Plenarprotokoll 17/140 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 140. Sitzung Berlin, Freitag, den 11. November 2011 I n h a l t : Absetzung des Zusatztagesordnungspunk-tes 14 Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise (Drucksachen 17/6313, 17/7250) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Björn Sänger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ratingagenturen besser regulieren (Drucksache 17/7638) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktion der SPD: Neuer Anlauf zur Finanzmarktregulierung erforderlich (Drucksache 17/7641) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung einer Kommission des Deutschen Bundestages zur Regulierung der Großbanken (Drucksachen 17/7359, 17/7665) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Peer Steinbrück (SPD) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Volker Wissing (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Joachim Poß (SPD) Florian Pronold (SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 29: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verlustverrechnung einschränken – Steuereinnahmen sicherstellen (Drucksache 17/5525) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Auswege aus der Krise: Steuerpolitische Gerechtigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen (Drucksachen 17/2944, 17/7555) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Nicolette Kressl (SPD) Dr. Daniel Volk (FDP) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Olav Gutting (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 30: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Waldstrategie 2020 Nachhaltige Waldbewirtschaftung – eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung (Drucksache 17/7292) Cajus Caesar (CDU/CSU) Petra Crone (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Josef Göppel (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Alois Gerig (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 31: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulrich Kelber, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klimadiplomatie der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 17/4705, 17/6861) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Kerstin Müller (Köln), Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Initiative für transatlantische Kooperation in der Klima- und Energiepolitik (Drucksache 17/7356) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: China als wichtiger Partner im Klimaschutz (Drucksache 17/7481) Frank Schwabe (SPD) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Michael Kauch (FDP) Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Dr. Matthias Miersch (SPD) Josef Göppel (CDU/CSU) Zusatztagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung (Drucksache 17/7631) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Euratom-Vertrag ändern – Atomausstieg europaweit voranbringen – Atomprivileg beenden (Drucksache 17/7670) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Bareiß (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Alexander Ulrich (DIE LINKE) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung (Zusatztagesordnungspunkt 12) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Inhaltsverzeichnis 140. Sitzung Berlin, Freitag, den 11. November 2011 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich begrüße Sie herzlich zur 140. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die für heute verlangte Aktuelle Stunde zu den Steuersenkungsplänen der Bundesregierung entgegen der Ankündigung nicht stattfindet. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat diesen Antrag zurückgezogen. Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen in unserer nächsten Sitzungswoche ab dem 22. November, wie es unserer ständigen Übung entspricht, keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Darf ich hierzu Ihr Einverständnis feststellen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 sowie die Zusatzpunkte 8 bis 10 auf: 28 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise – Drucksachen 17/6313, 17/7250 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Dr. Carsten Sieling Björn Sänger ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Björn Sänger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ratingagenturen besser regulieren – Drucksache 17/7638 – ZP 9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Neuer Anlauf zur Finanzmarktregulierung erforderlich – Drucksache 17/7641 – ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Einsetzung einer Kommission des Deutschen Bundestages zur Regulierung der Großbanken – Drucksachen 17/7359, 17/7665 – Berichterstattung: Abgeordnete Björn Sänger Dr. Gerhard Schick Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten drei, vier Jahren drei Krisen nacheinander erlebt: zunächst eine Bankenkrise, dann eine Weltwirtschaftskrise und anschließend eine Staatsschuldenkrise. Wir können heute im Jahr 2011 festhalten: Wir sind froh darüber, dass wir diese Bundesregierung haben, die mit weiteren Stabilitätsmaßnahmen entschlossen diese Krise angeht. Sie wird zwar nicht von der Opposition, aber von ausländischen Besuchern immer wieder als der Stabilitätsanker, als die Stabilitätsgarantie in Europa angesehen. Deswegen ein Dank an die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das war nicht immer so. Gerade in den Jahren von 2002 bis 2005 wurde Deutschland gemeinsam mit Frankreich immer als Defizitsünder bezeichnet. Damals wurde vier Jahre in Folge der Stabilitätspakt gebrochen; das ist nach wie vor verheerend. Die heutige Staatsschuldenkrise ist nicht denkbar ohne das Verhalten von Rot-Grün in jenen Jahren. Das wird Ihnen noch lange anhängen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin geworden. Gemeinsam mit dem damaligen Koalitionspartner SPD wurde geplant, dass bis 2010/2011 ein Haushaltsausgleich erfolgen soll. Das war der richtige Weg. Dann kam es im Jahr 2007 zur Schieflage der IKB, der Industriekreditbank; ein Jahr später wurde durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers eine Finanzkrise ausgelöst, die alle Kräfte gefordert hat. An den Märkten wurden immer größere Risiken eingegangen. Es wurde nicht mehr nachhaltig finanziert. Kurzfristige und langfristige Finanzierungen wurden gegeneinander ausgetauscht, und damit wurden enorme Risiken ausgelöst. Gerade der Handel mit Wertpapieren hat zu der Erkenntnis geführt, dass nicht länger von nachhaltigen Wertpapieren gesprochen werden konnte, sondern von Schrottpapieren gesprochen werden musste. Dabei denke ich an die Hypo Real Estate und auch an die Landesbanken. Vor zwei Jahren ist die christliche und liberale Koalition an die Regierung gekommen. (Lachen bei der SPD – Fritz Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ihm erstmal einfallen, dass es christlich-liberal heißt!) Seitdem halten wir an dem Grundsatz fest, dass kein Markt, kein Produkt und auch kein Akteur unreguliert an den Finanzmärkten agieren soll. Was wir in diesen zwei Jahren erreicht haben, ist deutlich mehr als das, was die SPD unter Führung eines SPD-Finanzministers in elf Jahren erreicht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das ist ja ein Witz!) Gestern hat die Bundesbank ihren Stabilitätsbericht vorgelegt. Darin hat sie deutlich gemacht, dass die Schuldenbremse eines der entscheidenden Merkmale ist, das – nachdem es in Deutschland etabliert wurde – auch in anderen europäischen Ländern eingeführt werden muss. Seit Beginn der Finanzkrise haben wir immer einen besonders hohen Wert auf eine nachhaltige Eigenkapitalunterlegung bei Banken gelegt. Eigenkapital ist das wichtigste Instrument, um Verluste auszugleichen und um widerstandsfähig zu sein. Sowohl der Euro-Gipfel als auch der Europäische Rat haben deutlich gemacht, dass die 100 größten europäischen Banken – darunter die 13 größten deutschen Banken – deutlich intensiver mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. Die Bundesbank hat gestern festgehalten, dass die Eigenkapitalquote der 13 größten deutschen Banken von 2008 bis 2011 von 8,1 Prozent auf 13,1 Prozent angehoben wurde. Auch der Gipfel in Cannes in der letzten Woche hat noch einmal deutlich gemacht, dass die großen systemischen Banken deutlich mehr Eigenkapital unterlegen müssen. Man fordert zusätzlich 1,5 Prozentpunkte Kernkapital. Das ist wichtig; denn es ist von entscheidender Bedeutung für die Stabilisierung der Finanzmärkte. Dennoch wissen wir natürlich nicht, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird. Wir können nicht in die Zukunft blicken. Die Koalition war jedoch in Europa wegweisend auf dem Gebiet der Abwicklung oder Restrukturierung von Banken, die in Schieflage geraten. Dazu haben wir das sogenannte Restrukturierungsgesetz umgesetzt. Das heißt: Wir können Banken umbauen, wir können sie retten, aber wir können sie auch abwickeln. Wichtig ist, dass die Aufsicht deutlich mehr Eingriffsrechte erhält. Auch hier sind wir mit dieser Koalition in Europa wieder führend, wenn es darum geht, die Umsetzung dieser Maßnahme auch von den anderen Ländern zu fordern. Wir beschäftigen uns seit einigen Jahren sehr intensiv mit den Aufsichtssystemen. Es gibt inzwischen ein neues europäisches Aufsichtssystem, nämlich einen Ausschuss für Systemrisiken. Auch die Bereiche Banken, Versicherungen und Wertpapiere stehen unter einer anderen Form der Beobachtung. Im Bereich der Ratingagenturen haben wir über die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde erstmals eine Kontrolle eingeführt. Am Montag fand ein Finanzkongress zum Thema Ratingagenturen statt. Herr Sanio als Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat deutlich gemacht, dass es hier nach wie vor zu wenig Regulierung gibt. Wenn wir weltweit nur drei große Ratingagenturen haben, dann müssen sie genauso wie die großen systemischen Banken behandelt werden und einer deutlich schärferen Kontrolle unterliegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In der letzten Nacht haben wir einen Skandal erlebt: Standard & Poor’s hat Frankreich aufgrund eines Irrtums, wie es heißt, für zwei Stunden herabgestuft, natürlich gefolgt von den entsprechenden Verwerfungen an den Märkten. Wir von der Union und auch von der Koalition haben deutlich gemacht, dass wir in diesem Bereich eine deutliche Verschärfung brauchen. Wir brauchen ein größeres internes Rating bei den Banken, nicht nur das externe Rating der Ratingagenturen. Wir sollten uns auch intensiv mit dem Thema der Haftung von Ratingagenturen beschäftigen. Im geschilderten Fall ist grob fahrlässig gehandelt worden. Wir brauchen bei grob fahrlässigem Verhalten oder bei Vorsatz der Ratingagenturen eine klare Haftung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es wird gerne argumentiert, dass viele Probleme eigentlich nur international zu lösen sind. Aber ich denke, wer hier in Europa am Finanzmarkt tätig werden will, der muss sich an die europäischen Regeln halten; wer hier in Deutschland tätig werden will, der muss sich an die deutschen Regeln halten. Wir sind kritisiert und teilweise belächelt worden, als wir das Verbot ungedeckter Leerverkäufe durchgesetzt haben. Es hat für kurze Zeit auch unter dem SPD-Finanzminister ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe gegeben; aber wir sind weiter gegangen: Wir haben ein Verbot des Handels mit ungedeckten Leerverkäufen ausgesprochen – hochspekulative Wetten auf fallende Kurse von Wertpapieren, ohne dass sie im Eigentum sind –, und zwar nicht nur bei Aktien, sondern auch bei Staatsanleihen und Kreditversicherungen. Auch das war ein Alleingang von uns; aber wir sind sehr froh, dass der Europäische Rat, die Europäische Kommission und auch das Europäische Parlament dies inzwischen übernommen haben. Ich kann nur sagen: Hier sieht man deutlich, wie viel Mut und Weitsicht diese Bundesregierung gezeigt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wir können eine ganze Liste weiterer regulierender Maßnahmen ansprechen, die in der Zwischenzeit ergriffen worden sind, ob es die Durchsetzung transparenter Vergütungssysteme und einer langfristigen Ausrichtung der Vergütungen bei Finanzinstituten oder die Einführung eines Selbstbehalts der Banken von 5 Prozent oder demnächst 10 Prozent bei Verbriefungen, beim Weiterverkauf von Krediten, ist. Wir haben beim Anlegerschutz – mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz – und auch bei den Finanzvermittlern und den Vermögensanlagen deutliche Verschärfungen durchgeführt. Mein Kollege Brinkhaus bezeichnet das, was wir hier durchgeführt haben, immer als „Quantensprung im Verbraucherschutz“. Dennoch wird es wichtig sein, auf internationaler Ebene sehr intensiv zusammenzuarbeiten. Das größte Problem – das ist auch in Cannes deutlich geworden – sind die Schattenbanken, der unregulierte Bereich am Finanzmarkt. Es heißt, in Deutschland seien etwa 10 Prozent des Finanzmarktes unreguliert. Hier werden wir in wenigen Wochen mit dem Gesetz gegen die Geldwäsche einen weiteren entscheidenden Schritt tun. Es ist aber auch sehr wichtig, dass wir die anderen Länder betrachten. Beispielsweise spricht man im Falle der USA von einem unregulierten Markt, der größer ist als der regulierte Markt. Wir müssen sehen, was wir kurzfristig in Europa zu erledigen haben. Der wichtigste Punkt ist meines Erachtens der außerbörsliche Derivatehandel, der auf die Plattformen der Börsen gebracht werden muss. Wir sollten bei all diesen Maßnahmen immer beachten: Was muten wir dem regulierten Markt zu? Was muten wir den anderen zu? Der regulierte Markt, gerade der Bankenbereich, wird jetzt durch die höheren Eigenkapitalforderungen belastet; das brauchen wir aber. Wir belasten die Banken auch mit der Bankenabgabe. Wir stehen zur Finanztransaktionsteuer, die wir umsetzen wollen, auch wenn es hier noch Widerstände gibt, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Bei der FDP gibt’s die!) nicht nur im internationalen Bereich – ich denke an die USA und Großbritannien –, sondern auch in anderen europäischen Staaten wie beispielsweise den Niederlanden. Frau Lautenschläger-Peiter hat gestern in einer Pressemitteilung geäußert, dass sie keinerlei Hoffnung hat, dass ein Trennbankensystem in Deutschland irgendein Problem lösen werde. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege! Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, nicht mit der Holzhammermethode an dieses Thema heranzugehen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber auch nicht mit Wattebäuschchen!) Wir werden sicherlich viele Ihrer angesprochenen Fragen aufgreifen. Aber Ihr heutiger Antrag enthält im Wesentlichen die Maßnahmen, die wir in den letzten zwei Jahren umgesetzt haben, (Peer Steinbrück [SPD]: So ein Unsinn!) die wir auf der Tagesordnung haben und die derzeit auf den internationalen Konferenzen gemeinsam behandelt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Peer Steinbrück ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Peer Steinbrück (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es mutete rührend bis hilflos an, Herr Flosbach, wie Sie hier versucht haben, Geschichtsklitterung zu betreiben. Es war eine rot-grüne Bundesregierung, die als erste in den internationalen Gremien das Thema der Finanzmarktregulierung aufgegriffen hat, vor allen Dingen in Gleneagles. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie waren ja Finanzminister! Das mussten Sie doch auch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott, was sind Sie überheblich!) Es war eine Große Koalition, die dieses Thema sehr viel ehrgeiziger, insbesondere während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der G-7-Präsidentschaft, vorangetrieben hat. Demgegenüber nimmt sich die Bilanz Ihrer Koalition in den letzten zwei Jahren ziemlich dünn aus – das war wenig ehrgeizig. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Dann listen Sie mal auf! Listen Sie mal auf – von elf Jahren SPD!) Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, lässt sich an Inhaltslosigkeit nicht übertreffen. Er steht in absolutem Gegensatz zu dem Selbstlob, das Sie hier verteilt haben. (Zuruf von der FDP: Wie oft haben Sie diese Rede schon gehalten?) Wenn ich Ihren Antrag lese, komme ich zu dem Schluss, dass er dem Muster folgt: Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis. – Das ist alles, was Sie sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Ihr Antrag ist ein Plagiat von unserem!) Jede Übertreibung, jeder Exzess, jede Maßlosigkeit schafft sich eine Gegenbewegung. Diese Gegenbewegung können wir zunehmend öffentlich durch die derzeitigen Demonstrationen beobachten. Diese Gegenbewegung, diese Demonstrationen sind die Reaktion darauf, dass die Zustände auf den Finanzmärkten Exzesse hervorgebracht und viele Gesellschaften sowie viele Länder an den Abgrund herangeführt haben. Diese Gegenbewegung, diese Demonstrationen vieler Menschen sowie ihre Nervosität und Unruhe sind Belege dafür, dass sie Vertrauen in die Gestaltungs- und Steuerungsfähigkeit von Politik verloren haben. Deshalb ist das Thema der Finanzmarktregulierung so bedeutend, nämlich zunächst, um den Gestaltungsanspruch für die Politik zurückzugewinnen und damit wieder Vertrauen bei den Menschen zu gewinnen. Über diesen gesellschaftlich-politischen Stellenwert hinaus hat es auch einen ökonomisch-finanziellen; denn mit Blick auf den jetzigen Stand der Finanzmarktregulierung sage ich Ihnen voraus, dass eine Wiederholung dieser Exzesse überhaupt nicht ausgeschlossen ist. Das Paradigma der Deregulierung ist gescheitert. Mindestens eine Fraktion sitzt in diesem Saal, die dem Paradigma der Deregulierung in ordnungspolitischer Versessenheit gefolgt ist: die FDP. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben sie doch umgesetzt! – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sehr späte Einsicht!) Sie haben die Monstranz der Deregulierung, der Entfesselung der Märkte und der Marktradikalität – der Markt wird alles richten – vor sich hergetragen; dies hat zu einem Exzess geführt. Sie haben alle Gesetze abgelehnt, die mein Vorgänger zur Finanzmarktregulierung eingebracht hat – und zwar nicht, weil Ihnen dies zu wenig Regulierung gewesen ist, sondern Sie haben all diese Gesetze abgelehnt, weil Ihnen dies zu viel Regulierung gewesen ist. (Beifall bei der SPD) Sie haben mich noch kritisiert, als ich auf der Regierungsbank saß – auch bei den jüngsten Maßnahmen, als es zum Beispiel um die Real Estate Investment Trusts ging, also um die Zuführung von Immobilien zur Tätigkeit von Investoren. Sie haben mich kritisiert, weil ich die Wohnimmobilien ausgenommen und dies nur auf die Gewerbeimmobilien bezogen habe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihre Vorstellung eines Ordnungsmodells ist spätestens durch diese Finanzkrise massiv gescheitert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie sich jetzt als Sachwalter der Finanzmarktregulierung aufspielen, ist, höflich gesprochen, eine ziemliche Chuzpe. Mit härteren politischen Bandagen ausgedrückt: Es ist eine nackte Unverschämtheit. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Festzustellen, dass etwas zu dieser Finanzmarktkrise geführt hat, das auch staatlich induziert war und über ein politisches Versagen führte, nämlich die Verschuldung von Staaten, ist richtig. Die Verschuldungskrise hat übrigens vor der Finanzmarktkrise begonnen, ist aber durch das beschleunigt worden, was wir in den letzten drei bis vier Jahren erlebt haben. Aber wie man in dieser Situation, in der wir über eine Verschuldungskrise reden, in Deutschland Steuergeschenke in Höhe von 6 Milliarden Euro auf Pump verteilen kann und das Land damit noch weiter in die Verschuldung treibt – die Umsetzung Ihrer Vorschläge wird jährlich zu zusätzlichen Zinszahlungen in Höhe von 180 Millionen Euro führen –, während die Vergünstigung, die bei den Bürgern ankommt, gerade einmal den Wert zweier Tassen Kaffee hat, müssen Sie mir erklären. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]: Sagen Sie Ihren Arbeitnehmern mal, dass die CDU die Arbeitnehmerpartei ist!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Steinbrück, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick zu? Peer Steinbrück (SPD): Sehr gerne. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt kommt neues Lob!) – Das glaube ich nicht. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Steinbrück, ich stimme Ihnen völlig zu, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das habe ich doch gewusst!) dass die Kritik vonseiten der CDU/CSU und der FDP scheinheilig ist. Ich möchte Sie aber trotzdem fragen, warum Sie als Bundesfinanzminister noch im Krisenjahr 2008 mit dem Verweis auf das Vorbild London eine Ausweitung des deutschen Finanzsektors für richtig empfunden haben, warum Sie in Ihrer Amtszeit die Regulierung von Zertifikaten zum Beispiel von Lehman Brothers, die manchen Menschen Verluste gebracht haben, und die Regulierung von geschlossenen Fonds und anderen Produkten des grauen Kapitalmarktes explizit abgelehnt haben, wie Sie heute zu diesen Forderungen stehen und warum sich in Ihrer Amtszeit die West-LB massiv mit Geld vollgepumpt hat und schwierige Investments getätigt hat, die heute in einer Bad Bank abgewickelt werden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Ministerpräsident war er! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie waren der Ministerpräsident, Herr Steinbrück!) Peer Steinbrück (SPD): Nein, da war ich nicht Ministerpräsident. Wir wollen hier keine Geschichtsklitterung betreiben, nur weil das für Sie bequem ist. Was die West-LB betrifft: Die West-LB hat sich ab Juli 2005, nach dem Wegfall der beiden Staatsgarantien Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, mit solchen Produkten vollgepumpt. Da hieß der Ministerpräsident Rüttgers. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Nein, nein! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein! Das ist ja falsch!) Bezogen auf Ihre anderen Hinweise, ist mir nicht ganz klar, worauf Sie konkret abheben. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist richtig – diesen Schuh ziehe ich mir gerne an –, dass wir uns vor dem Hintergrund des anglo-amerikanischen Konkurrenzmusters der Finanzmärkte auch in Deutschland – selbstkritisch gesehen – zu früh und zu weitgehend dem Muster einer deregulierten Finanzmarktwelt ergeben haben. Dies ist zuzugeben. Abgesehen davon hat es auch zu meiner Zeit keinen Sinn gemacht, nur auf nationalstaatliche Reichweite bezogene Instrumente einzusetzen, weil man wusste, dass das sofort zu Ausweichmanövern an anderen Finanzmarktstandorten in Europa führen würde. Ich habe keine Mühe, zuzugeben, dass es aufgrund der Entwicklung ab 2007 einen Lerneffekt gegeben hat. Bezogen auf die heutige Debatte frage ich mich allerdings: Wie weit gehen die Lerneffekte bei Ihnen, und wie weit gehen die Lerneffekte bei uns? (Beifall bei der SPD) Mit Blick auf die Finanzmarktregulierung ist festzustellen, dass es durchaus eine Reihe von Fortschritten gegeben hat – das will ich gar nicht in Abrede stellen –, insbesondere über die Gesetzgebung der Europäischen Union, übrigens maßgeblich angelegt in Zeiten der Großen Koalition. Aber das reicht nicht. Das wesentliche Prinzip, welches die Bundeskanzlerin übrigens jüngst zitiert hat, nämlich das auf den ersten beiden Finanzgipfeln entwickelte Prinzip, dass jedes Finanzmarktprodukt, jeder Finanzmarktteilnehmer und jeder einzelne Finanzmarkt einer Regulierung und Aufsicht unterworfen werden soll, ist bisher nicht umgesetzt worden. Wir haben – noch einmal selbstkritisch gesprochen – das sehr günstige Fenster zwischen dem Herbst 2008 und dem Frühjahr 2009 für eine ehrgeizigere, massivere Finanzmarktregulierung nicht genutzt – weder Sie noch wir. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb sind weitere Schritte erforderlich. Wenn ich mir angucke, wie harmlos und zahnlos der Antrag der CDU/CSU ist, dann habe ich den Eindruck, dass im SPD-Antrag die Ziele stehen, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie den von der SPD gelesen?) die, wie ich glaube, sehr viel ehrgeiziger angestrebt werden müssen. Ich halte es für richtig, dass wir zu einer Trennung von Geschäftsbanken, Kreditbanken und Investmentbanken sowie Schattenbanken kommen. Herr Flosbach, das Argument, dass dadurch Finanzkrisen nicht abgewendet werden können, ist deshalb völlig abwegig, weil das niemand behauptet. Wir behaupten aber, dass wir endlich eine Wechselwirkung zwischen Risiko und Ertrag, zwischen den klassischen Kreditbanken und den hochspekulativ tätigen Investmentbanken herstellen müssen. Wir müssen diesem System durch eine solche Trennung quasi den Treibstoff für riskante und spekulative Geschäfte entziehen. (Beifall bei der SPD) Das hat schon funktioniert, jedenfalls teilweise. In den USA hat das bis 1998 auf der Grundlage eines Gesetzes aus den alten Zeiten von Herrn Roosevelt funktioniert, dem Glass-Steagall-Act von 1933, der 1998 aufgelöst worden ist. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das sind aber die USA und nicht Deutschland! Wir haben ein anderes System der Universalbanken!) Wenn Sie sich historisch vergegenwärtigen, wann die Übertreibungen begonnen haben, dann kommen wir ziemlich genau auf den Zeitpunkt Ende der 90er-Jahre, als Deregulierungsarien gesungen worden sind, auch vor dem Hintergrund, dass damals Investmentbanken mit den Einlagen der Kreditbanken, die ihnen zugeordnet waren, spekulieren konnten. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber Lehman war ein ganz anderer Fall!) – Lehman ist ein anderer Fall. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Daniel Volk [FDP]: Aha! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was haben Sie denn zu Lehman gesagt?) – Entschuldigen Sie bitte, es gab vorher andere Fälle. Es behauptet niemand, dass das Trennbankensystem die allein selig machende Lösung ist. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Na also! Das wollten wir hören! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt die Lösung? – Weitere Zurufe von Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP) – Was regen Sie sich denn künstlich auf! Das ist doch lächerlich. Ich sage nur: Das ist ein Baustein, den wir für die Regulierung brauchen. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das sehe ich auch so!) Ich nenne Ihnen weitere Bausteine. Ich glaube, dass der Handel von Derivaten und Rohstoffen nur noch über transparente Handelsplattformen abgewickelt werden sollte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Das wird doch organisiert!) Ich glaube, dass die sogenannten Over-the-Counter-Geschäfte verboten werden müssen. Es kann nicht sein, dass wir derzeit ein globales Volumen an Derivaten in Höhe von 600 Billionen US-Dollar jährlich haben – Derivate sind Wetten auf zukünftige Preise, um das umgangssprachlich zu formulieren; Sie können auf Schweinehälften, Nickel, Gold oder Devisen wetten –, die jährliche Wirtschaftsleistung der Welt, also der Wert der hergestellten Produkte und der Dienstleistungen, hat demgegenüber aber nur ein Volumen von 60 Billionen US-Dollar jährlich. Das heißt, die monetäre Welt hat sich um den Faktor 10 von der realen Welt getrennt. Da wollen Sie nicht ran. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist doch überhaupt nicht wahr! Sie sind nicht drin im Thema, Herr Steinbrück! – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) – Von Ihnen kommt doch kein Vorschlag. Ich bin dafür, dass Banken nicht mit Rohstoffen handeln dürfen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich bin dafür, dass sie Rohstoffe nicht lagern dürfen. (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sie müssen das einmal lesen!) – Merkwürdig, Ihre Nervosität gibt zu erkennen, dass Sie getroffen sind. (Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist Fassungslosigkeit über Ihre Ahnungslosigkeit!) Ihre ganze Nervosität ist der Tatsache geschuldet, dass Sie noch immer keine konkreten Vorstellungen haben. Ihr Antrag bewahrheitet das. Das merke ich, wenn ich ihn lese. Da steht nichts Konkretes drin. Ich bin dafür, dass der Handel mit Kreditversicherungsscheinen für diejenigen verboten wird, die sich gar nicht gegen einen konkreten Kreditausfall versichern. Das, was dort passiert, ist grotesk. Um auch das umgangssprachlich zu formulieren: Das ist so, als würden Sie die Ansprüche aus einer Gebäudeversicherung gegen Brand – viele von denen, die uns zuhören, haben eine Gebäudeversicherung gegen Brand – verkaufen. Die Käufer haben ein Interesse daran, dass das Haus abbrennt, weil sie dann Geld verdienen, weil sie dann das Geld von der Versicherung ausgezahlt bekommen. So ist das auch bei Kreditversicherungsscheinen. Die Leute haben Kreditversicherungsscheine, wollen sich aber gar nicht gegen einen konkreten Kreditausfall versichern. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist noch unter Gysi-Niveau, was Sie hier bringen!) Wir stehen vor einem entscheidenden Schritt. Wir dürfen uns nicht länger von dem Killerargument beeindrucken lassen, man müsse die Finanzmarktregulierung im G-20-Kreis oder im Kreis der EU der 27 durchsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir sind nämlich weiter als alle anderen!) Wir sind jetzt aufgefordert, mit dem Gewicht der Bundesrepublik Deutschland und vor dem Hintergrund der konkreten Leistungen, die wir im Augenblick zur Stabilisierung Europas erbringen, im Kreis der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion mit Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung zu beginnen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Gut, dass wir eine neue Regierung haben und einen neuen Finanzminister!) Die Bundesregierung hat dazu bisher nichts Substanzielles vorgelegt. Das mache ich ihr massiv zum Vorwurf. (Beifall bei der SPD) Ich sage Ihnen voraus: Diese Krise kann sehr viel mehr als Geld kosten. Sie kann das Vertrauen in unsere demokratische und soziale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kosten. Es kann sein, dass Menschen sich abwenden, weil sie den Eindruck haben, dass die Politik nur noch getrieben und erpressbar ist. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Was haben Sie denn dagegen getan, als Sie regiert haben?) All Ihre Hinweise weisen darauf hin, dass man sich Ihrer Meinung nach erpressen lassen muss. Das Motto „Too big to fail“ bedeutet doch: Du musst alle Banken stabilisieren. Herr Flosbach, um auch das einmal richtigzustellen: Das Restrukturierungsgesetz geht maßgeblich auf Vorarbeiten aus der Zeit der Großen Koalition zurück. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Ach, das waren Sie auch?) Das waren Frau Zypries und ich. (Beifall bei der SPD) Die Politik muss die Steuerungsfähigkeit zurückgewinnen und deshalb mit großem Ehrgeiz an die Verbesserung der Regulierung und der Aufsicht von Finanzmärkten herangehen. Wir dürfen uns nicht erpressen lassen, weder von Ratingagenturen noch von großen Banken noch durch die Drohung mit einem Standorthopping nach dem Motto: Sonst wandern wir ab. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir dürfen uns auch nicht von der Überlegung, dass Kapital scheu wie ein Reh ist, beeindrucken lassen; denn auch dadurch können wir erpresst werden, auf die Forderungen der Lobbyisten einzugehen, die an dieser Finanzmarktregulierung kein Interesse haben. Wenn eine globale Finanzmarktregulierung im Rahmen der G-20-Staaten blockiert wird oder wir sie gegenüber dem Finanzstandort London nicht durchsetzen können, dann müssen wir im Nahbereich der Europäischen Währungsunion damit anfangen. (Beifall bei der SPD) Darauf müssen wir uns konzentrieren. Hier erwarten wir deutlich mehr, als die Bundesregierung bisher vorgelegt hat. (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Ganz schwach!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Volker Wissing ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zu Ihnen, Herr Kollege Steinbrück: Die heftigen Zwischenrufe der Kolleginnen und Kollegen (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Der Fachkollegen!) während Ihrer Rede hatten nichts damit zu tun, dass hier jemand nervös war. Das hatte etwas mit einem Satz zu tun, den Sie hier selbst gesagt haben: Jede Maßlosigkeit schafft sich eine Gegenbewegung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Man fragt sich ernsthaft, weshalb ausgerechnet Sie sich hier hinstellen, als Sozialdemokrat und als sozialdemokratischer Finanzminister a. D., der nichts von all dem, was Sie heute fordern, auf den Weg gebracht hat. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Sie haben damals nichts von dem, was Sie zusätzlich zu dem, was wir umgesetzt haben, fordern, auch nur ansatzweise gefordert. Es mag vielleicht den einen oder anderen in den Reihen der Sozialdemokraten geben, der hier glaubwürdig über Finanzmarktregulierung reden kann, aber Sie, Herr Steinbrück, können es nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da Sie sich in den letzten Monaten so gerne auf Meinungsforschungsinstitute bezogen haben und auch mit Häme auf andere blicken, möchte ich einmal zitieren, was das Meinungsforschungsinstitut Forsa über Sie, Herr Steinbrück, ermittelt hat. Es sind drei wesentliche Punkte. (Peer Steinbrück [SPD]: Was hat das mit dem Tagesordnungspunkt zu tun?) Erstens. Er wird überhaupt nicht der SPD zugerechnet. – Das wundert einen nicht; denn in Regierungsverantwortung haben Sie nichts von dem umgesetzt, was die SPD heute an Finanzmarktregulierung fordert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Sagen Sie einmal etwas zu den Umfragen der FDP! Forsa zur FDP?) Sie haben keine Finanzmarktsteuer eingeführt, Sie haben auch keine Vermögensteuer eingeführt, und Finanzmarktregulierung haben Sie eher in die andere Richtung betrieben. Deswegen glaubt Ihnen kein Mensch, dass Sie hier ernsthaft sozialdemokratische Politik vertreten können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat über Herrn Steinbrück ermittelt: Der Mittelstand hat Steinbrück die ganzen Verschlimmerungen im Steuerrecht nicht vergessen. – Auch das kann ich nachvollziehen. Sie lagen mit Ihrer Steuerpolitik in allen Punkten falsch. Wir mussten dies korrigieren, (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weil Sie das Land mit Ihrer verfehlten Hinzurechnungsbesteuerung, Zinsschranke und dem ganzen Zeug tiefer in die Krise geführt hätten. (Beifall bei der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zur Finanzmarktregulierung! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Zum Thema!) Drittens. Da Sie sich mit Ihrem durchaus erstaunlichen Selbstbewusstsein hier heute hingestellt haben, möchte ich Ihnen den dritten Punkt nicht ersparen. Herr Güllner vom Institut Forsa sagt: Peer Steinbrück wurde in der Krise als Hilfsreferent und nicht als Krisenlöser wahrgenommen. – Wie wahr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir können uns noch an dieses Herumschwadronieren erinnern. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas über die FDP!) Als die HRE noch börsennotiert war, da sprach er von Abwicklung und davon, dass sie plattgemacht wird. Die Rettung der Hypo Real Estate war nicht Peer Steinbrück zu verdanken, sondern der Kommunikation der Bundeskanzlerin mit den Banken. Peer Steinbrück war nicht einmal anwesend, als sich die Rettungsnacht zuspitzte. Als Berichte der Bankenaufsicht bei Ihnen in Ihrem Ministerium eingingen, Herr Steinbrück, haben Sie sie nicht einmal gelesen. Sie wussten gar nicht, was an den Finanzmärkten tatsächlich läuft. Deswegen lagen Sie mit Ihrer Regulierungspolitik vollkommen daneben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Es ist noch nicht 11.11 Uhr!) Wenn Sie von Lerneffekten sprechen, dann hat das etwas Komisches. Ich möchte jetzt auf Ihre Vorgänger eingehen. Sie waren nicht der erste sozialdemokratische Finanzminister, der sich rückwirkend gerne als Finanzmarktregulierer darstellt. Hans Eichel, Ihr Vorgänger, sagte bei einer Tagung im Jahr 2003: „Hedgefonds sollen gegenüber herkömmlichen Investmentfonds nicht mehr diskriminiert werden.“ (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Tagesordnung!) Das sagte Ihr sozialdemokratischer Vorgänger Hans Eichel. Das war sozialdemokratische Realfinanzpolitik. Das ist nicht das, was Sie der Öffentlichkeit heute an wahrheitswidriger Geschichtsklitterung erzählen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben von den segensreichen Verbriefungsmärkten geschwärmt. Es gibt einen Antrag von SPD und Grünen vom 7. Mai 2003, Drucksache 15/930; vielleicht möchte das jemand nachlesen. In diesem Antrag haben Sie geschrieben, man brauche jetzt „weitere Maßnahmen zur Schaffung eines leistungsfähigen, internationalen wettbewerbsfähigen Verbriefungsmarktes in Deutschland“. (Zuruf von der FDP: So, so!) Das war reale sozialdemokratische Finanzpolitik. Das hat nichts mit der Regulierung der Finanzmärkte zu tun. Wovon reden Sie denn? (Gustav Herzog [SPD]: Sagen Sie einmal etwas zur FDP!) Sie haben doch alles auf den Weg gebracht, was wir heute wieder rückgängig machen müssen. Wir sind die Koalition, (Lachen bei der SPD) die die Finanzmärkte reguliert. Wir haben den Verbriefungsmarkt reguliert. In Deutschland gibt es den höchsten Selbstbehalt bei Verbriefungen. Das haben wir durchgesetzt. Es gibt in Deutschland ein Verbot von Leerverkäufen. Das haben wir durchgesetzt. (Peer Steinbrück [SPD]: Das gab es vorher bei mir auch schon!) – Sie haben das temporär mit angezogener Handbremse gemacht. (Peer Steinbrück [SPD]: Nein! Sie waren doch dagegen!) Sie haben mit angezogener Handbremse reguliert, und dort, wo Sie Hedgefonds zulassen konnten, haben Sie es getan. Herr Steinbrück, Sie werden Ihre Verantwortung für das, was Sie in Regierungsverantwortung getan haben, nicht los. Sie können tun, was Sie wollen, Sie werden es nicht los. Deswegen werden Sie nicht glaubwürdig das vertreten können, was Ihre Genossinnen und Genossen gerne hätten; denn Sie haben das Gegenteil gemacht. Das wird Ihnen immer anhaften, Herr Steinbrück. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bürgerinnen und Bürger sind bei dieser christlich-liberalen Koalition in guten Händen. Wir haben all die Dinge auf den Weg gebracht, die notwendig sind. Wir bleiben dabei nicht stehen. Der Bundesfinanzminister verhandelt mit vollem Engagement auf internationaler Ebene. So, wie Herr Steinbrück es den Deutschen hinterlassen hat, konnte es nicht bleiben. Deswegen sagt die FDP: Wir müssen mit Maß und Ziel verhandeln, aber immer das richtige Ziel vor Augen haben. (Lachen bei der SPD) Deswegen sagen wir auch: Ja, eine Finanzmarktsteuer kann kommen. Aber sie darf nicht zulasten des regulierten deutschen Marktes gehen. Wir haben die Finanzmärkte in Deutschland nicht reguliert, damit die Finanztransaktionen nach Großbritannien oder Singapur abwandern. Wenn wir regulieren, dann wollen wir auch, dass der regulierte Markt in Deutschland funktioniert. Auch das ist etwas, das wir den Bürgerinnen und Bürgern als Beweis schuldig sind. Deswegen wird hier weiter mit Maß und Ziel international verhandelt. Vieles, was Sie nicht in Angriff nehmen wollten, haben wir in Angriff genommen. Ein Beispiel ist das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz. (Lachen bei der SPD) Auch hier haben Sie nichts erreicht, weil Sie überhaupt nicht die Fähigkeiten besitzen, um sich international durchzusetzen. Sie formulieren nur irgendwelche merkwürdigen Drohungen; (Holger Krestel [FDP]: Kavallerie!) ich erinnere nur an Ihre Aussage mit der „Kavallerie in Fort Yuma“. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zum Schutz der Steuerzahler!) Sonst haben Sie nichts erreicht. All diese Dinge haben wir auf den Weg gebracht. Deutschland steht heute mit einem wesentlich besser regulierten Finanzmarkt da als zu Ihrer Zeit und als zu rot-grüner Zeit. Darauf sind wir auch ein Stück weit stolz. Aber wir ruhen uns darauf nicht aus. (Zuruf von der SPD: Noch 96 Minuten bis 11.11 Uhr!) Wir arbeiten weiter daran, (Lachen bei der SPD) weil wir der festen Überzeugung sind, dass an den Finanzmärkten wieder das Prinzip, dass diejenigen, die Risiken eingehen, auch haften, gelten muss. Das setzen wir Schritt für Schritt um, und das ist gut für dieses Land. Das bringt Stabilität in die Märkte. Deutschland könnte sich eine weitere Ära sozialdemokratischen Versagens in der Finanzpolitik schlicht und einfach nicht leisten. Wir müssen heute die Scherben dieser verfehlten, irrgeleiteten sozialdemokratischen Politik zusammenkehren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Das ist ein großer Aufwand; aber wir leisten das. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Volker Wissing (FDP): Ich finde, wir sind sehr gut vorangekommen. Ein herzliches Dankeschön für das Verhandlungsgeschick der Bundesregierung! Die sie tragenden Fraktionen unterstützen sie, wo sie können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Noch 95 Minuten bis 11.11 Uhr!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ratingagenturen werden neben Hedgefonds und Heuschrecken am häufigsten genannt, wenn über die Finanzkrise gesprochen wird. Ratingagenturen sind bekanntlich private Unternehmen, die nichts anderes machen, als die Kreditwürdigkeit von Unternehmen aller Branchen sowie von Staaten zu bewerten. Damit verdienen sie selbst viel Geld. Die Agenturen fassen das Ergebnis ihrer Untersuchung in einer Buchstabenkombination zusammen, die in der Regel von AAA – beste Qualität – bis D – zahlungsunfähig – reicht. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sagt – Zitat –: Es ist eine Katastrophe, dass (private) Ratingagenturen über Wohl und Wehe von Ländern entscheiden. Recht hat der Mann. (Beifall bei der LINKEN) Die Regierungskoalition kritisiert im vorliegenden Antrag, viele Marktteilnehmer orientierten sich mechanistisch, wie es da heißt, an externen Ratings. Warum ist das so? Darf ich Sie daran erinnern, dass es zuallererst die Aufsichtsbehörden sind, die sich und andere Marktteilnehmer von den Ratingagenturen abhängig machen? Das betrifft die Kapitalpuffer von Banken als auch die Anlagevorgaben für Versicherer. Bei beidem müssen Ratings von externen Agenturen beachtet werden. So haben Sie es ins Gesetz geschrieben und dadurch den Ratingagenturen eine enorme Macht gegeben. Kein Wunder also, dass Banken und Versicherungsgesellschaften die Ratings der Agenturen bei ihren Investitionsentscheidungen zugrunde legen. Sie werden dazu verpflichtet. Da liegt der Hund begraben. (Beifall bei der LINKEN) Sie fordern die eigene Bundesregierung auf – ich zitiere –, „die Verknüpfung regulatorischer Vorgaben mit externen Ratings zu vermindern“. Ihre Analyse der Situation scheint mir dann doch ein schwerer Fall von Bewusstseinsstörung zu sein. In allen internationalen Regulierungsvorschriften, sowohl in den neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken, Basel II und im Nachfolger Basel III, als auch bei der Versicherungsregulierung, Solvency II, werden die Bewertungen der Agenturen doch immer unersetzlicher. Selbst die Europäische Zentralbank verlangt Ratings. Für die Vergabe von Krediten an Geschäftsbanken will sie Sicherheiten in Form von Wertpapieren, die gewisse Mindeststandards erfüllen müssen. Einer dieser Mindeststandards – ich betone das „Mindest“ – ist ein externes Rating einer Ratingagentur. Die Ratingagenturen zu entmachten, die selbst nach Einschätzung im Antrag der Regierungskoalition für die Finanzkrise eine Mitverantwortung tragen, dazu fehlt Ihnen der Mut. Jetzt kommen Sie mir nicht damit, dass viele der Vorschriften, die ich erwähnt habe, aus Brüssel kommen. So ganz ohne Einfluss ist die Bundesregierung in Brüssel nicht. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Wohl wahr!) Alles in allem stehen wir in Deutschland kein bisschen besser da als zu Beginn der Finanzkrise. Die Ratingagenturen raten munter und unbehelligt weiter, mit Erlaubnis derer, die sie kontrollieren sollen. Statt uns hier Anträge vorzulegen, in denen Sie schreiben, wie toll Sie die Finanzmärkte reguliert haben, sollten Sie lieber endlich handeln. (Beifall bei der LINKEN) Gäbe es eine Ratingagentur für Anträge, dann würden Sie mit Ihrem Antrag auf der Skala ganz unten rangieren. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention – – Das hat sich erledigt? (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte eine Zwischenfrage stellen! Jetzt kommt der eigene Redner!) – Gesagt hatten Sie mir gerade etwas anderes, gemeint war offenkundig dies. Okay. Ich bedanke mich. Der nächste Redner ist der Kollege Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es geht nicht, bei der Regulierung der Finanzmärkte nur nach hinten zu gucken, wie das Volker Wissing gerade gemacht hat, sondern es sind jetzt Aufgaben zu erfüllen. Wir würden uns einmal dafür interessieren, warum die FDP bei dem Thema Finanztransaktionsteuer eigentlich über Wochen und Monate und heute noch immer bremst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ist doch klar, dass Sie einiges zu verbergen haben, Herr Schick! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie müssen zuhören!) Da Sie schon zurückschauen, würde uns auch interessieren, warum aus der FDP-Fraktion in den letzten Jahren lauter Deregulierungsvorschläge kamen, die bei Ihrem Rückblick völlig gefehlt haben. So geht es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt im Moment sehr viele verschiedene Initiativen mit dem Ziel, zu regulieren. Ich finde, in dem SPD-Antrag, der heute vorliegt, wird das richtig aufgegriffen. Deswegen werden wir ihm auch zustimmen. Wir sind hier an vielen Stellen gemeinsam unterwegs und sehen auch gemeinsam die Defizite der Koalition. Wir Grünen wollen heute insbesondere auf zwei Punkte hinweisen; denn bei diesen ganzen Diskussion darüber, was international alles getan wird, geht häufig unter, was in Deutschland getan werden muss. Darüber reden Sie in der Koalition herzlich wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) Erster Punkt. Ein Faktor, mit dem Deutschland international heraussticht, ist die Tatsache, dass deutsche Banken ganz besonders wenig Eigenkapital haben. Im „Global Financial Stability Report“ des Internationalen Währungsfonds wird verglichen, in welchem Land der Schuldenhebel der Banken am größten ist. Raten Sie, welches Land im Report vom September 2011, also ganz aktuell, am schlechtesten dasteht! Es ist Deutschland. Hier kann man nicht auf irgendeine internationale Regulierung verweisen, sondern wir brauchen in Deutschland endlich eine Schuldenbremse für Banken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn Sie das nicht glauben, dann können Sie das gerne noch einmal nachlesen. Interessant ist ja: Das European Systemic Risk Board, das neueingerichtete Gremium, das die großen Risiken am Finanzmarkt in Europa aufdecken soll, empfiehlt endlich die Einführung einer verbindlichen Leverage Ratio, einer Schuldenbremse für Banken. Der Sachverständigenrat fordert in seinem neuen Gutachten, dass man bis 2019 schrittweise eine ungewichtete Eigenkapitalquote, also eine Leverage Ratio, von 5 Prozent einführt. Warum verhandelt dann bitte die Bundesbank für die Bundesrepublik Deutschland in Basel, dass diese Schuldenbremse für Banken nicht kommt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum verhandelt dann die Bundesregierung in Brüssel, dass es keine verbindliche Schuldenbremse für Banken gibt? Diese Bundesregierung macht sich zurzeit zum Büttel der deutschen Banken, statt endlich eine stabile Aufstellung des deutschen Bankensektors durchzusetzen. Dazu müssten Sie endlich einmal etwas sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Totaler Quatsch!) Ich möchte zu einem zweiten Thema kommen. Damit die Diskussion einmal vorankommt, haben wir heute einen konkreten Antrag dazu vorgelegt. Überall heißt es, jetzt müssen wir einmal über Trennbanken reden, „too big to fail“ ist wichtig. Bisher hat sich Deutschland dieser Frage aber nicht gestellt. Um was geht es? Große Banken haben praktisch eine implizite Versicherung des Staates. Sie sind so groß, dass niemand riskieren kann, dass sie pleitegehen könnten. Das wissen die Märkte, und sie preisen das ein. Das ist wie eine Subvention. So sagt Avenir Suisse, nicht gerade ein wirtschaftsfeindlicher Thinktank in der Schweiz, dass die Schweizer Großbanken jährlich Subventionen in Höhe von 3 bis 6 Milliarden Schweizer Franken bekommen. Ich zitiere: … das sind mehr Subventionen für die Banker als für die Bauern. Das ist in Deutschland nicht anders. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist ja abenteuerlich!) Genau diese Subventionierung, die Banken dadurch bekommen, dass sie zu groß sind und deswegen kostenlos versichert werden, wollen wir abschaffen. Das ist der Kern des Problems „too big to fail“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das haben wir mit der Bankenabgabe gemacht! Sie wollten das nicht mittragen!) – Das stimmt überhaupt nicht, dass Sie das mit der Bankenabgabe machen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ist sie größenabhängig, oder ist sie nicht größenabhängig?) – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Dann kann ich dazu Ausführungen machen. – Das wollen Sie wohl doch nicht. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ihnen noch mehr Redezeit geben? Das wäre noch schöner! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wissen wir, was Sie fürchten!) – Genau. Sie haben Angst, dass ich es richtig erkläre und dass die Menschen merken, dass meine Antwort die richtige ist und Ihre Zwischenfrage Mumpitz ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht der Bank of England. Sie sagt: Die Großbanken haben eine letztlich von der Allgemeinheit zu tragende Größenprämie von 250 Milliarden Dollar pro Jahr. – Genau das passiert ständig: dass die Steuerzahler kostenlos Bankrisiken versichern. Genau das möchten wir abschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit haben wir Grünen gute Erfahrungen. Wir kennen nämlich die kostenlose Subventionierung von systemischen Risiken aus einem anderen Themenfeld. Wir kennen das vom Thema Atomenergie. Auch da ist viel zu lange akzeptiert worden, dass der Steuerzahler kostenlos Großrisiken versichert. Es hat eine lange Zeit gedauert, aber wir Grünen haben es beharrlich gemeinsam mit den sozialen Bewegungen geschafft, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen und Sie zu einer 180-Grad-Wende gezwungen. Genau dasselbe werden wir bei dem Thema kostenlose Subventionen für Großbanken machen. Das Thema muss in Deutschland endlich auf den Tisch. Daran werden wir festhalten, und zwar so lange, bis wir die „too big to fail“-Thematik endlich gelöst haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Herr Schick, Sie unterschlagen die Wahrheit!) Deswegen legen wir heute einen Antrag vor. In der Schweiz hat man erfolgreich vorgemacht, dass man an dieses Thema herangehen kann. In der Schweiz wurde eine Kommission vom Parlament eingesetzt, um die volkswirtschaftlichen Risiken von Großbanken zu untersuchen. Sie hat gute Vorschläge gemacht und dafür gesorgt, dass zusätzliche Eigenkapitalpuffer für Großbanken eingeführt wurden. In Großbritannien hat die Vickers-Kommission, die Independent Commission on Banking, Vorschläge für ein Trennbankensystem gemacht. Das sind sinnvolle Vorschläge. Diese Bundesregierung und diese Koalition verweigern sich bis heute dieser Debatte. Das sieht man daran, dass Sie unseren Antrag heute ablehnen wollen. Wir Grünen werden daranbleiben; denn in der Frage, ob der Steuerzahler immer wieder in die Situation kommt, erpresst zu werden oder nicht, lassen wir nicht locker. Darauf können Sie sich verlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Hans Michelbach das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bankenkrise der Jahre 2008/2009 und die daraus für die öffentlichen Haushalte entstandenen finanziellen Belastungen haben deutlich gemacht, dass die Finanzmärkte strukturell reformiert werden müssen. Dieser Aufgabe widmet sich die CDU/CSU-Fraktion mit großer Energie. Dabei lassen wir uns von niemandem überbieten, schon gar nicht von Rot und Grün, die fälschlicherweise Griechenland in die Euro-Gruppe mit aufgenommen haben, die den Stabilitätspakt gebrochen und den Hedgefonds Tür und Tor geöffnet haben. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Koalition reguliert, Rot-Grün hat dereguliert. Das sind die Tatsachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Der vorliegende SPD-Antrag ist teilweise ein Plagiat unseres Antrags. Unser Antrag, so sagt Herr Steinbrück, sei eine „nackte Unverschämtheit“. Das ist aber hier der Versuch, die eigene Nacktheit aus seiner Zeit als Finanzminister zu verbergen. Das ist die Situation. In unserem Antrag schauen wir nach vorne, und er beinhaltet klare Regulierungen für die Zukunft. Das ist der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Michelbach, darf Ihnen der Kollege Poß eine Zwischenfrage stellen? Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Ja. Joachim Poß (SPD): Lieber Herr Kollege Michelbach, ist Ihnen bekannt, dass wir diejenigen waren, die bei der damaligen Gesetzgebung die Hedgefonds so konditioniert, kontrolliert, beaufsichtigt und mit Regeln versehen haben, dass die meisten es vorgezogen haben, gleich zur City of London zu gehen? Können Sie sich daran erinnern, dass entweder Ihre Fraktion oder Stimmen aus Ihrer Fraktion, vielleicht gar Sie persönlich, die damalige Gesetzgebung für viel zu stringent und zu eng gefasst hielten und Sie eine Weiterung im Sinne einer Deregulierung gefordert haben? (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Poß, das Problem liegt woanders. (Peer Steinbrück [SPD]: Nein! Bestimmt nicht!) Sie haben in der Finanzpolitik immer nur national gedacht. Das will ich Ihnen noch einmal verdeutlichen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten! – Joachim Poß [SPD]: Ist das zutreffend oder nicht?) Sie haben im Deutschen Bundestag gesagt, durch eine europäische Lösung würde die Bundesregierung die Kontrolle über die internationale Bankenpolitik verlieren. Herr Steinbrück als Ihr Minister hat damals am 25. September in einer Regierungserklärung gesagt – bleiben Sie stehen, Herr Poß; ich bin noch nicht fertig –, (Iris Gleicke [SPD]: Sie lesen ja Ihre Rede vor! Sie antworten gar nicht!) der Zusammenbruch von Lehman Brothers sei ein rein amerikanisches Problem. Das zeigt, dass Sie in der Finanzpolitik nur national gedacht haben. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie haben dabei applaudiert! Das ist ja lächerlich!) Sie haben die internationale Vernetzung völlig verkannt. Das war die größte Fehleinschätzung eines deutschen Finanzministers. Das ist eine Tatsache. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben national Dinge getan, die aber international null wert waren. Das war die Situation. (Joachim Poß [SPD]: Das ist keine Antwort!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Michelbach, jetzt möchte auch der Kollege Pronold noch eine Frage stellen. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Ein bayerischer Kollege darf das immer. Präsident Dr. Norbert Lammert: Diese Differenzierung sieht unsere Geschäftsordnung übrigens nicht vor, Herr Kollege. – Bitte sehr. Florian Pronold (SPD): Die bayerischen Kollegen haben auch ein sehr gutes Gedächtnis. Wir waren lange gemeinsam im Finanzausschuss. Darum verwundert mich Ihre neue Performance heute außergewöhnlich. Denn in der Zeit, als wir gemeinsam im Finanzausschuss waren, waren Sie immer der Deregulierer. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wenn Sie über die nationalen Handlungen reden, dann darf ich Sie an ein altes Streitthema zwischen uns erinnern, nämlich die Real Estate Investment Trusts und die Frage, ob auch die ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften einbezogen werden. Es war die SPD-Fraktion, die verhindert hat, dass die Wohnungen den Heuschrecken ausgeliefert werden. Sie waren an vorderster Front dafür, das nicht in nationaler Regulierung zu machen, sondern den Heuschrecken noch Futter zu geben. So war es. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Iris Gleicke [SPD]: Was stört mich mein Geschwätz von gestern!) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Pronold, es ist eine Tatsache, dass ich immer gegen Wettbewerbsverzerrungen zulasten des Landes und der Arbeitsplätze war. (Lachen bei der SPD) Diesen Vorwurf mache ich Ihnen: Sie haben Finanzpolitik aus nationaler Sicht gemacht, ohne global zu denken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Sie haben weder eine G-20-Lösung noch eine EU-Lösung oder eine Euro-Zonen-Lösung vorgelegt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Und was haben Sie global erreicht?) Diesem Vorwurf müssen Sie sich stellen, Herr Steinbrück. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber schauen wir nach vorne. Denn die Risiken sind gestiegen. Es gibt zweifellos eine Vertrauenskrise und mit Griechenland und Italien einen starken Vertrauens-einbruch. Europa kann nicht auf Pump leben. Jede Solidarität muss mit einer Eigenanstrengung der Länder gekoppelt werden. Wir wollen eine neue Architektur der Glaubwürdigkeit in Europa. Wir haben jetzt die Aufgabe, diese Maßnahmen in nationaler Geschlossenheit durchzusetzen. Das Vertrauen in die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte und in das Finanzsystem muss neu hergestellt werden. Das ist jetzt unsere Aufgabe. In der Währungsunion muss die Glaubwürdigkeit aller Länder wiedergewonnen werden, weil unsere Zukunft in einem gemeinsamen Europa und in der Euro-Zone liegt. Deswegen gilt es jetzt, diese Aufgaben gemeinsam anzugehen und zu schultern. Wir wollen Sanktionsverfahren. Wir wollen keine Vergemeinschaftung von Schulden und Zinsen. Wir wollen keine monetäre Staatsfinanzierung. Wir wollen die Unabhängigkeit der EZB und die Widerstandsfähigkeit der Banken durch Rekapitalisierung. Das sind die Aufgaben, die sich jetzt auf der europäischen Ebene stellen. Die Politik verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie die Märkte nicht noch besser in den Griff bekommt. Genau das – die Märkte besser in den Griff zu bekommen – versuchen wir mit unserem Antrag zu erreichen. Schließen Sie sich deswegen unserem Antrag an! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Haben Sie überhaupt ein Wort gesagt, was Sie eigentlich wollen?) Wir können eine positive Bilanz bezüglich der Finanzmarktregulierung ziehen. Auf diese Regulierung üben in Deutschland wir, der Deutsche Bundestag, durch direkte Beschlussfassung Einfluss aus. Man sollte wiederholen, was wir gemacht haben. Natürlich können wir hier im Deutschen Bundestag nicht beschließen, was andere Länder zu tun haben. Letzten Endes können wir nur Beschlüsse durchsetzen, die für uns gelten, und wir müssen die Bundesregierung bitten, diese Beschlüsse in die G 20 und in die Euro-Zone weiterzutragen. Wir haben Regulierungen zum Rating und zur Vergütungsstruktur getroffen. Wir haben Regelungen zu Leerverkäufen und zu Verbriefungen geschaffen. Wir haben die Verhandlungen zu den Eigenkapitalanforderungen im Rahmen von Basel III offensiv begleitet. Wir haben das Restrukturierungsgesetz und die damit verbundene Bankenabgabe beschlossen. Dadurch sind wir in der Situation, dass wir international weitere Erfolge brauchen. Das steht außer Frage: Wir brauchen international weitere Erfolge. Dies müssen wir gemeinsam im deutschen Interesse angehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jetzt müssen die Regulierungen am Finanzmarkt global zur Stabilisierung des Währungssystems und der Weltwirtschaft weitergeführt werden, damit dem verantwortungslosen Treiben einzelner Finanzmarktteilnehmer ein Ende gesetzt wird. International muss es klare Absprachen und Vorgaben zur Umsetzung geben. Hier geht es um die systemrelevanten Banken, um die Schattenbanken, um die Derivate, um die Reform des Weltwährungssystems. Das sind die Kernpunkte, die wir jetzt angehen müssen. Unser Antrag zeigt, welche Maßnahmen wir zur Reform des Finanzmarktes schon umgesetzt haben und welche Erweiterungen jetzt notwendig sind. Das ist eine Zwischenbilanz, die letzten Endes zu einer Gesamtlösung, zu einer Gesamtkonzeption führt. Dieser Antrag ist zielführend, und deswegen wurde er zu Recht gestellt. Lassen Sie uns bei den Entscheidungen über das Trennbankensystem, über den Hochfrequenzhandel, über das Risikomanagement beim Investmentbanking und beim Eigenhandel, über die Finanzmarktspekulationen im Rohstoffbereich einschließlich der Nahrungsmittel reden. Lassen Sie uns über das Schattenbankensystem sprechen. Lassen Sie uns auch über die Finanztransaktionsteuer reden, aber natürlich nicht mit Emotionen, sondern mit gezieltem Sachverstand. Lassen Sie uns außerdem über die außerbörsliche Derivateentwicklung reden. Das sind die Punkte, über die es international zu entscheiden gilt. Neue Glaubwürdigkeit entsteht nur durch einen transparenten Weg in der Finanzwirtschaft und einen konsequenten Krisenbewältigungsmechanismus insgesamt in dieser Währungsunion und in der gesamten Finanzwirtschaft. Wir werden dafür kämpfen, dass Finanzmarktrisiken sowie Inflationsgefahren vermieden werden. Die Akteure auf den Finanzmärkten sollen nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen dürfen, wie sie vor der Krise zu beobachten waren. Wir werden weitere Initiativen ergreifen, um auf europäischer und internationaler Ebene eine Vorreiterrolle bei der Vermeidung zukünftiger Krisen wahrzunehmen. Unser Land, Deutschland, dient als Vorbild. Unsere Wirtschaft ist stark. Wir haben die höchste Beschäftigung. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit in Europa, was vergleichbare Industrieländer angeht. Deswegen können wir als Vorbild dienen. Wir müssen aber die Solidarität, die wir gerne geben, durch Eigenanstrengungen auch einfordern. Das ist der Weg, den wir einschlagen und der letzten Endes zu bewältigen ist. Die Exzesse, die wir auf den Finanzmärkten erlebt haben, dürfen sich nicht wiederholen. Da werden wir klare Schranken und Begrenzungen einführen. Das, was Sie nicht gemacht haben, werden wir jetzt tun. Es ist einfach die Situation – das müssen Sie sich natürlich hinter die Ohren schreiben –: Rot-Grün hat dereguliert, und diese Koalition reguliert und wird letzten Endes Deutschland, die Euro-Zone und Europa wirtschaftlich und finanzpolitisch auf den richtigen Weg führen. Das ist die Situation. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Mirakel heute Morgen. Wenn man sich die Debatte anhört und den Antrag der Koalitionsfraktionen anschaut, fragt man sich: Was soll das eigentlich alles? Was wollen Sie uns sagen? Wie kommen Sie überhaupt zu einem solchen inhaltsleeren und perspektivlosen Antrag? Die Antwort auf diese Frage findet sich in der Geschichte. Der Antrag ist im Juni dieses Jahres entstanden. Damals hat die CDU/CSU-Fraktion eine große Konferenz hier im Deutschen Bundestag veranstaltet und dazu illustre Herren eingeladen: Herrn Blessing von der Commerzbank, den Herrn Vorstandsvorsitzenden Francioni von der Deutschen Börse und natürlich Herrn Ackermann, der in diesem Zusammenhang erstmalig die Luft des Bundestages schnuppern durfte und nicht nur die Zimmer im Kanzleramt gesehen hat. Dort ist beraten worden, wie weit man denn sei und was man denn erreicht habe. Man hat also – jetzt greife ich ein Wort auf, das der amtierende Bundesfinanzminister häufiger gesagt hat – nichts anderes getan, als die Frösche einzuladen und mit ihnen zu beraten, wie man den Sumpf trockenlegen kann. Ihr Antrag ist nichts anderes als das Dokument dafür, dass das nicht funktioniert. Ihr Antrag lässt die Frösche munter weiterquaken. Das ist das Problem Ihrer Regulierungspolitik. Sie führt zu nichts und bringt leider nicht die Maßnahmen auf den Weg, die erforderlich sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Jetzt behaupten Sie in der Debatte, Sie hätten mehr erreicht als in elf Jahren SPD-Regierungsbeteiligung und die SPD-Finanzminister. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist das! – Joachim Poß [SPD] an die CDU gewandt: Ihr habt in der Großen Koalition doch gebremst!) Man muss sich fragen, woher das kommt, was Sie da auflisten. Ich sage Ihnen, was das Einzige ist, was Sie treibt: Entweder greifen Sie auf die Maßnahmen zurück, die in der Großen Koalition vorbereitet worden sind – Peer Steinbrück hat hier schon auf das Restrukturierungsgesetz verwiesen –, oder Sie machen nichts anderes, als Verordnungen und Richtlinien der EU umzusetzen. Eigene Impulse, die Kraft der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt für Regulierungsmaßnahmen zu nutzen, kommen von Ihnen nicht. Eigene Initiativen und Vorschläge fehlen bei Ihnen. (Beifall bei der SPD) Ich will das gerne anhand der hier angesprochenen Punkte aufzeigen. Die Wahrheitsverzerrung heute Morgen ist unglaublich. (Peer Steinbrück [SPD]: Wohl wahr!) Ich greife das Thema Hedgefonds auf. Kollege Pronold hat darauf hingewiesen, dass die Oberderegulierer von damals jetzt nach mehr Regulierung schreien. Die Wirklichkeit ist: Wir alle wissen, dass es in Deutschland um die zehn Hedgefonds gibt. Warum gibt es so wenige? Weil wir die strengste Regulierung haben und die Hedgefonds alle nach Großbritannien verschwunden sind. (Beifall bei der SPD) Das ist der Erfolg der Politik, die Sie damals beklagt haben. Heute stellen Sie sich hierhin und behaupten, Sie hätten keine nationalen Sonderwege gewollt. Ich bin froh, dass der nationale Sonderweg gewählt worden ist; denn er hat Schaden vom deutschen Finanzmarkt abgewendet. (Beifall bei der SPD) Dann wurde hier – das ist das Allergrößte – das Thema Leerverkäufe angesprochen. Sie tun so, als hätten Sie heldenhaft im Juni 2010 hier ein Gesetz verabschiedet. Ich möchte erst einmal darauf hinweisen, dass im September 2008 Leerverkäufe per Anweisung des damaligen Bundesfinanzministers verboten worden sind. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Elf Finanzinstitute!) – Ja, aber das Verbot ist verlängert worden. Das Verbot war wirksam bis zum 31. Januar 2010, als Sie schon im Amt waren. Wir haben Sie immer aufgefordert, dieses Verbot zu verlängern. Das haben Sie nicht gemacht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir haben das auf eine gesetzliche Basis gestellt!) Sie haben es am 18. Mai 2010 wieder aufgegriffen, um dann im Juni das Gesetz zu verabschieden. Es gab eine Zeit, in der Sie fahrlässigerweise Leerverkäufe zugelassen haben, die vorher von uns verboten worden waren. Das war genau die Zeit, in der die Griechenland-Krise ausgebrochen ist. Darauf will ich an dieser Stelle einmal verweisen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mit Ihrem Gesetz haben Sie weniger im Bereich der Verbote von Leerverkäufen reguliert, als es vorher der Fall war. (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie selber nicht, was Sie da sagen!) Sie haben damals das Verbot auf ungedeckte Leerverkäufe begrenzt. Sie haben Ausnahmen geschaffen und bestimmte Geschäfte weiterhin ermöglicht. Ihr Gesetz geht nicht so weit wie das, welches das Europäische Parlament in wenigen Tagen hoffentlich verabschieden wird und auch die ungedeckten Kreditausfallversicherungen umfasst. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir haben die doch drin!) Das ist notwendig. Hier hätten Sie vorangehen und etwas leisten können. Aber das passt ins Bild: Sie tun nichts. Sie bringen nichts in Gang. Sie vollziehen nur nach, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Es ist eigentlich eine unendliche und unglaubliche Geschichte. Vorhin sind die Vergütungen angesprochen worden. Gesetzliche Maßnahmen zur Regulierung der Vergütungen sind bereits durch die Großen Koalition auf den Weg gebracht worden. In Ihrer Zeit ist es allerdings möglich gewesen, gegen diese gesetzlichen Einschränkungen zu verstoßen. Ich verweise nur auf die HRE. Sie ist ein weiteres Beispiel dafür, was Sie alles zugelassen haben, wie wenig Sie hier gemacht haben und wie Sie in Attentismus und Blockadehaltung verharren. Nun haben Sie die Erkenntnis gewonnen, die Ratings müssten verboten werden. Herr Sanio fordert dies seit vielen Monaten und hat Sie auch unterrichtet. Nun kommen Sie stolz ins Parlament und verkünden, dass es eine Einschränkung geben müsse. Meine Güte! Da kann ich an diesem Freitag nur sagen: Guten Morgen, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass Sie auch bei dieser Frage endlich aufwachen. (Zurufe von der CDU/CSU: Wie billig!) Unser Antrag enthält einen Katalog der Maßnahmen, die ergriffen werden müssen. Wir sagen gerade nach den Ergebnissen des G-20-Gipfels, auf dem nicht viel mehr – so heißt es in den Dokumenten – als die Dossierung von Ergebnissen, also die Erstellung von Protokollen, beschlossen wurde: Die notwendigen Taten müssen auf europäischer Ebene erfolgen. Hier kommt es darauf an, zu handeln. (Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Aha, sehr wichtig! Das Thema Finanztransaktionsteuer ist hier schon häufiger angesprochen worden. Herr Michelbach, der hier viele Reden gegen die Finanztransaktionsteuer gehalten hat, redet jetzt ganz machtvoll und kraftvoll für die Einführung einer solchen Steuer. (Zuruf von der SPD: Der hat doch gar nicht geredet!) Sie haben die Chancen verpasst. Wir haben im Januar 2010 mit den anderen Oppositionsfraktionen einen Antrag eingebracht. Sie als Koalition haben ihn abgelehnt. Wir haben in der Diskussion im Mai 2010, als es um die erste Griechenland-Tranche ging, gesagt, dass diese mit einer strikten Regulierung verbunden werden müsse, was auch die Einführung der Transaktionsteuer bedeute. Was hat die Koalition gemacht? Sie hat es abgelehnt. Wir haben im Juni 2011 einen Antrag eingebracht, der auch im französischen Parlament behandelt worden ist. Hier ist er abgelehnt worden. Die Konservativen im französischen Parlament unter Präsident Sarkozy haben zugestimmt. Sie haben wieder abgelehnt, meine Damen und Herren von der Union. Sie haben sich durchgängig verweigert und nicht die Kraft entwickelt, die notwendig gewesen wäre. Der Grund ist doch ganz klar. Der Grund sitzt ganz rechts außen in diesem Parlament. Die FDP zieht Sie am Nasenring durch die politische Arena. Erst vorgestern hat ein FDP-Vertreter im Wirtschaftsausschuss erklärt: Eine Finanztransaktionsteuer gibt es mit uns nur weltweit. – Ich möchte einmal wissen, wie lange Frau Merkel und Herr Schäuble sich das noch gefallen lassen. Sie müssen auch an dieser Stelle handeln. Das wäre wirksame Finanzmarktregulierung. Diese Regierung bringt wenig. Wir haben unsere Vorschläge vorgelegt und unterstützen auch den Antrag der Grünen, der darauf abzielt, ein Trennbankensystem einzuführen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Björn Sänger für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Björn Sänger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die christlich-liberale Regierungskoalition legt Ihnen hier eine stolze Halbzeitbilanz in der Finanzmarktregulierung vor. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Zahlreiche Regelungen mit europaweiten und sogar weltweiten Alleinstellungsmerkmalen sind enthalten. Es ist wichtig, dass wir über dieses Thema auch einmal in der Kernzeit des Deutschen Bundestages diskutieren können, damit sich draußen nicht der falsche Eindruck verfestigt, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn Ihre Kollegen in der Kernzeit?) es würde in der Finanzmarktregulierung nichts getan werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, während der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel, der in Fragen der Deregulierung nicht frei von Fehleinschätzungen war, gegen meine Geburtsstadt Kassel klagt, um weitere 6 000 Euro zu seinen bisher 8 000 Euro als Pension zu bekommen, hat die Regierungskoalition die Vergütungen geregelt, um unter anderem auch der Gier Einhalt zu gebieten. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, zu Unrecht ausgezahlte Vergütungen bzw. Boni zurückzuholen. Da haben Sie sich von der SPD im Übrigen enthalten. In Ihrem Antrag sagen Sie jetzt, man müsse das regulieren. Während Herr Steinbrück auf Lesereise durch Deutschland ist oder vielleicht im Stall nach den Pferden schaut – wegen der Kavallerie –, (Peer Steinbrück [SPD]: Das ist ja ungeheuer witzig! – Weiterer Zuruf von der SPD: Nicht einmal Ihre Witze sind lustig!) hat diese Regierungskoalition Zug um Zug den Bereich der Verbriefungen geregelt. Auch da haben Sie sich enthalten. Die Neuregelungen für Verbriefungen – es ist schon wichtig, einmal darauf hinzuweisen – haben wir im nationalen Alleingang durchgesetzt. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie sollten sich meine Rede noch einmal anhören!) Hier haben wir europaweit die besten und wirksamsten Regelungen für Kreditverbriefungen geschaffen, indem wir einen Eigenanteil in Höhe von mindestens 10 Prozent festgeschrieben haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch mit dem Verbot von bestimmten Leerverkäufen haben wir etwas geschaffen, was in dieser Form in Europa einmalig ist. Es handelt sich um eine intelligente Lösung: Wir ermöglichen weiterhin den Intraday-Handel und erhalten damit die positiven Effekte, die es bei Leerverkäufen durchaus gibt, zum Beispiel hinsichtlich der Marktinformation und der liquiditätsspendenden Wirkung. Zugleich haben wir aber unterbunden, dass hier spekuliert werden kann; denn für spekulative Geschäfte benötigt man mehr als einen Tag. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen: Wir sorgen für intelligente Lösungen bei der Finanzmarktregulierung, (Lachen des Abg. Peer Steinbrück [SPD]) Sie möchten die Stammtische bedienen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Könnten Sie das noch einmal wiederholen? Das glaubt sonst keiner!) Das kann man auch beim Banken-Restrukturierungsgesetz sehen. Herr Steinbrück hat eben gesagt, dabei handle es sich im Prinzip um ein Plagiat. In Ihrem eigenen Antrag schreiben Sie aber, es sei zu kompliziert. Nein, es ist genau richtig so, weil es die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in die Finanzindustrie und die Bankenwelt zurückbringt. Dem Gesetz wurde höchste Aufmerksamkeit zuteil, in den USA und weltweit, und es dient als Blaupause für die entsprechende Richtlinie auf EU-Ebene, die demnächst auf uns zukommt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob es sich hierbei um ein Plagiat Ihrer Ideen handelt oder ob es zu kompliziert ist. Das wird hier nicht ganz klar. Wir sollten bei all dem auch nicht vergessen, dass wir das Finanzsystem für die Realwirtschaft brauchen. Es besteht da ein ganz enger Zusammenhang. Die Realwirtschaft kann ohne eine funktionierende Bankenlandschaft nicht existieren. In diesem Zusammenhang muss man auch sehen, dass Banken Unternehmen sind, die Gewinne erwirtschaften wollen. Mit anderen Worten: Der Frosch muss noch genug Wasser im Sumpf haben, um quaken zu können. Wenn Sie keine Frösche mehr haben, wird ganz schnell eine Wüste entstanden sein. Das wollen wir eben nicht. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Dann werden Sie ja zum Froschschützer!) Das bedeutet nichts anderes, als dass man bei den notwendigen Eingriffen in den Finanzmarkt wie mit einem Skalpell wohlüberlegt operieren muss. Man hantiert gewissermaßen an der Schlagader der deutschen Wirtschaft. Da kann man nicht das machen, was Sie vorhaben, nämlich so eine Art Luftröhrenschnitt mit der Kettensäge. Dann entstünde sehr schnell ein Massaker. Aber da sind wir glücklicherweise vor. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie haben schon alles niedergemacht!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben viel erreicht. Das kann man unserem heute vorgelegten Antrag entnehmen. Dem Antrag zu den Ratingagenturen kann man aber auch entnehmen, dass eben noch nicht alles erreicht ist (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und manches verhindert wird!) und noch viel zu tun bleibt. Ich lade Sie ein, uns dabei zu unterstützen. Sie haben sich Dutzende Male enthalten bzw. dagegen gestimmt. Ich fordere Sie auf, sich an dieser Stelle einmal klar zu erklären. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion der Linken spricht jetzt der Kollege Axel Troost. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag „Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise“ der Koalitionsfraktionen trägt schon einen verräterischen Begriff im Titel, nämlich „nach der Finanzkrise“. Welche Finanzkrise ist denn vorbei? Der ganze Antrag strotzt nur so vor selbstgefälligem Eigenlob. Er bringt absolut glaubwürdig in Form von Selbstbeweihräucherungen zum Ausdruck, dass Sie davon überzeugt sind, Sie hätten die wesentlichen Probleme angegangen und könnten mit sich und mit dem Fortgang der Ereignisse zufrieden sein. Aber wir sagen Ihnen: Das ist mitnichten so! Nein, die aus der Krise notwendigen Schlussfolgerungen sind nicht gezogen. Nein, die Krise ist nicht vorbei. Nein, es sind keine konsequenten Strukturreformen sichtbar. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Was ist – es wurde heute schon angesprochen – von dem vielzitierten Beschluss der G 20, kein Akteur und kein Instrument auf dem Finanzmarkt dürfe ohne angemessene Regulierung bleiben, übrig geblieben? Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, und auch Herr Flosbach hat es angesprochen: Von der Regulierung der Schattenbanken sind wir nach wie vor sehr weit entfernt. Wann kommt denn da was von Ihnen – nach der übernächsten Finanzmarktkrise? Und was kommt dann? Sicher, Finanzmarktregulierung auf internationaler Ebene ist ein mühsames Geschäft. Aber die Frage ist doch: Wo sind Ihre originellen Ideen und weitreichenden Konzepte, mit denen Strukturveränderungen im Finanzsystem eingeleitet werden können? Ihr Motto lautet: Maßvoll regulieren und nicht über das Ziel hinausschießen. – Herr Sänger war da gerade wieder ein gutes Beispiel. Aber Ihr Ziel ist eben nicht eine grundlegende Veränderung des Finanzsystems. Sie wollen, dass die Banken weiterhin auf eigene Rechnung im Finanzkasino zocken dürfen, dass die inkompetenten Bewertungen privater Ratingagenturen weiterhin als Grundlage für den Umgang mit Staatsschulden dienen und dass Banken weiterhin so groß sein dürfen, dass sie bei Schieflagen von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern um jeden Preis gerettet werden müssen. Wer Angst hat, er könne den großen Finanzmarktakteuren zu starke Fesseln anlegen, der hat überhaupt nicht verstanden, was sich auf den Finanzmärkten seit Jahrzehnten tut. Großbanken sind Entfesselungskünstler. Ich habe noch von keiner Regulierung gehört, die die Banken nicht wenigstens teilweise umgangen hätten. Wie kann man da vor Überregulierung warnen? Aus unserer Sicht hat sich im Finanzsystem nichts Grundlegendes zum Besseren verändert. Sie haben lediglich die wenigen schwachen Bremsen, die es auf den Finanzmärkten gibt, angezogen, aber mehr eben auch nicht. Zum Beispiel beim Eigenkapital: Natürlich ist es nicht falsch, wenn die Banken in Zukunft mehr eigenes Kapital vorhalten müssen, um Verluste aus riskanten Finanzmarktwetten ohne Staatshilfe besser verkraften zu können. Aber es muss doch darum gehen, diese Wetten zu verbieten. In dieser Richtung passiert überhaupt nichts. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Finanzmarktregulierung. Dazu dient auch unser Finanz-TÜV. Statt – wie heute – auf den Finanzmärkten alles als erlaubt zu betrachten, was nicht verboten ist, müsste alles verboten sein, solange es nicht explizit erlaubt ist. (Beifall bei der LINKEN) Im Straßenverkehr kann sich auch nicht jeder ein beliebiges Siebenrad mit 300 PS zusammenbauen und damit im Straßenverkehr herumfahren. Auch Arzneimittel dürfen nicht einfach so zusammengebraut und unter die Leute gebracht werden, sondern es gibt komplizierte Zulassungsverfahren. Der Finanz-TÜV wäre dafür zuständig, Finanzakteure, -instrumente und -praktiken zu prüfen und ihnen nur bei Unbedenklichkeit eine Zulassung zu erteilen. Ohne Zulassung kein Geschäft, so muss das endlich auch auf den Finanzmärkten sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen nicht nur in Deutschland können es immer noch nicht glauben, dass von den verantwortlichen Großbankern kaum einer zur Rechenschaft gezogen wurde und die meisten weiterhin dicke Gehälter und Boni einstreichen. Diese Banker haben, unterstützt durch die Deregulierungspolitik der letzten Jahre, die Gesellschaft um Milliarden geschädigt und sind dabei selbst zu Millionären geworden. Wenn ich als kleiner Selbstständiger mein Geschäft so gefährlich und dilettantisch betrieben hätte, wie es die Investmentbanker in den Groß- und Landesbanken gemacht haben, dann würde ich zu Recht für den Rest meines Lebens oder mindestens für sieben Jahre bis zum Ende meiner Privatinsolvenz Schadenersatz an meine Kunden bzw. an den Staat zu zahlen haben. Wir – und ich glaube, auch die Menschen da draußen – erwarten, dass von Ihnen politische Signale gesendet werden, dass sich die Politik nicht länger auf der Nase herumtanzen lässt und dass die Verantwortlichen in der Finanzbranche für ihre Fehler geradestehen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Jeder weiß, dass uns diese Krise Milliarden kosten wird und dass das nicht aus den bisherigen Staatseinnahmen zu finanzieren ist. Wir treten deshalb ganz entschieden für eine Vermögensteuer ein, damit diejenigen, die während der Krise profitiert haben, in die Finanzierung eingebunden werden. (Beifall bei der LINKEN) Abschließend noch ein paar Worte zum SPD-Antrag. Vieles von dem, was dort gefordert wird, fordern wir seit langem. Vor der Finanzkrise standen diese Punkte bereits auf unserer Agenda. Wir lehnen diesen Antrag trotzdem ab, weil wir das von Ihnen geforderte Trennbankensystem in dieser Form für falsch halten. Es ist zwar völlig richtig, das spekulative Finanzmarktgeschäft der Banken vom seriösen Einlagen- und Kreditgeschäft zu trennen. Ich will dies mit Blick auf die Deutsche Bank mit folgendem Bild beschreiben: ein Turm für das normale Kredit- und Einlagengeschäft und ein Turm für das spekulative Geschäft. Wir sind aber der Meinung, dass der zweite Turm geschlossen und nicht nur separiert werden sollte; denn wir glauben, dass das spekulative Geschäft der Banken gänzlich dichtgemacht werden muss. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Meine Damen und Herren! Ich bin sichtlich bewegt, dass sich der „schlaueste Finanzminister aller Zeiten“ heute in die Niederungen der Tagespolitik begeben hat. Herzlich willkommen, Herr Steinbrück. So oft haben wir Sie hier noch nicht gesehen. Ich kann mir aber einige Bemerkungen zu Ihren Ausführungen nicht verkneifen. Stichwort „schlauester Finanzminister aller Zeiten“: Es gibt Leute, die behaupten, dass Sie ein guter Finanzminister waren. Sie sind es aber nicht mehr; denn was Sie heute geboten haben, war in keiner Weise fachlich fundiert. Sie haben schlichtweg zwei Jahre verpasst. Vielleicht hätten Sie an der einen oder anderen Beratung des Finanzausschusses teilnehmen und weniger Vorträge halten sollen. Schachbretter und ähnliche Sachen waren Ihnen anscheinend wichtiger. (Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Nur kein Neid! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie waren schon besser!) Ich muss schon sagen: Der Kurs für Ihre Vorträge ist nach dieser Rede nicht gestiegen. Ich möchte zunächst kurz auf den Antrag der SPD eingehen. Herr Sieling, Ihr Antrag wäre in der Tat ein Fall für VroniPlag; denn Sie haben alles aufgenommen, was wir schon längst bearbeitet haben. Bei Ihnen kommt aber ein weinerlicher Unterton „Ihr strengt euch nicht genug an“ hinzu. Ich will Ihnen einmal erläutern, was wir in den letzten zwei Jahren, also in der Nach-Steinbrück-Zeit, gemacht haben. (Iris Gleicke [SPD]: Oh!) Es ist nicht gut, wenn in den Finanzinstitutionen zu viele Fehler gemacht werden. Deswegen haben wir sinnvolle Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Fehleranfälligkeit von Managemententscheidungen in Finanzinstituten zu verringern. Wir haben die Vergütungsstrukturen und die Ratingstrukturen angepackt. Außerdem haben wir die Grenzen für Großkredite und die Verbriefungen neu geregelt. Hinzu kommt, dass wir zusammen mit unseren europäischen Partnern Basel III, was im nächsten Jahr unter dem Titel „CRD IV“ umgesetzt wird, auf den Weg gebracht haben. Das heißt, wir haben Regelungen für den Treibstoff der Banken, also für Eigenkapital und Liquidität, geschaffen. Nichtsdestotrotz ist es so, dass Banken und Versicherungen weiterhin Fehler machen werden. Es ist auch im Sinne der Marktwirtschaft, dass Institutionen Fehler machen können. Es ist aber nicht gut, wenn die Fehlertragfähigkeit nicht groß genug ist, wenn also kleinere Fehler dazu führen, dass Institute in Schieflage geraten. Auch da haben wir Maßnahmen auf den Weg gebracht. Beispielsweise haben wir durch CRD IV, also durch Basel III, dafür gesorgt, dass durch mehr Eigenkapital und durch mehr Liquidität der Banken die Fehlertragfähigkeit vergrößert wird. Wir haben durch Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie den Eigenkapitalbegriff geschärft. Wir haben offene Immobilienfonds tragfähiger gemacht, indem wir Auszahlungsbegrenzungen eingeführt haben. Da ist also eine Menge geschehen. Wir haben also dafür gesorgt, dass in den Institutionen weniger Fehler gemacht werden und dass die Fehlertragfähigkeit höher wird. Außerdem sind wir zu der Einsicht gelangt, dass das alles noch vernünftig beaufsichtigt werden muss. Denn was 2008 passiert ist, war auch eine Folge von Aufsichtsversagen. Warum hat die Aufsicht nicht gesehen, was bei der HRE passiert? Die Erkenntnis, die wir daraus gewonnen haben, ist: Wir müssen Aufsicht erst einmal überhaupt ermöglichen, indem wir für Transparenz in den Märkten sorgen. All das haben wir gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Schick, Sie haben behauptet, es sei nichts geschehen. Jetzt hören Sie einmal gut zu: Wir haben uns auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass die OTC-Derivaterichtlinie auf den Weg gebracht wird und im nächsten Jahr umgesetzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD) Wir haben mit unserem Gesetz zu Leerverkäufen Transparenz geschaffen. Vor diesem Gesetz wusste doch niemand, was auf den Märkten passiert. Das ist von uns geändert worden. (Lachen bei der SPD) Aufsicht braucht Struktur. Wir haben aus der Tatsache gelernt, dass sich deutsche Finanzinstitute der Aufsicht dadurch entzogen haben, dass sie nach Irland gegangen sind. Wir haben daher ein europäisches Aufsichtssystem auf den Weg gebracht und haben die Defizite, die es bei der Abstimmung der europäischen Aufsichtsbehörden gab, beseitigt. Wir haben jüngst im letzten Gesetz die Strukturen in Deutschland diesem Aufsichtssystem angepasst. Das ist gut und richtig. Wir haben noch etwas gemacht. Wir haben nämlich dafür gesorgt, dass Bereiche, die bisher nicht beaufsichtigt wurden, nun beaufsichtigt werden. Wir haben die AIFM-Richtlinie auf den Weg gebracht, und wir haben jüngst das Finanzanlagevermittlergesetz verabschiedet, mit dem wir dafür sorgen, dass Produkte und Vertriebswege, die bisher nicht beaufsichtigt wurden, nun beaufsichtigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich fasse zusammen: Wir haben dafür gesorgt, dass die Institute besser handeln. Wir haben dafür gesorgt, dass die Fehlertragfähigkeit höher ist. Wir haben dafür gesorgt, dass die Aufsicht besser geworden ist. Nichtsdestotrotz wird es weiterhin passieren, dass Finanzinstitute vom Markt verschwinden – und zwar unfreiwillig –, weil schwere Managementfehler gemacht worden sind. Das ist gut und richtig so; denn es ist ein essenzieller Bestandteil der Marktwirtschaft, das Marktteilnehmer aufgrund eigener Fehler vom Markt verschwinden können. Das war aber bis dato nicht möglich – zumindest bei größeren Marktteilnehmern nicht –, weil die Schieflage eines mittelgroßen Institutes dafür gesorgt hätte, dass das ganze System kollabiert. Deswegen haben wir im Jahr 2008 die Rettungsfonds einrichten müssen. Was haben wir daraus gelernt? Deutschland hat als eines der ersten Länder dieser Welt ein Banken-Restrukturierungsgesetz erlassen. Dieses Gesetz ist die Blaupause für sehr viele Restrukturierungsgesetze auf der ganzen Welt. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieses Banken-Restrukturierungsgesetz wird das Vorbild für einen europäischen Bankenrestrukturierungsmechanismus werden. Wir hatten die Ideen und haben sie auch umgesetzt. (Peer Steinbrück [SPD]: Sie haben nicht die Ideen gehabt! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das sind Plagiate à la Guttenberg!) Wir hatten nicht nur die Idee, dass Banken vom Markt verschwinden oder in die Insolvenz gehen können, ohne dass das ganze System kollabiert, sondern wir haben auch entsprechend gehandelt. Das ist ein Meilenstein, den wir in der deutschen Rechtsgeschichte gesetzt haben und der nicht hoch genug zu bewerten ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen unsere Anstrengungen natürlich noch ergänzen. Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben, auch an den Kosten der Krise beteiligt werden. (Lachen bei der SPD) Dafür haben wir die Bankenabgabe eingeführt; die wurde von Ihnen bekämpft. Wir werden auf europäischer Ebene weiter für die Finanztransaktionsteuer kämpfen. Es ist schlichtweg falsch, dass sich diese Bundesregierung nicht dafür einsetzt. Keine Bundesregierung hat im Bereich Finanztransaktionsteuer so große Anstrengungen unternommen wie die Regierung unter Bundesfinanzminister Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das lassen wir uns von Ihnen in keiner Art und Weise plattreden. Man muss allerdings bedenken, dass die bisher in Angriff genommenen Operationen nicht ausreichen. Es gibt noch offene Baustellen; das will ich nicht beschönigen. Eine offene Baustelle ist die Too-big-to-fail-Problematik. Im Übrigen sind auf dem G-20-Gipfel in Cannes die ersten Maßnahmen, um die Too-big-to-fail-Problematik in Angriff zu nehmen, nicht nur diskutiert, sondern konkret für die Umsetzung vorbereitet worden. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Haben Sie schon mit Ackermann gesprochen?) Globale, systemimmanente Finanzinstitute müssen mehr Eigenkapital haben. Entsprechende Regelungen sind bereits auf den Weg gebracht worden. Herr Schick, insofern waren Ihre Einlassungen, dass die Bundesregierung zu wenig getan habe, falsch. Sie war sogar der Treiber in diesem Prozess. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) – Regen Sie sich ruhig auf, Herr Schick. Kommen wir jetzt zu der Verhandlungsführung der Bundesregierung auf internationaler Ebene. Ja, die Bundesregierung verhandelt. Die meisten Verhandlungen, die die Bundesregierung führt, dienen dazu, unsere Sparkassen und Volksbanken im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu halten. Auch das sollten Sie einmal anerkennen, anstatt eine globale Beschmutzung all dessen vorzunehmen, was von dieser Bundesregierung geleistet worden ist. Ihr Verhalten ist schlichtweg falsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da wir beim internationalen Kontext sind: Wir müssen auch darüber reden, dass es einen Bereich gibt, der noch nicht reguliert ist. Das sind die Schattenbanken. Genau dieses Thema wird von der CDU/CSU und den Liberalen immer wieder angesprochen. Auf dem G-20-Gipfel in Cannes ist es von der Bundesregierung vorangetrieben worden. Das Financial Stability Board, das im Übrigen gestärkt worden ist, wird in fünf Arbeitsgruppen internationale Lösungen zu diesem Problem erarbeiten. Sie haben immer gesagt, Deutschland müsse vorangehen. Wir sind in Deutschland vorangegangen mit dem Verbot von Leerverkäufen, mit dem Banken-Restrukturierungsgesetz und vielen anderen Maßnahmen; dabei haben wir Maßstäbe gesetzt. Das alles nutzt aber nichts, wenn es uns nicht gelingt, die Regulierungen auf internationaler Ebene annähernd anzugleichen; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) denn alle Geschäfte, die wir in Deutschland verbieten, werden sonst im Ausland abgewickelt. Sie werden dann – das geht ganz schnell – beispielsweise in der Schweiz, an irgendwelchen Offshoreplätzen oder vielleicht auch in den USA getätigt. Die große Herausforderung besteht darin, einen möglichst breiten internationalen Konsens für entsprechende Maßnahmen herzustellen. Daran arbeitet die Bundesregierung. Meine Damen und Herren, wir führen sämtliche Operationen im laufenden Betrieb durch. Alle Anpassungen, die von den Banken und Versicherungen vorgenommen werden müssen, werden im laufenden Geschäft erbracht. Wir wollen, dass die Finanzinstitutionen die Realwirtschaft weiterhin mit Geld versorgen und dass es möglich ist, Geld anzulegen. Wir arbeiten praktisch wie in der Formel 1: Wir nehmen einen Reifenwechsel bei laufendem Rennen vor. Das ist eine große Herausforderung. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Aber die Zockerbuden laufen weiter!) Ich wünsche mir, dass wir in diesem schwierigen Prozess mehr Unterstützung von der Finanzbranche erhalten. Das sage ich hier im Deutschen Bundestag schon seit zwei Jahren. Die Branche hilft uns bei dieser ganzen Geschichte nicht. Egal, was wir machen: Es findet sich immer irgendjemand, der sagt: Das ist aber jetzt nicht richtig für uns. – Meistens wird uns gesagt: Wenn ihr jetzt das und das macht, dann wird die Welt bzw. die Kreditversorgung oder Ähnliches zusammenbrechen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das glauben Sie dann immer!) – Herr Troost, das glauben wir nicht, und das glauben wir auch der Branche nicht. – Wir müssen das an dieser Stelle einmal sehr kritisch bemerken, denn das geht so nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt haben Sie uns gesagt, dass wir ein schönes Bild zeichnen. Nein, wir zeichnen kein schönes Bild; wir zeichnen ein Bild vieler kleiner Maßnahmen und Anstrengungen. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Mühe allein reicht nicht!) Denn wir haben eines erkannt – das ist die Lehre aus dieser Krise –: Die eine große Maßnahme gibt es nicht. Deswegen sind die verzweifelten Versuche der SPD nach dem Motto „Mit einer Finanztransaktionsteuer und einem Trennbankensystem wird alles gut“ (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das sagt doch keiner!) im Prinzip nicht richtig; (Peer Steinbrück [SPD]: Sie bauen doch einen Popanz auf! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Gucken Sie Ihre 16 Punkte an!) das wird uns nicht weiterführen. Regulierung ist eine Aufgabe, die harte Tagesarbeit bedeutet. Sie ist ein unangenehmes Geschäft, erfordert sehr viel Detailarbeit und beinhaltet mühsame internationale Verhandlungsprozesse. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Wir übernehmen das gerne! – Zurufe von der SPD: Oh!) Jetzt komme ich zum Anfang zurück. Herr Steinbrück, wir würden uns freuen, wenn Sie sich in diese Arbeit einbrächten, anstatt hier krampfhaft zu versuchen, staatstragende Reden zu halten, die dann missglücken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Was?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Effektive Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/7250, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/6313 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Koalition angenommen. Unter dem Zusatzpunkt 8 geht es um die Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/7638 mit dem Titel „Ratingagenturen besser regulieren“. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist mit Mehrheit der Koalition angenommen. Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7641 mit dem Titel „Neuer Anlauf zur Finanzmarktregulierung erforderlich“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt. Zusatzpunkt 10. Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einsetzung einer Kommission des Deutschen Bundestages zur Regulierung der Großbanken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/7665, diesen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 29 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verlustverrechnung einschränken – Steuereinnahmen sicherstellen – Drucksache 17/5525 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Auswege aus der Krise: Steuerpolitische Gerechtigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen – Drucksachen 17/2944, 17/7555 – Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Dr. Barbara Höll Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache wiederum 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Barbara Höll für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Das spüren die Menschen in unserem Land. Viele beziehen Niedriglöhne. Rund 1,4 Millionen Menschen müssen trotz Arbeit zum Amt, um aufzustocken. Viele sind in Leiharbeit. Die Einkommensverteilung geht immer weiter auseinander, infolgedessen auch die Vermögensverteilung. Die vermögendsten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen mittlerweile über 66 Prozent des Gesamtvermögens, also gehören fast zwei Drittel des Vermögens 10 Prozent der Bevölkerung. Die Zahl der Einkommensmillionäre steigt stetig an. 2001 waren es 12 504 Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, 2007 schon 16 681. Seit 2002 wurde in unserem Land von Ihnen gemeinsam die Niedriglohnpolitik forciert. Infolgedessen schrumpfte die Mittelschicht. Die Reallöhne fast aller Einkommensbezieherinnen und -bezieher sind kontinuierlich gesunken – nochmals massiv in den letzten fünf Jahren. Das Bruttoeinkommen eines mittleren Angestellten zum Beispiel ist allein in den letzten fünf Jahren inflationsbereinigt um 7 Prozent – um 7 Prozent! – gesunken. Bei Höchstverdienern sieht das allerdings anders aus; denn sie hatten in den letzten fünf Jahren reale Lohnzuwächse. Das sind die nackten Tatsachen, vor denen Sie die Augen nicht verschließen dürfen. (Beifall bei der LINKEN) Dieses Auseinanderdriften, zunehmende Armut und zunehmender Reichtum – zwei Seiten einer Medaille –, muss endlich gestoppt werden. (Beifall bei der LINKEN) Hören Sie hierzu endlich auf die Stimmen aus der Wissenschaft wie von Herrn Professor Gert Wagner, Chef des DIW, der eine Vermögensteuer sowie eine höhere Erbschaftsteuer fordert! Hören Sie auf Stimmen Vermögender wie Marius Müller-Westernhagen, der eine Millionärsbesteuerung gefordert hat! Hören Sie auf Ihre eigenen Politiker! Norbert Barthle, Ihr haushaltspolitischer Sprecher, erwähnte das letztens. Der niedersächsische Justizminister, Bernd Busemann von der CDU, forderte einen Spitzensatz von 50 Prozent. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Er hat ihn aber gleich zurückgenommen!) Meine Damen und Herren, dieses Auseinanderdriften von Arm und Reich spaltet die Gesellschaft in allen europäischen Ländern. Das können wir auch am Beispiel Griechenland sehen. Die Luft brennt. Ich frage mich wirklich, wie lange Sie noch zusehen wollen. Hierbei muss Deutschland vorangehen und endlich eine Vorreiterrolle einnehmen. (Beifall bei der LINKEN) Wir kennen seit Jahren genügend wirksame Maßnahmen. Aber Sie wollen sie nicht hören. Sie wollen sie nicht umsetzen. Ich nenne Ihnen deshalb noch einmal die vier wichtigsten: Reformieren Sie die Erbschaftsteuer, sodass eine Erhöhung herauskommt. Erheben Sie die Vermögensteuer wieder. Wir brauchen eine Reform der Einkommensteuer, die tatsächlich zu einer Entlastung unterer und mittlerer Einkommen führt. Und wir brauchen eine Umwandlung der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer. Sie sagen immer, Sie wollten keine Neuverschuldung; es gehe doch nicht, untere und mittlere Einkommen zu entlasten, da wir kein Geld hätten. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das kommt doch jetzt!) Aber jeder weiß: Die Millionäre fassen Sie mit Samthandschuhen an. Aber wenn ein Facharbeiter etwas mehr verdient, schlägt bei ihm die kalte Progression zu, sodass er sich wundert, warum manchmal weniger als das im Lohnbeutel ist, was er vorher hatte. Wenn wir aber über Steuern reden – das tun wir, und wir haben Ihnen mit unserem Antrag Vorschläge unterbreitet –, sollten wir über alle Steuern reden, nicht nur über die direkten Steuern, sondern auch über die indirekten Steuern. Ursprünglich sollte die Verteilung des Aufkommens aus direkten und indirekten Steuern etwa hälftig sein. Das ist ausgehebelt worden. Wir haben eine massive Verschiebung hin zu den indirekten Steuern. Die indirekten Steuern zahlen nun einmal alle in der Bevölkerung, vom Säugling bis zum Rentner, zum Beispiel auf Windeln und auf Kleidungsstücke. Auch Schulessen unterliegt der Mehrwertsteuer. Überall werden diese indirekten Steuern gezahlt. Dadurch haben wir von vielen Menschen, auch solchen mit einem geringen Einkommen, ein hohes Steueraufkommen. Bei der Einkommensteuer ist wohl wahr, dass 53 Prozent des Aufkommens im Jahr 2007 die obersten 10 Prozent der Einkommensbezieherinnen und -bezieher gezahlt haben. Aber sie haben natürlich auch den höchsten Anteil an den Einkommen. 40 Prozent der Leute, die arbeiten, verdienen so wenig, dass sie gar keine Steuern zahlen können. Darin liegt das Problem. (Beifall bei der LINKEN) Das Problem liegt in Ihrer Niedriglohnpolitik und in den viel zu geringen Löhnen. Hier müssen wir endlich umsteuern. Wir haben positiv zur Kenntnis genommen, dass Sie mit dem Mindestlohn endlich das Thema der Linken aufgegriffen haben. Frau Merkel eiert zwar schon wieder ein bisschen herum, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie eiert nicht!) aber Sie wollen sich da bewegen. Bei der Flugticketabgabe haben Sie etwas gemacht. Aber jetzt kommen Sie wieder mit Vorschlägen, die an der Ursache, am Wesentlichen vorbeigehen, da diese sich nur auf die Frage der kalten Progression und die dementsprechenden Regelungen beschränken. Sie sagen: Eigentlich können wir das nicht finanzieren. Dabei muss man sagen: Kommunen und Länder haben recht, sie haben kein Geld, sie können das nicht finanzieren. Der Bund ist hier gefragt; denn der Bund ist verantwortlich für die katastrophale Situation in den Kommunen und auch bei den Menschen; denn die Niedriglohnpolitik ist von Ihnen politisch gewollt worden. Deshalb sind Sie dafür verantwortlich. Hier muss also auch der Bund einstehen. Wir brauchen kein Herumdoktern und keine halbherzigen Bekenntnisse; wir brauchen ein tatsächliches Herangehen an die Probleme. (Beifall bei der LINKEN) Dazu legen wir Ihnen unseren Vorschlag vor. Lösen Sie endlich das Problem des Tarifs in der Einkommensteuer! Natürlich brauchen wir eine Anhebung des Grundfreibetrages. Wir schlagen 9 300 Euro vor. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen endlich einen durchgehend linear-progressiven Tarif, (Beifall bei der LINKEN) dann hätten wir eine wirkliche Entlastung im unteren und mittleren Einkommensbereich. Ich habe es Ihnen bereits vorgerechnet und kann das gern noch einmal tun, damit das endlich einmal bei Ihnen ankommt. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, aber das ist nicht nötig!) Nach unserem Vorschlag kommt es erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 70 000 Euro zu einer monatlichen Steuermehrbelastung von 7 Euro. Bis zu diesem Betrag gäbe es eine massive Entlastung. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 26 000 Euro beispielsweise müssten nach unserem Tarif 1 086 Euro weniger Einkommensteuer gezahlt werden. Das ist eine wirkliche Entlastung. (Beifall bei der LINKEN) Sie machen viel weniger. Was die reale Steuerersparnis angeht, ist es so, dass es durch Ihren Tarif bei den oberen Einkommensgruppen zu einer wesentlich höheren absoluten Entlastung kommen würde als im unteren und mittleren Einkommensbereich. Dazu bieten wir Lösungsvorschläge. Das braucht Kraft, und das braucht Mut. Das braucht nicht nur Lippenbekenntnisse zu sozialer Gerechtigkeit, sondern es braucht auch Taten, um das Vorhaben tatsächlich umzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte etwas zur Vermögensbesteuerung sagen. Deutschland ist im europaweiten Vergleich am unteren Ende, was den Anteil der Steuern auf Vermögen am Bruttoinlandsprodukt betrifft. Der Anteil der Steuern auf Vermögen, der zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen wird, liegt hier bei unter 1 Prozent. Das ist doch einfach skandalös. Anders kann man das nicht bezeichnen. (Beifall bei der LINKEN) Nehmen wir nur einmal die Zahl der Vermögensmillionäre: 2006 waren es 798 000, 2008 810 000. 2009 waren es bereits 862 000 und 2010, nach der Krise, 924 000. Unser Vorschlag ist, wieder eine Vermögensteuer zu erheben – wir können das, die gesetzlichen Voraussetzungen sind gegeben, wir müssen nur den Erhebungsmodus ändern – und festzulegen, dass 1 Million Euro steuerfrei bleibt. Ich finde, das ist ein großzügiges Angebot. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann man so sagen!) Ob es 1 Prozent oder 2 Prozent werden – wir schlagen Ihnen 5 Prozent vor; darüber können wir gerne verhandeln –: Fangen wir doch erst einmal an! Wenn man ein Vermögen von über 1 Million Euro hat, dann ist es zumutbar, so meinen wir, dass man den ersten Euro, der darüber liegt, mit 5 Prozent besteuert. Bei 1 000 001 Euro sind das 5 Cent im Jahr. Ich finde, das geht. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben Ihnen für heute einen zweiten Antrag vorgelegt. Es geht darum, die Verlustverrechnung einzuschränken. Der Antrag ist vom April. Nun haben Sie sich dieses Problems endlich irgendwie angenommen. Man muss aber dazusagen: Uns drohen Einnahmeausfälle unter anderem durch Steuersparmodelle von Unternehmen, bei denen Verluste und Gewinne verschoben wurden, um Steuern zu sparen. Der Bericht Ihrer Arbeitsgruppe besagt, dass das ein Ergebnis von Steuersparmodellen ist. Wenn es zu Einnahmeausfällen in Höhe von 150 Milliarden Euro kommt, dann stellt das wieder eine Bedrohung der Finanzierung des Gemeinwesens dar. Deshalb fordern wir Sie auf: Handeln Sie endlich! Wir haben Ihnen Zeit gelassen, – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, ich Ihnen auch. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): – und zwar mehr als genug. Legen Sie endlich auch uns und nicht nur der Zeitung den Bericht vor, den Ihre Arbeitsgruppe erstellt hat! Lassen Sie uns schnell zu einer Regelung kommen! Wir fordern Sie auf: Machen Sie das! Ich glaube, das tut mehr als not. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Mathias Middelberg ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt stell das einmal klar hier!) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Lieber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will mich auf vier Punkte beschränken. Ich starte mit dem Thema Verlustverrechnung, das Sie, Frau Höll, angesprochen haben. Der Bericht liegt vor und wird jetzt sorgfältig ausgewertet. Das, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, ist überhaupt nicht verwertbar. Das ist überhaupt nicht brauchbar. Das würde den Unternehmensstandort Deutschland schlichtweg ruinieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP] – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das sind olle Kamellen!) Wir wären dann überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähig in Europa. Diese einäugige, linke Logik, die Sie an den Tag legen – einfach die Bemessungsgrundlagen verändern und die Steuersätze anheben; dann hat man mehr Steuereinnahmen –, ist völlig blödsinnig. Ich sage das einmal so: Wenn ich Schafe locken will, brauche ich eine grüne Wiese. Ich muss meine Kühe vernünftig pflegen, wenn ich sie melken will. Wenn ich mit gewetzten Messern zum Abledern auf der Wiese stehe – so wäre das bei Ihren Steuervorschlägen –, dann geht kein vernünftiges Nutztier auf die Wiese. (Beifall des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 1 Million Freibetrag ist viel!) Wir möchten, dass sich Unternehmen gerne in Deutschland engagieren, dass sie hier gerne wirtschaften. Sie sollen sagen: Deutschland ist ein vernünftiger Standort, an dem ich erstklassige Arbeitnehmer habe, an dem ich eine gute Infrastruktur vorfinde, und auch in steuerlicher Hinsicht ist Deutschland im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir liegen im Mittelfeld!) Das ist doch das Entscheidende: Wir müssen im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig sein, auch was die Steuerpolitik angeht. Deswegen begrüße ich es außerordentlich, dass die Bundesregierung mit der französischen Regierung intensiv an Projekten arbeitet, um das Steuerrecht in Europa weiter anzugleichen – ich nenne zum Beispiel die gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer –, um dadurch Wettbewerbsnachteile einzuebnen. Deutschland muss als Unternehmensstandort und hinsichtlich der Investitionen wettbewerbsfähig sein. In diesem Zusammenhang gilt die Weisheit des Kollegen Steinbrück – er hat unsere Runde leider schon verlassen –, der einmal gesagt hat: Lieber 30 Prozent von x als 40 Prozent von nix. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Man muss aufpassen, dass man das Rad nicht überdreht. Ich kann nicht, wie Sie es tun, fordern, dass der Verlustabzug nach drei Jahren auf null gesetzt wird, dass er nach drei Jahren nicht mehr möglich sein soll. Das ist doch völlig blödsinnig. Wenn Sie in einem Unternehmen heute ein Produkt entwickeln, dann haben Sie erst einmal Entwicklungskosten. Sie haben Forschungskosten. Sie bauen einen Prototyp. Dann bauen Sie die ersten Produkte. Irgendwann gehen Sie an den Markt. Dann müssen Sie die Produkte verkaufen. Und nach Jahren kommen Sie in eine Phase, in der Sie Geld verdienen und Gewinne machen. Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, dass die Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungskosten in Zukunft nicht mehr verrechnen können. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Quatsch!) Die Verluste, die sie im Vorfeld gemacht haben, sollen sie mit den Gewinnen, die sie mit dem Verkauf des Produktes später erzielen, nicht mehr verrechnen können. Ein solcher Vorschlag ist doch kompletter Blödsinn. Darüber kann man nicht einmal vernünftig nachdenken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP] – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: „Fünf Jahre“ steht bei uns!) In Ihrem Antrag haben Sie schön formuliert, es müsste etwas getan werden, um die desaströse Situation der kommunalen Haushalte aufzuarbeiten. In den letzten Wochen ist Ihnen wirklich etwas entgangen: Denn es ist diese Bundesregierung, die die größte Entlastung der Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Richtig! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Haben wir schon diskutiert!) – Es ist schön, dass Sie feststellen, dass Sie das schon einmal gehört haben. Es ist trotzdem sinnvoll, das zu wiederholen; denn das ist richtig. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Middelberg, darf Frau Kollegin Höll Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Danke, Herr Kollege, für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass die Situation der Kommunen wirklich desaströs ist. Wenn ich Ihnen ein Beispiel nennen darf: Meine Heimatstadt Leipzig hatte im vergangenen Jahr ein Gewerbesteueraufkommen, wie jede Stadt. Allerdings ist das gesamte Gewerbesteueraufkommen für die Kosten der Unterkunft draufgegangen. Sie sprachen von einer großen Entlastung, weil der Bund in Zukunft die Kosten der Grundsicherung im Alter übernehmen wird. Wir wissen aber noch nicht, ob der Bund bereit ist, diese Kosten zeitnah zu übernehmen. Diese Ausgaben werden in Zukunft permanent steigen. Nach Ihrem bisherigen Vorschlag sollen die Kosten der Unterkunft zwei Jahre rückwärts abgerechnet werden. Das heißt, dass die Kommunen nach wie vor in Vorleistung gehen müssen. Man muss in Rechnung stellen, dass eine hohe Anzahl von Menschen von Hartz IV leben müssen, für die die Kosten der Unterkunft getragen werden. Dass dafür das gesamte Gewerbesteueraufkommen der Stadt aufgewendet werden muss, ist das Ergebnis Ihrer Politik, Ihrer Niedriglohnpolitik, Ihrer Lohnsenkungspolitik und Ihrer verfehlten Steuerpolitik. Daher liegt es tatsächlich in der Verantwortung des Bundes, etwas zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Man muss auch in Rechnung stellen, dass die Konjunktur nicht mehr wunderbar am Laufen ist (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) und wir nicht einmal wissen, wie das Gewerbesteueraufkommen im nächsten und übernächsten Jahr sein wird. Man muss ebenfalls berücksichtigen, dass die Menschen, die schon heute in Hartz IV und Langzeitarbeitslose sind, in der Zukunft im Alter natürlich überproportional viel Hilfe brauchen. Dies möchten Sie sozusagen gegenfinanzieren, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Mathias, du kannst dich hinsetzen! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie hat doch gerade schon geredet!) indem Sie der Bundesagentur für Arbeit die Gelder streichen. Dazu muss ich sagen, dass auch das meine Stadt überproportional treffen wird; denn die Mittel, um Langzeitarbeitslose aus Hartz IV herauszuholen und in Arbeit zu bringen, fehlen dann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Jetzt ist aber gut. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Ich glaube, das ist eine desaströse Situation. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Vielleicht sollten Sie einmal nachfragen, wie viele Kommunen bereits heute nicht mehr selbst über ihr Geld entscheiden können, weil sie der Kommunalaufsicht unterstehen. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Thema verfehlt!) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Höll, ich werte Ihren Beitrag als Frage (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dazu braucht man viel Phantasie!) und antworte darauf wie folgt: (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Aber zehn Minuten!) Ich glaube, die Situation der Kommunen in Deutschland ist durchaus unterschiedlich. Es gibt auch Kommunen, die in der Lage sind, ausgewogen zu haushalten, beispielsweise Braunschweig in Niedersachsen, weil sie entsprechende Sanierungsmaßnahmen in ihrem kommunalen Bereich vorgenommen haben. Die Situation ist also durchaus unterschiedlich. Es gibt auch Kommunen, die sich um wirtschaftliche Ansiedlung bemüht haben und denen es deshalb sehr gut geht, weil sie in ihrem kommunalen Bereich ein hohes Maß an Wertschöpfung haben. Das macht strukturelle Unterschiede aus und kennzeichnet vielleicht auch Unterschiede in der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern. (Ulrich Kelber [SPD]: Na, na, na!) Das kann ich im Einzelnen nicht beurteilen und möchte darauf auch nicht eingehen. Ich will nur ganz generell feststellen: Sie sehen doch im Moment am deutlich steigenden Gewerbesteueraufkommen, dass sich unsere Politik – Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Entlastung der mittleren Unternehmen, mehr Kindergeld, höherer Kinderfreibetrag und anderes – in besseren Konjunkturzahlen, in Wachstumszahlen – 3,8 Prozent im letzten Jahr, knappe 3 Prozent in diesem Jahr – niederschlägt; dies ist auch gut für die kommunalen Kassen. Ich finde es mutig, dass der Bund gerade die Grundsicherung im Alter – ich habe es eben erwähnt – übernimmt. Denn die Ausgaben in diesem Bereich werden in Zukunft am stärksten wachsen. Ich glaube, das ist eine gewaltige Entlastung der Kommunen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich würde gern fortfahren und möchte etwas zum Thema Steuerpolitik generell und zu Ihrem Antrag sagen. Ihrem Beitrag konnte man in Teilen, zumindest bei der Analyse, folgen. Sie haben von ungerechter Steuerpolitik in Deutschland gesprochen. Wenn Sie das wirklich ernst meinen, dann müssten Sie eigentlich mit Begeisterung unserem Vorhaben zustimmen, den Grundfreibetrag in zwei Schritten anzuheben und die kalte Progression in Deutschland abzubauen. Ihr Beitrag ist doch ein Plädoyer für unseren Vorschlag. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wenn Sie das gegenfinanzieren, ist das kein Problem!) – Absolut. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch selbst einmal ein Konzept vor!) Ich möchte Ihnen die geplanten Entlastungen darlegen. Sie sind durchaus ausgewogen. Nach der Grundtabelle wird jemand mit 9 000 Euro zu versteuerndem Einkommen, der vorher im Jahr 148 Euro Steuern zahlte, nur noch 94 Euro Steuern zahlen. Es spart 54 Euro. Das hört sich nicht nach wahnsinnig viel an, (Bernd Scheelen [SPD]: Das ist auch nicht viel!) bedeutet aber eine Entlastung um 37 Prozent. (Bernd Scheelen [SPD]: Wahnsinn!) Der Spitzensteuerzahler in Deutschland jenseits der 250 000 Euro wird demgegenüber nur um 0,38 Prozent entlastet. Das ist also ein Hundertstel davon. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, Sie haben noch kein Konzept!) Das heißt, wir entlasten im unteren Bereich um das 100Fache dessen, um das wir im oberen Bereich entlasten. Das ist eindeutig eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen; das möchte ich hier klar und deutlich feststellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist eindeutig ein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland. Da es in der Debatte immer wieder um die kalte Progression geht, muss ich Ihnen sagen: Das haben wir Ihnen schon mehrfach erklärt. (Nicolette Kressl [SPD]: Aber immer falsch!) – Nein. Das habe ich Ihnen beim letzten Mal richtig schön und zutreffend erklärt. Sie hören nur nicht sorgfältig zu. – Ich habe das Beispiel des Facharbeiters genannt, der eine Lohnsteigerung bekommt. Er verdient dann zwar nominal gut 800 Euro mehr, rückt aber durch die Lohnsteigerung in der Steuerprogression weiter nach oben, wird also höher besteuert. Gleichzeitig verliert er durch die Inflation an Kaufkraft. Er zahlt auch noch höhere Sozialabgaben. Das heißt: Er hat zwar nominal gut 800 Euro mehr, an Kaufkraft aber tatsächlich ungefähr 130 Euro weniger in der Tasche. Diese Kaufkraft wollen wir den Menschen jetzt zurückgeben. Wir wollen, dass das Geld, das die Arbeitnehmer in Deutschland zusätzlich verdienen, die Lohnsteigerungen, die sie erhalten, in den Taschen der Arbeitnehmer und nicht in der Steuerkasse des Staates ankommt. Das ist unsere Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hat doch mit der kalten Progression gar nichts zu tun!) Ich glaube, dass wir in Deutschland steuerpolitisch sehr vernünftig handeln und auf dem richtigen Weg sind. Das zeigen auch die Daten, die wir vorweisen können. Ich habe eben die Wachstumsdaten genannt und auf das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hingewiesen, das Sie ja immer ein bisschen heruntergemacht haben. Es führte allerdings zu einer Riesenentlastung, gerade für die Familien in Deutschland. (Nicolette Kressl [SPD]: Für die Hotels auch!) Die Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes war der mit Abstand größte Posten in diesem Gesetz. (Nicolette Kressl [SPD]: Und die Hotels?) – Die Geschichte mit den Hotels hake ich an dieser Stelle ab; (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Nicolette Kressl [SPD]: Aha! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!) das fand auch ich nicht so toll. Aber der größte Posten dieses Gesetzes waren, wie gesagt, Entlastungen für Familien. Die nächstgrößeren Posten waren Entlastungen für die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Das hat die Wirtschaft in diesem Land noch weiter beflügelt und mit dazu beigetragen, dass wir hervorragende Wachstumszahlen haben. Wir haben in Deutschland die geringste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und endlich auch einen spürbaren Rückgang bei den Langzeitarbeitslosen. Die Bundesagentur für Arbeit hat festgestellt, dass wir bei den Langzeitarbeitslosen seit Einführung von Hartz IV – hören Sie genau zu! – noch nie einen so starken Rückgang hatten wie jetzt unter dieser Regierung. Ich glaube, es wird in dieser Regierung ein bisschen viel gestritten. Aber was die Arbeitsergebnisse angeht – eben haben wir auch über die guten Resultate im Bereich des Finanzmarktes gesprochen –, ist diese Regierung hervorragend aufgestellt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das blöde Volk merkt das immer nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lothar Binding ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Manchmal erschreckt das einfache Weltbild, das aus einem Antrag spricht. Barbara Höll hat eben gesagt: Viele Leute zahlen keine Steuern, und darin liegt das Problem. – Darin liegt sicher auch ein Problem. Nur: Es zahlen viele Reiche keine Steuern, weil sie ihr Einkommen „weggestalten“, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch eine Unterstellung!) und es zahlen viele Arme keine Steuern, weil die Löhne zu gering sind. Das stimmt. Die Antwort, die Sie darauf geben, lautet: Steuern anheben. Eine so einfache Antwort gibt es in diesem komplexen Zusammenhang nicht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat sie vorgerechnet!) Aber leider kommt es in dieser Debatte ganz häufig zu diesem Reflex. Heute Morgen hat Peer Steinbrück vom Trennbankensystem gesprochen. Da gab es große Unruhe bei FDP und CDU/CSU, als ob dieser Vorschlag die Lösung aller Probleme dieser Welt gewesen sein sollte. Nein! (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das hat Gabriel aber so vorgetragen! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Lesen Sie mal nach, was Gabriel gesagt hat!) Als er dann das Wort „Baustein“ benutzt hat, wurde das etwas deutlicher. Wir müssen uns, glaube ich, damit vertraut machen, dass es eine Lösung für alle Probleme dieser Welt nicht gibt. Wir müssen ein bisschen differenzierter vorgehen und genauer hinhören. Ihr Antrag hat schließlich eine mächtige Überschrift, in der von „Krise“ die Rede ist. Aber: Wir haben – mindestens – eine Insolvenzkrise in den USA, mit großen Folgen für Europa. Wir haben eine Liquiditätskrise der Banken in Europa. Wir haben ein Marktversagen auf der ganzen Welt; denn der Markt ist voller toxischer Produkte. Wir haben eine Staatsverschuldungskrise. Und welchen Vorschlag macht die Linke? Ihr Vorschlag – „ Auswege aus der Krise“! – lautet: Steueranhebung. Als ob die Welt so einfach wäre! (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das wollen Sie von der SPD doch auch!) Ich glaube, man sollte einmal deutlich machen, was in dem Antrag – jeder kann ihn lesen – fehlt. Weil am Ende einer Rede meistens die Zeit dafür fehlt, will ich damit beginnen. In Ihrem Antrag findet man überhaupt keine konstruktiven Vorschläge, wie steuernd eingegriffen werden kann. Gute Instrumente, die schon funktioniert haben – als Erinnerung seien nur die Konjunkturpakete und das Kurzarbeitergeld genannt –, werden gar nicht erwähnt. Was ist eigentlich eine „marktnahe Ermittlung der Unternehmens- und Vermögenswerte“? Was soll eigentlich passieren, wenn Unternehmen Töchter im Ausland haben, zum Beispiel in der EU, in Afrika oder Asien? Wie wollen Sie bei immateriellen Wirtschaftsgütern diese Werte überhaupt ermitteln? Sie haben einen Antrag vorgelegt. Die Frage ist: Wie sollen die darin enthaltenen Vorschläge auf dem internationalen Markt wirken? Das lassen Sie völlig offen. Das ist ein Gesetzesvorschlag voller offener Fragen und Lücken. Ich glaube, das ist bei Ihrem Vorschlagsstrauß ganz offensichtlich. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber dem Vorliegenden stimmst du zu!) – Ich sage auch noch etwas zu dem Vorliegenden. Es wird nichts zur Verteilung der Steuereinnahmen gesagt. Auch das ist sehr wichtig. Es wird auch nichts zur Haushaltskonsolidierung, zur Reduzierung der Nettoneuverschuldung und zur Verschuldung an sich gesagt. Sehr wichtig ist, dass auch über die Sozialabgaben nichts gesagt wird. Das wäre für die Empfänger kleiner Einkommen aber viel maßgeblicher, als über Steuern nachzudenken. Die Steuer wirkt natürlich progressiv. Das stört diejenigen, die nur wenig haben, aber natürlich nur relativ wenig, weil sie auch nur relativ wenig Steuern zahlen. Die Leute, die wenig haben, werden aber regressiv von den Sozialabgaben betroffen. Dadurch werden die Empfänger kleiner Einkommen sehr stark belastet. Darüber wird aber nichts gesagt. Über die regulatorischen Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise – bezogen auf das Eigenkapital und die Liquidität, Schattenbanken, Einlagensicherung, Kreditvergabe – wird ebenfalls nichts gesagt. Sie tun in Ihrem Antrag so, als sei die Welt damit aufzuräumen, dass man die Steuern ein bisschen anhebt, und schon habe man ein schönes System. Durch diesen Antrag wird suggeriert: Mehr Geld in staatliche Hand, und alle Probleme sind gelöst. Das ist ein bekanntes Denkmuster. Es gibt hier noch jemanden, der ein ähnliches Denkmuster an den Tag legt, nur mit einem anderen Vorzeichen. Ich muss jetzt ein bisschen nach rechts gucken. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Kuckuck!) Die FDP nähert sich den Krisenlösungsszenarien nämlich von der anderen Seite, weil die FDP nicht die Idee hat, die Steuern anzuheben; aber vor, während und nach der Krise hatte sie die Idee, die Steuern zu senken. Egal, was ist, Hauptsache die Steuern werden gesenkt, und dann ist alles wieder in Ordnung, wobei die Zahlen immer ein bisschen verwirrend gewesen sind. Sie wollten ja einmal einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent und eine Steuerentlastung der Bürger in Höhe von 35 Milliarden Euro, dann war auch einmal von 25 Milliarden Euro und von 15 Milliarden Euro die Rede, und jetzt sind Sie bei 6 Milliarden Euro. (Dr. Daniel Volk [FDP]: 24 Milliarden Euro zum 1. Januar 2010, Herr Kollege!) Man muss sich überlegen, ob das eine ehrliche Steuerentlastung oder nichts weiter als die übliche Anpassung des Grundfreibetrages infolge der Ableitung aus dem Existenzminimum ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man muss sagen: Das ist ein riesengroßes Blendwerk. Auf das, worauf die FDP sich einlässt, wurde heute Morgen schon hingewiesen: Die Steuersenkung, die Sie tatsächlich zur Unzeit vornehmen, führt immerhin zu einer Zinsbelastung von 180 Millionen Euro pro Jahr. Sowohl die Steuersenkung als auch die Zinsbelastung finanzieren Sie über Kredite im Staatshaushalt. Das ist ein super Konzept zur Steuersenkung! Das ist ein Konzept zur Ruinierung unserer Staatsfinanzen, und sonst gar nichts. (Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Staatsfinanzen werden eher von der SPD ruiniert, wenn ich einmal nach Nordrhein-Westfalen schaue!) – Sie sind ein bisschen geschichtslos und müssen mit Ihrer Argumentation jetzt schon auf ein Bundesland ausweichen, weil Ihnen bezogen auf den Bund die Argumente ausgegangen sind. Das verstehe ich sehr gut. (Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Weil Sie auf Bundesebene keine Regierungsverantwortung haben!) Die Linke erhöht die Steuern immerhin konsequenter, als die FDP die Steuern senkt. Das muss man schon einmal sagen. Die Idee, aus einer Antwort alle Lösungen abzuleiten, ist aber bei beiden gleich. Das ist für mich der systematische Fehler in diesem Antrag. Sie wollen eine Vermögensteuer von 5 Prozent, eine Erbschaftsteuer von bis zu 60 Prozent und die Körperschaftsteuer auf 25 Prozent erhöhen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Gewerbesteuer abschaffen!) Sie wollen die Gewerbesteuer abschaffen und durch eine Gemeindewirtschaftsteuer ersetzen. Es gibt auch Freibeträge. Sagen Sie einmal: Was ist eigentlich eine „selbstständige nachhaltige Betätigung mit Gewinnermittlungsabsicht“? Das ist ein Rechtsbegriff, an dem ich mich gerne orientieren würde. Aber wie funktioniert das eigentlich? Ich habe eine selbstständige nachhaltige Betätigung mit Gewinnermittlungsabsicht, und deshalb fällt eine ganz bestimmte Steuer an. Das ist ein super Modell. Die Frage ist nur, ob ich als Unternehmer überhaupt dazugehöre. Es wäre interessant für das ganze Haus, wenn Sie das rechtsförmlich korrekt in einem Gesetz formulieren würden. Ich glaube, das wird schwierig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie wollen die DBA, die Doppelbesteuerungsabkommen, mit den Ländern kündigen, die sich möglicherweise nicht ganz an das OECD-Musterabkommen halten. Es war ja bisher das Bestreben aller Regierungen, dieses OECD-Musterabkommen und den Informationsaustausch mit den Ländern voranzubringen. Sie sagen, Sie wollen die DBA mit diesen Ländern kündigen und von denjenigen, die hier und dort arbeiten, eine Quellensteuer von 50 Prozent auf Dividenden, Zinsen und Lizenzabgaben erheben, die von Deutschland in diese Gebiete fließen. Sie haben mit diesen Ländern dann keinen Vertrag mehr. Dazu habe ich eine Frage: Wenn ein Unternehmen nur zum Zwecke der Steuerersparnis in einem solchen Land ein Tochterunternehmen gründet: Wie wollen Sie das eigentlich erfassen? Sie müssen sich schon auf irgendein Vertragsverhältnis einlassen. Die DBA sind sehr gut; denn man kann sie verbessern, man kann eine Bemessungsgrundlage ermitteln usw. Ich glaube, hier haben Sie ein bisschen am Ziel vorbeigeschossen. Abgesehen davon haben Sie die Wirkung der meisten Ihrer Maßnahmen nicht betrachtet. Sie gehen von einem statischen Modell aus: Steuersatz mal Bemessungsgrundlage gleich Steuereinnahme. Die Menschen verhalten sich aber, und die Unternehmen gestalten sich und haben das Bestreben, ihre Steuern noch stärker als bis jetzt schon zu senken. Daran erkennt man: Ihr Modell ist ein statisches Modell. Leider bewegt sich aber die Welt. Es wäre wichtig, das einzubeziehen. (Beifall bei der SPD) Es gibt unter dem Gesichtspunkt der Steuervereinfachung einen interessanten Vorschlag zur Mehrwertsteuer. Sie wollen das Desaster mit der Hotelsteuer wieder aufrollen. Das ist gut. Das unterstützen wir sofort, weil die Hotels von der Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen in Höhe von 1 Milliarde Euro zu Unrecht profitieren. Dieses Geld fehlt im Bundeshaushalt überall. Sie wollen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Produkte und Dienstleistungen für Kinder, für apothekenpflichtige Arzneimittel und für „arbeitsintensive Handwerksdienstleistungen“ einführen. Auch da ist die interessante Frage: Wie definiert sich das? Was ist denn eine nicht arbeitsintensive Handwerksdienstleistung? Ich bin Handwerker. Ich würde mich unheimlich ärgern, wenn Sie das, was ich gemacht habe, als nicht arbeitsintensiv einstufen würden. Denn ich strenge mich eigentlich immer an und gestalte meine Arbeit damit schließlich arbeitsintensiv. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Gleiches gilt für den Schienenpersonennahverkehr. Ich will es einmal so sagen: Das, was Sie wollen, ist eine exakte Klientelpolitik für Ihre Seite, abgeschrieben von der anderen Seite und deren Klientelpolitik. (Beifall bei der SPD) Das sind andere Zielgruppen, aber der Grundgedanke ist der gleiche. Der Fehler in der Entwicklung dieser beiden Modelle ist systematisch und logisch gleich. Dass Sie Kerosin besteuern wollen, finde ich eine gute Sache. Sie wollen auch „Boni in der Finanzbranche“ besteuern. Auch da müsste man ein bisschen genauer nachdenken, was das bedeutet und wie sich das weltweit darstellt. Stellen Sie sich einmal vor: Sie haben eine Bank und in 170 Ländern Filialen. Sie sind Bankvorstand und haben die Möglichkeit, ihr Einkommen verteilt über diese 170 Filialen entsprechend zu gestalten. Dieses Einkommen, das an bestimmten Stellen Boni heißt, soll nun belastet werden. Die Boni zu belasten, ist eine gute Idee. Aber so, wie Sie es aufschreiben, weiß überhaupt keiner, was gemeint ist. Das ist charakteristisch für diesen Antrag. Man sagt ganz oft: Das ist super, diese Steuer ist eine gute Idee. Dann schaut man nach und findet nichts dazu, was gemeint ist, wie man das umsetzen soll und welche Wirkungen das hat. Das ist keine Gesetzesgrundlage. Das ist ein Fake, würden meine Kinder sagen. (Beifall bei der SPD) Ihr Modell einer Einkommensteuer einmal nachzurechnen, wäre, offen gestanden, eine schöne Aufgabe für einen Mathematiker. Ich habe das nicht gekonnt. Es wäre toll, wenn Sie uns einmal darstellen, dass die Rechnungen, die Sie vornehmen, tatsächlich der Realität entsprechen; denn Sie kommen mit Ihrer Einkommensteuerreform und der Senkung der Mehrwertsteuer auf ein Einnahmevolumen des Staates von insgesamt 173 Milliarden Euro – in einem statischen Modell. Jetzt ist eine Frage: Wie wird in diesem statischen Modell gerechnet? Ich kann das nicht nachvollziehen, übrigens viele andere auch nicht. Ich habe ein paar Leute gefragt, die so etwas beurteilen können. Die Grünen haben Ihr Modell nachgerechnet und kommen auf Einnahmen in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro. Das ist aber ein Unterschied zu 173 Milliarden Euro. Die Frage, die man noch beantworten muss, ist: Was passiert infolge einer solchen Reform? Wenn diese Reform morgen vom Himmel fällt: Was machen dann die Menschen? Die Antwort darauf wage ich nicht zu geben; denn das wäre ein Hinweis darauf, was man machen müsste. Insofern ist dieser gesamte Antrag nicht dazu angetan, um die Reichen zur Kasse zu bitten und die Armen zu unterstützen. Er ist nicht dazu angetan, den Staat zu stärken. Er ist nicht dazu angetan, bei denen, die keine Verantwortung übernehmen, die Verantwortung einzuklagen. Angesichts all dieser Mängel ist hoffentlich deutlich geworden, warum jedenfalls wir diesem Vorschlag nicht zustimmen. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Lothar Binding, da hast du recht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Hohen Haus haben wir in der Steuerpolitik sehr unterschiedliche Auffassungen. Diese kommen in dieser Initiative der Linken wieder zum Ausdruck. Die Debatte macht deutlich: Wir haben unterschiedliche Standpunkte grundlegender Art. Die Linken – dazu gehören auch die Sozialdemokraten – sind der Auffassung: Das Effizienteste, was es gibt, ist, wenn der Staat das Geld der Bürger in die Hand nimmt und dann im Parlament entschieden wird, wie investiert wird und was mit diesem Geld geschieht. Die Koalition ist der Auffassung, dass es besser ist, dass das Geld privat investiert wird, weil man durch die Eigenverantwortung der privaten Investoren einen Mehrwert für die Gesellschaft erreicht. Das ist unsere Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft. Das Steuersystem muss den Staat ausreichend finanzieren, aber auch genügend Raum für privates Engagement und für private Initiativen und Investitionen belassen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das sind die krassen Unterschiede zwischen den Linken und den Liberalen, Herr Binding. Die Linken sagen: Eigentlich sollte man das mit den Privaten ganz lassen. Der Staat kann das am besten. Deswegen sollte er gleich möglichst alles bekommen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!) Das sind ja Ihre Vorschläge, Frau Kollegin Höll: bis zu 60 Prozent Erbschaftsteuer und 5 Prozent Vermögensteuer. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Jedes Jahr!) Was Sie so niedlich als 5-Cent-Besteuerung bezeichnen, ist nur ein Ablenken von dem eigentlichen Problem. 5 Prozent Vermögensteuer ist keine realistische Annahme. So etwas ist mit der Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren. Das ist für Sie aber kein Problem, weil Sie sie gar nicht wollen. Sie wollen im Kern ein Steuersystem, das unser Wirtschaftssystem und unsere Wirtschaftsordnung untergräbt. Sie, Herr Binding von der SPD, sind auch auf dem falschen Weg. Sie wollen, dass der Staat jetzt in der Krise möglichst alle Steuern anhebt, und erzählen den Menschen, damit könne man Haushaltskonsolidierung betreiben. Das ist aber falsch. Denn wenn Sie dem Staat den Einsparungsdruck nehmen, indem Sie die Steuern erhöhen, dann passiert nicht das, was Sie den Menschen erzählen, nämlich dass die Ausgaben gesenkt werden oder die Staatsverschuldung getilgt wird, sondern die Ausgaben steigen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist bei Ihnen auch so! Sie wollen die Steuern senken! Das heißt, Sie haben weniger Geld in den Kassen! Das ist der gleiche Effekt!) – Jetzt hören Sie doch einmal zu! Sie hatten schon das Wort. Der Kollege Volk hat darauf verwiesen, was Sie in Nordrhein-Westfalen machen, um Ihnen vor Augen zu führen, was Sie selbst in der Realität umsetzen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt ist es der 11. November, 11.11 Uhr!) Sie haben dort eben keinen Konsolidierungsbeitrag geleistet, obwohl gegenwärtig das Steueraufkommen aufgrund des Wirtschaftswachstums stark ansteigt. Was haben Sie gemacht? Sie haben gesagt: Wir überlegen uns neue Versprechungen und schrauben die Ausgaben nach oben. (Manfred Zöllmer [SPD]: Genau das machen Sie!) Deswegen sagen wir Ihnen: Der richtige Weg ist, bei den Einnahmen maßvoll zu entlasten, wo dies möglich ist. Wo es Ungerechtigkeiten im Steuersystem gibt, müssen diese korrigiert werden. Den Konsolidierungsauftrag muss man auf der Ausgabenseite erfüllen. Das tun wir sehr erfolgreich. Wir hatten in den letzten beiden Jahren 65 Milliarden Euro weniger Ausgaben, als Sie unter Peer Steinbrück geplant hatten. Deswegen gehen das Nein zu Steuererhöhungen und das Haushaltskonsolidieren sehr gut zusammen. Es ist der einzig richtige und erfolgreiche Weg. Er stärkt die soziale Marktwirtschaft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: 82 Prozent!) Sie haben sich nicht nur verrannt, indem Sie mit den Grünen zusammen in Nordrhein-Westfalen einen Schuldenhaushalt vorgelegt und damit bewiesen haben, dass hohe Steuereinnahmen nicht zur Konsolidierung beitragen; Sie haben sich auch an einer anderen Stelle verrannt. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Hören Sie zu! Sie werden etwas Neues erfahren. Sie werden nicht mehr darüber lachen können. Denn Ihre Schuldenhaushalte sind wirklich schlimm für dieses Land. Die Grünen haben nicht einmal der Schuldenbremse zugestimmt, weil sie nämlich nicht wollten, dass ihnen die Verfassung Schranken aufzeigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt kommen wir zu dem, was die Koalition vorhat. In unserem Steuersystem muss man einige Punkte beachten. Das ist zunächst das Existenzminimum. Man kann nicht die Menschen besteuern, die nicht mehr verdienen, als sie zur Sicherung ihrer eigenen Existenz brauchen. (Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich werde das jetzt im Ganzen darstellen. Ich brauche keine Zwischenfrage. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Schuldenbremse war es falsch! Das war sachlich falsch! Das kann man nicht tolerieren!) – Das hilft nichts. Sie haben nicht zugestimmt, weil Sie sie nicht wollten. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das vor Ihnen in den Bundestag eingebracht! Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen!) – Hören Sie auf mit grüner Geschichtsfälschung. Sie waren gegen die Schuldenbremse, weil Sie nicht wollten, dass man die Bildungsausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle finanziert. Sie wollten die Schleuse der Staatsverschuldung für sich offenhalten. So war das. Ich habe die Diskussion in der Föderalismuskommission verfolgt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie lügen!) Da kommen Sie nicht mehr heraus: Die Grünen und die Schuldenbremse sind Gegner. (Beifall bei der FDP) Aber zurück zum Thema. Die Koalition sagt: Wir müssen das Existenzminimum steuerfrei stellen. Deswegen werden wir für 2013 und 2014 den Steuerfreibetrag entsprechend dem zu prognostizierenden Existenzminimum anheben. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das steht doch im Grundgesetz! Wir machen das seit 60 Jahren regelmäßig!) Sie kündigen erbitterten Widerstand dagegen an. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: An der Stelle doch nicht! Das machen wir doch seit 60 Jahren immer regelmäßig!) Da haben Sie sich verrannt. Das werden Sie zurücknehmen müssen, Herr Binding. Auch die Grünen werden ihren Widerstand aufgeben müssen, weil sie sich verfassungskonform verhalten müssen. Das heißt, das steuerfreie Existenzminimum muss gelten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben noch ein weiteres Problem. Wir haben die kalte Progression, und wir erleben derzeit 1,8 Prozent Lohnsteigerungen bei 2,5 Prozent Inflation. Jeder weiß: Wenn man 1,8 Prozent mehr verdient und gleichzeitig das Einkommen einen Wertverlust von 2,5 Prozent hat, dann hat man nichts zusätzlich. Gleichwohl steigen die Steuern durch den linear-progressiven Tarif, weil man in der Summe mehr hat und die Summe höher besteuert wird. Dass die Summe letztlich weniger wert ist, wird im Steuersystem bisher nicht berücksichtigt. Also sagen wir: Das ist eine Gerechtigkeitslücke, die ausgeglichen werden muss. Dann sagen Sie: Nein, das wollen wir nicht. Das sind Geschenke. (Nicolette Kressl [SPD]: Das ist keine kalte Progression! Das ist Inflationsausgleich!) Da muss ich Ihnen sagen: Da haben Sie sich wieder verrannt. Es sind nämlich keine Geschenke, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Lohnsteigerung bekommen. Das haben sie sich vielmehr verdient. Jetzt muss man darüber entscheiden, ob man den Menschen etwas von der Lohnerhöhung belassen möchte, oder ob man will, dass das nur beim Staat ankommt. Wir haben gesagt, dass wir akzeptieren, dass sich die Länder an der Finanzierung dessen nicht beteiligen wollen, und uns dafür ausgesprochen, dass der Bund das vollständig übernimmt. Dann haben Ihre Landesfinanzminister gesagt, es sei irre, so etwas überhaupt zu tun. Hier haben Sie sich verrannt. Deswegen sollten Sie jetzt kleinere Brötchen backen und nicht mehr so laut dagegen reden. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie lassen sich doch die Steuersenkungen von den Bürgern selbst bezahlen!) Sie sollten überlegen, ob das nicht genau die richtige Finanzpolitik zur richtigen Zeit ist. Wir wollten in einem größeren Umfang entlasten, weil wir der Meinung sind, dass das Verhältnis zwischen Privat und Staat in keinem guten Zustand ist und man daran arbeiten muss. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber auf Pump!) Das geht gegenwärtig nicht. Aber die Gerechtigkeitslücke schließen und das Steuersystem verfassungskonform machen, kann man auch in Krisenzeiten von der Politik erwarten. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist eine kreditfinanzierte Steuersenkung!) Wenn man sagt, das sei irre und nicht zu verantworten, dann ist man auf dem Holzweg. Ich fordere die Sozialdemokraten und die Grünen auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen, unser Steuersystem leistungsgerechter und fairer zu machen und auch die Verfassungskonformität herzustellen. Sie sind auf dem Holzweg. (Ulrich Kelber [SPD]: Die Leute wollen den Abbau der Neuverschuldung! Das sagen sie Ihnen in allen Umfragen!) Kehren Sie um! Wir haben die besseren Vorschläge. Stimmen Sie denen zu. Den Unsinn der Linken werden wir natürlich strikt ablehnen. Mehr Gerechtigkeit im Steuersystem zu schaffen, ist etwas, was man auch in Krisenzeiten leisten kann, und das werden wir tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Mehr Gerechtigkeit würde heißen, dass man die Hotelsteuer zurücknimmt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Gambke vom Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Wissing, Sie haben mir einmal bei einer Debatte in Mainz billige Polemik vorgeworfen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Ehrlich?) Die Ersten, die das Thema Schuldenbremse in den Deutschen Bundestag eingebracht haben (Dr. Volker Wissing [FDP]: Ich war in der Kommission!) – ich bin hier ganz nüchtern, weil ich damals nicht im Bundestag war, aber ich habe das nachgelesen, Herr Wissing –, waren die Grünen. Ich bitte Sie, das endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Herr Kollege, das ist die Unwahrheit! Das ist billige Polemik, wenn man vor der Öffentlichkeit bewusst die Unwahrheit sagt!) – Nein, das ist nicht billige Polemik, das ist Geschichte. Ich bitte Sie, das einmal in den Protokollen nachzulesen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist billige Polemik! – Gegenruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Wissing, Sie wissen, dass das nicht wahr ist! Sie sind doch ein gläubiger Mensch und sollten nicht lügen!) Wir reden hier über zwei Anträge der Linken. Der eine behandelt das Thema steuerpolitische Gerechtigkeit und der andere das Thema Verlustverrechnung. Ich will mich auf das letzte Thema konzentrieren. Hier komme ich, Herr Wissing, auf das Thema Orientierung zurück. Lothar Binding hat das Thema Steuergerechtigkeit sehr schön abgehandelt. Es wurde gesagt, dass 173 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen erzielt werden sollen. Allein bei den Unternehmensteuern wollen Sie 45 Milliarden Euro Steuern mehr einnehmen. Das ist schon fast grober Unfug. Das Schlimme ist, dass Sie damit gute und nachdenkenswerte Ansätze, ob das die Vermögensteuer oder Vermögensabgabe ist, so wie wir es vorschlagen, desavouieren. Damit erweisen Sie uns keinen Dienst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Jetzt geht alles durcheinander!) Gerade beim Thema Unternehmensteuern – darauf will ich mich konzentrieren – braucht man einen festen Ordnungsrahmen, ein Ziel, eine Orientierung. Wir Grüne haben drei Punkte, die ich Ihnen nennen will, an denen wir uns orientieren. Erstens: Steuergerechtigkeit. Steuergerechtigkeit, Herr Wissing, Herr Volk, lässt sich nicht nur daran festmachen, ob möglicherweise jemand zu viel zahlt. Wir müssen uns auch mit dem Thema beschäftigen, wer möglicherweise zu wenig Steuern zahlt – wir sollten nicht immer nur nach Griechenland schauen – und ob das eigentlich gerecht ist? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie müssen sich einmal ansehen, wie gerade im Unternehmensteuerbereich die Steuerlast verteilt ist. Leider gibt es dazu keine harten Daten, aber es gibt genügend Aussagen von Verbänden – das wurde mir bestätigt –, dass kleine und mittlere Unternehmen im Durchschnitt 8 Prozent mehr Körperschaft- und Gewerbesteuer zahlen als große Unternehmen. Es kann doch nicht sein, dass wir die Steuerlast nach Branche, Größe oder Internationalität verteilen. Sie muss gerecht, gleichmäßig verteilt sein. Da kann man nicht fragen, ob man Steuern senken muss, sondern man muss fragen, ob es eigentlich vernünftig ist, dass einige zu wenig oder kaum Steuerlast tragen. Ich verweise auf folgende Zahl – jetzt hören Sie einmal zu –: Kumuliert haben die Steuern aus Erträgen und die Gewinnsteuern im Bankenbereich in Deutschland von 1999 bis 2009 60 Milliarden Euro betragen. Und was haben die Großbanken gezahlt? 4,5 Milliarden Euro; das entspricht 7,5 Prozent. Die Landesbanken haben 10 Milliarden Euro und die Sparkassen 20 Milliarden Euro Steuern gezahlt. Das sind insgesamt 30 Milliarden Euro. 50 Prozent des Steueraufkommens kommt daher. Die Genossenschaftsbanken haben weitere 10 Milliarden Euro Steuern gezahlt. Das ist doppelt so viel, wie die Geschäftsbanken gezahlt haben. Herr Wissing, ich finde, das sind Zahlen, mit denen Sie sich auch einmal beschäftigen müssten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Aber was machen Sie? Herr Volk, wir haben gesehen: Als es darum ging, ein Steuerschlupfloch bei der Erbschaftsteuer zu schließen, haben Sie noch zehn Tage vor der Verhandlung im Finanzausschuss erklärt: Nichts mit heißer Nadel stricken! Sie haben dann doch zugestimmt, nachdem wir Grüne und die SPD einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Steuergerechtigkeit muss man also unter diesem Aspekt betrachten. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Quatsch! Das hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun!) Zweitens: Aufkommensneutralität. Herr Middelberg hat gefragt: Sind die Unternehmensteuern in Deutschland eigentlich wettbewerbsfähig? Ja, Herr Middelberg. Wenn Sie international tätig sind, dann werden Sie feststellen, dass man im Ausland sagt: Ja, Deutschland hat wettbewerbsfähige Steuern. Insofern ist die Aufkommensneutralität ein ganz wichtiges Gebot; denn wir können es uns mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung nicht leisten, die Steuern zu senken. Damit komme ich zum Thema Verlustverrechnung: Da müssen wir schon aufpassen. Wir werden das Thema Organschaft noch zu diskutieren haben. Sie haben den Bericht einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Bund und Ländern erwähnt, der mittlerweile erarbeitet wurde. Er liegt zwar der Financial Times Deutschland vor, aber leider nicht uns, dem Finanzausschuss, was ich sehr beklage. Darin werden das Thema EAV, also Ergebnisabführungsvertrag, und das Thema Verlustübertragung behandelt. Wir müssen schon sehr genau hinschauen, ob die sicherlich zu unterbreitenden Vorschläge, im europäischen Sinne eine Angleichung zu vollziehen, nicht zu einer Steuermindereinnahme führen. Da vermisse ich jeglichen Vorschlag aus Ihrer Partei. Von der FDP habe ich sowieso nichts erwartet. Wir müssen darüber einmal genau nachdenken, um zu verhindern, dass eine Steuermindereinnahme kreiert wird. Drittens: Bürokratieabbau. Das ist eine wichtige Sache. Ich muss noch einmal das Thema Hotelsteuer erwähnen. Was immer unerwähnt bleibt, ist, dass damit ein riesiger Bürokratieaufbau verbunden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Fragen Sie doch einmal, was da passiert ist. Da könnten Sie sofort zu Verbesserungen ansetzen. Herr Middelberg, Sie haben Andeutungen gemacht. Ich bitte Sie, sich in Ihrer eigenen Partei und vor allem gegenüber der CSU durchzusetzen, damit wir dieses Thema endlich vom Tisch bekommen. Zur Verlustübertragung hat die Linke Vorschläge gemacht. Aber so leicht können Sie es sich nicht machen. Es gibt zum Beispiel einen Verlustrücktrag. Den haben Sie einfach kassiert. Sie müssen doch wissen, dass gerade mittelständische und kleine Unternehmen eine Liquiditätshilfe bekommen. Darüber können wir reden, auch im Sinne einer europäischen Angleichung. Aber dann müssen Sie einen Vorschlag unterbreiten. Dann muss man zum Beispiel darüber nachdenken, ob man die Mindestbesteuerungsgrenze mit dem entsprechenden Freibetrag etwas anhebt. Ein weiterer Punkt sind – das sage ich noch einmal in Ihre Richtung – geringwertige Wirtschaftsgüter. Gehen Sie doch einmal zu den Handwerkskammern und den kleinen und mittleren Unternehmen. Dummerweise haben Sie 2008 frühmorgens, wie mir berichtet wurde, die Poolabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter geschaffen. Legen Sie doch bitte schön einmal etwas vor, womit Liquidität geschaffen werden kann. Dann kann man auch beim Thema Verlustübertragung etwas machen. Meine Damen und Herren, man braucht eine klare Orientierung, um zu wissen, was man machen sollte. Ich will jetzt noch einmal sehr konkret zum Thema Organschaft und auch zum Thema Verlustübertragung Stellung nehmen, weil das wichtige Themen sind. Immerhin sind in diesem Zusammenhang 500 bis 600 Milliarden Euro aufgelaufen, und zwar, Herr Middelberg, nicht gewerblich. Wenn Sie einmal genauer hinschauen, sehen Sie: Dies ist bei der Wohnungswirtschaft geschehen, beim Versicherungswesen und bei den Banken geschehen. Hier müssen wir Möglichkeiten finden. Eine zehnjährige Frist für die Verlustkappung ist sicher überlegenswert. Sicher ist auch das Vorhandensein eines Abschmelzmodells überlegenswert. Dabei müssen wir uns auch das Thema EAV, also Ergebnisabführungsvertrag, anschauen. Um zu einem Ergebnis zu kommen, müssen wir zum Beispiel das skandinavische Modell zur Bürokratievereinfachung berücksichtigen. Es gibt zwar einen Gruppenübertrag, aber die 2 Milliarden Euro, die das Ganze kostet, muss man irgendwie kompensieren. Hierzu erwarte ich von der Regierungsbank endlich einen Vorschlag. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin sehr enttäuscht, dass Sie zur Unternehmensteuer in den letzten zwei Jahren nichts geliefert haben. Insofern kann ich nur sagen: Ich erwarte eigentlich auch nicht mehr viel von dieser Koalition, sondern warte darauf, dass sie endlich abgelöst wird. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Nicolette Kressl [SPD]: Wir arbeiten daran!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der internationalen Wirtschaftskrise haben unsere Bürger große Bereitschaft gezeigt, diese Krise mit Arbeit und Investitionen erfolgreich zu überwinden. Wir sind deshalb stärker aus der Finanz- und Wirtschaftskrise herausgekommen, als wir hineingegangen sind. Die neueste Steuerschätzung spiegelt diesen Erfolg deutlich wider, und deshalb haben sich – und das ist der wichtige Punkt – unsere arbeitenden Bürger eine „Aufschwungdividende“ wirklich verdient. Das ist die Frage dieser Stunde. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich hat der Abbau der Verschuldung Vorrang. (Manfred Zöllmer [SPD]: Und warum machen Sie das nicht? Sie machen das Gegenteil!) Das ist richtig, aber der Staat kann sich doch nicht dauerhaft und ungebremst an der Inflation bereichern. Wir sind gegen mehr Staat. Zunächst einmal hat der Bürger Anspruch auf sein erarbeitetes Geld, und erst dann kommt der Staat. Das ist die Subsidiarität, die auch angebracht ist. Wann werden Sie, meine Damen und Herren, das endlich begreifen? Die Koalitionsfraktionen haben sich deshalb am Wochenende, wie Sie wissen, darauf verständigt, die kalte Progression für kleine und mittlere Einkommen abzumildern. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger mit 6 Milliarden Euro. Das ist für die Bürger nachhaltig. Das ist eine Kaufkraftmehrung. Das ist der richtige Weg. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie erhöhen doch nur die Verschuldung!) Das ist eine gerechte Politik, und das ist absolut arbeitnehmer- und leistungsfreundlich, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich wundere mich schon sehr, dass gerade die Opposition, die das Schild der Arbeitnehmerfreundlichkeit immer wie eine Monstranz vor sich herträgt, gegen einen solchen Inflationsausgleich bei den Steuern ist. Das ist arbeitnehmerfeindlich, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sagen Sie doch mal was zum Inflationsausgleich!) Das ist die Situation, vor der wir heute stehen. Herr Gambke hat gerade von Nachhaltigkeit gesprochen. Er hat lange über die Nachhaltigkeit in der Politik fabuliert. Tatsache ist aber, dass Sie im Bereich der Steuern, im Bereich der Schuldenbremse versagt haben, weil sie immer dagegen waren und der Schuldenbremse nicht zugestimmt haben. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Durch den Abbau der kalten Progression kann verhindert werden, dass Lohn- und Einkommenssteigerungen in Zukunft überproportional stark steuerlich belastet werden. Die Bundesbürger haben bei der derzeitigen Inflation trotz Lohnerhöhungen unterm Strich monatlich netto oft weniger im Geldbeutel. Dieser Automatismus, der zu immer höheren Steuereinnahmen aufgrund prozentual immer höheren Steuerbelastungen führt, kann nun mit dieser Bundesregierung, mit dieser Koalition gebremst werden. Zum 1. Januar 2013 sollen der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer angehoben und der Steuertarif nach rechts verschoben werden. Wir werden auch in Zukunft regelmäßig bei verfassungsrechtlich gebotener Anhebung des Grundfreibetrages Veränderungen im Tarif vornehmen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie wollen die Verfassung einhalten! Das ist ein besonderer Hinweis!) Das ist so etwas wie der Weg in den Tarif auf Rädern. (Nicolette Kressl [SPD]: Tarif auf Rädern?) Das ist ein Weg, der für die Bürger unglaublich wichtig ist, weil er keine staatliche Finanz- und Steuerwillkür zulässt. Vielmehr haben die Bürger Anspruch auf einen Ausgleich, und ein Tarif auf Rädern ist die richtige Entwicklung. Es hat mit Steuergerechtigkeit nichts zu tun, wenn ein Arbeitnehmer 1 Prozent mehr Gehalt bekommt und dann 2 Prozent mehr Steuern zahlen muss. Das ist nicht gerecht. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie es nicht bei den Abgaben?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich eben nicht um Steuergeschenke, wie Sie es immer darstellen. Vielmehr gehört das Geld den Bürgern und niemand anderem, und wir geben den Bürgern zurück, was sie durch den Sondereffekt der kalten Progression mehr gezahlt haben. Das führt für alle Steuerzahler zu mehr Steuergerechtigkeit. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie schaut es mit der Abgabengerechtigkeit aus?) Die SPD muss ihre Blockadehaltung im Bundesrat aufgeben. Sonst zeigt sie ihr wahres Gesicht. Deswegen kann ich Sie nur bitten, Vernunft walten zu lassen und die Bürgerentlastung, die Steuerzahlerentlastung im Bundesrat nicht zu blockieren. (Beifall des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]) Im Übrigen brauchen wir jetzt eine Stärkung der Kaufkraft zur Stabilisierung der Konjunktur, um nicht in eine Rezession zu geraten. Nur wenn Deutschland stark bleibt, können wir auch Solidarität üben. Deswegen ist es wichtig, dass wir gerade jetzt nicht in eine Rezession geraten. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich die Oppositionsseite geradezu freuen würde, wenn wir in Richtung einer Rezession marschierten. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist doch Blödsinn! – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich kann Ihnen sagen: Wir müssen alles versuchen, um ein Abrutschen in die Rezession zu verhindern. Dabei stellt die Steuerpolitik, die wir machen, genau den richtigen Weg dar. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht! Das ist doch Humbug!) Auch in anderen Bereichen der Steuerpolitik haben wir im Übrigen den richtigen Weg eingeschlagen. Ich denke nur an die Istbesteuerung bei der Umsatzsteuer. (Nicolette Kressl [SPD]: Das gab es schon vorher!) Wir haben uns auf 500 000 Euro festgelegt, und Handwerksbetriebe haben jetzt endgültig die Gewissheit, dass sie Steuern erst dann abführen müssen, wenn die von ihnen gestellten Rechnungen bezahlt wurden. Das ist Liquiditätshilfe für die Handwerker. Das zeigt, welche Art von Steuerpolitik wir betreiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Seit wann gibt es diese Istbesteuerung? – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann Ihnen nur noch einmal deutlich sagen: Die Steuererhöhungsorgien, die Sie vorhaben – die Linken haben das ja schon zum Ausdruck gebracht; von Rot und Grün sollen sie in den Parteigremien beschlossen wer-den –, stellen einen absoluten Irrweg dar. Das führt nicht aus der Krise, das führt eher zurück in die Krise. Wer glaubt, man könne die Krise mit höheren Steuern überwinden, zeigt, dass er ökonomische Grundwahrheiten nicht verstanden hat. Er betreibt damit eine Entwicklung zurück in eine Staatswirtschaft. Das ist eine steuerpolitische Geisterfahrt und ein Horrorszenario für die Wirtschaft. Wir sind gegen eine Erhöhung der Erbschaftsteuer, gegen eine Erhöhung der Vermögensteuer. Wir sind für die Entlastung der Bürger. Durch mehr Steuerzahlungen wird sich das dann letzten Endes auch wieder für den Staat rentieren. Das ist der richtige Ansatz, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Funktioniert nicht!) statt die Steuern immer weiter zu erhöhen. Wir sind gegen eine rot-grün-linke Steuererhöhungsorgie. (Lachen bei der SPD) Das müssen die Leute wissen. Sie beschreiten damit einen falschen Weg. Deshalb werden Sie auch keinerlei Fortschritte erzielen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie aber auch nicht!) Zu Ihrem Vorhaben, die Möglichkeiten zum Verlustvortrag für Unternehmen einzuschränken, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist ein Anschlag auf die Arbeitsplätze in Deutschland. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Arbeitsplätze brauchen langfristig richtige Strukturen und langfristig wirksame Substanz. Die Bedeutung von Vorlaufinvestitionen darf nicht einfach, wie Sie es machen, weggewischt oder negiert werden. Wir sind also der Auffassung, dass es bei der Steuerpolitik in Deutschland keine Willkür geben darf, sondern ein Weg der Vernunft beschritten werden muss, wie wir ihn auch in dieser Woche wieder aufgezeigt haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Arbeitsplätze brauchen Strukturen und Substanz, das haben wir jetzt gelernt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Nicolette Kressl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Michelbach, freundlicherweise wollen wir das, was Sie gesagt haben, einmal dem 11.11. zuschreiben. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Karneval in Mittelfranken!) Sie haben jetzt nämlich in einem atemberaubenden Wirbel alles durcheinandergebracht, was man in der Steuerpolitik durcheinanderbringen kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Suchen wir einmal ein paar Ansätze: Sie haben zunächst einmal den Satz gesagt – das fand ich ganz spannend –: Wir wollen einen Inflationsausgleich. Das sagen wir Ihnen doch die ganze Zeit schon. Sie reden immer über kalte Progression, legen uns aber keinerlei Berechnungen dazu vor. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hat der Staatssekretär vorgelegt!) – Schon wieder sagen Sie, der Herr Staatssekretär habe das vorgelegt. Er hat uns nur die Inflationsrate genannt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Schauen Sie sich einmal an, was heute in der FAZ steht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ich kann selber denken! Ich brauche die FAZ nicht!) Da steht zur kalten Progression: Nicht nur die Oppositionsparteien vermissen jedoch belastbare Aussagen der Bundesregierung, wie hoch dieser Effekt … sein wird, der sich aus dem Zusammenspiel von Inflation, Gehaltserhöhung und … Steuertarif ergibt. Sie reden allerdings immer nur von Inflation. Ordnungspolitisch wäre es auch sehr sinnvoll, zu überlegen, ob Sie es so wollen, dass wir in Zukunft durch Senkungen des Steuertarifs für den Inflationsausgleich zuständig sein sollen und die Verantwortung der Wirtschaft und der Arbeitgeber für diesen Bereich völlig außen vor lassen. Da kann ich nur eine gute Reise wünschen, wenn das Ihre Linie sein soll. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zum Zweiten fand ich interessant, dass Sie, Herr Michelbach, gesagt haben, das sei ein Tarif auf Rädern. Ich habe mir das genau angehört in der Pressekonferenz. Herr Schäuble hat ausdrücklich gesagt, dass das nicht ein Tarif auf Rädern ist. Dass die Berechnung des Existenzminimums und damit auch die Tarifverschiebung regelmäßig überprüft werden muss, ist doch klar. Das haben wir immer gemacht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo denn? – Gegenruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Alle paar Jahre!) Das ist völlig richtig und entspricht auch der Verfassung. Allerdings muss ich etwas zur Berechnung des Existenzminimums sagen. Im Moment liegt der Grundfreibetrag über dem Existenzminimum. Sie sagen jetzt einfach, 2013 soll der Grundfreibetrag erhöht werden. Das ist aber nicht verfassungsmäßig. Ein verfassungsmäßiges Vorgehen wäre es, das Existenzminimum berechnen zu lassen und den Grundfreibetrag entsprechend anzupassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das 2014 der Fall sein. Aber aus irgendwelchen – vielleicht wahltaktischen – Gründen behaupten Sie, dass das laut Verfassung schon 2013 nötig wäre. Das können Sie mit nichts belegen. Sie können weder eine kalte Progression noch das Existenzminimum beziffern. Ich finde nicht, dass das eine seriöse Steuerpolitik ist, wie wir sie im Moment bräuchten. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Denn die Mindereinnahmen müssen die Bürgerinnen und Bürger über Zinslasten, die aus der Verschuldung entstehen, wieder zurückgeben. Deshalb ist eine seriöse Berechnung wirklich notwendig. Zahlen aus dem Ärmel zu schütteln, wie es im Moment der Fall ist, ist da nicht hilfreich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich will noch eine Bemerkung zu der Rede von Herrn Middelberg machen. Er hat gesagt: Das mit der Hotelsteuer haken wir jetzt ab. – Ich finde das gut. Aber in dem Zusammenhang reden wir über 1 Milliarde Euro. Wir machen ein riesiges Tamtam wegen einer Verschiebung von 2 Milliarden Euro; aber gleichzeitig versäumen Sie, 1 Milliarde Euro Mindereinnahmen dadurch zu vermeiden, dass Sie die unsägliche Reduzierung des Umsatzsteuersatzes für Hotelübernachtungen zurücknehmen. Ich finde, solange das nicht „abgehakt“ ist, können Sie auch das Thema nicht einfach abhaken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Sagen Sie mal was zur Binnenschifffahrt! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Wie heißt der SPD-Vergnügungspark noch mal?) Dann möchte ich auf den Antrag der Linken zu sprechen kommen. Von Seriosität ist auch in diesem Antrag, ehrlich gesagt, nicht viel zu spüren. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!) Es ist ja richtig – das ist das Einzige, was wir wirklich unterstützen können –, was in der Überschrift steht: Wir müssen die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen. Bei den Steuereinnahmen geht es nicht um einen Selbstzweck, sondern es geht um Zukunftsfähigkeit durch die Handlungsfähigkeit des Staates. Nur wenn wir beispielsweise in Bildung investieren können, verpassen wir nicht die ökonomischen Chancen, die damit einhergehen. Dafür ist die Handlungsfähigkeit des Staates notwendig. Aber die in dem Antrag der Linken genannten Instrumente und Analysen sind falsch und zudem schlampig dargestellt. Drei Beispiele: Erstens ist in dem Antrag eine falsche Analyse enthalten. Die Steuerpolitik in Bezug auf die Unternehmen in den letzten Jahren war kein Steuerdumping. Sie lassen völlig außen vor – das halte ich für fahrlässig, absichtlich fahrlässig –, dass die Bemessungsgrundlage zur Zeit der Großen Koalition in weiten Teilen deutlich verbreitert worden ist (Beifall bei der SPD) und dass wir die Grenzen für die Verschiebung von Geldern geschlossen haben. Sie sind zwar jetzt mit zwei Steuergesetzen der schwarz-gelben Koalition wieder geöffnet worden; aber damals waren die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und das Schließen von Schlupflöchern ganz wichtig. Das hat mit Steuerdumping gar nichts zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Wie kommen Sie – nach den Erfahrungen mit der Hotelsteuer, durch die wir wissen, dass reduzierte Mehrwertsteuersätze nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen – eigentlich dazu, vorzuschlagen, in anderen Branchen genau das Gleiche zu machen, ohne beispielsweise zu bedenken, dass dadurch Gewinne bei Konzernen hängenbleiben? Ein solcher Vorschlag kann doch nicht ernsthaft Ihrer sogenannten linken Steuerpolitik entsprechen. Ich bitte Sie! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Drittens. Richtig ist: Wir müssen beim Ehegattensplitting etwas ändern. Aber auch das ist schlampig gemacht und im Zweifel verfassungswidrig. Dass Sie dabei nicht die gegenseitigen Unterhaltspflichten anerkennen wollen, ist sowohl falsch wie auch vermutlich verfassungswidrig, beispielsweise wenn Sie Verheiratete schlechter behandeln wollen als Geschiedene. Insofern bitte ich Sie: Arbeiten Sie in diesen Punkten nach, und verfolgen Sie Ihre Ziele mit den richtigen Instrumenten. Dann können wir vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommen, als wir es jetzt tun. Jetzt müssen wir Ihren Antrag ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniel Volk (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal kann man festhalten, dass in diesem Hause offenbar Einigkeit zwischen vier Fraktionen darüber besteht, dass die von der fünften Fraktion, nämlich der Linksfraktion, vorgelegten Steuerpläne eher im Bereich der Unseriosität einzuordnen sind. Diese Pläne zeigen, dass man leicht etwas Populistisches fordern kann, was allerdings bei der Umsetzung wegen der notwendigen Detailarbeit große Schwierigkeiten bereiten wird. Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der zwar wunderschön klingt, aber in der Steuerpolitik – zumindest dieser Regierung – keinen Platz finden kann. Sie wollen eine Vermögensteuer in Höhe von 5 Prozent als reine Substanzbesteuerung. Sie würden damit – unabhängig von der Höhe – eine extreme Verkomplizierung des deutschen Steuerrechts erreichen. Ich bin der felsenfesten Überzeugung – darin sind wir uns in der Koalition einig –, dass der Weg nicht in Richtung einer weiteren Verkomplizierung führen darf, (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Siehe Abgeltungsteuer!) sondern zu einer Vereinfachung führen muss. Wir haben die letzten zwei Jahre beharrlich daran gearbeitet, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Beharrlich, aber erfolglos!) die Steuergesetzgebung zu vereinfachen. Wir haben ein Steuervereinfachungsgesetz verabschiedet, das den Steuerpflichtigen die Steuererklärung erleichtert. Denn die wesentliche Kritik an der Steuergesetzgebung in Deutschland entzündet sich doch immer daran, dass die Steuergesetze sehr kompliziert sind. Teilweise verstehen die Steuerpflichtigen nicht mehr, warum sie in einer bestimmten Höhe Steuern zahlen. Die Einführung einer Vermögensteuer – den Kollegen der Grünen sage ich: auch die von Ihnen geforderte Vermögensabgabe – ist kein Beitrag zu einer Vereinfachung des Steuerrechts, sondern ein Beitrag zu einer deutlichen Verkomplizierung. (Zurufe von der LINKEN) In dem Antrag der Linkspartei ist die Forderung nach einer Gemeindewirtschaftsteuer enthalten. Sie bedeutet nichts anderes als eine Verbreiterung der Gewerbesteuer. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das fordern die Kommunen auch!) Es wird versprochen, dass weitere Gruppen von Wirtschaftstreibenden in die Steuerpflicht einbezogen werden. Sie müssen auch da bitte zur Kenntnis nehmen, dass ein ganz großer Teil der Gewerbesteuerpflichtigen, die auch immer eine Gewerbesteuererklärung abgeben müssen, tatsächlich nicht mehr Steuern zahlen, weil eine Verrechnung mit der Einkommensteuer vorgenommen wird. Es gehört zu unserem komplizierten Steuerrecht, dass viele Steuerpflichtige eine Steuererklärung ausfüllen müssen, obwohl sie gar keinen Steuermehrbetrag zahlen müssen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die Kommune hat dafür mehr!) Dieses Problem sollten wir sehen. Wir dürfen es aber nicht, wie es nach den Vorschlägen der Linksfraktion der Fall wäre, noch verschärfen, indem die Zahl der Steuerpflichtigen erweitert wird. Im Großen und Ganzen wird diese Regierung weiter an der Steuervereinfachung arbeiten. Wir haben den zweiten großen Schritt diese Woche vorgezeichnet, indem wir die Frage der Steuergerechtigkeit im Bereich der Einkommensteuer behandelt haben. Wir wollen an das Thema „kalte Progression“ herangehen. Während die SPD noch über Zahlen theoretisiert, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ihr macht es doch auch nicht richtig!) haben wir längst erkannt, dass durch die kalte Progression viele Steuerpflichtige betroffen sind. Ich will daran erinnern: Es war übrigens ein sozialdemokratischer Finanzminister, der den Tarifverlauf insgesamt weiter nach rechts verschoben hat, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das machen wir doch alle paar Jahre!) wie auch die Grenze für die Reichensteuer. Ich glaube nicht, dass wir uns derzeit von den Sozialdemokraten irgendwelche Belehrungen darüber anhören müssten, was Steuergerechtigkeit eigentlich bedeutet. Wir sorgen dafür, dass die Leistungsträger – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den unteren und mittleren Einkommensbereichen – nicht mit einer Steuermehrbelastung konfrontiert werden, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht! Die Reichen kriegen viel mehr zurück!) nur weil hier theoretisiert wird und die Sozialdemokratie die Problematik der kalten Progression nicht zur Kenntnis nehmen will. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Christian von Stetten von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, bei der Vorbereitung zu diesem Tagesordnungspunkt und bei der Durchsicht der Anträge habe ich anfangs gedacht, der Bundestagsverwaltung sei ein Fehler unterlaufen; denn der vorliegende Antrag der Linksfraktion, in dem sie den Staat auffordert – nach Abzug eines Freibetrags wohlgemerkt –, von den Bürgern jährlich 5 Prozent Vermögensteuer auf das gesamte Vermögen praktisch zum Verkehrswert einzuführen, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: 1 Millionen ist frei!) kommt mir doch sehr bekannt vor. Es ist in der Tat erst 13 Sitzungswochen her, dass wir im Bundestag intensiv über diesen Antrag diskutiert und ihn mehrheitlich abgelehnt haben. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wir lassen nicht locker!) – Es ist Ihr gutes Recht, dass Sie nicht lockerlassen. Bei Ihrem Vorhaben handelt es sich aber um eine Enteignung. Eine solche Enteignung lassen wir Ihnen auch heute nicht durchgehen. Überlegen Sie doch einmal: Bei 5 Prozent Vermögensteuer ist das Haus nach 20 Jahren weg. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Mathematisch geht das anders!) Im ersten Jahr nehmen Sie die Hofeinfahrt, im zweiten Jahr die Garage, im dritten Jahr die Küche, im vierten Jahr das Wohnzimmer, und im zwanzigsten Jahr machen Sie aus stolzen Hausbesitzern wieder Mieter. Das ist Sozialismus. Solche Anträge können Sie jede Woche einbringen, wir werden sie immer wieder ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Quatsch! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wer hat Ihnen den Unsinn aufgeschrieben?) Allein durch die jetzt von Ihnen beantragte Vermögensteuer wollen Sie zusätzliche 80 Milliarden Euro einnehmen. Sie vergessen dabei aber eines: Sie belasten nicht nur die Hauseigentümer, sondern auch die Mieter. Das ist eigentlich Ihre Klientel, um die Sie sich kümmern sollten. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ein Immobilienbesitzer, der heute eine Rendite von beispielsweise 4 Prozent für seine Wohnungen erzielt, sich darauf einlässt, nach Zahlung der Ertragsteuern noch einmal zusätzlich 5 Prozent auf den Verkehrswert an den Staat abzugeben. Heute ist zwar der 11.11. – darauf ist vorhin schon aufmerksam gemacht worden –; den Faschingsbeginn feiern wir aber lieber in Köln oder in Düsseldorf. Hier im Parlament sollten wir ernsthafte Anträge diskutieren. Wenn Sie diesen Antrag mit den 5 Prozent Vermögensteuern ernst meinen, dann müssen Sie sich klarmachen, dass der Vermieter versuchen wird, seine Immobilie so schnell wie möglich loszuwerden. Wahrscheinlich wird ihm das aber nicht gelingen, weil er vermutlich niemanden finden wird, der bei einem Renditeobjekt von 4 Prozent noch zusätzlich 5 Prozent Vermögensteuer zahlen will. Dann wird er diese 5 Prozent Vermögensteuer selbstverständlich auf die Mietkosten aufschlagen. Das ist eine Refinanzierung und kann möglicherweise zu einer Verdoppelung der Mietkosten führen. Das werden wir nicht durchgehen lassen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert? Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Selbstverständlich, bitte. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr von Stetten, ich befürchte, Sie haben den Antrag nicht richtig gelesen. Wenn Sie ihn richtig gelesen hätten, dann hätten Sie erkannt, dass die Vermögensteuer erst ab einem Privatvermögen von über 1 Million Euro gezahlt werden soll und Betriebsvermögen ausdrücklich ausgenommen sind. Wenn also ein Wohnungseigentümer Wohnungen vermietet, hat er selbstverständlich die Möglichkeit, das Ganze als Betriebsvermögen zu betrachten. Dann muss er selbst nichts bezahlen, und dann müssen auch die Mieterinnen und Mieter dafür nichts bezahlen. Das haben wir deshalb so geregelt, damit die Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihrem Betriebsvermögen eben nicht belastet werden. Wir wollen nur das private Vermögen einbeziehen. Wenn Ihnen allerdings ein Schloss im Wert von 15 Millionen Euro gehört, in dem Sie selber wohnen, dann müssten Sie natürlich auf 14 Millionen Euro Steuern zahlen. Ich halte das für eine vernünftige Lösung. Lesen Sie also bitte den Antrag richtig, und nehmen Sie zur Kenntnis, dass es uns nur um Privatvermögen und nicht um Betriebsvermögen geht. (Beifall bei der LINKEN) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr Kollege, wenn Ihnen eine Wohnung gehört, die Sie vermieten, wird Ihre Vermögensteuer selbstverständlich darauf angewendet. Genau so steht es auch in Ihrem Antrag. Wie kommen Sie denn sonst überhaupt auf den Betrag von 80 Milliarden Euro, den Sie jedes Jahr einnehmen wollen? Ich glaube, Sie lesen Ihren Antrag besser einmal selber, dann können wir noch einmal miteinander reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass wir uns nicht falsch verstehen: Für die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass starke Schultern mehr tragen als schwache Schultern. Bei der Vermögensteuer, die Sie jetzt vorschlagen, handelt es sich um eine reine Substanzsteuer. Die Leute müssen sie selbst dann zahlen, wenn sie keine Einnahmen in diesem Bereich haben. Es ist eine reine Substanzsteuer: Selbst wenn die Wohnung, die zur Vermietung angeboten wird, leer steht, wird es teuer. Substanzsteuern sind nicht nur in diesem Bereich, sondern auch in anderen Bereichen Gift. Die in Ihrem Antrag vorgesehene Verdoppelung der Erbschaftsteuer bedeutet ebenso eine Enteignung. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Da ist was dran!) Sie wollen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer von momentan 4,5 Milliarden Euro auf 10 Milliarden Euro erhöhen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja!) Sie schlagen einen Freibetrag in Höhe von 300 000 Euro im günstigsten Fall vor, aber dann schlagen Sie zu: Ab 300 000 Euro beispielsweise wollen Sie 25 Prozent Steuer kassieren, ab 500 000 Euro 35 Prozent, ab 1 Million Euro sind 45 Prozent Erbschaftsteuer fällig, ab 3 Millionen Euro müssen die Betroffenen 60 Prozent des gesamten Familienvermögens als Steuer abführen. Auch das ist eine Enteignung. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es gibt Leute, die sagen, man sollte bis zu 100 Prozent verlangen!) Stellen Sie sich das einmal vor: Nehmen wir einmal einen großen Handwerksbetrieb, in dem der Vater und der Sohn gemeinsam arbeiten und der Vater im Alter von 65 Jahren den Betrieb an den Sohn übertragen will. In dem Augenblick, in dem der Vater in die wohlverdiente Rente geht, soll er bzw. sein Sohn 60 Prozent des Betriebsvermögens an den Staat abführen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Dann ist die Lebensleistung weg!) Das ist doch absurd. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass das heute im Fernsehen übertragen wird. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ihr Unsinn!) Die Bürger sollen ruhig wissen, was Sie hier vorhaben. Die Bürger sollen ruhig wissen, was das Konzept bedeutet, das Sie heute hier vorgelegt haben: Bei Tod und Schenkung erfolgt Enteignung. Auch der andere Antrag, den Sie heute zur Abstimmung stellen, ist eine volkswirtschaftliche Katastrophe; die Kollegen haben das vorhin schon ausführlich dargestellt. Insgesamt fordern Sie mit den heute vorgelegten Anträgen die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Frau Höll, nach Ihren eigenen Angaben wollen Sie auf der Grundlage Ihrer heutigen Anträge 173 Milliarden Euro Steuern zusätzlich kassieren, wohlgemerkt nicht einmalig, sondern jährlich. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird selbstverständlich alle Anträge ablehnen. Ich hoffe, dass Sie in zehn Wochen nicht schon wieder mit den Anträgen hier im Bundestag aufschlagen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Allein, um Sie zu ärgern!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Olav Gutting (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, es einmal ein bisschen zusammenzufassen: Während die christlich-liberale Regierungskoalition mit Steuervereinfachungen und klugen, moderaten Entlastungsschritten mehr Steuergerechtigkeit schafft, besteht das Konzept der Linken – soweit man überhaupt von einem „Konzept“ sprechen kann – vor allem aus einem beeindruckenden Sammelsurium von Steuererhöhungsvorschlägen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Für die Klientel!) Es sind Forderungen, die darauf abzielen, Leistungsanreize für die Menschen, die wir brauchen, zu beseitigen, mit all den negativen Folgen für Investitionen, den Konsum und die Arbeitsplätze. Wir haben in der christlich-liberalen Koalition in den letzten beiden Jahren vorgemacht, wie man dieses Land aus der Krise herausführt, wie man es stärkt und es letztendlich in einen Zustand versetzt, der besser ist als vor der Krise; wir sind gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen. Meine Damen und Herren, mit Ihren Forderungen stehen Sie von den Linken – Christian von Stetten hat es richtig gesagt – nicht nur mit einem, sondern mit beiden Beinen im Bereich der Enteignung. Ich will das Beispiel der Vermögensteuer von 5 Prozent aufgreifen. Man muss es etwas konkreter machen: Wenn man die Inflation berücksichtigt, bedeutet die Steuer für den Vermögensinhaber, den Hausbesitzer, dass er mindestens 7 bis 8 Prozent Rendite pro Jahr erzielen muss, damit er das Erarbeitete überhaupt bewahren kann. Sie drängen die Menschen damit entweder zu riskanten Finanzanlagen oder zwingen sie, Wuchermieten zu verlangen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Der erste Million stellen wir frei!) Ich glaube, beides kann nicht im Interesse der Menschen sein. Sie schlachten letztendlich die Kuh, die Sie melken wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Konsolidierung der Staatsfinanzen – davon sind wir überzeugt – gelingt nur mit einer gesunden, starken Wirtschaft und einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Was Sie hier vorschlagen, fördert aber die Kapitalflucht. Steuereinnahmen – Christian von Stetten hat es gesagt – in Höhe von 80 Milliarden Euro bei der Vermögensteuer würden Sie vielleicht im ersten Jahr erzielen. Aber das war es dann. Danach ist das Vermögen weg. (Beifall des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]) Die Menschen werden es aus Deutschland wegschaf-fen – zu Recht. Ihre Anträge atmen in weiten Teilen Populismus. Sie atmen Neid. Sie wollen auch noch das Ehegattensplitting abschaffen und richten sich damit direkt gegen die Familien in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren, bedeutet nicht, dass man die Menschen mit der Steuerlast erdrückt. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Vor allem die Millionäre!) Steuergerechtigkeit bedeutet für uns die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das heißt auch, dass man den Bürgerinnen und Bürgern einen ausreichend großen Teil vom sauer Verdienten belässt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen wollen wir Einkommen unter 70 000 Euro entlasten!) Nun zu Ihrem Antrag zur Einschränkung der Verlustverrechnung: Darin wollen Sie zum wiederholten Mal den im Steuerrecht verankerten Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit aushebeln. In den Unternehmen werden Gewinne und Verluste erzielt. Diese richten sich nicht immer nach den Veranlagungszeiträumen. Die Erzielung von Gewinnen und Verlusten richtet sich schon gar nicht nach dem Kalenderjahr. Die bestehende Besteuerung in zeitlichen Abständen, jahresbezogen, ist im Ergebnis eine Willkür des Gesetzgebers, die wir brauchen, um eine dauerhafte Steuereinnahme zu haben. Aber deswegen ist es notwendig, dass diese Willkür bei der Festsetzung der Besteuerungszeiträume durchbrochen werden kann. Hierzu ist es richtig, dass es Verlustvor- und -rückträge gibt. Eine zeitliche Beschneidung dieser Verluste, die Sie fordern, widerspricht dem Prinzip der Besteuerung nach dem Lebenseinkommen insgesamt, und sie widerspricht auch dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Festzuhalten und klarzustellen bleibt: § 10 d Einkommensteuergesetz, den Sie hiermit verändern wollen, ist keine Steuervergünstigung. Wir haben – das muss man auch sagen – bereits heute ein Korrektiv hinsichtlich des Verlustvortrags. Das heißt, bereits nach geltender Rechtslage können die Verluste nicht sofort abgezogen werden, wenn eine bestimmte Grenze erreicht wird. Ich kann Ihnen nur raten: Lassen Sie die Finger von der Verlustverrechnung. Unser Weg sieht jedenfalls anders aus. Wir haben gleich zu Beginn der Wahlperiode die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in diesem Land mit einem Betrag von über 20 Milliarden Euro entlastet. (Nicolette Kressl [SPD]: Das waren Beschlüsse der Großen Koalition! – Ulrich Kelber [SPD]: Ein bisschen ungleich verteilt! – Weitere Zurufe von der SPD) – Ja, das war ungleich verteilt. Der größte Anteil ging an die Familien, meine Damen und Herren. Das waren 5 Milliarden Euro allein für die Familien. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Wachstumsimpuls hat dazu beigetragen, dass wir auf gutem Weg zu einem strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt sind. (Widerspruch bei der SPD) Diese Steuerpolitik werden wir jetzt konsequent fortsetzen, (Iris Gleicke [SPD]: Oh Gott, keine Drohungen!) auch mit der Beseitigung bzw. Abmilderung der kalten Progression. Der Erfolg, meine Damen und Herren, gibt unserer Politik recht. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 20 Jahren und die höchste Beschäftigungsquote, die dieses Land je gesehen hat. Mit den Steuererhöhungen, wie sie in diesem Haus gefordert werden, ist jedenfalls unser Wohlstand und der soziale Standard in diesem Land nicht zu halten. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]) Die Basis aller Staatsfinanzen – davon sind wir überzeugt – ist letztlich die Arbeit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Man kann es vereinfachen und auf folgende Grundregel bringen: Ohne mehr netto vom Brutto gibt es keine Kaufkraftmehrung. Ohne Kaufkraftmehrung haben wir keine Nachfragebelebung. Und ohne Nachfragebelebung wird es keine Investitionen und keine neuen Arbeitsplätze geben. Letztlich wird damit eine Haushaltskonsolidierung nicht möglich sein. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Abgabengerechtigkeit?) Deswegen ist es gut, dass Sie in diesem Haus keine Verantwortung tragen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5525 an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/7555 zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Auswege aus der Krise: Steuerpolitische Gerechtigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7555, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2944 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldstrategie 2020 Nachhaltige Waldbewirtschaftung – eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung – Drucksache 17/7292 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Cajus Caesar von der CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Cajus Caesar (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wald und unsere Forstwirtschaft in Deutschland bedeuten Wohlstand, wirtschaftliche Entwicklung, Einkommen im ländlichen Raum und Umwelt- und Naturschutz. Wir, die Union, sehen im Wald mehr als nur die Summe von Bäumen. Vielmehr begreifen wir ihn als Chance für Lebensqualität und für wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum. Das ist unser Anliegen. Deshalb haben wir diese Waldstrategie auf den Weg gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]) Wir, die Union, sind stolz auf unsere nachhaltige Forstwirtschaft. Sie ist weltweit ein Vorbild. Deshalb, meine ich, sollten wir nicht immer über fehlende Kleinigkeiten klagen, sondern deutlich machen, wie wichtig uns der Wald ist und wie vorbildlich wir unseren Wald bewirtschaften. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]) Natur bewahren, Klima schützen und an unsere Kinder denken – das ist die Devise der Union. Uns ist wichtig, auf diejenigen zu achten, die dafür gesorgt haben, dass wir einen solch umweltfreundlichen Wald überhaupt vorfinden: die Waldbesitzer und all diejenigen, die ihren Beitrag dazu geleistet haben. Ihnen gilt der Dank der Union. Dem Rohstoff Holz kommt eine immer größere Bedeutung zu. Er wird umweltfreundlich erzeugt, und er hat eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. In der Energiepolitik werden wir sehen, dass schon in den nächsten Jahren die Hälfte des Holzaufkommens energetisch genutzt werden wird, davon wiederum die Hälfte in der wohnortnahen Wertschöpfungskette, nämlich indem die Bürger vor Ort sich selbst mit Brenn- und Scheitholz und damit mit umweltfreundlicher Energie versorgen. Der Bundesverband Säge- und Holzindustrie hat zu Recht festgestellt, dass der Bedarf in den nächsten Jahren nicht mehr zu decken sein wird. Experten schätzen, dass uns im Jahr 2020 in Deutschland 30 Millionen Kubikmeter und in der Europäischen Union 400 Millionen Kubikmeter Holz fehlen werden. Diese Herausforderung müssen wir annehmen. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie?) Es ist wichtig, dass die Waldbesitzer in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen haben, dass wir einen naturnahen, vielschichtigen Wald haben, den wir durch entsprechende Rahmenbedingungen, die wir als Politiker setzen müssen, noch weiter verbessern wollen. Durch unsere Maßnahmen und durch die von uns vorgegebenen Rahmenbedingungen können wir die naturnahe Wirtschaft weiter verbessern. Wichtig ist uns, dass Mischbestände gepflanzt werden. Wir wissen aber auch, dass der Anteil von Nadelbäumen in der Altbestockung 62 Prozent beträgt, in der Jungbestockung nur noch 29 Prozent. Wir müssen darauf achten, dass wir ertragreiche Mischbestände pflanzen und verjüngen, damit das Holzaufkommen auf Dauer gewährleistet ist. Uns ist es wichtig, dass wir durch eine entsprechende Baumartenwahl zur Risikominimierung beitragen. Die Fichte beispielsweise kann durch klimaverträglichere Baumarten wie die Douglasie oder die Küstentanne ersetzt werden. Es sollte sich dabei um einen Mischbestand handeln, der entweder eine Zeitmischung ist oder durch Naturverjüngung entsteht. Es sind Baumarten zu wählen, die sich an dem Standort wohlfühlen, die dort hingehören und Sicherheit ausstrahlen. Ein solcher Waldaufbau ist auf die Zukunft ausgerichtet. Die Frage ist: Wollen wir mehr Flächenstilllegungen? Wir als Union sagen: Das ist nicht der richtige Weg. Wir wollen eine naturnahe Bewirtschaftung durch die Waldbesitzer auf ganzer Fläche. Deshalb sagen wir: Es macht wenig Sinn, in Deutschland Flächen stillzulegen und gleichzeitig den Urwald abzuholzen. Jährlich gehen 13 Millionen Hektar Urwald verloren – das ist mehr als die Fläche Deutschlands –, davon 5 Millionen Hektar auf Dauer. Das ist nicht das Ansinnen der Union. Wir wollen nicht auf Kosten anderer leben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Erdel [FDP]) Wir wollen nicht durch Flächenstilllegungen Holzimporte fördern, die nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Das ist nicht unsere Vorgehensweise. Wir sehen, dass die Waldfläche pro Kopf innerhalb einer Generation weltweit um die Hälfte zurückgegangen ist. Ich denke, deshalb ist es wichtig, dass wir einerseits in Deutschland Waldwirtschaft betreiben, andererseits aber auch globale Vereinbarungen treffen, um auf diesem Gebiet voranzukommen. Wir dürfen nicht auf Kosten anderer zum großen Holzimporteur werden. Eine solche Entwicklung stellen wir in anderen Ländern fest, zum Beispiel hat China mittlerweile Japan als Holzimporteur überholt. Dabei hat China in den letzten fünf Jahren mehr Fläche neu bepflanzt, als Deutschland überhaupt an Wald hat. Andere Länder erkennen also die Bedeutung des Waldes an. Das sollte uns bewusst sein. Wir sollten die Bevölkerung darauf hinweisen, wie wichtig der Wald für uns ist. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank an die Verbände richten, die in diesem Bereich aktiv sind. Dem Bundesverband Säge- und Holzindustrie, dem Bund Deutscher Forstleute, dem Holzwirtschaftsrat, den Waldbesitzer- und Waldbauernverbänden, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und allen anderen Verbänden, die sich für die Verbindung von Naturschutz und wirtschaftlicher Entwicklung – im Sinne der Wertschöpfung vor Ort – einsetzen, sagen wir als Union Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]) Uns ist wichtig, dass wir uns auch der Herausforderung „Wald und Wild“ stellen. Deshalb haben wir in die Waldstrategie aufgenommen, dass die natürliche Verjüngung der Hauptbaumarten ohne Zaun möglich sein muss. Das ist uns wichtig. Das wird auch von der Jägerschaft anerkannt. Für uns bleibt es wichtig, die Jagdausübung weiterhin an das Eigentum zu knüpfen. Gestern gab es ein Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Jagdschutzverbandes, Hartwig Fischer, der ausdrücklich zugesagt hat, dass er das Miteinander von Wald und Wild nicht nur mitträgt, sondern auch voranbringen will. Frischluft, Quellwasser, Tausende von Tier- und Pflanzenarten, über 1 Million Arbeitsplätze, 11 Millionen Hektar Leben und Zukunft – das ist ein großes Pfund. Das sollten wir nicht liegen lassen; dieses Pfund sollten wir aufnehmen. Die Union und die Regierung haben es aufgenommen. Der Wald ist unsere Lebensgrundlage. Diese Einsicht ist Grundlage unseres Handelns und der Waldstrategie 2020. Ich bin ganz sicher, dass die Bundesregierung und die Union mit der Waldstrategie 2020 auf dem richtigen Weg sind. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Petra Crone. (Beifall bei der SPD) Petra Crone (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Wald ist ein komplizierter Lebensraum und eine anspruchsvolle Produktionsstätte. Der Wald ist keine Maschine, die einfach nur funktioniert. Klaus Töpfer hat es zur Eröffnung des Jahres der Wälder passend formuliert: Wälder, Fixpunkte des Lebens, sind nicht reduzierbar allein auf den Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Ich bin froh, dass wir hier und heute über unsere Wälder reden. Viel zu oft gehen die Reden zu waldbezogenen Tagesordnungspunkten zu Protokoll oder werden in den späten Abendstunden gehalten. Mit der Aussprache zur Waldstrategie 2020 der Bundesregierung erhöhen wir den Stellenwert des Waldes in der öffentlichen Debatte. Ich und ich glaube viele andere hier begrüßen das sehr. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD-Bundestagsfraktion wünscht sich Wälder für Deutschland, die älter, bunter und lebendiger werden können. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Älter?) – Ja, älter auch. – Daraus leiten wir eine besondere Verantwortung für die Waldfläche ab. Schutz und Nutzung, die scheinbar ewigen Gegensätze, müssen endlich in einem ganzheitlichen Waldkonzept aufgehen. Der Schutz der Biodiversität, der Erhalt der Gemeinwohlfunktion des Waldes und die Ökonomie müssen sich im Einklang befinden. Die Bundesregierung wollte eben jene ausgewogene und tragfähige Balance zwischen diesen Ansprüchen in der Waldstrategie 2020 finden. Dies ist leider nur in Ansätzen gelungen. Unser Zeugnis sieht wie folgt aus: Die Gewichtung der gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald – mangelhaft; die tatsächliche Partizipation aller gesellschaftlicher Akteure – ungenügend; die Kommunikation zwischen dem Umweltministerium und Ihrem Ministerium, Herr Staatssekretär – stark verbesserungswürdig. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Desaströs!) Wann können wir mit den Entwicklungskonzepten für die zu Recht geforderte Forschung zur Kaskadennutzung rechnen oder zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald? Wann kommt die TEEB-Studie für Deutschland? Welche Mittel will das BMELV in die Hand nehmen, um die Ziele der Waldstrategie 2020 umzusetzen? Fragen über Fragen. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist die Kernfrage: Wie behandelt der Mensch den Wald in einer Zeit, die von Klimawandel und Energiewende geprägt ist? Antworten finden wir in der Nationalen Biodiversitätsstrategie, leider weitaus weniger in der Waldstrategie 2020. Für uns zeichnet sich ein lebendiger Wald dadurch aus, dass er sich an die natürliche Waldgesellschaft annähert, auch und gerade in der Bewirtschaftung. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, fordern dazu seit langem: Die gute fachliche Praxis muss ins Bundeswaldgesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn die Bundesländer in ihren Waldgesetzen noch darüber hinausgehen, freut mich das natürlich sehr. Grundsätzlich gilt aber: Ohne eine erneute Novellierung des Bundeswaldgesetzes wird es nicht gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es bleibt mir unverständlich, warum die Bundesregierung in ihrer Waldstrategie keine Notwendigkeit sieht, diese Forderung umzusetzen. Sie weisen doch immer wieder auf die steigenden Anforderungen an den Wald hin. Glauben Sie allen Ernstes, Herr Staatssekretär, dass die derzeitige Rechtslage in § 11 Bundeswaldgesetz ausreichend ist? (Ulrich Kelber [SPD]: Die kennt er gar nicht!) Im Internationalen Jahr der Wälder 2011 hantieren wir mit Vorschriften aus dem Jahr 1975. Die Leistungen des Waldes besitzen ein gehöriges Potenzial. Das muss mit einer vernünftigen Wald- und Forstpolitik gewürdigt werden. Ich möchte noch einmal aus der Eröffnungsrede von Klaus Töpfer zitieren: Wir sind in einer Welt, in der wir offenbar nur das sehen, was einen Marktpreis hat, und wundern uns auf einmal darüber, dass die Funktionen, die ihn nicht haben, dann offenbar übernutzt werden, … dass damit die Nachhaltigkeit infrage gestellt wird. (Beifall der Abg. Ulrich Kelber [SPD] und Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kurzum: Auch das beste Ökosystem hat seine Grenzen. An dieser Stelle danke ich meiner Kollegin Conny Behm für ihre Nachfrage zum konkreten Holzeinschlagsziel in der Waldstrategie 2020. Die in der Waldstrategie genannte Obergrenze des Holzeinschlags von 100 Millionen Kubikmeter pro Jahr bemisst sich erfreulicherweise in Vorratsfestmetern und nicht, wie befürchtet, in Erntefestmetern. In welcher Höhe der Einschlag in unseren Wäldern nach Vorstellung des BMELV allerdings steigen soll, bleibt weiterhin unklar und im Nebel. Die Gesellschaft ist beim Schutz und bei der Nutzung des Waldes auf qualifiziertes Forstpersonal angewiesen. Sein Fingerspitzengefühl und Können gewinnen immer mehr an Bedeutung. Wer hier spart, spart an der falschen Stelle. Darum sage ich zum wiederholten Mal ganz deutlich: Die SPD-Bundestagsfraktion will einen forstlichen Mindestlohn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Alois Gerig [CDU/CSU]: Damit retten Sie den Wald!) Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung verursachen Kosten. Der Vorteil bzw. der sichtbare Nutzen des Kurswechsels wird sich erst später zeigen. Dies gilt in besonderem Maße für den Wald. Unser Wald kann und darf kein „Heilsbringer“ sein, nur weil er nachwächst. Ich bin der festen Überzeugung, dass es unter anderen Mehrheiten gelingen wird, ein ganzheitliches Waldkonzept zu erstellen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begehen in diesem Jahr das Internationale Jahr der Wälder. Vor den Umweltministerien aller Länder kann man das entsprechende Emblem erkennen und sehen: Das Jahr der Wälder ist weltweit angekommen. Die Bundesregierung hat das Jahr der Wälder unter das Motto „Waldkulturerbe“ gestellt. Ich glaube, das ist eine sehr weise Entscheidung, gerade in Deutschland; denn Deutschland ist ein Land, das vom Wald geprägt ist. In meinem Wahlkreis zum Beispiel liegen Waldstadt (Mölln), Siebenbäumen, Siebeneichen, Buchhorst, Buchholz und Büchen – alles Namen, die auf den Wald Bezug nehmen. Es wird deutlich: Die potenzielle natürliche Vegetation in Deutschland ist der Wald. Vor diesem Hintergrund haben wir eine multifunktionale Forstwirtschaft, die diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird. Deswegen können wir feststellen – das bringt die Waldstrategie sehr deutlich zum Ausdruck –, dass die Biodiversität im Wald sehr viel höher ist als in allen anderen Biotopen, die wir haben. Das zeigt, dass wir sehr verantwortlich mit unseren Wäldern umgehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Das kommt doch sehr auf den Wald an!) Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass Holz in Deutschland der wichtigste nachwachsende Rohstoff ist. 45 Prozent der energetischen Nutzung von Biomasse beruhen auf Holz. Gleichzeitig ist Holz, was die rohstoffliche Nutzung betrifft, im Hausbau, im Möbelbau, in der Papierherstellung usw., ein ganz wichtiger nachwachsender Rohstoff, der beispielsweise auch einen sehr großen Beitrag dazu leistet, die Klimaeffizienz zu erhöhen. Der Rohstoff Holz hat nämlich herausragende Qualitäten. Gerade in Deutschland wird er sehr vielfältig genutzt. Wir alle wissen: Deutschland ist ein dichtbesiedeltes Land; denken Sie nur an Städte wie Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt. Waldspaziergänge gehören für die Menschen in Deutschland zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Das heißt, wir haben Ansprüche an den Wald, die im Naturschutz, in der Produktion von Holz und in der Naherholung liegen. All dies müssen wir unter einen Hut bringen. Die Waldstrategie, über die wir heute diskutieren, tut dies in absolut vorbildlicher Weise. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, ehrlich gesagt: Über Festmeter sollte man im Zusammenhang mit der Waldstrategie nicht reden – das ist nicht der Punkt –, sondern es geht um eine strategische Ausrichtung, wie wir in Zukunft mit unseren Wäldern umgehen wollen. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo sind denn die strategischen Punkte? Erzähl uns doch mal was dazu!) Den Rahmen dafür bietet selbstverständlich das Waldgesetz. Keine einzige Strategie kann Gesetze außer Kraft setzen. Sie bleiben selbstverständlich in Kraft. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist von der Fortwirtschaft geprägt worden. Wo das allerdings zuerst passiert sein soll, darüber streiten sich einige Bundesländer. So sagt etwa mein Kollege, der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, dafür sei Hessen verantwortlich; die Brandenburger sagen das im Übrigen auch. Das heißt, an vielen Orten in Deutschland ist man sich bewusst geworden, dass Nachhaltigkeit für die Nutzung von Wäldern besonders wichtig ist. Dieser Begriff hat auch in die wirtschaftliche Diskussion Eingang gefunden. „Nachhaltigkeit“ bedeutet aber auch die gleichwertige Berücksichtigung der Anliegen von Ökonomie, Ökologie und Sozialverträglichkeit. Dies ist die besondere Herausforderung, der wir im Rahmen der Waldstrategie gerecht werden müssen. Das Cluster Forst und Holz hat eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Es ist insbesondere für den ländlichen Raum von herausragender Wichtigkeit. Dies müssen wir bei all unseren Entscheidungen im Blick haben. Das gilt auch im Hinblick auf das häufig von Naturschutzverbänden formulierte Ziel. Wenn es heißt: „5 Prozent wollen wir gar nicht nutzen“, frage ich mich: Warum eigentlich nicht? Natürlich kann man – das wollen wir auch – auf den gesamten Flächen Naturschutzbelangen Rechnung tragen und sie gleichzeitig nachhaltig nutzen. Das funktioniert, und genau das wollen wir als Liberale. Hier sind wir uns sehr einig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer einmal in den Schwarzwald gefahren ist und gesehen hat, dass dort in jedem zweiten Dorf eine Sägerei steht, der weiß: Wenn man dort ein großes Schutzgebiet ausweisen würde, wie das im Augenblick von den Grünen geplant ist, dann würde das in einem großen Teil des Schwarzwaldes das Aus für den ländlichen Raum bedeuten. Ich glaube, das ist nicht in Ordnung. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht wahr! Das sind Märchen!) – Nein, Herr Ebner, das ist so. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch belegt! Dazu gibt es sozioökologische Studien!) Die Kritik an der Waldstrategie 2020 ist nach meiner Auffassung sehr stark von Misstrauen geprägt. Die Forderung nach guter fachlicher Praxis ist eine Forderung an den Landesgesetzgeber und nicht an den Bund; denn es ist ganz deutlich an Folgendem zu erkennen: In den Wäldern in der Heimat meines Kollegen Rainer Erdel sieht es ganz anders aus als beispielsweise auf den nordfriesischen Inseln. Auch da gibt es Wald – oder das Katinger Watt beispielsweise –, aber die Anforderungen an den Wald sind dort völlig andere als in den Bergländern Deutschlands. Deswegen ist es richtig, wenn wir sagen: Es ist eine Landesaufgabe, für gute fachliche Praxis im Wald zu sorgen. Das zweite Problem, das wir überhaupt nicht übersehen, ist die Wald-Wild-Problematik. Natürlich gibt es sie, und es gibt Missstände an einzelnen Orten; aber es ist Aufgabe der lokalen Behörden, dort zu gerechten Lösungen zu kommen. Das ist nichts, was wir als Bundesgesetzgeber festschreiben können, sondern wir müssen hier das Vertrauen in die lokalen Behörden, in die Unteren Naturschutzbehörden, in die Unteren Jagdbehörden, haben, um dort zu Lösungen zu kommen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mit allen Entscheidungen, die wir heute treffen, Einfluss auf künftige Generationen haben; denn der Baum, der heute gepflanzt wird, wird frühestens in 70 Jahren – in aller Regel sind es 120 bis 160 Jahre – geerntet. Das heißt, mit unserer Entscheidung heute haben wir Einfluss auf die Nutzung in der Zukunft. Wir können schon jetzt absehen, dass wir eine sogenannte Holzlücke haben werden. Wir werden durch das geringere Anpflanzen von Nadelholz eine bedeutende Lücke haben. Liebe Conny Behm, man kann nicht einfach für Akzeptanz der Nutzung von Laubholz werben, wenn man ganz genau weiß, dass Dachstühle nun einmal aus Nadelholz gebaut werden – auch aus Gründen der Statik. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo sind denn eure strategischen Ansätze, um das Problem zu lösen?) Man kann die physikalischen Gesetze selbstverständlich nicht außer Kraft setzen – im Übrigen auch nicht durch eine Waldstrategie. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das geht schlicht und ergreifend nicht, und deswegen haben wir hier Schwierigkeiten. Ich bin sehr froh, das wir als christlich-liberale Koalition eine sehr gute Änderung des Bundeswaldgesetzes auf den Weg gebracht haben, die beispielsweise von Rot-Grün und auch von Schwarz-Rot nicht geschafft worden ist. Wir haben sie schnell auf den Weg gebracht. (Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Wenn nichts drinsteht, kann man es auch schnell auf den Weg bringen! Alles, was richtig gewesen wäre, zu regeln, ist nicht geregelt worden! – Weitere Zurufe von der SPD: Oh!) – Wir haben das sehr schnell auf den Weg gebracht, und zwar mit einer hohen Anerkennung durch die gesamte Öffentlichkeit, werter Herr Kollege Kelber. Sie haben offensichtlich nicht richtig zugehört. – Ich glaube, es ist gut, dass wir damit auch Kurzumtriebsplantagen möglich gemacht haben, die auf Ackerflächen Biomasse in Form von Holz produzieren können. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben noch nicht einmal die Nachhaltigkeit im Gesetz definiert! Sie reden nur über die Nachhaltigkeit!) Aufgrund der komplexen Anforderungen, die an unsere Wälder gestellt werden, ist – hier stimme ich der Kollegin Crone zu – qualifiziertes Personal notwendig. Ich glaube, dass wir gerade in Deutschland qualifiziertes Personal haben, das angemessen bezahlt werden muss. Auch hier bin ich mit Ihnen einer Meinung. Ob man allerdings in jeder Debatte den Mindestlohn ansprechen sollte, wage ich dann doch herzlich zu bezweifeln. (Ulrich Kelber [SPD]: Wir sind froh, dass Sie keine Steuersenkungen für die Wälder fordern! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wenn man sonst nichts auf der Pfanne hat, macht man so etwas! Das ist doch klar!) Ich glaube, dass wir mit dieser Waldstrategie 2020, die von der Bundesregierung vorgelegt worden und von vielen Verbänden mitgetragen und mitgestaltet worden ist, eine gute Strategie für unsere Wälder für die Zukunft haben. Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, in denen neue Wälder entstehen. (Ulrich Kelber [SPD]: Aktuell nicht mehr!) Ich freue mich darüber, insbesondere wenn das in Schleswig-Holstein der Fall ist, wo der Anteil des Waldes noch relativ gering ist. Ich glaube aber, mit dieser Waldstrategie 2020 sind wir insgesamt auf einem sehr guten Weg. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Ob es wieder ein Bündnis mit Schwarz-Gelb gibt?) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit dem Positiven an: Die Waldstrategie 2020 liegt vor. Die Bundesregierung hat immerhin eine Strategie. Das kommt nicht so oft vor. Eine Strategie ist aber bei diesem Thema dringend nötig. Aber damit ist das Lob für heute auch schon wieder zu Ende. Dabei ist die Waldpolitik ein sehr spannendes und auch spannungsgeladenes Politikfeld. Viele Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden, zum Beispiel die Holznutzung, die Erholung, die Jagd und auch der Naturschutz. Bereits existierende Strategien und Aktionspläne müssen berücksichtigt werden, wie zum Beispiel der zur biologischen Vielfalt. Da bleiben Konflikte nicht aus. Ich nenne ein paar Beispiele. Die Nachfrage nach Holz wächst schneller als die nachwachsende Holzmenge. Eine zu starke Holznutzung steht der Speicherung von CO2 und anderen Ökosystemleistungen des Waldes entgegen. Hohe Schalenwildbestände tragen zu Schäden an Bäumen bei. Die Jägerschaft sieht Jogger, Reiter und Pilzsucher eher nicht so gern im Wald. An diesen Anforderungen zur Friedensstiftung im Wald waren die ersten zu wirtschaftslastigen Entwürfe der Waldstrategie prompt gescheitert. Die Kritik des Bundes Deutscher Forstleute und der Umweltverbände war geradezu vernichtend. Der nun hier vorliegende Text ist leider nicht viel besser. Die Bundesregierung hat eine nett zu lesende, aber harmlose Strategie vorgelegt. Das ist angesichts der großen sozialen und ökologischen Herausforderungen der Zukunft deutlich zu wenig. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es reicht eben nicht, Probleme zu benennen, wenn die Ausführungen dazu in der Waldstrategie bei den Zuständigkeiten für die Lösungsvorschläge eher wortkarg bleiben, insbesondere dort, wo die Bundesregierung zuständig wäre. Die Linksfraktion hat bereits im Juli 2011 ihre Anforderungen an eine Waldstrategie auf sieben Seiten veröffentlicht. Wälder sind eben nicht nur Natur- oder Wirtschaftsräume, sondern beides. Wälder haben auch eine wichtige soziale Funktion, insbesondere denke ich hier an die forstlichen Arbeitsplätze. (Beifall bei der LINKEN) Schutz und Nutzung sind aus unserer Sicht auf derselben Fläche möglich, wenn der Wald nachhaltig bewirtschaftet wird. Sozialeres und ökologischeres Wirtschaften auf der gesamten Waldfläche bringt aus meiner Sicht mehr Fortschritt als die Einrichtung von Refugien ohne jegliche Nutzung. Aber Refugien können eine sinnvolle Ergänzung sein und müssen verbindlich verabredet werden. Wir brauchen naturnahe, klimaplastische Wälder. Wir brauchen Wälder, die vielen Tierarten und Pflanzenarten Lebensräume bieten. Wir brauchen artenreiche Mischwälder, die weniger krankheits- und witterungsanfällig sind als reine Nadelbaumbestände. Das sind keine Zukunftsvisionen, sondern es gibt gute Praxisbeispiele für diese Art der Waldbewirtschaftung. Aber klar ist auch: Das ist eine Aufgabe für Generationen. Für die Linke sind zur Sicherung der öffentlichen Interessen im Wald drei zentrale Voraussetzungen wichtig und unverzichtbar: eine starke Forstwissenschaft, der Erhalt öffentlichen Waldeigentums und starke staatliche Forstwirtschaftsbetriebe. Auf drei zentrale Defizite der Waldstrategie möchte ich jetzt eingehen: Erstens: die Forstleute. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung braucht gut qualifizierte und auch gut bezahlte Forstleute. Die etwa hunderttausend Menschen in den Forstbetrieben haben eine körperlich anstrengende und gefährliche Arbeit. 6,5 Prozent aller Arbeitsunfälle passieren im Wald. Deshalb gilt unsere jahrelange Forderung nach einem Mindestlohn natürlich auch für den Wald. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Petra Crone [SPD]) Zweitens: die Holznutzung. Aktuell wird in Deutschland jährlich Holz in einem Volumen von 50 Cheops-Pyramiden verbraucht; Tendenz sogar noch steigend. Die Bundesregierung will deshalb nun die einheimische Holzernte von 80 Millionen auf 100 Millionen Vorratsfestmeter pro Jahr erhöhen. Ohne klare, verbindliche sozialökologische Mindeststandards der Waldbewirtschaftung wird das zum Raubbau führen. Deshalb müssen diese Mindeststandards ins Bundeswaldgesetz – das ist auch schon von der SPD angesprochen worden – aufgenommen werden. Das fordert die Linke seit langem, aber die Bundesregierung verweigert das weiter. Das ist natürlich nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Drittens: die Jagd. Wer Waldumbau will, muss auch über Wild und Jagd reden. Bei hohen Schalenwildbeständen können Jungbäume nur hinter Zäunen schadlos aufwachsen. Das erschwert und verteuert den Waldumbau. Richtigerweise wird in der Waldstrategie eine natürliche Waldverjüngung ohne Zaunschutz gefordert. Aber genau das gelingt vor Ort nicht. Wie können wir also die Wildschäden reduzieren? Sie haben vielfältige Ursachen, zum Beispiel hohe Schalenwildbestände. Diese hohen Schalenwildbestände kommen auch zustande, weil die Agrarlandschaft, wie sie aktuell da ist, exzellente Äsungs- und Schutzbedingungen bietet. Landwirte, Waldbesitzer, Forst- und Jägerschaft müssen also zu einer strategischen Partnerschaft finden, wenn sie das Problem lösen wollen. Wir müssen darüber nachdenken, wie die Politik das konstruktiv begleiten kann. Wir müssen fragen, ob es Defizite im Vollzug der Jagdgesetze gibt oder ob die Jagdgesetze geändert werden müssen. Statt die Vielzahl der Fragen zu beantworten, fordert die Bundesregierung Dritte auf, ein Leitbild zur Jagd zu entwickeln. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr peinlich!) Aus meiner Sicht entzieht sich die Bundesregierung damit ihrer Verantwortung und trägt den Streit in die Dörfer. Das ist unredlich. (Beifall bei der LINKEN) Mein Fazit ist: Der Bund hat seine Bringschuld mit der Waldstrategie nicht erfüllt. Die offenen Fragen böten viel Stoff für eine öffentliche Anhörung. Ich denke, wir sollten das auch fordern und an den Stellen weiter diskutieren, an denen es dringend erforderlich ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat die Kollegin Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie man hören konnte, sind die Koalitionsfraktionen mächtig stolz auf die Waldstrategie, die die Bundesregierung vorgelegt hat, (Josef Göppel [CDU/CSU]: Allerdings!) nach vielem Hin und Her und nach vielen Jahren der Vorbereitung. Ich meine, Sie haben dazu keinen Grund. Nach meinem Dafürhalten verdient das Papier auch nicht den Namen „Strategie“; denn es ist sehr dürftig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Von einer Strategie erwarte ich Ziele und Ideen, wie man diese Ziele erreichen kann, also Maßnahmen und Instrumente. Aber das bleibt die Waldstrategie schuldig. Es bleibt aus diesem Grunde völlig offen, wie Sie in allen deutschen Wäldern bis 2020 zu einer naturnahen Waldbewirtschaftung kommen wollen. Die Regierung spricht von einer gesellschaftlichen Chance und Herausforderung. Viel mehr, als die Herausforderungen zu beschreiben, tun Sie jedoch nicht. Wie Sie diese angehen wollen, bleibt weitgehend im Dunkeln. Dabei gehört es zu den Herausforderungen der Politik, durch naturnahe Waldbewirtschaftung sowohl den Herausforderungen des Klimawandels und des dramatischen Verlustes an biologischer Vielfalt gerecht zu werden als auch die Chancen für die Menschen im ländlichen Raum zu verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der sogenannten Waldstrategie werden neun Handlungsfelder beschrieben. Das ist im Übrigen nicht falsch. Aber wie sieht es mit den Lösungsansätzen aus? Ich will nur auf drei Handlungsfelder eingehen. Zur Verwendung des Rohstoffes Holz: Die wenigen Lösungsansätze, die präsentiert werden, um den wertvollen nachwachsenden Rohstoff Holz nachfragegerecht zur Verfügung zu stellen, sind völlig unzureichend. Das ist auch für den Naturschutz dramatisch. Denn wenn nichts gegen die sich auftuende Holzlücke, die im Jahr 2020 nach Prognosen 30 Millionen Erntefestmeter betragen könnte, getan wird, dann droht angesichts fehlender waldrechtlicher Schutzmechanismen eine Übernutzung der Wälder. Ihre immer wieder wiederholte Behauptung, dass das Naturschutz- und Waldrecht das bereits heute bundesweit verhindere, ist leider schlicht falsch. Da die prognostizierte Holzlücke fast ausschließlich aufgrund des Ausbaus der Holzenergie entsteht, wäre meines Erachtens genau hier die Schaltstelle. Doch Sie legen den Hebel nicht um. So wird der Rohstoff Holz zu immer größeren Teilen direkt verfeuert werden. So fahren Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, trotz Waldstrategie sehenden Auges bedeutende Teile der Holzwirtschaft an die Wand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Einzige, was den Koalitionsfraktionen seit Jahr und Tag zum Handlungsfeld „Biologische Vielfalt und Waldnaturschutz“ einfällt, ist der Verzicht auf die Umsetzung des 5-Prozent-Ziels für Wälder mit natürlicher Entwicklungsdynamik. Dabei geht es um 3 Millionen bis 5 Millionen Festmeter jährlich. Zugegeben, das ist eine nicht unerhebliche Größenordnung. Aber – das müssen Sie zugestehen – weder haben wir heute eine 100-prozentige Nutzung der Waldfläche in Deutschland, noch lässt sich die Holzlücke auch nur annähernd mit diesem Holz schließen. Ich sage ganz klar: Ein Entweder-oder zwischen Waldnaturschutz und Holzversorgung ist der völlig falsche Weg. Wir brauchen sowohl den Erhalt der biologischen Vielfalt im Wald als auch eine gute Versorgung mit Holz, wenn wir fossile Rohstoffe ersetzen wollen. (Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Wir brauchen eine Politik, die die verschiedenen Anforderungen an den Wald integriert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss zur Jagd. Ausgangslage und Herausforderungen sind richtig beschrieben, doch Ihre Lösungsansätze sind eine bunte Mischung aus „Weiter so!“ und „Wünsch dir was!“. Es ist doch billig, neben einem allgemeinen Bekenntnis zur Jagd die verschiedenen Akteure zum Handeln aufzufordern, aber keinerlei eigenen Handlungswillen zu zeigen. Die Verantwortung für wald-angepasste Wilddichten lediglich auf Dritte abzuschieben, zeugt schlicht von mangelndem Gestaltungswillen oder auch von mangelndem Gestaltungsvermögen. Aber das ist bei dieser Regierung auch nichts Neues. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind wir ja gewohnt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren erleben wir einen waldpolitischen Stillstand. Es wird Zeit, dass dieser durch waldpolitische und holzwirtschaftliche Tatkraft abgelöst wird. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Josef Göppel von der CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Josef Göppel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der wichtigste Satz der Waldstrategie steht in Kapitel 3.3, dass nämlich die Holzernte maximal bis zur Höhe des durchschnittlichen jährlichen Gesamtzuwachses gesteigert werden darf. Es steht noch dort: „Der Wald soll als CO2-Senke erhalten bleiben.“ Das ist die richtige Antwort auf die Diskussion, die es jetzt in Deutschland gibt, wonach man mehr Holz einschlagen müsse, damit mehr junge Bäume gepflanzt werden könnten und mehr Kohlenstoff gespeichert werden könne. An dieser Diskussion sind zwei Dinge falsch. Von dem Holz, das wir einschlagen, wird nur ein Drittel dauerhaft in Bauwerken und Möbeln verarbeitet, (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Zu wenig!) zwei Drittel werden kurzfristig verwertet. Der andere Punkt ist, dass ein junger Wald etwa zwei Jahrzehnte braucht, bis er anfängt, nennenswert Kohlenstoff zu speichern. Deswegen ist diese Festlegung der Waldstrategie eine zukunftsweisende politische Entscheidung. Ich halte das für richtig und für gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in Kapitel 3.2 Aussagen zu den Fachkräften. Das ist in der Diskussion schon mehrfach erwähnt worden. Es heißt dort, dass eine Mindestpräsenz gut ausgebildeter Fachkräfte nicht unterschritten werden darf und dass der öffentliche Waldbesitz hier eine besondere Verantwortung trägt. Wir mussten erleben, dass in fast allen Landeswaldungen in den letzten fünf Jahren Fachkräfte massiv abgebaut wurden. Wenn aber die Förster und die Waldarbeiter aufgrund der Übergröße des Reviers ihren Wald gar nicht mehr kennen, mehr Zeit im Auto als im Wald verbringen und anhand von Luftbildkarten die Entscheidungen treffen müssen, dann ist die Nachhaltigkeit gefährdet. Deswegen finde ich die Aussage zu den qualifizierten Fachkräften und einer Höchstgröße der Reviere auch so wichtig. Es ist auch die Rede vom kleinen Privatwald, der noch viele Holzreserven hat. Die Waldstrategie sagt dazu, dass die Beratungsleistungen im kleinen Privatwald eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge sind und deswegen ausgebaut werden müssen. Ich frage mich, wie die Oppositionsabgeordneten dazu kommen, zu sagen, hier würden keine zukunftsweisenden Festlegungen getroffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Waldstrategie greift die entscheidenden Themen auf. Es gibt eine Diskussion über die 5 Prozent Naturschutzflächen. Auf der anderen Seite sagen Förster und Waldbesitzer, im Wald seien Nutzung und Schutz auf gleicher Fläche möglich. Aufgrund meiner 30-jährigen beruflichen Tätigkeit als Förster halte auch ich das für möglich. Gleichzeitig muss man sagen: Wer das in Anspruch nimmt, der muss auch dafür sorgen, dass qualifizierte Fachkräfte ihren Wald so gut kennen, dass sie Nutzung und Schutz tatsächlich vereinbaren können. (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) Das betrifft den Punkt, den ich schon erwähnte: die Mindestpräsenz qualifizierter Fachkräfte. Die Strategie der Bundesregierung zur biologischen Vielfalt gilt auch für den Wald. Deswegen ist diese 5Prozent-Diskussion müßig. Sie wird übrigens möglicherweise ein überraschendes Ergebnis haben: Einige Landesforstverwaltungen haben bereits nach Ausgleichsflächen für Windräder im Staatswald gesucht, und siehe da: Die Expertisen, die man angefertigt hat, besagen, dass Flächen in einer Größenordnung von 4 oder 5 Prozent der Fläche des Waldes als Ausgleich für Windräder im Wald möglich sind. Angesichts dessen sind die Festlegungen, die in der jetzt gültigen Waldstrategie verankert sind, als gute Lösung des Naturschutzproblems anzusehen. Die Forstwirtschaft muss immer so betrieben werden: aufmerksam auf die Natur schauen, behutsam mit der Natur umgehen, aber wirtschaftlich denken; auch das gehört dazu. Das zusammen macht die Nachhaltigkeit aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig: Wenn man über eine Waldstrategie spricht, dann spricht man über eine Nachhaltigkeitsstrategie. Frau Kollegin HappachKasan hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Begriff in der Forstwirtschaft entstanden ist. Es war mit Georg Ludwig Hartig einer der berühmtesten deutschen Forstwissenschaftler, der 1804 etwas zur Menge geschrieben hat – ich zitiere –: Es läßt sich keine dauerhafte Forstwirtschaft denken und erwarten, wenn die Holzabgabe aus den Wäldern nicht auf Nachhaltigkeit berechnet ist. Er ist aber auch auf die anderen Leistungen des Waldes, die dieser für die Gesellschaft bereitstellt, eingegangen. Noch einmal ein Zitat: … doch so zu benutzen suchen, daß die Nachkommenschaft wenigstens ebenso viel Vorteil daraus ziehen kann, als sich die jetzt lebende Generation zueignet. Das ist eine klare Definition des Begriffs, eine Erkenntnis, die in Deutschland nachher nicht immer befolgt wurde – das sehen wir an Schäden im Wald –, und eine Erkenntnis, die aufgrund des wachsenden Nutzungsdrucks auf den Wald wiederum gefährdet ist. Die weiteren Lebensgrundlagen – neben der reinen Bereitstellung von Holzmaterial – haben einige Rednerinnen und Redner schon angesprochen. Umso wichtiger ist es, eine Waldstrategie nicht so anzulegen, dass der Wald nur zu einem Holzlieferanten degradiert wird. Wir haben in diesem Plenum und auch in den entsprechenden Ausschüssen oft schnell Einigkeit im Hinblick auf den internationalen Klimaschutz, sei es beim Schutz der Regenwälder oder sei es beim Schutz der Wälder Kanadas und Russlands. Eine kleine Ausnahme ist im Augenblick sicherlich die Frage des Schutzes des Yasuní-Regenwaldes. Dazu haben wir zwar als Parlament einheitliche Beschlüsse gefasst, aber ein Mitglied der Bundesregierung, das nicht anwesend ist, ist der Meinung, diese Beschlüsse nicht umsetzen zu müssen, (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ich glaube, er hat recht!) wodurch eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen gefährdet wird. (Beifall bei der SPD) Die Maßnahmen, die wir anderen Ländern zum Schutz von Wäldern empfehlen, das, was wir ihnen empfehlen, wie nachhaltige Waldnutzung aussieht, das muss doch auch für unsere heimischen Wälder gelten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deswegen müssen wir diese Maßstäbe festschreiben und dürfen sie nicht nur der Gutmütigkeit des Einzelnen überlassen. Ich glaube, dass die große Mehrheit der Waldbauern möchte, dass wir das, was sie bereits tun, festschreiben, damit alle so handeln müssen, auch diejenigen, die nicht aus der gleichen Tradition nachhaltiger Waldnutzung kommen. Was ist unsere Kritik an der Waldstrategie der Bundesregierung? Ich greife vier Jahre zurück, nämlich zu der von CDU/CSU und SPD gemeinsam verfassten nationalen Biodiversitätsstrategie, die durchaus eine ganze Menge Lob bekommen hat, auch aus der Community heraus, für konkrete Qualitäts- und Handlungsziele mit genauen Zieljahren und konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele. Umso erstaunter sind wir, dass einige dieser Maßnahmen heute nur noch Lippenbekenntnisse sind und nicht mehr umgesetzt werden. Ein Beispiel – das ist heute offensichtlich geworden – ist die Frage der 5-Prozent-Regelung bezüglich naturbelassenen Waldes. Die Vertreter des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die diese Nachhaltigkeitsstrategie damals mitentwickelt haben, stellen dies heute als Fehler dar. Der erste Redner von der CDU/CSU, der Kollege Caesar, hat ebenfalls gesagt, dass er dies nicht unterstützt. Insofern bin ich dankbar, zu sehen, dass es auch innerhalb von Schwarz-Gelb dazu unterschiedliche Ansichten gibt. Die Verjüngung des Waldes, der Artenreichtum und die Vielfalt sind auf solche Naturwaldzellen, auf solche Urwaldzellen angewiesen. Sie stellen eine besondere Bedeutung unserer heimischen Wälder dar. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dies als Stilllegung, also mit einem Begriff aus der intensiven Nutzung von Ackerflächen, zu diffamieren, zeigt, dass man den Wald zu einem reinen Holzlieferanten degradieren möchte. Das wäre ein großer Fehler. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir brauchen verbindliche Vorgaben für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung. Wir müssen große Kahlschläge verbieten. (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Die sind verboten!) Wir müssen dafür sorgen, dass neuartige Erntemaschinen den Wald nicht inklusive der Wurzeln leerfegen können. Darüber hinaus müssen wir die Wiederaufforstung mit heimischen Baumarten festschreiben. Der Einsatz für Regenwälder ist die Kür des Naturschutzes, der Einsatz für eine nachhaltige Politik für die heimischen Wälder ist die Pflicht, und dahin muss Schwarz-Gelb zurückkehren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Da sind wir schon lange!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Alois Gerig von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Alois Gerig (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Gäste! Ich möchte eingangs meiner Freude darüber Ausdruck geben, dass wir zum Ende einer durchaus anstrengenden Sitzungswoche ein so schönes Thema wie den deutschen Wald hier diskutieren dürfen, und ich bedauere sehr, dass nicht alle Kolleginnen und Kollegen der Opposition diese Freude mit mir teilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Waldstrategie der Bundesregierung ist viel mehr als ein symbolischer Beitrag zum internationalen Jahr der Wälder. Deshalb vorab mein Dank an die Ministerin und an das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für die Idee, für den Dialog mit möglichst vielen Beteiligten und für dieses Ergebnis. (Ulrich Kelber [SPD]: Die hört gerade nicht zu!) Diese Waldstrategie wird der Bedeutung unserer Wälder – immerhin ist ein Drittel Deutschlands mit Wald bewachsen – gerecht. Die Bundesregierung zeigt damit Wege auf, wie wir den steigenden Ansprüchen an den Wald begegnen und mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung seine ökologische, ökonomische und soziale Funktion bewahren können. Für diese Zielsetzung verdient die Waldstrategie unser Lob und unsere Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da die Strategie darauf abzielt, verschiedene und damit auch gegensätzliche Nutzungsansprüche an den Wald in Einklang zu bringen, stellt sie notwendigerweise einen Kompromiss dar. Aber ich kann schon behaupten – davon bin ich überzeugt –, dass wir die Balance gefunden und auch das richtige Augenmaß gewahrt haben und jetzt keine ideologischen Scheuklappen aufsetzen müssen. Ich habe die Waldstrategie in meinem Wahlkreis mit Waldeigentümern, Forstbetriebsgemeinschaften, Förstern, Naturschützern und Jägern diskutiert, und ich kann berichten, dass sie durchaus auf positive Resonanz an der Basis stößt. Insbesondere wird anerkannt, dass die Bundesregierung an die bisherige Waldpolitik anknüpft und zusätzlich Themen aufgreift, die den Praktikern vor Ort unter den Nägeln brennen. Bei meinen Gesprächen zur Waldstrategie sorgte insbesondere die Frage für Zündstoff, wie viel Wald zum Schutz der Biodiversität aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen werden sollte. Es ist vernünftig, dass die Waldstrategie keine pauschalen Vorgaben für Waldstilllegungen vorsieht, die über die Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung hinausgehen. Wir haben diese Biotope schon, wie es der Kollege Caesar sehr richtig gesagt hat. Wir sollten uns hier einmal an den Fakten orientieren. Weltweit nehmen die Waldbestände – das haben wir schon besprochen – ab; in Deutschland nehmen sie seit Jahren zu. In unseren Wäldern schlummert proportional deutlich mehr Holzpotenzial als in Europa und in der Welt. Eines kann man deshalb auch sagen: In den letzten Jahrzehnten waren viele Waldbesitzer wegen der schlechten Holzpreise für ihren Besitz geradezu gestraft. Denen sollten wir doch einmal gönnen, dass sie finanziell etwas Luft zum Atmen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ihnen auch: Die große Masse der Waldbesitzer ist nicht nur naturverbunden, sondern wirtschaftet solide, vernünftig und mit dem nötigen Augenmaß, sodass ich überhaupt keinen Grund für die Befürchtung sehe, dass in deutschen Wäldern Raubbau Einzug halten könnte. Gleichwohl – und dies wird in der Waldstrategie festgeschrieben – müssen wir Spielregeln für die neuen, immensen Herausforderungen aufstellen, die auf unsere Wälder zukommen. Aufgrund der Verknappung fossiler Rohstoffe ist mit einer steigenden Holznachfrage zu rechnen; das haben wir schon besprochen. Damit Deutschland seine ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen kann, ist es wünschenswert, dass Holz sowohl stofflich als auch energetisch genutzt wird. Der Cluster „Forst und Holz“ erwirtschaftet mit 1,2 Millionen Beschäftigten immerhin einen Umsatz von rund 170 Milliarden Euro pro Jahr. Zu den Zielen der Waldstrategie gehört deshalb zu Recht, diesen besonders für den ländlichen Raum so wichtigen Wirtschaftszweig zu sichern, indem möglichst viel Holz aus heimischen Wäldern bezogen wird. Ich halte nichts davon, die forstwirtschaftliche Nutzung gegen den Naturschutz auszuspielen. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das machen Sie doch!) Bemerkenswert ist nämlich, dass eine nachhaltige Waldnutzung auch zum Klimaschutz beiträgt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!) Es ist erwiesen: Indem wir unseren Wäldern Holz entnehmen und einer stofflichen und/oder energetischen Verwendung zuführen, wird jährlich die Freisetzung – man beachte! – von rund 80 Millionen Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoffen vermieden. Um die Stabilität unserer Wälder zu verbessern, sieht die Waldstrategie unter anderem den Anbau von standortgerechten und vorwiegend heimischen Baumarten mit hoher Widerstandsfähigkeit vor. Das heißt aber auch, dass es erlaubt sein muss, dass an manchen Standorten anstelle der Fichte, die zum Beispiel wegen des Klimawandels nicht mehr so gut geht, auch einmal eine Douglasie gepflanzt wird. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ist okay! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie schreiben ja nicht fest, wie oft!) Mit dem Waldklimafonds wird die Koalition ein geeignetes Instrument schaffen, um die Anpassung unserer Wälder an Klimaveränderungen finanziell zu fördern. (Ulrich Kelber [SPD]: Aus rein wirtschaftlichen Erwägungen!) Dabei ist mir wichtig, dass das Geld auch dort ankommt, wofür es vorgesehen ist, nämlich beim deutschen Wald. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Eine nachhaltige und naturnahe Waldbewirtschaftung sowie die Vorbereitung unserer Wälder auf den Klimawandel ist nur dann gewährleistet – das hat Herr Josef Göppel ausgeführt –, wenn genügend Fachpersonal zur Verfügung steht. Ebenfalls muss es darum gehen – auch das hat Herr Kollege Göppel ausgeführt –, Waldbesitzer mit nur kleinen Beständen zu unterstützen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Waldstrategie mit ihren vielen zukunftsweisenden Lösungsansätzen zeigt, dass die Bundesregierung ihre Verantwortung für den deutschen Wald sehr ernst nimmt. Die Strategie ist darauf ausgerichtet, Bewährtes zu erhalten: Der deutsche Wald soll auch künftigen Generationen als Natur-, Wirtschafts- und Erholungsraum dienen. Ich bitte Sie alle: Lassen Sie uns dieses Ziel weiterhin gemeinsam verfolgen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das war die schwächste Rede der ganzen Debatte!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7292 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 17/7667 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 a und b sowie den Zusatzpunkt 11 auf: 31 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulrich Kelber, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimadiplomatie der Bundesrepublik Deutschland – Drucksachen 17/4705, 17/6861 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Kerstin Müller (Köln), Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neue Initiative für transatlantische Kooperation in der Klima- und Energiepolitik – Drucksache 17/7356 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN China als wichtiger Partner im Klimaschutz – Drucksache 17/7481 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Frank Schwabe von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Frank Schwabe (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Die Welt ist schon komisch. Wenn es eine Krise gibt, hat man diese irgendwann kommen sehen, aber nichts dagegen unternommen. Manchmal ist die Situation gar nicht so schlimm, und trotzdem steht viel in den Zeitungen; manchmal ist es viel schlimmer, aber es steht wenig in den Zeitungen. Auch die Finanzkrise haben alle kommen sehen, aber man hat nicht rechtzeitig etwas dagegen unternommen. Ebenso sehen alle die Klimakrise kommen, aber man macht relativ wenig dagegen. Irgendwann sieht man dann die dramatischen Auswirkungen und fragt sich, warum man nichts getan hat, als man etwas hätte tun können – nämlich heute. Das Jahr 2010 war das Jahr, in dem der Treibhausgasanstieg weltweit am stärksten war. Das Jahr 2010 war das wärmste Jahr seit der Messung der Temperaturen. Das heißt, alle Szenarien, die im Rahmen des Weltklimarats angedacht und die natürlich auch umstritten waren, sind mittlerweile von der Realität überholt worden. Im Umweltausschuss in dieser Woche haben uns Klimazeuginnen aus drei Ländern der Erde sehr eindrucksvoll geschildert, wie sich der Klimawandel bei ihnen auswirkt. Gleichzeitig gibt es in manchen Ländern merkwürdigerweise noch Debatten über die Frage, ob der Klimawandel Realität ist und ob der Mensch dafür verantwortlich ist. Seit sechs Jahren fahre ich zu Klimakonferenzen. Was ich – und vermutlich die ganze Welt – dabei gelernt habe, ist, dass Klimakonferenzen weit mehr sind als Umweltkonferenzen. Es geht darum, wie die Welt sich neu positioniert – in wirtschaftlichen Fragen und in entwicklungspolitischen Fragen. Kurz: Es ist ein umfassendes Thema, vor allen Dingen für die Außen- und Entwicklungspolitik. Ich begrüße ausdrücklich, dass es auch unter dieser Bundesregierung den einen oder anderen Fortschritt gibt und dass das Thema mittlerweile sogar im UN-Sicherheitsrat auf der Tagesordnung war, wenn auch mit einer sehr schwachen Beschlusslage. Ebenso finde ich es gut, dass das Außenministerium die Konferenz in Durban durch eine Veranstaltung vorbereitet. Aber das alles ist bei weitem nicht ausreichend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir befinden uns in einer wirklich absurden Situation. Wenn man in der Welt herumkommt, dann trifft man in den deutschen Botschaften auf Botschafter, die – und das ist nicht persönlich gemeint – nicht so genau wissen, was Deutschland in dem Bereich eigentlich macht. Sie haben Mühe, einen Überblick über alle Programme zu bekommen. Außerdem mangelt es an Expertise. Da können wir von den Briten lernen, die mittlerweile einen großen Teil ihres Außenministeriums auf Fragen der internationalen Klimapolitik spezialisiert haben. An den britischen Botschaften findet man Experten, an der Britischen Botschaft in Deutschland gleich mehrere. Das brauchen wir auch an den deutschen Botschaften. Es gab Klimainitiativen des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in den USA. Wir haben in diesem Zusammenhang eine Große Anfrage gestellt. In der Antwort darauf fehlte die Antwort auf unsere Frage zu einer Initiative Deutschlands in den Bundesstaaten der USA, was den Emissionshandel betrifft. Diese Initiative scheint es nicht mehr zu geben. Das heißt, im Bereich der Außenpolitik ist viel zu tun. Aber das reicht nicht. Wir brauchen eine institutionelle und personelle Verankerung in der Außenpolitik. Ebenso wichtig ist, dass die Bundesrepublik Deutschland in dem Bereich eine Führungsrolle übernimmt. (Beifall bei der SPD) Es tut mir leid: Dort versagen Sie auf ganzer Ebene. Wir haben schon mehrfach miteinander darüber diskutiert, was international notwendig ist. Führung, Leadership, wäre notwendig. Vertrauen – das, was international als „Trust“ bezeichnet wird – wäre notwendig. Das leisten Sie nicht. Im Bereich der Klimafinanzierung ist es weiterhin so, dass 88 Prozent der Gelder, die im Rahmen der Fast-Start-Finanzierung zugesagt wurden, von Ihnen nicht bereitgestellt werden. Es sind also gerade einmal 12 Prozent der Gelder geflossen. Diese Quote ist im Bereich der internationalen Klimapolitik definitiv nicht ausreichend, um für Deutschland eine Vorreiterrolle reklamieren zu können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Da ist ja der Iran mit seinen Planungen zuverlässiger!) Was die Reduktion der Emissionen angeht, ist die Europäische Union nicht ambitioniert genug. Ich habe heute in der Süddeutschen Zeitung von Herrn Außenminister Westerwelle den Satz gelesen: Wir haben eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz. Man hat ihm da einen richtigen Satz aufgeschrieben. Er ist bloß nicht unterlegt. Herr Röttgen ist mittlerweile eine traurige Gestalt geworden. Er predigt seit über einem Jahr das 30-Prozent-Ziel. Er wird aber von der Koalition, der Bundesregierung und auch von der Bundeskanzlerin sträflich allein gelassen. Herr Kauch, Sie werden gleich noch reden. Vielleicht können Sie dann einmal die Frage beantworten, wie Herr Westerwelle zu dem 30-Prozent-Ziel steht, da er doch an dieser Stelle für Deutschland eine Führungsrolle reklamiert. Sie von der Koalition wissen ganz genau, dass auch das deutsche 40-Prozent-Ziel nicht einzuhalten ist. Deswegen wollen Sie wahrscheinlich auch kein Klimaschutzgesetz; denn damit würde dieses Ziel rechtlich fixiert werden. Sie wissen genau, dass diese Zahl das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. Es gibt andere Länder in der Europäischen Union – ich nenne Großbritannien, zum Teil Frankreich, aber auch skandinavische Länder –, die beim 30-Prozent-Ziel innerhalb der Europäischen Union voranschreiten wollen. Sie sind aber nicht dabei. Sie werden nachher wieder darauf verweisen, dass es bei uns Bewegung in dieser Frage gibt. Aber das Fenster für das Einnehmen einer Vorreiterrolle in der Europäischen Union schließt sich. Ich bin mir sicher, dass dies im ersten Halbjahr des nächsten Jahres der Fall sein wird. Daher sollten Sie an dieser Stelle Ihre Hausaufgaben machen. Hinsichtlich des internationalen Klimaschutzes ist ein integrierter Ansatz im Rahmen der Außenpolitik notwendig. Ich sehe zwar gewisse Fortschritte. Aber was die deutsche Führungsrolle angeht, da versagen Sie kläglich. Solange Sie nicht in der Lage sind, eine andere Rolle einzunehmen, sollten Sie den Begriff von der Vorreiterrolle nicht mehr in den Mund nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Andreas Jung für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Anschluss an die Rede von Frank Schwabe will ich zunächst einmal feststellen: Es ist wahr, dass die öffentliche Debatte derzeit von der Euro-Krise und der Finanzkrise in Europa geprägt wird. Wahr ist aber auch: Die Herausforderungen des Klimaschutzes sind nicht weniger wichtig geworden. Wir konnten erst dieser Tage wieder lesen, dass der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen weiter steigt. Deshalb ist energisches und auch schnelles Handeln dringend geboten. Es wäre nichts gewonnen, wenn wir am Ende zwar die Euro-Krise und die Finanzkrise bewältigen würden, aber das Klima uns sozusagen um die Ohren fliegt. Es ist richtig, wenn in der Großen Anfrage der SPD und auch in den vorliegenden Anträgen davon gesprochen wird, dass Klimaschutz ein wichtiges Thema für die diplomatischen Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland bleibt. Wir wissen, dass wir das globale Problem des Klimawandels nur mit unseren Partnern lösen können. Diese Partner sind souveräne Staaten, die wir zu nichts zwingen können und die für einen engagierten und ambitionierten Klimaschutz nur auf dem Verhandlungswege gewonnen werden können. (Josef Göppel [CDU/CSU]: So ist es!) Es ist übrigens bemerkenswert – so ist es in der Antwort auf die Große Anfrage zu lesen –, was an Aktivitäten auf allen Ebenen schon erfolgt ist. Aufgrund der Erkenntnis, dass der Klimawandel eines der ganz zentralen Themen ist, wissen wir, dass diese Aktivitäten noch verstärkt werden müssen. Deshalb finde ich es richtig, dass der Bundestag dieses Anliegen unterstützt. Ich halte es ebenfalls für richtig, dass wir dies gerade im Vorfeld der Konferenz von Durban tun. Wir wissen, dass kritisch auf diese Konferenz geschaut wird. Es wird die Frage gestellt, ob solche Konferenzen Sinn machen und ob es nicht viel zu langsam vorangeht. Es ist wahr: Auf all diesen Konferenzen haben wir noch nicht das erreicht, was wir erreichen wollten und was wir am Ende erreichen müssen. Wir alle sind vor zwei Jahren von der Konferenz in Kopenhagen resigniert und frustriert nach Hause gefahren, weil dort in der Tat viel Porzellan zerschlagen wurde. Ein Teil dieses Porzellans wurde in Cancún zusammengeflickt. Immerhin ist der Schritt dahin gelungen, dass erstmals das 2-Grad-Celsius-Ziel, das die Forscher bei der Bekämpfung des Klimawandels für wesentlich erachten, anerkannt wurde. Wahr ist auch, dass das nur ein erster Schritt war. Als zweiter Schritt fehlt noch die Folgerung daraus, nämlich die Verpflichtung von Industriestaaten, die Beteiligung von Schwellen- und Entwicklungsländern mitzutragen, und zwar in Form eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens. Das bleibt unser Ziel, auch in Durban. Wir wissen aber, dass es schwierig bis ausgeschlossen sein wird, schon dort einen Durchbruch zu erreichen. Deshalb ist es richtig, zu sagen – wie auch beantragt wird –, dass wir einerseits dieses Ziel in Durban verfolgen werden, wir andererseits unterhalb dieser Ebene prüfen müssen, wie wir das Ganze voranbringen. Das kann zum einen dadurch geschehen, dass wir unsere Bereitschaft ankündigen, eine zweite Kioto-Verpflichtungsperiode einzugehen, um so unsere Ziele erreichen zu können. Zum anderen können wir auf diplomatischem, auf politischem Weg Kooperationen mit Partnern überall auf der Welt eingehen. Dabei dürfen wir insbesondere die USA und China als die beiden Hauptemittenten von CO2 nicht aus der Verantwortung lassen. Ich bin davon überzeugt, dass das eine Botschaft der deutschen Außenpolitik sein muss. Kein Staat kann eine Führungsrolle beanspruchen, der bei dem entscheidenden Thema Klimaschutz nur am Rande steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich komme auf das zu sprechen, was wir in Deutschland tun. Deutschland muss seine Führungsrolle weiterhin kraftvoll wahrnehmen. Das hat mit unserem praktischen Handeln zu tun. Ich nenne als Beispiel die Energiewende. In diesem Jahr haben wir im Konsens den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Dabei gab es von vornherein immer eine Voraussetzung, nämlich dass wir unsere Klimaziele dadurch nicht infrage stellen. Das unbedingte Ziel lautet, bis 2020 40 Prozent an Emissionen gegenüber 1990 einzusparen. Das steht nicht zur Disposition. Dazu bekennen wir uns. Alleine die Tatsache, dass wir uns in Deutschland auf den Weg machen, mit neuen Technologien und erneuerbaren Energien dieses Ziel zu erreichen und darin auch eine wirtschaftliche Chance sehen, löst Diskussionen und ein Umdenken bei Staaten auf der ganzen Welt aus. Das ist ein erster wichtiger Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der zweite wichtige Punkt – auch das wurde bereits angesprochen – ist, wie wir bei den internationalen Verhandlungen auftreten. Die Bundeskanzlerin hat klare Zusagen gemacht, was die Finanzierung und die Partnerschaften mit den Entwicklungsländern anbelangt. Diese Botschaft will ich ganz deutlich unterstreichen. Diese Zusagen müssen eingehalten werden. Das ist auch eine Forderung der Unionsfraktion. Hierzu brauchen wir Transparenz und Klarheit in Deutschland und darüber hinaus eine Vergleichbarkeit mit unseren Partnern in den anderen Industriestaaten. Daran misst sich unsere Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik. Das steht völlig außer Frage. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich komme zum letzten Punkt. Herr Kollege Schwabe hat die Frage angesprochen, wie es in den anderen europäischen Staaten aussieht. Machen die dasselbe wie wir? Folgen diese Staaten den Vorgaben, die wir in Deutschland mit unserem unbedingten 40-Prozent-Ziel eingeschlagen haben? Hierüber gibt es nach wie vor eine Diskussion innerhalb der Bundesregierung, aber auch unter den Koalitionsfraktionen. Ich persönlich hielte es für richtig – diese Meinung wird geteilt von den Kolleginnen und Kollegen im Umweltausschuss –, wenn die Europäische Union unseren Weg nachvollzieht, sich zu einem unbedingten Klimaziel bekennt und die einzelnen Staaten ihre Vorgaben entsprechend aufstocken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür werde ich in den nächsten Tagen und Wochen weiter werben. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht mal!) Sie wissen: Viele Diskussionen sind noch zu führen. Es gibt dabei viel Überzeugungsarbeit zu leisten, die wir gerne übernehmen wollen. Die deutsche Vorreiterrolle im Klimaschutz bleibt. Wir arbeiten dafür, dass in Durban weitere wesentliche Schritte auf dem Weg zu einem Klimaabkommen unternommen werden können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort auf die Große Anfrage der SPD zur Klimadiplomatie der Bundesrepublik Deutschland hat 34 Seiten. Bei allem Respekt vor der Arbeit der Beteiligten: Was machen wir jetzt damit? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Es ist bereits jetzt klar, dass die UN-Klimakonferenz auch dieses Jahr wie das Hornberger Schießen ausgehen wird. Am Mittwoch bemerkte eine Klimazeugin aus Papua-Neuguinea im Umweltausschuss, dass wir uns auf COP 17 in Durban über das Scheitern von COP 16 in Cancún unterhalten. Da hatten wir uns über die Katastrophe der COP 15 in Kopenhagen verständigt. Kein Wunder, dass uns immer mehr Menschen aus Umweltbewegungen die Frage stellen, was die jährlichen Treffen der Klimadiplomaten und Lobbyisten überhaupt bringen. Um eines klarzustellen: Ich bin nicht der Meinung, dass die Klimaverhandlungen überflüssig sind. Globale Probleme müssen auch global geklärt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD]) Doch ich frage mich dann schon, ob die debattierte Minimallösung – etwa ein bis 2017 verlängertes Kioto-Protokoll mit unveränderten Minderungszielen – tatsächlich Sinn macht. Schließlich übernehmen wir dann die gesamte heiße Luft aus den osteuropäischen Staaten, anstatt diese Emissionen mit einem neuen Abkommen zu verhindern. Dann frage ich mich: Ist es vielleicht sogar sinnvoller, ein paar Jahre, bis ein vernünftiges Abkommen geschlossen wird, mit nationalen Verpflichtungen zu überbrücken, um in dieser Zeit die zugesagten, dringend notwendigen Fonds für Klimaschutz, Anpassung und Waldschutz mit Geld und tatsächlich mit Leben zu füllen? (Beifall bei der LINKEN) Diese Frage stelle ich jetzt einmal in den Raum. Wie dem auch sei, für mich wird jedenfalls immer klarer, welche Rolle unsere Klimapolitik hier in Deutschland im internationalen Kontext einnimmt bzw. einnehmen muss. Ich bin der Überzeugung: Die Bundesrepublik kann bei der globalen Energiewende eine Schlüsselrolle spielen, und zwar als praktisches Beispiel dafür, dass ein industrialisierter Staat seine Energieversorgung tatsächlich vollständig auf eine regenerative Versorgung umstellen kann, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) und zwar ohne Problemverlagerung ins Ausland, siehe Agrosprit, oder auf Kosten der sozial Schwachen, Stichwort „Energiearmut“. Die Bundesrepublik hat mit der erkämpften Energiewende, so mangelhaft sie im Detail auch ist, den Weg für eine solche Rolle freigemacht. (Josef Göppel [CDU/CSU]: Sogar die Linken erkennen das an!) Sie wissen es selbst: Vertreter aus China und anderen Staaten haben mehrmals erklärt, dass sie die Entwicklung hier genau verfolgen; denn mit unserem Fördersystem für die erneuerbaren Energien und dem Atomausstieg könnten wir das solare Zeitalter in absehbarer Zeit erreichen. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir das absolut nicht vergeigen; aber wir sind genau auf dem Weg dahin. Im letzten Jahr stiegen die CO2-Emissionen in Deutschland um 3,7 Prozent, übrigens bei einem Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die meinen, das Wirtschaftswachstum hätte sich inzwischen vom Umweltverbrauch abgekoppelt, etwa weil wir jetzt eine Dienstleistungsgesellschaft wären. Offensichtlich sind wichtige Weichen für die Zukunft schlicht falsch gestellt. In den letzten Tagen wurde allerorts heftig über etwas diskutiert, worauf die Linke seit Monaten unablässig aufmerksam macht – die „unabhängigen“ Medien haben das völlig ignoriert, weil es eben nicht von der SPD oder den Grünen kam –: Zum einen werden über sogenannte internationale Klimaschutzprojekte nun sogar Kohlekraftwerke in China und Indien gefördert. Das halte ich für pervers; es durchlöchert auch unser Emissionshandelssystem. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum anderen sind die Anreize für die Industrie, hierzulande in Energiespartechnologien einzusteigen, fast null. Die Industrie hat zu viele Emissionsrechte erhalten, und das auch noch umsonst. Ja, sie verdient sogar mit dem Berg von Zertifikaten, die sie natürlich verkaufen kann. Die Sandbag-Studie, die in dieser Woche vorgestellt wurde, hat das nachgewiesen. Auch mit EEG-Umlage, Ökosteuer und Stromkostenkompensation verdienen die energieintensiven Unternehmen mehr, als sie zahlen, wenn sie überhaupt zahlen. Die Bundesregierung betreibt hier das Geschäft der Konzerne zulasten kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der einfachen Leute. Diese müssen nämlich für das alles allein blechen, genauso wie die Menschen in Afrika, Asien oder den Pazifikstaaten. Das wurde in mehreren Anhörungen, die letzte erst am Mittwoch, klar. Darum: Werden wir endlich glaubwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutschland muss sich für eine Reform des Emissionshandels genauso einsetzen wie für ein bedingungsloses 30-Prozent-Minderungsziel der Europäischen Union. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nur durch glaubwürdige Entscheidungen wird die Konferenz ein Erfolg. Das ist ganz wichtig und dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland hat im Sommer den Vorsitz im Weltsicherheitsrat gehabt. Eine der wesentlichen Initiativen von Guido Westerwelle war, dass im Weltsicherheitsrat zum ersten Mal über den Klimawandel diskutiert und ein Beschluss gefasst worden ist. Das ist für den Sicherheitsrat – Stichwort: sicherheitspolitische Dimension den Klimapolitik – ein wichtiger Auftakt gewesen. Darauf können wir aufbauen. Dafür danke ich dem Auswärtigen Amt ausdrücklich. Wir werden in der Außenpolitik ein Bündel von Interessen bilden müssen. Wir kommen in den Klimaverhandlungen an Grenzen dessen, was Umweltminister als Interessenausgleich verhandeln können. Wir werden neben den Umweltinteressen auch Handels-, Sicherheits- und machtpolitische Interessen der Staaten zu Bündeln zusammenfassen müssen, wenn wir mit Staaten wie China oder den Vereinigten Staaten vorankommen wollen. Das ist die Erkenntnis, die wir seit der gescheiterten Konferenz von Kopenhagen im Jahr 2009 auch im Deutschen Bundestag gezogen haben. Der Deutsche Bundestag hat im letzten Jahr erstmals sehr deutlich die außenpolitische Dimension der Klimapolitik hervorgehoben. Auf diesem Weg müssen wir vorangehen, wenn wir ernsthaft zu Ergebnissen kommen wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schauen wir uns die Machtinteressen eines Staates wie China an. China ist inzwischen der größte Emittent von Treibhausgasen. Gleichzeitig ist Chinas Volkswirtschaft von Unterschieden geprägt, von Städten, die wie die in Industriestaaten aussehen, und von einer ländlichen Region, wo man erkennt, dass es noch ein Entwicklungsland ist. China ist also ein klassisches Schwellenland, in dem natürlich Armutsbekämpfung im Vordergrund steht. Auf der anderen Seite kommt es in die Weltmärkte hinein und will noch weiter hineinkommen. Es hat auch Interessen mit Blick auf die Welthandelsorganisation. Natürlich will es insgesamt eine wichtige Rolle in der Weltarchitektur spielen. Darauf müssen wir als Europäer eine Antwort geben. Deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir den Dialog insbesondere mit China forcieren. Das können auch die Parlamente tun. Beispielsweise gibt es von der Abgeordnetenorganisation Globe einen EU-China-Dialog, mit dem wir zwischen den nationalen Parlamenten in der Europäischen Union, mit dem Europäischen Parlament und dem Nationalen Volkskongress in China die Verständigung voranbringen wollen, um den Boden für Vereinbarungen zwischen den Regierungen zu bereiten. China hat Interessen, aber auch Verantwortung. Diese Verantwortung ist different zu unserer Verantwortung. Es hat nicht so viel historische Verantwortung wie wir, aber es hat Verantwortung für die Zukunft. Denn der Klimawandel von heute liegt noch nicht in der Verantwortung der Chinesen. Aber der Klimawandel von morgen liegt in der Verantwortung der Volksrepublik China. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen von China Transparenz hinsichtlich der zugesagten Maßnahmen. Wir können es akzeptieren, dass sie Zusagen machen, die nicht mit unseren Verpflichtungen übereinstimmen, aber wir können schon erwarten, dass die Zusagen, die die Volksrepublik China macht, entsprechend nachgewiesen werden, und zwar durch international hergestellte Transparenz. Das ist der Anspruch, den wir haben müssen, wenn wir solche Kooperationen mit Steuergeldern finanzieren. Wenn wir Steuergelder geben, muss für unsere Steuerzahler klar sein, dass dabei am Ende etwas für das Klima herauskommt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Grünen haben einen Antrag zum Thema Kooperation mit China gestellt. Darin stehen viele kluge Dinge, die wir teilen. Aber an einer Stelle wird wieder deutlich, dass es ihnen eben nicht um einen Dialog auf Augenhöhe geht; denn Sie wollen den Chinesen vorschreiben, welchen nationalen Entwicklungsweg sie gehen sollen. Sie sagen beispielsweise in Bezug auf CCS, dass Kohleverstromung mit CO2-Abscheidung ausgeschlossen werden muss. Ich sage Ihnen deutlich: Diese Entscheidung muss die Volksrepublik China treffen und nicht der Deutsche Bundestag. Wir müssen von den Chinesen die Erbringung von Beiträgen erwarten, aber sie müssen ihren nationalen Weg finden, so wie wir den Anspruch haben, unseren nationalen Weg im Bereich Energiemix zu beschreiten. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir unser Geld und unser Wissen geben, werden wir doch wohl fragen dürfen, was damit gemacht wird!) Wenn wir uns andere Schwellenländer anschauen, dann stellen wir fest, dass es gute Beispiele gibt, etwa Brasilien. Unter den Schwellenländern ist Brasilien ein Land, das bei klimapolitischen Fragen vorne dabei ist. Natürlich hat auch Brasilien Interessen, beispielsweise die Öffnung der Märkte für Agrarrohstoffe. Ich glaube auch: Wenn Brasilien mit uns kooperiert, dann hat es auch einen Anspruch darauf, dass beispielsweise Handelserleichterungen zugesagt werden. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn die Europäische Union endlich ihre Märkte für Agrarrohstoffe aus Brasilien und anderen Schwellenländern öffnen würde. Das wäre ein Beitrag zur Vertrauensbildung und zum Interessenausgleich mit den Schwellenländern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich begrüße es, dass Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel gerade im Bereich Waldschutz ausdrücklich einen Schwerpunkt auf die Kooperation mit Brasilien legt. (Frank Schwabe [SPD]: Mit Waldvernichtung!) Der Amazonien-Fonds, der jetzt neu aufgelegt ist und in den Deutschland einzahlen wird, ist ein herausragendes Beispiel für diese Kooperation. Das liegt auch im Interesse unserer deutschen Wirtschaft; denn mit nichts kann man so viel Treibhausgas für vergleichsweise wenig Geld einsparen wie durch Waldschutz. Das liegt in unserem Interesse. Das ist keine Charity-Veranstaltung, sondern Kooperation im besten Sinne. Wir bekommen etwas dafür, wenn wir die Wälder in Amazonien, aber auch im Kongobecken schützen. (Beifall bei der FDP) Es gab eine Diskussion über den Erhalt des Yasuní-Nationalparks in Ecuador. Die Koalition wird hier ein Angebot formulieren. Wir werden ein Angebot für den Erhalt des Yasuní-Nationalparks unterbreiten, allerdings deutlich nach den Regeln, die die Vereinten Nationen im Klimaprozess vorgesehen haben. (Frank Schwabe [SPD]: Da können Sie auch gleich die Säge herausholen!) REDD ist aus unserer Sicht der beste Mechanismus, um Treibhausgasemissionen nachzuweisen. Zusammenfassend möchte ich darauf hinweisen, dass wir als Europäische Union die Kooperation mit den Schwellen- und Entwicklungsländern voranbringen müssen. Wir müssen deutlich machen, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer oft mehr gemeinsame Interessen mit der Europäischen Union haben als beispielsweise mit China innerhalb der G 77. Wir müssen in den diplomatischen Beziehungen zu den Schwellen- und Entwicklungsländern das Vertrauen in Deutschland und in die Europäische Union stärken, um den Prozess eines fairen Interessenausgleichs zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung in diesen Ländern voranzubringen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Ott für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin den Kolleginnen und Kollegen von der SPD sehr dankbar für ihre Große Anfrage, die uns jetzt Gelegenheit gibt, einmal abseits der üblichen vorkonferenziellen Debatten etwas grundsätzlicher über Klimadiplomatie und Klimapolitik nachzudenken. Soweit ich das weiß, war der ursprüngliche Plan, dass die Außenpolitiker an dieser Stelle debattieren sollten. Das ist, glaube ich, bei allen Fraktionen nicht so richtig gelungen. Ich rege an – meine Kollegin Viola von Cramon-Taubadel, unsere Expertin für die Bereiche Auswärtiges und China, sitzt im Saal –, dass wir die nächste Debatte tatsächlich mit unseren Expertinnen und Experten für den Bereich Auswärtiges bestreiten. Die Große Anfrage enthält einige gute und interessante Fragen, und die Antwort der Bundesregierung enthält ein paar interessante Antworten, zum Beispiel, was die Position der unterschiedlichen Schwellenländer in Bezug auf ein zu verhandelndes neues Abkommen betrifft. Die Antwort enthält tatsächlich etwas Neues. Eine Reihe von Initiativen der Bundesregierung sowie bilaterale und multilaterale Kooperationen werden dargestellt. Das ist alles sehr wichtig. Deswegen haben wir einen Antrag zu einer transatlantischen Kooperation, einer transatlantischen Partnerschaft mit den USA, und einen Antrag zu einer Partnerschaft mit China in Bezug auf den Klimaschutz in diese Debatte eingebracht. China – der Kollege Kauch hat das gerade berichtet – hat die USA überholt: China ist jetzt der größte Emittent. China nimmt seine Rolle als Schwergewicht in der internationalen Politik mittlerweile nicht nur in den Verhandlungen über internationale Rettungspakete finanzieller Art wahr, sondern tatsächlich auch in der Klimadebatte. China ist also ein Schwergewicht, an dem man überhaupt nicht vorbeikommt. Kollege Kauch, Sie haben gesagt, wir mischen uns da in innere Angelegenheiten ein und bevormunden die Chinesen, indem wir bestimmte Maßnahmen bevorzugen oder eben nicht. Zuvor haben Sie selbst gesagt: Wenn wir Geld geben, dann wollen wir auch wissen, was damit gemacht wird. Ich meine: Abgesehen davon ist es auch in ethischer Hinsicht wichtig, dass wir sagen, welche Klimapolitik wir für richtig halten, wie wir uns auch in Fragen der Menschenrechte nicht irgendwelchen Vorstellungen anderer anschließen, sondern unsere eigenen Vorstellungen darüber, was richtig ist, auch gegenüber China zum Ausdruck bringen. So sollte des zumindest sein. Manchmal lässt das Verhalten der Bundesregierung da etwas vermissen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Was die Kooperation mit den USA betrifft: Das ist bzw. war seit langem der Stolperstein in den internationalen Beziehungen. Deshalb ist es wichtig – das ist Teil unseres Antrags –, dass wir mit den Regionen, die fortschrittlich sind, die eine vernünftige Klimapolitik machen wollen, vorzugehen. Das sind Staaten oder auch Städte und Gemeinden. Ein Beispiel ist Northern Virginia. Es gibt eine Reihe von Kooperationen zwischen Northern Virginia und Städten und Gemeinden in Deutschland. Das hat zu einer erheblichen Umgestaltung der Umwelt- und Energieplanung in Northern Virginia geführt. Das hat dazu geführt, dass diese Region als Modell gilt, auch in anderen Teilen der Vereinigten Staaten. Deutschland sollte zum Beispiel für die „Transatlantische Klimabrücke“ sehr viel mehr Mittel zur Verfügung stellen, um diese Initiativen von unten zu stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Trotz der Wortgewalt in den Antworten auf die mehr als 100 Fragen wird deutlich, dass bei der Koalition und bei der Bundesregierung eine dröhnende Ratlosigkeit herrscht; denn wir finden auf den mehr als 30 Seiten keine Antwort auf die Frage, was nach dem Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen geschehen soll. Wir erfahren nicht, wie die Analyse aussieht. Herr Kauch hat gestern bzw. vorgestern bei einem Treffen mit Vertretern von Umweltverbänden gesagt: Die USA werden in den nächsten 10 bis 15 Jahren keinem rechtlich verbindlichen Klimaschutzvertrag beitreten. Damit müssen wir doch umgehen. Dazu findet sich aber nichts in diesem Wortgeklingel der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage. Wir müssen uns aber klar darüber werden, wie wir notfalls auch ohne die USA den Klimaschutz voranbringen können – nur das kann uns weiterhelfen –: mit Allianzen innerhalb, aber auch mit Allianzen außerhalb der Klimarahmenkonvention. Falls Durban nicht das bringt, was wir erwarten, dann müssen wir uns ernsthaft darüber Gedanken machen, ob nicht Deutschland, ob nicht Europa eine Initiative starten sollte, die parallel zum Prozess der Vereinten Nationen den Klimaschutz international voranbringt. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Klimawandel betrifft sehr viele Politikfelder. Er ist eine globale entwicklungspolitische, umweltpolitische, außen- und sicherheitspolitische Herausforderung. Herr Kollege, Sie haben gerade anerkennend gesagt, dass Sie in der Antwort der Bundesregierung sehr viele Aktivitäten gefunden haben. Gleichzeitig sagten Sie, da stehe nichts drin. Ich finde, das schließt sich aus. Man kann nicht erwarten, dass mit einer Konferenz der Gordische Knoten durchschlagen wird und dass die Probleme danach gelöst sind. Wer so denkt, hat, glaube ich, nicht verstanden, dass wir bei der Diplomatie, auf den Wegen, die wir gehen – dies ist manchmal mühsam –, nur Schritt für Schritt zu einem Erfolg kommen. Deutschland engagiert sich intensiv in den internationalen Klimaschutzverhandlungen; das haben alle anderen Vorredner zustimmend erwähnt. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das meiste ist leider alt, muss man sagen!) Es ist gut, dass in dieser Frage im Deutschen Bundestag große Einigkeit besteht, dass wir uns vor jeder Konferenz mit gemeinsamen Anträgen positionieren. Das ist ein starkes Signal an die internationale Gemeinschaft und stärkt den Verhandelnden den Rücken. Wir engagieren uns in bilateralen und in multinationalen Partnerschaften, weil wir glauben, dass wir so ein ausreichendes politisches Momentum für eine globale Lösung aufrechterhalten und verbessern. Unser Ziel bleibt – das möchte ich betonen – der Abschluss eines globalen, ausgewogenen, umfassenden und rechtsverbindlichen Klimaschutzabkommens mit bindenden Minderungszielen. Hierfür nutzen wir alle Instrumente der Außen-, Umwelt, Wirtschafts-, Forschungs- und Entwicklungspolitik. Wir stimmen uns mit unseren europäischen Partnern, mit den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und mit weiteren Partnern eng ab. Die Initiative von Bundesaußenminister Westerwelle im UN-Sicherheitsrat ist bereits erwähnt worden. Wir unterstützen seit Jahren – auch finanziell – besonders vom Klimawandel betroffene Staaten, zum einen im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe, zum anderen im Rahmen der sehr erfolgreichen BMU-eigenen Internationalen Klimaschutzinitiative. Ich erinnere auch daran, dass wir uns seit Kopenhagen verpflichtet haben, im Rahmen der Fast-Start-Initiative neues Geld zur Verfügung zu stellen. Zwischen 2010 und 2012 stellen wir freiwillig insgesamt 1,26 Milliarden Euro zusätzliche Mittel für Klimaschutz und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung. Wir haben im Juli dieses Jahres den zweiten Petersberger Klimadialog ausgerichtet. Zusammen mit Südafrika haben wir im Vorfeld der Klimakonferenz ein Dialogforum geschaffen. Dies fand nicht ganz „off the record“ statt, aber ein bisschen schon. Solche Konferenzen dienen der Vertrauensbildung. Ich habe gerade hier noch einmal vernommen, wie wichtig es ist, in einem solchen mühsamen Prozess Vertrauen zu schaffen, Allianzen zu schmieden und Multiplikatoren zu gewinnen. Die teilnehmenden Staaten waren sich einig, dass wir für die Weltklimakonferenz im südafrikanischen Durban Anfang Dezember ein ausbalanciertes Paket von Entscheidungen anstreben, das eine Übergangsphase in Richtung eines zukünftigen Klimaschutzregimes schafft. Die Herausforderung in Durban wird sein, sowohl Entscheidungen zur Zukunft des Kioto-Protokolls zu treffen als auch den Fahrplan für ein umfassendes, alle Emittenten einschließendes Abkommen zu bestimmen. Worum geht es im Detail? Zum Ersten geht es darum, die Vereinbarung von Cancún auszugestalten und umzusetzen, insbesondere den neuen globalen Klimafonds, die Institutionen zu Anpassung und Technologie sowie die Vereinbarung von Regeln für mehr Transparenz von Klimaschutzmaßnahmen und deren Finanzierung. Zum Zweiten geht es um ein Arbeitsprogramm mit dem Ziel, die Emissionsminderungsziele von Industrieländern zu verschärfen und mittelfristig Ziele für Schwellenländer zu setzen, wie Kollege Andreas Jung bereits ausgeführt hat. Es geht drittens um Entscheidungen, die den Übergang zu einem künftigen Rechtsrahmen ermöglichen. Hierzu gehören Entscheidungen, die die Institutionen und Instrumente des Kioto-Protokolls über die erste Verpflichtungsperiode hinaus beschreiben, Stichwort CDM. Eine zweite Verpflichtungsperiode ist nur dann denkbar, wenn wir gleichzeitig einen robusten Fahrplan mit einem konkreten Zeitrahmen beschließen, und zwar mit verbindlichen Minderungspflichten für alle Staaten, das heißt natürlich für alle großen Emittenten. Klimaschutzdiplomatie bedeutet nichts anderes als das Bohren dicker Bretter. Auch die Vor-Kioto-Periode war ein Marathonlauf. Der Marathonlauf ist noch nicht zu Ende. Wir brauchen einen langen Atem. Aber wir können es schaffen. Die Zukunft unseres Planeten sollte uns diese Anstrengung wert sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, Sie haben von Vertrauen und notwendiger Glaubwürdigkeit gesprochen. Sie sagten, die Bundesrepublik Deutschland habe in den internationalen Verhandlungen einen großen Beitrag zur Vertrauensbildung geleistet, auch durch die Fast-Start-Mittel. Ich kann Ihnen nur sagen: Aus meiner Sicht verursacht die Nichteinhaltung von Zusagen den größten Vertrauensverlust, den die Bundesrepublik Deutschland derzeit auf internationaler Ebene zu verkraften hat. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam hat Sie darauf hingewiesen, dass Sie 12 Prozent Ihrer Zusagen gehalten haben. Das heißt, Sie haben 12 Prozent Vertrauen. Aber 88 Prozent sind bislang auf der Strecke geblieben. Das behindert den Fortschritt auf internationalen Klimakonferenzen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, was Sie, Herr Kauch, eben gesagt haben, hörte sich gut an. Aber wenn es konkret wird und um Verbindlichkeit geht, sind wir fast keinen Schritt vorangekommen, weder bei den Fast-Start-Mitteln noch im Hinblick auf konkrete Minderungsziele, beispielsweise das unkonditionierte 30-Prozent-Minderungsziel, dessen Bedeutung Andreas Jung lobenswerterweise betont hat. Das ist in der schwarz-gelben Regierung nicht durchsetzbar. Deswegen fahren wir mit angezogener Handbremse nach Durban, und das ist ungesund. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, schlagen wir Ihnen vor, hier in Deutschland anzufangen, sich an konkreten, verbindlichen Zielen zu orientieren und das Handeln danach auszurichten – bislang vergeblich. Wir haben Ihnen auch vorgeschlagen, ein nationales Klimaschutzgesetz zu verabschieden. Nichts ist passiert. Auch dies trägt nicht zur Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene bei. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fritz Vorholz hat in der Zeit von dieser Woche sehr deprimiert geschrieben, das Problem der Klimapolitik bestehe darin, dass der Meeresspiegel langsamer ansteige als der Zins für Staatsanleihen. Ich glaube, hinter dieser Aussage steckt sehr viel. Denn eines ist klar: Wenn wir es nicht schaffen, diese Menschheitsfrage international, aber auch national zu beantworten, dann weisen wir den nachfolgenden Generationen den Weg in den Ruin. Wir haben kein Gegenüber, mit dem wir verhandeln können, wenn es um natürliche Vorgänge und die natürlichen Lebensgrundlagen geht. Die Chance der Verhandlung, die wir beispielsweise in der Finanzkrise hatten, haben wir in diesem Fall nicht. Deswegen glaube ich, wir müssen begreifen – das ist die eigentliche Herausforderung, auch für dieses Haus –, dass wir nur noch wenig Zeit haben, um den Umstieg hinzubekommen, und dass sich dieses Parlament mit dieser Frage – für diesen Hinweis bin ich Hermann Ott dankbar – in der Tat interdisziplinär befassen muss. Dies ist nicht nur eine Frage der Umweltpolitik, sondern auch eine Frage der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Zusammenarbeit auf internationaler Ebene, aber auch der Sozialpolitik. Wir müssen das Ressortdenken endlich überwinden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andreas Jung [Konstanz] [CDU/CSU]) Ich glaube, in diesem Zusammenhang können wir es uns leisten, immer einen Schritt weiter als andere zu sein. Denn was vergeben wir uns, wenn wir unsere Energieeinsparziele nach oben schrauben? Was vergeben wir uns, wenn wir Effizienz ganz hoch ansiedeln, wenn es um das Herstellen neuer Maschinen geht? Wir sorgen so dafür, dass Maschinen produziert werden, die zukünftig im Export gefragt sind. Wir werden die Wirtschaft damit stärken und nicht nur die Umwelt schützen. Was vergeben wir uns, wenn wir als Politiker endlich erkennen würden, welche Folgen es hätte, die von Sir Nicholas Stern aufgezeigte Entwicklung zu verschlafen? Welche dramatischen volkswirtschaftlichen Kosten kämen auf die Menschheit zu, wenn wir es jetzt nicht schaffen würden, den notwendigen Umschwung zu erreichen? Durch jede Milliarde, die wir jetzt einsetzen, wird das Zahlen von sehr vielen Milliarden in der Zukunft verhindert. Dieses Denken muss hier endlich Einzug halten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kauch, wir müssen über neue Mechanismen nachdenken, Stichwort „Yasuní“. Sie können hier nicht mit dem normalen Mechanismus der Vereinten Nationen operieren; denn hier geht es nicht nur um Waldschutz, sondern auch um den Erhalt der Biodiversität. Wenn der Wald geschützt werden soll, dann muss dem Land eine Kompensation angeboten werden, die es lukrativ macht, die Rohstoffe im Boden nicht zu fördern und die Biodiversität zu schützen. Einen solchen Mechanismus gibt es bei den Vereinten Nationen bislang nicht. Ein solcher Lösungsansatz verdient es, hier im Parlament sehr intensiv diskutiert und verabschiedet zu werden. Ich glaube, hier besteht eine enorme Chance für die internationale Staatengemeinschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das hat sogar Berlusconi erkannt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Josef Göppel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Josef Göppel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Verlauf der Debatte zeigt ganz deutlich, dass von diesem Parlament jetzt das Signal ausgehen muss, dass wir das Verschleppen und Verzögern eines internationalen Klimaschutzabkommens nicht hinnehmen. Es war ja der Deutsche Bundestag, der vor zwei Jahren das Minderungsziel von 40 Prozent ohne Bedingungen beschlossen hat. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Es muss deutlich werden, dass diejenigen der Regierung, die verhandeln, ein drängendes Parlament über alle Fraktionsgrenzen hinweg im Rücken haben. Das möchte ich hier deutlich machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Andreas Jung hat schon darauf hingewiesen, dass er das 30-Prozent-Ziel für richtig hält und weiterhin unterstützt. Das gilt ebenso für mich. Ich bin der Überzeugung, dass wir in Durban keine Fortschritte erzielen werden, wenn sich die Europäische Union nicht bewegt. Die Europäische Union gehört im Moment aber leider nicht zu den Zugpferden. Der Prozess der Meinungsbildung in der Europäischen Union geht quälend langsam voran. Da das Abkommen von Kioto 2012 ausläuft und am Ende des Jahres 2011 nichts in Sicht ist, was an seine Stelle treten kann, muss ich sagen: Alle, die ihren Amtseid ernst nehmen, können angesichts dessen nicht ruhig sitzen bleiben. Wir haben hier eine besondere Verantwortung. Nun setzt Deutschland als hochindustrialisiertes Land seit der Energiewende im Sommer 2011 vollkommen auf erneuerbare und CO2-freie Energien. Die Welt beobachtet aufmerksam, wie das deutsche Experiment vorangeht. Ebenda liegt unsere besondere Verantwortung. Ich will auf einen Punkt eingehen, der in den Verhandlungen in Durban vielleicht eine Brücke darstellen kann, nämlich die Energieeffizienz und die Einspartechnologien. Dabei geht es darum, was wir selber bei uns tun: in Deutschland, in der Europäischen Union. Die europäischen Regierungschefs haben 2007 den Beschluss gefasst: dreimal 20 Prozent bis 2020. Die Marke von 20 Prozent erneuerbare Energien werden wir in neun Jahren wahrscheinlich deutlich überschritten haben; vielleicht liegen wir dann bei 30 Prozent. Bei der CO2-Einsparung wird Europa wohl das 20-Prozent-Ziel erreichen. Aber unsere Schwachstelle sind die Energieeffizienz und die Einsparung von Primärenergie. Wenn es konkret wird, verlaufen die Verhandlungen eher zögerlich, so auch die Beratungen über eine neue europäische Energieeffizienzrichtlinie. Ich muss ganz deutlich sagen: Diejenigen, die den Vorschlag der Europäischen Union, der vorsieht, dass Energieversorger verpflichtet werden, jährlich eine Effizienzsteigerung von 1,5 Prozent zu erreichen, für Planwirtschaft halten, müssen sagen, wie sie das Ziel auf andere Weise erreichen wollen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eine Reihe von amerikanischen Bundesstaaten, die etwa die Hälfte der Bevölkerung der USA repräsentieren, hat dieses Ziel übernommen. Darunter ist übrigens der Bundesstaat Texas, dem man Planwirtschaft bestimmt nicht vorwerfen kann. In Europa haben sich Frankreich, Polen, Dänemark und Großbritannien entsprechend verpflichtet. Ich habe mit Interesse gesehen, dass Eon in Großbritannien in den Zeitungen ganzseitige Inserate mit der Überschrift schaltet: Was in aller Welt soll einen Energieversorger veranlassen, dafür zu sorgen, dass seine Kunden weniger Energie verbrauchen? – Solche Inserate erinnern mich sehr an die Einführung des Katalysators 1982/83 in der Ära Kohl. Damals war es teilweise die Taktik der deutschen Industrie: in Deutschland verschleppen und im Ausland verkaufen. Die Steigerung der Energieeffizienz und dementsprechend die Einsparung von Primärenergie sind der Schlüssel für Schwellenländer; denn wenn wir Technologien auf den Weltmärkten anbieten können, die diesen Ländern helfen, den Energieverbrauch zu senken und damit Kosten einzusparen, dann werden wir auch in den Klimaverhandlungen mehr Erfolg haben. Ich erwarte als Abgeordneter der Koalition, dass Deutschland rasch auf die Verabschiedung einer neuen Energieeffizienzrichtlinie drängt, und zwar mit verbindlichen Zielen und verbindlichen Maßnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/7356 und 17/7481 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung – Drucksache 17/7631 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die Unionsfraktionen. (Beifall bei der CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung werden wir das Weihnachtsgeld – erlauben Sie mir diese umgangssprachliche Formulierung – für Besoldungs- und Versorgungsempfänger des Bundes, also unsere Beamten, Richter, Soldaten und Ruheständler, zum 1. Januar 2012 drei Jahre vorfristig wieder aufleben lassen. Ich bin sehr erleichtert, dass uns dieser Schritt gelungen ist, und zwar nicht in erster Linie wegen der finanziellen Verbesserungen für unsere Beamten und Versorgungsempfänger, obwohl sie das wahrlich verdient haben. Die wichtigere Botschaft, die meines Erachtens von diesem Gesetz ausgeht, ist ganz sicher, dass diese Regierung ihren Beamten vertraut und dass sich diese Koalition der besonderen Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes bewusst ist. Lassen Sie mich für die Unionsfraktion ausdrücklich ergänzen, dass wir unsere Versprechen einhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe genau an dieser Stelle am 30. September 2010 die Verlängerung der Aussetzung mit den gravierenden haushaltspolitischen Zwängen erklärt. Es war schon damals ein sehr wichtiges Ergebnis unserer Fraktion, dass die Sonderzahlung nicht, wie von der Regierung geplant, komplett gestrichen, sondern nur für weitere vier Jahre suspendiert wurde. Ich habe seinerzeit versprochen, dass wir diese Zeit nutzen werden, um die Wiedergewährung schnellstmöglich zu bewerkstelligen. Für mich ist die eigentliche Botschaft heute, dass der öffentliche Dienst, auch mit seinen Sorgen und Nöten, für uns kein unscheinbarer Dienstleister ist, der selbstverständlich zu funktionieren hat. (Kirsten Lühmann [SPD]: Jetzt plötzlich!) Wir stehen auch in schwierigen Zeiten vor und zu unseren Beamten und Pensionären. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Aber all die Jahre ging es anders!) – Ich komme gleich darauf zu sprechen. Die Sonderzahlungen waren seit 1994 in mehreren Schritten gesenkt worden und beliefen sich 2004 nur noch auf 60 Prozent. 2006 wurde dieser Betrag für fünf Jahre nochmals halbiert. Herr Kollege Hartmann, Sie sehen, dass Haushaltszwänge nicht nur christlich-liberale Koalitionen zu schmerzlichen Einschnitten zwingen können. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Nein, aber der Vertrauensbruch war christlich-liberal!) Das war bei Ihnen auch nicht anders. Mit der nun um drei Jahre vorgezogenen Wiedergewährung erreichen wir also wieder das Niveau des Jahres 2004. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das war aber schon für das letzte Jahr geplant!) Wir werden mit dem Gesetz den seit 2006 nicht mehr ausgezahlten Teil des Weihnachtsgeldes wieder in die Gehaltstabellen des Bundesbesoldungsgesetzes einarbeiten. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist eigentlich Rechtslage gewesen!) Damit wird die Sonderzahlung als Bestandteil der monatlichen Bezüge für Besoldungsempfänger 5 Prozent der Jahresbezüge und für Versorgungsempfänger circa 4 Prozent der Jahresbezüge ausmachen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Beschluss der letzten Regierung!) Wer in diesem Zusammenhang öffentlich gerne den Begriff der Luxuspensionen bemüht, kennt die Wirklichkeit nicht. Rund 75 Prozent unserer Pensionäre, denen diese Maßnahme zugutekommt, sind Angehörige des einfachen und mittleren Dienstes. Darüber, dass dieser Personenkreis angesichts der bekannten Entwicklung der Bezüge im öffentlichen Dienst in den letzten Jahren nicht verwöhnt wurde, dürften wir uns einig sein. Die öffentliche Verwaltung des Bundes hat in den vergangenen Jahren erhebliche Sparmaßnahmen beigesteuert. Ich erinnere an die Einführung der 41-Stunden-Woche, die Reduzierung der Sonderzahlungen auf 60 Prozent, den vollständigen Wegfall des Urlaubsgeldes oder den Verzicht auf inflationsbedingte Lohn- und Gehaltsanpassungen seit 1998. Allein im Zeitraum von 2006 bis 2011 haben die Beamten, Richter, Soldaten und Pensionäre mit den Einschnitten beim Weihnachtsgeld einen Sparbeitrag von rund 3 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt erbracht. Die Zahl der Beschäftigten im Bundesdienst ist in den letzten 20 Jahren um rund 30 Prozent reduziert worden, obwohl die Aufgaben deutlich mehr geworden sind. Die Beamten der Bundesverwaltung müssen also den viel zitierten Vergleich mit einigen Branchen der Privatwirtschaft hinsichtlich Arbeitszeit und Vergütung beileibe nicht scheuen. Immerhin sprechen wir heute nicht über ein volles dreizehntes Monatsgehalt, sondern über 60 Prozent desselben. Daher halten wir es für gerechtfertigt, dass die krisenbedingte Aussetzung der Sonderzahlung, sobald es unsere Finanzsituation erlaubte, wieder korrigiert wird. Unseren strikten Sparkurs tangiert diese Entscheidung nicht. Das Mehr im Portemonnaie beträgt ab 1. Januar 2012 konkret 2,44 Prozent. Wir vollziehen damit die Wiedergewährung, wie sie als zweiter Einbauschritt vorgesehen war. Folglich werden sämtliche Gehaltsbestandteile, auf die die Sonderzahlung gewährt wird, also nicht nur die Grundgehaltstabelle, sondern zum Beispiel auch der Familienzuschlag, zum 1. Januar 2012 um 2,44 Prozent erhöht. Zusammen mit dem ersten Einbauschritt von 2009 bedeutet das ab Januar 2012 insgesamt ein Plus von 5 Prozent auf die monatlichen Bezüge bzw. 4 Prozent auf die Bezüge der Versorgungsempfänger. Für einen gut funktionierenden Staat braucht Deutschland motivierte Beamte. Die aktuelle Situation in einigen europäischen Ländern wirft ein besonderes Schlaglicht auf die Folgen einer nicht leistungsfähigen Verwaltung. Mit der Suspendierung der Sonderzahlung im vergangenen Jahr haben wir eine massive Verärgerung im öffentlichen Dienst hervorgerufen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das können Sie laut sagen!) Das war uns klar, und wir wussten auch, dass wir damit befristet eine rote Linie überschreiten werden. Aber ich denke, dass unser Sparkurs mit den europäischen Erkenntnissen von heute jetzt mehrheitlich akzeptiert wird. Ich hoffe auf das nachträgliche Verständnis der Beamtinnen und Beamten, dass wir uns in der Abwägung im September 2010 für die Finanzverantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern entscheiden mussten. Mit unserem Vorgehen von damals und heute zeigen wir eine finanzpolitische Seriosität, die auch ein Grund dafür ist, weshalb wir stärker aus der Krise herauskommen, als wir in sie hineingegangen sind. (Kirsten Lühmann [SPD]: Was den Vertrauensverlust der Beamtinnen und Beamten angeht, nicht!) Das muss auch die Opposition nach ihrer damaligen inszenierten Entrüstung – die gibt es zum Teil heute noch – bei der Suspendierungsdebatte einfach zugestehen. Die Bundesregierung zeigt sich deutlich entscheidungsfähiger als manche SPD-geführte Landesregierung bei diesem Thema. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der aufmerksame Beobachter wird feststellen, dass sich diese Regierung beim Thema Attraktivität des öffentlichen Dienstes besondere Ziele gesetzt hat. Die Wiedergewährung der Sonderzahlung ist dafür nur ein Meilenstein. (Lachen bei der SPD) Nachdem wir im vergangenen Jahr bereits mit dem Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz die Arbeitszeiten für ältere Beschäftigte flexibler gestaltet haben, kommt nun ein neuer Attraktivitätsschub mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz, das hier in Kürze abschließend behandelt wird. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt wie Pfeifen im Walde!) Damit werden wir ein weiteres Ziel unserer Koalitionsvereinbarung umsetzen und die Wettbewerbsfähigkeit des Bundes als Arbeitgeber gegenüber anderen Dienstherren und der Wirtschaft verbessern. Zusammen mit dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, das auch die Entschädigung von psychisch und physisch verwundeten Soldatinnen und Soldaten in Kampfeinsätzen und anderen Gefahrenlagen deutlich verbessert hat, können wir heute eine erste beamtenpolitische Bilanz ziehen. Erstens. Wir stehen nach wie vor für eine leistungsorientierte Vergütung und Versorgung unserer Beamten, Richter, Soldaten und Pensionäre. Zweitens. Die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes wird einen unserer erfolgreich umgesetzten Schwerpunkte in dieser Legislaturperiode darstellen. Drittens. Ich kann Ihnen versichern, dass wir bereits heute über weitere dienstrechtliche Projekte in unserer Pipeline verhandeln. Das war noch nicht das Ende. Abschließend hoffe ich, dass Sie spüren konnten, dass nicht nur der beamtenpolitische Berichterstatter der Unionsfraktion eine emotionale Nähe zum öffentlichen Dienst hat. Nein, meine Damen und Herren, diese Regierung, diese Koalition und ganz besonders die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion mit ihrem Chef Volker Kauder, den ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnen möchte, haben ein Herz für den öffentlichen Dienst, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) und zwar – habe ich vergessen, das zu sagen? – an der richtigen Stelle. Deshalb stimmen wir mit Freude dem Entwurf eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung zu. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schuster, da ich ein Herz für Sie habe, will ich Ihnen manche der notgedrungen von Ihnen hier vorgetragenen Formulierungen verzeihen und nachsehen; aber insgesamt will ich Ihnen nicht nachsehen, was Sie mit der Einbringung des Gesetzentwurfs – wir haben ihn heute nicht zu verabschieden – bezwecken. Gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten wird jetzt der Versuch von der Koalition unternommen, die vermeintlich frohe Botschaft an die Beamtinnen und Beamten des Bundes zu senden: (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nicht nur ein Versuch!) Das Weihnachtsgeld wird erhöht. – So war allenthalben zu lesen. Natürlich ist das unwahr; denn gar nichts wird erhöht. Sie unternehmen vielmehr heute hier den Versuch, einen unglaublichen Vertrauensbruch zu kitten. Doch der angerichtete Schaden ist so groß, dass Sie die entstandenen Scherben mit Sicherheit nie mehr zusammenfügen werden. CDU/CSU und FDP erhöhen nichts, sondern sie nehmen eine Kürzung mit einem Jahr bewusster Verspätung nur aufgrund des entstandenen Drucks und nicht etwa aus Einsicht zurück. Zur Vorgeschichte. Wir haben unseren Beamtinnen und Beamten oft viel abverlangt, keine Frage. Das gilt auch für SPD-geführte Regierungen und solche, an denen die SPD sonst beteiligt war. Im Jahr 2006 hatte die Große Koalition eine Halbierung des bereits auf 60 Prozent zurückgefahrenen Weihnachtsgeldes befristet bis Ende 2010 beschlossen. Das heißt, diese Sonderzahlung wäre im laufenden Jahr automatisch wieder auf alter Höhe gewesen. Zuvor hatte aber der frühere Bundesinnenminister in einem heroischen Akt entschieden: Nein, das machen wir nicht. Wir ändern ausdrücklich das Gesetz und behalten die Kürzung bei. – So viel zu den Fakten. Vehement und unerschütterlich ist er dafür eingetreten, hat das Kreuz durchgedrückt und hat – vielleicht schon mit Blick auf seine spätere Verwendung – soldatisch gesagt: Das muss jetzt gemacht werden; das wird gemacht werden. Eben in Ihrer Rede, Herr Schuster, und bei vielen Diskussionen, die wir dazu hatten, geschätzter Herr Ruppert, war zu spüren, dass zumindest den Berichterstatterkollegen von Union und FDP dieser Vertrauensbruch peinlich war; verhindert haben Sie ihn aber nicht. Nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, rollen Sie auch hier die Fahne wieder ein. Rückblickend nur so viel: Das ist in Wirklichkeit das Einzige, was von Herrn de Maizière als Bundesinnenminister übrig geblieben ist: (Günter Baumann [CDU/CSU]: Na, na!) eisenharte Ankündigungen, die sein Nachfolger dann ganz schnell wieder abgeräumt hat. So wollte er ganz entschlossen den Dialog mit der Netzcommunity auf andere Beine stellen. Man darf fragen: Was ist daraus eigentlich geworden? Ebenfalls ganz entschlossen machte er sich auf den Weg, unsere bewährte Sicherheitsarchitektur zu zertrümmern, indem er – einfach mal so – Bundeskriminalamt und Bundespolizei fusionieren wollte. Vernünftigerweise hat Bundesminister Friedrich mit genauso entschlossener Attitüde ohne Zögern und Zaudern das Ganze rückgängig gemacht und diese schrecklichen Fusionspläne für null und nichtig erklärt. Ohne Zögern und Zaudern wollte der jetzige Verteidigungsminister die Beamtinnen und Beamten um die Rücknahme der Kürzungen beim Weihnachtsgeld prellen. Ein Jahr lang ist ihm das gelungen, und nun darf Herr Friedrich auch diesen Fehler korrigieren. Dabei setzte die Bundesregierung nach meiner festen Überzeugung unausgesprochen auf alle bekannten Ressentiments gegenüber der Beamtenschaft. Während auf Festveranstaltungen und bei großen Tagungen das Loblied auf das Berufsbeamtentum gesungen wird, waren die Taten alles andere als wertschätzend. Genau darum geht es übrigens in Wahrheit. Es geht nicht nur um Geld, sondern es geht um die richtige Wertschätzung für die Bundesbeamtinnen und -beamten, die diese Koalition ihnen versagt hat. (Beifall bei der SPD) Wir haben Tausende von Zeit- und Berufssoldaten, die ihren oftmals gefährlichen Dienst für unser Land klaglos versehen. Wir haben eine ohnehin arg vernachlässigte Bundespolizei, die mit einer zu großen Teilen dem mittleren Dienst angehörenden Beamtenschaft Woche für Woche unsere Grenzen schützt, die Bahnhöfe kontrolliert, sich bei Fußballeinsätzen beleidigen lässt, bei Demonstrationen verletzt wird oder in gefährliche Auslandseinsätze muss. In den Ministerien – sie vergisst man oft – ackern Tag und Nacht alleine dem Staat verpflichtete Menschen, um uns aus der Finanzkrise zu führen; um nur ein Beispiel zu nennen. Ihnen gebührt unser Dank, und ihnen gebührt unsere Anerkennung. Sie dürfen eben nicht Lückenbüßer verfehlter Haushaltspolitik werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Es kommt hinzu, dass immer weniger Beamtinnen und Beamte in immer kürzerer Zeit bei zunehmender Arbeitsdichte immer mehr zu leisten haben. Das ist die Wahrheit, die Sie mit Ihrem Vertrauensbruch sehenden Auges ignorierten, immer darauf hoffend, die Stammtische würden Ihnen dazu applaudieren. Doch Sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Einer der Wirte heißt übrigens Peter Heesen und ist aktives CDU-Mitglied. Ich würde Ihnen jetzt gerne alle Zitate des Herrn Heesen vorlesen, die aufzeigen, wie er Sie für diesen Vertrauensbruch, den Sie begangen haben, zu Recht gescholten und an den Pranger gestellt hat. Wir stehen jedenfalls in dieser Frage schon immer an der Seite des Deutschen Beamtenbundes. Das sind ganz merkwürdige Fronten, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Doch auch viele andere empörten sich zu Recht. Ihre Hoffnung, dass der nicht streikberechtigte Beamtenapparat ein leichtes Opfer sei, hat Sie getrogen, und nun ziehen Sie den Schwanz ein. Doch das Vertrauen ist und bleibt zerstört. Von Ihnen darf der deutsche Beamte alles Mögliche erwarten, nur weder jetzt noch in Zukunft wirklich Gutes. Deshalb hat Ihnen Ihre damalige Ankündigung, man wolle – Sie haben vergessen, es zu erwähnen, Herr Schuster – dann aber ganz bestimmt beim Weihnachtsgeld ab 2015 Besserung geloben, zu Recht nur Spott und Hohn eingebracht. Vielleicht dachten Sie schon damals daran, dass Sie möglicherweise ab 2013 gar nicht mehr in die Peinlichkeit kommen, Ihre Ankündigung für 2015 umsetzen zu müssen. Jedenfalls weisen alle Zeichen in diese Richtung. Herr Ruppert, Sie sind ja Beamter. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Beamtenähnlich!) Sie können dann die Segnungen des Weihnachtsgeldes in anderer Funktion wieder wahrnehmen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seien wir jetzt und in Zukunft behutsam im Umgang mit unseren Staatsdienern! Es sind ja nicht mehr allzu viele – zumindest nicht beim Bund. Ich will jedenfalls nicht, dass anstelle von allein dem Staat verpflichteten Menschen beispielsweise mehr und mehr Anwaltskanzleien Gesetze für uns vorbereiten, meine Damen und Herren, und eigentlich sollte das auch ein staatskonservativ denkender Mensch nicht wollen. Ich will sehr, dass qualifizierte junge Menschen auch in Zukunft noch in den öffentlichen Dienst streben. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ CSU]: Wir auch!) Deshalb sollte die jetzt anstehende Korrektur Ihres missachtenden Beschlusses aus dem vergangenen Jahr nicht das Ende, sondern der Anfang sein. (Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ CSU]: Versprochen!) So müssen wir beispielsweise beim Wechsel in die Privatwirtschaft auch hinsichtlich der Mitnahmefähigkeit der Versorgungsbezüge für ein zeitgemäßes Beamtenrecht sorgen. Vielleicht schaffen Sie es ja, dies in der Bundesregierung voranzutreiben; das würde mich allerdings wundern. (Kirsten Lühmann [SPD]: Uns aber auch freuen!) Wenn Ihre jetzige Umkehr ein Zeichen tätiger Reue ist, denen weitere folgen werden, sind wir dabei. Denn wir wissen wirklich, was wir an unserem öffentlichen Dienst haben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hartmann, ich danke Ihnen für Ihre Bekenntnisse zum Berufsbeamtentum. Leider muss man aber feststellen, dass es überall dort, wo CDU und FDP bzw. CSU und FDP regieren, den Beamten gut geht, während es dort, wo es Landesregierungen Ihrer Farbe gibt, den Beamten tendenziell schlechter geht. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das sehen die Beamten und Gewerkschaften aber anders!) Insofern sollten Sie über diesen Umstand einmal nachdenken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Reden Sie mal mit der Bundespolizei! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Reden Sie mal mit dem Berliner Beamtenbund!) Wer gerade in diesem Bundesland Berlin jeden Tag aufs Neue feststellen muss, dass Teile der öffentlichen Ordnung zumindest im Winter und im ÖPNV nicht so richtig funktionieren, der kann vielleicht auf die Idee kommen, dass das daran liegt, dass die Situation des öffentlichen Dienstes hier im Vergleich zu der in den anderen 15 Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren am miserabelsten ist. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Herr Ruppert, wissen Sie überhaupt, dass wir über die Bundesbeamten reden?) – Wir reden über die Bundesbeamten, Herr Hartmann, aber ein kleines, nettes Wort auch für Ihre Landesbeamten in Berlin sei an dieser Stelle doch gestattet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kommt aus Mainz! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ich bin aus Rheinland-Pfalz! – Gegenruf des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Noch schlimmer!) Wir wollen einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst. Wir sehen, dass in Krisenzeiten der Staat als Institution, als Rahmengeber, aber auch als Fachmann in schwierigen Fragen durchaus gebraucht wird, und ich muss sagen: In zwei Jahren Bundestagszugehörigkeit bin ich immer wieder positiv überrascht worden, wie viele hochkompetente, (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Eben!) leistungsbereite und uns auch weit über ihre eigentliche Arbeitszeit hinaus helfende Beamte es im Bundesdienst gibt. Dafür sind wir ausgesprochen dankbar. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) Insofern können Sie bei der schwarz-gelben Koalition einen gewissen roten Faden sehen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Roter Faden ist immer gut!) – Ja, roter Faden, daran können Sie sich freuen, Herr Hartmann. Sie werden sehen: Es wird Rentnern besser gehen. Es wird Arbeitnehmern besser gehen. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein Paradies!) Es wird der Rentensatz sinken. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht der Rentensatz! Der Beitragssatz!) Es wird die Arbeitslosigkeit sinken – sie ist bereits gesunken –, und es geht den Beamten und Beamtinnen besser. Es gibt eine deutliche Verbesserung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Beamtinnen und Beamten in diesem Land. Wir alle haben diesen Sparbeitrag im letzten Jahr bedauert. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Warum habt ihr ihn dann gemacht? – Gegenruf des Abg. Günter Baumann [CDU/CSU]: Weil alle sparen mussten!) – Weil alle zum Sparen beitragen mussten. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Warum jetzt zurück?) Wir sind ausgesprochen froh, ihn heute wieder zurücknehmen zu können, weil seitens der Beamtenschaft seit 1994 ein großer Sparbeitrag – der Kollege Schuster hat das bereits ausgeführt – erbracht worden ist. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das war doch bekannt vor zwölf Monaten!) Insofern ist heute erstens ein guter Tag für die Beamtinnen und Beamten in Deutschland. Wir dürfen aber zweitens angesichts der demografischen Entwicklung und angesichts dessen, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angesichts Ihres Zickzackkurses!) dass wir Fachkräfte für Deutschland, und zwar auch für den öffentlichen Dienst, gewinnen müssen, nicht an dieser Stelle stehen bleiben. Wir müssen über weitere Flexibilisierungen im öffentlichen Dienstrecht nachdenken. Meine Fraktion setzt sich etwa vehement für Portabilität ein. (Kirsten Lühmann [SPD]: Sehr gut!) Das ist ein sinnvolles Vorhaben. Einem Beamten, der im öffentlichen Dienst tätig ist, soll es unter gewissen Voraussetzungen möglich sein, auch wenn das Beamtenverhältnis eigentlich auf Lebenszeit angelegt ist, seine Altersversorgung in ein anderes Arbeitsverhältnis mitzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sehr gut! Wir machen mit!) – Sehen Sie, dann sind wir schon einer mehr. Ich möchte mich zum Schluss meiner Rede noch bei den Kolleginnen und Kollegen, die heute etwas überraschend zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen mussten, entschuldigen; die Betroffenen wissen, was ich damit meine. Diese Debatte war ursprünglich nicht in allen Facetten so geplant. Aber da wir uns freuen, die Beamten sich freuen können und selbst die SPD sich ein bisschen freuen kann – sie könnte allerdings noch ein paar Hausaufgaben in ihren eigenen Ländern machen, dann ginge es den Beamten dort auch etwas besser –, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Problem haben Sie ja nicht! Sie sind ja nicht mehr in so vielen Ländern! – Kirsten Lühmann [SPD]: In Niedersachsen könntet ihr richtig was tun!) lade ich Sie herzlich zu den weiteren Beratungen ein. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sonderzahlung für Beamte – das will ich für die Zuhörer noch einmal voranstellen – bedeutet im Wesentlichen das, was für viele Arbeitnehmer das Weihnachtsgeld ist, nur dass diese in monatliche Zahlungen aufgeteilt ist und eben nicht auf einen Schlag gezahlt wird. Weihnachten steht vor der Tür, und da ist es eben auch angenehm, vom Weihnachtsgeld zu reden – vorausgesetzt, man will es nicht kürzen – und das auch noch entgegen allen Vereinbarungen, wie wir es hier vor fast genau einem Jahr erlebt haben. Das war – Sie werden sich erinnern – gar nicht so angenehm: nicht für die Beamten, die sich wieder einmal von ihrem Dienstherrn verraten fühlten, und auch nicht für die Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die jetzt emsig diskutieren, weil sie ja vor einem Jahr bereits wussten, was sie hier für einen Quark mittragen müssen. Dass ihnen das unangenehm war, gestehe ich ihnen durchaus zu. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Die einseitige Verlängerung der Kürzung wird also nun konsequenterweise ab dem Jahr 2012 abgebrochen. Da in einigen Medien Beamte immer viel aushalten müssen, möchte ich hier noch einmal etwas richtigstellen: Beamte bekommen jetzt nicht doppelt so viel Weihnachtsgeld. Die Änderung betrifft auch nicht das Weihnachtsfest 2011. Eine Kürzung soll beendet werden – das ist ein Unterschied! –, (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: So ist es!) nämlich die Kürzung von 60 auf 30 Prozent eines Monatsbezuges. Wir wissen, dass es Tarifvereinbarungen gibt, nach denen 100 Prozent eines Monatsbezuges als Weihnachtsgeld gezahlt werden – das nur einmal so zum Vergleich. Es handelt sich außerdem um eine Kürzung, die von Beginn an befristet war. Noch 1993 erhielten Beamte 100 Prozent eines Monatsbezuges. Bis 2003 erfolgte schrittweise die Reduzierung auf 84 Prozent, und ab 2004 waren es dann 60 Prozent. Dabei handelt es sich um eine Geschichte, die nicht nur von Schwarz-Gelb geprägt wurde. Die Halbierung auf 30 Prozent wurde, wie wir gehört haben, für fünf Jahre vereinbart. Wenn man eine solche Vereinbarung bricht, liebe Regierungskoalition, dann ist das ein Vertrauensbruch. Das muss man sich auch sagen lassen, und das bekommt man dann bei jeder Gelegenheit aufs Brot geschmiert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies schmieren Ihnen nicht nur die Oppositionsfraktionen aufs Brot – die nehmen diese Steilvorlage natürlich gerne an –, sondern vor allen Dingen auch die Gewerkschaften. Gewerkschaften und Opposition haben hier sehr gut zusammengearbeitet und Druck entfaltet. Bei Tagungen der Polizeigewerkschaften zum Beispiel taten mir CDU-Vertreter manchmal schon fast leid. Sie mussten dort als Innenpolitiker immer wieder die Suppe auslöffeln, die ihnen ihre Regierung eingebrockt hatte. (Günter Baumann [CDU/CSU]: So schlimm war es auch nicht!) – Oft genug! Ich war ja dabei. Jetzt also der Salto rückwärts. Dazu kann ich nur sagen: Lieber zu spät als gar nicht. Deswegen nehmen wir das heute auch gerne so an. Um Vertrauen zurückzugewinnen, werden Sie sich allerdings wesentlich mehr anstrengen müssen. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ja!) Die Baustellen häufen sich; darüber haben wir ja zum Beispiel beim Thema Polizei in den letzten Wochen diskutiert. Beförderungsstau bei der Polizei und Personalüberalterung in vielen Bereichen sind solche Punkte. Bei der Besoldung, insbesondere von Beamten des einfachen und mittleren Dienstes, muss ebenfalls endlich etwas geschehen. Die Realeinkommen sind hier seit Jahren gesunken. Mit linearen Anpassungen allein wird da nicht viel zu beheben sein. (Beifall bei der LINKEN) Bei diesem Thema wird die Linke eng gerade mit den Beamtengewerkschaften zusammenarbeiten und sie unterstützen, wo es nur geht. Ich weiß, dass besonders diese Gewerkschaften die heutige Debatte verfolgen, auch die Polizeigewerkschaften. Deswegen sei mir ein kurzes Wort an diese Adresse gestattet. Erst am Freitag der letzten Sitzungswoche sprachen wir über ein Polizeithema. Ich sagte – ich erinnere daran –: Hier im Plenum muss Platz sein für alle politischen Bereiche, die die Polizei betreffen, für strukturelle Fragen, für soziale Fragen und für rechtliche Fragen, auch für bürgerrechtliche Fragen. Heute geht es um eine soziale Frage: um eine gerechte Besoldung. Da ziehen wir an einem Strang. Es wird aber auch wieder Themen geben, bei denen wir nicht einer Meinung sind; das gehört dazu. Das gilt für das Thema Bürgerrechte. Ich fordere alle Seiten auf, sich an der Diskussion darüber zu beteiligen. Die Linke ist gesprächsbereit, und ich hoffe, dass wir auch bei diesem Thema schnell zu einer Einigung kommen, die allen Seiten gerecht wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Heute bleiben wir bei der Feststellung, dass sich die Regierungskoalition bewegt hat und einen Fehler korrigiert, auch wenn sie das nicht in aller Deutlichkeit sagen möchte. Noch besser wäre es gewesen, man hätte auch für Weihnachten 2011 eine Lösung gefunden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Rede des Kollegen Konstantin von Notz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir zu Protokoll.1 Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/7631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Euratom-Vertrag ändern – Atomausstieg europaweit voranbringen – Atomprivileg beenden – Drucksache 17/7670 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei uns muss man immer erst leisten. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vertrag zur Gründung einer Europäischen Atomgemeinschaft wurde in den 54 Jahren seiner Existenz kaum verändert. Die Vorzeichen, unter denen er geschlossen wurde, waren aber völlig andere als die, unter denen die heutige Energiepolitik steht. Ziel war damals, die Entwicklung der zivilen Atomenergienutzung in Europa zu fördern, aus der inzwischen überholten Überzeugung heraus, dass – ich zitiere – „die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt“. Die Hoffnungen auf eine saubere und vor allem sichere Energieversorgung haben sich jedoch nicht erfüllt. Das haben die Unfälle von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima leidvoll gezeigt. Wichtige Fragen wie die der Endlagerung der atomaren Abfälle sind bis heute ungelöst. Die versuchte Trennung in friedliche und militärische Nutzung der Atomenergie konnte die weitere Ausbreitung von Atomwaffen nicht verhindern. Die Akzeptanz der Atomkraft ist einem Wandel unterworfen, Euratom ist stehen geblieben. Die Zielrichtung des Euratom-Vertrages, die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, steht heute in eklatantem Widerspruch zu den Bemühungen von Mitgliedstaaten und Europäischer Union, eine sichere und nachhaltige Energieversorgung zu entwickeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Trotz divergierender Ansichten der Mitgliedstaaten zur Atomkraft besteht doch ein Konsens dahin gehend, dass die Zukunft der Energieversorgung nicht in der Kernspaltung, sondern in regenerativen Energien liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dorothée Menzner [DIE LINKE]) Ein möglicher atomarer Unfall und seine Folgen bedrohen die Bevölkerung ganz Europas. Nur gemeinsames europäisches Handeln kann Bevölkerung und Umwelt ausreichend schützen. Euratom muss grundlegend reformiert werden. Der Aktualisierungsbedarf ist nicht nur von Deutschland tatsächlich längst erkannt. Davon zeugt die Erklärung Nr. 54 zur Schlussakte von Lissabon vom 13. Dezember 2007: Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und Schweden stellen fest, dass die zentralen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft seit seinem Inkrafttreten in ihrer Substanz nicht geändert worden sind und aktualisiert werden müssen. Daher unterstützen sie den Gedanken einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die so rasch wie möglich einberufen werden sollte. Diese vier Jahre alte Erklärung wollen wir umsetzen. Zunächst muss die Sonderstellung abgeschafft werden, die der Atomenergie durch Euratom zukommt. Die extrem hohe Forschungsförderung der öffentlichen Hand für Kernspaltung und Kernfusion ist die erfolgloseste Subventionierung in dieser Größenordnung geblieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Michalk [CDU/ CSU]: Blödsinn!) OECD-weit wurden in den letzten 60 Jahren weit über 90 Prozent aller öffentlichen Forschungsmittel in Kernspaltung und Kernfusion investiert. Die Kernspaltung deckt aber gerade einmal gut 2 Prozent der Weltenergienachfrage, und durch Kernfusion wurde in 60 Jahren keine einzige Kilowattstunde erzeugt. Andererseits decken die erneuerbaren Energien, die nur einen winzigen Bruchteil der öffentlichen Forschungsmittel bekamen, heute bereits über 13 Prozent der Weltenergienachfrage. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Mit entsprechenden Kosten!) Auch aus Verantwortung den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gegenüber muss die Forschungsförderung stärker auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz konzentriert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Forschungsförderung für Sicherheit und Entsorgung ist davon selbstverständlich unberührt. Ebenso verlangen die im Euratom-Vertrag normierten Entscheidungsverfahren nach Reformen. Intransparenz und ein Parlament, das nicht mitentscheidet, passen nicht zur Demokratie des 21. Jahrhunderts. Wer wenn nicht die Regierung eines Landes, das in breitem Konsens den Atomausstieg beschlossen hat, soll sich auf europäischer Ebene für die notwendigen Reformen einsetzen? Dazu fordern wir unsere Bundesregierung auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Als Ultima Ratio muss der Ausstieg aus Euratom ins Auge gefasst werden. Er ist rechtlich möglich. Der Lissabonner Vertrag sieht vor, dass ein Mitgliedstaat einseitig aus dem Euratom-Vertrag aussteigen kann. Wie mir unsere Rechtsabteilung sagte, ist dies nach Art. 106 a Euratom-Vertrag in Verbindung mit Art. 50 EU-Vertrag möglich. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und dann?) Euratom ist nach dem Lissabonner Vertrag nicht mehr Teil der Säulenstruktur der Europäischen Union. Wenn eine Reform, wie in unserem Antrag beschrieben, auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar ist, muss Euratom von deutscher Seite aus gekündigt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und dann?) Ich glaube nicht, dass wir mit Geld des deutschen Steuerzahlers zum Beispiel den Ausbau der Reaktoren in Temelin finanzieren sollten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, Sie haben ja recht: Das Ziel ist erreicht. Es gibt den Atomausstieg in den nächsten zwölf Jahren. Sie fordern nun, wir müssten aus dem Euratom-Vertrag heraus, weil wir in Deutschland in den nächsten zwölf Jahren aus der Kernenergie aussteigen. Wenn Ihre Argumentation schlüssig wäre, dann müssten auch Sie auf Ihre Funktion als atompolitische Sprecherin Ihrer Fraktion verzichten; denn Ihr Ziel – die Kernenergie in Deutschland wird in zwölf Jahren Geschichte sein – ist erreicht. Wir brauchen aber nach wie vor den Euratom-Vertrag, weil es auch darum geht, die Kernenergie in Europa auf einem hohen Sicherheitsniveau zu halten. Es muss daher unser Ziel sein, dass es in den Staaten um uns herum sichere Kernkraftwerke gibt. Diese Sicherheit können wir gerade mit dem Euratom-Vertrag gewährleisten. Das muss unser erstes und oberstes Ziel bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich jetzt auf die grundsätzlichen historischen Aspekte eingehen. Die Europäische Atomgemeinschaft ist ein Grundpfeiler der europäischen Gründungsidee. Sie wurde 1957 in den Römischen Verträgen zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der späteren EG, begründet. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Nein, danke. – Seitdem ist sie fortlaufend ein Grundpfeiler der europäischen Idee. Auf Grundlage des Euratom-Vertrages und durch die Koordinierung von Forschungsaktivitäten in Europa kann die Sicherheit der Kernkraftwerke und die von nuklearen Anlagen und damit vor allem die Sicherheit für unsere Bürger gewährleistet werden. Als Eigentümer allen nuklearen Materials in Europa ist Euratom maßgeblich daran beteiligt, dass Missbrauch verhindert wird. Die Europäische Atomgemeinschaft stellt somit die friedliche Nutzung von nuklearem Material sicher. Sicherungsmaßnahmen unterstehen der Euratom und der Internationalen Atomenergiebehörde, die auch regelmäßig Inspektionen durchführen. Durch die Aufsicht und die Vergemeinschaftung des nuklearen Materials findet eine gegenseitige Kontrolle statt und kann die Friedenssicherung gewährleistet werden. Gerade weil die Sicherheit nicht vor Grenzen haltmacht, wie ich gerade schon gesagt habe, ist aus meiner Sicht eine starke europäische Zusammenarbeit zwingend notwendig. Diese Zusammenarbeit wird seit über 50 Jahren in der Europäischen Atomgemeinschaft gewährleistet. Eigentlich sollten wir darauf stolz sein und uns glücklich schätzen, dass es diese enge Verzahnung innerhalb der Europäischen Union gibt. Deutschland hat in dieser Technologie- und Sicherheitsgemeinschaft immer eine zentrale Rolle gespielt – ja, wir waren Motor der Bewegung. Als die Gründungsväter die Europäische Atomgemeinschaft ins Leben riefen, wollten sie auf einem Zukunftsfeld der Energieversorgung die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene intensivieren und koordinieren. Das ist ihnen, glaube ich, damit auch gelungen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Trotz des deutschen Sonderwegs in Sachen Kernenergie wird Euratom weiterhin eine wichtige Rolle spielen, vielleicht sogar eine wichtigere als in der Vergangenheit. Denn wir müssen die Realitäten anerkennen: Länder wie Frankreich oder die Niederlande sehen in der Kernenergie eine tragende Säule ihrer Energieversorgung. In Großbritannien hat der öffentliche Zuspruch zur Kernenergie in den letzten sechs Monaten sogar noch zugenommen. Was bringt es uns, wenn unsere Kraftwerke abgeschaltet sind, in unseren Nachbarstaaten aber Kernkraftwerke in Betrieb sind, die unsicher sind? Deshalb ist es gut und richtig, dass sich Deutschland weiter intensiv an der Arbeit in der Europäischen Atomgemeinschaft beteiligt. Denn wenn wir auch zukünftig über nukleare Sicherheit mitreden wollen, wenn wir Standards setzen wollen, dann bietet die Europäische Atomgemeinschaft die ideale Plattform. Ihre Forderung, dass gerade die Anstrengungen im Bereich der Forschung aufgegeben werden sollen, ist falsch. (René Röspel [SPD]: Quatsch, darum geht es doch gar nicht!) Ich will es ganz deutlich sagen: Diese Forderung gefährdet die Sicherheit unserer Bevölkerung; denn nur durch Forschung können wir die Sicherheit der Kernenergie weiterhin steigern. Gerade hier greift der Euratom-Vertrag, der sich insbesondere auf die Forschungsförderung zur Sicherheit von Kernenergie erstreckt und sich nicht auf die Entwicklung von neuen Reaktortypen konzentriert. An der Stelle möchte ich einen weiteren Aspekt aufnehmen: Gerade wir in Deutschland stehen in den nächsten Jahren noch vor enormen Herausforderungen, wenn es darum geht, die bestehenden 21 Kernkraftwerke zurückzubauen. Gerade hier ist es wichtig, dass dies im engen Erfahrungs- und Wissensaustausch mit unseren Nachbarn geschieht. Auch dabei wird der Euratom-Vertrag eine wertvolle Grundlage sein. In diesem Zusammenhang begrüße ich, dass nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima der EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, den europäischen Stresstest vorantreibt. Eine so tiefgehende Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen hat es in sieben Jahren Rot-Grün nie gegeben. Auch das ist ein wirklicher Sicherheitsgewinn. Eine Koordinierung der europäischen Energiepolitik und der nuklearen Sicherheit ist von elementarer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Europa im globalen Wettbewerb mit anderen Regionen in der Welt. Die Europäische Atomgemeinschaft ist ein gelungenes Beispiel in einem Teil der gemeinsamen Energiepolitik. Auch wenn dieser Teil in Deutschland durch den Atomausstieg an Bedeutung zu verlieren scheint, ist die bestehende Koordinierung über den Euratom-Vertrag wegweisend. Denn wir brauchen nicht ein Weniger an europäischer Energiepolitik, sondern ein Mehr. Nur so können wir unsere Ziele in den nächsten Jahren verwirklichen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Fell das Wort. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Bareiß, Sie haben in Ihrem Redebeitrag im Wesentlichen nur auf einen kleineren Teilaspekt der Grundlagen des Euratom-Vertrages hingewiesen, nämlich auf die Safeguards-Bestimmungen und auf die Sicherheitsmaßnahmen, die über Euratom in Europa koordiniert werden. In der Präambel des Euratom-Vertrages steht aber ganz klar: Sinn des Euratom-Vertrages sind die Förderung und der Ausbau der Atomenergie in Europa. – Dafür gibt es eine unheimlich starke Unterstützung mit sehr vielen Beiträgen – auch aus Deutschland, zumindest finanziell. Diese Beiträge werden benutzt für die innereuropäische und sogar über Europas Grenzen hinausgehende Unterstützung des Aufbaus neuer Atomreaktoren. Das gilt beispielsweise auch für Temelin, einen Reaktor, der nur 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt steht und zu dem viele sagen, dass er sehr unsicher ist und dass hier die europäischen Sicherheitsbestimmungen über Euratom nicht genügend angewandt werden.Wir wissen spätestens seit der Katastrophe in Japan, dass wir endgültig aus der Atomenergie aussteigen müssen. Wir freuen uns, dass Sie endlich die Wende in der Atompolitik vollzogen haben, indem Sie sagten: Die Atomenergie ist eine unsichere Technologie. – Nun sehen wir, dass Tokio viel weiter von Fukushima entfernt ist als die bayerische Grenze von Temelin oder Freiburg von Fessenheim; auch andere Reaktoren in Nachbarländern sind wesentlich näher. Deswegen meine Fragen: Wie können Sie die Unterstützung der Ausbauwünsche mancher europäischer Nachbarn aufrechterhalten, wenn Sie sagen, dass Atomreaktoren unsicher sind und wir sie in Deutschland abschalten müssen? Wie können Sie verantworten, dass Deutschland mit vielen Steuergeldern exakt diesen Ausbau unterstützt, obwohl die Bedrohung durch ausländische Reaktoren in Grenznähe genauso groß ist wie durch Reaktoren innerhalb Deutschlands? Ich kann das nicht verstehen und fordere Sie deswegen auf, zusammen mit der Bundesregierung einen Weg zu suchen, dass mindestens – das ist der erste Teil unseres Antrages – die die Atomenergie betreffenden Fördertatbestände aus dem Euratom-Vertrag verschwinden. Dies ist die Minimalforderung, die Sie eigentlich mittragen müssten, weil Sie wie wir der Meinung sind, dass eine Nutzung der Atomenergie nicht mehr verantwortbar ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zu einer Erwiderung. Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Fell, Sie sind in der Energiepolitik schon etwas länger unterwegs als ich und wissen genau, dass es in der Europäischen Union viele Staaten gibt – Sie haben das gerade auch gesagt –, die weiterhin auf die Kernenergie setzen. Es gibt sogar viele Länder, die bereit sind, neue Kernkraftwerke zu bauen. Ich glaube, es ist in unserem ureigenen Interesse, dass die Sicherheit der Kernkraftwerke, die weiterhin bestehen und neu gebaut werden, auf dem höchsten Niveau in der Welt bleibt. Wenn ein Atomkraftwerk in Europa – – (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür sollen wir deutsche Steuergelder verschwenden?) – Die deutschen Technologien in diesem Bereich waren immer führend und haben dafür gesorgt, dass vor allem die Kernkraftwerke in Europa auf höchstem Sicherheitsniveau bleiben. Das sollte in unserem Interesse sein. Deshalb sollten wir den Euratom-Vertrag weiterhin unterstützen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen!) Wir sollten weiterhin Geld investieren, damit die Kernkraftwerke in Europa sicher bleiben und damit auch unsere eigene Sicherheit weiterhin gewährleistet ist. Angela Merkel hat im Übrigen in den letzten Monaten, nach Fukushima, eine hervorragende Arbeit im Europäischen Rat geleistet, um andere europäische Staaten, die weiterhin auf Kernenergie setzen, von dem Weg zu überzeugen, weiterhin in die Sicherheit zu investieren und die Sicherheitsstufen weiter zu erhöhen. Wir werden in den nächsten Tagen von der Kommission die Ergebnisse des Stresstests erhalten. Daraus werden konkrete Handlungsempfehlungen folgen, die, wie gesagt, auch unsere Sicherheit weiter befördern. Insofern sind wir da auf dem richtigen Weg. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Sie nach den Fördertatbeständen gefragt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir sind jetzt nicht im Dialog. Das war die Möglichkeit, auf die Kurzintervention zu antworten. – Das Wort hat nun der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Euratom-Vertrag vor mehr als 50 Jahren geschlossen wurde – wir haben schon ein bisschen dazu gehört –, wurde die Debatte um die Kernenergie – damals hieß es noch „Kernenergie“, später hieß es „Atomkraft“ – einerseits von einer dramatischen Erkenntnis in der Welt und andererseits von einer großen Hoffnung begleitet und getragen. Die dramatische Erkenntnis ist durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki entstanden: Die Atomenergie darf niemals zu militärischen Zwecken genutzt werden, weil die Konsequenzen für die Menschheit verheerend wären. Gleichzeitig gab es die große Hoffnung, dass die friedliche Nutzung der Atomkraft einen Beitrag zur Energieversorgung leisten könnte. Unter den damals herrschenden Eindrücken war es wahrscheinlich folgerichtig, dass man in Europa gemeinsam eine neue Technologie entwickeln und friedlich nutzen wollte und so eben auch gemeinsam verhindern konnte, dass sie zu unfriedlichen Zwecken genutzt werden kann. Das ist jetzt mehr als 50 Jahre her. Was ist geblieben? Sicherlich die dramatische Erkenntnis über die verheerenden Auswirkungen der militärischen Kernenergienutzung. In den letzten 50 Jahren gab es auch Vorkommnisse wie die in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, die dazu geführt haben, dass sich die große Hoffnung auf der anderen Seite aufgelöst hat. Die Nutzung der Atomkraft ist nicht mehr rational begründbar, zumal die Endlagerprobleme nach wie vor nicht gelöst sind. (Beifall bei der SPD) In diesen 50 Jahren hat sich also viel verändert, jedoch eines so gut wie gar nicht, nämlich der Euratom-Vertrag. Herr Kollege Bareiß, wenn man in diesen Vertrag schaut, kann man lesen – das haben der Kollege Fell und die Kollegin Kotting-Uhl richtig erwähnt –, dass das Ziel des Euratom-Vertrags darin bestehe – ich zitiere ungefähr –, eine mächtige Kernindustrie in Europa auszubauen und die Atomkraft zu fördern. Wer das nach über 50 Jahren nach wie vor für ein erstrebenswertes Ziel einer gemeinsamen verantwortlichen europäischen Forschungs-, Wirtschafts- und Energiepolitik hält, hat nichts dazugelernt. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Deswegen ist es eindeutig richtig, dass der Euratom-Vertrag mindestens verändert werden muss. Bereits die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 im Rahmen der Verhandlungen über den Lissabon-Vertrag in einer Anmerkung an den Konvent deutlich gemacht, dass sie glaubt, dass auch der Euratom-Vertrag verändert und neu ausgerichtet werden müsse. 2007 hat es unter der Großen Koalition, als der Lissabon-Vertrag in die Schlussphase ging, ein Protokoll nicht nur von der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch von weiteren europäischen Staaten gegeben, die ausdrücklich betonten, dass es eine Neuausrichtung des Euratom-Vertrages geben müsse, weil die Zeit über ihn hinweggegangen sei und die Zielsetzung eine andere sein müsse. Das war im Jahr 2007, also vor Fukushima. Jedoch hat diese Bundesregierung – es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie weit sie sich eigentlich in der Tradition der außenpolitischen Handlungsweise ihrer Vorgängerregierung aufgehoben fühlt bzw. sie weiterführt – in den letzten sieben Jahren dazu nichts getan. Die rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Initiative im Bundesrat auf den Weg gebracht, um den Euratom-Vertrag zu verändern und neu auszurichten. Richtig ist – das spiegelt sich im Grünen-Antrag wider, der fast wortgleich ist –, dass die Sonderstellung der Kernenergie bezüglich Baugenehmigungen, Forschungsförderung und anderer Möglichkeiten, die im Euratom-Vertrag fast manifestiert ist, beendet werden muss. Kernenergie kann nicht mehr mindestens bevorzugt behandelt werden, sondern muss eher nachrangig gegenüber Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Europa und in Deutschland behandelt werden. Eine weitere Forderung in dieser Landesregierungsinitiative aus Nordrhein-Westfalen lautet – anders als Sie es dargestellt haben, Herr Bareiß –, ausdrücklich dafür Vorkehrungen zu treffen und Forschungen zu betreiben, dass die Sicherheitsstandards beim Betrieb von Atomkraftwerken in Deutschland und in Europa möglichst hoch sind. Ebenfalls sollen bei der Entsorgung die Voraussetzungen und die Sicherheitsstandards so hoch wie möglich sein. All diese Punkte bis hin zur Neuausrichtung des Euratom-Vertrags finden sich im Grünen-Antrag wieder, den wir deswegen in diesen Punkten ausdrücklich begrüßen. Der Text entspricht wortgleich der Initiative der rot-grünen Landesregierung – ergänzt um zwei wichtige andere Punkte. Ein Punkt ist inhaltsgleich mit einer Forderung der Bundesratsinitiative der grün-roten baden-württembergischen Landesregierung, ausdrücklich eine europäische Gemeinschaft für erneuerbare Energien auf den Weg zu bringen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Auch das ist ein richtiger Schritt. Wir sind in dieser Frage rot-grün-koalitionär und halten es für inhaltlich begründet, das zu unterstützen. (Beifall bei der SPD) Zu einem Punkt, der nicht in der Initiative der rot-grünen Landesregierung enthalten ist, haben wir mindestens Diskussionsbedarf, wenn nicht vielleicht sogar Dissens. Er betrifft die Frage, ob man aus dem Euratom-Vertrag einseitig aussteigen bzw. ihn einseitig kündigen kann. Ich habe die Bundesregierung im Mai dieses Jahres gefragt, ob sie es für möglich halte, dass Deutschland einseitig aus diesem europäischen Euratom-Vertrag aussteigt. Sie hat diese Frage verneint. In der Antwort der Bundesregierung steht auch, ein Ausstieg aus Euratom sei nur denkbar, wenn es einen Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der Europäischen Union gibt. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Was glaubt denn die SPD alles dieser Bundesregierung?) Uns liegt glücklicherweise auch eine Antwort des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages auf eine Anfrage des Genossen Marco Bülow vor, die eine Reihe guter Argumente enthält. Ich finde, sie sind nachvollziehbar. Darin wird – das hat auch Kollegin Kotting-Uhl gesagt – es ausdrücklich für möglich gehalten, dass Deutschland einseitig aus dem Euratom-Vertrag aussteigt, ohne damit europäisches Recht zu verletzen. Es gibt eine Reihe guter juristischer Argumente. Es stellt sich eine andere Frage in diesem Bereich – außerhalb der juristischen Unwägbarkeit, ob es möglich ist oder nicht –, nämlich ob es sinnvoll ist, sich aus einem Verein zurückzuziehen, den man eigentlich verändern will. Wir halten das für nicht sinnvoll. Ohne in einen Topf mit der rechten Seite des Hauses geworfen werden zu wollen – in den anderen Punkten unterscheiden wir uns deutlich –, sage ich: Wenn wir Euratom verändern wollen, dann müssen wir das innerhalb Euratoms versuchen, und zwar mit europäischen Bündnispartnern, wobei die Bundesregierung längst aufgerufen ist, diese Bündnispartner zu organisieren. Es gibt in Europa unterschiedliche Sichtweisen zur Nutzung der Atomenergie. Es gibt Staaten, die aussteigen wollen, und es gibt Staaten, die Atomenergie weiterhin nutzen wollen. Ich finde, dass die Bundesrepublik innerhalb von Euratom die Aufgabe wahrnehmen muss, den Vertrag zu verändern, weg von der Atomenergie hin zu erneuerbaren Energien. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Nehmen wir uns ein Beispiel am erfolgreichsten Atomland der Europäischen Union, das ist Österreich. Österreich hat das beste Atomkraftwerk, das es weltweit gibt: (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das AKW Zwentendorf!) Das war das AKW Zwentendorf. Es ist niemals in Betrieb genommen worden. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja, sehr lustig!) Auf dem Gelände dieses Atomkraftwerks gibt es heute eine sehr große Photovoltaikanlage, die 180 000 Kilowattstunden Strom erzeugt. Wir sollten gemeinsam mit Österreich und anderen Vorbildern versuchen, den Euratom-Vertrag in Richtung einer sonnigen Zukunft zu verändern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir werden diesen Antrag weiterhin sehr interessiert diskutieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Martin Lindner für die FDP-Fraktion. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Was wir von der Opposition gehört haben, ist sattsam bekannt, das ist Ihre Einstellung zur Atomkraft. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt kommt etwas ganz Neues!) – Nein, darum geht es in dem Antrag nicht. Es geht nicht um unsere wechselseitigen Einstellungen zur Nutzung der Kernkraft. Vielmehr geht es in dem Antrag darum, den Euratom-Vertrag zu ändern, den Atomausstieg europaweit voranzubringen und das Atomprivileg zu beenden. (René Röspel [SPD]: Richtig!) In Ihrem Antrag fordern Sie – das steht vor allem unter Punkt III.e –, dass sich dafür Deutschland einsetzt, dass der europaweite Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft vorbereitet wird. Eine demokratische Kontrolle soll durch das Europäische Parlament gewährleistet werden. Sie glauben doch selber nicht im Ernst – wir sind hier unter uns, es ist kaum einer hier im Raum –, dass das auch nur ansatzweise Erfolg haben kann. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ein Vertrauen in die Institutionen!) Wie ist denn die Situation in Europa nach dem einseitigen Ausstieg Deutschlands aus der Nutzung der Atomkraft? Wir stellen fest, dass es eine gegenteilige Bewegung gibt. Die Polen bauen ein Atomkraftwerk – die haben sich von Ihnen bzw. von uns – das muss man auch sagen – nicht davon abbringen lassen –, (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Verdammt! Verdammt!) Frankreich genießt seine Singularität im Bereich der Kernkraftnutzung, (René Röspel [SPD]: Aber im Winter mit kaltem Hintern!) und Großbritannien wirbt in der deutschen Industrie ganz offensiv für Zuwanderung mit dem Hinweis auf günstige Strompreise. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das heißt doch nicht, dass wir Steuergelder reingeben müssen! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Argumentation kam im letzten Oktober auch!) Vor allen Dingen in Zusammenhang mit der Euro-Krise wird uns vorgehalten, dass wir deutsche Interessen massiv durchsetzen würden. Glauben Sie ernsthaft, dass wir insbesondere in diesem zeitlichen Kontext andere Staaten in der EU dazu bringen, das von ihnen genossene Privileg aufzugeben? (René Röspel [SPD]: Atomenergie ist ein „genossenes Privileg“?) Das kann nicht sein. Diese Vorstellung ist wirklich abwegig. Schauen wir uns den Vertag genauer an. Lassen wir die Präambel weg. Im Bereich der Nichtverbreitung, der Versorgungssicherheit und der Grundnormen für Strahlenschutz funktioniert er gut. Ich habe mir angeschaut, wie die Förderung – dies kritisieren Sie nämlich – zahlenmäßig aussieht. Für die Jahre 2012 und 2013 ist ein Budget von insgesamt 2,5 Milliarden Euro vorgesehen, davon sind 2,2 Milliarden Euro – das war vorhin Ihre Frage –, also 86 Prozent, für Kernfusionsforschung vorgesehen. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Geld wäre woanders besser eingesetzt!) Für die Forschungsprojekte im Bereich der Kernspaltung einschließlich Strahlenschutz werden 118 Millionen Euro bereitgestellt. Die Nuklearforschungsarbeiten und die Arbeiten zur Gewährung der kerntechnischen Sicherheit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission, JRC, werden mit 233 Millionen Euro unterstützt. Wo soll denn da – das haben Sie suggeriert – eine Subvention des Bereichs der Kernenergie beinhaltet sein? (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind das Peanuts im Vergleich zu den sonstigen Subventionen der Kernenergie?) Das sind im Wesentlichen, zu 86 Prozent, Projekte, die der Kernfusionsforschung dienen. Ansonsten fließen die Mittel in den Bereich der Reaktorsicherheit. Wenn man sich die weiteren Aufgaben von Euratom anschaut, stellt man fest, dass die Setzung von Sicherheitsstandards dazugehört. Des Weiteren wird dort alles, was mit Strahlenschutz und Entsorgung zusammenhängt, behandelt. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht auch alles ohne Subventionierung! Das geht auch so!) Es geht auch um die wechselseitige Verpflichtung und die Erklärung, dass sämtliches Nuklearmaterial innerhalb der EU Eigentum von Euratom ist, um die friedliche Nutzung sicherzustellen. Für Frankreich und Großbritannien gelten Sonderklauseln, für die anderen nicht. Das ist im Euratom-Vertrag geregelt. Natürlich müssen wir an Euratom mitwirken. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kollege Röspel, ich danke Ihnen, dass Sie trotz aller Lyrik herausgestellt haben – wenigstens da haben wir eine Gemeinsamkeit –, dass jenseits der juristischen Betrachtung der Frage, ob man sich einseitig von diesem Vertrag lösen kann, es auf keinen Fall politisch sinnvoll ist, sich einseitig aus dieser Gemeinschaft für Reaktorsicherheit und für Strahlenschutz zu verabschieden. Das wäre verantwortungslos. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Günter Baumann [CDU/CSU] – René Röspel [SPD]: Für Veränderungen eintreten! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Also wirklich! Vereinigung für Reaktorsicherheit!) Das ist nichts anderes als populistische Verantwortungslosigkeit. Sie können doch nicht so dumm sein, ernsthaft zu unterstellen, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber vorsichtig! Sie haben genug dummes Zeug gesagt! Seien Sie vorsichtig!) dass dieser Vertrag wirklich zu ändern ist. Das heißt, der einzige Kerngehalt Ihres Antrags findet sich unter Punkt IV, wo steht: Sollte diese Neuausrichtung auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar sein, fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, den Euratom-Vertrag von deutscher Seite aus zu kündigen. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich!) Da Sie nicht so dumm sind, zu glauben, dass Ihre Forderung unter Punkt III jemals in Erfüllung geht – wir leben nämlich nicht im Pippi-Langstrumpf-Land: Ich bastel mir die Welt, so, wie sie mir gefällt –, (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Jetzt wird es langsam unangenehm!) ist klar, dass es auf Punkt IV hinausläuft. Das wäre schlichtweg unverantwortlich. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Günter Baumann [CDU/CSU]) Kündigen heißt, nicht mehr bei den Verhandlungen über die Sicherheitsstandards dabei zu sein. Kündigen heißt, nicht mehr bei der Überwachung mitzureden. Kündigen heißt, sich aus der Verantwortung herauszustehlen, völlig ungeachtet der Frage, dass die Kernkraftwerke in den allermeisten Ländern in Europa auch in den nächsten 20, 30, 40 Jahren weiterbetrieben werden. Dann haben Sie uns auch noch eine Partnerschaft mit Österreich empfohlen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben wir doch schon! Die Erklärung gibt es doch! Die hat Ihre Regierung unterschrieben!) Zwentendorf ist ein wunderbares Beispiel. Wissen Sie, das Problem von Österreich war doch, dass Österreich aufgrund der Tatsache, dass es die Kernkraft nie genutzt hat und dass das Kernkraftwerk Zwentendorf nie in Betrieb genommen wurde, bei allen Fragen nicht ernst genommen wurde. Es ist doch klar: Wenn man nicht dabei ist, wenn man nicht in der Verantwortung steht, dann hat man auch nicht mitzureden, dann kann man eben nicht mitgestalten. (Lachen des Abg. René Röspel [SPD]) Das empfehlen Sie uns als Weg für Deutschland, für die größte Industriemacht in Europa, die immer noch Kernkraftwerke hat. Das ist unverantwortlicher Populismus. Dem schließt sich die Regierung selbstverständlich nicht an. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man merkt auch in dieser Debatte deutlich, dass die Bundesregierung den Atomausstieg in diesem Frühjahr erzwungenermaßen beschlossen hat (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) und es ein Fehler war, dass das Hohe Haus nicht unserer Forderung nachgekommen ist, den Atomausstieg im Grundgesetz niederzuschreiben; denn das, was jetzt passiert, ist umkehrbar. Diese beiden Fraktionen wollen auf jeden Fall zurück zur Kernenergienutzung. Das wurde auch in dieser Debatte wieder deutlich. (Beifall bei der LINKEN – Günter Baumann [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!) Wir haben vor etwa vier Wochen einen Antrag zu Euratom in den Bundestag eingebracht. Wir freuen uns, dass die Grünen jetzt einen ähnlichen Antrag einbringen. Wie ich gehört habe, will auch die SPD einen Antrag einbringen. Vor vier Wochen hat der Bundestag entschieden, unseren Antrag in den Europaausschuss zu überweisen. Dort ist bereits eine Anhörung geplant. Weil die Federführung heute strittig ist, appelliere ich an Sie, diesen Antrag an den gleichen Ausschuss zu überweisen; denn es macht wenig Sinn, eine Anhörung im Europaausschuss durchzuführen, wenn ein ähnlicher Antrag im Wirtschaftsausschuss behandelt wird. Deshalb fordere ich Sie auf: Überweisen Sie den Antrag mit in den Europaausschuss. Zum Antrag der Grünen. Unseres Erachtens geht dieser Antrag nicht weit genug; Sie haben eine zu lasche Haltung. Wenn wir aus der Atomkraftnutzung aussteigen wollen, dann, glaube ich, müssen wir mit dem Fossil Euratom wirklich Schluss machen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist nicht ausreichend, nur Vertragsänderungen vorzunehmen. Aber das passt ein Stück weit zu Ihrem sonstigen Verhalten. Vor einem halben Jahr wurde der Atomausstieg mit Ihrer Unterstützung beschlossen. Auch damals – das muss man sagen – ist man vor der Atomlobby und den Energieriesen eingeknickt. Jetzt ist es ähnlich. Die Fraktion der Grünen springt meines Erachtens nicht weit genug. Wir müssen Euratom auflösen. (Beifall bei der LINKEN) Mit der Mitgliedschaft in Euratom verschwendet die Bundesregierung – das wurde schon angesprochen – jährlich Millionen von Euro für die europäische Atomlobby und Nuklearindustrie. Insbesondere fördert sie damit auch die Erforschung der Kernfusion, eine Energieform, die möglicherweise erst 2050 nutzbar ist. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Möglicherweise nie!) Jeder weiß, dass wir in Europa 2050 zu 100 Prozent erneuerbare Energien wollen. Das heißt, man fördert etwas, das man 2050 gar nicht mehr haben möchte. Insoweit ist das eine Verschwendung von Steuergeldern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Geld wird nicht, wie immer wieder behauptet, in die Verbesserung von Sicherheitsvorkehrungen oder von Strahlenschutz investiert. Wir haben festgestellt, dass Euratom gerade da große Mängel aufweist. Erst nach den Ereignissen in Fukushima sind die sogenannten Stresstests bei den AKW durchgeführt worden. Wenn Euratom so toll wäre, wären diese Stresstests nicht erst nach den Ereignissen in Fukushima durchgeführt worden. Die deutsche Bevölkerung wurde – ich habe es bereits erwähnt – mit einem schlechten Atomausstiegsgesetz zufriedengestellt. Jetzt wird, wenn wir Euratom nicht verändern oder beenden, dieser Atomausstieg in Deutschland über die europäischen Umwege konterkariert; denn das, was wir im Rahmen von Euratom weiterhin fordern, ist das Gegenteil von dem, was der Bundestag hier im Frühjahr entschieden hat. Die Vorredner sind darauf eingegangen. (Günter Baumann [CDU/CSU]: So etwas Abwegiges!) Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, endlich Nägel mit Köpfen zu machen, damit wir über die europäische Bande nicht eingeholt werden. Das entspricht nicht dem Willen der Bevölkerung. Von Rednern der CDU/CSU, in der Vergangenheit auch von Rednern der SPD, aber insbesondere von Rednern der FDP wurde immer wieder erwähnt, man könne aus dem Vertrag nicht aussteigen. Das ist Quatsch. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde Euratom strukturell aus der EU ausgegliedert. Die EU und die Europäische Atomgemeinschaft sind eigenständige Organisationen. Deshalb kann man aus Euratom aussteigen. Auch wir haben beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages ein Gutachten angefordert. Man bestätigt uns, dass man natürlich aussteigen kann, dass sich juristisch überhaupt keine Probleme ergeben, wenn man aus Euratom aussteigt. Wir wollen den Atomausstieg. Machen Sie mit. Überweisen Sie den Antrag in den Europaausschuss. Wir werden dieses Thema dann in der Anhörung mit Experten erörtern. FDP und CDU/CSU wollen weiterhin an der Atomenergienutzung festhalten. Sie wollen weiterhin den Energieriesen das Geld hinterherwerfen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Schwätzer!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! „Die Welt braucht Kernenergie“, und die verantwortlichen Politiker dürfen sich dabei weder von „Umweltidioten“ noch von „Gerichten, die alles kaputtmachen“, bremsen lassen. Das sagte (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Willy Brandt, oder?) Helmut Schmidt, nachzulesen im Spiegel vom 18. Juni 1979. (René Röspel [SPD]: Aber der ist zumindest lernfähig!) Ich zitiere das, weil ich etwas deutlich machen will. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen sagen das Politiker immer noch! Das ist das Schlimme! – Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD hat das Schlimmste überwunden!) – Ich wollte Ihnen gerade recht geben, und Sie schreien jetzt schon wieder. – In der Tat sind die Perspektiven bei der Betrachtung des Themas, über das wir hier diskutieren, seit den 50er-Jahren wechselnd und vielfältig. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass man über den einen oder anderen Punkt des Euratom-Vertrages diskutieren muss. In diesem Sinne hat das die damalige deutsche Bundesregierung in der Schlussakte des Vertrages von Lissabon am 13. Dezember 2007 so festgelegt. Es ist zunächst einmal richtig, dass man über diese Themen diskutiert. (René Röspel [SPD]: Was ist passiert, fragen wir!) Nicht akzeptabel ist, dass Sie wieder den einseitigen Ausstieg, die Kündigung fordern, wenn auch mit einer gewissen anderen Akzentuierung als bei den vorhergehenden Anträgen von Ihnen. Wir diskutieren nun leider nicht zum ersten Mal darüber, sondern zum x-ten Mal; ich kann mich jedenfalls erinnern, mehrfach zu diesem Thema gesprochen zu haben. Auch in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen etwas vorlesen, und zwar aus einer Publikation vom Juli 2003. Im Magazin für erneuerbare Energien – es steht nicht im Verdacht, eine Sonderedition des Bayernkuriers zu sein – (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) hieß es: Das BMU verweist schlicht darauf, dass das Auswärtige Amt zuständig sei. Ressortchef Joschka Fischer wiederum besteht auf der gegenteiligen Rechtsauffassung, Euratom sei nicht einseitig kündbar. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Joschka kann sich mal irren!) Wenn Sie uns nicht glauben, meine Damen und Herren, dann glauben Sie doch Ihrem ehemaligen Bundesaußenminister, (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war vor Lissabon! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir haben diese Hierarchien nicht! Bei uns hat auch mal die Basis recht!) der hier, wie ich fürchte, richtig zitiert wurde. Also: Eine einseitige Kündigung kommt nicht infrage, juristisch nicht und auch politisch nicht, und zwar schlicht und schlank deshalb, weil im Euratom-Vertrag mehr geregelt ist als das, was Sie die Öffentlichkeit gerne glauben machen wollen. Natürlich geht es auch um Sicherheitsfragen, um Fragen der Nuklearmedizin, der Forschung, der Wissenschaft, der Nichtverbreitung von nuklearem Material und der Entwicklung und Einhaltung von einheitlichen Sicherheitsnormen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das alles hängt an der Förderung von Kernkraft, oder wie?) – Nein. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ach! Ich habe Ihnen doch die Zahlen vorgelesen! Sie wollen das bloß nicht hören!) Das behaupten doch Sie. Legen Sie mir nicht den Unsinn, den Sie an dieser Stelle behaupten, in den Mund! (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen renovieren! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ach, von wegen „renovieren“! So blöd seid ihr doch selber nicht!) Das ist falsch. Sie wollen am Ende und unter dem Strich einseitig aussteigen. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] – Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts verstanden! Schade! – Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Ultima Ratio! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wie bitte? „Ultima Ratio“? Das ist das Gegenteil von Ratio! Das ist Irratio!) Immerhin konstatieren Sie in Ihrem Antrag ausnahmsweise – in Teilen scheinen Sie offenbar in der Realität angekommen zu sein –, dass die Atomenergie noch einige Zeit Teil des Energiemixes vieler Mitgliedstaaten sein wird; das steht da. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum muss der deutsche Steuerzahler das mitfinanzieren? Das ist doch die Frage!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Röspel? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ungern. Aber ich befürchte, er meldet sich sonst zu einer Kurzintervention. Dann dauert es noch länger. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dann dauert es noch länger, ja! Lieber jetzt!) Also, bitte schön. René Röspel (SPD): Ich mache es ganz kurz. – Da Sie immer auf dem Ausstieg bzw. der einseitigen Kündigung herumreiten, frage ich Sie: Sind Sie denn mit allen anderen Forderungen einverstanden – dann könnten wir die Debatte abkürzen –, und wann wird die Bundesregierung endlich entsprechende Verhandlungen auf europäischer Ebene führen? Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): All das wollte ich noch vortragen. (René Röspel [SPD]: Soll ich mich setzen?) Nun habe ich aber die Chance, dies nicht in meiner normalen Redezeit, sondern in Antwort auf Ihre Frage zu tun. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nur das Entscheidende auswählen! Die Bemerkung zu Joschka Fischer hätten Sie sich zum Beispiel sparen können!) Ich beginne mit Punkt III.a des Antrags. Dort sprechen sich die Grünen gegen die Forschungsförderung aus. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir werden uns doch hoffentlich einig sein, dass man im Hinblick auf die Sicherheit weiterforschen muss. (René Röspel [SPD]: Ja! Aber bei der Sicherheitsforschung!) Was das Thema Kernfusion betrifft, kann man rückblickend sagen: Hier ist wenig herausgekommen. Das heißt aber nicht, dass dort in Zukunft nichts passieren wird. Im Übrigen ist die Forschung von weltweiter Bedeutung. Angesichts des Energiehungers, den 7 Milliarden Menschen auf dieser Welt entwickeln werden, muss man über die eine oder andere Option nachdenken und – so sehr ich sie schätze – auch über den Tellerrand der erneuerbaren Energien blicken. Ich fahre fort und komme auf Punkt III.e des Antrags zu sprechen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie sollen doch nur das Entscheidende vortragen!) „Der europaweite Ausstieg aus der Atomkraft soll vorbereitet werden.“ (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ach! Alles Pippi Langstrumpf!) Mir stellt sich die Frage, wie dies mit der Feststellung zu vereinbaren ist, dass wir momentan eine ganz andere Entwicklung erleben, nämlich die Entwicklung, dass man beispielsweise in Polen, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Genau! Da wird sogar neu gebaut!) wie der Kollege Lindner beschrieben hat, in eine ganz andere Richtung denkt und neue Kernkraftwerke baut. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und das finanzieren wir über Euratom! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Quatsch! Das wird doch nicht aus diesen Mitteln finanziert! Das wird doch nicht aus den 2,5 Milliarden finanziert! Sie haben doch wirklich keine Ahnung, Frau Kollegin! – Gegenruf der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben ein bisschen wenig Ahnung! Wie spielen Sie sich denn hier auf? Sie Macho! Sie Angeber!) Wenn Tschechien erst die entsprechenden Anträge auf den Tisch legt, werden sich viele darum bemühen, Deutschland Strom liefern zu können. Das ist nun einmal die Realität, mit der Sie umgehen müssen. Viel spannender als immer nur den Euratom-Vertrag zu thematisieren, wäre, auch einmal über die Frage nachzudenken, was wir im europapolitischen Kontext unternehmen können. – Sie können darüber auch untereinander diskutieren; dann muss ich mich hier nicht abmühen. – Ich wäre eng an Ihrer Seite, wenn man endlich Druck machen und darauf hinwirken würde, dass das Thema Kernenergie und Sicherheit auf europäischer Ebene zum Topthema wird. Stattdessen geht es meistens darum, was uns alles aus Brüssel blüht. Jetzt will man uns sogar diktieren, wie wir hierzulande Maßnahmen zur Energieeffizienz umzusetzen haben. Über den Vorschlag, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Energieverbrauch um 1,5 Prozent pro Jahr senken sollen, soll schon diskutiert worden sein. Das soll zwangsweise geschehen. Das ist planwirtschaftlich. Hier werden wir von Brüssel dirigiert. Es wäre doch besser, wenn wir über das wirkliche Thema, das europaweit und grenzüberschreitend eine Rolle spielt, nämlich die Sicherheit, diskutierten. Hier ist Euratom eine Basis. Entscheidend ist aber doch, dass wir das europapolitisch nach vorne stellen und nicht die Kleinigkeiten, die von Brüssel aus ganz gerne auf uns einwirken sollen. Das halte ich für viel entscheidender, als dass Sie uns hier laufend mit demselben Antrag bombardieren, der sich immer nur in Nuancen von dem unterscheidet, was Sie hier kurz vorher vorgetragen haben. (Zuruf von der SPD: Immer diese militärische Sprache! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist das erste Mal, Herr Nüßlein!) Das ist nicht erbaulich. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie dieses Thema ein bisschen konstruktiver begleiten würden. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch konstruktiver? Wo ist denn Ihr konstruktiver Beitrag?) Gerne kann man mit den Nachbarländern über die Frage diskutieren, wie es mit der europäischen Kernenergie weitergeht. Ich sage Ihnen aber auch: Sie werden unserem Beispiel nur folgen, wenn wir zeigen können, dass man auf der einen Seite sukzessive aus der Kernenergie aussteigen und auf der anderen Seite Wachstum und Wohlstand sichern kann. (René Röspel [SPD]: Mit einer anderen Regierung können wir das!) Hier können Sie Ihren Beitrag leisten. Ich konstatiere aber, dass Sie sich sonst, wenn es konkret wird, üblicherweise immer nur sperren. Immer dann, wenn es um Speicherkraftwerke, Netze, Windräder und andere Dinge geht, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) immer dann, wenn es konkret wird, sind Sie nicht dabei. Sie verkünden hier das Allgemeine und sperren sich im Konkreten. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlt noch das Moratorium, auch ein gutes Stichwort!) – Ja, das muss man hier halt auch immer und immer wieder sagen. Fahren Sie doch einmal in den Schwarzwald und diskutieren Sie dort mit der Kreisvorsitzenden der Grünen, warum sie gegen das große Speicherkraftwerk ist. Das wäre eine spannende Sache. Dadurch könnten Sie einen größeren Beitrag zur Energiewende in Deutschland leisten als durch solche Schaufensteranträge. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eine einzige neue Idee bitte!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7670 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 22. November 2011, 10 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen im Rahmen der Möglichkeiten ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 15.03 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.2011 Becker, Dirk SPD 11.11.2011 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 11.11.2011 Bülow, Marco SPD 11.11.2011 Burkert, Martin SPD 11.11.2011 Daub, Helga FDP 11.11.2011 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 11.11.2011 Goldmann, Hans-Michael FDP 11.11.2011 Haustein, Heinz-Peter FDP 11.11.2011 Hintze, Peter CDU/CSU 11.11.2011 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.2011 Juratovic, Josip SPD 11.11.2011 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 11.11.2011 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 11.11.2011 Krellmann, Jutta DIE LINKE 11.11.2011 Leidig, Sabine DIE LINKE 11.11.2011 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.2011 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 11.11.2011 Nietan, Dietmar SPD 11.11.2011 Dr. von Notz, Konstantin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.2011 Petermann, Jens DIE LINKE 11.11.2011 Pflug, Johannes SPD 11.11.2011 Philipp, Beatrix CDU/CSU 11.11.2011 Pieper, Cornelia FDP 11.11.2011 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 11.11.2011 Schaaf, Anton SPD 11.11.2011 Schlecht, Michael DIE LINKE 11.11.2011 Seiler, Till BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.2011 Dr. Stinner, Rainer FDP 11.11.2011 Tack, Kerstin SPD 11.11.2011 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 11.11.2011 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 11.11.2011 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 11.11.2011 Werner, Katrin DIE LINKE 11.11.2011 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 11.11.2011 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 11.11.2011 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedergewährung der Sonderzahlung (Zusatztagesordnungspunkt 12) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum nicht gleich so? Diese Frage muss man der Regierungskoalition am heutigen Tage angesichts des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Wiedergewährung der vollständigen gesetzlichen Sonderzahlung für die Beamtinnen und Beamten des Bundes unweigerlich stellen. Warum hat sich die Bundesregierung vor einem Jahr so dermaßen verrannt mit der Aufhebung der versprochenen Anhebung des Weihnachtsgeldes für über 400 000 Beamtinnen und Beamte, dass sie heute gewissermaßen klein beigeben muss und sich nun doch an das erinnert, was der Beamtenschaft ohnehin fest versprochen worden war? Die Antwort, so befürchte ich es, liegt bei dieser Bundesregierung, so wie in vielen anderen Bereichen auch, in einer durchaus unheiligen Mischung aus einer Art hemdsärmeligem Populismus von der Sorte des „man kann es ja mal versuchen“, gepaart mit einer auffälligen Konzeptlosigkeit im Hinblick auf die differenzierten Anforderungen des einzelnen Politikfeldes. Das Ergebnis dieser Politik verunsichert die davon unmittelbar Betroffenen, verstärkt die schon sprichwörtliche Wut auf „die Politik“ und lässt am Ende das vermissen, was in der Sache erforderlich ist: die Gestaltung der Zukunft des öffentlichen Dienstes als einer tragenden Säule staatlicher Aufgabenerfüllung. Ich möchte gleich zu Anfang klarstellen, dass die grüne Fraktion die Wiederaufnahme der Sonderzahlung im Ergebnis grundsätzlich begrüßt. Die wichtige Arbeit der Bundesbeamtinnen und -beamten steht zentral für die Leistungsfähigkeit unseres Gemeinwesens. Die durch die Beamtenschaft ausgeübten staatlichen Aufgaben realisieren gemeinwohlbezogene Ziele, die auch und gerade in einer nur schwer zu bändigenden Marktwirtschaft – das zeigt uns gerade das Ausmaß der gegenwärtigen Finanzkrise – von besonders hoher Bedeutung sind. Grund zu lautem Beifall bietet die isolierte Weihnachtsgeldmaßnahme der Koalition jedoch mitnichten. Denn bei dem Gegenstand der heutigen Debatte handelt es sich weder um ein großzügiges Geschenk noch um die konsequente Umsetzung einer durchdachten Strategie, sondern bestenfalls – das ist zumindest zu hoffen – um einen Akt der späten Einsicht und um den reuigen Versuch einer Wiedergutmachung. Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, dabei den Populismus nicht lassen können, das bevorstehende Weihnachtsfest lässt grüßen, bestätigt allerdings, dass jegliche Milde Ihnen gegenüber unangebracht erscheint. Und ob Sie damit, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, den vor über einem Jahr in diesem Hohen Hause begangenen Vertrauensbruch gegenüber den Beamtinnen und Beamten des Bundes und den damit verbundenen Vertrauensverlust tatsächlich rückgängig machen können, wage ich zu bezweifeln. Ein Selbstläufer nach dem Motto „nun ist doch alles wieder gut“ ist das hier sicherlich nicht. Dazu ist Ihre Politik auch im Bereich des öffentlichen Dienstes viel zu unberechenbar und unkoordiniert. Man darf gespannt sein, mit welchen Überraschungen Sie im kommenden Jahr aufwarten. Lassen Sie uns also kurz rekapitulieren, wie sich die Geschichte der sogenannten Besoldungsanpassung tatsächlich zugetragen hat. Anfang Juni vergangenen Jahres präsentierte die Bundesregierung ihre Version einer Haushaltskonsolidierung in Gestalt eines vorgeblichen 80-Milliarden-Euro-Sparpaketes. Der öffentliche Dienst war mit über 2 Milliarden Euro mitbetroffen. Die mit dem Sparpaket beabsichtigte Verringerung der Neuverschuldung wurde nahezu unisono in ihrer sozialen Unausgewogenheit kritisiert. Sie trug und trägt die Handschrift einer Koalition, die Sozialhilfen und Familienförderung streicht und eine Beteiligung der Besserverdienenden ablehnt. Von Mövenpick mal ganz zu schweigen … Zu den berechtigten Kritikpunkten zählte auch die Streichung der versprochenen schrittweisen Wiederanhebung der Weihnachtsgeldbezüge des öffentlichen Dienstes, ein eklatanter Wortbruch gegenüber den Gewerkschaften, denen man im Rahmen der Großen Koalition 2005 eben diese Anpassung versprochen hatte, und zwar nicht von ungefähr. Denn diese hätten damals ansonsten einer Anhebung der Arbeitszeit um eine Stunde auf 41 Stunden ohne Ausgleich zustimmen müssen. Um also dem geballten und berechtigten Zorn der Gewerkschaften zu entgehen, versuchte die Bundesregierung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bereits zehn Tage nach der Verkündung des Sparpaketes, die entsprechende gesetzliche Regelung per Protokollrede durch das Parlament zu bugsieren. Weil diese Trickserei misslang, kam der Innenausschuss in der im September 2010 erfolgten Sachverständigenanhörung in den Genuss einer Anhörung, bei der keiner der anwesenden Sachverständigen auch nur ein gutes Haar an der geplanten Weihnachtsgeldkürzung ließ. Völlig zu Recht musste die Bundesregierung sich dort vorhalten lassen, bei ihrem populistischen Angriff auf „die Beamten“ einmal mehr übersehen zu haben, dass zwei Drittel dieser Form der Einsparung bei der Sonderzahlung die Beamten des einfachen und mittleren Dienstes treffen, und damit Gehaltsstufen, bei denen die geplanten Kürzungen schnell existenzielle Folgen nach sich ziehen. Damit zeigte sich die soziale Schieflage des großen Sparpakets deutlich auch im Detail der Besoldungsanpassung. Mit mangelnder Verlässlichkeit, Konzeptlosigkeit und kleinmütiger Werkelei – so nannten wir Grüne es schon im vergangenen Jahr – wird es nicht gelingen, den öffentlichen Dienst in diesem Lande zukunftsfähig zu gestalten. Es sollte uns allen auch klar sein, dass Sparmaßnahmen, insbesondere bloßes Sparen um des Sparens willen und ohne das erforderliche soziale Augenmaß, nicht das Allheilmittel für einen modernen, zukunftsfähigen öffentlichen Dienst sind. Wie schon vor einem Jahr so möchte ich auch heute betonen, dass sich die grüne Bundestagsfraktion in der Sache nicht starr dagegen verwahrt, dass man über Modifizierungen oder auch Kürzungen bei der Beamtenbesoldung und -versorgung nachdenkt. Niemand kann insbesondere vor dem Hintergrund der äußerst unsicheren Haushalts- und Finanzlage derartige Maßnahmen ausschließen, und es wäre unaufrichtig, dies in pauschalisierender Weise zu tun. Allerdings könnte dies immer nur vor dem Hintergrund eines tragfähigen Konzepts erfolgen, das die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Dienstes insgesamt aufgreift. Dabei müsste zum Beispiel die zunehmend schwerer begründbare Ungleichbehandlung der öffentlichen Angestellten gegenüber den Beamten aufgegriffen werden, aber auch die dramatische Lage bei den Versorgungsbezügen, die sich freilich auf Bundesebene noch vergleichsweise stabiler darstellt als auf Länderebene. Richtig ist zwar auch, dass der Besoldung eine wichtige Rolle als Motivator zukommt, auf die ohne Not eben nicht zugegriffen werden sollte. Sie ist allerdings auch keinesfalls der einzige Faktor, um sowohl eine hohe Leistungsbereitschaft als auch die Attraktivität des öffentlichen Dienstes sicherzustellen. Denn zahlreiche Untersuchungen wie übrigens auch die unlängst bei uns im Innenausschuss vorgestellte Studie zur Zufriedenheit der Beamten der Bundespolizei – Strohmeier-Studie – zählen gleich eine ganze Reihe von Faktoren auf, denen aus Sicht der betroffenen Beamtinnen und Beamten sogar eine größere Bedeutung für die berufliche Zufriedenheit zukommt als bloß der Entlohnung, darunter berufliche Rahmenbedingungen wie die Versetzungspolitik, der Schichtdienst, Beurteilungssysteme und die dienstliche Belastung insgesamt. Auch angesichts der globalen Konkurrenz um Fachkräfte, der ständig wachsenden Bedeutung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie und des demografischen Wandels hierzulande werden wir auf Landes- wie auf Bundesebene nicht daran vorbeikommen, ernsthaft und systematisch über eine Anpassung oder sogar grundlegende Reform des öffentlichen Dienstes nachzudenken. Entscheidend wird dabei sein, dass man das Ziel nicht aus den Augen verliert, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes für die Menschen – sei es als Dienstleister oder als Arbeitgeber – zu erhalten bzw. zu fördern. Der Chor der Sachverständigen bei der Anhörung im September des letzten Jahres, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ist bei meiner Fraktion jedenfalls nicht verhallt. Einhellig wurde damals von einem Wort-, einem Vertrauensbruch im Hinblick auf das Vorhaben, die hälftige Suspendierung der Sonderzahlung zu verlängern, gesprochen. Wenn Sie schon damals nicht auf unsere Kritik bei der Einbringung des Gesetzentwurfs über die Anpassung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge gehört hatten, so hätten Sie doch spätestens nach der damaligen Anhörung von Ihrem Vorhaben Abstand nehmen müssen. So hätten wir uns die heutige konkrete Debatte zwar sparen können. Die strukturellen Probleme bleiben uns jedoch erhalten, samt einer Regierung, die weder fähig noch willens ist, diese anzugehen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 889. Sitzung am 4. November 2011 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Zweites Gesetz zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes – Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebengesetzes – Achtes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes – Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bereits vor den im Gesetz geregelten Evaluationsfristen den Vollzug in geeigneter Weise kontinuierlich zu beobachten und bei offensichtlichem Anpassungsbedarf unverzüglich gesetzgeberisch tätig zu werden. Begründung: Die Verbesserung der Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen ist ein gemeinsames Ziel von Bund und Ländern aus dem Dresdner Bildungsgipfel von 2008. Darüber hinaus haben die Regierungschefs der Länder Ende 2010 für die beschleunigte Schaffung von einheitlichen und unbürokratischen Regelungen der Anerkennungsverfahren von Bund und Ländern ausgesprochen. Das Gesetz enthält eine Reihe von Regelungen, die sich in der Praxis bewähren müssen. Einem möglichen aus der Umsetzungspraxis erkennbaren Anpassungsbedarf (z. B. im Bereich der Nachqualifizierung und bei der Frage eines Beratungsnetzwerkes) sollte daher möglichst rasch abgeholfen werden. – Gesetz zur Änderung des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes und zur Änderung sonstiger schifffahrtsrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes und des Handelsstatistikgesetzes sowie zur Aufhebung von Vorschriften zum Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises Ferner hat der Bundesrat die nachstehende Entschließung gefasst: Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, umgehend zu prüfen, welche Daten auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes und des Handelsstatistikgesetzes sowie zur Einführung von Vorschriften zum Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises noch einer Löschung bedürfen, und hierzu die erforderlichen Gesetzentwürfe vorzulegen. Im Rahmen der Bundestagsberatungen wurde der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Beherbergungsstatistikgesetzes und des Handelsstatistikgesetzes um weitere Artikel ergänzt, mit denen das ELENA-Verfahren eingestellt und die Rechtslage wiederhergestellt wird, die vor der Einführung des ELENA-Verfahrens bestanden hat. Artikel 4 Nummer 12 des Gesetzes sieht vor, dass alle Daten, die nach den §§ 96, 97 sowie 99 bis 102 SGB IV in der Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes an die Zentrale Speicherstelle und an die Registratur Fachverfahren übermittelt wurden und gespeichert werden, sowie alle sonstigen im Zusammenhang mit dem ELENA-Verfahren entstandenen und gespeicherten Daten von der Zentralen Speicherstelle und der Registratur Fachverfahren unverzüglich zu löschen sind. Im Rahmen des ELENA-Verfahrens wurden von den jeweils zuständigen Rentenversicherungsträgern bereits Versicherungskonten für Beamte, Soldaten und Richter angelegt, die nach Beendigung des ELENA-Verfahrens nicht mehr benötigt werden. Laut ersten vorläufigen Schätzungen der Deutschen Rentenversicherung Bund handelt es sich um rund 120 000 Versicherungskonten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch bei anderen Behörden Daten im Rahmen des ELENA-Verfahrens gespeichert worden sind, die nicht mehr benötigt werden. – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die Erneuerung und die Erhaltung der Grenzbrücke über die Mosel zwischen Wellen und Grevenmacher Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie die Anträge Kirgisistan unterstützen – Den Frieden sichern auf Drucksache 17/3202 sowie Investitionen in Antipersonenminen und Streumunition gesetzlich verbieten und die steuerliche Förderung beenden auf Drucksache 17/4697 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Finanzausschuss – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Steuerbegünstigung für Biokraftstoffe 2010 – Drucksachen 17/6928, 17/7085 Nr. 2 – Haushaltsausschuss – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2011 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 08 13 Titel 699 31 – Abschließende Leistung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen bis zu einer Höhe von 44,5 Mio. Euro – Drucksachen 17/7251, 17/7417 Nr. 8 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Rechtsausschuss Drucksache 17/6010 Nr. A.3 Ratsdokument 9324/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.6 Ratsdokument 9361/11 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/6985 Nr. A.54 Ratsdokument 11356/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.55 Ratsdokument 11946/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.56 Ratsdokument 12635/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.57 Ratsdokument 13189/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.58 Ratsdokument 13195/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.59 Ratsdokument 13336/11 Drucksache 17/7260 Nr. A.4 Ratsdokument 13887/11 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/6407 Nr. A.27 EP P7_TA-PROV(2011)0261 Drucksache 17/6985 Nr. A.71 Ratsdokument 12600/11 1Anlage 2 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 16750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 140. Sitzung, Berlin, Freitag, den 11. November 2011 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 140. Sitzung, Berlin, Freitag, den 11. November 2011 16749 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 16762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 140. Sitzung, Berlin, Freitag, den 11. November 2011 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 140. Sitzung, Berlin, Freitag, den 11. November 2011 16761