den Studien, Herr Röspel. Ich glaube, wir beide haben sie gelesen. Durch diese disparate Datenlage wird vor allem deutlich, dass uns zur Beurteilung und Bewertung von Gefahren noch einheitliche und zudem geeignete Prüf- und Messverfahren fehlen. Auf der EPTA-Konferenz habe ich gestern einen entsprechenden Beitrag dazu geliefert und gesagt, dass genau das die Stelle ist, wo wir stärker als bisher ansetzen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Ein Zwischenruf des Experten war: Silber ist Schwermetall!) Nur wenn wir standardisierte Verfahren für die Messung und Prüfung besitzen, können wir eine entsprechende Beurteilung und Bewertung vornehmen. Deshalb stellt sich an dieser Stelle für die Wissenschaft und ganz speziell auch für die Sicherheitsforschung insbesondere die Frage, wie wir mit der Arbeit an dieser Stelle konkret weitermachen. Ich will es noch einmal auf den Punkt bringen: Es müssen geeignete Prüf- und Messverfahren gefunden werden, und – das ist ganz wichtig für die Auswertung – es muss eine Vergleichbarkeit hergestellt werden, um klare Aussagen über Risiken, die es ja gibt, treffen zu können. Erst wenn wir diese Grundlage haben – das ist eine sehr wichtige Voraussetzung –, können wir die Diskussion über Maßnahmen in der Gesetzgebung, die hier angesprochen wurde, weiterführen. Mir erscheinen – das will ich an dieser Stelle deutlich sagen – Forderungen nach spezifischen Nanotechnologiegesetzen oder nach einem Nanoproduktregister im Moment als nicht zielführend. Warum nicht? Ich hatte es erläutert: Es ist jetzt natürlich wichtig, auch in der Forschung den entsprechenden notwendigen Spielraum zu haben. Es gibt weitere Begründungen. Eine möchte ich an dieser Stelle noch einmal erwähnen: Wir sind der Auffassung – das kann man hier so zusammenfassen –, dass die gegenwärtigen europäischen gesetzlichen Rahmenbedingungen greifen und zumindest zum jetzigen Zeitpunkt als hinreichend bewertet werden können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit REACH existiert bei der Europäischen Chemikalienagentur eine Verordnung, durch die Produktsicherheit ausreichend garantiert wird. Nanopartikel erfüllen nach REACH die Anforderungen an den Stoffbegriff – das ist ganz wichtig – und unterliegen deren Bestimmungen, vor allen Dingen auch den Tests zur Risikocharakterisierung bei der Registrierung. Daneben existieren auch produktbezogene Regelungen, mit denen die gleichen Anforderungen an nanoskalige Materialien gestellt werden. Meine Damen und Herren, wir brauchen auch kein Nanoproduktregister, das den Verbraucher, glaube ich, eher verunsichert – Staatssekretär Rachel hat es angesprochen –, weil es in dem entsprechenden Augenblick nicht hilft, die Unbedenklichkeit eines Erzeugnisses einzuschätzen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was wir an dieser Stelle viel stärker brauchen, ist eine konsistente Gesamtforschungsstrategie, wie ich es einmal bezeichnen will. Die Schwerpunkte dieser Gesamtforschungsstrategie – man kann sie nachlesen – sind in dem hier vorgelegten „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“ und in unserem Antrag enthalten. Ich bedanke mich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Petra Sitte gibt ihre Rede zu Protokoll.1 So rufe ich nun Krista Sager für Bündnis 90/Die Grünen auf. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es um die Nanotechnologie geht, dann ist sicher ein einseitiger Chancendiskurs genauso unangebracht wie ein einseitiger Risikodiskurs. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Es gibt zweifellos Chancen und neue Möglichkeiten – das haben die Kollegen hier völlig zu Recht dargelegt, das sehen wir auch so – durch nanotechnologische Verfahren und Produkte: in der Materialforschung und -entwicklung, der Kommunikationstechnologie, der Speichertechnik, bei den erneuerbaren Energien und in der medizinischen Diagnostik. Hier gibt es wirklich interessante Anwendungen. Es gibt auch große Erwartungen an das zukünftige Potenzial der Nanotechnologie im gesamten Bereich Ressourceneffizienz und Materialeinsparung. Seit den 90er-Jahren fließen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit erhebliche Mittel in die Förderung der Nanotechnologie, mit steigender Tendenz. Aber – das haben auch die Expertinnen und Experten auf der hier mehrmals erwähnten EPTA-Konferenz hervorgehoben –: Was nicht stimmt, ist die Balance. Die Balance zwischen den Mitteln, die wir einsetzen, um verschiedenste Anwendungen zu fördern, und den Mitteln, die wir einsetzen, um unsere gewaltigen Wissenslücken im Zusammenhang mit toxikologischen und ökotoxikologischen Fragen zu schließen, ist nicht gegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir wissen bei bestimmten Nanopartikeln sehr wenig darüber, wie sie sich im gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung bis zur Entsorgung, verhalten werden und welche Folgen sie für den Menschen und das Ökosystem haben. Jetzt hat die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan erklärt, dass die Risikoerforschung besser werden solle. Aber es gibt keine verbindlichen Festlegungen, in welchen Schritten die Mittel wie erhöht werden sollen und wofür sie eingesetzt werden sollen. Wir haben in den Haushaltsberatungen hier mehr Verbindlichkeit eingefordert, und zwar in Bezug auf das 10-Prozent-Ziel, das die NanoKommission eingefordert hat. Was finden wir in dem Aktionsplan? Keine Verbindlichkeit! (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider!) Das ist typisch für diesen Aktionsplan, muss ich leider sagen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben Sie recht!) Es fehlt an klaren Zielen sowie an klaren Aussagen über die Schritte und die Mittel. Das ist wirklich ein ganz großes Problem dieses Aktionsplans. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt wird es wirklich interessant. Wie ist die Bundesregierung mit der von ihr selbst eingesetzten NanoKommission umgegangen, die Sie, Herr Rachel, mit keinem Wort erwähnt haben? Die Mitglieder dieser Kommission arbeiten seit 2006 im Auftrag der Bundesregierung und haben in diesem Jahr ihren Abschlussbericht vorgelegt. Kurz bevor sie ihren Abschlussbericht vorgelegt haben, bringt die Bundesregierung ihren eigenen Aktionsplan heraus mit der erkennbaren Absicht, sich auf die Empfehlungen und die verschiedenen Vorschläge aus dieser Kommission nicht beziehen zu müssen. Das ist doch der Sinn dieses Manövers gewesen. Sie haben Ihre eigenen Experten, die Sie hier mit keinem Wort erwähnen, durch dieses Manöver komplett verladen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihrem Aktionsplan fehlt es an Action. Ich kann das anhand der Themen Produktregister und Kennzeichnungspflicht darlegen. Die NanoKommission hat zu dem Thema Produktregister kein einheitliches Votum abgegeben, was nicht verwunderlich ist. Aber sie hat sich mit den verschiedenen Ansätzen und Modellen befasst und mit den Fragen: Was kann das im Arbeitsschutz bringen? Was kann das beim Verbraucherschutz bringen? Was kann das für staatliche Behörden bringen? Was kann das auf der europäischen Ebene bringen? Bundesumweltminister Röttgen hat vor den Mitgliedern der NanoKommission gesagt, er wolle sich für ein europaweites Produktregister einsetzen. Ich war bestimmt nicht die Einzige im Saal, die gesagt hat: Ich bin gespannt, was da kommt. Ich habe ihm auch gesagt – er ist heute leider nicht da –: Ich werde Sie daran erinnern, dass Sie uns etwas schuldig sind. Dafür ist heute ein ziemlich guter Tag. Was ist an Konzepten gekommen? Gar nichts! Was steht im Aktionsplan dazu, welche Konzepte und welche Modelle weiterverfolgt werden? Gar nichts! Das ist wirklich typisch für diesen Aktionsplan. Gar nichts steht dazu darin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Kennzeichnungspflicht. Bei der Kennzeichnungspflicht geht es um Freiheit, nämlich um die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn ich Hinweise darauf bekomme, dass bestimmte Nanomaterialien vielleicht negativ für das Ökosystem sind, möchte ich selber entscheiden können: Kaufe ich mir Sportsocken mit diesen Stoffen, oder lasse ich das lieber? Dafür muss man aber wissen, ob diese Technologie verwendet wurde. Deshalb muss es eine Kennzeichnung geben. Was sieht der Aktionsplan der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vor? Im Aktionsplan heißt es: Eine Kennzeichnung kann zwar zu einer informierten Konsumentenentscheidung beitragen, allerdings auch als Warnhinweis missverstanden werden. Die Bundesregierung kommt damit zu Erkenntnissen, wie sie in Büttenwarder weit verbreitet sind: Der eine sagt dies; der andere das. Ich erwarte von einem Aktionsplan aber mehr, als in Unentschlossenheit zu verharren, wenn es um eine Frage geht, die zur Entscheidung ansteht. Ein Aktionsplan muss die Frage beantworten, was die Bundesregierung in diesem Bereich machen will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Kein Register! Keine Irreführung!) An dieser Stelle ist Action angesagt. Können Sie mir erklären, warum zwar in der europäischen Kosmetikrichtlinie, nicht aber im Lebensmittelbereich, in der Novel-Food-Richtlinie, eine Kennzeichnungspflicht vorgesehen ist? (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist politische Amnesie!) Das ist nicht logisch. Ich möchte wissen, welche Politik die Bundesregierung dazu machen will. Die Experten haben zu Recht gesagt, die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten ein Recht darauf, dass sie nicht erst Studien und wissenschaftliche Bücher lesen müssen, um sicher zu sein, dass ihre Produkte sicher sind. Gerade im konsumentennahen Bereich muss das Vorsorgeprinzip eingehalten und die Verantwortung der Produzenten vom Design des Produktes bis zur Entsorgung wahrgenommen werden. Eine Expertin hat gesagt, dass wir Kriterien und Spielregeln für faire Nanotechnologien brauchen. Die NanoKommission hat eine ganze Menge vernünftiger Ansätze entwickelt, wie wir zu fairen Kriterien und Spielregeln kommen können. Sie hat zum Beispiel fünf Prinzipien für einen verantwortlichen Umgang mit den Nanomaterialien vorgelegt. Sie haben einen Aktionsplan bis 2015 jetzt offensichtlich deswegen vorgelegt, damit Sie Ruhe vor Ihrer eigenen Kommission bekommen. Sonst müssten Sie nämlich eine Antwort darauf geben, wie die Vorschläge der Kommission weiterverfolgt werden. Werden zum Beispiel Förderentscheidungen an die Einhaltung der fünf Prinzipien geknüpft? Das wäre eine interessante Fragestellung. Ihr Aktionsplan folgt dem Motto: Geht uns nicht mit unserer eigenen Kommission auf den Wecker, sondern lasst uns wenigstens bis 2015 in Ruhe! – Das ist in dieser Frage entschieden zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Florian Hahn erhält jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nanotechnologie ist eine der spannendsten und interessantesten Technologien unserer Zeit mit fantastischen Möglichkeiten für echte Neuerungen und Entdeckungen. Es gibt weltweit kaum noch ein Hightechprodukt, bei dem keine nanotechnischen Verfahren angewendet werden. Schon jetzt wird Nanotechnologie beispielsweise in der Krebstherapie, in der Trinkwasseraufbereitung, beim Schutz vor Korrosion sowie bei der Produktion besonders leichter und stabiler Windkraftrotoren verwendet. Als exportorientiertes, rohstoffarmes Land braucht Deutschland solche technischen Innovationen. Das gehört auch in Zukunft zur Grundlage unseres Wohlstands. Bis zum Jahr 2015 erwartet die Branche ein Marktvolumen von weltweit bis zu 3 Billionen Euro. Europaweit sind wir derzeit in der Nanotechnologie führend. Wir dürfen daher unsere Vorreiterrolle nicht verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Seit nunmehr zehn Jahren laufen unsere Förderprogramme sehr erfolgreich, und das soll auch so bleiben. Darum wird die Bundesregierung in ihrer Hightech-Strategie 2020 und im Aktionsplan 2015 diese Zukunftstechnologie in den kommenden Jahren weiter unterstützen und vorantreiben. Die wirtschaftliche Nutzung und die Erforschung der Nanotechnologie sollen intensiviert und noch stärker ressortübergreifend abgestimmt werden. Bis 2015 fließen jährlich rund 400 Millionen Euro Fördergelder, unter anderem in die Forschungsförderung und in Hilfen für kleinere Betriebe und Gründer. Es gibt bereits fast 1 000 Nanotechnologieunternehmen in Deutschland. Davon sind etwa drei Viertel kleine und mittlere Unternehmen, sogenannte KMU. Diese KMU können spezifische Förderprogramme für Forschung und Entwicklung beantragen. Das unterstützt den Mittelstand in Deutschland, der Arbeitsplätze schafft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Der Antrag „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln“ skizziert, wie wir nachhaltig und sicher die Potenziale in Bildung und Forschung und in der Gesundheit nutzen sowie die Beiträge zu Umwelt- und Klimaschutz und zur Sicherung der Energieversorgung realisieren wollen. Vielleicht gelingt uns dabei ein wichtiger Beitrag, um zu umweltfreundlicher und energiesparender Mobilität zu kommen. Der Antrag zeigt auch die vielfältigen Möglichkeiten der Nanotechnologie für eine nachhaltige Landwirtschaft und zur Sicherung der Ernährung. Des Weiteren wollen wir mit dem Antrag eine Stärkung der Forschung und eine Intensivierung des Technologietransfers sowie eine Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland vorantreiben. Zu Ihren Einwendungen, Herr Kollege Röspel, möchte ich sagen: viel Lob – dafür vielen Dank. Dann hatten Sie noch viel Zeit und haben den Antrag bei all dem Lob und all dem Guten, das Sie zu der Initiative der Bundesregierung sagen mussten, als unnötig bezeichnet. Wir sind der Meinung, wir müssen Gutes bestärken. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Wenn Sie dann darauf hinweisen, Sie hätten gerne noch dies und das, kann ich nur sagen: Hätten Sie selber einen Antrag eingebracht und um Ergänzung gebeten, dann hätten wir sicherlich darüber reden können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Wir wollten erst die Anhörung abwarten!) Zum Thema Sicherheitsforschung; es wurde heute schon mehrfach angesprochen. Der Anteil des Fördervolumens, der für die begleitende Risikoforschung aufgewendet wird, beträgt 6,2 Prozent. Das ist im Übrigen weit über dem internationalen Durchschnitt. Wir haben auf der Konferenz, die auch von Ihnen erwähnt wurde, gehört, dass die Amerikaner nur 3 Prozent dafür einsetzen. Ich glaube, wir sind hier auf dem richtigen Weg. Man kann nicht sagen, dass hier die Balance nicht stimmt, wenn wir doppelt so viel ausgeben wie die Amerikaner. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen nicht verschweigen, dass es viele Ungewissheiten in der Nanotechnologie gibt. Aber Ungewissheiten sind nicht automatisch Risiken oder Gefahren. Wir nehmen diese Ungewissheiten sehr ernst. Aber – das unterscheidet uns maßgeblich von Ihnen – wir wollen solche neuen Technologien als Chance für uns alle begreifen und nicht gleich in das beliebte Bedenkenträgertum gegen alles Fremde und Neue verfallen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Hahn, Herr Röspel würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Florian Hahn (CDU/CSU): Nein, Herr Röspel hatte genug Zeit. – Wir wollen Probleme und Vorbehalte als Herausforderung für Wissenschaft und Forschung verstanden wissen. Wir wollen uns allen Herausforderungen stellen und Probleme lösen. Das ist verantwortungsvolle und vorausschauende Politik. (René Röspel [SPD]: Sicherheitsforschung betrug nur 3,5 Prozent!) Unser Ziel ist ein sicherer und verantwortungsvoller Umgang mit neuen Technologien, der neue Chancen eröffnet und diese nicht verhindert. Dabei dürfen wir keine wissenschaftlichen Erkenntnisse ungeprüft verwerfen und damit bereits im Vorfeld die Nutzungspotenziale und Marktchancen unbeachtet lassen. Ziel muss es sein, die Risiken sachlich und frühzeitig zu erkennen und mögliche Gefährdungen konsequent zu vermeiden. Dazu brauchen wir erfahrene Forscher, aber auch neugierige und forschungshungrige junge Menschen. Wir müssen daher qualifizierte Nachwuchs- und Arbeitskräfte frühzeitig gewinnen und ausbilden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies hat die Bundesregierung früh erkannt. So fördern wir unter anderem Informationsangebote für Schüler zur Studien- und Berufswahl, aber auch zur beruflichen Weiterbildung. Da die Öffentlichkeit einen Anspruch auf volle Teilhabe und maximale Transparenz bei all diesen Prozessen hat, führt die Bundesregierung Bürgerdialoge. Dies ist im Übrigen ein Instrument, auf das auch andere Länder setzen, wie wir auf der EPTA-Konferenz in Berlin hören konnten. Es entspricht unserem Demokratieverständnis, die Bürgerinnen und Bürger an der Suche nach Antworten auf Zukunftsfragen zu beteiligen. Hierzu gehört aber auch eine vertrauensbildende Information über diese Technologie, die einer pauschalen Verteufelung entgegenwirkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In diesem Zusammenhang ist es eine positive Entwicklung, dass wir voraussichtlich im November die Gründung eines deutschen Verbands Nanotechnologie zu erwarten haben. Ich habe mir das einmal angeschaut. Der Verband, der dort gegründet werden soll, hat sich diverse Ziele gesetzt. Ich will nur einige nennen: Für die Mitglieder soll ein starkes Netzwerk gebildet werden. Der Verband will in einen offenen Dialog mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft treten. Er will Debatten über Chancen und Risiken der Nanotechnologie proaktiv führen. Er will umfassende und sachliche Informationen über den Einsatz der Nanotechnologie anbieten. Er will Richtlinien entwickeln, um den Arbeitsschutz all derer zu gewährleisten, die am Arbeitsplatz mit Nanomaterialien in Berührung kommen. Er will wissenschaftlich-technische Fragestellungen in Expertenhand legen. Er will die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften fördern. Ich glaube, dass dies auch im Sinne der Verantwortung, die aus unserer Sicht bei der Wirtschaft liegt, ein sehr guter Schritt ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sollten außerdem festhalten: In dem kürzlich erschienenen Gutachten „Vorsorgestrategien bei Nanomaterialien“ des Sachverständigenrates für Umweltfragen wird festgestellt, dass es keine Erkenntnisse und keine Nachweise in Bezug auf pauschale negative Umwelt- und Gesundheitseinflüsse durch den Einsatz von Nanotechnologie gibt. (René Röspel [SPD]: Für pauschale Einflüsse!) – Ja, das ist wichtig in der Diskussion, die wir öffentlich führen. Darauf müssen wir immer wieder verweisen, damit diese Technologie nicht in eine Ecke gestellt wird, in die sie schlicht nicht gehört. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In dieser Woche hat die EU-Kommission endlich eine Empfehlung für eine gemeinsame Definition für Nanomaterialien vorgelegt. Das ist ein zentrales Anliegen in unserem Antrag. Die Definition basiert auf einem Ansatz, bei dem die Größe der konstituierenden Partikel und nicht etwaige Gefahren oder Risiken berücksichtigt werden. Ich will die genaue Definition jetzt nicht vorlesen. Aber immerhin hat die Kommission diese Definition nach zwei Jahren endlich hinbekommen. Damit ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf den Umgang mit etwaigen Umwelt- und Gesundheitsrisiken gegangen worden. Nanomaterialien sind daher immer, wie jeder andere Stoff auch, einer Einzelfallprüfung zu unterziehen. Ich glaube, ebenso wie der Kollege Neumann, dass ein Nanoproduktregister oder eine Nanodatenbank, vor allem auf nationaler Ebene, nicht notwendig ist. Lassen Sie uns die vorhandenen und bewährten Instrumente nutzen, beispielsweise die Chemikalienverordnung REACH, statt neue bürokratische Hemmnisse aufzubauen. Das war auch die Empfehlung der Sachverständigen auf der von uns schon mehrfach erwähnten Konferenz. Dank der Definition wird es für Unternehmen leichter, ihre Registrierungsdossiers zu bewerten und exakt zu bestimmen, wann sie ihre Produkte als Nanomaterialien betrachten sollten. In der Nanotechnologie warten noch viele Herausforderungen und – Gott sei Dank – noch viel mehr Chancen auf uns. Packen wir es in diesem Sinne an! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Franz Müntefering, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Der demografische Wandel in Deutschland – Handlungskonzepte für Sicherheit und Fortschritt im Wandel – Drucksache 17/6377 – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Franz Müntefering für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Franz Müntefering (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen sind bekannt. Sie sind alarmierend. Aber die Bundesregierung bleibt tatenlos. Der Tanker „Demografischer Wandel“ ist ohne plausiblen Kurs. Alle reden darüber, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber nicht erst seit heute!) aber niemand ist in der Regierung, der das Steuer neu justiert. Genau das wäre jetzt aber nötig; (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was haben Sie denn getan als Minister? – Manuel Höferlin [FDP]: Phrasendrescherei!) denn situativ sind die Probleme nicht zu lösen. Umsteuern dauert lange. Die Forderung, nachhaltige Politik zu machen, ist hier an der Tagesordnung. Die Fakten und Entwicklungen sind eindeutig: 2050 gibt es in Deutschland statt 81 Millionen nur noch rund 68 Millionen Menschen. Vielleicht werden es aber auch nur 65 Millionen Menschen sein, wenn es mit der Zuwanderung von netto 100 000 Menschen pro Jahr nicht klappt. Wir leben zehn Jahre länger als die, die 1960 vergleichbar alt waren. Das Durchschnittslebensalter beträgt 80 Jahre und bald 85 Jahre. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist doch schön!) 30 Prozent der 1970 geborenen Frauen und Männer haben keine Kinder. Statt jetzt 50 Millionen werden 2050 nur noch rund 38 Millionen Menschen im Erwerbsalter sein. In den letzten 20 Jahren sind 18 Millionen zugezogen und etwa 14 Millionen Menschen weggezogen. Die Zahl der Pflegebedürftigen verdoppelt sich. Die Ausbildung zur Pflegekraft bleibt im Streit zwischen Bund und Ländern aber weit hinter dem Bedarf zurück. An vielen Orten unterbleibt der fällige Ausbau der palliativen Hospizdienste. Es fehlen altersgerechte Wohnungen und Quartiersvernetzungen. Minilöhne heute gefährden die Alterssicherung morgen, besonders bei Frauen, beispielsweise bei den Alleinerziehenden. Die Metropolen expandieren – auch bei ihren Wohnkosten. In immer mehr dezentralen Räumen in Ost und West sinkt die Bevölkerung schrittweise um 30 bis 50 Prozent. Da stürzen Immobilienpreise ab. Die junge Generation, die Zukunftsfähigkeit garantiert, geht und bleibt weg. Alle Regionen sind betroffen. Defätismus ist falsch. Man kann etwas tun. Zynismus wäre ärgerlich. Krieg zwischen den Generationen ist Unsinn. Das Miteinander der Generationen ist das, was nötig ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kann man etwas tun? Wir sagen: Ja, man kann etwas tun. Das geht aber nicht ohne Bundesregierung. Deshalb versuchen wir gerade, Sie wachzurütteln, Herr Staatssekretär. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Er ist hellwach!) Werden Sie heute hier konkret. Es genügt nicht, nächste Woche mal wieder im Kabinett festzustellen, dass etwas passieren muss. Wir wollen wissen, was passiert und wann. (Beifall bei der SPD) Vor gut vier Monaten haben wir der Regierung mit 63 konkreten Fragen Gelegenheit gegeben, gründlich Stellung zu nehmen. Bisher null Antwort. Wir hoffen, dass wir heute einen Schritt weiterkommen. (Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) Es ist möglich, die Dinge zu gestalten. Wir wollen es. Wir wollen uns nicht mit der Situation abfinden, sondern wir wollen, dass dieses Land eine gute Zukunft hat. Dazu brauchen wir Mut, den demografischen Wandel in Deutschland zu organisieren, und eine gute Politik. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Günter Krings hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manche Herausforderungen – ich nenne die Finanzmarktkrise und auch das, was wir heute Morgen gehört haben – kommen sehr plötzlich auf die Politik zu. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind beim demografischen Wandel!) Sie haben recht, Herr Müntefering: Demografischer Wandel ist ein Phänomen, auf das wir uns langfristig vorbereiten können. Dieses Phänomen geht weit über Deutschland und Europa hinaus. Auch weltweit können wir Veränderungen in der Art und Weise des Bevölkerungswachstums feststellen. Diese Tatsache dürfen wir nicht ausblenden. In zehn Tagen werden die Vereinten Nationen verkünden, dass es jetzt 7 Milliarden Menschen auf der Erde gibt. Dieses Wachstum wird in den nächsten Jahren weltweit Auswirkungen haben. Aber wir müssen auch den Bevölkerungsrückgang bei uns, den es seit 2003 gibt, in den Blick nehmen. Wir müssen die Risiken erkennen, aber auch die Chancen begreifen. Wir dürfen allerdings nicht verkennen, dass sich der demografische Wandel in Deutschland regional sehr unterschiedlich auswirken wird. Der demografische Wandel ist wahrscheinlich einer der zentralen Punkte, der darüber entscheidet, ob der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert noch funktioniert. Es ist wichtig, diesen Wandel so zu meistern, dass die soziale Gerechtigkeit darunter nicht leidet. Er ist wahrscheinlich die entscheidende soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Generationengerechtigkeit erfordert die Verbindung mehrerer Lösungselemente. Die Interessen der immer weniger werdenden Jüngeren und die Interessen der immer mehr werdenden Älteren müssen fair ausgeglichen werden. Das setzt voraus, dass wir die nationalen wie internationalen Herausforderungen ernst nehmen. Während in Deutschland die Bevölkerung abnimmt, steigt sie weltweit. Aber die Geschwindigkeit des Bevölkerungswachstums nimmt in den nächsten Jahren weltweit ab. Heute kommen noch etwa 75 Millionen Menschen Jahr für Jahr weltweit hinzu. In den 80er-Jahren hatten wir mit etwa 88 Millionen Menschen mehr pro Jahr den Höhepunkt erreicht. Im Jahr 2050 werden wir weltweit nur noch ein Wachstum von 40 Millionen Menschen haben. Warum sage ich das? An diesen Zahlen wird deutlich, dass wir in Deutschland der demografischen Wende, die ein globales Phänomen ist, einige Jahrzehnte voraus sind. Wir in Deutschland müssen der Welt zeigen, dass der demografische Wandel nicht zu Katastrophen führen muss, sondern dass man seine Auswirkungen beherrschen kann. Wir tragen als Voranschreitende eine Verantwortung über Deutschland hinaus. Wir tragen – wenn man so will – auch eine globale Verantwortung, in diesem Prozess gute Lösungen zu entwickeln, die andere vielleicht kopieren können. Die Große Anfrage der SPD-Fraktion hat mich zunächst, als sie kurz vor der Sommerpause kam, hoffnungsfroh gestimmt, dass wir das gemeinsam, auch über Parteigrenzen hinweg, bewältigen können. Ich bin heute – nicht hundertprozentig, aber ein wenig – enttäuscht, dass Sie jetzt die Möglichkeit nach § 102 der Geschäftsordnung nutzen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber das macht mich ein bisschen skeptisch, ob es Ihnen da wirklich nur um die Sache geht. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung!) Sie wissen genau, in der nächsten Woche kommt der große, umfassende Demografiebericht der Bundesregierung. Den hätte man noch abwarten können. Sie müssen das nicht tun, aber wenn es Ihnen um die Sache geht, hätte man das vielleicht tun sollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Ungeduld überrascht natürlich schon ein wenig, denn die über zwei Wahlperioden tagende Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages hat 2002 einen umfassenden, hochinteressanten Abschlussbericht vorgelegt. Der ist auch heute noch lesenswert. Darin stehen auch die Fakten, die Sie genannt haben. 2002 war mitten in der rot-grünen Regierungszeit. Man hätte also diesen Bericht 2002/2003 als Ansatzpunkt nehmen können, hieraus eine Strategie zu entwickeln. Genau das machen wir, das macht die Bundesregierung mit dem Demografiebericht, der in der nächsten Woche vorgelegt werden wird. Wir werden dann bis Ostern kommenden Jahres daraus eine umfassende Demografiestrategie entwickeln. Das geschieht übrigens unter Federführung des Innenministeriums, weil es eine Frage des sozialen Zusammenhalts und damit eine Querschnittsaufgabe der Politik ist. Diese Strategie wird fast alle Politikbereiche erfassen: neben Reaktionsnotwendigkeiten bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, der Rentenversicherung, Pflegefragen, aber auch Themen wie Bildungspolitik, Integrationspolitik, Arbeitsmarkt und vieles mehr. In der Großen Koalition haben wir an einer ganz entscheidenden Stelle, nämlich bei der Frage der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme – da spreche ich Sie, Herr Müntefering, ganz persönlich an –, einen großen Fortschritt erzielt, indem wir gesagt haben, wir müssen das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre erhöhen. Das war auch mit Ihre Leistung. Deshalb sehe ich es mit noch größerem Bedauern an der Stelle, dass Ihre Fraktion davon jetzt Stück für Stück abrückt, dass sie diesen Fahrplan verlässt, dass sie gerade diesen entscheidenden Schritt, den demografischen Wandel abzubilden, aufzugreifen, daraus faire und gerechte Konsequenzen zu ziehen, jetzt nicht mehr machen will. Die SPD verabschiedet sich von diesem Konsens. Das ist gegen Generationengerechtigkeit, gegen auf den demografischen Wandel erforderliche Reaktionen gerichtet, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Absoluter Quatsch!) Ich wünsche mir deshalb, dass Menschen wie Sie, Herr Müntefering, in der Fraktion standhaft bleiben und andere noch überzeugen können, dass wir an der Stelle bei den vernünftigen und gerechten Lösungen bleiben und diese konsequent anwenden müssen. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Da hat er viel zu tun!) Nur so werden wir auch das Thema Fachkräftemangel in den Griff bekommen. Wir können gerade angesichts des demografischen Wandels immer weniger auf erfahrene, ältere Arbeitnehmer verzichten. Wir werden das Problem eben nicht allein durch Zuwanderung lösen. Wenn wir das Arbeitskräftepotenzial komplett durch Zuwanderung konstant halten wollten, bräuchten wir nicht die zitierten 100 000, sondern 400 000 pro Jahr. Ich hoffe eigentlich, dass wir uns quer über die Fraktionen einig sind, dass wir nicht wüssten, woher wir jedes Jahr 400 000 Zuwanderer nehmen sollten, und damit verbunden wäre eine Integrationsaufgabe, die unsere Gesellschaft wahrscheinlich überfordern würde. Von daher brauchen wir eine maßvolle Zuwanderung, und wir brauchen dafür ein modernes Zuwanderungsrecht. Aber wir sollten das Zuwanderungsrecht nicht unnötig schlechtreden. Wir haben in weiten Teilen schon ein modernes Zuwanderungsrecht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt denn das Punktesystem?) Es hilft gar nichts, über imaginäre Gehaltsgrenzen zu sprechen. Lediglich ein Spezialweg ist mit Gehaltsgrenzen ausgestaltet. Schon heute kann, wenn ein Arbeitsplatz nicht mit einem deutschen Arbeitnehmer zu besetzen ist, ohne Beachtung einer Gehaltsgrenze auch ein ausländischer Zuwanderer auf diesen Arbeitsplatz kommen. Das Verfahren kann man sicherlich verbessern – das ist richtig –, aber im Grunde haben wir ein sehr modernes und ein sehr offenes Zuwanderungsrecht. Das sollten wir nicht unnötig schlechtreden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD) Es geht nicht nur darum, vollmundige Forderungen aufzustellen, sondern darum, einfach zu schauen, welche Möglichkeiten wir schon haben. Da ist natürlich auch die Wirtschaft in der Pflicht. Wer aber meint, er könne über ein neues Zuwanderungsrecht – egal, wie das ausgestaltet ist – erreichen, dass wir möglichst viele billige und willige Arbeitskräfte nach Deutschland bekommen, der hat die Union nicht mehr an seiner Seite. (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Es kann nicht Zweck des Zuwanderungsrechtes sein, hier in Deutschland die Löhne zu senken. Seit ich Mitglied im Deutschen Bundestag bin, habe ich mich in verschiedenen Funktionen – als Vorsitzender der Jungen Gruppe meiner Fraktion, als Parlamentarischer Beiratsvorsitzender und jetzt auch in der Innenpolitik – mit der Frage des demografischen Wandels beschäftigt. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das kann ich bestätigen!) Ich habe gelernt, dass wir das Thema optimistisch angehen müssen. Es gibt viele positive Aspekte. Einer davon ist, dass unsere Gesellschaft im Schnitt nicht nur älter, sondern auch gesünder älter wird. Es handelt sich also, wenn man so will, um gewonnene Jahre. Nicht nur werden dem Leben mehr Jahre hinzugefügt, sondern durch unsere Lebensweise und die Gesundheitsvorsorge wird auch den Jahren mehr Leben hinzugefügt. Es ist richtig, dass es in Deutschland mehr pflegebedürftige Menschen gibt. Die Pflegebedürftigkeit tritt aber immer später ein. Aus dem Grund bin ich sehr zuversichtlich, dass wir dieses Problem gemeinsam meistern werden. Wir müssen es vorausschauend angehen. Wir müssen das politische Dilemma der Demokratie überwinden, heute schon langfristig wirkende Entscheidungen treffen zu müssen. Es ist wichtig, auch darauf zu achten, was in 20 oder 30 Jahren noch richtig ist, und sich nicht nur mit der nahen Zukunft zu beschäftigen; ein Beispiel dazu habe ich eben genannt. Wir dürfen nicht nur auf aktuelle Umfragewerte achten. Denn es handelt sich hierbei um ein Thema, das wir – hoffentlich gemeinsam – in langfristiger Verantwortung angehen werden. Die christlich-liberale Koalition ist bereit, diesem Thema in den nächsten Wochen eine hohe Priorität einzuräumen. (Katja Mast [SPD]: Das sieht bei Ihnen da drüben aber nicht so aus!) Wir warten auf den Demografiebericht und werden daraus eine Demografiestrategie entwickeln. Das hat die frühere Koalition nicht geschafft. An dieser Stelle wird es also deutlicher vorangehen, als das in den letzten Jahren der Fall war, Herr Müntefering. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Heidrun Bluhm hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren befassen sich Experten, Institute, politische Stiftungen und Enquete-Kommissionen mit der Analyse und Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und geben verschiedene Handlungsempfehlungen. Aktuell gibt es eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages mit dem Namen „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die sich selbstredend auch mit den gesellschaftlichen Konsequenzen aus der demografischen Entwicklung befassen muss, wenn sie nicht völlig an der Realität vorbeiirren will. Weiterhin gibt es – Herr Krings hat das eben angedeutet – den interministeriellen Ausschusses „Demografie“, an dem alle Bundesressorts beteiligt sind. Dieser soll dem Kabinett noch 2011 einen Bericht zum demografischen Wandel vorlegen. Es ist davon auszugehen – auch das hat Herr Krings eben gesagt –, dass das wahrscheinlich schon in der nächsten Woche der Fall sein wird. Der demografische Wandel ist längst Realität und hat seine volle Wirkungskraft entfaltet. Er ist kein Phänomen. Denn „Phänomen“ bedeutet, dass wir uns nicht erklären können, was hinter den Beobachtungen steckt. Ich glaube, dass längst wissenschaftlich begründet ist, worauf der demografische Wandel, den wir in Deutschland beobachten müssen, zurückzuführen ist. Die Linke sagt: Er ist die Antwort auf das Ende der klassischen Industrialisierung. Der Weg in die Industriegesellschaft erforderte zwingend eine Bevölkerungsexplosion. Somit ist nur logisch, dass sich dieser Prozess am Ende umkehrt und die klassischen Ursachen für das Bevölkerungswachstum wegbrechen. Anderswo in der Welt, wo versucht wird, dem europäischen Modell der Industriegesellschaft zu folgen, verzeichnen wir zeitgleich eine anhaltende Bevölkerungsexplosion mit katastrophalen Folgen für die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Lebensmitteln und medizinischen Leistungen. Zurzeit – auch das hat Herr Krings bereits erwähnt – sind wir 7 Milliarden Menschen auf dieser Erde. Diese Zahl wächst weiter. Manche Experten sagen, dass unsere Erde maximal 10 Milliarden Menschen ernähren kann und dass diese Zahl gegebenenfalls schon 2030 erreicht werden könnte. Das ist eine Entwicklung, für die wir Europäer im Übrigen eine Mitverantwortung tragen und für deren Folgen wir jetzt einstehen müssen. Jeder Ansatz zu einer demografiegerechten Entwicklungskonzeption muss deshalb über die nationale Nabelschau hinausgehen und die globale Dimension einbeziehen. Es kann also nicht allein darum gehen, eine Demografiestrategie für Deutschland zu erarbeiten. Vielmehr muss mit Hochdruck und aller politischer Verantwortung sowie Ernsthaftigkeit an einem neuen Gesellschaftsentwurf gearbeitet werden. Deshalb ist es so wichtig, sich der politischen Gestaltungsnotwendigkeit bewusst zu werden. Dabei geht es um das Primat der Politik und nicht um ein Reagieren auf Markterfordernisse. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage, welche Verwertungsbedingungen die Märkte brauchen und welche politischen Rahmenbedingungen sie als Reaktion auf den demografischen Wandel fordern, darf nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Die Finanzmärkte haben sich internationalisiert. Die Absatzmärkte sind Welthandelsmärkte. Große Wirtschaftsunternehmen agieren als Global Player; die hierfür arbeitenden Menschen sind auf der ganzen Welt unterwegs. All das führt zu Umweltproblemen, zu Klimawandel, zu internationalisierten Kapitalverwertungsbedingungen bis hin zum schnellen Verbrauch natürlicher Ressourcen. Wir werden also mit einer nationalen Demografiestrategie scheitern – ja, scheitern müssen. Die Grundsatzfragen für eine künftige Entwicklung müssen lauten: Wie wollen die Menschen ihre Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten gestalten? Wie kann die Politik den objektiven Erfordernissen nach gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur gerecht werden, sondern sie aktiv gestalten? Erst dann stellt sich die Frage nach der Rolle der Märkte. Können diese Märkte durch die Politik so reguliert werden, dass sie sich den durch die demografischen Veränderungen hervorgerufenen künftigen Entwicklungsprozessen für die Gestaltung einer globalen, humanen Gesellschaft anpassen? Wollen wir weiter zulassen, dass die großen Märkte – Marktbeherrscher, Global Player – weiterhin alle Lebensbereiche der Menschen dominieren und sie mithilfe der Politik ihren Markterfordernissen unterordnen? Die Bundesregierung – so hat es die Debatte heute Morgen wieder gezeigt – ist weder in der Lage noch gewillt, einen solchen Paradigmenwechsel in ihrer Denkweise überhaupt zuzulassen. Selbst wenn statt eines echten Konzepts nur so etwas wie ein Maßnahmenbündel von der Regierung oder einem Ausschuss vorgelegt werden sollte, dann gilt es – aus unserer Sicht zumindest –, einige unverzichtbare Leitplanken und Grundsätze festzuschreiben. Die demografische Entwicklung darf keinesfalls Argument für Einschnitte in soziale Sicherungssysteme, für die Privatisierung der Daseinsvorsorge oder die Erhöhung des Renteneintrittsalters missbraucht werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke ist der Überzeugung, dass die Folgen des demografischen Wandels nur solidarisch bewältigt werden können – ja, müssen. Für die Stabilität der Finanzierungsbasis der sozialen Sicherungssysteme kommt es eben nicht vordergründig auf das Verhältnis von Jungen und Alten an, sondern auf die Anzahl und die Leistungsfähigkeit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Notwendig wäre eine aktive Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, die mehr existenzsichernde sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schafft, die Arbeitslosigkeit dauerhaft bekämpft, indem sie Arbeit gerecht und sinnvoll neu definiert und organisiert, und sie eben nicht als zwangsläufige Folge des Konjunkturverlaufs hinnimmt. Notwendig ist eine Politik, die prekäre Beschäftigung unterbindet und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angemessen am Wirtschafts- und Produktivitätsfortschritt beteiligt. (Beifall bei der LINKEN) Das wären zentrale Ansatzpunkte zur Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse aus den Erfordernissen des demografischen Wandels und der Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Ein weiterer Ansatzpunkt läge in einer Politik, die es wieder mehr Menschen ermöglicht – und zu deren Lebensentwurf es selbstverständlich gehört –, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Kinder dürfen niemals ein Armuts- oder Karriererisiko sein. Die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kinderwunsch muss durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung und eine flexible Gestaltung von Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden. Lebensentwürfe, die das Kinderkriegen und das Großziehen von Kindern oder die Pflege bedürftiger Menschen im Mittelpunkt haben, müssen gesellschaftlich ebenso anerkannt und durch Einkommen sichergestellt werden wie die heute dominierende und idealisierte Karriere in bestimmten Lebensformen. Die Lebens- und Verteilungsweise der Gesellschaft muss sich grundsätzlich ändern, damit alle Generationen und alle Lebensweisen gleichermaßen eine Perspektive haben. Die dafür notwendige Produktivität hat die klassische Industriegesellschaft längst geschaffen. Der Kern ist dabei nicht die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen Jungen und Alten, sondern zwischen oben und unten. Wir erwarten von einem Handlungskonzept der Bundesregierung für Sicherheit und Fortschritt im Wandel: eine aktive Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik als zentralen Ansatzpunkt der Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme, (Beifall bei der LINKEN) eine alters- und altengerechte Gestaltung der Arbeitswelt; Investitionen in personennahe Dienstleistungen; den qualitativen und quantitativen Ausbau einer regionalen Daseinsvorsorge entsprechend der unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten; den Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer solidarisch finanzierten Erwerbstätigenversicherung; eine Stärkung öffentlicher Dienste, die allen Generationen gerecht werden und allen Menschen ohne Einschränkungen zugänglich sind; die Erweiterung sozialer und kultureller Dienstleistungen sowie eine Stadtgestaltung, die die Mobilität aller Menschen unterstützt, ihnen den Zugang zu allen Angeboten gestattet, Familien und Jugendlichen Raum gibt und das Miteinander der Generationen ermöglicht. Gerade Letzteres – die Stadt- und Regionalentwicklung – könnte ein konkreter Indikator dafür sein, wie die Bundesregierung die objektiven demografischen Entwicklungserfordernisse aufnimmt und mit Investitionsprogrammen darauf reagiert. Hier wäre ein sehr konkretes Handlungsfeld für eine vorausschauende, gestaltende Investitions-, Struktur- und Sozialpolitik. Gerade hier zeigt sich leider, wie wenig die Bundesregierung dazu in der Lage ist. Sie verschließt sich aktuell jeder wirtschaftlichen Vernunft und kürzt die Mittel für sich selbst refinanzierende Förderprogramme im Städtebau und in der energetischen Gebäudesanierung. Hier ignoriert sie hartnäckig jegliches fachliches Urteil und handelt stur an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Wenn schon in einem relativ übersichtlichen und praktikablen Politikfeld wie der Stadtentwicklung sichtbar wird, wie wenig die Bundesregierung von ganzheitlichen Entwicklungskonzepten hält, dann ist eine in sich konsistente und vor allem nachhaltige Antwort auf die komplexe Gesamtproblematik, wie sie heute nachgefragt wird, sehr unwahrscheinlich. Ich bin deswegen wenig optimistisch, dass die Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion eine zukunftssichere Antwort für die nachwachsenden Generationen geben wird. Dazu braucht sie die Opposition. Ich verspreche Ihnen: Wir stehen zur Verfügung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Manuel Höferlin hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Manuel Höferlin (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Bluhm, vielen Dank für das Angebot; aber wir brauchen die Opposition nicht, um gute Politik zu machen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Meine Herrschaften von der SPD, ich halte das, was Sie bei Ihrer Großen Anfrage abliefern, für bezeichnend: Herr Kollege Müntefering, Sie haben in Ihrer dreiminütigen Rede zur Einbringung der Großen Anfrage zu Beginn zweieinhalb Minuten lang Überschriften vorgelesen (Burkhard Lischka [SPD]: Die Sie nicht einmal bilden können!) und erst am Ende gesagt, was Sie sich erhoffen. Insofern glaube ich, dass Sie zurückhaltender sein sollten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutschland durchläuft eine tiefgreifende demografische Veränderung. Wir wissen das nicht erst seit gestern. Bis in die 90er-Jahre waren Bevölkerungszahlen und Altersstrukturen noch einigermaßen stabil. Inzwischen kennen wir das Problem schon länger, nicht erst seit gestern. Auch Vorgängerregierungen hätten das Problem erkennen können; aber sie haben es zu der Zeit nicht in allen Bereichen ausreichend gewürdigt und Möglichkeiten ungenutzt gelassen. Wir erleben eine dynamische Bevölkerungsentwicklung, die nicht so verläuft, wie wir es wollen, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Die Entwicklung ist regional stark differenziert: Wir haben in Deutschland Regionen, die sehr stark darunter leiden, dass sich die Räume durch die Demografie verändern und Bevölkerungswachstum nicht stattfindet. Zum Beispiel ist der Bevölkerungsrückgang in ländlichen Bereichen Niedersachsens, Nordhessens und Bayerns sehr stark. Das ist bedenklich. Die Ungleichgewichte erfordern einen Eingriff, einen Plan. Sie wissen selbst, dass nächste Woche der Demografiebericht der Bundesregierung vorgelegt wird (Nicolette Kressl [SPD]: Vielleicht sind dann mehr von Ihren Kollegen da!) und die Bundesregierung dabei ist, eine Demografiestrategie zu entwickeln; sie wird in wenigen Monaten vorgelegt. Insofern ist Ihre Große Anfrage, über die wir heute reden, wieder einmal ein Stück weit Schaufensterpolitik; (Mechthild Rawert [SPD]: Hauptsache, wir kriegen irgendwann einmal Antworten!) denn Sie wissen genau, dass die Strategie, die bald vorgelegt wird, die Antworten bringen wird, die wir benötigen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Insgesamt lässt sich beobachten, dass die Bevölkerungszahl abnimmt. Die Bevölkerung wird älter. (Caren Marks [SPD]: Ja! Manche kommen sogar alt zur Welt!) – Ich liege bei meiner eigenen Arbeit für eine bessere demografische Entwicklung dieses Landes über dem Durchschnitt. Insofern können Sie sich den unqualifizierten Einwurf sparen. Das Statistische Bundesamt hat vor zwei Jahren erklärt, dass im Jahr 2060 ein Siebtel unserer Bevölkerung 80 Jahre und älter sein wird. Im Osten der Republik hat die Entwicklung mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen. Die Lebenserwartung ist stark gestiegen. Gleichzeitig ziehen dort immer mehr junge Menschen fort. Es kommen also zwei Entwicklungen zusammen, die sich gegenseitig verstärken und zu dieser Überalterung führen. Die Veränderungen bei der Altersstruktur wird sich auch auf die Erwerbstätigkeit in Deutschland auswirken: Wir werden mehr Rentner in Deutschland haben, Menschen, die glücklicherweise länger leben und später pflegebedürftig werden. (Nicolette Kressl [SPD]: Wo ist der Erkenntnisgewinn?) Das sind Herausforderungen, auf die wir mit Sicherheit eine Antwort finden. Ich bin überrascht, dass Sie Ihre Anfrage offensichtlich so lustig finden. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wir finden Sie lustig!) Ich bin vor allen Dingen deshalb überrascht, weil die SPD doch in einem großen Teil der Länder und Kommunen auch Verantwortung trägt. (Mechthild Rawert [SPD]: Gott sei Dank!) Es ist doch so, dass die Probleme, die im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel in den Kommunen auftreten, auch in der Verantwortung der dort Verantwortlichen liegen und Sie ja dort auch immer noch Verantwortung haben. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass Sie selbst nicht Lösungen suchen und Antworten geben. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wir lachen nur über Sie! Über sonst niemanden!) Deshalb verstehe ich wirklich nicht, wieso Sie das so lustig finden. (Zurufe von der SPD) Die Bundesregierung hat unter der Federführung des BMI schon im Oktober ein Handlungskonzept zur Sicherung der privaten und öffentlichen Infrastruktur in den vom demografischen Wandel besonders betroffenen ländlichen Räumen vorgelegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, wie Sie wissen und wie ich auch schon gesagt habe, wird die Bundesregierung nächste Woche den Demografiebericht vorstellen. Soweit ich weiß, ist geplant, im nächsten Jahr eine Demografiestrategie vorzulegen. Darum halte ich die Tatsache, ausgerechnet jetzt eine solche Anfrage zu stellen, schon für ein wenig scheinheilig. Wir werden gute Antworten finden. Sie werden nachher noch zwei Kollegen von mir hören; diese werden über andere Bereiche sprechen. (Mechthild Rawert [SPD]: Welchen haben Sie denn angesprochen? – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das waren ja noch nicht einmal Überschriften!) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Tabea Rößner spricht jetzt für Bünd-nis 90/Die Grünen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich auf hoher See bin und Nebel aufzieht, dann nehme ich ein GPS-Gerät zur Hand. Das weist mir dann die Richtung. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ach! Da vertraut ihr auf die moderne Technologie?) – Das haben wir immer getan. – Aber wenn ich die Bundesregierung anschaue und auch die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition höre, dann kommt es mir eher so vor, als ob Sie damit beschäftigt sind, die Dichte des Nebels zu messen. Der demografische Wandel ist da. Die Auswirkungen sind spürbar. Als Reaktion darauf erfordern sie ganzheitliches Denken und Gestaltungswillen. Beides kann ich bei der Bundesregierung nicht erkennen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich frage Sie: Was ist Ihr Lösungsansatz? Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis – genau so verfahren Sie. Sie haben eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet, die ganz im Geheimen getagt hat, und zwar so geheim, dass einzelne Mitglieder dieser Arbeitsgruppe davon noch nicht einmal eine Ahnung hatten. Herr Krings, Sie sagten, Sie begriffen dieses Thema als Querschnittsthema. Wenn es tatsächlich so ist, würde ich mir wünschen, dass jetzt hier tatsächlich auch alle Ressorts vertreten wären. Aber das ist leider nicht der Fall. Wäre es nicht sinnvoller, statt geheim zu tagen, eine breite gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie wir in Zukunft leben wollen? Nächsten Mittwoch gibt es – das wurde ja schon angekündigt – den ersten Bericht zur demografischen Lage der Nation. Seit zwei Jahren ist nun diese Bundesregierung am Ruder. Alles, was zu dieser Frage nun herauskommt, ist ein Bericht. Dabei gibt es Demografieberichte wie Sand am Meer. Notwendig wären vielmehr die Entwicklung einer Strategie und die Erstellung eines Handlungskonzepts. Sonst geraten Sie noch viel, viel tiefer in dicke Nebel hinein und können nicht in die richtige Richtung steuern. Das Absurde an der ganzen Sache ist: Es gibt ja Lösungsansätze. Dass Sie unsere Vorschläge nicht annehmen wollten – gut. Aber dass Sie nicht einmal danach fragen, was Ihre eigenen Einrichtungen dazu zu sagen haben, erstaunt mich schon sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es beim BBSR ein Aktionsprogramm mit dem schönen Namen „MORO – Modellvorhaben der Raumordnung“. In diesem Rahmen sind zahlreiche Handlungsansätze erarbeitet worden: zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung, zur Infrastruktur, zur Gewährleistung der öffentlichen Daseinsvorsorge und, und, und. Es gibt auch schon Empfehlungen, wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändert werden sollten. Schade nur, dass Sie an diese Arbeit nicht anknüpfen. Dabei wären diese Ansätze gute Bojen, an denen Sie sich ein bisschen orientieren könnten. Wir sind jetzt gefragt: Steuern wir den Wandel, oder lassen wir ihn über uns ergehen? Eines ist dabei wichtig: Es darf kein düsteres Bild der Zukunft an die Wand gemalt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne haben den demografischen Wandel immer als Chance gesehen. Wenn das bei Ihnen auch der Fall wäre, dann dürfte man erwarten, dass Sie das Thema deutlicher auf die politische Agenda setzen und öffentlich darüber diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Franz Müntefering [SPD]) Der demografische Wandel verändert unsere Gesellschaft von Grund auf. Die Zahlen sind alle genannt. Dass wir immer älter werden, ist erst einmal eine gute Nachricht. Aber auf eine Gesellschaft des langen Lebens müssen wir uns auch einstellen. Da würde es schon helfen, wenn wir etwas von unserem Schwarz-Weiß-Denken abkämen. Es gibt nicht nur die Hilfebedürftigen, die Demenzkranken, die Alten mit Rollator auf der einen Seite und die Fincabesitzer auf Mallorca auf der anderen Seite. Alte Menschen in Deutschland bilden ein vielfältiges Spektrum ab. Sie haben unterschiedliche Bedürfnisse, und sie haben viele Potenziale. Die gilt es in Zukunft mitzudenken. Nicht das Alter an sich ist das Problem, sondern oft sind es die schwierigen Begleitumstände des Alterns. Um ein selbstbestimmtes Leben und soziale Teilhabe sicherzustellen, brauchen wir nicht nur altengerechte Lösungen, sondern altersgerechte. Davon profitieren alle: Familien, Jugendliche, Menschen mit Behinderung und Alte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein Beispiel zum altersgerechten Wohnen. Ältere Menschen wollen möglichst lange zu Hause leben. Dafür brauchen sie Wohnungen, in denen das möglich ist. Im Mai betonte Staatssekretär Jan Mücke bei der Vorstellung der Studie „Wohnen im Alter“ – ich zitiere –: Die Anpassung von Wohnungsbestand … an die Bedürfnisse älterer Menschen steht ganz oben auf unserer wohnungspolitischen Agenda. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Guter Mann, der Jan Mücke!) Hier hätte es eine konkrete Handlungsoption gegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber was macht die Regierung? Das Thema wird im Ausschuss immer wieder vertagt, und das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ wird abgewickelt. So sieht das also aus, wenn die Bundesregierung etwas ganz oben auf die Agenda setzt. Ein weiteres Beispiel ist der Ärztemangel auf dem Land. Das ist ein wichtiges Thema. Das von der Bundesregierung vorgelegte Versorgungsstrukturgesetz wird nicht dabei helfen, die gesundheitliche Versorgung zu verbessern. Es kann doch nicht sein, dass junge niedergelassene Ärzte, die bereit sind, ein paar Dörfer weiter, wo es keinen Arzt mehr gibt, eine Zweigniederlassung aufzumachen, dafür keine Zulassung erhalten. Solche dezentralen Lösungen sind doch zu begrüßen, aber sie werden durch technokratische Verfahren erschwert oder sogar verhindert. Wir brauchen einen Perspektivwechsel und sollten von den Bedürfnissen der Menschen ausgehen. Nicht der Erhalt von Infrastruktur um ihrer selbst willen darf im Fokus stehen. Vielmehr muss man sich fragen: Welche Infrastruktur brauchen die Menschen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben können? Da reicht es eben nicht, Fachkräfte mit höherem Gehalt aufs Land zu locken. Ich komme wie auch Herr Höferlin aus Rheinland-Pfalz, wo einige Regionen vom demografischen Wandel massiv betroffen sind. Wissen Sie, was mir die Ortsbürgermeister häufig berichten? Wenn sich junge Familien ein Haus oder eine Wohnung in der Gemeinde anschauen, dann kommen immer drei Fragen: Erstens. Gibt es Kinderbetreuung? Zweitens. Gibt es Einkaufsmöglichkeiten? Drittens. Gibt es Breitband? Das sind die Bedürfnisse, um die wir uns kümmern müssen: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und echte Breitbandanschlüsse, die Homeoffice ermöglichen und viele Dinge des Alltags erleichtern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Stichwort Fachkräftemangel. In einigen Regionen werden bereits heute händeringend Fachkräfte gesucht. Einige kleine Betriebe stellen sogar Schulabgänger ohne Berufsausbildung ein. Das ist falsch; denn diese jungen Menschen machen später meistens keine Berufsausbildung mehr. Wir brauchen aber Fachkräfte, und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass kein junger Mensch mehr ohne Ausbildung ins Berufsleben startet. Wir müssen uns auch darum bemühen, dass Menschen gerne zum Arbeiten in unser Land kommen, das heißt, wir müssen Zuwanderung positiv und nicht repressiv gestalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu müssen wir die Einkommensschwelle für ausländische Fachkräfte senken und die im Ausland erworbenen Abschlüsse anerkennen. Wir brauchen das Punktesystem. Viele Migrantinnen und Migranten arbeiten bereits unter ihrem Qualifizierungsniveau. Das ist nicht nur herabwürdigend, sondern es vergeudet auch Potenziale. Das sind nur einige Beispiele. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Unser Ziel muss es sein, eine Gesellschaft zu fördern, die wieder stärker zu einer Gemeinschaft zusammenwächst. Statt des oft beschworenen Kampfes der Generationen – Herr Müntefering hat es angesprochen – muss es den Dialog der Generationen geben. Wir wollen eine Gesellschaft, die sich kümmert, eine solidarische, faire und generationengerechte Gesellschaft. Dazu brauchen wir freiwilliges Engagement. Das kann man aber nicht erzwingen, sondern man muss darum werben. Wir brauchen neue Partizipationsmöglichkeiten; denn die Menschen wollen mitgestalten. Dann sind sie auch bereit, Veränderungen mitzutragen. Es ist falsch, zu glauben, es gebe ein Patentrezept. Was wir ganz sicher brauchen, ist eine Strategie, um gemeinsam mit den Ländern und Kommunen Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen. Wir brauchen eine Strategie, die über die Ressorts hinausdenkt, und wir brauchen schnellstmöglich ein Handlungskonzept. Ich rate Ihnen: Nehmen Sie endlich ein GPS-Gerät – oder lassen Sie es auch nur einen Kompass sein – in die Hand! Dann werden Sie den Nebel endlich hinter sich lassen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt Manfred Behrens für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Manfred Behrens (Börde) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit dem Thema „Der demografische Wandel in Deutschland“. Inhaltlich stellt die SPD 63 Fragen, um die Sichtweise der Bundesregierung zu ergründen. Allerdings stelle ich mir bereits hier die Frage: Was hat die SPD denn bisher getan? Ich sage es Ihnen: Obwohl die Problematik längst bekannt ist, haben Sie keine Konzepte. Die Altersstruktur in Deutschland ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits seit über zwei Jahrzehnten die Sterberate deutlich über der Geburtenrate liegt. Demnach schrumpft die deutsche Bevölkerung Jahr für Jahr. Auch in der Zeit der Regierungsbeteiligung hat Ihre Partei keine tragfähigen Maßnahmen auf den Weg gebracht. (Mechthild Rawert [SPD]: Schlecht recherchiert!) Und nun, angekommen in der Opposition, versuchen Sie das Thema „Demografischer Wandel“ als eigenes Thema zu deklarieren. Mit Negativinterpretationen schüren Sie Ängste innerhalb der Bevölkerung. Sie malen unnötig regelrechte Horrorszenarien an die Wand und wundern sich anschließend, dass die Menschen verunsichert sind. Um für die Zukunft seriöse Politik anbieten zu können, muss man wissen, was in den vergangenen 100 Jahren demografisch passiert ist. (Zuruf von der SPD: Herr Behrens erklärt es uns jetzt!) Zum einen ist die Lebenserwartung um 30 Jahre gestiegen. Zum anderen hat sich der Anteil der Kinder an der Bevölkerung von 40 auf 20 Prozent halbiert. Zudem hat sich der Anteil von Menschen über 65 Jahren auf 15 Prozent verdreifacht. Alle diese Zahlen beweisen, dass Deutschland bereits in der Vergangenheit enorme Veränderungen ertragen und überlebt hat. Ich will es ganz deutlich machen: Deutschland steuert mit seiner demografischen Entwicklung nicht auf den Abgrund zu. (Mechthild Rawert [SPD]: Hat das jemand behauptet?) Als Bundestagsabgeordneter und Ortsbürgermeister aus dem Wahlkreis Börde-Jerichower Land befasse ich mich intensiv mit Fragen der demografischen Entwicklung und deren Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt. (Mechthild Rawert [SPD]: Was haben Sie gemacht?) Es ist bekannt, dass es aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge zu einem Rückgang des Arbeitskräftepotenzials kommen wird. Es ist auch kein Geheimnis, dass bereits schwach besiedelte Gebiete mit einer geringen Bevölkerungsdichte vor Probleme gestellt werden; denn hier, in ländlichen Gebieten, wird die Tragfähigkeit von Infrastrukturen im öffentlichen Leben schnell unterschritten. Auch die Infrastruktur auf dem gesundheitlichen Gebiet stellt Gemeinden zunehmend vor finanzielle Probleme. Aber an dieser Stelle von einer aussterbenden deutschen Bevölkerung zu sprechen, halte ich für unangebracht. Was ich für sehr angebracht halte, ist eine vernünftige und glaubwürdige Politik. Die CDU/CSU befasst sich gewissenhaft mit der Entwicklung und der Struktur der Bevölkerung. Gestatten Sie mir als Ortsbürgermeister einer kleinen Gemeinde in Sachsen-Anhalt ein Beispiel: 1990 hatte diese Gemeinde 800 Einwohner. Heute sind es über 2 000 Einwohner. Die Einwohnerzahl hat sich verdreifacht. Die Kindertagesstätte hatte in den 90er-Jahren weniger als 30 Kinder und konnte nicht mehr existieren. Heute hat die Kindertagesstätte 120 Kinder. Jedes Jahr haben wir einen Bevölkerungszuwachs von 25 neuen Bürgern. Damit ist die Zukunft der Kindertagesstätte gesichert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Höferlin [FDP]: Guter Bürgermeister!) Für die Zukunft brauchen wir aber auch vernünftige Konzepte, die den ganz speziellen regionalen Anforderungen gerecht werden. Wir brauchen gute regionale Projekte. Daher ist es von großer Bedeutung, dass sich die einzelnen Gemeinden ihrer eigenen Stärken und Schwächen bewusst werden. Das Ziel kann lauten: Kooperation auf regionaler Ebene. An dieser Stelle können Politik, Wirtschaft und Verbände zusammenkommen, um ein regional gültiges Problembewusstsein zu entwickeln. Darüber hinaus können sich die regionalen Kooperationspartner in einem ständigen Informationsaustausch über kurz- und mittelfristige Ziele für ihre Region abstimmen und versuchen, diese gemeinsam mit der Politik zu erreichen. Die CDU/CSU-Fraktion wird diesen breiten Dialog fordern und fördern. In meinem Heimatland, Sachsen-Anhalt, ist das Thema seit zwei Jahrzehnten allgegenwärtig, unter anderem wurde die Stabstelle Demografische Entwicklung und Prognosen neu geschaffen. Im Rahmen verschiedener Stadtumbauprogramme haben sich Städte konkret mit den Bevölkerungsprognosen beschäftigt und ganzheitliche Konzepte erarbeitet. Durch effiziente Strukturen wird die Funktionsfähigkeit der Gemeinden in Sachsen-Anhalt auch zukünftig gesichert. An dieser Stelle möchte ich aus meiner Gemeinde ein Beispiel für die medizinische Versorgung nennen. Eben wurde gesagt, dass es keine Zulassungen für Hausärzte gibt. Fakt ist, dass wir sterbende Hausärzte und immer weniger Hausarztpraxen vor Ort haben. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sterbende Hausarztpraxen?) In meiner Gemeinde hat ein junges Arztehepaar ein Landambulatorium gegründet. Sie haben mehrere von der Schließung bedrohte Hausarztpraxen übernommen. Somit ist die gesundheitliche Betreuung bei mir vor Ort gesichert. Zum Schluss möchte ich noch festhalten, dass die CDU/CSU-Fraktion an ernsthaften und zukunftssicheren Konzepten arbeitet. Die Bewältigung des demografischen Wandels durch Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen und das Erkennen von Potenzialen ist eine nationale Aufgabe. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich dieser Aufgabe angenommen. Sie wird diese auch in Zukunft mit den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland erfolgreich gestalten. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ganze Welt redet in diesen Tagen über die Zukunftsrisiken, die von den Finanzmärkten und den überschuldeten Staaten ausgehen – mit Recht; denn es geht um nicht weniger als um die Sicherung von Wohlstand, Lebensqualität und solidarischem Miteinander. Genau darum geht es auch bei der Gestaltung des demografischen Wandels. Es geht um das Miteinander der Generationen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der demografische Wandel wird überall in unserem Leben zu spüren sein. Er wird sich auf Kinder auswirken: Es wird immer weniger Kinder geben. Er wird sich auf Jugendliche auswirken, wenn Freizeitangebote nicht mehr aufrechterhalten werden können. Er wird sich auf Familien auswirken, wenn die ältere Generation gepflegt, die jüngere erzogen und die Anforderungen des Arbeitslebens erfüllt werden müssen. Politik sollte den Menschen in einer solchen Situation Orientierung geben. Sie sollten ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, sondern sie unterstützen, wo das nötig ist. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen von daher gute und nachhaltige Bedingungen für Kinder, Jugendliche und Familien. Alle Kinder sollen gesund, materiell abgesichert und mit den besten Bildungschancen aufwachsen. Wir wollen Jugendliche stark machen. Niemand darf zurückgelassen werden. Sie brauchen notfalls auch eine zweite oder dritte Chance, um die Schule, eine Ausbildung oder ein Studium abzuschließen zu können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir wollen Familien unterstützen. Sie erziehen die Kinder und tragen zu einem großen Teil unser soziales Sicherungssystem. Die Familienmitglieder übernehmen Verantwortung füreinander und für die gesamte Gesellschaft. Egal ob Enkelin, Opa oder Mama, wir wollen für alle Familienmitglieder eine Balance zwischen Ausbildung, Freizeit, Engagement und Beruf. Mit den richtigen Ideen und modernen Zukunftsprojekten lässt sich der demografische Wandel gestalten. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP: Haben Sie diese Konzepte? Bis heute haben wir auf unsere Große Anfrage nichts von Ihnen gehört oder gelesen. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das kommt nächste Woche!) Wollen Sie sich diesem demografischen Wandel ohnmächtig und tatenlos ergeben? Ihre Plenarpräsenz und Ihr Engagement in den Debatten sprechen Bände. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nächste Woche!) Ich werde manchmal darauf hingewiesen und angesprochen, es gebe keine Unterschiede mehr zwischen den Parteien. Das sehe ich anders. Die Unterschiede könnten teilweise gar nicht größer sein. So läuft die SPD Sturm gegen die Einführung eines Betreuungsgeldes; denn die negativen bildungs- und gleichstellungspolitischen Wirkungen wären fatal. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was macht die Union? Sie hält – gegen die Meinung der Experten – am Betreuungsgeld fest, nur um ein vermeintlich konservatives Familienbild zu erhalten, (Michael Frieser [CDU/CSU]: Kommen Sie zum Thema!) in dem die Frau zu Hause am Herd steht und die Kinder erzieht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bauen Sie nicht die Herdprämie aus, sondern das Elterngeld. Während die SPD das erforderliche Elterngeld ausbauen will, nimmt die Union Kürzungen vor. Es werden sogar Forderungen nach einer Streichung laut. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nur weil ich den Plenarbetrieb nicht stören möchte, stelle ich keine Zwischenfrage!) Wir wollen niemanden zwingen, arbeiten zu gehen, statt zu Hause bei den Kindern zu sein. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wir auch nicht!) Aber Deutschland ist auf den Schatz gut ausgebildeter Frauen auf dem Arbeitsmarkt angewiesen. Deshalb brauchen wir Konzepte. Sorgen Sie dafür, dass es für Mütter attraktiv ist, zu arbeiten, dass sie notfalls einige Tage zu Hause bleiben und sich um ihre kranken Kinder kümmern können, ohne Angst um den Arbeitsplatz haben zu müssen, und dass sie sich keine Sorgen machen müssen, ob der Monat vor dem Gehalt oder das Gehalt vor dem Monat zu Ende ist. Sorgen Sie dafür, dass für die Väter die gleichen Regelungen gelten; denn moderne Väter haben dieselben Probleme wie moderne Mütter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber an solchen Konzepten mangelt es Ihnen; Sie sind meilenweit davon entfernt. Bis jetzt haben wir von Ihnen nur Beschreibungen des Status quo gehört. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Könnten wir Herrn Müntefering noch einmal hören?) Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie brauchen einen Kurswechsel. Sie müssen jetzt Orientierung geben, statt sich orientierungslos durchzuwursteln. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sie wollen auf unsere Orientierung nicht warten!) Sie müssen jetzt Gemeinwohl organisieren, statt Lobbyismus zu betreiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ein Unsinn! Also wirklich!) Sie haben in dieser Legislaturperiode schon so oft Ihre Meinung geändert. Tun Sie es doch auch dieses Mal. Es ist noch nicht zu spät, dem demografischen Wandel richtig zu begegnen. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, entwickeln Sie Konzepte, so, wie es in unserer Großen Anfrage gefordert wird. Denn es geht um nicht weniger als um die Sicherung von Wohlstand und von Lebensqualität sowie um das Miteinander der Generationen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Johannes Vogel hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal müssen wir alle festhalten – ich freue mich, dass auch die Kollegen der SPD darauf hingewiesen haben –: Wir reden hier über eine gute Nachricht. Wir reden darüber, dass wir alle tendenziell immer älter werden und dabei länger fit bleiben. Sie haben natürlich recht: Dieser Prozess muss politisch gestaltet werden, und zwar mit Jung und Alt zusammen. Die Kollegen – Kollege Krings hat zuerst darauf hingewiesen – haben schon dargestellt: Es ist bestenfalls Oppositionsgetöse, dass Sie uns, nur weil seit vier Monaten die Antwort der Bundesregierung ausbleibt, Handlungsunfähigkeit unterstellen; denn Sie wissen, dass nächste Woche nicht nur ein Demografiebericht, sondern Anfang des Jahres auch eine umfassende Demografiestrategie vorgelegt werden. (Sabine Bätzing-Lichtenthäler [SPD]: Wissen wir das?) Ich glaube, wenn wir uns anschauen, was wir als Koalition hier machen, dann lässt sich dieses Bild nicht halten. Wir stellen uns dem demografischen Wandel, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt. Dort führt er ganz konkret zu Fachkräftemangel. Das wissen wir; das ist die Herausforderung. Wir werden in Deutschland in 2025 6,5 Millionen Arbeitskräfte weniger haben. Das entspricht der Einwohnerzahl Hessens. Ich glaube, auf Hessen sollte die Bundesrepublik nicht verzichten müssen und auch nicht auf die Arbeitskraft so vieler Menschen. Wir stellen uns dieser Aufgabe, zum Beispiel durch die Schaffung von Rahmenbedingungen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dadurch, dass wir mehr in die Qualifikation von Erwerbslosen investieren. Heute investieren wir 1 Milliarde Euro mehr als 2005, zum Ende der rot-grünen Regierungszeit, (Katja Mast [SPD]: Ach, hören Sie doch auf, Herr Vogel! Das ist das Allerletzte! Vergleichen Sie mit 2008! Da bleiben Sie zurück!) obwohl es zu der Zeit 2 Millionen Arbeitslose mehr gab, Frau Kollegin Mast. Wir stellen uns übrigens auch der Aufgabe – das wissen Sie am besten, Frau Kollegin Mast –, den Arbeitsmarkt der Zukunft zu bauen. (Mechthild Rawert [SPD]: Sie stellen sich selbst in eine Ecke mit solchen Aussagen!) Diese Bundesregierung, diese Koalition hat erst vor zwei Wochen eine Arbeitsmarktreform verabschiedet, bei der wir erstmals die Möglichkeit ausgebaut haben, in die Qualifikation Beschäftigter zu investieren. (Katja Mast [SPD]: 13,5 Milliarden Euro Kürzungen!) Das hilft den Menschen auf dem Arbeitsmarkt; das hilft auch bei der Bewältigung des Fachkräftemangels. (Beifall bei der FDP) Wir alle wissen, dass die Menschen länger werden arbeiten müssen. Das ist auch richtig so. Wir kümmern uns daher auch um die Rahmenbedingungen für einen flexiblen Renteneintritt. Ich glaube, niemand kann sagen, dass diese Koalition kein Konzept hätte oder sich der Herausforderung nicht stellen würde. Was man aber sagen kann – das bedauere ich wirklich – ist: Es ist schade, wie wenig konstruktiv Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diesen Prozess begleiten. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das war sehr offensichtlich!) Ich nenne als Beispiel den Fachkräftemangel. Wir wissen, dass es darum geht, die Potenziale hier in Deutschland zu stärken, wir wissen aber auch, dass wir ihn nicht ohne mehr Zuwanderung beheben werden. Es wird nicht ohne mehr Zuwanderung gehen. Wir müssen am Wettbewerb um die klügsten Köpfe der Welt teilnehmen. Was hat Ihr Parteivorsitzender dazu beizutragen? Er spielt das zu stärkende Potenzial im Inland und mehr Zuwanderung gegeneinander aus. Er sagt, wenn dieses Problem ausschließlich über Einwanderung gelöst werden soll – was niemand gesagt hat –, so muss sich niemand über Ausländerfeindlichkeiten wundern. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was? Das hat er gesagt? Das klingt fast wie Lafontaine!) Dieses Gegeneinanderausspielen hilft uns nicht. Das hilft uns auch nicht dabei, Menschen nach Deutschland zu holen. Denn eine Willkommenskultur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, stellen wir uns definitiv anders vor. (Beifall bei der FDP) Ein letzter Aspekt. Ich würde mir mehr konstruktive Begleitung insofern wünschen, als Sie einfach zu dem stehen, was Sie selber für dieses Land erreicht haben. Lieber Kollege Müntefering, das ganze Land kann zum Beispiel Ihnen ganz persönlich und auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dafür dankbar sein, dass Sie die richtige Entscheidung getroffen haben, dass Menschen, wenn sie länger fit bleiben, älter werden, auch länger arbeiten müssen. Deshalb war der schrittweise Umstieg auf die Rente mit 67 richtig. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Davor laufen Sie jetzt davon. Dazu wollen Sie sich jetzt nicht mehr bekennen. Statt uns vorzuwerfen, wir reagierten nicht auf den demografischen Wandel, wäre es ein guter Anfang, wenn Sie zu dem stünden und sich dazu bekennen würden, was Sie für dieses Land einmal positiv erreicht haben. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das würde uns allen helfen, mehr jedenfalls als solche Debatten mit der Behauptung, die Bundesregierung habe kein Konzept. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Mechthild Rawert hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Vogel, Sie sollten sich schämen. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP) Sie sollten sich wirklich schämen. Ich hatte nicht vor, in dieser Rede zum Thema Demografie die Äußerungen insbesondere der Union gegen Zuwanderung zu wiederholen, weil das ein rückwärtsgerichtetes Denken ist. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Sagen Sie das Herrn Gabriel!) Aber es rächt sich heute, dass gerade die Union – (Beifall der Abg. Katja Mast [SPD] – Zuruf von der CDU/CSU: Schreien Sie nicht so!) wenn Sie uns beschuldigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen Zuwanderinnen und Zuwanderer auszuspielen, haben Sie in Ihrem jugendlichen Leichtsinn die Historie nicht richtig verfolgt – so lange gezögert hat, bis sie anerkannte: Deutschland braucht Zuwanderinnen und Zuwanderer, Deutschland ist ein Einwanderungsland. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Der mittel- und der langfristige Fach- und Arbeitskräftemangel beruht auf dem demografischen Wandel. Der jetzige Fachkräftebedarf liegt begründet in verpassten Chancen, mangelnder Frauenerwerbstätigkeit, mangelnder Beschäftigung von Migrantinnen und Migranten und mangelnder Beschäftigung von Älteren. (Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Wir würden schon gern wissen, warum er sich schämen muss!) Zum Kontext der Zuwanderung im Bereich der Fachkräfte sage ich Ihnen: Das moderne Zuwanderungsrecht, das hier reklamiert worden ist, haben wir noch nicht. Ich sage ausdrücklich: Eine gelingende Integrationspolitik ist die beste Werbung für gezielte Zuwanderung. Für meinen Bereich, für Gesundheit und für Pflege, sage ich: Für den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge brauchen wir nicht Billigkräfte, wie es vorhin schon gesagt worden ist, (Zuruf von der CDU/CSU: Was, wer hat das gesagt? – Zuruf von der FDP: Das hat überhaupt niemand gesagt! Das hat niemand behauptet! – Gisela Piltz [FDP]: Vielleicht sollten Sie sich schämen, weil Sie nicht zuhören!) sondern wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, zugewanderte und hiesige. Wenn Sie sich für den Bereich Arbeitsmarktpolitik stark machen, indem Sie den Mindestlohn für alle Branchen bekräftigen, schüren Sie auch keine weiteren Ängste von Hiesigen und Zuwanderern. (Beifall bei der SPD) Diesen Schritt sollten Sie schlicht und ergreifend zusammen mit uns gehen. Faktum ist: Zuwanderer werden in Zukunft nicht mehr vorrangig aus der Europäischen Union kommen, auch nicht mehr aus Osteuropa. Denn die europäischen Länder sind selbst vom demografischen Wandel betroffen. Junge, gut ausgebildete und migrationswillige Menschen könnten aber aus den Maghreb-Staaten, aus Fernost, aus Asien und auch aus Indien und Afrika kommen. Laden wir diese herzlich ein! (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Aber nicht so wie Herr Gabriel!) Zeigen wir ihnen, dass wir sie hier tatsächlich brauchen! Integrieren wir sie offenen Herzens in unsere Gesellschaft, aber nicht als Billigkräfte! (Beifall bei der SPD – Michael Frieser [CDU/ CSU]: Das hätte man in den Antrag schreiben sollen! Das hat doch mit dem Antrag nichts zu tun!) In der Zuwanderungspolitik müssen wir sehr schnell den Wechsel zu einer offenen, auf Vielfalt beruhenden Willkommens- und Anerkennungskultur schaffen. Wir brauchen eine differenzierte Zuwanderungssteuerung mittels eines Punktesystems. Sie haben dies in der Vergangenheit vorrangig verhindert. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, zu Recht! Aus guten Gründen!) – Nein, nicht zu Recht. Wir brauchen gute und qualifizierte Arbeit, insbesondere in den sozialen Bereichen, im Gesundheitsbereich und in der Pflege. Nur das Zusammenspiel von gut ausgebildeten hiesigen und noch zuwandernden Fachkräften wird die Sicherstellung einer würdevollen Pflege für alle, um die wir die ganze Zeit ringen und die wir von Ihnen fordern, ermöglichen. Anders schaffen Sie es nicht, den demografischen Zusammenhalt zu gewährleisten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Mechthild Rawert (SPD): Wer diesen solidarischen und attraktiven Zusammenhalt will, steht aufseiten der SPD. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die von der SPD werden von Redner zu Redner schlechter! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kann es nur noch besser werden! – Gisela Piltz [FDP]: Großartig angefangen und dann so etwas! Schade!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ewa Klamt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ewa Klamt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage zum Thema „Der demografische Wandel in Deutschland“ haben Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sich wieder einmal mit einer der größten Herausforderungen, die unsere Gesellschaft zukünftig zu bewältigen hat, befasst. Wir haben es hier schon mehrfach gehört: Das Bundeskabinett verabschiedet nächste Woche den Demografiebericht. Insofern will ich Ihre Große Anfrage positiv werten, und zwar als konstruktive Begleitung der Bundesregierung auf einem Weg, den diese richtigerweise eingeschlagen hat. Denn der demografische Wandel – in diesem Punkt gebe ich Ihnen vollkommen recht – ist eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Der Rückgang der Bevölkerungszahl und die zunehmende Alterung werden nicht nur im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, bei der Pflege und im Hinblick auf den Fachkräftebedarf, sondern auch bei der erfolgreichen Gestaltung einer älter werdenden Gesellschaft in den Bereichen Bildung und Forschung eine entscheidende Rolle spielen. Dort bildet der demografische Wandel bereits heute einen zentralen Themenschwerpunkt, wie Sie, wenn Sie die Arbeit des Ausschusses, mit der wir uns hier immer wieder beschäftigen, aufmerksam verfolgt haben, bereits festgestellt haben. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Genau diese Bereiche, Bildung und Forschung, sind der Schlüssel, um Produktivität, Innovationskraft und Wohlstand auch in einer älter werdenden Gesellschaft sicherzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung hat die Weichen gemeinsam mit den Bundesländern richtig gestellt, und zwar mit der Vereinbarung, dass die öffentliche Hand, die Wirtschaft und Private bis zum Jahr 2015 insgesamt 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung aufwenden werden. Es wurden nicht nur Vereinbarungen getroffen. Da, wo die Bundesregierung von sich aus allein tätig werden konnte, hat sie gehandelt. Zusätzlich wurden bis zum Jahr 2013 12 Milliarden Euro für Bildung und Forschung bereitgestellt. Darum, meine Damen und Herren von der Opposition, lassen wir uns nicht sagen, dass wir noch nicht tätig geworden sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung, die unter Federführung des Ministeriums für Bildung und Forschung entwickelt wurde, wurde der demografische Wandel als ein die verschiedenen Bedarfsfelder durchziehendes Querschnittsthema prominent aufgegriffen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre aber schön, wenn auch die Ressorts da wären!) Weil Bildung und Forschung eine Schlüsselfunktion haben, fördert das Ministerium Maßnahmen, die auf eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und der gesellschaftlichen Teilhabe älterer Menschen abzielen, ebenso wie Maßnahmen zur Erhöhung des Bildungsstandards. Sie sehen an diesem Punkt auch, dass sich viele der 63 in der Großen Anfrage enthaltenen Fragen eigentlich schon erledigt haben, weil wir längst entsprechende Maßnahmen ergriffen haben. Ein weiteres zentrales Thema ist die Sicherung des Fachkräftebedarfs. Dazu gehört sicher auch die Erhöhung der Innovationspotenziale und der Erwerbsbeteiligung zugewanderter Menschen. In diesem Zusammenhang liegt mir das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz besonders am Herzen. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist sehr unausgereift!) 300 000 Menschen in Deutschland warten darauf, dass die von ihnen im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen endlich in einem vereinfachten Verfahren und anhand einer klaren Regelung geprüft werden können. Damit soll gewährleistet werden, dass sich diese Menschen mit ihren Potenzialen und Fähigkeiten einbringen können. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat aber auch lange gebraucht!) Daher hoffe ich sehr, dass das derzeit im Bundesrat zur Beratung anstehende Gesetz nicht blockiert wird, und ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, ihren Einfluss in den Ländern geltend zu machen, damit dieses wichtige Gesetz in Kraft treten kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Weiteren Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft nimmt sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits seit mehreren Jahren in unterschiedlichen Förderschwerpunkten an. Dazu gehört insbesondere das Thema Pflege. Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen unterstützt das Ministerium die Entwicklung von Prozessen – das sind Dinge, die Sie konkret angesprochen haben –, durch die zum einen Pflegemaßnahmen erleichtert und zum anderen pflegende Angehörige und professionell Pflegende entlastet werden und mehr Raum für menschliche Zuwendung ermöglicht wird. Sie alle kennen auch das Programm „Informations- und Kommunikationstechnologie 2020“. Gefördert werden damit neuartige Lösungen für altersgerechte Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien, mit denen älteren Menschen eine bessere Teilhabe ermöglicht wird. Wenn ich den Reden hier zuhöre, dann stelle ich immer wieder fest, dass ganz viele Kolleginnen und Kollegen überhaupt nicht wissen, was von dieser Bundesregierung längst auf den Weg gebracht worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu brauchen sie Breitband! Und Breitband ist nicht da! Da nützt ihnen auch die beste Kommunikationstechnologie nichts! – Weiterer Zuruf) – Dafür haben Sie mich jetzt gerade hier. Ich erzähle Ihnen das alles ja gerade. Ich sage Ihnen Folgendes: Trotz vieler bereits getroffener Maßnahmen steht natürlich fest, dass bei der Bewältigung des demografischen Wandels noch viele Aufgaben vor uns liegen und langfristige strategische Antworten notwendig sind. Daher wird der anstehende Demografiebericht, den das Bundeskabinett verabschieden wird, sicherlich nicht nur eine Analyse, sondern auch Ansätze in Bezug auf den weiteren Handlungsbedarf enthalten. Ich bin überzeugt, dass man den demografischen Wandel mit gezielter Forschung und Entwicklung aktiv und positiv gestalten kann, und ich denke, dass das doch wirklich ein Thema ist, bei dem wir alle konstruktiv mitarbeiten können. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So sollte es hoffentlich sein!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sebastian Körber spricht jetzt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sebastian Körber (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch keine andere Entwicklung wird unsere Gesellschaft so stark und auch nachhaltig beeinflusst wie durch den demografischen Wandel. Dieser wird sich in Deutschland regional sehr unterschiedlich auswirken: auf der einen Seite im ländlichen Raum, wo es Abwanderungsbewegungen gibt, und auf der anderen Seite in den Ballungsgebieten, wo es Zuwanderungstendenzen gibt. Wir werden merken, wie sich das überall in Deutschland und überall unterschiedlich bemerkbar machen wird. Die Stärkung der Innenstädte und der Ortskerne, die Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur, die medizinische Versorgung und gerade auch die Pflegeeinrichtungen im ländlichen Raum stehen ganz oben auf der Agenda. Zur Freiheit jedes Einzelnen gehört es schließlich auch, sich selbstbestimmt fortbewegen zu können, sodass in jeder Lebenssituation eine aktive Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben möglich ist und die damit verbundenen Einrichtungen besucht werden können. Ziel muss hierbei stets die Barrierefreiheit sein, wo immer sie technisch und auch wirtschaftlich möglich ist. Wo sich dies nicht realisieren lässt, muss ein hoher Grad an Barrierearmut ermöglicht werden. Hierzu sind wir insbesondere auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, die hier ja mit breiter Mehrheit angenommen worden ist. Die Umsetzung der Barrierearmut ist ein dynamischer Prozess, der nur schrittweise unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit vollzogen werden kann. Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr, sagt ein Sprichwort. Es ist doch ein verständlicher Wunsch, dass Menschen im Alter möglichst lange zu Hause in der vertrauten Umgebung bleiben möchten, wo sie sich sicher fühlen. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Warum streichen Sie dann das Förderprogramm?) Hier ergibt sich Handlungsbedarf. Aktuell sind nur 1,2 Prozent der Wohnungen in Deutschland altersgerecht. Wir brauchen aber bis 2020 etwa 2,5 Millionen Wohnungen. Wünschenswert wäre also eine deutliche Erhöhung der Quote auf etwa 20 Prozent bis 2030. Die ambulante Pflege in den eigenen vier Wänden ist deutlich günstiger als die stationäre Pflege und damit gleichermaßen entlastend für die Pflegeversicherung und somit auch ein Beitrag für mehr Generationengerechtigkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Es geht nicht darum, was günstiger ist, sondern was die Menschen wollen!) Zukunftsfähige Baupolitik kommt daher an einer Fortführung des KfW-Programms „Altersgerecht Umbauen“ nicht vorbei; darüber sind wir uns als Fachpolitiker in der Koalition einig. Kommen wir kurz zur Großen Anfrage der SPD. Dabei fällt mir insbesondere die Frage 34 auf; Sie sollten jetzt genau aufpassen. (Caren Marks [SPD]: Das lohnt nicht!) Ich zitiere: Welche Konsequenzen und Handlungsbedarfe ergeben sich für die Infrastrukturen, insbesondere für den Verkehrsbereich? Nun, ein persönlicher Beitrag der SPD dazu war wohl die Anschaffung eines eigenen Kreuzfahrtschiffes „MS Princess Daphne“. Ich habe mir das einmal angeschaut, weil das schon sehr bemerkenswert ist. Ich will das inhaltlich nicht weiter werten; Sie können als Partei Ihr Geld investieren, wo Sie möchten. Aber da wir uns mit der demografischen Entwicklung und der Barrierefreiheit befassen, stelle ich leider fest, dass es auf Ihrem Schiff keine Behindertenkabinen gibt. Sie sollten also dringend bei sich selber anfangen. Wie glaubwürdig ist das denn? Ich darf noch einmal aus Ihrer Großen Anfrage zitieren: Deutschland muss sich vor dem demografischen Wandel nicht fürchten. Vor Ihrer Doppelmoral an dieser Stelle aber sehr wohl! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Demografiebericht ist angesprochen worden. Lassen Sie uns auf Grundlage dieses Berichts ein sinnvolles Konzept erarbeiten, um gemeinsam den Menschen in Deutschland so lange wie möglich ein selbstbestimmtes und generationengerechtes Leben zu ermöglichen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Petra Crone für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Petra Crone (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der demografische Wandel hat natürlich nicht nur, aber eben auch zu einem großen Teil damit zu tun, dass wir immer älter werden. Wir gewinnen Lebenszeit. Die meisten Älteren bleiben länger fit und gesund. Neulich ist beim Marathon hier in Berlin ein 75-Jähriger aus meinem Wahlkreis mitgelaufen. Wunderbar! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Die Älteren haben Erfahrung, Wissen und wichtige Qualifikationen. Sie bieten ein großes Potenzial, das sie für sich und unsere Gesellschaft nutzen wollen und auch können. Eine möglichst lange Teilhabe an der Gesellschaft hält länger gesund und rege. (Beifall bei der SPD) Doch dafür brauchen wir Anreize und Angebote, die Ältere attraktiv finden. Wir haben schon etwas vorzuweisen, was noch weiterzuentwickeln wäre. Ich nenne als Beispiel den Aufbau der Mehrgenerationenhäuser – das war erfolgreich – und die „Freiwilligendienste aller Generationen“. Doch das entsprechende Programm wird Ende 2011 ohne Not auslaufen, und diese Dienste werden vom Bundesfreiwilligendienst ausgebootet. Ein viel zu unpassendes, zeitintensives Angebot für Ältere! (Beifall bei der SPD) Das reicht aber bei weitem nicht aus. Ältere Menschen haben es verdient, dass die Bundesregierung ihnen passende Angebote vorlegt, wenn sie sich engagieren und einen Teil ihrer Zeit für die Gemeinschaft verwenden wollen oder auch wenn sie sich weiterbilden möchten. Die Gesellschaft erwartet von der Bundesregierung Antworten auf die Fragen: Wie können gute Bedingungen geschaffen werden, damit die Menschen ihre Lebenszeit nach ihren Wünschen und Bedürfnissen gestalten können? Was wird getan, um der Altersarmut vorzubeugen? Wie wird Pflege zukunftsfest? Stattdessen ruft die Bundesregierung das Jahr der Pflege aus, verschiebt wieder einmal die längst angekündigte Pflegereform, dieses Mal bis ins nächste Jahr. (Beifall bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Was kümmert die Bundesregierung ihr Geschwätz von gestern?) Ist Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, gar nicht klar, wie dringend notwendig sie ist? Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon vor der Sommerpause ein umfassendes Pflegekonzept auf den Markt gebracht. (Gisela Piltz [FDP]: Auf den Markt? Ich dachte, Sie sind sonst immer gegen den Markt!) Es umfasst neben der Finanzierung von Pflege die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Pflegeausbildung, die Infrastruktur für Beratung und ambulante Pflege, die Voraussetzungen für eine würdevolle Sterbebegleitung und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Übrigens verzichtet es anders als der gestern verabschiedete Entwurf eines sogenannten Familienpflegezeitgesetzes nicht auf einen Rechtsanspruch. (Beifall bei der SPD) Nehmen Sie sich ein Beispiel daran! Denn es ist ein Skandal, dass Sie auf die drängendsten Fragen der Zeit keine Antworten haben. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Frieser hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Michael Frieser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So leid es mir tut, muss ich feststellen, dass wir zu diesem Thema eine Schaufensterdebatte führen. Meine Vorredner haben auch schon darauf hingewiesen: (Mechthild Rawert [SPD]: Stehen Sie vor oder hinter dem Schaufenster?) Wenn man weiß, dass die Antwort der Bundesregierung noch kommt und ein Demografiebericht ansteht, und wenn man sogar an einem Großteil der Diskussionen beteiligt war, aber trotzdem die heutige Debatte nutzt, um mit dieser Fleißarbeit an zusammengestellten Fragen in der Großen Anfrage in irgendeiner Art und Weise das Thema zu besetzen, (Caren Marks [SPD]: Reden Sie auch noch zum Thema? – Mechthild Rawert [SPD]: Ohne uns wären Sie nicht auf die Sprünge gekommen!) dann muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dass das eher strategischer als inhaltlicher Natur ist. Diese Bemerkung wollte ich mir erlauben. Frau Kollegin Crone, ich finde das, was Sie zu der gestrigen Debatte über die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gesagt haben, der Sache nicht ganz angemessen. Ich glaube, dass unser Vorhaben in die richtige Richtung geht. (Caren Marks [SPD]: Die Debatte ja, aber das Gesetz ist eine Farce!) Einen Punkt, in dem Nachholbedarf besteht, muss ich der SPD vorhalten. In der gesamten Großen Anfrage finden sich kein einziges Mal die Wörter „Integration“ oder „Migration“. Das ist überraschend. Ich will Ihnen zugutehalten, dass es darin um den Zu- und Abwanderungssaldo geht; aber es beschränkt sich auf diesen Kontext. Wir müssen eine erfolgreiche Integrationspolitik und eine erfolgreiche Bewältigung der Migration, die in unserem Land stattfindet, hinbekommen; darum handelt es sich. Es wäre völlig verkehrt, zu glauben, dass Zuwanderung die einzige mögliche Antwort auf die Herausforderungen des demografischen Wandels ist. (Zuruf von der SPD: Das hat keiner gesagt!) Wichtig ist aber, dass alle Einflüsse des Integrationsprozesses auf eine Gesellschaft im demografischen Wandel berücksichtigt werden. Ich bin deshalb der Frau Kollegin dankbar, dass sie auf das Berufsqualifikationsfeststellunggesetz hingewiesen hat. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist ein kraftloses Gesetz!) Das ist das integrationspolitische Ziel. Es muss doch klar sein, dass wir dem Umstand, dass Menschen, die eine ordentliche Qualifikation haben, diese in unserem Land nicht nutzen können, möglichst schnell und möglichst gründlich ein Ende machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Möglichst schnell“ ist gut! Darauf warten wir schon lange! – Mechthild Rawert [SPD]: Gründlich war es ja nun nicht!) Wie Sie wissen, beträgt beispielsweise in Berlin der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund 43 Prozent. Ich komme aus Nürnberg, einer Stadt mit einem Anteil von Menschen ausländischer Herkunft oder mit Migrationshintergrund von 34 Prozent. Das zeigt deutlich, dass auch dies ein Ansatzpunkt ist. Wir müssen über die Frage der Ab- und Zuwanderung reden. Was wollen wir nicht? Wir wollen keine automatische Zuwanderung in Sozialsysteme. Zuwanderung hat nur dann Sinn – darin sind wir sicherlich einer Meinung –, wenn Teilhabe und Teilnahme der Menschen, die hierherkommen, dieser Gesellschaft und damit mittelbar oder unmittelbar auch ihnen selber etwas bringt. (Caren Marks [SPD]: Sie muss aber auch ermöglicht werden!) Deshalb sollte sich jeder, der hierherkommt, optimal in dieser Gesellschaft einbringen können. Er soll Beiträge leisten, aber nicht die Sozialsysteme belasten. Er soll Steuern zahlen und das, was er von der Gesellschaft empfangen hat, an diese zurückgeben können. Das ist für mich optimale Integration. Diese kann positive Auswirkungen auf die Weiterentwicklung der Gesellschaft haben. Auch das hat etwas mit demografischem Wandel zu tun. Ich will deutlich machen – das fehlt in diesem Fragenkatalog –, dass es keine Abkopplung von der Gesellschaft und keine Spaltung der Gesellschaft geben darf. Das hat Auswirkungen auf die Integrationspolitik. Es hat schon seine Gründe, warum die Bundesregierung ein Modellprojekt auf den Weg bringt, mit dem Teilhabe und Teilnahme, Fördern und Fordern individualisiert werden. Es soll keine automatischen Prozesse, über die Menschen integriert werden, geben, sondern individuell gestaltete Programme, in deren Rahmen von Mensch zu Mensch darüber geredet wird, welches die beste Form der Zuwendung und welcher Zeitpunkt der beste ist, um jemanden abzuholen. Es ist wichtig, dass wir das schnell tun. Sprache als das Betriebssystem einer Gesellschaft muss schnell weitergegeben werden, damit wir diejenigen, die hier leben, in diese Gesellschaft optimal integrieren und sie in die Lage versetzen, ihrerseits einen positiven, kreativen und konstruktiven Beitrag zu leisten. Deshalb ist mir besonders die Ausbildung wichtig. Darin sind wir uns einig. Eine Gesellschaft, die dem demografischen Wandel unterliegt, in der die Zahl der Menschen abnimmt und die Menschen älter werden, eine Gesellschaft, die bunter wird, muss immer größeren Wert auf die Ausbildung legen. Es ist immer noch Fakt, dass Menschen mit Migrationshintergrund gerade bei dem entscheidenden Übergang zwischen der Schule und dem Beginn der Ausbildung dem Staat verloren gehen. Um diese Frage geht es. Um dem entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung meines Erachtens schon die entscheidenden Schritte getan. (Widerspruch bei der SPD) Ich darf Sie bitten, die Integration und die Migration nicht ganz zu vergessen. Bei der Diskussion über den demografischen Wandel ist diese Frage ganz wesentlich. An der Lösung der Probleme sollten wir gemeinsam arbeiten. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Petra Ernstberger hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Petra Ernstberger (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Da Sie von der Koalition dauernd darauf abgehoben haben, dass uns nächste Woche ein Bericht der Bundesregierung vorgelegt wird, weise ich darauf hin: „Bericht“ beinhaltet berichten. Das heißt noch lange nicht, dass in dem Bericht auch die Handlungsoptionen vorgelegt werden. Das verlegen Sie in den Januar nächsten Jahres. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das macht das Parlament! Das ist unsere Aufgabe!) Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der heute noch nicht im Mittelpunkt gestanden hat, nämlich die Situation der Städte und Gemeinden in Deutschland. (Beifall bei der SPD) Gerade diese sind besonders vom demografischen Wandel betroffen, und zwar in zwei Bereichen: Auf der einen Seite geht es um das Wachsen, auf der anderen Seite um das Schrumpfen. Beides stellt ungeheure Herausforderungen für die Kommunalpolitiker und die Menschen, die in diesen Regionen leben, dar. Besonders betroffen sind Regionen, die an Substanz verlieren. Es gibt Regionen in Deutschland, die bis 2030 30 Prozent ihrer Bevölkerung verlieren werden. Das hat katastrophale Auswirkungen auf die Infrastruktur und die Menschen, die in diesen Regionen leben. Es sind die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, welche die Situation vor Ort und damit die Bedürfnisse der Menschen kennen und die passgenaue und zukunftsfähige Problemlösungen entwickeln müssen. Eine besondere Chance bietet die Zusammenarbeit von Kommunen über die Grenzen hinweg. Dazu ist schon einiges vorbereitet worden, was wir den wirklich guten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern zu verdanken haben, die das schon angepackt haben. Aber das reicht nicht. Sie brauchen auch eine nachhaltige finanzielle Unterstützung, aber nicht eine mit der Gießkanne, sondern eine individuell auf die einzelnen Bedürfnisse zugeschnittene. (Beifall bei der SPD) Der Schwerpunkt muss im Bereich Stadtplanung und Stadtumbau liegen. (Sebastian Körber [FDP]: Haben wir doch!) Und was macht diese Bundesregierung? Sie wird dieser Verantwortung in keinster Weise gerecht. Ich weiß: Die direkten Beziehungen zwischen Kommunalpolitik und Bundespolitik sind ein bisschen schwierig. Aber das kann doch keine Ausrede sein. Wenn die Regierung und die Koalition nicht gerade damit beschäftigt sind, sich mit sich selbst zu streiten oder Klientelpolitik zu betreiben, (Manuel Höferlin [FDP]: Das hat so einen langen Bart!) zeigt ihre Politik eine eindeutige Handschrift: Es wird gekürzt und gestrichen, zum Beispiel bei der Städtebauförderung. Im Bereich Städtebauförderung sind die Mittel von 570 Millionen Euro in 2009 auf 455 Millionen Euro in 2011 gekürzt worden. (Caren Marks [SPD]: Skandal!) Das geschah vor allem in den Einzelprogrammen: beim Stadtumbau West Kürzung um ein Fünftel, beim Stadtumbau Ost Kürzung um 31 Prozent. (Zuruf von der SPD: Schweinerei!) Das Programm „Soziale Stadt“ erfuhr eine Kürzung von drei Viertel der Fördermittel. (Sabine Bätzing-Lichtenthäler [SPD]: Das ist die Antwort auf den demografischen Wandel!) Das bedeutet, dass dieses Programm im Grunde eingestampft worden ist und nur noch zur Gesichtswahrung weiterexistiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manuel Höferlin [FDP]: Das ist Sozialpolitik! Das gehört in den Sozialhaushalt!) Wer kümmert sich um die Folgen dieser Politik? Meine Fraktion hat dazu eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Diese hat darauf geantwortet: Gemäß der Aufgabenverantwortung für die Städtebauforderung obliegt die Entscheidung über die konkreten Maßnahmen vor Ort und damit auch die Entscheidung über mögliche Schwerpunktsetzungen den Ländern. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sehr gut! Subsidiarität! Die brauchen wir! Ganz, ganz wichtig!) Das ist nachzulesen in Drucksache 17/5972. Das bedeutet doch: In Berlin streicht diese Regierung, die Länder bekommen den Schwarzen Peter zugeschoben, und die Kommunen stehen im Regen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Gleiche gilt für die Mehrgenerationenhäuser und für die Projekte im Rahmen von „BIWAQ“, des Programms „Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“. Wir brauchen ein Konzept, das den Kommunen wirklich hilft, das sie unterstützt und den Regionen eine Chance für die Zukunft gibt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Ernstberger, Sie müssen zum Schluss kommen. Petra Ernstberger (SPD): Ja, mache ich. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist fünf vor zwölf. Sie haben die Verantwortung. An dem Beispiel, das ich gerade aufgezeigt habe, wurde deutlich, dass Sie dieser Verantwortung nicht gerecht geworden sind. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Petra Ernstberger (SPD): Kümmern Sie sich um die Städte, die Wachstum bewältigen müssen, ebenso wie um die, die mit Abwanderung und Leerstand konfrontiert sind. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Ich bitte Sie, zum vorhergehenden Tagesordnungspunkt, TOP 28, noch die Überweisung durchzuführen. Hier wurde interfraktionell verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen 17/4485 und 17/7184 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann verfahren wir so. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren – Drucksache 17/7197 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Praxisgebühr und andere Zuzahlungen abschaffen – Patientinnen und Patienten entlasten – Drucksachen 17/241, 17/7152 – Berichterstattung: Abgeordneter Harald Weinberg Verabredet ist hierzu, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag „Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren“ legen wir Ihnen heute ein durchgerechnetes Konzept vor. Solidarität ist für die Mehrheit der Bevölkerung – trotz all Ihrer Versuche der Unkenntlichmachung, sodass man manchmal gar nicht mehr weiß, was das ist – überaus wichtig. (Beifall bei der LINKEN) So findet der Vorschlag einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege als solidarische Alternative zu Kapitalstock und Kopfpauschale auch viel Anklang. Die Fraktion Die Linke verfolgt unseres Erachtens das konsequenteste Konzept im Reigen der Oppositionsfraktionen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Es ist gut, dass die Bündnisgrünen künftig vermutlich von ihrem Kapitalstock „Demografiereserve“ für die Pflege absehen. Sie wollen dem Rat ihres Experten folgen, der ihnen bescheinigt hat, dass damit nur eine Scheinnachhaltigkeit verbunden ist. (Beifall bei der LINKEN) Nun sind wir noch auf die Ergebnisse des SPD-Modells gespannt. Mal sehen, wann wir diese bekommen. Sie und auch viele Bürgerinnen und Bürger kennen unser Konzept. Deshalb will ich nur kurz darauf eingehen. Es sieht vor, alle einzubeziehen, also die „Last“ auf viele Schultern zu verteilen. Dazu ist es aber erforderlich, der Zweiklassenmedizin endlich das Wasser abzugraben. Die private Krankenversicherung wollen wir auf das Zusatzgeschäft beschränken. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass alle Einkommen, über die die Menschen verfügen, ohne Beitragsbemessungsgrenze verbeitragt werden. Die Beitragsbasis soll also erweitert werden. (Lars Lindemann [FDP]: Wie in Kuba!) Selbstverständlich soll endlich Parität wiederhergestellt werden: Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil sind gleich hoch. Die Praxisgebühr und sonstige einseitige Zuzahlungen sollen abgeschafft werden. Das würde endlich Gerechtigkeit schaffen. (Beifall bei der LINKEN) Während sich die Koalitionäre nur streiten und diskutieren, ließen wir in diesem Jahr von einem unabhängigen Gutachter die Potenziale berechnen, die unser Konzept hat. Der Berechnung wurde ein makroökonomisches Simulationsmodell mit 811 Gleichungen, allein 155 für das Submodell Gesundheitsökonomie, zugrunde gelegt. Wir haben darin 50 Jahre Stützzeiträume und Mehrrundeneffekte berücksichtigt. Bei der Pflege haben wir nicht, wie es bei der Gesundheit der Fall war, das Niveau bei der Versorgung eins zu eins beibehalten, sondern wir haben auch noch ein Sofortprogramm eingetaktet, durch das der Preisverlust in Höhe von 15 Prozent seit 1995 ausgeglichen werden soll und in dem die Sachleistungen um 25 Prozent höher liegen. Dies ist der dringende Handlungsbedarf, der sich ergibt, bevor Sie es schaffen, die neue Pflegedefinition umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Was ist nun dabei herausgekommen? Das Ergebnis ist hervorragend. Beiträge von jeweils 5 Prozent für Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden ausreichen, um all das zu bezahlen, was heute in der Gesundheit erforderlich ist. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil könnten also um rund ein Drittel gesenkt werden. Bei der Pflege könnte man trotz der sofortigen Leistungsverbesserung stabil bei einem Beitrag von unter 2 Prozent bleiben. Wer Interesse hat, unsere Studie zu lesen, kann das auf www.linksfraktion.de tun. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ein Werbeblock!) Ein Vergleich mit der jetzigen Belastungslage zeigt, dass vor allen Dingen die unteren 60 Prozent der Bevölkerung massiv entlastet würden. Außerdem würden wir noch Spielraum für Leistungsverbesserungen und für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der im Gesundheits- und Pflegesystem Beschäftigten gewinnen. Das ist dringend erforderlich. (Beifall bei der LINKEN) Mit der steigenden Binnenkaufkraft entstünden langfristig außerdem rund 500 000 Arbeitsplätze außerhalb von Gesundheit und Pflege. Die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist damit ein Paradebeispiel für linke Umverteilungspolitik, und zwar mit positiven Wirtschaftsimpulsen. Ich lade alle, die mögen, zum Diskurs darüber ein. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Willi Zylajew ist jetzt der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Willi Zylajew (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fangen wir mit dem Positiven an: Frau Dr. Bunge, ich bestätige Ihnen gern, dass der Antrag der Linksfraktion eine Reihe von richtigen Aussagen enthält, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sehen wir auch so!) die ich auch gern aufzeige und hervorhebe. Allerdings kommen Sie in Ihrem Antrag durch eine Reihe fehlerhafter Ableitungen zu einem völlig falschen Ergebnis, (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Schauen Sie doch einmal hinein!) zu völlig falschen Forderungen. Daher werden wir dem Antrag – das wird Sie nicht überraschen – nicht zustimmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linksfraktion hat recht, wenn sie im gleich im ersten Satz des Antrags schreibt: Die Kostenexplosion im Pflege- und Gesundheitssystem ist ebenso ein Mythos wie der drohende finanzielle Kollaps. Das stimmt deshalb, weil wir mit unserem Partner in der christlich-liberalen Koalition eine gute Politik machen, sorgfältig hinschauen und handeln und uns um eine Stabilisierung des Systems bemühen. Es gibt keine Kostenexplosion, weil wir Unwirtschaftlichkeiten reduzieren. Es gibt sicherlich überzogene Ansprüche; die lehnen wir aber ab. Wir stärken die redlichen Kräfte in der Selbstverwaltung, und im Gegensatz zur Linksfraktion beobachten und beeinflussen wir sowohl die Ausgabenseite als auch die Einnahmeseite. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, beschäftigen sich nur mit der Ausgabenseite. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein, nein! Dann haben Sie nicht zugehört! – Mechthild Rawert [SPD]: Da müssen Sie ja selber lachen!) – Natürlich muss ich da lachen. Ich wollte den Schreckmoment nutzen. – Sie schauen natürlich nur auf die Einnahmen; das ist Ihr einziges Anliegen. Sie wollen die Einnahmeseite verbessern. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist doch nicht verkehrt!) Ich sage: Damit allein wird es nicht funktionieren. Uns ist wichtig, Frau Kollegin Bunge, dass wir sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Krankenversicherung sowie in der Pflegeversicherung eine ordentliche Balance zwischen verlässlichen Leistungen sowie persönlich und volkswirtschaftlich verkraftbaren Versicherungsbeiträgen erreichen. Diese Balance ist uns wichtig. Dadurch sichern wir eine gute Versorgung im Gesundheits- und Pflegebereich. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Sie haben nichts gelesen, Herr Zylajew! Das tut mir leid, sehr leid!) Wir wollen dies auch weiterhin verlässlich tun, weil wir glauben, dass unser Handeln Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen hilft, gut ist für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer, für die gesamte Versichertengemeinschaft und für den Staat. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihr Konzept für eine zukunftsfeste Finanzierung? Wann soll das kommen? Ich habe noch nichts gehört!) Mit Ihrem Antrag präsentieren Sie letztlich nichts anderes – ich behaupte, er ist noch nicht einmal durchgerechnet – als mehr Leistungsversprechen, höhere Leistungsvergütungen und höhere Kosten, und zwar ohne jede kritische Betrachtung. Das ist unverantwortlich und hat nichts mit Solidarität zu tun. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!) Außerdem ist es, wie gesagt, nicht durchgerechnet. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt komme ich zu Ihrem Zauberwort „Bürgerversicherung“. Das war ursprünglich eine Erfindung der SPD. Es ist schon rührend, zu sehen, wie die Grünen und jetzt auch die Linken versuchen, dieses Modell zu vitalisieren. Es ist ein Versuch, der einen, aus der Ferne beobachtet, schon ein Stück aufmerksam macht. Sie stellen die Bürgerversicherung als ein Patentrezept zur Lösung aller Probleme dar, was aus meiner Sicht aber nicht zutrifft. Ich will auf einige Gesichtspunkte aufmerksam machen. Zum einen würde man nicht mit einem Beitragssatz von 15,5 Prozent zurechtkommen. Sie müssen außerdem bedenken, dass neben den 15,5 Prozent, die eine erhebliche Belastung darstellen, der Rentenversicherungsbeitrag allein um 0,2 Prozentpunkte erhöht werden müsste, wenn Sie die hälftige Mitfinanzierung möchten. Das würde doch auch wieder erheblich belasten. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Wieso das denn?) Sie fordern die Abschaffung des Kinderlosenzuschlags in der Pflegeversicherung. Das stellt aus unserer Sicht eine Mehrbelastung dar. Wenn Sie das Leistungsniveau beibehalten und Vorteile für eine bestimmte Personengruppe abschaffen, dann führt dies letztlich dazu, dass andere unter dem Strich mehr belastet werden. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Sie haben nichts kapiert, Herr Zylajew!) Sie wissen, dass die Beiträge zur PKV nach Aufzehrung der Altersrückstellung deutlich steigen müssten. Ich glaube, das ist Ihr eigentliches Anliegen. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Nein, das haben wir außen vor gelassen! Lesen Sie sich die Studie einmal durch!) Sie versuchen, mit der Studie volkswirtschaftlich vernünftige Entwicklungen ein Stück weit auf den Kopf zu stellen und aus einer völlig falschen Ecke zu beleuchten. Ich denke, unser Gesundheitswesen und insbesondere die Pflege sind ordentlich und solide finanziert. Dazu bedarf es keiner Initiative und keiner Anträge Ihrerseits. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das glauben Sie ja wohl selber nicht!) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Lesen Sie mal zwischen Weihnachten und Neujahr unsere Studie!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Edgar Franke von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Edgar Franke (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute Morgen um kurz nach halb acht habe ich nichtsahnend den Fernseher angestellt. Frau Bunge, wen sehe ich da? Den Vorsitzenden der Linken, Klaus Ernst, in einem Interview zum Parteitag. Herrn Ernst zufolge sind alle Sozialleistungen bezahlbar, wenn man nur richtig umverteilt. Sie haben das vorhin auch gesagt: Es liegt an der Umverteilung. (Beifall bei der LINKEN) So einfach stellen sich die Linken Politik vor. Es wäre schön, wenn es so einfach wäre. Ich hatte nie den Eindruck – Sie waren auch Sozialministerin –, dass, wenn die Linken an einer Regierung beteiligt waren, automatisch der Sozialismus ausgebrochen ist und sich die Sozialleistungen von selbst finanzieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie brauchen keine Angst vor uns zu haben!) Sie haben heute Ihren Parteitag. Deswegen wird unsere Debatte leider nicht auf Phoenix übertragen. Wenn man Ihre beiden Anträge betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass sie auch Vorlagen für Ihren heutigen Parteitag sein könnten. Abschaffung der Praxisgebühr und aller Zuzahlungen sowie eine solidarische Finanzierung der Pflege und Gesundheit, das hört sich natürlich gut an. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Ja!) Sie haben gesagt, dass es sich um ein konsequentes Konzept handelt. Allerdings ist es ein Konzept, das Mindereinnahmen in Höhe von 5 Milliarden Euro bedeuten würde. Diese Summe muss man aber seriös gegenfinanzieren. Frau Bunge, ich komme gleich zu Ihnen. Wir kennen uns ja schon länger. (Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Michaela Noll [CDU/ CSU]: Was heißt das denn?) – Na ja, so lange nun auch wieder nicht. – Richtig ist auf jeden Fall, dass wir eine Bürgerversicherung einführen und die Einnahmen steigern müssen; darin sind wir einer Meinung. Richtig ist auch, dass die unteren und mittleren Einkommensgruppen benachteiligt sind und die Hauptlast unseres Sozialversicherungssystems tragen. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Genau!) Die Gutverdienenden und die Selbstständigen, die im Regelfall die Gesündesten sind, können sich der Solidarität entziehen und sich privat versichern. Das ist nicht richtig. Daher müssen wir eine Bürgerversicherung einführen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Der Kollege Spahn hat – unrasiert wie heute – bei Frontal 21 ein Interview gegeben und gesagt, dass es in Deutschland spätestens 2020 keine private Krankenversicherung mehr geben wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie müssen genau zuhören! Nicht mehr so wie heute!) Ich glaube, Herr Spahn, Sie wollen auch eine Bürgerversicherung. Das freut uns alle sehr. Frau Bunge, auch das Thema Pflege wurde angesprochen. Grundsätzlich ist zu sagen: Eine solidarische Bürgerversicherung im Bereich Pflege ist notwendig. Es muss endlich gehandelt werden. Von Herrn Rösler und anderen der FDP ist das Jahr der Pflege angekündigt worden. Was ist dabei herausgekommen? Ein Jahr des Nichtstuns, ein Jahr des Streits. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Von einem Kapitaldeckungsverfahren, das angekündigt wurde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sehe ich auch nichts. Eines aber muss man sagen – in diesem Punkt haben die Linken ebenfalls recht –: Eine Kapitaldeckung, eine Finanzierung aus Fonds oder Aktien wäre der falsche Weg. Das muss man aus der Krise gelernt haben. Wir brauchen ein Umlagesystem. (Lars Lindemann [FDP]: Umlagesystem bei Leuten, die keinen Job haben!) Deswegen brauchen wir eine solidarische Bürgerversicherung für die Pflege. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Geschätzte Frau Kollegin Bunge, noch zwei oder drei Anmerkungen zum Bürgerversicherungskonzept: Ich glaube, dass man sich gut überlegen muss, ob man die Beitragsbemessungsgrenzen erhöht. Warum muss man sich das gut überlegen? Vorhin habe ich gesagt: Die Hauptlast tragen die Bezieher mittlerer Einkommen. Wenn man die Beitragsbemessungsgrenzen erhöht – ich weiß, dass die Grünen das auch gefordert haben –, sind es gerade die Bezieher mittlerer Einkommen, die am meisten darunter leiden. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wenn man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kennt, die eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen als Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip ansieht, dann weiß man, dass man damit nur den Mittelstand treffen würde. Die Leute, die richtig Kohle haben, erreicht man dadurch gerade nicht. Eine Umverteilung, Frau Bunge, muss in erster Linie über das Steuerrecht erfolgen und darf nicht über das Beitragsrecht geschehen. Das Steuerrecht ist dafür das geeignete Instrumentarium. Hier hat auch die Sozialdemokratie Handlungsbedarf. Wir müssen die Abgeltungsteuer erhöhen. Wir müssen über die Erhebung der Vermögensteuer nachdenken. In Deutschland wird Vermögen wesentlich geringer besteuert als in den angloamerikanischen Ländern. Insofern wäre die Erhebung der Vermögensteuer auch ein Beitrag dazu, eine Bürgerversicherung zu finanzieren. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]) Die Praxisgebühr hat nicht die steuernde Wirkung gehabt, die sie haben sollte; das muss man zugestehen. Sie haben in Ihrer Begründung erwähnt, dass die Praxisgebühr viele schlechtergestellte Versicherte vom Arztbesuch abschrecken würde. Das ist dann natürlich nicht ganz logisch. Es ist aber auf jeden Fall so, dass 2 Milliarden Euro als Einnahmen aus der Praxisgebühr ein Riesenbetrag sind. Wir können jedoch erst umsteuern, wenn geprüft ist, wie hoch die Einnahmen aus der Bürgerversicherung sein werden. Außerdem, Frau Bunge, (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Ich werde gleich rot!) man muss fairerweise sagen, dass man die Bürgerversicherung nur schrittweise einführen kann; denn es gibt Bestandschutz für diejenigen, die momentan in der privaten Krankenversicherung sind. Insofern wird sich auch die Einnahmebasis nur langsam verbreitern. Vor diesem Hintergrund muss man sagen, dass auch die Einführung der Bürgerversicherung nicht dazu führen wird, dass man von heute auf morgen auf 5 Milliarden Euro verzichten kann. Das Ganze muss schrittweise und sachbezogen geschehen; alles andere wäre aus meiner Sicht wirklich unseriös. Ich glaube, das SPD-Konzept der Bürgerversicherung ist das richtige Konzept für die Pflege- und Krankenversicherung. Politik ist immer die Kunst des Möglichen: Was kann ich praktisch realisieren? Versicherte kann man aber erst dann entlasten, wenn das Bürgerversicherungskonzept in die Praxis umgesetzt wird. Erst wenn man weiß, wie viel Geld übrig bleibt, kann man prüfen, ob Zuzahlungen beschränkt bzw. abgeschafft und die Praxisgebühr abgeschafft werden können. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Lars Lindemann von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lars Lindemann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sicherung der solidarischen Krankenversorgung und Pflege in Deutschland ist in der Tat eine der ganz großen Aufgaben unserer Zeit. Sie erfordert Ehrlichkeit in der Analyse, Sachkenntnis bei den Lösungen und die Berücksichtigung der Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen auf alle miteinander zusammenhängenden Bereiche der Gesellschaft. Dabei kommt, sehr geehrter Herr Kollege Franke, die Eile sicherlich nicht vor der Sorgfalt. So viel zu dem Thema, wie schnell diese Koalition mit ihren Vorschlägen ist. Verlassen Sie sich darauf: Sorgfalt spielt bei uns eine größere Rolle als Ihre Eile beim Behaupten, dass wir das nicht könnten. In diesem Zusammenhang sind die Anträge der Fraktion der Linken ein Manifest des Scheiterns an dieser Aufgabe. Sie genügen keinem Anspruch außer dem, den man an Utopien knüpft. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben nicht mal mehr das!) Liebe Frau Bunge, Utopien scheuen den Blick auf die Realitäten, die Wirklichkeit, weil ihre Autoren damit überfordert sind. Weil Sie stets und ständig daran festhalten, dass Solidarität (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist für die FDP natürlich ein Fremdwort!) in diesem Land eben nur die größtmögliche Institutionalisierung des Verteilens des Geldes anderer Leute sein kann, gebe ich hier meine Rede zu Protokoll, damit Sie schnell zu Ihrem Parteitag kommen, wo Sie sich weiter Ihren Utopien hingeben können. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Das ist ja unglaublich! Das habe ich auch noch nicht erlebt! – Maria Klein-Schmeink [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist hier ein Parlamentsverfahren!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender vom Bündnis 90/Die Grünen. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Lindemann, es ist schon interessant, dass die FDP jetzt schon gar keinen Bock mehr hat, hier zu sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Lars Lindemann [FDP]: Mit Ihnen gern, aber nicht darüber!) Offensichtlich glauben Sie nicht an Ihre weitere parlamentarische Existenz. Übrigens: Wenn sich Leistung lohnen soll, dann darf man sich auch am Freitagmittag die Mühe geben, zu sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Jetzt kommen wir zum Antrag der Linken. Da muss ich sagen: Nicht überall, wo „Bürgerversicherung“ draufsteht, ist auch Bürgerversicherung drin. Manche Konzepte sind eher geeignet, den Weg zur Bürgerversicherung zu erschweren als ihn zu erleichtern. Sie machen sich nämlich nicht die Mühe, einmal ein Konzept zu durchdenken und es tatsächlich in ein Gesamtkonzept einzubetten. Ich werfe Ihnen von der Linken vor, dass Sie zumindest denkfaul sind. (Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich begrüße hingegen sehr – der Kollege von der SPD hat schon darauf hingewiesen –, dass es jetzt langsam auch bei der CDU einen Umdenkungsprozess gibt. Kollege Spahn sagte im Fernsehen, er glaube, dass es bis 2020 sicherlich einen einheitlichen Versicherungsmarkt geben werde. Dazu muss ich sagen: Das dauert mir zwar zu lang, aber immerhin ist die Erkenntnis da. Ich finde, wir sollten uns darauf verständigen, diesen Weg zu gehen. Aber was tut die Linke? Wenn Sie es mit einem Bürgerversicherungskonzept ernst meinten, dann hätten Sie Ihren alten Antrag, den Sie hier mit aufgesetzt haben, zurückziehen müssen. Das Ziel, die Zuzahlungen abzuschaffen, teilen wir wohl; aber mit diesem Antrag sagen Sie einfach nur: Weg mit den Zuzahlungen! Die 5,5 Milliarden Euro, die dann fehlen, holen wir geschwind bei den gutverdienenden Angestellten. – Damit würden alle abhängig Beschäftigten, die über 3 712 Euro im Monat verdienen, auf einen Schlag zusätzlich belastet, auch ihre Arbeitgeber. Das betrifft übrigens viele mittelständische Betriebe. Mit dem Mittelstand haben Sie es nicht so; deswegen ist es Ihnen vielleicht egal. Aber man muss das im Hinblick auf die Arbeitsplätze bedenken. Sie fordern eine einseitige Belastung, wollen mal eben Geld abgreifen und sich dann an der Basis dafür feiern lassen. Das ist nicht unser Konzept. Auch Sie wissen es eigentlich besser. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Abschaffung der Zuzahlungen muss in ein Bürgerversicherungskonzept eingebettet sein, das bei der Erhebung der Beiträge alle Einnahmen aller Bürgerinnen und Bürger einbezieht, wodurch es einen Zufluss an Mitteln gibt, der es ermöglicht, unter anderem auf die Zuzahlungen zu verzichten. Dann macht es Sinn, die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen; denn man kommt dann bei denjenigen, die abhängig beschäftigt sind, aber zusätzliche Einkünfte haben, an alle Einnahmen heran. So sehen wir das. (Heinz Lanfermann [FDP]: Deswegen lesen Sie ja auch keine Urteile! – Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Das bedeutet eine Zusatzbelastung für die gehobene Mittelschicht; dazu stehen wir. Wir wollen mehr Solidarität. Da muss ich an die Adresse der SPD sagen: Sie versuchen, sich davor zu drücken, weil auch der sozialdemokratische Facharbeiter Einnahmen zum Beispiel aus der Miete für die Einliegerwohnung in seinem Häusle hat. Sie sagen dann: Wir beziehen die anderen Einkommensarten nicht ein, aber erhöhen die Abgeltungsteuer. – Da kann ich nur sagen: Wir sind hier im Bundestag; wir, die wir hier sitzen, wissen doch ganz genau, wie das bei jeder Haushaltsberatung läuft. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das wird doch nächstens wieder spannend!) Da können Sie die Steuern erhöhen, wie Sie wollen: Die Einnahmen sind nicht zweckgebunden. Also wird jedes Jahr wieder darüber geredet, ob es diesen Zufluss ins Gesundheitssystem weiter geben wird. Das heißt, damit machen Sie die Finanzierung nicht sicherer und nachhaltiger, sondern erhöhen – im Gegensatz dazu – die Unsicherheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch das ist kein guter Weg, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Sozialdemokratie. Jetzt zurück zur Linken. Sie wollen, dass die privaten Krankenversicherungen in Zukunft nur noch Zusatzversicherungen anbieten; Sie wollen ihnen also das Vollversicherungsgeschäft wegnehmen. Ich muss Ihnen sagen: Damit bekommen Sie ein verfassungsrechtliches Problem; aber damit wollen Sie sich offensichtlich nicht auseinandersetzen. Es gibt auch gar keinen Grund dafür. Warum soll man denn der PKV nicht die Chance geben, auf dem Markt der Bürgerversicherung nach den für alle geltenden Spielregeln – diese lauten: Kontrahierungspflicht, einkommensabhängige Beiträge, keine Risikozuschläge, Beteiligung am Risikostrukturausgleich – daran teilzunehmen? Viele PKVen empfinden das als eine Zumutung. Ja, dann sollen sie sich dieser stellen. Unser Ziel ist es jedenfalls nicht, die PKV als Vollversicherung in diesem Segment plattzumachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Wir wollen auch keine „AOK für alle“. Sie wollen die Einheitsversicherung mit einem Einheitsbeitrag. Das ist dann aber gar keine richtige Versicherung mehr. Ich habe den Eindruck, da schimmert so ein bisschen Sehnsucht nach den Verhältnissen in der früheren DDR durch. Wir wollen einen echten Wettbewerb um die beste Versorgung. Wir wollen, dass Kassen, und zwar sowohl die ehemals gesetzlichen wie die ehemals privaten, miteinander um die beste Versorgung der Versicherten konkurrieren. Diesen Wettbewerb wollen wir und darüber hinaus eine nachhaltige und gerechte Finanzierung. Erst dann handelte es sich um eine Bürgerversicherung, die diesen Namen auch verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Stephan Stracke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als diese Koalition angetreten ist, wurde für die gesetzliche Krankenversicherung ein Defizit in Höhe von 9 Milliarden Euro prognostiziert. Wir haben das Blatt gewendet. (Widerspruch bei der SPD) Im ersten Halbjahr 2011 erzielte die gesetzliche Krankenversicherung einen Überschuss in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. (Mechthild Rawert [SPD]: Das wird mit so einer Lüge nicht besser!) Vom Defizit hin zum Überschuss – das ist die Leistung, die die christlich-liberale Koalition vollbracht hat. Wir machen etwas, was trägt. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Wir wissen doch nicht, was Sie machen!) Wir schaffen einen Finanzrahmen, der stabil ist. Eine Bürgerversicherung, wie sie die gesamte Opposition im Sinn hat – von den Grünen angefangen über die SPD hin zu den Kommunisten –, (Lachen bei der SPD und der LINKEN) ist das krasse Gegenteil von dem, was trägt. Sie haben nicht mehr auf der Pfanne als Umstiegsrhetorik. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!) Es beginnt ja schon damit, dass Sie gar keine Vorstellung davon haben, wie der Weg dorthin konkret gegangen werden soll. Ich habe mir den Antrag der Linken einmal sehr genau durchgelesen. Darin sind alle Heilsversprechen enthalten, die man sich vorstellen kann. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Lesen Sie mal die Kurzfassung unserer Studie!) Die Frage aber, wie das genau gehen soll, soll nach Meinung der Linken lieber die Bundesregierung beantworten. Sie haben da wahrscheinlich mehr Zutrauen in uns als in sich selber. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Daran wird schon deutlich, wie hier vorgegangen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Bürgerversicherung ist nichts anderes als eine zwangsweise Einheitsversicherung für alle. (Jens Spahn [CDU/CSU]: So sieht es aus!) Nehmen Sie einmal den Mantel weg, und schauen Sie sich an, was das im Ergebnis bedeutet: Dahinter steckt nichts anderes als Zweiklassenmedizin. Genau das wollen Sie – Zweiklassenmedizin –, weil Sie genau wissen, dass es in dem Moment, wo Sie den Wettbewerb begrenzen und das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung aufheben und damit den Innovationsmotor, den die private Krankenversicherung darstellt, wegnehmen, um die Gesundheitsversorgung in diesem Lande insgesamt schlechter bestellt sein wird. (Mechthild Rawert [SPD]: Halten Sie doch einmal Rücksprache mit Herrn Seehofer!) Dann werden ganz viele in die Zusatzversicherung ausweichen wollen. Somit zementieren Sie die Zweiklassenmedizin mit Ihrem Vorschlag, eine Bürgerversicherung einzuführen, egal, von welcher Seite er tatsächlich kommt. Schauen wir uns einmal die Haltung zur Beitragsbemessungsgrenze an. Die Linke sagt, dass sie diese perspektivisch ganz abschaffen will. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!) Dass das verfassungsrechtlich gar nicht geht, erwähnen Sie mit keinem Wort. Sie würden auf diese Weise nämlich das Äquivalenzprinzip verlassen. Der Vorschlag der Grünen, diese Grenze auf 5 500 Euro anzuheben, würde eine Erhöhung um rund 50 Prozent bedeuten. Natürlich hat der Kollege von der SPD vollkommen recht, wenn er sagt, dass das zunächst einmal die breite Mittelschicht in diesem Lande trifft, nämlich die Angestellten, die Facharbeiter und die Selbstständigen. All diese würden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, durch die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze treffen. (Jens Spahn [CDU/CSU]: So sieht es aus!) Damit träfen Sie die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Sie fallen dummerweise auch noch auf Ihre eigene Rhetorik herein. Ansonsten würden Sie erkennen, dass nur 1,2 Millionen Privatversicherte davon betroffen wären. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Lesen Sie mal!) In ganz überwiegendem Maße träfen Sie dagegen die gesetzlich Krankenversicherten, die schon jetzt im System sind. Rund 4,5 Millionen von diesen würden Sie durch Ihr Modell der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze treffen. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Beitragssatz sinkt ja insgesamt!) Das ist also alles andere als solidarisch und gut organisiert. Ich halte auch nichts davon, dass Krankenkassen jetzt zu einer Art Finanzamt werden. Genau das steckt hinter dem Vorschlag von der Oppositionsbank, und zwar jeglicher Couleur, auch Einkommensarten wie Zinsen, Pachten und Mieteinnahmen einzubeziehen. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, was ist jetzt daran falsch? Dazu habe ich noch nichts gehört!) Das verursacht nur erheblichen Aufwand. Außerdem treffen Sie damit nicht die Vermögensmillionäre – das ist wieder nur Rhetorik; es steckt nichts dahinter –; (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn gesagt, dass es die Millionäre sind?) denn deren Einkommen liegt auch bei einer Erhöhung über der Beitragsbemessungsgrenze. Sie treffen auch hier wieder den kleinen Mann mit seinen Ersparnissen. Ihn wollen Sie schröpfen. Das steckt hinter der Bürgerversicherung. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Schauen Sie sich einmal das Konzept an!) Sie sagen selbst, dass Sie maximal 0,4 Beitragspunkte durch die Einbeziehung von Mieten, Pachten und Zinsen requirieren könnten. Das sind doch allenfalls kurzfristige Effekte. Da unsere Gesellschaft weiter altert und es immer weniger Nachwuchs gibt, werden die Finanzbelastungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung um ein Vielfaches höher werden. Genau deswegen wollen Sie geschlossen an die Töpfe und sagen: Wir wollen die private Krankenversicherung auflösen und am liebsten alle Personenkreise in die gesetzliche Krankenversicherung einbeziehen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch richtig, weil das gerechter ist!) Reden Sie einmal mit den Zuständigen von Kommunen, Ländern und Bund. Wenn Sie alle erfassen wollen, bedeutet das jenseits der verfassungsrechtlichen Problematik zunächst einmal Mehrausgaben. Die Bürgerversicherung wäre ein Belastungsprogramm für Kommunen, Länder und Bund, nichts anderes, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz im Gegenteil: Sie sparen weitere Kosten! Sie haben doch keine Ahnung! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen bildet!) da die Arbeitgeber neben dem höheren Arbeitgeberbeitrag auch noch entsprechende Gehälter zahlen müssten, damit der Arbeitnehmeranteil getragen werden kann. Das steckt dahinter. Das ist alles andere als beglückend. Die Linken sind ganz witzig. Sie wollen alle Versicherten in das gesetzliche System hineinnehmen (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was ist daran falsch?) und die kostenfreie Mitversicherung auflösen. Da kann ich nur sagen: Vielen herzlichen Dank. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben das ganze Konzept noch nicht verstanden!) Sie sollten auf Ihrem Parteitag deutlich machen, dass Sie die Ehegatten und die Kinder als eigenständig Versicherte begreifen und diese entsprechende Beiträge zahlen dürfen. Grüne und Linke wollen, dass unsere Gesundheitsversorgung unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährleistet wird. Ich bin wirklich dafür, dass wir niemandem im Notfall medizinische Behandlung versagen; aber ich habe nicht vor, unsere hervorragende medizinische Gesundheitsversorgung auch denen zuteilwerden zu lassen, die uns ausnutzen, nämlich denen, die illegal hier sind. (Hilde Mattheis [SPD]: Wer ist denn das? – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist unverschämt! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Peinlich!) Dazu reichen Sie die Hand, indem Sie sagen: Versicherungsschutz besteht unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Das zeigt: Die Bürgerversicherung ist der falsche Weg. Er führt nicht dazu, dass die Gesundheitsversorgung in unserem Land besser wird. Deswegen werden wir da nicht mitmachen. Die christlich-liberale Koalition hat die besseren Handlungsansätze. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hilde Mattheis [SPD]: Damit kommen Sie noch nicht einmal in Bayern durch!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7197 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Praxisgebühr und andere Zuzahlungen abschaffen – Patientinnen und Patienten entlasten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7152, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/241 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a und b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme – Drucksache 17/7033 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Abschaffung der nichtindividualisierten Funkzellen-abfrage – § 100 g Absatz 2 Satz 2 StPO) – Drucksache 17/7335 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Jerzy Montag von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 19. Februar dieses Jahres haben die NPD und andere neofaschistische Organisationen in Dresden eine Demonstration durchgeführt. Dagegen haben Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland, viele Tausende von Menschen, demonstriert. Dort ist es auch zu Straftaten gekommen. Deswegen haben die Ermittlungsbehörden am 18. und 19. Februar an vier Orten in Dresden 896 000 Datensätze, 257 000 Rufnummern und 40 732 Be-standsdaten, also Namen, Adressen und weitere persönliche Daten von Bürgerinnen und Bürgern, erhoben, die mit den Straftaten nicht das Geringste zu tun hatten. Am 19. Februar sind bei weiteren Funkzellenabfragen an weiteren 14 Orten in der Innenstadt zusätzlich 138 000 Da-tensätze von 65 645 Anschlussnummern dazugekommen. Das alles ergibt zusammen circa 1 Million Datensätze. Betroffen sind Zehntausende von völlig unschuldigen und unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern. Umfasst waren örtlich ganze Straßenzüge im dicht besiedelten Innenstadtgebiet. Die Funkzellen wurden zeitlich zum Teil nur einige Minuten, zum Teil 13 Stunden lang abgeschöpft. Die Daten wurden nicht nur für die Aufklärung der Straftaten verwendet, für die sie erhoben worden sind, sondern zum Teil auch bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz sowie bei einfacher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung. Dies alles wissen wir nicht deshalb, weil die Ermittlungsbehörden in Dresden dies offengelegt hätten. Dies alles wissen wir dank einer umfassenden, vollständigen und exzellenten Analyse des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, Herrn Schurig. Ich möchte Herrn Schurig an dieser Stelle für mich und meine Fraktion einen ausgesprochenen Dank dafür sagen, dass er diese Arbeit geleistet hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Er muss sich dafür in Sachsen und in Dresden anfeinden lassen. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Wir werden solche Anfeindungen des Datenschutzbeauftragten wie überhaupt Anfeindungen des Datenschutzes in Deutschland nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun war diese Maßnahme richterlich angeordnet, könnte man sagen. Aber ich frage an dieser Stelle: Wie war sie angeordnet? Bei den Anordnungen fehlte jegliche substanzielle Auseinandersetzung mit den Punkten, die nach den gesetzlichen Regelungen notwendig sind: Eingrenzungen nach Ort und Zeitraum der Maßnahme, Stellungnahme zum subsidiären Charakter der Maßnahme, zum Ausmaß Drittbetroffener und zu den Grundrechtseingriffen. Das Ganze war von der Staatsanwaltschaft vorgefertigt und musste vom Ermittlungsrichter nur noch unterschrieben werden. In Dresden besteht der böse Schein, dass es überhaupt keine ermittlungsrichterliche Prüfung gegeben hat; denn in Dresden gibt es überhaupt keine hauptamtlichen Ermittlungsrichter. Nach den Geschäftsverteilungsplänen in Dresden übernehmen diese schwierigen grundrechtsrelevanten Aufgaben ganz normale Richter, die zu ihrem Deputat noch ein Zehntel ermittlungsrichterliche Tätigkeit bekommen. Dass sie nicht mehr können als zu unterschreiben, was man ihnen vorlegt, ist klar. Diese Fehler in Dresden sind nicht nur Fehler bei einer einzelnen Maßnahme, sondern sie sind auch Fehler des von uns hier im Bundestag zu vertretenden Bundesrechts. Deswegen müssen wir uns im Bundestag darüber unterhalten, ob wir den § 100 g StPO, also die Rechtsgrundlage für die Funkzellenabfragen, nicht reformieren sollten. Wir Grüne haben dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Funkzellenabfrage nicht abschaffen will, wie es die Linken fordern – ein absurder Vorschlag, wie ich finde –, (Beifall des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/ CSU]) sondern der eine Einhegung, eine rechtsstaatliche Eingrenzung, dieser Maßnahme vorsieht. Mir fehlt hier und heute die Zeit, Ihnen die einzelnen Punkte dazu vorzutragen. Dafür werden wir aber im Rechtsausschuss Gelegenheit haben. Ich finde, wir haben vernünftige, rationale, angemessene Vorschläge zur Änderung des Bundesrechts unterbreitet. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wahr!) Ich würde mich sehr freuen, wenn die Koalition in diesem Punkt nicht mauern, sondern mit uns diskutieren und mit uns zusammen das Gesetz verändern würde. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Patrick Sensburg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass die Debatte nach dem Hin und Her – findet sie statt, oder findet sie nicht statt? – heute doch noch zustande gekommen ist, weil das ein guter Anlass ist, über den § 100 g StPO zu diskutieren. Ich freue mich auch über den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen. Deswegen habe ich eben geklatscht. Grund war insbesondere, dass Sie gesagt haben, dass das Abfragen der Funkzellen selber nicht infrage steht. Ich denke, das sollte Konsens sein. Das ist ein probates Mittel, an dem wir nicht rütteln sollten. Über das Wie kann man reden; das machen wir heute. Deswegen bin ich für Ihren Gesetzentwurf dankbar. Bevor ich auf den Gesetzentwurf zu sprechen komme, lassen Sie mich bitte zwei Sätze zum Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern sagen – am Mittwoch, als es um die Quellen-TKÜ ging, haben wir bereits mehrere Stunden intensiv darüber debattiert, und darüber reden wir auch heute im Zusammenhang mit der Frage der Funkzellenüberwachung –: Ich habe manchmal den Eindruck, dass von der einen oder anderen Seite versucht wird, das Verhältnis „Staat – Bürger – Kriminelle“ auf den Kopf zu stellen, als sei der Staat derjenige, den es zu überwachen gilt, den es ständig zu kontrollieren gilt. Es steht der Vorwurf im Raum, der Staat würde alle seine Bürger überwachen, nach dem Motto: Big brother is watching you. Es wird der Eindruck vermittelt, dass die Maßnahmen, die der Staat durchführt, per se wahrscheinlich rechtswidrig sind. Weil dieser Vorwurf im Raum steht, muss man dreimal so genau hinschauen. (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist jetzt nicht der Kern! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Staatstrojaner! Die Diskussion hatten wir erst am Mittwoch!) Ich glaube, es ist umgekehrt. Das hat man auf europäischer Ebene erkannt, Frau Kollegin. Da diskutieren wir über einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Schöne Worte!) Diese Dinge hängen zusammen: Freiheit und Sicherheit gibt es nicht, wenn ich das Recht nicht auch durchsetze, wenn der Staat seine Bürger nicht in Schutz nimmt. Sonst haben wir Anarchie. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau um diesen Punkt geht es nicht! Es geht um Kriminalisierung!) Sonst haben wir keine Kontrolle. Das ginge zulasten der Schwächeren, weil sie dann nicht mehr den Schutz des Staates genießen würden. Es ist wichtig, dass wir Ermittlungsmaßnahmen haben, um Straftäter zu überführen, die Straftaten zulasten der Bürger vornehmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Was ist denn mit dem konkreten Fall? – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas zu Dresden!) Zum konkreten Fall, Herr Kollege Montag – eigentlich wollte ich nicht detailliert darauf eingehen, weil wir im Juli ausgiebig über dieses Verfahren diskutiert haben, aber ich habe ja ein bisschen mehr Zeit –: Es hat viele Straftaten gegeben, bis hin zu einem Vorgehen gegen einen Polizeibeamten mit einer Eisenstange. Daraus hätten lebensgefährliche Verletzungen resultieren können, bis hin zum Tod. In Ihrer Rede damals haben Sie gesagt, dass wir bei solchen Straftaten keine Toleranz üben sollten. (Sebastian Edathy [SPD]: Was hat das mit den Funkzellen zu tun?) Genau darum geht es: Wie können wir solche Straftäter verfolgen? Wie können wir auswerten, wer an diesen Straftaten beteiligt war? (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon etwas von der Verhältnismäßigkeit der Mittel gehört?) Auf Zwischenrufe hin habe ich damals gesagt: Was ist eigentlich mit denen, die an solchen Demonstrationen teilnehmen? Könnten diese Leute nicht auch einmal eine Strafanzeige erstatten, wenn sie sehen, dass gegen Polizeibeamte, gegen Staatsorgane vorgegangen wird? Ich frage mich: Warum gibt es nicht auch einmal Anzeigen aus der Demonstration heraus? (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Polizei wird ja wohl feststellen, wenn sie angegriffen wird! Die zeigen das schon selber an!) Wenn es solche Anzeigen nicht gibt, dann muss der Staat Möglichkeiten haben, um die Sicherheit der Demonstrierenden, um die Sicherheit der Bürger sicherstellen zu können. Das halte ich für wichtig. Deswegen gibt es probate Mittel dafür. (Burkhard Lischka [SPD]: Das kann den Dresdner Vorgang noch nicht erklären!) Herr Kollege, zur Verhältnismäßigkeit werde ich gleich noch etwas sagen. Keine Sorge. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja der Hauptpunkt der Debatte!) Die Funkzellenüberwachung ist aus meiner Sicht ein probates Mittel. Das hat der Kollege Montag, wenn ich ihn richtig verstanden habe, eben schon gesagt. Sie stützt sich auf § 100 g StPO. Dass es sich dabei um ein probates Mittel handelt, hat sich auch in verschiedenen Verfahren abseits von Demonstrationen gezeigt. Ich weiß nicht, ob Sie das Verfahren aus dem Jahr 2005 – der Fall Moshammer – kennen. Innerhalb weniger Stunden, innerhalb eines Tages konnte damals durch eine Funkzellenauswertung der Täter ermittelt werden. Der Mörder konnte überführt werden. Mord ist ein schweres Delikt. Frau Kollegin Enkelmann, Sie schütteln den Kopf. Das war so. Sie können das in einem Beitrag von Frau Rauschenberger in der Zeitschrift Kriminalistik nachlesen. Darin wird dieser Fall wunderbar dargelegt. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber das rechtfertigt doch nicht die Abfrage von Tausenden Menschen in Dresden!) – Daraus schließe ich, dass Sie der Meinung sind, dass § 100 g StPO grundsätzlich ein probates Mittel ist. Auch aus Ihrer Sicht sollte die Funkzellenauswertung stattfinden. Sonst würden Sie ja darauf abstellen, dass das nicht nur bei Tausenden Menschen infrage zu stellen ist, sondern schon bei Einzelnen. Wenn das Konsens ist, dann können wir sicherlich über vieles reden; denn die Funkzellenauswertung ist ein pragmatisches und probates Mittel. Es geht dabei um Straftaten von erheblicher Bedeutung. Es wird immer wieder kritisiert, das Merkmal „Straftat von erheblicher Bedeutung“ sei nicht hinreichend definiert. Lesen Sie einmal die Kommentierungen in den einschlägigen StPO-Kommentaren nach. Dort wird eindeutig auf § 100 a Abs. 2 hingewiesen, in dem es einen Straftatenkatalog gibt. Ergänzend wird das Wort „insbesondere“ verwendet, was für Juristen bedeutet: Straftaten gleicher Qualität werden einbezogen. (Burkhard Lischka [SPD]: Es ist schon schwer, zwölf Minuten zu füllen! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sachbeschädigung! Körperverletzung! Beleidigung!) Von daher haben wir bezüglich der erheblichen Straftaten eine klare Ausweisung im Gesetz, der man nachkommen sollte. Plus – jetzt komme ich gleich auf die Verhältnismäßigkeit zu sprechen –: Es muss ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehen. (Sebastian Edathy [SPD]: Ich finde, die Rede ist unverhältnismäßig zum Thema!) Es findet also keine Funkzellenauswertung ins Blaue hinein statt, in Räume, in denen keine Straftaten stattfinden. Es muss tatsächliche Anhaltspunkte für täterbezogene Kommunikation geben. Auch da gilt: Keine Abfrage ins Blaue hinein, keine Abfrage, um nur einmal zu schauen, ob man möglicherweise Straftaten findet. All das wird von einem Richter bestätigt. Sie haben gerade auf Dresden bezogen gesagt, es gebe keine Ermittlungsrichter. Das haben Richter genehmigt, die genau die gleiche Ausbildung, genau die gleiche Qualifikation, zwei Staatsexamen haben. Was möchten Sie noch? (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Praxis vielleicht! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal möchte ich, dass es welche gibt!) Noch ein drittes Staatsexamen für den Ermittlungsrichter? Die entsprechenden Richter in Dresden haben genau die gleiche Qualifikation. Es hat eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit stattgefunden. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! Kein Wort, Herr Kollege Sensburg!) Diese hat auch stattzufinden. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat aber nicht stattgefunden! – Sebastian Edathy [SPD]: Sogar die Staatsregierung räumt ein, dass das nicht der Fall war!) So steht es in jedem Kommentar; Sie lesen diese anscheinend nicht. Sie wollen eine Gesetzesänderung. Sie diskutieren nicht darüber, ob die Einzelmaßnahme in Dresden rechtmäßig oder rechtswidrig war, Sie wollen einen Paragrafen ändern, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit sowas nicht nochmal passieren kann!) obwohl jedem klar ist, dass bei § 100 a Strafprozessordnung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist. (Burkhard Lischka [SPD]: Nur nicht in Sachsen!) Deswegen erachte ich Ihren Gesetzentwurf – das muss ich ganz ehrlich sagen – ein bisschen als einen Scheingesetzentwurf, als PR. Denn wenn man sich einmal anschaut, was wir bisher geregelt haben und was Sie möchten, dann sieht man, dass die bisherige Regelung völlig ausreichend ist. Sie möchten einen Verweis auf § 477 Abs. 2 Satz 2; Sie wollen also keine Zufallsfunde mehr ermöglichen. Das steht explizit in Ihrem Gesetzentwurf – das lese ich Ihnen einmal vor –: Satz 1 wird wie folgt gefasst: § 100 a Absatz 3 und § 100 b Absatz 1 bis 4 gelten, auch in Fällen des § 477 Absatz 2 Satz 2 und 3, entsprechend. So haben Sie es formuliert. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Sensburg, lassen Sie die Frage des Kollegen Montag zu? Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Ich lasse die Frage des Kollegen Montag natürlich zu. Bei zwölf Minuten Redezeit wird die Zeit ja auch manchmal etwas knapp. (Sebastian Edathy [SPD]: Das geht uns aber anders! Das kommt uns sehr lange vor!) – Das liegt jetzt nicht an mir, sondern am Kollegen Montag. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt bin ich dank der Verfügung des Herrn Präsidenten dran. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr gerne. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Sensburg, unseren Gesetzentwurf gilt es nicht nur zu lesen – das haben Sie geschafft –, – Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Danke. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – sondern auch zu verstehen. Weil Sie ihn offensichtlich nicht verstanden haben – ich befürchte, nicht verstehen wollten –, will ich es Ihnen an dieser Stelle noch einmal erklären. § 477 regelt die Übertragung gewonnener Ermittlungserkenntnisse aus einem bestimmten Verfahren in ein anderes Verfahren. Das ist zulässig und soll nach unserem Gesetzentwurf zulässig bleiben. Die Sache ist die: Wenn im Ausgangsverfahren eine ermittlungsrichterliche Anordnung notwendig ist, finden wir, sollte für die Übertragung der Erkenntnisse in ein anderes Ermittlungsverfahren auch eine ermittlungsrichterliche Anordnung nötig sein. Bisher ist es so, dass die Polizei diese Übertragung der Erkenntnisse von einem in ein anderes Verfahren alleine vornehmen kann. In Dresden führte das dazu, dass man aufgrund einer ermittlungsrichterlichen Maßnahme diese Funkzellendaten in einem Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs abgefragt hat, und dann hat die Polizei sie ohne gerichtliche Überprüfung in ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz übertragen. Wir meinen: Wenn die Daten ursprünglich einer richterlichen Überprüfung bedürfen, dann soll auch die Übertragung einer richterlichen Überprüfung bedürfen. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet der von Ihnen zitierte Satz. Es wäre mir ganz recht, wenn Sie nicht nur lesen, sondern mitdenken würden, lieber Kollege. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kollege Montag, ich habe bei Ihren Ausführungen zwar noch keine Frage gehört, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch nicht nötig! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine Zwischenbemerkung!) aber ich habe einen Hinweis gehört. Ich habe nicht nur den Gesetzestext gelesen, den Sie vorschlagen, sondern auch die Begründung, die Sie anfügen. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht genau das drin!) Es sind genau die Fälle, in denen zufällig Erkenntnisse zum Beispiel wegen Verstoß gegen das Versammlungsgebot, Landfriedensbruch entdeckt werden – man könnte sich aber auch viele andere Fälle denken –, in denen Sie eine höhere Hürde fordern, dass Ermittlungsmaßnahmen stattfinden können. Dann sage ich: Wenn solche Maßnahmen möglich sind, wenn durch eine Funkzellenabfrage Erkenntnisse gewonnen werden, müssen die auch zeitnah und schnell von der Polizei genutzt werden. Ich glaube, Sie wollen wieder eine höhere Hürde einbauen – es ist übrigens die erste Hürde, die ich festgestellt habe; zu den anderen komme ich gleich noch –, die an dieser Stelle nicht angezeigt ist. Aber wir werden im Ausschuss darüber diskutieren. Von daher bin ich gespannt, wie die Diskussion weitergeht. Der nächste Punkt, den Sie ansprechen, ist die Begründungspflicht der Anordnung. Es mag sein, dass Sie Probleme mit der konkreten Anordnung in Dresden haben. Wenn Sie aber die Anforderungen sehen, die – inklusive der Verhältnismäßigkeitsprüfung; das können Sie in aller Literatur nachlesen, auch in der Gesetzesbegründung – an eine Begründung gestellt werden, dann sehen Sie, dass diese einzelnen Schritte stattfinden müssen. Sie meinen, wir müssen ein Gesetz schaffen, weil Sie der Ansicht sind, damals sei etwas nicht richtig gelaufen. Das kann eigentlich nicht der Ansatz sein, (Beifall bei der CDU/CSU) aufgrund dessen der Gesetzgeber ein Gesetz macht. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Sie ist es richtig gelaufen?) Das Dritte ist die Übersicht, dass Sie alle Funkzellenabfragen in einer Übersicht dokumentiert haben wollen. Das ist die PKS. Das ist die Polizeiliche Kriminalstatistik der Länder und des Bundes. Da werden solche Dinge dokumentiert. (Sebastian Edathy [SPD]: Das steht doch bisher nicht drin!) Wenn Sie ständig ergänzende Dokumentationen fordern, wird das doch nicht besser, nicht transparenter. Lassen Sie uns diese Maßnahmen in der PKS, in der Polizeilichen Kriminalstatistik, dokumentieren. Da sind sie richtig aufgeführt. Wenn man sich das alles einmal anguckt, zeigt Ihr Gesetzentwurf eigentlich, dass Sie aufgrund der Ereignisse in Dresden jetzt Aktionismus zeigen wollen, sich gerieren wollen als diejenigen, die etwas ändern, die etwas verändern. (Sebastian Edathy [SPD]: Was ist mit dem Gesetzentwurf von Sachsen selber?) Das ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ansatz. Lassen Sie uns in den kommenden Sitzungen darüber diskutieren, ob etwas Gehaltvolles drin ist. Dann bin ich gern bereit, das eine oder andere vertieft zu diskutieren, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur diskutieren! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon, dass die CDU in Sachsen selber Änderungen haben will?) vielleicht sogar zu übernehmen. Aber die Punkte, die ich angesprochen habe, sehe ich nicht als gehaltvoll an. Ich danke Ihnen für das Zuhören. Ich weiß nicht, ob Sie noch eine Nachfrage haben. Aber ich glaube, es ist klar geworden, welches unsere Position zum Thema Funkzellenabfrage ist. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Sebastian Edathy von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sebastian Edathy (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Sensburg, es wäre sicherlich ganz hilfreich gewesen, wenn Sie seitens der Union deutlich gemacht hätten, dass wir hier nicht im luftleeren Raum diskutieren, sondern dass es einen konkreten Anlass gibt. Der hat etwas mit den problematischen Vorgängen von Dresden zu tun. Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Ich glaube, dass man auch im Rahmen dieser Debatte sagen muss, dass die vielen Tausend Menschen, die dort regelmäßig mit demokratischer Gesinnung friedlich auf die Straße gehen, um die Straßen und Plätze eben nicht den Neonazis zu überlassen, unsere Ermutigung und Unterstützung bekommen sollten (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und nicht einem Generalverdacht unterworfen werden dürfen. Ich selber war im Februar in Dresden dabei. Wenn man sich die Vorschriften anschaut, stellt man fest, es gibt rechtlichen Präzisierungsbedarf von § 100 g der Strafprozessordnung. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Auslegung dieses Paragrafen, wie sie in Dresden praktiziert worden ist, offenkundig weder dem Text noch dem Geist der entsprechenden Norm entspricht. Es ist ganz klar rechtswidrig gehandelt worden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann nicht von Zehntausenden Bürgerinnen und Bürgern Verbindungsdaten speichern, um in zweistelliger Anzahl Verfahren einzuleiten. Es sind ja sogar Verfahren – entgegen der Bestimmung des Paragrafen in der Strafprozessordnung – wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht, was keine besonders schwere Straftat darstellt, eingeleitet worden. Wenn wir aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass dort falsch gehandelt worden ist, müssen wir uns auch die Frage stellen: Hat das nur etwas mit einer falschen Umsetzung des Paragrafen zu tun, oder ist dieser Paragraf verbesserungswürdig und bedarf er der Präzisierung? Ich will hier gern Folgendes erwähnen, weil ich finde, man muss schon zur Kenntnis nehmen, was für interessante Bundesländer wir haben: Als ich im Februar in Dresden war, habe ich im Vorfeld den sächsischen Innenminister gebeten, mir zu ermöglichen, mir als Abgeordneter des Deutschen Bundestages von der Leitung des Polizeieinsatzes einen persönlichen Eindruck zu machen. Das ist fernmündlich abschlägig beschieden worden. Ich habe dann um eine schriftliche Begründung gebeten. Das hat drei Monate gedauert. (Heiterkeit des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf mehrfache Nachfragen meines Büros antwortete mir das Staatsministerium des Innern des Freistaates Sachsen: Auf Ihre Anfrage möchte ich Ihnen mitteilen, dass grundsätzlich Besuchen von Mandatsträgern in den Führungsstäben der sächsischen Polizei während bestehender Einsatzlagen nicht zugestimmt wird. Vor dem Hintergrund, dass es während des Einsatzes für die im Führungsstab beschäftigten Bediensteten und insbesondere auch für den Polizeiführer des Einsatzes – jetzt kommt es – möglichst wenig Störungen und damit einhergehende Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit geben soll, (Burkhard Lischka [SPD]: Für Sachsen sind Abgeordnete Störer! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was? Abgeordnete stören?) haben wir uns entschlossen, entsprechende Besuchsanfragen abschlägig zu beantworten. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!) Also: Die gewählten Volksvertreter stören bei der Polizeiarbeit. Das ist eine sehr spezifische sächsische Haltung. Ich halte sie für ausgesprochen bedenklich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manuel Höferlin [FDP]: Ich mache die Anfrage mal in Rheinland-Pfalz! Mal sehen, was ich dann geantwortet bekomme! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ja Monarchie!) Ich habe im Nachgang zu meinem Besuch in Dresden den sächsischen Innenminister gebeten, mir mitzuteilen, ob auch meine Verbindungsdaten für den Zeitraum, in dem ich mich dort aufgehalten habe, gespeichert worden sind. Diese Frage hat er nicht beantwortet, aber gesagt: Wie Ihnen bekannt ist, sind neben dem friedlichen Protest gegen die rechte Demonstration an vielen Orten der Stadt erhebliche Straftaten begangen worden. Ein demokratischer Rechtsstaat ist in seinem Bestand darauf angewiesen, dass die Strafverfolgungsbehörden solche Straftaten aufklären können. Wer es für den Bestand des Rechtsstaates für existenziell hält, eine massenhafte Funkzellenabfrage durchzuführen, um einer Handvoll Straftäter auf die Spur zu kommen, der hat, glaube ich, ein falsches Rechtsstaatsverständnis. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der hat auf jeden Fall die Verhältnismäßigkeit der Mittel völlig aus den Augen verloren. Das Interessante an diesem Thema ist Folgendes – ich weiß nicht, ob Sie, Herr Sensburg, das nicht zur Kenntnis genommen haben –: Uns liegen nicht nur ein Gesetzentwurf der Grünen und ein Gesetzentwurf der Linksfraktion vor. Selbst die sächsische Landesregierung (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, CDU!) hat über den Bundesrat einen Gesetzesantrag zur Präzisierung des § 100 g der Strafprozessordnung vorgelegt, ich will nicht sagen, aus schlechtem Gewissen – obwohl es relativ naheliegend wäre – vielleicht aber aus Erkenntnis. Man muss sich angesichts des Gebahrens in Dresden an den alten Satz von Georg Christoph Lichtenberg erinnern: Wenn ein Affe in ein Buch schaut, kann in der Regel kein Philosoph zurückschauen. (Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt, wie gesagt, verschiedene Initiativen, von der Linkspartei bis hin zu Schwarz-Gelb in Sachsen. Ich halte es für zwingend erforderlich, dass wir bei den anstehenden Beratungen im Rechtsausschuss sehr intensiv über dieses Thema reden und dazu auch eine öffentliche Expertenanhörung durchführen. Ich will hierzu nur einige kurze Bemerkungen machen. Meine Fraktion, die SPD, ist nicht der Auffassung der Linkspartei, dass man auf dieses Instrument gänzlich verzichten kann. Im Gesetzentwurf des Bündnisses 90/Die Grünen wird zwar, wie ich finde, zu Recht erkannt, dass die Bestimmung „besonders schwere Straftaten“ – das gilt insbesondere für § 100 a Strafprozessordnung – relativ unkonkret ist und in der Tat der Substantiierung bedarf. Aber der Gesetzentwurf der Grünen hat auch Schwächen. Er hätte zum Beispiel zur Folge, dass eine Funkzellenabfrage selbst bei besonders schweren Fällen des Landfriedensbruchs nicht mehr möglich wäre; § 125 a des Strafgesetzbuches wäre dann nicht mehr erfasst. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Telefone abzuhören ist auch nicht erlaubt!) Darüber kann man aber sicherlich reden. Der Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen zielt im Wesentlichen darauf ab, zu einer Präzisierung des Gesetzes zu kommen. Mir scheint auf jeden Fall Beratungsbedarf gegeben. Es besteht die Notwendigkeit, sich diesem Thema intensiv zu widmen und sich darum zu kümmern, dass sich so etwas wie in Dresden nicht wiederholt. Ich möchte nicht, dass wir im Bundestag zu der Auffassung kommen, die der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Sommer im heute-journal vertreten hat. Herr Kollege Kauder – leider ist er heute nicht da – hat wörtlich gesagt: Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bürgers in den Vordergrund zu stellen. (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ja wieder Kauderwelsch! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Schön wäre es!) – „Kauderwelsch“ habe ich nicht gesagt, Herr Kollege Lischka. – Das ist nicht Mode. Das ist demokratischer Rechtsstaat. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Manuel Höferlin [FDP]: Da hat er recht! Das machen wir ja auch! Wir sind halt modisch! – Zuruf von der SPD: Ein Grundsatz!) Wir müssen feststellen, dass wir es offenkundig mit einer Norm der Strafprozessordnung zu tun haben, die zumindest missbrauchsanfällig ist, unabhängig davon, ob in Dresden gegen geltendes Recht verstoßen worden ist oder nicht; selbst bei rechtskonformer Umsetzung dieser Norm ist sie missbrauchsanfällig. Deshalb sollten wir uns die nötige Zeit nehmen, intensiv zu beraten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Ahrendt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Ahrendt (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Der Kollege Edathy hat es mir leicht gemacht, mit meiner kurzen Redezeit auszukommen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil Sie sehr zutreffend darauf hingewiesen haben, dass im Bundesrat bereits seit Beginn September ein Antrag der christlich-liberalen Koalition aus Sachsen vorliegt, die sich mit dem gleichen Thema, das auch Gegenstand des Entwurfs der Grünen hier ist, beschäftigt hat. Insofern verfolgen wir hier ein wichtiges Anliegen. Schauen Sie sich an – die Kollegen haben es schon beschrieben –, was in Dresden passiert ist: Hunderttausende gerieten durch die Abfrage einer Funkzelle in die Überwachung der Polizei, ohne eine Straftat begangen zu haben, weil andere in dieser Funkzelle an Straftaten beteiligt waren und sie sozusagen ein Beifang bei dieser Ermittlungsmöglichkeit waren. Das Problem hinsichtlich dieses Beifangs ist nicht die Vorschrift des § 100 g Strafprozessordnung, sondern dass wir über die Weiterverwendung dieser Verkehrsdaten faktisch eine Rasterfahndung zulassen; denn dadurch, dass diese Daten auch in anderen Ermittlungsverfahren genutzt werden können, indem sie weitergereicht werden können, kommt es zu einem wesentlich intensiveren Eingriff auch schon bei Straftaten, bei denen die Erfassung von Verkehrsdaten selbst gar nicht zugelassen ist. Das ist die Schwierigkeit. Dies greifen die Grünen in ihrem hier vorliegenden Entwurf auf, das greifen aber insbesondere auch die CDU und die FDP in ihrem Antrag im Bundesrat auf. Vor diesem Hintergrund müssen wir überlegen, ob wir § 477 Abs. 2 StPO ändern müssen. Ärgerlich ist – das muss an dieser Stelle auch gesagt werden –, dass dieses Gesetzgebungsverfahren erst vier Jahre alt ist; denn 2007 ist das alles hier beraten worden. Wenn man sich die Protokolle des Rechtsausschusses anschaut, dann sieht man, dass genau darauf, dass wir dieses Problem bekommen werden, hingewiesen worden ist. Es ist schade, dass man damals – wir selbst waren in dieser Zeit in der Opposition – nicht auf die Opposition gehört und dieses Problem mit aufgegriffen hat, sondern dass man sozusagen erst die negativen Erfahrungen in Dresden machen musste, um jetzt zu einer Beratung dieser Vorschrift zu kommen. Ich halte es für klug, die Beratungen, die jetzt im Bundesrat aufgrund des sächsischen Antrags stattfinden, abzuwarten. Wir werden dann im Rechtsausschuss den Vorschlag der Grünen beraten. Ich glaube, der Aspekt, den auch der Kollege Sensburg genannt hat, ist wichtig: Auf der einen Seite geht es immer darum, Straftaten aufzuklären – Landfriedensbruch ist eine Straftat, und wenn ich mich in der Nähe des Ortes aufhalte, an dem eine solche Straftat stattfindet, dann muss ich mir darüber im Klaren sein, dass ich in ein Ermittlungsraster hineingeraten kann, weil es zwingend ist, Straftaten wie Landfriedensbruch aufzuklären –, auf der anderen Seite muss aber genauso sichergestellt sein, dass die Daten, die bei einer solchen Ermittlung in Massen anfallen, nicht einfach weiterverwendet und quasi im Rahmen der Ermittlungstätigkeit für eine Art Rasterfahndung genutzt werden, bei der gefragt wird, ob jemand noch eine andere Straftat begangen hat, die man damit gleichzeitig erfassen kann. Das darf nicht passieren. Vor diesem Hintergrund ist uns zu empfehlen, die Beratungen im Bundesrat abzuwarten, den Antrag sorgfältig zu beraten und dann zu entscheiden, ob wir hier zu Änderungen der Strafprozessordnung kommen müssen oder nicht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Rede des Kollegen Jan Korte von der Fraktion Die Linke ist zu Protokoll gegeben worden.2 Deswegen hat jetzt als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und vermutlich auch an diesem Tag der Kollege Manuel Höferlin von der FDP das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Manuel Höferlin (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Die Überarbeitung des § 100 g der Strafprozessordnung habe ich in einer Aktuellen Stunde selbst auch schon in Betracht gezogen. Darum freue ich mich, heute mit Ihnen darüber reden zu können. Durch die genaue Lektüre Ihrer Anträge zeigt sich, dass Sie die Kernprobleme, die wir damals am 1. Juli 2011 hier besprochen haben, damit nicht wirklich ganz lösen können. Der Gesetzentwurf ist teilweise nicht so, dass damit das Kernproblem, das der Kollege Ahrendt gerade eben angesprochen hat, gelöst werden kann. Die Problematik in Bezug auf § 100 g StPO lässt sich mit diesem Vorschlag nicht richtig bewältigen. Das geht daran vorbei. Um es noch einmal genau zu sagen: Beim konkreten Fall in Dresden wurde ein IMSI-Catcher eingesetzt. Es ging um fünf Linksextremisten, die wohl eine kriminelle Vereinigung gründen wollten. Die Ermittlungen gingen in diese Richtung. Danach wurde eine großangelegte Funkzellenabfrage durchgeführt. Dass diese Maßnahme sehr weitgehend ist und tief in die Rechte eingreift, weil mit ihr sehr viele Daten eingesammelt werden, ist völlig unstrittig. Ob das jetzt rechtmäßig ist oder nicht, ist letztlich die Kerndiskussion. Wir glauben, dass der hierzu erfolgte Richterbeschluss rechtmäßig war. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl kaum!) Aber nachher stellen sich folgende Fragen: Was passiert mit den Daten? Wofür werden sie weiter genutzt? Die danach angeordneten Einzelmaßnahmen wurden – das ist das Kernproblem – erst dann problematisch, als sie in Bezug auf einfache Verfahren, wie zum Beispiel beim Verstoß gegen das Versammlungsrecht, herangezogen wurden. Herr Sensburg, Herr Ahrendt, Sie haben schon zu Recht gesagt, dass es dazu einen Antrag der christlich-liberalen Koalition aus Sachsen gibt. Ich glaube, dass dieser Antrag der Sache besser gerecht wird. Wir werden uns das im Ausschuss genau ansehen. Der Punkt mit der Funkzellenabfrage wurde zu Recht aufgegriffen. Aber so, wie Sie es in Ihrem Gesetzentwurf formuliert haben, löst er das Problem mit § 100 g StPO nicht. Es geht darum, dass hier massenhaft Daten vorrätig gehalten wurden. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, liebe Kollegen von den Grünen, zeigen Sie sich in den Koalitionsverträgen mit Ihrem Koalitionspartner, der SPD, gegenüber der Vorratsdatenspeicherung inzwischen sehr aufgeschlossen. Daher muss man schon einmal überlegen, ob man hier beim Sammeln von Daten sparsamer sein muss. Die Frage ist: Wie kann man solche weitgehenden Funkzellenabfragen so gestalten, dass solche großen Mengen an Daten nicht so lange gespeichert, sondern schneller gelöscht werden? (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das machen wir!) – Das machen Sie in diesem Gesetzentwurf eben nicht zureichend. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat der Kollege Ahrendt aber gesagt!) Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion – um auch darauf in den letzten Sekunden meiner Redezeit einzugehen – wollen im Prinzip die Massenfunkzellenabfrage komplett abschaffen, so wie Sie das in dem Gesetzentwurf formulieren. Ich glaube, dass diese Maßnahme völlig ungeeignet und auch scheinheilig ist. Es ist völlig unstrittig, dass eine Maßnahme wie diese in engen Schranken nötig ist. Deswegen sind wir dafür, dass wir uns diese Sache ganz genau ansehen. Wir brauchen einen § 100 g StPO, der den Anforderungen an Datenschutz und Datensparsamkeit gerecht wird, wir brauchen keine schlechten Versuche, die an dem Thema vorbeigehen, und schon gar nicht eine Sabotage des Rechtsstaates, bei der ihm ein solches Mittel ganz genommen wird. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht immer nur gucken, auch mal machen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/7033 und 17/7335 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Oktober 2011, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.02 Uhr) Berichtigung 133. Sitzung, Seite 15819 D: Der Name Joachim Poß ist durch den Namen Johannes Pflug zu ersetzen. Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 21.10.2011 Bär, Dorothee CDU/CSU 21.10.2011 Barnett, Doris SPD 21.10.2011 Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 21.10.2011 Behrens, Herbert DIE LINKE 21.10.2011 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 21.10.2011 Bockhahn, Steffen DIE LINKE 21.10.2011 Bülow, Marco SPD 21.10.2011 von Cramon-Taubadel, Viola BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.10.2011* Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 21.10.2011 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 21.10.2011 Ernst, Klaus DIE LINKE 21.10.2011 Freitag, Dagmar SPD 21.10.2011 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 21.10.2011 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 21.10.2011 Golze, Diana DIE LINKE 21.10.2011 Groth, Annette DIE LINKE 21.10.2011 Hänsel, Heike DIE LINKE 21.10.2011 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 21.10.2011 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.10.2011 Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 21.10.2011 Hörster, Joachim CDU/CSU 21.10.2011* Dr. Hoyer, Werner FDP 21.10.2011 Jelpke, Ulla DIE LINKE 21.10.2011 Korte, Jan DIE LINKE 21.10.2011 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 21.10.2011 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.10.2011 Laurischk, Sibylle FDP 21.10.2011 Lay, Caren DIE LINKE 21.10.2011 Lenkert, Ralph DIE LINKE 21.10.2011 Lindner, Christian FDP 21.10.2011 Lötzer, Ulla DIE LINKE 21.10.2011 Dr. Lötzsch, Gesine DIE LINKE 21.10.2011 Möhring, Cornelia DIE LINKE 21.10.2011 Nahles, Andrea SPD 21.10.2011 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 21.10.2011 Nord, Thomas DIE LINKE 21.10.2011 Ortel, Holger SPD 21.10.2011 Pau, Petra DIE LINKE 21.10.2011 Petermann, Jens DIE LINKE 21.10.2011 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 21.10.2011 Pflug, Johannes SPD 21.10.2011 Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 21.10.2011 Remmers, Ingrid DIE LINKE 21.10.2011 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 21.10.2011 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 21.10.2011 Schäfer (Köln), Paul DIE LINKE 21.10.2011 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.10.2011 Schnurr, Christoph FDP 21.10.2011 Schuster, Marina FDP 21.10.2011* Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 21.10.2011 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 21.10.2011 Sharma, Raju DIE LINKE 21.10.2011 Simmling, Werner FDP 21.10.2011 Dr. Sitte, Petra DIE LINKE 21.10.2011 Steiner, Dorothea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.10.2011 Steinke, Kersten DIE LINKE 21.10.2011 Storjohann, Gero CDU/CSU 21.10.2011 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 21.10.2011 Tempel, Frank DIE LINKE 21.10.2011 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 21.10.2011 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 21.10.2011 Wichtel, Peter CDU/CSU 21.10.2011 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 21.10.2011 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 21.10.2011 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 21.10.2011 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Unterrichtung: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 – Antrag: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln (Tagesordnungspunkt 28 a und b) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Wie passend: Wir diskutieren heute über den Aktionsplan Nanotechnologie 2015, und die EU-Kommission legt nun endlich die längst fällige Definition für Nanostoffe vor. Demnach gilt als Nanomaterial, was zu mehr als 50 Prozent ungebundene Teilchen zwischen 1 und 100 Nanometer (nm) enthält. Das ist relevant für die gesamte Forschungsausrichtung des Aktionsplans. Bezogen auf den Teil „Risiken der Nanotechnologie erkennen“ ist es auch eine ganz wichtige Nachricht für den Verbraucher- und den Umweltschutz. Endlich ist eine Grundlage geschaffen, auf der Informationen über nanohaltige Produkte und Verfahren abgefragt und gesundheitliche und umweltrelevante Prüfungen vorgenommen werden können. Angesichts der inzwischen vorliegenden Befunde der bundeseigenen Ressorteinrichtungen zum Risikopotenzial für Nanoteilchen sind Vorsichtsmaßnahmen einfach Pflicht. So berichtet das Bundesinstitut für Risikobewertung, dass Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die Hoffnungsträger für vielfältige industrielle Nutzungen sind, Krebs auslösen können, und nanoskaliges Silber, das in Sporttextilien eingesetzt wird, Gift für die Umwelt ist. Das boomende Nanosilber wird aber selbst von Spezialkläranlagen nicht herausgefiltert und gelangt aus Produktionsanlagen und Haushalten ungehindert in unsere Gewässer. Endlich kann also die europäische REACH-Verordnung nanogerecht angepasst werden. Diese Verordnung dient zur Überprüfung aller Chemikalien, die auf den Markt gebracht werden. Doch bislang werden Stoffe, die bereits als größere Partikel geprüft worden sind, nicht gesondert in nanoskaliger Form erfasst, obwohl bekannt ist, dass die kleinere Größe die physikalisch-chemischen Eigenschaften von Stoffen völlig verändern kann. Auch ein von Verbraucherschützern und meiner Fraktion seit langem gefordertes Produktregister für nanohaltige Stoffe, das von jedermann einsehbar ist, hätte nun eine legale Grundlage. Leider hat die Definition zwei Achillesfersen. Die enge Größenbegrenzung auf 100 nm lässt nur wenig größere Teilchen außen vor, die aber auch Nanoeffekte aufweisen können. Die EU-Kommission hätte hier einen Spielraum für größerskalige Stoffe, für die es Hinweise auf potenziell gesundheitsgefährdende Eigenschaften gibt, öffnen müssen. So aber wird sie dem Verdacht, Sicherheitsrisiken zugunsten von Unternehmensinteressen unter den Tisch kehren zu wollen, ausgesetzt bleiben. Und wird so ganz bestimmt nicht das Sicherheitsbedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher befriedigen. Zum anderen kann man auf der Webseite des Umweltbundesamtes nachlesen, dass über die Freisetzung ursprünglich fest eingebundener Teilchen aus Produkten durch Alterungs- oder Abbauprozesse bisher keine Informationen vorliegen. Auch die Autoren einer gerade erschienenen Studie des Verbandes der Chemischen Industrie zu zehn Jahren Risikobewertung von Nanomaterialien sagen, dass enormer Forschungsbedarf für Langzeitprüfungen besteht. So fehlen Daten selbst für vergleichsweise einfache Fragen, wie folgende: Bringen Nanoteilchen, die sich mit der Zeit aus Hauswandfarben herauslösen, relevante Belastungen für die Umwelt mit sich? Damit will ich deutlich machen, dass die Bundesregierung nicht der gebotenen Sorgfaltspflicht nachkommen wird, wenn sie lediglich auf die Verordnungskompetenz der EU-Ebene verweist. Bis die Definition in geltendes Recht umgesetzt wird, wird noch einige Zeit vergehen. Bis dahin sollte als absolutes Mindestmaß an Vorsorge eine Kennzeichnungspflicht für nanohaltige Produkte eingeführt werden. Das hat kürzlich auch das Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen nachdrücklich empfohlen. Dieses Instrument sehen wir nur als Untergrenze für die notwendige Vorsorge an. Der unsichere Verbraucher hätte damit nur – aber immerhin – die Wahl, sich im Zweifel gegen ein Nanoprodukt zu entscheiden. Ob die Nanoteilchen schädigend sind oder nicht, sagt die Kennzeichnung ja nicht aus. Da, wo es deutliche Hinweise auf Gefährdungspotenziale wie beim Nanosilber oder auch Titandioxid gibt, muss die Bundesregierung von Moratorien Gebrauch machen, bis die Gefährdung eindeutig ausgeräumt werden kann. Und schließlich brauchen wir ein Produktregister, damit Behörden bei Gefährdungshinweisen reagieren können. Bislang verfolgt die Bundesregierung aber im besten Fall das Prinzip der Nachsorge. Sie kehrt in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom Mai 2011 die Beweislast immer um und will erst bei eindeutig bewiesener Gefährdung handeln. Ich meine: Das ist unterlassene Vorsorge. Die Linke hat bereits in mehreren Anträgen einen höheren Anteil der Risikoforschung aus dem jährlichen Fördertopf von 200 Millionen Euro eingefordert. Wie dramatisch schlecht es um unser Wissen bestellt ist, zeigt gerade eine Studie zur Wirksamkeit von In-vitro-Tests der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. „In-vitro“ bedeutet, dass nicht am lebendigen Organismus, sondern an Zellkulturen in der Petrischale geforscht wird. Im heute behandelten Aktionsplan Nano 2015 heißt es, dass die meisten der bisher durchgeführten Untersuchungen sich auf zelluläre Studien mit kurzem Zeitverlauf stützen. Immerhin sollen deshalb zukünftig Langzeitstudien in Geweben durchgeführt werden. Die Metastudie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zeigt aber, dass die zellulären Tests keine Aussagekraft haben. Viele der wenigen gewonnenen Erkenntnisse über Nanomaterialien sind also auf Sand gebaut. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie mit dem Aktionsplan 2015 gewisse gesellschaftliche Anforderungen umsetzen, an denen es zuvor fehlte: Sie betonen die Risikoforschung und den Arbeitsschutz und wollen eine stärkere Konzentration der Förderung auf Einsatzfelder mit echtem Mehrwert wie Klimaschutz oder Energieeffizienz. Ich freue mich, dass die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag dafür einen „kurzfristigen Förderschub“ fordern, um redliche Forschungsaktivitäten zu ermöglichen. Doch all das entlastet Sie nicht, vorläufige oder dauerhafte Regelungen einzuführen, welche die inzwischen bekannt gewordenen Risiken minimieren. Darauf geht der Koalitionsantrag jedoch mit keiner Silbe ein. Deshalb kann meine Fraktion ihn nicht unterstützen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs: – Gesetz zu einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme – … Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung (Abschaffung der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage – § 100 g Absatz 2 Satz 2 StPO) (Tagesordnungspunkt 30 a und b) Jan Korte (DIE LINKE): Wir behandeln hier heute zwei Gesetzentwürfe, die in der Problemanalyse weitgehend übereinstimmen, sich in der Konsequenz allerdings doch deutlich unterscheiden. Wo ist der Unterschied? Während die Kolleginnen und Kollegen der Grünen aus dem Dresdner „Handygate“, auf das wir später noch genauer zu sprechen kommen müssen, den Schluss ziehen, die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage (FZA) müsse zwar durch allerlei legislative Sicherungen eingeschränkt, aber als Ermittlungsmaßnahme prinzipiell erhalten bleiben, kommt meine Fraktion zu dem Schluss, dass die Maßnahme grundsätzlich unverhältnismäßig ist. Dementsprechend sieht unser Gesetzentwurf konsequenterweise die Aufhebung der Ermächtigungsgrundlage der nichtindividualisierten FZA in der Strafprozessordnung vor. Die Grünen verharren leider bei ihrer Kritik im Kern in ihrer Position aus der Zeit von Rot-Grün. Denn eines sollte man an dieser Stelle ja einmal erwähnen: Erst unter der Regierungskoalition von SPD und Grünen wurde die nichtindividualisierte FZA im Jahr 2001 eingeführt. Die Bundestagsfraktion der PDS hatte damals bereits völlig zu Recht auf die mögliche Ausuferung und die rechtsstaatlichen Prinzipien nicht gerecht werdende Anwendung hingewiesen und entsprechend gegen sie gestimmt. Was ist aber nun der Anlass für diese Gesetzesinitiativen? Alljährlich versuchen Mitte Februar Tausende Neonazis aus ganz Europa durch Dresden zu marschieren, so auch am 19. Februar 2011. Der Aufmarsch hat sich in den letzten Jahren zum wichtigsten neonazistischen Event entwickelt. Von militanten sogenannten Autonomen Nationalisten, über das parteiförmige Spektrum, angeführt von der NPD, über Vertriebenenverbände und Burschenschafter bis hin zu Vertretern der sogenannten Neuen Rechten ist die gesamte Bandbreite von Ewiggestrigen vertreten. Diesem braunen Treiben stellen sich seit vielen Jahren mehrere zehntausend Gegendemonstranten entgegen, die mit friedlichen Massenblockaden den Aufmarsch verhindern wollen. So weit, so gut, sollte man annehmen. Doch die Gegendemonstrationen und Sitzblockaden, die sich gegen die jahrelange Instrumentalisierung der Bombardierung Dresdens durch die Nazis richteten, wurden von der sächsischen Landesregierung und der Polizei nicht, wie man meinen könnte, mit Sympathie und politischer Unterstützung aufgenommen, sondern von vornherein kriminalisiert und mit Verbotsauflagen belegt. Mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken wurde massiv gegen Demonstrierende vorgegangen. Am 19. Februar selbst, wie auch in den Monaten danach, fanden mehrfach Hausdurchsuchungen statt, von denen auch Bürger und Bürgerinnen in anderen Bundesländern betroffen waren. Dabei wurde seitens der Dresdner Staatsanwaltschaft völlig rechtswidrig vorgegangen und neben Büros der Partei Die Linke auch eine Anwaltskanzlei durchsucht, obwohl weder für das eine noch für das andere entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse vorlagen. Im Vorfeld der Demonstrationen waren außerdem bereits Verfahren nach § 129 StGB eingeleitet worden. Wegen der Teilnahme an den Protesten gegen den Naziaufmarsch wurde mittlerweile die Immunität der Vorsitzenden der Linksfraktionen in den Landtagen von Thüringen und Sachsen, Bodo Ramelow und André Hahn, aufgehoben. Ähnliche Pläne gibt es gegen unsere Fraktionsvorsitzenden in Hessen, Janine Wissler und Willi van Ooyen. Und das muss man sich mal vorstellen: Da heben dann, auf der Basis von völlig unhaltbaren Vorwürfen, die Abgeordneten der schwarz-gelben Regierungskoalition einträchtig mit der rechtsextremen NPD die Immunität des Vorsitzenden der größten Oppositionsfraktion im Landtag auf. Solange Sie sich nicht eindeutig gegen dieses skandalöse Gebaren Ihrer Parteifreunde erklären, so lange können Sie sich hier Ihre schönen Sonntagsreden und Forderungen nach einem gemeinsamen entschlossenen Engagement gegen Neonazis sparen. Das alles ist einfach unfassbar und Ausdruck der speziellen Form der „sächsischen Demokratie“, wie sie der Kollege Thierse neulich treffend charakterisierte. Und damit auch die Kollegen der Union es endlich mal begreifen, kläre ich Sie hier jetzt einmal über einen beliebten Irrtum Ihrerseits auf: Blockaden sind keine Straftat. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1995 in seinem Beschluss zu den Mutlangen-Blockaden festgestellt. Sie stellen keine verwerfliche Nötigung und keine Gewalt nach § 240 Strafgesetzbuch dar. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages belegt, dass es für eine Strafverfolgung in den Jahre 2010 und 2011 ohnehin keinerlei Rechtgrundlage gibt. Die Proteste und Blockaden im letzten und in diesem Jahr haben aber trotz dieser unglaublichen Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement auch Folgendes gezeigt: Es ist möglich, den Nazis die Schranken aufzuzeigen, es ist möglich, wenn sich die Menschen solidarisch und mutig zusammenstellen. Und es wird auch möglich sein, den Naziaufmarsch langfristig ganz zu verhindern – nämlich genau dann, wenn in Dresden endlich eine aufgeklärte Erinnerungskultur entsteht und wenn auch in Sachsen wieder rechtsstaatliche Verhältnisse einkehren. Damit wir alle darauf nicht noch lange warten müssen, hoffe ich, dass auch im kommenden Jahr noch mehr Menschen nach Dresden kommen werden, um sich den Nazis entgegenzustellen! Denn von normalen rechtsstaatlichen Verhältnissen sind wir im CDU-FDP-regierten Sachsen leider ein gutes Stück entfernt, das zeigt unter anderem das Dresdner Handygate. Ans Licht der Öffentlichkeit geriet das Ganze zufällig, als ein Betroffener, der Mitarbeiter einer Abgeordneten meiner Fraktion ist, in seinen Ermittlungsakten nachlesen konnte, mit wem – und das mit Namen der Gesprächspartnerinnen und -partner – er wann und wo telefoniert habe. Die ganze Dimension der Affäre kam dann aber nur äußerst zögerlich und nach und nach ans Licht der Öffentlichkeit. Erst durch die hartnäckige Recherche von verschiedenen Seiten und durch zahlreiche Medienberichte wurde bekannt, dass die Polizei bei und im Vorfeld der Demonstrationen am 19. Februar 2011 in Dresden nichtindividualisierte Funkzellenabfragen (FZA) in bislang nicht gekanntem Umfang durchgeführt hat. Nachdem am 19. Juni 2011 die taz erstmals berichtete, dass die Dresdner Polizei bei den Antinaziprotesten die Handyverbindungen von Tausenden Demonstranten, Anwohnern, Journalisten, Anwälten und Politikern ausgespäht habe, und dies auch durch die Staatsanwaltschaft Dresden bestätigt wurde, war das tatsächliche Ausmaß der Überwachungsmaßnahme noch weitgehend unklar. Zuerst kam raus, dass die Polizei am 19. Februar 2011 über insgesamt neun Stunden an 14 verschiedenen Örtlichkeiten FZA durchgeführt hat. Dabei erfasste und speicherte die Sonderkommission 19/2 der Polizeidirektion Dresden fast 140 000 Verkehrsdaten, also die Seriennummern der Mobiltelefone und die dazugehörigen Telefonnummern, die Standortdaten, die Telefonnummern eingehender und abgehender Anrufe und Kurznachrichten sowie Datum und Uhrzeit der Kommunikation. Doch das war noch längst nicht alles. Einige Zeit später mussten die Verantwortlichen zugeben, dass auch am 13., 18. und 19. Februar 2011 im Rahmen von „Strukturermittlungen“ gegen eine mutmaßliche kriminelle Vereinigung weitere nichtindividualisierte Funkzellenabfragen durchgeführt worden waren. Dabei wurde der Mobilfunk in weiten Stadtgebieten Dresdens zum Teil bis zu 48 Stunden überwacht. Das LKA Sachsen erhob dabei insgesamt rund 900 000 weitere Datensätze, die ebenfalls an die SoKo 19/2 übermittelt wurden. Die Mehrzahl dieser Funkzellenabfragen wurden inzwischen durch den sächsischen Datenschutzbeauftragten als rechtswidrig eingestuft und gegenüber der Landesregierung beanstandet. Der § 100 g Abs. 2 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO) stellt ein Mittel der Strafverfolgung zur heimlichen nachträglichen Erhebung von Telekommunikationsspuren in einem räumlich und zeitlich eingegrenzten Gebiet dar. Die Maßnahme, die sich eigentlich nur gegen Beschuldigte und Nachrichtenmittler richten darf – das hat das Dresdner Handygate mehr als deutlich gezeigt – trifft aber de facto alle Personen, die sich in dem betroffenen Gebiet mit einem Mobiltelefon aufhalten oder darüber kommunizieren, sowie diejenigen, die aus diesem Bereich kontaktiert werden oder selber in das betroffene Gebiet Kontakt aufnehmen. Dies hat die Bundesregierung ja auch in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen einräumen müssen. Eine Erfassung von unberechenbar vielen Personen, die in keinerlei Zusammenhang mit den polizeilichen Ermittlungen stehen – insbesondere in großen Ballungszentren –, ist also unvermeidlich. Der damit einhergehende massive Grundrechtseingriff ist für Die Linke nicht hinnehmbar. Durch die FZA wird direkt und gezielt in das Fernmeldegeheimnis, das die Vertraulichkeit der Kommunikation schützt, eingegriffen. Die technischen Möglichkeiten der automatisierten Verarbeitung und Verknüpfung der gewonnenen Daten können dazu benutzt werden, Freundschaftsbeziehungen und Netzwerke, Interessen und politische Einstellungen zu identifizieren und Bewegungsprofile zu erstellen. Dieser massive Eingriff ist in Bezug auf die unberechenbar hohe Vielzahl der von der FZA betroffenen Unbeteiligten in keinster Weise verhältnismäßig. Bei der FZA in Bezug auf Demonstrationen, wie in Dresden, kommt ein massiver Eingriff in die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit hinzu. Das „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1983 hat dazu sehr richtig festgestellt, dass bei Demonstrationen staatliche Datenerhebungsmaßnahmen wegen des damit verbundenen Einschüchterungseffekts im Hinblick auf die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine Demokratie grundsätzlich gemeinwohlschädlich wirken. Ich zitiere an dieser Stelle eine wichtige Passage aus dem damaligen Urteil: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8 und 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“ (Volkszählungsurteil des BVerfG vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83; unter anderem Rn. 146). In Dresden war es außerdem so, dass sich unter den Demonstranten etliche besonders geschützte Personen, nämlich viele Journalisten und Abgeordnete, in der Funkzelle befanden oder mit ihnen aus der Funkzelle heraus kommuniziert wurde. Deren Rechte wurden gleichfalls massiv beschnitten. Der Dresdner Datenskandal verdeutlicht also eindringlich, dass es bei der FZA im Hinblick auf die Streubreite und die damit verbundenen schweren Eingriffe in die Grundrechte Unbeteiligter nicht ausreicht, legislativ Sicherungen einzubauen, die ihre Benutzung erträglich machen sollen. Der Gewährleistung der Grundrechte ist durch Reparaturarbeiten am § 100 g Abs. 2 Satz 2 nicht beizukommen. Erforderlich ist vielmehr die ersatzlose Streichung dieser unverhältnismäßigen Maßnahme aus dem Katalog möglicher Verfolgungsinstrumente. Und um es klar zu sagen: Wir werden es nicht akzeptieren, dass erneut friedlicher Widerstand durch sächsische Behörden mit rechtswidrigen Methoden kriminalisiert wird. Zivilcourage ist unser aller Pflicht. Die Kriminalisierung der Anständigen schränkt unser aller demokratisches Grundrecht auf friedlichen Protest ein. Wir brauchen den Mut von Bürgerinnen und Bürgern, sich den Rechten entgegenzustellen, und wir brauchen die freie Kommunikation. Es kann nicht sein, dass jetzt diejenigen kriminalisiert werden, die den geforderten Mut aufbringen und aktiv mit allen anderen verhindert haben, dass der größte Naziaufmarsch in Europa durch Dresden marschiert. Wir werden auch im Jahr 2012 gemeinsam mit vielen anderen Demokratinnen und Demokraten in Dresden gegen die Nazi-Demo auf die Straße gehen und sind stolz darauf, in unseren Reihen solche Menschen wie Bodo Ramelow und André Hahn zu haben. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 888. Sitzung am 14. Oktober 2011 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz über die Neuordnung des Geräte- und Produktsicherheitsrechts – Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und des Personenbeförderungsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Energiebetriebene-Produkte-Gesetzes – Gesetz zu dem Protokoll vom 27. Oktober 2010 zur Änderung des Abkommens vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Protokoll vom 30. März 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Protokoll vom 18. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Neunzehntes Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes – Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Interparlamentarischen Union 123. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 3. bis 6. Oktober 2010 in Genf, Schweiz – Drucksachen 17/5353, 17/6392 Nr. 1.1 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Europäischen Versammlung für Sicherheit und Verteidigung/ Versammlung der Westeuropäischen Union Tagung der Versammlung vom 1. bis 3. Dezember 2009 in Paris – Drucksachen 17/6558, 17/6961 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Europäischen Versammlung für Sicherheit und Verteidigung/ Versammlung der Westeuropäischen Union Tagung der Versammlung vom 15. bis 17. Juli 2010 in Paris – Drucksachen 17/6559, 17/6961 Nr. 1.3 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Strategie der Bundesregierung zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung – Drucksache 16/13852 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/2994 Nr. A.1 EuB-BReg 100/2010 Drucksache 17/2994 Nr. A.5 EuB-BReg 107/2010 Drucksache 17/2994 Nr. A.6 EuB-BReg 99/2010 Drucksache 17/4927 Nr. A.9 Ratsdokument 16995/10 Drucksache 17/5822 Nr. A.5 EuB-BReg 153/2011 Drucksache 17/6985 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2011)0334 Drucksache 17/6985 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2011)0337 Drucksache 17/7091 Nr. A.1 EuB-BReg 179/2011 Drucksache 17/7091 Nr. A.2 Ratsdokument 13643/11 Rechtsausschuss Drucksache 17/6407 Nr. A.7 Ratsdokument 10667/11 Finanzausschuss Drucksache 17/6407 Nr. A.13 EP P7_TA-PROV(2011)0258 Haushaltsausschuss Drucksache 17/6407 Nr. A.14 Ratsdokument 11491/11 Drucksache 17/6568 Nr. A.3 Ratsdokument 11492/11 Drucksache 17/6568 Nr. A.4 Ratsdokument 11493/11 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/6407 Nr. A.17 Ratsdokument 10836/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.18 Ratsdokument 11121/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.19 Ratsdokument 11122/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.20 Ratsdokument 11137/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.38 Ratsdokument 12026/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.39 Ratsdokument 12099/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.40 Ratsdokument 12124/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.41 Ratsdokument 12393/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.42 Ratsdokument 12514/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.43 Ratsdokument 12516/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.44 Ratsdokument 12517/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.45 Ratsdokument 12518/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.46 Ratsdokument 12519/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.47 Ratsdokument 12817/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.48 Ratsdokument 13397/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.49 Ratsdokument 13407/11 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/6176 Nr. A.21 EP P7_TA-PROV(2011)0244 Drucksache 17/6407 Nr. A.25 EP P7_TA-PROV(2011)0260 Drucksache 17/6985 Nr. A.65 EP P7_TA-PROV(2011)0271 Drucksache 17/6985 Nr. A.66 EP P7_TA-PROV(2011)0335 Drucksache 17/6985 Nr. A.67 EP P7_TA-PROV(2011)0342 1Anlage 2 2Anlage 3 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15891 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 15898 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15899