Plenarprotokoll 17/155 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 155. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Siegmund Ehrmann Wahl der Abgeordneten Birgit Homburger als ordentliches Mitglied und des Abgeordneten Joachim Spatz als Stellvertreter des Gemeinsamen Ausschusses Wahl des Abgeordneten Dr. Martin Schwanholz als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Wahl des Abgeordneten Horst Meierhofer als ordentliches Mitglied und des Abgeordneten Michael Kauch als Stellvertreter in den Beirat bei der Bundesnetzagentur Wahl des Abgeordneten Paul Schäfer als ordentliches Mitglied in das Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ Wahl der Abgeordneten Kerstin Tack als Schriftführerin Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung des Tagesordnungspunktes 27 Tagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Zweites Finanzmarktstabilisierungsgesetz – 2. FMStG) (Drucksachen 17/8343, 17/8487) Norbert Barthle (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Florian Toncar (FDP) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Carsten Sieling (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Antje Tillmann (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kooperativen Bildungsföderalismus mit einem neuen Grundgesetzartikel stärken (Drucksache 17/8455) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Kretschmer (CDU/CSU) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Heiner Kamp (FDP) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ludwig Spaenle, Staatsminister (Bayern) Ulla Burchardt (SPD) Heiner Kamp (FDP) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Monika Grütters (CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Absetzung der Tagesordnungspunkte 28 c und 28 f Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (Drucksache 17/8364) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Energieverbrauchskennzeichnungsrechts (Drucksache 17/8427) d) Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Ottmar Schreiner, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erosion der Tarifvertragssysteme stoppen – Sicherung der Allgemeinverbindlichkeitsregelung von Tarifverträgen (Drucksache 17/8459) e) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Energiewende braucht Energieeffizienz (Drucksache 17/8457) g) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a GO-BT: Technikfolgenabschätzung (TA) – Fortpflanzungsmedizin – Rahmenbedingungen, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Folgen (Drucksache 17/3759) h) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a GO-BT: Technikfolgenabschätzung (TA) – Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung (Drucksache 17/7915) Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 17/8350, 17/8483) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln, des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen sowie des Luftverkehrsgesetzes (Drucksachen 17/8234, 17/8468) c) Antrag der Fraktion der SPD: Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz unverzüglich vorlegen (Drucksache 17/8458) d) – j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 374, 375, 376, 377, 378, 379 und 380 zu Petitionen (Drucksachen 17/8365, 17/8366, 17/8367, 17/8368, 17/8369, 17/8370, 17/8371) Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Zweifelhafte Überwachung von 27 MdB der Fraktion DIE LINKE durch den Verfassungsschutz Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Fritz Rudolf Körper (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Steffen Bockhahn (DIE LINKE) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Drucksache 17/8453) Peter Altmaier (CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Petra Pau (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Clemens Binninger (CDU/CSU) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sebastian Edathy (SPD) Christian Ahrendt (FDP) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Agnes Alpers, Steffen Bockhahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erhalt der Gedenkstätten nationalsozialistischer Vernichtungslager sicherstellen (Drucksache 17/7028) Jan Korte (DIE LINKE) Monika Grütters (CDU/CSU) Dietmar Nietan (SPD) Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/8166, 17/8393) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/8394) Dr. Rainer Stinner (FDP) Stefan Rebmann (SPD) Ruprecht Polenz (CDU/CSU) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Elke Hoff (FDP) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Heike Hänsel (DIE LINKE) Dr. Rolf Mützenich (SPD) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jürgen Hardt (CDU/CSU) Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) Heike Hänsel (DIE LINKE) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Florian Hahn (CDU/CSU) Namentliche Abstimmungen Ergebnisse Heidrun Dittrich (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Michael Schlecht (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS  90/DIE GRÜNEN: Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig machen – Für ein sozial gerechtes und klimafreundliches Mietrecht (Drucksache 17/7983) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Stephan Thomae (FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jan Mücke (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Karl Holmeier (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Ansgar Heveling, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Jimmy Schulz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: „Kulturelles Erbe 2.0“ – Digitalisierung von Kulturgütern beschleunigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Digitalisierung des kulturellen Erbes als gesamtstaatliche Aufgabe umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstellen und den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek auf ein solides Fundament stellen (Drucksachen 17/6315, 17/6296, 17/6096, 17/8164, 17/8486) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Reiner Deutschmann (FDP) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft stärken (Drucksache 17/7186) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinsame europäische Agrarpolitik nach 2013 weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsame europäische Agrarpolitik nach 2013 – Förderung auf nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft ausrichten (Drucksachen 17/2479, 17/4542, 17/5299) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Heinz-Joachim Barchmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 – Konzept zum „Greening“ der Direktzahlungen vorlegen (Drucksachen 17/6299, 17/7413) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klare Regelungen für Intensivtierhaltung (Drucksachen 17/6089, 17/7198) e) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gemeinsame Europäische Agrarpolitik ab 2014 sozial und ökologisch ausrichten (Drucksache 17/8378) f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Cornelia Möhring, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Agrarförderung in Deutschland und Europa geschlechtergerecht gestalten (Drucksachen 17/5477, 17/6385) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Carola Stauche (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschiebestopp und Bleiberecht für Flüchtlinge aus Syrien (Drucksache 17/8456) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Josip Juratovic (SPD) Serkan Tören (FDP) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Frieser (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Gabriele Hiller-Ohm, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: DDR-Altübersiedler und Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Wolfgang Wieland, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DDR-Altübersiedler und Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern (Drucksachen 17/5516, 17/6108, 17/6390) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Ottmar Schreiner (SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Anton Schaaf (SPD) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Ulrich Lange (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur gewährleisten (Drucksache 17/8450) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Klaus Barthel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschen Qualifikationsrahmen zum Erfolg führen – Gleichwertigkeit von Abitur und Berufsabschlüssen sicherstellen (Drucksachen 17/7957, 17/8352, 17/8490) Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leitlinien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes – KOM(2011) 650 endg.; Ratsdok. 15629/11 (Drucksachen 17/7918 Nr. A.18, 17/8484) Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP: Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt (Drucksachen 17/7937, 17/8482) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Matthias Lietz (CDU/CSU) Martin Gerster (SPD) Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfah-ren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen (Drucksache 17/8460) Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Drucksachen 17/8098, 17/8467) Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/32/EG hinsichtlich des Schwefelgehalts von Schiffskraftstoffen – KOM(2011) 439 endg.; Ratsdok. 12806/11 (Drucksachen 17/6985 Nr. A.63, 17/8211) Christian Hirte (CDU/CSU) Ute Vogt (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von den Abgeordneten Martin Dörmann, Gerold Reichenbach, Doris Barnett, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG) (Drucksache 17/8454) Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen (Drucksache 17/7985) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Anton Schaaf (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein neues Bergrecht für das 21. Jahrhundert (Drucksache 17/8133) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Klaus Breil (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen stärken (Drucksache 17/7249) Marlene Mortler (CDU/CSU) Willi Brase (SPD) Rainer Erdel (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Karin Binder (DIE LINKE) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Christine Buchholz (DIE LINKE) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Annette Groth (DIE LINKE) Frank Heinrich (CDU/CSU) Inge Höger (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leidig (DIE LINKE) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Kirsten Lühmann (SPD) Niema Movassat (DIE LINKE) Jens Petermann (DIE LINKE) Mechthild Rawert (SPD) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Stüber (DIE LINKE) Alexander Ulrich (DIE LINKE) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Johanna Voß (DIE LINKE) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ute Koczy und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Manuel Sarrazin und Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnes Brugger, Katja Dörner, Dr. Anton Hofreiter, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Sylvia Kotting-Uhl, Maria Klein-Schmeink, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Ulrich Schneider und Dorothea Steiner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Uwe Beckmeyer, Lothar Binding (Heidelberg), Martin Burkert, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Ernstberger, Dr. Barbara Hendricks, Gustav Herzog, Christel Humme, Dr. Bärbel Kofler, Dr. Matthias Miersch, Aydan Özoðuz, Swen Schulz (Spandau) und Stefan Schwartze (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Gerster, Hans-Joachim Hacker, Uwe Beckmeyer, Lothar Binding (Heidelberg), Willi Brase, Martin Burkert, Siegmund Ehrmann, Gabriele Fograscher, Dagmar Freitag, Ulrike Gottschalck, Gustav Herzog, Steffen-Claudio Lemme, Heinz Paula, Dr. Carsten Sieling und Andrea Wicklein (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt (Tagesordnungspunkt 15) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leitlinien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes (Tagesordnungspunkt 11) Arnold Vaatz (CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU) Martin Burkert (SPD) Werner Simmling (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Antrag: Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur gewährleisten Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur sichern – Deutschen Qualifikationsrahmen zum Erfolg führen – Gleichwertigkeit von Abitur und Berufsabschlüssen sicherstellen (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Willi Brase (SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Heiner Kamp (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen (Tagesordnungspunkt 16) Helmut Brandt (CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines 14. Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Peter Wichtel (CDU/CSU) Daniela Ludwig (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Herbert Behrens (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (Tagesordnungs-punkt 19) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD) Claudia Bögel (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 155. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Siegmund Ehrmann zum 60. Geburtstag gratulieren, den er am Dienstag dieser Woche gefeiert hat, und im Namen des Hauses alle guten Wünsche übermitteln. (Beifall) Wir haben einige Wahlen durchzuführen. Der Kollege Michael Link scheidet als ordentliches Mitglied aus dem Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes aus. Die FDP-Fraktion schlägt als Nachfolgerin die Kollegin Birgit Homburger vor, die bisher stellvertretendes Mitglied dieses Gremiums war. Als neuer Stellvertreter soll für sie der Kollege Joachim Spatz berufen werden. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die beiden Kollegen hiermit als Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses gewählt. Der Kollege Holger Ortel hat auf seinen Sitz in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verzichtet. Die SPD-Fraktion schlägt deshalb vor, den Kollegen Dr. Martin Schwanholz als Nachfolger zu berufen. Ich vermute, dass es auch dazu Einvernehmen gibt. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Schwanholz damit als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewählt. Aus dem Beirat bei der Bundesnetzagentur scheidet der Kollege Patrick Döring als ordentliches Mitglied aus. Die Fraktion der FDP schlägt den Kollegen Horst Meierhofer als Nachfolger vor, der bisher stellvertretendes Mitglied des Beirates war. Als neuer Stellvertreter soll der Kollege Michael Kauch berufen werden. – Auch dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann sind die beiden Kollegen hiermit gewählt. In das Kuratorium der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland soll auf Vorschlag der Fraktion Die Linke der Kollege Paul Schäfer als ordentliches Mitglied für den Kollegen Jan Korte berufen werden. Darf ich auch dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist der Fall. Dann ist der Kollege Schäfer hiermit gewählt. Schließlich schlägt die SPD-Fraktion vor, für die Kollegin Sonja Steffen die Kollegin Kerstin Tack als Schriftführerin zu wählen. – Auch das ist einvernehmlich. Damit ist die Kollegin Tack als Schriftführerin bestellt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 45 und 46 auf Drucksache 17/8404 (siehe 154. Sitzung) ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Zweifelhafte Überwachung von 27 MdB der Fraktion DIE LINKE durch den Verfassungsschutz ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dienstwagenprivileg abbauen und Besteuerung CO2-effizient ausrichten – Drucksache 17/8462 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 27 wird abgesetzt und durch den Zusatzpunkt 3 ersetzt. – Auch damit sind offensichtlich alle einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Zweites Finanzmarktstabilisierungsgesetz – 2. FMStG) – Drucksache 17/8343 – Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) – Drucksache 17/8487 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Florian Toncar Roland Claus Priska Hinz (Herborn) Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keine Einwände. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend das Zweite Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Mit diesem Gesetz stellen wir vorsorglich Notfallinstrumente bereit, um ein Übergreifen der Staatsschuldenkrise auf unser Finanzsystem, auf unsere Realwirtschaft zu verhindern. Wir schützen damit nicht nur das Finanzsystem; wir schützen damit unsere Wirtschaft, wir schützen damit die Beschäftigten, wir schützen damit letztlich auch die Steuerzahler vor Belastungen. Kern dieser Regelung ist es, den ursprünglich bis Ende 2010 befristeten Bankenrettungsfonds Soffin bis zum Ende dieses Jahres erneut für Anträge zu öffnen. Wir hatten den Bankenrettungsfonds, Soffin genannt, damals im Herbst 2008 unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise eingerichtet. In der Folgezeit wurde sein Instrumentarium etwas ausgeweitet. Ich möchte die Möglichkeit der Einrichtung von Bad Banks nennen. Heute können wir sagen: Die Errichtung des Bankenrettungsfonds Soffin hat ganz wesentlich zur Stabilisierung der Finanzmärkte beigetragen und war insofern eine Erfolgsgeschichte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir mussten damals sehr schnell handeln, wir mussten sehr schnell intervenieren, wir mussten sozusagen am offenen Herzen operieren. Heute haben wir dagegen eine etwas andere Situation. Heute wollen wir mit der befristeten Wiedereröffnung des Soffin insbesondere präventiv wirken. Das heißt, heute geht es darum, durch vorbeugende Bereitstellung adäquater Hilfsinstrumente eine akut krisenhafte Situation erst gar nicht entstehen zu lassen. Mit dem Gesetz leisten wir, leistet die Koalition einen Beitrag dazu, dass in Deutschland die europäischen Ziele zur Eigenkapitalausstattung von Banken im Ernstfall auch mit staatlicher Hilfe erfüllt werden können. Wir hatten dazu am vergangenen Montag eine Anhörung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. In dieser Anhörung haben alle Experten – ich betone: alle Experten – hervorgehoben, dass das der richtige Weg ist und dass das Gesetz notwendig ist. Mit dem neuen Gesetz bleibt die bisher bestehende Reihenfolge erhalten. Das heißt, wenn eine Gefährdung entsteht, sind zunächst die Eigentümer der Banken, also die Aktionäre, gefordert. Erst anschließend wird überprüft, ob staatliche Unterstützungsleistung notwendig ist. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen, möchte ich vorab darauf hinweisen, dass die Nutzung der Notfallinstrumente wirklich nur für den Notfall vorgesehen ist. Im Regelfall zieht zunächst einmal das sogenannte Restrukturierungsgesetz, das wir zwischenzeitlich geschaffen haben. Wir müssen künftig bei allen Entscheidungen sehr genau prüfen, ob eine Maßnahme des Finanzmarktstabilisierungsfonds erforderlich ist, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt, ob eine drohende Gefährdung der Finanzmarktstabilität vorliegt; denn wir sind uns sehr bewusst: Es geht hier um die Übernahme von Risiken im Namen des Steuerzahlers. Wenn ein einzelnes Finanzinstitut in eine Notlage gerät, dann sind die Instrumente des Restrukturierungsfonds anzuwenden. Das heißt, der Bankensektor muss mit den über die Bankenabgabe eingesammelten Mitteln reagieren und die Situation selbst bereinigen. Mit der Wiedereröffnung des Soffin schaffen wir neben den Gewährleistungen, die es schon im Soffin I gab, weitere Kreditermächtigungen. Wie schon bei der Erstauflage verfügen wir über einen Garantierahmen von rund 400 Milliarden Euro; zusätzlich gibt es Kreditermächtigungen von 70 Milliarden Euro zuzüglich 10 Milliarden Euro mit besonderer Zustimmung des Haushaltsausschusses. Auch die Instrumentarien bleiben im Kern erhalten. Der Fonds kann Garantien ausgeben, kann Banken durch neu ausgegebene Aktien rekapitalisieren oder stille Einlagen erwerben. Darüber hinaus können sogenannte toxische Wertpapiere in Bad Banks ausgelagert werden. Wir haben den Begriff der toxischen Wertpapiere erweitert auf alle Wertpapiere, die eventuell bilanzbelastend sein könnten. Darüber hinaus haben wir für die BaFin, für die Bankenaufsichtsbehörde, neue Möglichkeiten geschaffen. Die Aufsichtsbehörde kann, wenn auf dem Finanzmarkt eine besondere Risikolage vorliegt, zur Abwehr drohender Gefahren anordnen, dass die Eigenkapitalausstattung der Banken erhöht werden muss. Sie kann das durch einen Erfüllungsplan, der vorgelegt werden muss, überwachen, und sie kann im Notfall sogar einen Sonderbeauftragten gemäß Kreditwesengesetz einsetzen. Ein Punkt ist mir sehr wichtig, der im Vorfeld der Debatte in der öffentlichen Diskussion eine Rolle gespielt hat, und zwar das Thema Schuldenbremse. Es wurde spekuliert, ob mit diesem Gesetz die Schuldenbremse eventuell umgangen werden kann. Das Gegenteil ist der Fall. Wir schaffen mit den im Gesetz enthaltenen Formulierungen erst die Voraussetzung dafür, dass die Schuldenbremse in jedem Fall eingehalten wird. Da es sich bei Finanzmarktstabilisierungsaktivitäten um mehrjährige Kreditermächtigungen handelt, musste dieser Problemfall gelöst werden, weil die Schuldenbremse genauso wie der Haushalt jährlich „denkt“. Wir haben das deshalb so geregelt, dass dann, wenn eine strukturelle Verschuldung eintreten sollte, die schuldenbremsenrelevant ist, sofort ein Plan dazu vorgelegt werden muss, wie diese wieder getilgt werden kann, also ein Tilgungsplan. Insofern greift die Schuldenbremse in jedem Falle. Ich will noch einen zweiten Aspekt hervorheben, der mir wichtig ist. Das ist die sogenannte Parlamentsbeteiligung. Bei der Parlamentsbeteiligung haben wir uns intensiv Gedanken darüber gemacht, wie diese auszugestalten ist. Wir haben die Situation, dass uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, dass immer dann, wenn größere Risiken für den Steuerzahler entstehen, eine weiter gehende Parlamentsbeteiligung vorzusehen ist. Wir treffen deshalb in dem Gesetz die Regelung, dass bei den Kreditermächtigungen zunächst nur ein Volumen von rund 20 Milliarden Euro für frei verfügbar erklärt wird und weitere 30 Milliarden Euro gesperrt sind. Diese Sperrung kann, vor allem aus Gründen der Geheimhaltung, nur in dem sogenannten §-10-a-Gremium aufgehoben werden, wenn dort die entsprechenden Gründe dargelegt werden. Über diesen Vorgang ist dann umgehend der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu unterrichten. Wir sind davon überzeugt, dass wir auf diese Art und Weise einen wirklich angemessenen Ausgleich schaffen zwischen den notwendigen Spielräumen der Exekutive einerseits und der Kontrollverantwortung des Deutschen Bundestages, des Haushaltsgesetzgebers, andererseits. Wir denken, mit dieser Vorgehensweise ist dieser Ausgleich so geschaffen, dass er auch verfassungsfest ist und dass das Bundesverfassungsgericht mit diesem Vorgehen einverstanden sein kann. Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung zum Thema Wettbewerbsverzerrungen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass jede Inanspruchnahme dieses Stabilisierungsfonds potenziell zu Verzerrungen des Wettbewerbs führen kann. Das stellt immer einen Eingriff in das Bankensystem dar. Das ist logisch. Aber wir haben die Formulierungen im Gesetz so gewählt, dass das Ziel erreicht werden soll, Wettbewerbsverzerrungen so weit als irgend möglich auszuschließen bzw. durch entsprechende Kompensationsmöglichkeiten zu beseitigen. Ich fasse zusammen: Mit diesem Gesetz stellen wir vorsorglich Notfallinstrumente bereit, um ein Übergreifen der Staatsschuldenkrise auf das deutsche Finanzsystem, auf die Realwirtschaft zu verhindern. Wir wollen die Steuerzahler vor größeren Belastungen im Falle einer krisenhaften Zuspitzung schützen. Wir wollen dafür gewappnet sein. Sollte dieses Gesetz nie zur Anwendung kommen, was für den Gesetzgeber ein Ausnahmefall wäre, dann wären wir auch nicht traurig. Das beziehen wir in unsere Überlegungen ganz bewusst mit ein. Dennoch bin ich davon überzeugt: Mit diesem Gesetz senden wir ähnlich wie 2008 ein starkes Signal in die Finanz-, in die Wirtschaftswelt hinein – insofern als wir bereit sind, dann, wenn es notwendig sein sollte, unser Finanzsystem zu stabilisieren, zu sichern. Das, meine Damen und Herren, erzeugt Vertrauen, das erzeugt Stabilität. Vertrauen und Stabilität sind bei allen – auch europäischen – Fragen immer Voraussetzung für Solidarität. In diesem Sinne fügt sich auch dieses Gesetz in alle die Maßnahmen ein, die wir bisher getroffen haben. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung. Ich kann mir nur wenige Gründe ausdenken, weshalb man diesem Gesetz nicht zustimmen sollte. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie im Haushaltsausschuss gestern nicht zugehört!) Ich bin davon überzeugt, im Kern ihres Herzens ist auch die Opposition davon überzeugt. Ich bin gespannt darauf, was Sie an Argumenten vorzutragen haben. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Gesetz ist ein weiterer Beleg für die Gültigkeit des Merkel’schen Gesetzes: Was vorher heftig dementiert und ausgeschlossen wird, wird später umso deutlicher und schneller Realität. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!) Genau das ist hier der Fall. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wird leider durch Wiederholungen nicht richtiger!) Sie haben zu Beginn dieser Koalition – ich habe mir den Koalitionsvertrag noch einmal angesehen –, nachdem Sie das Restrukturierungsgesetz, auf das Kollege Barthle hingewiesen hat, durch den Bundestag gebracht haben, ausgeschlossen, dass jemals wieder die Notwendigkeit bestünde, dass ein Gesetz wie das Soffin-Gesetz, das der Bankenrettung dienen soll, das Licht der Welt erblickt. Aber jetzt legen Sie ein Gesetz vor, das Sie selbst „Soffin-II-Gesetz“ nennen. Herr Minister Schäuble, ich habe Sie im Haushaltsausschuss des Bundestages im November/Dezember 2010 mehrfach gefragt, ob es sinnvoll und klug ist, das Soffin-Gesetz auslaufen zu lassen, sich die Möglichkeit zu nehmen, mit Kapital, aber auch mit Garantien zur Stabilisierung des Finanzmarkts beizutragen. Sie haben stets geantwortet: Das brauchen wir nicht mehr. Wir haben das Restrukturierungsgesetz. Wir haben das geregelt. – Jetzt sehen wir: Genau dieses Gesetz – es gibt nur ein paar Änderungen; Kollege Barthle hat das erläutert – wird dem Deutschen Bundestag wieder vorgelegt. Das ist wieder eine 180-Grad-Wende in Ihrer Politik. Erst haben Sie die ökonomische Einschätzung des IWF, von Teilen der SPD und anderen, dass dieses Gesetz notwendig ist, für absurd erklärt. Sie haben gesagt, dass Sie das nicht brauchen. Heute brauchen Sie es aber doch. (Beifall bei der SPD) Worum geht es? Wieder werden 400 Milliarden Euro an Garantien zur Verfügung stehen, für die der Bund und damit der deutsche Steuerzahler geradesteht. Das ist nicht ohne Risiko. Banken können Garantien bekommen, um Anleihen zu platzieren. Wir als SPD sehen die grundsätzliche Notwendigkeit für ein solches Gesetz. Allerdings sind wir bei einzelnen Maßnahmen anderer Meinung. Das betrifft zum Beispiel die Frage: Wer zahlt eigentlich die Zeche, wenn es zu einem Ausfall kommt? Sie sagen – das werden Sie heute beschließen –: Die Zeche zahlt die Allgemeinheit, die zahlt der Steuerzahler. – Das halten wir für nicht vertretbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier sehe ich eine große Einigkeit mit der Bundeskanzlerin. Sie ist heute nicht anwesend. Abstimmen wird sie wahrscheinlich auch nicht. Am Mittwoch, dem 15. September 2010, hat sie im Rahmen ihrer Rede zum Haushalt 2011 gesagt – es ging da um den Bankenrestrukturierungsfonds; ich zitiere –: Es ist vollkommen klar: Je risikobehafteter das Kapital ist und die Geschäfte sind, umso mehr Abgabe – Bankenabgabe – muss gezahlt werden, damit in Zukunft nicht mehr der Steuerzahler für solche Krisen eintreten muss, sondern die Banken das selber tun müssen. Das hat die Bundeskanzlerin vor anderthalb Jahren gesagt. Was ist heute? Was wird mit diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen? Kommt es durch Ausfälle – ich halte das für nicht ganz so unwahrscheinlich wie Kollege Barthle – zu einer Inanspruchnahme des Bundes, dann zahlt der deutsche Steuerzahler, die Allgemeinheit, und es zahlen eben nicht die Banken und der Finanzsektor. Das ist der entscheidende Grund, warum wir als SPD diesem Entwurf so nicht zustimmen werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das heißt nicht: Wir entziehen uns der Verantwortung. Wir sagen: Wir brauchen das. Wir werden auch nicht populistisch sagen: Jetzt gibt es wieder Geld für die Banken und für die anderen nicht. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist verantwortungslos, was Sie da machen, Schneider!) Ich sage nur: Der Sektor muss diese Kosten im Zweifel selbst tragen – durch eine Besteuerung oder eine Veränderung der Bankenabgabe –; denn diese Kosten entstehen. Wir sehen das bereits bei dem bestehenden Soffin-I-Gesetz. Durch die damals notwendig gewordene Enteignung und Abwicklung eines Teils der Hypo Real Estate wird es zu hohen Verlusten kommen. Schätzungen liegen vor; das genaue Ergebnis werden wir kennen, wenn das Portfolio nicht mehr besteht. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Warten wir einmal ab, Herr Kollege!) Herr Minister Schäuble, man hat den Eindruck, dass bei Ihnen außer Europa nichts mehr stattfindet. Sie sind immer noch Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um die Zukunft des Finanzmarktes in Deutschland. Was Sie diesbezüglich in den vergangenen zwei Jahren auf den Weg gebracht haben, ist fast nichts. Dabei geht es um die Struktur des Bankensystems in Deutschland. Nehmen Sie das Beispiel Landesbanken: Im September 2010 haben Sie zu einem Gipfel eingeladen. Ziel war es, das Problem zu lösen. Was war das Ergebnis? Es gab keins. Die Bundesregierung hat die Segel gestrichen. Der Bund hat 2 Milliarden Euro zusätzlich bei der WestLB investiert und höchstwahrscheinlich verloren. Das war Ihre Entscheidung. An der Struktur des Landesbankensystems – hier brauchten wir wirklich Reformen, sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch hinsichtlich des Bilanzvolumens – gibt es aber keine Veränderungen. Nehmen Sie als zweites Beispiel die Einlagensicherung. Es gibt ein Einlagensicherungssystem der privaten Banken, eines der Genossenschaftsbanken und eines der Sparkassen. Ich persönlich habe ernsthafte Zweifel an der Notwendigkeit von drei verschiedenen Systemen und an der Leistungsfähigkeit der Systeme. Was haben Sie diesbezüglich in den letzten anderthalb, zwei Jahren auf den Weg gebracht? Nichts, gar nichts! Auch an dieser Stelle: Versagen. Jetzt komme ich zu den Eigentumsverhältnissen. Nehmen wir die Hypo Real Estate als Beispiel. Ich will gar nicht auf den Buchungsfehler von 55 Milliarden Euro eingehen – das war ja nur eine „Kleinigkeit“, die da durchgegangen ist –, sondern auf die Frage: Was passiert eigentlich mit dem Rest der Hypo Real Estate? Ist es wirklich notwendig, dass Sie als bürgerliche, marktwirtschaftlich – das gilt vor allem für die FDP – orientierte Koalition versuchen, die Deutsche Pfandbriefbank, die Sie nebenbei abgespalten haben – sie ist zu 100 Prozent staatliches Eigentum –, zu finanzieren, obwohl es für deren Geschäftsmodell nur einen sehr schwierigen Markt gibt? Die Expertenkommission von Professor Zimmer, die Sie per Koalitionsvertrag und Bundesregierungsbeschluss einberufen haben, hat Ihnen empfohlen, diese Bank abzuwickeln, sie vom Markt zu nehmen. Das wäre für den Finanzplatz Deutschland eine wichtige strukturelle Entscheidung gewesen. Was machen Sie? Mit Staatsgeld, mit Staatsgarantien halten Sie diese Bank am Leben; dies birgt ein hohes Risiko, dass zukünftig wieder Verluste entstehen. Da kann ich keine Ordnungspolitik erkennen, im Gegenteil. Deswegen meine ich, dass Sie auch an dieser Stelle im Finanzsektor in Deutschland versagt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich könnte diese Liste noch weiterführen. Ich will jetzt aber erläutern, was wir als SPD-Fraktion an diesem Gesetzentwurf kritisieren; wir haben – in Teilen gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen – entsprechende Änderungsanträge im Ausschuss eingebracht. Die erste Frage, die Frage der Kosten, habe ich schon genannt. Die zweite Frage ist: freiwillige Eigenkapitalzuführung oder notfalls durch Zwang? Die Amerikaner und die Briten haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass sie im Rahmen der Finanzkrise gesagt haben – es war vor allem der damalige Finanzminister Paulson –: Wenn ihr in Schwierigkeiten seid und zusätzliches Eigenkapital braucht, um Verluste auszugleichen und Vertrauen wiederzugewinnen, dann ist es notwendig, das schnell und zügig zu erledigen. Sie legen jetzt eine rein freiwillige Lösung vor. Es gab ja den Referentenentwurf. In der Phase konnten die Banken bzw. die Vorstände sozusagen überlegen, ob man staatliche Hilfe haben möchte oder nicht. Ich zitiere nur Herrn Blessing, den Chef der Commerzbank, der sagte: Da gehe ich nie wieder hin. – Die wollen das also nicht. Diese Einzelinteressen mögen nachvollziehbar sein; im Interesse des öffentlichen Gutes Finanzmarktstabilität und öffentliche Finanzen ist das aber nicht. Deswegen ist ein staatliches Eingriffsrecht an dieser Stelle unumgänglich. Sie selbst hatten im Referentenentwurf eine bessere Möglichkeit vorgesehen. Herr Minister Schäuble, ich kann die Veränderung des Entwurfs nur so interpretieren, dass Sie sich gegenüber der FDP nicht durchsetzen konnten; aber es ist ein großer Fehler, sich auf die Freiwilligkeit und die Einsicht der Bankvorstände zu verlassen. Das haben die vergangenen drei Jahre gezeigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die dritte Frage lautet: Wie beteiligen wir uns an Banken? Niemand hier will Staatsbank spielen, im Gegenteil: Wir haben immer deutlich gemacht, dass man sich so schnell wie möglich lösen sollte, zum Beispiel von der Deutschen Pfandbriefbank, und dort als Staat dauerhaft kein Kapital halten sollte. Wenn es aber notwendig ist, dass wir uns beteiligen, dann, so meine ich, muss es zwingend so sein, dass wir auch das Sagen haben. Das ist ebenfalls eine Lehre aus den vergangenen drei Jahren. Das Sagen zu haben, bedeutet, sich tatsächlich Aktienkapital und Mitspracherechte zu sichern und in Teilen auf die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen; denn es ist unser Geld, das Geld des Steuerzahlers, das hier investiert wird. In diesem Sinne muss klar sein, dass wir als Bundestag dann auch die Rechte haben, zu kontrollieren und Einfluss zu nehmen. Das steht für uns an erster Stelle. Sie sehen das nur als Möglichkeit im Gesetzentwurf vor. Diese Möglichkeit kann so oder so genutzt werden. Das ist uns eindeutig zu wenig. Ganz klar: Wenn man sich beteiligt, dann muss man auch Aktienkapital halten! Der vierte Punkt findet sich auch in einem unserer Änderungsanträge wieder. Wir sind der Auffassung: Wenn eine Bank Stabilisierungsmaßnahmen erhält, darf es keine Boni und keine Dividendenausschüttung geben. Solange die Bank vom Staat gestützt wird, muss klar sein, dass Gewinne nicht an Mitarbeiter und Aktionäre ausgezahlt, sondern dazu verwendet werden, das Eigenkapital zu stärken, sodass wir als Staat nicht mehr das Risiko tragen. Es kann nicht sein, dass der Staat für die Risiken geradesteht und das private Kapital die Gewinne mitnimmt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist nicht soziale Marktwirtschaft, wie wir sie uns vorstellen. Der fünfte Punkt: die Befristung des Gesetzes. Sie befristen das Gesetz bis zum 31. Dezember 2012; es wird also letztendlich in der praktischen Anwendung etwa ein Dreivierteljahr gelten. Sie haben – das ist ein gutes Beispiel, wie man Europapolitik nicht machen sollte – durch die Stresstests der europäischen Bankenaufsicht mehr Verunsicherung geschaffen als Sicherheit. Herr Minister Schäuble, Sie gehören der EBA ja nicht an. Aber Sie haben als Finanzminister mit den Beschluss gefasst, dass ein Stresstest durchgeführt werden soll, und nach dem Beschluss, dass er durchgeführt werden soll, zugelassen, dass sechs bis acht Wochen lang hin und her überlegt und hoch und runter über die Frage diskutiert wurde: Was ist hartes Eigenkapital und was nicht? Die Anforderungen wurden permanent verändert. Staatsanleihen wurden „gestresst“ – das heißt, sie müssen näher am Marktwert bilanziert werden –, was dazu führt, dass jetzt keiner mehr Staatsanleihen kauft. Deswegen: Ein Grund dafür, dass sich Europa jetzt in einer Krise befindet, besteht darin, dass Sie diesen verkorksten Stresstest zugelassen haben. Sie hätten ihn verhindern müssen. (Beifall bei der SPD) Der Stresstest hatte zur Folge, dass Staatsanleihen als unsicher gelten. Sie befördern das sogar durch die Aufsicht, indem festgelegt wurde, dass sie derzeit zum Marktpreis zu bilanzieren sind. Das führt dazu, dass jetzt keine Staatsanleihen mehr gekauft werden. Die Nullgewichtung, die wir bisher hatten, wurde ad absurdum geführt. Sie selbst haben einen Katalysator geschaffen, der bewirkt, dass die Verunsicherung an den Märkten größer wird. Deswegen, meine Damen und Herren: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf so nicht zu, weil er unvollkommen ist, weil er die Rechte des Parlaments und des deutschen Steuerzahlers nicht ausreichend würdigt und weil Sie der FDP an dieser Stelle viel zu weit entgegengekommen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Aha! Aber zu einem eigenen Gesetzentwurf kein einziges vernünftiges Argument! Das ist interessant!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Florian Toncar (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Schuldenkrise in Europa zwingt uns, in Deutschland und europaweit zu handeln, und zwar auch mit Blick auf die Stabilität des Finanzsektors. Wir haben in der Krise vor drei Jahren gelernt: Wenn in einer angespannten Lage ein problematisches, ein auslösendes Ereignis hinzukommt – damals war es die Pleite von Lehman Brothers –, kann Panik ausbrechen und kann sich Verunsicherung breitmachen, und dann ist der Schaden allein deshalb weit größer, als er sein müsste. Genau deshalb sorgen wir jetzt dafür – europaweit, aber eben auch in Deutschland –, dass dieses Mal bessere Vorbereitungen getroffen werden und man sich absichert, auch gegen unerwünschte oder unerwartete Ereignisse. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Banken sollen einen Sicherheitspuffer anlegen, der sie in die Lage versetzt, kritische Situationen zu überstehen. Das nutzt unserer gesamten Wirtschaft, unserer Wirtschaftsleistung, den Sparern und damit auch der Allgemeinheit. Dieses Gesetz ist, anders als der Kollege Schneider gesagt hat, kein Gesetz zur Bankenrettung. Es ist kein Gesetz, das Banken, die eigentlich insolvent werden würden oder kein Geschäftsmodell mehr haben, am Leben und am Markt hält. Für Situationen, in denen eine Bank faktisch pleite ist oder kurz vor der Pleite steht – solche Fälle gab es in den letzten drei Jahren auch in Deutschland –, haben wir ein eigenes Gesetz geschaffen, das weiterhin gültig bleibt: das Restrukturierungsgesetz. Eine Bank, die kein Geschäftsmodell hat bzw. pleite oder fast pleite ist, wird geordnet und gesteuert vom Markt genommen. Das ist der richtige Weg, weil wir nicht lebensfähige Banken nicht mit Steuergeldern am Markt und am Leben halten können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Worum es hier geht, ist etwas anderes. Wir reden über Banken, die eigentlich alle rechtlichen Vorgaben erfüllen und bisher genug Kapital hatten. Diesen Banken sagen wir: Ihr müsst für schwierige Situationen, die in den nächsten Monaten vielleicht auf euch zukommen, einen zusätzlichen Sicherheitspuffer, den wir bisher nicht von euch verlangt haben, vorhalten. – Im Grunde werden die Banken also mit einem Airbag nachgerüstet, wenn sie nicht schon einen haben. Darum geht es. Das bedeutet aber nicht, dass das Auto nicht mehr fahren kann bzw. dass ein Schaden vorliegt. Deshalb ist dies auch keine Kehrtwende, Kollege Schneider, sondern ein neuer Ansatz und ein neues Instrument, das sicherlich nicht im Widerspruch zum Restrukturierungsgesetz steht. Es läuft so, dass die Bankenaufsicht bis zum 30. Juni dieses Jahres jeder einzelnen Bank Vorgaben macht und erklärt, ob sie nachsteuern muss. In Deutschland gibt es sechs Banken, die nachsteuern und weiteres Kapital mobilisieren müssen, um für schwierige Situationen, die wir hoffentlich nicht erleben werden, die wir aber auch nicht ausschließen können, gewappnet zu sein. Dabei ist klar: Jede der sechs betroffenen deutschen Banken hat bis zum 30. Juni dieses Jahres Zeit. Sie muss zunächst einmal alles dafür tun, das, was sie nachholen muss, selber und mit eigenen Mitteln hinzubekommen. Es geht nicht darum, dass man ihr Steuergelder aufdrängt. Es geht auch nicht darum, gedankenlos Steuergelder zur Verfügung zu stellen. Vielmehr sind erst einmal die Unternehmen selber gefragt, wie es in der sozialen Marktwirtschaft selbstverständlich sein sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Alle Banken in Deutschland, die nachsteuern müssen, haben übrigens erklärt, dass sie das auch tun wollen. Keine von ihnen möchte Steuergeld haben, (Lachen der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) sondern die Banken, die betroffen sind, möchten erst einmal selber ihre Pflicht erfüllen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, ja! Das sagen sie zum Schein!) Ich kann nur sagen: Ich begrüße das, weil ich es für selbstverständlich halte, dass ein Unternehmen, das privat Gewinne erwirtschaften will, mit eigenen Mitteln alles, was möglich ist, tut, um die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Das, was angekündigt worden ist, ist sehr in unserem Sinne. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass die deutschen Banken alles dafür tun, dass sie kein Steuergeld brauchen, beweist doch eines: Dieser Hilfsfonds ist keine Hängematte und kein bequemer Weg. Die Banken können sich also nicht einfach Geld vom Steuerzahler holen und weitermachen wie bisher, sondern das ist schmerzhaft, weil es mit Gegenleistungen und Kosten, die die Banken dafür zahlen müssen, verbunden ist. Deshalb wollen sie es auch nicht. Auch das muss hier gesagt werden: Wir sind sehr streng, wenn es doch einmal jemanden gibt, der Steuergeld will, so streng, dass das niemand von sich aus einfach so beantragen würde. Auch das ist politisch gewünscht, weil wir wollen, dass die Banken ihre Hausaufgaben selber machen und nicht zum Staat rennen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen verlangen wir von denen, denen mit diesem Fonds geholfen werden soll, einiges. Sie müssen zunächst einmal ein stabiles Geschäftsmodell entwickeln, und sie müssen die Dinge, die nicht mehr tragfähig und auch unverantwortlich gewesen sind, abbauen und einstellen. Sonst können sie keine Hilfe von uns bekommen. Darüber hinaus müssen sie angemessene Vergütungsregeln vereinbaren und sich vor allem – das ist die wichtigste Aufgabe des Finanzsektors – der Versorgung der Realwirtschaft, der produzierenden Unternehmen und auch der privaten Kunden verpflichten. Dafür sind Banken da, und das verlangen wir, bevor wir überhaupt darüber nachdenken, ob es auch nur 1 Euro Steuergeld für eine deutsche Bank gibt. Der Kollege Schneider hat die Themen Aktien und Mitspracherechte angesprochen. Kollege Schneider, einerseits sagen Sie, wir dürften die Kosten für solche Aktionen nicht dem Steuerzahler aufbürden, und im gleichen Atemzug fordern Sie, dass wir mehr Aktien erwerben und Mitspracherechte erhalten müssen. Sie müssen sich einmal überlegen, was Sie wollen. Wenn Sie mehr Aktien und mehr Mitspracherechte wollen, dann müssen Sie dafür Steuergeld in die Hand nehmen. Wenn Sie das nicht wollen, dann bekommen Sie auch nicht mehr Mitsprache. Beides zusammen funktioniert nicht; das ist ein Widerspruch in sich. Innerhalb von acht Minuten Redezeit haben Sie hier ganz bemerkenswerte Widersprüchlichkeiten von sich gegeben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zu den Kosten der Rettungsaktionen in der Vergangenheit will ich nur eines sagen: Die Commerzbank hat in zwei Schritten insgesamt 18 Milliarden Euro aus Steuermitteln bekommen. Den Großteil davon, nämlich 90 Prozent, erhielt sie als stille Einlage, und nur für ein Zehntel davon haben wir Aktien erhalten. Dass ausgerechnet die Sozialdemokraten, die damals den Finanzminister gestellt haben, uns jetzt sagen, wir müssten mehr Aktien verlangen, ist wirklich ein Treppenwitz. Als Sie es hätten tun können und als es auch geboten gewesen wäre, (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) haben Sie darauf verzichtet, viele Aktien zu erwerben, und genau das Gegenteil gemacht. Jetzt fordern Sie das plötzlich. Sie müssen uns das gar nicht sagen; denn wir würden es ohnehin anders machen, als Sie es getan haben, als Sie die Möglichkeit dazu hatten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Mir hat übrigens in den letzten drei Jahren noch niemand von den Sozialdemokraten erklären können, warum man die Aktien der Commerzbank, die man erworben hat, so teuer gekauft hat. Der Börsenkurs der Commerzbank lag zu dem Zeitpunkt, als Sie eingestiegen sind, bei 3,80 Euro, und Minister Steinbrück, der damals verantwortlich war, hat die Aktien für 6 Euro gekauft. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist nicht richtig!) Vielleicht können Sie sich einmal dazu äußern, warum Sie dem Steuerzahler 700 Millionen Euro ungerechtfertigte Extrakosten zugemutet haben, die in die Commerzbank geflossen sind, wodurch die Alteigentümer ungerechtfertigterweise bereichert wurden. Ich habe bisher keinen sachlichen Grund dafür gehört, warum Sie das gemacht haben. Sie haben damals unnötigerweise Geld ausgegeben. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein, nein, das weißt du besser!) Wir achten auf Kostenkontrolle und würden das sicherlich zu Börsenkursen abwickeln und nicht, wie Sie, einfach noch einmal 50 Prozent zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland draufschlagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Amnesie!) Ich stelle übrigens fest: Sie hätten in dieser Debatte Gelegenheit, uns einmal zu erklären, warum die 6 Euro richtig waren, aber Sie tun es nicht. Das schlechte Gewissen ist Ihnen anzusehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Gesetzentwurf selber. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Toncar, darf der Kollege Schneider Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Florian Toncar (FDP): Ja, dazu habe ich ihn ja fast aufgefordert. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Insofern muss ich sie nun auch zulassen. Bitte schön. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Kollege Toncar, Sie haben das ja gestern im Haushaltsausschuss und auch im Zusammenhang mit der Hypo Real Estate schon gesagt. Ich gehe davon aus, dass Ihnen bekannt ist, dass es sowohl zum Zeitpunkt der Maßnahmen zur Enteignung der Hypo Real Estate als auch im Fall der Commerzbank kein Restrukturierungsgesetz gab. Das war ein Problem. Mir liegt allerdings auch kein Entwurf der FDP-Fraktion aus dieser Zeit vor. Das ist geändert worden; das ist in Ordnung. Weil damals aber kein entsprechendes Gesetz vorlag, mussten wir mit einem eigenen Enteignungsgesetz – nach Vorlage und auf Empfehlung des BaFin-Chefs und des damaligen Bundesbankchefs Weber, die gesagt haben, wir sollen das so machen – handeln. Sie haben zwei Punkte genannt. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass Sie, wenn Sie eine Aktie erwerben, ein Angebot machen müssen und dass es zwischen dem vorherigen Angebot, das Sie nach dem Aktiengesetz veröffentlichen müssen – Sie sind ja Jurist und wissen das –, und dem, was Sie dann tatsächlich zahlen müssen, einen Unterschied gibt. Es gilt natürlich der vorherige Zeitpunkt, und da lag der Kurs bei 6 Euro. Durch den Staatseinstieg war der Kurs zum Zeitpunkt des Kaufes niedriger; deswegen hat der Kauf real zu diesem niedrigeren Kurs stattgefunden. Wenn Sie anderer Auffassung wären, wenn Sie meinen, der damalige Finanzminister Steinbrück hätte das unkorrekt gemacht, müssten Sie ihn verklagen. Warum tun Sie das nicht? Florian Toncar (FDP): Kollege Schneider, wir werden den Vorschlag und die Option, jemanden zu verklagen, prüfen. Aber darauf wollte ich nicht hinaus. Ich glaube, dass es politisch nicht vertretbar ist, wenn der Börsenkurs einer Aktie bei 3,80 Euro liegt und dann auf Kosten des Steuerzahlers für 6 Euro gekauft wird. Sie haben dieser Deutung nicht widersprochen; das muss man noch einmal sagen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Doch! Das ist falsch! – Rolf Schwanitz [SPD]: Sie haben nichts verstanden!) Es sind 6 Euro pro Aktie gezahlt worden. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, das zu machen. Übrigens hätten Sie damals für den gleichen Preis ein Drittel der Aktien erwerben können; das wäre gesetzlich möglich gewesen. Sagen Sie also nicht, dass es dafür keine gesetzlichen Grundlagen gab. Es war eine rein politische Entscheidung, dass Sie ein Viertel aller Aktien wollten, dass Sie dafür 1,8 Milliarden Euro gezahlt haben, was einem Preis von 6 Euro pro Aktie entspricht. All das ist politisch entschieden worden. Das war eine falsche Entscheidung, weil diese Lösung für die Steuerzahler in Deutschland ungerechtfertigt teuer war. (Beifall bei der FDP) Ich will zu dem Entwurf noch einiges sagen. Wir haben in dem Entwurf das Thema parlamentarische Beteiligung geklärt. Bisher hatte der Deutsche Bundestag bei der Verwaltung des Fonds nur reine Informationsrechte. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass die Regierung auf der einen Seite da schnell handeln kann, wo es nötig ist. Auf der anderen Seite haben wir einen Teil der Kreditermächtigung, also einen Teil des Geldes, das dem Fonds zur Verfügung steht, gesperrt. Denn wenn wirklich größere Summen ausgegeben werden sollen, dann wollen wir das vorher kontrollieren. Dann ist es unsere Pflicht als Deutscher Bundestag, zu kontrollieren, ob die Gelder sinnvoll eingesetzt werden und damit wirtschaftlich umgegangen wird. Deswegen müssen größere Summen von uns freigegeben werden. Das haben wir neu eingeführt. Das heißt, das Parlament ist in einer stärkeren Rolle als bisher. Natürlich haben Sie recht, Kollege Schneider, dass das zu einem guten Teil die Handschrift meiner Fraktion ist. Für dieses Lob darf ich Ihnen abschließend besonders danken. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/CSU] – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, das war doch eigentlich ein guter Schlusssatz. Florian Toncar (FDP): Jetzt kommt der Schlusssatz des Tages, jedenfalls was mich angeht. – Wir haben notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Finanzmarkt stabilisiert werden kann. Dazu müssen europäische Maßnahmen kommen, die in Arbeit sind und um die es auch in der nächsten Woche geht. Ich bedanke mich für die guten Beratungen. Natürlich wird die FDP-Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Sahra Wagenknecht ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt wird die Rede beobachtet!) Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der FDP – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Da haben Sie ja Erfahrung!) Nein, liebe Damen und Herren vom Verfassungsschutz, Sie müssen diesen Satz nicht mitschreiben. Er stammt nicht von einem Kommunisten. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Blödsinn!) – Sie sagen „Blödsinn“. Wissen Sie, von wem der Satz stammt? Dieser Satz stammt von dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Er kann sich nicht mehr wehren gegen das Zitat!) Franklin D. Roosevelt hat diesen Satz nicht einfach nur dahergeredet, sondern er hat die Konsequenzen daraus gezogen. Er hat nämlich in seiner Regierungszeit den Finanzsektor massiv reguliert. Das war die Konsequenz aus diesem Satz. Von solcher Konsequenz ist die Bundesregierung leider Lichtjahre entfernt. Der Ausbruch der letzten großen Finanzkrise liegt inzwischen gut drei Jahre zurück. Damals haben die Staaten die Banken zum ersten Mal mit Billionen an Steuergeld aus dem selbstverschuldeten Schlamassel gerettet. Viele Staaten haben sich dadurch so viele Schulden aufgehalst, dass sie jetzt selbst zunehmend in die Pleite schlittern. Angeblich ging es nur um die Konten der Kleinsparer. Angeblich sollte dieser großen Rettungswelle damals eine mindestens so große Regulierungswelle folgen. So sollte verhindert werden, dass es jemals wieder Cash for Trash, also Steuergeld für Finanzmüll geben muss. Das ist fast drei Jahre her. Drei lange Jahre wurde die Öffentlichkeit mit Scheinaktivitäten hingehalten und getäuscht. Drei lange Jahre ist faktisch nichts passiert. Das Kasino wurde nicht geschlossen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist heute größer als je zuvor. Es wird aktuell sogar gerade von der Europäischen Zentralbank noch einmal mit zusätzlichen Hunderten Milliarden an Spielgeld ausgestattet. Nahezu alle Geschäfte, die 2008 den Finanzcrash ausgelöst haben, sind unverändert legal und werden unverändert gemacht. All die undurchsichtigen und dubiosen Derivate, vor denen Warren Buffett schon 2002 gewarnt hat, indem er gesagt hat, das seien finanzielle Massenvernichtungswaffen, sind nach wie vor auf dem Markt. Banken wie die Deutsche Bank verdienen sich dumm und dämlich damit. All die zweifelhaften Verbriefungen, die sich damals als Giftpapiere, als toxische Papiere entpuppt haben, werden nach wie vor fleißig von den Banken zusammengebastelt und neuerdings zum großen Teil bei der EZB abgeladen. „Keine Bank darf so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen kann.“ Das hatte Frau Merkel im Krisenjahr 2008 öffentlich verkündet. Und? Haben Sie irgendeine private Bank in Deutschland verkleinert? Sie haben das Gegenteil gemacht. Sie haben gefördert und unterstützt, dass die zwei größten privaten Banken noch größer geworden sind, indem sie weitere Banken, nämlich die Commerzbank die Dresdner Bank und die Deutsche Bank sogar zwei Banken, übernommen haben. Das haben Sie auch noch politisch unterstützt. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie fühlen sich offenbar ganz wohl in der Abhängigkeit von den Banken. Das mag vielleicht auch damit zu tun haben, dass von Allianz und Co. regelmäßig Millionen an Spenden fließen, sowohl an die Regierungsparteien als auch an SPD und Grüne. (Beifall bei der LINKEN) Bei einer solchen Bankenhörigkeit kommen immer wieder Gesetzentwürfe wie der heraus, den wir heute beraten. Ihre letzte Bankenrettungsrunde, damals noch in der Großen Koalition, hat die deutsche Staatsverschuldung um 265 Milliarden Euro nach oben getrieben. Jetzt sollen den Banken erneut 480 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, zu ähnlich unsäglichen Konditionen wie 2008. Ich finde es, ehrlich gesagt, unglaublich, was Sie sich trauen. Auch die tolle Bankenabgabe hat sich als völliger Flop erwiesen. Es gab große Ankündigungen: Die Banken sollten einen Fonds speisen, aus dem künftige Rettungsmaßnahmen finanziert werden. 70 Milliarden Euro sollten dadurch zusammenkommen. Die Linke hatte schon damals gewisse Zweifel, dass sich die nächste Finanzkrise an Herrn Schäubles Planung halten und erst in 35 Jahren eintreten wird. Denn Sie sind damals davon ausgegangen, dass die Bankenabgabe jährlich 2 Milliarden Euro einbringt. Das hieße, nach 35 Jahren hätte man die 70 Milliarden Euro zusammengehabt. Aber das war alles viel zu optimistisch. Von 2 Milliarden Euro Einnahmen kann keine Rede sein. Die Bankenabgabe hat im letzten Jahr gut 500 Millionen Euro eingespielt. 500 Millionen Euro wurden bei den Banken einkassiert. Das ist nichts. Allein der Betrag, den die Deutsche Bank den Steuerzahlern verdankt, beläuft sich auf 30 Milliarden Euro. 30 Milliarden Euro an Forderungen hat die Deutsche Bank nicht abschreiben müssen, weil die Staaten andere Banken gerettet haben, nämlich die Hypo Real Estate, die IKB, in den USA die AIG usw. 30 Milliarden Euro: Das entspricht dem gesamten harten Kernkapital der Deutschen Bank. Das heißt, auch dieses Institut wäre komplett pleite gewesen, wenn die Staaten nicht mit Rettungsmilliarden eingegriffen hätten. Aber die Idee, sich die 30 Milliarden Euro von einem Finanzinstitut zurückzuholen, das Boni und Dividenden ausschüttet, liegt offenbar völlig außerhalb der Vorstellungskraft dieser Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN) Fordern und Fördern: Das gilt offenbar nur für Arbeitslose, wobei es hier in der Regel auf Fordern und Drangsalieren hinausläuft. Bei den Banken dagegen gilt offensichtlich: Fördern und Vergessen, und auf Zuruf wieder Fördern, wenn die Banken wieder etwas brauchen. Ich finde, diese Politik ist ein einziger Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Die Schätzung, dass die Deutsche Bank dem Steuerzahler 30 Milliarden Euro verdankt, hat Herr Steinbrück in die Öffentlichkeit gebracht. Er kann das vermutlich gut einschätzen. Denn er war damals deutscher Finanzminister, als die erste große Bankenrettungsrunde lief. Das heißt, er hat sie wesentlich mit verbrochen. Deswegen muss ich noch einmal auf die Rettung der Commerzbank zurückkommen, und zwar nicht deshalb, weil damals alles so schlimm war – das war es allerdings –, sondern weil genau das Gleiche wieder droht. Erinnern wir uns daran, was damals passiert ist: Die Rettung der Commerzbank ist in einer Art und Weise verlaufen, die nicht nachteiliger für den Steuerzahler und nicht vorteilhafter für die Aktionäre hätte sein können. 18 Milliarden Euro – das ist schon mehrfach erwähnt worden – wurden in diese Bank gepumpt, die am Markt 3 Milliarden Euro wert war. Mit diesen 18 Milliarden Euro hätten Sie natürlich alle Aktien der Commerzbank kaufen können. Sie hätten sogar alle Aktien der Deutschen Bank mitkaufen können. Aber stattdessen haben Sie sich auf einen Anteil von 25 Prozent beschränkt. Der Rest wurde dieser Bank als stille Einlage faktisch zum Nulltarif zur Verfügung gestellt. Nicht einmal 2010, als die Commerzbank wieder Milliardengewinne gemacht hat, hat diese Bank einen müden Euro an Zinsen gezahlt. Ich kann mir wirklich keinen privaten Investor vorstellen, der zu solchen Harakiri-Konditionen Geld zur Verfügung stellen würde. (Beifall bei der LINKEN) Mindestens 2 Milliarden Euro sind dem deutschen Fiskus durch diese aberwitzige Konstruktion an Einnahmen verloren gegangen. Mit diesen 2 Milliarden Euro hätten Sie übrigens 20 Jahre lang ohne Probleme für alle Wohngeldempfänger in Deutschland den Heizkostenzuschuss zahlen können. Aber Sie brauchen ja keinen Heizkostenzuschuss zu zahlen, weil er von dieser neoliberalen Koalition 2010 wegen unerbittlicher Sparzwänge eben einmal gestrichen wurde; diesen Zuschuss konnte man sich nicht leisten. (Beifall bei der LINKEN) Das zeigt doch offensichtlich: Wir müssen scheinbar immer nur deshalb sparen, um uns immer wieder solche Rundum-sorglos-Pakete für die Banken leisten zu können. Das ist eine unerträgliche Politik. (Beifall bei der LINKEN) Es ist kein Wunder, dass die einzige begeisterte Rückmeldung auf den vorliegenden Gesetzentwurf vom Bankenverband kam. Selbst Herr Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft fordert inzwischen eine zwangsweise Teilverstaatlichung der Banken. Er hat natürlich recht; denn viele kleine und mittlere Unternehmen haben schon seit Jahren Schwierigkeiten, Kredite zu günstigen Konditionen zu bekommen. Natürlich besteht die Gefahr, dass diese Schwierigkeiten jetzt noch akuter werden, weil die Banken wegen ihrer eigenen Probleme noch schlechtere Kreditkonditionen anbieten. Eine Bank wie die Deutsche Bank verwendet übrigens gerade einmal 4 Prozent ihrer Bilanzsumme für gewerbliche Kredite. Mit dem Rest wird gezockt und spekuliert, bis der Staat wieder retten muss. Auch das zeigt einmal mehr: Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Deswegen gehört der Finanzsektor nicht in die Hände unverantwortlicher Zocker und Renditejäger, sondern in die öffentliche Hand, (Beifall bei der LINKEN) weil das die einzige Chance ist, die Banken endlich kleinzuregulieren und sie dazu zu verpflichten, ihre Aufgabe zu erfüllen. Ihre Aufgabe ist verdammt noch mal nicht, zu spekulieren, sondern die Aufgabe ist, Diener der Realwirtschaft zu sein und den Unternehmen günstige Kredite zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der LINKEN) Unregulierte Wettbuden dagegen mit immer neuen Steuergeldern zu stützen, ist unerträglich und verantwortungslos. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die DDR lässt grüßen!) Es geht aktuell nicht nur um die Kosten des neuen Bankenrettungsfonds. Auch der neue Euro-Rettungsschirm ESM muss noch einmal mit 22 Milliarden Euro ausgestattet werden. Hinzu kommen 168 Milliarden Euro für Bürgschaften, und das in einer Situation, in der hier im Land unzählige wichtige Dinge nicht finanziert werden, weil wir angeblich kein Geld haben. Viele Schulen befinden sich in einem beklagenswerten Zustand. Kommunen können ihre Krankenhäuser nicht mehr ordentlich ausstatten, weil sie kein Geld haben. Der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder ist nach wie vor verfassungswidrig niedrig. (Beifall bei der LINKEN) Für all das fehlt angeblich das Geld. Das ist doch eine riesige Heuchelei, die Sie hier betreiben. Sie diktieren ganz Europa Schuldenbremsen, und im selben Atemzug erlassen Sie Gesetze, von denen Sie ganz genau wissen, dass sie die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben werden. Das ist Ihre Politik. Nehmen Sie sich eigentlich selbst noch ernst? (Beifall bei der LINKEN) Jetzt zeigt sich natürlich auch: Eine Behörde, die sich um den Schutz unserer Verfassung tatsächlich kümmern würde, hätte heute in Deutschland einiges zu tun. Sie könnte sich beispielsweise um diejenigen kümmern, die der Ansicht sind, dass man zum Zweck der Bankenrettung auch mal das Budgetrecht des Parlaments einschränken oder umgehen kann, oder um diejenigen, die der Meinung sind, dass parlamentarische Prozesse eigentlich nur stören, wenn sie denn die Märkte beunruhigen, oder um diejenigen, die ins Gespräch bringen, dass wir plötzlich eine marktkonforme Demokratie brauchen. Keine dieser Absurditäten ist im Grundgesetz vorgesehen. Sie widersprechen ihm sogar ausdrücklich. (Beifall bei der LINKEN) Es bleibt dabei: Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden. Heute werden Deutschland und Europa vom organisierten Geld regiert, und diese Bundesregierung ist eine besonders emsige und devote Vollstreckerin seiner Wünsche. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin! Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Die Linke wird sich im Unterschied auch zur SPD und zu den Grünen an diesem schmutzigen Geschäft niemals beteiligen. Deswegen werden wir heute gegen diesen Gesetzentwurf stimmen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in der aktuellen Euro-Finanzkrise mindestens drei große Lebenslügen von Schwarz-Gelb. Die erste lautet, wir seien keine Transferunion. Dieses Europa war schon immer eine Transferunion. Die zweite Lebenslüge lautet, wir würden Schulden nicht vergemeinschaften. Die Wahrheit ist: In diesen Tagen liegen in der Europäischen Zentralbank in einer Größenordnung von rund 200 Milliarden Euro Staatsanleihen aus Italien, Spanien und anderen Ländern. Damit wir diese Staatsanleihen bekommen und Schulden vergemeinschaften, geben wir privaten Banken in diesen Ländern billiges Geld zu einem Zinssatz von 1 Prozent. Die dritte Lebenslüge hat die Bundeskanzlerin gestern in Davos hinzugefügt. Sie hat gesagt: Man muss aufpassen, dass Deutschland in dieser Situation nicht überstrapaziert wird. Am nächsten Morgen wird hier im Deutschen Bundestag beschlossen, 400 Milliarden Euro an Bürgschaften und am Ende 80 Milliarden Euro zur Rettung von Banken auszugeben. Ich sage an dieser Stelle: Ich kritisiere nicht den Anlass des Gesetzes. Nicht, dass wir uns da missverstehen; es ist nötig. Aber so zu tun, als gäbe es eine erbitterte Debatte innerhalb der Koalition darüber, ob man das Notwendige für den Euro, für unsere gemeinsame Währung, tun könne, und gleichzeitig konditions- und bedingungslos Geld in der Größenordnung des gesamten ESM – das ist nämlich die gleiche Größenordnung – für ein solches Projekt auszugeben, das lassen wir Ihnen nicht als eine konsistente Politik durchgehen. Das ist schlicht und ergreifend eine Veräppelung der Öffentlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie setzen damit etwas fort, was vom Internationalen Währungsfonds und von vielen anderen kritisiert wurde. Deutschland ist gut durch die Krise gekommen. Aber Deutschland ist nicht deswegen gut durch die Krise gekommen, weil es gut gemanagt worden wäre. Deutschland ist vor allen Dingen sehr teuer durch die Krise gekommen. Die Bankenrettung in Deutschland war die teuerste weltweit. Kein Land hat seine Mittel so ineffizient wie die Bundesrepublik Deutschland eingesetzt, um durch die Finanzkrise zu kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Beispiel der Commerzbank ist schon sehr strapaziert worden: 18 Milliarden Euro für eine Bank, die, je nach Schätzung, 3 Milliarden bis 5 Milliarden Euro wert war. Diese Bank zahlt bis heute keine Zinsen für diese stille Einlage. Jetzt kommen Sie mit genau dem gleichen Modell erneut auf die Bevölkerung und den Deutschen Bundestag zu. Sie schlagen vor, faktisch diesen Weg wieder zu beschreiten. Dazu sage ich: Der Verzicht darauf, Banken, die in Schieflage geraten, nicht nur zu verstaatlichen, sondern sie zu zwingen, sich zu rekapitalisieren, also der Verzicht auf wirkliche Maßnahmen, ist der Beleg dafür, dass es falsch ist, wie Sie agieren. Wenn Sie die Banken selber darüber entscheiden lassen, ob sie sich rekapitalisieren, wenn Sie nicht die Bereitstellung von Bürgschaften oder von Geld zum Beispiel damit verbinden, dass die Banken gezwungen werden, ihr Eigenkapital aufzustocken, wenn Sie nicht als Bedingung für Geld und Bürgschaften von Steuerzahlern dafür sorgen, dass auch für Banken eine Schuldenbremse gilt, dann wird im Ergebnis auch die Schuldenbremse für Deutschland überstrapaziert. Sie müssen an dieser Stelle endlich zu einer konsistenten Politik kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Von hinten durchs Knie ins Auge!) In der Tat brauchen wir einen solchen Fonds. Wir brauchen ihn auf europäischer Ebene. Aber wir müssen als Gegenleistung verlangen, dass es innerhalb der Banken zu einer massiven Rekapitalisierung kommt – da, wo Geld gegeben wird, muss der Staat mitreden –, und wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass Spekulation begrenzt und vermindert wird. Ich würde mir wünschen, dass die CDU/CSU die Tatkraft, die sie gelegentlich an den Tag legt, wenn es zum Beispiel darum geht, Kolleginnen und Kollegen wie Frau Wagenknecht durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, auch einmal aufbrächte, wenn es um die Umsetzung und Durchsetzung der Finanztransaktionsteuer geht. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Da lassen Sie sich ja von der FDP schlicht und ergreifend am Nasenring durch die Manege führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat einen weiten Bogen geschlagen. Es war nicht wirklich überraschend, aber bemerkenswert, dass sich Frau Wagenknecht gar nicht dagegen ausgesprochen hat, dass Abgeordnete – notfalls auch vom Verfassungsschutz – beobachtet werden, sondern dass sie nur gesagt hat, sie hätte gern andere Abgeordnete unter Beobachtung gestellt. (Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Das habe ich so nicht gesagt!) Aber ich möchte mich zu dem Gesetz äußern. Auf dem Weg, die durch die Staatsschuldenkrise einiger Mitgliedsländer der gemeinsamen europäischen Währung ausgelöste Verunsicherung in der Euro-Zone als Ganzes zu bekämpfen, stellt es einen wichtigen Beitrag dar. Sinn und Anlass des Gesetzes sind nämlich, für Banken nun etwas zu haben, was wir damals, im Jahr 2008, nicht hatten. Es ist, glaube ich, nicht vorzuwerfen, dass wir es damals nicht hatten; aber deswegen mussten wir die Probleme seinerzeit anders lösen. Inzwischen haben wir mit dem Bankenrestrukturierungsgesetz das richtige Instrumentarium geschaffen, um in einem solchen Fall eine Bank ordnungspolitisch sauber vom Markt nehmen zu können. Dafür brauchen wir dieses Gesetz nicht. Wir brauchen es aber – für eine begrenzte Zeit; deswegen ist es auch bis Ende des Jahres befristet – im Rahmen der Stabilisierungsbemühungen in Bezug auf die gemeinsame europäische Währung. Ich will, weil das so wichtig ist, noch einmal daran erinnern: Die Bekämpfung dieser Krise muss bei der Bekämpfung der Ursachen der Krise ansetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist und bleibt der erste notwendige Schritt, an dem kein Weg vorbeiführen darf, und alles, was wir sonst machen, darf nicht dazu führen, dass bei der Bekämpfung der Ursachen der Krise nicht bei den Mitgliedsländern der Europäischen Union angesetzt wird. Sonst würden wir falsche Anreize setzen. Außerdem brauchen wir eine Stabilitätsunion. Das ist das, was wir in diesen Tagen und Wochen mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus und dem Fiscal Compact zustande bringen. Das ist bei der Konstruktion der europäischen Verträge nicht ganz einfach. Es wäre einfacher gewesen, wenn eine Vertragsänderung gelungen wäre; aber Vertragsänderungen sind in Europa nur einstimmig möglich. Diese Einstimmigkeit war im Europa der 27 nicht zu erreichen. Deswegen müssen wir den Weg über den Fiscal Compact gehen, um das zu schaffen, was wir für die vergemeinschaftete Geldpolitik brauchen, damit die Währung stabil bleibt und das Vertrauen in die Währung zurückkehrt. Notwendig sind nämlich eine Stabilitätsunion, Grenzen für die Finanzpolitik zu schaffen und darüber hinaus die Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedsländer der gemeinsamen Währung zu stärken. Das ist das Ziel des Europäischen Rats am kommenden Montag. Ich sage das nur, um den Zusammenhang herzustellen. Dann gehört dazu, Ansteckungsgefahren, die durch die Verflechtungen in den Finanzmärkten der Welt entstanden sind – die haben wir 2008 in einem Ausmaß kennengelernt, wie wir es vorher nicht für möglich gehalten haben –, zu bekämpfen. Dazu brauchen wir einen Rettungsschirm, und dazu brauchen wir eine hinreichende Kapitalausstattung der systemrelevanten Banken in Europa. Das war der Beschluss, den wir, ausgehend von der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds, im vergangenen Jahr gefasst haben. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde muss in der Zusammenarbeit mit den nationalen Bankenaufsehern ihren Weg finden. Das hat ein bisschen gebraucht; sie ist ja erst seit Anfang letzten Jahres tätig. Das ist nicht ganz einfach. Das geht auch nicht ganz konfliktfrei. Das ist bei solchen europäischen Institutionen so. Diese Behörde hat definiert, welche systemrelevanten Banken in Europa – in Deutschland sind es sechs – bis zum 30. Juni auf der Basis der Bewertung der Bestände vom 30. September vergangenen Jahres hinreichend Kapital nachweisen müssen, damit sie im Falle eines Falles gegen eine Ansteckungsgefahr gewappnet sind. Jetzt kommen wir zum Gesetz. Wir alle in Europa haben uns verpflichtet, dass wir den Beschluss der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde durch die nationale Bankenaufsicht umsetzen. Die Regel ist auch ganz klar: Die Banken müssen zunächst versuchen, sich das notwendige Kapital zu beschaffen. Es sieht danach aus, dass die deutschen Banken das auch schaffen; aber das ist bis zum 30. Juni offen. Die Banken haben jetzt ihre Pläne vorgelegt; die BaFin überprüft das in diesen Tagen und Wochen. Für den Fall, dass sie dazu nicht in der Lage sind, müssen die Mitgliedstaaten dies sicherstellen. Es gibt nicht den direkten Weg über Europa – das möchten manche –, nein, es geht nur über die Staaten. Aber dazu brauchen wir das Instrumentarium. Deswegen haben wir – es ist auch kein Widerspruch, Herr Kollege Schneider, zu dem, was ich vor einem Jahr gesagt habe; da hatten wir das Restrukturierungsgesetz – den Beschluss, in dem wir uns verpflichtet haben, dies notfalls umzusetzen. Deswegen muss dieses Gesetz auch in den Instrumenten ein Stück weitergehen als das erste Soffin-Gesetz. Ohne dieses Gesetz hätte die nationale Bankenaufsicht nicht die Möglichkeit, ein Institut zu zwingen, das notwendige Kapital vorzusehen. Denn bisher, nach geltendem Recht, kann nur bei einer konkreten Bestandsgefährdung durch die nationale Bankenaufsicht eingegriffen werden. Jetzt führen wir die Möglichkeit ein, dass bei einer besonderen Risikolage auf dem Finanzmarkt und insbesondere im Rahmen eines abgestimmten Vorgehens auf europäischer Ebene oder aufgrund entsprechender Empfehlungen des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde gehandelt werden kann. Das ist der Sinn des Ganzen. Dafür rufen wir das alte Gesetz noch einmal auf. Wir geben auch nicht, Herr Kollege Trittin, wie Sie gesagt haben, 400 Milliarden Euro aus. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Bürgschaften“ habe ich gesagt!) – Sie haben den Begriff „ausgeben“ gebraucht, und das war nun leider irreführend. Lassen Sie mich es doch ganz einfach darstellen: Wir stellen in der Tat den vorhandenen Bürgschaftsrahmen bis zum Ende dieses Jahres und die entsprechenden Kapitalmöglichkeiten zur Verfügung, in der Erwartung, dass sie nicht in Anspruch genommen werden müssen, aber für den Fall, dass sie notwendig sind. Das ist eine präventive Maßnahme, um unsere gemeinsame europäische Währung gegen Ansteckungsgefahren stabiler zu machen. Um nicht mehr und um nicht weniger geht es. Meine Damen und Herren, dazu müssen wir dieses Gesetz – ich bitte darum; wir brauchen es dringend; sonst würden wir unseren europäischen Verpflichtungen nicht gerecht werden – heute verabschieden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, darf der Kollege Schick eine Zwischenfrage stellen oder eine Bemerkung machen? Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Bitte, gerne. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Sie haben gerade zwischen dem differenziert – das ist völlig richtig –, was an Rahmen zur Verfügung gestellt worden ist, und dem, was konkret ausgezahlt worden ist. Wenn wir dieses Gesetz jetzt noch einmal in Kraft setzen, haben die Bürgerinnen und Bürger, finde ich, einen Anspruch, zu wissen, was bisher wirklich ausgegeben worden ist, wie viele Verluste sich in dem Finanzmarktfonds bisher tatsächlich angesammelt haben. Ich darf diese Zahl nicht nennen; Sie dürfen es. Deswegen möchte ich Sie bitten: Nennen Sie den Bürgerinnen und Bürgern die Milliardensumme, die bisher an Verlusten aufgelaufen ist. Können Sie uns auch sagen, wer diese Verluste tragen soll? Werden sie durch das allgemeine Steueraufkommen, also von allen Bürgerinnen und Bürgern, oder durch den Finanzsektor getragen? Oder werden sie, wie wir Grünen uns das vorstellen, mit einer Abgabe auf sehr große Vermögen abgetragen? Die Frage ist also: Wie viel ist konkret ausgezahlt worden, und wer soll das bezahlen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Schick, ich werde Ihnen die Zahlen heute nicht nennen, sondern wir machen das in den zuständigen Gremien, wie das Gesetz es vorsieht. Dabei bleibt es auch. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter Geheimhaltung! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Die Zahlen stehen auch noch gar nicht abschließend fest. Deswegen dient diese Frage nur dazu, Verunsicherungen zu schaffen, die so gar nicht begründet sind, und deswegen lasse ich mich darauf gar nicht ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen hilft es nichts: Wenn es am Ende haushaltswirksam ist, trägt es der allgemeine Haushalt. Dazu, wie die erforderlichen Mittel aufgebracht werden sollen, gibt es in unserem Parlament unterschiedliche Vorstellungen; das ist auch wahr. Wir haben in der Steuerpolitik, wie in anderen Fragen auch, unterschiedliche Vorstellungen. Es ist der Vorzug der pluralistischen Demokratie, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, über die am Ende mit Mehrheit entschieden wird. Wir sind in diesen Jahren eine ziemlich solide Haushaltspolitik gefahren; denn wir haben die staatliche Neuverschuldung immerhin von der ursprünglich in Kauf genommenen Rekordsumme auf weniger als 20 Milliarden Euro im vergangenen Jahr zurückgeführt. Wir werden diesen Weg konsequenter Rückführung, aber maßvoller Defizitreduzierung entschieden weitergehen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist doch keine Antwort gewesen!) – Ich habe erklärt, warum ich keine Antwort gebe, nämlich aus den genannten Gründen. Dabei bleibt es auch. Im Übrigen – ich sage es noch einmal –: Dieses Gesetz wird vermutlich gar nicht in Anspruch genommen werden müssen; es ist auf eine kurze Zeit befristet. Es gibt uns aber das rechtliche und tatsächliche Instrument, die Anforderungen, die wir in Europa beschlossen haben, um unsere gemeinsame Währung stabil zu halten und zu verteidigen, zu erfüllen – nicht mehr und nicht weniger. Wenn Sie wollen, versuche ich noch einmal, es Ihnen zu erklären: Es ist ein Element bei der Stabilisierung der gemeinsamen Währung – das war die weltweite gemeinsame Beurteilung, und zwar im Internationalen Währungsfonds, in der G 20 und auch in Europa –, dass wir sicherstellen müssen, dass die systemrelevanten Banken in Europa in dieser schwierigen Zeit genügend Eigenkapital haben, und zwar mehr, als von Basel III zu diesem Zeitpunkt vorgesehen ist. Herr Kollege Schneider, Sie haben die Mark-to-Market-Bewertung angesprochen. Von vielen Seiten – auch in der Finanzwelt – wird dies als Argument benutzt. Dort heißt es jetzt, dies sei die Ursache der Probleme. Ich kenne diese Debatte sehr genau, und Sie kennen sie auch. Jede europäische Entscheidung, die systemrelevanten Banken mit hinreichend Eigenkapital zu versehen, ohne dies auf der Grundlage einer Mark-to-Market-Bewertung zu tun, wäre von allen finanzmarktrelevanten Institutionen als irrelevant angesehen worden. Deswegen haben wir für diesen speziellen Test, für die EBA-Entscheidung, gesagt, dass die Grundlage eine Mark-to-Market-Bewertung ist. Das ändert aber nichts daran, dass wir die Fristen für die Nullunterlegung von Staatsanleihen, die in Basel III vorgesehen sind, weiterhin voll ausschöpfen werden. Auch dies sage ich bei dieser Gelegenheit. Diejenigen, die daraus Argumente als Ausreden dafür ableiten, dass man spekulativ darauf setzt, die Finanzmarktkrise nicht zu lösen, sondern zu verschärfen, haben kein Argument aus dieser Entscheidung. Das ist eine besondere Situation. Sie zeigt, dass unsere gemeinsame europäische Währung auf dem Weg ist, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Meine Damen und Herren, wir sind nicht über den Berg. Ich warne vor zu schnellen, vor voreiligen Erfolgsmeldungen. Ich habe in Zeitungskommentaren vor ein paar Tagen auch schon gelesen, das Schlimmste liege hinter uns. Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass die Finanzmärkte beginnen, zunehmend Vertrauen zu fassen. Ich weiß, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Probleme in einer Reihe von Mitgliedsländern werden wirklich energisch angegangen. Was beispielsweise Italien unter der Regierung von Mario Monti beschlossen und auf den Weg gebracht hat, verdient unsere Unterstützung und unseren Respekt und hat Vertrauen auf den Finanzmärkten gefunden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen hat Frau Merkel das Treffen abgesagt!) Die Schaffung einer Stabilitätsunion mit dem Fiscal Compact und dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus findet zunehmend Vertrauen. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir müssen ihn konsequent fortsetzen. Ein notwendiges Element ist dieses Gesetz, das wir jetzt beraten. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Carsten Sieling ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesfinanzminister, Sie haben die Notwendigkeit dieses Gesetzes eingangs Ihrer Ausführungen damit begründet, dass aufgrund der europäischen Staatsschuldenkrise eine Situation entstanden ist, die zu einer Unterkapitalisierung von Banken geführt hat. Zu diesen Ergebnissen kam auch der EBA-Stresstest. Das ist richtig. Es muss aber doch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, warum es zu dieser Situation in diesem Maße gekommen ist. Hierzu will ich deutlich sagen: Die Situation, die wir in Europa haben, ist maßgeblich dadurch ausgelöst worden, dass Sie und die Kanzlerin in den europäischen Verhandlungen, in den europäischen Beratungen blockiert haben, dass Sie nicht den Mut hatten, den Schritt einer Gemeinschaftshaftung auf europäischer Ebene zu gehen, um damit sicherzustellen, dass die Entwicklung nicht immer weiter nach unten geht. Das Ergebnis sehen wir heute hier. Wir debattieren ständig – das ist schon gesagt worden – über die Milliardensummen auf europäischer Ebene. Heute sollen mal eben 480 Milliarden Euro beschlossen werden. Auch der deutsche Steuerzahler wird für die Fehler der Bundesregierung auf europäischer Ebene herangezogen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Grundfehler, der überhaupt dazu geführt hat, dass wir heute wieder über ein solches Volumen reden müssen, ist die Tatsache, dass Sie die Jahre seit der Finanzkrise nicht genutzt haben, um konsequente Regulierungen des Finanzsektors durchzusetzen und möglich zu machen. Es gibt keine ordentliche Beschränkung des Derivatehandels. Der Anteil des High Frequency Trade ist sogar noch gestiegen. Schattenbanken sind nach wie vor ohne Grenzen unterwegs. Beim Anlegerschutz sind Sie als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Auch viele andere Dinge fehlen. Jetzt kommen Sie sogar daher und revidieren den von Ihnen vertretenen Ansatz zu dem wichtigen Thema Finanztransaktionsteuer und wollen sich einer Minimallösung anschließen – so kann man lesen –, die sich auf das britische Modell bezieht. Damit vermeiden Sie es, den Finanzsektor entsprechend heranzuziehen. Das ist der zweite Kardinalfehler, der ein solches Gesetz nötig macht und der dazu führt, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler am Ende zahlen müssen. (Beifall bei der SPD) Wir beraten heute über das Zweite Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Wir Sozialdemokraten werden diesem Gesetz nicht zustimmen, weil Sie (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weil Sie inkompetent sind!) in Ihrer Vorlage aus der Konstruktion des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes I, das eine Notreaktion gewesen ist und aus dem gewisse Konsequenzen gezogen werden müssten, keine hinreichenden Konsequenzen gezogen haben. Hätten Sie dies getan, dann wäre die notwendige Reparatur im Finanzsektor vollzogen worden und würde verhindert, dass, noch einmal gesagt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dies im Wesentlichen zahlen müssen. Sie wollen das Gesetz dann noch in Eile durchsetzen. Ich will das Verfahren hier einmal ansprechen. Vor einer Woche hatten wir die erste Lesung des Gesetzentwurfs. Es gab eine Beratung in den Ausschüssen, die holprig war. Der Finanzausschuss hat in den letzten 20 Minuten seiner Sitzung darüber gesprochen. Im Haushaltsausschuss gab es gestern noch Unklarheiten über die Frage, wie viele Fonds eigentlich errichtet werden. Es gab Unklarheiten bei der Frage, wie viel Geld wirklich zur Verfügung steht. Das ist eine Folge dessen, dass Sie Zeit verplempert haben. Diese Beratungen hätte man bereits im Oktober letzten Jahres, nach dem EU-Gipfel, beginnen können. Jetzt aber treiben Sie zur Eile, weil Sie nächste Woche beim europäischen Gipfel als deutscher Musterschüler dastehen wollen. Das hat nichts mit den inhaltlichen Zielen zu tun. Das ist nur Show und ist dem Thema nicht angemessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir uns das Gesetz anschauen, erkennen wir einen riesigen Konstruktionsfehler dahin gehend, dass Sie aus der Frage, wie man künftig solche hohen Lasten vermeiden kann, keine Lehre gezogen haben. Mir geht es wie dem Kollegen Schick; auch ich darf die Zahlen nicht nennen. Das werde ich auch nicht tun. Die von ihm aufgeworfene Frage, Herr Bundesfinanzminister, hätten Sie jedoch vor dem Hintergrund des Änderungsantrages der Koalition wenigstens ansatzweise beantworten können. In diesem Änderungsantrag ist nämlich dargelegt, dass aus dem Soffin-Vermögen bzw. den Kreditermächtigungen schon 19 Milliarden Euro verausgabt worden sind. Klar, es gibt die Hoffnung, dass man dieses Geld wieder zurückholen kann. Wenn man aber auf Unternehmen wie die HRE schaut, weiß man, dass dieses Geld wahrscheinlich nicht wieder einzufangen ist. Zumindest mit dieser einen Zahl bekommt man eine Idee, in welche Richtung die Lasten gehen, was schließlich auch zu einer Reduzierung unserer Möglichkeiten hier führt. Das hätten Sie hier ruhig sagen können. Es täte gut, wenn der Bundesfinanzminister an dieser Stelle ein bisschen Klarheit und Transparenz in die Debatte bringen würde. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Der eigentliche Konstruktionsfehler liegt darin, dass es vermieden wird, zum einen die direkten Eingriffsmöglichkeiten zu nutzen, die mit einer Beteiligung verbunden wären, und zum anderen im Falle einer Notsituation die Banken dazu zu zwingen, entsprechend zu agieren. Diese beiden Vorschläge machen wir ja nicht, weil wir Lust haben, die staatliche Hoheit und den staatlichen Zugriff zu organisieren (Zuruf von der LINKEN: Warum eigentlich nicht?) und hineinzuregieren, sondern weil ein solches Vorgehen zu einer Einsparung führen würde. Ein Vergleich mit den Rettungsmaßnahmen in den USA zeigt dies. In den USA wurde beispielsweise die damalige Citigroup gerettet. Allein bei diesem Geschäft, das man nur über direkte Aktienbeteiligung getätigt hat, ist es zu einem Überschuss von 12 Milliarden Dollar gekommen. Das zeigt deutlich: Wenn man nicht nur mit stillen Einlagen hineingeht, kann man auch Steuerzahlergeld schonen. In erster Linie aber führt ein solches Vorgehen dazu, dass man den Pfad der Stabilisierung eines Unternehmens beschreiten kann. Ich darf an dieser Stelle aber auch sagen: Es gibt Korrekturbedarf. Viele dieser Banken sind „too big to fail“. Es wäre nicht schlecht, wenn man an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen würde, einzugreifen und steuernd dafür zu sorgen, dass die Banken dort, wo es sein muss, aufgeteilt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nicht nur der politische Raum spricht sich für diese Position aus, sondern auch in der Anhörung am vergangenen Montag wurden genau diese Themen angesprochen. Der Sachverständige Professor Siekmann hat diesen Punkt sehr deutlich als die entscheidende Schwäche des deutschen Rechts auch im Vergleich zum Ausland bezeichnet. Frau Professorin Buch hat ebenfalls sehr deutlich gesagt – ich zitiere –: Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass er eine seinen Finanzbeiträgen angemessene Mitwirkungskompetenz bekommt. Darum geht es uns. Dafür setzen wir uns ein, und darum sagen wir: Ihr Gesetz ist nicht hinreichend. Das ist eine zu kleine Münze für die große Notsituation und den Handlungsbedarf, vor dem wir stehen. (Beifall bei der SPD) Um noch einmal klarzumachen, dass nicht nur die Wissenschaft in diese Richtung tendiert, will ich an dieser Stelle auch auf Herrn Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft verweisen. Er ist arbeitgebernah und hat wirklich nichts mit Sozialdemokratie zu tun oder jedenfalls nur wenig. Es ist ganz selten, dass wir hier einmal Berührungspunkte haben. Aber er hat recht, wenn er sagt: Für den Fall, dass die private Rekapitalisierung – die primäre Vorgehensweise ist natürlich, dass die Banken zusehen müssen, wie sie das Geld zusammenbekommen – nicht gelingt und die Banken nicht mitziehen, entsteht eine Situation, in der man „den schmerzhaften Pfad der obligatorischen Kapitalisierung“ gehen und auch Staatsgelder einsetzen muss. – Ich glaube, das darf man nicht nur auf freiwilliger Basis anbieten; das muss man auch wirklich machen, wenn man den deutschen Finanzsektor stabilisieren und damit in der Tat ein öffentliches Gut sichern will, ohne Steuerzahlergeld auszugeben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Björn Sänger für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der eine oder andere mag sich möglicherweise verwundert die Augen reiben und fragen: Geht es denn schon wieder um die Bankenrettung? Müssen wir schon wieder Geld in die Hand nehmen, um die Branche zu stützen? Was ist denn eigentlich aus dem Banken-Restrukturierungsgesetz geworden, über das die Politik gesagt hat, man könne damit systemisch relevante Banken vom Markt nehmen? Dazu ist natürlich eines festzustellen – es ist hier schon mehrfach gesagt worden –: Dieses Gesetz gilt natürlich. Vor der Gewährung von Hilfen nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist zu prüfen, ob nicht das Banken-Restrukturierungsgesetz Anwendung findet, nämlich dann, wenn ein Institut kein angemessenes Geschäftsmodell hat, wenn man also durch unternehmerische Fehlentscheidungen in eine Schieflage geraten ist. In einem solchen Fall würde das Institut mithilfe des speziellen Insolvenzrechts für Banken nach dem Restrukturierungsgesetz abgewickelt, das diese Bundesregierung geschaffen hat. Das folgt einem sehr guten Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, das nach wie vor gilt. Mit dem Soffin 2.0 reagieren wir auf die anhaltenden Probleme der Krise. Wir haben im Rahmen des EBA-Stresstests festgestellt: Es gibt bei dem einen oder anderen Institut Defizite. Wir ergreifen eine präventive Maßnahme, damit wir nicht möglicherweise in ein größeres Problem hineingeraten. Die meisten Unternehmen – davon bin ich fest überzeugt – werden die Probleme selbst lösen können. Gerade deshalb ist das Gesetz nur bis Ende des Jahres befristet. Aber der vorsichtige Kaufmann baut eben vor. Wir müssen zudem feststellen, dass eine Vielzahl der Probleme darauf zurückgeht, dass die EBA die Rahmenbedingungen schnell verändert. Ich will gerne gewisse Anfangsschwierigkeiten zugestehen und durchaus mit einer gewissen Milde darüber hinwegsehen. Wir müssen aber sehen: Es ist schlussendlich die staatliche Seite, die durch richtigerweise erhöhte Anforderungen an die Finanzbranche dafür sorgt, dass das eine oder andere Unternehmen möglicherweise nicht in der Kürze der Zeit angemessen reagieren und sich am Markt rekapitalisieren kann. Für diesen Fall haben wir die entsprechenden Maßnahmen vorgesehen. Bei aller Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs muss man natürlich feststellen, dass ein staatlicher Eingriff immer den Wettbewerb verzerrt. Darauf muss man sorgfältig achten. Hier ist richtigerweise eine Prüfung vorgesehen. Ich habe Verständnis für die anderen Marktteilnehmer, die sagen: Da kommen jetzt Institute, die vom Staat gestützt werden, mit Zinssätzen an den Markt; wir könnten das gar nicht so machen. – Ich kenne diese Klagen und höre sie häufig. Finanzmarktstabilisierung hat aber auch etwas mit dem Vertrauen der Kunden in den Finanzmarkt insgesamt zu tun. Insofern helfen diese Maßnahmen auch den Wettbewerbern, die sich möglicherweise über die eine oder andere Maßnahme beklagen. Völlig klar ist auch – darauf möchte ich hinweisen –: Wem vom Staat geholfen wird, der kann das entsprechende Geld nicht einsetzen, um es für Boni zu verausgaben. Das ist im Gesetz so geregelt; das ist im Übrigen bereits im sogenannten Vergütungsgesetz geregelt. Die Bundesregierung steht hier in der Finanzmarktregulierung blendend da. Hätten alle anderen europäischen Staaten bereits so reagiert, wie diese Bundesregierung reagiert hat, wären wir in einer vollkommen anderen Situation. Das beste Beispiel ist hier das Banken-Restrukturierungsgesetz. Es zeigt sich: Der kluge Mann baut vor. Die Bundesregierung baut mit dieser Maßnahme vor: Wir sind für alle Eventualitäten gerüstet und sichern damit die Stabilität des Standortes. Das zeigt erneut, dass unser Land bei dieser Bundesregierung in den allerbesten Händen ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Karneval!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Schick hat jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Jetzt nennen Sie mal die Zahlen!) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Ihnen von der Koalition einen Rückblick auf die verschiedenen Finanzmarktdiskussionen, die wir hier geführt haben, nicht ersparen. Es war das Ceterum Censeo jeder meiner Reden zur Finanzmarktstabilität, dass die deutschen Banken mit zu wenig Kapital ausgestattet sind und es deswegen Aufgabe der Bundesregierung ist, ihre Kapitalbasis zu stärken. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch nichts Neues!) – Ich kann mich noch gut an Ihr Kopfschütteln und an Ihre Zwischenrufe erinnern, Herr Michelbach. Wir fragen uns: Warum muss man jetzt kurzfristig sechs deutsche Banken schnell mit Kapital versorgen? Das schafft Unsicherheit an den Märkten. Die Antwort: Weil diese Bundesregierung, dieser Bundesfinanzminister, nicht für die Kapitalausstattung deutscher Banken vorgesorgt hat. Vielmehr wurde auf Ihren Auftrag hin in Brüssel und in Basel so verhandelt, dass härtere Kapitalanforderungen verhindert worden sind. Das muss am heutigen Tag klar gesagt werden. Sie haben nicht vorgesorgt. Deswegen muss jetzt bei der Kapitalausstattung deutscher Banken kurzfristig nachgesteuert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie scheinen der Rede von Herrn Schäuble nicht zugehört zu haben!) – Ich habe auch in den vergangenen Debatten sehr gut zugehört. Herr Schäuble hat gesagt: Wir reden über die genauen Zahlen in den Gremien. Was meint denn der Bundesfinanzminister damit? Er meint damit, dass das alles nur in Gremien, die der Geheimhaltung unterliegen, diskutiert werden soll, damit den Bürgerinnen und Bürgern und auch diesem Parlament in seiner Gesamtheit die relevanten Informationen vorenthalten werden. Das geht so nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Warum diskutieren wir innerhalb einer Frist von einer Woche über einen Gesetzentwurf, dessen Notwendigkeit seit Ende September bekannt ist? Weil man so wenig wie möglich darüber reden will! Warum wird über die Fehlbuchung von 55 Milliarden Euro bei der Hypo Real Estate, die den Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland erheblich verändert – das ist eine öffentliche Zahl –, im Finanzmarktgremium, das geheim tagt, erst Wochen später gesprochen, anstatt der Öffentlichkeit und dem Haushaltsausschuss sofort Bericht zu erstatten? Warum wird nicht hier und jetzt über die Verluste des Finanzmarktfonds gesprochen und Bilanz gezogen? Warum wird den Bürgerinnen und Bürgern nicht gesagt, was die erste Bankenrettung bisher gekostet hat? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil der Bundesfinanzminister Angst vor der Wahrheit hat! Herr Minister, ich finde das alles sehr intransparent. Man fragt sich: Warum beklagen Sie ständig das entstandene mangelnde Vertrauen, wenn Sie selber eine solche Geheimniskrämerei betreiben? Das passt nicht zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Dann sagen Sie sie uns!) – Ich würde diese Zahlen sehr gerne nennen, aber Sie wissen genau, Herr Kollege, dass es strafrechtlich sanktioniert würde, wenn ich das tun würde, und ich werde mich nicht strafbar machen. Aber Herr Minister Schäuble hätte die Antwort geben können. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich auch fragen, wie das haushaltstechnisch verbucht wird. Sie sind der Antwort auf die Frage, wer das zahlen soll, ausgewichen. Wenn am Ende in vielen Jahren abgerechnet wird, dann werden Kinder, die 2007, als die Finanzkrise ausgebrochen ist, geboren wurden, dann, wenn sie ins Berufsleben einsteigen, als Erstes die Kosten dieser Krise mit ihrer Steuerzahlung abzahlen müssen. Ist es generationengerecht, dass wir das alles nach hinten schieben? Nein, natürlich ist es das nicht. Natürlich muss der jetzige Bundestag bestimmen, wer für die Kosten für die Finanzkrise von 2007 und folgende aufkommt. Um diese Debatte drücken Sie sich, anstatt klar zu sagen, was passiert. Wir finden es unanständig, das unseren Kindern und Kindeskindern zu überlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da es wieder darum geht, 400 Milliarden Euro an Garantievolumen und 80 Milliarden Euro an Kapitalhilfen bereitzustellen, also quasi wieder einen Blankoscheck für die Regierung auszustellen, muss man sich schon fragen: Warum gibt das Parlament seine Kontrollrechte aus der Hand? (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was heißt denn „aus der Hand geben“? – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!) Warum kann das nicht der Haushaltsausschuss im Einzelnen entscheiden? (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie bauen doch hier einen Popanz auf!) – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Dann habe ich noch mehr Zeit, die Geheimhaltungspraxis aufzuzeigen. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So dumm müsste ich sein!) Wenn es um so viel Geld geht, muss es unserer Meinung nach auch ein ordentliches Kontrollverfahren geben; denn wir haben doch 2008 gesehen, wie groß die Gefahr ist, dass man sich selbst bedient. Wir erinnern uns doch noch an die Luxusrenten bei der Hypo Real Estate. Wir wissen genau, wie wichtig es ist: Wo es um so viel Geld geht, haben wir als Parlamentarier die Pflicht, ganz genau hinzuschauen, damit niemand sich auf Kosten der Steuerzahler bedienen kann. Sie nutzen die Kontrollmöglichkeiten als Parlamentarier nicht. Deswegen können wir dem Gesetz, das Sie hier vorlegen, nicht zustimmen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben zweifellos stürmische Zeiten an den Finanzmärkten, in der Weltwirtschaft, in der europäischen Politik. Ich meine, in solchen Zeiten bedarf es eines festen Ankers, (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Transparenz zum Beispiel!) damit das Schiff nicht abtreibt. Unserem Land kommt in der gegenwärtigen Krise eine besondere Verantwortung zu – für die Arbeitsplätze, für die europäische Idee, für die gemeinsame Währung, der auch Deutschland, unser Land, viel verdankt. Deutschland sollte und muss als Stabilitätsanker in der Europäischen Währungsunion und im internationalen Finanzmarkt dienen, für eine Stabilitätsunion, für die Sicherung der Finanzwirtschaft. Darum geht es letzten Endes. Wir müssen uns immer wieder fragen, wie diese Staatsschuldenkrise wirksam und ordnungspolitisch sauber eingedämmt werden kann, und zwar so, dass die Rettung nicht das zerstört, was es letzten Endes zu retten gilt. Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, 2010 und 2011 zwölf kapitalrelevante Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht. Das ist die Regulierungsleistung dieses Finanzministers und dieser christlich-liberalen Koalition. Da lassen wir uns von niemandem übertreffen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wieder ein Karnevalsbeitrag!) Jetzt gilt es, weiteren Ansteckungsgefahren im Bankensektor vorzubeugen, damit die Institute die Realwirtschaft verstärkt finanzieren, anstatt bei der EZB immer mehr Kapital zu parken. Wir handeln vorbeugend für den Fall, dass die EBA eine höhere Kapitaldeckung fordert. Das ist ein Beitrag gegen die verbreitete Verunsicherung. Das Kernproblem ist doch heute die wachsende Unsicherheit. Sie entsteht, wenn Vertrauen verloren geht. Vertrauen aber ist die Grundlage von Stabilität. Das, was die Opposition hier vorträgt, ist ein Beitrag zur Verunsicherung, aber kein Beitrag, um die wachsende Unsicherheit einzudämmen. Es bedarf des Vertrauens in den Ordnungsrahmen, in die Finanzwirtschaft und in die Regulierungsgesetze, des Vertrauens in die Institutionen, in die handelnden Personen. Schuldenstaaten und Finanzmarktteilnehmer müssen wieder Vertrauen zurückgewinnen. Das ist ohne Zweifel so. Nur dann, wenn die Banken wieder dauerhaft einander vertrauen, können auch die Bürger in der Zukunft wieder uneingeschränkt Vertrauen in ihre Institute haben. Wir alle sind gefordert, dem allgemeinen Vertrauensverlust entgegenzuwirken. Daher dürfen wir unseren Blick nicht nur auf kurzfristige Entscheidungen und Krisenbekämpfungen verengen; vielmehr müssen wir konzeptionell handeln und vorgehen. Da gehen wir mit dem heutigen Gesetz einen weiteren wichtigen Schritt, um diese Konzeption weiter voranzubringen. Die SPD stiehlt sich wieder einmal aus der Verantwortung. Ich verstehe das nicht. Die SPD schürt hier geradezu – wie auch Herr Dr. Schick – das Misstrauen und trägt widersprüchliche Argumente vor. Herr Schneider hat gesagt, wir sollten die Garantieleistungen nicht von den Steuerzahlern abhängig machen. Gleichzeitig fordert er aber mehr Staat. Was denn nun, Herr Schneider? Ihre Aussagen sind widersprüchlich. (Beifall des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/ CSU]) Wir müssen hier Verantwortung übernehmen, weil in letzter Konsequenz nur der Staat regulieren und damit Sicherheit geben kann. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann soll man auch Einfluss auf die Banken nehmen!) Völlig falsch wäre eine Vergemeinschaftung, für die Sie jetzt wieder sind. Das zeigt Ihre ökonomische Inkompetenz. Wir wollen keine Vergemeinschaftungen. Wir wollen Eigenverantwortung. (Manfred Zöllmer [SPD]: Eigenverantwortung! Was ist denn das für ein Unsinn?) Wir wollen eigene Anstrengungen seitens der Banken. Deswegen hat die Rekapitalisierung der Banken absoluten Vorrang vor diesen Vorbeugungsinstrumenten. Deswegen müssen auch die Schuldenstaaten zunächst einmal ihre Eigenverantwortung wahrnehmen und eigene Anstrengungen erbringen, bevor sie durch Ihre Euro-Bonds glattgestellt werden. Das, was Sie vorschlagen, ist der falsche Weg. Die Vergemeinschaftung von Schulden und Zinsen, jede Form von Vergemeinschaftung ist völlig falsch. Der Staat muss dort eintreten, wo er letzten Endes eintreten muss, weil es keine weiteren Sicherheiten mehr gibt. Wir stellen uns diesen Herausforderungen und übernehmen Verantwortung nach ordnungspolitischen Grundsätzen. Deshalb wollen wir heute erneut eine generelle Handlungsoption nach dem Soffin, um präventiv wirken zu können und die rechtzeitige Einflussnahme der Aufsicht zu ermöglichen. Es ist nicht sinnvoll, dass die Aufsicht immer nur nachbessert. Sie sollte im Vorfeld sagen, wie es ordnungspolitisch gehen sollte. Deswegen war der Soffin für die Sicherung unseres Finanzmarktes ein Glücksfall. Herr Trittin hat heute gesagt, dass das der teuerste Weg war. Nein, das war der effizienteste und letzten Endes erfolgreichste Weg zur Rettung unseres Finanzmarktes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Dr. Schick hat sich hier hingestellt und gesagt, dass er über die Zahlen informieren möchte. Das ist letzten Endes nur das Schüren von Unsicherheit in einem laufenden Prozess. Endgültige Zahlen können noch gar nicht genannt werden. Sie müssten sich eigentlich diese Frage stellen: Was wäre denn gewesen, wenn wir den Soffin nicht gehabt hätten? (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch überhaupt nichts damit zu tun!) Dann hätten die Bürgerinnen und Bürger Angst um ihre Konten, um ihr Erspartes und um die Geldwertstabilität haben müssen. Das ist der Kern, um den es hier letzten Endes geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schüren die Angst!) Der Schutz dieses Systems wird mit diesem Zweiten Finanzmarktstabilisierungsgesetz weiter vorangebracht. Die Bürger und die Unternehmen unseres Landes sollen sich weiterhin auf ein intaktes Finanzsystem verlassen können, das den Zugang zu Krediten gewährleistet und es den Bürgern ermöglicht, sicher und mit Gewinn zu sparen. Das sind die Ziele, die wir im Kopf haben. Bei allen Maßnahmen geht es letzten Endes darum, diese Ziele zu erreichen. Es geht auch um die richtige Balance. Herr Dr. Schick hat gesagt, wir hätten keine vorbeugenden Maßnahmen getroffen für den Fall höherer Kapitalanforderungen an die deutschen Banken. Auch Banken können ihr Geld nur einmal ausgeben. Bei den Banken geht es in erster Linie darum, das vorhandene Eigenkapital für die Vergabe von Krediten an die Realwirtschaft zu nutzen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch vorhin die Bilanzzahlen der Deutschen Bank gehört! Was erzählen Sie denn da?) Darum geht es doch in erster Linie. Es geht um die Balance: Auf der einen Seite sind die Banken durch eine höhere Eigenkapitalanforderung sicherer zu machen. Die Schrauben dürfen auf der anderen Seite aber nicht so stark angedreht werden, dass die Banken letzten Endes kein Geschäft mit der Realwirtschaft mehr machen können; denn dann würden Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Es geht um die richtige Balance, um die richtige Ordnungspolitik, um ökonomische Vernunft. Das ist es, was wir hier voranbringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube – das möchte ich abschließend sagen –, dass das Zweite Finanzmarktstabilisierungsgesetz ein weiterer wichtiger Baustein für die europaweite Bekämpfung der Staatsschuldenkrise ist. Ich bin dankbar, dass wir es heute auf den Weg bringen. Das zeigt: Es ist gut, dass diese christlich-liberale Koalition in dieser Zeit Verantwortung trägt, weil wir diese Probleme mit Vernunft, mit Augenmaß und mit Kompetenz lösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der Gesetzentwurf, den wir gleich verabschieden, ist ein Teil eines Straußes von Möglichkeiten, das Vertrauen in die Finanzmärkte und in deren Stabilität wiederherzustellen. Anders als einige Redner der Opposition versuchen uns glauben zu machen, haben wir seit dem ersten Finanzmarktstabilisierungsgesetz 19 Gesetze zur Kontrolle des Finanzmarkts, zur Stabilisierung und zur Stärkung der Finanzkraft, aber auch zur Regulierung der Vergütungen und zur Sicherheit des Anlegerschutzes verabschiedet. Frau Wagenknecht muss dies nicht wissen – sie begibt sich selten in die Niederungen von Ausschüssen und Anhörungen –, aber Herr Schneider, Sie könnten es durchaus wissen. Mein Kollege Brinkhaus hält hervorragende Vorträge zu diesem Thema – diese kann ich Ihnen nur empfehlen – und erklärt, was alles seit 2008 in diesem Bereich reguliert worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ein großer Vorteil gegenüber dem Soffin-I-Gesetz ist, dass wir aus mehreren Gesetzen auswählen können, dass wir je nach Situation ein eigenes Gesetz haben, sodass wir sehr gezielt überprüfen können, ob sich ein Institut selber helfen bzw. retten kann oder ob Gelder des Steuerzahlers erforderlich sind. Wir garantieren, dass das Soffin-II-Gesetz, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, letztes Mittel in einer solchen Prüfungskette ist. Herr Kollege Schick, Sie haben recht, es geht um große Summen: 400 Milliarden Euro Garantien, 70 Milliarden Euro Kreditermächtigungen plus 10 Milliarden Euro, die der Haushaltsausschuss zur Verfügung stellen kann. Deshalb ist die Frage, ob wir uns parlamentarische Rechte aus der Hand nehmen lassen, richtig. Wir müssen diese Frage beantworten. Ich kann sie für uns beantworten: Wir werden und wollen die Verantwortung für die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen. Wir beweisen das mit diesem Gesetz. Wir haben Teile der Kreditermächtigungen gesperrt. Teilweise kann sie der Haushaltsausschuss entsperren, teilweise das Finanzmarktgremium mit Bericht an den Haushaltsausschuss, sodass aus den Kreditermächtigungen, die wir heute freigeben, nur Mittel in einem Umfang von 22 Milliarden Euro zur freien Verfügung stehen. Alles darüber hinaus muss durch das Parlament oder unter Kontrolle des Parlamentes freigegeben werden. Wir haben weiterhin dieses Gesetz bis zum 31. Dezember 2012 befristet. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ich kann Ihre Kritik hier nicht verstehen. Was kann denn besser die Transparenz und die Diskussion in diesem Parlament sicherstellen als die Verpflichtung, vor dem 31. Dezember 2012 hier in diesem Haus erneut zu beraten, ob die Instrumente funktioniert haben, ob nachgebessert werden muss und ob das Gesetz verlängert werden muss? Das ist eine ganz klare parlamentarische Kontrolle, nicht nur durch den Haushaltsausschuss, sondern durch uns alle und in der Öffentlichkeit, sodass die Bürgerinnen und Bürger uns wiederum kontrollieren können. Eine weitere Variante der Kontrolle ist durch die Schuldenbremse gegeben. Der Finanzminister hat über die Regeln der Schuldenbremse hinaus für den Fall einer kurzfristigen Überschreitung einen Tilgungsplan vorgesehen, der durch Bundestagsbeschluss gefasst werden muss. Das heißt, wieder sind wir in der Öffentlichkeit und wieder müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern genau erklären, was wir mit ihren Geldern machen, sodass aus meiner Sicht die parlamentarische Kontrolle durchaus gegeben ist. Es liegt an uns, sie wahrzunehmen. Sie können sich darauf verlassen, dass wir das tun werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben die Möglichkeiten des Finanzministeriums zur Kontrolle der Finanzmarktstabilisierungsanstalt gestärkt. Das Finanzministerium kann diese Anstalt sehr viel deutlicher als bisher kontrollieren und Auskünfte einholen. Sie muss Rede und Antwort stehen. Das Finanzministerium wird diese Kontrollrechte wahrnehmen. Es ist unsere Aufgabe, zum Beispiel die Aufgabe der Mitglieder des Finanzausschusses, das Finanzministerium dazu zu befragen; dadurch üben wir unsere Kontrolle über das Finanzministerium aus. Weiter werden wir durch dieses Gesetz die Befugnisse der BaFin stärken. Die BaFin soll sicherstellen, dass die Eigenkapitalvorgaben des Europäischen Rates – sie dienen dem Schutze der Gläubiger, der Erhöhung der Solidität und der Stärkung der Vertrauenswürdigkeit auf dem Kapitalmarkt –, die im Oktober 2011 beschlossen wurden, umgesetzt werden. Zur Abwehr drohender Gefahren für die Finanzstabilität und drohender Störungen der Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes kann die BaFin sogar darüber hinausgehende Eigenkapitalanforderungen stellen. Die etwaigen Auswirkungen müssen erhebliche Ausmaße haben. Aber der Bund muss die Möglichkeit haben, gesetzlich einzugreifen, um drohende große Gefahren für den Finanzmarkt abzuwehren. Das unterscheidet sich von den Vorstellungen der Opposition, Stichwort Zwangskapitalisierung. Ich habe sowieso nicht verstanden, Frau Wagenknecht, wie man zuerst die Heizkostenzuschüsse zahlt und danach die Finanzinstitute zwangskapitalisiert. (Zuruf der Abg. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]) Auch bei Herrn Schneider habe ich den Spagat nicht nachvollziehen können. Wir sollen kein Geld der Steuerzahler ausgeben, aber gleichzeitig fordern Sie Zwangskapitalisierung. Der erste Satz der Rede passt mit dem zweiten nicht zusammen. Wir hingegen verfolgen ein schlüssiges Konzept. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die BaFin hat die Möglichkeit, diese Anforderungen zu stellen. Selbstverständlich wird sie das, weil es Auswirkungen auf das Geld der Steuerzahler haben könnte, nur dann tun, wenn es ansonsten zu erheblichen Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt kommen würde. Die BaFin hat weiterhin die Möglichkeit, anzuordnen, dass Entnahmen durch die Inhaber oder Gesellschafter, die Ausschüttung von Gewinnen und die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile nicht zulässig sind, solange die angeordnete Eigenmittelausstattung nicht erreicht ist. Boni und Dividenden sind in diesem Fall also zur Eigenkapitalaufrüstung heranzuziehen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen zu Recht, ob es sinnvoll sein kann, dass sich auf der einen Seite Vorstände hohe Gehälter zahlen und Anteilseigner hohe Ausschüttungen bekommen, während wir auf der anderen Seite die Institute mit Steuergeldern finanzieren. Das kann nicht sein. Die Kompetenz, dafür zu sorgen, werden wir der BaFin mit diesem Gesetz geben. Ich bin sicher, die BaFin wird mit dem Geld der Steuerzahler verantwortungsbewusst umgehen. Wir werden das auch entsprechend kontrollieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dieses Gesetz soll unter Beachtung der von uns im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse vollzogen werden. Das heißt: Wir werden sicherstellen, Herr Schick, dass künftige Generationen nicht alle Lasten zu tragen haben. Wir werden sicherstellen, dass diejenigen, die jetzt über diesen Fonds entscheiden, auch diejenigen sein werden, die den Tilgungsplan verabschieden. Wir werden mit dieser Regelung auch sicherstellen, dass der Tilgungsplan in einer angemessenen Zeit verabschiedet wird. Ich bin ganz optimistisch, dass wir es in dieser Legislaturperiode schaffen werden, die Haushaltskonsolidierung über die Grenzen der Schuldenbremse hinaus weiter voranzutreiben. Wir müssen deutlich machen, dass der bisher geplante Umfang nicht ausreicht. Wir als Parlamentarier müssen uns daher bei den nächsten Haushaltsberatungen mit der Frage auseinandersetzen, wie eine Tilgung bei eventuellen Überschreitungen der Schuldenbremse zu gewährleisten ist. Das heißt: Wir, die wir diese Mittel heute freigeben, sind diejenigen, die verantworten müssen, dass nicht künftige Generationen für uns bezahlen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aus meiner Sicht beinhaltet dieses Gesetz gegenüber dem Soffin-I-Gesetz, das Sie damals in der Großen Koalition mitgetragen haben, sechs entscheidende Verbesserungen. Wir haben die damaligen Regelungen weiter verbessert. Ihre Ausführungen dazu, warum Sie sich heute trotzdem aus der Verantwortung schleichen, haben mich nicht überzeugt. Ihre Hinweise auf eigene Anträge kann ich nur schmunzelnd zur Kenntnis nehmen. All diese Anträge sind nämlich schon von den Grünen vorgelegt worden. Sie haben sich lediglich die Mühe gemacht, „SPD“ draufzuschreiben. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU], an den Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Warum lassen Sie die denn bei Ihnen abkupfern?) Von Ihnen ist darin kein eigener Gedanke enthalten. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Tja! Wenn man keinen hat!) Ich weiß nicht, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, damit Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen könnten. Das ist aber Gott sei Dank auch nicht erforderlich. Die Koalition wird dieses Gesetz tragen und verantworten. Dafür stehen wir. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Hochmut kommt vor dem Fall!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/8487, den Gesetzentwurf der beiden Fraktionen auf der Drucksache 17/8343 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dieser Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Zunächst zum Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/8488. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8489: Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt. Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kooperativen Bildungsföderalismus mit einem neuen Grundgesetzartikel stärken – Drucksache 17/8455 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch hierfür 90 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig nicht streitig, sodass wir so verfahren können. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildungspolitische Debatten führen wir in diesem Hause ja häufiger, (Monika Grütters [CDU/CSU]: Stimmt!) meistens mit Routine und dem Austausch bewährter Argumente. (Monika Grütters [CDU/CSU]: Und das ist auch gut so!) Das stellt das eigene Parteipublikum möglicherweise zufrieden, aber die Bürger in diesem Lande häufig genug nicht. Ich habe mich in dieser Debatte deshalb zu Wort gemeldet, weil ich der Meinung bin, dass wir in einem entscheidenden Punkt in der bildungspolitischen Debatte ganz dringend die Routine durchbrechen müssen, wenn wir von den Bürgern weiterhin ernst genommen werden wollen. (Beifall bei der SPD) Nun hören Sie, wie ich, dass sich die Menschen in diesem Lande gelegentlich über die Politik ärgern, manchmal sogar nicht nur über die Politik dieser Bundesregierung, sondern über die Politik insgesamt. Warum ärgern sie sich? Sie tun das, weil sie natürlich erkennen, dass wir zwar lange Zeit über Missstände reden, sie analysieren, sie bewerten, sie nach einigen Jahren neu bewerten und sie dann mit Experten der Wissenschaft und in der Debatte hier im Hause miteinander besprechen, sich aber nichts ändert. Missstände werden besprochen, aber sie werden nicht beseitigt. Ich bin mir sicher, dass an den Abendbrottischen der meisten Familien hier in Deutschland zurzeit vielleicht über den Bundespräsidenten gestritten wird und mit Sicherheit Sorgen über die Zukunft Europas ausgetauscht werden. Ich sage Ihnen aber: Es gibt einen Dauerbrenner, der die Menschen – und vor allem die Eltern – überall schier aus der Haut fahren lässt, nämlich die Tatsachen, dass noch immer Unterricht ausfällt, dass Plätze in Ganztagsschulen fehlen, dass die sanitären Anlagen in Schulen zum Grausen sind und vieles andere mehr. Meine Damen und Herren, das verursacht nicht einfach nur Ärger. Die Menschen verstehen nicht, dass das von uns allen zwar beklagt wird, sich aber nichts ändert, und am wenigsten verstehen sie, dass sich Bund und Länder auch noch gegenseitig verbieten, gemeinsam an der Beseitigung der Missstände zu arbeiten. Das darf nicht so bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie alle kennen wahrscheinlich diesen schönen – ich finde ihn ganz wunderbar – Merksatz von Bertolt Brecht: Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war. Das Kooperationsverbot, das wir im Paket der Föderalismusreform beschlossen haben, war ein Fehler. Wir haben es mitgetragen, weil wir die Föderalismusreform insgesamt nicht gefährden wollten, aber ich sage Ihnen und auch für mich persönlich: Es war falsch, und das muss bereinigt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Einen Irrtum zuzugeben, fällt in der Politik schwer. Allen Seiten hier im Hause fällt das gelegentlich schwer, zumal ja bekanntlich immer die jeweils andere Seite schuld ist. Deshalb will ich in meiner Rede auch auf Schuldzuweisungen, wer für welche Regelung im Rahmen der Föderalismusreform verantwortlich war, verzichten, und zwar erstens, weil die meisten Menschen in Deutschland das heute nicht mehr interessiert, und zweitens, weil ich wirklich glaube, dass wir alle in diesem Hause etwas davon haben könnten und die Politik insgesamt sogar an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen könnte, wenn wir einmal die Kraft hätten, gemeinsam zu sagen: Wir haben uns geirrt, das Kooperationsverbot ist Blödsinn, es muss weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wir werden gleich die Beiträge in der Debatte hören. Da ich die gewollten Missverständnisse, die es in der Debatte immer gibt, auch aus der Diskussion in den eigenen Reihen kenne, eines zur Klarstellung vorneweg: Ich war selbst acht Jahre auf Länderseite tätig, bevor ich in den Bund kam. (Alois Karl [CDU/CSU]: Vom Saulus zum Paulus!) Ich weiß, was in vielen Ländern geleistet wird, um dort den Kindern bestmögliche Bildung zu ermöglichen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Trotz SPD!) – Sie können darüber spotten. Machen Sie das doch gleich vom Mikrofon aus, wenn Sie Rederecht bekommen. – Erst recht bin ich nicht der Meinung, dass Bundespolitik in Bildungsfragen klüger ist als Landespolitik. Die Länder sind zuständig für Bildungspolitik, und wir wollen das nicht infrage stellen und ihnen nicht ständig hineinreden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Um all das geht es aber nicht beim Kooperationsverbot. Beim Kooperationsverbot geht es um den geradezu skurrilen Fall, dass wir per Gesetz, sogar per Verfassung verbieten, dass Bund und Länder ihre Kräfte bündeln, um objektiv erkannte Probleme in der Bildungslandschaft endlich wirksam anzugehen. Das kann beim besten Willen nicht der richtige Weg sein. Das wird keiner verstehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich nehme einmal die Klage auf, die in diesem Land geführt wird, dass wir zu wenige Plätze an Ganztagsschulen haben. Wir vom Bund haben vor Jahren ein Ganztagsschulprogramm auf den Weg gebracht. Vielleicht beurteilt die rechte Seite des Deutschen Bundestages das mit einigem zeitlichen Abstand heute etwas gelassener als früher. Ich jedenfalls finde, im Rückblick war das ein durchaus erfolgreiches Programm. Das war wegen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erfolgreich. Niemand wird gezwungen, aber wir schaffen Möglichkeiten für solche Kinder, die auf Ganztagsschulen besser lernen. Wir schaffen Möglichkeiten für Eltern, die wegen eigener Berufstätigkeit gerade auf solche Schulangebote dringend angewiesen sind. Heute – das muss jedem bewusst sein –, nach der Einrichtung des Kooperationsverbotes, wären solche Anstöße in der Bildungslandschaft nicht mehr möglich. Nun mag es sein, dass das der eine oder andere hier in diesem Hohen Hause noch richtig findet. Nur sollte niemand damit rechnen, dass Kinder, Eltern oder Lehrer dafür Verständnis aufbringen. Das versteht keiner. Deshalb muss das Kooperationsverbot weg! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Genauso versteht nach meiner Überzeugung keiner, dass wir trotz PISA und trotz OECD-Studien in den letzten Jahren in Deutschland vor allen Dingen über eines reden: über Zuständigkeiten, und zwar bei ganz vielen bildungspolitischen Themen und zuletzt und neuerdings auch bei dem aus meiner Sicht so wichtigen Thema der Inklusion. Wir wollen mehr Schüler mit Behinderungen auf Regelschulen bringen. Wenn Sie von der Seite der Union und der FDP das sagen, glaube ich Ihnen das. Aber ich füge hinzu: Das kann doch nicht im Ernst daran scheitern, dass die Länder für das Fachpersonal an den Schulen zuständig sind, der Bund aber für Eingliederungshilfen und individuelle Betreuung zuständig ist. Lassen Sie uns doch endlich anfangen, über die jeweils besten Lösungen zu reden – statt nur über Zuständigkeiten; das wird nicht reichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eben keine Fortsetzung des Zuständigkeitsstreits. Wir brauchen keine Fortsetzung dieses ewigen Kompetenzgerangels. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit. Wir brauchen mehr Bildungsinvestitionen. Das sind wir nicht nur unseren Kindern schuldig. Das wird zu einer Überlebensfrage dieser Gesellschaft; davon bin ich fest überzeugt. In einem Hochtechnologieland mit starker Exportwirtschaft, wie wir es sind, dessen Bevölkerungszahl zugleich schrumpft, hängt die eigene Zukunft daran, dass die weniger werdenden Kinder bestmöglich ausgebildet werden und möglichst keiner zurückbleibt. Bei einem solchen Land hängt alle Zukunft daran, dass Bildung oberste Priorität auf der politischen Skala hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Glaubt jemand in dieser Runde ernsthaft daran, dass wir schon an diesem Punkt sind? Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Auf der einen Seite binden wir uns durch das Kooperationsverbot gegenseitig die Hände. Auf der anderen Seite verschwenden wir auch auf Bundesseite Millionen, die auf der Länderseite dringend für eine bessere Bildung gebraucht werden. Wenn Sie mir dann diesen Vorwurf erlauben: Ich finde diese Weichenstellung sogar gleich dreifach falsch. Das gilt erstens für das Lieblingsprojekt von Frau von der Leyen: Die Bildungsgutscheine ziehen nicht, selbst wenn Sie noch ein paar Millionen Euro in die Werbung stecken würden. (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) Zweitens wird das familien-, frauen- und bildungspolitisch völlig verkehrte Betreuungsgeld (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dazu führen, dass gerade die Kinder nicht in öffentliche Betreuung kommen, die es am nötigsten hätten. Drittens schlagen Sie sich mit Steuersenkungen, auf die in diesem Lande niemand wartet, die Instrumente selbst aus der Hand, die wir dringend für eine bessere Bildung brauchten. Das sind gleich drei falsche Weichenstellungen. Das ist verhängnisvoll für ein Land, dessen Zukunft so sehr von guter Bildungspolitik und guten Schulen abhängt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Bildung ist der Schlüssel. Mehr Kooperation und Investitionen sind die Instrumente. Dem kann und darf sich niemand in diesem Hause verweigern. Dass ausgerechnet die FDP auf ihrem Bundesparteitag noch einmal die Beibehaltung des Kooperationsverbotes bekräftigt hat, wundert mich nicht. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Ist das so?) Das bestätigt, dass Sie von der Realität in diesem Lande ein Stück weit entfernt sind. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist ja lächerlich! Sie haben das herbeigeführt! Da wäre ich ein bisschen vorsichtiger mit Schuldzuweisungen ausgerechnet an uns!) – Vorsicht würde ich auf Ihrer Seite walten lassen. Aber ich habe Ihnen dazu keine Ratschläge zu geben. (Heiner Kamp [FDP]: Sie haben es doch verschuldet! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie haben das eingeführt! Da wäre ich jetzt ein bisschen vorsichtiger!) – Das hat die Föderalismuskommission, eine Bund-Länder-Kommission, vorgeschlagen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das war die Große Koalition, Herr Steinmeier!) Ich hatte Ihnen vorgeschlagen: Wenn wir Auswege suchen, dann sollten wir nicht wieder die Debatte führen, wer in der Föderalismusreform für welche Vorschläge Verantwortung getragen hat. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Steinmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Selbstverständlich. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Kollege Steinmeier, wären Sie bereit, sich mit mir gemeinsam daran zu erinnern, dass die Föderalismuskommission gescheitert ist – sie ist unter anderem an dem Streit über die Frage gescheitert, wie es in der Bildung weitergehen soll und ob es ein Kooperationsverbot geben soll – und dass es dann nach Verhandlungen zwischen Herrn Müntefering und Herrn Stoiber, die hinter verschlossenen Türen geführt wurden, die Große Koalition war, die diese Regelung durchgesetzt hat, (Heiner Kamp [FDP]: So ist es!) die mit der Föderalismuskommission eben nicht zu vereinbaren war? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Meine Damen und Herren, liebe Kollegin, machen Sie sich gerne alle weiße Füße in dieser Debatte. Ich habe nichts dagegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wer sich aber einer Änderung der jetzigen Situation verweigert, die aufgrund eines Fehlers entstanden ist, an dem wir mitgewirkt haben – das habe ich im ersten Satz meiner Rede gesagt –, (Ulla Burchardt [SPD]: Jeder darf seine Lernfähigkeit demonstrieren!) nutzt weder den Bürgern noch den Schülerinnen und Schülern, sondern macht das den Eltern in diesem Lande nur vor. Setzen Sie ruhig Ihre Rechthaberei fort. Ich will Bildungspolitik machen. (Beifall bei der SPD – Uwe Schummer [CDU/ CSU]: Das war Rechthaberei!) Was die Union angeht, hat sich zwar die offizielle Beschlusslage noch nicht geändert; aber ich sehe, dass nicht nur die Wissenschaftsministerin – sie ist, wie ich sehe, anwesend – erfreulicherweise Handlungsbedarf erkennt, sondern auch die schleswig-holsteinische Landesregierung. Sie hat gestern einen Antrag zur Beseitigung des Kooperationsverbotes vorgelegt, mit dem sich der Bundesrat befassen wird. Man kann sich zwar darüber streiten, ob es die Glaubwürdigkeit erhöht, wenn man eine Legislaturperiode lang etwas anderes vertreten hat und dann kurz vor den Wahlen das Gegenteil vertritt; trotzdem ist der Weg der Beseitigung des Kooperationsverbotes richtig. Deswegen nehmen wir das gerne auf. Mehr Bildung ist nicht mit weniger Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu erreichen. Deshalb muss das Kooperationsverbot weg. Wir legen einen Vorschlag vor, den wir mit unseren Ländern beraten haben und den diese mittragen werden. Ich bitte Sie herzlich um Unterstützung dieses Vorschlags. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kretschmer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass Bildung die Grundlage unseres Wohlstands ist und dass deswegen Investitionen in nennenswerten Größenordnungen notwendig sind, haben wir nicht nur gesagt, sondern seit unserem Regierungsantritt 2005 mit jedem Haushalt aufs Neue bewiesen. Keine Regierung in der Geschichte hat so viel in Bildung und Wissenschaft investiert wie die unter Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben das nicht mit Ad-hoc-Programmen gemacht – heute so und übermorgen so –, sondern wir haben etwas geschaffen, das von größter Wichtigkeit ist, wenn man es mit der Bildungsrepublik ernst meint. Wir haben Nachhaltigkeit durch kontinuierlichen Aufwuchs – in den ersten Jahren 3 Prozent pro Jahr und nun 5 Prozent pro Jahr – organisiert; das gab es so in der Geschichte ebenfalls noch nicht. Das führt dazu, dass mittlerweile Wissenschaftler selbst in Amerika daran denken, nach Deutschland zu kommen, weil die Arbeitsbedingungen hier besser sind. Wir haben wirklich etwas für den Wissenschafts- und Bildungsstandort Deutschland geleistet. Das gilt es anzuerkennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir haben mit dem Hochschulpakt und dem Bologna-Qualitätspakt auf die aktuellen Entwicklungen reagiert. Wir haben nicht nur Geld bereitgestellt, sondern sind die großen Themen der Bildung in diesem Land aktiv angegangen, sei es die Alphabetisierung, sei es die frühkindliche Bildung, sei es die kulturelle Bildung usw. Wir haben überall Akzente gesetzt, und zwar auf eine Art und Weise, dass das Ganze nicht ein Strohfeuer ist, sondern nachhaltig ist. Eines haben wir gelernt: So etwas wie zu Zeiten von Rot-Grün, als die Haushalte regelrecht überrollt wurden und die Wissenschaftsorganisationen nicht wussten, wie es weitergehen soll, soll nicht noch einmal passieren. So etwas ist auch nicht mehr passiert. Wir haben das Versprechen, eine Bildungsrepublik zu schaffen, wahrgemacht, und zwar mit jedem Haushalt aufs Neue. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Deswegen hat diese Koalition beim Thema Bildung eine so große Glaubwürdigkeit. Herr Steinmeier, Ihr Ausflug in die Bildungspolitik war nicht sehr überzeugend. Sie haben vor allen Dingen über Geld gesprochen, darüber, wie möglichst viel Geld des Bundes zu den Ländern kommt. Aber darum darf es nicht in erster Linie gehen. Es muss doch zuerst um die Strukturen und die Qualität der Bildung gehen und erst in zweiter Linie um Geld. (Beifall bei der CDU/CSU) Die CDU/CSU hat bewiesen, dass sie nicht nur in finanzieller, sondern auch in gesetzgeberischer Hinsicht tätig werden kann, wenn es sein muss. Das gilt auch im Hinblick auf eine Grundgesetzänderung; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir wollen das nicht so machen, wie Sie uns das vorschlagen. Eine Grundgesetzänderung ist Ihnen gerade einmal einen Antrag mit anderthalb Seiten wert. Was davon zu halten ist, zeigt ein Blick auf die Bundesratsbank: Nicht ein einziger SPD-Minister ist hier, um diesem Antrag zu folgen und Sie dabei zu unterstützen. Ich sehe das ganz genauso. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir müssen einige Leitplanken und Grundsätze beachten, wenn wir in der Diskussion über Föderalismusreform und Kooperationsverbot die richtige Lösung finden wollen. Zuerst muss es darum gehen, was der Bildung nutzt, was strukturell notwendig ist. Es darf keine reine Geldverschiebeaktion werden. Keiner der unterschiedlichen Akteure, die im Bildungsbereich tätig sind und dafür sorgen, dass Deutschland ein Bildungsland ist und als solches weiterhin existiert, darf aus der Verantwortung entlassen werden. Das ist das große Problem des vorliegenden Antrags. Er stellt nichts anderes als die Einladung an die Länder dar, sich einen schlanken Fuß zu machen und sich zurückzuziehen. Nein, so können wir es nicht machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist auch nicht richtig, nicht über Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu sprechen. Das genaue Gegenteil ist richtig. Wenn alle zuständig sind, ist niemand wirklich zuständig. Das erleben wir oft, und das darf nicht sein. Von dem Geld, das wir zur Verfügung gestellt haben und über das wir keine Kontrolle haben, ist viel in den Landeshaushalten versickert. Der Kollege Gehring – hochgeschätzt von uns – hat Anfang dieser Woche kritisiert, dass Hamburg 600 000 Euro – ein eher kleiner Betrag; aber es geht um das Prinzip – aus dem Hochschulpakt zweckentfremdet und nicht für den Aufbau von Studienplätzen, sondern für andere Aufgaben verwendet hat. Der Kollege Matschie, früher Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, enthält seinen Hochschulen Landesgeld vor mit dem Argument, die Hochschulen bekämen das Geld vom Bund. So war das nicht gedacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es geht letztlich um mehr Geld, nicht um weniger. Es kann doch nicht das Ziel der Übung sein, dass der Bund Geld gibt und die Länder ihre Mittel kürzen. Nein, am Ende muss mehr und nicht gleich viel oder sogar weniger da sein. Wir brauchen mehr Geld für die Bildung. Das ist die Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU) Das gilt auch für viele andere Bundesländer, für Brandenburg und für Mecklenburg-Vorpommern. Überall ist die SPD ordentlich mit dabei. Das ist nicht unsere Vorstellung von Kooperation. Kooperation muss auf Augenhöhe erfolgen, sie muss am Ende einen Mehrwert erzielen, aber sie darf nicht weniger Mittel zum Resultat haben. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wollt ihr das Grundgesetz ändern, oder nicht?) Wir müssen uns auch alle miteinander ehrlich machen. Das gilt insbesondere für die SPD. Wenn Sie sich anschauen, wie viel Geld Länder und Kommunen für die Bildung ausgeben, dann stellen Sie fest, dass das im Jahr 100 Milliarden Euro sind. Wir im Deutschen Bundestag haben trotz der Kürzung der Etats in anderen Politikbereichen, in der größten Wirtschaftskrise dieser Zeit, eine gewaltige Bildungsexpansion von 61 Prozent erzeugt und kommen auf 6,9 Milliarden Euro. 6,9 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr für die Bildung vonseiten des Bundes zur Verfügung gestellt. Das ist im Vergleich zu 2005 ein Aufwuchs von 61 Prozent. Das ist eine gewaltige Leistung. Trotzdem stehen diese 6,9 Milliarden Euro im Verhältnis zu den 100 Milliarden Euro der Länder und Kommunen. Man kann doch nicht den Eindruck erwecken, dass wir mit diesem Geld oder einem weiteren Aufwuchs, möglicherweise noch einmal um 60 Prozent, die Probleme der Länder im Bildungssektor lösen können. Nein, wir müssen an die Verantwortung der Länder appellieren, wir müssen ihnen klarmachen, dass Bildung das Wichtigste für ein deutsches Bundesland ist und dass jeder Euro für Bildung ein richtig eingesetzter Euro ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin der Meinung, dass wir das Gespräch mit den Bundesländern auf Augenhöhe führen müssen – da reicht kein anderthalbseitiger Antrag im Deutschen Bundestag – und dass wir in einem stärkeren Maße eine Lösung für das Problem der Kooperation finden sollten. Aber das setzt auch voraus, dass wir miteinander definieren, wo die Verantwortung und der Platz des Bundes im Bereich der Wissenschaft und der Bildung sind und wo die Länder zuständig sind. Ich halte von der Verantwortungsteilung sehr viel, weil das auch die Frage der Abrechenbarkeit betrifft und weil man später dem Wähler sagen kann, wer wofür verantwortlich ist, wer seine Arbeit geleistet hat und wer nicht. Es spricht sehr viel dafür, dass der Bund in stärkerem Maße als bisher im Bereich der Wissenschaft tätig werden sollte. Das sagen uns der Wissenschaftsrat und die Experten, mit denen wir gesprochen haben. In diese Richtung sollten auch die Gespräche mit den Ländern geführt werden. Herr Steinmeier, der Zustand der Toiletten und der Stundenausfall sind keine Probleme, die der Bund lösen kann. An der Aufgabe kann er nur scheitern. Das weiß auch jeder von Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das sind Dinge, die in den Ländern geklärt werden müssen. Dafür gibt es Instrumente, über die man reden muss, zum Beispiel den Länderfinanzausgleich und die horizontale und vertikale Finanzverteilung. Das sind wichtige Dinge. Aber wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als könnten wir hier alles leisten. Nein, dann werden wir uns überheben, und es wird nichts besser, sondern vieles schlechter werden. Ich bin für ein Gespräch auf Augenhöhe. Wir werden sehen, wer am Ende erfolgreicher ist. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Vorschlag der SPD, der jetzt vorliegt, in irgendeiner Art und Weise geeignet ist, die Probleme im Bereich der Bildung zu lösen. Ich denke, wir müssen selber handeln und die Vorschläge austauschen. Ich freue mich auf den Redebeitrag des Staatsministers aus Bayern und auf die weitere Beratung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Danke schön, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, Selbstgerechtigkeit ist bei diesem Thema in diesem Hause völlig unangebracht. (Beifall bei der LINKEN) Ebenso unangebracht ist das Hin- und Herschieben und das Verweisen auf die Schuld des jeweils anderen. Würde man heute auf der Straße eine Umfrage starten, wer denn künftig in Bildungsfragen zuständig sein soll, so gäbe es womöglich eine übergroße Mehrheit für eine alleinige Bundeszuständigkeit. Den Grund dafür kann man in einem Forum bezüglich einer Petition lesen, die die Zuständigkeit des Bundes in Bildungsfragen fordert. Ich will aus einem Eintrag in dieses Forum zitieren, das seit dem Jahr 2009 auf den Internetseiten des Bundestages zu finden ist. Dort heißt es: Ich halte dies für eine sehr sinnvolle Forderung. Einerseits wird von den Arbeitnehmern gefordert, dass sie maximal ortsflexibel sein sollen, andererseits scheitert dies aber schon an den unterschiedlichen Bildungssystemen der Länder, in denen sich oft eher ungeeignete Bildungspolitiker selbstverwirklichen können. Ich finde, das ist ein vernichtendes Urteil. Da ich viele Jahre selbst Bildungspolitik in einem Bundesland gemacht habe, möchte ich meine Kolleginnen und Kollegen eigentlich lieber in Schutz nehmen; aber wir alle müssen uns fragen, was wir an dieser Stelle falsch gemacht haben. (Beifall bei der LINKEN) Seit März 2010 haben die Oppositionsfraktionen allein sieben eigenständige Anträge gestellt, in denen mehr oder minder klar gefordert wird, in der Bildung stärker zusammenzuarbeiten und diese unsinnige Grundgesetzänderung aus dem Jahr 2006 zurückzunehmen. Die ersten Landesparlamente, darunter Sachsen-Anhalt, haben das auch begriffen und dies auch so beschlossen. Aber bei den Koalitionsfraktionen – wir konnten es eben hören – wird nach wie vor der Kopf in den Sand gesteckt, (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) von der Bundesministerin hört man auch nichts mehr in dieser Richtung, und auf Herrn Spaenle bin ich nachher sehr gespannt. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das sind wir alle!) Tatsache ist: Das Verbot der Zusammenarbeit in Bildungsfragen hat der Bildung in Deutschland nicht genutzt, sondern geschadet. (Beifall bei der LINKEN) Es können weniger Schulen saniert werden, und zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, also zu einer inklusiven Schule, die darin ja gefordert wird, gibt es trotz der Ratifizierung dieser Konvention durch die Bundesregierung nur halbseidene Absichtserklärungen. (Beifall bei der LINKEN) Weil es die vorher möglichen gemeinsamen Finanzierungen von Bildungsprojekten, wie zum Beispiel das Ganztagsschulprogramm, nicht mehr gibt, werden nun Umwege gesucht, die kuriose Blüten treiben. Dazu nur ein Beispiel aus der jüngsten Zeit: In meiner Rede vom Dezember zum Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung habe ich Ihnen etwas über den Lerntreff in Olvenstedt, einem Stadtteil von Magdeburg, erzählt, der nun von der Arbeitsagentur nicht mehr gefördert wird und darum geschlossen ist. Nun hat der Oberbürgermeister den Betroffenen mitgeteilt, warum das so ist: Die Weiterführung dieses Projekts führe zu einer Wettbewerbsverzerrung, meint die Agentur, weil doch mit dem Bildungspaket nun Lernförderung durch private Anbieter gefördert würde. – Hallo, geht’s noch? War das Bildungspaket also nur eine Finanzspritze für den ohnehin boomenden privaten Nachhilfemarkt, oder was sollte es am Ende sein? (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Staat gegen privat! Das ist die alte Leier!) Ein zweites Beispiel aus Sachsen-Anhalt: Im Landkreis Stendal hat eine Schülerin Lernförderung beantragt, weil sie Gefahr lief, den von ihr angestrebten Realschulabschluss nicht zu schaffen. Das Jobcenter lehnte zunächst ab, weil sie ja noch den Hauptschulabschluss erreichen könne. Was, bitte, ist denn das für eine Bildungspolitik? (Beifall bei der LINKEN) Jobcenter können eben nicht die Verantwortung für Bildungsaufgaben übernehmen. Sie sind dazu nicht befähigt. Das ist einfach nicht ihr Job, sondern das ist der Job von Schulen. Aber vielleicht hat man auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken besonders genau gelesen. Dort steht nämlich, dass das Erreichen eines höheren Schulabschlusses regelmäßig kein Grund für Lernförderung sei. – Meine Damen und Herren, wer dieses Bildungspaket geschnürt hat, sollte sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen. (Beifall bei der LINKEN) Die Zeche der verfehlten Bildungspolitik von Bund und Ländern, der eigensüchtigen Kleinstaaterei und der Wagenburgmentalität, die in vielen Ländern immer noch herrscht, zahlen die Kinder und Jugendlichen in unseren Ländern und deren Familien. Die Autorinnen und Autoren des wissenschaftlichen Gutachtens für Forschung und Innovation in Deutschland, also des EFI-Gutachtens, wie es heißt, haben uns im Sommer des vergangenen Jahres auch ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere –: Die Expertenkommission spricht sich für eine ausgewogene Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern aus, die zur Lösung zentraler Probleme im Bildungsbereich beiträgt. Konkret empfiehlt sie die Rücknahme des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: „Ausgewogen“ heißt doch nicht Zentralismus!) Sie fordern damit die Rücknahme des seit dem Jahr 2006 entstandenen Wettbewerbsföderalismus, den es vorher so nicht gegeben hatte. Das ist das Problem: Inzwischen können stärkere Länder mehr leisten und schwächere eben nicht. Deshalb steht in dem EFI-Gutachten auch: Die Bildungschancen von Kindern dürfen nicht von der Finanzsituation eines Bundeslandes abhängen. Zurzeit ist das aber so. (Beifall bei der LINKEN) Sie kritisieren außerdem die fehlende Transparenz und Durchlässigkeit zwischen den Bildungssystemen und Schulformen der Länder. Dort steht: Die Schulformen, die gleiche Abschlüsse bieten, heißen in den Ländern verschieden. Und Schulformen, die den gleichen Namen tragen, sind in ihrer inneren Struktur zumeist höchst unterschiedlich. – Wonach aber soll man sich richten, wenn man aus beruflichen Gründen mit der Familie von einem Bundesland in das andere ziehen muss? Diese Probleme beseitigt man aber nicht, wenn man nur bei der Finanzierung ansetzt. Hier bedarf es anderer, weitreichenderer Lösungen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt weitere Stolpersteine. In den Ländern gibt es unterschiedliche Fächer, Fächergruppen und Schulbücher. Die Anerkennung von Abschlüssen und erreichten Bildungsergebnissen in anderen Ländern ist nicht gewährleistet. Allerdings muss man auch sagen: Schon der Wechsel von einer Schule zur anderen im gleichen Bundesland kann zu extremen Hürden führen. Auch darüber müssen wir reden. Zwar gibt es nun gemeinsame Bildungsstandards in einigen wichtigen Fächern, aber sie bestimmen noch lange nicht das, was in den Schulen gelernt wird. Darum rufen heute immer mehr Menschen nach einer Bundesverantwortung und einem Zentralabitur. Das ist so, weil wir unsere Aufgaben in der Bildungspolitik nicht bewältigen, und schon gar nicht gemeinsam. Um es deutlich zu sagen: Ich halte eine solche Zentralisierung und auch ein Zentralabitur für falsch, weil ich davon überzeugt bin, dass damit keine bessere Schule und keine bessere Bildung zustande kommen. Wer Bildungsföderalismus will, muss ihn modernisieren. Vielfalt und Qualität, Kreativität und hohes Anspruchsniveau gedeihen nicht in einem Korsett starrer Regeln, und auch Demokratie braucht Vielfalt. Aber wenn sich die Länder, die Kultusminister eingeschlossen, nicht endlich bewegen und Vielfalt ermöglichen, wenn sie Vielfalt wollen, dann wird der Bildungsföderalismus immer mehr zur Bildungsbremse, und sein Ansehen in der Bevölkerung nimmt weiter Schaden. Aus der angestrebten Vielfalt wird dann nur noch Einfalt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wer das riskieren will, kann weitermachen wie bisher. Wer das nicht riskieren will, muss endlich die Föderalismusreform von 2006 zurücknehmen, und zwar komplett. Der Bund muss diesen Prozess moderieren. Da können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen, wenn es die Länder allein nicht tun. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung für Bildung in diesem Land. Der Bund muss allerdings verstärkt auch die eigenen Aufgaben wahrnehmen. Manches ginge schon heute, auch mit Bundesgeld, nur wird es nicht getan. So hat die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem Jahr 2013 beschlossen und dafür Geld für den Bau von Einrichtungen und für die Ausrüstung zur Verfügung gestellt. Dass aber eine gute Kinderbetreuung auch gut ausgebildetes Personal erfordert, wurde absichtsvoll ausgeblendet bzw. heimlich, still und leise den Ländern überlassen. Darum beschränkt sich die Bundesregierung auf ein groß gefeiertes Weiterbildungsprogramm. Mit einem Weiterbildungsprogramm für Quereinsteiger kann man aber keine solide Ausbildung der notwendigen Zahl von Erzieherinnen und Erziehern leisten. Dabei könnte der Bund nach dem Kinder- und Jugendhilferecht – § 83 SGB VIII; vielleicht wollen Sie nachlesen – ein Programm zur Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern mitfinanzieren; denn die Länder sind dazu derzeit allein nicht in der Lage, und das berechtigt uns, ein solches Angebot zu machen. Die Linke hat dazu einen Antrag gestellt. Sie haben ihn abgelehnt. Mit dem Hochschulpakt finanziert die Bundesregierung bereits zusätzliche Studienplätze. Aber einen solchen Pakt ausdrücklich für eine zusätzliche Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern einzurichten, weigert sie sich beharrlich. Dabei wird mehr als die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer in den nächsten 15 Jahren aus dem Schuldienst ausscheiden; denn sie sind über 50 Jahre alt. Ich glaube, dass wir, um diese Bildungsziele in der Schule umsetzen zu können, mehr Lehrerinnen und Lehrer brauchen, mehr gut ausgebildete, zum Beispiel in bestimmten Fächern, wo es schon seit langem einen Mangel gibt; wir brauchen mehr Pädagoginnen und Pädagogen mit sonderpädagogischer Ausbildung. Das alles brauchen wir. Die Linke hat einen solchen Hochschulpakt gefordert. Er wurde von Ihnen abgelehnt. Möglicherweise haben die Länder daran ja auch gar kein Interesse. Der Haushaltsposten für Lehrpersonal ist in allen Bundesländern nun einmal der, der die meisten Mittel bindet. Da der Bund die Schuldenbremse beschlossen hat, kann ich mir vorstellen, dass die Haushälter sagen: Bei diesem großen Posten kann man gut kürzen. Also sparen wir doch einmal bei den Lehrerinnen und Lehrern. Die Kinderzahlen gehen sowieso zurück. Also, was soll’s? Hier ist unsere Sparbüchse. – Ich halte das für falsch. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir das aber nicht wollen, dann brauchen wir eine andere Politik in Bund und Ländern, eine andere Politik bei der Herbeischaffung von Finanzmitteln. Dazu ist vorhin in einer langen Debatte geredet worden, wie auch schon in anderen Sitzungen. Wir brauchen eine bessere Finanzierung für eine gute Bildungslandschaft. Die Qualität der Bildung in Deutschland geht sonst weiter zurück. Das wäre ganz einfach zu machen: Wir brauchen eine gemeinsame Finanzierung von Bildung. Wir brauchen gemeinsame Bildungsziele und standards, damit Mobilität zwischen den Ländern möglich wird. Wir brauchen die gegenseitige Anerkennung – beinahe hätte ich gesagt: ausländischer Abschlüsse – inländischer Abschlüsse, die in den einzelnen Bundesländern vergeben werden, und die Akzeptanz für unterschiedliche Bildungswege. Wir brauchen ein anderes Herangehen an das Lehren und Lernen, sodass die Kinder dort abgeholt werden, wo sie sind, und nicht dort, wo man sie sich hin wünscht. (Beifall bei der LINKEN) Das bedeutet aber auch, dass man den Lehrerinnen und Lehrern die Zeit geben muss, sich entsprechend mit den Kindern zu beschäftigen. Außerdem brauchen wir kostenfreie Lernmittel, damit Schülerinnen und Schüler, die die Schule wechseln müssen, ihre Eltern nicht mit dem Kauf neuer Schulbücher belasten müssen; oder man braucht einheitliche Schulbücher, aber das fordert hier, glaube ich, keiner ernsthaft. Nach unserem Dafürhalten ginge das alles am besten in Gemeinschaftsschulen. Aber auch das müssen die Länder beschließen. Ich bin gespannt, was Herr Spaenle nachher sagt. Aber wenn wir uns nicht bewegen, dann werden uns die Menschen zum Teufel jagen, und sie haben recht damit. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Heiner Kamp von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Heiner Kamp (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Steinmeier, dass Sie das Kooperationsverbot schlecht finden: schön und gut. Dass Sie die Aufhebung des Kooperationsverbotes fordern: schön und gut. Dass Sie Ihre Verantwortung für das Kooperationsverbot – ich will es einmal vorsichtig ausdrücken – hier nicht erwähnen: war zu erwarten. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wir haben es mitgetragen, und es war falsch! Was wollen Sie denn noch?) Dass Sie dann aber über Bildungsgutscheine, Betreuungsgeld und Steuersenkungen sprechen und kein Wort zur Strategie Ihrer Minister im Bundesrat sagen, das finde ich – gelinde gesagt – etwas traurig. Da hätte ich mehr von Ihnen erwartet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Hört! Hört! – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Reden Sie mal über Ihre Strategie!) Als ich 2009 in den Bildungsausschuss kam, ist mir eines sofort aufgefallen: Die bildungspolitische Arbeit geht zu einem Großteil an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. Wenn ich in meiner Heimat im Kreis Gütersloh mit Bürgern ins Gespräch komme und erzähle, dass ich in Berlin im Bildungsausschuss sitze, kommen immer wieder die gleichen Fragen: Was unternehmt ihr denn gegen das Chaos im Bildungssystem? Warum tut ihr nichts gegen marode Schulen, gegen Lehrermangel und gegen Unterrichtsausfall? – Und so geht es weiter. Bei solchen Fragen kann ich nur auf die föderalen Zuständigkeiten verweisen, darauf, dass der Bund im allgemeinschulischen Bereich nicht dort helfen kann, wo es zwickt. Das ist ein Unding. Das müssen wir ändern. Daher brauchen wir ein zielgerichtetes Zusammenwirken aller staatlichen Ebenen in einer gelebten Bildungspartnerschaft auf Augenhöhe. Die Kommunen, die Länder und der Bund müssen gemeinsam für die besten Bildungsbedingungen vor Ort arbeiten. Es kann doch nicht sein, dass einer außen vor bleibt. Das von der letzten Bundesregierung eingeführte Kooperationsverbot war ein Fehler. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Grund war ein Kuhhandel – gibst Du mir, geb ich Dir – im Kontext der Föderalismusreform, der die Stärkung der Bildung zu keinem Zeitpunkt im Blick hatte. Es sind große Fehler gemacht worden. Deswegen habe ich dieses Thema in meiner Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt. Wir sind geschlossen der Auffassung, dass die Aufhebung des Kooperationsverbotes unbedingt notwendig ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Nur durch eine gemeinsame Anstrengung können wir die bildungspolitischen Herausforderungen der Zukunft meistern. (Ulla Burchardt [SPD]: Wie war denn Ihr Parteitagsbeschluss dazu?) Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit. Um sie zu beantworten und den Weg in die Wissensgesellschaft weiterzugehen, muss der Bund wieder im Allgemeinschulbereich mithelfen dürfen. Gesamtstaatliche Herausforderungen verlangen gesamtstaatliches Handeln. Dem Bund in einem so zentralen Politikfeld die Tür zu weisen, war ein riesengroßer Fehler. Das haben mittlerweile auch einstige Väter des Kooperationsverbotes eingesehen. Hier in diesem Hause sind wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg weitgehend darüber einig, dass das von SPD und Union eingeführte Kooperationsverbot vor allem eines war: ein bildungspolitischer Murks. Das Kooperationsverbot hat unserem Bildungssystem und dem Bildungsstandort Deutschland stark geschadet. (Beifall der Abg. Ulla Burchardt [SPD] und Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Die Belege dafür sind zahlreich. Wenn wir uns ansehen, wer dafür ist, das Kooperationsverbot aufzuheben, und wie klein im Vergleich dazu das Häufchen derer ist, die es beibehalten wollen, spricht doch alles dafür, diesen schwarz-roten Fehler zügig zu korrigieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hier im Deutschen Bundestag herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass wir das Kooperationsverbot aufheben müssen. Wir müssen uns dieser Einigkeit nicht andauernd versichern, ganz besonders nicht auf dem Wege uninspirierter Anträge wie dem Antrag der SPD-Fraktion. Von Ihnen kam wirklich schon Kreativeres, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Was kommt von Ihnen?) Jetzt sollten wir uns darum kümmern, die gemeinsame Position auch in Handeln umzusetzen: Ich nenne hier den Bundesrat. (Zurufe von der SPD: Ja! Genau!) Als Erstes gilt es, die kurzsichtige und ängstliche Blockadehaltung aufseiten der Länder aufzulösen. In manchem Kopf spukt noch das Gespenst herum, mit einer Aufhebung des Kooperationsverbotes würde man die Länder ihrer letzten Zuständigkeitsfelder Schule und Polizei berauben. Doch: Wir hatten vor dem Kooperationsverbot keinen Bildungszentralismus in Deutschland, wir hatten während des Kooperationsverbotes keinen Bildungszentralismus in Deutschland, und wir werden auch nach einer Aufhebung des Kooperationsverbotes keinen Zentralismus bekommen. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was wir aber hinbekommen müssen, ist, dass eine gesamtstaatliche Herausforderung in eine gesamtstaatliche Verantwortung kommt. Denn wir müssen feststellen, dass die Bundesländer ihrer Aufgabe, sich auf die Sicherung der Bildungsinvestitionen zu konzentrieren, nach 2006 nur unzureichend nachgekommen sind. Wer für sich alleinige Zuständigkeit für ein besonderes, zentrales Politikfeld reklamiert, der muss es auch bestellen. Wenn es Tante Ernas größte Sorge ist, den Garten einzuzäunen und Onkel Alfred aus ihrem Hoheitsfeld zu verbannen, dann müssen am Ende zumindest ihre Kartoffeln dick sein. Betrüblicherweise fiel die Erntebilanz der Länder bislang mager aus – wie die Ernte von Tante Erna. Wenn wir auf den Hochschulbereich blicken, können wir sehen, wie es funktionieren kann. Dort dürfen der Bund und die Länder zusammenwirken. Dort haben wir große Fortschritte. Sie speisen sich unter anderem aus den großen Programmen wie der Exzellenzinitiative, dem Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre. (Ulla Burchardt [SPD]: Ja! Weil wir das Grundgesetz geändert hatten!) Bund und Länder müssen gemeinsam und harmonisch den bildungspolitischen Garten bestellen. Und wenn beim Ernteeinsatz auch noch die Kommunen ihren Beitrag leisten – umso besser für den Bildungsstandort Deutschland. Ich freue mich deswegen sehr, dass die christlich-liberale Landesregierung von Schleswig-Holstein, insbesondere der FDP-Kultusminister Ekkehard Klug, am Dienstag eine Bundesratsinitiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes auf den Weg gebracht hat. Handeln, liebe Kollegen von der SPD, und nicht nur Reden, das ist christlich-liberale Regierungsarbeit. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber das machen wir doch! Deswegen gibt es einen entsprechenden Antrag!) Das Land Schleswig-Holstein wird eine Grundgesetzinitiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes in den Bundesrat einbringen. Dort kommt es dann zum Schwur. Dort können Sie unter Beweis stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wie ernst es Ihnen wirklich mit Ihren Reformbemühungen ist. Wir werden sehr genau darauf achten und auch verfolgen, ob die SPD-geführten Länder den Vorstoß aus Schleswig-Holstein konstruktiv begleiten oder ob sie ihn sabotieren. Im Bundesrat wird sich zeigen, ob die hier von Ihnen so sehr propagierte Vernunft obsiegt. (Ulla Burchardt [SPD]: Der Bundestag muss sich entscheiden!) Im Bundesrat wird sich auch zeigen, liebe Kollegin Frau Burchardt, ob Sie tatsächlich Ihre Ministerpräsidenten und Kultusminister überzeugt haben, wie Sie zuletzt in der EFI-Debatte getönt haben, oder ob die rot-grüne parteitaktische Kungelei mit Ihrem engstirnigen Klein-Klein die Oberhand behält. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worüber reden Sie denn jetzt?) Die FDP-Bundestagsfraktion wird die Initiative des Landes Schleswig-Holstein positiv und konstruktiv begleiten und sich weiter für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes einsetzen. Uninspirierte Schaufensteranträge wie der von Ihnen vorgelegte sind für die Erreichung dieses Ziels weder dienlich noch erforderlich. Wir werden ihn daher ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wo ist denn Ihr Vorschlag? – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo ist denn Ihr inspirierter wegweisender Antrag? Wann kommt der denn?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat mit der Föderalismusreform 2006 den Bund aus jeder Mitverantwortung für den Schul- und Bildungsbereich herausgedrängt. Dieses völlige Fehlen von Kofinanzierungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten hat sich in der Praxis als Kooperationsverbot negativ ausgewirkt. Es hat den Bildungsföderalismus geschwächt und der Ausfinanzierung unseres Bildungssystems geschadet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Obwohl unser Bildungssystem weiterhin unterfinanziert ist, darf der Bund bei der Bildung nicht mitfinanzieren. Obwohl es Kindern nützt und Eltern unterstützt, darf der Bund kein Ganztagsschulprogramm auflegen. Obwohl es immer noch Schulen gibt, die verfallen und in die es hineinregnet, geht eine Schulbaumodernisierung nur mit einer abenteuerlichen Umgehung unseres Grundgesetzes, wie dem Rückgriff auf eine „außergewöhnliche Notlage“ bei den Konjunkturpaketen. Bildung ist aber nichts Außergewöhnliches und auch keine Naturkatastrophe, sondern eine zentrale gesamtstaatliche Daueraufgabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Kooperationsverbot hat uns zudem die bürokratischste Sozialleistung aller Zeiten beschert: das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket. Kinder und Jugendliche aus ALG-II-Familien brauchen die besten Kitas, die besten Schulen, die besten Lehrkräfte. Was sie und ihre Eltern nicht brauchen, ist eine Bildungsgutschein-Bürokratie mit Antragswirrwarr zwischen Jobcentern, Kommunen und Trägern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer gute Ganztagsschulen mit individueller Förderung ausfinanziert, braucht keine Gutscheine für private kommerzielle Nachhilfeinstitute auszugeben. Ohne Kooperationsverbot ließe sich gezielt in bessere Bildungseinrichtungen und in ein qualitativ gestärktes öffentliches Bildungswesen investieren. Dies käme allen Kindern und Jugendlichen, aber vor allem bildungsarmen direkt zugute. Dies wäre auch ein sachgerechter und effektiver Einsatz von Steuermitteln. Aus all diesen Gründen muss das Kooperationsverbot wieder fallen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Den Wissenschaftsbereich hat die Föderalismusreform weniger hart getroffen, da in letzter Sekunde Kooperationen wie der Hochschulpakt von Bund und Ländern möglich blieben. Probleme gibt es künftig gleichwohl bei den Hochschulbaumitteln, wenn die Zweckbindung fällt. Intransparente, willkürlich erscheinende Förderungen wie zum Beispiel zuletzt bei GEOMAR, der Berliner Charité oder den Gesundheitszentren zeigen aber, dass zunehmend auch hier die Umgehung unserer Grundgesetzregeln droht. Förderungen über Umwege und nach Gutsfrauenart sind definitiv kein sinnvoller Weg. Daher braucht es auch im Wissenschaftsbereich bessere Kooperationsregeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]) Das Kooperationsverbot hat sich nicht bewährt. Es hat eine kluge und transparente Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich verunmöglicht. Deshalb haben wir Grüne damals, 2006, und auch davor immer vor den Auswirkungen eines solchen Kooperationsverbotes gewarnt. Wir haben 2006 hier im Bundestag gemeinsam mit der Linksfraktion klar dagegen gestimmt und wussten dabei viele Bildungsexperten und Verbände auf unserer Seite. Wir kämpfen seitdem für die Überwindung des Kooperationsverbots. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn die SPD-Fraktion ebenso wie Bundesbildungsministerin Schavan ihren Fehler aus der Großen Koalition korrigieren möchte, diesen Lernprozess erkennen wir ausdrücklich an. (Beifall bei der SPD – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Danke!) Auch der Beschluss der FDP-Bundestagsfraktion war ein wichtiger Schritt nach vorn. (Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Heiner Kamp [FDP]) Wir brauchen jetzt einen gemeinsamen Kraftakt, um im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit zu gewinnen. Wir fordern Ministerin Schavan auf, einen Vorschlag für eine Grundgesetzänderung vorzulegen. Außerdem bieten wir allen Bundestagsfraktionen sehr ernsthaft Gespräche mit dem Ziel einer Grundgesetzänderung an, die eine neue Kooperationskultur zwischen Bund und Ländern ermöglicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie uns gemeinsam das Zeitfenster nutzen, das sich 2012 auftut. Für niemanden in unserem Land ist nachvollziehbar, warum Bund und Länder in zentralen Bildungsfragen nicht kooperieren dürfen. Unsere Gesellschaft ist längst weiter: Die Menschen möchten eine Modernisierung des Bildungsföderalismus. Sie fordern bessere Kitas, Schulen und Universitäten ein und honorieren auch, wenn es zu Verbesserungen im Bildungssystem kommt. Ans Wolkenkuckucksheim „Wettbewerbsföderalismus“ glauben sie dagegen schon lange nicht mehr, weil sie erleben, dass arme Kommunen und finanzschwächere Länder dabei eben nicht chancengerecht mithalten können. Sie wollen einen kooperativen statt eines konfrontativen Bildungsföderalismus; denn sie wollen Chancengleichheit für ihre Kinder, Jugendlichen und Enkel, unabhängig von der Herkunft und vom Wohnort. Das hat nichts mit Gleichmacherei zu tun, sondern mit Startchancen und Leistungsgerechtigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) Wer gute Bildung wirklich als zentrale soziale und ökonomische Frage betrachtet, muss eine gesamtstaatliche Strategie verfolgen – statt bildungspolitischer Kleinstaaterei. Wer sonntags eine Bildungsrepublik ausruft, der darf werktags die Zusammenarbeit von Bund und Ländern eben nicht blockieren, weil Kindeswohl vor Kooperationsverbot gehen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Bildung entscheidet wie kein anderes Thema über sozialen Aufstieg sowie Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand. Die Folgen mangelnder Bildung wie Fachkräftemangel, Arbeitslosigkeit und steigende soziale Transfers betreffen übrigens alle staatlichen Ebenen und die gesamte Gesellschaft. Gerechtigkeits- und Innovationsfragen von solch gesamtstaatlicher Tragweite erfordern die Kooperation aller politischen Ebenen statt Selbstblockade. In diesem Sinne ist Bildung eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Das heißt nicht, dass wir eine Bundesbildungskompetenz wollen; Bildungszentralismus würde die Probleme vor Ort keinesfalls besser lösen können. Mit der gewünschten Grundgesetzänderung wollen wir Grüne vielmehr zweierlei erreichen: erstens eine solidarische Modernisierung unserer föderalen Ordnung im Bildungs- und Wissenschaftsbereich und zweitens, unserer Verfassung wieder den hohen Stellenwert einzuräumen, der ihr gebührt, den sie aber aufgrund von immer mehr Umgehungen einzubüßen droht. Bildung bleibt dabei Kern der Landespolitik; aber der Bund muss in Mitverantwortung mitwirken können, um Vergleichbarkeit und Mobilität im Inland zu gewährleisten und zu erleichtern. Wir schlagen daher vor, die großen Herausforderungen auf den bildungspolitischen Handlungsfeldern unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder gemeinschaftlich anzupacken und mit Bund und Ländern Lösungen nachhaltig zu erarbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir die verfassungsrechtlichen Grundlagen neu justiert haben, lassen sich zwischen Bund und Ländern gemeinsam vereinbarte Projekte endlich wieder angehen. Für uns Grüne wäre eine neue bundesweite Ganztagsschuloffensive vordringlich. Der Ausbau von Ganztagsschulen darf nicht ins Stocken geraten, da die Ganztagsschulen im Hinblick auf Chancengerechtigkeit für unsere Kinder, Wahlfreiheit sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern unbestreitbare Erfolge gebracht haben. Des Weiteren zählen dazu Programme zum Beispiel zur Umsetzung der UN-Konvention zur Inklusion oder zur Sprachbildung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Einwanderungsgeschichte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das sind die zentralen Herausforderungen, die wir anpacken müssen. Herr Steinmeier, es geht uns nicht darum, dass der Bund zukünftig wieder nur in Beton mit investieren darf. Wir brauchen auch gemeinsame Investitionen in eine qualitative Verbesserung, die mit Personal- und Sachausgaben verbunden sind. Der Vorschlag der SPD ist daher für uns nicht die erste Wahl. Auch wenn in Ihrem Antrag zutreffend davon die Rede ist, „dauerhafte Finanzhilfen des Bundes für Bildung“ zu ermöglichen, so ist klar, dass ein neuer Art. 104 c GG keine Investitionen in Personal- und Sachmittel ermöglichen würde. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, das ist ein Missverständnis!) Das hielten wir für zu kurz gesprungen. Es könnte nämlich bedeuten, dass neue Umgehungsstatbestände produziert werden. Denken Sie nur einmal an den Bereich der Inklusion und daran, was sich in den Schulen neben den baulichen Voraussetzungen alles verändern muss. An der Stelle geht es eben nicht ohne Personal- und Sachmittel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unserer Auffassung nach ist es zielführender, den Art. 91 b des Grundgesetzes zu öffnen, sodass Bund und Länder zur Förderung und Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens und der Wissenschaft auf der Basis von Vereinbarungen zusammenarbeiten können. Für diesen Reformweg möchten wir hier werben. Die Gesellschaft würde es uns sicherlich hoch anrechnen, wenn uns hier im Bundestag ein Konsens gelänge. Würden wir ein fraktionsübergreifendes Vorgehen, wie zum Beispiel zuvor im Landtag von Schleswig-Holstein, als Allparteien- und -fraktionenkompromiss hinbekommen, dann würde eine neue Kooperationskultur entstehen und ein gesamtstaatlicher Bildungsaufbruch funktionieren, zumindest aber eine Chance bekommen. Generationen von Schülern, Studierenden, Eltern und Lehrern würden es uns danken. Auch deshalb ist es aller Mühe wert. Lassen Sie uns 2012 dazu nutzen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Staatsminister für Unterricht und Kultus des Freistaats Bayern, Dr. Ludwig Spaenle. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Ludwig Spaenle, Staatsminister (Bayern): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Das Ergebnis der Föderalismuskommission I war kein Fehler. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kein Ergebnis! Erzählen Sie doch keinen Unsinn! Die Kommission ist gescheitert!) Es war kein Fehler, die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern aufgabengerecht, klar und deutlich herauszuarbeiten und mit unterschiedlichen Profilen Verantwortlichkeiten deutlich zu machen. Die Kraft unseres Landes liegt in seiner Vielfalt nach der Einheit. Deshalb haben die Väter der Föderalismusreform in Bezug auf Kompetenz und Zuständigkeitsbereiche richtig gehandelt. Warum? Die Menschen in unserem Land haben zu dem Thema Bildung eine enge und intensive Beziehung. Wenn Sie die Ergebnisse der Landtagswahlen im vergangenen Jahrzehnt vertieft analysieren, dann wird klar, dass für die Menschen in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland die Beurteilung der Bildungspolitik in ihrer Umgebung, in ihrer Nähe, in der Lebenswirklichkeit ihrer Familie eines der zentralen Entscheidungskriterien für die politische Willensbekundung in den Ländern ist. (Ulla Burchardt [SPD]: Deswegen ist Rüttgers ja auch abgewählt worden!) Bildung ist in den Familien das zentrale Thema, wenn es um die Zukunftschancen der jungen Menschen geht. Aufgrund dieser besonderen Zuwendung müssen diese Entscheidungen nahe bei den Menschen demokratisch kontrolliert, verantwortet und entschieden werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Daran hat sich doch gar nichts geändert!) Deshalb hat man richtig gehandelt, als man die Verantwortung für die schulische Bildung den Ländern übertragen hat. Man hat ferner den klugen Schritt getan, die Verantwortung im Bereich der Hochschulpolitik und der universitären Bildung auf einem gemeinsamen Weg möglich und organisatorisch durchsetzbar zu machen. Deshalb ist die Frage, ob und wie Bildung gestaltet wird, in den Händen der Länder gut aufgehoben. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wir wollen den Ländern doch nichts wegnehmen!) Wir haben den kooperativen Föderalismus als Realität in der Bundesrepublik Deutschland. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, haben wir nicht!) Im Mai des Jahres 2010 hat die Kultusministerkonferenz in München unter meiner Präsidentschaft gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ein umfangreiches Maßnahmenpaket inhaltlich abgestimmt und auf den Weg gebracht. Die getroffene Vereinbarung sieht in gemeinsamer Verantwortung Maßnahmen des Bundes und der Länder vor, die abgearbeitet werden können. Sie sieht zusätzliche Maßnahmen der Länder und Maßnahmen in Bereichen vor, in denen der Bund die alleinige Kompetenz auf dem Feld der Bildung hat. Das heißt, wir haben eine Verfassungsrealität, die dem Ziel, Bildung zu gestalten, Rechnung trägt. In Kooperation zwischen Kommunen, den Ländern und dem Bund – das ist die richtige Reihenfolge – wird auf die Verwirklichung des Auftrags und Anspruchs auf die beste Ausbildung ihrer Kinder, den jede Familie in unserem Land hat, geachtet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Länder tragen gesamtstaatliche Verantwortung. Insofern ist der Vorwurf der „Wagenburgmentalität“ und die Geschichte von Tante Ernas und Onkel Alfreds Garten völlig falsch. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war von Ihrem Koalitionspartner! – Ulla Burchardt [SPD]: Der gehört zur FDP! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der letzte bildungspolitische Dinosaurier spricht zu uns!) Die Lebenswirklichkeit erfordert die Wahrnehmung der Letztverantwortung in gesamtstaatlicher Dimension. Deshalb sorgen die Länder für die Entwicklung gemeinsamer Standards beim Abitur und dem mittleren Schulabschluss. Deshalb stellen sich die Länder gemeinsam den zentralen Herausforderungen, zum Beispiel dem Thema Inklusion. Deshalb ist eine Reihe von Ländern dabei, gemeinsame Prüfungsstandards weiterzuentwickeln. Wir wollen, dass die Frage von Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit der Bildungsabschlüsse von den Ländern in ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gelöst wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb legen sieben Länder eine Strategie vor, die dafür sorgen soll, dass Teile von Abituraufgaben in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache (Ulla Burchardt [SPD]: Das ist die „Hauptaufgabe“ der Politik!) ab dem Jahr 2014 gemeinsam geschrieben werden können. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Was soll denn dann besser werden?) Deshalb legen die Länder eine Strategie vor, die dafür sorgen soll, die Vergleichbarkeit der Abschlussprüfungen – das ist das zentrale Handlungsinstrument – mithilfe entsprechender Aufgabenpools gemeinsam voranzutreiben. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist 19. Jahrhundert!) Die entsprechenden Initiativen sind genau der Ausdruck eines leistungsstarken Wettbewerbsföderalismus in gesamtstaatlicher Verantwortung, der dem Anspruch der Menschen, dem Anspruch der Familien Rechnung trägt, nachvollziehbar in ihrer Lebensumgebung eine Bildungslandschaft vorzufinden, die entsprechende leistungsstarke Abschlüsse für Kinder, gleich welcher Herkunft, gewährleistet. Wir brauchen zusätzliches Geld für Bildung. Wenn wir es ernst damit meinen, dass die Zuständigkeit der Länder für Bildung abschließend geregelt ist – und zwar richtig geregelt ist – und dass es gemeinsame Gespräche in Bildungsverantwortung zwischen Bund und Ländern geben soll, dann ist dieser Tatsache aus der einstimmigen Sicht der Länder dadurch Rechnung zu tragen, dass über die Finanzverfassung zu sprechen ist und dass über die Übertragung zusätzlicher Umsatzsteuerpunkte auf die Länder zu reden ist, damit den Ländern, die hier Unterstützung brauchen, geholfen wird. Ich habe Verständnis für die Kollegen in den Ländern, die zur Unterstützung der Erledigung dieser Kernaufgabe nach stärkeren finanziellen Möglichkeiten suchen und sich entsprechend politisch einlassen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Spaenle, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Ludwig Spaenle, Staatsminister (Bayern): Vielen Dank, ich möchte die Redezeit gern ausschöpfen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können damit doch nur die Redezeit verlängern! Aber das würde der Sache nicht dienen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Keine Zwischenfrage. Dr. Ludwig Spaenle, Staatsminister (Bayern): Erst dann, wenn die Möglichkeiten, die Bund und Länder gemeinsam haben, zum Beispiel auf dem zentralen Feld der Übergänge von der allgemeinen Bildung in die berufliche Bildung, in den Beruf, bei der Frage der Sprachförderung, bei der Frage, wie wir in der beruflichen Bildung gemeinsam vorwärtskommen – wir haben eine Diversifizierung bei den Berufsbildern; das sind über 400 Berufe, was in der Beschulung in den Flächenstaaten große Probleme macht –, genutzt worden sind, erst dann, wenn die Zuständigkeiten in einem komplementären kooperativen Föderalismus ausgeschöpft sind und wir mit diesen Themen nicht vorankommen, ist der Gedanke, die Spielregeln zu verändern, überhaupt legitim. Wir müssen die Aufgaben so, wie sie verteilt sind, zum Wohle der Menschen in unserem Land und der Familien so erfüllen, dass die Bedingungen für gute Bildung gegeben sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie beim Ländervergleich Ihren Blick auf die Ergebnisse lenken, die Wettbewerbsföderalismus ermöglicht, dann werden Sie feststellen, dass überall dort, wo die Union regiert, die Lebenschancen für die Menschen, gleich welcher sozialen Herkunft, besser sind als in anderen Ländern. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten mal die absolute Mehrheit!) Wir wollen die Lebenschancen nachhaltig verbessern. Wir wollen dies in gemeinsamer Zuständigkeit tun. Wir wollen es in klar definierter politischer Verantwortung tun, um der Bildungsrepublik Deutschland den Platz einzuräumen, den sie im internationalen Vergleich verdient. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Baden-Württemberg regieren Sie doch gar nicht mehr! Lächerlich ist das! Sie sind ein bildungspolitischer Dinosaurier!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Ulla Burchardt von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulla Burchardt (SPD): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, heute ganz konsensual zu sein, wie Sie es von mir kennen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Ich muss allerdings sagen, Herr Spaenle: Alle, die Ihre Rede gehört haben, werden sich vermutlich gefragt haben, ob Ihre Problemsicht adäquat ist und ob Sie eine Vorstellung davon haben, vor welchen Herausforderungen dieses Land insgesamt steht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu Herrn Kretschmer ein Wort, bei aller persönlichen Wertschätzung – vermutlich hätten Sie auch lieber etwas ganz anderes gesagt –: Was wir hier erlebt haben, war nur: Auf das, was ansteht, wozu es einen großen gesellschaftlichen Konsens gibt – Herr Steinmeier hat das angesprochen –, nämlich bei den Menschen, den Wissenschaftlern und den Fachjournalisten, haben Sie leider keine Antwort geboten. Sie haben das Thema überhaupt nicht angepackt: Wie steht die Union zum Kooperationsverbot? Sie haben sich auf die Abteilung „Attacke“ verlegt. Das sind alles beliebte Ablenkungsmanöver; wir kennen sie ja alle. Nur, wir stellen fest: Sie haben zum Thema nichts gesagt. (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) Wenn man die Meldung des Tages schreiben würde, dann wäre das: Die Union lässt ihre Ministerin mit ihrer Forderung zur Aufhebung des Kooperationsverbots im Stich und degradiert sie zur Zuschauerin. – Denn ich habe sie hier bislang nicht auf der Rednerliste gesehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Was die Zuschauerrolle angeht, Herr Kamp, so weiß ich ja, welche Nöte die Bundesbildungspolitiker in der FDP haben. Ich bin da richtig mitfühlend. (Zuruf von der FDP: Wie gut von Ihnen!) Aber Sie haben sich jetzt auf eine Zuschauerrolle festgelegt, wenn der Bundestag über die Zukunft des Kooperationsverbots bzw. darüber redet, wie wir seine Abschaffung gestalten. Eine kleine polemische Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen: (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihre Rede besteht nur aus Polemik!) War das etwa eine Vorübung für Ihre Rolle nach der Bundestagswahl 2013? (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie haben gesagt, Sie halten eine sachliche Rede, und polemisieren hier nur herum!) – Herr Lindner, ich glaube, in dieser Frage kennen Sie die Verhältnisse in Ihrer eigenen Partei nicht. Deswegen rate ich Ihnen: Halten Sie sich jetzt einmal ein bisschen zurück. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Halten Sie sich einmal zurück! Sie haben die Sache eingerührt!) – Wenn Sie nichts zur Sache zu sagen haben, dann gehen Sie doch. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Reden Sie doch einmal zur Sache!) Herr Kamp, Herr Professor Neumann, Sie werden noch gebraucht, wenn sich der Bundestag dazu positionieren muss. Dann geht es nicht nur um die Frage, ob wir das Kooperationsverbot aufheben wollen, sondern auch um die Frage, an welchen Stellen das Grundgesetz geändert werden muss. Mit unserem Antrag geben wir heute den Startschuss für eine Debatte, in der wir hier im Bundestag nach einer mehrheitsfähigen und konsensfähigen Lösung suchen. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Sie blamieren sich mit Ihrem Vorschlag!) Diese Lösungssuche muss auch im Bundesrat erfolgen. Deswegen sind Ihre Beiträge tatsächlich gefragt. Ich weiß, dass Konsensfindung nicht einfach ist; einige haben das mitfühlend angesprochen. Das setzt voraus, dass man zunächst einmal innerhalb der eigenen Partei einen Konsens findet. Wir haben das geschafft. Wir haben Ihnen im Herbst im Ausschuss angekündigt, dass wir in der SPD eine gemeinsame Position dazu finden werden, dass wir das Kooperationsverbot aufheben und an welcher Stelle wir das Grundgesetz ändern wollen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Burchardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kamp? Ulla Burchardt (SPD): Ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Ulla Burchardt (SPD): An diesem Prozess waren die Ministerpräsidenten und alle Fachminister beteiligt. Dieser Konsens wird von der ganzen Partei getragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, kriegen Sie das in Ihrem eigenen Laden erst einmal hin! Das wäre eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir insgesamt zu einer mehrheitsfähigen Lösung kommen. (Beifall bei der SPD) Bitte, Herr Kamp. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Kollege Kamp. Heiner Kamp (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin Burchardt. – Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass der Startschuss zur Initiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes eben nicht von der SPD gekommen ist, sondern von der FDP-Bundestagsfraktion, von meiner Person? Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass wir mehrere gemeinsame Positionspapiere erarbeitet haben? Damals wurde mir, als die ersten entsprechenden Meldungen über den Ticker kamen, von Herrn Schulz wohlwollend auf die Schulter geklopft, und ich wurde gefragt: Was ist denn bei euch passiert? – Das war sehr anerkennend. Ich bedanke mich dafür. Also: Der Startschuss kam von uns und nicht von Ihnen. Unser Parteitag wurde mehrere Male angesprochen. Wir haben dort sehr wohl über das Kooperationsverbot gesprochen. Wir haben uns auf einen Grundkonsens zur Bildungsfinanzierung geeinigt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Beteiligung des Bundes dabei nicht ausgeschlossen werden soll. Insofern geht Ihr Diskussionsbeitrag an der Sache vorbei. Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass der Startschuss von uns kam? Vielen Dank. Ulla Burchardt (SPD): Herr Kamp, ich habe doch gar kein Problem damit, festzustellen, auch für das Protokoll des Bundestages, dass Sie das Thema als Erster angesprochen haben. Ich sage nur: Die große Volkspartei SPD hat es geschafft, in ihren eigenen Reihen einen Konsens über die Aufhebung des Kooperationsverbotes hinzubekommen. Über Detailfragen wie zum Beispiel darüber, welche Grundgesetzartikel geändert werden sollen, lieber Kollege Gehring, kann man diskutieren. Darüber wird es noch Debatten geben. Dies ist erst die Eröffnung der Debatte. Ohne dass es innerhalb der Parteien einen Konsens und den Willen zur Veränderung gibt, wird in dieser Republik nichts laufen. Ich bitte die anderen Parteien, jetzt nachzuziehen. (Beifall bei der SPD) Ich gehe gerne darauf ein, dass wir Fehler gemacht haben. Asche auf unser Haupt! Das hat Frank-Walter Steinmeier in seltener Offenheit in diesem Haus gesagt. Aber wir haben daraus gelernt. Ich will nicht verhehlen: Wir Bundesbildungspolitiker hätten gerne einen weiter gefassten Antrag gehabt. Nur, dies ist der Kompromiss, den wir innerhalb der Partei gefunden haben, und den darf man nicht geringschätzen. Da müssen andere erst einmal hinkommen. Ich muss niemandem hier erzählen, wie es sich mit der Konsensfindung innerhalb von Parteien verhält. Wie gesagt: Die Debatte darüber ist eröffnet. Auf jeden Fall reicht es nicht – darüber wird jetzt im Wissenschaftsrat diskutiert; Herr Rupprecht, Sie haben letztes Mal danach gefragt –, nur eine Grundgesetzänderung für den Bereich der Wissenschaft vorzunehmen. Ich darf in diesem Zusammenhang den DFG-Präsidenten Kleiner zitieren, der in seiner letzten Ansprache gesagt hat: Es kommt darauf an, dass alle auch für eine Verbesserung des Bildungssystems zusammenarbeiten. – Es geht genau darum, die großen Herausforderungen anzugehen, nämlich Bildungsarmut zu beseitigen und die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems als Basis für die Steigerung der Innovationsfähigkeit des gesamten Landes zu verbessern. Das müssen wir „auf die Kette kriegen“. Das ist eine große Aufgabe. Angesichts dessen darf man sich nicht im Klein-Klein, im Gestrigen und in Schuldzuweisungen verstricken. Wir sind offen. Wir hängen nicht an einzelnen Buchstaben oder Sätzen. In die Debatte im Bundesrat ist Bewegung gekommen. Es wäre ganz hervorragend, wenn Sie jetzt mit dazu beitragen würden, dass wir auch hier im Bundestag in eine Beratung über konstruktive Lösungen eintreten. Dafür werbe ich. Eine ganz entscheidende Voraussetzung wäre – ich richte meinen Blick auf die Koalitionsfraktionen und auch auf die Ministerin –, nicht nur Themen in den Medien zu besetzen, sondern auch einen konkreten Beitrag zu leisten. Legen Sie einen Gesetzentwurf oder zumindest einen Antrag vor, damit wir etwas haben, mit dem wir uns konstruktiv auseinandersetzen können. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger haben verdient, dass wir uns in dieser Sache ernsthaft um Konsens bemühen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Herr Steinmeier, dass Sie die Debatte bis zu diesem Punkt interessant fanden. Ich hoffe auch, dass sie nach den nächsten sechs Minuten erkenntnistheoretisch etwas weiter gediehen sein wird. Ich finde es gut, dass man sich in dieser Diskussion, die wir seit vielen Jahren in diesem Hause wie überall im Bildungsbereich führen, sowohl die Pro- als auch die Kontra-Argumente anhört. Sie haben gesagt – ich werde dies gleich aufgreifen und ausführlich darauf eingehen –, dass es Ihnen nicht um Zuständigkeiten, sondern um Lösungen geht. Das muss überprüft werden. Diese Debatte müssen wir führen. Wir müssen sehr genau schauen, was wir als Bund zurzeit machen und welche Lösungen wir als Bundestag anbieten. Zuvor noch eine Bemerkung zur Verantwortlichkeit. Ich hatte vor wenigen Tagen mit großer Freude gehört, dass der neue KMK-Präsident heute reden wird. Er kommt ja aus Hamburg, und wir Hamburger lieben es – fast immer –, Hamburger zu hören. Nun redet er leider  doch nicht. Das finde ich insoweit verständlich, als ein KMK-Präsident eine gewisse Unabhängigkeit wahren muss, weil er für 16 Länder spricht. Mich ärgert allerdings, dass der neue KMK-Präsident am Montag und am Dienstag dieser Woche über die Zeitungen groß verkündet hat, er werde dafür sorgen, dass das Kooperationsverbot aufgehoben wird. Ich glaube, der KMK-Präsident hat in den nächsten Monaten einiges zu tun, um die Koordination zu verbessern; denn noch läuft die Koordination im Bereich der KMK nicht so, wie wir uns das vorstellen. Darauf sollte er seinen Schwerpunkt setzen, statt Ankündigungen zu machen, die er nicht einhalten kann, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) und das sage ich als Hamburger. Ich finde es ja richtig, dass man über die Kooperation diskutiert. Aber ich erinnere mich: 1996, als die KMK die Abiturprüfungen neu definierte, hatte das sozialdemokratisch geführte Hamburg noch nicht einmal die 87er-Regelung umgesetzt. Ich weiß, das ist ein bisschen Historie, Ulla Burchardt. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!) Man muss sagen: Es ist gut, dass einige gelernt haben, wie wichtig Kooperation auf der Ebene der Länder ist, und diese Kooperation endlich entwickeln wollen. Häufig taucht in dieser Debatte die Frage auf: Was sagen Sie zu dem Antrag? Wir in der Union führen, wie in allen Parteien, intensive Diskussionen über die Frage, welche Hemmnisse im Bildungsbereich wirken. Wir, die CDU, haben als Partei nach einer sehr dezidierten, feinteiligen Diskussion beschlossen – Kollege Kamp, bei uns sind Parteitagsbeschlüsse von hoher Bedeutung –, dass die Regelungen überprüft werden sollen und Hemmnisse abzubauen sind. Jetzt komme ich zum Kern des Antrags. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich finde es nach all den Monaten der Diskussion enttäuschend, wenn die SPD in einem ganz normalen Antrag, der zwei Seiten umfasst – Kollege Kretschmer hat darauf hingewiesen –, eine Grundgesetzänderung vorschlägt. So fordern Sie unter Punkt eins, der Bund möge dauerhaft Finanzhilfen für die Bildung ermöglichen. Unter Punkt zwei fordern Sie, die Bildungshoheit der Länder nicht einzuschränken. Das bedeutet nichts anderes als eine Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung. (Ulla Burchardt [SPD]: Nein!) Das bedeutet nichts anderes als eine Verschiebung einseitiger Finanzhilfen in Richtung der Länder. Das kann man ja fordern, aber das muss man dann auch deutlich formulieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich sage Ihnen ganz offen: Kollege Gehring hat für die Grünen sehr dezidiert eingefordert, diese Diskussion zu führen; das ist auch richtig so. Man muss und wird bei der Frage der Kooperation möglicherweise einen Schritt weiter gehen; hier muss man auch Grundgesetzänderungen in Betracht ziehen. Man muss sich zumindest Gedanken machen, wie man möglicherweise bestehende Hemmnisse abbauen kann. Ich glaube aber, dass man nach einer langen und intensiven Diskussion mit einem so einseitig formulierten Antrag nicht weiterkommt. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Dann machen Sie einen besseren Vorschlag!) Im Übrigen – das sage ich als ehemaliger Landtagsabgeordneter – halte ich sehr viel davon, die Verantwortung der Länder und der Landtagsabgeordneten in dieser Frage – Stichworte „Kultur“ und „Bildung“ – zu stärken. Das war in der Debatte des Jahres 2006 und im Rahmen der Föderalismusreform insgesamt die Ausgangssituation. Es ging darum, eine klarere Zuständigkeit zu definieren: Was macht der Bund, was machen die Länder? Dies geschah nicht nur, weil Mischfinanzierungen problematisch sind, sondern auch deshalb, weil man klar zuordnen können muss, wer im Bereich von Bildung und Schule die Verantwortung hat. Jetzt komme ich zum Kern der Frage: Wo stehen wir eigentlich in Sachen Kooperation? Der Begriff „Kooperationsverbot“ sollte etwas durchleuchtet werden. Das klingt für den Außenstehenden so, als ob es beim Thema Bildung keine Kooperation gibt und der Bund in diesem Bereich nichts tut. Herr Steinmeier verfolgt den Ansatz, zu sagen: Ich definiere die Probleme und möchte Lösungen finden. – Vor welchen Herausforderungen stehen wir denn, Ulla Burchardt? Eine Herausforderung ist die frühkindliche Bildung; da sind wir uns alle einig. Was unternimmt der Bund in diesem Bereich? Der Bund gibt für den Krippenausbau 4 Milliarden Euro aus und stellt ab dem Jahr 2013 700 Millionen Euro für die Betriebskosten bereit. Der Bund beteiligt sich also, wenn es darum geht, die Herausforderung der frühkindlichen Bildung zu bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Eine weitere Herausforderung sind Berufsorientierung und Kompetenzfeststellung; Kollege Schummer und Kollege Feist, dies ist in der Tat ein wichtiges Thema. Wir haben das Problem, das besteht, diagnostiziert. Es gibt momentan zu viele Ausbildungsabbrecher. Zu viele junge Menschen wissen noch nicht, was sie in Zukunft in welchem Beruf erreichen wollen. Vor diesem Hintergrund stellt der Bund für das Programm „Bildungsketten“ 362 Millionen Euro bereit. Der Bund kooperiert also und beteiligt sich auch hier. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Burchardt [SPD]: Da wird ein neuer Dschungel gefördert!) Jetzt, liebe Ulla Burchardt, komme ich auf eine weitere Herausforderung zu sprechen, auf die des Lesens. Beim Lesen ist vielfach ein Kompetenzdefizit festzustellen. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung das Programm „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ gestartet. Dafür werden 26 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. (Ulla Burchardt [SPD]: Alles Modellprojekte!) Ich könnte diese Liste fortführen: von der konkreten Ausgestaltung des BAföG über die verschiedensten Pakte und Pakete bis hin zum Thema Stipendien. Daran wird deutlich: Der Bund beteiligt sich, sowohl was Forschung als auch was Bildung und Bildungsintegration betrifft, in einem Maße wie nie zuvor. (Beifall bei der CDU/CSU) Es sollte allerdings geklärt werden, wo es noch Hemmnisse gibt. Dann könnte nämlich noch klarer definiert werden, an welchen Stellen eventuell Änderungen im Grundgesetz vorgenommen werden sollten. Diesem Anliegen stehen wir offen gegenüber. Wir sollten diese Debatte etwas dezidierter führen und nicht nur sagen: Wir stellen Geld zur Verfügung, und die Bildungshoheit der Länder wird nicht eingeschränkt. – Außerdem möchte ich den Kollegen Schulz bitten, seine Ausführungen zu den Bundesländern einmal zu erläutern. In Ihrem Antrag schreiben Sie: Um die Gleichbehandlung der Länder sicherzustellen, ist dabei vorzusehen, dass diese Vereinbarungen von den Ländern nur einstimmig beschlossen werden können. Für mich ist es eine Herausforderung, das zu verstehen. Soll das heißen, man könne die Gleichbehandlung der Länder sicherstellen, wenn es einstimmige Beschlüsse gibt? Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe nicht verstanden, was das eigentlich soll. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Schade! – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das zu verstehen, ist auch unmöglich!) Wir wollen auf diesem Gebiet zusammenarbeiten. Wir wollen die Gleichbehandlung aber nicht durch das Prinzip der Einstimmigkeit erzeugen. Dieser Aspekt sollte etwas differenzierter betrachtet werden. Was bedeutet all dies im Hinblick auf die Ergebnisse im Bildungs- und Forschungsbereich? Michael Kretschmer hat es angesprochen: In der Langzeitbetrachtung seit dem Jahr 2001 ist festzustellen, dass wir im Bildungsbereich deutliche Erfolge erzielt haben. Dazu haben auch die Länder bzw. die Verantwortlichen in den Ländern einen Beitrag geleistet, insbesondere diejenigen, die im Bildungsbereich aktiv Verantwortung übernommen haben. Aber – das muss man ganz deutlich sagen –: Das ist auch das Ergebnis der neuen Politik, die seit 2005 gemacht wird. Seitdem ist Bildung endlich ein Schwerpunktthema. Das Volumen dieses Haushalts ist seit 2005 um 54 Prozent gestiegen. Möglicherweise hat gerade die Motivation, die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen in diesem Bereich an den Tag gelegt haben, dazu geführt, dass man nun feststellen kann, dass hier noch weiteres Geld zur Verfügung steht. Aus Zeitgründen werde ich darauf verzichten, die einzelnen Erfolge, die erzielt wurden, aufzulisten. Was bleibt unter dem Strich? Wir werden diese Diskussion in den nächsten Monaten weiterführen. Ich glaube, man sollte in dieser Diskussion ehrlich miteinander umgehen. Herr Steinmeier – heute hat er übrigens zum ersten Mal eine Routine durchbrochen und an einer Bildungsdebatte teilgenommen – sollte sich genau überlegen, wie diese Diskussion konkret geführt werden sollte. Dabei muss nämlich mehr herauskommen als dieser sehr vereinfachte Antrag, in dem lediglich gefordert wird, den Ländern Geld zur Verfügung zu stellen. (Ulla Burchardt [SPD]: Machen Sie einen besseren!) Wir müssen dezidiert darüber diskutieren, auf welcher Ebene wir was genau unternehmen. Ich glaube, Ihr Vorschlag ist zu wenig. (Ulla Burchardt [SPD]: Ablehnen ist auch zu wenig!) Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Damit war ja gar nicht zu rechnen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Swen Schulz das Wort. (Beifall bei der SPD) Swen Schulz (Spandau) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In allen Parteien gibt es eine Reihe von Landespolitikern, die sehr skeptisch betrachten, worüber wir hier diskutieren. Sie wollen nicht, dass der Bund in unzulässiger Weise in die Bildungspolitik der Länder eingreift. Aus Erfahrung mit meiner eigenen Partei muss ich sagen: Ich habe wirklich Verständnis dafür, dass diese Debatte in den Parteien Zeit braucht. Es ist schon ein Stück weit auffällig, dass die Bundesbildungsministerin Schavan inzwischen seit Jahren durch die Lande zieht und in Interviews und bei Sonntagsreden deutlich macht, wie wichtig es doch wäre, das Kooperationsverbot im Grundgesetz zu überwinden. Entscheidend ist aber, was auf dem Platz bzw. hier im Deutschen Bundestag geschieht. Wir warten bis heute vergeblich auf einen konkreten Vorschlag, auf eine konkrete Initiative. Dieses merkwürdige Verhalten zeigt sich letztendlich auch in dieser Debatte. Die Bundesbildungsministerin Schavan ergreift überhaupt nicht das Wort – ich will nicht darüber spekulieren, warum nicht, ob sie nicht will oder nicht darf –, und die Rednerinnen und Redner von der Koalition, insbesondere von der CDU/CSU, reden wortreich um den heißen Brei herum. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Klar und verständlich!) Am Ende stellt sich doch die Frage: Wofür sind Sie nun eigentlich? Was ist Ihr Vorschlag? Die SPD bringt heute einen konkreten Antrag ein. Wir wollen mit einem neuen Grundgesetzartikel, mit Art. 104 c, Finanzhilfen des Bundes für Bildung ermöglichen, und zwar in Vereinbarung mit den Ländern. Da geht es nicht einfach nur um eine Neuregelung der Mehrwertsteueranteile. Wir wollen mit den Ländern Finanzhilfen zielgenau für die Bildung vereinbaren. Wenn Sie das missverstehen, Herr Kollege Weinberg, dann werden wir Ihnen das im Ausschuss gerne noch einmal erklären. Wir haben mit diesem Antrag eine Debatte ausgelöst, in der sich auch die CDU/CSU einmal bekennen muss. Sie muss hier Farbe bekennen. Wir wollen auch wissen, wo Bildungsministerin Schavan steht. (Beifall bei der SPD) Die zentrale Begründung für das Kooperationsverbot ist, es gebe bessere Ergebnisse durch Wettbewerb. Nun sind wir in Deutschland beim Wettbewerbsföderalismus sicherlich weltweit führend, liegen also wahrscheinlich noch vor so föderalen Staaten wie Kanada und der Schweiz. Wenn es tatsächlich stimmte, dass der Wettbewerb bessere Ergebnisse zeitigt, dann müssten wir auch im Bildungsbereich weltweit Spitze sein. Das sind wir aber nicht; (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Bayern schon!) denn in dem Wettbewerb, so wie wir ihn organisieren, haben Kommunen und ganze Bundesländer keine Chance. Sie werden abgehängt. So wie wir den Wettbewerb organisieren, ist er kontraproduktiv. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Darum brauchen wir einen Mentalitätswechsel weg vom Wettbewerbs- und hin zum Kooperationsföderalismus. Wir brauchen weniger Ellenbogen und mehr Zusammenarbeit. Das ist das Gebot der Stunde. (Beifall bei der SPD) Das ist nicht etwa eine neue Idee oder einfach nur Theorie. Es gibt dafür gute Beispiele, etwa in der Wissenschaft. Stellen wir uns einmal vor, was geschähe, wenn jemand sagte, die bestehenden Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern im Bereich der Wissenschaft sollten gestrichen werden. Diese Person würde doch ausgelacht und nicht ernst genommen werden. Kein Hochschulpakt mehr, keine Exzellenzinitiative, keine Initiativen für eine verbesserte Lehre – das können und wollen wir uns nicht vorstellen; aber genau das war der ursprüngliche Plan im Rahmen der Föderalismusreform. Es war die SPD-Bundestagsfraktion, die dies in letzter Sekunde verhindert hat. Das war richtig, und ich bin heute noch stolz darauf, dass wir das hinbekommen haben. (Beifall bei der SPD) Kooperation ist aber nicht nur in der Wissenschaft nötig, sondern auch und vor allem im Bereich der vorschulischen Bildung und im Bereich der Schule. Hier gibt es eine ganze Menge ungelöster Probleme. Ich will nur einen Bereich ansprechen. Wir haben unter Rot-Grün ein Ganztagsschulprogramm durchgesetzt. Das war übrigens ein richtiges Projekt und kein Modellprojekt wie die, die Herr Weinberg gerade angesprochen hat. Das hat wirklich etwas gebracht und einiges angeschoben; aber da müssen wir jetzt weitermachen. Wir müssen mehr Angebote schaffen, wir müssen eine bessere Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler organisieren, und wir müssen auch mehr in Personal investieren. Viele Bundesländer können das aber schlicht und einfach nicht bezahlen. Jetzt kommt noch die Schuldenbremse hinzu. Das macht das Ganze nicht besser. Die Bundesländer müssen einsparen, und gleichzeitig sollen sie mehr für Bildung ausgeben. Das geht nicht zusammen. Die Schuldenbremse darf nicht zur Bildungsbremse werden. Darum muss der Bund in die Verantwortung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weil mir leider nicht mehr viel Redezeit bleibt, will ich zum Abschluss insbesondere an die Adresse der CDU/CSU ein Zitat richten, um deutlich zu machen, dass die Bundesregierung hier schon einmal weiter war: Das Bund-Länder-Verhältnis wird zu einer Lebensfrage, wenn es sich um Zuständigkeit und Verantwortung für das Schul- und Bildungswesen oder um das weite Gebiet der Forschung handelt. So gewiß die Bundesregierung bereit ist, die Zuständigkeit der Länder in der Kulturpolitik zu respektieren, so gewiß hat doch die Bundesregierung die Pflicht, vorausblickend die Lebensbedingungen eines modernen Staates zu garantieren … Bund und Länder müssen zusammenwirken, um eine große, gemeinsame Aufgabe mit Tatkraft anzupacken. Es muß dem deutschen Volk bewußt sein, daß die Aufgaben der Bildung und Forschung für unser Geschlecht den gleichen Rang besitzen wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert. Das war Ludwig Erhard: Wohlstand für alle. – Nehmen Sie sich daran ein Beispiel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Martin Neumann das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau am 10. Juni 2011 – ich habe im Kalender nachgeschaut – haben wir uns in diesem Hohen Hause bereits mit dem Thema „Bildungsföderalismus und Abschaffung des Kooperationsverbotes“ befasst. Wir hatten kurz zuvor – das hat Kollege Kamp bereits gesagt – ein Positionspapier zu diesem Thema beschlossen, in dem wir den Willen bekunden, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern zu stärken. Darin sind wir uns mit den Fraktionen in diesem Hohen Haus einig. Ich habe aber bereits im letzten Sommer darauf aufmerksam gemacht, dass für das Gelingen dieses Projektes die Länder mit ins Boot geholt werden müssen. Ohne die entsprechende Mehrheit im Bundesrat brauchen wir hier im Parlament nichts zu beschließen; denn das würde aus meiner Sicht die öffentliche Debatte nur verschärfen. In diesem Kontext habe ich Ihnen empfohlen, den Weg über die Ministerpräsidenten zu beschreiten und eine Initiative im Bundesrat einzubringen. Der FDP-Kultusminister Dr. Klug aus dem Land Schleswig Holstein – das will ich an dieser Stelle hervorheben; das ist von meinem Kollegen auch schon dargestellt worden – ist hier vorangeschritten. (Beifall des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Ich muss an dieser Stelle die Kollegen von der SPD konkret fragen: Wo bleiben die Initiativen von SPD und Grünen in der Länderkammer? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommen! Keine Sorge!) Stattdessen bekommen wir von Wowereit, Platzeck und Co. nur warme Worte serviert. Jetzt wärmen Sie Ihren wenig kreativen Antrag erneut auf. Es ist heute deutlich gesagt worden: Die Sozialdemokraten haben uns dies im Jahr 2006 unter Mitwirkung von Kurt Beck, der an dieser Stelle eine große Rolle gespielt hat, eingebrockt. Jetzt wollen sich die Genossen – so ist der Eindruck – durch eine sogenannte Recyclingschleife in Form dieses Antrages die Hände wieder reinwaschen. (Ulla Burchardt [SPD]: Das ist unter Ihren Möglichkeiten, Herr Neumann!) Ich glaube Ihnen durchaus, Frau Burchardt, dass Sie diesen Fehler bereuen und sich dafür möglicherweise sogar schämen. Doch was hilft diese Litanei? An seinem Handeln wird man gemessen. Sorgen Sie doch jetzt lieber dafür – das ist meine Aufforderung –, dass sich Ihre Länderchefs der FDP-Initiative aus Schleswig-Holstein anschließen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorausgegangen war ein Fraktionskompromiss im Landtag! Das heißt, das Parlament muss vorausgehen! Der Bundestag ist der Ort!) Opfern Sie nicht wie damals, also 2006, die Bildung in diesem Land dem billigen politischen Klein-Klein. Als Wissenschaftspolitiker schmerzen mich die verfassungsmäßig verankerten Einschränkungen ungemein, gerade weil ich sehe, wie erfolgreich wir da sind, wo Bund und Länder zusammenwirken. Viele Beispiele, etwa die Exzellenzinitiative, sind dafür genannt worden, dass Bund-Länder-Kooperationen tatsächlich funktionieren und im internationalen Wettbewerb – das scheint mir das Gebot der Stunde zu sein – dringend benötigt werden. Ich glaube, das zweifelt niemand an. Ein striktes Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern für den Hochschulbereich wäre ein Desaster gewesen. Ich frage mich: Was hätten wir erreichen können, wenn wir diese Lockerung des Kooperationsverbotes auch im Bereich der Schule hätten ermöglichen können? Meiner Kenntnis nach ist seit 2006 keine Großinvestition im Schulbereich erfolgreich gewesen. Ich kann Ihnen sagen: Als Hochschullehrer bin ich froh, dass wir im Wissenschaftsbereich nicht komplett vom Kooperationsverbot betroffen sind. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, dass der Bund die Möglichkeit braucht, bei der institutionellen Finanzierung mitwirken zu dürfen. Nun zu Ihrem Antrag. Wie schon gesagt: Die Grundrichtung Ihres Antrags stimmt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Doch ich möchte an dieser Stelle zwei wesentliche Einwände vorbringen. Erstens bleibt Ihr Antrag in der Frage, wie eine finanzielle Unterstützung des Bundes im Bildungsbereich aussehen könnte, extrem unkonkret. Sie stellen – das mache ich Ihnen zum Vorwurf – den Ländern einen Blankoscheck aus. Das ist uns viel zu wenig. Das reicht nicht. In diesem Bereich muss eine gemeinsame Finanzierung von Bund und Ländern gesichert werden. Das wird in Ihrem Antrag nicht deutlich. Ihr Vorschlag birgt die Gefahr, dass sich die Länder in gleichem Maße aus der Finanzierung der Bildungseinrichtungen zurückziehen. Die Beispiele Hamburg, Thüringen und Brandenburg sind genannt worden. (Ulla Burchardt [SPD]: Wer regiert eigentlich in Thüringen?) Für die Bildung ist nichts gewonnen, wenn der Bund bluten muss und die Länder sich zurückziehen. Als Brandenburger kenne ich den Reflex: Die Bundesmittel für die Hochschulen werden gerne eingestrichen, dann wird getrickst, geschüttelt und schöngefärbt, bis der jeweilige Eigenanteil entsprechend heruntergeschraubt ist. Am Ende ist die Grundfinanzierung der Hochschulen total ausgehöhlt. Mein zweiter Einwand bewegt mich deutlich mehr. Ich frage mich, warum Sie Ihren Antrag nur im Deutschen Bundestag vorlegen, in dem Sie keine Mehrheit haben. (Ulla Burchardt [SPD]: Er kommt auch noch im Bundesrat!) Warum gibt es keine gleichgeartete SPD-Initiative zu der Grundgesetzänderung im Bundesrat? (Beifall des Abg. Heiner Kamp [FDP] – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das ist eine gute Frage!) Ich bin gespannt, wie die A-Länder in der Bundesratssitzung am 10. Februar mit der Initiative aus Schleswig-Holstein umgehen werden. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wir sind gespannt, wie Sie mit unserem Antrag umgehen werden! – Ulla Burchardt [SPD]: Wie geht Herr Spaenle denn damit um?) An diesem Tag kommt es zum Schwur. An diesem Tag werden wir sehen, wie ernst es die SPD meint. Ich komme zum Schluss. Ich bin skeptisch, aber ich lasse mich an dieser Stelle gerne eines Besseren belehren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Burchardt [SPD]: Sie sitzen alle im Glashaus!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Grütters für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Monika Grütters (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Steinmeier, ja, es stimmt: Wir führen häufig Bildungsdebatten; denn wir sind uns in der Tat einig, dass Bildung das entscheidende Thema unserer gesellschaftlichen Entwicklung ist. Die letzte Debatte – das hat Herr Neumann richtig gesagt – war am 10. Juni. Übrigens tobte damals gleichzeitig, Frau Hein, eine Straße weiter eine große Demo gegen die rot-rote Bildungspolitik des Landes Berlin. Herr Steinmeier, Sie haben aber auch damit recht: Die Menschen sind nach wie vor unglücklich mit der Situation. Das ist kein Wunder. Richtig ist auch: Aus individueller Sicht ist Bildung die unverzichtbare Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestim-mtes Leben. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist Bildung der Schlüssel, um den Wohlstand eines Landes zu erhalten. Gut ausgebildete und kreative Köpfe sind gerade für uns der Rohstoff in einer global immer weiter zusammenwachsenden Welt. Ich finde auch – Herr Steinmeier, Sie haben recht –: Die Länder haben nicht immer noch die gleichen Probleme wie früher; ihre Probleme, die Bildungsaufgaben zuverlässig zu erfüllen, nehmen vielmehr zu. Wenn wir also heute aufgrund Ihres Antrags über kooperativen Bildungsföderalismus reden – vielleicht sollte ich lieber gleich sagen, dass ich den Titel Ihres Antrags anders formuliert hätte, nämlich „Bund-Länder-Finanzierungsfragen“ –, dann sollten wir, finde ich, nicht nur beiläufig anerkennen, dass viele diese Kooperationen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich wunderbar funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Erfolgsmeldungen der letzten Jahre mit neuen Rekorden bei den Studienanfängerzahlen und der Gesamtstudierendenzahl wären ohne die Kooperationen, die der Bund mit den Ländern ausdrücklich vereinbart hat – Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Spitzencluster und Qualitätspakt Lehre –, so nicht denkbar gewesen. Ich finde, das sollten wir nicht nur beiläufig erwähnen. Herr Gehring, Sie haben recht: Das sind Umgehungsstraßen, mit denen die Enge mancher föderalen Zuständigkeit elegant umschifft wird. Aber sie funktionieren. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Nein! Sie funktionieren nicht!) – Doch, sie funktionieren ja wohl; sonst hätten wir die Erfolge nicht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bildungspaket ist ein Bürokratiemonster! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bildungsgutscheine funktionieren doch nicht!) Ich bin mir übrigens auch sicher – darin sind wir uns einig; insofern müssen wir keineswegs um den heißen Brei herumreden, Frau Burchardt –: Wenn mehr Bildungspolitiker an diesen Verfassungsformulierungen mitgewirkt hätten, dann wäre meines Erachtens ein etwas anderer Text herausgekommen als der, den die Ministerpräsidenten verfasst haben. (Ulla Burchardt [SPD]: Legen Sie doch mal einen Gegenvorschlag vor! Dann reden wir weiter!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Grütters, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmann? Monika Grütters (CDU/CSU): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Kollegin Grütters, da wir in vielen Punkten übereinstimmen und es positiv ist, dass Sie den Prozessgedanken befürworten, sei daran erinnert, dass wir nach dem Unglück der Föderalismusreform I das Grundgesetz bereits ändern mussten, um die große gemeinsame Initiative im Rahmen des Konjunkturpakets für die Bildung überhaupt erst tragfähig zu machen, wohl wissend, dass es sich hierbei um eine Krückenkonstruktion handelt. Ich frage Sie daher: Können wir nicht zusammenkommen, indem wir alles, was gut ist, anerkennen, aber auch die Tatsache, dass ein Grundgesetz auf Krücken nicht gut funktioniert und dass stattdessen klare Spielräume für Vereinbarungen zwischen dem Bund und den souveränen Ländern ausgestaltet werden sollten? Können Sie uns einen Weg zeigen, wie wir zur Verankerung eines entsprechenden Grundsatzes im Grundgesetz kommen können? Monika Grütters (CDU/CSU): Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Rossmann, in der Bewertung durchaus zu, obwohl ich wahrscheinlich die Formulierung „Krücke“ nicht verwendet hätte. Ich gehöre zu denjenigen, die immer offen zugegeben haben, dass wir allesamt – Länder und Bund – mit der derzeitigen Situation unzufrieden sind. Ich glaube aber, dass ein Antrag von einer Fraktion im Bundestag, ohne dass sie vorher versucht, Gemeinsamkeit mit den Ländern herzustellen – Sie regieren in vielen Ländern mit –, natürlich scheitern muss. Wenn, dann funktioniert es nur – gerade wenn es um eine Verfassungsänderung geht – zusammen mit Bund und Ländern. Wir arbeiten daran, aber es ist schwierig. Ich glaube nur, dass es, wenn nur eine Fraktion – zumal aus der Opposition – einen Antrag einbringt, obwohl wir zuvor so lange auch über das taktische Vorgehen geredet haben, lieber Swen Schulz, nicht funktionieren kann. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ihr kommt doch nicht aus dem Knick!) – Doch! Darf ich weitermachen? Jedenfalls ist in vielen Bundesländern – momentan ist Schleswig-Holstein in der Diskussion; über die Motive möchte ich gar nicht spekulieren – die Bereitschaft zu mehr föderaler Kooperation gegeben. Angesichts des Stresses, den Familien – Eltern und Kinder – und Lehrer mit einer Bildungslandschaft aus 80 Schultypen in 16 Ländern mit 22 Ministern haben, ist es hohe Zeit für eine neue Kooperationskultur. Herr Steinmeier, es bleibt die Frage, wie wir das Ziel erreichen. Mit gemeinsamem Willen und gesundem Pragmatismus – den legen wir im Wissenschaftsbereich auch an den Tag – lassen sich die ersten Schritte des Weges gehen. Es soll nicht bei einer Krücke bleiben. Ich bin aber reichlich verwundert, dass es in Ihrem Antrag heißt, ein neuer Artikel solle in das Grundgesetz eingefügt werden, „der auf Grundlage von Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern dauerhafte Finanzhilfen des Bundes für Bildung ermöglicht, ohne die Bildungshoheit der Länder einzuschränken“. Um eine Ungleichbehandlung der Länder zu vermeiden, sollen derartige Vereinbarungen von den Ländern auch noch einstimmig beschlossen werden. Das finde ich geradezu verwegen. Als selbstbewusste Abgeordnete des Deutschen Bundestages fällt es mir schwer, anzunehmen, dass Sie ernsthaft meinen, der Bundestag solle Gelder geben, ohne über ihre Verwendung irgendetwas zu sagen. (Zuruf von der SPD) – Das steht nicht in Ihrem Antrag. Sie können hier hundertmal Nein sagen. Aber warum haben Sie es nicht in den Antrag geschrieben? Ich wundere mich darüber, wo die Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler bleibt. Wie gut oder – besser gesagt – wie schlecht das Prinzip der Einstimmigkeit funktioniert, beobachten wir seit Jahren mit fröhlicher Fassungslosigkeit bei der KMK. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie den Gestaltungsanspruch des Bundestages komplett außer Acht lassen können. Beispielsweise wäre es möglich, dass die Länder sagen: „Das Geld nehmen wir gern“, und es dann in die Pensionskassen tun. – Wir wollen das ausdrücklich nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir möchten auch nicht, dass es letztlich nur um eine Erhöhung des Länderfinanzausgleichs geht. Dafür brauchten wir, ehrlich gesagt, keine Verfassungsänderung; denn das ist auch so möglich. Das sage ich Ihnen, obwohl ich aus dem armen Land Berlin komme. Es wäre schön, wenn es in Ihrem Antrag auch um inhaltliche Bildungsfragen gegangen wäre. Aber eine Vernebelung der alten Länderforderung nach einer stärkeren Beteiligung an den Umsatzsteuereinnahmen brauchen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Zu solchen Unterstellungen komme ich, wenn ich Ihren Antrag lese. Uns geht es um gemeinsame Standards, eine exzellente Aus- und Weiterbildung sowie die Schaffung von Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit. Wie wir alle wissen, ist es schwierig genug, ein Zentralabitur durchzusetzen, das dazu führen soll, dass Prüfungen in einem Fach an allen Schulen Deutschlands zur selben Uhrzeit stattfinden. (Ulla Burchardt [SPD]: Das macht doch auch keinen Sinn!) – Ja, aber deshalb funktioniert so etwas auch nicht. – Dass die eingesetzten Mittel – auch die des Bundes – besser und effizienter eingesetzt werden müssen, haben wir am Bildungspaket gesehen. Wenn das über die Schulen gegangen wäre – dafür hätten wir die Verfassung ändern müssen; damit haben Sie recht –, wäre es viel besser gelaufen. Ich komme zum Schluss. Darüber, ob es letztlich einer Grundgesetzänderung bedarf oder nicht – ich hätte mich um eine entsprechende Aussage nicht gedrückt, Herr Rossmann –, müssen wir mit den Ländern beraten. Gegen diese geht es nicht, mit knappen Mehrheiten geht es auch nicht. Vor allen Dingen muss es aber – das finde ich in Ihrem Antrag falsch – nach bildungs- und nicht nach finanzpolitischen Erwägungen gehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Im Wissenschaftsbereich gibt es eine viel größere Offenheit, weil wir schon so gut kooperieren. Deshalb glaube ich: Über systematische Hilfen des Bundes für die Wissenschaft – Sie haben gesagt, die Politik hinsichtlich der Charité sei willkürlich; ich glaube, es ist ein Anfang, um zu einer systematischen Förderung zu kommen – könnte man den Ländern finanzielle Freiräume schaffen, damit sie ihre eigene Schulpolitik besser finanzieren können. Über solche strukturellen Änderungen gerade in der Wissenschaft berät der Wissenschaftsrat zurzeit. Warten wir doch auf seine Empfehlungen. Das jedenfalls wäre meine Empfehlung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Warten! Warten! Warten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Tankred Schipanski von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als letzter Redner in dieser Debatte die Gefechtslage ordnen und einige Dinge richtigstellen. Insbesondere müssen die pauschalen Behauptungen von der Opposition einer differenzierten inhaltlichen Betrachtung zugeführt werden; denn Inklusion und Gemeinschaftsschulen, die hier von der Opposition angesprochen wurden, haben mit dem heutigen Thema nichts zu tun. (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Es geht um Kooperation. Die Meinungsführerschaft in der Debatte über einen modernen und kooperativen Föderalismus in der Bildungsrepublik Deutschland hat die Union. Wir haben auch keinen gesellschaftlichen Konsens, liebe Frau Burchardt. Sie sollten die Zuhörer hier nicht blenden. Unsere Ministerin Annette Schavan hat erstmals im März 2010 einen konkreten Vorschlag unterbreitet, wie sie sich einen neuen, kooperativen Föderalismus vorstellen könnte. Diesen Impuls haben wir in Debatten in diesem Hohen Hause im März 2010, im Dezember 2010 und im Juni 2011 aufgegriffen. Die Unionsfraktion hat sich in den Jahren 2010 und 2011 intensiv mit der Weiterentwicklung unseres Bildungsföderalismus beschäftigt. Meine Fraktionskollegin Monika Grütters und die Ministerin haben in jeder Rede und in jedem Interview von Kooperation gesprochen und das Wort „Kooperationskultur“ geprägt. Wir haben entsprechende Beschlüsse auf unserem Leipziger Parteitag im letzten Herbst gefasst. (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Und hier?) Was hat die Opposition gemacht? Die Opposition hat mit fleißigen Anträgen diese Debatte mit Sicherheit beflügelt, doch haben die Oppositionsparteien ihre Forderungen nie zu Ende gedacht. Herr Schulz, Ihr heutiger Beitrag, in dem Sie Kooperation gegen Wettbewerb ausspielen und am Ende noch Ludwig Erhard zitieren, zeigt das ganz besonders. Er zeigt, dass Sie den kooperativen Föderalismus nicht verstanden haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was haben Sie gegen Ludwig Erhard?) Die SPD wählte noch im Juni letzten Jahres den Weg über eine Änderung des Art. 91 b Grundgesetz, heute probiert sie es mit einem Antrag, mit dem Art. 104 b Grundgesetz ergänzt werden soll. Wir müssen deutlich zwischen dem Bildungs- und dem Forschungsbereich unterscheiden. Unsere Vorschläge für den Bildungsbereich haben Kollege Marcus Weinberg und für den Wissenschaftsbereich Kollegin Monika Grütters sehr gut dargestellt. Wir werden diese Parteitagsbeschlüsse konsequent umsetzen. Darüber gibt es einen innerparteilichen Konsens, der zwischen Bildung und Wissenschaft differenziert. Liebe Frau Burchardt, das hat auch der DFG-Präsident, Herr Kleiner, in seiner Neujahrsansprache nicht kritisiert. Die Redner der Koalition, insbesondere Michael Kretschmer, haben aber auch deutlich gemacht, dass wir den kooperativen Föderalismus gerade nicht auf Finanzströme oder Mehrwertsteuerpunkte reduzieren können. Das sind primär Fragen des Länderfinanzausgleichs. Das werden auch die Kollegen aus Schleswig-Holstein aus dieser Debatte mitnehmen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kooperation heißt nicht, dass sich die Länder aus der Finanzverantwortung zurückziehen und der Bund einspringt. Kooperation heißt auch nicht, dass schlecht wirtschaftende Bundesländer in frischem Geld des Bundes baden können. (Beifall des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Der Forschungsbereich steht in der Wahrnehmung der Bevölkerung aber nicht im Mittelpunkt. Es ist die zunehmende Zersplitterung der Schulbildung, die in der Bevölkerung und auch bei uns auf Unverständnis stößt. In dieser Frage führt uns der hier vorliegende SPD-Antrag nicht weiter. Im Bildungsbereich wollen wir fraktionsübergreifend Transparenz, Vergleichbarkeit der Abschlüsse und Bildungsmindeststandards – Minister Spaenle hat es angesprochen –, und das erwarten die Leute auch von uns. Daher brauchen wir eine Koordinierung der Bildungszusammenarbeit der Länder. Diese Koordinierung ist der KMK mit ihren gegenwärtigen Instrumenten leider nicht gelungen. Daher greifen jetzt verschiedene Länderminister – Herr Minister Spaenle hat es in verschiedenen Medienberichten dargestellt – einen alten Vorschlag auf, nämlich über einen Staatsvertrag Aufgabentools und Mindeststandards verbindlich zu regeln. Das Mittel des Staatsvertrags hat bereits im Rundfunkbereich und im Glücksspielrecht durchaus Erfolg gehabt. Nun kommt es auf die SPD-Länder an, dass sie diesen Vorschlag unterstützen und mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Was ist denn Ihr Vorschlag?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer, hat richtig festgestellt: Verantwortung heißt Kooperation der Länder untereinander und mit dem Bund. – Das ist zugleich dem Bundesstaatsprinzip unserer Verfassung zu entnehmen. Das Grundgesetz selbst mahnt uns zur Kooperation und schließt diese nicht aus. Gelingt den Ländern die Koordination über einen Staatsvertrag nicht, ist der Bund als Koordinator gefordert, und wir werden dann über weitere Instrumente zu entscheiden haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind im Ziel nahe beieinander, aber wir sind über den richtigen Weg uneins. Der Weg, den uns die SPD heute aufzeigt, ist der falsche. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Welcher ist denn Ihrer?) Denken Sie an das Bildungspaket für bedürftige Kinder, bei dem die Genossen der SPD im Vermittlungsausschuss verhindert haben, dass das Geld direkt an die Schulen fließen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Denken Sie an die Weigerung der SPD, das Deutschlandstipendium einzuführen, weil sie sich weigert, Leistung zu fördern. Denken Sie auch an die irrwitzige Idee der SPD, eine Bildungsabgabe einzuführen, um falsche SPD-Schulpolitik zu verstetigen und die Bürger noch stärker zu belasten. Meine Damen und Herren, die christlich-liberale Koalition steht für einen modernen Föderalismus, für eine Kooperationskultur. Wir stehen zum Prinzip von Verantwortung und Bundestreue. Kooperation bedeutet inhaltliche Verbesserung und darf nicht auf Finanzströme oder Finanzierungsfragen reduziert werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Das war ganz schlecht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nun folgt noch eine Kurzintervention des Kollegen Rossmann von der SPD-Fraktion. – Bitte sehr, Herr Rossmann. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Schipanski, Sie haben von einer Sensation gesprochen. Das muss jetzt aufgeklärt werden. Von Ihnen war eben in Bezug auf das Teilhabepaket zu hören, dass es seitens des Bundes die Möglichkeit gegeben hätte, Gelder vom Bund direkt an die Schulen zu leiten, um sie stark zu machen und dort Infrastruktur aufzubauen, und dass die SPD dies angeblich verhindert hätte. An der Stelle möchte ich nachfragen: Was meinen Sie eigentlich, wenn Sie sagen, dass zur Stärkung der schulischen Leistungsfähigkeit im Rahmen des Teilhabepakets Geld direkt von Bund und Ländern gemeinsam an die Schulen hätte gegeben werden können und dass wir dies verhindert hätten? Tatsache ist vielmehr: Dass es uns in einer Schlussrunde gemeinsam gelungen ist, für Schulsozialarbeit zusätzliches Geld zu mobilisieren, freut uns alle. Das ist auch nicht verhindert worden, weil es uns ja, wie gerade gesagt, gemeinsam gelungen ist. Umso verwirrter sind wir über Ihre Einlassungen. Was meinten Sie eigentlich, und wie erklären Sie Ihre Aussage, dass es angeblich die SPD verhindert hätte, dass der Bund jenseits des Grundgesetzes direkt Unterstützung an die Schulen gegeben hätte? Das hätten wir uns sicherlich alle gewünscht. Frau von der Leyen hat es sich gewünscht, Frau Schavan hat es sich gewünscht, alle Wohlmeinenden, die starke Schulen in Deutschland wollten, haben es sich gewünscht. Nur, es ging leider nicht, weil es eben das Kooperationsverbot gab und weil wir mit einer Grundgesetzänderung, die diesen Spielraum für alle Vernünftigen hätte eröffnen können, noch nicht so weit waren. – Deshalb: Erklären Sie es uns noch einmal. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schipanski zur Erwiderung. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Herr Kollege Rossmann, nun sind Sie heute auch noch zu einem Debattenbeitrag gekommen. Aber ich will Ihnen das gerne beantworten. In der Tat war es unser Plan, die Gelder über die Jobcenter zu verteilen und sie dann gegebenenfalls an die Schulen zu geben. Das hat die SPD im Vermittlungsausschuss nicht mitgetragen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie sind ein Unwissender!) Heute können Sie sich anschauen, wie die Kommunen darauf reagieren. Wir mussten den Umweg über die Kommunen nehmen, die das Geld auskehren. Für die Kommunen ist es nicht einfach, dies alles zu organisieren. (Ulla Burchardt [SPD]: Können Sie den Kollegen einmal aufklären, wie das wirklich gewesen ist? Das ist doch peinlich für Sie!) Der ursprüngliche Vorschlag unserer Koalition, um dieses Bildungs- und Teilhabepaket auszukehren, wäre wesentlich effektiver gewesen als das, was am Ende im Vermittlungsausschuss wegen Blockade der SPD herausgekommen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8455 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Fraktionen haben sich über Änderungen im Ablauf der heutigen Tagesordnung verständigt. Der Tagesordnungspunkt 28 c und f soll von der heutigen Tagesordnung abgesetzt werden. Außerdem sollen die Tagesordnungspunkte 11 und 14 getauscht werden. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Das ist dann so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 a, b, d, e, g sowie h auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes – Drucksache 17/8364 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Energieverbrauchskennzeichnungsrechts – Drucksache 17/8427 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette Kramme, Ottmar Schreiner, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erosion der Tarifvertragssysteme stoppen – Sicherung der Allgemeinverbindlichkeitsregelung von Tarifverträgen – Drucksache 17/8459 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dorothée Menzner, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Energiewende braucht Energieeffizienz – Drucksache 17/8457 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit g) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gem. § 56 a GO-BT Technikfolgenabschätzung (TA) Fortpflanzungsmedizin – Rahmenbedingungen, wissenschaftlich-technische Entwicklungen und Folgen – Drucksache 17/3759 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gem. § 56 a GO-BT Technikfolgenabschätzung (TA) Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung – Drucksache 17/7915 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 a bis j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 29 a: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes – Drucksache 17/8350 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/8483 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Gabriele Fograscher Dr. Stefan Ruppert Halina Wawzyniak Wolfgang Wieland Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8483, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8350 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ansonsten einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 29 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln, des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen sowie des Luftverkehrsgesetzes – Drucksache 17/8234 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/8468 – Berichterstattung: Abgeordnete Claudia Bögel Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8468, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8234 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 29 c: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz unverzüglich vorlegen – Drucksache 17/8458 – Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkt 29 d bis j. Tagesordnungspunkt 29 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 374 zu Petitionen – Drucksache 17/8365 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 374 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 29 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 375 zu Petitionen – Drucksache 17/8366 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 375 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 376 zu Petitionen – Drucksache 17/8367 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 376 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 29 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 377 zu Petitionen – Drucksache 17/8368 – Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 377 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 378 zu Petitionen – Drucksache 17/8369 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 378 ist bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 379 zu Petitionen – Drucksache 17/8370 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 379 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen. Tagesordnungspunkt 29 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 380 zu Petitionen – Drucksache 17/8371 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 380 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Jetzt rufe ich Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Zweifelhafte Überwachung von 27 MdB der Fraktion DIE LINKE durch den Verfassungsschutz Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Jan Korte für die antragstellende Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin 1977 in Osnabrück, Niedersachsen, geboren worden, und beim Fall der Mauer war ich zwölf Jahre alt. Niemals hätte ich mir erträumt, vom Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik Deutschland beobachtet und überwacht zu werden. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt Schlimmeres!) Dass Akten über mich und meine Freunde einmal gesammelt werden würden, das wäre für mich schier unglaublich gewesen, und ist es heute erst recht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2009 wurden ich und viele andere der Linken in Sachsen-Anhalt – das liegt bekanntermaßen in Ostdeutschland – direkt in den Deutschen Bundestag gewählt. Jetzt fragen sich die Wählerinnen und Wähler zu Recht, ob sie eigentlich noch unbefangen und vertraulich mit ihren Abgeordneten reden können. Damit zerstören Sie Vertrauen in die Politik vor Ort. Das ist wirklich bodenlos. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Das Kernproblem, um das es aber eigentlich geht, ist die Tatsache – denken Sie doch einmal darüber nach –, dass ein Geheimdienst parteipolitisch benutzt wird, um eine Oppositionsfraktion zu beobachten. Das ist schlicht antidemokratisch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist Unsinn!) Die Linke setzt auf die Kraft der Argumente gegen Krieg, Sozialabbau und einen völlig enthemmten Finanzkapitalismus. Das ist durch und durch demokratisch und angemessen in diesen Zeiten. (Beifall bei der LINKEN) Ich will zwei Anmerkungen machen. Die erste richtet sich an den Vorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel; vielleicht schaut er gerade zu. Wenn Sie ausgerechnet in dieser Woche und angesichts dieser Situation Rot-Rot mit großem Tamtam ausschließen, dann bedeutet das nicht nur, dass Sie auf einen Politikwechsel verzichten, weil Sie weiter bis in alle Ewigkeit als Juniorpartner mit der CDU koalieren. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es bedeutet auch, dass Sie sich damit leider zum Werkzeug des Verfassungsschutzes und der CSU machen. (Beifall bei der LINKEN) Die zweite Anmerkung richtet sich an die CSU, weil Sie bei dieser Debatte besonders engagiert und geifernd auftreten. Ausgerechnet von der CSU, die in der Vergangenheit durch ihre Kumpanei mit dem Pinochet-Regime in Chile und dem südafrikanischen Apartheidregime aufgefallen ist, brauchen wir keine Nachhilfe! (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Lächerlich!) Sie sollten bei diesem Thema in Demut schweigen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat ja einen Ulbricht-Bart! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr sitzt ja bei dem Castro immer noch auf dem Schoß!) Ich fasse zusammen: Erstens. Die Überwachung der Opposition – gleich welcher Opposition – durch einen Geheimdienst verstößt gegen die Grundidee des demokratischen Rechtsstaates und verhindert Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Nicht Gesetze der Linken, sondern vor allem Ihre Gesetze wurden in den letzten Jahren mehrfach vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beanstandet. Die Linke hat keinem einzigen dieser Gesetze zugestimmt. (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß nicht, inwieweit es bei Ihnen angekommen ist: Seit 1990 gibt es die DDR nicht mehr. Das ist für Ihr Weltbild, das nur aus Schwarz-Weiß besteht, offenbar ein Problem. Der Kalte Krieg ist dementsprechend seit über 20 Jahren vorbei. Ihre Kalte-Krieg-Rhetorik, die Sie an den Tag legen, ist ohne eine historische Grundlage, und sie ist intellektuell erbärmlich. Auch das muss hier gesagt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Antikommunismus war in der Tat schon immer die Grundtorheit unserer Epoche, wie es Thomas Mann zu Recht gesagt hat. Aber unter Adenauer war es zumindest noch rhetorisch unterhaltsam. Auch davon ist bei Ihnen nichts übrig geblieben. Es ist intellektuell schlecht, und es ist rhetorisch schlecht. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss. Die Linke, ihre Wählerinnen und Wähler, ihre Sympathisantinnen und Sympathisanten werden sich nicht einschüchtern lassen durch Ihre politische Geheimdienstbehörde, die Sie gegen uns in Stellung gebracht haben. Wir werden uns – um das klar zu sagen – auch nicht auseinanderdividieren lassen. Keiner der 27 gehört auf eine solche Liste – kein Einziger. (Beifall bei der LINKEN) Wir werden die Demokratie und den Sozialstaat weiter verteidigen, (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist ja lächerlich!) den Sie – das sage ich Ihnen auch – abreißen und beschädigen. Das werden wir weiterhin tun. Wir werden im Übrigen weiter unbeirrbar für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, für die Idee des demokratischen Sozialismus eintreten. Da können Sie ganz sicher sein. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vorwärts Genossen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen mitteilen, dass Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die zu diesem Thema sprechen wollte, zu ihrem eigenen Bedauern wegen Verzögerungen im Flugverkehr nicht rechtzeitig hier sein kann. Dies wurde mir eben mitgeteilt. Das Wort hat jetzt der Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die in den letzten Tagen geführt wurde, überrascht. Sie überrascht deswegen, weil der Sachverhalt, der dieser Debatte zugrunde liegt, bereits seit vielen Jahren existiert. Seit 1995 wird die PDS und ihre Nachfolgepartei Die Linke vom Bundesverfassungsschutz beobachtet. Seit vielen Jahren ist auch bekannt, dass unter den Beobachteten Abgeordnete sind. Einige Abgeordnete haben versucht, gerichtlich dagegen vorzugehen. Sie haben aber vor Gericht Niederlagen erlitten. Zuletzt gab es eine sehr breit diskutierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2010. Die Rechtsgrundlage für die Arbeit des Bundesverfassungsschutzes hat dieses Hohe Haus in Form eines Gesetzes verabschiedet. Dieses Gesetz gibt dem Verfassungsschutz den Auftrag, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht diesen Auftrag!) Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in diesem Lande zu sammeln und auszuwerten. Das tut der Verfassungsschutz. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Was ist mit der Deutschen Bank?) Auftrag dieses Nachrichtendienstes ist es auch, die Bevölkerung und die Wählerinnen und Wähler darüber zu informieren, was sich in extremistischen Parteien und Organisationen tut. Er soll das transparent machen, was gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet ist. Ich mache, ebenso wie meine Vorgänger, von dem Recht und der Möglichkeit Gebrauch, den Verfassungsschutzbericht der Öffentlichkeit vorzustellen, in dem alles genau nachgelesen werden kann. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Abgeordneten stehen da nicht drin!) Es ist auch dringend notwendig, dass man diese Transparenz in einer Demokratie herstellt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was ist die Voraussetzung für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz? Voraussetzung ist, dass es Anhaltspunkte gibt, dass eine Organisation gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht. Ich darf Ihnen – Herr Präsident, wenn Sie gestatten – aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 13. Februar 2009, 16. Senat, zitieren: Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass DIE LINKE jedenfalls in Bezug auf bedeutende Kräfte in der Partei darauf gerichtet ist, zentrale Verfassungswerte wie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das Recht auf allgemeine und gleiche Wahlen zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen. (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich! – Zuruf von der FDP: Hört! Hört! So ist es! – Widerspruch bei der LINKEN) Weiterhin kommt das OVG Münster bei seiner Entscheidung zu dem Schluss, dass deshalb eine weitere Aufklärung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erforderlich erscheine. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will das ein bisschen näher erläutern. Erstens: Es gibt Anhaltspunkte – in vielen Broschüren, programmatischen Aussagen der Linken lässt sich das nachlesen –, dass es der Linken, jedenfalls Teilen davon, um die Errichtung der Diktatur des Proletariats marxistisch-leninistischer Prägung (Lachen bei der LINKEN) und um die Errichtung eines kommunistischen Systems geht, das sichtbar und erkennbar mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht in Einklang zu bringen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens: Weiten Teilen dieser Partei fehlt eine klare Abgrenzung zur Gewalt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich darf Frau Sahra Wagenknecht – zu entnehmen den Verfassungsschutzinformationen Bayern, erstes Halbjahr 2009 – zitieren: Eine vielfältige Protestkultur gegen Neoliberalismus und Kapitalismus finde ich sehr unterstützenswert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu gehören für mich natürlich auch linke autonome Gruppen. Meine Damen und Herren, ich werde als Innenminister sehr emotional, wenn ich höre, dass Frau Wagenknecht linke autonome Gruppen unterstützenswert findet, und wenn ich zugleich die Bilder vor Augen habe, die zeigen, wie diese Chaoten auf Polizisten einprügeln, bei friedlichen Demonstrationen die Leute aufhetzen und aggressiv Stimmung machen. (Zurufe von der LINKEN) Das ist unerträglich und zeigt, dass sich die Linke in Teilen nicht von der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung verabschiedet hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittens: Das ist leider ein Punkt von außenpolitischer Tragweite. Es gibt starke Verbindungen zwischen Teilen der Linken und verbotenen ausländischen Guerilla-Organisationen und der PKK. (Zuruf von der LINKEN: Ja, ja, ja!) Die PKK ist in Deutschland seit längerer Zeit verboten. Auf europäischer Ebene bezeichnen es die Funktionäre der PKK als ein wichtiges Ziel, dass Abgeordnete der Linken in Deutschland in die Parlamente gewählt werden. Ich fordere Sie auf, diese Verbindungen zur PKK endlich zu beenden, auch im Interesse einer guten Zusammenarbeit mit der Türkei. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der LINKEN) Viertens: Unzureichend ist die Distanzierung von Unrechtsstaaten: die nach wie vor mangelhafte Distanzierung vom Unrechtsstaat DDR (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) oder die mangelhafte Distanzierung vom Unrechtsstaat Kuba. (Zuruf von der LINKEN: Wer liefert Waffen nach Saudi-Arabien?) Da werden Jubelbriefe und Liebesbriefe geschrieben an Diktatoren und Personen, die Menschenrechte verletzen. Auch das ist unerträglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fünftens – das ist für mich der zentrale Punkt –: Es gibt offen linksextremistische Zusammenschlüsse innerhalb der Partei der Linken. Ich will hier vor allen Dingen das Marxistische Forum und die Kommunistische Plattform nennen. Die entscheidende Frage ist: Welches Gewicht haben diese linksextremistischen Organisationen innerhalb der Partei? Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, dass man sich die Funktionsträger der Partei an höchster Stelle genau anschaut und vor allem darauf achtet, wie sie sich gegenüber diesen linksextremistischen Organisationen verhalten und einlassen. (Zurufe von der LINKEN) Deswegen ist es wichtig, dass wir uns auch die Aussagen der hohen Funktionsträger der Linken genau anschauen. In dem Zusammenhang darf ich den Kollegen Ramelow zitieren, der zu den Themen Kommunistische Plattform und Marxistisches Forum: am 23. Juli 2010 in der Jungen Welt gesagt hat: Die Kommunistische Plattform ist Teil unserer Partei, ebenso das Marxistische Forum; und ich werde mich nicht zu einer öffentlichen Distanzierung nötigen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ein klares Bekenntnis eines hohen, damals wichtigen Funktionsträgers der Linken. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Der ist immer noch wichtig! Bitte ins Protokoll: Herr Ramelow ist immer noch wichtig!) Ich zitiere weiter. Der damalige Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, hat am 20. Juni 2009 gesagt: Es ist sogar wichtig, dass wir die Kommunistische Plattform und die Antikapitalistische Linke in der Partei haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Solche Zitate sind deswegen wichtig, weil wir durch sie erkennen können – auch am Beifall der Abgeordneten, die jetzt hier sitzen –, welches Gewicht diese linksextremistischen Chaoten in der Partei haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Hallo! Hallo! Aufwachen! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Peinlich, peinlich!) Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, dass man sich die Reaktionen der Parteispitze anschaut. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Völlig überfordert, der Minister! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Was war das mal für eine stolze Partei, die CSU!) Nun ist es natürlich so, dass sich bei Abgeordneten die Frage nach dem Abgeordnetenstatus in besonderer Weise stellt. Das freie Mandat, meine Damen und Herren, wird durch den Bundesverfassungsschutz in keiner Weise tangiert. Der Kernbereich der Abgeordnetentätigkeit wird selbstverständlich geschützt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also das Abstimmungsverhalten! Das kann man bei abgeordnetenwatch nachschauen!) Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit – das ist eine beachtliche Grenze – darf der Verfassungsschutz, aufgrund der Anweisung von einem meiner Vorgänger, die ich ausdrücklich bekräftigt habe, nur Material aus offen zugänglichen Quellen sammeln (Diana Golze [DIE LINKE]: Das können wir Ihnen auch geben!) und entsprechend auswerten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was bringt das denn?) Die Beschränkung der Beobachtung auf Führungspersonen der Partei, aus den zuvor genannten Gründen, und auf diejenigen, die Mitglieder von extremistischen Teilorganisationen der Partei sind, halte ich für notwendig. Ich habe bereits gestern vor einer Woche angeordnet – gestern habe ich es mitgeteilt –, dass die Liste der Abgeordneten, die beobachtet werden – der Verfassungsschutz hat sie jetzt zusammengestellt –, unter diesen Aspekten genau überprüft wird. Fest steht in jedem Fall, dass sich diese Demokratie, dieser Staat gegen seine Feinde wehren muss und ein Frühwarnsystem in Form des Verfassungsschutzes dringend notwendig ist. (Zuruf von der LINKEN: „Frühwarnsystem“? Das hat man ja gesehen bei den Nazis!) Dass dieses Frühwarnsystem in der Zukunft richtig funktioniert, dass es stark ist und dem demokratischen Staat dienen kann, dafür werde ich sorgen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: „Frühwarnsystem“? Quatsch! Zehn Jahre gemordet, und ihr habt es nicht gemerkt!) Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Michael Hartmann für die SPD-Fraktion. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Soweit das möglich ist, würde ich uns allen gemeinsam raten, mit etwas weniger Aufgeregtheit und Echauffiertheit an dieses Thema heranzugehen und mit der ganzen Sache etwas deeskalierend umzugehen. Denn ohne Frage: Die Verfolgten und Verfemten sitzen hier eigentlich putzmunter; ihnen geht es gut, sie sind selbstbewusst, und ich habe nicht den Eindruck, dass sie durch geheimdienstliche Maßnahmen in ihrem freien Wort oder bei ihren lauten Zwischenrufen behindert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) Zum anderen sage ich aber – ich weiß, dass es schwer ist, eine mittlere Tonlage zu finden –: Das wichtigste Gut, das wir hier gemeinsam zu wahren haben, ist die Freiheit des Mandates, wie es in Art. 38 GG konstituiert ist, ganz egal, welche Ansichten jemand vertritt. Deshalb muss es möglich sein, dass Abgeordnete frei sind in ihren Äußerungen, in ihrem Agieren gegenüber Interessengruppen, gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, die Schutz suchen und zu ihnen kommen, auch bei Kontakten zu Organisationen und Personen, die man vielleicht nicht besonders mag. Wenn dieser Spannungsbogen nicht ganz falsch beschrieben ist, dann gilt ganz klar – das sollte dieses Haus einen, wie es alle Parlamente einen sollte –: Wir kontrollieren die Exekutive und nicht diese uns. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sage ich: Erstens. Es ist gut, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, dass jene Liste, die jetzt bekannt geworden ist, die, um es offen zu sagen, nicht frei von Peinlichkeiten ist, noch einmal genau angeschaut und hoffentlich auch erheblich verändert wird. Zweitens. Es kann nicht angehen, dass Abgeordnete, die frei gewählt sind, mithilfe verdeckter Maßnahmen beobachtet werden. Ich bin froh, dass unser Bundesamt für Verfassungsschutz das nicht getan hat. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was treiben denn die Bayern?) Ich fordere die Vertreterinnen und Vertreter der Landesverfassungsschutzämter ebenfalls dazu auf, eine solche Praxis zu unterlassen. Sie ist nach meiner festen Überzeugung grundgesetzwidrig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Es geht gar nicht, dass aus der Mitte des Parlaments – nicht von den Fraktionen – entsandte Abgeordnete, die im Vertrauensgremium, das über die Haushalte der geheimen Nachrichtendienste berät, oder im Parlamentarischen Kontrollgremium sitzen, vom Verfassungsschutz oder einer anderen nachrichtendienstlichen Behörde auch nur beobachtet werden; die sind sakrosankt. (Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit kommt es noch!) Mein nächster Punkt. Bei der Liste ist mit Sicherheit nicht überall die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden. Deshalb muss man sich das noch einmal ganz genau anschauen. Man darf eine alte Praxis nicht einfach fortsetzen. Ich sage aber auch: Es ist nicht so, dass der Verfassungsschutz, weil das Mandat frei ist und auch frei sein soll, gar nichts mehr tun darf. Das will ich nicht. Wenn ich beispielsweise in verschiedene Bundesländer des Ostens gucke und mir anhöre, was ein Herr Apfel sagt, und feststelle, welche Verbindungen es zu Kameradschaften und sonst wohin gibt, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) dann will ich, dass der Staat wehrhaft ist und denen auf die Finger guckt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage: Was bei den einen recht ist, muss auch bei den anderen billig sein, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ohne – um nicht missverstanden zu werden – eine Linie zu ziehen. Bei aller verständlichen Aufgeregtheit, die teilweise auch eine Pseudoaufgeregtheit ist, liebe Freundinnen und Freunde von den Linken: Klar ist: Man kann auch daran arbeiten, dass die Neugier und das unberechtigte Beobachten vielleicht etwas reduziert werden. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau, wir treten alle in die CSU ein!) Es regt einen schon auf – das sage ich als Sozialdemokrat –, wenn ein Abgeordneter der Linken, der leider auch einmal unserer Partei angehört hat, bei der Wahl zum Bundespräsidenten in die Kameras sagt, für ihn sei das eine Entscheidung wie zwischen Hitler und Stalin. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Pfui!) Das ist empörend und unanständig, es ist aber nicht grundgesetzwidrig. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte uns allen raten, Herr Minister, dass wir noch einmal genau festlegen, welche Kriterien angemessen sind und welche nicht, dass wir Menschen, die nichts anderes sein wollen als freigewählte, gute und engagierte Abgeordnete, nicht einfach unter Beobachtung stellen, sondern politisch mit ihnen streiten. Ich rate uns allen aber auch, unser Bundesamt für Verfassungsschutz nicht pauschal und per se zu verunglimpfen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Beste Lösung ist: Auflösen!) Die Mitarbeiter setzen einen gesetzlichen Auftrag um. Jede Gleichsetzung ist mindestens unangemessen und auch geschmacklos. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich kenne dort viele Mitarbeiter, die engagiert, überzeugt und empört gegen Nazis kämpfen. Sagen Sie bitte nicht, dass die blöd oder unfähig seien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Art. 38 Grundgesetz schützt den freien Abgeordneten. Wir, die wir hier als Abgeordnete reden, sollten diesen Schutz sehr ernst nehmen. Der Schutz eines jeden freien Abgeordneten bei seiner Mandatsausübung ist ein sehr hohes und in unserer Geschichte leider oft genug missachtetes Gut. Meine Damen und Herren von der Linken, ich habe aber nicht den Eindruck, dass Sie, so selbstbewusst und so zahlreich, wie Sie hier sitzen, in irgendeiner Form darunter leiden, dass Ihr freies Mandat eingeschränkt wird. Ich glaube, Sie üben es sehr aktiv aus. Die Einschränkungen, bei denen wir in der Tat sehr wachsam sein müssen, betreffen Sie nicht wirklich. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Und ihr seid eine Bürgerrechtspartei?) Man kann nun die Frage stellen, ob es überhaupt möglich sein soll, Abgeordnete zu beobachten. Diese Frage haben mehrere Gerichte klar beantwortet. Sie haben gesagt: Ja, wenn Anhaltspunkte bestehen, dann ist es zulässig, auch frei gewählte Abgeordnete zu beobachten. Ich sage ausdrücklich: Ich halte diese Rechtsauffassung verfassungsrechtlich für richtig. Insofern tun wir hier etwas, was mit unserer Rechtsordnung und mit Art. 38 Grundgesetz im Einklang steht. Es ist nicht, wie Sie hier insinuieren wollen, etwas in irgendeiner Form Verfassungswidriges. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Mir scheint fast, Sie sind froh, dass Sie ein Thema gefunden haben, hinter dem Sie sich einig versammeln können. Ihre Empörung lenkt ab von allen Differenzen, die sich in Flügelkämpfen zwischen Realos Ost und West zeigen; denn da gilt die Empörung bei allen gleichsam. Insofern scheint mir das von Ihnen hochgezogene Thema etwas künstlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte Frau Leutheusser das auch erzählt?) Herr Friedrich hat ausdrücklich recht, wenn er sagt: Sie haben es selbst in der Hand. – Ich komme aus der Kommunalpolitik. Ich habe 20 Jahre kommunalpolitische Erfahrung. Als die Linken dort aufgetreten sind, war ich nicht erfreut. Aber ich war auch nicht so geschockt. Als ich in den Bundestag eingezogen bin, habe ich immer wieder Erfahrungen gemacht, bei denen mir der Mund offen stehen geblieben ist. Ich konnte einfach nicht glauben, dass am Tag der Befreiung von Ausch-witz einige Abgeordnete bei Ihnen nicht aufstehen, dass Sie Gewalt in Berlin hier in dem einen oder anderen Fall durchaus unterstützen. Insofern haben Sie es selbst in der Hand. Wenn Sie Ihr Verhältnis zu Gewalt und Demokratie glasklar klären, beobachtet Sie nie mehr jemand. Aber da Sie es nicht geklärt haben, muss diese Beobachtung in Teilen fortgesetzt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]) Übrigens haben diese Auffassung auch alle Regierungen unter Rot-Grün, unter Schwarz-Rot und jetzt unter Schwarz-Gelb geteilt. Ich kenne auch keine Initiative der Grünen, die beispielsweise an der entsprechenden Gesetzgebung auch nur irgendeinen Deut hat ändern wollen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einstellen! Das sagen wir jedes Mal!) Insofern scheint es einen doch breiten demokratischen Konsens zwischen den Fraktionen dieses Hauses zu geben, dass eher Sie da Ihre Positionen überdenken, als dass wir Gesetze überdenken müssen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe große Achtung vor Menschen, die eine Vergangenheit in der DDR haben und die diese Vergangenheit aktiv aufarbeiten wollen, die sich ihrer Vergangenheit stellen. Insofern habe ich auch große Achtung vor einzelnen Ihrer Abgeordneten, die diesen Prozess aus meiner Sicht sehr verantwortungsbewusst und durchaus mit einem kritischen Blick auf die Vergangenheit angehen. Leider scheint es aber so zu sein, dass diese Abgeordneten bei Ihnen zunehmend ins Hintertreffen und in die Minderheit geraten. Leider ist bei dem Prozess zwischen etwas merkwürdigen Westdeutschen und teilweise vernünftigen Ostdeutschen zu erkennen, dass dabei eher die radikaleren Kräfte die Oberhand gewinnen. Auch das spricht für eine weitere Beobachtung durch den Verfassungsschutz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Anstatt sich über andere zu beschweren, haben Sie es also selbst in der Hand, mit klaren Bekenntnissen gegen Antisemitismus, mit unterlassenen Solidaritätserklärungen zu Fragen der iranischen oder syrischen Politik, bei Themen, die ein glasklares Verhältnis zur Gewalt zum Ausdruck bringen, sich dieser Beobachtung dauerhaft zu entziehen. Ich fordere Sie auf: Nutzen Sie diese Chance! (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch alles nicht verfassungswidrig!) Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist: Ich glaube, die Liste muss in der Tat überarbeitet werden. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Mir scheint es, dass nicht jeder, der dort draufsteht, zu Recht dort draufsteht. Gerade die Abgeordneten, mit denen ich zusammenarbeite – Frau Pau, Frau Wawzyniak oder andere –, finde ich, gehören auf diese Liste nicht drauf. Die FDP fordert eine Einzelfallprüfung. Die zuständigen Gremien sollten sich eine Meinung darüber bilden. Dann sollten nur noch die beobachtet werden, die auch tatsächlich zu beobachten sind. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Namen!) Über allem steht die Freiheit des Mandats. Dafür werden wir immer kämpfen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, hört sich nicht so an!) Dafür werden Sie uns immer an Ihrer Seite haben. Bei der Mandatsausübung muss jeder frei sein. Aber er darf diese Freiheit nicht dazu nutzen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung subkutan zu bekämpfen. Da werden wir Sie immer stellen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Parlament muss die Geheimdienste überwachen, nicht umgekehrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) So dilettantisch, wie der Verfassungsschutz nach rechts gearbeitet hat – das werden wir nachher diskutieren –, so irrational verhält er sich bei der Bekämpfung eines angeblichen linken Extremismus bei der Linkspartei. Das einzige Argument, das Sie in dieser gesellschaftlichen Debatte geäußert haben, Herr Friedrich, was für die Beobachtung spricht, ist: Was wir rechts gegen die NPD tun – das haben Sie hier gerade gesagt –, das müssen wir bei der Linken auch tun. Ja, glauben Sie denn im Ernst, diese Fraktion, diese Partei sei eine Gefahr für die Demokratie und darauf ausgerichtet, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen? Das ist doch Stuss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Ich bin wirklich keiner, der eine Auseinandersetzung mit bestimmten Positionen in der Linksfraktion scheut. Diese Auseinandersetzung müssen Sie führen; die müssen wir auch intern führen. Da werden zum Teil absurde Positionen vertreten, antisemitische Positionen, zum Teil auch ein kruder Retroantiimperialismus. Darüber muss man reden, aber das ist keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Gesetzes, und das ist kein Fall für den Verfassungsschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn man sich diese Berichte anschaut, denkt man: Da sitzen sieben hochbezahlte Leute im Bundesamt für Verfassungsschutz und erstellen jedes Jahr per „Copy and paste“ ein Update des Kapitels über die Linkspartei. Informativ ist das, was ich da gefunden habe, nicht. Ich weiß viel mehr über die. Dazu brauche ich keine Zettelsammelstelle im Bundesamt für Verfassungsschutz. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Herr Friedrich, Sie haben vorhin schlichtweg die Unwahrheit gesagt, als Sie gesagt haben, Sie müssten die Personen, die besonders gefährliche, besonders extreme und besonders krude Positionen vertreten, beobachten. Wenn man sich die Liste ansieht, stellt man fest, dass das mit zwei Ausnahmen das Who’s who des Reformerflügels ist. Auf der Liste steht ein Bartsch, von dem die Kollegin Hänsel sagt, er solle lieber zur FDP gehen, weil er so zentristisch argumentiert. Auf der Liste steht auch eine Petra Pau, unsere Vizepräsidentin, die wir mit der Mehrheit dieses Hauses gewählt haben, die an staatstragendem Charakter von kaum einem hier im Haus übertroffen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Was macht die auf der Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes? Das ist doch wirklich absurd. Dass der Verfassungsschutz sich erdreistet – ich habe gehört, dass in dieser Akte gar nichts wirklich Wichtiges steht –, ein Mitglied des Vertrauensgremiums zu beobachten, das die Aufgabe hat, die Geheimdienste in haushalterischer Hinsicht zu beobachten, das verkehrt die Dinge wirklich ins Gegenteil. Da versucht der Geheimdienst, seine eigenen Kontrolleure zu beobachten. Das tangiert die Integrität der parlamentarischen Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Diese Maßnahmen sind willkürlich und ungerechtfertigt. Mit der Linkspartei muss man sich politisch auseinandersetzen. Die Beobachtung und Überwachung durch den Geheimdienst können Sie getrost einstellen. Das sollten Sie unverzüglich tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Diskussion hat aber auch einen wichtigen parlamentsrechtlichen Kern, und der geht nicht nur die Mitglieder der Linkspartei und der Linksfraktion an. Man kann nicht ausschließen – da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Hartmann –, dass es Situationen gibt, in denen ein einzelner Abgeordneter vom Geheimdienst überwacht wird, zum Beispiel dann, wenn er für einen feindlichen Geheimdienst arbeitet. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das steht im Verfassungsschutzgesetz!) Das hatten wir schon in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Da müssen wir uns natürlich wehren, um gegebenenfalls eingreifen zu können. Das ist richtig. Bei jedem Immunitätsfall, wenn Kollegen mit ihrem Auto mal einen Spiegel eines anderen Autos abfahren und vergessen, ihre Karte zu hinterlassen und die Polizei anzurufen, muss der Staatsanwalt zum Präsidenten kommen und sagen: „Ich beantrage die Aufhebung der Immunität“, um überhaupt mit strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen beginnen zu dürfen. Aber wenn Abgeordnete überwacht und beobachtet werden, erfahren wir das akzessorisch, vielleicht im PKGr. Dann darf es aber keiner sagen, und das Hohe Haus erfährt davon nichts. Ich meine: Wir brauchen analog zum Immunitätsrecht ein Verfahren, in dem Maßnahmen der Geheimdienste gegen frei gewählte Abgeordnete des deutschen Volkes genehmigt werden müssen, vom Präsidium oder vom Immunitätsausschuss – das ist mir gleich; da kann man sich verschiedene Konstruktionen vorstellen. Aber: Ohne Genehmigung des Deutschen Bundestages darf kein frei gewählter Abgeordneter, aus welcher Partei oder welcher Fraktion auch immer, vom Geheimdienst beobachtet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das werden wir vorschlagen. Das ist eine Frage der Freiheit des Mandats. Es darf nicht sein, dass die Exekutive das Parlament kontrolliert, dass sich die Exekutive ein Parlament hält und die Opposition beobachten kann. Damit muss endgültig Schluss sein. Dafür werden wir kämpfen. Dabei geht es nicht um die Linke, sondern es geht um die Freiheit des Deutschen Bundestages. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nie wieder „Bündnis 90“! Streicht den Namen „Bündnis 90“!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Beck, das war ein ganz merkwürdiger Auftritt: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) der Kämpfer für die Freiheit des Abgeordneten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag und dort im Innenausschuss. Seit 1995 findet jedes Jahr im Innenausschuss der Bericht des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz statt. Manche hören nicht zu. Es ist auch manchmal langweilig; das gebe ich zu. Jedes Jahr wird dort vom Präsidenten des Verfassungsschutzes über die Beobachtung der Linken und über das, was dabei festgestellt wurde, berichtet. (Zurufe von der LINKEN) Wie Sie hier Beobachten und Überwachen in einen Topf werfen und umrühren und mal gegen die Beobachtung, mal gegen die Überwachung kämpfen und dabei immer insinuieren, als wären Abhören und ähnliche nachrichtendienstliche Mittel im Spiel, das ist nicht korrekt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind doch Überwachungsprotokolle mit drin! Warum sind da Akten geschwärzt? – Zurufe von der LINKEN) Ich nehme Ihnen das nicht übel; denn man muss wohl Jura studiert haben, um bestimmte Dinge bewerten zu können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Bundesverwaltungsgericht hat all diese Maßnahmen – Herr Wieland, Sie kennen das Urteil – (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und sage jedes Mal: Die Beobachtung soll aufhören!) überprüft. Das Gericht hat gesagt: Das Beobachten der Partei Die Linke ist rechtmäßig. Das Gericht hat weiter geurteilt und gesagt: Das Beobachten eines Abgeordneten Ramelow der Partei Die Linke ist rechtmäßig. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen kann es trotzdem Quatsch sein!) Das Gericht hat aber auch das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative – dieses Thema wurde hier gerade behandelt – sehr sensibel herausgearbeitet. Es hat gesagt, dass das natürlich ein delikater Vorgang ist, weil die Legislative die Exekutive überwacht und nicht umgekehrt. Deswegen müssen wir das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei diesem Beobachtungsvorgang sehr präzise zur Anwendung bringen. Genau dies wird gemacht. Wenn die Fraktion Die Linke, die heute in voller Kampfstärke angetreten ist, (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nicht alle! – Zurufe von der LINKEN) glaubt, ihr würde schreckliches Unrecht in diesem Rechtsstaat widerfahren, dann rate ich Ihnen: Gehen Sie doch vor Gericht und versuchen Sie zu erreichen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung korrigiert wird. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Wir sind beim Bundesverfassungsgericht!) Sie wird nicht korrigiert, Herr Gysi. (Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Ich meine, dies ist richtig. Sie sind führender Vertreter der zu beobachtenden Partei, in der es eine große Anzahl von Verfassungsfeinden gibt. (Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Mit denen sind Sie nicht im Reinen, Sie haben sie aber nicht aus der Partei geworfen. Sie trauen sich nicht, den Streit mit denen aufzunehmen und zu sagen, dass Sie mit denen nichts zu tun haben wollen. Die Vorstellung, wir hätten in der CDU oder in der CSU Rechtsradikale und hätten nicht den Mut, sie rauszuschmeißen, würde Sie alle mit Recht empören. Aber Sie haben nicht den Mut, die Linksextremen, die Verfassungsfeinde rauszuschmeißen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die machen Gesetze, die verfassungswidrig sind! Alle miteinander macht ihr das!) Herr Gysi, ich halte es für richtig, dass Ihr Wirken in der Partei Die Linke daraufhin beobachtet wird, ob Sie obsiegen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach dem Motto können wir Sie auch überwachen!) Mit großer Aufmerksamkeit haben wir Ihre Rede im Jahr 2008 vor der Rosa-Luxemburg-Stiftung nachgelesen. Sie haben da sehr kluge Sätze gesagt. Sie haben gesagt, Herr Gysi: Wenn es der Partei Die Linke nicht gelingt, mit Israel und den Juden in Deutschland ins Reine zu kommen, wenn es ihr nicht gelingt, den Antisemitismus in der Partei Die Linke zu bekämpfen, wird sie niemals in Deutschland eine Chance bekommen, die Regierung zu übernehmen. – Das haben Sie gesagt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was hat das mit Überwachung zu tun?) Jetzt geht es um Folgendes: Der Verfassungsschutz hat den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Antisemitismus in relevanten Kräften in der deutschen Parteienlandschaft nie mehr zum Tragen kommt. (Zurufe von der LINKEN) Das ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes. Jetzt geht es darum, ob Sie in Ihrer Partei im Kampf gegen Antisemitismus siegen oder verlieren, Herr Gysi. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dafür brauchen wir den Verfassungsschutz nicht und Sie auch nicht! Sie sind noch im Kalten Krieg!) Wir sollten das Prinzip unserer wehrhaften Demokratie ernst nehmen. Ich finde es töricht, die gesetzlich dafür zuständige Behörde, den Verfassungsschutz, in Misskredit zu bringen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das machen die schon selber!) Wir brauchen eine solche Behörde möglicherweise mehr denn je. Wenn die Verfassungsfeinde von rechts, was Gott verhüten möge, eines Tages in dieses Hohe Hause einziehen, dann erwarte ich vom Verfassungsschutz, dass er diese Partei und auch die Bundestagsabgeordneten dieser Partei nach allen Regeln der Rechtskunst, wie es in dem Urteil im Einzelnen abgehandelt wurde, beobachtet. (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt dem Grunde nach keinen Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Linksextremismus. (Widerspruch bei der LINKEN) Die Franzosen sagen mit Recht: Les extrêmes se touchent. – Es gibt genügend Beispiele für Rechtsextreme und Linksextreme, die von „ganz rechtsextrem“ nach „ganz linksextrem“ oder in die andere Richtung gewandert sind. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Allerdings!) Sie kennen einen, Herr Ströbele. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie auch!) Mahler heißt er. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kennen den auch! Der hat ja sogar einen ganzen Kreis gemacht!) Ich wiederhole: Les extrêmes se touchent. Wir müssen sie alle bekämpfen. Das nennt man wehrhafte Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Fritz Rudolf Körper für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fritz Rudolf Körper (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen Begriff, der in dieser Debatte gefallen ist, aufgreifen. Ich glaube, es waren die Kollegen Korte und Beck, die von „Inlandsgeheimdienst“ geredet haben. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ja auch richtig!) Ich bin froh, dass wir keinen Inlandsgeheimdienst haben, sondern ein Bundesamt für Verfassungsschutz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das denn kein Geheimdienst? Wo ist der Unterschied? – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie mir mal in drei Worten den Unterschied!) Ich sage sehr deutlich: Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist vom Gesetzgeber legitimiert. Das Bundesverfassungsschutzgesetz ist im Jahre 1990 mit großer, breiter Mehrheit im Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Auch die Novellierung, die im Jahre 2007 stattfand, ist mit großer, breiter Mehrheit vereinbart worden. Das ist die Legitimation des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das ist eine demokratisch zustande gekommene Legitimation. Ich denke, das sollte man festhalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) An einer Stelle unterscheidet sich die Situation in Deutschland von der in anderen Ländern dieser Welt. In Deutschland gibt es eine parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Diese findet in einer Art und Weise statt, die kein anderes Land dieser Welt vorweisen kann. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Ich denke, darauf können wir stolz sein. Wenn in der parlamentarischen Kontrolle etwas verbesserungswürdig ist, dann sollten wir es verbessern. Aber die Tatsache, dass es in Deutschland eine parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste gibt, ist, glaube ich, erwähnenswert. Ich kann die Aufregung über diesen Vorgang nicht ganz verstehen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirklich nicht?) Denn die Beobachtung der Linkspartei ist in den Berichten des Bundesverfassungsschutzes seit dem Jahre 1995 ausgewiesen; (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schlimm genug!) das spricht für uns. Es spricht auch für uns, Frau Lötzsch, dass das, was beobachtet worden ist, nicht im Geheimen verschwunden ist, sondern öffentlich bzw. in öffentlich zugänglichen Publikationen präsentiert wird. Es wird sehr deutlich gemacht, wo die Kritik ist und wo Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung festzustellen sind. Ich denke, dies ist die Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) Ich will zugeben: Ich hätte mir gewünscht, dass der eine oder andere Redner in dieser Debatte in die Leitsätze, die das Bundesverwaltungsgericht Leipzig im Jahre 2010 formuliert hat, hineingeschaut hätte. Ich kann diese Leitsätze, die aus zwei ganz wesentlichen Punkten bestehen, nur kurz wiedergeben. Sie betreffen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und den Schutz des Kernbereiches parlamentarischer Arbeit. Was die Verhältnismäßigkeit betrifft, kommt es entscheidend darauf an, festzulegen, welche Mittel und Methoden beispielsweise das Bundesamt anwenden darf, und zwar dann, wenn es um Mandatsträger wie Bundestagsabgeordnete geht. Hier sind die Grenzen sehr eng gesetzt. Es darf nur zu einer offenen Beobachtung kommen. Nachrichtendienstliche Mittel sind ausdrücklich ausgeschlossen und verboten. Daran hat sich das Bundesamt für Verfassungsschutz gehalten. Gleiches gilt für den Schutz des Kernbereichs parlamentarischer Arbeit. Da mich Herr Kollege Gysi – vielleicht hört er mir jetzt noch einmal zu – gefragt hat: „Wie ist das, wenn ich ein Gespräch in meinem Wahlkreisbüro führe?“, sage ich: Das ist nicht Gegenstand einer offenen Beobachtung. Dafür wären nachrichtendienstliche Mittel notwendig. Diese sind an dieser Stelle aber ausdrücklich untersagt. Ich denke, es ist wichtig, darüber sachlich miteinander zu reden und deutlich zu machen, was gegeben und was nicht gegeben ist. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ach! Das ist doch absurd!) Diese Liste von 27 Abgeordneten der Linken ist im Übrigen nicht neu. Auf eine Anfrage der Linken hin wurde sie bereits im Jahre 2009 bekannt gegeben. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Auch Quatsch! Das stimmt überhaupt nicht!) Dass diese Liste diskussionswürdig ist, ist überhaupt gar keine Frage; aber es wäre falsch, auf der Grundlage der Liste die Frage zu konstruieren, ob eine offene Beobachtung zulässig ist oder nicht. Ich bin der Auffassung, dass aufgrund der Entwicklungen in der Partei der Linken eine offene Beobachtung gerechtfertigt ist. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja peinlich für einen Sozialdemokraten!) Ob die Zusammensetzung der Liste richtig ist, will ich hier einmal ganz ausdrücklich offen halten. Es ist im Übrigen schwierig, wenn bestimmte Zahlen darüber in die Welt gesetzt werden, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz für die Beobachtung der Linken zuständig sind und wie viele beispielsweise für die Beobachtung der NPD. Hier sind nämlich Zahlen in der Welt, die im Grunde genommen nicht korrekt sind. Das muss man wissen. Sie taugen nicht dafür, einen Vergleich darüber anzustellen, wie wer wo auf welchem Auge besonders gut sieht oder blind ist. Ich denke, hier brauchen wir eine sachliche Debatte. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Mitarbeiterzahlen kommen doch vom Verfassungsschutz selber!) Ich bin der Meinung, wir müssen hier aufmerksam sein; denn die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist ein Wert, der immer verteidigt werden muss. Das müssen alle Demokratinnen und Demokraten gemeinsam tun. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Demokratie lebt von Demokraten und davon, dass sie sich auch gegen Extremisten jeglicher Couleur mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr setzen kann. Eine wehrhafte Demokratie lebt davon, dass sie diese rechtsstaatlichen Mittel auch einsetzt. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das haben wir gesehen!) Dazu gibt es den Verfassungsschutz. Er muss die extremistischen Umtriebe im Auge haben. Genau dafür ist er auch gegründet worden. Dass das den Betroffenen nicht gefällt, verwundert nicht wirklich. Die letzten Monate haben uns gezeigt, dass die Gesellschaft insgesamt wieder wachsamer gegenüber extremistischer Gesinnung sein und dieser entschlossen entgegentreten muss. (Zuruf von der LINKEN: Deswegen liegen Sie auch bei 3 Prozent!) Gerade als Demokraten müssen wir aber auch aufpassen, dass wir nicht über das Ziel hinausschießen. Das gilt für alle Aktivitäten. Die Beobachtung von Abgeordneten ist auch in der Vergangenheit immer ein umstrittener Punkt gewesen. Aber Abgeordnete sind nicht sakrosankt; sie stehen eben nicht über Recht und Gesetz. Sie können damit folgerichtig auch vom Verfassungsschutz beobachtet werden; (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn das Mandat alleine schützt bekanntlich nicht vor extremistischer Gesinnung. Wenn eine Bundestagsabgeordnete der Linken die Staatssicherheit der DDR für ihren Kampf für den Frieden lobt und die Handlanger dieses Unrechtsregimes nach wie vor glorifiziert, dann ist die Verfassungstreue mehr als fraglich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber deswegen geht doch keine Gefahr davon aus!) Die regelmäßigen Aussagen einiger linker Politiker, die die DDR verharmlosen, die das sozialistische Unterdrückungssystem schönreden (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch alles nicht verfassungswidrig!) und bei denen sich die Parteiführung weigert, solche Elemente konsequent auszuschließen, zeigen, wie wichtig eine aufmerksame Beobachtung solcher Umtriebe nach wie vor ist. Die unveräußerliche Menschenwürde eines jeden DDR-Opfers und eines jeden Bürgers gebietet es, hier wachsam zu sein. Herr Beck, ich war schon etwas überrascht, wie wenig Sie sich an das „Bündnis 90“ in Ihrem Namen erinnert haben; denn gerade wenn es darum geht, die Vergangenheit nicht zu verharmlosen, sollten wir an dieser Stelle sehr vorsichtig sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade Bündnis 90 war gegen Geheimdienste! Sie haben das nicht verstanden!) Meine Damen und Herren, die merkwürdigen Veranstaltungen der heutigen Bundesvorsitzenden der Linken, Frau Lötzsch, mit Stasimitarbeitern haben ihr sogar aus den Reihen der Grünen den Vorwurf eingetragen, die Vergangenheit unter den Tisch kehren zu wollen und sich als „heilige Johanna der Alt-Tschekisten“ zu präsentieren. Lieber Herr Wieland, Sie erinnern sich bestimmt an diese Äußerung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Heilige bespitzelt man doch nicht, Herr Kollege!) Vor einem Jahr hat Frau Lötzsch sogar öffentlich über Wege zum Kommunismus schwadroniert, und zwar ausgerechnet in der jungen Welt, die sich im vergangenen Sommer auf der Titelseite für den Bau der Berliner Mauer bedankt hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber doch bizarr und nicht gefährlich!) Frau Lötzsch, da wundern Sie sich noch, dass Sie hier unter Beobachtung stehen? (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ich wundere mich gar nicht!) Genau diese Frau Lötzsch ist noch immer Bundesvorsitzende. Genau diese Frau Lötzsch wurde in Kenntnis dieser Aussagen von der Parteibasis gewählt. Das lässt den Schluss zu, dass in der Partei Die Linke solche verfassungsfeindlichen Haltungen nicht nur punktuell mehrheitsfähig sind, sondern leider offensichtlich von einer breiten Basis unterstützt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Beobachtung der Linken durch den Verfassungsschutz ist aus meiner Sicht deshalb deutlich berechtigt. Es ist zudem kein Urteil über die Verfassungswidrigkeit der Linken, sondern notwendiges Instrument, um darüber Erkenntnisse zu erlangen. Beobachten heißt auch – das hat der Bundesinnenminister zu Recht gesagt –, dass damit nicht automatisch technische Überwachung und geheime Maßnahmen verbunden sind. Eine Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz bedarf besonderer Voraussetzungen; denn sie sind als gewählte Vertreter des Volkes auch zur Kontrolle der Exekutive berufen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Bewerbungsrede als V-Mann?) Klar ist auch, dass die führenden Vertreter der Partei Die Linke, die dem Deutschen Bundestag angehören, bei einer rechtmäßigen Überwachung nicht automatisch ausgenommen werden dürfen und können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht automatisch, aber trotzdem!) Das hat das Bundesverwaltungsgericht auch so festgehalten. Eine besondere Sensibilität braucht es aber schon. Der Kern der Abgeordnetentätigkeit und die Unabhängigkeit dürfen nicht beeinträchtigt werden. Unsere Demokratie muss und wird eine wehrhafte bleiben. Alle Extremisten, ob links oder rechts, alle diejenigen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung angreifen wollen, werden den massiven Widerstand der Demokraten erfahren. (Diana Golze [DIE LINKE]: Was Sie reden, ist nicht freiheitlich und nicht demokratisch! Darüber sollten Sie einmal nachdenken!) Dazu steht die FDP. Das sind wir den Menschen in Deutschland schuldig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Steffen Bockhahn für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Wolff, was Sie gerade gesagt haben, war ja ganz interessant. Aber liberal, freiheitlich und bürgerlich fand ich das nicht. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wenn Sie das definieren, wundert mich das nicht!) Ihre Bundesminister Niebel und Leutheusser-Schnarrenberger scheinen das auch anders zu sehen, wie ich den Verlautbarungen der letzten Tage entnehme. Was wir über Frau Leutheusser-Schnarrenberger gehört haben, kann ich nur schwer glauben; denn der Kollege Ernst saß mit ihr im gleichen Flieger. Der Flieger ist um halb elf gelandet, und der Kollege sitzt hier. An der Verspätung des Flugzeugs kann es also nicht gelegen haben, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger nicht hier ist. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Auch Herr Wolff hat zum Schluss wieder einmal eine totale Gleichsetzung von vermeintlichen Linksextremisten und Rechtsextremisten vorgenommen. Meine Damen und Herren, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass in den letzten Jahren eine Neonazibande mordend durch Deutschland gezogen ist und zehn Leute auf dem Gewissen hat? (Beifall bei der LINKEN) Das ist doch wohl ein Unterschied. Das gleichzusetzen, ist absolut undemokratisch und nicht gerechtfertigt. (Beifall bei der LINKEN) Überlegen Sie bitte einmal, was Sie Leuten unterstellen, die sich in einer Partei engagieren, die sich demokratisch engagieren, die für diesen Rechtsstaat kämpfen! Nur weil Sie der Meinung sind, dass sie die falschen Ziele vertreten, stellen Sie sie unter Generalverdacht. Das ist doch absurd. (Beifall bei der LINKEN) Wissen Sie, Herr Bundesminister Friedrich, Sie haben hier viele komische Sachen gesagt. Auf ein paar will ich eingehen. Es gibt nur ein einziges Urteil, nämlich das des Bundesverwaltungsgerichts, in dem die Beobachtung nicht untersagt wird. In den anderen beiden Urteilen wird sie untersagt. Das sollten Sie noch einmal nachschauen. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Sie haben sich auf die Diktatur des Proletariats bezogen. Ich darf Ihnen kurz etwas erzählen: Im 19. Jahrhundert, als Marx das Kommunistische Manifest und gemeinsam mit Engels Das Kapital schrieb, war es so, dass eine Minderheit die Mehrheit regierte. Die Minderheit war nach Marx die Bourgeoisie, die Mehrheit war das Proletariat. Ziel der Diktatur des Proletariats ist, dass endlich eine Mehrheit die Minderheit regiert, nicht die Minderheit die Mehrheit. (Beifall bei der LINKEN – Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Wenn Sie das undemokratisch finden, dann ist die Frage, wer hier die Verfassungsfeinde sind. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das darf ja wohl nicht wahr sein! So etwas hier in diesem Hause zu sagen!) Ich darf Ihnen sagen: Ihre Aufregung über die PKK finde ich hochgradig spannend. Es war der Westberliner CDU-Mann Lummer, der zu Öcalan gefahren ist, das waren nicht wir. Ihr CDU-Mann Lummer ist zu Öcalan gefahren. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben die FARC angesprochen. Es waren Mitglieder der Partei Die Linke, die in Kolumbien vermittelt und Geiseln aus der Hand der FARC befreit haben. Wenn das nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Überlegen Sie sich einfach genau, was Sie hier erzählen. Vieles davon war nur sehr begrenzt sinnvoll. (Beifall bei der LINKEN) Ich will Sie noch auf etwas anderes hinweisen. Sie haben bisher immer gesagt, es würden nur Parteifunktionäre beobachtet oder überwacht. Schauen wir uns die Liste der 27 einmal an: Gregor Gysi – kein Parteifunktionär; Dietmar Bartsch – kein Parteifunktionär; Jan Korte – kein Parteifunktionär; Kersten Steinke – keine Parteifunktionärin; Roland Claus – kein Parteifunktionär; (Zuruf von der SPD: Aber schon Mitglied!) Paul Schäfer – kein Parteifunktionär. Was ist denn jetzt wahr? Sie belügen das Parlament; nichts anderes tun Sie. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben angeboten, die Liste der 27 noch einmal zu überprüfen. Das war ein schlauer Vorschlag, aber ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit: Es ist kein glaubwürdiges Angebot, wenn Sie willkürlich festlegen, wer sich genehm verhält und wer nicht. Wir werden uns nicht auseinanderdividieren lassen. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir zu den verdeckten Maßnahmen. Ich tue jetzt einmal so, als ob ich Ihnen glaube, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst keine nachrichtendienstlichen Mittel einsetzt; ich kann nämlich nichts Gegenteiliges beweisen. Da aber die Länder inzwischen sogar offen erklären, dass sie das tun, frage ich mich, warum für sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und die Auffassung der Bundesregierung offenbar nicht gelten. Die Frage ist auch, welche Informationen, die aus nachrichtendienstlichen Maßnahmen der Länder gewonnen wurden, vom Bundesamt für Verfassungsschutz genutzt werden. Auch damit wird Ihre Aussage Lügen gestraft, dass Sie sich nicht nachrichtendienstlicher Mittel bedienen würden. (Beifall bei der LINKEN) Es sei mir erlaubt, kurz darauf zu verweisen, dass es im Gegensatz zur Union bei uns niemanden gibt, der noch bis vor wenigen Wochen und Monaten die Oder-Neiße-Friedensgrenze infrage gestellt hat. Das finde ich deutlich verfassungsfeindlich. (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege Uhl, wer wie Sie auf Podien auftritt und meint, die Ursache des Naziterrors in Deutschland sei wohl vor allen Dingen die Masse an Ausländern, die in die Bundesrepublik gekommen sei, (Zurufe von der LINKEN: Pfui!) der sollte sich schwer zurückhalten. (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich abschließend aus der Schweriner Volkszeitung von heute zitieren. Darin schreibt Matthias Hufmann, der des Linksextremismus oder der Nähe zu Linken unverdächtig ist, in einem Kommentar: Die Politiker zu beobachten ist falsch, weil Proporz kein Grund für Überwachung sein darf. Wer die NPD prüft, braucht keinen Rechts-Links-Ausgleich. weil der Blick ins Programm der Partei nicht ausreicht, um Argumente zu finden. Überwindung des Kapitalismus? Dann müsste sich der Verfassungsschutz auch um Heiner Geißler kümmern. … weil der Innenminister drei Motive verheimlicht, die nichts mit der Linken zu tun haben: Er muss sich profilieren, er muss der CSU gerecht werden, er muss die FDP gängeln. weil Hans-Peter Friedrich den Linken alles zutraut, der Demokratie aber nichts. Im Zweifel nicht einmal, sich zu wehren. … Vor allem jedoch ist das Beobachten für den Verfassungsschutz fatal, weil er beim Rechtsextremismus versagt hat – und bei den Linken ganz genau hinschaut. Dieser Eindruck bleibt. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Eine Diktatur ist gut, haben wir jetzt gelernt! Es kommt nur darauf an, von wem aus! Proletariat ist gut!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bockhahn, Sie sind Mitglied des Vertrauensgremiums. Die Vorstellung gerade hat mein Vertrauen nicht gestärkt. Ich weiß nicht, wie es den anderen geht. Es war allenfalls eine gute Schauspielausbildung, die Sie hatten. Die Partei Die Linke wird seit 1995 vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da gab es die Partei noch gar nicht!) Insgesamt vier Bundesregierungen sahen in diesen 16 Jahren die Partei in einem zweifelhaften Verhältnis zu unserer Verfassung. Das ist in den unzähligen Verfassungsschutzberichten nachzulesen. Seit 2009 gibt es zu diesem Sachverhalt auch eine detaillierte Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. Der die aufgeregte Situation in dieser Woche auslösende Spiegel-Artikel beinhaltet über diese Antwort hinaus keine wesentlichen Neuigkeiten. Schon 2009 konnte man erfahren, dass 27 Abgeordnete der Linken beobachtet werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stand in unserer Kleinen Anfrage!) Die von den Linken beantragte Debatte soll wohl erneut eine Antwort auf die Frage liefern, ob es nach 16 Jahren neue Erkenntnisse gibt, die eine weitere Beobachtung nicht mehr rechtfertigen würden. Auskunft gibt das Verfassungsschutzgesetz. Der Minister hat es schon gesagt: Voraussetzung ist, dass linksextremistische Bestrebungen nicht mehr erkennbar sind. Dafür gibt es vier Anhaltspunkte: Erstens. Die Linke hätte dann keine auf Überwindung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtete Programmatik. Was ist die Realität? Im Parteiprogramm vom Oktober 2011 findet sich mit keinem einzigen Wort die freiheitlich-demokratische Grundordnung erwähnt oder gar ein Bekenntnis zur selbigen. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das steht auch nicht im Parteiprogramm der Union!) Stattdessen sehen Sie Ihre strategische Kernaufgabe in einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Jawohl! Bravo!) Hier wird offen bekannt, dass Sie eine Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse in diesem Land anstreben. Zweitens. Die Linke dürfte nicht offen extremistische Zusammenschlüsse innerhalb der Partei fördern; davon war heute schon ein paar Mal die Rede. Ob Kommunistische Plattform, Cuba Sí oder Marxistisches Forum, Sie fordern unverblümt die Stärkung aller Tendenzen in der Partei, die einen Systemwechsel zum Ziel haben. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ist das verfassungsfeindlich?) Inwieweit das übrigens den Deutschen Bundestag beträfe, können wir nur erahnen. Dafür, Herr Korte, sollen die Menschen mit neuen Wortschöpfungen in die Irre geleitet werden. Demokratischer Sozialismus ist für mich ungefähr genauso plausibel wie die Gründung einer neuen Innung für vegetarische Metzger. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das steht im SPD-Programm! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das ist aber ein bisschen schwierig!) Drittens. Bei den Linken müsste es eine klare Abgrenzung gegenüber linksextremistischer Gewalt geben. Wie ist die Realität? – Ich zitiere aus dem Parteiprogramm: Für die Entstehung und Durchsetzung von Klassenmacht sind gewerkschaftliche und politische Organisationen erforderlich, in denen gemeinsame Interessen formuliert und Kämpfe zu ihrer Durchsetzung geführt werden. Es ist Aufgabe der Partei DIE LINKE, diesen Prozess bewusst und aktiv zu fördern. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Jawohl!) Aufrufe zu Straftaten wie „Schottern“ und Publikationen führender Parteimitglieder bei der Antifa (Zurufe von der LINKEN: Oh! Oh! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Gut, dass wir die in den letzten Jahren hatten! Gut, dass es die gibt!) stellen keine Abgrenzung dar, sondern sind nichts anderes als das Hofieren linksextremistischer Gewalt. Frau Wagenknecht hält diese linksautonomen Gruppen immerhin für unterstützenswert. Viertens. Das Thema „ausländische Guerillaorganisation“ haben wir bereits hinreichend beurteilt. Die PKK erhält von Ihnen Solidaritätsbesuche. Castro wird gelobt. Zu den Regimen in Syrien und im Iran gibt es Ihrerseits öffentliche Sympathiekundgebungen. (Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Lüge!) Sie liefern heute wie gestern tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Staates auf vielfältige Weise angreifen. Ich bin daher dem BfV sehr dankbar, derlei Tendenzen ständig zu beobachten und in Berichten zu dokumentieren. Dieses Amt ist dafür sachlich zuständig und verfügt mit § 8 des Verfassungsschutzgesetzes über eine zulässige Befugnisnorm. Genau das haben wir so gewollt, und genau das ist auch gut so. Das einzig Unerträgliche – wenn ich dieses häufig in dieser Woche bemühte Wort wiederholen darf – ist nicht die Arbeit des BfV, sondern es sind die teils wüsten Kommentare einiger Betroffener oder juristisch suboptimal informierter Kolleginnen und Kollegen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie die Justizministerin oder wen?) Die rhetorische Verquickung der Zwickauer Taten mit dem, worüber wir heute diskutieren, ist nichts anderes als absurdes Theater. Die Union wird nicht wie Grünen-Chef Özdemir oder Herr Beck gerade eben in diese plumpe Falle tappen. Den Versuch, diese Taten dazu zu benutzen, linksextreme Taten weichzuzeichnen und den von Ihnen ungeliebten Verfassungsschutz öffentlich zu diskreditieren, meine Damen und Herren von der Linken, haben wir erkannt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Versagen der von Ihnen so hochgelobten Dienste!) Da machen wir nicht mit. Wir werden rechts wie links auf gar keinen Fall kürzer treten. Ob Mordserien, Anschläge auf Bahnanlagen, brennende Autos, Podiumsdiskussionen mit RAF-Terroristen oder fehlendes Bekenntnis zur Verfassung, (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: So ein Quatsch! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist eine Lüge!) wir wissen damit verhältnismäßig umzugehen. Das BfV weiß das ebenfalls. Ich halte übrigens den Vorschlag, der schon gemacht wurde, sich damit im Parlamentarischen Kontrollgremium zu befassen, für angemessen. Sie werden dann feststellen: Die Verhältnismäßigkeit der Mittel wurde gewahrt. Dieses Kontrollgremium ist der richtige Ort, um sich damit parlamentarisch auseinanderzusetzen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Da hätte ich gern Akteneinsicht!) Letzter Punkt. Warum gerade diese 27 Abgeordneten der Linken? Lesen Sie den gestern in der FAZ erschienenen Artikel mit Ihrem ostalgisch verklärten Blick! (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sie sind ja ein ganz Schlauer, was? Ein ganz schlauer Spießer!) Dann kennen Sie genügend Gründe, – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): – warum diese Prominenten überwacht werden, Herr Bockhahn. Es handelt sich um Parteiführer, Parteifunktionäre oder Meinungsführer. Von diesen erwarten wir vorbildliches Verhalten im Sinne des Grundgesetzes in Ihrer Partei. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen! Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Einen entsprechenden Beweis bleiben Sie uns aber seit 16 Jahren schuldig. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Demokrat!) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin hoffentlich völlig unverdächtig, irgendwelche Sympathien für die Linkspartei zu haben. (Zurufe von der LINKEN: Das stimmt!) – Ich bedanke mich für die Zustimmung. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ich sehe das anders!) Aber was uns der Verfassungsstaat Deutschland und das Grundgesetz wert sind, merkt man, glaube ich, dann, wenn man dieses Grundgesetz ernst nimmt und die Rechte von Menschen verteidigt, die vielleicht nicht die eigene politische Meinung vertreten. Da müssen doch einige Dinge klargestellt werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist Teil des Verfassungsstaats Deutschland. Ich finde es richtig, dass wir einen Inlandsnachrichtendienst, einen Inlandsgeheimdienst haben. Er ist ein Teil unseres Verfassungsstaates. Aber das Bundesamt für Verfassungsschutz ist an Recht und Gesetz gebunden, insbesondere an das Grundgesetz. Das kann nicht streitig sein. Ich bin der festen Überzeugung – Herr Kollege Hartmann, darüber darf man sich auch aufregen, finde ich –, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Recht und Gesetz verletzt hat. Ich halte es für eine massive Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wenn 27 Abgeordnete der Linksfraktion beobachtet werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Beobachtung in dieser Totalität ist nach meiner Auffassung unzulässig und rechtswidrig. An dieser Stelle sollten wir uns nicht von Sympathie oder Antipathie, von politischer Nähe oder Ferne leiten lassen. Es geht um zentrale Fragen des Verständnisses vom freien Mandat in Deutschland. Darüber ist hier schon einiges gesagt worden. Ich will noch einmal darauf hinweisen: In Deutschland gibt es – meine Gedanken kommen da denen des Kollegen Beck sehr nahe, was relativ selten ist; aber wenn es nun einmal so ist, dann ist es so – kein Strafverfahren gegen einen Abgeordneten ohne Genehmigung des Parlaments. Dem ist nicht so, weil wir etwas Besonderes wären. Natürlich sind Abgeordnete an Recht und Gesetz gebunden, und wenn wir uns strafbar machen, werden wir verurteilt. So ist das in einem Rechtsstaat. Aber es geht um die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Dass man dafür besondere Schutzvorkehrungen in unserem Grundgesetz schafft, in Art. 38, in Art. 46 und in Art. 47, sollte uns einen, ohne Ansehen der Person. Das verteidige ich selbstverständlich auch dann mit Leidenschaft, wenn es um einen Kollegen der Linkspartei geht. Das sollte uns über alle Grenzen der Fraktionen einen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn es bei Strafverfahren so ist, dass das Parlament mindestens unterrichtet werden muss – warum muss es dann nicht bei der Beobachtung durch einen Nachrichtendienst informiert werden? Das Grundgesetz schweigt an dieser Stelle, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben das gar nicht für möglich gehalten!) aber nicht schweigt der Geist des Grundgesetzes. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Deswegen wäre es an sich konsequent, dass man an dieser Stelle das Grundgesetz demnächst ergänzt. Ob wir dafür eine Zweidrittelmehrheit erhalten, weiß ich nicht. Das wäre eigentlich wunderbar. Der Geist des Grundgesetzes – Art. 38, Art. 46 und Art. 47 – sagt doch: Das Parlament muss mindestens informiert werden, wenn Abgeordnete überwacht werden. Liebe Kollegen von der Linkspartei, es kann überhaupt nicht streitig sein, dass es im Einzelfall sehr wohl möglich sein muss, auch einen Abgeordneten zu beobachten und möglicherweise sogar zu überwachen, wenn es ganz gravierend ist. Dazu sind einige Beispiele genannt worden. Es kommt letztlich auf den Einzelfall an. Aber es muss geregelt werden, dass das Parlament über solche Dinge informiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das kann doch gar nicht anders sein. Ich rate sehr dazu, dass wir darüber nicht parteipolitisch diskutieren. Es geht vielmehr um die Qualität unseres Verfassungsstaats. Dieser ist nicht parteipolitisch orientiert. Der Verfassungsstaat ist eine Sache, die uns alle gemeinsam eint. Herr Ruppert, ich meine, wir tun gut daran, wenn wir uns zusammenrotten und, was uns vielleicht gar nicht so naheliegt, die Rechte der Kollegen der Linkspartei verteidigen. Nur dann merkt man doch, was uns der Verfassungsstaat Deutschland wirklich wert ist, wenn wir uns für diese Leute einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darüber darf man sich aufregen, und darüber rege ich mich auf. Wenn diese Liste von Ihnen, Herr Minister Friedrich, jetzt überprüft wird, dann ist das das Minimum dessen, was geschehen muss. Ich halte es auch für angebracht, sich zu entschuldigen, weil ich es für völlig überzogen halte, was da geschehen ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Serkan Tören [FDP]: Die in Ihren Reihen klatschen gar nicht mehr!) – Ja und? Was wollen Sie damit sagen? Was wollen Sie damit behaupten? (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Machen Sie mal ein Kolloquium mit Ihrer Partei!) – Ich vertrete hier meine persönliche Auffassung. Ich begrüße es sehr, dass das Bundesverfassungsgericht angerufen wird, weil endlich höchstrichterlich und nicht nur von dem von mir sehr respektierten Bundesverwaltungsgericht geklärt werden muss, was an dieser Stelle möglich ist und was nicht, und ich rate sehr, die besondere parlamentsrechtliche und die herausgehobene verfassungsrechtliche Stellung des Abgeordneten in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Jedenfalls erhoffe ich mir an dieser Stelle Klarheit und Wahrheit, und ich bitte sehr darum, dass wir alle gemeinsam die Rechte der Parlamentarier verteidigen. Schönen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst möchte ich auf den Kollegen Korte eingehen. Herr Kollege Korte, wenn die Linkspartei die letzte Partei in Deutschland ist, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigt, dann möchte ich – das sage ich Ihnen ganz offen – in diesem Land nicht mehr leben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Auf Wiedersehen!) Nun zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Wiefelspütz. Ich habe Ihre triefenden Bedenken mit Interesse zur Kenntnis genommen. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass Sie in den sieben Jahren, als Rot-Grün am Ruder war, jemals diese Bedenken und diese Aufregung artikuliert haben, dass Sie jemals dem damaligen SPD-Bundesinnenminister Schily widersprochen haben. Aber selbstverständlich wurden auch in seiner Amtszeit ein paar Abgeordnete der Linkspartei beobachtet. Wo war denn Ihre Aufregung, Ihr Echauffieren damals? (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Wir haben dazugelernt!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herrn Fromm, vollkommen recht, wenn er von künstlicher Aufregung spricht, die angesichts dieser Thematik in dieser Woche Deutschland ereilt. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ganz so banal ist es auch wieder nicht!) Ich sage ganz offen: Ich habe Verständnis für die Aufregung eines Kollegen der Linkspartei, nämlich des Noch-Parteivorsitzenden Ernst. Herr Ernst, Ihre Nichterwähnung auf der Liste besorgt Sie natürlich zu Recht. Diese Nichterwähnung zeigt aus meiner Sicht auch sehr deutlich, welche Bedeutung Sie in der Linkspartei überhaupt noch haben. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Das ist ja schon unverschämt!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Woche ist nichts Neues zutage gefördert worden. Seit 1995 werden Abgeordnete der Linkspartei durch die Verfassungsschutzämter beobachtet. Auf diese Feststellung lege ich Wert. Der Umstand, dass in dieser Woche so eine große Aufregung ist, dass so ein großes Echauffieren stattfindet, lässt für mich nur zwei mögliche Rückschlüsse zu. Die eine Möglichkeit ist, dass die Vorwürfe vollkommen unberechtigt sind, dass die Linkspartei keinerlei verfassungsfeindliche Tendenzen aufweist, dass Sie alle eine weiße Weste haben, dass Sie alle Unschuldslämmer sind, dass es keinerlei verfassungsfeindliche Strömungen in Ihrer Partei oder Ihrer Fraktion gibt. Wenn ich mir aber die letzten Monate vor Augen führe, kann ich diese Möglichkeit nicht für realistisch halten. Es gab deutliche relativierende Äußerungen zur DDR-Vergangenheit, insbesondere zum Mauerbau. Es gab offenkundige relativierende Äußerungen von Mitgliedern der Linkspartei zum Existenzrecht Israels. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt hier „offenkundig“?) Es gab eine hemmungslose Ergebenheitsadresse anlässlich des Geburtstags des ehemaligen kubanischen Diktators Fidel Castro, und Teile Ihrer Fraktion äußerten offene und ungeschminkte Sympathie mit den Diktaturen und Diktatoren in Syrien und im Iran. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Lüge! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat aber die CDU eine bessere Vergangenheit! Wesentlich reichhaltiger!) Folglich bleibt für mich nur die Alternative übrig: Teile der Linkspartei, einzelne Gruppierungen der Linken, werden völlig zu Recht und gesetzeskonform von den Verfassungsschutzämtern beobachtet. Dies wurde auch durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2010 eindeutig bestätigt, in dem festgestellt wurde, dass die Beobachtung des Abgeordneten Bartsch durch das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nur rechtmäßig, sondern auch erforderlich ist. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ramelow!) Ich erlaube mir, aus dem Urteil zu zitieren: Anhaltspunkte für Bestrebungen einer Partei, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nicht nur dann gegeben, wenn die Partei in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet; … auch dann …, wenn solche Bestrebungen nur von einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei ausgehen. Ferner ist festzuhalten, dass der Umstand, dass einzelne Abgeordnete beobachtet werden, nicht automatisch bedeutet, dass sich die betreffenden Abgeordneten verfassungsfeindlich verhalten oder Staatsfeinde sind. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr sehr eindeutig herausgearbeitet, dass es im Einzelfall sogar notwendig und erforderlich ist, die Parteifunktionäre, die Fraktionsfunktionäre, also diejenigen, die Spitzenpositionen einnehmen, zu beobachten, um festzustellen, inwiefern radikale, verfassungsfeindliche Strömungen innerhalb der Partei oder der Fraktion bedeutender werden und vielleicht sogar die Oberhand gewinnen. Ich darf beispielsweise Frau Sahra Wagenknecht zitieren, die zwar ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform, die immerhin 1 200 Mitglieder hat, ruhen lässt, aber deutlich darauf hingewiesen hat, dass sie die Ziele der Kommunistischen Plattform nach wie vor uneingeschränkt unterstützt, nämlich notfalls auch auf radikalem Weg einen Systemwechsel in unserem Land zu bewirken. Sie wirbt offen dafür, linksextremistische, autonome Gruppen in ihre eigene Partei zu integrieren, um – ich zitiere – „eine vielfältige Protestkultur gegen Neoliberalismus und Kapitalismus“ zu schaffen. (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist doch nicht verfassungsfeindlich! – Weitere Zurufe von der LINKEN) In einem Text der Jugendorganisation der Linken wird zwischen Reform und Revolution kein Widerspruch gesehen und skrupellos schwadroniert, dass im Kampf für einen Systemwechsel alle Mittel recht seien. Die Parteivorsitzende Lötzsch führte im Januar letzten Jahres in einem vorab veröffentlichten Beitrag zu einer Podiumsdiskussion zur Rosa-Luxemburg-Konferenz (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das hatten wir doch alles schon! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch aus der Zeitung!) unter anderem aus – ich zitiere –: Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir … sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es zeigt sich eindeutig: Es gibt nach wie vor verfassungsfeindliche Tendenzen, Strömungen innerhalb der Partei Die Linke, und es ist infolgedessen nach wie vor sachgerecht und, wie gesagt, sogar erforderlich, die Linkspartei durch die Verfassungsschutzämter zu beobachten. (Beifall bei der CDU/CSU – Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Abschließend möchte ich mir schon noch erlauben, zu sagen: Herr Kollege Gysi, wie Sie in dieser Woche das Bundesamt für Verfassungsschutz und vor allem seine Mitarbeiter diskreditiert haben, das ist wirklich unanständig und ungehörig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Begriffe wie „schwere Meise“, „ballaballa“ und „Pfeifenverein“ (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) werden als unangemessen empfunden. Sie haben damit den Verfassungsschutz und seine Mitarbeiter in höchstem Maße diskreditiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann Sie an dieser Stelle wirklich nur auffordern: Klären Sie endlich Ihr Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur sozialen Marktwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Peinliche Rede! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schlechter als die vorhergehende Rede kann es eigentlich nicht mehr werden!) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Erstes möchte ich mich bei dem Kollegen Körper dafür bedanken, dass er vorhin den Unterschied zwischen dem Verfassungsschutz und einem x-beliebigen Geheimdienst herausgearbeitet hat. Die heutige Debatte hat wohl ein Stück weit das Ziel, an der Gleichsetzung von Verfassungsschutz und Staatssicherheit zu werkeln. (Lachen bei der LINKEN) Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin meine Akten geschenkt. Wenn Sie sie sich ausleihen, können Sie sehen: Ich bin 16 Jahre lang persönlich vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet worden. (Zuruf von der LINKEN: Wir auch!) Das Ministerium für Staatssicherheit hat sich damals nicht darauf beschränkt, Zeitungsausschnitte aus dem Neuen Deutschland auszuschneiden, sondern es hat Freundeskreise, Liebschaften, Familien und überhaupt alles ruiniert, was man an zwischenmenschlichen Beziehungen in Ostdeutschland aufgebaut hat. Deshalb ist dieser Vergleich, wie gesagt, fehl am Platz. Es ist aber richtig, dass wir uns nach 1990 ernsthaft Gedanken gemacht haben, ob man nicht auf einen Verfassungsschutz verzichten kann. Das zu fordern, daran hat uns allerdings die Überlegung gehindert, dass wir im letzten Jahrhundert in Deutschland insgesamt nur 26 Jahre lang Demokratie und 56 Jahre lang Diktatur hatten. Von diesen 56 Jahren herrschte 12 Jahre eine schreckliche faschistische Diktatur und 44 Jahre eine etwas anders geartete linke Diktatur. (Zuruf von der LINKEN: Etwas!) Vor diesem Hintergrund erwarte ich von meinem Staat, dass er sich die Frage stellt: Auf welche Weise können wir Demokraten verhindern, dass sich die Demokratie jemals wieder selber abschafft? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür ist ein Verfassungsschutz notwendig, und dafür ist, glaube ich, auch die heutige Diskussion notwendig. Lieber Herr Kollege Beck, Sie haben vorhin eine interessante Rede gehalten. Ich kenne Sie als einen Redner, der sehr scharfsinnig argumentiert. Aber ich habe von Ihnen noch nie eine so schwache Argumentation von diesem Pult aus gehört wie die vorhin. Sie haben es uns quasi verboten, die Beobachtung der NPD und die Beobachtung der Linksabgeordneten in irgendeiner Weise zu vergleichen; denn von den Linken gehe keine Gefahr für die Demokratie aus. Sie haben gesagt, es sei Stuss, so etwas zu behaupten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von diesen hier nicht!) – Ja, genau, von diesen Linken. Das haben Sie gesagt. Was Sie sonst immer tun, haben Sie dieses Mal nicht getan: Sie haben Ihre Behauptung nicht begründet. Jetzt möchte ich Ihnen einmal sagen, warum ich in dieser einen Frage völlig anderer Auffassung bin als Sie. Sie wissen, dass die Bundesrepublik in den 70er-Jahren von einer Welle des Linksterrorismus erschüttert worden ist. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das sind doch nicht die da drüben!) Sie wissen, dass wir im Jahre 1990 plötzlich feststellen mussten, dass ein Teil der untergetauchten Linksterroristen damals in der DDR lebte. (Zurufe von der LINKEN) Da haben wir gedacht, das ist eine bedauerliche Sache und wird den Linken sehr peinlich sein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nicht gesagt, dass es von links keine Gefahr gibt! Aber nicht von dieser Partei, die so heißt!) Was haben wir dann als Nächstes festgestellt? Am 8. Januar vorigen Jahres tauchte Frau Inge Viett auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz auf und sagte, das Abfackeln von Militärfahrzeugen sei durchaus legitim. Auch die Linksterroristen im Westen haben eine Spur von Toten hinter sich hergezogen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren doch nicht die hier!) Ich erwarte von meinem Verfassungsschutz, dass er klärt, ob eine Partei, die im Deutschen Bundestag vertreten ist, oder auch Mandatsträger, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, Beziehungen zu solchen Organisationen unterhalten oder ihnen logistische Unterstützung liefern, zumal wenn es begründete Verdachtsmomente wie den Auftritt von Frau Viett gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich habe gestern in Dresden in der Zeitung gelesen, dass ein Aufruf der Antifaschistischen Aktion durch die Medien läuft, und zwar unter dem Titel: Dresden zu Stalingrad machen. Widerstand mit allen Mitteln am 13. und 18. Februar. Dazu folgender Aufruf von No Pasaran (Zuruf des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE]) – hören Sie zu! –: Auch am 18. Februar 2012 werden wir wieder bundesweit nach Dresden fahren, obwohl es den Nazis in diesem Jahr, dank unserer Erfolge, nicht gelingen wird, einen Großaufmarsch zu organisieren. Schließlich gilt es, sächsische Verhältnisse zu kippen … Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass dort Nazis auftauchen, ist plötzlich gar nicht mehr maßgebend. Es geht gegen den Staat an sich, gegen die Demokratie. Das ist die Zielsetzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich wünsche, dass diesen Verbindungen auf den Grund gegangen wird. Ich möchte wissen, ob die Antifaschistische Aktion etwas mit Ihrer Partei zu tun hat, (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Dann fragen Sie uns, anstatt uns zu bespitzeln!) zumal deren Aufruf noch heute hier im Bundestag neben der Bürotür Ihres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Maurer hängt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Zu persönlichen Erklärungen gebe ich dem Kollegen Diether Dehm und dann Gregor Gysi das Wort. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Gysi? Der ist doch gar nicht angesprochen worden! Warum kriegt er das Wort? – Gegenruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Haben Sie Uhl nicht zugehört?) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Kollege Hartmann hat eine Äußerung von mir zitiert, für die ich mich danach sofort entschuldigt habe, weil es ein verunglückter Satireversuch war. Ich glaube, eine solche Äußerung hat, zumal dann, wenn eine Entschuldigung ausgesprochen wurde, in einer Debatte über Bespitzelungen nichts zu suchen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe Weihnachten vorletzten Jahres die nicht geschwärzten Teile meiner Verfassungsschutzakte einsehen können. Ich werde seit dem 18. Lebensjahr bespitzelt; damals war ich – Kollege Hartmann hat das auch angesprochen – noch Mitglied der SPD. Ein Motiv zieht sich durch alle fünf Aktenordner: dass ich für die Vergesellschaftung der Deutschen Bank eintrete. Das habe ich seit dem 17. Lebensjahr getan. Ich möchte darauf hinweisen, dass durch Art. 15 des Grundgesetzes – und ohne diesen Artikel hätte die SPD niemals dem Grundgesetz zugestimmt – die Vergesellschaftung von Konzernen wie der Deutschen Bank ausdrücklich möglich wird. Das Bundesverfassungsgericht stellte im Jahr 1954 fest, dass mit Art. 15 des Grundgesetzes eine grundsätzlich andere Wirtschafts- und Sozial-ordnung in Deutschland möglich ist als der Kapitalismus. Ich halte also fest, dass man gelegentlich die Demokratie, die Verfassung, den demokratischen Rechtsstaat und den Sozialstaat vor der Deutschen Bank schützen muss und nicht umgekehrt. Ich halte dies für verfassungskonform. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gregor Gysi. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Uhl hat gesagt, dass ich in einer Rede erklärt hätte, dass es in der Linken Antisemitismus gebe. Das habe ich zu keinem Zeitpunkt erklärt, und das widerspricht auch meiner Auffassung. Allerdings gibt es in unserer Gesellschaft, wie eine Studie jetzt nachweist, in wirklich beachtlichem Umfang Antisemitismus. Deshalb steht in unserem Parteiprogramm das Ziel der Bekämpfung des Antisemitismus. Das ist auch dringend erforderlich. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass ich die Aussage, dass ich nur beobachtet werde, falsch finde. Herr Bundesinnenminister, Sie können mir nicht erklären, weshalb auf zig Blättern in meiner Akte steht: „Sperrvermerk“, „Musste entnommen werden“ oder weshalb die Blätter vollständig geschwärzt sind. Warum darf ich die Unterlagen, wenn sie öffentlich zugänglich sind, nicht lesen? Das ist doch nicht hinnehmbar. Hier ist doch nicht die Wahrheit gesagt worden. Ich möchte noch etwas sagen. Ja, Sie haben recht: Ich habe abfällig über das Bundesamt für Verfassungsschutz, das heißt den Inlandsgeheimdienst, gesprochen. Ich nenne Ihnen auch die Gründe: Seit Jahren passieren zehn Morde, organisiert vom Rechtsterrorismus, und dieses komische Bundesamt ist nicht in der Lage, einen einzigen Beitrag zu leisten, um sie zu verhindern oder wenigstens darauf hinzuweisen, dass der Rechtsterrorismus dahintersteckt. Dazu ist es nicht in der Lage. Aber 27 Abgeordnete meiner Fraktion kann es die ganze Zeit beobachten. Deshalb sage ich: Die sind ballaballa und ein Pfeifenverein, und ich bleibe auch dabei. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Gysi, Sie haben das Wort zu einer persönlichen Erklärung. Ich habe Ihnen nicht das Wort zu einer Kurzintervention erteilt. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das stimmt ja auch. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Deswegen bitte ich Sie, Schluss zu machen. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das ist ja auch eine persönliche Erklärung. Mir ist das ja vorgeworfen worden. Ich will nur noch sagen, dass wir eine Gesetzesänderung brauchen. Ich bin auch dafür, dass man einen Herrn Apfel beobachtet. Aber das darf doch nicht so willkürlich geschehen. Wo ist der Vorbehalt? Wo wird das Parlament gefragt? Wo wird es informiert? Es ist alles indiskutabel. Deshalb werden wir sehen, wie das Bundesverfassungsgericht über unsere schon längst eingereichte Klage und die Verfassungsbeschwerde des Herrn Ramelow entscheiden wird. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Da Gregor Gysi das Instrument der persönlichen Erklärung zu einer Kurzintervention verwandelt hat, muss ich nun Kollegen Uhl Gelegenheit geben, auf diese Kurzintervention zu antworten. (Beifall des Abg. Peter Altmaier [CDU/CSU]) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Kollege Gysi, Sie haben nicht recht mit Ihrer Behauptung, Sie hätten nicht zum Antisemitismus in der Partei Die Linke gesprochen. Ich habe hier eine Rede in der Hand, gehalten am 14. April 2008, Überschrift: „Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel“. Dort haben Sie, angesichts 60 Jahre Israel, umfangreich über 13 Seiten dargestellt, worin die Probleme der antisemitischen Kräfte in der Partei Die Linke (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: In der deutschen Linken!) im Umgang mit dem Staat Israel bestehen. Sie haben sehr sensibel und sehr klug herausgearbeitet, dass Antisemitismus heute immer wieder als antiisraelische Politik verkleidet in Erscheinung tritt, auch in Ihrer Partei. Sie haben dann herausgearbeitet – auch mit Recht –, dass es zur Staatsräson dieser Bundesrepublik Deutschland gehört, das Existenzrecht Israels nicht zu verneinen, sondern zu bejahen, dass es zur Staatsräson dieser Republik gehört, Solidarität mit den Juden im Staate Israel zu üben. Sie haben gesagt, wenn die Partei Die Linke mit dieser Staatsräson nicht im Reinen sei – und sie ist nicht im Reinen, sonst hätten Sie die Rede nicht halten müssen –, dann werde sie niemals in Deutschland eine Regierungsbeteiligung organisieren können. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist eine Unterstellung!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses – Drucksache 17/8453 – Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Altmaier (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die abscheuliche Mordserie der rechtsextremistischen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund hat uns alle in diesem Haus so schockiert wie kaum ein anderes Ereignis der letzten Jahre. Es hat uns schockiert, weil wir Verbrechen in dieser Art, in diesem Umfang, in dieser Größenordnung in unserem Land nicht für möglich gehalten hätten. Es hat uns schockiert wegen des unsäglichen Leides, das damit viele Jahre lang über sehr viele Menschen, die friedlich bei uns leben, gekommen ist. Es hat uns schockiert, dass es den Betreffenden so lange möglich war, unerkannt und unbehelligt ihr Unwesen zu treiben. Dies können und dies werden wir für die Zukunft nicht hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Das war der Grund, warum wir in einer eindrucksvollen Debatte und einer ebenso eindrucksvollen Entschließung vom 22. November letzten Jahres einstimmig diese Gefühle und unsere Entschlossenheit zur Aufklärung und zur Ziehung der notwendigen Konsequenzen zum Ausdruck gebracht haben. In diese Erklärung des Deutschen Bundestags, die zeigt, wie breit und wie stark der demokratische Nachkriegskonsens in unserem Land ist, haben wir nach reiflicher Überlegung alle Fraktionen in diesem Haus einbezogen. Ich glaube, es war richtig, dass wir alle Fraktionen in diesem Haus einbezogen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da klatschen nur wir!) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, erlauben Sie mir aber auch folgenden Hinweis: Ich gehöre diesem Bundestag seit 17 Jahren an. Ich war dafür, dass Sie in das Rubrum des Antrags aufgenommen wurden. Gleichzeitig bin ich aber deprimiert darüber, wie wenig Sie Ihre 20-jährige Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag genutzt haben, um sich in Ihrer eigenen Arbeit von antisemitischen, antieuropäischen, antidemokratischen und antiamerikanischen Tendenzen zu distanzieren und einen klaren Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Solange Sie das nicht schaffen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie in anderen Fragen der Politik nicht so behandelt werden, wie dies für die SPD, die Grünen, die FDP und die CDU selbstverständlich ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir halten es für richtig, dass wir den Konsens vom 22. November letzten Jahres hinsichtlich der Verurteilung der Tat auch hinsichtlich der Aufarbeitung für die Zukunft beibehalten. Wir glauben, dass es für die Akzeptanz in unserem Land und für den Erfolg unserer Aufklärungsarbeit wichtig ist, dass wir uns nicht über einzelne prozedurale Fragen zerstreiten. Deshalb sage ich: Wir von unserer Fraktion waren und sind nicht zu 100 Prozent überzeugt, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses das naheliegende und am besten geeignete Instrument ist, um diese Arbeit zu leisten. Wir hätten einer Expertenkommission von Bund und Ländern den Vorzug gegeben, weil wir glauben, dass vieles von dem, was aufzuklären ist, die Zuständigkeit der Länder sowie die Schnittstellen zwischen einzelnen Ländern und auch die Schnittstellen zum Bund berührt. Deshalb haben wir uns sehr früh für eine Expertenkommission von Bund und Ländern ausgesprochen, die der Bundesinnenminister dankenswerterweise vorgeschlagen hat. Wir haben aber festgestellt, dass es auch zwei Fraktionen in diesem Haus gibt, die aus ihrer Sicht zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angezeigt ist. Auch wenn die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion nicht ganz über das notwendige Einsetzungsquorum verfügt haben, waren wir der Auffassung, dass es nicht wert ist, sich an dieser Stelle zu zerstreiten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Ich meine, es ist ein Beweis für die Tragfähigkeit unseres Grundkonsenses, dass wir uns auf eine Gesamtlösung geeinigt haben, die den Anliegen aller Seiten in diesem Haus gerecht wird. Es wird eine Expertenkommission von Bund und Ländern geben, die in ihrem Umfang überschaubar ist und die imstande sein wird, schnell und effizient zu arbeiten. Zudem wird es einen Untersuchungsausschuss geben, der vermeiden soll, dass wir im Deutschen Bundestag an vier oder fünf Stellen parallele Arbeiten durchführen. Dieser Untersuchungsausschuss wird die Arbeiten bündeln. Außerdem wird er einen Sonderermittler haben, der ebenfalls imstande sein wird, die Aufarbeitung voranzutreiben. Ich bin überzeugt, dass diese Lösung auch in der Öffentlichkeit Anerkennung finden wird. Es ist jetzt unsere Aufgabe, dass wir alles tun, damit in der Praxis tatsächlich eine Aufklärung der Vorgänge erfolgt, damit es möglich wird, aufzuklären, welche Fehler, Pannen und Versäumnisse vorgekommen sind, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) damit es möglich wird, die richtigen Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. Nachdem wir es geschafft haben, bereits vor Weihnachten in der Innenministerkonferenz einen Konsens über die Expertenkommission herzustellen, nachdem wir es geschafft haben, uns auf einen gemeinsamen Antrag zu einigen, wäre es, glaube ich, nicht gut, wenn wir uns in den nächsten Wochen und Monaten darüber streiten würden, wer welche Akten bekommt und wie die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und den jeweiligen Gremien auszusehen hat. Deshalb will ich auch im Namen meiner Geschäftsführerkollegen der anderen Fraktionen sagen: Wir sehen uns in der Verantwortung, dass wir, der Deutsche Bundestag, gemeinsam mit dem Bundesinnenminister und den Bundesländern dafür sorgen, dass wir eine vernünftige Arbeitsteilung herstellen und die Arbeit in einem Geiste der vertrauensvollen Zusammenarbeit so organisieren, dass sie in absehbarer Zeit zu Ergebnissen führt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will für meine Fraktion sagen, dass wir mit der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses selbstverständlich nicht aufhören werden, schon jetzt die Konsequenzen zu ziehen, die auf der Hand liegen. Wir erkennen an, dass die Bundesregierung imstande war, sehr schnell erste Maßnahmen zu ergreifen. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Der Umstand, dass wir einen Untersuchungsausschuss haben, in dem sich Experten – der Kollege Binninger aus unserer Fraktion und andere – mit dieser sicherlich nicht ganz einfachen Materie beschäftigen, entbindet uns, den Bundestag insgesamt, nicht von unserer politischen Verantwortung. Wir werden dafür sorgen, dass dieses Thema nicht in Vergessenheit gerät und wir die notwendigen Konsequenzen ziehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle des Nationalsozialistischen Untergrunds gehören zweifellos zu den schwersten Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben gesehen, wie sich aus einer nationalistischen Ideologie über die Zwischenstufe einer aggressiven rechtsextremen Kameradschaft ein rechter Terror entwickelt hat. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Es ist für mich immer noch ein unheimlich schwer zu ertragender Gedanke, dass sich nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im demokratischen Deutschland über zehn Jahre hinweg ein vom rassistischen Vernichtungswillen geprägter nationalsozialistischer Terror ausbreiten konnte. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein deprimierender Befund, dass unsere Sicherheitsbehörden diese Verbrechen nicht verhindern konnten, obwohl es möglich gewesen wäre. Es war eine ganze Kette von Fehlern, Fehleinschätzungen und Nachlässigkeiten, die es am Ende den Terroristen leicht gemacht haben, diese Verbrechen zu begehen. Dabei geht es im Kern um die Schutzpflichten des Staates, um die elementaren Schutzpflichten, die der Staat gegenüber seinen Bürgern hat, nämlich die Sicherheit der Bürger vor solchen Verbrechen zu gewährleisten. Diese Schutzpflichten hat der Staat verletzt. Insofern ist es auch ein ganz schlimmer Fall von Staatsversagen, den wir hier erlebt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deshalb sind wir es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, dass diese Vorgänge umfassend und ohne jede Rücksichtnahme aufgeklärt werden und wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit sich solche schlimmen Verbrechen in Deutschland nicht noch einmal ereignen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Voraussetzungen dafür sind gut. Peter Altmaier hat darauf hingewiesen, dass der vorliegende Antrag von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen wird. Dass wir einen Konsens der demokratischen Parteien haben, das ist eine wichtige Voraussetzung. Wir sind nicht dem schnellen Reflex gefolgt, einen Untersuchungsausschuss als Kampfinstrument der Opposition gegen die Regierung einzusetzen. Das wäre falsch und kurzsichtig gewesen. Stattdessen haben wir bei genauer Prüfung festgestellt, dass ein Bundestagsuntersuchungsausschuss nur begrenzte Möglichkeiten hat, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir anders!) Sachverhalte zu überprüfen, die im Bereich der parlamentarischen Verantwortlichkeit von Landesregierungen liegen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja dieses Mal nicht dabei, Herr Kollege Oppermann!) Wir wollen eine umfassende Aufklärung. Uns genügt es nicht, festzustellen, dass die eine oder andere Landesregierung nicht kooperiert, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die muss!) um sie dann dafür zu kritisieren. Das bringt uns in der Sache nicht weiter. Deshalb ist die Idee, eine Bund-Länder-Ermittlungsgruppe aufzustellen, mit den Ländern gemeinsam die Vorgänge in den einzelnen Bundesländern zu untersuchen, insbesondere die Schnittstellen von Bund und Ländern, richtig. Hier hat sich die Idee einer intelligenten Verknüpfung von Untersuchungsausschuss und Bund-Länder-Kommission durchgesetzt. (Beifall bei der SPD) Ich bin davon überzeugt, dass es gelingt, ein Gesamtbild der Vorgänge zu bekommen. Wir müssen den Sachverhalt feststellen, der sich zugetragen hat. Auf der Basis dieses Sachverhaltes muss eine Schwachstellenanalyse durchgeführt werden. Dann brauchen wir Vorschläge, wie unsere Sicherheitsarchitektur so verändert werden kann, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen kann. Weil das Ganze so konzipiert ist, bin ich froh darüber, dass dieser Untersuchungsausschuss kein Skandalisierungsinstrument ist, sondern ein Aufklärungsinstrument mit zusätzlichen Möglichkeiten im Sinne einer Gesetzgebungs- und Empfehlungsenquete, Vorschläge zu erarbeiten, wie wir unser Sicherheitssystem in diesem Bereich verbessern können. Der Untersuchungsausschuss hat drei Ziele: Erstens die Aufklärung des Sachverhaltes und die Ausarbeitung von Empfehlungen, von denen ich eben gesprochen habe. Zweitens erhoffe ich mir von diesem Ausschuss, dass wir Belege und Beweise für die Zusammenarbeit zwischen NPD bzw. NPD-Mitgliedern und dem braunen Unterstützernetzwerk der Terroristen finden. Wir stellen schon jetzt fest: Ohne die mitwirkenden NPD-Mitglieder wäre das braune Unterstützungs- und Sympathisantennetzwerk für die Rechtsterroristen nicht möglich gewesen. Der Untersuchungsausschuss muss die Möglichkeit nutzen, Belege und Beweise für die Verfassungswidrigkeit der NPD zu sammeln, damit wir sie in einem zweiten Verbotsverfahren verwerten können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicht zuletzt erhoffe ich mir von diesem Ausschuss, dass er dazu beiträgt, das gesellschaftliche Bewusstsein zu verändern. Die vielen Fehler, die die Sicherheitsbehörden gemacht haben, sind für mich kein Zufall. So viele Fehler macht man nur in einem Umfeld, das von einer nachhaltigen Verharmlosung rechtsextremer Ideologie und neonazistischer Gewalt geprägt ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Der Rechtsextremismus ist in Deutschland über Jahre hinweg systematisch unterschätzt werden. Deshalb müssen wir dazu beitragen, dass sich die Haltung der Menschen in diesem Land verändert. Die rechtsextreme Ideologie will die demokratische und pluralistische Gesellschaft bekämpfen. Sie stellt einen Grundgedanken unserer Verfassungsordnung infrage, nämlich die Gleich-wertigkeit aller Menschen. Die Rechtsextremen wollen die Menschen einteilen in höherwertige und in minderwertige. Wir alle müssen dieser Ideologie entgegentreten, (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) egal wo sie auftritt: ob am rechten Rand der Gesellschaft oder in der Mitte der Gesellschaft. Auch dazu muss der Ausschuss einen Beitrag leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Enthüllungen der letzten Wochen haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Sicherheitsbehörden nachhaltig beeinträchtigt. Bei den Morden der Zwickauer Zelle handelt es sich um die bislang schwerwiegendsten neonazistisch motivierten Gewalttaten, die die Bundesrepublik Deutschland erlebt hat. Es gab schon jetzt erkennbare erhebliche und kaum fassbare Fehler und Versäumnisse auch der Sicherheitsbehörden. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, eine lückenlose und einheitliche politische Aufklärung dieser Fehler zu erhalten. Deshalb muss neben einer juristischen Aufarbeitung durch den Generalbundesanwalt nun auch eine politische Aufklärung erfolgen. Es muss geklärt werden: Wer wusste was? Wer trägt für diesen Dilettantismus der Sicherheitsbehörden die Verantwortung? Wie können wir den braunen Sumpf trockenlegen? Die Fragen nach den Konsequenzen sind wir den Opfern, der schockierten deutschen Öffentlichkeit und unserer Demokratie schuldig. Die FDP-Fraktion hat von Anfang an die Möglichkeit eines Untersuchungsausschusses erwogen. Insofern stimmt es nicht ganz, dass die Größe des Ausschusses verändert werden müsste, damit die Fraktionen, die von Anfang an einen solchen Ausschuss erwogen hätten, die Viertelminorität erreichen. Die wird jetzt erreicht. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber so richtig Opposition sind Sie doch auch noch nicht, Herr Kollege!) Die SPD hat in den letzten Wochen mehrmals ihre Meinung gewechselt und trägt aus meiner Sicht die Verantwortung dafür, dass wir erst in diesem Jahr die Verfahrensfragen abschließend besprechen konnten. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Umso mehr freut es mich aber, dass nun alle Fraktionen sich auf die Einsetzung dieses Ausschusses geeinigt haben. Der Kollege Altmaier hat die Eckpunkte entsprechend skizziert. Die FDP hat von Anfang an auf eine lückenlose Aufklärung gedrängt. Zu viel ist augenscheinlich vor allem auch in der Koordination der Behörden schiefgelaufen. Zu sehr belasten diese Morde das Ansehen unserer Sicherheitsorgane im In- und Ausland. Insbesondere steht der Eindruck im Raum, die Länder hätten nebeneinanderher gearbeitet. Es wäre deshalb unverantwortlich, wenn sich die Innenminister der Länder weigern würden, ihren Beitrag zur politischen Aufarbeitung auch an der Stelle zu leisten. Der Bund hat nach dem Grundgesetz die Alleinzuständigkeit zur Regelung der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden. Offenbar sind sich manche Länderdienststellen nicht der Verantwortung bewusst, die ihnen der Bund durch das derzeitige sehr länderfreundliche Verfassungsschutzgesetz einräumt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat allerdings schon jetzt sehr weitreichende Kompetenzen, auch Informationen aus den Bundesländern einzuziehen. Hier erwarte ich im Ausschuss erheblich mehr Informationen. Das Nebeneinander der Sicherheitsbehörden, die unverhohlene Verteidigung von Ressortegoismen und auch von Kompetenzen im Bund-Länder-Verhältnis muss auf den Prüfstand. Wer nicht kooperiert, schafft Sicherheitslücken. Das war bei der Beobachtung der Sauerland-Gruppe so, und das ist in diesem Fall leider auch so. Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung der Länder. Meine Damen und Herren, die bisherigen Initiativen des Bundesinnenministers für ein gemeinsames Abwehrzentrum und die Zusammenführung von Daten weisen in die richtige Richtung. Weitere, vor allem auch organisatorische Maßnahmen, insbesondere in Zusammenarbeit mit den Ländern, sind nötig. Der Untersuchungsausschuss hat die Aufgabe, zu ermitteln, welche Fehler gemacht wurden. Nur so können wir verhindern, dass sich Derartiges wiederholt. Die FDP wird auf der lückenlosen Aufklärung bestehen und konsequent und konstruktiv im Ausschuss mitarbeiten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Petra Pau für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Innenausschuss des Bundestages hat sich mehrfach mit der Nazimordserie der sogenannten Zwickauer Zelle befasst. Stets waren Vertreter des Innenministeriums, des Bundeskriminalamtes, des Verfassungsschutzes, der Bundesanwaltschaft und weiterer Behörden dabei. Es ging um Aufklärung. Das hofften wir. Den mageren Ertrag fasste der Kollege Wolfgang Bosbach, CDU, so zusammen: Die was wissen, die kommen nicht. Die, die kommen, wissen nichts. Und die, die was wissen und dennoch kommen, die sagen nichts. – Prägnanter kann man kaum bündeln, warum wir nun diesen Untersuchungsausschuss brauchen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es sei an zwei Zitate erinnert, beide vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Heinz Fromm meinte, die Nazimordserie sei eine „Niederlage für die Sicherheitsbehörden“, und er räumte ein: Wir haben die jetzt bekannt gewordenen Täter nicht wirklich verstanden. … Dabei hätte man es besser wissen können. Folglich muss der Untersuchungsausschuss auch der Frage nachgehen, warum der Rechtsextremismus so beharrlich unterschätzt wird. Zehn Menschen mussten dies mit ihrem Leben bezahlen. Ich korrigiere mich: seit 1990 mehr als 150 Menschen. Ich denke: Der Bundestag schuldet ihnen und all ihren Angehörigen eine vorbehaltlose Aufklärung. (Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rechtsextremismus ist eine Gefahr für Leib und Leben. Fragen Sie Initiativen, die sich täglich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren. Sie haben längst das Wissen und die Kompetenz, die die Familienministerin, Kristina Schröder, nun plötzlich mit einer staatlichen Extrabehörde schaffen möchte. Viel besser wäre es, diese Initiativen nicht ständig infrage zu stellen, nicht politisch und auch nicht finanziell. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Bundesinnenminister, Hans-Peter Friedrich, hat recht, wenn er ermahnt: Der Kampf gegen Rechts ist eine „Daueraufgabe der gesamten Gesellschaft“. Ich frage mich allerdings, warum die Regierung dagegen seit Jahren Knüppel streut. Es ist gut, dass sich nun alle Fraktionen weitgehend einvernehmlich auf einen Untersuchungsausschuss geeinigt haben. Allerdings – das spielte eben schon eine Rolle – ist die Gefahr noch nicht gebannt, dass sich maßgebliche Behörden auf ein angebliches Aussageverweigerungsrecht zurückziehen. Wir kennen das auch aus anderen Untersuchungen. Ich hoffe also, dass die Appelle der Kollegen Altmaier, Wolff und anderer auf fruchtbaren Boden fallen. Sollte dies aber nicht der Fall sein: Die Linke hat alle einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts parat. Deutlicher gesagt: Wir sind vorbereitet, das Kontrollrecht des Parlamentes gegenüber den Bundesbehörden notfalls auch in Karlsruhe durchzusetzen. (Beifall bei der LINKEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz ist auf unserer Seite!) Nun gibt es noch einen weiteren Streit, nämlich den über die zahlmäßige Stärke des Untersuchungsausschusses. Im Angebot sind 8, 11 oder 15 Mitglieder. CDU/ CSU, FDP und SPD neigen zu 11 Abgeordneten. Das klingt wie der goldene Mittelweg, ist es aber nicht. Deshalb sage ich allen interessierten Zuhörern: Bei 8 oder 15 Mitgliedern hätten Grüne und Linke zusammen ein eigenes Beweisantragsrecht. Bei 11 Ausschussmitgliedern wären beide Fraktionen drittrangig. Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Elferrat ist kein Beleg für Souveränität. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) Abschließend noch zwei persönliche Bemerkungen: Sie, Herr Bundesinnenminister Friedrich, sind aktuell mehrfach zur Überwachung der Linken durch den Verfassungsschutz befragt worden, ganz allgemein, aber auch konkret nach der Vizepräsidentin des Bundestages Petra Pau, also mich. Sie haben darauf mit einem Verweis auf die NPD reagiert. Ich finde es unverschämt, mich mit diesem braunen Gesindel auch nur ansatzweise zusammen zu denken. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es mag sein, dass Sie schlecht beraten waren. Es mag sein, dass Sie in Erklärungsnot waren. Aber eine solche infame Unterstellung weise ich persönlich enttäuscht und strikt zurück. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb will ich auch daran erinnern: Die Nazis kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sie wurden mächtig, weil Demokratinnen und Demokraten zu schwach und zerstritten waren. Diese Lehre aus der Geschichte sollte endlich auch bei Behörden und Ministern ankommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Demokratieunterricht von den Linken ist das Letzte, was wir brauchen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Morde der rechtsterroristischen Mundlos-Zschäpe-Bande haben Deutschland erschüttert. Das Erschütternde ist, dass Menschen sterben mussten, weil die Sicherheitsbehörden in unserem Land versagt haben. Die Morde hätte man verhindern können, wenn man die Täter verfolgt, verhaftet und vor Gericht gestellt hätte. Das ist eine Tragödie, die nicht wiedergutzumachen ist. Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat ist bei Teilen unserer Bevölkerung dadurch nachhaltig erschüttert worden. Das Institut für Migrations- und Politikforschung der Universität Ankara hat festgestellt: Viele türkische Migranten haben durch diese Vorgänge das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat verloren. 55 Prozent glauben, dass die Rechtsterroristen vom deutschen Staat beschützt oder gar gefördert wurden. Wenn man sich die Informationen der letzten Wochen anschaut, kann man sagen: Diese Annahme ist nicht gänzlich falsch. Natürlich war es nicht der Staat selbst, aber einige seiner Beamten haben versagt, haben diese Bande indirekt geschützt und ihr sogar Geld zukommen lassen. Deshalb ist es wichtig, dass der Deutsche Bundestag heute mit allen fünf demokratischen Fraktionen – ich betone das – diesen Untersuchungsausschuss gemeinsam einsetzt. Nur ein Untersuchungsausschuss kann Zeugen unter Wahrheitspflicht vorladen und sie zwingen, zu sagen, was sie wissen, damit alles auf den Tisch kommt. Ich war nie gegen eine Bund-Länder-Kommission, in der die Exekutive sie selbst betreffende Vorgänge selbst aufklärt und schaut, welche ihrer Fehler sie sich zurechnet und welche davon sie der Öffentlichkeit präsentieren will. Solch eine Kommission kann aber eine parlamentarische Untersuchung nicht ersetzen. Sie kann allenfalls Unterstützung bei der Aufklärungsarbeit leisten. Wenn sie konstruktiv arbeitet, nehmen wir die Informationen gerne entgegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin froh, dass es jetzt diese Gemeinsamkeit bezüglich des Untersuchungsausschusses gibt; denn das war im Dezember 2011 noch nicht so. Wir mussten heftig kämpfen und Überzeugungsarbeit leisten, dass dies der richtige Weg ist. Wir hatten auch Diskussionen über den Auftrag; einige Formulierungen hätten uns viele Steine in den Weg gelegt. Es ist gut, dass wir heute Konsens feststellen und das Anliegen gemeinsam tragen. Aber wenn tatsächlich Konsens herrscht, dann frage ich Sie: Warum fürchtet jemand das gemeinsame Beweis-antragsrecht von zwei kleinen Fraktionen, damit sie vollständig und gleichberechtigt, also auf Augenhöhe, im Untersuchungsausschuss mitwirken können? Wir stellen dazu Änderungsanträge. Ich finde, Sie sollten Ihrem Herzen einen Ruck geben. Sie haben zwei Möglichkeiten: Sie können den Untersuchungsausschuss größer oder kleiner machen. Auf beiden Wegen kommen Sie zu dem Ergebnis, dass diese beiden Fraktionen das Beweisantragsrecht erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Es gibt drei Oppositionsfraktionen!) Wenn Sie das nicht tun, sollten Sie sich aber verpflichten, diesen Anträgen jeweils stattzugeben; ansonsten versuchen Sie, durch einen Trick bei der Zusammensetzung die vorbehaltlose Aufklärung zu verhindern. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Herr Beck, was für ein Trick?) Wir müssen vorbehaltlos aufklären, wir müssen Fragen stellen. Wir müssen zum Beispiel fragen, wie es sein konnte, dass man 14 Jahre lang eine Mörder- und Bankräuberbande aus dem Nationalsozialistischen Untergrund nicht gefunden und ergriffen hat, ihnen nicht nachgesetzt hat. Wie konnte es sein, dass der Vater einer dieser Terroristen vom Verfassungsschutz angerufen wurde und ihm gesagt wurde, er solle nur von einer Telefonzelle aus anrufen, wenn er Kenntnis von Aufenthaltsorten seines Sohnes hat, ansonsten höre auch die Polizei zu? Wie kann es in einem Rechtsstaat sein, dass der Verfassungsschutz Mörder und Terroristen vor polizeilicher Verfolgung schützen will? Das ist doch unmöglich! Unmöglich ist auch, dass man lange Zeit die Opfer zu Tätern gemacht hat, indem man das irre Wort „Döner-Morde“, das Unwort des Jahres 2011, verwendet hat. Es haben nicht Döner gemordet, und es sind auch nicht Döner ermordet worden, sondern es sind Menschen mit Migrationshintergrund von deutschen Rassisten und Rechtsextremisten angegriffen worden. In dieser Richtung hat man aber nicht gesucht, weil man in den zuständigen Behörden offensichtlich bestimmte Vorurteile hatte, was dazu geführt hat, dass man in die falsche Richtung ermittelt hat. Auch kriminalistisch ist vieles falsch gelaufen. Man hat Beweise, die bei Anschlägen sichergestellt worden sind, vernichtet. Hätte man sie zusammengefügt und zum Beispiel das Material der Rohrbomben, die in den Jahren 2003 und 2004 explodiert sind, verglichen, hätte man gemerkt, dass es hier einen Tatzusammenhang gegeben hat. All das hat man aber nicht getan. Notwendig ist eine tiefgreifende Analyse. Wir müssen überprüfen: Was läuft beim Informationsaustausch falsch: zwischen Polizei und Geheimdienst, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!) zwischen Bund und Ländern (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!) und zwischen den Ländern? (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja! Aber da sind Sie der Bremser!) Wir müssen uns aber auch fragen: Was für eine Mentalität herrscht in manch einer Behörde, wenn es dazu kommen kann, dass man so grundsätzlich falsch ermittelt und falsch vorgeht? Das sind wir den Menschen im Lande schuldig. Ich denke, durch eine vorbehaltslose Aufklärung können wir viel Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewinnen, wenn wir im Anschluss die Pannen und Strukturprobleme unserer Sicherheitsbehörden entsprechend den Empfehlungen der Kommission beheben. Wir wollen daran gerne mitwirken. Ich hoffe in der Tat, dass es in diesem Ausschuss nicht zu Streit zwischen den Fraktionen bzw. zwischen Opposition und Koalition kommt, sondern dass alle vorbehaltlos an der Aufklärung mitwirken. Das sind wir den Opfern und deren Angehörigen schuldig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Das liegt ganz an Ihnen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Clemens Binninger für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Mordserie hat uns alle erschüttert. Am 22. November letzten Jahres hat der Deutsche Bundestag gemeinsam ein Zeichen gegen diese schrecklichen Verbrechen gesetzt. Heute setzt der Deutsche Bundestag wieder ein Zeichen, indem er gemeinsam, getragen von allen Fraktionen, einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Von Untersuchungsausschüssen sind wir aus der Vergangenheit gewohnt, dass sich sehr schnell ein klassisches Rollenverständnis entwickelt: die Opposition auf der einen Seite, die Regierung auf der anderen Seite. Die Fraktionen spielen also auch dort eine Rolle. Dieser Ausschuss wird nicht so sein; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!) dafür kann man, wie ich glaube, schon heute garantieren. Er wird gemeinsam versuchen, diese schreckliche Mordserie aufzuklären und herauszufinden, wo es Versäumnisse gab. Eines muss uns klar sein: Wir müssen alles Mögliche tun, damit sich solch eine Verbrechensserie in unserem Land nicht wiederholen kann. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn der Untersuchungsausschuss mit seiner Arbeit und den Erkenntnissen, die er gewinnt, dazu einen Beitrag leistet, dann hat er seinen Auftrag erfüllt, nicht mehr und nicht weniger. Von einigen Rednern haben wir schon gehört: Neben dem von uns einzusetzenden Untersuchungsausschuss gibt es eine Bund-Länder-Kommission, die die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister eingesetzt haben; das ist völlig in Ordnung. Auch in Thüringen gibt es einen Untersuchungsausschuss. Ebenfalls in Thüringen wurden schon eine Kommission und ein Sonderermittler eingesetzt. Das ist kein Widerspruch. Es ist das legitime Recht der Länder – vielleicht sogar ihre Pflicht –, auch in ihrem Verantwortungsbereich Aufklärung zu betreiben. Wir alle, die wir in diesem Gremium mitarbeiten, sind, glaube ich, gut beraten, nicht gegeneinander, sondern miteinander zu arbeiten. Wir müssen einen Weg finden, zu ermöglichen, dass die verschiedenen Gremien ihr Wissen austauschen. Außerdem müssen wir vermeiden, dass wir uns gegenseitig ins Gehege kommen. Vereinzelt wurde gefragt, ob Vertreter der Länder überhaupt kommen müssen und ob vonseiten der Länder überhaupt Akten bereitgestellt werden müssen, wenn wir sie darum bitten. Frau Kollegin Pau, ich will hier gar nicht so sehr auf rechtliche Fragen und darauf eingehen, ob man darauf klagen müsste. (Petra Pau [DIE LINKE]: Ich hoffe ja, nicht!) Das wäre mir schon fast ein Schritt zu weit. Ich will eines deutlich machen: Es mag vielleicht keine Verpflichtung geben, zu kommen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Steht im Gesetz!) aber es ist auch nicht verboten, dass man uns zur Aufklärung in der Sache zur Verfügung steht, wenn wir darum bitten. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Sehen das alle so?) Ich will dieses Angebot ausdrücklich machen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir, wenn wir als Ausschuss gemeinsam agieren, hier im Interesse der gemeinsamen Aufklärung zu einem guten Weg kommen werden. Alles andere wäre den Bürgern dieses Landes auch nicht zu vermitteln. Es wäre den Bürgern nicht zu vermitteln, wenn wir uns bei der Aufklärung auf Formalien wie Zuständigkeiten zurückziehen würden, während alle hier diese schreckliche Mordserie zu Recht beklagen und sagen, das dürfe sich nicht wiederholen. Ich glaube, deshalb wird es dazu auch nicht kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Ich würde sie zulassen, aber ich warte auf das Signal des Präsidenten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Ströbele. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke sowohl dem Präsidenten als auch dem Redner, Herrn Binninger. Es wird ja hier den ganzen Tag darüber diskutiert – auch in den Medien –, welche Möglichkeiten und Rechte der Untersuchungsausschuss eigentlich hat und ob der Untersuchungsausschuss außer Bundesbehörden und der Bundesregierung auch aus den Ländern Zeugen laden und Beweismittel und Akten beiziehen kann. Hier erlaube ich mir den Hinweis auf das Untersuchungsausschussgesetz, das dieser Deutsche Bundestag ja verabschiedet hat. Darin steht das ausdrücklich. Wir haben uns damals, als wir den entsprechenden Gesetzentwurf formuliert haben, ja auch über solche Fälle wie den jetzigen Fall Gedanken gemacht. Bundesbehörden werden dort ausdrücklich genannt, aber darin steht auch ganz allgemein, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss Gerichte und Behörden, und zwar nicht nur Gerichte und Behörden auf Bundesebene, zur Amtshilfe verpflichten kann. Das gilt gerade auch für die Beiziehung von Beweismitteln und Akten. Das steht also im Gesetz. Das heißt, wir haben eine gute und verlässliche gesetzliche Grundlage, auf der wir arbeiten können. (Gisela Piltz [FDP]: Was ist die Frage?) Ich frage Sie, ob Sie das beruhigt und ob Sie mir recht geben können, dass wir auf dieser Grundlage sehr optimistisch sein können, dass die Aufklärung klappen wird. Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, es kommt sicher selten vor, dass mich eine Frage von Ihnen beruhigt, aber in diesem Fall Ihres Verweises auf die Rechtslage, die mir bekannt ist, kann ich das bejahen. Ich wollte bewusst nicht diese rechtliche Debatte führen, weil ich denke: Noch schöner, als sich über rechtliche Fragen zu streiten – eine ähnliche Bestimmung gibt es ja im Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes; hier gibt es teilweise unterschiedliche Auffassungen, wie das unter Juristen nun einmal häufig üblich ist –, wäre es, auf den Konsens zu setzen. Das tun wir, und das sollte auch das Signal sein, das von den heutigen Debattenbeiträgen ausgeht. Ich glaube auch, dass das gelingt. Wir werden in diesem Untersuchungsausschuss verschiedene Fragen stellen müssen. Auch das ist hier heute Nachmittag schon angeklungen. War der Informationsaustausch zwischen Bundes- und Landesbehörden richtig organisiert? Das gilt übrigens auch für den Informationsaustausch zwischen dem Verfassungsschutz und der Polizei. Verbunden damit stellt sich die Frage, ob das, was wir heute einfordern, damals überhaupt schon rechtlich zulässig gewesen wäre. Wir müssen auch die Frage stellen: Wie konnte es passieren, dass dieses Trio, das mit Haftbefehl gesucht wurde, 1998 abtauchen konnte? Warum ist es über drei Jahre hinweg nicht gelungen, den Standort zu entdecken und dieses Trio festzunehmen? Warum ist es 2000, als die Mordserie begann – 2001 waren schon vier Morde passiert –, nicht gelungen, auch nur einen Hinweis zu finden, mit dem eine Verknüpfung zwischen dieser Mordserie und diesem Trio hätte ermöglicht werden können? Oder gab es sie und wurden sie falsch bewertet? Diesen Fragen müssen und werden wir uns stellen. Wir werden dabei sicher auch an den Punkt kommen, dass wir die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden bewerten müssen. Ich sage hier ganz deutlich: Wenn wir im Ausschuss feststellen, dass die Sicherheitsarchitektur unseres föderalen Systems bei solch komplexen Verbrechen mit terroristischem Hintergrund, die mehrere Bundesländer betreffen, an die Grenzen des Möglichen kommt, dann müssen wir das auch benennen und auch aufzeigen, wo vielleicht Veränderungen notwendig sind. Alles andere wäre der falsche Weg. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden uns auch damit zu befassen haben, welche Rolle V-Leute gespielt haben. Das haben wir ausdrücklich in den Untersuchungsauftrag aufgenommen, um zu erfahren: Hätte es hier einen Weg gegeben, oder ist dieses Instrument in jeder Hinsicht nur sehr begrenzt geeignet? So werden wir die Arbeit der Behörden insgesamt zu bewerten haben. Wir haben auch die Möglichkeit, wenn wir es für notwendig erachten sollten, Ermittlungsbeauftragte einzusetzen. Ob wir das brauchen, werden wir sicher gemeinsam festlegen können. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich das noch nicht, aber es mag auf der Strecke durchaus notwendig sein. Jetzt etwas zur Zusammenarbeit, die hier ein paar Mal angesprochen wurde, und zu Ihren beiden Anträgen zur Größe des Gremiums. Die Begründung ist richtig: Wenn die Größenverhältnisse anders wären, dann hätten zwar nicht Sie allein, aber gemeinsam mit der anderen kleineren Oppositionsfraktion ein Antragsrecht. Seien wir ganz offen: Wenn wir, die wir hier heute Nachmittag anwesend sind, sagen: „Das machen wir gemeinsam“, ist es genauso gut denkbar, dass wir sagen: Wir unterstützen auch Beweisanträge der Grünen und, wenn sie vernünftig sind, auch die der Linken. Das ist nicht ausgeschlossen. Ihre Vorstellung, Sie könnten nur agieren, wenn Sie eine entsprechende Größe hätten, weil Sie der SPD, der CDU/CSU oder der FDP nicht trauen, ist genau das Denken, das wir in diesem Ausschuss nicht wollen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Erfahrung!) Wir agieren gemeinsam. Wenn Ihre Anträge sinnvoll und berechtigt sind, werden sie an uns nicht scheitern. Dazu brauchen wir aber keine anderen Größenverhältnisse. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nehmen Sie beim Wort!) – Ja, Sie dürfen mich beim Wort nehmen. Ich will ganz persönlich sagen: Die Zusammensetzung dieses Untersuchungsausschusses mit den Kollegen, die ich namentlich kenne, stimmt mich da sehr zuversichtlich. Wir kennen und schätzen uns größtenteils seit vielen Jahren aus den Ausschüssen. Manche kennen sich noch nicht so lange, aber die meisten kennen sich seit vielen Jahren. Bei aller Unterschiedlichkeit vertrauen wir uns auch. Das sollte es noch mehr als sonst möglich machen, dass wir hier zusammenarbeiten, und zwar im Interesse der Sache der Aufklärung, im Interesse des gemeinsamen Kampfes gegen den Rechtsextremismus, im Interesse, dass wir hier einen kleinen Beitrag zur Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger hier in unserem Land leisten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion. Sebastian Edathy (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Rechtsextremismus ist Realität in unserem Land. Nein, das ist eine Realität, die wir als Demokratinnen und Demokraten niemals, weder heute noch in Zukunft, als Normalität akzeptieren dürfen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In den letzten zehn Jahren hat es im Grunde zwei Tendenzen in der Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland gegeben: zum einen eine deutliche Verjüngung der Akteure. Wir haben es fast gar nicht mehr mit Ewiggestrigen zu tun, sondern mit erschreckend jungen Neugestrigen. Zum anderen ist eine wachsende Gewaltbereitschaft zu beobachten. Das spiegelt sich in der deutlich gestiegenen Zahl von Neonazi-Kameradschaften, aber auch in dem Aufkommen einer Bewegung wider, die sich selber als „Autonome Nationalisten“ bezeichnet. Nach Auskunft des Bundeskriminalamtes werden augenblicklich 159 deutsche Rechtsextremisten mit Haftbefehl gesucht. Das sind erschreckende Befunde. Man wird auch im Untersuchungsausschuss die Frage stellen müssen: Gab es denn wirklich vor der viel zu spät erfolgten Identifizierung der sogenannten Zwickauer Terrorzelle keine Hinweise auf rechtsterroristische Bestrebungen? Ich erinnere an 2003. Da hat eine süddeutsche Neonazi-Kameradschaft Anschläge in München geplant. Sie konnten Gott sei Dank verhindert werden. Die Beteiligten sind wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Es ist also nicht so, dass es keine Vorläufer, wenn auch in anderer Qualität, gegeben hat. Wie also war es möglich, dass die Zwickauer Zelle jahrelang mordend und raubend durchs Land ziehen konnte, ohne dass ein Zusammenhang zwischen den Taten erkannt wurde und ein Zugriff erfolgte? Hätte man seitens der Sicherheitsbehörden mehr wissen können, mit vorhandenem Wissen anders umgehen müssen oder anders handeln können? Wie war es eigentlich in den zuständigen Behörden um Expertise, aber auch um Sensibilität für das Thema Rechtsextremismus bestellt? Eine weitere Frage ist – darin gebe ich Herrn Binninger recht –: Ist die Sicherheitsarchitektur in Deutschland so ausgestaltet, dass sie den Herausforderungen durch einen sich verändernden Rechtsextremismus noch wirksam begegnen kann? Nicht zuletzt wird uns im Ausschuss auch die Frage beschäftigen, welche Schlussfolgerungen sich aus möglichen Defiziten im Handeln und in der Kooperation unserer Behörden ergeben. Diesen Fragen nachzugehen sind wir nicht nur dem Andenken der Opfer und auch nicht allein den Hinterbliebenen schuldig. Diesen Fragen nachzugehen sind wir der ganzen Gesellschaft gegenüber schuldig und, ja, gerade auch unserer eigenen Selbstachtung als Demokratinnen und Demokraten in der Bundesrepublik. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer aus rassistischen Motiven willkürlich Mitbürger in diesem Land angreift, der greift immer zugleich auch unser aller demokratisches Selbstverständnis an. Deshalb geht es bei der Arbeit in diesem Untersuchungsausschuss im Kern um die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaats. Nur ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat wird das Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger finden. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um eine Fehleranalyse. Es geht nicht um Konfrontation; es muss uns um Kooperation gehen. Es geht nicht um ein Streiten zwischen den Parteien, sondern um das gemeinsame Streiten aller Fraktionen in dem Ausschuss für unsere Demokratie. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages in Anspruch genommen: Der Ausschuss, dessen Einsetzung wir heute beschließen wollen, ist der 39. Untersuchungsausschuss seit Bestehen des Bundestages. Es ist der erste und bisher einzige Ausschuss, der auf einem gemeinsamen Antragstext aller im Bundestag vertretenen Fraktionen beruht. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen, auf das wir gemeinsam stolz sein können. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir haben – das ist angesprochen worden – bereits im November hier im Hause gemeinsam eine Resolution verabschiedet, in der wir nicht nur unser aller Betroffenheit zum Ausdruck gebracht haben, sondern auch unsere Verpflichtung zur Aufarbeitung des Geschehenen und zum Ziehen von Konsequenzen aus Fehlern, die gemacht worden sind. Ich glaube, genau dieser Geist muss die Arbeit des Untersuchungsausschusses prägen. Deswegen gehe ich übrigens auch davon aus – das richte ich an die Adresse von Grünen und Linken –, dass wir im Untersuchungsausschuss Beweisanträge in großem Konsens beschließen und wechselseitig Verständigung suchen werden. Ich hoffe, wir können am Ende, wenn wir unseren Bericht vorlegen, gemeinsame Handlungsempfehlungen vorlegen, übrigens nicht nur zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, sondern auch zur Prävention. Ich bin zum Beispiel ein großer Freund von Programmen, die den Ausstieg aus der rechtsextremen Szene unterstützen. Aber noch viel besser finde ich Programme, die den Einstieg verhindern helfen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei all dem Entsetzen über das, was passiert ist, muss man vielleicht auch eines sagen: Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe haben unermesslich viel Schuld auf sich geladen, aber sie sind gewiss nicht als Rechtsextremisten geboren worden. Wir müssen dafür sorgen, dass wir ein Aufwachsen von jungen Menschen in unserem Land ermöglichen, in dem nicht diejenigen, die Freizeitangebote machen, Rechte sind und die demokratische Kultur vernachlässigt wird. Das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Demokratie ist verletzlich. Sie kann nicht vererbt, sondern muss von jeder Generation aufs Neue erlernt werden. Auch das sollten wir neben den repressiven Maßnahmen im Ausschuss miteinander besprechen. Ich möchte mit den Worten von Heinz Galinski schließen, die uns bei unserer anstehenden wichtigen Arbeit vielleicht ein Stück Wegbegleitung sein können. Heinz Galinski hat als Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland einmal gesagt: Demokratie ist kein Geschenk. Sie muss täglich erkämpft und verteidigt werden. – Das ist eine Aufgabe, die heute genauso aktuell ist wie damals, als uns Heinz Galinski aufgefordert hat, uns ihrer anzunehmen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Christian Ahrendt (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Viele Redner haben es schon angesprochen: Wir blicken auf eine Pannenserie zurück, die uns alle fassungslos macht. Wir antworten hier mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, um aufzuklären, wie es zu dieser Pannenserie, in deren Folge zehn Menschen ihr Leben verloren haben, gekommen ist. Wir werfen die Frage auf, ob dadurch das Vertrauen in unseren Rechtsstaat – so hat es in diesem Jahr der Präsident des Bundeskriminalamtes im Spiegel formuliert – fundamental erschüttert ist. Dem will ich ausdrücklich widersprechen. Der Rechtsstaat ist mehr als die Summe seiner Sicherheitsbehörden. Die Krise, über die wir diskutieren müssen, ist sicherlich eine Krise der Sicherheitsbehörden, weil diese in einer Zeit intensiver Beobachtung des Terrortrios aus dem rechten Spektrum von 1998 bis 2001 verschiedene Gelegenheiten haben verstreichen lassen, um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe festzunehmen und so die entstandene Mordserie zu verhindern. Zwei Fragen werden den Untersuchungsausschuss zentral beschäftigen: Die eine Frage hat der Kollege Edathy schon angesprochen. Ich möchte noch einmal darauf eingehen. Die Frage lautet: Warum ist es den Sicherheitsbehörden nicht gelungen, das alle Taten verbindende Motiv des Rechtsextremismus zu erkennen, mittels dieses gemeinsamen Motivs Aufklärung zu betreiben und die Täter dingfest zu machen? Ich glaube nicht, dass wir es uns mit der Beantwortung dieser Frage einfach machen können. Wenn wir den Zeitraum von 1998 bis 2001 betrachten, stellen wir als Erstes fest, dass sowohl Landeskriminalämter als auch die Bundesanwaltschaft ermittelt und gefragt haben, ob es sich bei diesem Trio um eine terroristische Vereinigung handelt. Dies wurde verneint. Wir können auch nicht sagen, dass wir uns in dieser Zeit nicht für Rechtsextremismus interessiert hätten; denn 2003 lief das NPD-Verbotsverfahren, bei dem der Extremismus große Aufmerksamkeit bekam. Das ist also keine Entschuldigung. Wenn man sich den besagten Zeitraum genau anschaut, dann stellt man des Weiteren fest, dass das, was uns heute begegnet und fassungslos macht, nichts Neues ist. 2001 titelte die Bild-Zeitung: Das geheime Leben der Terroristen in Hamburg – Terrorbestie lebt acht Jahre in Deutschland. – Es geht hier um diejenigen, die von Hamburg aus die Anschläge in New York vorbereitet haben. Obwohl wir damals wussten, dass es islamistischen Terrorismus gibt, war es für unsere Dienste unfassbar und unvorstellbar, dass Deutschland Rückzugsraum und Vorbereitungsraum für solche Täter ist. Da wir damals die potenziellen Täter nicht erkannt haben, weil es uns an Vorstellungskraft fehlte, müssen wir uns heute fragen: Konnten wir uns nicht vorstellen, dass es rechtsextremistischen Terror in Deutschland gibt, und ist das ein Grund dafür, dass wir das Motiv, das alle Taten miteinander verbindet, nicht rechtzeitig erkennen konnten? Das ist die eine Frage, mit der sich der Untersuchungsausschuss zentral zu befassen hat. Bei der anderen Frage – das ist schon angeklungen – geht es um die Sicherheitsarchitektur. Wie gehen wir mit dem beobachteten Organisationsverschulden um? Informationen wurden nicht weitergegeben. Da beobachten zwei verschiedene Polizeieinrichtungen dieselbe konspirative Wohnung. Die Täter erscheinen, werden aber nicht festgenommen. Jeder hat seine Quellen gehütet und Informationen nicht weitergegeben. Als die Quelle 2001 den entscheidenden Hinweis gibt, dass dieses Terrortrio genügend Geld hat, dass es keine Geldsorgen mehr hat – in den Jahren zuvor wurde das genaue Gegenteil berichtet –, werden die Ermittlungen eingestellt, und es passiert gar nichts mehr, und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt in Chemnitz bereits zwei Banküberfälle begangen wurden, durch die Herr Mundlos, Frau Zschäpe und Herr Böhnhardt mit ausreichend Geld versorgt wurden. Ermittlungen fanden aber nicht mehr statt. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen, wie dieses Organisationsverschulden aufzulösen ist und warum sich die Behörden nicht in ausreichendem Maße gegenseitig informiert haben. Auch das sind zentrale Fragen, die wir im Rahmen des Untersuchungsausschusses klären müssen. Der Untersuchungsausschuss wird eingesetzt, weil wir eine Verpflichtung gegenüber den Opfern haben. Wir können uns bei ihren Angehörigen nur dafür entschuldigen, dass das, was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist – das betrifft auch die Verdächtigungen der Angehörigen –, schlecht war. Wir müssen aber auch sagen: Wir können jetzt nur das tun, was wichtig ist. Das heißt, wir müssen aufklären. Wir müssen diejenigen, die geholfen haben, zur Rechenschaft ziehen und dafür sorgen, dass sie verurteilt werden. Wir müssen aus den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses Konsequenzen ziehen. Es kann nicht sein, dass es in Deutschland immer wieder verschiedene Organisationen, Behörden und Stäbe gibt, die sich überlegen, wie man die Sicherheitsarchitektur neu organisieren kann – zuletzt war das die Werthebach-Kommission –, aber alle diese Vorschläge in den Schubladen verschwinden, weil die Behörden selbst entscheiden und sie eigentlich keine Änderung wünschen. Das kann nicht die richtige Antwort sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern wünsche ich uns, dass der Untersuchungsausschuss gute Vorschläge macht, die nicht in den Schubladen, sondern im Gesetzblatt landen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Wolfgang Wieland das Wort. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stünde ich hier als Anwalt, würde ich sagen: „Ich schließe mich den richtigen Ausführungen des Kollegen Binninger vollinhaltlich an“, und mich wieder hinsetzen. Aber dafür habe ich nicht drei Minuten Redezeit erstritten. Aus der Verlegenheit hilft mir, wie so oft, der Kollege Uhl. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der hat noch gar nicht geredet!) – Ja, er kommt nach mir, aber ich ziehe ihn vor. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Er weiß schon, was ich sage!) – Ich weiß immer, was er sagen wird, weil er so berechenbar ist. – Aber an einem Freitag, dem 13. – das Datum entschuldigt nicht alles –, erklärte er im Deutschlandradio wörtlich: Ich halte bei allem Aufklärungsverlangen das Instrument des Untersuchungsausschusses in diesem Fall für falsch. Es ist nämlich auch ein Kampfinstrument der Opposition gegen die Regierenden. Ich selbst war ja Vorsitzender des Visa-Untersuchungsausschusses … Unvergessen, Herr Kollege Uhl. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Joschka Fischer kann sich auch erinnern!) Aber hier weiß ja die SPD gar nicht, ob sie auf der Ankläger- oder auf der Verteidigerseite steht … So weit der Kämpfer Uhl, der aus diesem alten Schema, Herr Kollege Binninger, gedanklich noch nicht herausgetreten ist. Wir werden gleich sehen, ob er seitdem Fortschritte gemacht hat, Fortschritte im Lernprozess; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn wenn es auch richtig ist – das geben wir zu –, dass die Rollenfindung der SPD einige Zeit gedauert hat und die Erleuchtung wohl erst unter dem Weihnachtsbaum gekommen ist, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Mit Gottes Hilfe!) so zählt doch das Ergebnis. Das Ergebnis ist: Wir werden einen vollwertigen Untersuchungsausschuss bekommen, der auf nichts und niemanden mit seinen Untersuchungen zu warten hat und der im Untersuchungszweck und seinen Möglichkeiten einzig der Verfassung verpflichtet ist. Das wollten wir so, und deswegen sind wir heute sehr zufrieden, dass dieser Ausschuss eingesetzt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Natürlich hat ein Untersuchungsausschuss immer einen Doppelcharakter. Da sind wir nicht blauäugig. Aber ich sehe genauso wie Ihr Kollege, dass hier eine Chance besteht; denn es interessiert wirklich nicht ernsthaft, ob ein Landesinnenminister wo auch immer vor 15 Jahren versagt hat. Vielmehr interessieren diesmal die strukturellen Fragen. Diesmal interessiert die Frage, die der Kollege Ahrendt zu Recht aufgeworfen hat, nämlich warum man bei dieser Mordserie nicht den gedanklichen Sprung gemacht hat; denn das BKA hatte auch die Hypothese, dass Fremdenhass als Motiv infrage komme. Warum hat man dann nicht den Sprung gemacht und nach bekannten und untergetauchten Rechtsextremisten gesucht? Warum hat das alles nicht funktioniert? Das ist das, was der türkische Bevölkerungsteil wissen muss. Er ist sehr misstrauisch und sehr beunruhigt. Deshalb müssen wir gute Ergebnisse bringen. Abschließend sage ich in Richtung der Länder: Wir leben hier nicht mehr im Deutschen Bund; wir leben in einem Bundesstaat mit klar festgelegten Rollen. Jeder Bürger der Bundesrepublik hat vor einem Untersuchungsausschuss zu erscheinen und auszusagen, und wenn er in seiner Aussage beschränkt wird, ist das gerichtlich überprüfbar. Ich will hier nicht drohen; ich bin auch sehr optimistisch, dass wir gut arbeiten können; aber im Ergebnis wird das Recht auf unserer Seite sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Vom Kollegen Wieland freundlicherweise schon angekündigt, hat nun der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die Unionsfraktion das Wort. (Zuruf von der SPD: Das ist wahre Kollegialität!) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Geschätzter Kollege Wieland, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Sie werden sich noch wundern, wie ich auf meine alten Tage noch aus meinem alten Kampfschema herauskommen kann. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass ich das noch erleben darf! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine falschen Ankündigungen!) Ich werde stellvertretendes Mitglied in diesem einzusetzenden Untersuchungsausschuss sein und werde immer wieder einmal vorbeischauen, um zu sehen, ob das, was Sie prognostiziert haben, zutrifft, dass nämlich dieser Untersuchungsausschuss kein Kampfinstrument der Opposition sein wird. Man würde sich ja auch sofort fragen: Welcher Opposition eigentlich – der in Thüringen, der in Sachsen, der in Brandenburg, oder wo auch immer diese Dinge eine Rolle spielen? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Bund! – Fritz Rudolf Körper [SPD]: Auch in Bayern!) – Auch in Bayern. Ja, eben. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das darf nun gar nicht sein!) Wir werden auch klären und, wie ich hoffe, Antwort auf die Frage finden, wo durch wen und vor allem wann welche Fehler gemacht wurden, die dazu geführt haben, dass auch in Bayern fünf Morde nicht aufgeklärt werden konnten und dass dieses für diesen Rechtsstaat durchaus schlimme Ergebnis herauskam, das zu dem unsäglichen Vorwurf führte, die Sicherheitsbehörden seien auf dem rechten Auge blind. Das dürfen wir nicht stehen lassen. Es gibt keinen schlimmeren Vorwurf für Deutschland als diesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auf dem rechten Auge haben wir nicht blind zu sein. Es muss geklärt werden, wie es zu diesem Ergebnis kommen konnte. Herr Wieland, ich gebe Ihnen und auch anderen Recht, dass wir es hier vor allem mit einem Problem zu tun haben, das in der Natur unserer Bundesrepublik Deutschland zu suchen ist, nämlich in der föderalen Grundstruktur. Eine Zeitung hat dazu sogar kürzlich eine Zeichnung gemacht und sie mit „Der Irrgarten“ überschrieben. Da sind die Sicherheitsbehörden in Deutschland und ihre Aufsichten zu sehen: 16 Landeskriminalämter, 16 Landesämter für Verfassungsschutz, darüber die entsprechenden Bundesämter, Kontrollgremien usw. usf. Ich gebe zu, dass in einem zentralistisch aufgebauten Staat vom Typ Frankreichs, wo alles in Paris zusammenläuft, solche Dinge nicht passieren können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) In der Bibel heißt es: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Am Anfang dieser Republik standen die Besatzungsmächte. Diese haben gesagt: So etwas wie die Organisationsstruktur des Dritten Reichs nie mehr! – Oder: Jetzt nicht mehr. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nie mehr!) Das Ergebnis waren die Trennung von Verfassungsschutz und Polizei und der föderale Aufbau mit mittlerweile 16 Bundesländern. Die Folgeprobleme haben wir in diesem Fall natürlich zu lösen. Ich denke, dass Innenminister Hans-Peter Friedrich recht hatte, als er gleich zu Anfang, im letzten Jahr noch, in der Innenministerkonferenz den Landesinnenministern gegenüber sehr deutlich geworden ist und gesagt hat: So kann das nicht weitergehen; diese Strukturdefizite, die in der Natur der Sache liegen, müssen wir überwinden, und wir müssen für mehr Zusammenarbeit sorgen. Das wird bei diesem Untersuchungsausschuss immer wieder im Mittelpunkt stehen. Wir werden, so hoffe ich, auch aufklären können – ich glaube, das Ergebnis schon in etwa skizzieren zu kön-nen –, dass man nicht sagen kann, dass das Nazidenken wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei und dass diese zehn Morde dafür ein Beleg seien. Das ist wirklich eine völlig falsche Schlussfolgerung. Was wir natürlich wissen wollen, ist: Wie groß ist der braune Sumpf? Mit wem haben die drei kommuniziert? Von wem haben sie Hilfe erlangt? Wen haben sie um Hilfe gebeten? Dazu wäre es natürlich hilfreich, die vielen festgestellten Kommunikationsmittel auswerten zu können und zu sehen, mit wem per E-Mail, per Computer, per Handy oder wie auch immer kommuniziert wurde. Dann wüssten wir sehr viel mehr. Jetzt muss der herkömmliche Weg beschritten werden, der natürlich schwierig ist. Ich fürchte, jeder muss an sich arbeiten, damit wir aus dem Untersuchungsausschuss keinen Bund-Länder-Konflikt machen. Die Länder sind natürlich eifersüchtig darauf bedacht – das weiß jeder, der sie und ihre Innenminister kennt; ich kenne sie seit vielen Jahren –, ihre Kompetenzen um nichts, aber auch gar nichts zu schmälern. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Haben Sie die Rede mit dem bayerischen Innenminister Herrmann abgestimmt?) – Ich sehe ihn förmlich vor mir. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen brauche ich überhaupt nichts abzustimmen. Aber ich sehe auch Innenminister anderer Länder, egal welcher Couleur, vor mir, die ziemlich ähnlich denken. Ich glaube, wir werden dieses Geschäft mühsam betreiben müssen. Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt, dass wir am Schluss sagen: Der Ausschuss wurde doch wieder zum Kampfinstrument. Da bin ich mir noch nicht so ganz sicher; denn wir haben ja auch ein Nebeneinander von Ermittlern und Aufklärern, die sich bei diesem Geschäft auch gegenseitig auf die Füße treten und sagen können: Diese Akten und diesen Zeugen brauchen wir jetzt; den können wir nicht an euch abgeben. Dann kommen aus dem einen Gremium und aus dem anderen Gremium vielleicht Zeugenaussagen heraus, die nicht zusammenpassen und dann zu irgendwelchen Schlussfolgerungen einladen. Meine Damen und Herren, das ist alles sehr kompliziert. Aber wir werden das tun müssen, weil – noch einmal – nicht stehen bleiben darf, dass wir auf dem rechten Auge blind sind. Da sind wir uns alle einig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Ich meine, dass wir uns bei dem Thema „Neonazis in Deutschland“ immer wieder eines vor Augen führen müssen: dass nationalsozialistisches Gedankengut letztlich nicht vom Staat allein bekämpft werden kann, sondern von der gesamten Gesellschaft bekämpft werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau so ist es! Deshalb fahren wir nach Dresden!) Das heißt, wir müssen Antisemitismus durch die gesamte Gesellschaft bekämpfen. Wir müssen Ausländerfeindlichkeit durch die gesamte Gesellschaft bekämpfen. Wir müssen jedes antidemokratische Führerdenken durch die gesamte Gesellschaft bekämpfen. Übrigens, dass uns das in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelungen ist, sieht man auch daran, dass eine NPD mit ihren eins Komma soundso viel Prozent in der parlamentarischen Bedeutungslosigkeit verharrt – und das ist gut so. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war schon mal anders!) – Das war schon mal anders. Ich meine, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und es ist eine Aufgabe, die uns nie verlassen wird. Deswegen ist jedes Argumentieren „Damit muss ein für alle Mal Schluss sein“ ein zutiefst unpolitischer Gedanke. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) Mit dem nationalsozialistischen Denken kann nicht ein für alle Mal Schluss ein. Rassistisches Denken, antisemitisches Denken, ausländerfeindliches Denken, Führergedanken wird es immer wieder in kranken Gehirnen geben; diese Gedanken muss man dann bekämpfen. Das kann man nicht allein durch Verbote erledigen; da muss man die Gedanken bekämpfen. Genauso verhält es sich mit anderen extremistischen Gedanken, die wir in der letzten Debatte behandelt haben, nämlich mit kommunistischen Fehlideen; diese müssen wir genauso bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8453 zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat getrennte Abstimmungen über Abschnitt A einerseits und Abschnitt B andererseits verlangt. Abstimmung über Abschnitt A des Antrags auf Drucksache 17/8453. Wer stimmt für den Abschnitt A? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Abschnitt A ist damit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke einstimmig angenommen. Abstimmung über Abschnitt B. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8463. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8464. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für Abschnitt B des Antrags? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist damit insgesamt einstimmig angenommen und der 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode ist eingesetzt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Agnes Alpers, Steffen Bockhahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Erhalt der Gedenkstätten nationalsozialistischer Vernichtungslager sicherstellen – Drucksache 17/7028 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Sommer 2011 erreichte uns die Nachricht aus Polen, dass die Gedenkstätte Sobibor wegen fehlender Fi-nanzierung schließen musste. Sobibor gehörte zu den Vernichtungslagern, die nicht so bekannt sind wie Auschwitz oder Treblinka, aber auch dort wurden in nur anderthalb Jahren über 250 000 Menschen ermordet. Ich weiß, dass sich der Bund und auch die Länder am Erhalt beispielsweise der Gedenkstätte Auschwitz beteiligen und entsprechende Vereinbarungen bis 2015 getroffen wurden, was auch wir als Linksfraktion ausdrücklich begrüßen. Aber auch die Gedenkstätte Sobibor, eine relativ kleine Gedenkstätte, steht für den Zivilisationsbruch der industriellen Vernichtung von Millionen Frauen, Männern und Kindern. Sobibor steht übrigens auch für den Widerstand der Häftlinge. Am 14. Oktober 1943 erhoben sich die Häftlinge dieses Vernichtungslagers, und vielen gelang unter großen Opfern die Flucht. Es besteht, denke ich, Einigkeit hier im Hause, dass wir nicht nur für die großen bekannten Gedenkstätten eine Verantwortung haben, sondern auch für die nicht so großen Gedenkstätten. Meine Fraktion hat an die Bundesregierung die Frage gerichtet, was Bundestag oder Bundesregierung tun können, um diesbezüglich Abhilfe zu leisten, um dafür zu sorgen, dass die Gedenkstätte wieder ihrer Arbeit nachkommen kann. Wir haben von der Staatsministerin Cornelia Pieper eine Auskunft bekommen, die gezeigt hat, was in anderen Bereichen möglich ist. Einen Kritikpunkt will ich in diesem Zusammenhang aber anmelden. Sie antworteten auf unsere Frage, was wir tun können, um die Gedenkstätte Sobibor zu erhalten, etwas lax: Die polnische Seite hat sich bisher nicht an die Bundesregierung mit der Bitte um Unterstützung zum Erhalt der Gedenkstätte Sobibor gewandt. Wir müssten damit anders umgehen. Wir sollten von uns aus fragen, ob wir dort helfen können. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre die richtige Antwort. Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass sich um den Kollegen Montag eine interfraktionelle Arbeitsgruppe von Abgeordneten zu diesem Thema treffen will. Ich hoffe, dass Sie sich daran beteiligen und diese Hinweise aufnehmen werden. Frau Pieper, wir möchten, dass Sie vonseiten der Bundesregierung aktiv bei unseren polnischen Freundinnen und Freunden nachfragen, wie wir dort helfen können; denn das – auch da herrscht wohl Einigkeit in diesem Hause – ist aufgrund unserer Geschichte eine Verpflichtung. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben morgen, am 27. Januar, die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Gerade in der jetzigen Zeit, da die letzten Zeitzeugen sterben, sollte die pädagogische Arbeit insbesondere an den sogenannten authentischen Orten in Polen, wo die Vernichtungslager standen, fortgesetzt werden. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung da aktiv wird. Angesichts des morgigen Tages sollten wir uns alle an Theodor Adorno erinnern, der zu Recht gesagt hat, Ziel aller Pädagogik müsse es sein, dass Auschwitz sich nicht wiederholt. Ich hoffe, dass wir als Bundestag insgesamt in diesem Sinne bei der Unterstützung der Gedenkstätten in Polen aktiv werden können. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Professor Monika Grütters für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Monika Grütters (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An einem historisch bedeutsamen Datum führen wir heute diese Debatte. Wir haben vor wenigen Tagen des 70. Jahrestages der Wannseekonferenz gedacht, und morgen, am 27. Januar, wird weltweit der Holocaustopfer gedacht. Im Bundestag – das wissen Sie, und wir sehen dem gespannt entgegen – wird Marcel Reich-Ranicki als einer der wenigen noch lebenden Überlebenden des Warschauer Ghettos zu uns sprechen. Konrad Adenauer hat in einer bewegenden Rede schon 1952 daran erinnert, dass es – ich zitiere –: weder nur ein Heute oder Morgen gibt, sondern eben auch ein Gestern, das das Heute und das Morgen stark, ja manchmal entscheidend beeinflusst. Man muss das Gestern kennen, man muss auch an das Gestern denken, wenn man das Morgen wirklich gut und dauerhaft gestalten will. Die Vergangenheit ist eine Realität. Sie lässt sich nicht aus der Welt schaffen, und sie wirkt fort, auch wenn man die Augen schließt, um sie zu vergessen. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) So Konrad Adenauer in einer Zeit, 1952, als die Erinnerung noch viel lebendiger war, als sie jetzt für uns, 60 Jahre später, ist. Wenn wir der Opfer gedenken, tun wir das im vollen Bewusstsein der außerordentlichen Verantwortung Deutschlands. Herr Kollege Korte, Ihr Antrag betrifft das ehemalige KZ Sobibor in Polen. Es ist heute – Sie haben gesagt, das sei klein – eine wichtige Stätte des Gedenkens an die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie. Diese Gedenkstätte muss erhalten, gepflegt und finanziert werden. Daran besteht kein Zweifel. Dass der Gedenkstätte Sobibor von kommunaler Seite die Zuschüsse erheblich gestrichen wurden, führte dazu, dass im Sommer 2011 das Museum – nicht die Gedenkstätte – vorübergehend geschlossen werden musste. Das war in der Tat bedenkenswert und schlimm. Trotzdem hat die polnische Seite zu keinem Zeitpunkt um Hilfe ersucht. Ich finde es fragwürdig, gerade in unserer Rolle, sich in einer Weise einzulassen, die möglicherweise – Frau Pieper wird das gleich ausführen – gar nicht erwünscht ist. Das kann ich nicht wissen. Aber ich finde, so selbstverständlich, wie Sie das darstellen, ist dieser Akt nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Man hätte ja fragen können!) Mittlerweile, Herr Korte – das wissen auch Sie; theoretisch könnten wir sagen: Der Antrag ist erledigt –, ist für die Gedenkstätte Sobibor zum Glück eine Lösung gefunden worden. Sobibor wurde mit Beginn des Jahres Teil der KZ-Gedenkstätte Majdanek bei Lublin und ist nun nicht mehr in kommunaler Verantwortung, sondern eine Institution des polnischen Kultusministeriums und damit direkt diesem Ministerium unterstellt. Künftig sind so eine Absicherung der Finanzierung und auch die administrative Förderung auf einer höheren Ebene, durch die polnische Zentralregierung, sichergestellt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Aber jenseits dieses Falles ist es uns wichtig, einmal mehr zu betonen, gerade heute: Dem Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus und dem Gedenken an seine Opfer kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine ungemein hohe Bedeutung zu. Dazu haben wir uns nicht zuletzt mit der Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts von 2008 klar bekannt. Es bleibt unsere ständige Aufgabe, die Erinnerung an die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus wachzuhalten, der Opfer der Schoah zu gedenken und – ich finde auch – Schuld einzugestehen. Für die Aufarbeitung der NS-Diktatur ist dabei die besondere Aussagekraft der authentischen Orte – das haben Sie zu Recht erwähnt; die der Opfer übrigens wie die der Täter; von den letzteren gibt es gerade in Berlin sehr viele – unverzichtbar. 2009 wurden die westdeutschen KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Neuengamme, Dachau und Flossenbürg in die institutionelle Förderung des BKM aufgenommen, zusätzlich zu den vier großen KZ-Gedenkstätten in Thüringen und Brandenburg. Das war bis dahin auch nicht selbstverständlich. Das ist die innerstaatliche Verantwortung. Daneben unterstützt das Auswärtige Amt internationale Projekte zur Erinnerung und zum Gedenken an die Schoah. Da ist zum Beispiel die Task Force für Internationale Zusammenarbeit bei der Holocausterziehung, Erinnerung und Forschung, wo Deutschland eines von 27 Mitgliedstaaten ist. Die internationale Verantwortung, nicht nur die bilaterale, ist ein besonderer Zug dieser Gedenkpolitik. Es gibt die Stiftung Auschwitz-Birkenau, die die Restaurierung des ehemaligen KZ und der heutigen Gedenkstätte finanzieren soll. Sie wurde auf Initiative des polnischen Staatssekretärs und Auschwitz-Überlebenden Professor Wladyslaw Bartoszewski in Warschau mit dem Ziel gegründet, einen Kapitalstock von 120 Millionen Euro einzuwerben, aus dessen Erträgen die Restaurierungsarbeiten in der Gedenkstätte langfristig finanziert werden. An dem Projekt beteiligen sich auch andere europäische Staaten und die USA. Im Dezember 2010 haben der Bundesaußenminister und Vertreter der Bundesländer – wir haben heute schon einmal an dieser Stelle über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern gesprochen – eine Vereinbarung mit der Stiftung Auschwitz-Birkenau über einen deutschen Beitrag von insgesamt 60 Millionen Euro unterzeichnet. Dieser Beitrag wird jeweils zur Hälfte vom Bund und den Ländern finanziert und kommt der Stiftung seit 2011 in fünf gleichen Jahresraten zu. Diese besondere Initiative gibt es deshalb, weil es sich eben um Auschwitz handelt, das geradezu symbolhaft für die Verbrechen der Nationalsozialisten steht. Gerade diese wichtige Gedenkstätte erinnert in besonderer Weise an die Verbrechen. Sie ist ein unverzichtbarer Ort der Erinnerung, der Aufklärung und des Lernens. Die internationale Konferenz zu Holocaustfragen in Prag 2009, die wir besser als Nachfolgekonferenz der Washingtoner Konferenz kennen, mahnte, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Wichtig seien hier vor allem Information, Aufklärung, Berücksichtigung in Schule, Hochschule und Forschung. Im Laufe dieser Konferenz wurde von den 46 Teilnehmerstaaten die sogenannte Theresienstädter Erklärung unterzeichnet, die auch Sie in Ihrem Antrag zitieren und aus der ich zum Schluss etwas vortragen will. Dort heißt es: In Anerkennung der Bedeutung von Bildung und Gedenken hinsichtlich des Holocaust … und anderer Naziverbrechen als fortwährende Lehre für die gesamte Menschheit … rufen wir alle Staaten nachdrücklich auf, regelmäßige jährliche Gedenk- und Gedächtnisfeiern zu unterstützen beziehungsweise einzuführen – deshalb haben wir durch Proklamation von Roman Herzog bei uns den 27. Januar als Erinnerungstag eingeführt – sowie Mahnmale und andere Gedenkstätten und Orte zur Erinnerung an das unermessliche Leiden zu erhalten. So weit die Theresienstädter Erklärung. Dieser Selbstverpflichtung von 46 Ländern zum Erhalt der authentischen Orte und Gedenkstätten folgend, ist gerade die Erinnerungskultur eine der großen moralischen, politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, aber auch Leistungen der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland bekennt sich zu seiner Verantwortung für die Schoah. Sie ist unverrückbarer Teil der kollektiven Erinnerung in Deutschland, und zwar für alle Zeiten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dietmar Nietan (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Elie Wiesel hat einmal gesagt: Wer die Opfer der Schoah vergisst, tötet sie ein zweites Mal. – Ich glaube, auch aus diesem Grund sind wir uns in diesem Hause alle einig, dass wir die dauerhafte Aufgabe haben, aller Opfer des NS-Terrors zu gedenken und alle Opfer des NS-Unrechts zu ehren. Diese Aufgabe hat – das ist bereits gesagt worden – auch sehr viel mit Orten der Erinnerung zu tun. Deshalb, finde ich, ist es eine lobenswerte Initiative der Fraktion Die Linke gewesen, im vergangenen Jahr diesen Antrag auf den Weg zu bringen, um darüber nachzudenken, was wir tun können, um nicht nur Sobibor zu erhalten, sondern auch andere Orte des NS-Unrechts, auch außerhalb der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Das Ganze ist so wichtig, weil ein Element des Erinnerns, des Lernens aus der Geschichte, insbesondere den jungen Menschen nicht mehr lange zur Verfügung stehen wird: die Überlebenden, die Zeitzeugen. Ich hatte die große Ehre, den Herrn Bundespräsidenten vor fast genau einem Jahr, am 27. Januar 2011, zu begleiten, als er gemeinsam mit seinem Kollegen Komorowski an der Gedenkfeier in Auschwitz teilnahm und vor dem offiziellen Teil die internationale Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz besuchte, um ein Gespräch mit jungen Menschen und Überlebenden zu führen. Wer das erlebt hat, der weiß, wie wichtig Erinnern und Gedenken gerade für junge Menschen und für die nächsten Generationen junger Menschen ist. Auch aus diesem Grund – weil uns eben die Zeitzeugen, die Überlebenden, leider nicht mehr lange zur Verfügung stehen werden – sind die Orte des Unrechts von besonders großer Bedeutung. Das gilt ausdrücklich auch für die von Deutschen in Polen errichteten Konzentrations- und Vernichtungslager. Ich verstehe die Debatte heute so – da sich ja auch im Hinblick auf Sobibor einiges getan hat –, dass wir uns nicht über die Frage streiten müssen, ob wir warten sollen, bis es etwa eine offizielle Anfrage der Republik Polen gibt. Vielmehr müssen wir prüfen, ob es möglich ist, dass wir – mit größter Sensibilität; das ist auch von meiner Vorrednerin gesagt worden – ein Signal setzen, das zeigt, dass wir selbstverständlich unserer Verantwortung gerecht werden und da Hilfe anbieten, wo es notwendig ist. Mit „helfen“ meine ich: nicht nur mit Geld. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe betont: Das muss mit aller Sensibilität geschehen; denn es darf in den Ländern, die besonders unter dem NS-Unrecht gelitten haben, niemals der Eindruck entstehen, dass sozusagen aus dem Land der Täter gute Ratschläge oder gar Bevormundungen und Einmischungen kommen. Aber nichtsdestotrotz weiß ich, dass es – gerade bei der Republik Polen und der Bundesrepublik, die ein so gutes Verhältnis zueinander haben wie noch nie in der Geschichte – möglich ist, den richtigen Weg zu finden und zu signalisieren: Da, wo wir gebraucht werden, helfen wir gerne, weil das eine selbstverständliche Verantwortung ist. Ausgangspunkt eines solchen Helfens und entsprechender Überlegungen, was man tun kann, müssen immer – auch das will ich deutlich sagen – die Perspektive und die Interessen der Opfer und Überlebenden sein. Ausgehend von dem Gedanken, die Opfer und Überlebenden zu ehren, müssen wir überlegen, wie wir die Orte des NS-Unrechts dauerhaft erhalten können. Da sollten wir uns einen Punkt genauer anschauen: Was können wir in einem zusammenwachsenden Europa tun, um den Umgang mit der gemeinsamen europäischen Geschichte mitzugestalten? Dabei ist immer zu beachten, dass wir unterschiedliche Erinnerungskulturen haben; denn selbstverständlich sind die Erinnerungskulturen der Nationen, die unter dem NS-Unrecht unendlich gelitten haben, anders als beispielsweise die Erinnerungskultur in Deutschland, sozusagen dem Nachfolgeland der Täter. Aber ich glaube, dass ein solches Vorgehen möglich ist. Ich will dabei auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der mir wichtig ist: Es geht nicht nur um das Erinnern, um das Gedenken und Ehren der Opfer, sondern aus meiner Sicht auch um die Frage: Was können wir tun, damit alle in unserem Land und alle Menschen in Europa, insbesondere die nächsten, jungen Generationen, einen Weg finden, etwas aus der Geschichte, von den authentischen Orten und aus dem, was dort geschehen ist, zu lernen? Deshalb fände ich es gut, wenn wir über Fraktionsgrenzen hinweg überlegen würden: Welchen Beitrag können wir zu einer europäischen Erinnerungskultur leisten, zu einem Gesamtkonzept, das vorsieht, alle wichtigen und relevanten Gedenkstätten und Orte des NS-Terrors als Orte des Erinnerns und des Lernens zu erhalten und sie, wo es notwendig ist, auszubauen? Was können wir tun, damit an diesen authentischen Orten auch dann, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die authentisch berichten können, jedem, der guten Willens ist, unverrückbar und unzweifelhaft deutlich wird, welch eine präzedenzlose Barbarei in der NS-Zeit, im Holocaust stattgefunden hat? (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe sehr, dass wir den Antrag der Fraktion Die Linke zum Anlass nehmen, einen Weg zu finden, das in größter Gemeinsamkeit, mit allen Fraktionen dieses Hauses, zu tun; (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) denn ich glaube nicht, dass sich dieses Thema zur parteipolitischen Profilierung eignet. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das gilt auch für den Antrag! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Das scheinen Sie ja hier zu unterstellen!) – Das gilt selbstverständlich auch für Anträge. Aber manchmal braucht es – lassen Sie es mich so sagen – einen Stein des Anstoßes, um gemeinsam den richtigen Weg zu gehen. – Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn die Initiative der Kollegin Krumwiede und des Kollegen Jerzy Montag von allen Fraktionen unterstützt wird, damit es in der weiteren Beratung dieses Antrags gelingt, einen Weg zu finden, dass der Deutsche Bundestag – ich hoffe, mit ihm auch die Bundesregierung – ein deutliches Signal sendet: Wir wollen ein Konzept für alle Gedenkstätten, egal wo sie sich befinden; wir wollen gemeinsam einen Beitrag leisten, mit aller Sensibilität und in der Verantwortung, die wir gemeinsam aus unserer Geschichte heraus tragen wollen. Wenn dieser Antrag bewirkt, dass wir jetzt miteinander eine solche Debatte führen, dann sind wir auf einem guten Weg. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Staatsministerin Dr. Cornelia Pieper. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]) Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicher wichtig und auch richtig, dass wir gerade heute, am Vorabend des 27. Januar, im Gedenken an die Opfer des Holocaust hier im Parlament in der Sache diskutieren. Das steht dem Parlament auch gut an. Ich will für die Bundesregierung erklären, dass wir ohne Wenn und Aber zur historischen Verantwortung Deutschlands für den Holocaust stehen. Die Bundesregierung setzt sich intensiv für die Pflege und den Unterhalt von Gedenkstätten ehemaliger nationalsozialistischer Vernichtungslager im In- und Ausland ein. Das wird auch von unseren Partnern, allen voran von den Polen, ausdrücklich anerkannt. Einige Beispiele wurden genannt. Die Kollegin Grütters hat insbesondere auf die Stiftung Auschwitz hingewiesen. Ich will noch einmal daran erinnern, dass sich Bund und Länder Ende 2009 gemeinsam zu einer Aufstockung des Kapitals der neuen Stiftung auf insgesamt 60 Millionen Euro bis 2015 verpflichtet haben. Die erste Rate in Höhe von 12 Millionen Euro wurde bereits 2011 ausgezahlt. Die zweite wird in Kürze folgen. Somit sind wir mit Abstand der größte Förderer der Stiftung Gedenkstätte Auschwitz, und das ist auch gut so. Darüber hinaus werden wir die staatliche israelische Gedenkstätte Yad Vashem in den kommenden Jahren mit insgesamt 10 Millionen Euro unterstützen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Bundesminister Westerwelle wird nächste Woche ein Regierungsabkommen dazu unterzeichnen. Ich will daran erinnern, dass wir uns gemeinsam mit den Partnern einig sind. Ebenso wie für andere Staaten ist die Theresienstädter Erklärung von 2009 Richtschnur für unser Handeln. Sie besagt, dass der Erhalt von Gedenkstätten und jüdischen Friedhöfen grundsätzlich die Aufgabe des Landes ist, in dem sie liegen. Das ist im Übrigen auch Polen ganz wichtig. Ich stehe sehr intensiv – wie Herr Nietan weiß, weil auch er es tut – mit der polnischen Regierung in Kontakt; das hat sicher auch mit meiner Aufgabe als Koordinatorin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit zu tun. In dieser Woche habe ich nochmals Kontakt zum polnischen Kulturministerium aufgenommen und habe mit Herrn Zuchowski, dem Staatssekretär im polnischen Kulturministerium, gesprochen. Ich möchte Sie darüber informieren, dass die Gedenkstätte Sobibor dem polnischen Kulturministerium direkt unterstellt und dem Museum Majdanek zugeordnet ist, sodass der langfristige Erhalt gesichert ist. In der Tat kam es zu Missverständnissen und Irritationen, die uns beunruhigt haben. 2011 kam es aufgrund von administrativen Regelungen, die sich scheinbar negativ auf die Finanzierung ausgewirkt haben, zu der vorübergehenden Schließung des Museums. Das hat man in Polen inzwischen geklärt. Am 17. Januar dieses Jahres wurde eine Vereinbarung mit dem Landrat, in dessen Bezirk sich Sobibor befindet, unterschrieben. Die Finanzierung von Sobibor ist von polnischer Seite gesichert. Die Kollegen von der Linken sollten wissen, dass Deutschland bereits angeboten hat, sich an dem gemeinsamen Projekt für Sobibor zu beteiligen. Es gibt ein Memorandum of Understanding mit Israel, der Slowakei und den Niederlanden. Polen hat uns ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht will, dass Deutschland in diesem Fall an diesem Projekt beteiligt ist. Das hat etwas mit der Geschichte und den Opfern von Sobibor zu tun. Wir haben das als deutsche Regierung respektiert. Summa summarum: Ich kann nur betonen, dass uns der Erhalt von Gedenkstätten in jeglicher Form, ob in Deutschland oder in Europa, wichtig ist. Wir werden alles daransetzen, dass wir als Deutsche der Opfer gedenken und die Verantwortung für die schrecklichen Gräueltaten übernehmen. Aber ich glaube, man muss respektieren, wenn die polnische Regierung sagt, dass sie uns in dem Fall bei diesem Projekt nicht dabeihaben will. In dem vorliegenden Antrag steht, dass die Bundesregierung Kontakt aufnehmen soll, um ein Angebot zu unterbreiten. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Staatsministerin, Sie können selbstverständlich weiterreden, aber das hat dann Konsequenzen für nachfolgende Redner Ihrer Fraktion. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin, ich möchte gern, dass der Kollege von der FDP, Patrick Kurth, noch redet. (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich hoffe, als anständige Regierung wollen Sie auch die Opposition hören!) Ich wollte nur sagen: Eigentlich hat sich der Antrag erledigt. Aber wir unterstützen natürlich weiterhin das Vorhaben, die Gedenkstätten zu erhalten; das dient auch dem Gedenken an die Opfer. Wir werden unseren finanziellen Beitrag dazu leisten. Danke. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Wolfgang Wieland das Wort. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es waren 250 000 Menschen, die im Vernichtungslager Sobibor zwischen Mai 1942 und Oktober 1943 vergast wurden. „Sie wurden“, um eine Formulierung von Heinz Galinski zu gebrauchen, des langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde hier in dieser Stadt, „ermordet, nur weil sie Juden waren.“ 250 000 Menschen – das entspricht der gesamten Einwohnerzahl von Städten wie Kiel, Braunschweig oder Krefeld. Ermordet wurden diese Menschen im Rahmen der deutschen „Endlösung der Judenfrage“ – Stichwort Wannsee-Konferenz, an die wir alle zu Recht, wie ich finde, erinnert haben –, im Zuge der deutschen „Aktion Reinhardt“ unter dem Kommando des deutschen SS-Obersturmführers Franz Stangl. Die deutsche Verantwortung hierfür, und zwar die alleinige Schuld, steht außer Frage und wurde hier ja auch von niemandem infrage gestellt. Nun ist die Frage: Wie stellen wir uns dazu – das ist tatsächlich eine nicht einfach zu beantwortende Frage; da gebe ich Ihnen völlig recht, Frau Pieper –, wenn die polnische Seite Finanzierungsschwierigkeiten hat? Wir haben dazu schriftliche Anfragen an Ihr Haus gestellt. Wir haben im Rahmen der Haushaltsberatungen durch meine Kollegen Jerzy Montag, der zurzeit auf der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ist, Volker Beck und andere einen Antrag gestellt, weil es uns zutiefst beunruhigt hat, dass hier möglicherweise eine Gedenkstätte nicht weiter finanziert werden kann. Es ist auch tatsächlich zu hinterfragen, dass die Länder der Opfer – Sie haben sie aufgezählt: Niederlande, Israel und andere – hier einen finanziellen Beitrag leisten, das Land der Täter aber nicht. Man muss sich fragen, ob das so richtig ist. Natürlich können und wollen wir nichts aufdrängen, aber der Hinweis auf die Theresienstädter Erklärung ist ja noch nicht die ganze Antwort. Sie beinhaltet nur die Verpflichtung der Länder zum Erhalt der Gedenkstätten, die sich auf ihrem Territorium befinden. Das heißt noch nicht – Sie selber haben ja die Ausnahme Auschwitz in diesem Zusammenhang erwähnt –, dass es nicht auch eine Mitbeteiligung von deutscher Seite geben kann und dass diese auch sinnvoll ist. Da es sich um eine hochsensible Frage handelt – das wurde hier nicht bestritten –, haben wir den Vorschlag gemacht, eine Runde der Berichterstatterinnen und Berichterstatter anzusetzen. Wir hoffen, dass auch bei der CDU/CSU-Fraktion Bereitschaft da ist, wirklich herauszufinden, ob auf polnischer Seite gar nicht der Wunsch dazu besteht oder ob man dort denkt, dass auf deutscher Seite die Bereitschaft fehlt, dass man also ins Gespräch kommt und diese Frage unter Freunden – wir sind ja hier unter Freunden – klärt und so in der Zukunft Irritationen vermeidet. Eines dürfte doch völlig klar sein: Der Schrecken, der dort geschehen ist, das Unfassbare können wir niemals unter Hinweis auf Verpflichtungen anderer Länder in irgendeiner Weise verkleinern. In keiner Weise werden wir das los. Wir werden für immer die Bereitschaft zeigen müssen, da auch finanziell zu helfen und einzustehen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Thomas Strobl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag „Erhalt der Gedenkstätten nationalsozialistischer Vernichtungslager sicherstellen“ fordert die Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, mit Finanzmitteln dazu beizutragen, dass die in Polen gelegenen Erinnerungsorte der Schoah erhalten werden können. Hierauf möchte ich antworten: Sie rennen offene Türen ein. Diese Bundesregierung tut das doch längst, und sie tut das in beträchtlichem Umfang, sowohl in Polen als auch bei uns in Deutschland. Die vier großen KZ-Gedenkstätten in Thüringen und Brandenburg und seit 2009 zusätzlich die westdeutschen KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Neuengamme, Dachau und Flossenbürg sind in die institutionelle Förderung des Staatsministers für Kultur und Medien aufgenommen worden. Der Staatsminister für Kultur und Medien fördert auch die Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ sowie das Haus der Wannsee-Konferenz, die ja, wie Kollege Wieland schon gesagt hat, fast exakt in diesen Tagen vor 70 Jahren stattgefunden hat und an die wir uns zu Recht erinnern. Auch außerhalb Deutschlands übernimmt die Bundesrepublik Deutschland Verantwortung dafür, dass an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnert wird. Allein zum Erhalt der als Erinnerungsort bedeutsamen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau hat der Bund seit 2009 in enger Kooperation mit den Ländern 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und sich dabei eng mit der polnischen Seite und weiteren internationalen Partnern abgestimmt. Das heißt, der im Antrag der Linken implizit enthaltene Vorwurf, diese Koalition unterstütze die Erinnerung an die NS-Verbrechen nicht oder nicht im nötigen finanziellen Umfang, entbehrt jeglicher Grundlage. Das Gegenteil ist wahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Wo steht das im Antrag? Das ist nicht angemessen bei dem Thema!) Tatsache ist: Die Erinnerung an die NS-Zeit und ihre Verbrechen gehört zu den Kernanliegen dieser Bundesregierung und dieser Koalition. Daraus folgende finanzielle Verpflichtungen nimmt sie peinlich genau und in vollem Umfang wahr. Wahr ist aber auch: Diese Bundesregierung und diese Koalition widerstehen der Versuchung eines allzu wohlfeilen, geradezu gönnerhaften Angebots von Finanzhilfen an europäische Nachbarstaaten wie Polen, dessen Regierung um solche Hilfen überhaupt nicht gebeten hat. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!) Ein Finanzierungsangebot unsererseits könnte den Eindruck erwecken, unsere europäischen Freunde seien zum Erhalt von Gedenkstätten nicht selbst imstande, obwohl sie sich in den Verhandlungen zur Theresienstädter Erklärung vom 30. Juni 2009 faktisch genau dazu bekannt und verpflichtet haben. Vom polnischen Botschafter, mit dem ich letzte Woche ein langes und konstruktives Gespräch geführt habe, weiß ich, wie entschlossen das polnische Volk ist, aus eigener Kraft seinen internationalen Verpflichtungen vollumfänglich nachzukommen, und wie ungern es allgemein gesehen wird, durch ungebetene deutsche Finanzhilfen quasi indirekt abgesprochen zu bekommen, dazu in der Lage zu sein. Meine verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Polen ist ein starker Partner Deutschlands, kein hilfsbedürftiger Kostgänger. Wir sollten jeden Eindruck, der in diese Richtung geht, vermeiden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auf die Gedenkstätte Sobibor, die im Antrag der Linken namentlich erwähnt ist, übertragen, heißt das: Nur weil im Sommer 2011 aufgrund administrativer Regelungen vor Ort ein Finanzierungsengpass entstand, besteht noch lange kein Grund, bei uns die Alarmglocken zu läuten und mit ungebetenen finanziellen Zuwendungen in Warschau voreilig vorstellig zu werden. Tatsächlich hat die polnische Regierung selbst schon hinreichende Korrekturen vorgenommen. Warschau hat die Verwaltung Sobibors Anfang 2012 dem Kultusministerium unterstellt und damit zur Chefsache erklärt, was als hinreichende Garantie für die Zukunft der Gedenkstätten in Polen anzusehen ist. Damit erübrigt sich jede ungebetene Finanzhilfe unsererseits. Sie würde, wie gezeigt, möglicherweise beleidigend wirken, falls wir sie Polen dennoch anböten, ja, geradezu aufdrängten. Dazu wollen wir es nicht kommen lassen. Deswegen lehnen wir den Antrag der Linken ab. Erlauben Sie mir zum Schluss noch einen Gedanken, gerade angesichts des morgigen internationalen Holocaustgedenktages: Wir sind uns alle einig, dass sich die menschenverachtenden Völkermordaktionen Nazideutschlands niemals wiederholen dürfen. Wir sind sicher alle gleichermaßen aufgeschreckt angesichts der Zeitungsberichte in dieser Woche, denen zufolge antisemitische Einstellungen bei uns wieder auf dem Vormarsch sind, zumindest in latenter Form. Wenn das zutrifft – davon ist angesichts der Seriosität der Erhebungsmethoden auszugehen –, muss man sich die Frage stellen: Welchen zusätzlichen Weg können wir gehen, um das Wiederaufleben judenfeindlicher Gesinnung zu verhindern, wenn die pädagogische Kultur des routinierten Gedenkens es offenkundig allein nicht schafft, wie es eine deprimierte Charlotte Knobloch am Montag fast schon verzweifelt ausdrückte? Was können wir ergänzend tun, um das virulente Gift des Rassismus wirksam zu neutralisieren, das offensichtlich noch immer in den Menschen steckt? Dies hat übrigens – das sage ich ohne Häme und ohne parteipolitische Kampfeslust – längst auch die Linkspartei befallen, wie die Vorgänge in ihrem Duisburger Kreisverband im Jahr 2011 belegen. Das größte Denkmal, das wir den Opfern des Holocaust errichten können, liegt nicht in Polen, liegt nicht in Deutschland oder sonst wo, sondern in uns selber. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!) Es ist kein in Stein gehauenes Mahnmal. Es kostet auch kein Geld. Vielmehr ist es der täglich aufs Neue gefasste Entschluss unseres Herzens, Menschlichkeit zu üben, immer und überall und gegenüber jedermann. Eine solche Praxis ist alles in allem die bestmögliche Antwort. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Strobl, angesichts des Themas bin ich ausgesprochen großzügig; aber ich bitte Sie, jetzt das Signal zu beachten. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Sie kostet nichts außer einer Willensanstrengung und ist dennoch unendlich viel wertvoller als jede Geldinvestition. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist der Grund, warum wir den Antrag der Linken ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Patrick Kurth das Wort. (Beifall bei der FDP) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An den Holocaust, das schwerste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte, müssen und werden wir immer erinnern. Das ist absolute Staatsräson; das darf niemals in Vergessenheit geraten. Dazu gehört selbstverständlich, dass die Gedenkinfrastruktur des unsäglichen Verbrechens für alle nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. Das ist selbstverständlich. Konzentrationslager müssen als Gedenkstätten erhalten werden. Dies ist unverhandelbar und Konsens hier in diesem Hause. Die Theresienstädter Erklärung wurde von 46 Staaten unterzeichnet. Sie enthält die Leitlinien für das künftige Erinnern an den Holocaust in Europa und weltweit und ist erst recht für Deutschland Maßstab. Sie bringt – das verschweigen Sie in Ihrem Antrag – den Konsens aller Beteiligten zum Ausdruck, dass das Erinnern an den Holocaust eine Aufgabe aller Völker ist. Genau das ist das Wegweisende der Theresienstädter Erklärung. Es wird festgelegt, dass das Erinnern an den Völkermord und an die Schreckensherrschaft Aufgabe der gesamten Menschheit ist. Frau Grütters hat es schon zitiert; ich wiederhole es: … rufen wir alle Staaten nachdrücklich auf, regelmäßige jährliche Gedenk- und Gedächtnisfeiern zu unterstützen beziehungsweise einzuführen sowie Mahnmale und andere Gedenkstätten und Orte zur Erinnerung an das unermessliche Leiden zu erhalten. Dies ist gleichsam eine Selbstverpflichtung aller beteiligten Staaten, das Gedenken an die NS-Gräuel aufrechtzuerhalten. Ganz entscheidend und wichtig ist: Von polnischer Seite – Sie haben dies ganz deutlich gesagt – kam aus bestimmten Gründen keine Anfrage für Sobibor. Deshalb dürfen gerade wir jetzt nicht gönnerhaft an die Polen herantreten und so tun, als müssten wir ihnen zeigen, wie man Gedenkstättenarbeit macht oder machen sollte. Das gehört sich für uns als Deutsche nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Polen hat unser Vertrauen. Das Land betreibt hervorragende Gedenkstättenarbeit. Das gilt auch für Sobibor. Deutschland beteiligt sich massiv, beispielsweise mit 60 Millionen Euro am Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Der Unterschied zwischen Auschwitz und Sobibor ist, dass die Förderung in enger Absprache mit der polnischen Seite erfolgt und eben nicht ungefragt. Viele weitere internationale Partner sind beteiligt. Unser Nachbarland Polen leistet eine hervorragende Arbeit. Es gibt keinen Grund, dass wir, der Deutsche Bundestag, das bezweifeln. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Von daher, Herr Korte: Vielleicht ist Ihr Antrag gut gemeint, vielleicht ist er aber auch ein Schaufensterantrag. Er ist auf jeden Fall eines: überflüssig. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7028 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – Drucksachen 17/8166, 17/8393 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Johannes Pflug Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Dr. Frithjof Schmidt – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/8394 – Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung sowie über die beiden Entschließungsanträge werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rainer Stinner (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern ist in der Provinz Balkh der Startschuss zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitsbehörden gegeben worden. Vorgestern fiel auch der Startschuss für Faizabad und die Region Badakhshan, um diesen wichtigen Schritt zu unternehmen. Schätzungen besagen, dass sich durch die Schritte, die vorgestern und gestern gemacht worden sind, schon jetzt circa 25 Prozent der afghanischen Bevölkerung unter dem Sicherheitsschirm der afghanischen Sicherheitsbehörden befinden. Bis zum Frühjahr dieses Jahres wird eine Quote von 50 Prozent angestrebt. Wir alle wissen: Wir gehen davon aus, dass bis zum Jahre 2014 eine Abdeckung von 100 Prozent erreicht sein wird. Wir befinden uns in Afghanistan auf einem sehr positiven Entwicklungspfad. Seit 2010 verbessert sich die Sicherheitslage; das ist auch messbar. Die Zahl der Anschläge und Gefechte ist deutlich zurückgegangen. Auch im zivilen Bereich haben wir wesentliche Fortschritte zu verzeichnen. In allen Dimensionen des zivilen Aufbaus – ob bei der Kindersterblichkeit oder beim Zugang zu Wasser, Bildung, Krankenhäusern bzw. Gesundheitsleistungen – gibt es eine eindeutig positive Entwicklung. Diese Erfolge verdanken wir ganz wesentlich unseren Soldaten, unseren Polizisten und den vielen zivilen Helfern in Afghanistan. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich rufe diesen Helfern, Polizisten und Soldaten zu: Sie können auf das, was Sie tun, stolz sein! Wir als Abgeordnete können auf unser Personal stolz sein. Wir sollten den Helfern, Polizisten und Soldaten und ihren Familien deutlich sagen, dass wir auf das, was sie für uns in Afghanistan leisten, stolz sind. Ganz wesentlich beigetragen zu diesem positiven Entwicklungspfad hat das strategische Konzept der Bundesregierung für diesen wichtigen und wertvollen Einsatz. Deutlich sichtbar ist: Beginnend mit der Konferenz in London im Januar 2010, der vor einigen Wochen die Konferenz in Bonn folgte, ist erstmals erreicht worden, dass die NATO ein gemeinsames Verständnis, ein gemeinsames Konzept und einen gemeinsamen Entwicklungspfad hat. Daran hat diese Bundesregierung, die seit 2009 im Amt ist, mit diesem Außenminister einen ganz wesentlichen Anteil. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der vernetzte Ansatz, über den wir lange diskutiert haben, ist in einer Weise realisiert worden, wie wir es uns noch vor einigen Jahren gewünscht hätten. Ich sage sehr deutlich: Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei allen Ministerien, die in diesen Prozess eingebunden sind – insbesondere beim Auswärtigen Amt, beim Verteidigungsministerium, beim BMZ und beim Innenministerium, aber auch bei allen anderen Ministerien –, dafür, dass das Konzept des vernetzten Ansatzes zunehmend Realität wird. Wir können überall noch besser werden. Wir sind aber schon wesentlich besser geworden. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Entwicklungspfad spiegelt sich auch in dem Mandat, das uns die Bundesregierung heute vorlegt, wider. Erstmals kommt es zu einer Reduzierung der Truppenstärke auf 4 900 Soldaten. Im Mandat steht, dass, sofern es die Sicherheitslage erlaubt, angestrebt ist, die Truppenstärke innerhalb von zwölf Monaten auf 4 400 Soldaten zu senken. Das ist der richtige Weg, und wir begrüßen dies außerordentlich. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich ist in Afghanistan nicht alles gut; das wissen wir. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da haben Sie gerade noch die Kurve gekriegt!) – Lieber Herr Gehrcke, das wissen wir doch. – Natürlich ist die Sicherheitslage prekär. Wir haben heute wieder drei Tote in Helmand zu beklagen, und es wird weitere Anschläge und Gefechte geben. Da macht sich bei uns doch keiner Illusionen. Natürlich wird das der Fall sein. Auch die Gewaltkriminalität nimmt zu. Es gibt Korruption und kein geordnetes Staatswesen. Das ist uns durchaus bewusst. Dennoch müssen wir auch die Perspektiven sehen, die wir hier haben. Wir wissen noch nicht, wie das politische Szenario nach 2014 aussehen wird, aber wir arbeiten daran. Wichtig ist, dass wir den Entwicklungspfad hinsichtlich der Aufgabe, die diese Bundesregierung von der Vorgängerregierung übernommen hat, systematisch weitergehen. Deshalb sage ich: Die Bundesregierung wird mit viel Einsatz weiter daran arbeiten, und wir unterstützen sie darin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend sage ich speziell zu den Grünen: Ich habe nicht das geringste Verständnis dafür, dass Sie sich angesichts der Aufgabe, die wir von Ihnen übernommen haben, und angesichts des deutlich sichtbaren Entwicklungspfades heute nicht dazu durchringen können, diesem Mandat zuzustimmen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das versteht keiner!) Dafür kann ich nur parteiinterne Diskussionen verantwortlich machen. Inhaltlich ist das nicht geboten. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir führen Diskussionen, im Gegensatz zu Ihnen!) Wir werden die Bundesregierung aus voller Überzeugung unterstützen und diesem Mandat zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz der ISAF-Truppen in Afghanistan. Wir haben in der SPD-Fraktion und in unserer Task Force Afghanistan mehrfach sehr offen, ausführlich und kritisch über die Lage und über die Situation der Menschen in Afghanistan gesprochen. Wir haben vor allen, die sich in Afghanistan engagieren, die wertvolle Aufbau-, Ausbildungs- und Entwicklungsarbeit leisten und die für Sicherheit sorgen, ob als Mitarbeiter bei NGOs, als Polizeiausbilder oder als Bundeswehrangehörige, hohen Respekt. Ihnen allen gehört unsere Anerkennung. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]) Wir halten es als SPD-Fraktion für richtig, uns auch weiterhin im Rahmen der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan zu engagieren; denn wir dürfen die afghanische Bevölkerung nicht im Stich lassen, auch nicht nach 2014. Das war die wichtigste Botschaft der Afghanistan-Konferenz in Bonn; denn unser Ziel, den Aufbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte sowie den Schutz der afghanischen Bevölkerung so weit voranzutreiben, dass Afghanistan mittel- und langfristig alleine und eigenverantwortlich in der Lage ist, für Stabilität und Frieden zu sorgen, haben wir noch nicht erreicht. Bis wir dieses Ziel erreicht haben – das wissen wir alle –, ist es noch ein weiter und steiniger Weg. Deshalb sage ich auch: Es hilft nichts, die Lage schönzureden. Ja, es ist unendlich schwierig, es ist kompliziert, und es gibt auch Misserfolge und Rückschläge; aber es gibt auch Erfolge, im militärischen wie auch im zivilen und im entwicklungspolitischen Bereich. Afghanistan ist gegenwärtig kein Rückzugsraum mehr für international agierende Terroristen. Dieser Erfolg – das muss uns allen klar sein – steht auf wackeligen Beinen. Ein sofortiger und vollständiger Rückzug auch der ISAF-Truppen würde das Land sehr wahrscheinlich wieder im Bürgerkriegssumpf versinken lassen. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind gerade im Ausbildungsbereich nach wie vor auf unsere Unterstützung angewiesen; aber – und das empfinde ich schon als Erfolg – sie übernehmen nach und nach immer mehr Bereiche in ihre eigene Verantwortung, und das ist auch gut so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Im zivilen und entwicklungspolitischen Bereich sieht es ähnlich aus. Gemeinsam mit den beteiligten Partnerstaaten haben wir dringend notwendige Projekte in den Bereichen Infrastruktur, Bildung – Aufbau von Schulen, insbesondere von Mädchenschulen – und medizinische Versorgung sowie beim Zugang zu Elektrizität und Trinkwasser angestoßen und gemeinsam umgesetzt. Um diese Fortschritte dauerhaft zu sichern, müssen sie konzeptionell und finanziell abgesichert werden. Dazu brauchen wir eine unabhängige Evaluierung aller bisherigen Maßnahmen. Wir müssen wissen, inwieweit die selbstgesteckten Ziele tatsächlich erreicht wurden und wo noch deutlich nachjustiert werden muss. Der Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung ist umfangreich und liefert durchaus eine ganze Menge an Informationen und Hinweisen. Eine unabhängige Evalu-ierung ersetzt er allerdings nicht. Ich will an dieser Stelle noch einmal auf die großartige Arbeit und das Engagement der vielen zivilen Entwicklungshelfer und der NGOs hinweisen, die oft unter schwierigsten Bedingungen eine hervorragende Arbeit leisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich muss hier aber auch sagen: Bei den NGOs und bei der afghanischen Bevölkerung hat Minister Niebel mit seinem Konzept der vernetzten Sicherheit und der zivil-militärischen Zusammenarbeit für erhebliche Irritationen und Verärgerung gesorgt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Afghanistan wird weiterhin auf unsere Unterstützung angewiesen sein. Man muss der Regierung in Kabul auch sehr deutlich machen, dass wir Fortschritte erwarten, besonders im Bereich Good Governance, bei der Einhaltung demokratischer Grundrechte und Menschenrechte, bei Pressefreiheit und Frauenrechten, bei freien demokratischen Wahlen und bei der Bekämpfung von Armut, Drogenhandel und Korruption. Auch der inner-afghanische Versöhnungsprozess muss ernsthaft vorangetrieben werden; denn nur so – nicht nur militärisch – ist der Konflikt dauerhaft zu lösen. Wir brauchen in Afghanistan eine politische Lösung. (Beifall bei der SPD) In Bonn ist darauf verzichtet worden, von der Regierung Karzai ernsthafte Reformen als Vorbedingung für weitere finanzielle Unterstützung einzufordern. Überhaupt ist neben dem Versöhnungsprozess die internationale Finanzierung Afghanistans ein zentrales Thema. Klar ist: Der Finanzierungsbedarf für Afghanistan, auch für die afghanischen Sicherheitskräfte, wird trotz Reduzierung der Zahl der internationalen Streitkräfte ansteigen. Auch die zivilen Hilfsprojekte werden noch auf längere Zeit von der internationalen Gemeinschaft unter-stützt werden müssen. Meine Fraktion steht zu ihrer Verantwortung. Deshalb stimmen wir mit großer Mehrheit für die Fortsetzung des deutschen Engagements – aber auch, weil die Regierung viele unserer zentralen Forderungen übernommen hat. Aber zum Abzug der Truppen gehört auch eine kritische Bewertung der bisherigen Maßnahmen und ein klarer Truppenabzugsplan, ein klares Konzept. Wenn der Grundstein schief liegt, kann die Mauer nicht gerade sein, besagt ein afghanisches Sprichwort. Das heißt, eine gute Sicherheitslage und ein erfolgreicher Versöhnungsprozess sind Grundsteine für den Frieden und für eine gute Entwicklungszusammenarbeit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die Unionsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden über den Antrag der Bundesregierung, 4 900 Soldaten, das heißt: 450 weniger als bisher, für ein weiteres Jahr zur Teilnahme an der ISAF-Mission nach Afghanistan zu entsenden. In dem Mandat heißt es auch, dass eine weitere Reduzierung auf 4 400 Soldaten möglich ist, sofern es die Lage erlaubt. In vielen Diskussionen in der Vergangenheit über dieses Mandat haben wir immer wieder gesagt: Es gibt keine militärische Lösung. Aber es gibt eben auch keine Lösung ohne Militär. Deshalb möchte ich mich genauso wie meine Vorredner bei den Soldatinnen und Soldaten bedanken. Denn ohne ihren Dienst wären die Aufbauerfolge in Afghanistan im Gesundheitswesen, im Bildungs-wesen und bei der Infrastruktur nicht möglich gewesen. Ohne ihren fortgesetzten Einsatz in Afghanistan wäre auch eine politische Lösung nicht möglich. Die politische Lösung muss alle Ebenen des Konflikts adressieren: die internationale Ebene – al-Qaida darf nicht wieder zurückkehren –, die nationale Ebene – es geht um den Ausgleich der Interessen der Stämme und um den Versöhnungsprozess in Afghanistan – und die regionale Ebene, nämlich die Einbeziehung der Nachbarn. Die politische Lösung muss nach dem Motto „Zusammen rein, zusammen raus“ auch alle Beteiligten, nicht zuletzt alle 40 ISAF-Truppensteller, mit einbeziehen. Ich denke, auch Frankreich wird sich diesem Grundsatz der Bündnissolidarität entsprechend verhalten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN) Es ist aus meiner Sicht ein Erfolg der Bundesregierung, dass wir über eine realistische Strategie für eine solche politische Lösung verfügen, die diesen komplexen Anforderungen entspricht. Ich möchte mich bei unserem Außenminister, Herrn Westerwelle, bei Verteidigungsminister de Maizière, aber auch bei dem Afgha-nistan-Beauftragten der Bundesregierung, Herrn Steiner, ganz herzlich für diese konzeptionelle Vorarbeit und den Einfluss, den sie international dafür genommen haben, bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Peinlich!) Was wollen wir erreichen? „Wir“ heißt nicht wir Deutschen, sondern wir als internationale Gemeinschaft. Wir wollen einen politischen Prozess in Afghanistan. Wir wollen hinreichende Stabilität, und wir wollen das Jahr 2014 als Zeithorizont für den Abzug der Kampftruppen. Dafür hat die internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn sieben Prinzipien formuliert, nämlich zwei für den Friedensprozess und fünf für das Ergebnis, das erreicht werden soll. Der Friedensprozess muss unter afghanischer Führung stehen. Wir können das afghanische Engagement nicht ersetzen. Der Friedensprozess muss auch die legitimen Interessen aller Afghanen berücksichtigen, unabhängig von Geschlecht oder Status. Die Friedenslösung muss Folgendes beinhalten, und zwar nicht als Vorbedingung, sondern als zu erzielendes Ergebnis – dafür wurden fünf Prinzipien formuliert –: erstens die Bestätigung eines souveränen und stabilen geeinten Afghanistans. Ich weiß, dass verschiedentlich darüber spekuliert wird, ob es nicht vielleicht besser wäre, das Land würde sich irgendwie teilen. Aber ich warne vor solchen Gedanken. Das ist ein tödliches Rezept für einen erneuten Bürgerkrieg. Erstes Ziel ist also ein geeintes, souveränes und stabiles Afghanistan. Zweites Ziel ist der Gewaltverzicht. Drittens ist der Bruch mit dem internationalen Terrorismus notwendig und viertens Respekt gegenüber der afghanischen Verfassung einschließlich der darin verankerten Menschen- und Frauenrechte. Fünftens muss die Region den Friedensprozess und sein Ergebnis respektieren und unterstützen. Wir stellen uns natürlich die Frage, warum das jetzt realistisch ist. Warum sollten sich die Aufständischen und die Taliban darauf einlassen? Entscheidend ist dafür aus meiner Sicht die Zusage der internationalen Gemeinschaft auf der Konferenz in Bonn, Afghanistan nach dem Jahr 2014 noch ein Jahrzehnt, bis zum Jahr 2024, Hilfe zu gewähren und Mittel für zivile Aufgaben und Entwicklungsprioritäten bereitzustellen, wie sie der afghanische Staat dann für sich setzen wird. Die Taliban wissen, dass sie in der Zeit ihrer Herrschaft Fehler gemacht haben. Sie kennen die Umfragen und wissen, dass sie nur etwa 4 bis 7 Prozent der Afghanen zurück an der Macht sehen wollen. Sie wissen auch, dass die Erwartungen der Bevölkerung ohne Hilfe aus dem Ausland nicht erfüllt werden können. Sie wissen ebenfalls, dass diese Hilfe von Bedingungen abhängt. Damit Hilfe auch nach 2014 geleistet werden kann, brauchen wir allerdings weiterhin Unterstützung bei der Sicherheitsvorsorge für die afghanischen Streitkräfte – diese werden finanziert werden müssen – und beim weiteren Aufbau der afghanischen Polizei. Deshalb war ich etwas irritiert, als ich in dieser Woche im Spiegel gelesen habe: Weil ohne Soldaten die Sicherheit nicht gewährleistet sei, werde Deutschland dann keine Anwärter mehr für den afghanischen Polizeidienst ausbilden. Das stammt angeblich aus irgendwelchen Regierungskreisen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind schon namentlich genannt!) Ich denke, diese Irritationen sollten schleunigst ausgeräumt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn es ist völlig klar, dass bei einer solchen Aussage keine Entwicklungshilfe geleistet werden könnte. Selbstverständlich gehören zur Übergabe in Verantwortung hinreichende Sicherheit, eine weitere Verbesserung der Sicherheitsvorsorge und damit auch weitere Hilfe beim Polizeiaufbau. „Zusammen rein, zusammen raus“, das ist nicht nur ein Prinzip für das Bündnis und das Militär. Es handelt sich auch um einen politischen Grundsatz. Der Afghanistan-Einsatz ist von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden. Die damaligen Oppositionsfraktionen von Union und FDP haben ihn die ganze Zeit unterstützt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir nicht! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU ja, die FDP nicht!) – Stimmt, nicht immer. Aber ich rede jetzt nur für meine Fraktion. – Wir haben das unterstützt. Es war ganz wichtig, Herr Trittin, dass wir über die Jahre eine breite parlamentarische Mehrheit hatten. Jetzt liegt eine realistische Strategie für eine politische Lösung vor. Es gibt das klare Signal: Wir lassen die Afghanen nicht im Stich. – Das Ganze ist international abgestimmt. Bei dieser Sachlage wollen Sie sich, meine Damen und Herren von den Grünen, der Stimme enthalten? Sie machen – ich formuliere es freundlich – einen Kunstgriff, legen einen eigenen Entschließungsantrag vor und tun so, als könnten Sie nur dann zustimmen, wenn sich die Welt nach den Grünen richtet. Sie wollen so Ihre Enthaltung und das Stehlen aus der Verantwortung begründen. Wenn sich jeder so verhalten würde, würde man nicht nur dem Kant’schen Imperativ, wonach man sich so verhalten soll, als ob man … – Sie kennen das sicherlich –, nicht mehr entsprechen können. Ihr Verhalten ist – knapp zusammengefasst – weder besonders moralisch noch besonders vernünftig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund auffordern, diese Haltung noch einmal zu überprüfen, und zwar im Interesse unserer Soldaten und einer politischen Lösung, die umso besser zu erreichen ist, je klarer und breiter die Signale sind, die aus diesem Parlament gesendet werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim heute zu verabschiedenden Afghanistan-Mandat soll es um den Einstieg in den Ausstieg gehen; zumindest wird dieser Eindruck erweckt. Die Wirklichkeit ist: Es geht um einen Teilabzug – möglichst gesichtswahrend – und darum, dass die NATO nach 2014 mindestens eine weitere Dekade am Hindukusch militärisch präsent bleiben will. Was uns hier und heute serviert wird, ist ein Abzug von Personal in homöopathischer Dosis, während gleichzeitig alles, was für harte Kriegführung benötigt wird, im Land bleibt. Mehr noch: Die Verlegung weiterer Kampfhubschrauber ist geplant. Ein substanzieller Abzug sieht anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Klar ist auch, dass die offensive Aufstandsbekämpfung – mit entsprechenden Opfern unter den Zivilisten und den bewaffneten Akteuren – weitergehen soll. Genau das aber blockiert den Beginn eines Friedensprozesses, den die Afghanen herbeisehnen, den sie endlich brauchen. Seien Sie doch einmal ehrlich: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kannst du von denen nicht erwarten!) Die Vorstellung, dass es 2024 noch NATO-Soldaten am Hindukusch geben könnte, ist schlicht irreal. Das wird von der afghanischen Bevölkerung nicht akzeptiert werden, die endlich Selbstbestimmung will, statt weiterhin Spielball geostrategischer Ambitionen anderer zu sein. (Beifall bei der LINKEN) Selbst die Bundesregierung sagt: Der Afghanistan-Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen. – Wenn das richtig ist, kann es nicht darum gehen, jetzt Zeit zu gewinnen, sondern es muss darum gehen, die Zeit endlich zu nutzen, um eine diplomatische Lösung des Konflikts zu erreichen. (Beifall bei der LINKEN) Ich erkläre Ihnen gerne noch einmal den Standpunkt der Linken. Erstens. Nur ein vollständiger Truppenabzug schafft die Voraussetzung für eine politische Friedenslösung. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Um dahin zu kommen, muss der zügige Abzug in diesem Jahr mit vertrauensbildenden Maßnahmen verbunden sein, das heißt mit einem Ende der Angriffshandlungen. Waffenstillstandsvereinbarungen und die Schaffung von entmilitarisierten Zonen – das wäre in diesem Jahr angesagt. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Es muss eine umfassende afghanische Verhandlungslösung mit Nachdruck gefördert werden. Dabei darf die afghanische Zivilgesellschaft nicht zum Anhängsel der Kriegsparteien gemacht werden. Viertens. Die politische Lösung muss von Bemühungen um regionale Stabilität begleitet werden. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung auf die US-Regierung einwirkt, die kriegerischen Akte in Pakistan einzustellen und die Hände vom Iran zu lassen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist natürlich gut, wenn jetzt vor allem über den Truppenabzug gesprochen wird. Nur leider dreht sich vor Ort die Spirale der Gewalt immer weiter. Deshalb gilt: Nichts ändert sich in Afghanistan, zumindest nicht 2012. Die nächtlichen Hausdurchsuchungen gehen weiter, die Jagd auf mutmaßliche Aufständische, die ohne Gerichtsverfahren ausgeschaltet werden sollen, geht weiter. In einem Beitrag der Stiftung Wissenschaft und Politik heißt es dazu kurz und bündig – ich zitiere –: Das „gezielte Töten“ in großem Stil ist, so scheint es, zur letzten Hoffnung in Afghanistan geworden. Das ist schlimm. Wenn jetzt im deutschen Verantwortungsbereich noch US-Drohnen stationiert werden, die genau für diese Kriegsführung geeignet sind, dann muss einem angst und bange werden; denn an diesen gezielten Tötungen – sie sind oft nicht sehr gezielt; es kam zu schlimmen Verwechslungen, was die Vereinten Nationen, das Internationale Rote Kreuz und viele andere kritisiert haben – ist die Bundeswehr leider zumindest mittelbar beteiligt. Genaues wissen wir nicht. Wer garantiert, dass aus der Namensliste, die mit deutscher Beteiligung zustande kommt, keine Todesliste wird? Niemand. Deshalb wollen wir, dass sich Deutschland nicht länger an dieser völkerrechtswidrigen, unmoralischen Kriegs-praxis beteiligt, weder unmittelbar noch indirekt. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben in der namentlichen Abstimmung über unseren Entschließungsantrag heute Gelegenheit, das glasklar auszudrücken. Wenigstens dazu sollten Sie von der FDP, von der CDU/CSU, von den Grünen und von der SPD bereit sein. Sie mögen ja die Fortsetzung von ISAF verantworten, aber lehnen Sie wenigstens die deutsche Beteiligung an diesen ungesetzlichen, ethisch nicht zu verantwortenden Tötungen ab. Darum bitte ich Sie ganz dringend. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt das Wort. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan dauert nun schon über zehn Jahre. Diese zehn Jahre sind auch eine Geschichte westlicher Fehleinschätzungen und gescheiterter Hoffnungen. Deswegen war die Wende von Präsident Obama hin zu einer neuen Strategie für eine politische Lösung Anfang 2010 so wichtig, und es gilt, diese Strategie international politisch zu verteidigen, wenn sie nun im Rahmen des Wahlkampfes in den USA in die Kritik der republikanischen Opposition gerät. Dazu gehört auch der Abzug der internationalen Kampftruppen bis 2014. Wir unterstützen, dass die Bundeswehr das im Geleitzug mit unseren Partnern macht. Dazu gehört auch die Verpflichtung zum zivilen Engagement bis 2024 und darüber hinaus. Jetzt kommt die entscheidende Phase der Umsetzung. Der Beschluss zur Eröffnung eines Verbindungsbüros der Taliban in Katar war sicherlich ein zentraler Schritt für den Start von Verhandlungen. Dieser Weg ist richtig und muss weiter fortgesetzt werden. Dafür werden wir Grüne werben, und dafür hat die Bundesregierung auch unsere Unterstützung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber mit dem Mandat, das Sie uns hier vorlegen, sind wir so nicht einverstanden. Die erste Abzugsetappe, die Sie für dieses Mandat angekündigt haben, ist im Wesentlichen eine Luftbuchung. Fast 1 000 Soldaten würden jetzt nach Hause kommen – das haben Ihre Pressesprecher im November verbreitet. Wenn man sich die Zahlen ansieht, stellt man fest: Real ziehen Sie rund 200 Soldaten ab, mehr nicht. Sie lösen die flexible Reserve auf, die zum größten Teil nicht eingesetzt wurde, und Sie stellen in Aussicht, dass Sie vielleicht, wenn die Umstände es zulassen, weitere 500 Soldaten 2012 abziehen könnten. Planungen darüber hinaus: komplette Fehlanzeige. Es bleibt schleierhaft, wie Ihr Konzept für die NATO-Abzugskonferenz im Mai in Chicago aussieht. Ich sage: Klarheit sieht wirklich anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie beenden auch nicht die Verstrickung der Bundeswehr in die offensive Aufstandsbekämpfung im Rahmen des sogenannten Partnerings. Insbesondere die Capture-or-kill-Operationen blockieren die Versuche einer politischen Lösung viel mehr, als dass sie sie ermöglichen. Es ergibt keinen Sinn, die Verhandlungspartner von morgen heute einfach wegzubomben. Die zivilen Opfer sind enorm. Das ist kontraproduktiv und muss beendet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Warum stimmen Sie dann unserem Antrag nicht zu?) Dieses Mandat sollte den Abzug unserer Kampftruppen einleiten. Wenn wir im Jahr 2014 die Kampftruppen ganz heraus haben wollen, dann müssen wir ihre Stärke 2012 und 2013 substanziell reduzieren. Wenn Herr de Maizière im Dezember sagt, dass er meint, dass deutsche Kampftruppen auch nach 2014 in Afghanistan sind, dann stellt er die zentrale Botschaft der internationalen Gemeinschaft zum Abzug infrage. Das ist ein Wirrwarr und kein klares Konzept. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum ist die Kritik an der konkreten Planungsverweigerung der Bundesregierung für uns eine zentrale Frage. Deswegen wird die große Mehrheit meiner Fraktion diesem Mandat heute nicht zustimmen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Traurig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Elke Hoff das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Elke Hoff (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin über die Positionierung meiner Vorredner etwas überrascht. Lieber Paul Schäfer, Sie stellen hier Behauptungen in den Raum und unterstellen unseren Soldatinnen und Soldaten Dinge, deren Beweis Sie am Ende schuldig bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Unsere Soldatinnen und Soldaten in der Öffentlichkeit und vor versammeltem Publikum in eine solche Gemengelage hineinzuziehen, finde ich ungehörig und absolut unanständig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hoff, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Gehrcke? Elke Hoff (FDP): Ja, bitte schön. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Frau Kollegin Hoff. – Sie wie wir, Herr Schäfer und ich, sitzen hin und wieder im Verteidigungsministerium im sogenannten U-Boot. Ihnen wie uns werden Dias von Personen gezeigt, die angeblich in Anschläge verwickelt waren. Weder Sie noch wir wissen, ob das stimmt. Wir wissen: Wenn diese Personen auf der Liste benannt werden, sollen sie ausgeschaltet werden. Das heißt, sie können verhaftet werden, das heißt aber auch – Herr Schäfer hat das nicht der Bundeswehr unterstellt –, sie können von Einsatzkräften anderer Nationen erschossen oder mit Drohnen liquidiert werden. Ich finde, damit muss Schluss sein. Sie wissen, dass ein solches Vorgehen der Ministergenehmigung bedarf. Das heißt, die Verteidigungsminister haben in dieser Art und Weise an einer völkerrechtswidrigen Aktion mitgewirkt. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!) Elke Hoff (FDP): Verehrter Herr Kollege Gehrcke, dies ist wiederum eine Behauptung Ihrerseits, für deren Beweis Sie hier nichts liefern. (Zuruf von der LINKEN: Beweisen Sie das Gegenteil! Das ist doch geheim!) Sie zitieren hier aus einem Gremium und ziehen dies jetzt in der Öffentlichkeit sozusagen zur Legitimation Ihrer Position bei. Dazu kann ich Ihnen sagen: Dies ist ein unfaires, um nicht zu sagen, ein unanständiges Mittel politischer Rhetorik. Wenn wir uns über diese Dinge in der Öffentlichkeit unterhalten, würde ich Sie bitten, der Öffentlichkeit auch einen Beweis dafür zu liefern. Dann können wir an dieser Stelle über alles reden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der nächste Punkt: Verehrter Herr Kollege Schmidt, Sie haben dankenswerterweise die Linie der Bundesregierung durchaus unterstützt. Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern, wie Kollege Trittin in anderem Zusammenhang mit großer Vehemenz die Bündnisfähigkeit und die Bündnisverpflichtungen hervorgehoben hat. Nur dann muss, bitte schön, auch eine gemeinsame Abzugsplanung auf den Weg gebracht werden. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran scheitern Sie ja, Frau Hoff!) Sie wissen genauso gut wie wir, dass die Entscheidung vieler kleiner Partnernationen im Bereich des Regionalkommandos Nord auch davon abhängig sein wird, wie wir uns gemeinsam mit dem amerikanischen Bündnispartner abstimmen. Es ist doch Humbug, hier zu behaupten, wir legten jetzt für die nächsten drei Jahre eine detaillierte Abzugsplanung vor. Die weitere Entwicklung wird von vielen Parametern abhängig sein. Sowohl der Verteidigungsminister als auch der Außenminister haben sehr deutlich gemacht, dass ein wesentlicher Parameter dafür die Lage vor Ort ist. Wir haben nämlich nach wie vor die Verantwortung für die Frauen und Männer, die wir im zivilen und im militärischen Bereich in diesen Einsatz hineinschicken werden. Aufgrund der heutigen Situation halte ich es für vernünftig, mit einem behutsamen Abzug zu beginnen, zu sehen, wie er sich im Einzelnen auswirkt, und vor allen Dingen nach und nach die afghanischen Sicherheitskräfte in die Lage zu versetzen, parallel zu diesem Abzug ihre Fähigkeiten einzubringen und letztendlich unter Beweis stellen zu können. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hoff, gestatten Sie eine weitere Frage oder Bemerkung des Kollegen Hans-Christian Ströbele? Elke Hoff (FDP): Eine Frage, aber keine Bemerkung. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das liegt nicht in unserem Ermessen, wenn er nach unserer Geschäftsordnung einmal das Wort erteilt bekommen hat. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Selbstverständlich stelle ich eine Frage. – Frau Kollegin, Sie haben gerade in der Diskussion mit dem Kollegen Gehrcke gesagt, Sie vermissten Beweise für das, wonach er Sie gefragt hat. Elke Hoff (FDP): Ja. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will Ihnen die Quelle für Beweise nennen: Sie sitzt da; das ist nämlich die Bundesregierung. Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob auch die Bundeswehr Namen für die Listen „capture or kill“ liefert. Die Bundesregierung hat diese Frage mit Ja beantwortet. Dann habe ich eine weitere Frage gestellt: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Listen von namentlich genannten Personen auch für reine Kill-Aktionen benutzt werden? Da hat mir die Bundesregierung geantwortet: Nein, sie könne das nicht ausschließen. Deshalb gehe ich davon aus, dass sowohl die USA als auch andere diese Kill-Aktionen auch gegen Personen, die von der Bundeswehr namentlich gelistet worden sind, durchführen. Das heißt, es sterben Menschen durch solche Aktionen (Zuruf von der FDP: Können!) auf der Grundlage der Listung durch die Bundeswehr. Elke Hoff (FDP): Lieber Herr Kollege Ströbele, was ich viel lieber ausschließen würde, ist, dass Personen, die hier sozusagen als die Good Guys in Afghanistan dargestellt werden, weiterhin dafür verantwortlich sind, ohne Rücksicht auf Verluste den überwiegenden Teil der zivilen Opfer in Afghanistan zu verursachen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Personen sind dafür verantwortlich, dass Angehörige der NATO-Truppen, die den politischen Auftrag erfüllen, mit dem wir sie dorthin schicken, umgebracht, in die Luft gesprengt, verwundet oder getötet werden. Es tut mir leid: Hier gerät die Diskussion in eine Schieflage. Lieber Herr Ströbele, ich würde mir wünschen, dass Sie sich mit der gleichen Vehemenz, mit der Sie sich für dieses politische Anliegen einsetzen, auch dafür einsetzen, dass die Öffentlichkeit erfährt, welche Opferzahlen in welcher Art und Weise die Herrschaften, die Sie eben hier als auf der Liste befindlich angesprochen haben, ohne Rücksicht auf Verluste verursacht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dann können wir über alles andere gerne weiter diskutieren. Ich finde es wirklich unglaublich, dass ich von Ihnen in der politischen Diskussion noch nie auch nur ein einziges Wort an dieser Stelle gehört habe. Meine Damen und Herren, zurück zum Thema. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hoff, es gibt eine weitere Wortmeldung. Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Hänsel? Elke Hoff (FDP): Ja. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hänsel, bitte. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Hoff, Ihre Antwort hat mich zu einer weiteren Frage provoziert. Sie haben davon gesprochen, dass bestimmte Personen in der Öffentlichkeit als Good Guys dargestellt werden. Damit unterstellen Sie doch, dass wir, wenn wir uns für die Einhaltung von Völkerrecht und gegen das Verüben von Kriegsverbrechen einsetzen, automatisch Aufständische, Verbrecher oder wen auch immer als Good Guys ansehen. Das muss ich hier einmal für alle aus meiner Fraktion zurückweisen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun meine Frage an Sie: Heißt das, dass für mutmaßliche Täter und Verbrecher – „mutmaßliche“; es hat ja keinen Prozess und keine strafrechtliche Verfolgung gegeben – Völkerrecht, Menschenrechte und die Genfer Konvention nicht gelten? Elke Hoff (FDP): Nein, das heißt es ganz gewiss nicht. Ich möchte an dieser Stelle aber ausdrücklich betonen, dass ich das, was von dem Kollegen Schäfer eben vorgetragen wurde, sehr wohl als auf das Handeln der Bundeswehr und der Bundesregierung bezogen angesehen habe; denn wir reden heute über das Mandat, über das wir hier entscheiden. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist Mittäterschaft!) Wenn Sie bei den Unterrichtungen sehr aufmerksam zugehört haben – diese sind kein Geheimnis, weil sie öffentlich waren –, werden Sie feststellen, dass deutsche Soldaten, die an Zugriffsoperationen beteiligt waren, die betreffenden Personen den afghanischen Sicherheitskräften übergeben haben. Aber in dem Moment, in dem infrage gestellt wurde, ob die afghanischen Gefängnisse oder Polizeistationen, die diese Personen aufnehmen sollten, den völkerrechtlichen und humanitären Standards entsprachen, wurden diese Aktionen unverzüglich eingestellt. Das heißt, dass wir uns mit dem, wofür wir politisch verantwortlich zeichnen, durchaus auf absolut einwandfreiem legitimem Boden bewegen. Darauf bin ich auch im Namen unserer Soldatinnen und Soldaten sehr stolz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aber jetzt wieder zurück zum Thema. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) – Wir mandatieren heute, sehr geehrter Herr Kollege. Deswegen ist das jetzt das Thema, und auf das möchte ich gerne eingehen. Zehn Jahre Afghanistan-Einsatz haben erhebliche Spuren in der politischen Diskussion in unserem Land, aber auch erhebliche Spuren bei der Umstellung und Anpassung unserer Streitkräfte hinterlassen. Ich glaube, dass in der Geschichte der Bundeswehr selten zuvor eine solche Anpassungsleistung im Hinblick auf eine völlig neue Herausforderung und eine völlig neue Form von Konfliktbewältigung, von Kriegsführung stattgefunden hat. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich unseren Streitkräften und allen dafür Verantwortlichen ein Dankeschön aussprechen. Sie haben für Vertrauen in der Region gesorgt. Eines ist aber wichtig – auch für unsere Soldatinnen und Soldaten –, nämlich dass über das weitere Vorgehen jetzt Klarheit herrscht und dass wir den Abzug unserer Truppen konstruktiv begleiten, um das Risiko für die Betroffenen weitestgehend zu minimieren. An dieser Stelle ein Appell an die Bundesregierung: Wir mandatieren heute auch die Fähigkeit der Bundeswehr mit Blick auf Eigensicherung und Evakuierung. Es ist kein Geheimnis, dass dies bisher nur mit Unterstützung unserer amerikanischen Verbündeten geschehen konnte. Wir haben dankenswerterweise – auch durch den Einsatz des Ministers und des Generalinspekteurs – eine weitere Zusage für den neuen Mandatszeitraum bekommen. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir uns bereits heute Gedanken darüber machen müssen, wie diese Fähigkeit, die wir heute mandatieren und auch weiterhin mandatieren wollen, für die schwierige Zeit des weiteren Abzugs sichergestellt werden kann. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Rolf Mützenich hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang will ich Herrn Link – ich sehe ihn im Moment nicht, aber er wird sicher gleich wieder anwesend sein – ganz herzlich zu seiner Ernennung zum Staatsminister gratulieren und ihm die gute Zusammenarbeit unserer Fraktion anbieten. Die Entsendung von Soldaten ist niemals reine Routine hier im Deutschen Bundestag gewesen. Aber der heutige Beschluss über das Mandat, das die Bundesregierung vorgelegt hat, ist schon ein bedeutender Einschnitt. Wir haben erstmals eine Reduzierung der Zahl von Soldaten in dem Mandat für Afghanistan, und eine weitere Absenkung im Laufe des Jahres ist in dem Mandat zumindest angedeutet. Außerdem erfolgt diese Mandatierung, was uns als Sozialdemokraten ganz besonders wichtig ist, im Rahmen internationaler Verabredungen. Wenn man für eine multilaterale Politik eintritt, für eine Politik, die sich an Regeln und Normen orientiert, dann muss man sagen: Dieses Mandat ist richtig, insbesondere weil es zum Teil auch auf einer internationalen Konferenz entstanden ist. Die Außergewöhnlichkeit dieses Mandates besteht auch darin, dass der Deutsche Bundestag zumindest in dieser Form wahrscheinlich noch zweimal wird entscheiden müssen. Auch dies ist ein fundamentaler Wandel, der Aussagen über die Bedeutung des heutigen Beschlusses zulässt. Gleichzeitig darf – diese Auffassung teile ich – die Aufmerksamkeit für Afghanistan und für die Region auch nach 2014 nicht nachlassen. Das liegt nicht nur im Sicherheitsinteresse Europas, sondern auch im Interesse der gesamten internationalen Politik. Ich glaube, dass das auch über die Fraktionen hinweg Konsens findet. Wenn wir heute in dieser Form über die Entsendung entscheiden, ist das in der Tat ein fundamentaler Wandel. Aber wir sollten heute insbesondere über die außenpolitischen Implikationen dieses Mandates reden, weil sich dahinter ebenfalls ein fundamentaler Wandel verbirgt, der nur dann klar wird, wenn man sich noch einmal daran erinnert, was es in den letzten Jahren bedeutet hat, für die internationale Afghanistan-Politik einzutreten. Manches wurde falsch angelegt, und manches wurde unterschätzt. Das haben wir von Anfang an gesagt. Heute besteht in der internationalen Gemeinschaft Konsens darüber, dass es keine militärische Lösung für Afghanistan gibt, sondern nur eine politische Lösung. Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion haben dies von Anfang an gesagt, und mittlerweile ist dies auch Konsens. Das ist nicht selbstverständlich. Wenn wir uns noch einmal die Jahre der Bush-Administration anschauen, dann können wir sagen, dass militärische Lösungen im Vordergrund standen. Eine kleine militärische Intervention in Afghanistan sollte das Problem des internationalen Terrorismus lösen. Das war zu kurz gedacht. Das ist auch der fundamentale Wandel, der sich hinter dieser außenpolitischen Wende verbirgt. Es gab zur Frage des Staatsaufbaus keinen Beitrag im Zettelkasten der damaligen amerikanischen Regierung. Auch das hat sich in der Vergangenheit gewandelt. Es war wichtig, dass dies auf der Londoner Konferenz auch so gesagt wurde. Heute ist daran erinnert worden, dass mit allen Bürgerkriegsparteien zu sprechen ist. Auch dies war unser Ansatz. Jetzt ist in Katar ein sogenanntes Verbindungsbüro der Taliban eröffnet worden. Was ist das für ein Kontrast zu den Jahren 2006 und 2007, als die britische Regierung erstmals mit den Taliban konkrete Verabredungen in der Region Helmand getroffen hatte und dies militärisch von den US-Streitkräften hintergangen wurde. Der fundamentale Wandel in der Außenpolitik besteht unter anderem auch darin, dass diese Region jetzt die volle Konzentration der internationalen Gemeinschaft bekommt. Afghanistan und Pakistan wurden in den Jahren 2002 und 2003 schlagartig nicht mehr beachtet, weil der Irak plötzlich in den Fokus genommen wurde. Der eine oder andere weiß noch, von wem die Regierung Bush damals ermutigt wurde, den Irak in den Fokus zu nehmen und sich vom Engagement in Afghanistan abzusetzen. Ich glaube, darüber müssen wir auch im Bereich der Innenpolitik reden. Es gibt also einen fundamentaler Wandel, der mit einem Namen verbunden ist: mit dem Namen von Präsident Obama. Er hat es ermöglicht, dass auf der Londoner Konferenz die verbindlichen Verabredungen getroffen worden sind. Es ist insbesondere in den letzten Tagen deutlich geworden, was es bedeuten könnte, wenn die amerikanische Administration nach dem November dieses Jahres nicht mehr gemeinsam mit uns darüber bestimmen würde, was Aufgabe der internationale Afghanistan-Politik ist. Deswegen, glaube ich, ist es heute so wichtig, dass dieser Beschluss außenpolitisch gewürdigt wird. Ich sage allen: Der außenpolitisch fundamentale Wandel macht sich in diesem Mandat nach meinem Dafürhalten heute sehr deutlich bemerkbar. Wenn wir diesem Mandat als Sozialdemokraten mehrheitlich zustimmen, dann hat es etwas damit zu tun, dass wir uns weiterhin daran beteiligen wollen, wie dieses Mandat ausgestaltet wird. Wir gehen davon aus, dass es eine weitere Absenkung der Truppenstärke geben wird. Wir haben dieses Mandat sehr aufmerksam gelesen und dem zugehört, was in den beratenden Ausschüssen gesagt worden ist. Wir wollen uns daran beteiligen, festzulegen, wie die Sicherheit und wie die Zukunft des Landes Afghanistan, insbesondere im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung, aussieht. Wir wollen auch mit darüber bestimmen – ich glaube, dies ist auch für die Fraktion der Grünen ganz wichtig –, wie in Zukunft mit den Taliban Verabredungen getroffen werden. Wir wollen doch nicht Afghanistan sozusagen in dem Zustand verlassen, der möglicherweise in den vergangenen Jahren vorgeherrscht hat. Man wird es nur schaffen können, zukünftige Bedingungen für dieses Mandat festzulegen, wenn man ihm heute zustimmt, auch was die Frage der Sicherheitskräfte und vieles andere bedeutet. Ich nenne noch einen entsprechenden Punkt, der mir ganz wichtig ist. Es ist die Frage, wie die Nachbarn mit diesem regionalen Konflikt umgehen. Ich weiß, dass von Deutschland keine unmittelbaren Einflüsse auf Indien und Pakistan ausgeübt werden können. Wir haben aber zum Beispiel Einfluss auf die USA, die wiederum Einfluss auf Indien nehmen können, um Verabredungen dahin gehend zu treffen, dass Afghanistan nicht länger der Ort ist, wo sich die Gegensätze zwischen Indien und Pakistan so deutlich bemerkbar machen. Auch solche Überlegungen stecken nach meinem Dafürhalten ganz fundamental hinter diesem Mandat. Die Fraktion Die Linke hat in ihrem Antrag auf die gezielten Tötungen hingewiesen. Wenn ich das einmal so sagen darf: Das ist nicht Ihr Alleinstellungsmerkmal. Es gab heute bereits eine diesbezügliche Wortmeldung. Viele andere Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag versuchen seit mehreren Jahren, durch Anfragen an die Bundesregierung mehr über dieses Thema zu erfahren und darüber zu reden. Ich stelle mich dieser Diskussion; das wissen Sie ganz genau. Dahinter verbergen sich auch moralische und ethische Fragen sowie insbesondere Fragen des Völkerrechts. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mützenich, wollen Sie die Gelegenheit wahrnehmen, eine Frage zu beantworten? Dr. Rolf Mützenich (SPD): Ja, aber vielleicht kann der Kollege Gehrcke dann fragen, wenn ich meine Ausführungen dazu gemacht habe. Vizepräsidentin Petra Pau: Nein, das kann er nicht, weil dann Ihre Redezeit abgelaufen ist. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Dann nutze ich diese Zwischenfrage, um meine Redezeit zu verlängern, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Petra Pau: Das dachte ich mir. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Das war doch abgesprochen!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Die Behauptung, dass das zwischen uns beiden abgesprochen wäre, weise ich natürlich entschieden zurück. Ich wusste ja gar nicht, was Sie sagen werden. Nur einmal zur Klarstellung: Ich möchte wissen, ob Sie folgende deutliche Aussage meinerseits akzeptieren: Ich lege überhaupt keinen Wert darauf, dass dieser Antrag und diese Überlegung, sich nicht weiter an gezielten Tötungen zu beteiligen, ein Alleinstellungsmerkmal der Linken sind. Ich wäre über jede Kollegin bzw. über jeden Kollegen, die bzw. der ähnlich abstimmt und ähnlich in der Öffentlichkeit argumentiert, außerordentlich dankbar. Können Sie diese Aussage akzeptieren? (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Lieber Kollege Gehrcke, das kann ich akzeptieren. Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, wo aus meiner Sicht der Unterschied zu Ihrer Argumentation liegt. Der Kollege Schäfer hat eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik erwähnt, die die Frage des Kriegsvölkerrechts sehr ausführlich behandelt hat. Ich wundere mich sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, dass Sie diese Frage in Ihrem Antrag an keiner einzigen Stelle erwähnt haben. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz macht es sich nicht so einfach, wie Sie es sich in Ihrem Antrag gemacht haben, sondern es nimmt eine viel differenziertere Position ein. Wenn ich die Gelegenheit nutzen darf, will ich Ihnen zugleich sagen: Ich glaube, dass Sie letztlich zu kurz gesprungen sind. Es handelt sich eben nicht nur um ein Problem gegenüber Afghanistan. Was die US-Politik angeht, ist es auch ein Problem gegenüber dem Jemen. Zugleich ist es ein Problem anderer Länder: Es ist ein Problem Russlands, Israels, Kolumbiens und vieler anderer Länder mehr. Deswegen möchte ich Sie gerne einladen: Lassen Sie uns versuchen, im Auswärtigen Ausschuss ein noch viel stärkeres Momentum zu schaffen. Dies könnte möglicherweise mithilfe einer Diskussion geschehen, die die Bundesregierung anstoßen könnte. In der Tat unterstütze ich Ihren Gedanken, Herr Kollege Gehrcke. Ich finde auch, dass eine mutige und prinzipienfeste Bundesregierung das Ganze gegenüber ihren Partnern thematisieren müsste. Es reicht nicht, nur zu sagen: Wir machen das nicht mit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich glaube – darüber sind wir uns einig –, das gehört zu dieser Politik dazu. Für die Sozialdemokraten sage ich daher: Für uns war es nie einfach gewesen, ein Mandat für Afghanistan zu beschließen. Am Anfang stand bei uns eine Vertrauensabstimmung; das wissen Sie. Viele Kolleginnen und Kollegen haben in Form von persönlichen Erklärungen Bedenken geäußert. Ich glaube aber, die Mehrheit meiner Fraktion wird heute dennoch diesem Mandat zustimmen. Das geschieht aber eben nicht, weil unser Abstimmungsverhalten ein Vertrauensvotum für diese Bundes-regierung sein soll. Vielmehr ist es ein Votum für die Hoffnung, dass die Weichen für Afghanistan in die richtige Richtung gestellt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute wieder einige Worte gehört über das deutsche Engagement in Afghanistan nach 2014. Es ist richtig, dass wir uns weiterhin auch zivil in Afghanistan engagieren müssen. Dafür brauchen wir aber eine vertrauensvolle Grundlage auch mit den afghanischen Partnern. Diese Vertrauensgrundlage wird von dieser Bundesregierung kontinuierlich untergraben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Beispiel: finanzielle Hilfe. Ja, wir werden uns auch nach 2014 finanziell in Afghanistan engagieren müssen. Wir versuchen seit zwei Jahren, herauszufinden, welche verbindlichen Zusagen an die afghanischen Partner diese Bundesregierung zu geben bereit ist. Seit zwei Jahren hören wir, die übernächste internationale Konferenz sei die Geberkonferenz, also nicht London, nicht Istanbul, nicht Bonn und auch nicht Tokio; es wird immer weiter nach hinten geschoben. Wie sollen denn die Afghanen, die eminent auf uns angewiesen sind, jetzt eigentlich planen? Wie sollen sie tatsächlich Vertrauen in unser Commitment und unsere Zusammenarbeit in Afghanistan aufbauen, wenn sie nicht wissen, inwieweit wir bereit sind, uns dort zu engagieren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein gravierenderes Beispiel: die Polizeiausbildung; sie ist gerade völlig zu Recht vom Kollegen Polenz angesprochen worden. Man kann Rot-Grün vielleicht so manchen Fehler in der Politik der letzten zehn Jahre vorwerfen; gerade zu Beginn haben wir einige Fehleinschätzungen in Bezug auf Afghanistan gemacht. Rot-Grün hat aber damals, am Anfang des Engagements, eines gewusst – es ist eine Weisheit, die heute Common Sense ist, die alle nachsprechen –: Die Polizeiausbildung ist für die Schaffung dauerhafter Stabilität in Afghanistan eminent wichtig. Es gibt jetzt die einmalige Gelegenheit einer Gemeinsamkeit von Außen- und Verteidigungsminister. Beide sagen: Auch nach 2014 wird es in Afghanistan Polizeiausbildung geben. – Schön, dass sie sich einmal einig sind; Herr Botschafter Steiner hat das auf unserer Afghanistan-Konferenz im November unterstrichen. – Herr Kollege Polenz, so anonym, wie Sie tun, ist es nicht. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion? Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr gerne. Bitte schön. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Herr Kollege Nouripour, wie stehen Sie zu dem Vorwurf, dass der eine oder andere auf die Idee kommen könnte, dass sich die Grünen, deren Minister seinerzeit diesen Einsatz begonnen hat, nun dadurch in die Büsche schlagen, dass sie der Verlängerung des Mandats nicht zustimmen? Oder umgekehrt: Sollen wir es so interpretieren, dass dieses Mandat deshalb nicht die Zustimmung der Grünen findet, weil es erstmals eine Reduzierung der Zahl der Soldaten vorsieht und eine klare Abzugsperspektive enthält? (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine echte Fangfrage!) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollege Hardt, ich bin ziemlich stolz darauf, dass sich meine Fraktion jedes Mal eine sehr intensive Debatte um jedes einzelne Mandat leistet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube: Wenn Sie sich eine ähnlich intensive Debatte leisten würden, dann würden die Abstimmungsverhältnisse bei Ihnen auch ein bisschen anders aussehen. (Robert Hochbaum [CDU/CSU]: Das ist nicht zum Thema!) Wir waren gerade beim Thema Polizeiausbildung. Es gibt drei Antworten auf die Vorwürfe, dass wir hier zu wenig gemacht hätten – sie kommen immer wieder –: Zum einen sind wir im Gegensatz zu anderen Fraktionen, die heute Verantwortung tragen, zur Selbstkritik fähig. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Oh! Das war schon einmal der Beweis des Gegenteils!) – Nein, nein, wir wissen, dass wir Dinge falsch gemacht haben. – Wir sagen: Die Polizeiausbildung muss weitergehen. Sie beenden sie – ich wollte das gerade ausfüh-ren –, und das ist absurd. Es tut mir leid. Wir werden weiterhin sehr genau schauen, was passiert. Sie wissen genau: Die Wahrheit ist immer konkret. Das, was die Bundesregierung hier liefert, ist überhaupt nicht konkret. Deshalb gibt es keinerlei Grundlage für Vertrauensbildung in Afghanistan. Das ist das Hauptproblem, das wir derzeit haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch einmal: Das Abstimmungsverhalten ist eine Gewissensentscheidung; vielleicht sollten auch Sie es freigeben. Jetzt zu Herrn Friedrich. Noch einmal: Es ist nicht so anonym, wie der Kollege Polenz tut. Herr Kollege Friedrich wird damit zitiert, dass die Polizeiausbildung in Afghanistan nach 2014 nicht mehr weitergehe, weil die Bundeswehr dann nicht mehr da sei. Das ist eine unglaublich spannende Argumentation, die ganz bestimmt kein Vertrauen ausstrahlt: kein Vertrauen in die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten sowie der Bundeswehrangehörigen, die die afghanischen Sicherheitsleute ausgebildet haben, vor allem kein Vertrauen in das eigene Versprechen, dass man alles tun werde, damit die afghanischen Sicherheitskräfte im Jahr 2015 selbst die Sicherheit gewährleisten können. Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte selbst die Sicherheit gewährleisten können, und auf der anderen Seite sagen: Wir werden dann keine Polizisten mehr nach Afghanistan schicken, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern wäre es richtig, dass diese Bundesregierung konkrete Versprechen abgibt, dass sie mit einer Stimme spricht und Verantwortung trägt, wenn es darum geht, in Afghanistan Vertrauen aufzubauen. Wir brauchen dieses Vertrauen für die Zusammenarbeit. Was Sie tun, führt zu einer Verunsicherung genau der Kräfte in Afghanistan, die unsere Partner für eine friedliche Zukunft dieses geschundenen Landes sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Karl Lamers für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die Verlängerung des ISAF-Mandats. Mit diesem Mandat werden wir unserer Verantwortung für Afghanistan auch in Zukunft gerecht. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht!) Herr Gehrcke, die ständige, immer wieder erhobene Forderung der Fraktion Die Linke nach einem sofortigen Rückzug aus Afghanistan, weise ich aufs Schärfste zurück; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denn das hieße, den Erfolg der gesamten ISAF-Mission zu gefährden, alles bisher Erreichte aufs Spiel zu setzen, Afghanistan und die gesamte Regierung zu destabilisieren und unseren Ruf – auch das ist sehr wichtig – als verlässlicher Bündnispartner zu gefährden. Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik sieht anders aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Der Abzug aus Afghanistan beginnt. Mit diesem Mandat nimmt er konkrete Formen an. Erstmals nach zehn Jahren wird die Zahl unserer Soldaten verringert. Die Richtung stimmt also. Die Obergrenze wird fortan 4 900 Soldaten betragen. Sofern es die Sicherheitslage erlaubt, streben wir zum Ende des Mandatszeitraums die Zahl 4 400 an. Diese Reduzierung ist das Ergebnis dessen, was wir bisher erreicht haben. Im Sommer letzten Jahres hat die afghanische Regierung begonnen, die Sicherheitsverantwortung für ihr Land selbst zu übernehmen, und zwar in Regionen, in denen die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden. Bis Ende 2014 soll dieser Übergangsprozess abgeschlossen sein. Die Sicherheitslage im Land ist besser geworden. Das ist unbestreitbar. Schritt für Schritt kommen wir dem großen Ziel näher, Afghanistan so zu unterstützen, dass künftig von dort kein Terror mehr exportiert wird, dass die Menschen dort sicherer leben können und dass die afghanischen Staatsorgane, die Vereinten Nationen und die vielen zivilen Helfer der in- und ausländischen Organisationen in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Die Taliban sind durch die Strategie und den unermüdlichen Einsatz der ISAF-Kräfte, der ohne Frage mit vielen Opfern und schmerzlichen Verlusten verbunden ist, offensichtlich nicht mehr zu großen, zusammenhängenden Operationen fähig. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Vorsichtig!) Wir müssen aber mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen, dass und wie sie ihre Taktik geändert haben. Ich denke an den perfiden Mordanschlag eines afghanischen Soldaten auf französische Soldaten in der letzten Woche. Auch wir waren im vergangenen Jahr Zielscheibe eines solch hinterhältigen Anschlags. Aber solche Ereignisse dürfen nicht dazu führen, dass sich Misstrauen und Angst wie ein lähmendes Netz über uns legen und uns vom eingeschlagenen Weg des Abzugs in Verantwortung abbringen. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben jetzt eine ungefähre Stärke von 300 000 Mann. Gewiss, das reicht noch nicht, aber wir nähern uns mit großen Schritten dem Aufstellungsziel von 352 000 Mann. Der massive Ausbildungseinsatz der ISAF macht sich bezahlt. Immer mehr Regionen in Afghanistan können der Sicherheitsverantwortung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte übergeben werden. In der Nordregion – Herr Stinner hat darauf hingewiesen –, in der wir Deutsche die Verantwortung tragen, werden in diesem Jahr 50 Prozent der Bevölkerung in solchen Gebieten leben. Es ist mir ein Herzensanliegen, unseren Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, den deutschen Polizisten und den zivilen Aufbauhelfern für ihren großartigen Einsatz zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie alle leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Wiederaufbau Afghanistans, für Frieden und Stabilität in dieser Region und zur Bekämpfung weltweiter terroristischer Bedrohung. Dafür müssen wir sie bestmöglich vorbereiten und ausrüsten. Das ist unsere Pflicht und unsere Verantwortung. Das haben wir stets im Blick, und wir kommen dem nach. Den Soldaten, die bei den Einsätzen gefallen sind, gilt unsere bleibende Erinnerung, ihren Angehörigen unser Mitgefühl und unsere andauernde Verpflichtung zur Hilfe. Denjenigen, die verletzt oder als Folge des Einsatzes an Leib und Seele krank geworden sind, gelten unsere Unterstützung und Fürsorge. Mit der Zustimmung zum heutigen Mandat machen wir eines deutlich: Unsere Unterstützung für Afghanistan wird auch nach der vollständigen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen nicht aufhören. Die Bundesregierung hat mit ihrem Fortschrittsbericht im Dezember eine umfassende Bewertung des bisherigen Engagements in Afghanistan vorgelegt. Das sage ich insbesondere mit Blick auf Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Botschaft ist klar: Wir lassen Afghanistan nicht im Stich. Wir geben den Menschen eine Perspektive für die Zukunft, auch über 2014 hinaus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Polizeiausbildung?) Das betonen Sie, Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister und Herr Bundesverteidigungsminister, stets sehr klar. Dafür danke ich Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das musste mal gesagt werden!) Was sich nach 2014 ändert, ist der Schwerpunkt unseres Handelns: „Weniger Militär, mehr Entwicklung“ lautet die Maxime. Der Schwerpunkt liegt künftig auf noch mehr Unterstützung für bessere Bildung, für Gesundheit, für wirtschaftliche Entwicklung. Da liegen unsere Stärken. Diese müssen und werden wir nutzen. Das alles geschieht aber auch in Zukunft nur in einem sicheren Umfeld. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das alles ist ein Märchen!) – Hören Sie zu, Herr Gehrcke! (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich höre ja zu!) Dann können Sie vielleicht noch einiges lernen. – Der Schwerpunkt wird daher auch und gerade auf der weiteren Qualifizierung von Armee und Polizei liegen. Wir haben mit unserem Konzept des Abzugs bis 2014 doppelte Verantwortung übernommen: einerseits für die Menschen in Afghanistan und für mehr Stabilität in der Region, andererseits aber auch für die Soldatinnen und Soldaten. Jede personelle Reduzierung muss in jedem Augenblick von den verbleibenden Soldaten verkraftet werden können. Der geplante Abzug bis 2014 ist eine riesige Herausforderung, die es zu meistern gilt, und zwar ohne Risiko und Gefahr für unsere Soldaten. Das möchte ich besonders hervorheben. Verantwortliches Handeln ist das Gebot der Stunde. Deswegen gilt der alte Grundsatz: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. – Was du auch tust, handle klug und achte auf das Ende. – Sie, Herr Minister, drücken es sehr klar aus, wenn Sie sagen: gesichert, geordnet und nachhaltig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Bei allem, was wir tun, meine Damen und Herren, nehmen wir auch Afghanistan in die Pflicht. Wir drängen darauf, dass die Reformbemühungen der afghanischen Regierung auch tatsächlich umgesetzt werden. Wir legen Wert auf eine regionale Einbindung Afghanistans. Für eine friedliche Lösung brauchen wir Pakistan. Pakistan muss in eine Friedenslösung eingebunden werden. Für mehr Stabilität in der Region sind aber auch Russland, die zentralasiatischen Nachbarn sowie der Iran, China und Indien von entscheidender Bedeutung. Meine Damen und Herren, wir brauchen weiterhin den Einsatz unserer Bundeswehr im Rahmen der ISAF. Nur so können wir den Übergangsprozess gemeinsam erfolgreich gestalten. Die von der Bundesregierung beantragte Mandatsverlängerung ist richtig; sie ist notwendig. Wir dürfen nie vergessen, warum wir eigentlich in Afghanistan sind: auch und gerade für unsere eigene Sicherheit. Wir stehen zu unserer Verantwortung – den Menschen in Afghanistan und unseren Soldaten gegenüber. Sie können auf uns zählen; sie haben es verdient, dass dieses Mandat eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag findet. Darum bitte ich Sie alle, meine Damen und Herren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Bitte abgelehnt!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Heike Hänsel für die Fraktion der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der in der Öffentlichkeit groß angekündigte Abzug findet nicht statt. Es handelt sich höchstens um eine Minimalreduzierung der Truppen. Es ändert sich Ihre Sprachregelung, aber nicht die Politik. Deswegen lehnen wir diese Mandatsverlängerung ab. (Beifall bei der LINKEN) Fest steht zudem, dass die Bundeswehr über 2014 hinaus in Afghanistan präsent sein wird. Schauen wir uns auch einmal an, was die anderen NATO-Staaten machen! Die USA zum Beispiel planen bis zu fünf permanente Militärstützpunkte mit bis zu 50 000 Soldaten, die auf lange Sicht in Afghanistan stationiert bleiben sollen. Das ist nichts anderes als eine dauerhafte Besetzung Afghanistans. Das lehnen wir mit der afghanischen Bevölkerung ab. (Beifall bei der LINKEN) Über die humanitäre und soziale Lage in Afghanistan wurde heute überhaupt noch nicht gesprochen. Die Zahlen dazu sind wirklich erschreckend; ich werde Ihnen gleich einige vorlesen. Sie zeigen, dass der Militäreinsatz nicht die Verbesserung der Lebenssituation der afghanischen Bevölkerung zum Ziel hat. Aktuelle Daten vom Auswärtigen Amt: Ein Drittel der Bevölkerung ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 68 Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 95 Prozent haben keinen Zugang zu verbesserten Sanitäreinrichtungen, und 42 Prozent der Menschen – das ist fast die Hälfte der Bevölkerung – lebt von weniger als 1 Dollar pro Tag. Das ist absolute Armut nach zehn Jahren sogenanntem Aufbau in Afghanistan. Deswegen ist diese Politik eine Katastrophe. (Beifall bei der LINKEN) Ein Satz zur innerafghanischen Versöhnung, von der gesprochen wurde: So lange die ISAF Warlords und Kriegsverbrecher stützt, die in der Regierung und in den Provinzen herrschen, wird es keine innerafghanische Versöhnung in diesem Land geben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem Mandat, das jetzt verlängert wird, wird weiterhin die zivil-militärische Zusammenarbeit unterstützt. Die Kooperation von Entwicklungsorganisationen mit der Bundeswehr ist höchst umstritten. Auch das kritisieren wir seit langem. Herr Rebmann, das ist übrigens unter Rot-Grün eingeführt worden, und zwar sowohl im ehemaligen Jugoslawien als auch in Afghanistan. Aber jetzt kommt ein brisanter Fall hinzu: In den letzten Tagen haben wir die Meldung erhalten, dass drei BND-Agenten in Pakistan, in der Grenzregion zu Afghanistan, festgesetzt wurden. Sie sollen Ausweise der staatlichen Entwicklungsorganisation GIZ gehabt haben und mit einem Auto der GIZ ausgestattet gewesen sein. Dieser Vorgang ist bisher nicht aufgeklärt. Ich hätte gerne gewusst, welche Position Minister Niebel dazu hat. Wenn das der Fall ist, dann ist das wirklich ein Skandal mit weitreichenden Folgen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD]) Viele Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus waren ebenso wie ich in Afghanistan und haben sich dort mit GIZ-Mitarbeitern getroffen. Ich möchte wissen: Haben wir uns mit BND-Agenten oder mit GIZ-Mitarbeitern getroffen? Das ist ein unglaublicher Zustand. Die Entwicklungszusammenarbeit wird systematisch instrumentalisiert für Sicherheitspolitik und militärische Interessen. Dagegen müssen wir alle hier aufstehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich komme zum Ende. Meine letzte Bemerkung in der heutigen Debatte: Wir von der Linken lehnen Kriegspolitik und Angriffskriege ab. Damit stehen wir im Einklang mit der Verfassung. Wer Angriffskriege unterstützt, gefährdet unsere Verfassung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile nun das Wort Kollegen Hans-Christian Ströbele, der von seinem verfassungsrechtlich gesicherten Recht Gebrauch macht, auch unabhängig und abweichend von seiner Fraktion zu sprechen. (Elke Hoff [FDP]: Herr Ströbele stimmt zu!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Ich danke dem Bundestagspräsidenten Lammert und dem Präsidium für diese Redemöglichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um Krieg. Es geht darum, dass Sie heute beschließen sollen, dass Sie mit der Parlamentsarmee, mit der Bundeswehr ein weiteres Jahr Krieg führen, und zwar entgegen der Auffassung der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN) Es geht um ein Jahr mehr Krieg, und zwar Krieg wie bisher: Krieg mit Offensiven, mit Partnering, mit Special Commands, mit Killerdrohnen, mit mehr Killerdrohnen als bisher. Sie führen diesen Krieg, weil Sie hoffen, weil Sie die Erwartung haben, dass die Sicherheitssituation in zwei Jahren, Ende 2014, so ist, dass den Afghanen die Sicherheitsverantwortung übergeben werden kann. Die-se Hoffnung, diese Erwartung oder gar diese Sicherheit ist durch nichts gerechtfertigt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN) Die Entwicklung der letzten fünf Jahre zeigt das Gegenteil. Jedes Jahr ist die Sicherheitssituation schlechter geworden. Die Zahlen über den Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte täuschen, weil diese Sicherheitskräfte – auch nach dem Bericht der Bundesregierung – zu einem großen Teil monatlich Schwund haben, das heißt, Sicherheitskräfte desertieren, wechseln die Fronten oder gehen einfach weg. Einige machen, wie wir wissen, sogar Schlimmeres: Sie bekämpfen und erschießen NATO-Soldaten. Auf diese Hoffnung allein begründen Sie ein weiteres Jahr Krieg mit der Option auf zwei zusätzliche Jahre bis mindestens Ende 2014. Das ist unverantwortlich. Sie nehmen damit Tausende zusätzliche Opfer in Kauf. Sie haben dann zu verantworten, dass Menschen getötet oder verwundet werden, dass weitere Schäden angerichtet werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt bekommen Sie von der falschen Seite Beifall! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oder von der richtigen!) Es gibt eine andere Möglichkeit, aber diese konterkarieren Sie. Sie machen sie zunichte, weil Sie durch diesen Krieg Hass und Gewalt schüren. Die Folgen dieser Art von Kriegführung werden zusätzliche gezielte Tötungen vonseiten der Aufständischen, Attentate, blutige Anschläge und grausamste kriegerische Maßnahmen sein. Noch schlimmer ist: Sie verhindern damit Waffenstillstand. Sie verhindern damit die jetzt möglicherweise in Gang kommenden Verhandlungen, weil Sie mit diesen gezielten Tötungen diejenigen umbringen, mit denen verhandelt werden soll. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Präsident. – Das heißt, Sie machen damit ein baldiges Ende des Krieges, auch für Ende 2014, immer unwahrscheinlicher. Sie konterkarieren eine Politik des Waffenstillstandes und der Verhandlungen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Florian Hahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon bemerkenswert, dass der Kollege Ströbele zusätzliche Redezeit für sich und die Grünen beansprucht hat mit der Begründung, er teile das Abstimmungsverhalten seiner Fraktion nicht. Ich bin gespannt, ob Herr Ströbele dem Mandat nun zustimmen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn damit angefangen, welche Fraktion?) Außerdem finde ich es bemerkenswert, dass die Linke hier in der Diskussion behauptet, sie spreche für das afghanische Volk. Mich würde interessieren, wie sie legitimiert ist. Vor ziemlich genau zehn Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung den Einsatz am Hindukusch begonnen. Wir alle haben bei den jährlichen Verlängerungen des Mandats immer wieder die Frage gestellt, nach welchen Maßstäben der Einsatz durchzuführen ist, wo wir das Mandat anpassen müssen und wie die Perspektiven aussehen. Dabei gab es oft unterschiedliche Meinungen, aber es ist immer gelungen, einen breiten Konsens unter den Demokraten zu finden. Dass sich ausgerechnet heute, wenn wir den Abzug einleiten, Bündnis 90/Die Grünen ausklinken, finde ich, ehrlich gesagt, traurig. Zusammen rein, zusammen raus – ich dachte, das wäre auch hier die richtige Losung. Dies findet so nicht statt. Gestern im Ausschuss haben Sie kein Wort zu den Argumenten, die heute vorgetragen wurden, gesagt. Sie wollten das Mandat offensichtlich nicht anders gestalten. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über das Mandat haben wir die Woche vorher diskutiert! Es stand gestern nicht auf der Tagesordnung!) Ich muss schon sagen: Da hätte ich mehr erwartet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Unser Konsens lautete bisher – er bleibt richtig –: Dieser Einsatz ist notwendig. Er diente und dient dem Frieden, und er ist gleichzeitig ein starkes Signal gegen Unterdrückung und Terror. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern haben wir ein klares Ziel definiert und unser Handeln danach ausgerichtet. Wir wollen, dass aus einem geschundenen Land ein souveränes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft wird. Wir wollen ein Bekenntnis gegen den Terror, gegen die Missachtung von Menschenrechten und zu Frieden und Gleichberechtigung. Wir wollen mit unserem Einsatz zur Stabilisierung der gesamten Region beitragen. Meine Damen, meine Herren, zur Erreichung dieses Ziels waren die vergangenen zwölf Monate von besonderer Bedeutung. Unsere Strategie hat Wirkung gezeigt, und unsere Maßnahmen greifen. So war die Anzahl der Anschläge im letzten Jahr erstmals seit 2006 rückläufig. Vor allem im Norden hat sich die Sicherheitslage verbessert. Mehr als 300 000 afghanische Sicherheitskräfte wurden seit Beginn der Mission ausgebildet, die große Mehrheit davon erst in den letzten Jahren. Die Sollstärke von 352 000 Sicherheitskräften soll noch in diesem Jahr erzielt werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das auch erreichen. Gleichzeitig wurden im letzten Jahr die ersten Provinzen an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben. Die Übergabe ist für die Afghanen ein wichtiger Schritt in ihre Selbstständigkeit. In wenigen Wochen wird mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter dem Schutz afghanischer Kräfte stehen. Die Übergabe in Verantwortung an die Afghanen ist ein Prozess, der immer weiter fortschreitet. Die Ergebnisse geben unserem Kurs recht. Unsere Truppen und Verbündeten können darauf stolz sein. An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die hierzu beigetragen haben: Soldaten, Polizisten, zivilen Helfern und Diplomaten. Ich wünsche Ihnen allen weiterhin Gottes Segen bei Ihrem Tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auf Basis des Erreichten nimmt der Abzug erstmals konkrete Formen an. Im nächsten Schritt werden wir das Mandat von 5 350 auf 4 900 Soldaten reduzieren. Je nach Sicherheitslage werden wir versuchen, diese Zahl weiter zu verringern. Hierbei dürfen wir uns jedoch nicht von einem starren Zeitplan treiben lassen. Wir müssen flexibel bleiben. Entscheidend für einen Abzug muss immer die Lage vor Ort sein. Wir müssen beachten, dass der Abzug Kräfte und Köpfe bindet, beispielsweise im Bereich Logistik, aber auch zum Schutz des Abzugs selbst. Zudem muss er in enger Absprache mit unseren Partnern und Verbündeten erfolgen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass auch unser Verteidigungsminister de Maizière solche Gespräche aktiv und selbst führt, um so beispielsweise beim Thema Air MedEvac im Norden die optimale Unterstützung für unsere Soldaten zu sichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Für uns gilt: Das, was wir durch die internationale Gemeinschaft für die Menschen in Afghanistan bisher erreicht haben, muss verteidigt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur die Anzahl der Soldaten hat sich über die Zeit geändert, sondern auch der Charakter des Einsatzes hat sich gewandelt. Der Schwerpunkt liegt zunehmend auf der Ausbildung der Afghanen und auf dem zivilen Wiederaufbau. Wir werden zwar die Anzahl der Soldaten in Afghanistan reduzieren; jedoch werden wir das Engagement für die Ausbildung der Afghanen weiter erhöhen. Die zivile Seite des Wiederaufbaus wurde auch finanziell bereits deutlich gestärkt. Dies werden wir weiterhin aufrechterhalten. Denn so schön, wie sich „Abzug“ anhört, so sehr hat er auch ökonomisch negative Folgen für das Land. Es entfällt nämlich ein ganzer Wirtschaftszweig. Das dürfen wir an dieser Stelle nicht vergessen. Auf der Bonner Konferenz wurde deutlich, dass ein Abzug bis 2014 nicht das Ende des internationalen Engagements für Afghanistan bedeutet. Auch wenn der Einsatz in seiner jetzigen Form nach 2014 nicht mehr stattfinden wird, so lassen wir das Land Afghanistan und seine Menschen nicht im Stich. Auch Außenminister Westerwelle hat in der ersten Lesung betont: Wir bleiben für Afghanistan ein verlässlicher Partner und werden auch über das Jahr 2014 hinaus unserer internationalen Verantwortung gerecht. In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte Sie um Zustimmung zum vorliegenden Mandat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/8393 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/8166 anzunehmen. Bevor wir über die Beschlussempfehlung namentlich abstimmen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir gleich im Anschluss zwei weitere namentliche Abstimmungen über zwei Entschließungsanträge durchführen werden. Zu dieser namentlichen Abstimmung liegen mir schriftlich zahlreiche persönliche Erklärungen vor, und zwei Kollegen äußerten den Wunsch nach mündlichen Erklärungen zur Abstimmung; diese werden im Anschluss an die drei Abstimmungen vorgetragen.1 Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Können wir mit der Abstimmung beginnen? – Es sieht so aus. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung. – Dort rechts fehlt noch ein Schriftführer. Ich bitte einen Schriftführer der Opposition, zur Abstimmungsurne auf der rechten Seite zu kommen. (Zuruf: Er kommt!) Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2 Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8466. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Sind die Plätze besetzt, sodass wir mit der Abstimmung beginnen können? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die zweite – – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, Sie müssen klären, über welchen Antrag abgestimmt wird!) – Entschuldigung, ich habe einen Punkt übersehen. Wir kommen jetzt zur zweiten namentlichen Abstimmung. Es geht um den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8465, die ebenso namentliche Abstimmung verlangt hat. Wir können jetzt mit dieser zweiten namentlichen Abstimmung – über den Entschließungsantrag der Linken – beginnen. (Zurufe) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Verwirrung eingetreten. Dort hinten hat man bereits zu früh mit der Abstimmung begonnen und über den falschen Antrag abgestimmt, sodass ich darum bitte, dass wir jetzt noch einmal den zweiten Abstimmungsgang eröffnen. Es gibt eine kleine Pause, um neue Karten zu holen. Da, wo irrtümlich mit der Abstimmung über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen begonnen worden ist, wird die Abstimmung wiederholt. Hier vorne war es eindeutig. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hier haben auch einige falsch abgestimmt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Komplett neu!) – Da mir gesagt wird, dass es auch hier vorne Verwirrung gegeben hat, wird der zweite Abstimmungsgang insgesamt wiederholt. Es gibt also eine kleine Pause, sodass alle Kolleginnen und Kollegen noch einmal Abstimmungskarten holen und die Urnen ausgewechselt werden können. Dann beginnen wir neu mit dem zweiten Abstimmungsgang zum Antrag der Linken. Ich hoffe, dass wir jetzt mit dem zweiten Abstimmungsgang beginnen können. Es geht um den Antrag der Linken. Die zweite namentliche Abstimmung über den Antrag der Linken ist hiermit eröffnet. – Es fehlen noch Schriftführer an den Urnen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen, hier vorne fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin der Opposition. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, stimmt doch gar nicht!) Ich wiederhole noch einmal: Es ist die zweite namentliche Abstimmung zum Antrag der Fraktion Die Linke. Ich frage: Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich diese Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3 Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8466. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Sind die Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die dritte namentliche Abstimmung. Das ist die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich frage: Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme zur dritten Abstimmung abgegeben? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.4 Jetzt kommen wir zu den beiden mündlichen Erklärungen zur Abstimmung. Zunächst erteile ich das Wort Kollegin Heidrun Dittrich. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe eine persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung über die Verlängerung des ISAF-Mandates durch das Parlament ab. Ich habe gegen die Fortsetzung des Mandates gestimmt, weil die Bundesregierung weiterhin Krieg führt und als Rechtfertigung die Verbesserung der Lage der afghanischen Frauen anführt. Dabei wissen Sie ganz genau, dass die Lage der Frauen weiterhin schlecht ist. Sie wissen ganz genau, dass im Krieg ein demokratischer Aufbau nicht möglich ist. In Kriegsgebieten nimmt die Gewalt zu. In Kriegsgebieten ist es für Kinder, insbesondere für Mädchen, schwierig, zur Schule zu gehen. Im Kriegszustand kann eine Versorgung mit Wasser und medizinischer Hilfe nicht aufgebaut werden. Gerade eine solche Versorgung benötigen Frauen, Verletzte und Neugeborene mehr denn je. Diese Zustände werden von Ihnen geschaffen. Ich fordere die tatsächliche Beteiligung der Frauen am Friedensprozess ein, damit sie ihre Interessen am Aufbau eines demokratischen Afghanistan verwirklichen können. Zum Abschluss möchte ich eine Politikerin aus Afghanistan würdigen. Malalai Joya hat die Bundesrepublik vor der Afghanistan-Konferenz besucht und hat am 24. November 2011 in Hannover gesagt: Es gibt demokratische Bewegungen in Afghanistan. Sie existieren. Aber leider müssen sie jetzt gegen drei Mächte kämpfen. Früher waren es nur die Taliban. Jetzt kommen noch die vom Westen unterstützten Warlords, die Drogenbarone und die Besatzungsmächte hinzu. Die Bevölkerung ist gegen die ausländischen Besatzungsmächte; denn sie unterstützen das korrupte Regime. Malalai Joya konnte nicht im afghanischen Parlament bleiben. Sie wurde hinausgeworfen. Sie konnte auch nicht noch einmal kandidieren. Ich sage: Sie stützen damit das korrupte Regime Karzai. Es wäre besser, sich an Bertha von Suttner zu erinnern, an die österreichische Pazifistin, die durch ihren Kriegsroman Die Waffen nieder! bekannt wurde. 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis dafür. Wir fordern genauso wie sie: Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein. Deshalb muss die Bundeswehr raus aus Afghanistan. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat Michael Schlecht das Wort zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung. Michael Schlecht (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Zu meiner persönlichen Erklärung: Ein Grundprinzip der deutschen wie der internationalen Arbeiterbewegung war immer, sich gegen Krieg zu stellen. Gegen kriegführende Regierungen hat man opponiert; gegen sie ist man aufgetreten. Aus diesem guten Grund gibt es schon seit Jahren die klare Positionierung von Einzelgewerkschaften in Deutschland, aber auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund, dass dieser Krieg in Afghanistan endlich beendet werden muss. (Beifall bei der LINKEN) Mit dem heutigen Beschluss tritt man dieser Intention entgegen. Für mich als Gewerkschafter ist schon aus diesem Grunde vollkommen klar gewesen, heute mit Nein zu stimmen. Umso mehr bin ich – das sage ich sehr deutlich – empört und ein Stück weit beschämt, dass hauptamtliche Kollegen aus deutschen Gewerkschaften, die Mitglied dieses Parlaments sind, anders gestimmt haben, als es die klare Beschlusslage in den Gewerkschaften vorsieht. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF)“ – das sind die Drucksachen 17/8166 und 17/8393 –: abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 424, mit Nein haben gestimmt 107, Enthaltungen 38. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 569; davon ja: 424 nein: 107 enthalten: 38 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Michael Groschek Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Cornelia Behm Ekin Deligöz Hans-Josef Fell Priska Hinz (Herborn) Tom Koenigs Nicole Maisch Omid Nouripour Krista Sager Manuel Sarrazin Daniela Wagner Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Peter Gauweiler Norbert Schindler SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Bärbel Bas Marco Bülow Dr. Peter Danckert Michael Groß Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Hilde Mattheis Dr. Wilhelm Priesmeier Gerold Reichenbach Sönke Rix Werner Schieder (Weiden) Sonja Steffen Kerstin Tack Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Dr. h. c. Jürgen Koppelin DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Agnes Brugger Katja Dörner Bettina Herlitzius Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Beate Müller-Gemmeke Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Enthalten CDU/CSU Manfred Kolbe SPD Willi Brase Daniela Kolbe (Leipzig) Burkhard Lischka René Röspel Ewald Schurer Frank Schwabe FDP Joachim Günther (Plauen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Viola von Cramon-Taubadel Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Oliver Krischer Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Tobias Lindner Kerstin Müller (Köln) Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Jürgen Trittin Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig machen – Für ein sozial gerechtes und klimafreundliches Mietrecht – Drucksache 17/7983 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Daniela Wagner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung kündigt seit über zwei Jahren eine Mietrechtsnovelle an, ist aber bis jetzt noch nicht über einen Referentenentwurf hinausgekommen. Deswegen legen wir heute ein umfassendes Maßnahmenpaket für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen unserer Wohnungsmärkte vor. Die besondere Schwierigkeit beim Mietrecht liegt darin, dass es Sachverhalte regeln und unter Rahmenbedingungen angewendet werden muss, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Im Wohngeld- und Mietenbericht des Jahres 2010 ist eindeutig belegt, dass wir in wachsenden Regionen eine Verknappung von bezahlbarem Wohnraum für einkommensschwache Haushalte haben. In schrumpfenden Gebieten dagegen nehmen der Leerstand und der Wertverlust von Wohnimmobilien weiter zu. Es kommt bis zum Verlust von Heimat, weil sich ganze Ortschaften entvölkern. Klimawandel und Energiewende erfordern ihrerseits eine umfassende energetische Modernisierung unseres Gebäudebestands in den kommenden 30 Jahren. Zusätzlich haben wir durch den demografischen Wandel einen hohen Bedarf an altersgerechtem Wohnraum. Es fehlen bis zum Jahr 2030 ungefähr 3 Millionen Wohnungen. Unter dem Vorwand der notwendigen umfassenden Sanierung dürfen Menschen nicht aus ihrem Stadtteil verdrängt, mithin heraussaniert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ingo Egloff [SPD]) Das Ziel muss sein, die soziale Mischung in unseren Städten und Gemeinden zu erhalten oder wiederherzustellen, also beginnende Segregationsprozesse umzukehren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Wohnort eines Menschen hat Auswirkungen auf seine soziale Stellung in der Gesellschaft und auf seinen Zugang zu Arbeitsplätzen und Bildung. Wir wollen Verdrängung verhindern und gleichzeitig einen Beitrag zur Lösung der drängenden Probleme der Wohnungsmärkte leisten. Aber auch Nichthandeln, speziell bei der energetischen Gebäudesanierung, würde das Problem der stetig wachsenden Wohnkosten nicht lösen. Die Energiekosten, insbesondere bei fossilen Energieträgern, steigen fortwährend an. Deswegen haben wir ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit – das ist wichtig – werden die Lasten gerecht auf den Staat, die Eigentümerinnen und Eigentümer sowie auf die Mieterinnen und Mieter verteilt. Wir wollen verlässliche und planbare Effizienzstandards für die Eigentümerinnen und Eigentümer. Wir wollen eine verlässliche Förderkulisse in Höhe von rund 5 Milliarden Euro jährlich, und wir wollen vor allen Dingen Planungssicherheit statt des alljährlichen Wirrwarrs bei den KfW-Förderprogrammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das derzeitige Mietrecht enthält keine Antworten auf die neuen Anforderungen. Deswegen ist eine Anpassung des Mietrechts notwendig. Wir wollen ein Mietminderungsrecht bei Nichteinhaltung rechtlich vorgegebener Regelungen, zum Beispiel bei Nichteinhaltung der EnEV. Wir wollen die Aufnahme des Klimaschutzes in die Interessenabwägung bei den Duldungsbestimmungen nach § 554 BGB. Wir wollen die Einsparung von Primär- und Endenergie bei energetischen Sanierungen, damit wenigstens mittelfristig die erhöhten Kaltmieten durch eine Heizkosteneinsparung refinanziert werden können. Wir wollen die Modernisierungsumlage auf die zentralen und wichtigen Bereiche lenken, nämlich den altersgerechten Umbau und die energetische Sanierung. Wir wollen sie um 2 Prozentpunkte auf 9 Prozent absenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ingo Egloff [SPD]) Die Aufnahme der energetischen Gebäudebeschaffenheit in die ortsübliche Vergleichsmiete, auch ökologischer Mietspiegel genannt, sollte Standard in allen Städten werden. Wir wollen die Kappungsgrenze von 20 auf 15 Prozent senken. Wir wollen vor allen Dingen die Altvertragsmieten der letzten sechs Jahre – nicht nur die der letzten vier Jahre – einbeziehen, weil das auf die Dynamik der Mietpreissteigerung dämpfend wirkt. Außerdem wollen wir den Kommunen durch Landesermächtigung die Möglichkeit geben, Mietobergrenzen in Wohnungsmärkten oder Teilwohnungsmärkten mit nachgewiesenem Wohnraummangel, orientiert am regionalen Mietspiegel, festzulegen. Das bedeutet, dass man die Kostendämpfung einleiten kann, wenn einzelne Wohnungsteilmärkte explodieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sehen: Unsere Vorschläge für ein neues Mietrecht nehmen – das ist wirklich neu – sowohl die sozialen als auch die ökologischen Belange in den Blick und versuchen, über den sozialen Ausgleich zwischen Mieterinnen bzw. Mietern und Vermieterinnen bzw. Vermietern auch das Problem des Klimawandels mit in den Blick zu nehmen und nicht aus den Augen zu verlieren, um bei 43 Millionen Wohngebäuden mit Mietwohnungen dort, wo es möglich ist, den emittierten CO2-Anteil endlich zu mindern und so auch in der Gebäudebewirtschaftung einen Beitrag dazu zu leisten, dass das 2-Grad-Ziel noch gehalten und der Klimawandel aufgehalten werden kann. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich die Ergebnisse der beiden weiteren namentlichen Abstimmungen mitteilen. Zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte“ – ISAF –: abgegebene Stimmen 568. Mit Ja haben gestimmt 66, mit Nein haben gestimmt 485, Enthaltungen 17. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 66 nein: 485 enthalten: 16 Ja DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Kerstin Müller (Köln) Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Agnes Brugger Katja Dörner Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Beate Müller-Gemmeke Dr. Hermann Ott Lisa Paus Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Nun das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum gleichen Gegenstand: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 60, mit Nein haben gestimmt 378, Enthaltungen 129. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 60 nein: 377 enthalten: 130 Ja SPD Willi Brase René Röspel Frank Schwabe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Marco Bülow Johannes Kahrs Hans-Ulrich Klose Sonja Steffen Dr. Marlies Volkmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoðuz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Wir setzen nun die Debatte zum Tagesordnungspunkt Wohnraum fort. Das Wort hat nun Volkmar Vogel für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich vor großen Herausforderungen. Das gilt gerade für die Wohnungswirtschaft. Die Aufbaujahre nach dem Krieg und nach der Wiedervereinigung sind zu Ende. Die nächsten Jahre bedeuten im Wohnungsbau vor allen Dingen, die Klimaziele und die Energieeinsparung zu verwirklichen und den demografischen Wandel zu meistern. Aber dazu brauchen wir Augenmaß, wirtschaftlichen Sachverstand und die Mithilfe aller Beteiligten. Der Antrag der Grünen ist aus unserer Sicht eigentlich nichts anderes als ein ideologisches Wunschkonzert. Die Grünen wollen damit Gesetze und Vorschriften auf dem Rücken der Wohnungsunternehmen, der Hauseigentümer und auch der Mieter durchsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch mal den Antrag!) Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Leute draußen im Land, wacht auf! Schaut euch diesen Antrag genau an; denn er bedeutet nichts anderes als die Enteignung durch die Hintertür. (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) So ist von den Grünen beabsichtigt, nach einer Übergangszeit von zehn Jahren alle Bestandsgebäude verbindlich mit neuen Energiestandards zu belegen. Da frage ich mich: Was machen jene, die das trotz finanzieller Förderung nicht schultern können? Müssen sie ihr Eigentum aufgeben? Müssen sie verkaufen? Müssen sie sich erst hoch verschulden, um dann ihr Eigentum loszuwerden? – Das ist nicht unsere Politik. Der Antrag der Grünen fordert Mindestanteile für erneuerbare Energien. Da frage ich: Was macht der Hausbesitzer, der diese Energien aus örtlichen oder technischen Gründen gar nicht anwenden oder, wenn überhaupt, nur sehr teuer nutzbar machen kann? Ich frage mich bei diesen Überlegungen: Wo bleibt hier der Ansatz der Wirtschaftlichkeit, und was wird aus der Krea-tivität von Unternehmen und von Tüftlern, wenn die Grünen bestimmen wollen, welche Energiequellen, welche erneuerbaren Energien zum Einsatz kommen sollen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen haben in ihrem Antrag eine Herausforderung vergessen: dass wir die Veränderungen sozialverträglich, dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgend und technologieoffen absichern müssen. Wir werden als christlich-liberale Koalition unser Energiekonzept vom Oktober 2010 mit Vernunft und Schritt für Schritt umsetzen. Wir werden maßvoll fordern und zielgerichtet fördern. Die Zwangssanierung im Wohnungsbestand lehnen wir ab. 20 Prozent weniger Primärenergie bis 2020 und 80 Prozent weniger bis 2050 sind aus unserer Sicht wahrlich anspruchsvolle Ziele. Die Energieeinsparverordnung gibt uns den rechtlichen Rahmen vor. Die wichtigste Komponente der Energieeinsparverordnung ist aus unserer Sicht das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der Nachweis der Wirtschaftlich-keit in vertretbaren Zeiträumen hält die Belastungen für Wohnungsunternehmen, kleine Vermieter, Selbstnutzer und nicht zuletzt die vielen Mieter in Grenzen. Um die ehrgeizigen Ziele bis 2050 zu erreichen, muss die Umsetzung möglichst einfach und in der Breite machbar sein. Die neueste Technologie des Niedrigstenergiehauses ist genauso wichtig wie hocheffiziente Einzelmaßnahmen, die in der Masse wirken. Damit die Energieeffizienz in der Breite wirkt, brauchen die Leute im Land vor allem Planungssicherheit und einfache Lösungen. Die EnEV 2009 ist schon sehr anspruchsvoll. Deswegen sagen wir: Eine weitere Verschärfung wäre hier eher kontraproduktiv. Aber dazu gehören auch Anreize, mehr zu tun als gefordert. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm hat sich bewährt. Es ist 2011 nicht ausgelaufen. Wir werden es fortsetzen, mindestens bis 2014. Wir müssen mehr als in den letzten Jahren privates Kapital heben. Deswegen wollen wir auch steuerliche Abschreibungen und steuerliche Anreize für die energetische Sanierung. Die Grünen übrigens fordern das in ihrem Antrag ebenfalls. Darum bitte ich die Kollegen der Grünen: Werben Sie bitte dort, wo Sie die Regierung führen oder an ihr beteiligt sind, also in den jeweiligen Bundesländern, damit hier eine Einigung herbeigeführt wird. Eines ist nämlich klar: Wir könnten damit die von Ihnen geforderten 2 Milliarden Euro pro Jahr für die energetische Sanierung locker abbilden. Finanzielle Ausstattung ist das eine, inhaltliche Ausrichtung das andere. Zielgruppenorientierung und Förderung von Einzelmaßnahmen, die in der Breite für mehr Klimaschutz sorgen, sind durch die KfW umgesetzt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier komme ich zu einem wesentlichen Punkt, nämlich zur Verknüpfung der KfW-Programme mit der Städtebauförderung, zur Verzahnung von energetischer Sanierung, Stadtsanierung und altersgerechtem Umbau. Die christlich-liberale Koalition hat allen Unkenrufen zum Trotz für 2012 die Städtebauförderung mit insgesamt 547 Millionen Euro ausgestattet; 93 Millionen Euro davon fließen in die energetische Städtesanierung. (Florian Pronold [SPD]: Und die Städtebauförderung um 30 Prozent gekürzt!) Das Programm „Altersgerecht Umbauen“ wurde durch Finanzminister Steinbrück bis 2011 befristet – schade! Es ist ein sehr gutes Programm. Deshalb führt es die KfW weiter. Die Förderprogramme der KfW sind ein gutes, nachahmenswertes Beispiel, wenn es darum geht, die Kopplungsfunktion zwischen Demografiewandel, sprich: barrierearmes Leben, und Energieeffizienz, sprich: CO2-Gebäudesanierungsprogramm, intelligent herzustellen. Diese Sanierungsmaßnahmen, auch gekoppelt mit Stadtumbauprojekten, sind sehr komplex. Barrierefreiheit verlangt hohe Standards. Deswegen ist sie teuer und nicht überall machbar. Wir müssen die Erfahrungen beim altersgerechten Umbau mehr nutzen. (Florian Pronold [SPD]: Warum kürzen Sie dann das KfW-Programm?) Altersgerechtes Umbauen heißt aus unserer Sicht: geeignet für Kinderwagen und Rollator. Auch der Stadtumbau wird beim Demografiewandel eine große Rolle spielen. (Florian Pronold [SPD]: Warum machen Sie dann das KfW-Programm kaputt?) Wir erwarten den Zwischenbericht in diesem Jahr. Er wird uns helfen, den demografischen Wandel in der Wohnungspolitik vernünftig abzubilden. (Florian Pronold [SPD]: Keine Antwort ist auch eine Antwort! Ein Schuldeingeständnis in diesem Fall!) Ich appelliere hier nochmals an die Kollegen von den Grünen und von der SPD: Wenn Sie es mit den notwendigen Baumaßnahmen für die Energiewende, für den Demografiewandel und für das altersgerechte Umbauen ehrlich meinen, (Florian Pronold [SPD]: Dass Sie von Ehrlichkeit sprechen, ist jetzt ein Hohn!) dann helfen Sie uns mit, die Novelle des Mietrechts, die wir auf den Weg gebracht haben, umzusetzen. Wir brauchen dazu auch Ihre Unterstützung und die Unterstützung der Bundesländer. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ingo Egloff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ingo Egloff (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier bereits das dritte Mal über die Frage der energetischen Gebäudesanierung und die notwendigen Mietrechtsänderungen, ohne dass wir uns bisher in einem Ausschuss mit diesem Thema befasst haben. Ich finde, es wird jetzt langsam Zeit, dass wir mit den Ausschussberatungen anfangen, dass wir entsprechende Anhörungen veranstalten. Der Antrag der Grünen zeigt ja, welches Potenzial, insbesondere welches Konfliktpotenzial dahintersteht. Wenn wir die energetische Gebäudesanierung und die Energiewende ernst nehmen, dann sollten wir damit anfangen, das umzusetzen. Lassen Sie es mich deutlich sagen: Der von Bünd-nis 90/Die Grünen vorgelegte Antrag ist meines Erachtens ein guter Antrag, weil er die klimapolitische Dimension des Themas aufzeigt, dabei aber die soziale Dimension nicht vernachlässigt. Es wird unsere Aufgabe in diesem Prozess sein, eine Balance herzustellen. Auf der einen Seite geht es um das, was unter klimapolitischen Gesichtspunkten notwendig und erforderlich ist. Auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass Wohnraum weiterhin bezahlbar ist, dürfen also die soziale Dimension dieser Frage nicht aus den Augen verlieren. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist es gut, dass in dem Antrag der Grünen gefordert steht, dass die Modernisierungsumlage auf 9 Prozent der Modernisierungskosten gesenkt werden soll. Diese Forderung haben wir Sozialdemokraten in den letzten beiden Debatten zu diesem Thema hier auch schon eingebracht. Wir werden diesen Punkt im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens weiter diskutieren müssen. Die Umlage der Kosten ist auf Dauer angelegt. Selbst wenn die Investition längst getilgt ist, wird die Miete nicht wieder reduziert. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns im Rahmen der Beratungen damit beschäftigen, inwieweit eine temporäre Umlage angemessener wäre. Das ist ein Punkt, über den man genauer nachdenken sollte. Man muss an dieser Stelle deutlich machen, welche soziale Verantwortung wir angesichts dessen haben, dass in Deutschland im Schnitt 30 Prozent des Einkommens für Miete ausgegeben werden. (Beifall bei der SPD) Über die Härtefallklausel werden wir uns noch einmal unterhalten müssen. Ob es so geht, wie Sie es in Ihrem Antrag dargestellt haben – dahinter würde ich zumindest ein Fragezeichen setzen. Das ist ein Punkt, bei dem wir nicht ganz mit Ihrem Antrag einverstanden sind. Wir halten es aber für richtig, dass Sie auch das Thema der Mietobergrenzen angesprochen haben, Frau Wagner. Die Linken haben hier einen Antrag eingebracht, den das Land Berlin schon im Bundesrat eingebracht hatte; dort liegt er jetzt beim Rechtsausschuss. Schon damals haben wir darüber diskutiert, ob wir eine Begrenzung auf bestimmte Stadtgebiete vornehmen können. In Ballungszentren – dazu gehören Berlin, Hamburg, Köln und München – werden in bestimmten Stadtgebieten die angestammten Mieter verdrängt, weil die Mieten aufgrund der zunehmenden Attraktivität dieser Stadtteile erhöht werden. Die jeweilige Stadt kann nicht handeln, weil die Mietobergrenzen auf das gesamte Stadtgebiet bezogen sind. Deswegen ist es wichtig, die Möglichkeit zu eröffnen, die auch das Land Berlin in seinem im Bundesrat eingebrachten Antrag fordert. Das ist ein weiterer Punkt, über den wir uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens unterhalten müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehört auch, die Frage sozialer Erhaltensverordnungen wieder aufzugreifen; denn es gibt die genannten Verdrängungsprozesse in den Städten. Das Ergebnis ist, dass wir bestimmte Stadtteile haben, in denen sich die Probleme ballen, und andere Stadtteile, die von diesen Problemen nichts mitbekommen. Eine soziale Spaltung unserer Städte können wir aber nicht hinnehmen. Sie schadet unserer Gesellschaft, und deswegen sind wir auch an dieser Stelle gefordert. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Contracting sagen; das dürfen wir nicht vernachlässigen. Contracting heißt erst einmal nur, dass es einen anderen Energieanbieter gibt. Wenn wir so etwas einführen, müssen wir auch darauf achten, dass es mit Energieeinsparungen verbunden ist. Wenn dies nur dazu führt, dass Energie am Ende teurer wird, dann sollten wir es nicht einführen, dann lehnen wir als Sozialdemokraten es ab. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Wagner, Sie haben gesagt, Ihr Vorschlag sei insofern neu, als er soziale und Klimaaspekte gleichermaßen berücksichtige. Es gibt aber auch einen Entwurf vonseiten des Ministeriums, der ebenfalls beide Aspekte berücksichtigt. Wir werden auch diesen, sobald die Beratungen in den Ausschüssen beginnen, zu diskutieren haben. Im Energiekonzept der Bundesregierung von September 2010 heißt es: Die energetische Sanierung des Gebäudebestands ist die wichtigste Maßnahme, um den Verbrauch an fossilen Energieträgern nachhaltig zu mindern … Um diese Sanierung zu fördern, um Anreize zu setzen, brauchen wir flankierende Maßnahmen im Mietrecht des BGB. Seit November vergangenen Jahres liegt ein Referentenentwurf zur Novellierung vor, der in Kürze debattiert werden wird. Es gibt einige Übereinstimmungen zwischen Ihrem Antrag und dem Entwurf der Bundesregierung, (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die Bundesregierung bei uns abgeschrieben?) sodass ich glaube, dass wir bei den Beratungen in vielen Punkten zu Übereinstimmungen kommen werden. (Florian Pronold [SPD]: Ich dachte, das ist Enteignung! – Daniela Wagner [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch keine Enteignung!) Ein Punkt ist, dass energetische Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich von den Mietern geduldet werden sollen. (Florian Pronold [SPD]: Die Koalition widerspricht sich!) Wir wollen das erreichen, damit der Klimaschutz bei der Interessenabwägung zwischen Vermieter und Mieter eine Rolle spielen kann. Dadurch können gewünschte energetische Sanierungsmaßnahmen, die der Energieeinsparung dienen, von Mietern nicht ohne Weiteres aufgehalten werden. Der zweite Punkt ist, dass wir darauf hinwirken wollen, dass Modernisierungsmaßnahmen zwar nicht mehr mit dem Einwand einer finanziellen Härte aufgehalten werden können, dass aber in einer zweiten Stufe bei der Kostenumlage dieses Argument eventuell zum Tragen kommen kann. Eine Mieterhöhung im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen ist nur dann ausgeschlossen, wenn sie für den Mieter oder seine Familie eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Das heißt also, wir wollen, dass der Klimaschutz bei dieser Interessenabwägung eine stärkere Rolle spielt, als das bislang der Fall ist. Ich glaube, dass wir hier durchaus zu einem Konsens finden können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einen Punkt, den Sie in Ihrem Antrag fordern, werden Sie in unserer Vorlage nicht finden, nämlich die Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 9 Prozent. Wir sind der Meinung, dass sich die 11-Prozent-Regelung bewährt hat, dass sie nicht angetastet werden sollte. Wir glauben, dass diese Regelung einen ausgewogenen Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterinteressen darstellt; denn auch der Mieter wird von solchen Sanierungsmaßnahmen dadurch profitieren, dass seine Heizkosten, also die Nebenkosten, sinken. Dies ist aus unserer Sicht ein gerechter Ausgleich. Wir denken vor allem, dass eine Absenkung auf 9 Prozent ein falsches Signal wäre, weil es den Anreiz zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen nicht erhöht, sondern senkt, weil sich die Zeit der Refinanzierung der Investitionsmaßnahme verlängern würde. Wir glauben, dass es im Sinne des Klimaschutzes sinnvoll ist, die 11-Prozent-Regel beizubehalten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In Ihrem Antrag steht, dass der Mieter auch dann ein Minderungsrecht haben sollte, wenn Vermieter gesetzlich vorgeschriebene Energieeffizienzstandards für den Gebäudebereich nicht umsetzen. Als Zivilrechtler sollte man den Blick auf Sinn und Zweck der Mietminderungsmöglichkeit lenken. Mietminderungen sind laut BGB immer dann möglich, wenn die Mietsache einen Mangel aufweist, der die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache aufhebt oder mindert. Das ist aber nicht der Fall, wenn nur Energieeffizienzstandards nicht eingehalten werden, die sich auch ändern können. Eine Mietminderung wäre nur dann möglich, wenn Vermieter und Mieter im Mietvertrag vereinbart haben, dass der Vermieter die Mietsache an sich ändernde Energieeffizienzstandards anpassen muss. Nur, dann wird der Vermieter sagen: Dann will ich aber auch die Miethöhe anpassen. Das kann für den sozial schwachen Mieter eine Härte darstellen, die ihn treffen würde. Deswegen bin ich der Meinung: Sie sollten unter sozialen Gesichtspunkten noch einmal überdenken, ob dieser Vorschlag die richtige Gewichtung zwischen Klimaschutz und sozialer Ausgewogenheit darstellt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) So weit sich Ihr Antrag mit Themen des Städtebaus befasst, halten wir an unserer Strategie „Fordern, Fördern, Informieren – Marktkräfte stärken“ fest. Wir haben als Ziel formuliert, dass wir ab 2020 eine klimaneutrale Bauweise erreichen wollen. Dabei setzen wir nicht auf Zwang, sondern auf Anreize, während Sie in Ihrem Antrag die Energiewende durch Zwangsmaßnahmen erreichen wollen. Das ist nicht unsere Herangehensweise. Sie haben in Ihrem Antrag zum Beispiel gefordert, die zwangsweise Einführung von Energieeinsparstandards im Gebäudebereich oder verpflichtende bedarfsorientierte Energieausweise einzuführen. Wir glauben, dass das nicht zum Ziel führt. Interessant ist, dass Sie in Ihrem Antrag – damit komme ich zum Schluss – sehr vorsichtig mit dem bereits von der Bundesregierung beschlossenen Gesetz zur steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung umgehen. Warum sind Sie hier so vorsichtig? Das ist auffällig. Sie wissen, dass es dabei auch auf den Bundesrat ankommt. In diesem Zusammenhang ein mahnendes Wort: Die rot-grün geführten Länder sind hier die Blockierer. Wir sind sehr gespannt, wie sich die Bundesländer bei der nächsten Runde des Vermittlungsausschusses Anfang Februar verhalten werden. Darauf kommt es an. Dann wird die Stunde der Wahrheit schlagen, ob Rot-Grün es wirklich ernst meint mit der Energiewende im Gebäudesanierungsbereich. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Stephan Thomae (FDP): Sehr gerne, Herr Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da ich im Gegensatz zu Ihnen das große Vergnügen habe, diesem Ausschuss anzugehören, möchte ich gerne wissen, was es für eine merkwürdige Strategie der Bundesregierung ist, den Vermittlungsausschuss anzurufen und dann der Länderseite keinerlei Angebote zu unterbreiten. Sie wissen genau, dass die Länder den Vermittlungsausschuss angerufen haben, weil sie sagen: In bestimmten Kommunen und in manchen Ländern werden wir, wenn wir die Schuldenbremse einhalten oder haushalterisch noch in der kommunalen Selbstverwaltung bleiben wollen, einen Ausgleich für die Steuerausfälle benötigen. Bislang haben Sie aber noch keinen einzigen Cent als Angebot auf den Tisch gelegt. Wenn man ein Vermittlungsausschussverfahren einleitet, muss man der anderen Seite doch ein Angebot machen, zumal das Gesetz bereits einmal im Bundesrat durchgefallen ist. Wir wollen ja ein Ergebnis, aber Sie müssen den Kommunen helfen, die in der Zwangsverwaltung sind, und den Ländern, die die Schuldenbremse anders nicht einhalten können. Stephan Thomae (FDP): Herr Kollege Beck, ich denke, dass Sie gerade verschiedene Punkte zusammenwerfen. Es ist doch so, dass beide Seiten dem Vermittlungsausschuss Angebote unterbreiten müssen. Warten Sie gespannt ab, was Anfang Februar von unserer Seite vorgelegt werden wird. Aber auch Rot-Grün muss zeigen, dass es in dem hier angesprochenen Punkt bei den Ländern – auch bei denen, an deren Regierung Sie beteiligt sind – Bewegung gibt. Hier kann Rot-Grün zeigen, ob es bereit ist, sich zu bewegen. Es kommt auf beide Seiten an. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Bewegung angeboten!) Warten wir einfach ab, was sich Anfang Februar ergibt. Wir sind gespannt, was von Ihrer Seite kommt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon abgelaufen, aber der Kollege Mücke möchte auch noch eine kurze Erläuterung dazwischenschieben. Er kann eine Zwischenbemerkung machen. (Florian Pronold [SPD]: Zur Erweiterung der Redezeit! Wie durchsichtig! Schämen Sie sich! – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr kreativ! – Gegenruf des Abg. Patrick Döring [FDP]: Es gibt parlamentarische Gepflogenheiten, und da muss man sich nicht schämen, wenn man die in Anspruch nimmt!) Kollege Mücke, bitte. Jan Mücke (FDP): Herr Kollege Thomae, stimmen Sie mir zu, dass der Klimaschutz, der gerade für die Grünen-Fraktion sehr wichtig ist, eine gesamtstaatliche Aufgabe ist und dass es deshalb nicht nur die Aufgabe der Bundesregierung sein kann, für die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung zu sorgen, sondern dass es vielmehr auch eine Aufgabe der Länder und der Kommunen ist? (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Thomae, Sie könnten doch jetzt mit einem kräftigen Ja zu dieser Zwischenfrage Ihre Rede beenden; denn Ihre Redezeit ist ja abgelaufen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Stephan Thomae (FDP): Ich sehe schon das Minuszeichen bei mir am Pult. Ich kann das nur unterstreichen, was Kollege Mücke gesagt hat. Es handelt sich um eine gemeinsame Aufgabe von uns allen, von Bund und Ländern. (Abg. Jan Mücke [FDP] begibt sich wieder zur Regierungsbank – Zurufe von der SPD: He! Hallo! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So viel zu den parlamentarischen Gepflogenheiten!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen schon noch dableiben. Stephan Thomae (FDP): Alle Seiten haben daran mitzuwirken, Bund und Länder. Ich hoffe, dass Anfang Februar im Vermittlungsausschuss ein Ergebnis erzielt werden kann, an dem auch Rot-Grün mitwirkt. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Florian Pronold [SPD]: Ist euch das Manöver nicht selber peinlich?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herzlichen Dank. – Nun hat Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wagner, herzlichen Dank, dass Sie diesen Antrag heute so zeitnah unserem Antrag hinterherschieben, über den wir am 16. Dezember letzten Jahres hier debattiert haben. Ich kann Ihnen sagen: Unsere Unterstützung für Ihren Antrag werden Sie bekommen; denn in wesentlichen Teilen haben wir in unseren Anträgen dieselben Ansätze. Vor allem was die Verbindung der Themen Klimaschutz, Demografie und sozialer Mieterschutz betrifft, sind wir sehr nah beieinander. Deshalb können Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Herr Thomae, Sie haben vorhin zwar sehr eindrucksvoll deutlich gemacht, dass Sie im Laufe der Diskussion des Referentenentwurfs vermutlich zu gemeinsamen Positionen mit den Grünen und dann gegebenenfalls auch mit uns kommen werden. Ich traue Ihnen jedoch nicht über den Weg; das will ich hier ganz deutlich sagen. Die Rede, die Sie am 16. Dezember letzten Jahres gehalten haben, als ich unseren Antrag hier verteidigt habe, war eine völlig andere, obwohl der Inhalt der beiden Anträge sehr nah beieinanderliegt. Deswegen traue ich Ihnen nicht. Wir sind sehr gespannt, wie sich das Ganze nun in den Ausschüssen gestalten wird. Es gibt allerdings – das will ich ebenfalls hier deutlich machen – ein paar kleine Unterschiede zwischen unseren Anträgen: Unser Antrag ist nicht nur kürzer – das sagt nichts über die Qualität aus –, sondern unterscheidet sich auch im Hinblick auf bestimmte wesentliche Positionen. Ich will hier auf das Thema Modernisierungsumlage eingehen. Wir fordern in unserem Antrag eine Absenkung der Modernisierungsumlage auf maximal 5 Prozent der Miete und sind der Auffassung, dass die Möglichkeit ihrer Erhebung jeweils an die Dauer der Abschreibung der bei der Klimaschutzmaßnahme oder beim altersgerechten Umbau verwendeten Bauteile gebunden werden sollte. Wir sind nämlich der Auffassung, dass eine Verbindung zur Abschreibung viel fairer und gerechter ist. Ich habe gerade im Beitrag von Herrn Egloff gehört, dass man darüber nachdenken sollte, die Zahlung der Umlage zeitlich zu begrenzen; das begrüßen wir ausdrücklich. Denn es ist in der Tat so: Nach der neunjährigen Abschreibung von jährlich 11 Prozent hat bisher kein Vermieter seine Miete angepasst. (Beifall bei der LINKEN) Wie wir der Presse entnehmen können, hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wie auch wir, ihren Antrag mit dem Deutschen Mieterbund abgestimmt. Der Mieterbund sagt zu dieser Frage, dass die Modernisierungsumlage eigentlich systemfremd ist und überhaupt nicht zu diesem Thema passt; er möchte, dass sie ganz gestrichen wird. An dieser Stelle sind wir ein bisschen näher am Mieterbund; aber ich denke, da kann man sich annähern. Wir gehen allerdings davon aus, dass eine gesetzliche Deckelung der Modernisierungsumlage ohnehin nur dort praktikabel ist, wo der Markt Mietsteigerungen in der entsprechenden Größenordnung zulässt. Aber gerade dort ist es notwendig, Mieterinnen und Mieter vor Mietwucher und vor allem vor einer Verdrängung aus nachgefragten Wohnlagen zu schützen. Wir wählen in unserem Antrag eine andere Rangfolge als die Grünen, aber letztendlich sind unsere Grundaussagen mit denen der Grünen identisch: Weder der altersgerechte Umbau noch die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes in Deutschland können ohne das Engagement aller am Prozess beteiligten Akteure gelingen: der Staat, die Vermieter, die Mieter und Mieterinnen. Ich nenne den Staat zuerst, weil die älter werdende Bevölkerung und der Klimawandel Herausforderungen sind, vor denen die Gesellschaft als Ganzes steht, weshalb zuerst politische Konzepte und politisches Handeln gefordert sind. Weil in Deutschland weit mehr als 50 Millionen Menschen in Mietwohnungen leben, also mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung davon betroffen ist, müssen wir das als eine gesamtstaatliche Aufgabe annehmen, (Beifall bei der LINKEN) übrigens auch im Interesse Tausender Vermieter, die als Eigentümer auf verlässliche, langfristige ordnungspolitische und haushalterische Rahmenbedingungen, aber auch auf sozialen Frieden und eine stabile Mieterschaft angewiesen sind, wenn wir von ihnen verlangen, in ihre Wohnungsbestände kräftig zu investieren. Wohnungen sind aber keine gewöhnliche Ware, die man dem sogenannten freien Spiel der Kräfte des Marktes überlassen darf. Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis aller Menschen; es gesetzlich zu schützen und zu sichern, ist also eine vordringliche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge bzw. des Staates. (Beifall bei der LINKEN) Märkte, auch der Wohnungsmarkt in Deutschland, werden sich nicht ohne gesellschaftlichen Druck verändern und die Herausforderungen der Zukunft annehmen. Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Der Staat muss die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen beständigen Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern schaffen. Ein letztes Wort an die FDP. Der Referentenentwurf ist immer noch ein Referentenentwurf. Wir warten seit vielen Monaten und sind sehr gespannt, wann daraus endlich eine Gesetzesgrundlage wird. Aber vielleicht ist das auch gar nicht notwendig: Nachdem unsere Anträge vorliegen, reicht es vielleicht aus, sich daran abzuarbeiten. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Karl Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig machen“: Ich glaube, das ist das Ziel von uns allen. Unsere Wege zur Erreichung dieses Ziels unterscheiden sich jedoch gewaltig. Der Weg der christlich-liberalen Koalition ist realistisch und wird daher auch zum Ziel führen. Der Weg, den die Grünen mit dem vorliegenden Antrag beschreiten wollen, führt dagegen in die Irre. Die zahlreichen von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sind vielleicht wünschenswert, aber in keiner Weise realistisch. Zwar sind all Ihre Feststellungen zur demografischen Entwicklung, zur dringenden Notwendigkeit der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes und zur Vermeidung sozialer Konflikte richtig; aber die Schlussfolgerungen daraus sind nicht konsequent und blenden die Wirklichkeit aus. Sie werden soziale Konflikte nicht vermeiden, wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger bei den Sanierungsmaßnahmen nicht mitnehmen. Außerdem ist mir schleierhaft, wie Sie mit Ihren Vorschlägen jemals einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen wollen. Die Maßnahmen zur Steigerung der Gebäudeeffizienz müssen sich an drei wesentlichen Kriterien orientieren: Sie müssen vom Bundeshaushalt finanzierbar sein, ohne die nachfolgenden Generationen zu belasten. Sie dürfen die Menschen nicht überfordern, das heißt, die Standards dürfen nicht zu hoch sein, und es darf keinen Sanierungszwang geben. Die Maßnahmen müssen so angelegt sein, dass die Häuslebauer, Hauseigentümer und Mieter in der Lage sind, sich die Modernisierung zu leisten. Das Energiekonzept der Bundesregierung und die darauf aufbauenden Maßnahmen folgen diesem Dreiklang. Die christlich-liberale Koalition handelt mit Augenmaß, sie handelt bürgerfreundlich, und sie handelt vor allem verantwortungsbewusst mit Blick auf die nachfolgenden Generationen. Dies ist aus meiner Sicht das beste Rezept, um sozialen Konflikten im Mietwohnungsbereich vorzubeugen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Was machen wir konkret? Erstens. Wir haben beschlossen, das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm von 2012 bis 2014 trotz schwieriger Haushaltszeiten jeweils mit einem Volumen von circa 1,5 Mil-liarden Euro fortzuführen. Ich gehe davon aus, dass das Geld im Klima- und Energiefonds zusammenkommt. (Florian Pronold [SPD]: Ja?) Mit diesem Geld werden wir zinsverbilligte Kredite sowie Zuschüsse für die energetische Gebäudesanierung durch die bundeseigene KfW bereitstellen. Die Höhe der Investitionszuschüsse der KfW wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2012 auf bis zu 20 Prozent der Investitionssumme erhöht. Auch der Zuschuss für Einzelmaßnahmen steigt von 5 Prozent auf 7,5 Prozent. Zweitens. Seit Januar gibt es das neue KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“, für das der Bund einen Betrag von 92 Millionen Euro zur Verfügung stellt. (Florian Pronold [SPD]: Ich dachte Städtebauförderung? Sie sollten sich einmal entscheiden!) Damit sollen integrierte Quartierskonzepte zur Steigerung der Energieeffizienz des Gebäudebestands und der Infrastruktur im Bereich der Wärmeversorgung entwickelt und umgesetzt werden. Drittens. Das erfolgreiche Förderprogramm „Altersgerecht Umbauen“ wird fortgesetzt. Die KfW setzt hierfür eigene Mittel ein und unterstützt damit die Initiative der christlich-liberalen Koalition, (Florian Pronold [SPD]: Die die Mittel aus dem Haushalt gestrichen hat! Das ist der Hammer!) Modernisierungsmaßnahmen zum Abbau von Barrieren in Häusern und Wohnungen voranzutreiben. Damit wird man der demografischen Entwicklung gerecht und sichert außerdem wichtige Arbeitsplätze in der mittelständischen Bauwirtschaft und im Handwerk. Insgesamt schafft es die KfW mit dem Geld, das ihr der Bund zur Verfügung stellt, die Förderung für Sanierungen von Wohngebäuden auszuweiten und das Engagement bei der Bewältigung des Klimawandels und der demografischen Herausforderungen zu intensivieren. Viertens. Wir setzen uns massiv dafür ein, dass es steuerliche Anreize für energetische Sanierungs- bzw. Einzelsanierungsmaßnahmen gibt. Hier sind wir jedoch auf die Kooperation der SPD-geführten Bundesländer angewiesen. Die Verhandlungen laufen derzeit noch. Sie müssen sobald wie möglich zum Abschluss kommen. Fünftens. Auch im Bereich des Mietrechts tut sich etwas. Die christlich-liberale Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die energetische Sanierung bei bestehenden Wohnraummietverträgen zu erleichtern. Mit dem Mietrechtsänderungsgesetz, das sich derzeit noch in der Ressortabstimmung befindet, setzen wir diese Vorgabe des Koalitionsvertrages um. So werden beispielsweise Mieter künftig für eine Zeit von drei Monaten energetische Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen dulden müssen, ohne die Miete mindern zu können. Sie werden die Sanierung auch nicht mehr mit dem Einwand der wirtschaftlichen Härte verzögern können. Außerdem werden wir mit dem Gesetz Contracting-Modelle im Mietwohnungsbereich ermöglichen. Insgesamt sind wir mit unseren Maßnahmen auf einem guten Weg zur Schaffung eines klimaneutralen Gebäudebestands, und zwar ohne Zwang, ohne starre und unrealistische Zielsetzungen und mit Augenmaß im Hinblick auf die Finanzierbarkeit. Der Antrag der Grünen erfüllt diese Kriterien leider nicht. Er ist ein Sammelsurium von Wunschmaßnahmen ohne Bezug zur Realität. Damit werden Sie es sicher nicht schaffen, den Wohnraum in Deutschland zukunftsfähig zu machen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schade! Herr Kollege, jetzt bin ich total enttäuscht!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Kollegen Michael Groß für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe bei Herrn Holmeier dreimal das Wort „Zukunftsfähigkeit“ gehört. Ich glaube, darüber haben wir heute alle gesprochen. Aber Ihr Weg ist ein völlig anderer. Sie zeichnen sich beim CO2Gebäudesanierungsprogramm wie auch bei dem Programm „Soziale Stadt“ durch Unzuverlässigkeit und Unkalkulierbarkeit aus. Sie fahren die Programme finanziell zurück, stocken sie dann wieder auf. Gerade das ist Gift für diejenigen vor Ort, die investieren und etwas für ihre Wohnung tun wollen. Wir haben einen völlig anderen Weg gewählt als den, den Sie beschritten haben und beschreiten. Es ist klar: Wir müssen die Umwelt schützen. Wir müssen den Wohnraum bezahlbar halten. Wir müssen ihn vor allen Dingen barrierefrei bzw. -arm gestalten. Wir müssen den Gebäudebestand sanieren, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Wir wissen heute: Wer saniert, saniert nicht nur energetisch. Die Lebensdauer von Heizungsanlagen, Fassaden, Dächern und Fenstern sowie die Verbesserung der Wohnqualität spielen ebenso eine Rolle. Wir begrüßen, dass von vielen Eigentümern auch altersgerecht und barrierearm umgebaut wird. Wir haben vorhin gehört, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau das Programm „Altersgerecht Umbauen“ weiterführt. Sie hätten die Haushaltsmittel aufstocken müssen, um hier den Anforderungen gerecht zu werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die simple Rechnung, dass Mieter und Eigentümer von einer energetischen Sanierung profitieren, geht nicht immer auf. Ebenso erhält der Vermieter nicht in jeder Region durch die Sanierung einen entsprechenden Mehrwert für seine Immobilie. Wir beobachten in Wachstumsregionen, dass die Mieten nach vorgenommenen Sanierungen explodieren können. Die heute kalkulierten Einsparungen für den Mieter bei den Heizkosten sind so geringfügig, dass sie bei 70-prozentigen Mietsteigerungen kaum mehr ins Gewicht fallen. Es handelt sich nicht mehr nur um Einzelfälle. Auch wenn man massive Steigerungen der Energiepreise berücksichtigt, können diese Mehrbelastungen langfristig nicht kompensiert werden. In anderen Regionen sind noch nicht einmal Mieterhöhungen von weniger als 1 Euro am Markt durchsetzbar. (Beifall bei der SPD) In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf die Einkommenssituation in Deutschland zu achten. 1,4 Millionen Menschen müssen ihre Einkommen aufstocken. Die OECD hat gerade festgestellt, dass besonders die unteren Einkommen in Deutschland gesunken sind. Deshalb fordern wir die Wiedereinführung der Heizkostenpauschale beim Wohngeld, die die Koalition abgeschafft hat. Aber wer Energie spart, muss dafür auch belohnt werden. Wenn sich Mieter ihre energetisch sanierten Wohnungen nicht mehr leisten können, wenn Mieter durch ihre geringeren Einkommen in energetisch schlechtere Wohnungen gedrängt werden, so ist das ein Zustand, den wir nicht akzeptieren können und wollen. (Beifall bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!) Die sozialen Auswirkungen der Energiepolitik müssen mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Wir wollen keine Stadtteile, in denen ausschließlich Menschen leben, die sich bezahlbare gute Wohnungen nicht mehr leisten können. Wir brauchen realisierbare Zielsetzungen, und eine komplexe Aufgabe muss in Gesamtzusammenhängen betrachtet und gelöst werden. Für eine schnelle und wirksame energetische Verbesserung des Gebäudebestandes ist es wichtig, erstens wesentlich stärkere Anreize für kleinteilige Maßnahmen mit geringem finanziellen Aufwand zu setzen, zweitens Kontinuität und Planbarkeit bei den Zielsetzungen herzustellen und mindestens 2 Milliarden Euro für die KfW-Förderung im Haushalt mittelfristig bereitzustellen. Wir fordern drittens, den Quartiersbezug in den Städten zu beschleunigen, um abgestimmt die notwendigen Sanierungen und eine zukunftsfähige Energieversorgung im Zusammenhang umzusetzen. Die Vergangenheit hat gezeigt, das Mietrecht hat eine soziale Funktion. Ob das Mietrecht aber auch eine energetische Funktion haben kann, muss geprüft werden. Der Antrag der Grünen enthält 40 Forderungen, elf zum Mietrecht. Die Summe der Forderungen ist hinsichtlich der Folgen erst abzuschätzen. Wir haben Sympathie dafür. Aber wir werden es prüfen. Wir wollen Mieter schützen, Eigentümer motivieren und die Klimaschutzziele erreichen. Das Mietrecht ist sicher nur ein Baustein auf dem großen Baufeld und nicht die tragende Mauer. Vielen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wir die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7983 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ansgar Heveling, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Jimmy Schulz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD „Kulturelles Erbe 2.0“ – Digitalisierung von Kulturgütern beschleunigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Digitalisierung des kulturellen Erbes als gesamtstaatliche Aufgabe umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstellen und den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek auf ein solides Fundament stellen – Drucksachen 17/6315, 17/6296, 17/6096, 17/8164, 17/8486 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Siegmund Ehrmann Reiner Deutschmann Dr. Lukrezia Jochimsen Agnes Krumwiede Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, über das wir heute diskutieren, hat in der Tagesordnung den eindrucksvollen Titel „Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen“. Wir beraten über eine Reihe von Anträgen aller Fraktionen, was zeigt, dass das Thema zwar im Detail unterschiedlich gesehen und bewertet wird, dass wir im Grunde aber auf einen gemeinsamen Nenner kommen: Wir alle sind uns darüber einig – lassen Sie mich meine Rede darum mit diesem betont positiven und diplomatischen Einstieg beginnen –, dass die Digitalisierung unseres kulturellen Erbes – dabei handelt es sich unter anderem um Filme, Buchbestände, Kunstwerke und weitere kostbare Exponate – in den kommenden Jahren weiter ausgebaut und vorangetrieben werden muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es besteht kein Zweifel daran – ich denke, dass ich hier für alle sprechen kann –, dass es in unser aller Sinne ist, dass die Menschen in unserer Gesellschaft, dass die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Forschung und die Bildungseinrichtungen online auf unser Kulturgut zugreifen können. Den Weg der Digitalisierung haben wir erfolgreich eingeschlagen, und zwar mit dem nationalen Digitalisierungsprojekt „Deutsche Digitale Bibliothek“, kurz DDB, das noch in diesem Jahr online gehen soll. Mit diesem faszinierenden Großprojekt wollen wir unser über die Jahrhunderte angesammeltes kulturelles Erbe mit unserer digitalen Zukunft verbinden. Was die DDB bisher geleistet hat, haben uns die daran beteiligten Experten gestern in einem öffentlichen Fachgespräch im Kulturaus-schuss ausführlich dargelegt. Sie haben uns aber auch auf Desiderate hingewiesen, mit denen wir uns zeitnah auseinandersetzen wollen und müssen. Bei dem Fachgespräch gestern hat sich auch gezeigt, dass das Thema Digitalisierung nicht allein unter dem technischen Gesichtspunkt betrachtet werden darf. Wir brauchen auch eine inhaltliche Strategie für den Umgang mit den zu digitalisierenden Werken. Dabei ist klar: Mit der DDB, die durch das zuständige Kompetenznetzwerk, bestehend aus Bund, Ländern und Kommunen, koordiniert wird, liegt schon ein umfassendes und klar definiertes Digitalisierungskonzept vor, das nun weiter ausgebaut und mit weiterem digitalen Content bestückt werden muss, damit diese Objekte auch in die „Europeana“ einfließen können. Schon heute sind 6 Millionen Objekte in die DDB eingepflegt. Der Beitrag, den Deutschland bisher für die digitale Bibliothek erbracht hat, ist beachtlich. So wurden bereits 22 000 Buchtitel aus dem 16. Jahrhundert, 30  000 aus dem 17. Jahrhundert und 40 000 aus dem 18. Jahrhundert erfolgreich digitalisiert. Das vermeldete der Deutsche Bibliotheksverband in einer 2011 herausgegebenen Fachzeitschrift. Eine große Aufgabe, die in den nächsten Jahren ansteht, ist die Digitalisierung von Beständen aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert, darunter kostbare Zeitschriften und Zeitungen. Diese und andere Exponate müssen möglichst zeitnah bearbeitet werden, da sie sich teilweise schon in einem schlechten Zustand befinden oder sogar vom Zerfall bedroht sind. Hinsichtlich der noch zu realisierenden Projekte kommen wir nicht umhin – ich habe eingangs schon darauf hingewiesen, dass wir nicht nur die technische, sondern auch die inhaltliche Seite betrachten müssen –, eine sach- und fachgerechte Auswahl vorzunehmen. Exponate, die sich in einem besonders schlechten Zustand befinden oder von hohem Interesse für Wissenschaft und Forschung sind, müssen prioritär behandelt werden. Gleichzeitig stehen wir aber auch vor der Frage, welche Speichermedien genutzt werden müssen, um eine Langzeitarchivierung sicherzustellen. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Richtig!) Um das umfassende Digitalisierungsprojekt auf nationaler Ebene zu gewährleisten, muss aber nicht nur eine verlässliche finanzielle Basis geschaffen werden, die das gesamtstaatliche Vorhaben auf einen festen Sockel stellt, sondern es muss auch darum gehen, das Urheberrecht im Zuge der Massendigitalisierung zu wahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Seit 1997 wurden bereits über 100 Millionen Euro in die Digitalisierung von Kulturgut investiert. Vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellte einen großen Anteil finanzieller Mittel zur Verfügung. Um die Digitalisierung weiter auszubauen, brauchen die an der DDB beteiligten Institutionen Planungssicherheit; denn nur dann können sie die weiteren Projekte schnellstmöglich angehen und umsetzen. Angesichts der noch anstehenden Aufgaben stehen wir als CDU/CSU und FDP einer Kooperation mit privatwirtschaftlichen Einrichtungen grundsätzlich positiv gegenüber. Die öffentliche Hand allein wird ohne die Unterstützung von außen im Sinne einer Public-Private-Partnership dieser kulturpolitischen Herausforderung sicherlich gar nicht gerecht werden können. Die Kooperation zwischen Google und der Bayerischen Staatsbibliothek sei an dieser Stelle als Beispiel erwähnt. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Sehr gut!) Hier müssen natürlich staatliche gegen kommerzielle Interessen abgewogen werden. Aber, ich denke, dieses Projekt in Bayern ist ein sehr gelungenes Beispiel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Bei einem Teil der zu digitalisierenden Werke handelt es sich um urheberrechtlich geschützte Exponate, deren Rechteinhaber nicht mehr auffindbar sind oder die als vergriffen gelten, die sogenannten verwaisten oder vergriffenen Werke. Es ist richtig – das haben wir in allen Diskussionen hierzu festgestellt –, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, das wir nicht leicht in den Griff bekommen werden. Das ist kein leichtes Unterfangen. Die erforderliche Rechteklärung ist faktisch schwierig oder gar unmöglich. Dennoch sehen wir als CDU/CSU-Fraktion die Notwendigkeit, einen gerechten Ausgleich zwischen Rechteinhabern und Nutzern zu finden, zum Beispiel anlehnend an das bewährte System der Verwertungsgesellschaften. Ich hoffe, dass das Onlineportal der Deutschen Digitalen Bibliothek eine große Bereicherung für uns alle sein wird und viele Menschen in Zukunft auf dieses Angebot zugreifen können und werden, nicht zuletzt deswegen, um anschließend den Weg in eine Kultureinrichtung zu finden. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das gehört dazu!) Denn trotz unseres digitalen Fortschritts vermag der Bildschirm nicht alles. Er vermag vor allem nicht die unmittelbare ästhetische Wirkung unserer vielfältigen Kunst- und Kulturschätze zu ersetzen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Siegmund Ehrmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Siegmund Ehrmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Heveling, die vorliegenden Anträge belegen in der Tat, dass sich alle Fraktionen sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Ich gebe Ihnen recht, dass zumindest die beschreibenden Teile der Anträge starke Übereinstimmungen aufweisen. Bei den vorgeschlagenen Konsequenzen gibt es gleichwohl Differenzen. Darauf möchte ich gerne eingehen; denn zu viel Harmonie würde die sachlich notwendige Reibung behindern. (Beifall der Abg. Ulrich Kelber [SPD], Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE] und Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Für mich persönlich gab es trotz der intensiven Beschäftigung mit diesem Thema in der letzten Woche noch zwei Erfahrungen, die mich besonders beeindruckt haben; diese haben wir gemeinsam erlebt. Das war zum einen der Besuch im Digitalisierungszentrum der Staatsbibliothek zu Berlin. Dort konnten wir hochkomfortable technische Arbeitsplätze mit Innovationscharakter erleben. Das war beeindruckend. Die Menschen, die dort arbeiten, sind engagiert und gehen einer sehr verantwortungsvollen Tätigkeit nach. Wir bekamen ein Gespür dafür, was nicht nur technologisch, sondern auch an klassischem Handling notwendig ist. Das andere, das mich bzw. uns beeindruckt hat, war gestern die Präsentation der Vertreter der Fraunhofer-Gesellschaft, die das Portal der Deutschen Digitalen Bibliothek vorgestellt haben. Das Portal hat ein ausgesprochen ansprechendes Design und ist überdies von der Funktionalität her überzeugend. Das ist sehr beeindruckend. Die Expertenanhörung gestern hat unsere Einschätzung hinsichtlich der Entscheidung über die Anträge abgerundet. Die Anstrengungen im Bereich der Digitalisierung sind nichts Neues. Erwähnt wurde, dass von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit vielen Jahren Anstrengungen unternommen worden sind, um insbesondere Bestände zu erhalten. Eine neue Qualität ist entstanden, als „Europeana“ gegründet wurde und auch wir in unserem Land im Eckpunktepapier zur Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern Verabredungen getroffen haben, die Digitalisierung der kulturellen Güter vorzunehmen, sie in das Web einzustellen und so den Zugang zu ermöglichen. Die Digitalisierung der kulturellen Güter ist klassischerweise eigentlich Aufgabe der Kulturpolitik. Es geht darum, sich mit dem kulturellen Erbe auseinanderzusetzen, die Dinge zu archivieren, zu sichern, zu bewahren, bereitzustellen und zu vermitteln. Das ist Ausdruck der öffentlichen Verantwortung gegenüber öffentlichen Gütern und der Öffentlichkeit. Wir stellen die öffentliche Infrastruktur zur Verfügung. Das ist Aufgabe des Staates auf allen Ebenen, nicht nur in der analogen, sondern auch in der digitalen Welt. Hierfür sind jetzt die Voraussetzungen geschaffen. (Beifall bei der SPD) Wo stehen wir? Ich möchte auf drei Punkte eingehen: erstens auf das Portal, zweitens auf die Strategie und drittens auf die Frage, die Herr Heveling angesprochen hat: Wie gehen wir eigentlich mit den verwaisten Werken um? Zunächst zur Deutschen Digitalen Bibliothek. Ich schildere Ihnen, was wir gestern bei unserem Treffen mit den hochkompetenten Leuten von der Fraunhofer-Gesellschaft erlebt haben. 30 Ingenieure haben über anderthalb Jahre etwas unglaublich Komplexes, was gleichwohl benutzerfreundlich ist, zusammengebracht. Das ist eine Einladung an 30 000 kulturelle Institutionen in unserem Land, sich in dieses Portal zu begeben und dort Verknüpfungen unter sehr vielen fachlichen Gesichtspunkten herzustellen. Das ist spannend und innovativ. Meine Überzeugung ist: Dahinter steckt letztendlich etwas, das die Kulturpolitik plastisch erlebbar macht. Dahinter stecken nämlich technologische Innovationen und ökonomische Wertschöpfung. Das ist hochkomplex. Die Forscher und die Entwickler haben uns deutlich gemacht: Das Ding ist anwendungsreif. Mit dem, was dort entwickelt wurde, haben wir weltweit einen technologischen Vorsprung von etwa anderthalb Jahren. Mein dringender Appell lautet: Lasst es jetzt tatsächlich in die Fläche! Ich werde nachher kritisch nachfragen, wie es damit weitergeht. Wir können hier nämlich tatsächlich etwas realisieren. Wir haben gesehen, welche Scanner in der Staatsbibliothek eingesetzt werden. Wenn Sie sich mit der Frage, wer die Hersteller sind, auseinandersetzen, kommen Sie zu dem Ergebnis: Das sind große und mittelständische Unternehmen aus Österreich und Deutschland, die – wenn Sie sich genauer damit beschäftigen, werden Sie das feststellen – Kooperationspartner aus ganz Europa haben. Das ist ein klassisches Projekt europäischer wirtschaftlicher Kooperation. Ich glaube, es ist wichtig, Entwicklungen, die wir in unserem Land in Kooperation mit anderen zustande bekommen, tatsächlich zum Einsatz zu bringen. Dieses Portal ist, wie gesagt, anwendungsreif, und die Menge der integrierten Digitalisate über der kritischen Grenze von 6 Millionen ließe dies zu. Wir könnten damit in die Anwendung gehen, wenn wir es wollten. Ich frage mich: Wann wird es freigegeben? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Strategie bzw. die Partizipation. Es ist vorgesehen, dass sich in der ersten Phase 30 große kulturelle und Wissenschaftsinstitutionen in dieses Portal begeben. Das ist ein breit angelegtes Angebot. Das kann man nicht top-down, also von oben herab organisieren, sondern da muss motiviert, begleitet und unterstützt werden. Das schreit danach, dass man Schwerpunkte bildet und Kooperationspartner einlädt. Das schreit auch nach der ordnenden Hand, erst recht dann, wenn wir uns die wahnsinnigen finanziellen Investitionen, die dahinterstecken, vor Augen führen. Hier muss man also Schwerpunkte bilden und gewichten. Das kann der Staat bzw. das können Bund und Länder nicht alleine. Das muss man gemeinsam mit den zuständigen Akteuren in den Institutionen organisieren. Dafür brauchen wir Kommunikationsplattformen. Das Netzwerk wurde ja schon gebildet. Aber es ist schwach ausgestattet. Wir brauchen dort mehr Drive und Unterstützung. Herr Heveling, all Ihre Einlassungen würde ich unterstreichen. Aber wer die Lippen spitzt, muss pfeifen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Hier sind Sie von der Regierung gefordert. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim dritten Punkt wird es besonders spannend. Ich finde es wirklich abenteuerlich, was Sie in Ihrem Antrag schreiben, Herr Heveling; er ist ja vom Juni letzten Jahres, und das ist schon ein paar Tage her. Die Kernbotschaft lautet: Die rechtlichen Voraussetzungen werden nun geschaffen. – Toll! (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das haben Sie schön herausgearbeitet!) Das war allerdings im letzten Jahr. Ihre Justizministerin hat aber schon ein Jahr zuvor eine Rede gehalten, in der sie einen Gesetzentwurf zum Dritten Korb für den Herbst 2010 angekündigt hat. Der Staatsminister hat im Herbst 2010 ein Zwölf-Punkte-Programm zu den Kernfragen im Urheberrecht vorgelegt. Unsere Fraktion hat im Oktober 2010 einen Gesetzentwurf genau dazu eingebracht. Der Deutsche Kulturrat hat heute den dringenden Appell veröffentlicht – auch mit Blick auf die Anhörung von gestern –: Mensch Leute, das Problem ist drängend. Es kann doch nicht so sein, dass dort nur die Produkte und Kunstwerke des Mittelalters und des Spätmittelalters präsentiert werden. Das wird erst interessant, wenn auch aktuellere Dinge – hier reden wir über die gemeinfreien Werke und über problematische, nicht geklärte Rechtsverhältnisse – eingestellt werden. – Ich frage Sie: Wie gehen Sie mit diesem Thema um? Sie warten ab! Sie sagen, dass es hier Konflikte in der Sache gibt. Dazu sage ich nur: Das parlamentarische Handwerkszeug, mit dem Konflikte gelöst werden, ist ein Gesetzentwurf, an dem man sich reiben kann. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konflikte müssen gelöst werden!) Auf den warten wir. Wo ist er? Das kann ich bei aller Neigung, zu kooperieren und gut zusammenzuarbeiten – dies ist im kulturellen Bereich ausgeprägt –, an dieser Stelle nicht verstehen. Ich finde, das ist eine absolute Schlechtleistung der Regierung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Ich fasse zusammen: Bei diesem Projekt erleben wir ein starkes Engagement vieler, die mit unglaublicher Kraft, mit Fleiß und mit Ideenreichtum an die Sache herangehen. Es gibt dort auch ökonomische Potenziale. In diesem Zusammenhang verweise ich auf Österreich. Der Marktführer für Scanner in Österreich ist ein Spin-off, eine Ausgründung aus der Technischen Universität Wien. Es gibt also durchaus eine Plattform dafür, das in unserem Land ökonomisch noch weiter zu stärken. Wir haben also alle Voraussetzungen dafür, hier sehr erfolgreich zu agieren. In der Anhörung ist eines eindeutig geworden: Man erwartet von uns politische Unterstützung. Es geht hier nicht nur um eine verbale Bekundung, sondern ein bisschen mehr Leidenschaft in der Sache ist notwendig. Im Analyseteil des Koalitionsantrages sprechen Sie auch noch davon. Danach schreiben Sie: „Der Deutsche Bundestag begrüßt“, und Ihr Forderungskatalog enthält fünf schlappe Punkte. Selbst die Dinge, die jetzt weiterentwickelt werden müssen und die Sie hier eingeräumt haben, hätten zum Zeitpunkt, als Sie den Antrag redigiert haben, schon angegangen werden können. Kurzum: Packen Sie die Dinge an, die ich angesprochen habe! Dann haben wir wirklich ein gutes gemeinsames Thema. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Reiner Deutschmann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Reiner Deutschmann (FDP): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unser kulturelles Erbe ist durchaus fragil. Wird ein Kunstwerk oder ein Schriftstück durch Wassereinbruch oder Feuer zerstört, ist es für die Nachwelt unwiederbringlich verloren. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, speziell in Dresden!) Auch der Zahn der Zeit nagt an unseren Kulturgütern, verhindert die Nutzung der oftmals jahrhunderte-, wenn nicht gar jahrtausendealten Kulturgüter und macht die Arbeit am Original nur unter größtem Aufwand möglich. Deshalb liegt in der Digitalisierung eine zweifache Chance. Die Politik ist fest entschlossen, das kulturelle Erbe Deutschlands zu sichern und gleichzeitig für alle in digitaler Form zugänglich zu machen – natürlich unter Wahrung des Urheberrechts. Meine beiden Vorredner haben es ja bereits gesagt: Darin sind sich erst einmal alle Fraktionen einig. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird es schwer!) – Ich glaube nicht. Erst gestern präsentierte das Fraunhofer-Institut – auch das wurde schon gesagt – die Ausgestaltung der zukünftigen Deutschen Digitalen Bibliothek. Die circa 6 Millionen digitalisierten Werke, die bereits vorhanden sind, garantieren natürlich, dass es in der zweiten Jahreshälfte einen guten Start geben kann. Das im Prinzip fertiggestellte Portal überzeugte durch eine sehr hohe Funktionalität. Es war wirklich beeindruckend, was uns dort vorgeführt wurde. Wir haben damit international tatsächlich einen Vorsprung von ein bis zwei Jahren. Diesen Vorsprung sollten wir natürlich halten, wenn nicht gar ausbauen. Das heißt, wir müssen weiter in entsprechender Größenordnung digitalisieren und natürlich insbesondere auch im Land dafür werben, dass sich weitere Institutionen daran beteiligen. Diese Institutionen können dabei nur gewinnen; denn wer heutzutage im Netz nicht gefunden wird, der wird im nächsten oder übernächsten Jahr unter Umständen gänzlich von der wissenschaftlichen Landkarte verschwunden sein. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten wir die FDP schnell digitalisieren! Vorsorglich! – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Mein lieber Herr Wieland! Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag der SPD-Fraktion konzentriert sich auf die Festlegung einer nationalen Digitalisierungsstrategie. Eine solche Strategie ist aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion nicht notwendig. Dies haben gestern die Experten auch bestätigt. Anlässlich des öffentlichen Fachgespräches zur Digitalisierung von Kulturgut, das gestern im Ausschuss für Kultur und Medien stattfand, wurde diese Auffassung bestätigt. Claudia Dillmann vom Deutschen Filminstitut hält eine nationale Digitalisierungsstrategie für nicht zielführend. Stattdessen muss die Innovationskraft aus den Sparten des Kompetenznetzwerkes, dem eigentlichen Träger der Deutschen Digitalen Bibliothek, kommen. Meine Fraktion und ich jedenfalls haben großes Vertrauen in die 13 im Netzwerk zusammengeschlossenen namhaften Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen. Von oben sollte daher keine Strategie oktroyiert werden. Daher rührt auch unsere Forderung nach einer Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe. Die für die Umsetzung erforderlichen Organisationsstrukturen sind bereits vorhanden. Neben dem eben erwähnten Kompetenznetzwerk bildet hier das gemeinsame Eckpunktepapier von Bund, Ländern und Gemeinden zur Deutschen Digitalen Bibliothek ein wichtiges Gerüst. Die im SPD-Antrag enthaltenen Forderungen nach konkreten Mindestbedingungen für private Kooperationen sowie nach urheberrechtlichen Lösungen für das Kopieren von Langzeitarchivierungen lehnen wir ab. Das Urheberrecht ermöglicht bereits heute die Langzeitdigitalisierung, zum Beispiel durch Archive und Museen. Hier müssen wir nicht gegen irgendwelche Defizite ankämpfen. Gerade die Aktivitäten im Bereich der privaten Kooperation haben sich bislang als großer Erfolg herausgestellt, sodass wir auch dort keinen gesetzgeberischen Regelungsbedarf sehen. Die genannten Mindestbedingungen für private Kooperationen sind in Ihrem Antrag jedenfalls zu detailliert. Wir wollen nicht in die Einrichtungen hineinregieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Voraussetzung ist aber, dass die jeweiligen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen ein Digitalisat zur freien und unentgeltlichen Verfügung erhalten. Schließlich müssen die digitalisierten Werke im Laufe der Zeit immer wieder in neue Systemumgebungen und auf neue Speichermedien kopiert werden, um für die Nachwelt tatsächlich erhalten zu werden. In Ihrem Antrag ist ein starker Ruf danach enthalten, dass Weiterbildungen für die Mitarbeiter in den Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen des Bundes organisiert werden müssen, damit sie fit sind. Wir denken, dass die Einrichtungen das schon in Eigenregie tun werden und die Eigenverantwortung kennen, die sie gerade gegenüber den Mitarbeitern haben. Ich habe schon darauf verwiesen: Man sollte nicht zu sehr in Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen hineinregieren, sondern sie tatsäch-lich autark arbeiten lassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch aus diesem Grund lehnen wir das umfangreiche Berichtswesen, das in Ihrem Antrag gefordert wird, ab. Wir finden, dies ist nicht notwendig. Es bleibt auch bei unserer Ablehnung zum Vorschlag der Linken, das Ganze in ein Gesetz zu gießen. Außerdem ist von den Experten klar zum Ausdruck gebracht worden, dass die öffentliche Hand diese Mammutaufgabe nicht allein stemmen kann, sondern private Partner braucht. Da hilft es nicht, Haushaltsmittel von 30 Millionen Euro pro Jahr zu fordern. Vielmehr brauchen wir neben der Förderung durch Bund, Länder und Kommunen gerade die öffentlich-privaten Partnerschaften, die diese Aufgabe mit langem Atem und ordentlichem Know-how angehen können. Wir als öffentliche Hand müssen das Rad schließlich nicht immer wieder neu erfinden. Aus ähnlichen Gründen wie bei dem SPD-Antrag können wir auch dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht folgen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Eine Regelung im Urheberrechtsgesetz zum Umgang mit vergriffenen Werken halten wir für nicht notwendig, da bei vergriffenen Werken die Rechteinhaber bekannt sind und um eine entsprechende Lizenz zur Onlinenutzung gebeten werden können. Anders hingegen liegt der Fall bei verwaisten Werken; auch das wurde heute schon angesprochen. Hier sind die Rechteinhaber nicht auffindbar. Hier besteht tatsächlich Handlungsbedarf. Daher verstehe ich die gewisse Ungeduld von Siegfried Ehrmann. Es ist ein kompliziertes Gebilde; das hat sich gestern in der Diskussion mit den Experten gezeigt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man braucht Mut und Initiativen!) Manchmal bringt es nichts, vorschnell nach vorn zu schießen, sondern man soll die Dinge ordentlich regeln. Ich gehe einmal davon aus – da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster –, dass in diesem Frühjahr ein entsprechender Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen wird. In unserem Antrag steht, dass im Dritten Korb zur Reform des Urheberrechts eine Regelung zum Umgang mit verwaisten Werken vorzusehen ist. Ich danke Ihnen ganz herzlich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollegin Luc Jochimsen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ideen müssen sich frei ausbreiten vom einen zum anderen über die Welt, zur gegenseitigen Belehrung der Menschen. Frei wie die Luft, in der wir atmen, uns bewegen, ja unsere ganze physische Existenz haben, ganz und gar ungeeignet für ein Eingesperrtsein oder exklusive Aneignung. Diese Sätze sind fast 200 Jahre alt. Sie stammen von Thomas Jefferson, der weder Computer noch das Internet kannte, aber davon überzeugt war, dass Wissen möglichst allen Menschen zugänglich sein muss, um größtmögliche Wirkung zu entfalten, (Beifall bei der LINKEN) sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesamtheit. Bibliotheken, Museen und Archive sind die Schatzkammern einer Wissens- und Kulturgesellschaft. Sie sammeln über Jahrhunderte Gedanken und Ideen in Handschriften und Büchern, auf Fotos und Gemälden, auf Filmen und Tonaufnahmen. Heute, im 21. Jahrhundert, das die Digitalisierung entwickelt hat, lassen sich unsere Wissens- und Kulturschätze viel besser nutzen und die Türen dieser Schatzkammern weiter öffnen als je zuvor. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!) Als „Traum von der Demokratisierung des Wissens“ umschreibt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, die Chancen, die sich durch die Digitalisierung unseres kulturellen Erbes bieten. Unser Kulturerbe als Gemeingut, das auch längst Versunkenes für die Internetgeneration sichtbar und erlebbar macht: Diese Vision teilen viele hier im Hause. Doch trotz der Kooperation großer Bibliotheken mit Google und trotz des Engagements vieler Enthusiasten geht der Prozess der Digitalisierung bei uns zu langsam voran, und das vor allem im politischen Raum. Der Kollege Ehrmann hat schon einige Phasen und Stufen dieses Prozesses im politischen Raum beschrieben. Mit der Deutschen Digitalen Bibliothek ist demnächst ein Portal geschaffen. Es fehlt aber der Raum dahinter, und vor allem fehlen die Inhalte. Der Grund dafür ist Geldmangel. Eine solch große Zukunftsaufgabe wie die Digitalisierung des Kulturerbes ist aus den ohnehin viel zu knappen Bibliothekshaushalten nicht ohne zusätzliche Bundesmittel zu schaffen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Selbst wenn man wie die Münchner Staatsbibliothek mit Google kooperiert, wird Geld für eigene öffentliche Digitalisierungsinitiativen und für die Datenpflege benötigt. Auf 30 Millionen Euro schätzte das Fraunhofer-Institut den Finanzbedarf. Leider haben Sie unseren Haushaltsanträgen seit 2010, die eine solche Förderung stets gefordert haben, ebenso wie alle anderen Fraktionen nie zugestimmt. Dabei könnten Sie etwa mit einem Bruchteil der Kosten für das Berliner Stadtschloss ein wahrhaft modernes, lebendiges und demokratisches Kulturdenkmal errichten. (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Parzinger zu dem Vorschlag?) Der zweite Grund für die Verzögerung liegt im Urheberrecht. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 60 Prozent der Werke in unseren Archiven und Bibliotheken als verwaist gelten können. Die Rechtesituation bei diesen Werken ist unklar. Rechteinhaber sind nicht aufzufinden und können auch vor einer digitalen Zugänglichmachung nicht um Erlaubnis gefragt werden. Ohne eine praktikable und effektive Lösung dieses Problems wird es keine Massendigitalisierung der Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert geben. Die Fraktion Die Linke hat deshalb eine Beschränkung des Urheberrechts in diesem einen Punkt vorgeschlagen. Natürlich soll die Nutzung vergütet werden, aber erst dann, wenn es glaubhafte Adressaten für diese Vergütung gibt, die ihre Ansprüche bei einer Verwertungsgesellschaft geltend gemacht haben. Der Wechsel des Weltwissens in die digitale Sphäre wird kommen. Was unsere vielen Schatzkammern bergen, sollte unbedingt dabei sein. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Konstantin von Notz. Bitte schön, Herr Kollege. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Digitalisierung von Kulturgütern ist eine enorme Herausforderung für uns. Diese neue Form der Zugänglichmachung und Archivierung von Kulturgütern ist aber auch eine wichtige staatliche Aufgabe, und es ist gut, dass wir uns wie gestern im Ausschuss heute im Plenum erneut mit diesem bedeutenden Thema auseinandersetzen. Aber Ihr Antrag, liebe Fraktionen von CDU/CSU und FDP, bringt trotz der wohlgesetzten Worte schon sprachlich im Antragstext selbst – der Kollege Ehrmann hat es gesagt – Ihre große Distanz zu dem Projekt Deutsche Digitale Bibliothek zum Ausdruck. (Zuruf von der CDU/CSU: Oh je!) Ihr Antrag ist eben keine Offensive, wie Sie ihn betiteln. Vielmehr stehen Sie mit dem Antrag auf der Bremse, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD]) Warum aber handelt es sich bei dem Projekt um eine so wichtige und vorrangige Aufgabe, dass es tatsächlich eine zupackende Offensive bräuchte? Hier zeigt sich, ob eine Regierung visionär zu denken vermag und sich zur rechten Zeit mit Kraft und Entschiedenheit an die Spitze eines historischen Umbruches setzt oder aber nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das sind aber wohlgesetzte Worte!) Sie entscheiden sich letztlich leider für die zweite Alternative. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Kontext, in dem wir über die DDB verhandeln, ist durch die Frage des Umgangs unseres Gemeinwesens mit Informationen und Wissen gekennzeichnet. Genau diese Frage ist eine Schlüsselfrage unserer modernen, fast schon postindustriellen Gesellschaft. Die DDB steht dabei in einem Kontext mit den Diskussionen über Open Data, Open Access und Public Sector Information. Für meine Fraktion und mich ist entscheidend: Mit der Digitalisierung wird die Idee einer digitalen Wissensallmende endlich realisierbar. Deren Kern ist die Teilhabe aller durch digitale Zugänglichmachung von Inhalten und Wissen. Das aber ist kein Selbstzweck, sondern vor allem – Luc Jochimsen hat es ähnlich gesagt – ein Beitrag zur demokratischen Kultur und zur Demokratisierung von Kultur in unserem Land sowie ein Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger, egal ob sie auf der Museumsinsel oder auf dem flachen Land wohnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb muss der Bund in Sachen DDB viel aktiver und viel offensiver werden, viel aktiver als bisher und viel offensiver als in Ihrem Antrag. Aufgrund der gesamtstaatlichen Bedeutung des Projekts ist es Aufgabe der Bundesregierung, jetzt eine umfassende Digitalisierungsstrategie zu entwickeln, die über die bislang beschlossenen Eckpunkte – auch über diejenigen, die heute vorliegen – deutlich hinausgeht. Hierzu fordern wir sie in unserem Antrag ausdrücklich auf. Natürlich muss für ein solches Jahrhundertprojekt auch eine langfristige Finanzierungsstrategie entwickelt werden. Die Bundesregierung aber versäumt es, überhaupt eine Bedarfsanalyse vorzulegen. Dabei gibt es Anhaltspunkte; das ist in der Debatte schon angeklungen. Der Rat der Weisen zum Beispiel rechnet mit 100 Millionen Euro für vier Jahre für die EU. In der gestrigen Anhörung war von 35 Millionen Euro die Rede. Wer hier aber mit kleiner Münze dabei sein will, dem sei gesagt: Die finanziellen Risiken des Verschlafens der Digitalisierung sind deutlich höher. Ein solches Projekt zahlt sich auf jeden Fall im wahrsten Sinne des Wortes aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Selbstverständlich müssen für ein solch ambitioniertes Vorhaben Kooperationen gesucht werden, auch mit Privaten. Doch die Bedingungen dafür müssen gesetzlich klar formuliert werden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Inhalte gemeinfrei und die Persönlichkeitsrechte der Nutzenden gewahrt bleiben. Last, but not least das Urheberrecht und die verwaisten Werke. Ohne Rechtssicherheit wird sich die erforderliche Dynamik beim Ausbau der DDB nicht entwickeln. Auch hier liefern Sie leider nichts. Der Glaube daran, dass der dritte Korb noch kommt, der vielleicht irgendetwas enthält, das helfen könnte, bröckelt selbst bei Ihren tapfersten Anhängern. Für die Beseitigung der Rechtsunsicherheit der öffentlichen Einrichtungen im Umgang mit verwaisten Werken braucht es wohlabgewogene Regelungen, die die Rechte der Urheberinnen und Urheber im Blick haben, aber auch das besondere öffentliche Interesse an der Zugänglichmachung berücksichtigen. Lassen Sie mich damit abschließen: Bei der Digitalisierung läuft uns die Zeit davon. Wichtige Kulturgüter verschimmeln in den Kellern von Bibliotheken. Wir fordern Sie deshalb auf: Setzen Sie unsere Vorschläge zum weiteren Verfahren um, damit die DDB endlich richtig an den Start gehen kann! Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. von Notz. – Letzter Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Reinhard Brandl. Bitte schön, Kollege Dr. Brandl. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege von Notz, es war doch wohl diese Bundesregierung, die im Dezember 2009 mit der Deutschen Digitalen Bibliothek ein Jahrhundertprojekt angestoßen hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu halbherzig!) – Ich spreche von dieser Bundesregierung. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Bücher, Noten, Skulpturen in 3-D, Bilder, Filme und vieles mehr, alles, was heute in über 30 000 deutschen Kultureinrichtungen und Museen irgendwo im Keller, in Regalen und Ausstellungen schlummert, soll digital erfasst werden und im Internet über ein einziges Portal kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Damit sind unglaubliche Chancen für die Wissenschaft, die Bildung und die Kultur verbunden, (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig!) aber auch für jeden einzelnen privaten Nutzer, der sich darüber Zugänge zu Wissen erschließen kann, die vor einer Generation noch undenkbar gewesen wären. Die Digitalisierung ist ein wichtiger Baustein für den Erhalt unseres reichhaltigen deutschen kulturellen Erbes. So schön das alles klingt – der Aufwand dafür ist enorm. Ich hoffe nicht, dass der Prozess ein Jahrhundert dauert, aber es werden sicher aus heutiger Sicht einige Jahrzehnte werden. Aber was dann nicht im Internet zu finden ist, wird es für die breite Masse der kommenden Generationen nicht mehr geben. Wir müssen deswegen Hürden für eine verstärkte Digitalisierung, wie zum Beispiel beim Urheberrecht für verwaiste Werke, aus dem Weg räumen und zusätzliche Finanzierungsquellen erschließen. Durch öffentlich-private Partnerschaften zum Beispiel haben wir schon viel erreicht. 87 Prozent der deutschen Beiträge zur Europäischen Digitalen Bibliothek „Europeana“ stammen von der Bayerischen Staatsbibliothek. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist nur möglich, weil die Bayerische Staatsbibliothek bereits 2007 mit großer Unterstützung des dortigen Wissenschaftsministeriums einen Vertrag mit Google geschlossen hat, der die Digitalisierung des gesamten urheberrechtsfreien Bestands der Bibliothek vom 17. bis zum 19. Jahrhundert zum Gegenstand hat. Dabei handelt es sich um über 1 Million Werke. Von diesen über 1 Million Werken wurden bisher schon 680 000 Werke digitalisiert und frei ins Netz gestellt. Google bekommt als Gegenleistung für diese Digitalisierung eine Kopie des Buches für sein Angebot. Es verbleibt aber auch eine physische Kopie bei der Bayerischen Staatsbibliothek zur uneingeschränkten Nutzung. Die Nutzung erstreckt sich auch auf Portale wie zum Beispiel die Deutsche Digitale Bibliothek oder die „Europeana“ und auf die Langzeitarchivierung. Der Wert dieser Dienstleistung von Google wird auf ungefähr 50 Millionen Euro geschätzt. Die Bayerische Staatsbibliothek kann dadurch ihre eigenen Mittel für die Digitalisierung, die zum großen Teil von der DFG kommen, auf besonders wertvolle und ältere Werke konzentrieren, zum Beispiel auf Drucke aus dem 16. Jahrhundert oder auf Handschriften. Auch davon wurden bereits 85 000 Werke ins Netz gestellt. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Imponierend!) So ein Modell hat natürlich auch seine Grenzen, aber es zeigt, wie durch geschickte Kooperation zwischen privaten und öffentlichen Auftraggebern ein echter Mehrwert für den Erhalt unseres kulturellen Erbes geschaffen werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Man darf aber bei den Kosten nicht nur die Kosten für die einmalige digitale Erfassung betrachten. Zur Langzeitarchivierung gehört auch das sichere Speichern, die ständige Überprüfung der Daten und die Aktualisierung der Dateiformate. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Alleine das, was Google momentan in München scannt, wird geschätzte Kosten von mindestens einer halben Million Euro jährlich für die Langzeitarchivierung verursachen. Das heißt, wir brauchen für diese Projekte auch eine Langzeitfinanzierung. Aber das Ergebnis – wir alle haben eben über die Chancen gesprochen – ist in jedem Fall das Geld wert. Wir müssen auf allen Ebenen versuchen, die Vorhaben der Digitalisierung auf allen Ebenen unseres Landes voranzutreiben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Reinhard Brandl. Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, darf ich herzlich Staatsminister Michael Link begrüßen, der auf der Regierungsbank Platz genommen hat. Bisher saß er in unseren Reihen. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Aufgabe! (Beifall) Sie werden sehen: Man geht nicht immer so freundlich mit Ihnen um. Genießen Sie also den Augenblick. (Heiterkeit) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/8486. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/6315 mit dem Titel „Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe beginnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6296 mit dem Titel „Kulturelles Erbe 2.0 – Digitalisierung von Kulturgütern beschleunigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und Teile der Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Teile der Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6096 mit dem Titel „Die Digitalisierung des kulturellen Erbes als gesamtstaatliche Aufgabe umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das ist die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8164 mit dem Titel „Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstellen und den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek auf ein solides Fundament stellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 a bis f auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft stärken – Drucksache 17/7186 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinsame europäische Agrarpolitik nach 2013 weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsame europäische Agrarpolitik nach 2013 – Förderung auf nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft ausrichten – Drucksachen 17/2479, 17/4542, 17/5299 – Berichterstattung: Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Heinz-Joachim Barchmann, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 – Konzept zum „Greening“ der Direktzahlungen vorlegen – Drucksachen 17/6299, 17/7413 – Berichterstattung: Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klare Regelungen für Intensivtierhaltung – Drucksachen 17/6089, 17/7198 – Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Heinz Paula Hans-Michael Goldmann Alexander Süßmair Friedrich Ostendorff e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gemeinsame Europäische Agrarpolitik ab 2014 sozial und ökologisch ausrichten – Drucksache 17/8378 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Cornelia Möhring, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Agrarförderung in Deutschland und Europa geschlechtergerecht gestalten – Drucksachen 17/5477, 17/6385 – Berichterstattung: Abgeordnete Christoph Poland Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Wilhelm Priesmeier. – Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Priesmeier. (Beifall bei der SPD) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich nach rechts blicke, bin ich ein wenig traurig; denn die Regierung ist, aus welchen Gründen auch immer, heute Abend nicht mehr vertreten. (Zuruf von der FDP: Die Regierung ist doch vorhanden!) An sich wollte ich die Gelegenheit nutzen, die Ministerin für den von ihr initiierten Charta-Prozess zu loben. Damit hat sie wahrlich einen wichtigen Anstoß in der Debatte geliefert. Nur, wenn ich mir das Ergebnis anschaue, kann ich nur sagen: mangelhaft, unzureichend, nicht zu Ende gedacht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das, was angekündigt worden ist, bedarf zweifellos noch der Umsetzung. Ich hoffe, dass das, was verkündet worden ist – Änderung der Düngeverordnung, Verbesserungen im Tierschutz –, endlich real wird. Angesichts der Debatte innerhalb der CDU/CSU-Fraktion habe ich allerdings erhebliche Zweifel. Die Landesgruppe Niedersachsen hat ja gerade beschlossen, sich einem Verbot des Schenkelbrands nachhaltig zu widersetzen, und Herr Kollege Stier verweigert als tierschutzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion der Ministerin seine Unterstützung. Die Frage ist: Hat die Ministerin für diese Politik überhaupt noch eine klare und deutliche Mehrheit? Ich glaube nicht. In anderen Bereichen mangelt es ebenfalls. Wir Sozialdemokraten haben schon vor einigen Jahren gefordert, den Tierschutz-TÜV umzusetzen. Das wird auch von Niedersachsen befürwortet, dem Land, in dem es regional verdichtete, intensive Tierhaltung gibt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nimmt die Regierung diese Umsetzung nicht in Angriff. Ich habe Defizite genannt, die aufgearbeitet werden müssen. Ich glaube, angesichts des jetzigen Zustands dieser Koalition wird das wohl kaum gelingen, zumindest nicht im Bereich der Agrarpolitik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen endlich beginnen, die Agrarpolitik im Hinblick auf das, was wir nach 2013 neu zu gestalten haben, auszurichten. Wir brauchen eine moderne Agrarpolitik und nichts, was im Sinne dessen ist, was uns hier von der Koalition bislang geboten worden ist. Dabei beziehe ich mich auch auf das, was in den Brüsseler Gesprächen bislang verhandelt worden ist. Wir sollten diesen Wandel als Einstieg in den Ausstieg aus den Zahlungssystemen begreifen. Insofern, glauben wir Sozialdemokraten, ist das bisherige System der ersten Säule nur noch ein Übergangssystem. Wir hoffen, dass dieses System, das an sich als Übergangssystem geplant war, 2020, wenn es fast 30 Jahre alt ist, endlich ausläuft; denn wir brauchen die Ressourcen in diesem Bereich auch für eine zielgerichtetere Politik, die mit weniger finanziellen Ressourcen – sie sind ja allenthalben knapp – versucht, ein Maximum an Wirkung, ein Maximum an Veränderung und ein Maximum an Stabilität im ländlichen Raum zu erreichen. (Beifall bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Die Regierung hat den Weg in unserem Raum auch schon gefunden!) Schauen Sie sich doch einmal interessehalber den Vorschlag zur Durchführung der Zahlungen an. Ich kann nur anregen, über Art. 14 dieser Verordnung nachzudenken und ihn nicht einfach pauschal abzulehnen. Dieser Artikel eröffnet die Möglichkeit, aufgrund des Plafonds, den wir in Deutschland haben, aus der ersten Säule 510 Millionen Euro in die zweite Säule zu verlagern. Ich kann nur dazu ermuntern, sich Art. 34 dieser Verordnung zu Gemüte zu führen. Dieser Artikel eröffnet die Möglichkeit, in der ersten Säule unmittelbar das zu tun, was man sonst in der zweiten Säule tut, nämlich benachteiligte Gebiete zu fördern. Das macht Ressourcen in der zweiten Säule frei, die von den Ländern eh kaum noch kozufinanzieren ist. Diese Ressourcen können wir nutzen, um die zusätzlichen 510 Millionen Euro zu kofinanzieren und um anzufangen, damit eine wirklich effektive Politik für den ländlichen Raum zu gestalten. Die Ministerin hat eingeräumt, dass es Defizite gibt, vor allen Dingen im Hinblick auf die Bewältigung des demografischen Wandels. Das ist richtig. Wir dürfen über dieses Problem aber nicht nur reden, sondern wir müssen es endlich anpacken und müssen handeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Sinne kann ich nur an alle appellieren: Fangen Sie endlich an, eine vernünftige, zukunftsfähige Agrarpolitik zu machen! Zögern Sie nicht! Setzen Sie um, was an sich richtig ist! Wir Sozialdemokraten können Ihnen da Nachhilfe geben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Priesmeier. – Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Hans-Georg von der Marwitz. Bitte schön, Kollege von der Marwitz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat im Agrarpolitischen Bericht 2011 ein klares Leitbild für die deutsche Landwirtschaft formuliert. Sie soll leistungsfähig sein und nach dem Grundprinzip der Nachhaltigkeit wirtschaften. Ich meine, dieser Vorstellung wird am ehesten der bäuerliche Familienbetrieb gerecht, der in seiner Heimatregion verwurzelt ist und dörfliches Leben intensiv mitgestaltet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) „Bäuerlicher Familienbetrieb“, manch einem scheint dieser Begriff überholt zu sein. Nennen Sie es von mir aus: inhabergeführtes Agrarunternehmen. Entscheidend ist die den bäuerlichen Berufsstand prägende Kombination aus Eigentum und Arbeit, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aus unternehmerischer Initiative und Verantwortung für die nächste Generation. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe nimmt ständig ab. Das muss uns zu denken geben. Natürlich gibt es immer einen Strukturwandel, der unter anderem mit dem Generationswechsel, auch mit der Technisierung zusammenhängt. Aber eines steht fest: Je weniger Betriebe, desto weniger Selbstständige, desto weniger Vielfalt, desto weniger Engagement im ländlichen Raum. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden wie die Opposition!) In Brandenburg erlebe ich Betriebskonzentrationen in bisher nicht vorstellbaren Ausmaßen. Außerlandwirtschaftliche Investoren kaufen einen Landwirtschaftsbetrieb nach dem anderen, meist die wirtschaftlich schwachen Nachfolger ehemaliger LPG. Die Firmensitze dieser Investoren befinden sich oft weit entfernt von den Betrieben. Die Gewinne werden zumeist nicht in der Region investiert, sondern fließen ab an Eigentümer, Gesellschafter oder Aktionäre, die persönlich oft keinen Bezug zur Landwirtschaft und zu den Dörfern haben. Die systematische Konzentration der Landwirtschaft in den Händen weniger Holdings bzw. Konzerne kann nicht Ziel unserer Agrarpolitik sein. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD) – Jetzt warten Sie mal ab, meine Herren. Ich freue mich ja, dass die Opposition so viel Spaß an mir hat. Wir stehen für eine vielfältige Landwirtschaft, für aktive, heimatverbundene Landwirte und deren Familien. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik mitgestalten und die Fördermechanismen grundlegend überarbeiten. Die Agrarsubventionen sind der zentrale Hebel, um Entwicklungen zu beeinflussen. Die wichtigste Frage zur GAP-Reform lautet: Wohin soll sich die Landwirtschaft in Deutschland und der EU bis 2020 entwickeln? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ja gerade schon gesagt!) Was wollen Verbraucher und Erholungssuchende? – Naturschutz, Erholungsraum, lebendige Dörfer, vielfältige Landschaften und nicht zuletzt günstige Nahrungsmittel, die zugleich gesund sind und umweltgerecht erzeugt werden. Das klingt ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. (Ulrich Kelber [SPD]: Nein!) Wollen wir uns diesen Zielen zumindest annähern, brauchen wir Strukturen, die Privatinitiative und verantwortliches Handeln miteinander verbinden. Die meisten Vorschläge der Europäischen Kommission vom 12. Oktober 2011 gehen in die richtige Richtung. Ob allerdings das Vorhaben, 7 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche eines Betriebes als sogenannte ökologische Vorrangflächen bereitzustellen, zielführend ist, muss gut überlegt werden. Es gehört zur Gemeinsamen Agrarpolitik, für mehr Umweltschutz innerhalb der Landwirtschaft einzutreten. Der Weg, dies über ökologische Vorrangflächen zu erreichen, erschließt sich aber jedenfalls mir nur unzureichend. Wie halten wir es außerdem mit der von der EU vorgeschlagenen Kappung oder Degression der Direktzahlungen? Sie wissen, dass ich ein Befürworter dieses Vorschlags bin. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!) Ich weiß, dass ich damit verhältnismäßig einsam in meiner Fraktion bin. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns nicht! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns wärst du nicht einsam!) Dennoch: Zurzeit laufen wir Gefahr, mit EU-Mitteln einen negativen, durch Konzentration gekennzeichneten Strukturwandel zu fördern. Ich glaube, dass die rund 11 Milliarden Euro, die Deutschland jährlich zum EU-Agrarhaushalt beisteuert und für die jeder deutsche Steuerzahler jährlich im Durchschnitt 140 Euro zahlt, besser für leistungsstarke Familienbetriebe, für eine breite Streuung des Eigentums, für eine gesunde Diversifizierung der Landwirtschaft sowie für lebendige ländliche Räume eingesetzt werden sollten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kein Steuerzahler möchte mit seinem Geld Agrarstrukturen unterstützen, die diesen Zielen zuwiderlaufen. Auch die ökologische Landwirtschaft hat in Deutschland einen hohen Stellenwert. Deshalb verankerte die Bundesregierung auf Empfehlung des Rates für Nachhaltige Entwicklung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel, die ökologische Anbaufläche auf 20 Prozent der deutschen Agrarfläche auszuweiten. Zugegeben, eine zeitliche Vorgabe für die Umsetzung dieser Maßnahme gibt es noch nicht. Aber der Kurs ist klar. Ich bin froh über den Bedeutungszuwachs der ökologischen Landwirtschaft. Leider wächst vor dem Hintergrund von Lebensmittelskandalen und Etikettenschwindel das Misstrauen auch gegenüber dem ökologischen Landbau. Der Verbraucher in Deutschland ist gut beraten, wenn er sich an den Siegeln der Ökoverbände, zum Beispiel Demeter, Bioland oder Naturland, orientiert. Ihre Kontrollen sind wesentlich weitreichender und strenger als die unter dem deutschen Bio-Siegel. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, natürlich unterstützen wir auch die ökologische Landwirtschaft. Jeder verantwortlich denkende Landwirt – egal ob er biologisch oder konventionell arbeitet – fühlt sich dem Grund und Boden verpflichtet und hat ein ureigenes Interesse daran, natürliche Ressourcen und Tiere pfleglich zu behandeln. Er wird stets alles daransetzen, dem Boden das zurückzugeben, was ihm genommen wurde, um ihn für künftige Generationen zu erhalten. Darum geht es – nicht, wie Sie es zum Teil verengt darstellen, um Arbeitsmarktpolitik, Weltanschauung oder etwa Geschlechterfragen. All dies greift zu kurz. Die positiven Aspekte, die wir fördern wollen, sind viel weitreichender. Dazu gehören vor allem die Schaffung eines Bewusstseins für den Umgang mit Lebensmitteln, Tieren und natürlichen Ressourcen, die Stärkung regionaler Lebens-, Arbeits- und Vermarktungskreisläufe sowie der Erhalt der Natur- und Kulturlandschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Ökolandbau ist Bestandteil einer zukunftsweisenden, multifunktionalen Agrarwirtschaft, für die auch ich mich einsetze. Zum Schluss möchte ich sagen: Nutzen wir die nächsten Monate, um unsere Überzeugungen in die Reform der GAP einfließen zu lassen. Bemühen wir uns, strategisch in die Zukunft zu planen, zum Wohle von und im Einklang mit möglichst vielen Akteuren, Landwirten und Verbrauchern, Kulturfreunden und Naturliebhabern, und nicht zuletzt für uns alle, die wir von einer lebendigen, vielfältig verwurzelten Landwirtschaft profitieren. Immerhin gestalten wir Agrarpolitik für die nächsten sieben Jahre. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege von der Marwitz. – Jetzt für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Kirsten Tackmann. Bitte schön, Frau Dr. Tackmann. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik sollte eigentlich immer vom Ende gedacht werden. Deswegen hat die Linke bei der Agrarpolitik ein klares Ziel: Wir wollen Agrarbetriebe, die vor Ort verankert sind, die fair bezahlte Arbeitsplätze in den Dörfern schaffen oder erhalten und die mit Natur und Umwelt verantwortungsvoll umgehen. Was wir nicht wollen, ist auch klar: den Griff von Industriellen, Banken oder Energiekonzernen nach unseren Äckern. Ihre ebenso kurzfristigen wie hohen Renditeerwartungen gehen nämlich auf Kosten der Beschäftigten, der Umwelt und auch der Dörfer. (Beifall bei der LINKEN) Sie treiben die Pacht- und Bodenpreise in eine Höhe, die durch landwirtschaftliche Arbeit nicht refinanziert werden kann. Das ist eine bedrohliche und aus unserer Sicht völlig inakzeptable Entwicklung. Wenn wir das aber nicht wollen, dann müssen wir die landwirtschaftlichen Betriebe stärken. Dazu gehört eine kluge und gesellschaftlich akzeptierte Förderpolitik. Deshalb brauchen wir ein klares Prinzip: öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. Die Fördergelder müssen bei den aktiven Landwirten ankommen und nicht als Extrabonus für Spekulanten dienen. (Beifall bei der LINKEN) Die Erwartungen an die Landwirtschaft sind sehr hoch. Sie soll die Versorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln und Energie sichern, sie soll Arbeitsplätze in den Dörfern bieten und gut bezahlen, sie soll den Klimawandel verlangsamen und ihm trotzen, und sie soll die biologische Vielfalt erhalten oder wieder verbessern. Zumindest die letzten drei Punkte verursachen höhere Kosten. Die deshalb erforderlichen höheren Preise können die Agrarbetriebe auf den Märkten nicht durchsetzen, sie bekommen keine höheren Erzeugerpreise. Die Lebensmittel sollen ja auch bezahlbar bleiben. Deswegen müssen die Fördermittel bei den Betrieben ankommen, die diese zusätzlichen öffentlichen Leistungen im Interesse der Gesellschaft erbringen. Damit das klappt, hat die Linke in ihrem heute vorliegenden Antrag der Bundesregierung für die Verhandlungen in Brüssel ein paar Hausaufgaben aufgeschrieben. Davon möchte ich einige vortragen. Dort steht zum Beispiel, dass die Förderung unabhängig von der Größe des Betriebes erfolgen soll. Ich nenne zwei Beispiele: Die Ökohöfe Brodowin in Brandenburg bewirtschaften 1 250 Hektar nach Demeter-Richtlinien. Ist das ein böser, großer Fachbetrieb? Die Agrargenossenschaft Neuzelle bewirtschaftet 5 700 Hektar Acker- und Grünland, sie hält Schweine und Rinder und gibt damit 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Arbeit, davon zehn Auszubildenden. Warum sollen sie weniger Förderung pro Hektar bekommen? Lassen wir also das Ausspielen Groß gegen Klein, und reden wir über die öffentliche Leistung pro Hektar. (Beifall bei der LINKEN) Dazu gehören unserer Meinung nach auch Arbeitsplätze. Deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, auch die Lohnkosten bei der Förderpolitik zu berücksichtigen. Auch der Vorschlag zu ökologischen Vorrangflächen geht für uns in die richtige Richtung. Sie als Flächenstilllegung zu diffamieren, ist aus meiner Sicht unredlich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Was spricht denn gegen Ackerrandstreifen, Blühstreifen, Feldgehölze, Überflutungsflächen, Wasserrand- oder Waldrandstreifen, Lerchenfenster oder gegebenenfalls auch Eiweißfutterpflanzenanbau? Eigentlich sind all das Zukunftsinvestitionen, nämlich in gute Böden, mehr biologische Vielfalt und Klimaschutz. Deshalb sollten die vorhandenen Hecken und Sölle auch auf die 7 Prozent angerechnet werden. Das fordern wir ganz klar. (Beifall bei der LINKEN) Wir teilen auch die Forderung des EU-Kommissars nach mehr Ackerpflanzenvielfalt. Aber eine Frucht auf bis zu 70 Prozent der Ackerfläche ist nun wirklich ein Witz. Deswegen muss das auf maximal 33 Prozent vernünftig begrenzt werden; denn dann bekommen wir eine wirkliche Fruchtfolge und nicht nur einen gelegentlichen Fruchtwechsel. Auch der Erhalt des Dauergrünlandes wird von uns ganz klar unterstützt; denn wir brauchen es für die biologische Vielfalt und für den Klimaschutz, da CO2 im Boden gebunden wird. Zwischen 2003 und 2008 haben wir in Deutschland 3 Prozent des Dauergrünlandes verloren. Die Festsetzung eines Referenzjahres 2014 ist doch geradezu eine Aufforderung, bis zu diesem Zeitpunkt Dauergrünland umzubrechen. Deswegen muss es unbedingt ein früheres Referenzdatum geben. Das ist ganz klar unsere Forderung. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss. Die Agrarförderung muss auch geschlechtergerecht sein. Nur 8 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland werden von Frauen geleitet, und das zumeist in Teilzeit. Der Lohnunterschied zu Männern ist in den ländlichen Räumen mit über 30 Prozent sogar noch höher als in den Städten. Die Landfrauen nehmen das nicht mehr hin. Ich finde, wir müssen sie da unterstützen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In unserem Antrag „Agrarförderung in Deutschland und Europa geschlechtergerecht gestalten“ steht, was man alles tun muss, um Frauen in den ländlichen Räumen zu stärken. Deswegen bitte ich um unbedingte Zustimmung zu diesem Antrag. Im Übrigen freue ich mich auf die Diskussion unseres Antrags zur Gemeinsamen Agrarpolitik im Ausschuss. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Tackmann. – Nächste Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Christel Happach-Kasan. Bitte schön, Frau Kollegin. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Agrardebatte findet am Rande der Grünen Woche statt. Wir alle haben uns in der vergangenen Woche zu einem Rundgang getroffen. Dabei war deutlich zu spüren, dass es zwar in einigen Bereichen Gegensätze gibt, dass es aber auch eine Gemeinsamkeit der Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gibt, nämlich dass wir ländliche Räume stärken wollen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Methoden sind teilweise unterschiedlich, aber wir alle sind uns einig, dass wir die ländlichen Räume in Deutschland stärken wollen. Über 50 Prozent der Menschen leben in den ländlichen Räumen. Sie sind Heimat für sehr viele Menschen. Diese Räume sind kulturell sehr unterschiedlich; sie sind Erholungsraum, sie sind Erlebnisraum. Wir wollen diese Räume stärken. Deswegen müssen bei der Gemeinsamen Agrarpolitik darauf achten, dass das europäische Agrarmodell, das uns diese starken ländlichen Räume beschert hat, tatsächlich erhalten bleibt. Das ist die große Aufgabe. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Grüne Woche ist wohl die einzige Ausstellung, die zeigt, wie ein Produkt entsteht – in diesem Jahr ist es die Zuckerrübe –, wie es also verarbeitet und hinterher zu einem Lebensmittel wird, das fertig zum Verkauf ist. Ich glaube, die Grüne Woche ist – entgegen allen früheren Überlegungen – enorm erfolgreich und hat sich behauptet, obwohl wir 1990 dachten, dass es mit der Grünen Woche irgendwann einmal vorbei sein würde. Die Grüne Woche vollbringt eine gute Leistung. In der Diskussion um die Gemeinsame Agrarpolitik sind wir uns der Tatsache bewusst, dass wir im Augenblick noch nicht wissen, wie viel Finanzmittel uns zur Verfügung stehen werden. Das heißt: Alle unsere Überlegungen kranken daran, dass wir gar nicht genau wissen, wie viel Geld da sein wird. Wir sind uns darüber einig, dass wir die Belastungen der Landwirte durch Bürokratie mindern wollen; denn sie haben enorm hohe Lasten. In anderen Fragen sind wir uns nicht ganz einig. Beispielsweise wird das Greening unterschiedlich bewertet. Gleichzeitig ist uns aber allen klar, dass es uns gelingen muss, die Belastung der Natur durch Landbewirtschaftung zu mindern. In diesem Zusammenhang spreche ich ehrlicherweise als Erstes das Problem Stickstoff an; (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Sehr richtig, Frau Kollegin, sehr richtig!) denn dieses Problem wurde bereits vom Nachhaltigkeitsbeirat thematisiert und im Übrigen auch im Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung angesprochen. Da müssen wir ran. (Beifall bei der FDP) Ich teile die Einschätzung meines Kollegen von der Marwitz, dass die Kappung eine gute Maßnahme wäre, nicht. Ich lebe relativ nah an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Dort gibt es gewachsene Betriebsstrukturen, die ihre Chance haben müssen. Diese Betriebe sollten sich nicht an Rechtsanwälte wenden müssen, damit sie diese Betriebsstrukturen aufteilen, sodass sie weiter Förderung erhalten können. Das halte ich nicht für gut. (Beifall bei der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trickserei ist eh nicht gut!) In dem Zusammenhang will ich daran erinnern, dass wir nach Göttingen eingeladen wurden und uns dort mit Studenten unterhalten haben. Die Studenten haben uns ebenfalls aufgefordert, ein solches Vorgehen auf jeden Fall abzuwenden; sie berichteten, dass es auch dort Landwirte gibt, die sich zu GmbHs zusammenschließen, um gemeinsam eine größere Fläche zu bewirtschaften. Wir sollten solchen Dingen nicht entgegenstehen. Wir sollten uns vielmehr bewusst sein, dass gerade in den ländlichen Räumen der Tourismus blüht. Bayern, ein Land mit starken ländlichen Räumen, ist gleichzeitig Ferienland Nummer eins. Ferienland Nummer zwei ist Mecklenburg-Vorpommern; hier gibt es ebenfalls große Betriebe. Ferienland Nummer drei ist Schleswig-Holstein, wo es auch große Betriebe gibt. Insofern stimme ich dem SPD-Antrag natürlich in diesem Punkt zu: Dabei spielt die absolute Betriebsgröße keine Rolle. Wesentlich ist vielmehr die Art und Weise, wie die Betriebe bewirtschaftet werden – nämlich durch verantwortungsbewusstes Handeln der Landwirte. Das ist vollkommen richtig; da sind wir völlig einer Meinung. Wir wissen, dass die Herausforderungen, die an die Landwirtschaft gestellt werden, immens sind. Wir wissen: 7 Milliarden Menschen leben auf der Erde; es werden noch mehr werden. Wir wissen, dass wir deswegen eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft benötigen, um zu einer Effizienzsteigerung zu gelangen. Anders wird es nicht gelingen, dass wir alle Menschen satt bekommen. Wir wissen auch, dass die Produktion von Biomasse für die energetische Verwertung eine weitere Herausforderung darstellt. Wir wollen unsere Wirtschaft auf Nachhaltigkeit umstellen. Das heißt, nachwachsende Rohstoffe gewinnen an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass wir eine Effizienzsteigerung brauchen. Deswegen finde ich es gut, dass die SPD in ihrem Antrag zum Ökolandbau darauf hinweist, dass wir erstens Forschung benötigen – da sind wir völlig einer Meinung – und zweitens auch im Ökolandbau eine Effizienzsteigerung brauchen. Wir können nicht damit zufrieden sein, dass die Erträge im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft teilweise nur bei 50 Prozent liegen. Wenn wir uns schon in diesem Punkt einig sind, dann sollten wir uns auch gemeinsam fragen: Wollen wir eigentlich solche tiefen Gräben zwischen moderner Landwirtschaft und Ökolandwirtschaft? Wäre es nicht an der Zeit, sie ein bisschen zuzuschütten? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wäre es nicht an der Zeit, dass wir gegenseitig voneinander lernen, dass die konventionellen, die modernen Landwirte von den Ökos lernen und, umgekehrt, die Ökos von den konventionellen Landwirten? Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir in diese Richtung denken. Insofern stimme ich dir, Kollege Priesmeier, nicht zu: Der Charta-Prozess war sehr wohl wichtig, um eine Diskussion zwischen Landwirtschaft und Zivilgesellschaft zu eröffnen, um sich mit der Landwirtschaft auseinanderzusetzen und um voneinander zu lernen; ich halte dies für ausgesprochen richtig. Ich bedauere, dass in den Anträgen noch einige Ladenhüter enthalten sind. Der sogenannte Weltagrarbericht ist nun vier Jahre alt; er ist absolut überholt. Ich glaube, wir sollten nicht mehr darüber reden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Inhalte stimmen immer noch! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der muss fortgeschrieben werden!) Es gibt andere Berichte, die ein deutlich realistischeres Bild von der Zukunft zeigen, beispielsweise der Bericht der britischen Regierung The Future of Food and Farming, den ich für deutlich sinnvoller halte. Liebe Grüne, wenn ihr von der Landwirtschaft als „Träger biologischer Vielfalt“ schreibt, dann möchte ich doch einmal darauf hinweisen, dass auf einem Weizenacker immer Weizen steht, egal ob ihn ein Ökobauer oder ein moderner Landwirt bewirtschaftet. Nix da mit biologischer Vielfalt! (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Quatsch! Da könnte man ein bisschen in die Biologie einsteigen! Dann könnte man etwas lernen! Das wäre vielleicht hilfreich! Was für ein dummes Zeug!) – Wir sollten schlicht und ergreifend einmal zur Kenntnis nehmen, dass das so ist. – Ich bin der Auffassung, die FDP ist der Auffassung, dass die Herausforderungen der Zukunft – – (Unruhe bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Vielleicht sollten Sie erst einmal zuhören, bevor Sie hier dazwischenrufen. Es bleibt dabei: Auf einem Weizen-acker steht Weizen, sonst möglichst nichts. Deshalb gibt es dort keine biologische Vielfalt; wir wollen sie dort nämlich gerade nicht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auf dem Erdbeerfeld stehen Erdbeeren, auf dem Spargelfeld steht Spargel. Deswegen haben wir dort keine biologische Vielfalt. Vizepräsident Eduard Oswald: Wenn Sie bitte Ihren Schlusssatz machen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich möchte gern meinen Schlusssatz sagen: Wir, die FDP, sind der Auffassung, dass nur eine unternehmerische Landwirtschaft, die Gestaltungsspielräume hat, von Bürokratie befreit ist und der von einer Wissenschaft zugearbeitet wird, die sie für die Zukunft fit macht, die Herausforderungen meistern kann. Ich danke für eure Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan. – Jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Friedrich Ostendorff. Bitte schön, Kollege Friedrich Ostendorff. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Damen und Herren! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Ich will versuchen, an die sehr perspektivische Rede des Kollegen Hans-Georg von der Marwitz anzuschließen; aber das fällt nach der doch wieder sehr schwierigen Rede der Kollegin Happach-Kasan nicht leicht. (Widerspruch bei der FDP) Sie versucht, den Graben tiefer zu machen, nach dem Motto: Die konventionelle Landwirtschaft ist modern, alles andere ist irgendetwas Altertümliches. (Patrick Meinhardt [FDP]: Haben Sie überhaupt zugehört? Waren Sie in der falschen Debatte?) Ich glaube, Sie müssen schleunigst darüber nachdenken, ob Sie daran festhalten wollen. Das Greening ist der Kern der Reform der EU-Agrarpolitik. Es kann dazu führen, dass wir die Probleme von Klimawandel und Artenschutz endlich flächendeckend angehen können. Greening kann dazu führen, dass es insbesondere dort, wo heute eine monotone Agrarwüste ist, bunter wird und Bienen und Vögel wieder Lebensräume finden. Greening kann dazu führen, beim Ziel einer multifunktionalen Landwirtschaft in Europa endlich voranzukommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zusätzlich – darauf sei hingewiesen – bieten uns allein die Art. 14, 23, 34 und 38 des Kommissionsentwurfes, wie Kollege Priesmeier schon sagte, durch ihre Umsetzung die Möglichkeit, 23 Prozent der nationalen Obergrenze von 5,1 Milliarden Euro für sinnvolle Förderung, für ländliche Entwicklung und für ökologische Leistung umzuwidmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist nur: Was macht Ministerin Aigner daraus? Die Antwort kennen wir. Sie lautet wie immer: Nichts machen wir daraus! (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschämend!) Wie EU-Agrarkommissar Ciolos diese Woche in Berlin wieder betont hat, bewegt sich der Elefant namens Gemeinsame Agrarpolitik vorwärts. Aber anstatt diesen Elefanten zu reiten, springt die Ministerin aus Angst und Verzweiflung vor Veränderungen in die Büsche. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung hat in der Reformdebatte gezeigt: Sie hat keine Strategie, sie hat keine Haltung, sie hat keine Idee! Das einzige Ziel von Frau Aigner ist: Das Greening muss verhindert werden. Anstatt für Greening zu werben, verbreiten Frau Ministerin und ihr Staatssekretär Peter Bleser die Mär des Deutschen Bauernverbandes von der 7-prozentigen Flächenstilllegung. Dabei ist selbst in Frau Aigners schriftlicher Antwort auf unsere Kleine Anfrage keine Rede von Stilllegung mehr, sondern es werden bereits sehr detaillierte konkrete Vorschläge zur umweltgerechten Ausgestaltung gemacht. Das verstehe, wer will. Ich nenne es doppelzüngig. Anstatt das Greening wasserfest zu machen, arbeitet die Ministerin an windelweichen Ausnahmeregeln. So sollen alle als irgendwie nachhaltig bezeichneten Betriebe vom Greening ausgenommen werden. (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!) Was das in der Diktion der Ministerin heißt, ist uns bekannt; das haben Sie bei der faktischen Abschaffung des Bundesprogramms Ökologischer Landbau bewiesen. (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das stimmt auch nicht! – Patrick Meinhardt [FDP]: In welchem Ausschuss sitzen Sie denn?) – Frau Happach-Kasan, lesen Sie es nach. – Nachhaltig ist man in der Diktion der Ministerin schon, wenn man Mitglied im Deutschen Bauernverband ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das stimmt auch nicht! Hören Sie auf mit den Verleumdungen! – Patrick Meinhardt [FDP]: Populistische Propaganda!) Nicht einmal beim scharfen Grünlandumbruchverbot steht die Ministerin zu ihrem Wort, sondern sie redet in der „Charta für Landwirtschaft und Verbraucher“ plötzlich von einem vollkommen unscharfen Grünlanderhaltungsgebot. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen das Greening verhindern. Wir Grüne wollen aus dem Vorschlag der Kommission aber eine zukunftsfähige Reform machen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Da fallen mir einige Unterschiede ein!) Sie laufen auf der Grünen Woche herum und erzählen sich gegenseitig, dass Sie die Größten, die Besten und überhaupt das Wichtigste sind. (Patrick Meinhardt [FDP]: Sie halten sich für das Wichtigste!) Nur leider versteht Sie draußen im Land keiner mehr. Sie igeln sich ein in Ihrer Wagenburg und beschimpfen 23 000 Menschen, die für eine andere Agrarpolitik auf die Straße gehen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Jetzt wird es unverschämt! Arrogant und unverschämt!) Sie betrachten die Agrarpolitik weiter als Ihre Beute und wollen Sie im Hinterzimmer unter sich aufteilen. (Patrick Meinhardt [FDP]: Ach du lieber Gott! Gehen Sie ins Märchenland!) Wir hingegen sagen: Wir müssen vorangehen und dürfen nicht auf der Bremse stehen. Wir müssen die Fenster aufreißen und frische Luft in die verstaubten Stuben der Agrarpolitik lassen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Wir brauchen eine offene, demokratische und transparente Agrarpolitik, gemeinsam mit unserer Gesellschaft und nicht gegen sie. Deshalb: Heraus aus dem gesellschaftlichen Abseits! Auf der DLG-Tagung wurde dies als These formuliert, von daher habe ich es zitiert. Die nächste Bundestagswahl spätestens 2013 wird auch eine Abstimmung über Ihre falsche Politik in Europa werden. Wir freuen uns darauf; denn wir Grüne haben es schon lange satt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Unterirdische Rede vom Niveau her!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Friedrich Ostendorff. – Jetzt für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Carola Stauche. Bitte schön, Frau Kollegin Carola Stauche. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Meinhardt [FDP]: Aber jetzt! Und los! Zeigen Sie es denen!) Carola Stauche (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute eine ganze Reihe Oppositionsanträge, (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ihr habt ja keine! Ihr schreibt ja auch keine! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben ja keinen dazu hingelegt!) die wir von der christlich-liberalen Koalition natürlich alle ablehnen. Das brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen. Ich bin der Meinung, dass in den Anträgen einige ökologisch-romantische Ideologien vorkommen, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) die nicht immer mit einer effizienten Land- und Lebensmittelwirtschaft zu tun haben. Ich habe etwas mit dem Kopf geschüttelt, als ich zur Vorbereitung dieser Sitzung die Anträge gelesen habe, mit denen Sie an das Hohe Haus herantreten. Lassen Sie mich einige Themen Ihrer Anträge erörtern. Im Antrag 17/7186 der SPD-Fraktion heißt es unter anderem: Die Rahmenbedingungen sind auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene so zu verbessern, dass die Potenziale des Ökolandbaus und der ökologischen Lebensmittelwirtschaft weiter ausgebaut und die gesellschaftlichen Leistungen der Biolandwirte verlässlich honoriert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heinz Paula [SPD]: Das ist richtig! Alles richtig!) Dazu möchte ich Ihnen als jemand, der aus der Landwirtschaft kommt, sagen, dass wir generell die Leistung aller Landwirte und deren Produkte besser honorieren müssen. Wir sind für alle da. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihre einseitige ideologische Betrachtung wird unserer konventionellen Landwirtschaft und ihren Leistungen sowohl für die Lebensmittelversorgung als auch für den Landschaftsschutz in keinster Weise gerecht. Das ist einseitig. Im gleichen Antrag fordern Sie zur einseitigen Förderung der Forschung in Richtung ökologische Anbausysteme auf. Wir brauchen die Förderung dort. Aber Einseitigkeit widerstrebt mir; denn wir brauchen das gute Nebeneinander von konventioneller Landwirtschaft und Ökolandbau. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aufgrund des 300-jährigen Geburtstags von Fritz dem Großen, der in den letzten Tagen gefeiert wurde, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Friedrich heißt der! Das war der alte Fritz! Der heißt aber Friedrich der Große!) möchte ich eines seiner bekanntesten Zitate auf die Landwirtschaft umdeuten: Jeder Landwirt muss nach seiner Fasson selig werden, egal ob als konventioneller Landwirt oder als Ökobauer. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist der entscheidende Unterschied zwischen der Opposition und der Regierungskoalition. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Er hat aber auch gesagt: Kommt zur Vernunft!) – Der sagte noch mehr. Wir stellen es den Landwirten frei, wie sie produzieren wollen. Eine einseitige Förderung, wie von der Opposition gefordert, steht diesem Ansinnen entgegen. Aber lassen Sie mich zu den weiteren Anträgen kommen. In dem Antrag auf Drucksache 17/2479, ebenfalls von der SPD, heißt es: Die Zahlungen an die europäische Landwirtschaft können dauerhaft nur dann gesellschaftlich legitimiert werden, wenn sie auch qualifiziert werden. Zukünftig werden daher alle Zahlungen nur noch für konkret benannte und gesellschaftlich gewünschte Leistungen gewährt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die SPD weiß natürlich ganz genau, was die Gesellschaft wünscht. (Heinz Paula [SPD]: Genau! Im Gegensatz zu Ihnen!) Ihr Forderungskatalog scheint mir aber nicht so ganz durchdacht zu sein. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie leider nicht ganz verstanden!) „Integrierte Entwicklung der ländlichen Räume“ klingt spannend. Aber dabei fehlen mir etwas die Bedürfnisse der Landwirte. Ich zitiere weiter: Agrarinvestitionsprogramme werden nicht mehr angeboten. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch richtig!) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was macht ein Landwirt, der sich für die Biolandwirtschaft entscheidet und umbauen will? Ich kann mir schwer vorstellen, dass das ohne Investitionsprogramme so einfach zu bewerkstelligen ist. Das gilt auch für die tiergerechte Haltung. Auch die weiteren Anträge enthalten Aussagen oder Forderungen, die ich nicht nachvollziehen kann. So heißt es in einem SPD-Antrag zur Intensivtierhaltung, dass die intensive landwirtschaftliche Produktion von der breiten Mehrheit in der deutschen Gesellschaft abgelehnt wird. Erste Frage: Was ist intensive Tierhaltung? Ist das ein Ökobauer mit 200 Fleischrindern, der nur auf Weiden produziert und auch einen großen Stall hat? Ist auch das intensive Landwirtschaft? (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 24 Hühner auf dem Quadratmeter sind intensive Landwirtschaft!) Die zweite Frage, die sich mir stellt, ist: Warum werden die ökologischen Produkte trotzdem nicht von der Mehrheit gekauft? Ist es der zwei- bis dreimal so hohe Preis, oder ist es die nicht wirklich bessere Qualität? (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünfmal so hoch! – Ulrich Kelber [SPD]: Zehnmal so hoch!) Interessanter ist für mich: Was machen wir mit unserer heimischen Landwirtschaft, wenn wir den Anträgen der Opposition folgen? Denn wenn wir komplett auf ökologische Fleischherstellung umstellen, wird das konventionell produzierte Fleisch eben aus dem Ausland importiert, und die heimische Landwirtschaft hat das Nachsehen. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will aber nicht weiter auf die Unzulänglichkeiten der Anträge eingehen, sondern Ihnen noch einmal die klaren Forderungen darstellen, die wir in der christlich-liberalen Koalition haben. Wir haben eigene Antworten und eigene Forderungen, und die sind: Erhaltung der Zwei-Säulen-Struktur in der GAP; eine starke erste Säule, finanziell gut ausgestattet; klare Trennung der Maßnahmen von erster und zweiter Säule. Agrarumweltmaßnahmen sollen wie bisher aus der zweiten Säule der GAP finanziert werden. Die Landwirte müssen Anreize haben, eine größere Wertschöpfung am Markt und in der Umwelt zu erzielen. Die Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktionsart, die wir in Deutschland schon haben, müsste in allen europäischen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Ferner soll sich die Bundesregierung dafür starkmachen, dass die Einführung einer degressiven Ausgestaltung und eine Deckelung der Direktzahlungen verhindert werden. Das ist für uns Vermischung von Agrar- und Sozialpolitik und widerspricht dem Gedanken, der den Zahlungen im Rahmen der Agrarpolitik zugrunde liegt. Es sollte keine nach Größen und Betriebsarten unterscheidende Regelung geben; denn alle haben ihre Berechtigung, die großen Betriebe – das wurde vorhin schon gesagt – ebenso wie die kleinen und die ökologischen Betriebe. Meine Damen und Herren – – Vizepräsident Eduard Oswald: Das macht nichts. Es ist ohnehin Schluss. (Heiterkeit) Carola Stauche (CDU/CSU): Ja, jetzt ist Schluss. Wir als christlich-liberale Koalition sind bereit, abseits von Ideologie und einseitiger Neuausrichtung die heimische Landwirtschaft zu unterstützen. Deshalb zitiere ich zum Abschluss Friedrich den Großen: Unseren Dünkel müssen wir verlieren; wir sollen handeln, nicht philosophieren. (Heinz Paula [SPD]: Das müssen Sie sich merken! Das ist gut!) In diesem Sinne: Danke! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Carola Stauche. – Letzter Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Heinz Paula. Bitte schön, Kollege Heinz Paula. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Heinz Paula (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dioxin, Ehec, Antibiotikamissbrauch – ein Skandal folgt dem nächsten. Eine ganze Branche gerät in Misskredit. Die Verbraucher sind verunsichert. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Durch Ihre Reden, ja!) Wir sind uns hoffentlich darüber einig, dass wir eine ernsthafte Grundsatzdebatte führen können. Herr von der Marwitz, ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen, weil ich während Ihrer Rede den Eindruck hatte, dass das möglich ist; anders als bei meiner Vorrednerin. In einer solchen Debatte müssen wir uns diese Fragen stellen: Wie wollen wir die Nahrungsmittelproduktion gestalten? Welche Qualität verlangen wir? Wie gehen wir mit unseren Nahrungsmitteln um? Man stelle sich vor: 20 Millionen Tonnen werden pro Jahr in den Abfall geworfen. Wir müssen uns auch fragen, welche Art der Tierhaltung wir zukünftig wollen und welche wir verantworten können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die bisherige Form der Intensivtierhaltung ist mit einer enormen Belastung für die Umwelt und einem hohen Antibiotikaeinsatz verbunden. Man stelle sich vor: Zwei Drittel der verordneten Antibiotika gehen in die Tiermast. Diese Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere führt zunehmend zu Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat er!) Alarmierende Ergebnisse wurden gestern im ZDF-Beitrag „Tödliche Keime aus der Massentierhaltung“ vorgestellt. Es geht nicht an, dass wir irgendwo verharmlosen. Wir Sozialdemokraten nehmen diese Fragen ernst. Wir fordern in unserem Antrag klare Regelungen für die Intensivtierhaltung. Wir fordern zum Beispiel eine Änderung des Baugesetzbuches. Sie hatten ja einen Vorschlag vorgelegt. Leider wurde er am nächsten Tag wieder zurückgezogen. Damit hätten wir einen konkreten Ansatzpunkt gehabt, über den wir uns hätten unterhalten können. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Aber Frau Aigner ist halt wieder einmal vor der Agrarlobby eingeknickt. Sehr bedauerlich! (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir brauchen weitere Änderungen, zum Beispiel im Bereich der Umweltgesetzgebung. Frau Happach-Kasan, bei der Stickstofffrage bin ich absolut an Ihrer Seite. Lassen Sie uns hier konsequent nach Lösungen suchen. Beim Tierschutz brauchen wir Verbesserungen. Sämtliche Verstümmelungen von Tieren sind umgehend einzustellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung muss dringend überarbeitet werden. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Puten haben wir gar keine!) Wir müssen endlich Tiere wie Puten oder Kaninchen einbeziehen und vor allen Dingen die Haltungsbedingungen verbessern. Frau Aigner redet in letzter Zeit sehr viel über das Tierwohl. Ich habe häufig den Eindruck, dass mit ihren Vorschlägen eher eine Verlängerung des Tierelends verbunden ist. Nehmen wir allein ihre Überlegungen zum Tierschutzgesetz: Die betäubungslose Ferkelkastration soll erst ab 2017 verboten sein. Was soll das bitte? Wir haben bewährte Alternativen. Lasst uns diese endlich einführen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auch bei den Äußerungen zur Charta habe ich den Eindruck, dass etwas auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Aus dem sehr guten Diskussionsprozess müssen endlich konkrete Ergebnisse hervorgehen. Wir brauchen Ergebnisse und nicht nur Diskussionen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Regierungskoalitionäre, die Umfrage, die Ihr Ministerium, Herr Staatssekretär, im Dezember 2011 vorgestellt hat, hat ergeben, dass über 90 Prozent der Bevölkerung Tierschutz als wichtiges Kriterium ansehen. Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Folgen Sie diesen Wählern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Folgen Sie Ihrem Parteifreund Minister Lindemann, der klipp und klar sagt: Wir müssen die Haltungsbedingungen den Tieren anpassen und nicht umgekehrt. Ganz kurz zum ökologischen Landbau. Man kann feststellen: Qualität setzt sich durch. Wir sind mit 5,9 Prozent meilenweit von den ursprünglich angedachten 20 Prozent entfernt; das wissen Sie. Geben Sie diesem Landbau eine faire Chance, indem Sie die Mittel für den ökologischen Landbau nicht auch der konventionellen Landwirtschaft zur Verfügung stellen. Insgesamt möchte ich sagen: Lassen Sie uns die Signale, die heute aus Ihrer Richtung gekommen sind, aufgreifen und gemeinsam versuchen, eine positive Entwicklung zum Vorteil der Verbraucher, der Tiere und auch der Produzenten zu erreichen. Ich schlage Ihnen vor, das Motto, das dieses Bundesministerium auf der Grüne Woche ausgegeben hat, ernst zu nehmen: „Verbraucher und Landwirtschaft – Gemeinsame Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt“. Gut so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Handeln Sie entsprechend, und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Dann sind wir auf einem guten Weg. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Heinz Paula. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/7186 und 17/8378 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/5299. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der Sozialdemokraten auf Drucksache 17/2479 mit dem Titel „Gemeinsame europäische Agrarpolitik nach 2013 weiterentwickeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und die Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4542 mit dem Titel „Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 – Förderung auf nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft ausrichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 – Konzept zum ‚Greening‘ der Direktzahlungen vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7413, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6299 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 10 d. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Klare Regelungen für Intensivtierhaltung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7198, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6089 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 10 f. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Agrarförderung in Deutschland und Europa geschlechtergerecht gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/6385, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5477 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und Teile der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Jetzt sind wir schon am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Aber alle sind herzlich eingeladen, die weiteren Beratungen des heutigen Abends hier zu verfolgen und den Rednern zu lauschen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abschiebestopp und Bleiberecht für Flüchtlinge aus Syrien – Drucksache 17/8456 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Ulla Jelpke. Bitte schön, Frau Kollegin Jelpke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke hat schon im Jahr 2009 einen Abschiebestopp bzw. ein Bleiberecht für Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland gefordert, übrigens im Unterschied zur Bundesregierung, die die Behörden bis 2011 damit beschäftigt hat und in 180 Fällen die Abschiebung von Syrern und vor allen Dingen Staatenlosen aus Syrien vorbereiten wollte. Wir halten es für einen Skandal, dass wir schon im Jahr 2009 die Menschenrechtsverletzungen in Syrien kritisiert haben und uns im Nachhinein unterstellt wird, wir seien solidarisch mit Assad. Das ist zu keiner Zeit der Fall gewesen. Ganz im Gegenteil: Die Linke hat, wie gesagt, einen Abschiebestopp gefordert. Die Linke hat betont, dass in ein Land, in dem Misshandlungen und Folter stattfinden, auf gar keinen Fall abgeschoben werden darf. Aber hier im Haus wurden unsere Anträge mehrheitlich abgelehnt. Auch das halten wir für einen Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann Ihnen einige Beispiele nennen. Am 1. September 2009 wurde Khaled Kanjo nach Syrien abgeschoben. Er wurde dort drei Monate in Dunkelhaft gehalten und gefoltert. Er konnte fliehen, weil er auf Kaution freigestellt war. In der Türkei hat er über den UNHCR erneut den Flüchtlingsstatus bekommen. Nur aufgrund der Proteste, die es in Deutschland gab, und wegen der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat sich Deutschland verpflichtet gesehen, ihn wieder aufzunehmen. Zehn solcher Fälle, die bis zum vergangenen Jahr, bis zum Jahr 2011, zu verzeichnen waren, könnte ich aufzählen. Es wurden sogar ganze Familien nach Syrien abgeschoben, und das zu einem Zeitpunkt, als es unter den dortigen Oppositionellen schon Hunderte von Toten gab und klar war, dass man niemanden in dieses Land zurückführen darf. Das ist wirklich ein Skandal. Leider kann ich nicht alle Fälle vortragen; Sie können sie aber jederzeit einsehen. Besonders interessant und wichtig ist, dass wir bis heute nicht wissen, wo all diese Menschen verblieben sind, und das, obwohl Flüchtlingsorganisationen versucht haben, dies herauszubekommen. Die Situation in Syrien eskaliert immer weiter. Von Tausenden Toten ist die Rede. Es gibt Meldungen, dass sich unter den Aufständischen bewaffnete Gruppen befinden. Immer mehr Soldaten desertieren. Die Reaktion des Assad-Regimes wird immer brutaler – das ist überhaupt keine Frage –, und es ist schlicht nicht absehbar, wann die Menschen wieder sicher in Syrien leben können. Natürlich wissen wir, dass zurzeit nicht nach Syrien abgeschoben wird. Dennoch will ich ganz deutlich sagen: In Deutschland leben 7 000 Flüchtlinge aus Syrien, die nur einen Duldungsstatus haben. Das heißt, sie dürfen hier nicht arbeiten, sie haben Residenzpflicht, und sie haben vor allen Dingen Angst, abgeschoben zu werden. Diese Menschen brauchen endlich eine Perspektive. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen haben wir schon 2009 gefordert, dass es für diese Menschen ein Bleiberecht gibt und man sie nicht nach Syrien abschiebt. Außerdem hat die Bundesregierung, die plötzlich so tut, als habe sie nie etwas mit dem syrischen Regime zu tun gehabt, im Jahre 2009 ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen mit Syrien abgeschlossen; man kann dazu auch „Abschiebeabkommen“ sagen. Dieses Abkommen ist bis heute nicht gekündigt worden. Ich fordere Sie auf: Kündigen Sie dieses Abkommen mit der syrischen Regierung! Ein Abkommen mit einem solchen Staat darf für Deutschland nicht weiter eine Verpflichtung sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD]) In den vergangenen Wochen haben vier Syrer beim Petitionsausschuss des Bundestages darum gebeten, in Deutschland Asyl zu bekommen. Sie sind aus Ungarn nach Deutschland eingereist, und die deutschen Behörden wollen sie wieder nach Ungarn abschieben, obwohl bekannt ist, dass Ungarn wiederum an Syrien abschiebt. Darunter befinden sich zwei Deserteure. Ich will mir hier nicht ausmalen, was es möglicherweise bedeuten würde, wenn diese Menschen abgeschoben würden. Ich bitte Sie hier noch einmal: Stimmen Sie der Petition zu, dass es keine Abschiebung nach Ungarn gibt, weil wir wissen, dass Ungarn kein Asylsystem hat und die Menschen dort nicht wirklich schützen wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zum Schluss: Ein verbindlicher Abschiebestopp, ein Bleiberecht für Menschen aus Syrien und die Kündigung des Rückübernahmeabkommens sind das Mindeste, wofür die Bundesregierung nun sorgen muss. Das wäre übrigens echte Solidarität mit den Opfern, die Sie hier in der letzten Woche eingefordert haben, und hilfreicher als das Säbelrasseln der NATO und eine Embargopolitik gegen die syrische Bevölkerung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Jelpke. – Jetzt spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner. Bitte schön, Herr Staatssekretär. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Jelpke, es herrscht ja Übereinstimmung, dass die Menschenrechtslage in Syrien „desaströs“ ist, wie es in Ihrem Antrag heißt, und es besteht kein Zweifel, dass sie sich im Verlaufe des letzten Jahres erheblich zugespitzt hat. Die Bundesregierung hat die schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien, insbesondere die anhaltende Gewalt syrischer Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und andere Zivilpersonen, mehrfach scharf kritisiert. Zudem hat sich Deutschland nachdrücklich für die Verschärfung von EU-Sanktionen gegen Syrien und für die Verurteilung des Regimes von Präsident Baschar al-Assad durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzt. Es ist klar, dass eine solche Menschenrechtslage auch Konsequenzen für den Umgang mit schutzsuchenden Flüchtlingen und Asylbewerbern dieser Herkunft hat. Das Bundesministerium des Innern hat den Innenministerien und Innensenatoren der Länder vor dem Hintergrund der zunehmenden staatlichen Repressionen gegen Demonstranten in Syrien bereits am 28. April 2011 empfohlen, vorläufig keine Abschiebungen nach Syrien vorzunehmen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Empfohlen!) – Sie kennen doch die Zuständigkeiten. – Nach Angaben der Bundesländer haben Rückführungen nach Syrien seit Ende April 2011 nicht mehr stattgefunden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht vor dem Hintergrund der aktuellen Lage bis auf Weiteres davon ab, ablehnende Asylentscheidungen zum Herkunftsland Syrien zu treffen. – So weit zu der Forderung, entsprechende Konsequenzen für die Abschiebepraxis zu ziehen. Nun zu der Forderung, das Rückübernahmeabkommen aufzukündigen. Ich glaube, bei dieser Forderung gehen Sie von einer unzutreffenden Beurteilung der Funktion und Tragweite dieses Abkommens aus. Die Einleitung und Durchführung der Rückübernahmeverfahren liegt in der Zuständigkeit der Ausländerbehörden der Länder. Das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen aus dem Jahre 2008 beschränkt sich auf prozedurale Regelungen. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Bürokratisch! Wie können Sie mit einer Diktatur so etwas abschließen? – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ist jetzt ein Problem? Das darf doch nicht wahr sein!) Es bedeutet für die zuständigen Bundesländer keine Verpflichtung zur Durchführung von Abschiebungen und auch keinen Hinderungsgrund, Abschiebungen in Gefährdungssituationen auszusetzen. So werden zum Beispiel die Möglichkeiten zur Aussetzung einer Abschiebung bei humanitären und menschenrechtlichen Aspekten im Ausländer- bzw. Asylrecht berücksichtigt; sie werden durch das Abkommen nicht berührt. Eine Kündigung des Abkommens hätte nur zur Folge, dass die Vereinbarungen zu Nachweis- und Glaubhaftmachungsmitteln, Fristen und Rückübernahmeverfahren nicht mehr gelten würden, was für die Lösung des von Ihnen angesprochenen Problems in der Sache eigentlich irrelevant ist. Eine weitere Forderung ist, die Überstellungen im Rahmen der Dublin-II-Verordnung auszusetzen. Deutschland überstellt Asylbewerber, für die gemäß Dublin-Verordnung ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. ein anderer am Dublin-Verfahren teilnehmender europäischer Staat zuständig ist, wenn dort keine konkrete Gefahr der Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention droht und nicht im Einzelfall außergewöhnliche humanitäre Umstände einer Überstellung entgegenstehen. Dieser Grundsatz gilt auch hier. Die Bundesregierung sieht derzeit keine Veranlassung, generell von der Überstellung syrischer Staatsangehöriger in andere EU-Mitgliedstaaten abzusehen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Auch nach Ungarn?) und das Asylverfahren – ich komme gleich zu Ungarn – in Deutschland durchzuführen. Sie hatten Ungarn angesprochen. Im Hinblick auf Ungarn haben das dortige Innenministerium sowie das ungarische Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft gegenüber den Vertretern deutscher Behörden in Budapest erklärt, dass Ungarn derzeit keine Personen mehr nach Syrien zurückschicke. Syrien werde von ungarischer Seite nicht mehr als sicherer Herkunftsstaat bewertet. Ich finde, innerhalb der Mitgliedstaaten der EU sollte man solche Worte ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung geht jedenfalls davon aus, dass auch Ungarn die Gewährleistungen des europäischen und internationalen Flüchtlingsrechts sowie die einschlägigen Menschenrechtskodifikationen einhält. Verletzungen dieser Standards in einzelnen Fällen, die naturgemäß vielleicht nicht völlig ausgeschlossen werden können, und Erkenntnisse zu systemischen Rechtsverletzungen des ungarischen Asylsystems liegen nicht vor. Ich fasse also dahin gehend zusammen: Die Bundesregierung nimmt die Menschenrechtslage in Syrien sehr ernst. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sicher!) Sie stellt sich den Verpflichtungen, die sich flüchtlingspolitisch aus dieser Menschenrechtslage ergeben. Was die Regelungen im Umgang mit der Dublin-Verordnung und die angesprochene Situation in Ungarn betrifft, so haben wir dies nach Rückfrage mit den zuständigen Stellen in Ungarn geklärt. Wir haben innerhalb der EU keinen Anlass, an den Aussagen Ungarns zu zweifeln. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bergner. – Jetzt für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Josip Juratovic. Bitte schön, Herr Kollege. (Beifall bei der SPD) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der vergangenen Woche in großer Einigkeit über die unhaltbaren und menschenverachtenden Zustände in Syrien gesprochen. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir die unsagbare Gewalt durch das Assad-Regime einmütig verurteilen. Es wurde auch über die internationale Schutzverantwortung gesprochen, ob wir nicht verpflichtet sind, die Zivilbevölkerung vor der Massakrierung durch das syrische Regime zu schützen. Hier möchte ich die Bundesregierung loben, dass sie sich an der Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme durch das internationale Rote Kreuz und den Roten Halbmond in der Türkei beteiligt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das zeigt: Die Problematik in Syrien und auch die Flüchtlingsproblematik sind bei allen hier im Haus und in der Regierung angekommen. Diese außenpolitische Einigkeit muss jedoch auch Konsequenzen in unserer eigenen Flüchtlingspolitik haben. Davon sehe ich bisher leider viel zu wenig. Bereits seit längerem fordern wir Sozialdemokraten, dass das Rückübernahmeabkommen mit Syrien gekündigt oder zumindest ausgesetzt wird. Das haben wir auch schon vor dem aktuellen Gewaltausbruch der syrischen Regierung gesagt. Ich weiß, dass dieses Abkommen während der Großen Koalition geschlossen wurde. Natürlich war uns klar, dass Syrien auch damals kein gefestigter Rechtsstaat war. Dennoch war dies eine ausländerrechtliche Entscheidung. Die Situation hat sich aber dramatisch verschlechtert; das ist uns allen bekannt. Herr Wolff von der FDP sagte Anfang 2010, dass die Notwendigkeit eines Abschiebestopps genau geprüft werden muss, wenn die im Rückübernahmeabkommen enthaltenen Vereinbarungen zu den Menschenrechten nicht eingehalten werden. (Zuruf von der FDP: Das machen wir ja!) Ich frage mich, welche Beweise wir noch aus Syrien brauchen, damit uns eindeutig klar wird, dass das Menschenrechtskapitel in diesem Abkommen in Syrien mit Füßen getreten und mit Gewehrkolben geschlagen wird und dass wir endlich konsequent handeln müssen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu reicht der Schritt nicht aus, dass das Innenministerium den Ländern empfiehlt, weitere Abschiebungen nach Syrien auszusetzen. Wir dürfen uns nicht einzig und allein auf die Lage im Ausländerrecht zurückziehen und behaupten, rechtlich sei doch alles klar. Gerade bei einem außenpolitischen Brennpunkt wie Syrien müssen wir politische und nicht rein rechtliche Entscheidungen treffen. Gerade hier müssen wir mehr denn je unser humanitäres Gewissen einschalten. Wir alle wissen, dass es bei Flüchtlingspolitik immer um Einzelschicksale geht. Dem müssen wir gerecht werden, und zwar nicht nur mit Paragrafen, sondern auch mit eindeutigen Aussagen, dass wir uns um die Menschen kümmern, die in unserem Land sind, die meisten übrigens seit mehreren Jahren. Herr Grindel hat im Januar 2010 betont, dass unter denen, die wir bisher nach Syrien abgeschoben haben, auch sehr viele Kriminelle gewesen seien. Verzeihen Sie mir, aber ich finde diese Verknüpfung absolut unerträglich, abgesehen davon, dass Sie dies überhaupt nicht beweisen können. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie der Meinung sind, dass vermeintlich kriminelle syrische Flüchtlinge in unserem Land ohne Gewissensbisse den Gewehrkolben von Assads Schergen ausgesetzt werden dürfen, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Damals war die Situation eine andere!) dann frage ich Sie: Was ist Ihr Verständnis vom Rechtsstaat? Denn auch Flüchtlinge und vermeintlich Kriminelle besitzen Menschenrechte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist keine Frage, dass kriminelle Taten strafrechtlich verfolgt werden müssen, aber immer im Rahmen eines Rechtsstaates und nicht mit den Mitteln der Abschiebung. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Zeiten von rechtsradikalem Terror in unserem Land, dem zahlreiche Mitbürger mit Migrationshintergrund zum Opfer gefallen sind, die auch zuerst als kriminelle Ausländer angesehen wurden, sollten wir mit solchen Vorurteilen deutlich vorsichtiger sein. Wir müssen uns zudem bewusst sein, dass viele Flüchtlinge, die zu uns kommen, traumatisiert sind. Viele Menschen können ihre schrecklichen Erlebnisse nicht einfach wegstecken und sind nicht so sicher im Umgang mit unserer Gesellschaft. Wir müssen Respekt haben vor den traumatischen Erlebnissen dieser Flüchtlinge. Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass aus Deutschland direkt derzeit niemand mehr nach Syrien abgeschoben wird. Gott sei Dank, könnte man sagen. Aber wir wissen, dass es indirekte Abschiebungen gibt, und zwar über Ungarn. In diesen Tagen haben wir sowieso schon Probleme mit Ungarn und dem Verhältnis der nationalkonservativen rechten Regierung von Viktor Orban zum Rechtsstaat. Gerade in einer solchen Situation müssen wir sagen: Es kann nicht sein, dass Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, über Ungarn, das Syrien unverständlicherweise nach wie vor als sicheren Drittstaat bezeichnet, nach Syrien abgeschoben werden. Wir haben nach der Dublin-II-Verordnung das Recht, das Asylverfahren an uns zu ziehen und nicht in Ungarn zu belassen. Das sollte dringend geschehen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erlauben Sie mir zum Schluss, Ihnen meine persönlichen Erfahrungen in der Flüchtlingspolitik mit auf den Weg zu geben: Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 90er-Jahren war ich in der Friedenspolitik aktiv. Ich war im Kreis Heilbronn eine Anlaufstelle für Flüchtlinge aus den Kriegsländern des ehemaligen Jugoslawien. In meinem Haus lebten teilweise bis zu 18 Flüchtlinge, übrigens aus verschiedenen Ethnien aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien. Ich kann nur sagen: Gott sei Dank gab es damals eine andere Flüchtlingspolitik und noch keine Dublin-II-Verordnung. Zum Glück konnten diese Menschen hier in Sicherheit leben. Im Übrigen ist keine dieser Familien noch in unserem Land. Das mag die Union freuen, die oft Angst hat, dass Flüchtlinge unser Land überrennen und dann hier weiterhin vermeintlich auf Kosten des Staates leben wollen. Mich stimmt es aber auch traurig; denn offensichtlich haben diese Menschen in den USA, in Australien oder anderswo bessere Chancen gesehen. Wir sollten dringend überlegen, wie wir Flüchtlingen und Geduldeten, die oft von uns ausgebildete Fachkräfte sind, eine Chance auf unserem Arbeitsmarkt und in unserer Gesellschaft geben können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Juratovic. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Serkan Tören. Bitte schön, Herr Kollege. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Serkan Tören (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon empörend und ein bisschen zynisch, Frau Jelpke, dass auf der einen Seite die Linke den vorliegenden Antrag stellt (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was erlauben Sie sich denn?) und auf der anderen Seite sich Mitglieder Ihrer Fraktion mit der Regierung in Syrien und dem Machthaber Baschar al-Assad solidarisieren. Das passt nicht. Das ist nichts anderes als Scheinheiligkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Situation in Syrien ist schlicht unerträglich; das ist von den Vorrednern schon mehrmals gesagt worden. Es finden Militäreinsätze gegen das eigene Volk statt. Die Protestbewegung wird mit exzessiver Gewalt niedergeschmettert. Das alles ist in keiner Weise zu akzeptieren. Mit der Beurteilung politischer Verhältnisse in Staaten wie Syrien geht die Bundesregierung sehr verantwortungsvoll um, insbesondere was mögliche Folgerungen hinsichtlich der asylrechtlichen Relevanz aktueller Entwicklungen angeht. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Deswegen habt ihr auch noch bis September abgeschoben!) Neben den regelmäßig vom Auswärtigen Amt verfassten Lageberichten werden anlassbezogene aktuelle Berichte angefertigt. Diese dienen dann den inländischen Behörden als Grundlage für die Entscheidung über die Anerkennung als Flüchtlinge. Darüber hinaus gibt es eine unmittelbare Kooperation der Innenminister der Länder mit dem Bundesinnenministerium, um bei aktuellen Krisensituationen sofort reagieren zu können. So hat der Bundesinnenminister auf die im Frühjahr in Syrien erfolgten militärischen Einsätze gegen die Protestbewegung reagiert und mit den Bundesländern vereinbart: Die Abschiebung von ausreisepflichtigen syrischen Staatsangehörigen wird bis auf Weiteres ausgesetzt. – Seitdem finden bundesweit keine Rückführungen mehr statt. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ich habe ein paar Daten hier! Die kann ich Ihnen gleich mal geben!) Das ist eine Selbstverständlichkeit. Da allerdings nicht absehbar ist, wie sich die politische Situation in Syrien entwickelt – wir sehen, dass sich Staaten in Nordafrika bereits stabilisieren –, können wir eine dauerhafte Entscheidung nicht treffen. Die sofortige Aussetzung der Abschiebung war geboten. Die Vorläufigkeit dieser Anordnung ist allerdings auch richtig. Die FDP-Bundestagsfraktion sieht keinen Grund, das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen zu kündigen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Klar! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bürgerrechtlich sicherlich bemerkenswert!) Jeder Staat ist zur Rückübernahme seiner Staatsangehörigen verpflichtet, wenn diese aus anderen Staaten ausreisen müssen. Hierbei handelt es sich um eine allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Genfer Flüchtlingskonvention?) Das haben Sie bis heute nicht verstanden. Sie tun so, als ob die Rückübernahmeabkommen geradezu die rechtliche Grundlage dafür wären. Das stimmt nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rückübernahmeabkommen begründen nicht die Verpflichtung, sondern regeln das administrative Verfahren, insbesondere bei der Identitätsfeststellung. Da die Durchführung von Abschiebungen nach Syrien bis auf Weiteres ausgesetzt ist, besteht kein Anlass für eine Kündigung des Rückübernahmeabkommens. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Die FDP war mal eine bürgerrechtliche Partei!) Im Rahmen der sogenannten Dublin-II-Verordnung ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, Asylantragsteller an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu überstellen, wenn diese für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sind. In der Regel ist dies dann der Fall, wenn die Ersteinreise in das Gebiet der Europäischen Union in einem anderen Staat erfolgte. Ausnahmen von der Überstellung gelten dann, wenn in dem anderen Mitgliedstaat beispielsweise die konkrete Gefahr der Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention besteht. (Zuruf von der LINKEN: Die besteht aber!) Wir gehen davon aus: Ungarn hält in vollem Umfang die Gewährleistungen des europäischen und internationalen Flüchtlingsrechts sowie der einschlägigen Menschenrechtskodifikationen ein. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch blauäugig!) Dies gilt insbesondere für das Refoulement-Verbot. Die ungarische Regierung hat zudem erklärt – das hat der Staatssekretär schon aufgezeigt –, dass sie seit Mai 2011 keine Personen mehr nach Syrien zurückschickt, da es derzeit auch aus ungarischer Sicht kein sicheres Herkunftsland ist. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann bitte?) Sie müssen Beispielfälle nennen. Sie tun das aber nicht, sondern stellen Mutmaßungen an. Aber mit Mutmaßungen kommen wir einfach nicht weiter. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Kommen Sie zu mir! Dann kriegen Sie die Unterlagen!) Abschließend sei festgestellt: Ein Drittstaatsangehöriger erhält immer gerichtlichen Rechtsschutz in dem jeweiligen Mitgliedstaat, aber auch vor den europäischen Gerichten, falls er sich durch eine Überstellung in sein Herkunftsland in seinen Rechten verletzt sieht. Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag der Linken ab. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Josef Winkler. Bitte schön, Kollege Josef Winkler. (Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] begibt sich zum Platz des Abg. Serkan Tören [FDP]) – Tauschen Sie noch das Manuskript aus? (Heiterkeit – Josef Philip Winkler [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe etwas nicht verstanden und habe nachgefragt!) Bitte schön, Kollege Josef Winkler. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Bezieh dich doch auf die Rede von Serkan! Dann ist alles in Ordnung!) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich hatte Herrn Tören nur etwas gefragt, weil ich etwas akustisch nicht verstanden hatte. Intellektuell war mir aber das Argument zugänglich. Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist ein Trauerspiel, dass wir hier fast wöchentlich über die Situation in Syrien im Rahmen der Außenpolitik debattieren, sich aber innenpolitisch im Umgang mit den syrischen Flüchtlingen nur wenig verändert. Ich denke – das muss ich nach der Rede von Herrn Staatssekretär Dr. Bergner sagen –, es schlägt dem Fass den Boden aus, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) dass Sie sich jetzt hinter der formalen Zuständigkeit der Bundesländer, der Kommunen und der Ausländerbehörden verstecken und sich auf reine Verwaltungsargumente zurückziehen. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Das Ziel ist doch erreicht!) Sie haben eben hier gesagt, das Rücknahmeabkommen beschränke sich auf rein prozessuale Regelungen. Wenn es wirklich nur um Formalia geht, dann besteht erst recht kein Grund, an dem Abkommen, das man mit dem Assad-Regime geschlossen hat, festzuhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Frieser [CDU/CSU]: Falsch! Verkehrt!) Herr Tören, es ist wirklich kein Argument, zu sagen, wir seien zu doof, um zu verstehen, wofür Rücknahmeabkommen gedacht seien. Es gibt Regime in der Welt, mit denen man schlicht und ergreifend keine Verträge schließt, auch wenn man es darf und wenn man es kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sagen: Die Bundesregierung hat es in der Hand. Sie können unverzüglich einen Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge aus der Bundesrepublik Deutschland verhängen. Sie können auch endlich gegenüber den Bundesländern sicherstellen, dass kein Syrer mehr bei der syrischen Botschaft in Berlin vorgeführt wird. Eine Vorführung ist nicht nur für die syrischen Staatsangehörigen gefährlich, sondern auch für ihre Familienangehörigen, die noch in Syrien sind und dort mit Repressionen zu rechnen haben, wenn die Personalien festgestellt werden. Das ist keine rein theoretische Debatte; denn die Ausländerbehörde in Magdeburg hat am 23. November 2011 mehrere syrische Staatsangehörige zur Vorsprache in der Botschaft in Berlin aufgefordert. Daraufhin ist der Klageweg beschritten worden, und das Verwaltungsgericht Magdeburg hat dann festgestellt, dass so etwas in diesen Zeiten rechtlich nicht zulässig ist. Ich darf hinzufügen: Diese Praxis ist auch unmenschlich und sollte nicht fortgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen unterstreiche ich für meine Fraktion ausdrücklich die Worte, die Frau Jelpke hier gefunden hat. Die einzigen Maßnahmen, mit denen wir uns ehrlich gegen die syrische Regierung und an die Seite der syrischen Opposition stellen können, wären die Kündigung dieses Abkommens, der Erlass eines Abschiebestopps und die Beendigung der Botschaftsvorführungen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht auch nicht, die Flüchtlinge nach Ungarn abzuschieben. So blauäugig wie Herr Tören bin ich nicht. Nur weil die ungarische Regierung eine Rechtsauskunft erteilt, muss diese nicht unbedingt stimmen. Ich nehme es aber dem Herrn Staatssekretär ab, dass Ungarn neuerdings – das war für mich neu – nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt. Bis vor kurzem wurden nach meiner Kenntnis Flüchtlinge, die aus Deutschland nach Ungarn im Dublin-II-Verfahren abgeschoben wurden, von Ungarn nach Damaskus weiter abgeschoben und waren dann perdu. Man weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. In einen Traumurlaub wird sie das Regime allerdings nicht geschickt haben. Menschenrechtspolitik, die glaubwürdig ist, fängt im eigenen Land an. Sie kann nicht nur gegenüber diktatorischen Regimen im Ausland praktiziert werden. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Josef Winkler. Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist Kollege Michael Frieser. Bitte schön, Kollege Michael Frieser. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Michael Frieser (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch das ständige Wiederholen von Anträgen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesrepublik Deutschland einiges auf diesem Gebiet tut. Vielleicht handelt es sich bei Ihnen um das pädagogische Prinzip der permanenten Wiederholung in der Hoffnung, dass irgendwann die entscheidenden Argumente verfangen. Ich will noch einmal darauf hinweisen: Was uns in dieser Debatte eint, ist die Verurteilung der derzeitigen Zustände, die durch das Regime verursacht werden, und der derzeitigen Verfolgung derer, die nichts anderes tun als das, was auch wir tun, nämlich die Einhaltung von Menschenrechten in Syrien zu fordern, und die deshalb gegen das Assad-Regime auf die Straße gehen. Ich hoffe, dass wir zumindest insoweit in dieselbe Richtung gehen. Wir brauchen in dieser Frage keine Nachhilfe, schon gar nicht von der linken Seite des Hauses. Kollege Tören hat es mit dem notwendigen Ernst vorgetragen. Ich will noch einmal daran erinnern: Im Jahr 2008 hat es unter dem damaligen Innenminister Schäuble tatsächlich eine Initiative Deutschlands gegeben, bis zu 10 000 syrische Flüchtlinge in die EU zu bringen und das Kontingent Deutschlands mit 2 500 voll auszuschöpfen. Also auch in dieser Frage brauchen die Regierung und wir mit Sicherheit keinerlei Nachhilfe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war dann aber auch der einzige Punkt!) Ich glaube, dass das der entscheidende Punkt ist. Deshalb sollte man nicht versuchen, in der Diskussion die beiden Argumente – auf der einen Seite Abschiebung und auf der anderen Seite Rückführung –, die gar nichts miteinander zu tun haben, zu verbinden. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir in der derzeitigen Situation, die wir erkennen und die dazu führt, dass aus diesem Land niemand nach Syrien abgeschoben wird, die menschenrechtliche Dimension sehen und dass wir in dieser Frage mit Sicherheit keine Nachhilfe brauchen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch einen Runderlass! Es heißt nur, es sei nicht ratsam, abzuschieben!) Aber worum geht es? Es geht darum, dass wir gemeinsam dafür kämpfen – dazu lade ich durchaus auch ein –, dass den derzeitigen Zuständen gerade auch auf EU-Ebene rasche Erweiterungen der Sanktionen gegenübergestellt werden. Wir müssen über die Frage von EU-Einreisesperren reden, wir müssen über Finanzsanktionen reden, und wir müssen schauen, dass man auch beim Thema Ölimportembargo auf Ebene der EU ein Verbot der Investitionen in den Öl- und Gassektor in Syrien erreicht. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Botschaftsvorführungen? Sagen Sie dazu nichts?) Das ist etwas, was wirklich funktioniert. Was nicht funktioniert, ist, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Das tun wir leider Gottes hier auch wieder. Ich wiederhole es: Die Kündigung des Rückführungsabkommens hat mit der Aufhebung der Abschiebung, also damit, dass in dieses Land wegen der Zustände dort nicht abgeschoben wird, überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil: Im Grunde verpflichten wir das Assad-Regime nach wie vor, an einem völkerrechtlichen Vertrag festzuhalten. Denn wenn wir Staaten, die sich in dieser Art und Weise verhalten, auch noch aus ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen entlassen, dann entbinden wir sie ja jeglicher Verpflichtung. Damit erreichen wir genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daher geht es meines Erachtens darum, dass wir auch die Tatsache zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Bundesregierung das Notwendige getan hat. Staatssekretär Bergner hat die – ich will es einmal so sagen – Weisung erwähnt. Wir kennen doch alle die Schreiben aus dem Jahr 2011, in denen es darum geht, dass die zuständigen Länder aufgefordert werden, tatsächlich nicht abzuschieben. Insofern muss man deutlich sagen: Auch das BAMF trägt durch ständig aktualisierte Situationsberichte dazu bei, dass niemand so tun kann, als könne er die Situation nicht beurteilen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden ständig am Thema vorbei!) Wir müssen deutlich sagen: In diesem Land muss und darf keiner Angst davor haben, dass er in ein Land abgeschoben wird, in dem es konkrete Gefahren für Leib und Leben gibt oder in dem ihm die Folter droht. Genau das tun wir nicht. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie aber! Wenn die Betroffenen in die Botschaft einbestellt werden!) Versuchen Sie also bitte nicht, den Eindruck zu erwecken, als handele es sich hier um einen herzlosen, gewissenlosen und imperialistischen Folterstaat. Das ist definitiv nicht der Fall. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch am Thema vorbei!) Ich hoffe nicht, dass Sie auf der Ebene der Diskussion über die derzeitigen Zustände in Syrien versuchen, etwas anderes zu transportieren. Es ist eine Art von Migrationspolitik für jene, die am Ende des Tages hier bleiben sollen und Ihrer Auffassung nach auch hier bleiben müssten. Ihre Kritik kommt zum falschen Zeitpunkt. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völliger Quatsch!) Insofern kann ich nur sagen: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir im Interesse derjenigen, die in diesem Land berechtigterweise leben, die Position vertreten müssen, dass wir die Ausreise jener, die zur Ausreise verpflichtet sind, auch durchsetzen können. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das denn mit dem Thema zu tun?) Diesen Zusammenhang dürfen wir nicht mit der Kündigung eines Rückführungsabkommens, das nicht notwendig ist, verwechseln. (Zuruf von der LINKEN: Ich hätte gerne eine klare Auskunft!) Ich bitte dringend, diese beiden Punkte auseinanderzuhalten. Es bleibt dabei: Die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Syrien setzen eine Abschiebung tatsächlich aus. Genauso verhält sich dieses Land. Wir gehen davon aus, dass das unsere Partner in der EU auch tun. Deshalb können wir nur eines machen: diesen Antrag erneut ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Michael Frieser. – Ich schließe die Aussprache. Ich komme nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8456 mit dem Titel „Abschiebestopp und Bleiberecht für Flüchtlinge aus Syrien“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Gabriele Hiller-Ohm, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Wolfgang Wieland, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern – Drucksachen 17/5516, 17/6108, 17/6390 – Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist dies so beschlossen. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Peter Weiß. Bitte schön, Kollege Peter Weiß. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will ganz ehrlich sagen: Es ist nicht leicht, die besondere Situation der Menschen, die vor der Verwirklichung der deutschen Einheit aus der DDR geflohen und in die damalige Bundesrepublik gekommen sind, wirklich gerecht zu bewerten. Es ist in der Tat auch nicht leicht, eine gerechte Lösung für das Problem ihrer Rentenansprüche zu finden. Wir alle wissen, dass sich mit denjenigen, die es gewagt haben, aus der DDR zu fliehen, in der Regel schwere Schicksale verbinden. Wir alle wissen, dass zu einem solchen Entschluss viel Mut und Durchhaltekraft gehörten, und wir wissen, dass diese Flüchtlinge viel gewagt und auch viel aufgegeben haben. Deswegen haben wir uns in den vergangenen Monaten noch einmal intensiv mit den Argumenten und den Anliegen der Betroffenen hinsichtlich ihrer Rentenansprüche und namentlich mit der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge auseinandergesetzt und zahlreiche Fachleute konsultiert. Die SPD hat im letzten Jahr einen Antrag vorgelegt – die Grünen haben sich ihm angeschlossen –, in dem gefordert wird, dass für die Frage, ob nach dem sogenannten Fremdrentengesetz oder nach dem gesamtdeutschen Renten-Überleitungsgesetz die Rentenberechnung erfolgen soll, ein neuer Stichtag eingeführt wird. Dieser Stichtag soll der Tag des Mauerfalls, der 9. November 1989, sein. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich diese Forderung genauer anschaut, stellt man fest: Das ist kaum ein rechtlich gangbarer Weg, also kein Weg, der auch verfassungsrechtlichen Prüfungen standhält. Es ist erstaunlich: Elf Jahre lang – in der Zeit nach der deutschen Einheit – hat eine Sozialdemokratin oder ein Sozialdemokrat das für Rentenfragen zuständige Bundesministerium geführt. Alle Versuche, die Berechnung der Rente ehemaliger DDR-Übersiedler und -Flüchtlinge neu zu gestalten, wurden abgewiesen, und man hat darauf bestanden, dass das Renten-Überleitungsgesetz zur Anwendung kommt. (Anton Schaaf [SPD]: Unter Blüm ist das so gelaufen, Peter Weiß! Das weißt du genau!) – Ich komme darauf noch zu sprechen. – Kaum sind die Sozialdemokraten und die Grünen in der Opposition, ist offensichtlich all das, was man in der Zeit, in der man selber regiert hat, wusste, anders zu sehen, und man fordert einen neuen Stichtag. Es ist zumindest verwunderlich, was hier vorgeschlagen wird, und es bedarf schon einer genauen Prüfung: Woher kommt eigentlich diese Idee? Würde ihre Umsetzung irgendeines unserer Probleme lösen? (Anton Schaaf [SPD]: Die Probleme der Betroffenen!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn es so sein soll, dass für nach 1937 geborene, aber vor dem 9. November 1989 in die Bundesrepublik gekommene ehemalige DDR-Bürgerinnen und DDR-Bürger die Möglichkeit besteht, die Rente entweder nach dem Fremdrentenrecht oder, falls man sich damit günstigerstellt, nach dem Renten-Überleitungsgesetz berechnen zu lassen, dann stellt sich doch die Frage: Warum soll das eigentlich für vor 1937 Geborene nicht auch gelten? Die Frage ist unbeantwortet. (Anton Schaaf [SPD]: Wir haben es doch in unserem Gesetz drin!) – Entschuldigung, uns liegt eine Petition an den Bundestag vor, in der ein vor 1937 Geborener fordert, nach dem Renten-Überleitungsgesetz und nicht nach dem Fremdrentengesetz behandelt zu werden. Was ist eigentlich mit den Menschen, die zwischen dem 9. November 1989 und dem 18. Mai 1990, dem Tag des Staatsvertrages über die Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, in die Bundesrepublik gekommen sind? Konnte jemand, der am 10. November 1989 in den Westen kam, wirklich damit rechnen, dass die deutsche Einheit wiederhergestellt werden würde? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet. (Anton Schaaf [SPD]: Natürlich! Die Mauer war gefallen!) Was ist mit den Menschen, die nach dem Mauerfall und vor der Schaffung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion nach Deutschland West gekommen sind? (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn Ihre Alternative?) Eine weitere Frage ist: Welche Fassung des Fremdrentengesetzes sollen wir eigentlich anwenden? Nach 1990 ist das Fremdrentengesetz ja mehrmals geändert worden. Das betrifft vor allen Dingen die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, die nach dem heutigen Fremdrentengesetz nur noch 60 Prozent der Leistungen bekommen. Nun frage ich Sie: Ist es wirklich im Sinne der Gerechtigkeit, dass in Deutschland Deutsche Tür an Tür leben, von denen nach dem Willen der SPD und der Grünen die einen nur 60 Prozent der Leistungen und die anderen 100 Prozent der Leistungen nach Fremdrentenrecht ausgezahlt bekommen sollen? Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich wette, dass, wenn wir eine solche Regelung beschließen würden, diejenigen, die zurzeit nur 60 Prozent der Leistungen bekommen, Klage – wahrscheinlich auch vor dem Bundesverfassungsgericht – erheben und sich gegen diese Ungleichbehandlung wehren würden. Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schaaf, der sich auch vorher schon bemerkbar gemacht hat? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Bitte schön. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Herr Kollege Schaaf. Anton Schaaf (SPD): Entschuldigen Sie bitte, dass ich da ein wenig impulsiv bin, Herr Präsident. Aber an dieser Stelle wird zumindest nicht ganz Korrektes verbreitet. Wenn wir über DDR-Übersiedler und über DDR-Flüchtlinge reden, dann gibt es im Prinzip nur einen einzigen Status: Diese Menschen sind nämlich Deutsche. Wenn wir über Spätaussiedler reden, meinen wir eine viel größere Gruppe, zum Beispiel auch Russlanddeutsche und andere. Das Rentenrecht für diese Menschen hat sich natürlich verändert; das stimmt. Eine Günstigkeitsprüfung für Deutsche, die aus der DDR geflohen sind, ausgebürgert worden sind oder aus welchen Gründen auch immer in die Bundesrepublik gekommen sind, hat mit der Kürzung von Leistungen nach dem Fremdrentengesetz aber überhaupt nichts zu tun. Deswegen haben wir Sozialdemokraten ja vorgeschlagen, den Deutschen, die aus der DDR geflohen sind, ausgebürgert worden sind oder Ähnliches, die Möglichkeit einer Günstigkeitsrechnung zu geben. Das miteinander zu vermischen, Peter Weiß, ist unredlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Anton Schaaf. – Jetzt, bitte schön, Peter Weiß. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Schaaf, wenn ich Ihrer Fragestellung entnehmen darf, dass Sie der Auffassung sind, dass das Fremdrentengesetz in der aktuellen Fassung, also mit den auf 60 Prozent abgesenkten Leistungen, angewandt werden soll, dann halte ich Ihnen entgegen, dass die DDR-Übersiedler und DDR-Flüchtlinge sagen werden: Genau das wollen wir nicht; wir wollen 100 Prozent nach dem Fremdrentenrecht bekommen. – Denn wenn sie nur 60 Prozent bekämen, würden sich die Betroffenen, bis auf vielleicht ganz wenige Ausnahmen, allesamt nach dem Renten-Überleitungsgesetz besser stehen, und dann gäbe es überhaupt keinen Anlass für die SPD-Fraktion, einen solchen Antrag zu stellen. Er wäre nämlich schlichtweg unnötig. (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie denn vor? Nicht nur Fragen stellen!) Es wird immer wieder behauptet, dass das, was mit dem Renten-Überleitungsgesetz gemacht wurde, nicht rechtens sei. Angesichts dessen ist es bemerkenswert, dass der 5. Senat des Bundessozialgerichts am 14. Dezember 2011 ein Urteil gefällt hat, in dem er klarstellt, dass der Gesetzgeber das Recht und auch Anlass hatte, DDR-Flüchtlinge und DDR-Übersiedler in das Renten-Überleitungsgesetz aufzunehmen, zumal über das Fremdrentenrecht keine Rentenansprüche erworben werden, denen eigene Einzahlungen zugrunde liegen. Das oberste Sozialgericht in Deutschland hat also festgestellt, dass das, was der gesamtdeutsche Gesetzgeber mit dem Renten-Überleitungsgesetz getan hat, voll und ganz rechtens ist. Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sage ich Folgendes: Bei allem Verständnis für die DDR-Übersiedler und DDR-Flüchtlinge und ihrem Wunsch, eine bessere Lösung zu finden, die vielleicht auch außerhalb des Rentenrechts liegen könnte, können wir nicht einfach ein Gesetz beschließen, das das Problem nicht löst und das auch nur zu neuen Ungerechtigkeiten und zu neuen Problemen führen würde, die uns alle auf die Füße fallen werden. Daher kann man eine solche Regelung, wie sie vorgeschlagen wird, schlichtweg nicht beschließen. Es ist den ehemaligen DDR-Flüchtlingen damit nicht geholfen. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie wollten zum Schluss kommen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ja. – Es ist damit dem gesamtdeutschen Rentenrecht nicht geholfen. Außerdem ist es verfassungsrechtlich problematisch, ein Gesetz zu machen, von dem man von vornherein weiß, dass man garantiert zig Prozesse, auch vor dem Bundesverfassungsgericht, führen muss. Das sollte man tunlichst unterlassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der SPD unser Kollege Ottmar Schreiner. Bitte schön, Kollege Ottmar Schreiner. (Beifall bei der SPD) Ottmar Schreiner (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Zunächst einmal möchte ich an die letzte Bemerkung des Kollegen Weiß anknüpfen. Herr Kollege Weiß, Sie sagen, Sie wollen bessere Lösungen. Für bessere Lösungen haben Sie inzwischen Jahr um Jahr Zeit gehabt. Geschehen ist nichts. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Interessenverbände der ehemaligen DDR-Flüchtlinge – hier sitzen Kolleginnen und Kollegen der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge – haben sich seit Jahren bei allen Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, um Korrekturen bemüht. Sie empfinden das, was geschehen ist, als tiefes Unrecht und als Gegensatz zu rechtsstaatlichem Vorgehen. Ich will Ihnen den Sachverhalt aus einer etwas anderen Sicht vortragen, Herr Kollege Weiß und liebe Kolleginnen und Kollegen der Union und auch der FDP: Worum geht es? Es geht um ehemalige DDR-Bürger, die damals entweder über den Weg als politische Flüchtlinge bzw. als freigekaufte politische Häftlinge oder über ein oft zermürbendes Ausbürgerungsverfahren in den Westen, in die Bundesrepublik, gekommen sind. Um diese Menschen geht es. Nun hat es bis 1989 einen sogenannten Wegweiser der Bundesregierung für ebendiesen Personenkreis gegeben. Das sind die Übersiedler aus der ehemaligen DDR, Flüchtlinge, freigekaufte Häftlinge usw. In diesem „Wegweiser für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR“ von 1989, 10. Auflage, steht ein schönes Vorwort des Bundesinnenministeriums. Herausgeber war der damalige Bundesinnenminister, nämlich Herr Dr. Schäuble. In diesem Dokument der Bundesregierung heißt es unter Punkt 17: … Übersiedler aus der DDR … werden in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten. Das ist das zentrale Versprechen der Bundesrepublik Deutschland an die DDR-Flüchtlinge gewesen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von diesem zentralen Versprechen sind Sie abgerückt. Zu diesem zentralen Versprechen wollen Sie nicht wieder zurückkehren. Das ist der entscheidende Vorwurf. Herr Kollege Weiß, Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Führung des Bundesarbeitsministeriums, wer auch immer diese Führung innehatte, in dieser Frage keine wirklich offensive Rolle gespielt hat. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber lieber spät als gar nicht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Betroffenen – es sind immer noch Hunderttausende – empfinden diesen Vorgang, dieses gebrochene Versprechen der bundesdeutschen Politik, als zutiefst deprimierend und zutiefst erniedrigend. Es ist aber immer noch Zeit, dies zu ändern. Es ist dann geändert worden, aber nicht über das Renten-Überleitungsgesetz von 1991, mit dem versucht wurde, die beiden Rentensysteme überwiegend auf der Grundlage des westdeutschen Systems zu vereinheitlichen. Die Rechtsgrundlage, Herr Kollege Weiß, ist im Jahre 1993 geändert worden, und zwar in Form einer sehr stark verklausulierten, kleinen Formulierung in einem angeschlossenen Gesetz. Die Interessenverbände haben Frau Babel angeschrieben – damals die sozialpolitische Sprecherin der FDP –, sie haben den Kollegen Cronenberg von der FDP – damals Vizepräsident des Deutschen Bundestages – angeschrieben. Aber niemand war sich der Tragweite der damaligen Regelungen, die in verklausulierter, versteckter Form irgendwo untergebracht worden sind, in Wirklichkeit bewusst. Wenn man nach den Gründen fragt, lieber Kollege Weiß, wird es wirklich spannend. Sie haben als Berichterstatter des Ausschusses in der Bundestagsdrucksache 17/6390 – das ist das aktuelle Dokument – Folgendes formuliert: Die Fraktion der CDU/CSU verwies darauf, – in den Beratungen – dass mit der deutschen Einheit – jetzt kommt es – alle Bürger der ehemaligen DDR Bundesbürger geworden seien. Daher sei es systematisch richtig, dass sie alle nach dem Renten-Überleitungsgesetz behandelt würden. Hier wird mit einem ganz faulen sprachlichen Trick ein Pseudoargument aufgebaut. Es handelt sich bei den ehemaligen DDR-Flüchtlingen nicht um Bürger der ehemaligen DDR, es handelt sich bei diesen Flüchtlingen um Menschen, die jahre- und teilweise jahrzehntelang Bürger der Bundesrepublik Deutschland waren und die unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes standen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Ottmar Schreiner, gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen Karl Schiewerling? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Kollege Schreiner, Sie sind ja Jurist. Sie haben seinerzeit im Deutschen Bundestag der Änderung zugestimmt. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Darauf kommt es doch gar nicht an!) Können Sie bestätigen, dass es in der Rentengeschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder wichtige Eckpunkte gegeben hat und dass Feststellungsbescheide nicht identisch mit den zukünftigen Rentenbescheiden sind, weil in ihnen zunächst nur Feststellungen getroffen werden? Können Sie zudem zustimmen, dass es zum Beispiel im Jahre 2005 Rentenänderungen gegeben hat, obwohl Feststellungsbescheide und Feststellungen vorher anders gelautet haben? Das galt zum Beispiel für den Bereich der Anerkennung von Schul- und Hochschulzeiten. Es gab somit Änderungen im Rentenrecht auch für die Bürgerinnen und Bürger, die nicht aus der DDR geflohen sind und die schon immer hier gelebt haben. Obwohl der Feststellungsbescheid vorher etwas anderes ausgesagt hat, wurden hinterher noch einzelne Punkte geändert. Stimmen Sie mir zu, dass das im deutschen Rentenrecht nichts Ungewöhnliches ist und dass auch Menschen, die hier wohnen, von solchen Änderungen betroffen sind? Ottmar Schreiner (SPD): Lieber Kollege Schiewerling, Sie versuchen jetzt, das Problem mit juristischen Spitzfindigkeiten kleinzureden. (Anton Schaaf [SPD]: So ist es!) Es handelt sich aber um ein eminent politisches Problem und nicht um ein Problem, das man mit juristischen Spitzfindigkeiten lösen kann. Es geht um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland in Gestalt ihrer verantwortlichen Politiker Hunderttausende von Menschen betrogen hat. Es geht darum, ob sie ihr Wort gegenüber denjenigen gebrochen hat, die, wie der Kollege Weiß zu Recht ausgeführt hat, ein zum großen Teil schweres Schicksal zu ertragen hatten, die viel gewagt und viel auf sich genommen haben und die teilweise unter Gefahr für Leib und Leben ihr Land verlassen haben. Es geht darum, ob es angemessen ist, dieser Gruppe von Menschen gegenüber das Versprechen, das man gegeben hat, zu brechen. Es geht nicht um juristische Spitzfindigkeiten über irgendwelche kleinen Details, sondern es geht um diese Kernfrage. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will es noch zuspitzen, Herr Kollege Schiewerling, weil aus meiner Sicht die Situation aus dem Blickwinkel der Betroffenen noch viel dramatischer ist. Bei dem Renten-Überleitungsgesetz haben wir seitens der SPD – das können Sie in den Dokumenten des Bundestages nachlesen – immer wieder Bestrebungen der Union zurückgewiesen, strafrechtliche Elemente in die Sozialgesetzgebung einzuführen. Dieser Versuch ist seitens der Union mehrfach unternommen worden – gelegentlich erfolgreich. Beispielsweise sind für die sogenannten systemnahen Berufsgruppen – ein typisches Beispiel ist die Mitarbeit bei der Staatssicherheit – die Renten gedeckelt worden mit dem überhaupt nicht nachvollziehbaren Argument, dass Menschen aus diesen sogenannten staatsnahen Systemen rentenmäßig bessergestellt werden als die meisten anderen. Aus diesen Gründen ist gedeckelt worden. Wir haben Sie davor gewarnt. Wir haben gesagt, dass die deutsche Sozialgeschichte frei ist von solchen strafenden Elementen. Man muss strikt trennen zwischen der Sozialgesetzgebung auf der einen Seite und der Strafgesetzgebung auf der anderen Seite. In dieser langen Tradition hat es lediglich eine einzige Ausnahme gegeben, und zwar nach 1933. Die Renten der sogenannten staatsnahen Berufsgruppen sind fast alle auf dem Wege gerichtlicher Korrekturen geändert worden. Im Ergebnis hat das zu der Situation geführt, dass Renten, die aus Stasitätigkeiten bezogen werden, aufgrund der damaligen Gesetzgebung und der gerichtlichen Korrekturen zu erheblichen Teilen höher sind als die nach unten abgestuften Renten von DDR-Flüchtlingen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das heißt, die Renten der Täter sind höher als die Renten der Opfer. Das muss doch von den Opfern, die damals aus welchen Gründen auch immer herüberkamen – es war die Zeit des Kalten Krieges – und als die großen Freiheitshelden gefeiert worden sind, als eine tiefe Demütigung empfunden werden. Sie müssen das tiefe Gefühl haben, dass der deutsche Rechtsstaat sie vergessen hat, dass er sie im Stich lässt und seine Versprechen nicht einlöst. Darum geht es. Deshalb glaube ich, dass wir gut beraten wären, das zu ändern. Herr Dr. Kolb, weil Sie hier anschließend sprechen, möchte ich darauf hinweisen: Es gibt eine Reihe von Dokumenten zur Position der FDP; ich kann hier Frau Dr. Babel, Herrn Cronenberg, die amtierende Justizministerin und viele andere mehr zitieren. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Herr Kollege!) Herr Kollege Schiewerling, ich glaube, es ist nicht zu spät; wir können das immer noch korrigieren. Es muss nicht Punkt für Punkt und Komma für Komma der Weg eingeschlagen werden, den wir Ihnen vorgeschlagen haben. Bei all der Kritik, die ich vom Kollegen Weiß gehört habe, ging es eigentlich – Herr Kollege Weiß, nehmen Sie es mir nicht übel! – um Kinkerlitzchen. Es ist wirklich keine bewegende Frage, ob man einen Stichtag im November 1989 oder im Mai 1990 wählt. Man kann darüber seriös reden, wenn man die Korrekturen im Grunde will. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie wirklich die Korrekturen wollen, dann kriegen wir das korrigiert. Sie müssen das nur wollen. Mein Eindruck ist eher, dass Sie Vorwände suchen, um das Thema möglichst aus dem Feuer zu holen. Es war schwierig genug – ich kann das hier einmal sagen –, überhaupt eine Plenardebatte zu dem Thema hinzubekommen. Sie hatten ein fundamentales Interesse daran, dass das Thema irgendwann in die Abendstunden verschoben wird, dass möglichst alles zu Protokoll gegeben wird und eben keine Debatte bei Tageslicht stattfindet. Das entspricht nicht der Bedeutung dieses Themas und den Erwartungen der Betroffenen. Herr Kollege Weiß, ich will noch eine Anmerkung machen. Sie haben in Ihrem Bericht einen zweiten Grund angegeben: Wenn wir hier eine Regelung träfen, könne dies ein Präzedenzfall sein; andere Gruppen könnten dann ihre Rentenansprüche korrigiert wissen wollen. – Von einem Präzedenzfall kann überhaupt keine Rede sein, weil es sich um eine völlig andere Rechtsstruktur handelt. Es geht hier um Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, denen ein Versprechen gemacht wurde. Bei allen anderen Gruppen ist das nicht so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist der Hinweis, dass da eventuell millionen- oder milliardenschwere Zusatzkosten entstehen, regelrecht an den Haaren herbeigezogen, lieber Kollege Weiß. Auch darüber kann man in Ruhe reden. Insofern meine ich: Wenn auf Ihrer Seite der politische Wille vorhanden wäre, hier wirklich zu einer vernünftigen Korrektur zu kommen, zugunsten von Menschen, die es wirklich verdient hätten, dann könnten Änderungen erfolgen; ich brauche nicht zu wiederholen, was ich gesagt habe. Aber es ist nichts anderes als Heuchelei, wenn Ihren Worten keine Taten folgen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deshalb fordern wir Sie auf: Bekennen Sie sich dazu! Sagen Sie zu, dass wir das in absehbarer Zeit korrigieren! Im Übrigen liegen dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages entsprechende Petitionen vor. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr – – Ottmar Schreiner (SPD): Wir können das Thema also, wenn die Debatte heute Abend beendet ist, im Rahmen der Behandlung der Petitionsbegehren weiter verfolgen und es, wenn Sie denn wollen, möglichst zeitnah zu einem vernünftigen Abschluss bringen. – Herr Präsident, es haben sich mehrere Kollegen zu einer Zwischenfrage gemeldet; sie sind jetzt ganz munter geworden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ja. Ich wollte zwischen Ihre Sätze kommen. Ottmar Schreiner (SPD): Ach so! Ich versuche, das in der knappen Zeit möglichst angemessen auszuführen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das war aber schwierig, weil Sie beim Reden aufs Atemholen verzichtet haben. – Jetzt möchte Ihnen der Kollege Weiß eine Frage stellen. Ottmar Schreiner (SPD): Herr Kollege Weiß, bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Schreiner, da Sie dem Parlament wesentlich länger angehören als ich, kennen Sie die Usancen des Parlaments. Die Behauptung, wir hätten diese Debatte in den Abend verschoben, fällt doch auf Sie selber zurück. Denn die Oppositionsfraktionen können selbstverständlich auch für die Kernzeiten, etwa für den Donnerstagmorgen, die von ihnen gewünschten Punkte anmelden. Die Frage ist: Warum hat die sozialdemokratische Fraktion dieses Thema nicht für einen früheren Tagesordnungspunkt angemeldet? Dann wäre das Thema ohne Widerspruch von uns zu einer früheren Uhrzeit diskutiert worden. Zweitens. Sie haben im Gegensatz zu mir, der ich erst 1998 ins Parlament gewählt wurde, an der entsprechenden Gesetzgebung mitgewirkt und sagen jetzt, dass hier ein Versprechen gebrochen worden sei. Dann frage ich Sie, Herr Kollege Schreiner: Warum haben Sie, um es mit Ihren Worten zu sagen, ein Versprechen gebrochen? Ottmar Schreiner (SPD): Das habe ich erklärt. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie haben an dieser Gesetzgebung mitgewirkt. Können Sie uns erklären, warum in den Zeiten, in denen Sozialdemokraten das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales geführt haben, keine Gesetzesinitiative seitens der Regierung mit dem Ziel einer Korrektur ergriffen wurde? (Anton Schaaf [SPD]: Dazu hat er doch auch etwas gesagt! Was soll der Quatsch?) Das würde uns wirklich interessieren. Ottmar Schreiner (SPD): Ich glaube, ich habe eben sehr ausdrücklich gesagt, dass bei diesen Fragen unabhängig von der jeweiligen politischen Führung des Ministeriums geblockt worden ist. (Beifall bei der SPD) Gleichzeitig habe ich aber gesagt: Es ist nicht zu spät. Die Betroffenen und ihre Verbände sind nach wie vor sehr rührig. Ich weiß, dass sie auch bei Ihnen häufig präsent sind, dass sie bei Ihrem Fraktionsvorsitzenden und Ihrem Arbeitsgruppensprecher präsent sind. Sie sind nach wie vor richtig dabei. Ich kann nachvollziehen, dass die Empörung aufgrund des dargestellten Sachverhalts riesengroß ist. Es geht ihnen in erster Linie wohl gar nicht um das Geld. Es geht ihnen um die Wiederherstellung von Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat. Das ist ihr Kernmotiv. Das können wir wieder heilen, das können wir reparieren, wenn wir denn wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich war damals übrigens bei der Verhandlungsgruppe zum Renten-Überleitungsgesetz dabei. Ich habe damals alle Höhen und Tiefen mit dem Kollegen Dreßler und der Kollegin Regine Hildebrandt miterlebt. Als Minderheit hatten wir häufig versucht, manches zu korrigieren. Das ist nur in sehr geringen Teilen gelungen; denn es hieß: Mehrheit ist Mehrheit. Zu der hier in Rede stehenden Frage gab es keine Plenardebatte; es gibt überhaupt keine Hinweise, in welcher Form diese Veränderung 1993 durch das Parlament gebracht worden ist. Ich habe eben darauf hingewiesen, dass die Interessenverbände unter anderem meine damalige Kollegin, Frau Dr. Gisela Babel – ich war Anfang der 90er-Jahre sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion –, angeschrieben haben. Man konnte von ihr halten, was man wollte, aber sie war eine sehr standfeste, prinzipientreue Frau, (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das stimmt!) allerdings leider Gottes bei der falschen Firma, nämlich bei der FDP. Aber es war eine Frau, auf die man sich verlassen konnte. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Pascal Kober [FDP]: Da war sie auch richtig!) Sie hat den Interessenverbänden in einem Schreiben an einen Bürger vom 18. April 2004 dargelegt: Es kommt also viel zusammen und ich kann gut verstehen, dass Sie auf Grund all dieser Vorkommnisse Zweifel an der Demokratie und am Rechtsstaat hegen. So Frau Dr. Babel. – Ich würde von den Kollegen der FDP heute solch ein Bekenntnis zur soliden Rechtsstaatlichkeit auch gerne hören. Sie schreibt auch: Das Renten-Überleitungsgesetz sollte Rechtseinheit … bringen. … Das Fremdrentengesetz beruhte auf dem politisch gewollten Grundsatz, dass den über den Eisernen Vorhang Geflohenen eine Alterssicherung gewährt werden sollte. Diese beiden Tatbestände hätten weiter nebeneinander bestehen bleiben können und müssen. Es hat nicht den geringsten Zwang gegeben, das zu vereinheitlichen. Was Sie in Ihrem Bericht geschrieben haben – ich habe es eben formuliert –, entspricht nicht im Geringsten dem Sachverhalt. Es geht nicht um Bürger der ehemaligen DDR, sondern es geht um Bürger, die jahrzehntelang in der Bundesrepublik Deutschland leben. Da kann man doch nicht einfach Äpfel mit Birnen vergleichen. Genau das machen Sie. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kernzeit!) – Was? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die Kernzeit war gefragt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schreiner, der Kollege Vaatz würde Ihnen gern auch noch eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu? Das ist die letzte, die ich jetzt zulasse, weil Sie am Ende Ihrer Redezeit sind. (Iris Gleicke [SPD]: Ich wollte gerade sagen! Sind Sie sich sicher, dass die Herren das heute noch verstehen? Macht nicht den Eindruck, und zwar egal, ob das Kernzeit ist oder Abenddebatte!) Ottmar Schreiner (SPD): Ich hoffe, Sie machen jetzt keinen Volkshochschulkurs. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Kollege Schreiner, ich habe eine Frage zum staatsrechtlichen Status, den Sie herausgearbeitet haben. Sie haben gesagt, dass die Flüchtlinge aus der DDR als Bürger der Bundesrepublik Deutschland einen anderen staatsrechtlichen Status gehabt hätten als die in der DDR verbliebenen Menschen, die 1990 im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung in die Bundesrepublik gekommen sind. (Anton Schaaf [SPD]: Rentenrechtlich ja! Rentenrechtlich war das so!) Sie sagen, die im Westen hätten unter der Fürsorge des Grundgesetzes gestanden. Ich frage Sie: Ist es nicht der Tatsache zu verdanken, dass der Begriff „alle Deutsche“ sich in etwa fünf oder sechs Artikeln der ersten 20 Artikel des Grundgesetzes findet, dass die damaligen DDR-Bürger genauso in die Fürsorgepflicht des Grundgesetzes gestellt worden sind, allerdings mit dem Unterschied, dass das Grundgesetz gehindert war, für diese DDR-Bürger zu wirken, solange sie in der DDR davon abgeschottet waren? (Iris Gleicke [SPD]: Warum haben wir ein Renten-Überleitungsgesetz 1992 gemacht? Das ist doch bescheuert hier! Meine Güte! Also echt! Wem der Herr ein Amt gegeben, dem gebe er auch Hirn! – Weiterer Zuruf von der SPD: Ich beiße gleich in die Tischkante! Das ist unsäglich!) Ottmar Schreiner (SPD): Herr Kollege Vaatz, ich will hier nicht den Eindruck entstehen lassen, als ob mit dieser Argumentation ehemalige DDR-Bürger diskriminiert werden würden. Das ist mitnichten der Fall. Der Unterschied ist ein ganz einfacher: In dem Augenblick, in dem die politischen Flüchtlinge den bundesdeutschen Boden betreten hatten, wurden sie eingegliedert; sie galten also ab sofort als Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland. Mit dieser neu erworbenen Staatsbürgerschaft (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie wurde nicht erworben! Das ist Quatsch!) wurde das eben zitierte Versprechen der deutschen Politik verbunden, Anwartschaften nach dem Fremdrentengesetz für Berechnungen zugrunde zu legen, das heißt, ihre Arbeitsbiografie in der DDR wird so gewertet, als ob sie in der Bundesrepublik Deutschland abgeleistet worden wäre. Über die Gründe für diese Regelung mag man sich streiten. Es ist jedenfalls die Regelung, auf die sich Hunderttausende von Betroffenen verlassen konnten und verlassen mussten. Das war bei der Einheit eine rechtlich völlig andere Situation. Der ehemaligen DDR-Bevölkerung ist überhaupt nichts versprochen worden, was Rentenanwartschaften anbelangt, (Iris Gleicke [SPD]: So ist es!) sondern es ging darum, ein Rentensystem aus dem Boden zu stampfen, das auch den Bürgerinnen und Bürgern der DDR gerecht werden konnte. Ich glaube, dass das nach monatelangen Gesprächen und Verhandlungen zwischen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der sozialdemokratischen Fraktion im Großen und Ganzen auch gelungen ist. Es ist eine Lösung gefunden worden, die in der Anfangsphase der deutschen Einheit befriedend wirken konnte. Aber die Rechtsgrundlagen waren völlig andere. Deshalb vergleicht der Kollege Weiß, der am Anfang seiner juristischen Bemühungen ist, hier leider Äpfel mit Birnen und kommt dann zu diesen Fehlorientierungen. Wenn Sie, Herr Kollege Vaatz, bereit wären, in der nächsten Zukunft den Gedanken des Kollegen Weiß und hoffentlich mehrerer anderer Ihrer Fraktion, hier alsbald zu einer vernünftigen Lösung zu kommen, mitzutragen, wäre viel gewonnen. Deshalb im Vorhinein: Herzlichen Dank und viel Glück bei der Mitarbeit bei diesem außerordentlich schwierigen und sensiblen Thema! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schreiner, auch wenn meine Redezeit begrenzt ist, kann ich das, was Sie heute hier an Schauspiel geboten haben, nicht unkommentiert lassen. (Anton Schaaf [SPD]: Ach, Herr Kolb! – Weitere Zurufe von der SPD) Herr Kollege Schaaf, wir sind nicht nur beim Thema Rente, sondern auch bei anderen sozialpolitischen Themen einiges von Ihnen gewohnt, was die Flexibilität und Wendigkeit anbelangt. (Ottmar Schreiner [SPD]: So ein Stuss!) Aber ich finde, jemand, der neun Sterne im Handbuch des Deutschen Bundestages hat, also diesem Haus neun Legislaturperioden angehört, (Iris Gleicke [SPD]: Als wir das Renten-Überleitungsgesetz gemacht haben, waren wir alle Mitglieder! Nebelkerzen!) und auch an entscheidender Stelle gewirkt hat in Phasen, in denen die Möglichkeit bestanden hätte, etwas zu tun, kann sich heute nicht hier hinstellen und so eine Rede halten, wie Sie es getan haben, Herr Kollege Schreiner. Das geht nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist aus meiner Sicht ein neues, für mich jetzt das erschütterndste Beispiel von Geschichtsvergessenheit, was Sie hier abgeliefert haben. Das kann ich nicht anders sagen. (Ottmar Schreiner [SPD]: Zur Sache! Die Redezeit aufs Thema verwenden, Herr Kolb! Sie wären selbst für eine Volksschauspielbühne nicht geeignet! Sie versuchen gerade, das Thema nicht zu berühren!) Alle Fakten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Sie hier vorgetragen haben, lagen in der Zeit von 1998 bis 2009 schon genauso vor. Sie müssen sich persönlich fragen – das müssen sich natürlich auch diejenigen, die in der Zeit Verantwortung hatten, fragen lassen –, warum Sie nicht gehandelt haben. (Ottmar Schreiner [SPD]: Sagen Sie mal etwas zum Thema! – Dagmar Ziegler [SPD]: Sie sollen zum Thema reden! – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Treten Sie mal in die Fußstapfen von Frau Babel!) – Dazu komme ich ja noch. – Das müssen Sie sich vorhalten lassen. (Zuruf von der SPD: Thema verfehlt!) – Wie Sie sich hier aufregen, zeigt ja nur, dass das genau der Stich ins Wespennest ist, Herr Schreiner. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie wollen hier jetzt opportunistisch vorgehen. Aber in Zeiten, in denen Sie hätten handeln können, haben Sie es nicht getan. Das werfe ich Ihnen vor. Es ist auch so, dass das nicht nur unter einem Minister so war. Manchmal kann es ja sein, dass da jemand in der Verantwortung ist, der sagt, er mache das nicht mit. Es ist in den elf Jahren Ihrer Regierungszeit nicht nur ein Minister am Wirken gewesen ist, sondern es hat fünfmal die Möglichkeit gegeben, einen Anlauf in dem Sinne zu unternehmen, wie es heute von Ihnen hier vorliegt, (Ottmar Schreiner [SPD]: Es ist nicht zu spät! Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Korrektur!) und zwar bei Clement, bei Müntefering, bei Riester, bei Scholz. (Ottmar Schreiner [SPD]: Gelaber, Gelaber, Gelaber! Unglaublich!) – Nein! – Bei allen hätte das geschehen können. Für die Grünen gilt das genauso. Die sind da ja nicht besser; Sie vielleicht schon. (Ottmar Schreiner [SPD]: Sie haben mit 3 Prozent noch 3 zu viel! – Beifall bei der SPD) – Nein, nein. – Also, die Grünen hätten in ihrer immerhin siebenjährigen gemeinsamen Regierungszeit – da können Sie sich nicht mit dem Koalitionspartner herausreden – auch Gelegenheit gehabt, hier etwas zu tun. Das wollte ich vorab einmal deutlich feststellen. Dann will ich Folgendes sagen: Das Thema, das wir heute diskutieren, ist sicherlich eines der schwierigsten und auch unbefriedigendsten. Das räume ich ein. Ich beschäftige mich seit etwa zehn Jahren mit dem Thema und muss sagen: Es gibt aus meiner Sicht keine Lösung, jedenfalls keine Lösung im Sinne dessen, was heute hier vorgeschlagen worden ist, um das Problem zu lösen; denn – das hat der Kollege Weiß, denke ich, zu Recht und auch klar herausgearbeitet – eine Stichtagsregelung führt am Ende zu neuen Ungerechtigkeiten. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Ohne Stichtage kommt das Sozialrecht nie aus!) Sie können möglicherweise denen helfen, die uns in den letzten Jahren sehr intensiv auf dieses Thema hingewiesen haben. Aber es ist unvermeidlich, dass Sie neue Fragen aufwerfen. (Anton Schaaf [SPD]: Welche denn genau?) Das würde dazu führen, dass der nach höchstrichterlichen Entscheidungen jetzt eingekehrte Rechtsfrieden, jedenfalls vor den Gerichten, wieder aufgebrochen würde und dass wir eine neue Klagewelle in diesem Bereich erleben würden. Das halte ich nicht für zielführend. (Anton Schaaf [SPD]: Was denn genau? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem denn? Warum denn?) Deswegen haben wir einen anderen Lösungsansatz verfolgt – Sie kennen ihn; wir haben ihn mit Anträgen hier im Deutschen Bundestag eingebracht –, nämlich den Lösungsansatz eines Nachversicherungsangebots, der unverändert im Raum steht und der die Nachteile Ihrer Lösung vermeidet. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Er ist unsolide!) – Nein, er ist nicht unsolide. Es ist ein Angebot an alle Versicherten. Es ist eine individuelle Entscheidung, ob man dieses Angebot annehmen will. Ich habe immer deutlich gemacht, dass sich dieses Angebot nicht nur an eine Gruppe der Betroffenen richtet, sondern auch an andere Gruppen, deren Situation natürlich nicht vergleichbar ist mit der Situation der DDR-Flüchtlinge und der Frühübersiedler. Dieses Angebot wollten wir allen unterbreiten. Wir haben in diesem Haus aber keine Mehrheit dafür gefunden. (Ottmar Schreiner [SPD]: Möglichst bei Herrn Maschmeyer in Hannover! – Anton Schaaf [SPD]: Mit Sicherheit nicht!) Wenn Sie sagen, dass es nicht zu spät ist, dann gebe ich Ihnen recht. Sie sind aufgefordert, auf den von uns vorgeschlagenen Weg einzuschwenken. Dieser Weg ist der einzige, der in rechtlicher Hinsicht befriedigend ist, weil er keine neue Prozesslawine in diesem schwierigen, verminten Gelände hervorrufen würde. (Ottmar Schreiner [SPD]: Vielleicht sollten Sie mal einen leichten Minenräumer einsetzen!) – Bitte? (Ottmar Schreiner [SPD]: Statt nach Hannover zu Herrn Maschmeyer zu gehen, sollten Sie einen Minenräumer einsetzen!) – Herr Kollege Schreiner, diese Art von Zwischenrufen zeigt nur, wie ernst Sie dieses Thema nehmen. Ich finde das, was Sie dazwischengerufen haben, peinlich. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Jedenfalls deutlich intelligenter als die Zwischenfragen, die Sie gestellt haben!) Das wird der Sache wirklich nicht gerecht. Der Herr Kollege Schaaf möchte, glaube ich, eine Zwischenfrage stellen. Will er, oder will er nicht? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Herr Kollege Schaaf würde gerne eine Zwischenfrage stellen, Herr Kolb. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Anton Schaaf (SPD): Ich danke Ihnen, Herr Kolb, und ich danke Ihnen, Herr Präsident, dass Sie diese Zwischenfrage noch zulassen. – Herr Kolb, ich würde Sie gerne fragen: Wann sagen Sie endlich etwas zum Thema? Langsam finde ich das, was Sie da gerade betreiben, wirklich nur noch peinlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie umschiffen das Thema. Wir haben hier eine Fallgruppe, die mit anderen sicherlich nicht vergleichbar ist. Diese Gruppe ist in sich aufgespalten, und zwar aufgrund eines nachträglich in das Rentenrecht eingefügten Stichtages. Den Betroffenen ist noch nicht einmal bekannt gegeben worden, dass aufgespalten wurde. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Genau so! Richtig!) So läuft das Spiel. Diese Gruppe ist nicht vergleichbar mit irgendeiner anderen Gruppe. Nun sagen Sie, dass die FDP den klugen Vorschlag gemacht hat, dass sich die Betroffenen nachversichern können. Was Sie da machen, ist Folgendes: Ein kollektives Versprechen der Bundesrepublik Deutschland an die Betroffenen wollen Sie individualisieren und privatisieren. Genau das wollen Sie machen. Wir Sozialdemokraten haben eine Idee entwickelt. Diesen Vorschlag – Einführung eines neuen Stichtages – muss man ja nicht unterstützen. Es hat auch ein wenig gedauert, bis wir diese Idee hatten. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das kann man wohl sagen. Anton Schaaf (SPD): Das können Sie Ottmar Schreiner, mir und der Sozialdemokratie in Gänze vorwerfen. Sie aber haben außer der Individualisierung überhaupt keine Idee zur Lösung dieses Problem. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Kollege Schaaf, ich habe unsere Position hier sehr wohl deutlich gemacht. Der Vorteil unserer Position ist: Es ist die gleiche, die wir hier schon seit Jahren vortragen. Wir sagen: Bei einem solchen Problem, bei dem man durch rückwirkende Rechtsänderung keine befriedigende Lösung herbeiführen kann – das gilt insbesondere angesichts verschiedener Rechtsstände im Bereich des Rentenrechtes –, ist es die beste Lösung, den Menschen dadurch gerecht zu werden, dass man ihnen Leistungen zukommen lässt. Wir schlagen vor, dass dies auf dem Wege der Nachversicherung geschieht. Ich habe schon in vergangenen Debatten die Nachversicherung als Lösung vorgeschlagen. Es ist ja nicht so, dass ich heute im Deutschen Bundestag zum ersten Mal die Nachversicherung vorschlage. Deshalb wundert es mich etwas, wenn Sie sagen, wir hätten damit hinterm Berg gehalten. Nein, wir haben immer gesagt: Wir wollen dieses Nachversicherungsangebot zu günstigen Bedingungen. Dabei muss auch ermittelt werden, zu welchen Bedingungen die Versicherung in der DDR damals möglich gewesen wäre. Das wäre – wir haben das berechnet – ein durchaus interessantes Angebot für die Versicherten gewesen. Man kann es nicht so machen, wie Sie es vorschlagen. Sehen Sie uns diese Feststellung nach. Man kann nicht rückwirkend teilweise Fremdrentenrecht zur Anwendung bringen. Das ist keine wirklich zielführende Lösung. Wir haben das immer gesagt, und wir sagen das auch weiterhin. Das ist der Unterschied zwischen SPD und FDP. Sie haben in diesem Hohen Haus in der Vergangenheit mit keinem Wort das vorgeschlagen, was Sie heute als das Nonplusultra präsentieren. Deswegen sind Sie unglaubwürdig. Das, was Sie hier tun, ist opportunistisch. Sie können nicht davon ausgehen, dass wir zu diesem opportunistischen Handeln die Hand reichen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat für die Fraktion Die Linke die Kollegin Martina Bunge. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns heute mit der Rente für die Menschen, die aus der DDR geflüchtet oder ausgereist waren oder von den Behörden abgeschoben worden waren, beschäftigen, weil sie zu einem komplizierten Problem geworden ist. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach Ihrer Auffassung hätten die in der DDR bleiben sollen!) Eigentlich war die Situation ziemlich übersichtlich. All diejenigen, die vor 1989 nach persönlichem Bruch mit dem System, nach Diskriminierungen, Schikanen und teilweise Gefängnisaufenthalten aus der DDR in die Bundesrepublik kamen, wurden mit offenen Armen empfangen. Weil diese Vorgänge hier anscheinend nicht in allen Reihen bekannt sind, möchte ich sie im Detail erläutern. Da die Verantwortlichen der Bundesrepublik nie die DDR-Staatsbürgerschaft anerkannt hatten, war die sofortige Ausstellung eines bundesdeutschen Personalausweises kein Problem. Auch das gelebte Leben wurde für die Rente so bewertet, als wäre die berufliche Tätigkeit in der Bundesrepublik absolviert worden. Die Anwartschaften wurden also nach dem sogenannten Fremdrentenrecht gespeichert. Diejenigen, die bis Mitte der 90er-Jahre in Rente gingen, erhielten ihre Rente auf dieser Basis. Von vielen Betroffenen und auch Abgeordneten unbemerkt – ich kann dies bestätigen; ich war damals Mitarbeiterin der PDS im Deutschen Bundestag – kam es 1993 zu einer klitzekleinen Gesetzesänderung – ein Halbsatz –, die dazu führte, dass das Renten-Überleitungsgesetz von 1991, das bekanntlich die DDR-Ansprüche der Alterssicherung überleitet, auch auf diejenigen übertragen wurde, die lange vor 1989 aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt waren. De facto heißt das, dass die Geflüchteten, Ausgereisten und Abgeschobenen wieder zu DDR-Bürgern gemacht wurden, (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein!) zumindest rentenrechtlich. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Auch nicht!) – Natürlich! – Das ist ein fragwürdiges Konstrukt. (Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist ja schrecklich, was Sie hier erzählen!) Unsere Auffassung ist: Rechtssituationen kann man nicht nach Zweck und nicht nach Anlass wechseln. Das ist Willkür. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Peinlich!) Diese Personen waren zum Zeitpunkt ihres Übertritts eindeutig Bundesbürgerinnen und Bundesbürger mit allen Konsequenzen; dies kann nicht nachträglich umgewandelt werden. Kollege Schiewerling, damals, nachdem diese Gesetzesänderung gemacht worden war, hat keiner der Betroffenen eine Information mit einem anderen Feststellungsbescheid erhalten. Das erleben sie heute peu à peu, wenn sie in Rente gehen. Aus Gesprächen weiß ich, dass sie sich wiederum verletzt fühlen. Sie fühlen sich ein weiteres Mal enttäuscht, und zwar von einem Staat, von dem sie das nicht erwartet hätten, dem sie vertraut hatten. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Von der DDR haben sie nichts Besseres erwartet! – Gegenruf des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das hat doch mit der Sache nichts zu tun! Immer das Gleiche! Das ist peinlich!) Deshalb unterstützen wir die Anträge der SPD und der Bündnisgrünen. Damit lösen wir auch ein Versprechen ein, das wir der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge e. V. bei einem Kontakt gegeben haben. Wir haben versprochen, nicht allein vorzupreschen. Das ist der Grund, weshalb die Linke in der Sache nichts gemacht hat. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben ein gemeinsames Agieren bevorzugt. Leider haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, uns bei der Antragstellung nicht gefragt, obwohl wir Ihnen dieses Begehr übermittelt hatten. Wir werden diesen Anträgen aber zustimmen. Es geht uns hier um die Betroffenen. Deshalb appelliere ich auch an die Damen und Herren der Regierungsfraktionen: Überdenken Sie Ihre ablehnende Haltung. Stehen Sie zu dem, was Sie immer wieder bekunden: Solidarität mit den Flüchtlingen aus der DDR. Das tun Sie bisher nur mit Worten und nicht mit Taten. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie das jetzt nicht tun, laufen Sie Gefahr, zum Heuchler zu werden. Ich denke, das sollte sich das Parlament nicht antun. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ottmar Schreiner [SPD]: Heuchler sind die leider schon!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Normalerweise guter Mann!) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich eine sehr sachliche Rede halten, die angemessen ist. Aber ich muss sagen: Das, was die Union hier abliefert, ist ein absolutes Trauerspiel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich fasse es kaum. Es geht nach dem Motto: Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe. – Sie zaubern permanent irgendwelche Gründe aus dem Hut, warum alle vorgeschlagenen Lösungen nicht gehen. Machen Sie endlich einmal etwas! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn Sie unsere Vorschläge kritisieren: Legen Sie doch selbst etwas vor! Die Menschen warten auf Lösungen und nicht auf irgendwelche Hirngespinste und wahnsinnigen Gründe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sieben Jahre hätte Rot-Grün Lösungen vorlegen können! Sie haben es aber nicht gemacht!) – Ich kann das wiederholen: SPD und Grüne haben in der damaligen Situation parallel gedacht. Das ist auch dieses Mal so. Eigentlich wollte auch ich meine Rede mit einem Hinweis auf den schönen Wegweiser, von dem schon die Rede war, beginnen. Auch ich lese Ihnen vor, was darin geschrieben steht – der Kollege Schreiner hat das schon getan –: Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR oder Berlin (Ost) werden in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten. Das war ein politisches Versprechen, das wir den Menschen, die in den Westen gekommen sind, damals gegeben haben. Dieses Versprechen ist später gebrochen worden, und es wird immer noch gebrochen. Es ist an der Zeit, das endlich zu ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass ausgerechnet die Menschen, die vor der DDR geflohen und in den Westen gekommen sind, durch die Wiedervereinigung benachteiligt werden. Das ist eine solche Ungeheuerlichkeit, dass mich wirklich erschreckt, dass die Union hier nichts unternehmen will. Weil die ganze Geschichte so unsäglich ist, haben wir ein ungewöhnliches Verfahren gewählt. Wir wollten ursprünglich zusammen mit der SPD einen Antrag einbringen. Die SPD war dann schneller. Wir standen vor der Entscheidung: Unterstützen wir diesen Antrag einfach nur, oder stellen wir einen wortgleichen Antrag, um zu unterstreichen, welche Bedeutung dieses Thema für die Betroffenen hat? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hoffentlich haben Sie auch eine Quelle angegeben!) Diesen Weg sind wir gegangen. Ich fand die Idee des Kollegen Schaaf, die Stichtagsregelung anzuwenden, sofort sehr gut und sehr nachvollziehbar. Wir haben das dann mit unseren Juristen abgeklärt; das hat ein bisschen gedauert. Auch sie haben gesagt: Das ist juristisch haltbar. – Wenn Sie anderer Meinung sind: Machen Sie es besser! Aber machen Sie irgendetwas! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Der Musterbrief von Herrn Schiewerling und Peter Weiß strotzt nur so vor juristischen Feinheiten, die für die Betroffenen völlig irrrelevant sind. (Otto Fricke [FDP]: Was? Der Rechtsstaat ist irrelevant? Interessant!) Darin stehen sehr schöne Sätze. Es heißt, dass man den Betroffenen irgendwie helfen will und dass man Verständnis für sie hat. Aber heute hat man gemerkt: Sie wollen den Menschen überhaupt nicht helfen. Sie haben nicht einmal ansatzweise dargestellt, was getan werden könnte. Ich muss sagen: Ich bin wirklich fassungslos und weiß kaum, was ich sagen soll. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ich bin fassungslos über das Verhalten von SPD und Grünen!) Schließen möchte ich, indem ich aus dem Schluss des Vorworts des erwähnten Wegweisers zitiere. Da heißt es: Verlieren Sie bitte nicht die Geduld, wenn hier und da einmal etwas nicht so reibungslos läuft, wie Sie erhofft hatten. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Manches Warten und manche Schwierigkeiten werden sich nicht vermeiden lassen. Aber machen Sie dennoch von Ihren Rechten Gebrauch. Das haben die Menschen getan. Sie können dabei stets auf die verständnisvolle und sachverständige Unterstützung der für Ihre Belange zuständigen Stellen rechnen. Für viele DDR-Flüchtlinge klingt das mittlerweile wie ein Hohn, genau wie das, was Sie auch heute wieder von sich gegeben haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Betroffenen warten schon viel zu lange. Der Vorschlag von SPD und Grünen liegt auf dem Tisch. Wenn Sie ihn nicht gut bzw. problematisch finden: Machen Sie es besser! Finden Sie nicht wieder irgendwelche Gründe, die gegen unseren Vorschlag sprechen! Ich bin davon überzeugt, dass auch der Kollege Lange gleich nur sagen wird, was an unserem Vorschlag nicht geht. Sagen Sie, was geht! Geben Sie den Leuten wenigstens ein Stück weit Hoffnung. Wir sind gerne bereit, konstruktive Verhandlungen zu führen. Wir haben unsere Anträge vor fast einem Jahr, im Frühjahr/Frühsommer 2011, eingebracht und Ihnen viel Zeit gegeben, in einen konstruktiven Dialog mit uns zu treten. Es ist nichts, aber auch gar nichts passiert. Auch in Ihrem Musterbrief wird nur argumentiert, warum unser Vorschlag nicht geht. Legen Sie endlich eigene Vorschläge vor! Tun Sie etwas! Sie sind an der Regierung. Wir machen im Sinne der Betroffenen gerne mit. Die haben es nämlich wirklich nötig. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange von der CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schreiner, zum Thema Sachlichkeit brauche ich bei Ihrem Vortrag heute nichts mehr zu sagen. Opportunistischer und heuchlerischer geht es nicht. Dazu kann man wirklich nichts mehr sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist heuchlerisch von Ihnen!) Ich habe in Kürschners Volkshandbuch erst einen Stern für die Dauer meiner Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag, Sie haben, wie wir gehört haben, neun Sterne, aber Sie haben die lange Zeit, für die Sie diese neun Sterne bekommen haben, nicht positiv nutzen können, um das umzusetzen, von dem Sie jetzt plötzlich glauben, dass es richtig ist. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie setzen überhaupt nichts um! Sie machen überhaupt nichts! Sie lassen die Leute im Regen stehen!) Wenn es nach Ihnen, dem treuen Vasallen von Lafontaine, gegangen wäre, dann hätten wir das Problem natürlich nicht; denn dann hätten wir nicht einmal die Wiedervereinigung. Hier müssen Sie die Kirche doch bitte einmal im Dorf lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig irrelevant!) Herr Schreiner, fangen Sie selber mit der Sachlichkeit an, bevor Sie darüber reden. (Iris Gleicke [SPD]: Sie waren mit Ihren Zwischenrufen und sind mit Ihrer Rede ein Fall für Fremdschämen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Peinlich, was Sie sagen!) Liebe Frau Kollegin Bunge, Sie haben in der DDR Marxismus-Leninismus studiert. (Anton Schaaf [SPD]: Zur Sache, Herr Lange!) Vor diesem Staat sind die Menschen in die faire Bundesrepublik Deutschland geflohen, und sie haben dort von der Gesellschaft, die sie aufgenommen hat, auch ein faires Rentenangebot bekommen. Nach Ihrem Willen wäre es so natürlich nicht gekommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich!) Herr Strengmann-Kuhn, wo waren denn Ihre Gesetzentwürfe in den sieben Jahren Rot-Grün? Herr Schreiner, bei Ihnen waren es elf Jahre. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie regieren jetzt doch!) Es ist völlig egal, zu welcher Tageszeit sie geführt wird: Diese Debatte ist opportunistisch. (Ottmar Schreiner [SPD]: Wo geht es denn jetzt lang? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn der Unsinn? Sagen Sie doch mal, was Sie jetzt wollen!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR wurden in der Bundesrepublik bis zur Maueröffnung nach dem Fremdrentengesetz bewertet und originären Bundesbürgern gleichgestellt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir schon, Herr Lange!) Im Rahmen des Renten-Überleitungsgesetzes kam es dann zu Neubewertungen. (Ottmar Schreiner [SPD]: Hallo! Zur Sache, Schätzchen! – Anton Schaaf [SPD]: Nein, das war erst 92, nicht 91! Da ist doch nur Ahnungslosigkeit unterwegs!) Diese Rentenminderungen werden ja zum Teil auch nicht bestritten. Ihr Argument des Vertrauensschutzes, den Wegweiser von 1989, den Sie vorlegen, gab es zum Antritt Ihrer Regierung im Jahre 1998 aber auch schon. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein politisches Versprechen!) Warum haben Sie das damals nicht gelesen und entsprechend gehandelt? Der Einstieg, den Sie hier gewählt haben, ist nicht überzeugend, sondern er ist unglaubwürdig und unfair. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch peinlich, was Sie hier machen! – Gegenruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist unehrlich, was Sie hier machen! Das ist so was von unehrlich!) Wir alle wissen: Die Schaffung eines Vertrauensschutzes im Rentenrecht ist ein äußerst schwieriges Problem. Jeder weiß, dass auf jedem Rentenbescheid, den man während der Beschäftigungsphase bekommt – so ist das auch bei meinem –, „Unter Vorbehalt“ steht. Keine Rentenauskunft ist endgültig und bestandskräftig. (Zuruf von der SPD: Langweilig!) – Ja, natürlich, „langweilig“. – Wir alle haben das bei der Umstellung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre erlebt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Blabla! Nur Luftblasen! Das ist doch völlig irrelevant! Was wollen Sie denn machen?) Auch dadurch gab es natürlich Änderungen hinsichtlich des Vertrauensschutzes. Die wesentlichen Punkte hat Ihnen der Kollege Weiß schon genannt. (Ottmar Schreiner [SPD]: Dann setzen wir uns jetzt mal!) Weder Herr Schreiner noch Herr Strengmann-Kuhn muss hier jetzt den Empörten spielen. Wo waren Ihre Vorschläge? (Ottmar Schreiner [SPD]: Alles ist schon gesagt, nur nicht von Herrn Lange!) Ja, wir hätten gerne eine optimale Regelung gefunden. Der Kollege Weiß hat das auch schon deutlich angesprochen. Wir haben mit vielen Interessenverbänden und Fachbehörden gesprochen. Die beste Lösung, eine echte, individuelle Rentengerechtigkeit, die wir alle gerne hätten, wird es – das werden wir uns eingestehen müssen – am Ende des Tages nirgends geben. Ich fasse zusammen: Insgesamt haben wir eine gute und faire Lösung gefunden. (Ottmar Schreiner [SPD]: Ich dachte, ihr seid am Suchen!) – Lieber Kollege Schreiner, das sage ich Ihnen hier noch einmal ganz deutlich: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine faire und ausgewogene Sozialgeschichte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ottmar Schreiner [SPD]: Der Ball war sehr flach gespielt! Das war ein richtiger Flachmann! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich, absolut peinlich!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/6390. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5516 mit dem Titel „DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/6108 mit dem Titel „DDR-Altübersiedler und – Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen – Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur gewährleisten – Drucksache 17/8450 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Klaus Barthel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschen Qualifikationsrahmen zum Erfolg führen – Gleichwertigkeit von Abitur und Berufsabschlüssen sicherstellen – Drucksachen 17/7957, 17/8352, 17/8490 – Berichterstattung: Abgeorndete Uwe Schummer Ulla Burchardt Willi Brase Heiner Kamp Agnes Alpers Kai Gehring Die Reden sollen zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Beiträge von Dr. Thomas Feist, CDU/CSU, Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD, Heiner Kamp, FDP, Agnes Alpers, Die Linke, Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, und dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Helge Braun für die Bundesregierung.5 Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8450 mit dem Titel „Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur gewährleisten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und der Grünen bei Enthaltung der Linken. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/8490. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7957 mit dem Titel „Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung der Linken und der Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8352 mit dem Titel „Deutschen Qualifikationsrahmen zum Erfolg führen – Gleichwertigkeit von Abitur und Berufsabschlüssen sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Linken und der Grünen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leitlinien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes KOM(2011) 650 endg.; Ratsdok. 15629/11 – Drucksachen 17/7918 Nr. A.18, 17/8484 – Berichterstattung: Abgeordneter Arnold Vaatz Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Vaatz, CDU/CSU, Lange, ebenfalls CDU/CSU, Burkert, SPD, Simmling, FDP, Behrens, Linke, und Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen.6 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/8484 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leitlinien der Union für den Ausbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Art. 23 Abs. 3 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt – Drucksachen 17/7937, 17/8482 – Berichterstattung: Abgeordneter Hans-Joachim Hacker Dieser Punkt soll debattiert werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hans-Werner Kammer von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Förderung des Wassertourismus in Deutschland ist eine Herzensangelegenheit der Union, die wir schon in der letzten Legislaturperiode in einem Antrag aufgegriffen haben. Mit dem vorliegenden Antrag werden wir neue Impulse für die Sportbootschifffahrt setzen und so dieses Vorhaben konsequent weiterentwickeln. Die Union hält hier den Kurs – mit Zustimmung vieler Menschen in Deutschland. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung dazu auf, zur Erreichung dieses Ziels einen ganzen Strauß von Maßnahmen umzusetzen. Aus der Fülle der Maßnahmen möchte ich nur die wichtigsten Punkte ansprechen. Zunächst möchten wir die Führerscheinprüfung nicht etwa vereinfachen, sondern systematisieren, entschlacken und entbürokratisieren. Ich weiß, dass die Opposition mit diesen Begriffen wenig anfangen kann. Deshalb werde ich sie genau erläutern. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist schon Inhalt der Anträge, die vorliegen aus der letzten Legislaturperiode! Nichts Neues!) – Vielleicht höre ich dann von Ihnen etwas Neues, Herr Hacker. Darauf bin ich gespannt. Bisher haben wir von Ihnen in der Vergangenheit sehr wenig an konstruktiver Zusammenarbeit erlebt. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das habe ich anders wahrgenommen, Herr Kollege!) – Ja gut, darin sind wir unterschiedlicher Auffassung. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wir waren uns doch einig!) Wir wollen die unterschiedlichen Verordnungen zum Führerscheinwesen so weit wie möglich zusammenfassen. Die Wassersportführerscheine werden in Zukunft modular aufgebaut. Dies soll auch für die Sonderprüfung gelten. Wir wollen, dass die Wassersportler nur lernen müssen, was sie tatsächlich brauchen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das wollen wir auch! – Willi Brase [SPD]: 10 PS oder bis zu 15 PS soll man ohne Führerschein fahren können? Das kann doch nicht wahr sein! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sicherheitsrisiko!) Wir wollen aber auch, dass die Wassersportler das, was sie brauchen, tatsächlich lernen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Längst beschlossen, lieber Herr Kammer! Alles beschlossen!) – Sparen Sie sich doch die Kraft für Ihre Rede! – Deshalb muss in der Ausbildung stärker als bisher auch auf relevante praktische Grundfähigkeiten abgestellt werden. Die beste Theorie nützt nichts, wenn es in der Praxis nicht klappt. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Richtig!) Das ist ein Musterbeispiel für Ihre sozialdemokratische Wirtschaftspolitik, die nie geklappt hat, die nur theoretisch war. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht um Freizeitpolitik! Es geht nicht um Wirtschaftspolitik!) Die Sicherheit auf dem Wasser ist ein zentrales Anliegen dieser Koalition. Diesem großen Ziel muss die Qualität der Ausbildung in der Wirklichkeit gerecht werden. Deshalb wollen wir die Verbände und Vereine dabei unterstützen, (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Die lehnen das ab!) bis Ende 2016 ein einheitliches Qualitätssiegel zu schaffen, das Mindeststandards in der Ausbildung garantiert. Sollten die Verbände und Vereine dieses Ziel wider Erwarten nicht erreichen, wird die Bundesregierung die Initiative ergreifen und allgemeine Mindeststandards für die Ausbildung sicherstellen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ohne Führerschein! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie können für die Bundesregierung hier gar nicht sprechen!) Ich habe diese beiden Punkte ausführlich dargestellt, damit auch den größten Bedenkenträgern und den hartnäckigsten Liberalisierungsfeinden klar wird, dass diese Koalition weder sich noch andere gefährden wird. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wir sind gegen wilden Liberalismus!) Wir gewährleisten nicht nur die innere und äußere Sicherheit, sondern auch die auf dem Wasser. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welcher Welt leben Sie? – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Was sagt die Wasserschutzpolizei Brandenburg?) – Ihre Zwischenrufe werden länger als Ihre Rede nachher. Wir wollen die Attraktivität der Sportbootschifffahrt erhöhen und den hart arbeitenden Menschen in diesem Land den Zugang zu dieser besonders schönen Art, seine Freizeit zu genießen, erleichtern. Deshalb fordern wir die Bundesregierung dazu auf, die Führerscheinpflicht erst ab 15 PS beginnen zu lassen. Wir wollen Hausboote mit Charterscheinen auf mehr, aber nur auf dazu geeigneten Gewässern erlauben. Wir gängeln nicht; wir befreien und geben der Tourismuspolitik eine Chance. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Entscheidung zum Führerschein mit großer Sorgfalt getroffen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Sorgfalt“?) In der Vorbereitungsphase haben wir geprüft, ob nicht eine Kombination von maximaler Bootslänge und maximaler Geschwindigkeit zweckmäßiger wäre. Diese Lösung hätte man aber nur mit einem sehr komplexen und damit sehr bürokratischen Verfahren umsetzen können. So, wie es jetzt geregelt ist, ist es einfach und klar. Das ist Koalitionspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch gar nicht Rosenmontag!) In der Diskussion über den Antrag wurde von interessierten Kreisen ein Weltuntergangsszenario entwickelt. Das zeigt nur: Die Koalition hat in dem Dschungel der Bevormundung und der Regulierung wieder einmal eine Bresche für die Freiheit geschlagen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Martin Burkert [SPD]: Ach du lieber Gott!) eine Freiheit, die für viele Menschen in der Europäischen Union schon längst eine Selbstverständlichkeit ist. Genauso wie in den anderen europäischen Ländern wird der Verkehr auf Deutschlands Gewässern weiterhin in geordneten Bahnen verlaufen. Ich vergleiche das einmal mit dem Straßenverkehr: Wer als Fußgänger oder Fahrradfahrer – das heißt ohne Führerscheinprüfung – am Straßenverkehr teilnehmen will, muss selbstverständlich die Verkehrsregeln kennen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Unpassender Vergleich!) Fahrradfahrer und Fußgänger machen sich daher selbstverständlich mit ihnen vertraut. Dies wird auch bei den Sportbootfahrern der Fall sein. Die Menschen, meine Damen und Herren von der Opposition, haben mehr Verantwortungsgefühl, als Sie ihnen zutrauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es besteht auch kein Anlass, wegen einer möglichen Gefährdung der Umwelt Krokodilstränen zu vergießen. Bei den Fragen für die bisherige Führerscheinprüfung gibt es in der Tat auch solche, die den Umweltschutz und die Befahrensregelungen für Naturschutzgebiete und Nationalparks betreffen. Wer allerdings nun annimmt, dass diese Kapitäne dann auch Umweltexperten sind, ist gewaltig auf dem Holzweg. Es handelt sich dabei um insgesamt acht Fragen von beeindruckender Schlichtheit. Wer weiß, dass man Altöl nicht in Gewässer kippt, beherrscht bereits ein Achtel des Stoffes. Das ist keine gewaltige Leistung. Gesunder Menschenverstand hilft hier weiter. Aus der Anhörung habe ich mitgenommen, dass in Zukunft durchaus erwogen werden könnte, die technische Sicherheit von motorgetriebenen Wasserfahrzeugen durch Sachverständige regelmäßig bescheinigen zu lassen. Wir werden über diesen Punkt im Rahmen der nächsten Weiterentwicklungsoffensive zugunsten des Wassersports ausführlich diskutieren. Dies wird im Rahmen der in drei Jahren anstehenden Evaluierung der von der Bundesregierung getroffenen Regelungen geschehen. Damit Sie von der Opposition beruhigt sind: Das wird dann von dieser Koalition evaluiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Hellseherei!) Sie sehen, diese Koalition ist nicht nur auf dem richtigen Dampfer, sondern auch schnell wie ein Sportboot. Deshalb bitte ich um Annahme unseres Antrags. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Hacker von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hans-Joachim Hacker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kammer, ich hatte eben den Eindruck, dass wir hier beim Karneval in Köln am Rosenmontag sind. (Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der FDP: Dass Sie nicht aus Köln kommen, merkt man!) Worum geht es hier eigentlich? Das von Ihnen aufgezeigte Szenario sieht in Wirklichkeit völlig anders aus. Das, was in Ihrem Antrag steht, ist zum Teil Gegenstand zweier Anträge aus der letzten Legislaturperiode. Da sind wir in den Punkten völlig einig. (Patrick Döring [FDP]: Dann stimmen Sie doch zu!) Das, was in Ihrem aktuellen Antrag steht, ist zum Teil überholt, weil die Neuregelung der Führerscheinprüfung im Mai dieses Jahres in Kraft tritt. (Sören Bartol [SPD]: Ganz genau!) Dann wird auch Ihre Forderung nach mehr Praxis – die ich unterstütze – umgesetzt. (Patrick Döring [FDP]: Umso besser, dass wir das hier verstärken!) Es geht nicht um die Frage, ob wir den Wassertourismus befördern sollen. Wir alle wissen, dass Wassertourismus ein ganz tolles Potenzial hat. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Stimmen Sie zu! – Patrick Döring [FDP]: Die Sozialdemokraten verweigern sich nicht dem Fortschritt! Sehr gut!) Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, einem Bundesland, das ebenso wie Brandenburg – zumindest touristisch gesehen – zu den großen Gewinnern der letzten Eiszeit zählt: Es gibt dort tolle Seen und Kanäle. Das gilt mittlerweile auch für die Lausitz. Wir haben in den letzten Monaten im Verkehrsausschuss und insbesondere im Tourismusausschuss vereinbart, die Punkte, die auf der Tagesordnung stehen, gemeinsam abzuarbeiten. Wir haben gesagt: Die Bundesregierung muss endlich Vorlagen liefern. Dann werden wir das auf der Grundlage der beiden Anträge aus der letzten Legislaturperiode bewerten. Dann kommen Sie kurz vor Weihnachten und bringen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Vorschläge ein, die wir in der letzten Legislaturperiode nicht aufgegriffen haben. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sie waren schon immer dagegen!) Damit bin ich beim Punkt. Es geht um die Führerscheinfreiheit und die Erhöhung der Grenze von 5 auf 15 PS. (Patrick Döring [FDP]: Dass Sie die Partei der Langsamkeit sind, wissen wir schon lange!) Sie erwecken den Eindruck, als ob eine solche Erhöhung einen Schub für den Wassersport und den Wassertourismus bringen würde. Das ist eine Annahme, die überhaupt nicht belegt ist. Ich verweise auf die Anhörung, die wir am 18. Januar im Deutschen Bundestag durchgeführt haben. Diese Anhörung hat eindeutig belegt, dass die Mehrheit der Sachverständigen der Ansicht war, dass die Punkte, die wir von Anfang an benannt haben – die Führerscheinpflicht erst für Boote mit einer Mindeststärke von 15 PS vorzusehen und die Ausdehnung der Charterscheinregelung, die nach unserer Meinung zu weit geht –, kritisch zu sehen sind. Im Übrigen hat die Bundesregierung selber bestimmte Vorschläge aus Ihrem Antrag gar nicht unterstützt. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Plastikkarte, die als Führerschein dienen sollte. Das ist von der Bundesregierung verworfen worden. (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Das ist eine untergeordnete Frage!) – Ja, das ist eine untergeordnete Frage. – Die Anhörung war für 10 Uhr am 18. Januar angesetzt. Wir haben mit etwas Verzug begonnen. Bereits um 10.07 Uhr haben Sie, Herr Staffeldt, das Ergebnis der Anhörung auf Ihrer Homepage verkündet. (Torsten Staffeldt [FDP]: Das ist ein Zeichen von Fortschritt in der Politik!) Sie haben der staunenden Öffentlichkeit mitgeteilt, dass die Mehrheit der Sachverständigen Ihren Vorschlägen zugestimmt hat. (Patrick Döring [FDP]: Er hat vorher alle schriftlichen Stellungnahmen gelesen!) Das ist eine Frechheit und eine Negierung unseres parlamentarischen Verfahrens. (Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Lächerlich!) Ich frage mich: Wozu führen wir hier im Deutschen Bundestag Anhörungen durch, (Patrick Döring [FDP]: Das frage ich mich auch manchmal!) wenn die FDP zu Beginn der Anhörung bereits das Ergebnis vorwegnimmt? (Patrick Döring [FDP]: Er hat die schriftlichen Stellungnahmen gehabt!) – Gerade die schriftlichen Stellungnahmen belegen, dass Ihre Vorschläge zu diesen beiden Punkten nicht unterstützt werden. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Patrick Döring [FDP]: Das ist eine gewagte Interpretation!) Herr Staffeldt, Sie sagen, die Mehrheit der Sachverständigen habe Sie unterstützt. Dazu sage ich: Sie von der FDP glauben an Hellseherei. (Patrick Döring [FDP]: Das ist blanker Lobbyismus, den Sie betreiben!) Das sind die beiden Gründe, warum wir diesen Antrag nicht mittragen können. Wir haben in der vorigen Woche hier in diesem Haus eine Diskussion über Verkehrssicherheit geführt. Für mich erstreckt sich Verkehrssicherheit auch auf das sichere Befahren von Gewässern; sie umfasst den Rhein und die Mosel, die Müritz und andere Gewässer. Sie geben freie Fahrt auch für den Rhein und für die Mosel, ohne eine Altersbegrenzung einzuführen, ohne eine Haftpflichtversicherung vorzuschreiben, und Sie wollen die Führerscheinpflicht erst ab 15 PS. (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Da unterscheiden wir uns von Ihnen! Wir trauen den Menschen!) Ich rate Ihnen: Lesen Sie noch einmal die Stellungnahme der Wasserschutzpolizei Brandenburg durch. Die Wasserschutzpolizei Brandenburg hat sich mit anderen Wasserschutzpolizeien abgestimmt. Die Kritik trifft doch ins Mark, Herr Staffeldt. (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Die ist für die Erhöhung! Waren Sie nicht dabei?) – Aber doch nicht auf 15 PS! Das hat die Wasserschutzpolizei nicht unterstützt. Die Wasserschutzpolizei hat gesagt: Wenn erhöht wird, dann nur unter veränderten Rahmenbedingungen. (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Wir sind doch keine Teppichhändler!) Das bedeutet: Versicherungspflicht und Altersbegrenzung. Alles das machen Sie nicht. (Patrick Döring [FDP]: Diese Debatten sind vor 200 Jahren bei der Einführung des Automobils auch geführt worden!) Ich sage Ihnen: Sie sind, was die Verkehrs- und Tourismuspolitik betrifft, ein Risikofaktor für die Gesellschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Torsten Staffeldt von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Torsten Staffeldt (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war wieder einmal ganz großes Kino vom Kollege Hacker. (Zuruf von der FDP: Das war ein Drama! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Auf zur Verdrängungsphase!) Man kann sich fragen, ob er unter Bewusstseinstrübung leidet oder nicht. Wir alle waren in dieser Anhörung. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie wussten um 10.07 Uhr schon das Ergebnis!) Wenn Sie wie auch der Kollege Behrens behaupten, dass die Mehrheit der Experten dafür gewesen sei, dass alles so bleibt, wie es ist, dann unterliegen Sie einem riesengroßen Irrtum. Derjenige, den Sie, Herr Hacker, immer wieder als Kronzeugen benennen, Herr Werner von der Wasserschutzpolizei in Brandenburg, hat ganz klipp und klar gesagt, dass auch die Wasserschutzpolizei dafür sei, dass die PS-Grenze für die Führerscheinpflicht hochgesetzt werde. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Unter Rahmenbedingungen! Sie lesen die Vorlagen nicht!) So ist das. War ich in derselben Veranstaltung wie Sie? Ich habe mir die Stellungnahmen durchgelesen. Wir können das Thema noch einmal behandeln: Von den sechs anwesenden Experten waren drei ganz klar verortet: der Experte vom BUND – von dem war nichts anderes zu erwarten; Entschuldigung, Frau Dr. Wilms, aber es war nicht unbedingt zu erwarten, dass der BUND für Motorbootschifffahrt ist –, Herr Roeder vom Deutschen Olympischen Sportbund und Herr Süß vom Deutschen Segler-Verband. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die waren auch eindeutig gegen Ihr Vorhaben!) Die letzten beiden sind anerkannte Verbandsfunktionäre, die ein sehr großes Interesse daran haben, dass ihre bisherige Beleihung in der Form erhalten bleibt. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist ein billiger Vorwurf! Es geht um die Frage der Sicherheit!) Alle anderen waren dafür, dass wir die Änderungen in der Form durchführen, wie wir das jetzt auch tun werden. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das können Sie doch gar nicht! Das macht doch die Regierung!) Aus diesem Grund, Herr Hacker, ist es völlig klar, dass die diesbezüglichen Pressemitteilungen zeitnah zur Anhörung herausgingen. Insofern habe ich überhaupt kein Problem damit. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Zu Beginn der Anhörung haben Sie es vorweggenommen!) Aber dies nur als kleine Replik auf das, was wir im Laufe des Abends schon hören durften. Generell kann man feststellen, dass in diesem Fall die vereinigte Opposition alle Mittel und Wege versucht, um uns anzugreifen. Darüber kann ich mich, wie gesagt, nur wundern. Das habe ich schon mehrfach geäußert. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht um Sicherheit!) Im Grunde genommen wissen Sie ganz genau, dass das, was wir machen und was eben schon der Kollege Kammer, der große Freiheitskämpfer von der CDU, dargestellt hat, der richtige Weg ist, dass wir die Ziele verfolgen wollen, die Sie in den früheren Legislaturperioden, in denen Sie den Verkehrsminister gestellt haben, nie erreicht haben. Was nützen uns die wunderschönen Anträge, die Sie damals gestellt haben? Nichts davon haben Sie erreicht. (Patrick Döring [FDP]: So ist es! Nichts habt ihr auf die Reihe gebracht! Ihr rudert noch in der Pfütze rum!) Wir werden das jetzt umsetzen, Herr Hacker, wozu Sie nur Lippenbekenntnisse abgegeben haben. In einem ersten Schritt werden wir dafür sorgen, dass mehr Menschen aufs Wasser kommen, und zwar ohne Regulierungen, die überflüssig oder übertrieben sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist genau der Punkt: Überflüssige Regulierungen, die ausschließlich dazu dienen, beliehenen Verbänden Prüfungsgebühren zukommen zu lassen, sind nicht unsere Art von Politik, sondern das ist offensichtlich eine Form von Klientelpolitik, die Sie hier gerne betreiben wollen. (Patrick Döring [FDP], an die SPD gewandt: Sie betreiben Lobbyismus! – Gegenruf des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht um Sicherheit, Herr Döring!) Sie betreiben den Lobbyismus und die Klientelpolitik, die Sie uns an der einen oder anderen Stelle immer wieder gern vorwerfen. Es ist ja ganz nett, sich am späten Abend ein wenig zu beharken. (Patrick Döring [FDP]: Am frühen Abend! – Zuruf von der SPD: So spät ist es noch nicht!) – Oder am frühen Abend; je nachdem. – Aber ich möchte jetzt zum Fachlichen kommen. Wir haben die Anhörung durchgeführt, bei der auch Herr Werner von der Wasserschutzpolizei Brandenburg anwesend war. Dieser hat gesagt, es sei keine signifikante Zunahme der Zahl der Unfälle zu verzeichnen. Das heißt, auch im Charterscheingebiet, in dem Leute mit einer kurzen Einweisung große Boote fahren dürfen, hat es keine signifikante Zunahme der Zahl der Unfälle gegeben. Das heißt, alle Schreckens- und Horrorszenarien, die Sie hier an die Wand malen, sind wirklich für die Katz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Noch einmal – ich habe es letzten Mittwoch schon gesagt –: Die Unfälle, die geschehen, werden nicht nur von Menschen verursacht, die keinen Führerschein haben, sondern auch von Menschen, die einen Führerschein haben. Insofern wird eine Erhöhung von 5 auf 15 PS, wie wir sie vorhaben, die Zahl der Unfälle auch nicht erhöhen. (Beifall bei der FDP: So ist es!) Wir wollen mehr Verkehr auf dem Wasser, wir wollen, dass die demografische Entwicklung, die gerade in diesem Sport- und Tourismussegment erkennbar ist – das Durchschnittsalter der Wassersporttreibenden liegt im Moment bei 56 Jahren –, dadurch zumindest teilweise aufgehalten wird, dass die Menschen ohne große Regulierung aufs Wasser gehen können. Sie sollten nicht erst einen Kurs machen müssen, Geld bezahlen müssen und während des Kurses so wichtige Dinge lernen müssen wie die Beantwortung der Frage, wer für die Ausstellung von Funkzeugnissen in Deutschland zuständig ist. – Das sind nämlich die Regulierungsbehörden. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können das Ruderboot nehmen! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch alles erledigt! Alte Hüte! Alte Kamellen!) Letztes Jahr habe ich den Sportbootführerschein „binnen“ gemacht; das nur nebenbei. Wir begrüßen es, dass das Bundesverkehrsministerium das Prüfungsverfahren im Mai dieses Jahres auf Multiple Choice umstellen wird, dass dieses Prüfungsverfahren entschlackt wird. Das ist sehr gut. Aber wir haben eben darüber hinausgehende Vorstellungen, was die Führerscheine angeht, was beispielsweise auch die Anerkennung anderer bereits erworbener Qualifikationen angeht – wie gesagt, alles mit der Zielsetzung, dass mehr Menschen aufs Wasser kommen. Denn es ist einfach toll auf dem Wasser. Herr Hacker, ich weiß nicht, ob Sie schon einmal dort waren. Außer auf der Toilette waren Sie vielleicht noch nicht auf dem Wasser. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ich war immer auf dem Klarwasser und nicht auf dem Brackwasser!) Wir sind fest davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Weil wir aber auch die Bedenken der Verbände ernst nehmen, ist in unserem Antrag eine Prüfklausel enthalten. Wir werden also nach drei Jahren schauen, wie sich das Ganze entwickelt hat. Ich gehe fest davon aus, dass es sich positiv entwickeln wird. Aus diesem Grunde denke ich, dies ist nur der Einstieg in eine Vereinfachung. Herr Kollege Kammer hat das eben schon sehr schön – vielleicht ein wenig polemischer, als ich es kann – auf den Punkt gebracht. Aber zum Schluss – meine Redezeit ist gleich abgelaufen – auch ein Spruch von mir: Wer glaubt, dass er mehr Menschen für den Wassersport begeistern kann, indem er viele Prüfungen vorsieht und Hürden aufbaut, (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es geht ja gar nicht um die Prüfung!) der glaubt auch, dass das Verhalten der Opposition, das wir hier im Laufe der letzten Wochen und Monate erleben konnten, ernst gemeint ist. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es zu dieser Zeit schwer ist: Stellen Sie sich bitte vor, dass auf Sie im Sommer beim Schwimmen in einem See ein Motorboot zugefahren kommt. Man muss doch annehmen können, dass derjenige, der mit einem solchen Boot unterwegs ist, in der Lage ist, zu begreifen, wie er sich verhalten muss. Der Normalfall ist, dass jemand, der einen Führerschein besitzt, zumindest in der Führerscheinprüfung mit einer entsprechenden Frage konfrontiert worden ist, dass er also weiß, wie er sich in einer kritischen Situation verhalten muss. Das kann man erwarten. Einen Führerschein braucht man allein schon deswegen, weil man sich zumindest einmal mit Fragen dieser Art auseinandergesetzt haben muss. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Die Menschen schützen sich doch selbst! Die Menschen wollen doch gar nicht, dass sie einen Unfall haben!) CDU/CSU und FDP wollen nun erlauben, dass Menschen ab 16 Jahre Motorboote mit bis zu 15 PS ohne Führerschein fahren dürfen. Bisher liegt die Grenze bei 5 PS. Kommt der Vorschlag der Regierungskoalition durch, könnte sich der überwiegende Teil der Wassersportfreunde ins Boot setzen und einfach losfahren. Sie haben möglicherweise nie etwas von Vorfahrtsregeln oder von Verkehrszeichen gehört und brausen dann möglicherweise mit bis zu 40 Stundenkilometern über einen See oder einen Fluss. Auf dem Wasser ist das gefährlich schnell; das wissen Sie selber. Die Wasserschutzpolizei, die in der zitierten Anhörung ebenfalls anwesend war, ist aus personellen Gründen nicht in der Lage – auch das wurde erwähnt –, zu kontrollieren, ob Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten werden. Wir wissen: Blitzer auf dem Wasser gibt es nicht. So können die Motorbootfahrer zu einer Gefahr werden, und zwar nicht nur für andere, sondern auch für sich, zum Beispiel wenn sie mit Ruderern und Kanuten zusammentreffen (Patrick Döring [FDP]: Die haben doch auch keine Ausbildung!) oder wenn sie darauf achten müssen, wie sie mit im Uferbereich schwimmenden Kindern umgehen. Das ist nicht zu verantworten. Darum geht das, was Sie hier vorhaben, überhaupt nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir den Naturschutz ernst nehmen, Flora und Fauna schützen wollen – viele Wassersportler möchten das –, dann müssen wir verlangen, dass jede Fahrerin und jeder Fahrer eines Sportboots den Umgang mit dem Fahrzeug gelernt hat und ihn beherrscht. Genau das haben wir uns letzte Woche in der Anhörung, die hier schon erwähnt worden ist, von vielen Experten erklären lassen. (Patrick Döring [FDP]: Nicht in der Anhörung, in der wir waren!) – Wir waren in der gleichen Anhörung. Wenn Sie die Ausführungen dort genau verfolgt haben, dann haben Sie festgestellt, dass insbesondere die geplante Führerscheinfreiheit bei Booten bis 15 PS kritisiert worden ist. (Torsten Staffeldt [FDP]: Das nennt man selektive Wahrnehmung! – Patrick Döring [FDP]: Was hat denn der Führerschein mit ökologischer Sensibilität zu tun?) Es wurde gesagt: Es wird brandgefährlich, wenn sich künftig so viele Menschen mehr, ohne dass sie vorher geprüft worden sind, ins Boot setzen können und mit bis zu 40 Stundenkilometern über die Gewässer brettern können. Wir haben sogar vom Motoryachtverband gehört: Das schadet dem Ansehen des motorisierten Wassersports. (Patrick Döring [FDP]: Da sind Sie auch Lobbyist!) Das ist heute noch auf der Homepage dieses Verbandes zu lesen. Wir nehmen diesen Rat ernst. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Ihren Vorschlag damit rechtfertigen, dass die Regelungen in Deutschland im Vergleich zu denen in anderen europäischen Staaten besonders restriktiv sind; aber das stimmt nicht. Etwa in Holland (Patrick Döring [FDP]: Niederlande!) besteht Führerscheinpflicht, wenn man ein Boot steuert, das schneller als 20 Stundenkilometer fahren kann. Im Vergleich dazu liegen wir im Mittelfeld. In Spanien müssen alle, die ein Motorboot fahren wollen, den Führerschein besitzen. (Patrick Döring [FDP]: Sie haben auf Mallorca auch noch nie ein Boot gemietet, oder?) Ich bin überzeugt davon: Es ist ein Trugschluss, wenn Sie glauben, dass Regionen für Touristen attraktiver werden, wenn Bootsverleiher an jede und jeden ihre Jachten verleihen können, ohne dass sie eine entsprechende Ausbildung vorweisen können. Über einige Ihrer Vorschläge im Antrag können wir reden; das haben wir schon angedeutet. Es ist sinnvoll, die Zahl der Fragen im Prüfungsbogen zu reduzieren und Berufsabschlüsse aus der gewerblichen Binnen- und Seeschifffahrt anzuerkennen. Aber an dem Kern, nämlich Motorbootfahrer nur mit einer guten Ausbildung aufs Wasser zu lassen, müssen wir festhalten. Bevor Sie mit dieser Regelung Schiffbruch erleiden, sollten Sie, wenn schon nicht auf uns, auf die Expertenmeinungen hören und diesen abenteuerlichen und waghalsigen Vorschlag versenken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Werner Kammer [CDU/ CSU]: Gott sei Dank, dass wir nicht auf Sie hören mussten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Revue passieren lasse, was wir in der Anhörung erlebt haben, und das damit vergleiche, wie wir in diese Debatte eingestiegen sind und was wir hier behandeln, dann finde ich das erstaunlich. Ich bekomme das nicht zusammen. Das gilt auch für Ihren Antrag. Ich vermute, dass Sie heute nur einen Testballon starten. Der Koalition sind dabei die Testergebnisse gar nicht so wichtig – Hauptsache, Sie bekommen ihn erst einmal in die Luft. (Otto Fricke [FDP]: Auf das Wasser!) Sonst bekommen Sie von der FDP nicht mehr viel in die Luft. Ich bin gespannt, was daraus wird. Vor allem warte ich mit Spannung darauf, was Ihr Verkehrsministerium daraus machen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Das ist das Verkehrsministerium des deutschen Volkes!) Wir haben schon lange Beschlüsse des Deutschen Bundestages, die den Wassertourismus für alle – nicht nur für Motorbootfahrer – attraktiver machen sollen. Die stammen noch aus der letzten Wahlperiode. Herr Hacker, Sie haben das persönlich miterlebt. Herr Liebing, Sie wissen auch, dass es entsprechende Beschlüsse aus der 16. Wahlperiode gibt, die dann schön weggelegt wurden. Ich bin immer wieder erstaunt, was alles noch nicht umgesetzt worden ist. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis es jetzt endlich zu einer Reform des Führerscheinrechts gekommen ist. Jetzt, da es die neuen Regeln gibt, kommen Sie auf einmal wie Kai aus der Kiste mit neuen Ideen, die sich im Wesentlichen auf eine Befreiung von der Führerscheinpflicht beschränken. Dazu kann ich nur sagen: Tolle Zusammenarbeit mit Ihrem Ministerium! Erstaunlich! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Noch erstaunter war ich über Ihr Vorgehen in der Sache selbst. Kurz vor Weihnachten brachten Sie ohne jegliche Debatte einen solchen Antrag hier im Plenum ein. (Patrick Döring [FDP]: Advent, Advent, ein Lichtlein brennt!) – Aber bei Ihnen brennen nicht mehr viele Lichter, Herr Döring. Das ist das Problem. Sie wollten das Ganze dann im Eilverfahren durch die Ausschüsse jagen. Da haben wir aber nicht mitgemacht. (Patrick Döring [FDP]: Überhaupt kein Eilverfahren! Wir haben eine Anhörung gemacht!) – Sie hatten ja etwas ganz anderes vor. Sie wollten das ja schon in der letzten Woche vor Weihnachten hier im Plenum durchziehen. Die Anhörung, die wir dann im Januar gemacht haben, (Patrick Döring [FDP]: Nur für Sie! – Torsten Staffeldt [FDP]: Wir haben im Sommer des letzten Jahres die erste Anhörung gehabt!) weil wir uns massiv dafür eingesetzt haben, hat deutlich gemacht – auch wenn gerade Sie, Herr Staffeldt, beratungsresistent sind –, dass Sie die Bedenken einfach beiseiteschieben wollen. (Torsten Staffeldt [FDP]: Von Ihnen lasse ich mich auch nicht beraten!) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist spät am Abend, und vielleicht waren einige vorher bei dem Empfang. Da habe ich zumindest einige von uns gesehen. (Heiterkeit) – Ich weiß nicht, was da alles abgelaufen ist, weil ich rechtzeitig wieder weg war. Lassen Sie es mich klar und deutlich sagen: Die Befreiung von der Führerscheinpflicht freut vor allem die Bootsverleiher und die Freunde des Motorbootsports. Aber das ist bei der FDP mit ihren Speedbootfans gerade aus dem Norden kein Wunder. Alle anderen müssen sehen, wo sie bleiben. Die Ruderer, die Kanufahrer usw., alle bleiben außen vor bei Ihnen. Vor allem scheinen Ihnen die Folgen für die Natur und die Sicherheit nicht so wichtig zu sein. (Torsten Staffeldt [FDP]: Sie wissen doch ganz genau, dass es überall Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt!) Der Naturschutz wird völlig ausgeblendet. Das finden wir vollkommen unangemessen. Ich verstehe Ihre Ignoranz nicht, Herr Staffeldt. Jetzt müssen wir sehen, wie wir aus dieser Falle wieder herauskommen. Auch Fragen der Sicherheit scheinen Sie wenig zu interessieren. Klar ist: Die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs werden durch die Änderung der Führerscheingrenze nicht verbessert. Eher geschieht das glatte Gegenteil. Der bereits angesprochene Herr Werner von der Wasserschutzpolizei hat in der Anhörung deutlich darauf hingewiesen, dass die Wasserschutzpolizei ihre wachsenden Aufgaben bereits heute bei immer weniger Personal nicht erfüllen kann. Die Polizei und sogar der ADAC verlangen zumindest eine fundierte Einweisung. Herr Werner von der Wasserschutzpolizei verlangt darüber hinaus für die Freigabe eine Altersgrenze von 18 Jahren, eine Probezeit und eine Haftpflichtversicherung. Hierauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen. Das haben Sie einfach ausgeblendet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Die Versicherungspflicht bleibt doch!) Auch Sie, liebe Koalitionäre, wissen, dass auf dem Wasser alles anders ist: Die Schilder sind mit denen im Straßenverkehr nicht vergleichbar, die Vorfahrtsregeln sind etwas komplizierter, und eine Bremse hat ein Boot auch nicht. Ein paar Grundregeln muss jeder kennen – für die eigene Sicherheit und für die Sicherheit der anderen, die sich auf dem Wasser aufhalten, auch die der nichtmotorisierten Wassersportler. Dazu enthält Ihr Antrag aber keine Vorschläge, sondern ignoriert die Bedenken. Die Vorteile Einzelner aus der Verleiherbranche stehen bei Ihnen höher im Kurs. Das ist Politik im Mövenpick-Stil. (Torsten Staffeldt [FDP]: Das müssen Sie gerade sagen!) Sie machen da weiter, wo Sie schon vorher ein paarmal gescheitert sind. Anderthalb Jahre müssen wir das noch ertragen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Matthias Lietz von der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Döring [FDP]: Jetzt kommt Sachverstand ins Spiel! Wie gut!) Matthias Lietz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wie bekannt komme ich aus dem wunderschönen Mecklenburg-Vorpommern, einem Land, das vor allem aus touristischer Sicht ein herrliches Fleckchen Erde ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben nicht nur das Meer vor der Tür, malerische Landschaften, so weit das Auge reicht, sondern natürlich auch eine große Anzahl Binnengewässer, Flüsse und Seen. Daher dürfte es auch nicht allzu sehr verwunderlich sein, dass eine große Anzahl von Menschen in unserem Land vom Tourismus lebt, Herr Kollege Hacker. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das soll auch so bleiben!) Für sie ist es in jedem Jahr entscheidend, wie viele Touristen unser Land besuchen. Tourismus stellt in vielen Bundesländern einen signifikanten Wirtschaftsfaktor dar. Ebendiesen wollen wir zukünftig attraktiver und interessanter gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen den Bereich des Wassersports entbürokratisieren und zu neuen und positiven Entwicklungen in der Sportbootschifffahrt verhelfen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Nichts dagegen!) Für diese Vorhaben bedarf es logischerweise einiger Änderungen hinsichtlich der aktuellen Gegebenheiten. Darauf zielt unser Antrag ab; die bisherige Diskussion hat dies eindeutig gezeigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vor allem die Führerscheinpflicht spielt eine zentrale Rolle. Wir wollen die Grenze, bis zu der Führerscheinfreiheit besteht, von bisher maximal 5 PS auf eine Motorisierung von 15 PS anheben. Dieser wesentliche Punkt liegt darin begründet, dass die Begrenzung der Führerscheinfreiheit Einsteiger in den betreffenden Wassersportarten erheblich abschreckt. Vor allem bei Anfängern in der Sportbootschifffahrt spielt die Sensibili-sierung für den neuen Bereich eine bedeutende Rolle. Bereits seit dem Jahr 2000 wird die Einführung einer Touristencharterbescheinigung gerade auch in unserem Land erprobt. Demnach dürfen Touristen nach Einweisung vorübergehend auf ausgewählten Binnengewässern ein Boot führen. Diese Bescheinigung hat sich in den betroffenen Regionen als voller Erfolg für die Sportbootschifffahrt herausgestellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin der festen Überzeugung, dass dies weiter ausgebaut und vor allen Dingen vernetzt werden muss. Diese Regelung führte zu einem nachweislich höheren Interesse am Bootssport und außerdem zu keiner Einschränkung in der Verkehrssicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen vieles tun, um gerade diesen Bereich des Wassersports attraktiver zu gestalten. Ich will noch einige Worte zur PS-Regelung sagen: Wir teilen die diesbezüglich bestehenden Befürchtungen ebenso wenig wie zahlreiche Verbände und Akteure, im Übrigen – es ist heute schon gesagt worden – auch nicht die Wasserschutzpolizei. Ich möchte noch einmal deutlich machen: Schwächere Motoren bedeuten nicht mehr Sicherheit. Dies ist auf Bundesstraßen ebenso ein Gesetz wie auf dem Wasser. Aus meiner Erfahrung als ehemaliger ehrenamtlicher Bürgermeister eines Seebads sage ich Ihnen: Ich erwarte von einem mündigen Bürger, der sich dem Verkehr in unserer Region stellt, dass er dabei die gleiche Verantwortung an den Tag legt wie bei Sachentscheidungen auf anderen Gebieten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es sind die gleichen Bürger unseres Landes. Ich möchte noch einmal kurz zusammenfassen: Wir fordern in unserem Antrag eine Entbürokratisierung der Sportbootschifffahrt, die Erleichterung des Einstiegs in den Wassersport bei – das mache ich noch einmal deutlich – Erhalt der Wassersicherheit, die Stärkung des Praxisanteils in den harmonisierten Prüfungen, die Unterstützung der Verbände bei der Einführung eines ein-heitlichen Qualitätssiegels für Ausbilder, das Einführen einer Unfallstatistik, Mindestausrüstungsstandards für Charterjachten (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Alles schon vor drei Jahren gefordert! Alles alte Hüte!) sowie eine einheitliche Rechtsanwendung bei der Erteilung von Bootszeugnissen durch die Wasser- und Schifffahrtsämter und die Anerkennung der Funkzeugnisse aus anderen Ländern der Europäischen Union. Damit trägt unser Antrag dazu bei, neue Impulse für die Sportbootschifffahrt zu setzen, und verdient die Unterstützung von uns allen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun das Wort der Kollege Martin Gerster von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Martin Gerster (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt“ – ehrlich gesagt, es ist in der Debatte deutlich geworden, dass es zum Teil ganz schön kalter Kaffee ist, was uns hier präsentiert wird. (Zuruf von der SPD: Natürlich!) Außerdem lautet die entscheidende Frage: Ist es vernünftig, ist es verantwortbar, was Sie beantragen? Hier muss ich als Vertreter des Sportausschusses ganz klar sagen: Es ist eben nicht verantwortbar. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Das haben auch alle, die im Sport unterwegs sind, in ihren Stellungnahmen deutlich gemacht. (Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Dies hat ganz klar der Deutsche Olympische Sportbund gesagt, ebenso der Deutsche Segler-Verband und der Deutsche Motoryachtverband. Auch der Deutsche Kanu-Verband hat Ihrem Antrag in dem Statement, das dem Ausschuss vorliegt, eine klare Absage erteilt. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: So ist es!) Das, was Sie hier treiben, ist unverantwortlich, weil es die Attraktivität mancher Sportart in Deutschland aufs Spiel setzt, ebenso wie die Unversehrtheit und die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler auf dem Wasser. Deswegen muss man ganz klar sagen: Das, was Sie hier auf den Tisch gelegt haben, muss abgelehnt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Blanker Lobbyismus!) Denn schon heute ist die Situation an neuralgischen Stellen gefährlich für all diejenigen, die muskelkraftbetriebene Boote fahren. (Zuruf von der FDP: Das möchte ich auch mal machen!) Durch Ihre Initiative wird das Ganze letztendlich noch gefährlicher. Hinzu kommt: Lange Wartezeiten an den Schleusen sind heute schon Usus. (Patrick Döring [FDP]: Für die Kanuten!) In der Reihenfolge, in der Priorisierung des Durchlasses sind die Kanuten die Letzten, die passieren können. (Patrick Döring [FDP]: Alles klar!) Durch Ihre Initiative wird es für die Kanuten noch unattraktiver, ihren Sport auszuüben. (Patrick Döring [FDP]: Das Kanu kann man auch auf die Schulter nehmen!) Deswegen ist ganz klar: Sie sollten diesen Antrag zurückziehen. Sie sollten vielleicht auch einmal diejenigen fragen, die im Sport unterwegs sind. Leider sind Ihre Mitglieder aus dem Sportausschuss heute nicht anwesend. Bei unserer Debatte im Sportausschuss am Mittwoch war von der FDP noch nicht einmal eine Wortmeldung zu verzeichnen. (Heiterkeit der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Man muss einfach feststellen: Hier scheint jemand gepennt zu haben. Ihr Kollege Günther, medienscheu wie er ist, hätte sich wenigstens einmal im Sportausschuss zu dieser Frage, die wesentliche Bereiche des Sports berührt, zu Wort melden können. (Patrick Döring [FDP]: Keinerlei Dissens!) Darüber sollten Sie mit Ihrem Kollegen einmal reden. (Patrick Döring [FDP]: Frei von Sachkunde!) Sie sollten auch einmal mit dem Staatssekretär, Herrn Dr. Bergner, reden. Wir zumindest dachten immer, das Bundesministerium des Innern sei auch Anwalt des deutschen Sports. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das erwarten wir auch!) So zumindest stellen sich der Minister und auch der Staatssekretär bei Versammlungen und Veranstaltungen immer dar. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Haben Sie auch ein Argument?) Hier jedoch, auf unsere Nachfrage im Sportausschuss: Fehlanzeige. Es gab überhaupt kein Parteiergreifen für die Interessen des Sports. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Wozu reden Sie eigentlich?) Die Antwort lautete: Die Bundesregierung ist zuständig für Spitzensportförderung, aber eben nicht für die Anliegen der Wassersportverbände. Hierfür fehlt uns das Verständnis. Ihr Antrag ist völlig fehl am Platze. (Patrick Döring [FDP]: Sie sind Lobbyist! Blanker Lobbyist!) Deshalb werden wir ihn ablehnen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Gerster, wollen Sie noch eine Zwischenfrage oder eine Endfrage des Abgeordneten Fricke beantworten? Martin Gerster (SPD): Ich würde sagen, wir belassen es dabei. Die Argumente sind meines Wissens ausgetauscht. (Patrick Döring [FDP]: Sie haben keines dazu beigetragen! – Weiterer Zuruf von der FDP: Man trifft sich immer zweimal!) Der Kollege Fricke kann gerne mit seinen Kollegen aus dem Sportausschuss sprechen. Ich fordere Sie auf, den Antrag zurückzuziehen. Wir jedenfalls werden nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Da hat aber einer ganz schön gerudert! Mannomannomann!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt eine größere Anzahl von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Diese nehmen wir zu Protokoll.7 Jetzt stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8482, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/7937 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Jetzt haben wir noch eine Reihe von Tagesordnungspunkten, zu denen nicht gesprochen wird. Wir müssen aber die Formalitäten noch erfüllen. Ich bitte um Ihre Anwesenheit. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen – Drucksache 17/8460 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wir nehmen die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll: Helmut Brandt und Reinhard Grindel, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid Wolff, FDP, Ulla Jelpke, Die Linke, Josef Philip Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.8 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8460 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes – Drucksache 17/8098 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – Drucksache 17/8467 – Berichterstattung: Abgeordnete Kirsten Lühmann Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen von Peter Wichtel und Daniela Ludwig, CDU/CSU, Kirsten Lühmann, SPD, Herbert Behrens, Die Linke, Stephan Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, und vom Parlamentarischen Staatssekretär Jan Mücke.9 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8467, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8098 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/32/EG hinsichtlich des Schwefelgehalts von Schiffskraftstoffen KOM(2011) 439 endg.; Ratsdok. 12806/11 – Drucksachen 17/6985 Nr. A.63, 17/8211 – Berichterstattung: Abgeordnete Christian Hirte Ute Vogt Torsten Staffeldt Ralph Lenkert Dr. Valerie Wilms Die zu Protokoll genommenen Reden stammen von Christian Hirte, CDU/CSU, Ute Vogt, SPD, Torsten Staffeldt, FDP, Ralph Lenkert, Die Linke, und Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen. Christian Hirte (CDU/CSU): Antoine de Saint-Exupéry sagte einmal: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen und Aufgaben zu verteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen weiten Meer.“ – Ich finde, die Menschheit hat sich die Worte des Dichters wirklich zu Herzen genommen. Die von Saint-Exupéry so pathetisch formulierte Sehnsucht nach dem Meer und vor allem nach den in seinen Tiefen schlummernden Ressourcen erweist sich nicht nur heute schon, sondern vor allem für die Zukunft als immer größerer Spagat zwischen Meeresschutz und maritimer Nutzung. Bis vor kurzem schienen die Meere zu groß zu sein, um verschmutzt oder leer gefischt zu werden, und es gab wenig Verständnis für ihre nachhaltige Nutzung. Aber jetzt gibt es immer mehr Sorgen wegen der Meeresverschmutzung, der Abnahme des Fischbestandes oder dem Abschmelzen der Polkappen. Die tragischen Ereignisse um die Havarie der „Costa Concordia“ und die Befürchtung einer Umweltkatastrophe durch das noch im Schiff befindliche Schweröl zeigen das Spannungsverhältnis zwischen Meeresschutz und der wirtschaftlichen Nutzung unserer Meere nur allzu deutlich. Unsere Ozeane sind eben nicht nur Heimat für einen großen Teil der biologischen Vielfalt. Sie besitzen auch einen immensen wirtschaftlichen Wert. Nach Angaben der EU-Kommission lebt jeder zweite Bürger Europas in einem Küstengebiet. Zwei Fünftel der Wirtschaftsleistung kommen aus diesen Regionen. Die Aktivitäten reichen von der Fischerei über die Schifffahrt und den Tourismus bis zur Energiegewinnung. Ein Großteil der europäischen Wirtschaftsleistung wird etwa an den Küsten von Nord- und Ostsee erwirtschaftet. Tausende Schiffe passieren täglich diese Seegebiete und machen sie zu zentralen europäischen Verkehrsdrehscheiben. Angesichts der wachsenden Inanspruchnahme der Ozeane gilt es, die zukünftige Meerespolitik so zu entwickeln, dass die Funktionen und die Leistungsfähigkeit des Ökosystems Meer nicht gefährdet werden. Wir brauchen ein viel besseres Verständnis dafür, welche Maßnahmen erforderlich sind, um Meere als globalen Gemeinbesitz zu schützen und nachhaltige Praktiken weiterzuentwickeln. Ich denke, dass das Positionspapier der CDU anlässlich des maritimen Fraktionskongresses meiner Partei aus gutem Grund den programmatischen Titel „Nachhaltigkeit – damit die Meere nicht untergehen!“ getragen hat. Ich bin meinen Kollegen Ingbert Liebing und Eckhardt Rehberg äußerst dankbar, dass sie das Thema maritime Nachhaltigkeit, stärker als das bislang der Fall war, in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt haben. Die Schifffahrt ist einer der wesentlichen Nutzer der Meere, wobei der Verkehrsträger Seeschiff gemessen an seiner Transportleistung ein sehr ökologisches Transportmittel mit dem geringsten Energieverbrauch und den niedrigsten CO2-Emissionen ist. Zu den gesamten globalen CO2-Emissionen trägt die Schifffahrt lediglich 2,7 Prozent bei, obwohl Seeschiffe über 90 Prozent des interkontinentalen Güterverkehrs leisten. Die verbleibende Schadstoffbelastung, für die die Schiffe verantwortlich sind, ergibt sich insbesondere auch durch die Nutzung von Schiffskraftstoffen mit hohem Schwefelgehalt, Ölunfälle oder Plastikvermüllung. Insbesondere an den Küsten und in den Häfen leiden die Anwohner, aber auch die Umwelt unter dem hohen Schwefeldioxid- sowie Rußpartikelausstoß. Die meisten Schiffsabgase werden in unmittelbarer Küstennähe und in den Häfen emittiert, in der Nordsee sind es beispielsweise bis zu 90 Prozent innerhalb von 90 Kilometern Entfernung zur Küste. Unser Ziel muss es sein, die durch die Schifffahrt verursachten Emissionen weiter zu reduzieren. Dabei stehen innovative Umwelttechnologien im Zentrum einer Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz. In Häfen kann dies beispielsweise in Form von Abwasser- und Müllauffanganlagen sowie landseitige Stromversorgung erfolgen, auf See durch den Einsatz neuer Treibstoffe oder Abgasreinigungssysteme. Diese neuen Techniken verbessern nicht nur die Ökobilanz, sondern sind auch für den Industriestandort Deutschland ein lohnender Zukunftsmarkt. So wie Deutschland in anderen Bereichen sich einen Technologievorsprung erarbeiten konnte, kann auch die Nutzung neuer Umwelttechnologien auf See zum Maßstab für den Rest der Welt werden. Dann bestünde auch die Möglichkeit, verlorene Anteile am weltweiten Schiffbau zurückzuerobern. Insoweit schließen sich ambitionierte Ökologie und wirtschaftliche Interessen nicht aus. Im Gegenteil: Sie könnten sogar deren Treiber sein. Das heißt aber nicht, dass wir nur niedrigere Grenzwerte bräuchten, um die Innovationskraft unserer maritimen Industrie anzukurbeln. Wenn dem so wäre, dann wäre Wirtschaftsförderung wohl eine leichte Aufgabe. Der Schlüssel zum Erfolg ergibt sich vielmehr aus der Balance zwischen hohen Umweltstandards und deren Machbarkeit zu vernünftigen Preisen. Die Verschärfung der Grenzwerte für den Schwefelgehalt in Schiffstreibstoffen in Nord- und Ostsee in den Sulphur Emission Control Areas, SECAs, durch die Internationale Seeschifffahrt-Organisation, IMO, reduziert ab 2015 die Emissionswerte von derzeit 1 Prozent auf 0,1 Prozent in Nord- und Ostsee. Einerseits dient dies der Verbesserung der Meeresökologie, andererseits ergeben sich daraus auch ökonomische Herausforderungen für die Schifffahrt. Um den Vorgaben der IMO gerecht zu werden, müssen die Reeder in den SECAs auf deutlich kostenintensivere Destillate umsteigen oder alternativ Systeme zur Abgasentschwefelung nutzen. Dies hat eine Erhöhung der Betriebskosten bzw. neue Investitionskosten zur Folge. Hier muss die eben erwähnte Balance zwischen niedrigen Grenzwerten und wirtschaftlicher Machbarkeit gewahrt werden. Das heißt, dass die Branche die notwendige Zeit erhalten muss, um sich auf die neuen Grenzwerte einstellen zu können. Das betrifft nicht die neuen oder neuesten Schiffe. Bei deren Bau könnten teilweise die bereits vorhandenen Umwelttechnologien zum Einsatz kommen. Aber viele der Technologien, und ich denke hier vor allem an Abgasreinigungssysteme, sogenannte Scrubber, stehen zwar schon zur Verfügung, ihre volle Marktreife haben sie indes noch nicht erlangt. Zudem gestaltet sich die Nachrüstung bereits fahrender Schiffe als äußerst schwierig und vor allem kostspielig. Aber selbst wenn eine Nachrüstung mit Scrubbern nicht möglich oder nicht mehr lohnend ist, sollte doch der Einsatz zumindest von Rußpartikelfiltern erwogen werden. Diese stehen bereits zur Verfügung und könnten so einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität vor allem in Häfen oder Küstennähe leisten. Klar ist aber, dass an probaten Filtersystemen künftig kein Weg vorbei führt. Deshalb ist die maritime Zulieferindustrie schon jetzt aufgefordert, die Zeichen der Zeit zu erkennen und die Weiterentwicklung solcher Abgasreinigungssysteme zu forcieren. Dass hier auch der Staat gehalten ist, einen Beitrag zu leisten, erachte ich als unverzichtbar. Dieses muss aber nicht unbedingt in einem groß angelegten finanziellen Engagement seinen Niederschlag finden. Auch durch ordnungsrechtliche Instrumente kann der Staat durchaus helfen. Ich denke da vor allem an die Ausweitung der SECAs, die sich bislang nur auf die Nord- und Ostsee beschränkten. Es ist nicht einzusehen, warum die in den SECA-Gebieten fahrenden Reeder mit höheren Umweltstandards und den damit verbundenen Kosten belastet werden sollen, während sich der Verkehr übers Mittelmeer keine Sorgen über höhere Kosten für schwefelarmen Treibstoff oder Abgasfilter machen muss. Eine derart einseitige Belastung ist nicht nur ungerecht, sondern konterkariert den eigentlichen Zweck der SECAs, nämlich die Schwefeldioxidbelastung zu verringern. Was nützt es dem Umweltschutz, wenn die Reeder in der SECA-Zone durch weniger Verkehr Emissionen einsparen, weil die Kunden ihre Fracht wegen der höheren Umweltkosten in Nord- und Ostsee lieber außerhalb der Kontrollzonen anlanden und sie dann per Lkw über unsere Autobahnen und Fernstraßen versenden? Nach einer Studie des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik könnten so insgesamt 823 000 Standardcontainer zusätzlich vom Schiff auf die Straße kommen. Das entspricht einem zusätzlichen Aufkommen von 604 000 Lkw. Angesichts der ohnehin schon verstopften Autobahnen kein verlockender und wenig ökologischer Gedanke. Daher ist es aus Sicht meiner Fraktion unumgänglich, dass sich die Bundesregierung bei der IMO und innerhalb der EU dafür einsetzt, dass die SECAs auf alle europäischen Seegebiete ausgeweitet werden, um Wettbewerbsnachteile in der Nord- und Ostsee zu vermeiden und um den positiven ökologischen Effekt auch für die anderen Meere zu nutzen. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich, dass die IMO im März 2010 eine ECA – Emission Control Area – für große Teile der US-amerikanischen und kanadischen Küsten beschlossen hat. Ab August 2012 wird sie für den dortigen Schiffsverkehr verpflichtend sein. Dies kann aber nur ein weiterer Schritt sein, um strengere Grenzwerte weltweit zu etablieren. Es wird nicht leicht sein, den globalen Umbau der Schifffahrt hin zu einem „Green Shipping“ zu vollziehen. Angesichts des Klimawandels und der vermeidbaren Umweltbelastung ist dies aber möglich und nötig. Wir sollten diesen Strukturwandel mithin nicht nur als Bürde begreifen, sondern vor allem als Chance, um nachhaltige Nutzung unserer Meere und wirtschaftliche Prosperität in Balance zu bringen. Aus diesem Grund sollte die Bundesregierung Initiativen ergreifen und unterstützen, die eine Verkehrsverlagerung vom Wasser auf die Straße verhindern. Dies kann beispielsweise durch flexiblere Grenzwerte, die der besonderen Situation älterer Schiffe Rechnung tragen, oder durch Anreize zur Umrüstung geschehen. Besonderes Augenmerk muss aber darauf liegen, den Grenzwert für den Schwefelgehalt von Schiffskraftstoff in den SECAs auch auf die Hoheitsgewässer der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dann darüber hinaus zu erstrecken. Daher stimme ich dem Entschließungsantrag der Koalition auf Drucksache 17/8211 zu. Ute Vogt (SPD): Der von der EU vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie hinsichtlich des Schwefelgehalts von Schiffskraftstoffen ist als solcher zu begrüßen. Bedauerlich ist, dass es keine einheitlichen Schwefelgrenzwerte für alle Staaten geben soll. Darin sind wir uns zum Glück alle einig. Den Geltungsbereich in dieser Hinsicht zu vereinheitlichen, wie es die Koalitionsfraktionen in ihrem Entschließungsantrag fordern, ist vernünftig. Unvernünftig ist es jedoch, dass sie ihre eigene Forderung gleich wieder konterkarieren, indem sie weitreichende Ausnahmeregelungen für ältere Schiffe anstreben. Die Befürchtung, es könne eine massive Verlagerung des Transports vom Wasser auf den Landweg geben, teile ich nicht. Eher scheint mir, dass hier die Koalitionsfraktionen wieder einmal einem Lobby-Bären aufgesessen sind: Diese Verlagerung wird nicht hoch ausfallen. Hintergrund sind die ebenfalls steigenden Abgas-standards für Lkw. Das bestätigt auch eine Studie der European Maritime Safety Agency, EMSA. Außerdem kann die Politik entsprechende Anreize schaffen, wenn sie eine Verlagerung des Transports auf die Straße befürchtet. Wenn hier die Auffassung formuliert wird, dass dies nicht möglich ist, ist das eine Bankrotterklärung der eigenen Politik. Der Vorschlag für diese Richtlinie ist bereits seit Jahren bekannt. Und die Klimaschutzziele der EU noch viel länger. Und selbst nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie können Schiffe immer noch 500-mal mehr Schwefel in die Luft blasen als Fahrzeuge im Straßenverkehr in der EU. Die Richtlinie ist daher überfällig und notwendig, aber noch lange nicht ausreichend. Von der Richtlinie betroffene Unternehmen hatten jedenfalls mittlerweile lange genug Zeit, sich auf die sich ändernden Rahmenbedingungen einzustellen. Dass dies zum Teil noch nicht passiert ist, zeigt nur, wie wichtig es ist, dass der Staat hohe Messlatten legt. Zudem gibt es sehr wohl Unternehmen, die bereits jetzt umweltfreundlichen Standards entsprechen. Indem wir Ausnahmeregelungen zulassen, bestrafen wir innovative, umweltfreundliche Unternehmen, die den Zukunftsmarkt dar-stellen. Dies ist in höchstem Maße ungerecht und unsolidarisch. Es kann nicht die Aufgabe dieser Bundesregierung sein, zur Gewinnmaximierung von Unternehmen beizutragen, die gerade nicht zukunftsfähige, innovative Ideen umsetzen und damit zum Schaden aller handeln. Ziel einer vernünftigen Politik muss es sein, den größtmöglichen Nutzen für die Menschen in der EU zu erreichen. Und dies ist dann der Fall, wenn möglichst wenige Schadstoffe in die Umgebung gelangen. Am vorliegenden Änderungsantrag zeigen sich wieder die zwei Gesichter der Röttgen’schen Umweltpolitik: auf der einen Seite die Bestrebungen, die Schifffahrt in den Emissionshandel mit einzubeziehen – das ist der grüne Mantel –, und auf der anderen Seite die Initiative, im Einzelfall umweltschädliche Lobbyinteressen zu bedienen. Dies ist leider inzwischen ein Markenzeichen aller Ressorts dieser schwarz-gelben Regierung. So kommen wir in der Energiewende nicht entscheidend weiter. Torsten Staffeldt (FDP): Ich möchte zuallererst einmal feststellen, dass es keinen effizienteren Gütertransport als den mit Schiffen gibt, insbesondere hinsichtlich des Energiebedarfs. Das wird, mit Ausnahme der Grünen, auch von niemandem ernsthaft bestritten. Der Wirkungsgrad der modernen Großmotoren konnte in den letzten Jahren um 50 Prozent verbessert werden und damit der CO2-Ausstoß trotz zunehmendem Verkehr deutlich verringert werden; doch die Emissionen von Stickoxiden und Schwefeloxiden aus der Schifffahrt sind angestiegen. Aus diesem Grund hat die International Maritime Organisation vor einigen Jahren MARPOL Annex 6 eingeführt und zwischenzeitlich die Grenzwerte für die SECA-Zonen sogar verschärft, zu denen auch die Nordsee und die Ostsee gehören. Ab 2015 darf hier nur noch mit 0,1 Prozent Schwefelgehalt im Treibstoff gefahren werden. Grundsätzlich ist die Zielsetzung richtig, die durch den Schiffsverkehr in die Atmosphäre eingebrachten Emissionen zu reduzieren. Wir müssen aber vermeiden, dass durch überzogene Emissionsschutzziele der positive Effekt, den wir erzielen wollen, konterkariert wird. Eine ganze Reihe von Gutachten aus unterschiedlichen europäischen Ländern kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Schwefelemissionsziele mit 0,1 Prozent, insbesondere in den Randmeeren der Ost- und Nordsee, durch deutlich höhere Treibstoffkosten voraussichtlich zu Verkehrsverlagerungen führen werden. Insbesondere betrifft das die Ostsee. Denn dort kann nahezu jede Strecke auch durch Lkw-Verkehre landseitig ersetzt werden. Im schlimmsten Fall können sogar, wie das Gutachten des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, ISL, darstellt, bis zu 800 000 Container vom Schiff auf den Lkw zurückverlagert werden. Das sind 300 000 bis 400 000 Lkw mehr auf den Straßen, auch und vor allem im Transitland Deutschland. Damit erweisen wir dem Umwelt- und Klimaschutz einen Bärendienst. Statt Schwefelemissionen im Schiffsverkehr erhalten wir dann höhere Feinstaubbelastung und CO2-Emissionen im Landverkehr. Daneben muss aber auch festgestellt werden, dass ab 2015 die schärferen Bestimmungen im europäischen Kontext nur für Nord- und Ostsee gelten, nicht aber für die anderen Küstenregionen Europas. So dürfen im Mittelmeer, an der Atlantikküste und in der Irischen See zur gleichen Zeit noch Treibstoffe mit einem Schwefelgehalt von 3,5 Prozent verwendet werden. Das ist eine einseitige Wettbewerbsverzerrung zulasten unserer norddeutschen Seehäfen und zeigt gleichzeitig den Irrsinn der bisherigen Regelungen. Eine Fähre von Southampton nach Dover muss mit 0,1-prozentigen Schwefelgehalt fahren, zwischen Liverpool und Dublin darf sie es mit 3,5-prozentigem, also dem 35-fachen. Hier muss gegengesteuert werden. Die Schwefeloxid-emissionen des Schiffsverkehrs sind neben dem Absenken des Schwefelgehalts im Treibstoff selbst effektiv nur durch den Einbau von entsprechenden Filtersystemen zu bekämpfen. Diese Filtertechnologien für den Schiffsverkehr sind derzeit aber noch nicht marktreif und ihr Einsatz erscheint bei einem Teil der Bestandsschiffe auch in Zukunft fraglich. Deshalb ist es richtig, Anreizsysteme zur Unterstützung von Umrüstungsmaßnahmen zu entwickeln. Auch gäbe es die Möglichkeit, ältere Schiffe im Rahmen eines Moratoriums für einen bestimmten Zeitraum von der Verschärfung des Grenzwertes in den SECAs auszunehmen, um Verkehrsverlagerungen zu vermeiden. Daneben wird es aber auch höchste Zeit, dass endlich alle Hoheitsgewässer und ausschließlichen Wirtschaftszonen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu Schwefelemissions-Überwachungsgebieten werden. Nur so erreichen wir gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen unseren Nord- und Ostseehäfen auf der einen und den Mittelmeerhäfen auf der anderen Seite. Schließlich kann es nicht im Sinne des Meeresumweltschutzes sein, wenn die emissionsstarken Schiffe zukünftig einfach aufs Mittelmeer ausweichen. Zu diesen Punkten haben wir im Übrigen bereits im Mai des letzten Jahres einen Beschluss im Deutschen Bundestag zur Zukunftsfähigkeit der maritimen Wirtschaft herbeigeführt. Daher fordere ich SPD und Grüne auf, aktiv etwas für den Umweltschutz zu tun und nicht nur darüber zu reden. Ich bitte um Zustimmung zu dem Antrag. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Meinen letzten Sommerurlaub verbrachte ich in Dänemark. Auf der Fahrt auf dem Deck der Fähre genossen Passagiere Sonne, Wind und frische Luft. „Luft!“, schrie dann meine Lunge, als eine Wechselböe uns alle in die Abgasschwaden des Schiffsmotors hüllte. 1 Prozent Schwefelgehalt darf Schiffstreibstoff in der Ostsee haben. Zum Vergleich: Für Lkw gilt ein Grenzwert von 0,001 Prozent. Ich denke, ich werde vorläufig keine Schiffsfahrten im Ausland buchen und schon gar nicht als Passagier auf Handelsschiffen, denn dort dürfen sogar 4,5 Prozent Schwefel im Treibstoff sein – das hält meine Lunge nicht aus. Meine Fraktion begrüßt, dass die Richtlinie 1999/32/ EG die Grenzwerte deutlich absenkt. Leider folgt in der EU einem guten Vorschlag nicht immer eine gute Umsetzung. So sollte die neue Norm für Schiffskraftstoffe 2006 umgesetzt sein, das schafften zum Termin immerhin 3 Mitgliedstaaten, gegen 16 Staaten wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet. Aus Sicht von Bewohnerinnen und Bewohnern der Küste, insbesondere von großen Hafenstädten, von Touristinnen und Touristen und Reisenden ist dies absolut inakzeptabel. Diese Woche stellte der Naturschutzbund fest, das allein die 15 größten Schiffe der Welt mehr schädliches Schwefeldioxid und Rußpartikel aus dem Schornstein entlassen als alle Fahrzeuge weltweit zusammen. Deshalb sind beispielsweise Fahrverbotszonen für ältere Pkw ein Witz, solange Schiffe als Feinstaubschleudern ein Vielfaches an Belastung verursachen. Aber selbst die Umsetzung der Norm hilft nur, wenn auch kontrolliert wird. Schwefel- und schadstoffarmer Treibstoff ist teurer, also wird dieser nur genutzt, wenn es nicht anders geht – schließlich herrscht Wettbewerb und die Profite müssen wachsen. Im Schnitt wird ein Schiff von 1 000 Schiffen kontrolliert. Da ist die Angst vor Entdeckung klein. Also dürfen Anwohnerinnen und Anwohner, Urlauberinnen und Urlauber weiter mit Feinstaub und Schwefeldioxid ihre Gesundheit belasten. Die Linke fordert deshalb, dass die Erhöhung der Kontrollfrequenz nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt wird. Selbst bei 100 Prozent Umsetzung der Richtlinie sind Schiffsabgase noch immer stark gesundheitsgefährdend. Liegen Schiffe im Hafen, dann laufen schiffseigene Motoren zur Stromversorgung des Schiffes, auch wenn da strengere Grenzwerte gelten, ohne Kontrollen stinkt’s. Mit einer Pflicht zur externen Stromversorgung könnten zumindest diese Schadstoffe vermieden werden. Wir fordern dies als zusätzlichen nationalen Schritt zur Reduzierung der Schadstoffe in Hafenstädten. Die Koalitionsfraktionen haben überraschend zwei vernünftige Vorschläge zur Änderung der Richtlinie eingebracht. Dass die strengeren Schwefelgrenzwerte für Schiffstreibstoffe in allen Gewässern der EU gelten sollen, hat die volle Unterstützung unserer Fraktion. Alle EU-Bürgerinnen und -Bürger haben den gleichen Anspruch auf gesunde Luft. Wir stimmen auch zu, dass die Bundesregierung Initiativen ergreifen soll, die eine Verkehrsverlagerung vom Schiff auf die Straße verhindern. Doch dass der Seeverkehr über großzügige Ausnahmen bei den Schwefelgrenzwerten vor Verkehrsverlagerungen geschützt werden wird, wie das die Koalitionsfraktionen fordern, lehnt die Linke ab. Wir registrieren, dass die Grenzwertdiskussion nur als Beispiel in der Beschlussempfehlung steht. Die Linke würde einer Verlagerung der Transporte vom Schiff auf die Straße mit einer höheren Lkw-Maut begegnen. Das wäre ein wirksames Mittel. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, sich aktiv für weltweit gültige, strenge Schwefelgrenzwerte einzusetzen. Es wird Zeit, dass die Schiffe nicht als preiswerte Müllverbrenner für Raffinerien arbeiten und die Abfälle der Erdölverarbeitung zulasten der Luftqualität entsorgen. Alle Frauen, Kinder und Männer unserer Welt haben das gleiche Recht auf Gesundheit. Da in der Entschließung zur Richtlinie zum Schwefelgehalt richtige Verbesserungen empfohlen werden, leider mit einer falschen Idee gekoppelt, können wir der Entschließung nicht zustimmen. Richtige Richtung, falscher Weg, deshalb enthält sich unsere Fraktion. Wenn die Regierungskoalition mögliche Verlagerungen vom Schiff auf die Straße zum Beispiel mit einer höheren Belastung des Lkw-Verkehrs verhindert, erhält sie unsere Unterstützung. Auch die Anwohnerinnen und Anwohner der überlasteten Straßen würden es ihr danken. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erlauben Sie mir, bevor ich auf die EU-Vorlage und den Entschließungsantrag eingehe, ein paar Worte zum Schiffsunglück vor der italienischen Küste. Wir kennen derzeit noch nicht alle Details. Wir wissen noch nicht genau, wie es zu dem Unglück kommen konnte und wie groß hier der Anteil des menschlichen Versagens war. Es ist jedoch absehbar, dass die Kreuzschifffahrt in der Folge nicht mehr dieselbe bleiben wird. Viele Menschen werden zukünftig genauer hinsehen. Sie werden wissen wollen, ob ihr Urlaub nicht nur sicher und gut geplant ist. Es wird auch darum gehen, ob diese Form der Kreuzschifffahrt noch eine Zukunft hat oder ob es nicht doch Alternativen zum Preisdumping gibt. Denn der unglaubliche Boom der Kreuzschifffahrt in den letzten Jahren ging mit stetig fallenden Preisen einher – auch auf Kosten der Umwelt. Heute diskutieren wir hier auch über Kostenfragen. Schiffsemissionen reizen Atemwege und erhöhen das Risiko von Herz- und Lungenerkrankungen. In Europa wird die Zahl der Todesfälle auf etwa 50 000 geschätzt. Hinzu kommen die Wirkungen auf die Umwelt: Meere, Gewässer und Böden in Küstennähe werden versauert, Gebäude beschädigt. Auch Kreuzfahrtschiffe fahren besonders gern und dicht an der Küste. In der Nordsee werden bis zu 90 Prozent der Schiffsemissionen mit Schwefel, Stickoxiden und Ruß innerhalb von 90 Kilometern Entfernung zur Küste rausgeblasen. Die EU schätzt, dass sich durch verbesserte Gesundheit und niedrigere Sterblichkeit 15 bis 34 Milliarden Euro sparen lassen. Die Einführung niedrigerer Schwefelgrenzwerte in Schiffstreibstoffen würde dagegen zwischen 2,6 und 11 Milliarden Euro kosten. Schon rein volkswirtschaftlich gesehen liegt die Umsetzung der Richtlinie damit auf der Hand. Aber das ist längst nicht alles: Die Schiffbauindustrie sieht auch sehr gute Möglichkeiten für den innovativen Schiffbau. Hier ist Deutschland besonders stark, hier liegt die Zukunft des deutschen Schiffbaus, und wir sollten diese Möglichkeit offensiv nutzen. Von den Fachleuten wissen wir, dass die Technologien vorhanden sind und sich die Kosten der Umstellung für die Reedereien nach etwa eineinhalb Jahren rentieren. Hinzu kommt, dass die Richtlinie nur die Übertragung eines internationalen Abkommens in EU-Recht ist. Diesem Abkommen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation hat Deutschland zugestimmt. Demzufolge wäre es mehr als logisch, das Ganze in europäisches Recht zu übertragen. Aber so einfach ist das bei dieser Regierung nicht. Wir können uns hier alle nur fragen, was der wirkliche Grund für diese Geisterfahrerei der Koalition ist. Sie lässt gesundheits-, umwelt- und wirtschaftspolitische Aspekte völlig außen vor und ignoriert ein internationales Abkommen. Die Antwort ist offensichtlich: Hierbei geht es nicht um das Gemeinwohl, sondern um die Interessen einiger weniger – dieses Mal sind es Reedereien, die bevorzugt auf Nord- und Ostsee unterwegs sind. Es bleibt das Geheimnis der Koalition, wieso sie wieder einmal so eine Politik macht. Etwas kurios war hier das Abstimmungsverhalten der Linken in den Ausschüssen, mit dem dieser politische Unsinn auch noch unterstützt wurde. Zum Glück haben die Linken das eingesehen und ihre Meinung geändert. Selbstverständlich ist richtig, dass die Umstellung nicht kostenlos zu haben ist. Es ist doch völlig klar, dass schwefelarmer Treibstoff mehr kostet als der Sondermüll, der heute auf den Weltmeeren verfeuert wird. Aber das wissen die betroffenen Reeder seit Jahren. Seit Jahren ist klar, dass die Grenzwerte sinken. Hierauf hätte schon lange reagiert werden können. Stattdessen wird das Geld lieber in Lobbyarbeit gesteckt. Da werden Studien verfasst, die entscheidende Aspekte einfach nicht berücksichtigen. Selbst die Bundesregierung gibt das zu. Aber diese Koalition lässt sich davon nicht beeindrucken, sondern macht einfach weiter ihre Lobbypolitik. Fassen wir also zusammen: Was hier und heute beschlossen werden soll, ist gesundheitspolitischer Unsinn, steht gegen den Umweltschutz und zeugt von wirtschaftspolitischer Inkompetenz. Dazu wird ein internationales Abkommen untergraben. Dem muss nichts mehr hinzugefügt werden. Die Fakten sprechen für sich. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8211, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Martin Dörmann, Gerold Reichenbach, Doris Barnett, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG) – Drucksache 17/8454 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Die zu Protokoll gegebenen Reden stammen von den Kollegen Andreas Lämmel und Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Gerold Reichenbach, SPD, Claudia Bögel, FDP, Halina Wawzyniak, Die Linke, Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.10 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/8454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen – Drucksache 17/7985 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss (f) Haushaltsausschuss Federführung strittig Die zu Protokoll gegebenen Reden stammen von Peter Weiß, CDU/CSU, Anton Schaaf, SPD, Dr. Heinrich Kolb, FDP, Ulla Jelpke, Die Linke, Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Aufarbeitung von NS-Unrecht ist nicht nur eine rechtlich sehr komplexe Aufgabe, sondern auch ein sehr sensibles Thema. Mit dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, ZRBG, aus dem Jahre 2002 hat der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass die in einem Ghetto ausgeübte Tätigkeit rentenrechtlich als Beitragszeit berücksichtigt werden kann. Dieses Gesetz war und ist ein wichtiger Beitrag, um den Menschen gerecht werden zu können, die die Nazimachthaber in Ghettos zwangen, und die dort einen harten Kampf ums Überleben führen mussten. Mit ihren grundlegenden Urteilen vom 2. und 3. Juni 2009 haben die Rentensenate des Bundessozialgerichts Leitlinien zur Handhabung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, ZRBG, aufgestellt, durch die die frühere teilweise eher restriktive Rechtsprechung aufgegeben wurde. Damit sollten die extrem hohen Ablehnungsquoten für Anträge nach dem ZRBG, die in den ersten Jahren die Umsetzung des ZRGB geprägt haben in Zukunft vermieden werden. Die Kriterien „aus eigener Willensentscheidung“ und „Entgeltlichkeit“ müssen im Lichte der besonderen Zielsetzung des ZRBG gesehen werden, damit die eigentlich beabsichtigte Regelung nicht ins Leere läuft. Selbstkritisch betrachtet müssen wir sagen, diese nachträgliche Auslegung der Voraussetzungen für einen Rentenanspruch und die Erkenntnis, dass die Ghettobeschäftigung nicht mit den Maßstäben eines allgemeinen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zu messen ist, haben zu lange gedauert. Die Rentenversicherungsträger haben dennoch versucht, diese neue Rechtsprechung nicht nur umgehend und zügig umzusetzen, um den teilweise sehr betagten Menschen eine möglichst rasche Auszahlung zu ermöglichen. Alle zuvor von der Deutschen Rentenversicherung abgelehnten Anträge wurden von Amts wegen – das heißt ohne erneuten Antrag oder Meldung durch den oder die Betroffenen – erneut aufgegriffen und überprüft. Die Betroffenen wurden direkt von den zuständigen Trägern der Deutschen Rentenversicherung kontaktiert, wobei sich die Bearbeitungsreihenfolge nach den Geburtsjahrgängen der Betroffenen richtete. Insgesamt wurden 56 753 Fälle überprüft, wobei bei knapp 7 200 Fällen festgestellt werden musste, dass der Bezug zum ZRBG fehlt. Von den verbleibenden 49 600 Fällen wurden rund 25 000 mit positivem Bewilligungsbescheid abgeschlossen. 3 000 Anträge wurden abgelehnt. Etwa 22 000 Anträge konnten leider nicht mit einem Bescheid abgeschlossen werden, weil die Betroffenen zum Beispiel verstorben und die Rechtsnachfolger – das betraf rund 7 000 Fälle – nicht ermittelt werden konnten, weil es aufgrund der Prüfung zu keinem anderen Ergebnis kam und der ursprüngliche Ablehnungsbescheid weiter Geltung behielt – 4 200 Fälle – oder weil die Überprüfung bereits an der Kontaktaufnahme mit den Betroffenen scheiterte – 10 000 Fälle. In dem abschließenden Bericht der Deutschen Rentenversicherung zu den Überprüfungen der abgelehnten Anträge, der Ende November 2011 vorgelegt worden ist, heißt es: Setzt man die Zahl der Bewilligungen (25.000) ins Verhältnis zur maßgeblichen Gesamtzahl zu überprüfender Vorgänge (49.600), ergibt sich eine Bewilligungsquote von über 50 Prozent. Insgesamt wurde ein Rentenvolumen von über 441 Millionen Euro nachgezahlt, davon 54 Millionen Euro an Zinsen. Die laufenden monatlichen Rentenzahlungen belaufen sich auf rund 5 Millionen Euro. Am 7. und 8. Februar 2012, also in nur neun Tagen, werden die Rentensenate des Bundessozialgerichts über die Rückwirkung des erleichterten Zugangs zu den Ghettorenten entscheiden. In den rund 5 000 Fällen, in denen eine ablehnende Entscheidung wegen eingelegter Rechtsmittel nicht bestandskräftig geworden war, konnten, für bis zum 30. Juni 2003 gestellte Anträge, gemäß § 3 Abs. 1 ZRBG die bewilligten Leistungen regelmäßig rückwirkend ab dem 1. Juli 1997 erbracht werden. Etwas anderes gilt rentenrechtlich jedoch, wenn die Anträge schon einmal bindend abgelehnt worden waren. Hier wurde von den Rentenversicherungsträgern § 44 SGB X angewandt, der eine materiell-rechtliche Einschränkung für nachträglich zu erbringende Sozialleistungen vorsieht. Im Gegensatz zu § 100 Abs. 4 SGB VI, der als Sonderregelung zu § 44 SGB X die Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte im Bereich des SGB VI regelt, haben die Rentenversicherungsträger damit die günstigere Regelung angewandt. So wird nach § 44 SGB X eine rückwirkende Leistungserbringung nicht wie bei § 100 Abs. 4 SGB VI quasi ausgeschlossen, sondern auf einen maximalen Zeitraum von vier Jahren begrenzt. In der Praxis haben die Rentenversicherungsträger die Renten, wenn aufgrund der neuen Rechtsprechung im Jahr 2009 Überprüfungsanträge gestellt wurden, bei vorhergehender bindender Ablehnung erst ab dem 1. Januar 2005 gezahlt. Hintergrund dieser Regelung ist der Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelnen an einer möglichst vollständigen Erbringung der ihm zu Unrecht vorenthaltenen Sozialleistungen und dem Interesse der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer möglichst geringen finanziellen Belastung für Leistungen für zurückliegende Zeiträume. Trotz der hohen Sensibilität für die Materie darf auch nicht außer Acht blieben, dass das Sozialsystem bei einer Nachzahlung für vier Jahre bereits eine außerordentliche Belastung von etwa 500 Millionen Euro aufbringen musste. Bei einer rückwirkenden Nachzahlung generell bis 1997 würden schätzungsweise noch einmal Mehrkosten in einer Größenordnung knapp unterhalb 1 Milliarde Euro dazukommen. Die Vierjahresfrist ist eine im Sozialgesetzbuch durchaus übliche Frist, um Rechte und Pflichten aus einem Sozialleistungsverhältnis auszugleichen. Bereits vor dem Inkrafttreten des SGB I am 1. Januar 1976 galt im Rentenversicherungsrecht gemäß § 29 Abs. 3 RVO die vierjährige Verjährungsfrist. Außerdem wird bei § 44 SGB X nicht darauf abgestellt, ob und wann ein Überprüfungsantrag gestellt worden ist, und auch nicht darauf, auf welchem konkreten Rechtsgrund die spätere Entscheidung des Leistungsträgers beruht oder ob sie aufgrund eines geänderten Sachverhalts oder der geänderten Rechtsauslegung geändert wird. Die jetzt bevorstehende Entscheidung des Bundessozialgerichts resultiert aus verschiedenen im Rahmen der Sprungrevision zugelassenen erstinstanzlichen Verfahren, die eine Anwendbarkeit der § 44 Abs. 4 SGB X infrage stellen. Vorgetragen wurde in den Verfahren, dass es oftmals von Zufällen abhänge, ob über einen Rentenantrag nach dem ZRBG im Juni 2009 schon bindend entschieden war. Vielfach seien gerade auch die Verfahren der ältesten Antragsteller vorgezogen worden, was sich nun als nachteilig erweise. Würde man den Ghettoarbeitern die ihnen nach Gesetz und Rechtsprechung zustehenden Leistungen vorenthalten, widerspreche dies dem Grundgedanken des Wiedergutmachungsrechts. Von den erstinstanzlich zuständigen Sozialgerichten gibt es unterschiedliche Urteile: Teilweise wurden den Klägern rückwirkende Leistungen bereits ab 1. Juli 1997 zugesprochen, teilweise wurden die Klagen abgewiesen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt, dass sich das Bundessozialgericht dieser Frage annehmen wird und wird im Falle einer positiven Entscheidung dafür Sorge tragen, dass die Rentenversicherungsträger die neue Regelung umgehend und umfassend umsetzen werden. Sollten die Richterinnen und Richter zu einer Anwendbarkeit des § 44 Abs. 4 SGB X kommen, werden wir die Urteilsgründe sehr genau überprüfen. Der richterlichen Entscheidung, die ja nun kurz bevorsteht, durch einen Gesetzentwurf des Deutschen Bundestages zuvorzukommen, ist nicht nur der systematisch falsche Weg, sondern läuft auch Gefahr einer zweigleisigen Debatte, die den Leistungsberechtigten unbedingt erspart werden sollte. Es ist daher unverständlich und zeugt von mangelndem Respekt vor der dritten Gewalt – der Rechtsprechung – wenn die Linken jetzt kurz vor einem höchstrichterlichen Urteil einen Antrag im Deutschen Bundestag einbringen. Der gesetzgeberische Handlungsbedarf wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung schon sehr bald konkretisiert werden, und damit werden die Voraussetzungen und die Vorgaben für eine Befassung des Deutschen Bundestages gesetzt. Anton Schaaf (SPD): Die Linke greift in ihrem Antrag ein Problem auf, dessen Lösung uns allen am Herzen liegen muss: Wer bis zum 30. Juni 2003 einen Antrag auf eine sogenannte Ghettorente gestellt hat, soll, wie es dem Gesetz entspricht – unabhängig vom Zeitpunkt der tatsächlichen Bewilligung –, ab 1997 auch Leistungen erhalten. In den meisten Fällen allerdings bekommen die Betroffenen ihre Renten erst ab dem Jahr 2005. Um diese unterschiedliche Behandlung der ehemaligen Ghettoarbeiter nachvollziehen zu können, müssen wir kurz rekapitulieren: Die Gewährung der sogenannten Ghettorenten ergänzt das bestehende Entschädigungsrecht nach Zwangsarbeit und ist damit Teil deutscher Wiedergutmachung nach dem Terror der Nationalsozialisten. Das im Jahr 2002 verkündete ZRBG – Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto – regelt die Voraussetzungen. Leistungen werden bei rechtzeitiger Antragstellung ab 1997 gewährt. Das Jahr 1997, auf das sich das ZRBG bezieht, markiert den Beginn der sogenannten „Ghettorechtsprechung“ und damit einen Wendepunkt deutscher Wiedergutmachungspolitik. Es war die Erkenntnis gereift, dass Arbeitsleistungen von Verfolgten in den vom Dritten Reich eingerichteten Ghettos nicht unbedingt mit Zwangsarbeit gleichzusetzen sind, sondern auch in einem Beschäftigungsverhältnis erbracht werden konnten, für die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen sind. Das Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war. Leider führten die folgenden Anträge der ehemals Verfolgten auf eine Rente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto in den allermeisten Fällen nicht zur Gewährung einer Rente. Die Erfordernis, eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung nachzuweisen, bedeutete eine zu große Hürde. Rund 90 Prozent der Anträge wurden daher in den Jahren nach Inkrafttreten des ZRBG abgelehnt. Dies hat sich erst mit mehreren Entscheidungen des Bundessozialgerichts im Jahr 2009 geändert. Mit den neu gefassten Leitlinien zur Handhabung des ZRBG wurde in Teilen die frühere, restriktivere Rechtsprechung aufgegeben. Dies gilt beispielsweise in Bezug auf die Natur des Entgelts; insofern werden nun auch Nahrungsmittel oder Kleidung als solches gewertet. Denn im Kontext der Ghettos hatte Entlohnung in Form von Naturalien einen höheren Wert als Geld. Damit trägt das Gericht den außerordentlichen Verhältnissen, unter denen die Verfolgten leben mussten, Rechnung; mit rentenversicherungsrechtlichen Entgeltbegriffen sind diese kaum zu fassen. Auch auf ein Mindestalter, das bis dahin Voraussetzung für die Gewährung einer Rente war, wurde verzichtet. Zugleich wurde auch der Begriff der Willensentscheidung, der das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses und die Grenze zur Zwangsarbeit markieren sollte, vereinfacht. Im Nachgang zu den Urteilen hat die deutsche Rentenversicherung eine Überprüfung der abgelehnten Anträge vorgenommen, die weitgehend abgeschlossen ist. Mehrere Tausende an Berechtigten erhalten nun Renten nach dem ZRBG. Darunter befinden sich viele, deren Anträge vor der Änderung der Rechtsprechung bereits einmal bindend abgelehnt worden waren. Genau hier liegt der wunde Punkt: Für diese Antragsteller begannen die Rentenzahlungen nicht rückwirkend zum 1. Juli 1997, wie dies § 3 Abs. 1 ZRBG für bis zum 30. Juni 2003 gestellte Anträge vorsieht. Vielmehr haben die Rentenversicherungsträger die Renten erst ab 1. Januar 2005 gezahlt, wenn aufgrund der neuen Rechtsprechung im Jahr 2009 überprüft wurde. Insofern kam § 44 SGB X zur Anwendung. Nach dessen Abs. 1 hat jeder einen Anspruch auf erneute Überprüfung, wenn sich ein früherer Bescheid zu seinen Ungunsten als rechtswidrig erweist. In Abs. 4 der Vorschrift ist darüber hinaus festgelegt, dass dann Leistungen für vier Jahre rückwirkend zu erbringen sind. Besonders tragisch an der geltenden Rechtsanwendung ist, dass besonders ältere Betroffene, deren Anträge wegen ihres Alters vorgezogen beurteilt wurden und daher zum Zeitpunkt der Urteile des Bundessozialgerichts im Jahr 2009 schon bindend entschieden waren, nun im Nachteil sind. Es ist mehr als fraglich, ob dies der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers entsprechen kann. Eine Vielzahl von Antragstellern will die getroffene Entscheidung nicht akzeptieren und pocht auf einen Leistungsanspruch ab 1997. Einige Betroffene haben geklagt. Im Ergebnis liegen nun gegensätzliche erstinstanzliche Urteile der Sozialgerichte vor: Einige wiesen Klagen ab, andere beschieden im Sinne der Kläger. Die Folge der gefällten Urteile: Die zuständigen Senate des Bundessozialgerichts werden abschließend am 7. und am 8. Februar 2012 über die Rückwirkung des erleichterten Zugangs zu den Ghettorenten entscheiden. Das Resultat sollten wir abwarten, bevor wir über den vorliegenden Antrag abstimmen oder weitere Initiativen anschieben. Allerdings ist eine politische Lösung gefragt, sollte das Bundessozialgericht nicht im Sinne der Ziele des ZRBG entscheiden können. Auch in der Vergangenheit war in Reaktion auf die – so vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte – enge Auslegung des ZRBG ein stetiges Ineinandergreifen von Rechtsprechung und Politik zu beobachten. So war am 1. Oktober 2007 vor dem Hintergrund der sehr hohen Ablehnungsquote der Anträge nach dem ZRBG eine Richtlinie der Bundesregierung erlassen worden. Seitdem können Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes, die sich zwangsweise in einem Ghetto im nationalsozialistischen Einflussgebiet aufhielten, eine einmalige Leistung in Höhe von 2 000 Euro erhalten, wenn für diese Arbeit keine Leistung im Rahmen der Entschädigung nach Zwangsarbeit gezahlt wurde. Dies verdeutlicht auch: Das ZRBG gehört zwar zum Rentenrecht, stellt aber eine Sonderregelung dar. Dies liegt begründet in der besonderen historischen Konstellation und den extremen Bedingungen, unter denen die Verfolgten in den Ghettos der Nationalsozialisten zu leiden hatten. Daher dürfen wir auch jetzt nicht in letzter Konsequenz davor zurückscheuen, der ursprünglichen Intention des ZRBG, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung für alle Ghettoüberlebenden zu schließen, zum Durchbruch zu verhelfen. Denn wie sich der Sachverhalt jetzt darstellt, werden, verursacht durch den langen Klärungsprozess, nicht alle Betroffenen tatsächlich gleich behandelt. Mittlerweile sind circa 7 000 Antragsteller verstorben und zu vielen Tausenden konnte – trotz erheblicher Bemühungen – kein Kontakt mehr hergestellt werden. Diese Zahlen unterstreichen die besondere Dringlichkeit für eine abschließende und zufriedenstellende Lösung. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Thema der heutigen Debatte taugt nicht für eine parteipolitische Auseinandersetzung. Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2002 das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, ZRBG, einstimmig beschlossen. Vorgesehen war die Rückwirkung ab 1. Juli 1997. Leider hat dieses Gesetz nicht so gewirkt, wie wir alle es uns damals erhofft und gewünscht hatten. Das ZRBG war ein Versuch, die Problematik der ehemals in einem Ghetto Beschäftigten rentenrechtlich zu lösen. Diese Überlegung stützte sich auf die vorangegangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSG, die ihrerseits seit 1997 erstmals eine rentenrechtliche Lösung für ehemals in einem Ghetto Beschäftigte vorgab. Bis zum Urteil des BSG zum Ghetto ?ód? vom 18. Juni 1997 wurde davon ausgegangen, dass Arbeit in Ghettos, die von der deutschen Besatzung oder auf ihre Veranlassung hin eingerichtet wurden, als Zwangsarbeit auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses geleistet wurde. Da damit keine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorlag, kamen Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch nicht in Betracht. Mit dem Urteil des BSG wurde dann die Arbeit im Ghetto ?ód? als ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis angesehen, das auf freiem Willensentschluss beruhte und gegen Entgelt ausgeübt wurde. Das ist Voraussetzung für jede Rentenzahlung. Dieser rentenrechtliche Lösungsansatz hat Schwierigkeiten mit sich gebracht. Die für die Verhältnisse des Ghettos in ?ód? passende Regelung war nicht ohne Weiteres auf andere Ghettos übertragbar. Insbesondere der Kern der rentenrechtlichen Lösung, also die Geltendmachung einer „aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen“ und „gegen Entgelt ausgeübten“ Tätigkeit, war in der Antragspraxis oft nicht nachweisbar. Die FDP hat sich nicht nur deswegen in der Vergangenheit eher für Entschädigungslösungen als für die rentenrechtliche Bewertung ausgesprochen. Die aufgetretenen Schwierigkeiten bestätigen unsere Haltung. In seiner praktischen Anwendung hat das ZRBG nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt, sondern zu hohen Ablehnungsraten und Klagen. Den Rentenversicherungsträgern, also den zuständigen LVAs, kann das Scheitern der Umsetzung des ZRBG aber nicht vorgeworfen werden. Sie haben nur nach den im Gesetz geregelten rentenrechtlichen Grundsätzen gehandelt. Im Jahr 2009 hat das BSG praktikablere Leitlinien gesetzt und die Entgeltlichkeit der Tätigkeiten erleichtert. Danach waren bis Ende Juni 2011 mehr als 50 000 Anträge bearbeitet und beschieden worden, davon mehr als 90 Prozent positiv. Gut 2 000 Anträge waren zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht abgeschlossen. Nach wie vor laufen Prüfungen, insbesondere auch Gerichtsverfahren. Anfang Februar ist erneut mit Urteilen des BSG zur Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X zu rechnen. Wie schon in der Vergangenheit wird das Richterrecht uns Hinweise geben, ob gesetzgeberische Konsequenzen notwendig und sinnvoll sind. Ich bin überzeugt, dass der Bundestag bei diesem Thema wie in der Vergangenheit auf einer sehr breiten – ich hoffe einstimmigen – Basis agieren wird. Einer Initiative der Linken hätte es dazu nicht bedurft. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Unser Antrag zielt darauf ab, eine Ungerechtigkeit bei der Auszahlung der sogenannten Ghettorenten auszugleichen. Im Jahr 2002 hat der Bundestag einen Beschluss des Bundessozialgerichts umgesetzt und einstimmig beschlossen, dass NS-Opfer, die unter den Nazis in Ghettos gezwungen wurden und dort einer Arbeit nachgegangen waren, für diese Arbeit eine Rente erhalten sollen. Wir müssen leider feststellen, dass dieses Gesetz nicht so umgesetzt worden ist, wie es von uns allen hier im Haus beabsichtigt war. Durch Fehler und Mängel haben Zehntausende von überlebenden Ghettoarbeitern kein Geld erhalten oder weniger als geplant. Ich will hier nicht anfangen, Schuldzuweisungen an Parlament, Bundesregierung und Deutsche Rentenversicherung zu verteilen. Die Linke will, dass der Mangel behoben wird. Denn eine Seite kann definitiv nichts dafür: Die NS-Opfer, die im Ghetto geschuftet haben. Es darf nicht sein, dass sie für Fehler bezahlen sollen, die bei der Anwendung des Gesetzes zutage traten. Deshalb stellt die Linke diesen Antrag. Das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, ZRBG, musste praktisch als gescheitert angesehen werden, als in den ersten Jahren von über 60 000 Anträgen nur 5 100 bewilligt wurden. Das lag zu einem großen Teil an den fragwürdigen Begrifflichkeiten im Gesetz selbst bzw. ihrer Auslegung, so etwa der erforderten Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme und dem Erhalt von Entgelt dafür. Etliche Betroffene haben das als Verharmlosung der mörderischen Zustände im Ghetto empfunden. Die Deutsche Renten-versicherung hat fast alle Anträge abgelehnt, weil sie ebenfalls keine Freiwilligkeit gesehen hat. Erst spät, 2009, hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Begriffe großzügig interpretiert werden müssen und man die Spielräume berücksichtigen muss, die es auch im Ghetto gab, so gering sie auch gewesen sind. Auch eine Handvoll Kartoffeln extra stellt ein Entgelt dar, das damals überlebenswichtig sein konnte. Dieses Urteil war extrem wichtig. Das zeigt das Ergebnis der Überprüfungen, die danach von der Rentenversicherung vorgenommen wurden. Ich habe mir dieser Tage die aktuellen Zahlen geben lassen: Von knapp 28 000 neu erteilten Bescheiden fielen rund 25 000 positiv aus. Diese Menschen erhalten jetzt also Rente, nachdem sie ihnen erst verweigert worden war. Das ist eine erfreuliche Nachricht, die aber dadurch getrübt wird, dass mindestens 17 000 Betroffene keinen neuen Bescheid mehr erhalten konnten: 7 000 sind zwischenzeitlich verstorben, weitere 10 000 nicht mehr auffindbar, weil sie unbekannt verzogen oder ebenfalls verstorben sind. Und einen weiteren Wermutstropfen gibt es: Noch immer wird das Gesetz nicht so durchgeführt, wie es vom Bundestag einst beschlossen worden ist. Damals haben wir den Betroffenen gesagt: Wenn ihr bis Mitte 2003 euren Antrag einreicht, dann zahlen wir euch die Rente ab dem Jahr 1997 rückwirkend aus. 1997 wurde deswegen als Stichdatum gewählt, weil damals der erste einschlägige Beschluss des Bundessozialgerichts ergangen war, dass Ghettoarbeit prinzipiell einen Rentenanspruch begründet. Auszahlung ab 1997 – darin waren wir uns damals alle einig; auch die Gesetzesbegründung machte das klar. Doch das hat nicht geklappt. Bei den 25 000 Anträgen, die nach dem Urteil des Bundessozialgerichts neu geprüft und anerkannt worden sind, wird die Rückwirkung erst ab 2005 angewandt. Das hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mit der im allgemeinen Sozialrecht geltenden maximalen Rückwirkung von vier Jahren begründet; und diese vier Jahre werden von der BGS-Entscheidung an gerechnet. Im Klartext heißt das also: Die allermeisten Berechtigten erhalten die Rente nicht, wie ursprünglich versprochen, rückwirkend ab 1997, sondern erst ab 2005. Das hält die Linke für einen Fehler, den wir gutmachen müssen, auch wenn wir dafür rechtliches Neuland betreten müssen. Das haben wir beim ersten Gesetz ja auch getan. Deswegen beantragen wir, dass die Renten ab 1997 rückwirkend ausgezahlt werden. Darin waren wir uns in diesem Parlament ja alle einig, und ich hoffe sehr, dass wir uns auch heute noch darin einig sind. Wir können nicht die NS-Opfer verhöhnen, indem wir sie für unsere Fehler bezahlen lassen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, kurz ZRBG, von 2002 wollte Rot-Grün eine Lücke im Entschädigungsrecht schließen. Hier geht es um Menschen, die unter dem NSRegime in ein Ghetto gezwungen wurden und dort, oft um dem Hungertod zu entgehen, eine Beschäftigung annahmen. Dieser Personenkreis sollte nach der Intention des Gesetzgebers für die Arbeitszeit im Ghetto Rentenzahlungen erhalten, ohne dafür nachträglich Beiträge zur Rentenversicherung entrichten zu müssen. Das Gesetz fußt auf einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18. Juni 1997. Nach dem ZRBG haben Überlebende des NS-Terrors auch rückwirkend ab Juli 1997 deutsche Rentenansprüche erworben, wenn sie in einem Ghetto gearbeitet haben. 2009 entschied das Bundessozialgericht zudem, dass dies auch gilt, wenn sie im Ghetto zur Arbeit verpflichtet waren und als Lohn lediglich Nahrung oder Lebensmittelkarten erhalten haben. Bis dahin wurde davon ausgegangen, dass die Arbeit in Ghettos, die von der deutschen Besatzung oder auf ihre Veranlassung hin eingerichtet wurden, als Zwangsarbeit auf Grundlage eines Gewaltverhältnisses geleistet wurde und Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung deshalb nicht in Betracht kommen. Das ZRBG wurde 2002 einstimmig vom Deutschen Bundestag beschlossen. In seiner praktischen Anwendung hat das Gesetz aber lange nicht zu den vom Gesetzgeber gewünschten Ergebnissen geführt. Von den etwa 70 000 Anträgen wurden anfangs nur wenige positiv beschieden. Die zuständigen Landesversicherungsanstalten haben viel zu hohe Hürden aufgebaut. Das widerspricht der Intention des Deutschen Bundestages. Der Gesetzgeber hatte 2002 zugunsten der betroffenen NSVerfolgten entschieden, wohl wissend, dass damit rentenrechtliches Neuland betreten wurde. Dennoch mussten die Überlebenden der Nazischinderei mit den deutschen Rentenversicherungen kämpfen: mit deren fehlender Sensibilität für persönliche Schicksale und historische Zusammenhänge. Dadurch wurden Anträge verzögert, blockiert und oft auch pauschal abgelehnt. Diese langwierige deutsche Bewilligungspraxis war zuletzt im Vorfeld der deutsch-israelischen Regierungskonsultationen 2011 von der israelischen Regierung kritisiert worden. Aber nicht nur die israelische, auch die deutsche Öffentlichkeit erwartet von Schwarz-Gelb eine klare Ansage. Heute warten über 20 000 Holocaustüberlebende darauf, dass ihnen ein Rentenanspruch rückwirkend zum Jahr 1997 gewährt wird. Bislang beruft sich die Bundesregierung auf das Sozialrecht und gewährt diesen Rentenanspruch nur rückwirkend für vier Jahre, von 2009 gerechnet also ab dem Jahr 2005. Als wir im Bundestag dieses Gesetz verabschiedeten, war das nicht unsere Absicht als gesetzgebendes Organ. Es ist unhaltbar, dass nun den letzten überlebenden NS-Opfern durch diese Verschleppungstaktik Rentenansprüche vorenthalten werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass man hier auf eine „demografische Lösung“ des Problems hofft. Das ist zynisch, unanständig und zutiefst beschämend. Der Antrag der Linksfraktion, die Rentenzahlungen rückwirkend ab dem 1. Juni 1997 zu zahlen, findet deshalb die uneingeschränkte Zustimmung meiner Fraktion. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7985 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen die Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Innenausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen: Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und der Grünen. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein neues Bergrecht für das 21. Jahrhundert – Drucksache 17/8133 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die zu Protokoll gegebenen Reden stammen von Andreas Lämmel, CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD, Klaus Breil, FDP, Eva Bulling-Schröter, Die Linke, Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Fragen der Rohstoff- und Energiepolitik bleiben auch im Jahr 2012 von hoher Aktualität und politischer Brisanz. Gleich zum Jahresauftakt erfreuen uns die Grünen auf ihre Art mit einem Antrag zur angeblichen Modernisierung des Bergrechts. Sie hätten ihren Antrag auch ehrlicherweise „Bergbau in Deutschland abschaffen!“ oder „Bergbau in Deutschland – im 21. Jahrhundert ist Schluss!“ nennen sollen. Diesen Antrag gilt es in einem größeren Kontext zu sehen, um ihn auch angemessen beurteilen zu können. Erstens. Deutschland ist umfassend von Rohstoffimporten abhängig. Die christlich-liberale Koalition hat daher in dieser Legislaturperiode eine umfassende Rohstoffstrategie vorgelegt. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Rohstoffstrategie ist die Diversifizierung der Rohstoffbezugsquellen. So werden Abhängigkeiten vermieden oder reduziert, und die Versorgungssicherheit kann erhöht werden. Zweitens. Zur Diversifizierung zählt auch die Nutzung heimischer Rohstoffe. Damit kann Deutschland Rohstoffimporte vermeiden, Vermögens- und Kaufkrafttransfers ins Ausland verhindern und Wertschöpfungsketten im Land halten. Drittens. Neben diesem ökonomischen Aspekt sind auch ökologische und soziale Aspekte zu beachten. Wir haben in Deutschland bereits hohe Standards an Umweltauflagen für den Bergbau. Dies gilt auch für den Arbeitsschutz. Findet Bergbau nicht mehr in Deutschland statt, wird der Bedarf durch den Abbau in anderen Weltregionen gedeckt. Wir alle wissen, dass die ökologischen und sozialen Standards in den meisten Ländern viel niedriger sind als bei uns. Eine Verlagerung des Bergbaus aus Deutschland steigert die Nachfrage nach importierten Rohstoffen, die unter niedrigeren bis nicht vorhandenen ökologischen und sozialen Standards abgebaut wurden. Viertens. Das Motto der Grünen „Kein Bergbau bei uns – kein Problem“ ist kurzsichtig und verantwortungslos. Das sollten sie auch gegenüber ihren Anhängern erklären. Fünftens. Ein weiterer grundlegender Punkt ist die Energiepolitik. Fast alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, auch die Fraktion der Grünen, haben im Sommer des vergangenen Jahres die „Energiewende“ beschlossen. Wir haben also gemeinsam acht grundlastfähige Kernkraftwerke vom Netz genommen und wollen schrittweise bis zum Jahr 2022 komplett auf die Kernenergie verzichten. Bis der erforderliche Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgt und insbesondere die begleitende Infrastruktur errichtet ist – ich nenne nur Netze und Speicher als Stichworte –, werden wir in Deutschland verstärkt fossile Energieträger nutzen müssen. Dazu gehören neben überwiegend importiertem Erdgas und Erdöl auch die heimischen Energieträger Stein- und Braunkohle. Folglich müssen wir in der Lage sein, die erforderlichen Rohstoffe auch in Deutschland abzubauen. Diesen Zusammenhang sollten die Grünen auch ihren Anhängern erläutern. Mit dem Abschalten von Kernkraftwerken ist es nicht getan. Wer aussteigt, muss auch einsteigen. Nun aber zum Antrag. Die Grünen wollen ein Bergrecht für das 21. Jahrhundert, ein neues Bergrecht, um genau zu sein. Sie übersehen, dass ein in Deutschland einheitliches Bergrecht in dieser Form seit den frühen 80er-Jahren besteht. Das Bergrecht wurde seit seinem Inkrafttreten 1982 ständig an umweltrechtliche Vorgaben, insbesondere denen des EU-Rechts, angepasst. Auch in der ständigen Rechtsprechung der Gerichte wurden keine Differenzen zwischen dem Bergrecht und bestehenden umwelt- oder verfahrensrechtlichen Regelungen angemahnt. Das Bergrecht hat selbstverständlich den Zweck, die Rohstoffgewinnung zu ermöglichen. Aber dies geschieht natürlich in einer Abwägung mit den Interessen Dritter, primär der ansässigen Bevölkerung und der Natur. So ist seit 1990 für größere Vorhaben die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung obligatorisch. Speziell für den Braunkohlebergbau ist noch das raumordnerische Braunkohlenplanverfahren vorgesehen, welches mehrere Jahre in Anspruch nimmt und unter Durchführung von Umweltprüfungen, Öffentlichkeitsbeteiligung und auf Basis von zahlreichen Gutachten die gesamtheitliche Abwägung der Braunkohlegewinnung im Tagebau mit allen anderen berührten Belangen vollzieht. Die Wiedernutzbarmachung der Erdoberfläche nach erfolgtem Abbau ist – das ist weltweit einmalig – Bestandteil unseres Bergrechts. Gerade in diesem Punkt zeigt sich eine unsachliche Zuspitzung im Antrag der Grünen. Sie schreiben auf den Seiten 1 und 2 von „300 Ortschaften mit 110 000 Menschen“, die seit 1945 in Ost- und Westdeutschland aufgrund des Braunkohlebergbaus ihre Heimat verloren hätten. Sie übersehen aber dabei, dass das Bergrecht, über das wir hier sprechen, in der ehemaligen DDR gar nicht galt. Es ist unseriös, die Ursachen für die Naturschäden in den mitteldeutschen und Lausitzer Braunkohlerevieren beim geltenden Bergrecht zu suchen. Dafür sind ein menschen- und naturfeindliches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell verantwortlich, welches die Kollegen der Linken sicher gern umfangreich erläutern können. Die ehemaligen Tagebaue werden seit 1990 unter der Geltung des Bergrechtes, mit großem finanziellen Aufwand des Bundes, saniert und rekultiviert. Das hätte man im Antrag auch erwähnen können. Übrigens werden 98 Prozent aller Umsiedlungsfälle gütlich geregelt und Grundabtretungsverfahren werden vermieden. Das geltende Bergrecht erfüllt also seinen Zweck: Es schafft Ausgleich zwischen den Interessen der Menschen, der Natur und der Rohstoffgewinnung. Besonders fragwürdig und wirklichkeitsfremd sind die Forderungen unter Punkt 8 und 14. Bergbauprojekte sind kapitalintensive Unternehmungen, die sich oft über Jahrzehnte erstrecken und daher umfassende Rechtssicherheit benötigen. Eine ständige Überprüfung erteilter Genehmigungen, wie hier gefordert, steht dem aber entgegen. Sie würden jede Investitionsentscheidung im Bergbau de facto verhindern. Auch verhindert man damit Rechtssicherheit und Klarheit für die Betroffenen, um die es den Grünen doch vordergründig geht. Auch der Punkt 18 ist bemerkenswert. Die Grünen fordern ein umfassenderes Klagerecht für Bergbaubetroffene und auch für Umweltverbände. Dies ist einerseits nicht nötig, da jeder Bürger die Möglichkeit der Klage hat, falls er seine Grundrechte eingeschränkt sieht. Dies betrifft selbstverständlich auch bergrechtliche Entscheidungen. Anderseits habe ich Verständnis, dass diese Forderung gestellt wird. Wahrscheinlich müssen die Grünen die Wutbürger und die Wir-sind-gegen-alles-Fraktion in ihren Reihen zufriedenstellen. Jetzt, da die Bürger den Grünen in Stuttgart per Referendum mitgeteilt haben, dass sie ihre Infrastrukturphobie nicht teilen und ein grüner Ministerpräsident und ein grüner Verkehrsminister Stuttgart 21 wohl umsetzen müssen, sind die Grünen natürlich in der Pflicht, ihre Klientel zu befriedigen, indem sie neue oder erweiterte Klage- und Verzögerungsbefugnisse fordern. Wir brauchen Bergbau zur Gewährleistung der Rohstoffversorgung und zur Sicherung des Know-hows in Deutschland. Das geltende Bergrecht berücksichtigt dabei auch die Interessen anderer Beteiligter. Schließlich kann ich Urlaub in Sachsen empfehlen. Dort kann man in der Lausitz beobachten, wie aus alten Braunkohletagebauen touristische Destinationen entstehen und sich die Natur erholt. Oder man fährt ins Erzgebirge und lässt sich zeigen, wie die Menschen vor Ort mit Stolz die Tradition des Bergbaus pflegen und die Folgen der Devastierung einer Landschaft wegen eines fehlenden Bergrechts fast nicht mehr zu finden sind. Rolf Hempelmann (SPD): Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beschäftigt sich zusammengefasst mit einer Revision des Bergrechts. Auch die SPD-Bundestagsfraktion beschäftigt sich mit diesem Thema und denkt über eine Weiterentwicklung nach. Hintergrund unserer Diskussion war und ist unter anderem die aktuelle Situation beim unkonventionellen Erdgas. Wir haben festgestellt, dass das geltende Bergrecht über Unzulänglichkeiten bei den Regelungen zur Aufsuchung und Förderung verfügt. In den Deutschen Bundestag haben wir dazu einen Antrag eingebracht, der sich mit der Transparenz und der Umweltverträglichkeit von Fördermethoden beim Fracking beschäftigt. Nun zum aktuellen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen: Ich kann vorausschicken: Über viele Dinge im Forderungsteil des Antrages können wir reden. Jedoch finden wir einige Mängel im Antrag, insbesondere im Feststellungs- und Begründungsteil. So sind sehr ausführlich die Risiken und Konfliktpotenziale beim Abbau von Bodenschätzen aufgeführt, aber es gibt keine Würdigung der heimischen Bergbauindustrie und der mit ihr verbundenen Wertschöpfungskette unter anderem auch bei der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen und der Entwicklung von Bergbauregionen. Ohne die heimischen Bergbauunternehmen wäre der Erfolg der deutschen Industrie nicht möglich gewesen. Die einheimische Rohstoffgewinnung macht Deutschland unabhängiger von Rohstoffimporten. Sie ist notwendig und verfügt über vielfältige positive Effekte. Die Versorgungssicherheit bei energetischen und nichtenergetischen Rohstoffen erhöht sich durch den heimischen Abbau deutlich. Durch heimische Rohstoffe wird die deutsche Bauindustrie ortsnah mit Baumaterialien für den öffentlichen und privaten Bau versorgt. Energetische Rohstoffe im eigenen Land sichern eine stabile Versorgung insbesondere der energieintensiven Industrien. Und nicht zu vergessen ist das deutlich höhere Umweltschutzniveau bei der heimischen Gewinnung im Vergleich zur Gewinnung importierter Rohstoffe. Wenn Sie im Antrag die negativen Nebenwirkungen der inländischen Bergbauaktivitäten beschreiben, gleichzeitig aber die positiven Hauptwirkungen außen vor lassen, wird eine echte Güterabwägung im Sinne eines fairen Chancen-Risiken-Vergleichs kaum gelingen. Planfeststellungsverfahren laufen heute nicht selten über 10 bis 15 Jahre. Dies erzeugt weder Rechtssicherheit bei den betroffenen Menschen noch bei den jeweiligen Unternehmen. Die Herausforderung in einer aufgeklärten Zivilgesellschaft besteht heute darin, eine Beschleunigung der ohne Zweifel zu langen Verfahren mit einer Verbesserung von Transparenz und Bürgerbeteiligung zu verbinden. Das deutsche Bergrecht ist eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte. Die enorme Beschäftigungsentwicklung, der Aufschwung der Bergbauregionen oder der schnelle Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wären ohne die Nutzung der energetischen und nichtenergetischen Rohstoffe aus heimischen Lagerstätten nicht möglich gewesen. In manchen Teilen scheint das historisch gewachsene geltende Bergrecht trotz mancher Weiterentwicklung nicht mehr zu einer modernen aufgeklärten und an Teilhabe interessierten Gesellschaft zu passen. Eine Überarbeitung muss deshalb angemessene Regelungen zu Transparenz und frühzeitig beginnender Bürgerbeteiligung enthalten. Auch stehen heute andere Fragen im Vordergrund als zur Entstehungszeit des deutschen Bergrechts. Heute spielen zum Beispiel umwelt- und wasserrechtliche Aspekte eine ganz andere Rolle. Das muss eine Revision des deutschen Bergrechts überzeugend aufnehmen. Dabei muss Spielraum bleiben für eine sachgerechte Abwägung ökologischer, sozialer und ökonomischer Belange. Bündnis 90/Die Grünen schlagen in ihrem Antrag unter anderem die Einführung einer „generellen Bergschadenvermutung mit Beweislastumkehr“ vor. In der Tat ist schwer begründbar, warum gerade der Betroffene als schwächstes Glied die komplette Beweislast, dass die Schäden aufgrund der Bergbautätigkeit aufgetreten sind, tragen soll. Ob eine Beweislastumkehr das richtige Heilmittel ist oder ob weitere Wege möglich sind, sollten wir versuchen in einer Anhörung zu klären. Es gibt viel zu besprechen. Dafür haben wir unsere Ausschüsse. Im Rahmen der Ausschussberatungen haben wir auch, wie gesagt, die Möglichkeit zur Durchführung einer Anhörung. Da können wir noch manche Frage klären. Klaus Breil (FDP): Der vorliegende Antrag der Grünen betont, dass Bergbau in Deutschland auch in Zukunft grundsätzlich möglich sein soll. Schaut man sich die darin aufgestellten Forderungen jedoch im Detail an, dann lässt das zumindest Zweifel an diesem Grundsatz aufkommen. Vielmehr zeugt der Antrag inhaltlich in schon gewohnter Art und Weise von der ökologischen Dialektik der Grünen. Es ist ein Januskopf: Janus der römische Gott des Anfangs und des Endes. Im Antrag ist der Anfang das vermeintliche Bekenntnis zum Fortschritt. Das Ende folgt in Form der Forderungen, die jeden Fortschritt in der Realität unmöglich machen. Doch wie sieht die Realität aus? Seit 1980 gibt das Bundesberggesetz – zuletzt mit Änderungen im Jahr 2009 – einen verbindlichen ordnungspolitischen Rahmen für die Aufsuchung und Gewinnung von Rohstoffen sowie die damit verbundenen finanziellen Anforderungen und sicherheitstechnischen Bedingungen vor. Der gesamte Prozess, von der Erkundung über den Betrieb bis zum Rückbau, wird dabei mit hoher fachlicher Kompetenz von den jeweiligen zuständigen Landesbehörden überwacht und geleitet. Selbstverständlich umfassen die Befugnisse der Behörden auch das Versagen bergbaulicher Tätigkeiten für den Fall, dass umweltrechtliche oder sicherheitstechnische Probleme aufgetreten sind oder diesbezüglich Bedenken bestehen. Dass die zugrundeliegenden Regeln zielführend und zuverlässig greifen, zeigt nicht zuletzt die Verhängung eines sofortigen Förderstopps infolge der 2008 durch Arbeiten im Bergwerk Saar ausgelösten Erdbeben in der Region. Selbst die Möglichkeit der dauerhaften Stilllegung des Bergwerks, welche in diesem Jahr abgeschlossen sein wird, war auf Basis des geltenden Gesetzes rechtlich gegeben. Zur gemäß Bundesberggesetz geforderten Regulierung der aufgetretenen Bergschäden wendete die RAG Deutsche Steinkohle AG einen dreistelligen Millionenbetrag auf. Derartigen Ansprüchen kann sich das Unternehmen, trotz der Einstellung des Betriebes, auch in den nächsten Jahrzehnten bei eventuell auftretenden Schäden oder Beeinträchtigungen nicht entziehen. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kritisiert wortgewaltig die verheerenden Auswirkungen von Bergbauvorhaben auf die betroffenen Bürger. Sogar ein Bezug zu Menschenrechtsverletzungen wird hierbei gewagt. Sicherlich sind die im Bundesberggesetz festgelegten Entschädigungsregelungen nicht immer einfach umzusetzen und bedingen eine spezifische Form des Dialogs. Als Beispiel für deren konstruktive Anwendung sei an dieser Stelle aber das in der brandenburgischen Lausitz gelegene Haidemühl genannt. Als dieses Dorf dem nahenden Braunkohletagebau Welzow-Süd weichen musste, wurde den Bewohnern nicht nur in kurzer Entfernung ein neuer Ort mit modernster Infrastruktur und energieeffizienten Häusern errichtet; vielmehr steht nun auch den Vereinen ein Gemeindezentrum mit Kegelbahn und Schießstand zur Verfügung. Zudem entspannen sich die Angelfreunde am eigens für sie angelegten Biotop, und es rückt die örtliche Feuerwehr mit leistungsfähiger Technik aus einem großzügig ausgestatteten Gerätehaus aus. Um den demografischen Effekten in der Region entgegenzuwirken, erhalten Jugendliche des Ortes zudem bevorzugt einen Ausbildungsplatz bei Vattenfall, dem Betreiber des Tagebaus und wichtigsten Energieversorger in den neuen Bundesländern. Vor diesem Hintergrund ist es wohl kaum verwunderlich, dass nahezu alle Einwohner dem Umzug bereitwillig zustimmten. Das Investitionsvolumen, welches in diesem Fall Vattenfall bereitstellte, belief sich auf rund 150 Millionen Euro. Hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf auszumachen, stößt allgemein auf wenig Verständnis. Würde man die gestellten Forderungen der Grünen im Rahmen einer Gesetzesänderung aufgreifen, dann stünde dem Bergbau in Deutschland die gleiche Entwicklung bevor, wie sie leider immer häufiger bei Projekten zum Ausbau des Stromnetzes oder der Errichtung von Speicherseen zu verzeichnen ist. Hierin liegt die Stoßrichtung des Antrags: die Implementierung von Blockademechanismen, und dies in Form einer angeordneten Berücksichtigung ausgesuchter Partikularinteressen. Dies ist weder im Sinne einer zukunftsfähigen und fortschrittlichen Entwicklung unserer Volkswirtschaft, noch spiegelt dies das überwiegende öffentliche Interesse im Land wieder. Daher lehnen wir den Antrag ab. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Das deutsche Bergrecht ist überholt. Es stammt aus einer Zeit, in der Begriffe wie Klimaschutz, Energieeinsparung oder Materialeffizienz noch kaum Bedeutung hatten. Aus dem Berg geholt und verwertet wurde, was der Berg hergab. Und dieser Abbau hatte Vorrang vor allen anderen Interessen, seien es Dörfer oder ganze Städte, die, insbesondere im Braunkohletagebau, riesigen Baggern weichen mussten. Heute, in einer Zeit, in der die Erderwärmung voranschreitet und zugleich das grenzenlose Wachstum infrage gestellt wird, ist ein Umsteuern angezeigt. Erleichtert wird dieses Umsteuern zu mehr Maß und Umsicht beim Umgang mit unseren Ressourcen, weil es inzwischen Alternativen gibt. Somit ist etwa die Frage: „Brauchen wir eigentlich den neuen Tagebau und die Kohle daraus?“, keine ethisch-moralische mehr, sondern eine ganz praktische. Beispielsweise gestattet es das rasante Wachstum der erneuerbaren Energien, die Braunkohleverstromung in absehbarer Zeit auslaufen zu lassen. Wind und Sonne ernten, anstatt immer neue Dörfer abzubaggern, das ist die Zukunft, natürlich auch aus Sicht des Klimaschutzes. Studien haben ergeben, dass sich die Region Berlin-Brandenburg bereits 2030 vollständig mit regenerativen Energien versorgen wird. Warum dann also neue Tagebaue aufschließen, die noch bis nach 2050 klimaschädliche Braunkohle liefern könnten? Ähnliche Rechnungen könnte man für Nordrhein-Westfalen oder andere Bundesländer aufmachen. Kurz-um, ein Bergrecht, dass so gestrickt ist, dass es dem Bergbau automatisch Vorrechte einräumt, weil der Rohstoffabbau alternativlos wäre, fällt vollkommen aus der Zeit. Es fällt auch aus der Zeit, weil es keine tatsächliche Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern oder Verbänden kennt, weil in ihm der Umwelt- und Landschaftsschutz kaum eine Rolle spielt, ja weil nicht einmal Varianten des Abbaus geprüft werden müssen. Das Bergrecht kennt nur das Vorrecht der Konzerne, mit den Rohstoffen unseres Landes Profit zu machen, egal wie hoch die langfristigen Kosten des Abbaus sind. Und deshalb ist eine Reform des Bergrechtes überfällig. Auch die Linke wird hierzu in Kürze einen Antrag einbringen. Unsere Kernforderungen sind folgende: Das neue Bergrecht muss den Erfordernissen der Rohstoffversorgung Rechnung tragen – logisch. Dabei muss es aber die Interessen der Umwelt und der von Abbau betroffenen Menschen und Unternehmen angemessen berücksichtigen. So sollten Bergbauvorhaben in besiedelten Gebieten nur noch dann genehmigt werden, wenn ein volkswirtschaftlich unabweisbares Erfordernis für den Rohstoffabbau an dieser Stelle besteht. Es muss vom Vorhabenträger nachgewiesen werden, dass dieser Abbau zwingend und alternativlos ist. Die Beweislast dafür liegt dann also beim Unternehmen. Diese und weitere Aspekte, insbesondere die Umweltauswirkungen des Abbaus und mögliche Varianten, müssen künftig in einem Planfeststellungsverfahren für das gesamte Vorhaben geprüft werden. Damit wäre Schluss mit dem scheibchenweisen Zulassen und Abarbeiten von unterschiedlichen Betriebsplänen, Schluss mit dem Verwirrspiel für Kommunen und Anwohner. Vor allem aber hätten die Bürgerinnen und Bürger erstmals realistische Chancen, Abbauvorhaben gerichtlich überprüfen zu lassen. Wir setzen uns auch dafür ein, dass Gemeinden, Interessenvertretungen von betroffenen Anwohnern und Umweltverbände der Klageweg offensteht. Und zwar auch dann, wenn es um die Fragen der Bedarfsfeststellung oder der Umweltauswirkungen insgesamt geht. Anerkannte Umweltorganisationen beispielsweise sollten sich also im Verfahren nicht nur um den reinen Naturschutz streiten können, sondern auch um den Wasserhaushalt oder den Klimaschutz. Wir wollen ferner Schluss machen mit dem überkommenen Konstrukt des Bergwerkseigentums, das Abbaurechte handelbar macht. Rohstoffe sind Eigentum des Volkes, und das Land darüber gehört auch nicht den Energiekonzernen. Darum sollten Abbaurechte erst dann an Unternehmen verliehen werden, wenn ein Abbau in einem demokratischen Verfahren beschlossen wurde. Und zwar unter Abwägung aller Interessen und nach einer sogfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung – und keinen Tag vorher. Die Linke spricht sich zudem für mehr Transparenz in den bergrechtlichen Verfahren aus. Die Vorhabenplanung muss nicht nur öffentlich bekannt gemacht werden, sondern auch individuell durch Benachrichtigungen an Grundstückseigentümer, Träger öffentlicher Belange sowie anerkannte Umweltverbände. Die Bürgerinnen und Bürger wollen rechtzeitig wissen, was los ist. Denn nur wer informiert ist, kann seine Rechte wahrnehmen. Das gilt natürlich auch für den Abbau selbst und die Zeit danach. Darum sollen künftig auch alle Monitoringdaten ins Internet gestellt werden. Nicht zuletzt ist das Haftungsrecht bei Bergschäden zu ändern. Ähnlich wie beim Steinkohlebergbau unter Tage bereits heute geregelt, muss künftig auch in Tagebauen die Beweislast bei den Vorhabenträgern liegen und nicht bei den Geschädigten. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin froh, dass wir uns heute mit dem Thema Bergrecht beschäftigen, das nicht nur die Menschen in den traditionellen Kohleabbaugebieten Nordrhein-Westfalens, des Saarlandes und der Lausitz bewegt, sondern auch die Menschen an vielen anderen Orten in Deutschland, an denen Bodenschätze abgebaut werden. Dies geschieht nämlich an mehr Orten, als man gemeinhin denkt, und das Bundesberggesetz, kurz das Bergrecht, ist dort immer wieder der Ausgangspunkt für politische und gesellschaftliche Debatten. Das Bergrecht ist in Deutsch-land die Rechtsgrundlage für vielerlei Vorhaben: Sei es der Abbau von Kohle, Salz, Gestein und Kies, die Förderung, aber auch Speicherung von Gas und Öl, die Abfalldeponierung bis hin zur Genehmigung von untertägigen Industriebetrieben und sogar die Erkundung von Gorleben. Kaum ein Projekt ohne tiefgreifende Konflikte, für deren Lösung das seit über 30 Jahren nicht mehr entscheidend geänderte Bergrecht mit in großen Teilen noch älteren Rechtsgrundsätzen, die ausschließlich auf die Roh-stoffgewinnung ausgerichtet sind, eher Hindernis als eine Hilfe ist. In unserem heute in der ersten Lesung zur Debatte stehenden Antrag schlagen wir vor, das Bergrecht grundlegend zu reformieren und an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Unser Antrag benennt die Probleme des Bergrechts konkret und macht Lösungsvorschläge. In Deutschland gibt es eine lange Bergbautradition. Ohne den Bergbau wäre in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands so nicht möglich gewesen. Auch wenn der Bergbau heute nicht mehr die wirtschaftliche Rolle spielt, wird der Abbau von Bodenschätzen auch in Zukunft in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil der Ökonomie sein und sein müssen. Doch die dafür geltende Rechtsgrundlage ist nicht mehr zeitgemäß. Sie ist in Teilen regelrecht aus der Zeit gefallen. Moderne Bürgerbeteiligung, Transparenz, Interessenabwägung sind beinahe Fremdworte bei der Genehmigung von Bergbauvorhaben und der deren Umsetzung. Es bedarf einer Anpassung dieses Rechts an die Gesellschaft des 21. Jahr-hunderts. Nicht zuletzt aufgrund neuer Interessen bei der Bodenschatzgewinnung und auch durch neue Fördermethoden. Das heutige deutsche Bergrecht ist stark geprägt durch das Allgemeine Preußische Berggesetz von 1865. Zur Zeit der NS-Herrschaft kamen weitere Regelungen hinzu, welche der deutschen Kriegswirtschaft ungehinderten Zugang zu Ressourcen ermöglichen sollten, sich aber zum Teil noch im heutigen Bergrecht wiederfinden lassen. Ein einheitliches Bundesberggesetz wurde 1980 geschaffen. Die letzten wesentlichen Änderungen gab es im Jahr 1990 im Zusammenhang mit der deutschen Einheit und der Einführung von Regelungen zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP. Um es auf den Punkt zu bringen: Das deutsche Bergrecht ist geprägt von einem starren Über- und Unterordnungssystem. Das heißt, dem öffentlichen Interesse des Bergbaus wird weitgehend Vorrang vor anderen Belangen, Interessen und Rechten, insbesondere denen Privater, eingeräumt. Eine gleichwertige Interessenabwägung in der Planungs- und Genehmigungsphase findet faktisch nicht statt. Gerade die Menschen in den deutschen Braunkohlerevieren können ein Lied davon singen. 110 000 Menschen wurden allein für den Braunkohlebergbau zwangsumgesiedelt. Viele von Ihnen versuchten sich juristisch dagegen zur Wehr zu setzen, dass man ihre Heimat wegbaggern wollte – vergeblich, weil das deutsche Bergrecht die Interessen des Einzelnen kaum berücksichtigt. Die Vertreibung aus und die Zerstörung der Heimat, einer der schwersten denkbaren Eingriffe in die Menschenwürde, ohne wirksamen Rechtsschutz – das muss ein Ende haben. Die Anforderungen an das deutsche Bergrecht werden weiter zunehmen, je stärker auch heimische Bodenschätze durch steigende Weltmarktpreise wieder in den Fokus der bergbautreibenden Unternehmen rücken. Darüber hinaus werden immer mehr Anforderungen durch neue Technologien wie die Nutzung der Geothermie, die Förderung von unkonventionellem Erdgas oder die Errichtung großer Erdgasspeicher an den Untergrund gestellt werden. Dafür ist das Gesetz in seiner derzeit gültigen Fassung jedoch überhaupt nicht ausgelegt. Nach unserer Auffassung steht das deutsche Bergrecht daher zurzeit von mehreren Seiten unter Druck, und eine Anpassung an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts erscheint dringend erforderlich. Ich möchte im Folgenden drei Sachverhalte nennen, stellvertretend für weitere wichtige Punkte, die wir in unserem Antrag formuliert haben, bei denen wir im Bundesberggesetz dringenden Handlungsbedarf sehen: Erstens fordern wir, dass die durch das Bergrecht gedeckte und leider nach wie vor häufig übliche Hinterzimmerpolitik durch ein öffentliches „Transparenzgebot“ ersetzt wird. Die verfahrensführenden Behörden müssen dazu verpflichtet werden, die Öffentlichkeit früh, bürgernah und umfassend zu informieren. Zweitens muss die Durchführung einer UVP als wesentlicher Bestandteil des Planfeststellungsverfahrens als ökologisches Bewertungsinstrument mit Frühwarnfunktion gestärkt werden. Gegenwärtig wird eine UVP nur in Ausnahmefällen bei bergrechtlichen Vorhaben durchgeführt; dabei handelt es sich bei nahezu allen Bergbauprojekten um ganz massive Eingriffe in Umwelt und Natur, bei denen ökologische Folgeschäden nahezu unvermeidlich sind. So muss nach aktuell geltendem Recht zum Beispiel bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas keine UVP durchgeführt werden, obwohl dabei erhebliche Umweltschäden auftreten können, wie man vor allem in den USA beobachten kann. Die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben muss daher dringend geändert werden. Drittens möchte ich auf die nach unserer Auffassung dringend gebotene Beweislastumkehr hinweisen. Aktuell stehen Betroffene von Bergschäden vor der häufig schwierigen und für Privatpersonen sehr kostspieligen Aufgabe, nachweisen zu müssen, dass es sich bei Schäden an ihren Immobilien um Bergschäden handelt. Entscheiden sich Bergbaubetroffene, zu klagen, droht Ihnen vor Gericht eine ungleiche Auseinandersetzung mit einem Großkonzern. Wir Grünen fordern, dass im gesamten potenziellen Einwirkungsbereich bergbaulicher Tätigkeiten bei typischen Schadensmerkmalen von Berg-schäden auszugehen ist. Im Zweifel muss der Bergbautreibende nachweisen, dass es sich nicht um einen Bergschaden handelt. Die sind nur drei exemplarische Punkte, bei denen wir dringenden Handlungsbedarf im deutschen Bergrecht sehen. Wir möchten mit unserem Antrag eine Debatte über eine Reform des deutschen Bergrechts anstoßen, da wir der festen Überzeugung sind, dass es gerade auch angesichts der Herausforderungen der kommenden Jahre dringend einer Anpassung an die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts bedarf. Wir freuen uns daher auf die Beratungen in den Ausschüssen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8133 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen stärken – Drucksache 17/7249 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Die zu diesem Punkt zu Protokoll gegebenen Reden stammen von Marlene Mortler, CDU/CSU, Willi Brase, SPD, Rainer Erdel, FDP, Alexander Süßmair, Die Linke, Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen. Marlene Mortler (CDU/CSU): Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen im Agrar- und Ernährungssektor sind wichtig und richtig für die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raums. Die Stärkung des ländlichen Raums ist ein zentrales Anliegen christsozialer Politik. Das haben wir in Bayern erfolgreich über viele Jahrzehnte unter Beweis gestellt. Die Grünen mit ihrer landwirtschaftsfeindlichen Politik tragen zum Aufschwung des ländlichen Raums nichts bei. Diskutieren wir über ländliche Räume als Heimat mit Zukunft: Auf dem Land sind Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung besonders gefragt. Die Menschen sind dazu bereit. Ländliche Räume dürfen aber nicht nur schöne Lebensräume sein, nicht nur bloße Schlafstätten. Nein, die Menschen auf dem Land müssen konkrete wirtschaftliche Perspektiven haben. Viele junge Menschen fragen sich, was ihnen die hohe Lebensqualität im ländlichen Raum nützt, wenn es keine Ausbildungs- und Arbeitsplätze gibt. Ich sage darauf: Nur mit einem hohen Maß an regionaler Wertschöpfung sind wir in der Lage, das Leben im ländlichen Raum attraktiv zu gestalten – wie bei uns in Bayern. In Bayern spiegelt sich die Schönheit und Vielfalt der Lebensräume in einer Vielzahl regionaler Spezialitäten und Vermarktungsinitiativen wider, die die Wertschöpfung innerhalb einer Region vergrößern und damit die wirtschaftliche Entwicklung stärken. Beispiele sind das von der Natur begünstigte Weinland Unterfranken, Mittel- und Oberfranken mit ihren berühmten Bratwürsten und Bieren, oder der Alpenraum mit typischen Produkten wie Käse, Milch und Rindfleisch. Regionale Initiativen und Projekte haben sich zum Ziel gesetzt, die Wertschätzung des Verbrauchers für regionale Produkte und Dienstleistungen zu verbessern. Regionale Wertschöpfung heißt für mich: Die Wachstumspotenziale der heimischen Region entdecken. Die regionalen Ressourcen nachhaltig nutzen. Die eigene Region als Marke verkaufen. Auf regionale Produkte und Leistungen setzen. Landwirtschaftliche und nicht landwirtschaftliche Beschäftigung im ländlichen Raum stärken. Wertschöpfung hat auch immer etwas mit Besinnung auf die eigenen Stärken zu tun. Die Stärken können dabei sowohl im eigenen Betrieb als auch in der Heimatregion liegen. Es gilt, so viel Wertschöpfung wie möglich in der Region zu halten. Hier spielen natürlich die Marktentwicklung und Nachfragetrends eine entscheidende Rolle. Ebenso wichtig sind die Fähigkeiten der Erzeuger, sich auf diese Entwicklungen einzustellen. Artgerechte Tierhaltung und Direktvermarktung der eigenen Produkte sind heute spürbare Wettbewerbsvorteile. Zusammen können Landwirte ihre Marktmacht bündeln und so den Absatz ihrer Qualitätsprodukte fördern. Besonders für kleine Betriebe sind innovative Netzwerke wichtig. Auch die Verbraucher entdecken verstärkt den Wert regionaler Erzeugnisse. Sie sind bereit, für regionale Qualitätsprodukte einen höheren Preis zu zahlen. Zwei Drittel der Verbraucher achten heute schon auf die regionale Herkunft ihrer Lebensmittel; das hat eine Umfrage im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums ergeben. Wichtig ist dabei: Wo regional draufsteht, muss auch regional drin sein. Hier muss die Politik klare Spielregeln vorgeben. Aus Brüssel kommen positive Signale. Die Regelungen zum Geoschutz und zu traditionellen Spezialitäten werden in einem einzigen Rechtsakt gebündelt. Das heißt: Klare Erkennbarkeit für den Verbraucher. Das heißt: Klarheit für Produzenten und Vermarkter. Und das ist ein großer Fortschritt. Denn gerade der Geoschutz ist als Instrument für die Vermarktung regionaler Produkte sehr interessant. Auch in Deutschland können wir für die Vermarktung regionaler Produkte neue Impulse setzen. In diesem Zusammenhang fallen oft Begriffe wie „Regionalmarke“ oder „Regionalsiegel“. Wie diese auszugestalten sind, wird kontrovers diskutiert. Zum einen kann ein Regionalsiegel als Dachsiegel für bereits bestehende oder geplante Siegel entwickelt werden. Neben allen Vorzügen eines solchen Siegels besteht jedoch immer die Gefahr, dass bestehende Regionalsiegel ihre Bezugskraft verlieren können. Denn Regionalität ist stark mit Emotionen verbunden, und weniger rational überprüfbar. Das Regionsverständnis ist auch abhängig von der Region: So identifiziert sich ein Bayer zum Beispiel sehr mit Bayern, ein Nordrhein-Westfale aber eher mit dem Rheinland, mit Westfalen oder aber mit seiner Stadt, zum Beispiel mit Köln oder Düsseldorf. Zum anderen könnte versucht werden, ein Konformitätszeichen für Regionalität zu entwickeln. Das heißt, ein Instrument zu entwickeln, um bestehende oder geplante Regionalitätsprojekte zu zertifizieren, ähnlich einer ISO-Norm. Zusätzlich muss geklärt werden, wo welche Verarbeitungsschritte stattfinden. Die Leute wollen nicht wissen, wo ein Stück Fleisch verpackt wurde, sondern wo das Tier aufgewachsen ist. Und vielleicht auch, wie es gefüttert wurde. Ein solches Regionalsiegel kann einen wesentlichen Beitrag zu regionaler Wertschöpfung leisten. Ich sage aber auch ganz deutlich: Neben regionalen Vermarktungsstrukturen sind nationale und internationale Produktions- und Vermarktungsstrukturen unerlässlich für eine ressourcenschonende, nachhaltige und produktive Landwirtschaft. Wir brauchen sie mit Blick auf die wachsende Weltbevölkerung. Die Welternährungsorganisation FAO in Rom hat den Begriff „Nachhaltige Intensivierung“ geprägt und versteht hierunter Wege der landwirtschaftlichen Produktion, Verarbeitung und Vermarktung, die den Herausforderungen des neuen Jahrhunderts gerecht werden. Die Welternährungsorganisation sieht beide Wege, Globalisierung und Regionalisierung, als notwendig an, die bestehenden Probleme im Zusammenhang mit Ernährungsfragen auf unserem Globus zu lösen. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, in Paris betont die Notwendigkeit, Globalisierung und Regionalisierung nicht gegeneinander auszuspielen. In ihrem Ausblick für die Jahre 2011 bis 2020 sieht die OECD die Produktionskosten der Landwirtschaft steigen und das Produktivitätswachstum sich verlangsamen. Dies ist fatal für die Welternährungssituation vor dem Hintergrund einer wachsenden Menschheit und eines steigenden Energiebedarfs. Die Herausforderungen für die Politik sieht die OECD in folgenden Punkten: in der Unterstützung von Produktivitätswachstum, in der Verringerung von Verschwendung, in der Unterstützung lokaler Märkte und zuletzt in der Öffnung der Märkte für Agrargüter, also in der weiteren Liberalisierung des internationalen Agrarhandelssystems. Ich komme nun zum Schluss meiner Ausführungen. Mein Fazit: Es lohnt sich, sich neben klassischen Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungswegen über Regionalität und regionale Herkunftszeichen Gedanken zu machen. Regionale Initiativen und Projekte arbeiten erfolgreich daran, die Wertschätzung des Verbrauchers für regionale Produkte und Dienstleistungen zu erhöhen. Die europäischen Regelungen zum Geoschutz und zu traditionellen Spezialitäten wirken regional identitätsstiftend. Die Einrichtung eines Regionalsiegels ist generell wünschenswert, da damit eine erhöhte Wertschöpfung für die Landwirtschaft wie auch für eine ganze Region generiert werden kann. Ich bin überzeugt: Mit mehr Regionalität können wir die ländlichen Räume zukunftsfähig machen, wenn wir die Leistungsbereitschaft der dort lebenden Menschen und das Wertschöpfungspotenzial vor Ort sinnvoll miteinander verbinden. Willi Brase (SPD): Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist das sozialdemokratische Leitbild zur Entwicklung ländlicher Räume. Dazu gehört eine gesicherte Daseinsvorsorge unter anderem in den Bereichen Bildung und soziale Infrastruktur sowie Gesundheit. Dazu gehört der Erhalt der Mobilität der Menschen vor Ort und die Sicherung von Arbeitsplätzen genauso wie der Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Und selbstverständlich muss die Grundversorgung der Menschen mit den Dingen des täglichen Bedarfs gewährleistet sein. Es wird deutlich: Zur zukunftssichernden Entwicklung ländlicher Räume ist ein Gesamtansatz unabdingbar, und das besonders mit Blick auf die demografische Entwicklung. Wir wissen, dass es bis 2020 in einigen Landkreisen einen Bevölkerungsrückgang von über 20 Prozent geben wird. Besonders die ostdeutschen Bundesländer sind bereits massiv davon betroffen, dass junge Menschen aus ihren Regionen abwandern, die Bevölkerung immer älter wird – obwohl wir selbstverständlich jedem Menschen ein langes und gesundes Leben wünschen – und die Kinderzahl pro Frau sinkt. Einen Schwerpunkt legen wir dabei auf die Stärkung der Kommunen. Für die vielfältigen Herausforderungen im ländlichen Raum gibt es keine Patentlösung. Im Gegenteil: Ideen und Potenziale müssen sich vor Ort entfalten können. Starke Kommunen sind der Schlüssel für eigenständiges und ortsspezifisches Handeln. Ihren Aufgaben entsprechend benötigen sie eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Für die wirtschaftliche Stabilisierung der Kommunen ist die Vermarktung regionaler Produkte ein richtiger Schritt. Allerdings müssen Lebensmittel mit Regionalsiegel auch tatsächlich aus regionalen Rohstoffen bestehen. Die Zeitschrift Ökotest hat jüngst eine Palette von Lebensmitteln dahin gehend untersucht und Folgendes festgestellt: Von 53 Lebensmitteln stammten tatsächlich nur 14 aus der jeweiligen Region. So werden die Verbraucherinnen und Verbraucher aufs Glatteis geführt und der Region wird geschadet. Offensichtlich müssen Mindeststandards entwickelt werden, nach denen Lebensmittel als regional bezeichnet werden können. Die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben dazu in einem Diskussionspapier erste Leitlinien entworfen. Danach müssten Lebensmittel wie Obst oder Fleisch hundertprozentig aus der Region kommen, wenn sie ein Siegel für ein regionales Produkt tragen. In einem nächsten logischen Schritt müssen dann natürlich die regionalen Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen gefördert werden – hier liegt der Antrag völlig richtig. Das hatten wir bereits unter der rot-grünen Regierung auf den Weg gebracht. Hier sollte die Bundesregierung tätig werden. Die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft erbringt nicht nur gesellschaftlich gewünschte Leistungen wie Klima-, Arten- und Bodenschutz, sondern sie leistet einen hohen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung. Mittlerweile sind in der deutschen Biobranche knapp 180 000 Menschen vor allem in ländlichen Regionen beschäftigt. Die Nachfrage ist größer als das deutsche Angebot an Waren. Deshalb ist die Förderung der Umstellung auf ökologische Landwirtschaft von besonderer Bedeutung. Die Konkurrenz um die Flächen zur Erzeugung erneuerbarer Energien macht es den Ökobetrieben nicht leichter, zu wachsen. Die Anbauflächen dürfen nicht zum Spekulationsobjekt von Investoren werden, die lediglich die eigene Rendite vor Augen haben. Zum Beispiel ist in Brandenburg ein Anstieg der Bodenpreise zu verzeichnen. Das hat zur Folge, dass Bauern mit kleineren Höfen, die gerne ihre Ertragsflächen vergrößern wollen, in Bieterverfahren nicht zum Zuge kommen. Die Umstellungsphase, bis ökologische Produkte auch als solche vermarktet werden können, ist für manch einen Umstellungsinteressierten eine zusätzliche Hürde. Deshalb ist es so wichtig, dass eine verlässliche Finanzierung von Extensivierungs-, Umstellungs- und Beibehaltungsprämien über Agrarumweltprogramme sichergestellt wird. Rainer Erdel (FDP): Ich freue mich, dass das wichtige Thema Regionalprodukte heute auf der Tagesordnung steht. Hier gibt es in der Tat Handlungsbedarf. Das sehen wir auch als Koalition so. Regionale Produkte schonen die Umwelt, weil beispielsweise die Transportwege kürzer sind, und schaffen eine Verbindung zwischen den Konsumenten und den Herstellern von Produkten. Laut einer aktuellen Studie kaufen 81 Prozent der Menschen regelmäßig oder zumindest gelegentlich Regionalprodukte. Zum Vergleich: Bei Bioprodukten sind es nur 45 Prozent. Immerhin für 48 Prozent der Verbraucher ist die Frage nach der Regionalität beim Einkauf von erheblicher Bedeutung. Wenn sich aber gleichzeitig nur knapp ein Fünftel über den Regionalbezug ausreichend informiert fühlen, dann gibt es Handlungsbedarf. Die Koalition wird daher für mehr Transparenz sorgen. Ziel muss es sein, dass der mündige Verbraucher zuverlässig und schnell erkennen kann, ob ein Produkt regional ist oder nicht. Leider machen sich die Grünen ausgerechnet beim kniffligen Thema: „Wie definieren wir eigentlich genau ein Regionalprodukt, und wie genau kennzeichnen wir es?“, einen ziemlich schlanken Fuß. Dabei muss genau diese Frage am Anfang jeder Strategie zu Regionalprodukten stehen. Wann genau ist ein Produkt regional? In meiner Heimat Franken gab es vor kurzem eine Kontroverse, ob Nürnberger Bratwürste, in denen norddeutsches Fleisch steckt, eigentlich noch ein echtes Regionalprodukt sind. Ich denke, ja, das sind sie. Der spezielle Geschmack der Nürnberger Rostbratwürste kommt durch die besondere Rezeptur und Produktionsweise. Geschmacklich macht es keinen Unterschied, ob „Nürnberger“ nun Fleisch aus Franken oder aus Niedersachsen enthalten. Aber natürlich spielt es für die Verbraucher schon auch eine Rolle, wo das Fleisch herkommt. Idealerweise kann der Verbraucher also leicht unterscheiden, welche Nürnberger nicht nur nach traditioneller Rezeptur hergestellt wurden, sondern zudem auch noch überwiegend oder gar ausschließlich Zutaten aus der Region enthalten. Dieses Beispiel macht auch klar, dass der Verbraucher wissen muss, ob nun die Rohstoffe, die Verarbeitung oder beides einen regionalen Bezug aufweist. Wie immer bei der Auszeichnung von Lebensmitteln geht es darum, den richtigen Mittelweg zwischen hohem Informationsgehalt bei guter Verständlichkeit zu finden. Zu viel Information, die niemand mehr liest, hilft auch nichts. Selbstverständlich muss dabei auch klar sein, um welche Region es geht. Ein Siegel à la „Gutes aus der Region“, welches dann deutschlandweit vertrieben wird, ist meines Erachtens nicht sinnvoll. Ich begrüße daher das Konzept von Ministerin Aigner, das sie gestern auf der Grünen Woche erläutert hat, sehr. Wir als Koalition wollen ein abgestuftes Siegel mit einem bundesweit einheitlichen Rahmen. Dabei muss auf den ersten Blick erkennbar sein, ob die Zutaten zu einem Produkt aus der Region kommen, ob die Verarbeitung regional war oder ob es zumindest nach regionaler Rezeptur hergestellt wurde. Innerhalb dieses einheitlichen Rahmens könnten meiner Meinung nach dann auch bestehende Regionalsiegel in ein einheitliches Rahmendesign eingebettet werden. Die genaue Ausgestaltung wird durch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau unter Einbindung der Vertreter des Ökosiegels und des bereits bestehenden Regionalsiegels erarbeitet werden. Der erhebliche Sachverstand der bestehenden Regionalbewegungen ist dabei unbedingt einzubeziehen. Zu klären sind dabei allerlei Detailfragen. Dass beispielsweise ein Orangensaft aus Konzentrat, der im Wesentlichen aus fränkischem Wasser besteht, deswegen noch lange kein fränkisches Regionalprodukt ist, dürfte zwar intuitiv einsichtig sein – aber hier allgemein gültige, praktikable und für den Verbraucher nachvollziehbare Abgrenzungen zu finden, dürfte nicht immer einfach werden. Der Antrag der Grünen macht leider den zweiten Schritt vor dem ersten. Statt klar zu definieren was „regional“ eigentlich ist, soll an allen möglichen Stellen Geld ausgeschüttet werden, um Produktion und Vermarktung der Regionalprodukte staatlich zu subventionieren. Auch die Art und Weise, wie hier Gelder mit der Gießkanne über das Land verteilt werden sollen, ist schon mehr als eigenwillig. So sollen laut dem Antrag nicht nur Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes umgewidmet werden, sondern es soll zusätzlich ein Bundesprogramm „Regionalvermarktung“ geschaffen werden, und neben dem Aufbau von Vermarktungssystemen sollen auch noch Dorfläden gefördert werden. Mehrere Förderprogramme parallel aufzulegen, hat nichts mit transparenter und effizienter Haushaltspolitik zu tun. Schließlich werden in dem Antrag die Förderung von Ökobetrieben und Regionalprodukten vermischt. Warum in einem Antrag, der Regionalprodukte fördern will, eine Mindestförderquote für Ökobetriebe bei den GAK-Mitteln festgeschrieben werden soll, erschließt sich mir nicht. Die GAK-Mittel sind kein Förderinstrument für die ökologische Landwirtschaft – und das ist auch gut so. Wir als Liberale werden gemeinsam mit unserem Koalitionspartner die Rahmenbedingungen für Regionalprodukte verbessern. Wir setzen dabei dort an, wo es nötig ist: bei der Kennzeichnung. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Das Thema regionale Wertschöpfung, das Bünd-nis 90/Die Grünen mit dem Antrag aufrufen, ist wichtig, und viele Aspekte, die im Antrag enthalten sind, haben eine breite politische Mehrheit. Natürlich fordert auch die Linke eine Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe als Beitrag gegen die Landflucht, das soziale Ausbluten ländlicher Regionen, für Klimaschutz und Ressourcenschonung. Schade nur, dass der erste Satz im Antrag gleich mit dem Begriff „Green New Deal“ anfängt und damit so getan wird, als ob die Stärkung regionaler Wertschöpfung allein eine Sache der Grünen wäre. Zudem klingt der Begriff für mich nach neoliberaler Ideologie im grünen Gewand. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man weiterliest, dass der Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe Menschen die Chance gibt, mit ihrem Engagement und Konsumverhalten Verantwortung für ihre Gemeinde und ihre Region zu übernehmen. Das schafft neues Selbstbewusstsein vor Ort und ist fruchtbarer Boden für unternehmerische Tätigkeit und ein verstärktes Bürgerengagement. Ihr Motto lautet also: Läuft die „regionale“ Wirtschaft, sind alle Probleme gelöst, weil das neue Selbstbewusstsein Unternehmertum und verstärktes Bürgerengagement auslöst. Das ist im Kern neoliberales Gedankengut, und auch in den Forderungen kommt dann ein Programm der direkten und indirekten Wirtschaftsförderung heraus. Aber genau diese Ideologie ist weltweit grandios gescheitert und hat zum Niedergang der ländlichen Räume maßgeblich beigetragen. Breiten Raum nimmt die Vorbildfunktion des öffentlichen Beschaffungswesens ein und der Ausbau von Förderprogrammen zum Bundesprogramm „Regionalvermarktung“ oder im Rahmen der Programmgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Das sind alles, auch aus Sicht der Linken, richtige Forderungen, die wir auch unterstützen können. Aber trotzdem bleibt der Antrag unter den Möglichkeiten, die im Zusammenhang mit einer Politik zur Stärkung ländlicher Räume notwendig sind. Dazu an dieser Stelle vier Aspekte: Erstens. Es fehlt eine gezielte frauen- bzw. geschlechterspezifische Förderung. Eines der Hauptprobleme gerade in strukturschwachen ländlichen Regionen ist Abwanderung von Frauen. Eine Politik, die gegenzusteuern versucht, muss daher eine verstärkte Förderung von Frauen gerade im Bereich regionaler Wertschöpfung und Vermarktung vorsehen. Es mag zwar sein, dass sich in gewissem Maß von selber positive Effekte für Frauen ergeben, aber das ist nicht zwangsläufig. Zweitens. Nur an der direkten und indirekten Wirtschaftsförderung anzusetzen, reicht nicht aus. Wenn wie bisher die Infrastruktur im Verkehr, bei Bildung, Gesundheit und im Sozialbereich in vielen ländlichen Kommunen zusammenbricht, sind die Standorte für Produktion, Verarbeitung und Vermarktung schon von vorneherein chancenlos. Eine direkte und indirekte Wirtschaftsförderung allein hilft nicht. Es ist aus unserer Sicht erforderlich, die regionale Wirtschaftsförderung in ein umfassendes Programm für ländliche Räume einzubetten. Aber auch eine generelle Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen ist erforderlich, damit diese wieder selbst handlungsfähig werden. Ein solches Programm muss zwingend die Entwicklung von Infrastruktur und der öffentlichen Daseinsvorsorge mitberücksichtigen. Drittens. Über die Wirtschaftsförderung hinaus muss aus Sicht der Linken darüber nachgedacht werden, wie ökologisches und soziales Verhalten in der Wirtschaft belohnt wird. So gehört unsere Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn mit dazu. Nur so kann das Einkommensgefälle zwischen Städten und ländlichen Regionen wirksam verringert werden. Und die Frage der Einkommensmöglichkeiten ist für die meisten Menschen bei der Wahl ihres Wohn- und Lebensortes eine entscheidende. Viertens. Die Einkommen aus regionaler Wertschöpfung müssen gerecht verteilt werden. So zeigt zum Beispiel die Entwicklung der regenerativen Energien, vor allem Windkraft und Photovoltaik, dass zwar regional produziert wird, die Wertschöpfung aber aus den Kommunen bzw. Dörfern abfließt. Hier ist einiges an Fehlentwicklungen zu korrigieren. Und im Agrarbereich dürfen sich diese Fehler nicht wiederholen, sonst ist nichts gewonnen. Was bringt denn ein Regionalsiegel, wenn es zuletzt nur noch über die üblichen Discounter vermarktet wird? Und es gibt bereits eine Entwicklung in diese Richtung. Abschließend möchte ich feststellen: der Antrag der Grünen hat zwar ein richtiges und wichtiges Thema aufgenommen und spricht auch vieles an. Er bleibt aber in vielen Aspekten hinter dem zurück, was dringend zur Stärkung der ländlichen Räume notwendig wäre. Die Linke wird in den nun folgenden Beratungen diese Punkte deutlich machen und mit allen Kolleginnen und Kollegen diskutieren. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Landauf, landab wird beklagt, dass sich die ländlichen Räume entleeren. Mangels wirksamer Gegenstrategien werden Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Mobilitätsangebote an die abnehmende Bevölkerung angepasst und damit Arbeitsplätze und Lebensqualität weiter abgebaut und die Landflucht beschleunigt. Während Teile der Politik angesichts dessen in scheinbare Schockstarre verfallen sind, andere Analysen und Studien beauftragen und wieder andere Heimatpakete an die Wegzügler senden, haben sich einige Heimattreue längst auf den Weg gemacht. Sie haben überlegt, wie sie ihre Heimat besser in Wert setzen können, damit Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden und die Menschen in der Region bleiben. Zwar hat die Landwirtschaft in ihrer Bedeutung als Rückgrat ländlicher Räume abgenommen, doch kommt ihr nach wie vor eine große Verantwortung bei der Nutzung der Agrarflächen zu. Dieser Verantwortung haben sich Bauern in verschiedenen Regionen gestellt. Sie haben gemeinsam mit anderen Wirtschaftsbeteiligten wie Verarbeitern, Vermarktern, Touristikern, Gastronomie und Hotellerie und mit gesellschaftlichen Gruppen, zum Beispiel Naturschützern, in einer regionalen Initiative einen Kodex erstellt, nach dem sie produzieren und ihre Produkte an die Kundschaft bringen wollen. Ein Kernstück dieses Kodex ist, dass in der Region für die Region produziert wird, wobei als Absatzmarkt natürlich immer auch die nächstgelegene Metropole zu sehen ist. So sind dann die verschiedenen Regionalmarken entstanden wie EIFEL, SooNahe oder Rhön, um nur einige zu nennen. Obst und Gemüse, Fleisch und Gewürze aus bäuerlichen Agrarbetrieben, als Frischware angeboten oder verarbeitet in handwerklichen Betrieben, sind begehrt beim Verbraucher und haben es dennoch schwer im Wettbewerb mit Produkten aus der industriellen Land-und Ernährungswirtschaft. Das liegt vor allem am Preis. Viele Städter sind aber sogar bereit, etwas mehr für ihre Ernährung zu zahlen, wenn sie wissen, woher die Erzeugnisse kommen, und wenn sie die Möglichkeit haben, dem Bauern, Bäcker oder Fleischer einmal über die Schulter zu gucken. Aber natürlich spielt auch das Regionaltypische eine Rolle: die altbekannten Obst- und Gemüsesorten und die traditionellen Rezepturen. Aber im Supermarkt stehen Cornflakes neben Haferflocken, es stehen Essiggurken neben Senfgurken, und Schinken liegt neben Serrano. Das Angebot ist kaum zu überschauen, und so bedarf es einiger Entscheidungshilfen für Verbraucher. Die Regionalmarken, erkennbar an ihrem regionalspezifischen Siegel, sind eine gute Hilfe. Dass sie Wirkung entfalten, haben große Erzeuger und Lebensmittelketten schnell erkannt. Inzwischen sind die Siegel wie Pilze aus dem Boden geschossen. Was einst als Orientierung der Verbraucher entstand und die Wertschöpfung in ländlichen Regionen verbessern sollte, trägt heute oftmals zur Verwirrung bei. Deshalb bedarf es bei diesen vielen Siegeln, die auf Lebensmittelverpackungen zu finden sind, einer Überprüfung, ob drin ist, was draußen versprochen wird. Bei Bio ist das klar. Deshalb genießt Bio auch das Vertrauen der Verbraucher und hat jährliche Zuwachsraten im zweistelligen Bereich. Bei den Regionalmarken hat sich jedoch Spreu unter den Weizen gemischt. Deshalb bedarf es eines bundesweit einheitlichen und überprüfbaren Kriterien- und Kontrollsystems zur Bewertung von Regionalsiegeln. Das von der Ministerin geplante Regionalfenster auf der Lebensmittelverpackung ist da keine Hilfe. Nicht zum Selbstzweck hat die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen eine Arbeitsgruppe Ländliche Entwicklung eingerichtet, zahlreiche Fachgespräche und Kongresse organisiert und Einzelgespräche vor Ort geführt. Ziel war und ist es, Perspektiven für ländliche Regionen auszuloten und die politischen Rahmenbedingungen für mehr Wertschöpfung auf dem Lande zu schaffen. In unserem Antrag machen wir einige grundsätzliche und auch ganz konkrete Vorschläge dazu. Es bleibt abzuwarten, ob die Koalition bereit ist, durch diese Maßnahmen den bäuerlichen Betrieben und handwerklichen Verarbeitern in den Regionen bessere Bedingungen zu verschaffen. Wenn es ihr ernst ist mit der Entwicklung der ländlichen Regionen, dann sollte sie nicht länger zögern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7249 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. Januar 2012, ein. Morgen findet um 9 Uhr hier im Plenarsaal die Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Aus diesem Grund beginnt die Plenarsitzung erst um 10.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Vielen Dank. (Schluss: 22.26 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 26.01.2012 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.01.2012* Bellmann, Veronika CDU/CSU 26.01.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 26.01.2012 Daðdelen, Sevim DIE LINKE 26.01.2012 Dreibus, Werner DIE LINKE 26.01.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 26.01.2012 Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU 26.01.2012* Friedhoff, Paul K. FDP 26.01.2012 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 26.01.2012 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.01.2012 Hübinger, Anette CDU/CSU 26.01.2012* Kipping, Katja DIE LINKE 26.01.2012 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 26.01.2012 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.01.2012 Künast, Renate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.01.2012 Lanfermann, Heinz FDP 26.01.2012 Lühmann, Kirsten SPD 26.01.2012 Luksic, Oliver FDP 26.01.2012 Neškovi?, Wolfgang DIE LINKE 26.01.2012 Poland, Christoph CDU/CSU 26.01.2012 Poß, Joachim SPD 26.01.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.01.2012 Roth (Esslingen), Karin SPD 26.01.2012* Rupprecht (Tuchen-bach), Marlene SPD 26.01.2012* Storjohann, Gero CDU/CSU 26.01.2012 Weinberg, Harald DIE LINKE 26.01.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 26.01.2012* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft haben wir eine Schutzverantwortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Wir sind weiter verpflichtet, sie nicht alleine zu lassen. Zustimmung bedeutet für uns auch, Mitverantwortung zu übernehmen für den schwierigen, teilweise lebensgefährlichen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer. Ein sofortiger militärischer Abzug würde die Menschen in Afghanistan in einem zu befürchtenden Bürgerkrieg alleine zurücklassen und die gesamte Region destabilisieren. Dies machen immer wieder Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus Afghanistan deutlich, die eindringlich vor einem überstürzten Abzug der internationalen Truppen warnen. Ein einseitiger Abzug der Bundeswehr wäre gleichzeitig der Ausstieg aus einer verantwortlichen multilateralen Politik. Das weitere Vorgehen in Afghanistan muss innerhalb der internationalen Gemeinschaft abgestimmt werden. Es darf keinen deutschen Sonderweg beim Abschluss des militärischen Engagements geben. Deshalb stimme ich dem Mandat zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr bis zum 31. Januar 2013 zu. Karin Binder (DIE LINKE): Ich lehne die Fortsetzung des ISAF-Mandats im Wesentlichen aus folgenden Gründen ab: Während in Afghanistan der Mohnanbau unter den Augen der internationalen Streitkräfte immer weiter ausgebaut wird, wird der Getreideanbau zurückgedrängt. Die Getreideernte reicht bei weitem nicht aus, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Von 2010 auf 2011 erhöhte sich deshalb der Bedarf an Getreideimporten um 600 000 Tonnen, von 1,1 Millionen Tonnen auf ungefähr 1,7 Millionen Tonnen. Das Überleben von 3 Millionen Menschen hängt von ausländischen Hilfslieferungen ab. Laut Oxfam ist ein Drittel der afghanischen Kinder unterernährt. Die afghanische Gesellschaft verfällt zusehends. „Die Zahl der Drogensüchtigen in Afghanistan nimmt weiter zu, und mit ihr die Ausbreitung von HIV und anderer Krankheiten“, so die Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht. 2007 hatten lediglich 5 Prozent der Afghanen „Zugang zu gesundheitlich akzeptabler Sanitärversorgung“; innerhalb der letzten vier Jahre stieg der Anteil auf ganze 7,5 Prozent, Zahlen der Bundesregierung, 2011! Festzustellen ist: Nach zehn Jahren Krieg und Besatzung in Afghanistan ist die soziale Situation der afghanischen Bevölkerung katastrophal. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 43 Jahren. In Bezug auf die Gesundheitsversorgung liegt Afghanistan beim Human Development Index an letzter Stelle. Darüber hinaus sind noch immer die Hälfte der Männer und über 90 Prozent der Frauen Analphabeten. Kinder und Jugendliche besuchen durchschnittlich 3,3 Jahre lang die Schule. Eine Verbesserung der Situation für die afghanische Bevölkerung ist während einer andauernden Besatzung nicht zu erwarten. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Vieles ist immer noch nicht gut in Afghanistan – trotz zehn Jahren ISAF-Mandat, trotz vieler Opfer, auch auf afghanischer Seite. Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, einer weiteren Verlängerung des Mandates zuzustimmen. Es fällt auch deswegen schwer, weil Krieg – und wir haben in Afghanistan Krieg – niemals normales politisches Mittel sein darf. Die Bundesregierung hat zusammen mit den internationalen Partnern Anfang 2010 eine neue Strategie beschlossen. Ziel ist eine vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte im Jahr 2014. Parallel dazu soll die Zahl der ausländischen Truppen massiv abgebaut werden. Es ist gut, dass man sich nun einig ist, dass der Afghanistan-Konflikt letztlich zivil bzw. politisch gelöst werden muss. Diesen Paradigmenwechsel begrüße ich ausdrücklich. Er zeigt einen Weg auf, wie man dieses Engagement geordnet beenden und zumindest einiges von den Aufbauleistungen erhalten kann. Unter diesen Voraussetzungen und in Erwartung signifikanter Fortschritte habe ich bisher einer Mandatsverlängerung zugestimmt. Vor einem Jahr habe ich die Erwartung geäußert, dass die Erfolge der neuen Strategie deutlicher sichtbar werden müssen. Das ist nur bedingt geschehen. Die Sicherheitslage hat sich im vergangenen Jahr zwar leicht verbessert. Es gibt aber immer noch zu viele Gefechte mit zu vielen Opfern. Es wurden mehr Polizisten und Soldaten ausgebildet, aber es muss sich noch herausstellen, wie nachhaltig deren Loyalität zu der afghanischen Administration sein wird. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung geht nur langsam voran und ist an vielen Stellen problematisch. Ich denke trotzdem, dass es noch zu früh ist, den Erfolg der neuen Strategie abschließend zu bewerten. Daher stimme ich trotz meiner kritischen Haltung zum ISAF-Einsatz für eine Verlängerung des Mandates. Mein Dank und mein Respekt gilt den Soldaten, Polizisten und Aufbauhelfern für ihren schwierigen Einsatz. Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich lehne den Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des Mandates für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ab. Seit meinem Besuch in Kunduz im Januar 2010 gehen mir die Gesichter der Männer und Frauen nicht mehr aus dem Kopf, die ihre Ehemänner, Söhne und Neffen durch das von einem deutschen Oberst befehligte Bombardement verloren haben, genauso ihre Trauer, ihre Ohnmacht und ihre Wut, Wut auch gegenüber der deutschen Regierung, die sich gegenüber den Opfern aus der Veranstaltung stiehlt. Ich sehe die hektischen Blicke der Soldaten vor mir, die angespannt und nervös, in Angst vor Anschlägen die Strecke vom Feldlager in die Stadt Kunduz zurücklegen, ihren Argwohn und ihr Misstrauen gegenüber den einfachen afghanischen Männern, Frauen und Kindern am Straßenrand. Weil die überwältigende Mehrheit in Deutschland keinen Sinn mehr in dem Krieg sieht, redet die Regierung von Abzug. Doch das heute abzustimmende Mandat sieht für 2012 praktisch überhaupt keine Veränderung vor. Es ist ein Mandat zur ungehemmten Fortsetzung des Krieges. Selbst der angeblich endgültige Abzug in drei Jahren ist unsicher. Verteidigungsminister de Maiziére wird am letzten Montag in der Südwest-Presse auf die Frage nach dem Abzugsdatum 2014 mit den Worten zitiert: „Wenn sich die Dinge grundlegend ändern, könnte eine neue Lage entstehen … Natürlich ist die Strategie immer abhängig von den obwaltenden Umständen.“ Der Regierungssprecher redet von Abzug, doch der zuständige Minister hält sich alle Türen offen. Solange die Bundeswehr und die NATO in Afghanistan sind, wird es Widerstand und Anschläge geben. Dieser Widerstand und diese Anschläge werden dann als neue Begründung für den Verbleib am Hindukusch herangezogen werden. Dieser Teufelskreis muss jetzt unterbrochen werden. Der Abzug der Bundeswehr aus diesem sinnlosen Krieg muss unverzüglich beginnen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Ich stimme gegen das Mandat, weil Krieg immer ein falscher Weg ist. Krieg tötet und verletzt. Er verletzt nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Studien haben festgestellt, dass der Jugoslawien-Krieg beinahe die gesamte Bevölkerung traumatisiert hat und dass auch viele Menschen in anderen ehemaligen Kriegsgebieten massiv an Traumata leiden. Dies wird noch Generationen nachwirken und wirkt sich auch auf die jeweiligen Gesellschaften aus – mit allen fatalen Folgen. Darüber wird nicht viel gesprochen, das Thema wird meist ausgeblendet. Aber diese Probleme müssen endlich ins Licht gerückt werden. Aber vielleicht sehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, das angesprochene Thema auch als Teil der sogenannten Kollateralschäden? Ich stimme auch gegen den Einsatz, weil ich aus persönlicher Erfahrung weiß, dass etliche Soldatinnen und Soldaten hier in dieses Land mit psychischen Verletzungen und traumatisiert aus dem Auslandseinsatz zurückkommen. Und offensichtlich wird für sie viel zu wenig getan. Nach einigen Behandlungen werden sie letztlich mit ihren Familien alleingelassen. Auch hier wird Verantwortung abgewälzt auf Menschen, die weder die Kriege verursacht haben noch davon profitieren. Effektive Hilfe fehlt, und das obwohl die Zahlen der Betroffenen von Jahr zu Jahr steigen. Zwischen Januar und September 2011 wurden im Zusammenhang mit dem ISAF-Einsatz 587 Fälle Posttraumatischer Belastungsstörung bei Rückkehrerinnen und Rückkehrern bekannt. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher liegen. Zahlen aus den USA besagen, dass bis zu 22 Prozent der Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan eingesetzt waren, früher oder später an einer PTBS erkrankten. Der Kriegseinsatz brutalisiert die Menschen. Das zeigen die Gewaltexzesse des 2011 in den USA verurteilten Kill Teams, das aus Spaß Jagd auf afghanische Zivilistinnen und Zivilisten machte, um sie zu ermorden und zu verstümmeln. Die Brutalisierung macht auch vor den Bundeswehrsoldaten nicht Halt. Die ungewisse Verlängerung des Einsatzes und die Sinnlosigkeit des Krieges verschlimmern dies noch. Ich stimme dagegen, weil es für mich keine Alternative gibt, als Nein zu sagen. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Es ist nicht nur nichts gut in Afghanistan – dort ist noch nicht einmal etwas besser! Es gibt genau zwei Möglichkeiten, mittels derer sich jeder der hier abstimmenden Abgeordneten seines Votums vergewissern und dieses vor sich selbst rechtfertigen kann: Da ist zum einen das Gewissen als moralische Instanz, von dem man nicht immer ganz klar und eindeutig sagen kann, seine Forderung sei richtig oder falsch. Und zum anderen kann und muss sich jeder, der der heute zur Entscheidung anstehenden Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan zustimmen will, die Frage beantworten: Hat sich etwas verbessert in diesem Land, wurde der afghanischen Bevölkerung geholfen? Freiheit, Demokratie, Bildung, Gesundheit und Frauenrechte waren die von den Befürwortern des Einsatzes immer wieder benannten Ziele, die es rechtfertigen sollten, diesem Kriegseinsatz zuzustimmen. Nach zehn Jahren Krieg und Milliarden von Hilfsgeldern ist aber keines, nicht ein einziges dieser Ziele erreicht worden! Und ich bin davon überzeugt, dass auch das neue Minimalziel der NATO für Afghanistan, die Etablierung effektiver Staatlichkeit, nicht realistisch ist. Realistisch ist allenfalls ein reaktionäres Bündnis aus dem Clan um Hamid Karzai, den Taliban und der Nordallianz. Dafür braucht man aber keinen Krieg. Deswegen ist jeder Tag, an dem Krieg ist in Afghanistan, ein Tag zu viel, ist jedes Todesopfer ein sinnloses Gewaltopfer – und damit meine ich ausdrücklich auch die gefallenen deutschen Soldaten, die Verletzten, die Traumatisierten. Ich kann nicht sehen, wie ich – weder aus Gewissensgründen noch aus pragmatischen Erwägungen – dieser Einsatzverlängerung zustimmen können sollte. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich möchte zu meinem Abstimmungsverhalten zum Antrag der Bundesregierung, das Mandat der Bundeswehr im Rahmen des ISAF-Einsatzes erneut zu verlängern, und zum Antrag der Fraktion Die Linke, der Bundesregierung jegliche weitere Mitwirkung an gezielten Tötungen zu untersagen, eine Erklärung abgeben. Ich habe zum Antrag der Bundesregierung mit Nein gestimmt. Alle meine Erfahrungen nach mehr als zehn Jahren Krieg in Afghanistan besagen, dass die Anwesenheit ausländischer Truppen in Afghanistan den Widerstand der Bevölkerung herausfordert. Es gibt eine unheilvolle Kette: mehr ausländische Truppen – mehr Widerstand – mehr Truppen … Die Herabsenkung der Obergrenze der Anzahl eingesetzter Bundeswehrsoldaten trägt in diesem Zusammenhang nur kosmetischen Charakter. Nur ein Abzug der Bundeswehr kann diese Kette aufsprengen. Der Abzug der Bundeswehr ist der Schlüssel zu einer anderen Politik in Afghanistan. Zu einer anderen Politik in Afghanistan kommt man auch nur dann, wenn alle völkerrechtswidrigen Handlungen eingestellt werden. Ich will nicht mitschuldig werden, dass auch deutsche Stellen afghanische Personen für Listen nominieren, die zur „Ausschaltung“ dieser Personen führen können. Ich behaupte nicht, dass die Bundeswehr direkt an gezielten Tötungen beteiligt ist. Ich kann aber nicht ausschließen, dass Spezialkommandos anderer Länder, insbesondere der USA, Personen, die von deutschen Stellen benannt wurden, gezielt töten. Deshalb habe ich für den Antrag der Linken gestimmt, der Bundesregierung jegliche Mitwirkung an gezielten Tötungen zu untersagen. Annette Groth (DIE LINKE): Ich stimme dem Antrag auf Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan nicht zu, da ich den Krieg der NATO in Afghanistan ablehne. Dieser Krieg hat den meisten Afghaninnen und Afghanen nur Schrecken, Armut und Tod gebracht. Das Ergebnis nach über zehn Jahren Krieg in Afghanistan ist verheerend. Jeden Tag steigt die Zahl der Opfer an. Die Armut der Bevölkerung wächst. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen hat etwa ein Drittel der afghanischen Bevölkerung nicht genug zu essen. Der Bedarf an Getreideimporten erhöhte sich von 2010 auf 2011 von 1,1 Millionen Tonnen auf geschätzte 1,7 Millionen Tonnen. Laut Oxfam sind in dem Land ein Drittel der Kinder unterernährt. Das Überleben von 3 Millionen Menschen hängt von ausländischen Hilfslieferungen ab. Laut einem Bericht des UN-Sicherheitsrats sterben in Afghanistan jedes Jahr 40 000 Personen an den Folgen unzureichender Ernährung. Es sind gerade Frauen und Kinder, die am stärksten unter diesem Krieg leiden. Deutschland steckt jedes Jahr mehr als 530 Millionen Euro in den Krieg in Afghanistan. Lediglich ein Viertel dieser Summe wird für zivile Hilfsprojekte zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit der Friedensbewegung, aber auch mit der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland fordere ich: Truppen raus aus Afghanistan – und zwar sofort. Die USA gibt jährlich mehr als 173 Milliarden Dollar für diesen Krieg aus. Mit einem Bruchteil dieses Geldes könnten die Armut in Afghanistan bekämpft und die soziale Situation der Bevölkerung nachhaltig verbessert werden. Nach zehn Jahren NATO-Krieg ist Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt. Die heutige NATO-Strategie treibt die verarmte und verbitterte Bevölkerung geradezu in die Arme der Talibankämpfer, die ihnen aus ihrer Sicht wenigstens ein geregeltes Einkommen bieten. Ich stimme auch gegen die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, weil die Kriegsökonomie des NATO-Krieges dazu geführt hat, dass sich Afghanistan zum weltweit größten Produzenten von Opium entwickelt hat. 80 bis 90 Prozent des weltweit angebauten Opiums kommen aus Afghanistan. Im Jahr 2010 ist die Menge des angebauten Schlafmohns von 3 600 Tonnen um 61 Prozent auf 5 800 Tonnen gestiegen. Nach UN-Angaben liegt der Wert des in Afghanistan produzierten Opiums bei etwa 1,4 Milliarden US-Dollar. Allein im Jahr 2011 hat sich die Opiumanbaufläche um 61 Prozent vergrößert. Das ist eine direkte Folge der NATO-Intervention. Viele Bauern haben nur durch den Opiumanbau und die Drogenökonomie eine reale Überlebenschance. All die schönen Worte vom Aufbau Afghanistans sind Schall und Rauch. Durch den zunehmenden Drogenkonsum verfällt die afghanische Gesellschaft immer mehr. Selbst im „Fortschrittsbericht“ der Bundesregierung wird zugegeben: „Die Zahl der Drogensüchtigen in Afghanistan nimmt weiter zu, und mit ihr die Ausbreitung von HIV und anderer Krankheiten.“ In Afghanistan ist die gesamte Politik und Wirtschaft von einer korrupten Drogenökonomie durchsetzt. Diese mafiösen Zustände verhindern die politische und soziale Entwicklung des Landes. Brutale Warlords finanzieren mit dem Drogengeld den Kauf von Waffen und Privatarmeen, die ihre Vormachtstellung absichern. Die NATO und ihre Verbündeten sind mit ihrer derzeitigen Politik nicht in der Lage, den Menschen in Afghanistan eine Perspektive jenseits dieser Drogenökonomie zu bieten. Vielmehr werden durch die bisherige Politik die Drogenclans gefördert, die sich verbal als Gegner der Taliban erklären. Die Afghanistan-Politik der Bundesregierung und der ISAF ist gescheitert. Kriege und Waffengewalt schaffen in Afghanistan keine Demokratie; vom Schutz der Menschenrechte möchte ich gar nicht reden. Deshalb werde ich heute mit Nein stimmen. Mit diesem Nein möchte ich dazu beitragen, die Möglichkeit für einen zivilen Aufbau in Afghanistan zu eröffnen und die Logik des Krieges, der Gewalt und des täglichen Sterbens zu beenden. Frank Heinrich (CDU/CSU): Die Umfragen sprechen eine deutliche Sprache: Die Menschen sind müde, wenn sie an Afghanistan denken. Die damalige Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Margot Käßmann, formulierte bereits vor zwei Jahren sehr deutlich: „Nichts ist gut in Afghanistan!“ Das Medienecho war groß, der Rückhalt in der Bevölkerung für die Einsätze schwand zusehends. Doch kann man das einfach so stehen lassen? Die Gründe gegen eine Verlängerung des Mandats liegen auf der Hand: Generell dürfen Militäreinsätze immer nur die Ultima Ratio der Politik sein. Alle anderen Wege wie etwa dip-lomatische Verhandlungen, der Aufbau der Zivilgesellschaft, die Stärkung regionaler Institutionen haben Vorrang. Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert verpflichtet uns, jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr doppelt kritisch zu beleuchten. Deutsche Soldaten sind in Afghanistan ums Leben gekommen; viele kehren traumatisiert in die Heimat zurück. Leib und Leben dieser Menschen dürfen nicht leichtfertig gefährdet werden. Die Befriedung der Region und der Aufbau einer tragfähigen Zivilgesellschaft sind bei weitem nicht so vorangekommen, wie es erwartet wurde. Viele internationale Partner ziehen sich aus Afghanistan zurück. Die Kosten für den Einsatz sind immens. Ausdrücklich schließe ich mich dieser Argumentation an. Sie wird dazu getragen von meiner persönlichen Gewissensüberzeugung als Christ, die geprägt ist von der Bergpredigt, in der Jesus Christus sagt: „Selig sind, die Frieden stiften.“ Dennoch werde ich heute der Verlängerung des Mandates zustimmen. Wenn ich mich frage, wodurch in Afghanistan Frieden „gestiftet“ werden kann, dann bewegen mich in der derzeitigen Situation folgende Gedanken: Ein „Ad-hoc-Abzug“ hat nach Aussagen aller Experten aus der Politik, dem Militär und den Nichtregierungsorganisationen für die menschenrechtliche und zivilgesellschaftliche Lage sowie den Aufbau der politischen und ökonomischen Infrastruktur in Afghanistan katastrophale Folgen. Noch sind die Strukturen nicht tragfähig. Die humanitäre Lage bleibt höchst unbefriedigend. Um nur zwei Zahlen zu nennen, die das Auswärtige Amt im Januar ermittelt hat: Circa 9 Millionen Menschen sind infolge einer Dürrekatastrophe auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 500 000 Menschen sind Binnenflüchtlinge. Die Zahl wird voraussichtlich im Laufe des Jahres auf 700 000 steigen, Afghanistan kann diese Not alleine nicht bewältigen. Es gibt viele Berichte über signifikante Unterschiede der menschenrechtlichen Lage in den Gebieten, die von NATO-Truppen geschützt werden, und anderen. Einige extreme Beispiele schilderte die Mitarbeiterin einer NGO, die sich in Gesundheitsfragen engagiert, den Mitgliedern der AG Menschenrechte in meiner Fraktion. Sie berichtete von Dörfern, in denen Mädchen, die einen Gynäkologen bzw. eine Gynäkologin besuchen wollen, von Heckenschützen hinterrücks vom Fahrrad geschossen werden, von Mädchen, die gesteinigt wurden, weil sie die Schule besuchten. Deutsche Soldaten stiften Frieden, indem sie solche Geschehnisse verhindern. Es ist kein westlicher Krieg, auch wenn hier häufig der – falsche! – Eindruck erweckt wird, dass die westlichen Mächte den Krieg nach Afghanistan tragen würden. Bei einem Besuch in Afghanistan konnte ich mir ein eigenes Bild der Lage machen und viele Gespräche mit Soldaten führen. Die einhellige Meinung: Wir dürfen nicht überstürzt abbrechen, was wir begonnen haben – das würde im Nachhinein den Kameraden spotten, die für diesen Einsatz gestorben sind. Die Vertreter Afghanistans haben ausdrücklich um unsere Unterstützung nachgesucht. Die instabile politische Gesamtlage am Hindukusch mit der Nachbarschaft zu Pakistan ist eine Gefahr weit über die Region hinaus. Meine Zustimmung verbinde ich dabei mit folgenden Forderungen: Der geplante Abzug der NATO-Truppen im kommenden Jahr muss sofort mit einer nachvollziehbaren Exit-Strategie verbunden werden; die bisherigen Aussagen dazu sind nicht befriedigend. Die Strategie muss mit internationalen NGOs abgestimmt werden. Die internationale Staatengemeinschaft muss die notwendigen Ressourcen zu einem Aufbau der zivilgesellschaftlichen Strukturen zur Verfügung stellen und ein verlässlicher Partner Afghanistans bleiben. Es muss eine politische Gesamtstrategie für die Region Afghanistan/Pakistan geben. Verwundete und traumatisierte Soldaten müssen noch leichteren Zugang zu therapeutischen Angeboten erhalten und darüber hinaus eine Würdigung ihres Einsatzes erfahren, die von einer breiten Mehrheit unserer Gesellschaft getragen ist. Ich möchte daher zum Schluss noch einmal Bezug auf mein Eingangszitat nehmen und es etwas umformulieren: Nicht alles ist schlecht in Afghanistan – aber es ist noch nicht gut genug für einen sofortigen Abzug deutscher Soldaten. Inge Höger (DIE LINKE): Ich stimme gegen die Fortsetzung des Krieges in Afghanistan, weil die Bundesregierung die Öffentlichkeit und auch uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier von Anfang an nicht vollständig informiert hat über den Charakter und das Ausmaß der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, so sieht es unser Grundgesetz vor. Doch Kontrolle setzt Information voraus. Wichtige Berichte haben wir aber in den letzten Jahren häufig aus den Medien und nicht vom Verteidigungsministerium bekommen. Zwei Untersuchungsausschüsse mussten sich mit dem Verhalten von Bundeswehrangehörigen in Afghanistan beschäftigen. Dies illustriert die Unkontrollierbarkeit einer „Armee im Einsatz“ überdeutlich. Bundeswehr und Bundesregierung betonen gerne die Konzepte des „Staatsbürgers in Uniform“ und der „Inneren Führung“. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen: Krieg und Demokratie passen schlecht zusammen. Auch deshalb stimme ich gegen die Fortsetzung des Krieges in Afghanistan. Besonders deutlich wird der Widerspruch von demokratischer Kontrolle und militärischer Eigendynamik beim Kommando Spezialkräfte – dem KSK. Diese verschworene Eliteeinheit war seit Beginn des Afghanistan-Krieges in offensive und aggressive Kampfführung verwickelt. Das KSK war damit Teil der Eskalationsspirale in Afghanistan. Dennoch haben wir als Abgeordnete davon jahrelang nichts erfahren. Ausnahme waren sporadische Medienberichte, deren Richtigkeit wir nicht überprüfen können. In einer Demokratie darf es keine Geheimarmeen geben! Im Magazin des Reservistenverbandes Loyal war in der Januarausgabe das Folgende zu lesen: „Das KSK dürfte noch geraume Zeit in Afghanistan bleiben, selbst wenn die übrigen Truppen weg sind“. Als Aufgabe für das KSK wird genannt „Führer und Drahtzieher aus dem Verkehr zu ziehen“. Das klingt wie eine Lizenz zum Töten. Ein Verdacht wird dabei schnell zum Todesurteil. Wie wollen Sie solche Barbarei mit den angeblich hohen Ansprüchen deutscher Außenpolitik in Einklang bringen? Ich stimme gegen das Mandat zur Fortsetzung des Afghanistan-Krieges, weil die bisherige verfehlte Politik und die bisherigen Kriegslügen fortgesetzt werden. Lange haben Sie sich geweigert, zuzugeben, dass in Afghanistan Krieg herrscht. Nun reden Sie vom Abzug 2014, und auch das ist ein Betrug. Was heute beschlossen wird, ist eine Intensivierung des Krieges in der vagen Hoffnung, doch noch zu siegen. Zudem sollen deutsche Soldatinnen und Soldaten noch lange nach 2014 vor Ort bleiben. Der Beschluss bedeutet die Fortsetzung von Leid und Blutvergießen. Dem kann und werde ich nicht zustimmen. Beenden Sie das Lügen, geben Sie zu, dass der Afghanistan-Krieg falsch war und ist. Beenden Sie den Einsatz. Holen Sie die Truppen zurück! Jetzt! Und nicht erst in drei, vier, fünf oder zehn Jahren. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Jahre 2001 habe ich in Rostock bei der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen mit einer Rede den Einsatz in Afghanistan voller Überzeugung befürwortet. Das schien mir damals notwendig und geeignet, um den Terror der Taliban gegenüber der afghanischen Bevölkerung und dem Rest der Welt zu beenden. Leider wurde ich durch die Entwicklungen in den Jahren danach eines Besseren belehrt: Die US-Regierung forderte von Deutschland immer mehr militärischen Einsatz. Die Bundesrepublik Deutschland wurde langsam, aber sicher immer stärker in eine kriegerische Auseinandersetzung hineingezogen. Regelmäßig beteiligt sich die Bundeswehr seitdem mit schweren Waffen an den Kämpfen. Unser Land hat dadurch an diplomatischer Stärke und Glaubwürdigkeit in der zivilen Bevölkerung verloren. Angesichts der getöteten Soldaten und Zivilisten ist die Aussage, die Bundeswehr würde nur Sozialarbeit leisten, seit langem überholt. Die militärische Strategie geht viel eher in die Richtung, die Taliban militärisch noch so weit wie möglich zu schwächen, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, bevor man ihnen wieder die Kontrolle über Afghanistan überlässt. Diese falsche Strategie hat unser Land in eine kriegerische Auseinandersetzung hineingezogen, und diese Politik wird von der aktuellen Regierung fortgesetzt. Diese Fortsetzung der militärischen Eskalation ist aber keine Lösung für die afghanische Bevölkerung und trägt auch nicht zur Sicherheit Deutschlands und der Welt bei. Die Bundesrepublik wird nicht am Hindukusch verteidigt, unsere Sicherheit geht dort verloren. Wir Grünen fordern seit langem einen erheblichen Strategiewechsel. Wir müssen raus aus der Spirale der Gewalt! Wir gehen mit Frieden, Sicherheit und Menschenleben nicht leichtfertig und populistisch um. Die grüne Bundestagsfraktion hat einen Entschließungsantrag vorgelegt, mit dem sie einen konkreten Abzugsplan fordert. Dieser hat meine volle Unterstützung. Das vorgelegte Mandat der Bundesregierung hat keine Perspektive und erfüllt keinen sinnvollen Zweck, daher werde ich es ablehnen. Sabine Leidig (DIE LINKE): Ich habe – wie alle Abgeordneten der Partei Die Linke – gegen diesen Kriegseinsatz und seine Verlängerung gestimmt, weil die traurige Wirklichkeit zeigt, dass der Krieg die zivile und soziale Entwicklung der Gesellschaft in Afghanistan blockiert und – wie alle Kriege – Grausamkeit, Tod und Leid in den Alltag der Bevölkerung bringt. Mein zweiter wesentlicher Grund ist, dass unsere eigene Gesellschaft verändert wird. Die historische Lehre, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, wird in die Vergessenheit gedrängt. Ich zitiere den Präsidenten von Pax Christi Deutschland, Heinz Josef Algermissen, Bischof von Fulda, der in seiner Erklärung zur heutigen Abstimmung schreibt: Die Bundeswehr wird zur Armee im Einsatz umfunktioniert. Die Verteidigungsrestriktion des Grundgesetzes verliert faktisch ihre Bedeutung. Der Afghanistankrieg als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung hat die Änderung der Verteidigungs- hin zur Einsatzarmee gefördert. Die junge Generation in Deutschland wächst in einer Gesellschaft auf, die zwar Krieg führt, es aber zugleich leugnet. Was für die Trümmerfrauen und für viele Kriegsrückkehrer des Zweiten Weltkrieges undenkbar schien, ist heute wieder möglich. Gleichzeitig fehlt der politische Diskurs über diese Entwicklung. Die deutsche Gesellschaft akzeptiert seit Jahren eine beschönigende Darstellung, die den Blick auf die Grausamkeit des Krieges vernebelt. Die Unmenschlichkeit und die Gewalt des Krieges betreffen vor allem diejenigen, in deren Land die Waffen zum Einsatz kommen, und jene, die die Waffen zum Einsatz bringen. Darüber hinaus entsteht eine Rohheit im Umgang der Völker, und die deutsche Bevölkerung verliert zusehends an Integrität, an Glaubwürdigkeit, an Potenzial für Frieden und Gerechtigkeit – sich selbst und anderen gegenüber. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung aus folgendem Grund zu: In ihrem Antrag zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz in Afghanistan hat die Bundesregierung zahlreiche Forderungen der SPD übernommen. Das Mandat leitet den von der SPD seit langem geforderten Abzug der deutschen Truppen in Afghanistan ein. Die Reduzierung des Bundeswehrkontingents auf 4 900 entspricht den Forderungen der SPD, unsere Truppenstärke kontinuierlich zu reduzieren mit dem Ziel der vollständigen Verantwortungsübergabe in die Hände der afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014. Ich habe allerdings folgende Bedenken: Der Antrag beschreibt die zivil-militärische Zusammenarbeit als einen wichtigen Teil des Engagements der deutschen Seite. Gleichwohl hindert das Kooperationsgebot des Entwicklungsministeriums viele NGOs daran, sich in Afghanistan zu engagieren, denn sie lehnen eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ab. Da sie dadurch ohne deutsche Finanzmittel arbeiten müssen, geht den Afghanen schon seit zwei Jahren wichtige Unterstützung verloren. Leider geht der Antrag zu wenig auf die Menschenrechtslage in Afghanistan ein, die sich in den letzten Jahren leider deutlich verschlechtert hat. Dies gilt auch für die Sicherheitslage. Unter diesen erschwerten Bedingungen soll ziviler Aufbau stattfinden und ziviles Engagement verstärkt werden. Dafür ist kein Konzept erkennbar, das jetzt umgesetzt wird und nach 2013/2014 tragen kann. Denn die bisherige militärische Strategie – eine offensive Aufstandsbekämpfung sowie das Partnering – erachte ich nicht für die richtige Vorgehensweise für die verbleibenden zwei Jahre. Ich erwarte von der derzeitigen und zukünftigen Bundesregierung ein transparentes Konzept für den Abzug deutscher Soldaten und Soldatinnen aus Afghanistan, das den schnellstmöglichen Rückzug unter Wahrung unserer internationalen Verpflichtungen und in Respekt vor den Menschen in Afghanistan ermöglicht und dessen Umsetzung sichergestellt wird. Kirsten Lühmann (SPD): Der Antrag „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, International Security Assistance Force, ISAF, unter Führung der NATO“ – Drucksache 17/8166 – der Bundesregierung hat meine Unterstützung. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich schon länger für einen Strategiewechsel ausgesprochen, der auf eine politische Lösung der Konflikte in Afghanistan setzt. Voraussetzung für eine politische Lösung muss ein Versöhnungsprozess innerhalb des Landes sein. Hierfür ist es zwingend erforderlich, mit allen Beteiligten Gespräche zu führen. Dies schließt also auch die Taliban ein. Obgleich die Bundesregierung diesen Ansatz zunächst abgelehnt hat, entspricht der Antrag der Bundesregierung nun weitgehend den Vorstellungen der SPD-Bundestagsfraktion. Ferner befürworte ich das Konzept der schrittweisen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan. Anzumerken ist, dass dieses jedoch eine verstärkte Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte erfordert. Niema Movassat (DIE LINKE): Seit einem Jahrzehnt führt die NATO in Afghanistan unter dem Vorwand der „humanitären Intervention“ und des „Krieges gegen den Terror“ einen Feldzug für wirtschaftliche und geostrategische Interessen. Was ist das Ergebnis dieses modernen Feldzuges? Jahr für Jahr steigen die Opferzahlen – 2011 war das blutigste Jahr seit Beginn des Krieges. Die Infrastruktur des Landes wurde zugrunde gerichtet; die Bevölkerung leidet an massiver Unterernährung und unbehandelten Krankheiten, sodass die Lebenserwartung rapide gesunken ist. Ein weiteres Mal hatten heute die Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Möglichkeit, zu entscheiden, ob deutsche Soldaten in Afghanistan sich weiterhin an dem Morden beteiligen müssen oder abgezogen werden. Die weitere Kriegsführung entscheidet sich hier im Bundestag. Die Frontlinie der modernen Kriege hat sich verschoben: Die heutigen Feldherren entscheiden nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern in Parlamenten über Leben und Tod. Die Beschlussvorlage der Bundesregierung ist eine Farce: Der Öffentlichkeit wird vorgegaukelt, Deutschland würde Kampftruppen abziehen. Tatsächlich werden nur Reserveeinheiten zurückgeholt, die nicht mehr benötigt werden. Die Bundesregierung will uns weißmachen, die Bundeswehr leiste in Afghanistan humanitäre Aufbauarbeit. Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland führt weiterhin im Rahmen der ISAF Krieg. Für ein friedliches und freies Afghanistan, das der Bevölkerung eine Zukunft bietet, muss der Kriegseinsatz beendet und die rein zivile Entwicklungshilfe aufgebaut werden. Stattdessen baut die NATO die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit, ZMZ, aus. Im Klartext bedeutet das eine enge Verzahnung politischer, militärischer, wirtschaftlicher, humanitärer und polizeilicher Instrumente. So wird dann auch „Entwicklungshilfe“ zum Bestandteil der NATO-Kriegsstrategie. An ein und demselben Tag kann dieselbe Einheit im Rahmen der ZMZ eine neue Straße befestigen, ein Dorf dem Erdboden gleichmachen und danach den Ausbildungsdienst der afghanischen Polizei übernehmen. So kann kein Frieden geschaffen werden. Der Bundeshaushalt sieht rund 1,1 Milliarde Euro für den Krieg vor. Diese müssen ab sofort für den Wiederaufbau und die Verbesserung der Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung nach deren Bedürfnissen eingesetzt werden. Die ausländischen Truppen – allen voran die deutschen – müssen Afghanistan verlassen. Jens Petermann (DIE LINKE): Ich stimme der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung unter anderem deswegen nicht zu, weil Krieg das falsche Mittel ist, um Hunger und Elend von Millionen Afghaninnen und Afghanen zu verhindern, sondern im Gegenteil diese weiter befördert. Das Überleben von über drei Millionen Menschen hängt auch weiterhin von ausländischen Nahrungsmittelhilfslieferungen ab. Die Getreideernte im Land reicht nicht aus, die Bevölkerung zu ernähren. Es wird auf immer mehr landwirtschaftlichen Flächen Mohnanbau betrieben, die somit für den Getreideanbau fehlen. Ein Großteil der Bevölkerung hungert. Laut Oxfam sind in dem Land ein Drittel der Kinder unterernährt. Darüber hinaus ist nach zehn Jahren Krieg und Besatzung in Afghanistan die soziale Situation der Bevölkerung fatal: In Bezug auf die Gesundheitsversorgung liegt Afghanistan beim Human Development Index weit abgeschlagen an letzter Stelle. Seit 2005 konstatieren in repräsentativen Umfragen die Afghaninnen und Afghanen eine kontinuierliche Degradierung ihrer sozialen Situation. 2007 hatten nur 5 Prozent der Afghanen „Zugang zu gesundheitlich akzeptabler Sanitärversorgung“; 2011 liegt diese Zahl bei ganzen 7,5 Prozent – Zahlen der Bundesregierung, 2011. Die durchschnittliche Lebenserwartung stagniert seit Jahren bei 43 Jahren. Die Hälfte der Männer und über 90 Prozent der Frauen sind Analphabeten. Kinder und Jugendliche besuchen durchschnittlich 3,3 Jahre lang die Schule. Die afghanische Gesellschaft verfällt weiter: „Die Zahl der Drogensüchtigen in Afghanistan nimmt weiter zu, und mit ihr die Ausbreitung von HIV und anderer Krankheiten“, so die Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht. Der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan trägt nach alledem nicht zu einer Verbesserung der Lage der afghanischen Bevölkerung bei und ist deshalb abzulehnen. Mechthild Rawert (SPD): Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auf Grundlage der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates dauert mittlerweile zehn Jahre an. Ich habe den Einsätzen der Bundeswehr in der Regel meine Zustimmung im Deutschen Bundestag gegeben. Bei der Entscheidung im Jahr 2011 waren allerdings meine Zweifel über die Ernsthaftigkeit der Beibehaltung des Strategiewechsels durch die Bundesregierung so groß, dass ich dem Antrag nicht zustimmen konnte. Doch im Unterschied zur Situation der Entscheidung über den Bundeswehreinsatz im letzten Jahr lässt sich im Januar 2012 konstatieren, dass der Abzug der Bundeswehrtruppen bereits begonnen hat. Im Regierungsantrag ist der Truppenrückzug im Jahr 2012 von 5 350 Soldaten auf zunächst 4900 und im weiteren Jahresverlauf auf 4 400 festgelegt. Während Ende November noch 5 329 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert gewesen waren, betrug die Truppenstärke am 7. Dezember 2011 noch 4 991. Damit sind meine ernsthaften Zweifel, ob die Bundesregierung ihr Wort für eine Abzugsperspektive hält, vorerst ausgeräumt. Für problematisch halte ich, dass der Antrag der Bundesregierung die Hintertür offen lässt, den Truppenabzug aufzuweichen. Die Formulierung „soweit die Lage dies erlaubt und dadurch die eingesetzten Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses nicht gefährdet werden“ lässt diese Interpretation zu. Insgesamt entspricht der vorliegende Mandatstext weitgehend der SPD-Position für einen Strategiewechsel, der auf eine politische Lösung der Konflikte in Afghanistan setzt und als Voraussetzung einen Versöhnungsprozess innerhalb des Landes auch mit den Taliban vorsieht. Der Transitionsprozess sieht vor, dass die Sicherheitsverantwortung Schritt für Schritt an Afghanistan übergeben wird. Das erfordert eine verstärkte Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Seit Juli 2011 findet diese Transition in Gebieten mit eher ruhiger Lage statt. Mittlerweile sind 305 600 Soldaten und Polizisten in Afghanistan ausgebildet worden, und bis Oktober 2012 sollen es 352 000 sein. Der Härtetest für die Übertragung der Sicherheitsverantwortung steht erst noch bevor. Ich erwarte, dass ein tragfähiges Konzept zur nachhaltigen Ausbildung, Ausstattung und vor allem bezüglich der Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte entwickelt wird, wie es im Antrag der Bundesregierung versprochen wird. Denn ein Rückfall Afghanistans in eine erneute Bürgerkriegssituation, wie nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, muss verhindert werden. Das ist aus meiner Sicht eine Verantwortung, die sich aus den zehn Jahren des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan ergibt. Die mehrdimensionalen Konflikte in Afghanistan und seinen Anrainerstaaten lassen sich nur auf politischem und nicht auf militärischem Wege lösen. Dem trägt der Strategiewechsel insofern Rechnung, indem auch die Taliban als Verhandlungspartner akzeptiert und in einen Versöhnungsprozess eingebunden werden. Eine politische, nicht militärische Lösung bedeutet zugleich auch die Aufwertung ziviler Konfliktlösungen sowie Aufbauhilfe im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Insofern war die Aufstockung der jährlichen Unterstützung für Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan auf bis zu 430 Millionen Euro notwendig. Um den Aufbau einer stabilen Wirtschaft und Gesellschaft zu gewährleisten, müssen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit über den von der Bundesregierung zugesagten Zeitraum bis 2013 hinaus beibehalten werden. Die deutsche Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Jede Soldatin, jeder Soldat braucht insbesondere bei Auslandseinsätzen politische, moralische und auch finanziell ausreichende Unterstützung zur Gewährung bestmöglicher Sicherheit. Ich bin nach wie vor bereit, diese zu geben. Frieden ist aber mehr als die Abwesenheit von Krieg. Eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist nach wie vor für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Ich stimme dem Antrag zu, weil er eine fest terminierte Abzugsperspektive bietet. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor knapp zehn Jahren hat Deutschland unter dem Mandat der Vereinten Nationen, im Rahmen der International Security Assistance Force, ISAF, auf Wunsch der afghanischen Regierung und unter Beteiligung zahlreicher Partner Verantwortung in Afghanistan übernommen. Trotz der erheblichen Schwierigkeiten und Rückschläge, die man in Afghanistan in den vergangenen zehn Jahren beobachten konnte, stehe ich zu unserer Verantwortung gegenüber den afghanischen Frauen und Männern, den zivilen Helferinnen und Helfern, den Soldatinnen und Soldaten und den Vereinten Nationen. Ziel aller deutschen Beiträge muss die Stabilisierung eines afghanischen Staates sein, der nach gängigen rechtsstaatlichen Normen operiert und die Menschenrechte seiner Bürgerinnen und Bürger schützt, fördert und garantiert. Dabei muss sich die Unterstützung Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft an der Kernforderung der Vertreterinnen und Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft orientieren. Parallel zum Stabilisierungseinsatz mit UN-Mandat, ISAF, wurde im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“, OEF, der sogenannte Krieg gegen den Terror mit vielen zivilen Opfern betrieben. Diese Politik hat sich als Irrtum erwiesen. Die Dominanz des Militärischen wurde begleitet vom weitgehenden Fehlen einer am tatsächlichen Bedarf orientierten zivilen und entwicklungspolitischen Aufbaustrategie und einer Unterordnung von zivilen gegenüber militärischen Zielsetzungen. All dies bedarf einer fundierten, selbstkritischen Aufarbeitung, der sich die Bundesregierung bisher verweigert. Die Bundesregierung blockiert nicht nur eine solche Evaluierung, sondern sie legt Fortschrittsberichte vor, die nicht überzeugen. Die Behauptung, die offensive Aufstandsbekämpfung hätte die Aufständischen entscheidend und dauerhaft geschwächt, wird von vielen Expertinnen und Experten bezweifelt. Gleichzeitig schwindet das Vertrauen in die ISAF-Truppen. Auch die Bundeswehr ist seit 2010 intensiver an solchen offensiven Operationen beteiligt. Die internationalen Kampftruppen sollen bis 2014 aus Afghanistan abgezogen werden. Das haben wir mit unserem Entschließungsantrag (Drucksache 17/8466) im vollen Verantwortungsbewusstsein und ausführlich begründet. Nur so entsteht der notwendige politische Druck auf die afghanische Seite, eine politische Lösung entschieden anzugehen. Der begonnene Prozess der Übergabe in Verantwortung muss aber entschieden und mit konkreten Zwischenschritten weiter fortgeführt und auf die Dynamik der Situation in den jeweiligen Provinzen sowie die zivile Aufbauarbeit angepasst werden. Hierfür ist allerdings ein klarer Zeitplan unerlässlich. Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Mandat real nur 200 Soldatinnen und Soldaten abziehen. Das ist viel zu wenig. Wenn ein Abzug 2014 erfolgen soll, dann müsste das Bundeswehrkontingent in 2012 und 2013 substanziell reduziert werden. Zudem beendet die Bundeswehr auch nicht die offensive Aufstandsbekämpfung. Diese geht einher mit einer hohen Zahl an zivilen Opfern, und sie blockiert die Versuche zu einer politischen Lösung. Da ich an den heutigen Sitzungen und Abstimmungen des Bundestages nicht teilnehmen kann, möchte ich mit dieser persönlichen Erklärung klarstellen, dass ich den vorliegenden Anträgen der Bundesregierung aus den oben genannten Gründen nicht zustimme. Ein überstürzter und ungeordneter Abzug der internationalen Truppen, den manche bis Ende 2012 fordern, ist nicht verantwortbar. Das könnte das Land erneut in einen Bürgerkrieg stürzen, die zivilen Helferinnen und Helfer gefährden und die in den letzten Jahren erzielten Erfolge infrage stellen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Antrag der Bundesregierung lehne ich ab. Ich bin dagegen, dass die Bundeswehr sich ein weiteres Jahr an diesem grausamen Krieg in Afghanistan beteiligt. Das neue Mandat gilt formal nur für ein Jahr, enthält aber faktisch eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes um mindestens drei Jahre. Bis Ende 2014 soll der Krieg so weitergeführt werden wie bisher, nur mit weniger Soldaten. Es werden Tausende weitere Menschen getötet und noch viele mehr verwundet durch Anschläge und Angriffe der Aufständischen und durch offensive Operationen der Interventionsstreitkräfte. Das „Partnering“ der Bundeswehr wird fortgesetzt wie bisher. Das heißt, auch Spezialkommandos aus afghanischen und deutschen Streitkräften führen weiter unter deutscher Führung gezielte Operationen gegen tatsächliche oder vermeintliche Aufständische durch. Gezielte Tötungen von Taliban, die aufgrund oft dubioser und unüberprüfbarer Informationen auf Todeslisten gelistet wurden, werden unvermindert von Spezialeinheiten und mittels bewaffneter Drohnen fortgesetzt. Allein in drei Monaten zu Beginn des letzten Jahres fanden über 1 400 solcher extralegaler Hinrichtungen statt. Dabei wurden viele Hundert Menschen getötet, darunter auch viele an dem Krieg Unbeteiligte und zu Unrecht Denunzierte. Wenn die Bundesregierung auch behauptet, die Bundeswehr beteilige sich nicht an solchen Tötungen, dann konnte sie doch nicht ausschließen, dass Personen, die sie für „capture or kilI“-Listen benennt, dann doch von Drohnen oder Spezialkommandos alliierter Streitkräfte gejagt und getötet werden. Durch diese Kriegsführung wird immer neuer Hass und neue Gewalt geschürt. Es wird weiter vermehrt Sprengstoffanschläge und Angriffe auf die Bundeswehr und die Verbündeten geben. Vor allem aber werden sämtliche Bemühungen um Verhandlungen und Waffenstillstand erheblich erschwert und gar unmöglich gemacht. Wenn man die, mit denen verhandelt werden soll, auf Todeslisten setzt, jagt und tötet, werden ernsthafte Gespräche hintertrieben. Vier mit Raketen bewaffnete Killerdrohnen werden in diesem Monat neu in Masar-i-Scharif im Verantwortungsbereich der Bundeswehr stationiert. Es heißt, die Verlängerung des Krieges sei notwendig und richtig, weil bis Ende 2014 so viel Sicherheit in Afghanistan geschaffen werden könne, dass die afghanischen Sicherheitskräfte ohne Hilfe die Bürgerinnen und Bürger schützen und eine friedliche Entwicklung garantieren können. Solche Hoffnungen und Erwartungen sind unbegründet. Die Entwicklung der Sicherheit im Land in den letzten fünf Jahren spricht eher dagegen. Jahr für Jahr wurde die Sicherheitslage dramatisch schlechter trotz des Einsatzes von immer mehr Soldaten und immer schwererer Waffen. Afghanistan war für die Bevölkerung seit Beginn des Einsatzes internationaler Streitkräfte noch nie so unsicher wie heute. Alles spricht dafür, dass die Lage sich in den nächsten Jahren eher weiter verschlechtert, als dass sie besser oder gar gut wird. Weiter Krieg zu führen, ist der falsche Weg. Es gibt Alternativen. Auf meiner Afghanistan-Reise vor vier Monaten habe ich erfahren, Verhandlungen und Waffenstillstand mit den Aufständischen – auch den Taliban – sind möglich. Es gab schon Angebote für Waffenstillstand in einzelnen Regionen, auch für den Verantwortungsbereich der Bundeswehr im Norden. Anstatt weiter auf Krieg zu setzen, muss jede Chance für Verhandlungen genutzt werden. Solche Chancen werden aber durch das Weiter-so und die Verlängerung des Kriegsmandats für die Bundeswehr nicht genutzt, sondern zunichtegemacht. Sabine Stüber (DIE LINKE): Ich stimme gegen die Fortsetzung des Mandats, weil Krieg nicht Mittel der Politik sein darf. Deutsche Soldatinnen und Soldaten müssen sofort aus Afghanistan abgezogen werden. Der Bundeswehreinsatz schafft keinen Frieden und sorgt keineswegs für eine bessere Lebenssituation der Afghaninnen und Afghanen. Ich stimme der Mandatsverlängerung nicht zu, weil laut UNAMA, United Nations Assistance Mission in Afghanistan, 87 Prozent der afghanischen Frauen schon einmal Opfer von Gewalt waren. Die Bundesregierung stellt Ende 2011 fest: „Eine strafrechtliche Verfolgung findet so gut wie nicht statt“ (aus dem Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan). Des Weiteren hatten 2007 nur 5 Prozent der Afghaninnen und Afghanen „Zugang zu gesundheitlich akzeptabler Sanitärversorgung“; 2011 liegt diese Zahl bei ganzen 7,5 Prozent – Zahlen der Bundesregierung, 2011. Ich stimme der Mandatsverlängerung nicht zu, weil auch nach zehn Jahren Krieg und Besatzung in Afghanistan die soziale Situation der afghanischen Bevölkerung fatal ist: In Bezug auf die Gesundheitsversorgung liegt Afghanistan beim Human Development Index weit abgeschlagen an letzter Stelle. Seit 2005 zeigen repräsentative Umfragen, dass die Afghaninnen und Afghanen einen kontinuierlichen Rückgang ihrer sozialen Situation feststellen. Die durchschnittliche Lebenserwartung stagniert seit Jahren bei 43 Jahren. Die Hälfte der Männer und über 90 Prozent der Frauen sind Analphabeten. Kinder und Jugendliche besuchen durchschnittlich nur 3,3 Jahre lang die Schule. Ich stimme der Mandatsverlängerung nicht zu, weil der Krieg in Afghanistan gescheitert ist und die Fortsetzung dieses Einsatzes mit deutscher Beteiligung keinen Sinn hat. Es müssen alle finanziellen Mittel in den zivilen Aufbau des Landes fließen und die Bundeswehr unverzüglich abgezogen werden. Nur dann ist eine Verbesserung der Lage in Afghanistan möglich. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Spätestens seit Kunduz wissen nicht nur wir, sondern auch die Kriegsbefürworter von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen, dass die Bundeswehr nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems in Afghanistan ist. Dennoch äußerte ausgerechnet Verteidigungsminister de Maizière zuletzt am 23. Januar wiederholt seine Zweifel daran, dass bis 2014 tatsächlich alle Bundeswehrsoldaten abgezogen werden. Auf die Frage, ob bis Ende 2014 tatsächlich mit dem kompletten Abzug von Soldaten aus Deutschland und den anderen Staaten zu rechnen ist, antwortete er: „Natürlich ist die Strategie immer abhängig von den obwaltenden Umständen. Wenn sich die Dinge grundlegend ändern, könnte eine neue Lage entstehen“. Faktisch sieht das neue Mandat für 2012 überhaupt keine wirkliche Reduzierung des Truppenkerns vor, die Zahl verringert sich lediglich um eine nicht genutzte Reserve. Die Rede von dem vermeintlichen Abzug versucht, vor allem die hiesige Bevölkerung zu täuschen, von der die große Mehrheit einen wirklichen Abzug aus Afghanistan befürwortet, wie Umfragen zeigen. Terrorismus lässt sich nicht mit Krieg bekämpfen. Um Waffenruhe und einen anschließenden Friedensprozess zu erreichen, ist nicht die Aufstockung, sondern der Abzug aller Truppen sowie eine zivile Aufbauhilfe eine politische Notwendigkeit. Das Töten unschuldiger Menschen muss beendet werden. Als einzige Antikriegspartei im Deutschen Bundestag begrüßen wir die Entscheidung der niederländischen Sozialdemokraten. Diese haben ihre Forderung eines kompletten Abzugs der Truppen konsequent vertreten – bis zum Ausstieg aus der Regierung. Die SPD im Bundestag sollte sich ein Beispiel daran nehmen. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Ich stimme gegen die Fortsetzung des Mandats, weil ich gerade auch als Gesundheitspolitikerin den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan für gescheitert halte. Ich habe an der Afghanistan-Konferenz im Dezember in Bonn teilgenommen und dort die Berichte über die angeblichen Erfolge auch im Gesundheitsbereich gehört. Auch hier im Parlament hat uns Minister Westerwelle noch am 15. Dezember 2011 erklärt: Über 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung habe Zugang zu Gesundheitsleistungen. Ganz anderes hingegen berichtet uns etwa die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die in Afghanistan tätig ist. In den dortigen Behandlungsstationen gibt es regelmäßig Schwerverletzte, die mehrere Tagesreisen hinter sich haben, um behandelt werden zu können. Insbesondere Frauen haben kaum Zugang zum Gesundheitswesen; die Quote der Mütter- und Säuglingssterblichkeit ist nach UN-Angaben heute nicht geringer als 2001. Die ehemalige afghanische Parlamentarierin Malalai Joya hat mir berichtet, dass die verbreitete Korruption in Afghanistan auch vor dem Gesundheitssystem nicht haltmacht. So verlangen viele Ärztinnen und Ärzte von ihren Patientinnen und Patienten 80 bis 120 Dollar, bevor sie überhaupt mit ihnen sprechen. Das können sich in einem der ärmsten Länder der Welt ganz sicher nicht 80 Prozent der Menschen leisten. Die Ärzte ohne Grenzen berichten ebenfalls, dass die militärische Intervention für ihre Arbeit überhaupt nicht hilfreich ist. Im Gegenteil fühlen sich ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wie die vieler anderer NGOs auch, dort am sichersten, wo das Militär am weitesten entfernt ist. Die unwürdigen Zustände in der Gesundheitsversorgung sprechen allen Erfolgsberichten des Bundeswehreinsatzes Hohn. Gerade auch als Gesundheitspolitikerin sage ich: Die Beendigung des Krieges wird eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung erst möglich machen. Wenn nur ein Bruchteil des Geldes, das bisher für den Krieg verpulvert wird, in die medizinische Versorgung der Bevölkerung fließen würde, würde es den Menschen in Afghanistan besser gehen. Deshalb kann ich einer erneuten Verlängerung dieser falschen Politik nicht zustimmen. Johanna Voß (DIE LINKE): Ich stimme gegen die Fortsetzung des Mandats, weil sich bis heute an der Situation am Hindukusch nichts verändert hat. Die Region ist Opiumlieferant Nummer eins, der Bildungsstand weiterhin katastrophal. Das Volk wendet sich seinen jeweiligen Stammesfürsten zu und die wiederum paktieren mit den Taliban. Der Einsatz ist gescheitert. Untermauert wird dies bedauerlicherweise durch die steigende Anzahl toter deutscher Soldaten. Der einzig richtige Befehl kann daher nur sein: Kehrt Marsch! Soldaten sind keine Mörder, und das muss so bleiben! Die Bundesregierung selbst räumt in ihrem letzten Fortschrittsbericht zu Afghanistan ein: „Die Zahl der zivilen Opfer hat 2011 zugenommen.“ Dort heißt es weiter: Die Gesamtzahl der „Zwischenfälle“ liegt immer noch weit über dem Wert von 2009, wo 16 500 dieser Vorfälle gezählt wurden. Zwischen Oktober 2010 und Oktober 2011 unterscheiden sich die Zahlen minimal: statt 3 200 nun 2 900 „Zwischenfälle“. Das heißt, dass im Oktober 2011 Tag für Tag nach offiziellen Angaben 100 Angriffe mit Hand- und Panzerabwehrwaffen, Beschuss durch Mörser und Raketen, Beschuss von Flugzeugen, Einsatz von Sprengvorrichtungen, Selbstmordanschläge und sonstige Überfälle auf die ISAF und ihre afghanischen Verbündeten stattfinden. Die Zahl gibt keine Auskunft darüber, wie viele Angriffe und Bombardements die NATO gestartet hat, wie viele Razzien die KSK durchgeführt haben. Auf der Suche nach Aufständischen terrorisiert die NATO jede Nacht afghanische Familien. 2011 wurden im Schnitt 19 Kommandoaktionen pro Tag durchgeführt, Soldaten treten Haustüren ein und überfallen Afghanen im Schlaf. Routinemäßig mordet die NATO Unschuldige. Allein im letzten Sommer wurden im NATO-Krieg laut UN-Angaben über 3 000 Zivilisten getötet. Es sind die Armut, das Unrecht und der NATO-Terror, der den Aufständischen wie in früheren Kolonialkriegen immer neue Rekruten zuführt. Allein im vergangenen Jahr sind 20 000 der insgesamt 126 000 afghanischen Polizisten desertiert – auch weil der Sold eines einfachen Polizisten unter dem Existenzminimum liegt. Der Versuch der NATO, das Karsai-Regime durch Bomben und Razzien zu stabilisieren, ist gescheitert. Der Afghanistan-Krieg ist ein sinnloser Krieg. Die angebotene Strategie, den Krieg durch schrittweise Übertragung der Verantwortlichkeiten zu „afghanisieren“, erscheint bei näherer Betrachtung aussichtslos. Im US-Haushalt sind für das kommende Jahr 12,8 Milliarden US-Dollar für die Ausbildung und Ausrüstung lokaler afghanischer „Sicherheitskräfte“ eingeplant. Zum Vergleich: Der gesamte Staatshaushalt Afghanistans beträgt lediglich 1,5 Milliarden US-Dollar. Mit militärischen Mitteln war und ist in Afghanistan nichts zu erreichen. Und deshalb stimme ich der Fortsetzung des Mandats nicht zu. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Re-solution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Über zehn Jahre nach dem 11. September 2001 und den damit verbundenen Einsätzen in Afghanistan ist es geboten, das militärische Engagement in Afghanistan sukzessive und verantwortungsvoll zu reduzieren und schließlich in absehbarer Zeit zu beenden. Deutschland hat durch seinen Einsatz in Afghanistan eine Schutzverantwortung für die afghanische Bevölkerung übernommen. Dieser Verantwortung müssen wir sowohl mit unserem zivilen als auch militärischen Engagement gerecht werden. Ein sofortiger Abzug bringt das enorme Risiko mit sich, dass das Land in einem noch schlimmeren und blutigeren Bürgerkrieg versinkt. Ein sofortiger Abzug gefährdet nicht nur bereits Erreichtes, sondern auch die Zukunft der afghanischen Kinder, Frauen und Männer in existenzieller Art und Weise. Das Engagement in Afghanistan wurde durch die internationale Gemeinschaft beschlossen. Ein notwendiger und verantwortungsvoller Abzug erfordert ein koordiniertes Vorgehen, abgestimmt mit den davon betroffenen Nationen. Ein nicht abgesprochener, unilateraler Abzug müsste durch andere Beteiligte kompensiert werden und würde deren Belastung entsprechend stark erhöhen. Der Abzug aus Afghanistan kann nicht von heute auf morgen geschehen. Die beteiligten Nationen haben sich auf das Jahr 2014 als Abzugsdatum geeinigt. Bis dahin sollen die afghanischen Sicherheitskräfte dazu befähigt werden, selbst für die Sicherheit in Afghanistan zu sorgen. Wir möchten, dass auch Deutschland weiterhin einen Beitrag zu dieser notwendigen Ausbildung leistet. Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Bundesregierung die Mandatsobergrenze auf 4 900 Soldatinnen und Soldaten absenkt, auch wenn die Reduktion in unseren Augen größer hätte ausfallen können. Skeptisch stehen wir jedoch der bloßen Ankündigung gegenüber, dass das Kontingent bis zum Ende des Mandatszeitraumes auf 4 400 Soldatinnen und Soldaten verkleinert werde, ohne klare Kriterien oder einen konkreten Zeitplan vorzulegen. Diese Aussage ist in unseren Augen viel zu unverbindlich. Im Allgemeinen gilt dies auch für den Abzug deutscher Truppen bis 2014: Die Bundesregierung bleibt ein konkretes Abzugskonzept schuldig. Es gibt zahlreiche Aspekte, die uns an einem fortdauernden militärischen Engagement zweifeln lassen. Der Militäreinsatz dominiert die Debatte über Afghanistan. Nur das zivile Engagement kann jedoch der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nachhaltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-, Bildungs- oder auch Gesundheitssystems beitragen. Nur durch die zivilen Anstrengungen kann sich eine nachhaltige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Aufbaustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht untergeordnet werden. Die Bundesregierung verweigert eine selbstkritische Aufarbeitung dieses Problems. Trotz des Militäreinsatzes ist die Sicherheitslage besorgniserregend. UNAMA meldet einen Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent. Auch wenn die Verantwortung dafür überwiegend Aufständischen anzulasten ist, zeigt dies doch, dass ein so massives Militäraufgebot nicht dazu in der Lage ist, das Land zu befrieden. Ganz im Gegenteil führen kontraproduktive Night Raids oder Capture-or-kill-Operationen nur zu weiteren Opfern und zur Verunsicherung seitens der Bevölkerung. Sie führen zu weiterer Radikalisierung und treiben somit die Gewaltspirale weiter an. Obwohl es Argumente für den weiteren Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan gibt, sehen wir ebenso gewichtige Entwicklungen, die uns an der Wirksamkeit des militärischen Engagements entscheidend zweifeln lassen. Wir haben uns dazu entschieden, uns bei der Abstimmung über die Fortsetzung des ISAF-Mandates der Bundeswehr zu enthalten. Ein einfaches „Weiter so“ können wir ebenso wenig vertreten wie einen sofortigen Abzug. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet unsere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick auf den Afghanistan-Einsatz näher dar. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ute Koczy und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Erneut stimmen wir über das Mandat zur Entsendung von deutschen Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan ab. Die komplexe Situation in diesem Land und die Probleme bei der Einschätzung der Lage geben weiterhin Anlass zu vielen Fragen und erschweren die Entscheidung enorm. Wir schicken voraus, dass unser Dank und unsere Wertschätzung denjenigen gelten, die als Soldatinnen und Soldaten, als zivile Helferinnen und Helfer in Verbindung mit ihren Familienangehörigen Aufgaben in Afghanistan erfüllen. Dieses Mandat in Afghanistan fordert mitunter den höchsten Einsatz, und das darf nie vergessen werden. Auch angesichts dieser Verantwortung ringen wir um die richtige Entscheidung. In der Abwägung unserer Argumente sind wir zu einer Ablehnung des Mandats gekommen und möchten diese mit der vorliegenden Erklärung begründen. Unsere Ablehnung ist auf keinen Fall mit der Forderung nach einem Sofortabzug gleichzusetzen. Einen Sofortabzug weisen wir deutlich zurück, da dies die Situation in Afghanistan in unverantwortbarer Weise destabilisieren würde. Dieses Mandat für 2012 wird unter anderen Vorzeichen als die bisherigen beschlossen. Denn erstmals soll das deutsche militärische Engagement – wenn auch nur in geringem Maße – zurückgeführt werden. Die Zeichen stehen auf Abzug bis 2014, und bis dahin soll das Notwendige geleistet werden, um einen geordneten Übergabeprozess an die afghanische Regierung zu ermöglichen. Aber weiterhin folgt dieses Mandat nicht dem Primat „Zivil vor Militär“. Die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung und der gezielten Tötungen wird fortgesetzt. Dies halten wir für falsch, weil es zur Gewalteskalation beiträgt und kontraproduktiv für die Erreichung des Ziels einer Stabilisierung von Afghanistan ist. So ist die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin besorgniserregend und eine Trendwende nicht absehbar. Im Gegenteil, die Sicherheitslage hat sich insbesondere für die Bevölkerung in großen Teilen des Landes verschlechtert. Daher überzeugt die Bewertung der Bundesregierung im aktuellen Fortschrittsbericht nicht. Die Zahl der zivilen Opfer hat sich laut der Beobachtermission der Vereinten Nationen in Afghanistan 2011 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um fast 15 Prozent erhöht. Auch deshalb schwindet das Vertrauen in die ISAF-Truppen. Die Dominanz des Militärischen wird begleitet vom weitgehenden Fehlen einer am tatsächlichen Bedarf orientierten zivilen und entwicklungspolitischen Aufbaustrategie, die in Abstimmung mit den afghanischen und internationalen Partnerinnen und Partnern ausgearbeitet werden müsste. Einer fundierten, selbstkritischen Aufarbeitung des bisher Geleisteten verweigert sich die Bundesregierung bis heute, sodass eine systematische Grundlage für die Beurteilung von Erfolgen und Misserfolgen insbesondere im entwicklungspolitischen Aufbauprozess fehlt. Uns ist bewusst, dass Afghanistan noch lange auf solch eine Unterstützung angewiesen ist. Gerade deshalb ist eine fundierte Diskussion der bestmöglichen Maßnahmen unerlässlich und dringend geboten, genauso wie die Bereitschaft der Bundesregierung, sich dem öffentlichen Diskurs über die Situation in Afghanistan zu stellen. Diese vermissen wir. So wichtig die Ausrichtung und die konstruktive Begleitung der internationalen Konferenzen zu Afghanistan sind, so gilt: Wenn diese Debatten nicht in die deutsche Öffentlichkeit getragen werden, wird der Abkehr an Interesse und Bereitschaft, sich für dieses faszinierende Land einzusetzen, Vorschub geleistet. Wir kritisieren das Fehlen einer Agenda für den entwicklungspolitischen Aufbau bis 2014 und danach sowie das Fehlen eines Stufenplans, wie der militärische Abzug funktionieren kann, ohne dass in Afghanistan ein erneuter Bürgerkrieg ausbricht. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Manuel Sarrazin und Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Nur eine politische Lösung kann verhindern, dass Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen in einen neuen, blutigen Bürgerkrieg fällt. Die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft müssen daher ihre Anstrengungen erhöhen, um den Verhandlungs- und Reintegrationsprozess in Afghanistan zu unterstützen und eine Friedenslösung unter Einbeziehung der beteiligten Nachbarstaaten zu erzielen. Deutschland sollte seinen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nutzen, um eine Initiative auf den Weg zu bringen, die alle afghanischen und internationalen Akteure unter dem Dach der Vereinten Nationen an den Verhandlungstisch bringt. Gleichzeitig muss sich Deutschland dafür einsetzen, dass die erreichten Fortschritte insbesondere bei Menschenrechten sowie für Frauen und Mädchen im Rahmen der Verhandlungen nicht ausgehöhlt werden. Der zivile Aufbau in Afghanistan erfordert ein langfristiges Engagement der internationalen Gemeinschaft und verlässliche Zusagen für Hilfen und Unterstützungsleistungen auch über das Jahr 2014 hinaus. Die Bundesregierung belässt es bislang bei vagen Zusagen und unkonkreten Versprechen. Um der Verantwortung Deutschlands für die Menschen in Afghanistan gerecht zu werden, muss die Bundesregierung bindende Verpflichtungen aussprechen. Hierzu gehört, schon heute eine Verstetigung der zivilen Zusammenarbeit in Höhe von mindestens 430 Millionen Euro auch über 2014 hinaus zuzusagen. Dies ist auch erforderlich, da in Afghanistan die Befürchtung zunimmt, dass mit dem militärischen Abzug auch die Aufbauhelferinnen und -helfer das Land verlassen werden. Ein solches Vorgehen wäre unverantwortlich. Im militärischen Engagement setzen Partnernationen weiter auf kontraproduktive „gezielte Tötungen“. Die Bundesregierung muss sich im Rahmen von ISAF und gegenüber den Partnern dafür einsetzen, dass dieses falsche Vorgehen beendet wird. Sie muss außerdem sicherstellen, dass sich die Bundeswehr nicht an solchen Aktionen beteiligt. Trotz unserer Kritik an der unzureichenden und teilweise fehlgeleiteten Afghanistan-Strategie der Bundesregierung stimmen wir dem Mandat zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr bis zum 31. Januar 2013 zu. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft haben wir eine Schutzverantwortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Wir fühlen uns weiterhin verpflichtet, sie nicht alleine zu lassen. Zustimmung bedeutet auch, dass wir Mitverantwortung übernehmen für den schwierigen, oft lebensgefährlichen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer. Ein sofortiger militärischer Abzug würde die Menschen in Afghanistan in einem neu eskalierenden Bürgerkrieg alleine zurücklassen und die gesamte Region destabilisieren. Die Polizei und die Armee Afghanistans sind noch nicht in der Lage, verlässlich für ein Mindestmaß an Sicherheit im Land zu sorgen. Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus Afghanistan machen immer wieder deutlich, dass deswegen eine militärische Präsenz internationaler Truppen notwendig ist. Ein einseitiger Abzug der Bundeswehr wäre gleichzeitig der Ausstieg aus einer verantwortlichen multilateralen Politik. Das weitere Vorgehen in Afghanistan muss innerhalb der internationalen Gemeinschaft abgestimmt werden. Es darf keinen deutschen Sonderweg beim Abschluss des militärischen Engagements geben. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnes Brugger, Katja Dörner, Dr. Anton Hofreiter, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Sylvia Kotting-Uhl, Maria Klein-Schmeink, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Ulrich Schneider und Dorothea Steiner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben, und fordert wie kaum eine andere das Gewissen und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familienangehörigen gilt unser großer Dank und unsere Wertschätzung. Das vorliegende Mandat setzt die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung und gezielten Tötungen fort. Wir stimmen gegen einen solchen Militäreinsatz, der zur Gewalteskalation beiträgt und kontraproduktiv für die Erreichung des Ziels einer Stabilisierung Afghanistans ist. Unsere Ablehnung des Mandats ist nicht gleichzusetzen mit der Forderung nach einem Sofortabzug, die wir ausdrücklich zurückweisen, da dies die Situation in Afghanistan destabilisieren würde. Vor einem Jahrzehnt begannen die Operation Enduring Freedom, OEF, und der ISAF-Einsatz in Afghanistan, an dem sich die Bundeswehr beteiligt. Sicherheit und Stabilität sind jedoch in Afghanistan nicht eingekehrt. Im Gegenteil, die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Auch das vergangene Jahr war geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und Taliban und anderen Aufständischen auf der anderen. Zwar ist die Bedrohungslage im Süden am höchsten, jedoch auch im deutschen Einsatzgebiet im Norden Afghanistans hat sie sich weiter deutlich verschlechtert. Brutale Anschläge auf die Zivilbevölkerung gehören zum Alltag in Afghanistan. Dem letzten Bericht der Beobachtermission der Vereinten Nationen in Afghanistan, UNAMA, zufolge hat sich die Zahl der zivilen Opfer 2011 in Afghanistan insgesamt nochmals um 15 Prozent erhöht. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge der Aufständischen verantwortlich. Doch auch die Anzahl der zivilen Opfer von ISAF-Luftschlägen hat sich erhöht. Die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung und der gezielten Tötungen hat in den vergangenen beiden Jahren die Sicherheit der afghanischen Zivilbevölkerung nicht erhöht, sondern zur Eskalation der Gewalt beigetragen. Die Ausweitung der gezielten Tötungen von vermeintlichen Talibankämpfern zerstört in der afghanischen Bevölkerung den Rückhalt für den Einsatz und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den Aufständischen. Da die Drohnenangriffe in Pakistan zahlreiche Opfer unter der pakistanischen Bevölkerung fordern, stößt der Einsatz auch in Pakistan zunehmend auf Ablehnung. Die notwendige Einbindung Pakistans in eine Lösung des Konfliktes wird vor diesem Hintergrund immer schwieriger. Die Bundeswehr beteiligt sich vor allem im Rahmen von gemeinsamen Ausbildungsoperationen mit afghanischen Sicherheitskräften, dem sogenannten Partnering, an der offensiven Aufstandsbekämpfung. Die Befürchtungen, dass die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung und der gezielten Tötungen die Chancen auf Frieden schmälert, haben sich auf tragische Weise bewahrheitet. Wir fordern die Einstellung offensiver militärischer Kampfhandlungen und die Beendigung des Partnering. Deutschland muss sich außerdem dafür einsetzen, dass die völkerrechtswidrigen gezielten Tötungen aufhören. Sie stehen einer zivilen Lösung des Konfliktes durch Verhandlungen entgegen. Wir lehnen diese Schwerpunktlegung auf den Einsatz militärischer Gewalt, die zahlreiche Menschenleben kostet, ab. Die derzeitige Kriegsführung in Afghanistan ist mit dem Grundsatz des größtmöglichen Schutzes der Zivilbevölkerung nicht vereinbar. Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan ist ein breiter Versöhnungsprozess nötig, der alle Akteure, insbesondere die afghanische Zivilgesellschaft, miteinbezieht. Menschenrechtsverletzungen – ungeachtet von welcher Seite – müssen mit geeigneten Instrumenten der Übergangsjustiz, Transitional Justice, aufgedeckt und aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumatisierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft Erfolg hat. Dies ist eine große Herausforderung, da Frieden und Gerechtigkeit im von Gewaltherrschaft und Krieg geprägten Afghanistan nur schwer miteinander verwirklicht werden können. Es müssen Kompromisse gemacht werden, die in demokratischer und menschrechtlicher Hinsicht problematisch sind. Eine dauerhafte Versöhnung, die von der Gesamtgesellschaft Afghanistans unterstützt wird, ist jedoch mit der aktuellen afghanischen Regierung äußerst schwierig. Denn das Regime von Karzai und das politische System insgesamt befinden sich wegen Wahlbetrugs und massiver Korruption in einer tiefen Legitimitätskrise. All diese Herausforderungen werden von dem vorliegenden Mandat und der Afghanistan-Politik der Bundesregierung nicht angegangen. Wir halten den Abzug der internationalen Kampftruppen bis 2014 für richtig. Das vorliegende Mandat lässt hierfür jedoch einen klaren Zeitplan vermissen. Die darin vorgesehene Absenkung der Mandatsobergrenze reicht nicht aus, um den Abzug schrittweise durchzuführen. Rechnet man die Streichung der flexiblen Reserve heraus, die de facto bisher ohnehin kaum eingesetzt wurde, werden deutlich weniger Soldatinnen und Soldaten abgezogen, als von der Bundesregierung suggeriert. Die Übergabe der Provincial Reconstruction Teams an eine zivile Leitung verläuft mit großen Schwierigkeiten, da ein tragfähiges Konzept zur Stärkung der zivilen Seite fehlt und nicht genügend ziviles Personal zur Verfügung gestellt wird. Wir fordern einen konsequenten Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan und eine konsequente Umwandlung in einen zivilen Einsatz. Trotz einiger Erfolge beim zivilen Aufbau ist das Zivile dem Militärischen noch immer untergeordnet. Die UN-Mission UNAMA in Afghanistan ist im Vergleich zur NATO-Mission völlig unterfinanziert. Bei der Unterstützung des Aufbaus eines funktionierenden afghanischen Sicherheitsapparats kommt der Polizeiaufbau viel zu kurz. Aber auch die verschlechterte Sicherheitslage, die politische Instabilität des Karzai-Regimes und grassierende Korruption hemmen die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit und des zivilen Aufbaus in Afghanistan. Mit großer Sorge erfüllt uns die Frage, wie gesichert werden kann, dass in der Zeit nach dem Abzug 2014 das internationale Engagement für den Aufbau in Afghanistan fortgesetzt werden kann. Die Finanzierung sollte zumindest auf dem bisher erreichten Niveau gewährleistet bleiben. Die afghanische Bevölkerung muss dabei im Mittelpunkt der Zusammenarbeit stehen. Auch die Koordination des zivilen Aufbaus muss dringend verbessert werden. Es bedarf eines Gesamtkonzepts und einer sinnvollen Schwerpunktlegung für die Wirtschaftsentwicklung Afghanistans. Dabei müssen wir uns an die Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung und die Gegebenheiten vor Ort anpassen. Der für die afghanische Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor muss besonders berücksichtigt werden. Auch die Modernisierung des afghanischen Bildungssystems und der Ausbau von Hoch- und Berufsschulen sollten künftig stärker im Vordergrund stehen. Der Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan setzt ebenso wie der Aufbau des Sicherheitssektors funktionierende Regierungs- und Verwaltungsstrukturen voraus. Es gibt jedoch im vorliegenden Mandat keine Auskunft über den zur Verbesserung bzw. Schaffung solcher Strukturen benötigten deutschen Beitrag. Statt diese Mängel zu beheben, wird sogar völlig auf eine nähere Beschreibung des zivilen Engagements Deutschlands in Afghanistan verzichtet. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die falsche Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Als Mitglieder des Bundestages fühlen wir uns dazu verpflichtet, ein Mandat, das auf Eskalation statt Stabilisierung setzt und somit das Leben der Zivilbevölkerung und deutschen Einsatzkräfte gefährdet, abzulehnen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Uwe Beckmeyer, Lothar Binding (Heidelberg), Martin Burkert, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Ernstberger, Dr. Barbara Hendricks, Gustav Herzog, Christel Humme, Dr. Bärbel Kofler, Dr. Matthias Miersch, Aydan Özoðuz, Swen Schulz (Spandau) und Stefan Schwartze (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung aus folgenden zwei Gründen zu: In ihrem Antrag auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz in Afghanistan hat die Bundesregierung zahlreiche Forderungen der SPD übernommen. Das Mandat leitet den von der SPD seit langem geforderten Abzug der deutschen Truppen in Afghanistan ein. Die Reduzierung des Bundeswehrkontingents auf 4 900 und schließlich – als Zielvorgabe in der Begründung des Antrags – im Verlauf des Jahres 2012 auf 4 400 Soldatinnen und Soldaten entspricht einer der Kernforderungen der SPD, unsere Truppenstärke kontinuierlich zu reduzieren mit dem Ziel der vollständigen Verantwortungsübergabe in die Hände der afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014. Einige NGOs, die sich seit vielen Jahren in Afghanistan engagieren und daher die Lage der Zivilgesellschaft und im Besonderen die der Frauen und Mädchen kennen, haben in einem Gespräch mit Abgeordneten vor einiger Zeit einen stufenweisen, geordneten Abzug der Truppen empfohlen. Sie befürchten bei einem sofortigen Rückzug – dieser Einschätzung schließe ich mich an – eine Erhöhung der Gewalt, die besonders diejenigen Bevölkerungsgruppen trifft, die am anfälligsten sind: Frauen, Kinder und Minderheiten. Zudem sähen sie bei einem sofortigen Abzug keine Möglichkeit, sich auf die veränderte Lage einzurichten. Ich habe allerdings folgende Bedenken: Der Antrag beschreibt die zivil-militärische Zusammenarbeit als einen wichtigen Teil des Engagements der deutschen Seite. Viele NGOs wollen – auch aus Sicherheitsgründen – nicht mit der Bundeswehr kooperieren. Durch das vom Entwicklungsministerium verfügte Kooperationsgebot für in Afghanistan tätige NGOs, die durch deutsche Finanzmittel unterstützt werden wollen, geht den Afghanen schon seit zwei Jahren wichtige Unterstützung verloren. Gleichzeitig wird auf die im „Fortschrittsbericht Afghanistan“ vom Dezember 2011 auf Seite 5 erwähnte Umstellung bei den PRTs, zum Beispiel in Faizabad ab Dezember 2011, auf eine zivile Leitung und die daraus erwachsenden Konsequenzen nicht eingegangen. Zudem geht der Antrag im Begründungsteil nur sehr geringfügig auf die sich aus meiner Sicht seit 2007 deutlich verschlechternde Sicherheits- und Menschenrechtslage ein. Es fehlen Hinweise auf die notwendigen Bedingungen eines zivilen Wiederaufbaus und eines verstärkten zivilen Engagements in den kommenden Jahren. Er beschreibt also keinen wirklichen und richtungsweisenden Wechsel der Strategie in Afghanistan und legt auch kein Konzept für das politische Handeln nach 2013/2014 vor. Der Antrag lässt offen, wie die Strategie im nächsten Jahr gestaltet sein wird. Die bisherige militärische Strategie, eine offensive Aufstandsbekämpfung sowie das Partnering erachte ich nicht für die richtige Vorgehensweise für die verbleibenden zwei Jahre. Dies betrifft auch den in Fachkreisen diskutierten eventuellen weiteren Verbleib nach 2014 von Truppen und Truppenteilen der Bundeswehr in Afghanistan, die zum Beispiel im Bereich der Ausbildung und Beratung der ANA eingesetzt werden sollen. Obwohl der Antrag den Abzug der Truppen bis 2014 festschreibt, stellt Verteidigungsminister de Maizière in den letzten Tagen diesen Abzugstermin infrage. Der Antrag fokussiert vor allem die aktuelle militärische Truppenreduzierung, wobei die Stärkung der Zivilgesellschaft, also der entwicklungspolitische und menschenrechtliche Aufbau, essenziell für die kommenden Jahre sein wird. Besonders der Ausbau und die Festigung der Frauenrechte und des Gesundheitsbereichs sowie die Rechtsstaatlichkeit bleiben völlig unerwähnt. Neben der Sicherheit für unsere Soldatinnen und Soldaten muss die afghanische Bevölkerung im Mittelpunkt des deutschen Engagements stehen. Hinsichtlich der Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte vermisse ich im Antrag, die Bindung der afghanischen Polizei an das Recht im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit zu fokussieren. Auch fehlt mir ein Hinweis auf die Wichtigkeit der Qualität der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Der Antrag lässt außerdem offen, ob am Ende des Einsatzes eine wissenschaftliche Evaluierung der Fortschritte und Entwicklungen durchgeführt wird. Dies wäre dringend erforderlich, um die begangenen Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Der Antrag verliert kein Wort über die Situation derjenigen Afghaninnen und Afghanen, die mit der Bundeswehr oder anderen deutschen Einrichtungen – auch NGOs – kooperiert haben. Im Falle einer steigenden Gefährdung dieses Personenkreises muss eine Aufnahme in Deutschland gewährleistet werden. Dies gilt auch für Afghaninnen und Afghanen, die nach Afghanistan zurückgegangen sind, um ihr Land aufzubauen, und die wegen der langen Abwesenheit aus Deutschland ihren Aufenthaltstitel verloren haben. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Gerster, Hans-Joachim Hacker, Uwe Beckmeyer, Lothar Binding (Heidelberg), Willi Brase, Martin Burkert, Siegmund Ehrmann, Gabriele Fograscher, Dagmar Freitag, Ulrike Gottschalck, Gustav Herzog, Steffen-Claudio Lemme, Heinz Paula, Dr. Carsten Sieling und Andrea Wicklein (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag: Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt (Tagesordnungspunkt 15) Der zur Abstimmung vorliegende Antrag enthält eine Reihe von Vorschlägen zur Steigerung der Attraktivität des Wassertourismus in Deutschland, die mitgetragen werden können. Die Umsetzung dieser Maßnahmen werden bereits durch zwei Anträge – „Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken“ vom 23. Mai 2007, Drucksache 16/5416; „Infrastruktur und Marketing für den Wassertourismus in Deutschland verbessern“ vom 15. Oktober 2008, Drucksache 16/10593 – gefordert, die der Deutsche Bundestag in der letzten Legislaturperiode angenommen hatte und die bislang von der Bundesregierung nur unzureichend umgesetzt worden sind. Der vorliegende Antrag „Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt" bekennt sich zu den Zielen Erhalt der Sicherheit auf dem Wasser sowie erleichterter Zugang für Interessierte auf dem Wasser. Dem Sicherheitserfordernis wird der Antrag jedoch tatsächlich in gravierender Weise nicht gerecht. Erstens. Mit der vorgesehenen Anhebung der Führerscheinpflicht von 3,68 kW (5 PS) auf 11,4 kW (15 PS) werden entgegen den Hinweisen der meisten Sachverständigen in der Anhörung am 18. Januar 2012 bewusst Risiken für die Schifffahrt auf deutschen Gewässern in Kauf genommen. Die völlige Freigabe der Führerscheinfreiheit bis 11,4 kW (15 PS) selbst für stark befahrene Bundeswasserstraßen wie dem Rhein und der Mosel und ohne begleitende Regelungen zur Haftpflichtversicherung und zum Mindestalter der Bootsführer birgt Risiken, die in der Anhörung von den Sachverständigen vorgetragen wurden. Im Übrigen setzt sich der Antrag offenkundig über die Interessen anderer Wassersportler und Wassertouristen hinweg, die muskelbetriebene Fahrzeuge nutzen. Fehlende Erfahrung von Motorsportbootführern, die nach dem Antrag ein Sportboot bis 11,4 kW (15 PS) ohne Prüfung führen könnten, schließt im Weiteren Risiken im Schleusenbetrieb nicht aus. Der Antrag negiert völlig den offensichtlichen Konflikt mit Umweltschutzbelangen, da eine Schulung für Sportbootführer beim Betrieb eines Sportbootes bis 11,4 kW (15 PS) nicht mehr erfolgt und Beeinträchtigungen für Uferbefestigungen und Röhrrichtgebiete durch Wellenschlag nicht ausgeschlossen werden können. Es ist unverantwortlich, ohne Bestehen einer bundesweiten Unfalldatei für den Bereich der Sportschifffahrt und einer entsprechenden gesicherten Analyse der Sportbootunfälle die Ausdehnung der Führerscheinfreiheit vorzunehmen. Zweitens. Die bisherigen Regelungen zur Nutzung von Charterbooten haben sich aus touristischer Sicht bewährt. Die Anhörung hat jedoch auch ergeben, dass bei Kontrollen durch die Wasserschutzpolizei immer wieder Mängel festgestellt werden. Insofern erwächst aus der im Antrag geforderten „Freigabe von zusätzlichen Fahrtstrecken mit geringer Güterschifffahrt“ ein nicht kalkulierbares Risiko. Dieses würde sowohl bei Binnenrevieren, jedoch mehr noch auf Ostseerevieren entstehen, da die Einweisungen für Bootscharterer die notwendigen theoretischen und praktischen Kenntnisse hierfür nicht vermitteln können. Drittens. Auch wenn der Antrag die Überprüfung der Regelungen zur Führerscheinfreiheit bis 11,4 kW (15 PS) und zum Charterschein nach drei Jahren vorsieht, würden damit die aufgezeigten Sicherheitsrisiken und Konflikte mit anderen Wassersportlern und Wassertouristen und die Auswirkungen auf den Umweltbereich nicht ausgeschlossen. Diese Überprüfungsregelung wird dem Ziel „Sicherheit auf dem Wasser“ nicht gerecht. Viertens. Wegen der damit verbundenen Kosten für Führerscheininhaber wird die Umstellung der Dokumentation auf „Scheckkartenformat“ – Plastikkarte – abgelehnt. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leitlinien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes (Tagesordnungspunkt 11) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Die Europäische Kommission hat am 19. Oktober 2011 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Verkehrsnetzes, TEN-V, für Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen und Flughäfen ihren Verordnungsvorschlag zu den TEN-Leitlinien vorgestellt. Der Vorschlag sieht ein zweilagiges europäisches Verkehrsnetz vor. Es besteht aus einem Kernnetz und einem Gesamtnetz, die beide auf den derzeitigen nationalen Planungen basieren. Das Kernnetz soll nach den Vorstellungen der Kommission bis 2030 fertiggestellt werden, das Gesamtnetz bis zum Jahr 2050. Ziel des Vorschlags ist es, die noch wichtigen fehlenden europäischen Verbindungen zwischen Verkehrsknoten und Zentren herzustellen. Das neue TEN-V-Kernnetz soll durch das umfassende Gesamtnetz von Zubringern auf regionaler und nationaler Ebene unterstützt werden. Der von der Europäischen Kommission geschätzte Investitions- und Finanzierungsbedarf für die Realisierung des Kernnetzes beläuft sich auf 1 500 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2020 werden 500 Milliarden Euro benötigt. Zur Unterstützung der Mitgliedstaaten sollen von der Kommission im Rahmen der parallel aufgestellten Verordnung Infrastrukturfazilität „Connecting Europe“, CEF, von 2014 bis 2020 insgesamt 31,7 Milliarden Euro für das transeuropäische Verkehrsnetz TEN-V bereitgestellt werden. Der maßgebliche Finanzierungsaufwand verbleibt also bei den Mitgliedstaaten. Zur Realisierung des Kernnetzes hat die Kommission zehn länderübergreifende Entwicklungskorridore benannt. Durch Deutschland führen davon sechs Korridore. Mit den Kernnetzkorridoren möchte die EU-Kommission über ein effizientes Instrument verfügen, um die definierten Ziele durchzusetzen. Dazu hat sie Anforderungen vorgegeben, die objektiv in die Planungs- und Finanzierungshoheit der Mitgliedstaaten eingreifen. Wir begrüßen das Konzept der Europäischen Kommission eines Kernnetzes und eines Gesamtnetzes sowie die Festlegung europäischer Verkehrskorridore. Wir wollen ein lückenloses leistungsfähiges transeuropäisches Verkehrsnetz zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten verwirklichen. Allerdings haben wir Bedenken gegen den Verordnungsentwurf im Hinblick auf die Wahrung der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Die Kommission beabsichtigt über das Instrumentarium der Kernnetzkorridore Durchführungsmaßnahmen gegenüber staatlichen Instanzen der Mitgliedstaaten und auch gegenüber Dritten, zum Beispiel Infrastrukturunternehmen, zu ergreifen, um ihre Ziele umzusetzen. Mit der Umsetzung der Vorschläge würde ein Präzedenzfall für zu weitreichende Durchgriffsrechte der Kommission geschaffen werden. Dies geht uns zu weit. Andererseits sehen wir bei gleichzeitiger Reduzierung der Kompetenzen der EU in dem Korridorkonzept der Kommission die Chance für die gezielte Verknüpfung und Entwicklung von Wirtschaftszentren in der Europäischen Union. Beispielhaft sei der in Nord-Süd-Ausrichtung bedeutsame Entwicklungskorridor Hamburg–Rostock–Burgas/Türkische Grenze–Piräus–Lefkosia genannt. Damit wird auch das in unserem Koalitionsvertrag formulierte Ziel erreicht, eine integrierte Raum-, Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung und insbesondere ein international konkurrenzfähiges Verkehrsinfrastrukturangebot in einem europäischen Nord-Süd-Korridor zu schaffen. In Verknüpfung mit weiteren Korridoren wird die Verbindung zwischen der Nord- und Ostsee und dem Mittelmeer sowie dem Schwarzen Meer hergestellt. Die neuen Korridore im TEN-V-Netz bieten gerade für strukturschwächere europäische Regionen neue Chancen für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Wir – damit schließe ich an dieser Stelle unseren Koalitionspartner FDP und die SPD-Fraktion mit ein – haben auch grundsätzliche Bedenken gegen die Rechtsform der TEN-Leitlinien als Verordnung anstatt einer Richtlinie. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Parallelwelten der Grünen. So führen sie in ihrem Entschließungsantrag noch aus, dass alle Möglichkeiten der Rechtsformwahl geprüft werden sollen. In ihrer mündlichen Stellungnahme – namentlich Frau Dr. Valerie Wilms – im Ausschuss hingegen haben sie die Verordnung als Rechtsform für geeignet angesehen. Sie kritisieren in ihrem Antrag die mangelnde Umsetzung grenzüberschreitender Verkehrsprojekte in Deutschland, verzögern und bekämpfen aber gleichzeitig mit Eifer wichtige Verkehrsprojekte in Deutschland. Zeigt dies vielleicht die dissoziative Identitätsstruktur der grünen Verkehrspolitik – lebend zwischen Realität und Ideologie? Oder ist es mangelndes Rechtsverständnis? Sichtbar immer wieder in zahlreichen Formen der Ignoranz von bestehendem Baurecht für Verkehrsprojekte in Deutschland. Die Grünen erheben auch den Vorwurf, dass die anderen Fraktionen nur die nationale Sichtweise in den Vordergrund stellen, die europäischen Belange aber vernachlässigen. Genau dies ist nicht der Fall. Im Gegensatz zu der eingeschränkten europäischen Sichtweise der Grünen haben wir den von der Kommission vorgelegten Verordnungsentwurf nach den geltenden europäischen Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit betrachtet – und vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages prüfen lassen. Der Wissenschaftliche Dienst – wie übrigens auch die Regierung – kommt in seiner Gesamtbewertung zu dem gleichen Schluss: Der Verordnungsvorschlag der Kommission steht nicht im Einklang mit den Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 5 Abs. 3 und 4 des EU-Vertrages. Bei einer abgeschwächten Übertragung der mitgliedstaatlichen Kompetenzen auf die EU erscheint dem Wissenschaftlichen Dienst die Einhaltung der Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips und des Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatzes jedoch wahrscheinlich. Dies wollen wir mit unserer Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 4 GG verdeutlichen. Gegenüber einer möglichen Subsidiaritätsrüge halten wir den Verhandlungsweg für zielführender. Wir möchten mit Beschluss des Bundestages dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Auftrag geben, bei den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass die Mängel des vorliegenden Verordnungsentwurfes beseitigt werden. Ulrich Lange (CDU/CSU): Der Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes ist für Europa von großer Bedeutung. Wir brauchen innerhalb von Europa möglichst gute Verknüpfungen zentraler Verkehrsknotenpunkte zu einem leistungsfähigen zusammenhängenden Verkehrsnetz. Der schnelle und ungehinderte Transport von Wirtschaftsgütern ist insbesondere für eine Exportnation wie Deutschland von großer Bedeutung. Wir begrüßen deshalb die Initiative, transeuropäische Infrastrukturprojekte zu fördern und damit Verkehrsinfrastrukturprojekte zu realisieren, die nicht nur dem jeweiligen Nationalstaat, sondern auch anderen europäischen Mitgliedstaaten nutzen und einen deutlichen Mehrwert für die EU haben. Dies haben wir in unserem Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit der SPD-Fraktion erstellt haben, deutlich gemacht. An dieser Stelle wird deutlich, dass wir in der europäischen Politik eine große Mehrheit im Bundestag haben. Es muss an dieser Stelle jedoch auch gefragt werden, ob der von der EU eingeschlagene Weg der richtige ist oder ob es andere, praktikablere Lösungen gibt. Aus meiner Sicht verstößt die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Leitlinien gegen die Grundsätze der Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 5 des Vertrages über die Europäische Union in Verbindung mit Art. 5 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon. Erstens Subsidiarität: Auch wenn europäische Themenbereiche tangiert werden, fällt die Infrastrukturplanung, einschließlich Bau und Finanzierung, grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die auch bisher erfolgreich Planung, Finanzierung und Durchführung der einzelnen Projekte in eigener Regie durchgeführt haben. In der Verordnung wird unterstellt, dass ein den Zielen der EU entsprechendes transeuropäisches Verkehrsnetz ausschließlich durch Koordination auf EU-Ebene erreichbar sei. Es wird dabei verkannt, dass ein transeuropäisches Verkehrsnetz kein Selbstzweck ist, sondern dem Verkehrsbedarf in den jeweiligen Mitgliedstaaten entsprechen muss und dass Investitionen den gesamtwirtschaftlichen Anforderungen genügen müssen. Der Verkehrsbedarf ergibt sich dabei sowohl aus dem nationalen wie auch aus dem intereuropäischen und internationalen Verkehr. Dieser Verkehr muss auf den nationalen Teilnetzen bewältigt werden. Folglich ist das Eigeninteresse der Mitgliedstaaten an bedarfsgerechten Infrastrukturen groß. Deshalb ist auch in Art. 171 Abs. 2 AEUV – Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten die einzelstaatlichen Politiken in diesem Bereich koordinieren. Diese Bestimmung geht davon aus, dass die Planung und Durchführung der innerstaatlich erforderlichen Maßnahmen in Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten zu erfolgen hat. Insbesondere können aufgrund ihrer Finanzierungsverantwortung, die neben der Herstellung auch die Erhaltung der Infrastrukturen umfasst, nur die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, welche Infrastrukturprojekte in welchem zeitlichen Rahmen vordringlich umgesetzt werden. Die Übertragung der Planungsentscheidung auf die Kommission und die Reduzierung der Aufgaben der Mitgliedstaaten auf Finanzierung und Ausführung käme einer Kompetenzverlagerung gleich. Zweitens Verhältnismäßigkeit: Die im Verordnungsentwurf vorgeschlagenen Regelungen sind zur Realisierung eines transeuropäischen Verkehrsnetzes weder geeignet noch erforderlich oder angemessen. Regelungs-umfang und -dichte lassen bewährte nationale Strukturen und Verfahren außer Acht. Darüber hinaus entstehen den Mitgliedstaaten finanzielle Belastungen durch Ausrüstungs- und Umsetzungsverpflichtungen sowie zusätzlicher Verwaltungsaufwand durch unnötige Berichte an von der Kommission eingesetzte Koordinatoren. Die Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, ihre Verkehrsinfrastruktur nach festgelegten technischen Parametern innerhalb vorgegebener Fristen auszubauen, aus- und aufzurüsten. Vor allem die willkürlich gewählten Realisierungszeiträume – Kernnetz bis 2030, Gesamtnetz bis 2050 – und die den Mitgliedstaaten überlassene Finanzierung stellen unverhältnismäßige Belastungen dar. Der geschätzte Investitions- und somit auch Finanzierungsbedarf für die vorgeschriebene Realisierung des Kernnetzes bis 2030 wird von der KOM mit 1 500 Milliarden Euro angegeben; bis 2020 sollen circa 500 Milliarden Euro benötigt werden. Das ist in der gegenwärtigen Finanzkrise von den Mitgliedstaaten nicht zu leisten. Dies bedeutet, dass es Änderungen geben muss. Grundvoraussetzungen für zu beschließende Richtlinien sind die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Einrichtung eines Planungs- und Haushaltsvorbehalts der Mitgliedstaaten. Wir unterstützen die Einteilung in Gesamt- und Kernnetz und die Festlegung der europäischen Verkehrskorridore, von denen sechs von zehn Deutschland betreffen, um die europäischen Wirtschaftsräume besser miteinander zu verknüpfen und damit unsere Wettbewerbsfähigkeiten zu steigern. Die Befugnisse der Europäischen Kommission, zum Beispiel rechtsverbindliche Durchführungsbeschlüsse fassen zu können, greifen aber zu tief in Kernkompetenzen der Mietgliedstaaten ein. So wichtig und richtig die Grundidee ist, so ist die geplante Ausführung noch verbesserungswürdig. Martin Burkert (SPD): Alle Wege führen nach Rom. Und nach Amsterdam. Und nach Genua. Und nach Berlin. Und nach Nürnberg. Und und und. Dass alle Europäerinnen und Europäer spätestens im Jahr 2050 nur 30 Minuten von einem Zubringernetz nach Rom, Amsterdam oder sonstwo in Europa entfernt sein sollen, das ist das europäische Ziel. Denn mit den Vorschlägen zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen soll aus dem Flickenteppich aus Schienenwegen, Straßen, Schifffahrtskanälen und Flughäfen ein einheitliches europäisches Verkehrsnetz geschaffen werden. Zehn sogenannte Korridore sollen bis 2030 quer durch Europa entstehen. Sie werden 15 000 Kilometer Eisenbahnstrecken zusammenführen, die für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgelegt sind. Heute mangelt es aber beim grenzüberschreitenden Verkehr noch erheblich an Verbindungen und es bestehen enorme technische Barrieren wie fehlende Elektrifizierungen, verschiedene Spurweiten und Stromsysteme oder Signaltechniken. Die europäischen Eisenbahnen arbeiten beispielsweise mit sieben unterschiedlichen Spurweiten sowie 18 unterschiedlichen Leit- und Sicherungssystemen. Nur 20 der europäischen Großflughäfen und 35 der wichtigsten Häfen sind direkt an das europäische Schienennetz angeschlossen. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass auch effiziente Verkehrsvernetzungssysteme wie das sogenannte ERTMS finanziert werden sollen. Beim ERTMS handelt es sich um ein System zur Steuerung des Eisenbahnverkehrs auf den Strecken der transeuropäischen Netze. Das wird den Reisenden und den Unternehmen in ganz Europa zugutekommen. Denn weder der Individual- noch der Handelsverkehr endet an den nationalen Grenzen. Und da kommt in den nächsten Jahrzehnten auch noch einiges auf uns zu: Der Güterverkehr soll in Europa bis zum Jahr 2050 um schätzungsweise 80 Prozent zunehmen, der Personenverkehr um mehr als 50 Prozent. Aus meiner Sicht spielen – vor allem natürlich in Richtung Osteuropa – besonders die Korridore Nürnberg–Prag sowie München–Prag beim grenzüberschreitenden Verkehr eine große Rolle. Bundesverkehrsminister Ramsauer ist herzlich dazu aufgerufen, dieses Projekt voranzubringen. Abgesehen davon, dass es, wie ich finde, nicht die feine englische Art war, dass die bayerische Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion leider nicht vom Minister, sondern nur zufällig bei einem Besuch vergangenen September in Tschechien erfahren hat, dass die Strecke Prag–München in Brüssel angemeldet wurde. Für einen Alleingang ist das transeuropäische Netz zu bedeutend. So etwas darf nicht am Parlament vorbei passieren. Denn bei den Leitlinien zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen geht es nicht nur um Verkehr, sondern auch um Geld, um sehr viel Geld. Es geht um enorme Investitionen in die Infrastruktur, die Arbeitsplätze schaffen und die europäische Konjunktur anschieben können. Dass die TEN-Mittel aus Brüssel aufgestockt wurden, ist deshalb zu begrüßen. Bis 2020 werden für die Verkehrsinfrastruktur 31,7 Milliarden Euro bereitgestellt. Rund 20 Milliarden Euro gehen davon in die Schiene. Der normale Kofinanzierungsanteil für die TEN-Vorhaben im Kernnetz betragen – nur – bis zu 20 Prozent für Arbeiten wie zum Beispiel Erkundungsmaßnahmen bei Tunnelarbeiten. Das nennt sich dann Anschubfinanzierung. Nach Adam Riese verbleiben für die Mitgliedstaaten aber in einem solchen Fall mindestens 80 Prozent, die sie selbst finanzieren müssen. Im schlimmsten Fall müssen die betroffenen Mitgliedstaaten bis zu 90 Prozent des Projektes kofinanzieren. Aus der sogenannten Anschubfinanzierung der EU wird dann ganz schnell eine riesige Schuldenfalle. Welches Land soll und kann das heute überhaupt leisten? Die europäischen Mitgliedstaaten werden letztlich also zu Investitionen in den Auf- und Ausbau der transeuropäischen Netze von rund 300 Milliarden Euro verpflichtet. Par Ordre de Mufti. Und das bis zum Jahr 2030. Aber: In Zeiten wie diesen ist der Haushalt mit das wichtigste Interesse der einzelnen Mitgliedstaaten. Finanzvernunft und Sparsamkeit sind oberstes Gebot. Denn es geht um zentrale nationale Fragen, nicht nur für die einzelnen Mitgliedstaaten, sondern vor allem auch für die europäische Gemeinschaft. Und so schön es für Deutschland ist, dass sechs von zehn transeuropäischen Verkehrskorridoren durch unser Land führen, zu so viel Investitionsverpflichtungen führt das auch. Deshalb müssen wir dringend auf die Einrichtung eines Planungs- und Haushaltsvorbehalts hinwirken, damit die finanzielle Belastung der Mitgliedstaaten tragbar ist. Letztlich stehen noch drei wichtige juristische Fragen im Raum, die zu überprüfen sind: Erstens. Inwieweit wird mit dem Verordnungsentwurf das Subsidiaritätsprinzip verletzt? Zweitens. Ist der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission verhältnismäßig? Drittens. Wie ist der Erlass der Leitlinien zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen in der Form als Verordnung rechtlich zu beurteilen? Meine Einschätzung ist, dass der Verordnungsvorschlag in wesentlichen Aspekten über das Ziel hinausschießt. Er sieht Regelungen vor, die grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Dazu zählt die Zuständigkeit für die Planung, den Bau und vor allem für die Finanzierung von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen. Der Verordnungsvorschlag nimmt aber enorm auf die Verkehrshaushalte der Mitgliedstaaten Einfluss, und zwar in einem Maße, den sich die Mitgliedstaaten schlichtweg nicht leisten können. Juristisch problematisch ist auch, dass die Kommission als Handlungsform für die transeuropäischen Verkehrsnetze eine Verordnung gewählt hat, die unmittelbar und allgemein gilt. Im Übrigen nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für Dritte wie zum Beispiel Terminal- oder andere Infrastrukturbetreiber. Deshalb müssen noch einmal alle Möglichkeiten der Rechtsformwahl gründlich überprüft werden. Ich hoffe, dass Herr Ramsauer den starken Auftrag, den er aus dem Bundestag mitnimmt, ernst nimmt. Und ich hoffe, dass eine Lösung gefunden wird. Eine Lösung, die einvernehmlich ausgestaltet wird und nicht mittels eines Sanktionsdrucks aus Brüssel. Ich hoffe, dass es dann spätestens 2050 heißen kann: Alle Wege führen nach Rom. Und nach Amsterdam. Und nach Genua. Und nach Berlin. Und nach Nürnberg. Und und und. Werner Simmling (FDP): Wir widmen uns heute Abend doch einem der wichtigsten Bereiche des vereinten Europas, nämlich der freien und auch grenzüberschreitenden Mobilität. Ich halte es für besonders wichtig, dass sich der Deutsche Bundestag ausführlich mit diesem Thema befasst. Denn Deutschland als Land im Herzen Europas und Transitland ist von Entscheidungen in der Verkehrspolitik besonders betroffen. Nachdem wir kürzlich das Weißbuch Verkehr verhandelt haben, liegt uns nun die Verordnung zu den transeuropäischen Netzen vor. Die FDP begrüßt die vorliegende Revision der Leitlinien transeuropäischer Verkehrsnetze. Ausschlaggebend für unsere grundsätzlich positive Haltung ist, dass der Verordnungsvorschlag ein erster wichtiger Schritt in Richtung Priorisierung ist. Die Einteilung in ein Kern- und ein Ergänzungsnetz auf Basis transparenter Kriterien sowie die Förderung von Komodalität, Schnittstellen und intelligenten Verkehrssystemen sind ein richtiger Ansatz für das europäische Verkehrsnetz. Der Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze, im Besonderen das Kernnetz, bietet Investitionsanreize, um Infrastrukturprojekte realisieren zu können. Vor dem Hintergrund der jahrelangen allgemeinen Unterfinanzierung in der Verkehrsinfrastruktur, bekennen wir uns daher klar zu den transeuropäischen Netzen. Allerdings, und das ist Anlass für den Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen gemeinsam mit der SPD gewesen, sehen wir in Teilen die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit berührt. Die Europäische Union soll und darf dann tätig werden, wenn gewünschte Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten, regionaler und lokaler Ebene nicht umgesetzt werden können. Das besagt das Subsidiaritäts-prinzip. Dessen Einhaltung und Wahrung ist für uns kein Selbstzweck, sondern garantiert die besten Lösungen für die Verkehrsprobleme auf der richtigen Ebene. Wir sagen: Brüssel soll grenzüberschreitenden Verkehr regeln und sich aber aus dem regionalen und lokalen Verkehr raushalten. Bedenklich im Sinne der Subsidiarität sind insbesondere diejenigen Vorschläge, die sich auf Planung, Durchführung und Finanzierung beziehen. Der Infrastrukturaufbau sollte nach unserem Dafürhalten zwar auf europäischer Ebene abgestimmt werden, dennoch weiter vorrangig Aufgabe und Kompetenz der Mitgliedstaaten sein. Schon im Weißbuchantrag haben wir klargestellt, dass die nationale Planungshoheit erhalten bleiben soll. Da die Finanzierung weiter in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt, muss diesen vorbehalten sein, zu entscheiden, welche Projekte prioritär in welchem Zeitrahmen durchgeführt werden. Was wir nicht wollen, ist, durch zu pauschale und undifferenzierte Kritik mit einem platten Verweis auf Subsidiarität sinnvolle europäische Lösungen zu behindern bzw. unmöglich machen. Die FDP begrüßt, wie bereits gesagt, die sinnvolle Priorisierung und zweilagige Planung in ein Kern- und ein Gesamtnetz. Ebenfalls stehen wir der Fazilität „Connecting Europe“ und den projektbezogenen Anleihen positiv gegenüber. Eine Umschichtung der Mittel auf europäischer Ebene und zusätzliche Finanzinstrumente können grundsätzlich positive Anreize auslösen. Trotzdem können wir einem massiven Eingriff in die nationalen Haushalte nicht zustimmen, und das nicht nur, weil wir aufgrund mangelnden Haushaltsvorbehaltes eine solide Finanzierung bislang nicht gewährleistet sehen, sondern auch, weil wir die parlamentarischen Haushaltsrechte gefährdet sehen. Immerhin sprechen wir hier von einer Summe von 1,5 Billionen Euro. Wir wünschen daher eine deutliche Darstellung, warum eine Kompetenzverlagerung auf europäischer Ebene sinnvoll sein soll. Hinsichtlich der Planungsbefugnis und Koordinierung auf europäischer Ebene sehen wir das nicht erfüllt. Insbesondere die Vorschläge zu den Kernnetzkorridoren greifen maßgeblich in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein. Die Vorgaben gehen in ihrem Detaillierungsgrad bei den Durchführungsplänen viel zu weit, führen zu einer unverhältnismäßigen Einflussnahme auf die nationalen Verkehrshaushalte und würden diese überfordern. Erstens. Wir fordern also eine ausführliche Prüfung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Zweitens. Wir wünschen eine begründete Stellungnahme. Drittens. Wir fordern die Prüfung einer anderen Rechtsform. Statt einer Verordnung sind eine Richtlinie oder Leitlinie unseres Erachtens besser geeignet. Herbert Behrens (DIE LINKE): Wir alle sind froh darüber, dass in Europa die Grenzen gefallen sind. Im Verkehr sieht es aber anders aus. Es gibt zwar keine Grenzkontrollen mehr, aber häufig trennen uns zum Beispiel unterschiedliche nationale Vorschriften, Gebührensysteme und Signalregelungen. Wir brauchen dringend eine gemeinsam abgestimmte Verkehrspolitik der EU und ein einheitliches europäisches Verkehrsnetz. Der Vorschlag eines transeuropäischen Verkehrsnetzes vonseiten der EU-Kommission liegt auf dem Tisch. Es hätte ein Vorschlag werden können, der über die nationalen Grenzen der Verkehrspolitik hinausgeht, der Klimaschutz und Mobilität gleichberechtigt bewertet, Nadelöhre zielgenau beseitigt und Verkehrsströme sinnvoll lenkt. Aber gerade das steht in der Vorlage nicht drin. Sie wurde am grünen Tisch der Planer erarbeitet. Es wurde nicht beachtet, dass Europa mehr ist als ein Wirtschaftsstandort, der attraktiv und effizient gestaltet sein soll. Ein Verkehrsnetz soll aus unserer Sicht nicht nur Waren von A nach B transportieren, sondern sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten. Die Menschen wollen sinnvolle Verkehrsverbindungen und sie wollen weniger Verkehrsbelastung; sie wollen keine ratternden Güterzüge mit Lärm und Dreck vor ihrer Nase haben, und sie wollen beteiligt werden, wenn es um die Planung von Verkehrsprojekten vor ihrer Haustür geht. Wir lesen im Vorschlag der Kommission, dass künftig zentrale Verkehrskorridore gefördert werden sollen. Das wäre ja grundsätzlich sinnvoll, wenn keine Milliardenzuschüsse mehr für isolierte Großprojekte fließen würden, die möglicherweise gar kein Verkehrsnetz ergeben. Stattdessen sollten die Zuschüsse zielgenau zur Beseitigung von Nadelöhren verwendet werden, und es sollte vergleichbare Zuschüsse für vergleichbare Strecken geben. Das ist leider nicht der Fall. Dafür hat die Kommission einen Preis von 1 500 Milliarden Euro ausgerechnet. Soviel würde es kosten, wenn das europäische Kernnetz bis zum Jahr 2030 verwirklicht werden sollte. 1 500 Milliarden Euro – das ist eine 15 mit 11 Nullen! Das ist zehnmal so viel wie der jährliche Gesamthaushalt der EU. Zum Vergleich: Damit könnte man etwa 6 Millionen Einfamilienhäuser bauen. Und weil das aus Steuermitteln nicht aufgebracht werden könnte, wird das Tor weit aufgestoßen für private Investoren. An sie sollen Projektanleihen ausgegeben werden, und mit ihnen sollen öffentlich-private Partnerschaften geschlossen werden. Es winken natürlich hohe Renditen für die Investoren, und die Bürgerinnen und Bürger werden dafür kräftig zur Kasse gebeten werden. So würden dann wohl viele neue Mautsysteme auf uns zukommen. Dass will die Linke nicht. Wenn die Interessen der Großen im Mittelpunkt stehen, geht es regelmäßig daneben. Denken wir nur an Stuttgart 21 oder die Beltquerung nach Dänemark. Beides wahnsinnig teure EU-Projekte, beides gegen den Widerstand der Bürgerinnen und Bürger. All dem setzt der neue Vorschlag die Krone auf. Er beseitigt selbst die Beteiligungsrechte der Staaten. Mit dieser Neuregelung könnte die EU direkt durchregieren und Beschlüsse fassen, die unmittelbar Einfluss auf die Investitionsplanung und Durchführung von Verkehrsprojekten in den betroffenen Mitgliedstaaten nehmen könnten. Das machen wir nicht mit. Das Centrum für Europäische Politik kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: „Der Erlass der TEN-Leitlinien als Verordnung ist rechtswidrig.“ Deutlicher kann eine Klatsche doch wohl nicht ausfallen, oder? Die Linke fordert darum, dass ein Vorschlag vorgelegt wird, der erstens finanzierbar ist und zweitens auch unserem Rechtssystem entspricht. Deshalb unterstützen wir auch den Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP. Beim Antrag von Bündnis 90/Die Grünen können wir uns nur enthalten. Die Grünen unterstreichen die aus ihrer Sicht guten Ansätze für ein europäisches Verkehrsnetz, beklagen aber gleichzeitig, dass der Ausbau eines gemeinsamen europäischen Verkehrsnetzes „stetig den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten untergeordnet“ worden ist, und verteidigen damit den EU-Eingriff. Die Linke lehnt es klar ab, per Verordnung Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu disziplinieren und auf den vermeintlich rechten Weg zu bringen. Deshalb werden wir dem Antrag nicht zustimmen. Das Vertrauen der Menschen in die europäische Idee wäre vollends dahin, wenn der Vorschlag der EU für eine Verordnung umgesetzt würde. Die Linke will mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und nicht weniger. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, TEN-V, ist für den freien Personen- und Güterverkehr im europäischen Binnenmarkt, die Wettbewerbsfähigkeit und die nachhaltige und klimafreundliche Verkehrsentwicklung in der EU von enormer Bedeutung. Deshalb hat die Kommission bereits 1996 Leitlinien für einen transeuropäischen Verkehrsraum verabschiedet. Diese Leitlinien wurden immer wieder überarbeitet, erweitert und durch verschiedene Finanzinstrumente ergänzt. Dennoch fällt die Bilanz nach 15 Jahren schlecht aus. Die Koordinierungsbereitschaft und der Umsetzungswille der Mitgliedstaaten haben bisher nicht ausgereicht, ein transeuropäisches Netz zu etablieren. Der Ausbau eines gemeinsamen europäischen Verkehrsnetzes wurde von den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten stetig untergraben. So führen fehlende grenzüberschreitende Verbindungen noch immer zu erheblichen Engpässen beim Güter- und Personenverkehr auf wichtigen europäischen Verkehrsachsen. Auch hinsichtlich der Verkehrsträger ist das Infrastrukturnetz weiterhin fragmentiert. Verschärft werden die Hindernisse und Engpässe im Verkehrssystem durch unterschiedliche Betriebsvorschriften, Normen und Sicherheitssysteme. Erst letztes Jahr hat die Bundesregierung die europäische Zusammenarbeit bei der Stärkung der umweltfreundlichen Schiene aufgekündigt, indem sie bekannte, die Einführung von ETCS im Korridor A bis Ende 2015 nicht termingerecht einzuhalten. Auch die DB AG bestätigte, kein eigenwirtschaftliches Interesse an der Installation von ERTMS zu haben. Was ist daraus zu lernen? Die bisher in Eigenregie der Mitgliedstaaten erfolgte Planung und Durchführung grenzüberschreitender Verkehrsprojekte ist nicht geeignet, ein transeuropäisches Verkehrsnetz zu etablieren. Der freiwillige Ansatz reicht nicht aus, den notwendigen Druck beim Ausbau einer transeuropäischen Infrastruktur zu erzeugen. Das wäre so, als ob man von den Ländern und Kommunen verlangen würde, ein nationales Verkehrsnetz zu errichten. Alle wissen, was dabei herauskäme. Deshalb fordert die Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, den Ausbau der TEN-V konsequent voranzutreiben. Wir unterstützen den Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für den Auf- und Ausbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, TEN-V, mit dem die ressourceneffiziente Mobilität von Personen und Gütern unter möglichst sozialverträglichen, umweltfreundlichen sowie sicherheitsorientierten Bedingungen gesichert werden kann. Vor allem begrüßen wir, dass nach dem Vorschlag der Kommission nachhaltige Verkehrsträger das Rückgrat der TEN-V bilden sollen. Das Ziel der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene und, wo sinnvoll, auf das Binnenschiff ist zu unterstützen. 90 Prozent der vorgeschlagenen Projekte betreffen den Schienenverkehr. Das ist der richtige Schritt zu einem nachhaltigeren transeuropäischen Verkehrsnetz. Denn selbst Zweiflern dürfte inzwischen klar sein, dass ein weiteres Anheizen des Verkehrswachstums durch neue Straßen und Autobahnen nicht mehr akzeptiert werden kann. Die Schuldenbremse zwingt heute alle Länder, eine sehr gewissenhafte Kosten-Nutzen-Rechnung anzustellen, wenn es um die Finanzierung neuer Infrastrukturen geht. Deshalb fordern wir, dass der verkehrliche Nutzen im Mittelpunkt der Projektauswahl stehen muss. Kleinere, schnell umsetzbare Maßnahmen mit hohem Nutzen für die Integration der europäischen Verkehrsnetze müssen Vorrang vor Großprojekten mit hohem finanziellen Aufwand und sehr langen Realisierungszeiträumen haben. Zudem muss ein Gleichgewicht zwischen finanzieller Realisierbarkeit und ausreichender Verbindlichkeit gefunden werden. In dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Prinzip der Umschichtung von EU-Mitteln bei ausbleibendem Projektfortschritt – „use it or lose it“-Prinzip – sehen wir hierzu ein geeignetes Mittel. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Antrag: Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur gewährleisten Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur sichern – Deutschen Qualifikationsrahmen zum Erfolg führen – Gleichwertigkeit von Abitur und Berufsabschlüssen sicherstellen (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes haben 2010 50,2 Prozent der deutschen Bevölkerung als höchsten Bildungsabschluss eine Lehre absolviert bzw. eine Berufsausbildung im dualen System abgeschlossen. Dies entspricht circa 35,5 Millionen Deutschen. Ich bin mir sicher, dass viele dieser Menschen in einer selbstkritischen Reflektion zu dem Schluss kommen würden, dass ihre Berufsausbildung dem Abitur gleichwertig ist. Auch deshalb warten sicherlich viele gespannt auf eine abschließende Einordnung der Berufs- und Bildungsabschlüsse im Deutschen Qualifikationsrahmen. Ich kann Ihnen zudem aus persönlicher Erfahrung versichern, dass eine berufliche Ausbildung durchaus dem Abitur gleichwertig ist. Ich habe schließlich ein ehrenwertes Handwerk erlernt, danach jahrelang als Heizungsinstallateur gearbeitet und auch ohne Abitur studiert, promoviert und stehe heute hier. Ich kann also aus tiefster Überzeugung das bestätigen, was mein Kollege Uwe Schummer in seiner hochspannenden und gewinnbringenden Rede zum Jahreswirtschaftsbericht 2012 gesagt hat: Das Flaggschiff unserer Bildungslandschaft ist die duale Berufsausbildung. Gutausgebildete Lehrlinge sind für die deutsche Wirtschaft genauso wichtig wie Akademiker; sie sind notwendige Standortvoraussetzung für erfolgreich agierende Unternehmen, seien es nun kleine, mittlere oder große. Ohne ihre Fachkräfte wäre die deutsche Wirtschaft nicht so innovativ und erfolgreich, wie sie heute ist. Dies müssen wir auch zukünftig sicherstellen. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels müssen wir dabei auch die Attraktivität der dualen Berufsausbildung weiter steigern. Mittelständische Unternehmen tragen – so besagt es der Innovationsreport des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag aus dem Jahre 2010 mit dem Titel „Zukunftspotenziale und Strategien nichtforschungsintensiver Industrien in Deutschland“ – erheblich zur deutschen Wertschöpfung bei. Für Mittelständler ohne eigene Forschungsabteilung sind gutausgebildete Lehrlinge dabei der wichtigste innovationsrelevante Faktor. Deshalb bin ich froh, dass wir heute hier in diesem Hohen Hause darüber einig sind, dass wir eine Gleichstellung von Abitur und dualer Ausbildung im Deutschen Qualifikationsrahmen auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen wollen und brauchen. Auf diese Weise schaffen wir ein Instrument, das die Gleichwertigkeit zwischen allgemeiner, hochschulischer und beruflicher Bildung abbildet. Dabei haben alle Akteure – Bund und Länder, Sozialpartner, Wirtschaftsorganisationen, die Wirtschaftsministerkonferenz – in vertrauensvoller und konstruktiver Zusammenarbeit einen Vorschlag vorgelegt, der sinnvoll und realistisch erscheint, nämlich die Zuordnung des Abiturs auf Niveau 4 und der beruflichen Erstausbildungen auf den Niveaus 3 und 4. Es ist für mich unverständlich, warum die Kultusministerkonferenz, KMK, sich auf ihrer 335. Sitzung im vergangenen Oktober im Gegensatz dazu für die Einordnung des Abiturs auf Stufe 5 und der beruflichen Erstausbildungen auf den Niveaus 3 bis 5 ausgesprochen hat. Dies ist ein Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen der Realität in Deutschland. Ein x-beliebiger Unternehmer würde – vor die Wahl gestellt, ob er eher einen frischgebackenen Abiturienten oder einen ausgebildeten Facharbeiter einstellen würde – keinen Moment zögern, dem Facharbeiter den Vorzug zu geben. Das Abitur im Sinne der KMK derart überzubewerten, ist aus meiner Sicht eine Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es gilt aber, diese beim DQR zur Kenntnis zu nehmen und auf die realistischen Einschätzungen der Sozialpartner und Wirtschaftsverbände zu hören. Sie sind es letztlich auch, die den DQR umsetzen und anwenden müssen. Die Einordnung der KMK wird unserem Ziel der anzuerkennenden Gleichwertigkeit von Abitur und beruflicher Erstausbildung nicht nur nicht gerecht; sie ist auch deshalb befremdlich, weil wir Bildungspolitiker immer noch darauf warten, dass die KMK ihre eigentlichen Hausaufgaben erledigt. Wenn sie schon für eine Höherbewertung des Abiturs gegenüber den dualen Berufsabschlüssen plädiert, sollte sie auch dafür sorgen, dass endlich einheitliche Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe zur Pflicht werden, die ihrerseits die Voraussetzung für eine echte Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse in den 16 Bundesländern schaffen. Ich hoffe, dass die Kompromissbereitschaft aller Beteiligten letzten Endes doch noch zu einer tragfähigen Lösung führen wird. Vielleicht kann mein Kollege Marcus Weinberg seinem Landsmann und neuen Präsidenten der KMK, Herrn Rabe, noch einmal ins Gewissen reden. In den ersten Interviews von Herrn Rabe habe ich mit großem Interesse gelesen, dass er ebenfalls die hohe Qualifikation der dualen Ausbildung verdeutlichen will (Welt Online, 28. Dezember 2011). Das wäre eine gute Basis für eine Einigung im Sinne der Gleichwertigkeit. Mit unserer praxisorientierten dualen Berufsausbildung setzen wir – ich will das einmal ganz selbstbewusst klarstellen – Maßstäbe in Europa. Duale Ausbildung ist eben nicht nur Praxis, sondern bedeutet auch schulische Ausbildung in einer erstaunlichen Tiefe und Komplexität. Damit stellt diese Form der beruflichen Qualifizierung eine Besonderheit dar, die ohne Weiteres der Qualifikation des Abiturs entspricht. Dies gilt es, mit einer starken deutschen Stimme – und diese soll der DQR haben – auch in Richtung Europa zu sagen. Pläne der Europäischen Kommission, dass zum Erlernen von Heil- und Pflegeberufen notwendigerweise das Abitur vorliegen müsse, würden so ad absurdum geführt. Ein Blick auf europäische Anstellungspraxis verdeutlicht dies; denn auch wenn in den nordischen Ländern das Abitur für Krankenschwestern, Pfleger und vergleichbare Berufsgruppen obligatorisch ist, gibt es eine Vielzahl von Initiativen, um das in Deutschland abiturfrei, aber dual ausgebildete Personal für den Einsatz in diesen Ländern abzuwerben. Die grundsätzliche Übereinstimmung aller Beteiligten hier im Hause wird durch die in weiten Teilen inhaltsgleichen Anträge deutlich. Wir sind der Meinung, dass die Zuordnung der Qualifikation zum DQR im Konsens mit allen Beteiligten getroffen werden muss. Wir sind uns auch einig darüber, dass die Zuordnung von allgemeiner Hochschulreife gleichwertig mit den mindestens dreijährigen dualen Ausbildungen auf einem Niveau erfolgen soll. Allerdings – und das ist der wesentliche Unterschied zu den Anträgen der SPD und der Grünen – sind wir der Meinung, dass der Bundestag nicht die richtige Institution ist, um konkrete Festlegungen zur Einordnung der Abschlüsse zu beschließen. So wie die Eingruppierung der Berufsbilder von den Sozialpartnern im Konsens und in allgemeiner Tarifautonomie vereinbart wird, so wie die Prüfungsordnungen von den Kammern einvernehmlich geregelt werden, so sind es auch hier die Bildungsakteure und Sozialpartner vor Ort, die konkrete Entscheidungen im Zuge der Festlegungen zum DQR zu treffen haben. Dies ist nicht Aufgabe des Parlaments. Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung auf, gegenüber den Bundesländern darauf hinzuwirken, dass die Gleichwertigkeit von allgemeiner bzw. fachgebundener Hochschulreife und mindestens dreijähriger dualer Ausbildung durch deren übereinstimmende Einordnung auf ein und derselben Niveaustufe des DQR zum Ausdruck kommt. Zweijährige berufliche Erstausbildungen dürfen unserer Auffassung nach nicht mehr als eine Niveaustufe unterhalb der allgemeinen bzw. fachgebundenen Hochschulreife angesiedelt werden. Ich persönlich stehe der Zuordnung der allgemeinen Hochschulreife auf Stufe 4 positiv gegenüber, weil ich diesen Vorschlag für realistisch halte. Falls sich aber alle Akteure darauf einigen, dass das Abitur auf Stufe 5 eingeordnet werden soll, dann sollten und müssen sich auch die dreijährigen Berufsabschlüsse auf dieser Stufe wiederfinden. Alles andere ist für mich und meine Fraktion inakzeptabel. Für den Fall, dass eine entsprechende Einigung nicht erzielt werden kann, sollte auf die Einordnung allgemeinbildender Schulabschlüsse im DQR zunächst verzichtet werden. Auch in Frankreich sind Schulabschlüsse bisher kein Bestandteil von Qualifikations-rahmen. Dies wäre zwar nicht die optimale Lösung, aber aus meiner Sicht besser als die Nichtgleichstellung von Abitur und dualer Berufsausbildung. Dies wäre ein fataler Fehler, der unbedingt verhindert werden muss. Insofern bin ich gespannt auf die endgültigen Festlegungen, die Ende des Monats erfolgen sollen. Willi Brase (SPD): Wir bieten unseren Jugendlichen heute zwei Wege für ein gutes Leben und für Leistung und Aufstiegsbereitschaft an. Der erste Weg ist ein mittlerer Abschluss, ein Hauptschulabschluss oder die Hochschulreife; es folgt die duale Ausbildung. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, einen Fachwirt und Meister zu machen, später zu studieren und über diesen Weg zu höchsten Ämtern und Positionen in der Gesellschaft zu gelangen. Der zweite Weg erfolgt über den mittleren Schulabschluss, das Abitur oder die Fachhochschulreife und anschließend ein Studium. Auch mit diesem Bildungsweg ist man in der entsprechenden Liga aufgestellt, um qualifizierte Tätigkeiten auszuüben. Beide Wege sind wichtig und haben etwas – wenn wir gegenüber den Jugendlichen ehrlich sind – mit der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung zu tun. Mit diesen beiden Wegen zeigen wir den Jugendlichen immer wieder Perspektiven auf. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Allgemeine Hochschulreife, die fachgebundene Hochschulreife und die Fachhochschulreife gemeinsam mit der drei- und dreieinhalbjährigen beruflichen Ausbildung in die Stufe vier des Deutschen Qualifikationsrahmens eingeordnet werden. Unser duales Bildungs- und Weiterbildungssystem ist die Stärke der deutschen Wirtschaft. Sie sichert Innovationsfähigkeit und führt dazu, dass wir mit Spitzenbranchen nicht nur in Europa, sondern weltweit vorhanden sind und unsere Produkte auch absetzen können. Mit den vielen Neuordnungen und Modernisierungen der Ausbildungsordnungen im dualen Bildungssystem sind wir den weiteren wissensbasierten Arbeits- und Produktionsweisen gerecht geworden – Aufstiegsfortbildungen ergänzen und erweitern diesen Prozess. Es gibt nicht nur Perspektiven, sondern auch notwendige betriebliche Erfordernisse. Deshalb ist es richtig, dass wir diesen Prozess der Aufstiegsfortbildungen in die Stufe fünf des Deutschen Qualifikationsrahmens einordnen. Diese Stufe darf nicht verfallen, wie es die Kultusministerkonferenz gerne hätte. Mit dem Antrag auf Drucksache 16/13615 vom 1. Juli 2009 haben CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen unter anderem gefordert, den Deutschen Qualifikationsrahmen zur Verbesserung der Durchlässigkeit des Bildungssystems und der Gleichwertigkeit verschiedener Bildungswege zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund besteht ein zweiter Punkt darin, die Stufe vier sowohl für die Allgemeine Hochschulreife als auch für die drei- und dreieinhalbjährigen dualen Ausbildungsordnungen beizubehalten. In dem gleichen Antrag haben wir das Konsensprinzip bei der Erarbeitung gefordert. Beides kann nur gemeinsam auf den Weg gebracht werden. Gelingt dies nicht, sollten wir uns dem französischen Modell nähern. Die Auszubildenden haben nach Ende der Ausbildung nicht nur Berufsfähigkeit – das sogenannte Berufsprinzip – erlangt, sondern auch arbeitsmarktrelevante Kompetenzen und Fertigkeiten erlernt, die ein Abiturient naturgemäß nicht hat. Schon allein deshalb wäre eine Höherstufung aus meiner und unserer Sicht nicht fach- und sachgerecht. Das Zusammenspiel zwischen Ingenieuren, Meistern, Technikern und Facharbeitern im konkreten Arbeits- und Produktionsprozess ist das Geheimnis der industriellen Stärke Deutschlands. Das liegt auch daran, dass die verschiedenen Bildungsmöglichkeiten und Bildungswege gleichwertig betrachtet und im Arbeitsprozess die Fähigkeiten und Kompetenzen – unabhängig von der Herkunft – gefragt sind. Nicht umsonst wollen zunehmend Unternehmen über das Duale Studium – Hochschulstudium und Ausbildung – ihren zukünftigen Spitzenbedarf decken. Auch das spricht dafür, an der Gleichwertigkeit der allgemeinen und beruflichen Bildung nicht nur festzuhalten, sondern sie endlich umzusetzen. Wir haben jetzt die Chance, dieses mit dem DQR auf den Weg zu bringen. Es verwundert doch immer wieder, warum viele Bildungsminister in dieser Beharrlichkeit darauf bestehen, die Allgemeine Hochschulreife auf eine höhere Stufe als das Gesamttableau der dualen Ausbildung zu setzen. Liegt es vielleicht daran, dass wir und vor allem die Bildungs- und Kultusminister jahrzehntelang dachten, das allgemeine deutsche Schulsystem sei das Beste der Welt und führend, und mit dem PISA-Schock, mit TIMSS und anderen Untersuchungen gezeigt wurde, dass unser System nicht mehr so gut ist? Und deshalb startet man einen letzten Versuch über die Einstufung in Stufe fünf, um sich doch noch gegenüber den anderen Ländern in der EU abzuheben? Wie wir wissen, sind fast alle Länder in der EU bereit, die Allgemeine Hochschulreife mit Sekundärstufe-II-Abschluss auf Stufe vier einzuordnen und nicht, wie die KMK fordert, auf Stufe fünf. Vor dem Hintergrund all dieser Argumente plädieren wir für die Annahme des Antrags unserer Fraktion und bitten um entsprechende Unterstützung. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Zu der Debatte um die Einordnung der Qualifikationen des deutschen Bildungssystems in den Deutschen Qualifikationsrahmen und darüber hinausgehend damit in den Europäischen Qualifikationsrahmen, sind zwei abschließende Bemerkungen zu machen. Die eine Bemerkung bezieht sich auf das Verfahren und den politischen Umgang mit dieser Diskussion, die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Sache und die zukünftige Perspektive von DQR und EQR und dessen weitere Ausgestaltung. Zum Ersten. Gerade weil die inhaltlichen Auffassungen der Bildungs-, der Arbeitsmarkt- und der Wirtschaftspolitiker in den Fraktionen im Deutschen Bundestag in der Sache nicht sehr weit auseinanderliegen, sollte es am Ende möglichst nicht kleinlichen Streit und das Spiel mit taktischen Finessen geben. Die SPD hat deshalb sehr frühzeitig, nämlich schon am 29. November 2011, einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der unter dem Leitmotiv „Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur sichern“ zwei klare Botschaften enthalten hat, nämlich erstens die Aufforderung des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung, gegenüber den Bundesländern darauf hinzuwirken, dass die Gleichwertigkeit von allgemeiner Hochschulreife und mindestens dreijährigen dualen Ausbildungen durch deren übereinstimmende Einordnung auf dem Niveau 4 des DQR Ausdruck verliehen wird. Dies ist für uns damals wie heute aus der Sache heraus begründet. Es nimmt die Anforderungen auf, die an das Niveau 4 des Deutschen Qualifikationsrahmens gestellt werden. Es hat eine Entsprechung auch in den Sachbeurteilungen, die seitens Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP wie auch der anderen Fraktionen in ehrlicher Betrachtung der acht Niveaustufen des Deutschen Qualifikationsrahmens bei verschiedenen Diskussionen bis in den Ausschuss deutlich angesprochen und unterstützt worden sind. Es deckt sich im Übrigen auch mit dem Vorschlag, den seinerzeit eine CDU-Fachkommission zur Vorbereitung des CDU-Bildungsprogramms, das diese auf ihrem Parteitag im letzten Jahr verabschieden wollte, mit vorgelegt hatte. Der sächsische Bildungsminister wie die Bundesbildungsministerin, beide CDU-Regierungsmitglieder, hatten in diesem Vorschlag glasklar dafür plädiert, eine entsprechende Einordnung auf der Niveaustufe 4 vorzunehmen. Soweit die CDU, als sie noch klaren Verstandes in der Sache war. Dann gab es allerdings eine besondere Schizophrenie beim sächsischen Bildungsminister, der mit einem Mal von der Zuordnung auf das Niveau 4 nichts mehr wissen wollte. Es gab die immer wieder bei der Bundesbildungsministerin zu beobachtende einmalige Mischung von Ankündigung, Rückzug, Verschleierung sachlicher Positionen, und entsprechend hat sich die CDU auf ihrem Parteitag von ihrem sachgerechten Vorschlag verabschiedet und stattdessen eine Leerstelle hinterlassen. Dies kann aber einen Bundestag, der auch eine sachliche Orientierung für das mitgeben soll, was eine Bundesregierung dann entsprechend umzusetzen hat, nicht daraus entlassen, klar Position zu beziehen. Diese klare Position ist allerdings in dem Antrag von CDU/CSU und FDP jetzt kastriert. Wohl wird noch die Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abitur angesprochen, aber die Niveaustufe selbst wird nicht mehr erwähnt. Dies ist für eine politische Mehrheit des Bundestages, die ja nicht ins Unverbindliche ausweichen sollte, sondern von der auch klare Positionen erwartet werden dürfen, zu wenig. Die SPD bedauert deshalb die Kleinmütigkeit von CDU/CSU und FDP, zumal wir bei verschiedenen Gelegenheiten ja vollkommene Übereinstimmung, auch in der Sacheinschätzung, erleben konnten. Gleichzeitig ist einem klar, dass eine dauerhafte Selbstblockade zwischen den beteiligten Instanzen, nämlich den Ministerpräsidenten, hinter denen dann die Blockaden durch die Bildungsminister der Länder einerseits und die Wirtschaftsminister der Länder andererseits stehen, in sich und auch gegenüber dem Bund in der Sache nicht weiterführen würde. Die SPD hat deshalb schon am 29. November 2011 in ihren Beschlussvorschlag die Forderung aufgenommen, auf die Einordnung allgemeinbildender Schulabschlüsse im DQR, sollte es nicht umsetzbar sein, zu einer übereinstimmenden Einordnung auf Niveau 4 des DQR zu kommen, grundsätzlich zu verzichten. Gleiches haben auch die SPD-Bildungsminister schon frühzeitig in die Debatte gebracht, weil auch sie der Auffassung sind, dass es keine Blockade in dem Prozess geben darf, der mit den nächsten Schritten auf der europäischen Ebene weitergeht und mit dem natürlich auch prozesshaft noch weitere Positionsklärungen im Zusammenwirken mit den übrigen Partnern, den europäischen Nachbarländern, der Europäischen Kommission und an erster Stelle den Sozial-partnern, zu finden sein werden. Dass man dann jetzt, medial entsprechend vorbereitet, die voluminöse Ankündigung der Bundesbildungsministerin lesen darf, dass sie den großen Befreiungsschlag plant, mit dem sie genau diesen SPD-Vorschlag neu in die Diskussion einbringt, zeugt dann allerdings von einer ziemlichen Ignoranz und Überheblichkeit der Bundesbildungsministerin. Es ist wirklich bedauerlich, dass Frau Schavan, statt klar, eindeutig und rechtzeitig Orientierung zu geben, zu solchen Mitteln greifen muss, um sich – bildhaft gesprochen – hinter den Zug zu werfen, der schon lange vorbeigefahren ist. Von „Idee für einen Befreiungsschlag“ kann hier jedenfalls keine Rede sein. In anderen Zusammenhängen würde man wohl eher von politischem Plagiat sprechen. Zum Zweiten die Bemerkung in der Sache und zum weiteren Vorgehen. Gerade weil der Europäische Qualifikationsrahmen und in diesem der DQR ein hochanspruchsvolles Konstrukt bilden, darf auch für uns in Deutschland die Diskussion mit der vorläufigen Herausnahme der allgemeinbildenden schulischen Abschlüsse nicht beendet sein. Gerade weil wir sehr sicher sind, dass auch im europäischen Kontext, in dem Vergleich dessen, was in anderen europäischen Ländern als Einordnung solcher Abschlüsse vorgenommen wird, am Ende doch die sachliche Lösung, nämlich hier die gemeinsame Einordnung auf Niveau 4, auf mittlere Sicht wieder auf uns zukommen wird, wollen wir gleichzeitig noch den Blick auf andere offene Fragestellungen richten. So hat unseres Erachtens die Aufgabe, das ganze System der beruflichen Aufstiegsfortbildung in den verschiedenen Niveaus in den Europäischen alias Deutschen Qualifikationsrahmen mit einzuordnen, bisher viel zu wenig Bedeutung gehabt. Genau hierfür ist aber auch entscheidend, dass es noch eine eigene Kategorie 5 in den entsprechenden Anforderungen an die fachliche und die personale Kompetenz gibt. Wenn Sie sich noch einmal in Erinnerung rufen, was in der Matrix vom DQR hier mit angesprochen ist, so finden Sie als Anforderung im Bereich des Wissens sowohl das integrierte Fachwissen in einem Lernbereich oder integriertes berufliches Wissen in einem Tätigkeitsfeld, das auch vertieftes fachtheoretisches Wissen einschließt. Bei den Fertigkeiten ist daran gedacht, das Niveau 5 an ein sehr weites Spektrum spezialisierter, kognitiver und praktischer Fertigkeiten zu binden. Arbeitsprozesse sollen danach übergreifend geplant werden können und unter umfassender Einbeziehung von Handlungsalternative und Wechselwirkung mit benachbarten Bereichen beurteilt werden können. In der personalen Kompetenz wird erwartet, dass Arbeitsprozesse kooperativ, auch in heterogenen Gruppen, geplant, gestaltet und auch mit anderen Personen zusammen angeleitet werden können. Insgesamt muss hier schon eine beträchtliche Führungsleistung erbracht werden können. Genau diese Kompetenzen gehen alle über die Qualifikation hinaus, die junge Menschen nach einer beruflichen Erstausbildung oder nach dem Abitur schon aufweisen können. Sie ziehen vielmehr nach sich, dass es einen systematischen Aufbau von Weiterbildung im informellen Sinne geben sollte, deren Entwicklung und Anerkennung ja nicht zuletzt durch den Anspruch des Qualifikationsrahmens mit angestoßen werden soll. Genau hierauf werden wir aber zusammen mit den Sozialpartnern, mit den Bildungsinstitutionen, im System des lebenslangen Lernens und der systematischen Weiterbildung ein vermehrtes Gewicht zu legen haben, wenn dieses anspruchsvolle Instrument des Europäischen und des Deutschen Qualifikationsrahmens wirklich zu einem Erfolg geführt werden soll. Wir werben deshalb noch einmal nachdrücklich dafür, dass nicht so sehr taktische Finessen von der Bildungsministerin Schavan bis hin zu den Koalitionsfraktionen bei der Abstimmung die Orientierung geben, sondern die klare, sachliche Begründung. Gerade wenn es um Qualifikationen geht, sollte Sachlichkeit doch eigentlich kein Nachteil sein. Heiner Kamp (FDP): „Ist die Lehre so wertvoll wie das Abi?“ – So und so ähnlich haben die Zeitungen zum Europäischen Qualifikationsrahmen und seiner nationalen Umsetzung im Deutschen Qualifikationsrahmen getitelt. Um es vorwegzunehmen: Die Antwort auf die damals im Handelsblatt aufgeworfene Frage lautet eindeutig und unmissverständlich: Ja. Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen dem Abitur und einer abgeschlossenen beruflichen Ausbildung. Die Abschlüsse sind verschiedenartig. Sie sind aber eindeutig gleichwertig. Bei der spröden Bezeichnung „Europäischer Qualifikationsrahmen“ könnte man annehmen, dass es sich um eine weitere technokratische Segnung der EU handelt, von der man nicht unbedingt eine positive Auswirkung erwarten sollte. In diesem Fall sind derlei Befürchtungen unbegründet. Der Europäische Qualifikationsrahmen und der Deutsche Qualifikationsrahmen als seine nationale Umsetzung bieten eine große Chance, gerade die Bedeutung und Qualität der beruflichen Ausbildung im europäischen Kontext angemessen deutlich zu machen. Und dies ist von nicht zu unterschätzender Relevanz. Erst kürzlich hat eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln nachgewiesen, dass die duale Berufsausbildung die Triebfeder für Innovationskraft und Wirtschaftswachstum in unserem Land ist. Im Ausland werden wir um unsere hervorragend ausgebildeten Fachkräfte beneidet. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass unsere Betriebe und damit unsere Volkswirtschaft im Vergleich zu anderen Staaten so zügig aus der Krise gekommen ist. Der Europäische Qualifikationsrahmen bietet uns die Möglichkeit, diese große Stärke unseres deutschen Bildungssystems endlich nach Europa zu spiegeln. Die berufliche Dualausbildung zeichnet das deutsche Bildungssystem aus, unterscheidet uns von anderen Mitgliedstaaten. Das ist ein Riesenvorteil. Und dennoch wurde unser Berufsausbildungswesen auf europäischer Ebene geringgeschätzt und belächelt. Man denke nur an die regelmäßigen Vorwürfe vonseiten der OECD, Deutschland habe eine zu geringe Akademikerquote. Mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen haben wir die Möglichkeit, die hohe fachliche Qualität unserer Berufs- und Weiterbildungsabschlüsse in Europa in Relation zu den diversen College-Abschlüssen zu stellen und sie damit vergleichbar zu machen. Wir können zeigen, dass unsere Ausbildungsberufe keinesfalls zurückstehen müssen, sondern vielfach den vollschulischen oder quasiakademischen Lehrangeboten unserer Nachbarn überlegen sind. Der Deutsche Qualifikationsrahmen wird außerdem dazu beitragen, gerade die Weiterbildungsabschlüsse auch innerhalb unseres Landes verständlicher und vergleichbarer zu machen. Was meine ich damit? Ein Beispiel: Der Fortbildungsabschluss Fachwirt wird von vielen als nicht gleichwertig mit einer akademischen Ausbildung wahrgenommen. Er ist es aber. Die Wege sind verschieden, das Ergebnis ist gleich viel wert. Wenn der Fachwirt künftig gemeinsam mit dem ersten berufsqualifizierenden Hochschulabschluss, dem Bachelor, auf Niveaustufe 6 des DQR steht, wird das die Wahrnehmung der Fortbildungsabschlüsse positiv befördern. Das ist gut für die Bildungsnation Deutschland. Weiterbildungsabschlüsse gewinnen an Anerkennung. Und Weiterbildung gewinnt damit an Attraktivität. Aufstieg durch Bildung, das ist das Motto. Der DQR bietet also gerade für das einzigartige deutsche Modell der beruflichen Dualausbildung eine gute Gelegenheit, in Europa endlich angemessen vergleichbar zu werden. Leider haben die Kultusminister der Länder diese Chance nicht erkannt. Sie sehen den DQR eher als Teil eines Schönheitswettbewerbs und wollen ihr Abitur als Schönheitskönigin möglichst weit oben auf dem Treppchen sehen. Dass sie sich damit außerhalb des Konsenses zwischen allen übrigen an der Erarbeitung des DQR Beteiligten begeben, kümmert die Kultusminister bislang wenig. Ärgerlich ist, dass die Kultusminister sich erst zu Wort gemeldet haben, nachdem der DQR bereits entwickelt war. Mit dem Beschluss auf ihrer 335. Sitzung, das Abitur auf Niveaustufe 5 statt, wie vom Arbeitskreis DQR beabsichtigt, auf Niveaustufe 4 einzuordnen, torpedierten sie den DQR-Prozess und die Chance auf eine angemessene Anerkennung unserer dualen beruflichen Ausbildung. Die Entscheidung der Kultusministerkonferenz war fachlich und ordnungspolitisch falsch. Sie kommt einer öffentlichen Beschädigung der beruflichen Dualausbildung gleich – statt für sie zu werben. Die Gründe hatte ich bereits genannt. Die Kultusministerkonferenz stellt sich mit ihrem Beschluss nicht nur gegen die Bundesregierung, die Wirtschaftsminister der Länder, die Gewerkschaften, die Wirtschaftsverbände und alle übrigen an der Entwicklung des DQR Beteiligten. Nein, auch gegen die übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Niemand sonst ordnet die Hochschulzugangsberechtigung auf Niveaustufe 5 ein. Die Position ist nur eins: isoliert. Die FDP-Fraktion fordert die Kultusministerkonferenz nachdrücklich auf, ihre Einzelmeinung aufzugeben und zu einem Konsens zurückzukehren. Die Alternative, auf die Einordnung der allgemeinbildenden Abschlüsse in den DQR zu verzichten, wäre für die KMK vielleicht eine gesichtswahrende Lösung. Wirklich erstrebenswert ist sie nicht. Der dualen beruflichen Ausbildung hat die Kultusministerkonferenz bereits einen Bärendienst erwiesen. Mit der durch ihren Beschluss angestoßenen Debatte – ich erinnere an das von mir eingangs genannte Zitat – hat sie der dualen Ausbildung alles andere als die Anerkennung zuteilwerden lassen, die sie verdient. Vom Spitzengespräch am 31. Januar 2012 erwarten wir von den Kultusministern ein Einlenken. Andernfalls sind die Ministerpräsidenten gefragt, ihre Kabinettsmitglieder zum Wohle der beruflichen Ausbildung zur Ordnung zu rufen. Agnes Alpers (DIE LINKE): Mit dem Europäischen Qualitätsrahmen und dem Deutschen Qualitätsrahmen haben wir uns auf den Weg gemacht, die Gleichwertigkeit und die Durchlässigkeit zwischen allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung herzustellen. Das neue Prinzip lautet: Wir vergleichen nicht mehr die Abschlüsse, sondern die Lernergebnisse in Form von Kompetenzen. Hierzu hat man zum Beispiel die Lernergebnisse aus Ausbildungsrahmenplänen und Abiturverordnungen in einer Matrix von acht Niveaustufen eingeordnet. Wir als Linke begrüßen dieses Umdenken: Es ist jetzt nicht mehr wichtig, wo ich meinen Abschluss gemacht habe, sondern was ich im Ergebnis an Kompetenzen erworben habe. Aber genau dieser Paradigmenwechsel ist der Grund, warum wir hier heute stehen, warum es einen Konflikt gibt: Alle am DQR Beteiligten waren sich zunächst einig: Eine vollqualifizierende duale Ausbildung – also eine Ausbildung von 3 und 3,5 Jahren – und das Abitur sind gleichwertig. Deshalb sollen beide auf dem Niveau vier angeordnet werden. Doch die Kultusministerkonferenz der Länder hat sich dagegen ausgesprochen. Sie will das Abitur auf Stufe fünf installieren und die duale Ausbildung im Wesentlichen auf vier. Zur Begründung schrieb die KMK in einem Brief an die Ministerpräsidenten der Länder im Dezember: Das deutsche Abitur ist im europäischen Kontext etwas Besonderes. Es ist nicht nur ein Schulabschluss, sondern ein Universitätseingangszeugnis, und dies ist in Europa nicht selbstverständlich. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Das deutsche Abitur hat in Europa kein Alleinstellungsmerkmal; denn auch in den anderen Staaten berechtigt dieser Schulabschluss zum uneingeschränkten Zugang zu den Universitäten. Zulassungsbeschränkungen und Aufnahmeprüfungen gibt es auch in Deutschland. Die Einordnung auf Stufe fünf ist daher nicht nachvollziehbar und wird in Europa nicht geteilt. Die anderen Staaten haben sich dafür ausgesprochen, dass auch das Abitur auf dem Niveau vier anzusiedeln ist. Durch solche Behauptungen isoliert sich Deutschland in Europa und vermittelt das Bild, dass die Deutschen mit ihrem Abitur etwas Besseres sein wollen. Als Europäerin sage ich Ihnen: Dies ist nicht der Weg in ein gemeinsames und solidarisches Europa. In Abgrenzung zu einer dualen Ausbildung hebt die KMK hervor, dass man durch ein Abitur über vertieftes fachtheoretisches Wissen verfüge und deshalb auf der Stufe fünf einzuordnen sei. Es stellt sich hier die Frage, warum die Kompetenzen einer Tischlerausbildung weniger wert sein sollen als die eines Abiturs. Ich komme aus einer Tischlerfamilie, und ich selbst habe jahrelang Tischler unterrichtet. In der Ausbildung erwerben sie nicht nur breite fachtheoretische Kenntnisse, sondern beraten Kunden, kalkulieren Preise, planen selbsttätig Arbeitsabläufe, programmieren Werkstücke an CNC-Maschinen, sind in die Strukturen der Arbeitswelt eingebunden und erwerben nach einer theoretischen Prüfung mit fünf Prüfungsfächern und einer praktischen Prüfung mit der Planung, Zeichnung und eigenständigen Herstellung eines Werkstückes die volle Berufsfähigkeit. Fazit: Tischlerinnen und Tischler und Abiturientinnen und Abiturienten lernen ganz unterschiedliche Dinge. Aber es ist vermessen zu behaupten, dass die erworbenen Kompetenzen eines Tischlers geringer sind als die eines Abiturienten. Die KMK pocht darauf, dass ein Abiturient alle Kompetenzen der Stufe fünf durch das Abitur erreicht hat. Geht die KMK wirklich davon aus, wie auf Stufe fünf vorgesehen, dass ein Abiturient „andere anleiten und mit fundierter Lernberatung unterstützen“ kann? Aber es geht weniger um all diese Einzelfragen. Die zentrale Frage ist: Ist die KMK bereit, von ihrem hohen Ross abzusteigen und die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu akzeptieren? Wir fordern die KMK auf: Beenden Sie Ihr Denken von oben und unten, von besser und schlechter! Denn der Zug der Zeit ist schon auf einem anderen Weg. Wie verhalten sich nun die Fraktionen zu dem Konflikt um die Stufen vier und fünf des DQR? Alle sprechen sich für die Gleichwertigkeit und somit für die Stufe vier für die allgemeine und berufliche Bildung aus. Alle begrüßen den Wechsel von abschlussorientierter Wertigkeit hin zu ergebnisorientierten Kompetenzen. Doch wenn die KMK nicht zustimmt, sprechen sich SPD, CDU/CSU und FDP dafür aus, dass auf die Einordnung der allgemeinen Schulabschlüsse verzichtet werden soll. Auch wenn der Bundestag keine Entscheidungskompetenz beim DQR hat, so ist es doch bezeichnend, welches Bild SPD, CDU/CSU und FDP hier abliefern: Sie sind nicht bereit, sich klar und deutlich hinter die Gleichwertigkeit zu stellen. Sie nehmen davon Abstand, dass es Inhalt und Ziel des DQR ist, alle – ich betone: alle – Abschlüsse und Qualifikationen mit einzubeziehen. Ich kann hier nur feststellen: Diese Fraktionen sind nicht in der Lage, Konflikte auszutragen, klare Entscheidungen zu treffen. Die Annahme, dass die KMK schon noch nachziehen wird, mag wünschenswert sein, hat aber nichts mit der zugespitzten Realität zu tun. Meine Damen und Herren von SPD, CDU/CSU und FDP, Sie sind in dieser Frage weder Fisch noch Fleisch und liefern ein fatales Signal an Europa: Deutschland geht wieder einen Sonderweg, und deutsche Abschlüsse sollen wieder über europäischen Abschlüssen stehen. Im Gegensatz zu dieser Konfliktvermeidungsstrategie setzt die Linke klare Signale für eine gleichwertige Bildung auf europäischer Ebene und für ein solidarisches Europa: Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, jetzt und ohne Wenn und Aber. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Idee des Europäischen Qualifikationsrahmens ist gut und richtig. Er soll mehr Transparenz schaffen und die Mobilität auf dem europäischen Arbeitsmarkt, aber auch in der beruflichen Aus- und Weiterbildung fördern. Als Übersetzungsinstrument kann er die Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse für Europas Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, für die Auszubildenden und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erheblich verbessern. In Buxtehude wissen wenige, was HBO in den Niederlanden bedeutet. Umgekehrt sollen Betriebe in Spanien mit dem Qualifikationsrahmen auf einen Blick erkennen können, ob Michaela Müller aus Hamburg mit ihrer Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle überhaupt in die nähere Auswahl kommt. Beim EQR und DQR zählen die Lernergebnisse und Handlungskompetenzen. Wo und wie die Kompetenz erlangt wurde, steht nicht mehr an erster Stelle. Einmal flächendeckend in allen Unterzeichnerstaaten umgesetzt, kann und soll der EQR eine grundsätzliche Orientierung gewährleisten, weshalb die einzelnen Stufen recht breit angelegt sind. Warum ist es hierzulande nicht gelungen, fristgemäß vor dem Jahreswechsel alle Bildungsabschlüsse den acht Qualifikationsstufen zuzuordnen? Warum tut sich Deutschland anders als andere Teilnehmerländer mit der Umsetzung so schwer? Mit ihrer Entscheidung, das Abitur höher einzustufen als die Berufsausbildungsabschlüsse, hat die KMK den Zuordnungsprozess im Herbst vorerst zum Stillstand gebracht. In der Konsequenz bedeutet der KMK-Beschluss, dass Abiturienten nach einer abgeschlossenen Ausbildung von dem Qualifikationsniveau 5 auf 4 zurückgestuft werden. Sogar Vertreter der Koalition räumten gestern im Bildungsausschuss ein, „viel Sympathie für die gemeinsame Einordnung auf Stufe 4“ zu haben, wie wir es in unserem grünen Antrag fordern. Offenbar leuchtet auch der Koalition ein, dass es nicht angehen kann, dass Abiturientinnen und Abiturienten der Anreiz genommen wird, eine hochwertige duale Berufsausbildung zu absolvieren. Unsere Wirtschaft braucht schließlich alle, auch die Leistungsstarken. Darüber hinaus werden die Berufsbilder unter dem Modernisierungsdruck anspruchsvoller und komplexer, was die höhere Einordung des Abiturs nicht rechtfertigt. Gerade für Mittelständler sind gut ausgebildete nichtakademische Fachkräfte ein wichtiger Faktor für die Entwicklung neuer Produkte und ihre Wettbewerbsfähigkeit. Es ist Aufgabe der Politik, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Und dazu gehört auch ein lebensnaher und realitätsgerechter DQR. Immerhin setzten sich alle anderen in der Bildungs- und Berufsbildungslandschaft relevanten Akteure wie Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften sowie die Wirtschaftsministerkonferenz und auch das BMBF für die gleichwertige Zuordnung der mindestens dreijährigen Ausbildungen und des Abiturs auf Kompetenzniveaustufe 4 ein. Dies haben wir in unserem grünen Antrag deutlich gemacht. Der Antrag der SPD hingegen hat schon die Kompromissformel vorweggenommen, die schulischen Bildungsabschlüsse aus dem DQR herauszunehmen, was die Verhandlungsposition der Bundesebene unnötig schwächte. Seit Dienstag macht sich nun auch öffentlich Ministerin Schavan für diese Variante stark, vor allem mit Blick auf das Treffen am 31. Januar, an dem sie übrigens nicht teilnehmen wird. Ich entnehme dem, dass von dem Treffen keine Lösungsimpulse mehr erwartet werden. Das sogenannte Französische Modell kann nur eine Übergangslösung sein und ist nichts anderes als eine Problemvertagung, die jetzt eine aufgeheizte Debatte kurzfristig beenden mag. Ich würde es bedauern, wenn sich ausgerechnet die „Grande Nation“ und das „Land der Dichter und Denker“ bei einem bedeutsamen DQR-Bestandteil ausklinkten. Ministerin Schavan möchte den Konflikt lösen, indem sie ebendiesen ausklammert. Doch die lösungsorientierten Gespräche zwischen KMK und den anderen bildungspolitischen Akteuren müssen weitergehen. Es ist besser, einen funktionierenden EQR in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und nachzujustieren, als das sinnvolle Instrument zur europäischen Mobilität jetzt mutlos in die Ecke zu legen. Möge dem neuen KMK-Präsidium die Konsensfindung gelingen. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Wir wollen unsere Bildungsabschlüsse, von den einfachsten bis zu den höchsten, in einer achtstufigen Skala transparent machen, um zu zeigen, welche Kompetenzen der Einzelne im Laufe seines Bildungsprozesses erwirbt. Es soll zukünftig nicht mehr darauf ankommen, wo oder wie lange jemand lernt, sondern darauf, was er am Ende einer Ausbildung kann. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa: über 30 Staaten arbeiten derzeit an dem gleichen Ziel. Zum ersten Mal in der europäischen Geschichte schaffen wir ein übergreifendes Vergleichssystem für Bildungsabschlüsse. Wir wagen damit einen entscheidenden Schritt hin zu einer europäischen Bildungslandschaft und nähern uns dem Ziel, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Zudem haben wir die Chance, unser nationales Bildungssystem zu öffnen. Natürlich sind wir in Deutschland stolz auf viele Errungenschaften unseres Bildungssystems – die langen Traditionen der Hochschulen in Forschung und Lehre, den hohen Qualitätsstand der dualen Ausbildung oder die breite Allgemeinbildung, die unsere Schulen vermitteln. Aber wenn wir ehrlich sind, errichten unsere komplexen Systeme mit ihren Traditionen und Eigenheiten in mancher Hinsicht hohe Hürden zwischen den verschiedenen Bildungswegen. Manchmal hat unser System Aufstiege erschwert, Talente ausgebremst und „gläserne Decken“ errichtet, wo es allein auf Können, Initiative und den Willen zur Weiterbildung ankommen sollte. In den letzten vier Jahren hat eine breite Koalition aus Beteiligten den Deutschen Qualifikationsrahmen erarbeitet. Vertreter von Bund, Ländern, Sozialpartnern, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft haben dabei vertrauensvoll zusammengewirkt und weitestgehend Übereinstimmung darüber erzielt, wie die Stufen beschrieben und Abschlüsse eingeordnet werden sollen. Bund, Wirtschaftsministerkonferenz, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände genauso wie die Hochschulvertretungen sind sich einig: Gemessen an den vermittelten Kompetenzen ist die Einordnung des Abiturs auf Stufe 4 des DQR richtig. Das gilt auch für die anspruchsvolleren dualen Ausbildungen, die ebenfalls auf Stufe 4 eingeordnet werden sollen. Die Stufe 5 bildet dagegen tertiäre Abschlüsse ab, wie die ersten hochschulischen Abschlüsse oder berufliche Aufstiegsfortbildungen. Damit entsteht ein stimmiges Gesamtbild, in Deutschland und in Europa. Wir setzen uns für die Gleichwertigkeit des Abiturs und der anspruchsvollen dualen Ausbildungen ein. Bei den dualen Erstausbildungen wollen wir über zwei Stufen differenzieren: Stufen 3 und 4. Die Hochschulzugangszeugnisse aller europäischen Länder sollen sich auf einer gemeinsamen Stufe wiederfinden. Das entspricht nicht nur unseren Verabredungen bei anderen internationalen Vergleichsinstrumenten, sondern auch der Vielzahl bilateraler Vereinbarungen. Jetzt ist der Erfolg dieser jahrelangen Arbeit gefährdet. Es ist in den letzten Monaten trotz intensiver Bemühungen und zahlreicher Gespräche nicht gelungen, mit der Kultusministerkonferenz Einigkeit über die Zuordnung des Abiturs zu erzielen. Die Kultusministerkonferenz beharrt darauf, dass das Abitur auf der Stufe 5 eingeordnet wird. Gleichwertigkeit mit der dualen Berufsausbildung soll dadurch hergestellt werden, dass die Ausbildungsberufe über drei Stufen gestreckt werden. Gleichzeitig soll die Fachhochschulreife eine Stufe unterhalb des Abiturs angesiedelt werden. Das gefährdet die Kohärenz des DQR. Es wird der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung nicht gerecht und setzt die duale Ausbildung gegenüber der Schulbildung herab. Es stellt uns außerhalb der europäischen Wahrnehmung, die das deutsche Abitur nicht als höherwertiger ansieht als die Matura, das Baccalaureat oder die A-Levels. Und es wahrt nicht den erforderlichen Abstand zu den tertiären Abschlüssen der Stufe 5. Zudem unterscheidet es zwischen dem Abitur und der Fachhochschulreife, obwohl beides zur Aufnahme eines Bachelorstudiengangs an einer Hochschule berechtigt und der Bachelor unabhängig von der Art der Hochschule auf Stufe 5 eingeordnet wird. Es gefährdet unsere Glaubwürdigkeit gegenüber unserer eigenen Bevölkerung und in Europa. Der DQR ist ein beschäftigungsbezogenes Bewertungsinstrument, in dem vor allem nach den auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Kompetenzen gefragt wird. Zu Recht wird daher in den Medien gefragt: Warum soll der Geselle zwei Stufen unter dem Abiturienten stehen? Wenn wir den DQR ernst nehmen, wenn wir Transparenz und Mobilität fördern wollen und wenn wir danach fragen, welche Kompetenzen tatsächlich vermittelt werden, dann müssen wir wirkliche Gleichwertigkeit zwischen Abitur und anspruchsvollen beruflichen Erstausbildungen schaffen. Wir dürfen die zweijährigen Aus-bildungen nicht mehr unterhalb der Hochschulreife einordnen. Auf der anderen Seite müssen wir den Abstand zu den ersten tertiären Abschlüssen wahren. Wie soll sonst der Wissens- und Kompetenzzuwachs zum Beispiel in Kurzstudiengängen oder Aufstiegsfortbildungen gezeigt werden? Aus diesem Grund sage ich es offen: Wenn an dieser Stelle keine Einigkeit mit der Kultusseite möglich ist, ist es besser, auf die Zuordnung der Schulabschlüsse zunächst zu verzichten. Als nationales und europäisches Transparenzinstrument macht der DQR nur Sinn, wenn seine Zuordnungen richtig und stimmig sind. Auch wenn der EQR im Grundsatz bildungsbereichsübergreifend angelegt ist, hat er vor allem berufliche und akademische Qualifikationen mit unmittelbarem Arbeitsmarktbezug im Blick. Da die allgemeinbildenden Schulabschlüsse selbst nicht berufsqualifizierend sind, sondern die Grundlage für die weitere akademische und berufliche Ausbildung bilden, stellen sie ohnehin eine Besonderheit dar. Die allgemeinbildenden Schulabschlüsse könnten daher als Notlösung, wenn die weiteren Entwicklungen bei uns und in der EU klarer absehbar sind, in einem zweiten Schritt zugeordnet werden – wie es zum Beispiel auch Frankreich plant. So könnte die Stimmigkeit des Rahmens gewahrt und die Zuordnung der Qualifikationen sukzessive vorgenommen werden – und wir bewahren uns die Chance, mit dem DQR einen echten Beitrag für mehr Transparenz und Durchlässigkeit zu leisten. Ich werbe noch einmal ausdrücklich um die Einführung des DQR: Qualifikationsrahmen sind Instrumente zur Erhöhung von Transparenz und Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. Sie machen Gleichwertigkeit und Unterschiede zwischen Schulbildung und Studium und beruflicher Bildung in Deutschland sichtbar und tragen zur Durchlässigkeit und einer Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit Deutschland und Europa bei. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen (Tagesordnungspunkt 16) Helmut Brandt (CDU/CSU): In ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, den in §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehenen Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung aufzuheben und stattdessen das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz mit aufschiebender Wirkung festzuschreiben. Hintergrund des vorliegenden Antrags ist neben einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. Januar 2011 eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember 2011. In dem Verfahren von Asylbewerbern aus Afghanistan, dem Iran und Algerien gegen das Vereinigte Königreich und die Republik Irland hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass ein Asylbewerber nicht an einen Mitgliedstaat überstellt werden darf, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden. Das Unionsrecht lasse keine unwiderlegbare Vermutung zu, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Asylbewerber beachten. Begründet wird der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen damit, dass ein Schutzsuchender in jedem Falle vor einer Rückführung in einen anderen EU-Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven rechtlichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben müsse. Diesen Antrag lehnen wir ab, da die Forderungen durch eine Entscheidung des Bundesinnenministers vom Dezember des letzten Jahres unbegründet sind. Bereits am 19. Januar 2011 hatte der damalige Bundesinnenminister, Thomas de Maizière, erstmalig entschieden, dass mit sofortiger Wirkung für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsangehörigen nach der sogenannten Dublin-Verordnung nach Griechenland durchgeführt werden sollen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurde gebeten, entsprechend zu verfahren. Deutschland macht in diesen Fällen von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 3 der Dublin-II-Verordnung Gebrauch und führt die Asylverfahren in Deutschland durch. Auch vorher schon, bereits in 2009 und 2010, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der schwierigen Situation in Griechenland Rechnung getragen, indem es bei besonders schutzbedürftigen Personen, zum Beispiel für Minderjährige, für Flüchtlinge hohen Alters oder für Flüchtlinge, bei denen Schwangerschaft, ernsthafte Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit oder eine besondere Hilfebedürftigkeit vorlagen, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung sehr großzügig Gebrauch gemacht und von einer Überstellung nach Griechenland abgesehen hat. Hintergrund der Entscheidung des Bundesinnenministers waren Berichte von Delegationsteilnehmern sowie von NGOs und dem Hohen Flüchtlingskommissariat, die immer wieder auf die chaotischen Zustände in Griechenland hinwiesen. Dieses und vor allem die tatsächliche Entwicklung in Griechenland haben das Bundesinnenministerium nunmehr veranlasst, erneut für ein Jahr von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß der Dublin-II-Verordnung Gebrauch zu machen. Trotz der geleisteten oder angebotenen Hilfe herrschten und herrschen in den Flüchtlingslagern menschenunwürdige Zustände. Die griechische Regierung ist nach wie vor nicht in der Lage und wohl auch nicht willens, sich für eine deutliche Verbesserung der Lage der Flüchtlinge einzusetzen. Zusätzlich soll mit dieser Entscheidung des Bundesinnenministers auch zum Prozess der Konsolidierung des griechischen Asylsystems beigetragen werden. Mit der Entscheidung des Bundesinnenministers, für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsangehörigen nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung nach Griechenland durchzuführen und stattdessen von der Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts Gebrauch zu machen, haben sich Ihre Forderungen nach einer grundsätzlichen Aufhebung des in den §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehenen Ausschlusses des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung erübrigt. Eine grundsätzliche Einführung einer aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Rücküberstellungen brauchen wir nicht. Denn das in Art. 3 Abs. 3 der Dublin-II-Verordnung vorgesehene Instrument des Selbsteintrittsrechts trägt der jetzigen Situation hinreichend Rechnung. Wie die jetzige und vergleichbare Entscheidungen anderer Staaten zeigen, bietet die Dublin-Verordnung bereits in ihrer geltenden Fassung hinreichende Möglichkeiten, um auf außergewöhnliche Situationen zu reagieren. Und wir wollen sie auch nicht. Denn das Dublin-II-Abkommen war und ist der Garant dafür, dass wir keinen unkontrollierten und auch von uns nicht mehr zu bewältigenden Asylbewerberstrom haben. Die grundsätzliche Einführung einer aufschiebenden Wirkung würde dieses System aushöhlen. Ich betone deshalb noch einmal ausdrücklich, dass wir mit der Entscheidung des Bundesinnenministers, für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsangehörigen nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung nach Griechenland vorzunehmen, nicht das Dublin-System als solches infrage stellen. Denn die auf dem Verantwortungsgrundsatz basierenden Zuständigkeitsregelungen der Dublin-Verordnung und ihres Vorgängerabkommens haben sich in den über zehn Jahren ihrer Anwendung bewährt. Das Dublin-System bietet die Garantie dafür, dass jeder auf dem Gebiet der teilnehmenden Staaten gestellte Asylantrag auch tatsächlich geprüft wird. Hierzu muss das System weiterhin zügige Entscheidungen und Überstellungen in den zuständigen Staat ermöglichen. Ich stimme mit den Kollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen überein, dass wir ein menschenunwürdiges Dasein der Flüchtlinge, das gegen alle internationalen Standards verstößt, nicht dulden können. Meine Kollegen und ich haben deshalb im Dezember vergangenen Jahres Griechenland aufgefordert, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die menschenunwürdigen Bedingungen in den griechischen Auffanglagern sofort zu beenden und die bereitstehenden Mittel aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds zu beantragen und abzurufen, um die Situation schnellstmöglich zu verbessern. Griechenland erhält von uns jede erdenkliche Unterstützung, um schnellstmöglich ein funktionierende Asylsystem aufzubauen. Eine grundlegende Veränderung in unserem Rechtsschutz lehnen wir daher ab. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der Antrag der Grünen ist alter Wein in neuen Schläuchen. Wir haben über diesen Sachverhalt bereits im März des vergangenen Jahres debattiert. Und überraschenderweise hat sich an den Argumenten auch nichts verändert. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 21. Dezember 2011, auf das sich der Antrag der Grünen bezieht, hat wie schon ein früheres Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Falle von Deutschland keine praktische Bedeutung. Wie unsere Fraktion bereits bei der Debatte im letzten Jahr deutlich gemacht hat, ist der Forderung der Grünen der Boden entzogen. Seit dem 19. Januar 2011 werden keine Drittstaatsangehörigen mehr gemäß der Dublin-II-Verordnung nach Griechenland überstellt. Deutschland macht in diesen Fällen von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch. Das bedeutet: Die Asylverfahren werden in Deutschland durchgeführt und nicht in Griechenland, weil dort nicht die Gewähr für ein Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gegeben ist. Mit dieser Entscheidung sollte gleichzeitig den Griechen die Gelegenheit gegeben werden, ihr Asylsystem dem eigentlich in Europa üblichen Standard anzunähern. Wir als CDU/CSU haben gegenüber dem griechischen Botschafter erst vor kurzem deutlich gemacht, dass wir die Auffassung vertreten, dass Griechenland seine Anstrengungen insoweit noch erheblich verstärken muss. Wir kritisieren nachhaltig, dass der von der griechischen Seite der EU vorgelegte Aktionsplan für eine bessere Bewältigung des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen noch nicht einmal ansatzweise in die Tat umgesetzt wurde. Es ist unverantwortlich, dass Griechenland angesichts der großen Solidarität, die es gerade auch von Deutschland erfährt, seine gegenüber Brüssel gemachten Versprechungen nicht einhält. So kann Solidarität in Europa nicht funktionieren! Es ist auch ein Trugschluss der Griechen, wenn sie glauben, durch die Dublin-Verordnung in besonderer Weise benachteiligt zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl der Dublin-Mechanismus in Bezug auf Griechenland außer Kraft ist, reißt der Zustrom von Asylbewerbern, die über Griechenland in die EU kommen, nicht ab. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die Asylbewerber wollen in Wahrheit ja gar nicht nach Griechenland, sondern sie wollen in die wirtschaftlich starken und sozial leistungsfähigen Länder wie Deutschland, die Niederlande oder Dänemark. Die Schlepper und Schleuser wissen allerdings sehr genau, dass ein Asylbewerber, der nachweisen kann, über Griechenland in die EU gekommen zu sein, eben gerade nicht in dieses Land zurückgeschoben wird, sondern in seinem eigentlichen Zielland bleiben kann. Damit haben wir genau das „Asyl-Shopping“ erreicht, was wir mit der Dublin-Verordnung gerade vermeiden wollten. Für die Personen, die ansonsten nach Griechenland zurückkehren müssten, ist also gesorgt. Eine grundsätzliche Einführung einer aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Rücküberstellungen brauchen wir nicht. Denn das Instrument des Selbsteintrittsrechts trägt der jetzigen Situation ausreichend Rechnung. Eine solche Maßnahme wäre auch im höchsten Maße politisch gefährlich. Die Grünen legen mit dem Vehikel Griechenland in Wahrheit die Axt an ein Kernstück des von ihnen immer abgelehnten Asylkompromisses aus dem Jahre 1993, der damals zu einer deutlichen Reduzierung des Missbrauchs des Asylrechts geführt hat. Durch den Grundsatz, dass ein Drittstaatsangehöriger, der bereits in einem anderen Land vor Verfolgung sicher war, auch in diesem Staat sein Asylverfahren durchführen muss, ist es uns in Deutschland gelungen, den ungesteuerten Zustrom von Zuwanderern zu begrenzen. Durch das unmittelbare Recht auf Rückführung in den Nachbarstaat hat endlich das unsägliche „Durchwinken“ von Asylbewerbern aufgehört, das bei vielen Transitstaaten leider zu beobachten war. Nur durch den Dublin-Mechanismus hatten diese Länder in den letzten Jahren ein Eigeninteresse an einer effizienten Kontrolle ihrer Grenzen und einer zügigen Bearbeitung von Asylanträgen. Auch Griechenland ist grundsätzlich ein sicherer EU-Staat für Flüchtlinge. Mit dem Selbsteintrittsrecht und der Aussetzung von Rücküberstellungen wird ein Beitrag zur Konsolidierung und Entlastung der griechischen Asylbehörden geleistet. Griechenland muss jetzt handeln und nicht nur eine leistungsfähige Bürokratie für eine schnelle Bearbeitung der Asylanträge aufbauen, sondern muss auch für eine menschenwürdige Unterbringung der Asylsuchenden in der Zeit ihres Aufenthalts in Griechenland sorgen. Im Augenblick muss aber kein Drittstaatsangehöriger befürchten, den Unzulänglichkeiten des griechischen Asylsystems ausgesetzt zu sein. Im Übrigen sind die Verhältnisse in allen anderen EU-Staaten und der Schweiz so angemessen, dass die Gültigkeit der Dublin-II-Verordnung in diesen Fällen vollständig erhalten bleiben kann. Für den Antrag der Grünen gibt es wegen des Selbsteintritts Deutschlands kein Bedürfnis, und er ist wegen der Folgewirkung, einer faktischen Außerkraftsetzung des bewährten Asylkompromisses, sogar politisch gefährlich. Rüdiger Veit (SPD): Wenn ich jemals Zweifel an den Berichten über die katastrophale Lage der Flüchtlinge in Griechenland hatte, so sind diese spätestens seit der Delegationsreise des Deutschen Bundestages im September letzten Jahres, deren Mitglied ich war, an die türkisch-griechische Grenze der endgültigen Gewissheit gewichen, dass die Lage der Flüchtlinge dort einfach entsetzlich ist: Die Menschen hausen in winzig kleinen Zellen, auf verschmutzten Matratzen ohne Warmwasser und Heizung. Die sanitären Anlagen sind eine Zumutung: Abort und Dusche zugleich. Medizinische Versorgung fand nur dort statt, wo Mitglieder von „Ärzte ohne Grenzen“ diese notdürftig leisteten. Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf Griechenland zu zeigen. Dass Menschenrechte unteilbar sind, haben wir hier an dieser Stelle am 15. Dezember 2011 unmissverständlich und deutlich ausgesprochen und Griechenland dazu aufgefordert, die Situation der Flüchtlinge im eigenen Land umgehend zu verbessern. Wir wissen, Griechenland hat schwerste wirtschaftliche Probleme zu meistern. Es hat eine Landgrenze mit der Türkei und eine schwer kontrollierbare Seegrenze einschließlich Hunderter Inseln. Und es liegt an der EU-Außengrenze. So dient es jährlich 200 000 bis 300 000 Flüchtlingen als Eintrittstor nach Europa. Und dies mit der Maßgabe, dass es niemandem die Weitereise nach Europa erlauben darf: Griechenland ist ein sicherer Drittstaat im Sinne der Dublin-II-Verordnung. Statt Griechenland und die anderen Staaten an der EU-Außengrenze mit den Flüchtlingen allein zu lassen, müssen wir dringend für ein gerechtes Verteilungssystem sorgen, dass die Flüchtlinge nach Quoten auf die Mitgliedsländer verteilt. Es ist aber vor allem unsere Verantwortung, Überstellungen in ein Erstaufnahmeland gemäß Dublin II nicht vorzunehmen, wenn uns nicht verborgen geblieben sein konnte, dass systematische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem Erstaufnahmeland für den Asylbewerber tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Charta der Grund-rechte der Europäischen Union führen könnten. Dies stellt der Europäische Gerichtshof, EuGH, in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 deutlich und unmissverständlich klar. Damit bestätigte der EuGH die Richtung, die schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, zuvor vorgegeben hatte: vor der Rückführung muss es für einen Schutzsuchenden die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung mit auf-schiebender Wirkung geben. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Eilentscheidungen, in denen es die aufschiebende Wirkung eingelegter Rechtsmittel gegen Rückführungen nach Griechenland aufgrund einer „grundrechtskonformen Auslegung“ des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz bejaht hat, so gesehen. Ebenso urteilten verschiedene Verwaltungsgerichte quer durch die gesamte Republik. Die Forderung der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist die logische Konsequenz aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der deutschen Rechtsprechung, und es ist auch unsere Überzeugung. Ich empfehle, dem Antrag zuzustimmen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Nicht zuletzt aufgrund der Verhältnisse in Griechenland, des Urteils des EGMR und nun auch des EuGH sowie der Verfassungsgerichtsbeschlüsse zu Dublin II wegen muss über das europäische Asylsystem weiter beraten und nachgedacht und das auch bei den anstehenden Verhandlungen zum Ausdruck gebracht werden. Eine Nachjustierung erscheint erforderlich. In diesem Zusammenhang plakativ von „menschen- und europarechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts“ zu sprechen, wie die Antragsteller das zum widerholten Male tun, ist aber überzogen. Ob tatsächlich das von Regierungen vereinbarte Europarecht, wie die Grünen das mutig behaupten, das Verfassungsrecht, etwa des Parlamentarischen Rates in Deutschland, bricht, darüber hat Karlsruhe sich bislang nicht so eindeutig geäußert. Als Parlamentarier finde ich, dass Recht, das direkt aus einer demokratisch-parlamentarischen Willensbildung entsteht, grundsätzlich Vorrang vor intergouvernementalen Vereinbarungen haben sollte. Da ist der demokratische Einfluss mir denn doch zu indirekt. Insofern sind Reformen zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie auf europäischer Ebene geboten. Das Bundesministerium des Innern hat voriges Jahr alle Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung nach Griechenland ausgesetzt. Hier hat der Bundesinnenminister die volle Unterstützung der FDP-Bundestagsfraktion. Damit wird die schwierige Situation berücksichtigt, die in Griechenland für Asylbewerber besteht. Bereits im Jahr 2010 war nur ein kleiner Anteil von Personen überhaupt nach Griechenland überstellt worden; in den restlichen Fällen hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat als Reaktion auf die Aussetzung die Verfahren, die dort zur Geltendmachung einstweiligen Rechtsschutzes anhängig waren, eingestellt. Es ist über die Notwendigkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes also nicht entschieden worden. Man muss allerdings sagen, dass Deutschland angesichts der bisherigen Situation des Rechtsschutzes bei Dublin-II-Verfahren noch Nachholbedarf hat. Hieran arbeiten wir. Die Singularstellung in Europa ist nicht wirklich ruhmreich. Die Bundesregierung geht sehr verantwortungsvoll mit dem Rückführungsmechanismus um: Für ein Jahr sind nun Rückführungen ausgesetzt; bereits im vergangenen Jahr wurden nur 50 Personen nach Griechenland zurückgeschoben, beim Rest wurde vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Gleichzeitig können auch Staaten wie Griechenland nicht bevorzugt werden, wenn sie die Standards nicht einhalten: Der Druck muss aufrechterhalten bleiben. Konkrete Hilfe hat die Bundesregierung für die griechischen Behörden auch angeboten – hinsichtlich der menschenwürdigen und schnelleren Gestaltung der Asylverfahren und der Rahmenbedingungen hierzu ist dieses ebenso wie zur stärkeren Grenzsicherheit vonnöten. Die FDP wird in der Koalition mit der CDU/CSU die Asylpolitik weiterhin verantwortungsbewusst und sensibel entwickeln und die EU-Planungen konstruktiv begleiten. Der Schutz von Menschen in Not ist für uns ein hohes Gut. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir beraten heute einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in dem die Wiederherstellung des effektiven Rechtsschutzes in Asylverfahren gegen eine Zurücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gefordert wird. 2007 wurde bekanntlich die aufschiebende Wirkung solcher Rechtsmittel gesetzlich ausgeschlossen. Die Bundesregierung argumentiert, dass Gerichte ungeachtet dessen in vielen Fällen vorläufigen Schutz gewähren würden. In der Praxis erhalten Asylsuchende allerdings häufig erst kurz vor oder sogar während ihrer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat die Mitteilung über die anstehende Überstellung. Faktisch ist ihnen dann die Anrufung eines Gerichts gar nicht mehr möglich, wenn sie bereits auf der Gangway zum Flugzeug stehen. Diese massive Einschränkung des Rechtsschutzes in Überstellungsverfahren wurde von der Fraktion Die Linke im Bundestag schon immer scharf kritisiert. Die CDU/CSU verteidigt diese Regelung jedoch als Herzstück des Asylkompromisses von 1993. Von ihr wird immer wieder in schillernden Farben die drohende Flut von Asylsuchenden an die Wand gemalt. Das ist eine populistische Stimmungsmache, die wir klar zurückweisen. Die Bundesrepublik hat mit dem Dubliner Übereinkommen ihre sogenannte Drittstaatenregelung erfolgreich exportiert. Asylsuchende müssen in der EU dort ihr Asylverfahren betreiben, wo sie zuerst die EU betreten haben. Die Harmonisierung des Asylrechts hat bislang jedoch noch nicht dazu geführt, dass in allen EU-Staaten auch nur annähernd gleiche Standards in den Asylverfahren gelten und es eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden gibt, im Gegenteil. Beispiele gibt es zuhauf. In Griechenland und Italien herrschen zum Teil unmenschliche Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen, viele Schutzsuchende und selbst anerkannte Flüchtlinge leben auf der Straße. Asylanträge werden pauschal abgelehnt oder gar nicht erst angenommen. Auch in Ungarn wächst die Kritik an den Zuständen im Asylsystem, so haben beispielsweise Asylsuchende aus Syrien keine Chance auf Anerkennung – selbst wenn sie aus der Armee desertiert sind und ihnen bei der Rückkehr sogar die Todesstrafe droht. Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof im Dezember eine wichtige und bahnbrechende Entscheidung getroffen. Die EU-Staaten dürfen nach dieser Entscheidung nicht mehr pauschal davon ausgehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten die Grundrechte von Asylsuchenden achten. Ein Asylbewerber dürfe nicht in einen anderen EU-Staat überstellt werden, wenn ihm dort unmenschliche Behandlung droht. Der Europäische Gerichtshof schließt sich damit einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an, der Belgien wegen der Überstellung eines irakischen Asylsuchenden nach Griechenland verurteilt hatte. Bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte den ungenügenden Rechtsschutz in solchen Überstellungsverfahren kritisiert. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist der viel beschworene Asylkompromiss bereits obsolet. Die unwiderlegliche Annahme „sicherer Staaten“ und der Ausschluss effektiven Rechtsschutzes ist mit EU-Recht unvereinbar – Punktum. Eine Änderung des deutschen Asylverfahrensrechts ist nach der Entscheidung des EuGH mehr als überfällig. Die Bundesregierung hat aber bislang immer noch nicht erklärt, wie sie mit diesem Urteil umgehen will. Ich weise darauf hin, dass die Urteile des EuGH bindendes Recht in allen Staaten sind. Auch jetzt schon müssen also die Behörden prüfen, ob bei einem Dublin-Fall die Gefahr besteht, dass die Grundrechte eines Betroffenen bei einer Rücküberstellung verletzt werden. Diese Überprüfung muss auch durch Gerichte durchgeführt werden können, und dafür muss der Ausschluss von vorläufigem Rechtsschutz in Dublin-Verfahren gesetzlich wieder in vollem Umfang hergestellt werden. Die Linke schließt sich in diesem Sinne der Forderung der Grünenfraktion an, die Bundesregierung zur Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes aufzufordern. Die Bundesregierung muss aber auch darüber hinaus aktiv werden. In den Verhandlungen über die Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie der EU muss ebenfalls ein Rechtsschutz für Asylbewerber in Dublin-Verfahren verankert werden. Darüber hinaus muss das ganze Asylsystem der EU grundsätzlich neu geordnet werden, um das Hin- und Herschieben von Schutzsuchenden zu beenden und allen Asylbewerbern in der EU ein faires Asylverfahren und eine menschenwürdige Aufnahme zu garantieren. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im vorliegenden Antrag geht es zum einen um eine dringend notwendige Verbesserung des Rechtsschutzes für Flüchtlinge und zum anderen um eine zukünftig stärkere Verpflichtung der Bundesrepublik zur Würdigung des Einzelschicksals eines jeden Flüchtlings, woran die Bundesregierung peinlicherweise erst durch europäische Gerichte erinnert werden musste. In einem Urteil vom 21. Dezember 2011 in den verbundenen Rechtssachen C-411/10 und C-493/10 hat der Gerichtshof der Europäischen Union unmissverständlich klargestellt, dass ein Asylbewerber nicht in einen Mitgliedstaat überstellt werden darf, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden. Der EuGH hat ferner entschieden: Das Unionsrecht lässt keine unwiderlegbare Vermutung zu, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Asylbewerber beachten. Der Gerichtshof stellte fest, eine Anwendung der Dublin-II-Verordnung (EG 343/2003) auf der Grundlage einer unwiderlegbaren Vermutung, dass die Grundrechte des Asyl-bewerbers im zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, ist mit der Pflicht der Mitgliedstaaten zur grundrechtskonformen Auslegung und Anwendung der Verordnung unvereinbar. Zuvor hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Grundsatzentscheidung vom 21. Januar 2011 im Verfahren M.S.S. (Beschwerde-Nr. 3096/09) aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Verpflichtung der Vertragsstaaten abgeleitet, vor einer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Einhaltung der aus Art. 3 EMRK folgenden Verpflichtungen durch den zuständigen Mitgliedstaat zu prüfen. Art. 13 EMRK – in Verbindung mit Art. 3 EMRK – sei dann verletzt, wenn es vor einer Überstellung für den Betroffenen keine Möglichkeit gibt, gegen die Entscheidung, ihn in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, wirksame Rechtsmittel einzulegen. Schon die Entscheidung des EGMR hat unmittelbare und weitreichende Folgen für den Rechtsschutz im Asylverfahren in Deutschland. Denn die deutsche Regelung, wonach die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen eine Dublin-Überstellung ausgeschlossen ist, ist mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Das bedeutet im Klartext: Ein automatische Rücküberstellung eines Asylbewerbers, ohne dass sich ein Gericht mit den Verhältnissen in dem anderen Mitgliedsland befasst, ist nicht im Einklang mit EU-Recht. Der deutsche Gesetzgeber muss nunmehr endlich den Weg frei machen und durch eine Gesetzesänderung gewährleisten, dass Schutzsuchenden ein effektiver Rechtsschutz gegen eine Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat gewährt wird. Um auch dies klarzustellen: die Entscheidung des EuGH bezieht sich auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur auf Griechenland. Wenn nun also die Bundesregierung, wie gestern im Innenausschuss vorgetragen, sich in ihrer Haltung bestätigt fühlt, weil sie keine Asylbewerber mehr im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens nach Griechenland zurücküberstellt, dann ist dies viel zu kurz gegriffen, was die Dimension der Entscheidung des EuGH angeht. Es geht also auch um systemische Missstände in den Asylverfahren und der Anerkennungspraxis anderer EU-Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Ungarn, wo ein diktatorischer Folterstaat wie Syrien als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft ist – unfassbar! –, oder Bulgarien, wo Asylsuchende unter unwürdigen Bedingungen inhaftiert werden, bloß weil sie einen Asylantrag stellen wollen. Für den deutschen Gesetzgeber ergibt sich aus den Urteilen des EuGH und des EGMR ein klarer Auftrag: § 34 a des Asylverfahrensgesetzes ist zu streichen. Nach diesem Paragrafen ist in Deutschland bis heute per Gesetz der einstweilige Rechtsschutz bei sogenannten Dublin-Überstellungen untersagt. Dieser unionsrechtswidrige Zustand muss mit dem EuGH-Urteil nun beendet werden. Seit den mit dem 1. EU-Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführten Änderungen wurde über § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz der einstweilige Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung generell ausgeschlossen. Vom Ausland aus kann ein effektiver Rechtsschutz vor deutschen Verwaltungsgerichten aber nicht greifen. Ein Rechtsbehelf ist nur dann wirksam, wenn irreparable Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme vor deren gerichtlicher Überprüfung eintreten können, so weit wie möglich ausgeschlossen werden können. Die große Mehrheit der Verwaltungsgerichte setzt sich zwar seit einiger Zeit in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, BAMF, über den Wortlaut des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz hinweg. Zur Begründung wird von den Gerichten ausgeführt, die Bestimmung des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung nicht generell verbiete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Entscheidung M.S.S. gegen Belgien und Griechenland festgestellt, dass ein Schutzsuchender in jedem Fall vor einer Rückführung in einen anderen EU-Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven rechtlichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben muss. Eine solche Möglichkeit gibt es aber nach geltendem deutschen Recht nicht. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte daher am 23. Februar 2011 auf Drucksache 17/4886 einen Antrag eingebracht, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die deutsche Rechtslage den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention anzupassen. Dieser Antrag wurde bedauerlicherweise von den Koalitionsfraktionen abgelehnt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat nunmehr die vom EGMR vorgegebene Richtung bestätigt. Er hat entschieden, Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sei dahingehend auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliege, einen Asylbewerber nicht an einen Mitgliedstaat zu überstellen, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden. Eine unwiderlegbare Vermutung – wie sie auch im deutschen Recht enthalten ist –, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Asylbewerber beachten, verwirft der EuGH ausdrücklich. Somit ist jeder vertretbaren Behauptung eines von der Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat betroffenen Asylsuchenden, dort bestehe für ihn eine konkrete Gefahr, einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt zu werden, in einem summarischen Eilrechtsschutzverfahren nachzugehen. Das Unionsrecht enthält für alle Mitgliedstaaten verbindliche Normen und Handlungsanweisungen, welche entgegenstehendes nationales Recht – einschließlich des Verfassungsrechts – verdrängt. Nach der Klarstellung durch den EuGH, dass das Unionsrecht keine unwiderlegliche Vermutung der Sicherheit der Mitgliedstaaten kennt, dürfen § 27 a und § 34 a Asylverfahrensgesetz nicht mehr angewandt werden. Es erscheint daher dringend geboten, die menschen- und europarechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts aufzuheben und im deutschen Recht effektiven Rechtsschutz gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention und unionsrechtlichen Vorgaben festzuschreiben. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Peter Wichtel (CDU/CSU): Nachdem wir in der letzten Sitzungswoche vor dem Jahreswechsel den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in erster Lesung beraten haben, kommen wir heute nach der Aussprache im federführenden Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur zweiten und dritten Lesung sowie zur Abstimmung über das Vierzehnte Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes wieder zusammen. Auch mehrere Wochen nach der ersten Debatte im Plenum bin ich noch immer davon überzeugt, dass der Entwurf die nachhaltige und verantwortungsbewusste Luftverkehrspolitik der Bundesregierung in besonderem Maße widerspiegelt, da die Interessen aller Akteure im Feld der Luftfahrt – seien es Passagiere, Beschäftigte, die Unternehmen der Luftverkehrswirtschaft oder auch Privatpersonen, die in der Sportluftfahrt engagiert sind – Berücksichtigung finden. Ich will zudem vorwegnehmen, dass die hauptsächliche Zielsetzung des vorliegenden Entwurfes – die Anpassung der bisher in der Bundesrepublik geltenden nationalen Regelung bezüglich der Flughafenentgelte und deren Festsetzung an die Vorgabe der EU-Richtlinie 2009/2012/EG aus dem März 2009 – vollends erfüllt wurde. Die Bundesregierung hat die überaus komplexe Aufgabe der seitens der EU geforderten Umsetzung der Flughafenentgeltrichtlinie in deutsches Recht überaus angemessen gelöst. Auch wenn sich mit den Flughafenbetreibern und den Luftverkehrsunternehmen als Flughafennutzer bezüglich der Berechnung der Flughafenentgelte zwei starke unabhängige Parteien mit jeweils eigenen wirtschaftlichen Interessen gegenüberstehen, ist es gelungen, die Interessen beider Partner sorgfältig und ausbalanciert zu berücksichtigen. Dank der inhaltlich stimmigen Ausarbeitung des Gesetzentwurfes waren auch in den weiteren parlamentarischen Beratungen keine maßgeblichen Änderungen mehr notwendig. Das vorliegende Luftverkehrsänderungsgesetz beinhaltet bereits eine angemessene und nachvollziehbare Regelung bezüglich der Entgelte und deren Festsetzung. Es verankert die allgemeinen Grundsätze der Entgelterhebung wie Transparenz und Diskriminierungsfreiheit und gewährt Flughäfen mit mehr als 5 Millionen jährlichen Fluggastbewegungen zudem einige Sonderbestimmungen. So wird beispielsweise die Durchführung eines obligatorischen Konsultationsverfahrens zwischen Flughafenunternehmern und -nutzern eingeführt. Zudem werden die für die bezüglich der Genehmigung der Entgeltordnung zuständigen Landesbehörden verpflichtet, zu prüfen, ob eine Orientierung an einer effizienten Leistungserstellung erkennbar ist. Weiterhin gilt es auch heute erneut hervorzuheben, dass sich die Bundesregierung bei der Umsetzung der Richtlinie weitestgehend an den Vorgaben aus Brüssel orientiert hat und nicht über die Anforderungen der EU-Richtlinie hinausgegangen ist. So ist gewährleistet, dass kein unnötiger bürokratischer Aufwand etabliert wird. Ursprüngliche Überlegungen wie die Einführung einer zentralen Regulierungsbehörde, der Verzicht auf die Wahlfreiheit des Geschäftsmodells oder die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf kleinere Flughäfen und Flugplätze mit weniger als fünf Millionen Fluggastbewegungen jährlich wären deutlich über die eigentlichen Anforderungen der EU-Richtlinie hinausgegangen und einer angemessenen und ausbalancierten Umsetzung der Flughafenentgelte sicher nicht dienlich gewesen. Die wenigen Änderungen, welche die Koalitionsfraktionen in der Aussprache noch angeregt haben, sind hauptsächlich redaktionellen Charakters. Einzig die Korrektur bezüglich der Antragsfrist für die Genehmigung der Entgeltordnung will ich an dieser Stelle hervorheben. Das Vorziehen der ursprünglich geplanten Frist von vier auf bis spätestens fünf Monate vor dem Inkrafttreten der beabsichtigten Entgeltordnung soll den notwendigen Zeitraum der Genehmigungsbehörde für die Durchführung des erforderlichen Verfahrens erweitern. Darüber hinaus gilt es, auch die Thematik der unbemannten Luftfahrtsysteme, UAS, gesondert zu erwähnen. Da beim Betrieb von mit Kameras bestückten UAS datenschutzrechtliche Aspekte berührt sein können, haben wir auf Empfehlung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationssicherheit Peter Schaar sichergestellt, dass eine Erlaubnis nur erteilt werden darf, wenn im Fall des Aufstiegs von UAS nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 LuftVO das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzt wird. Auch wenn die Erlaubniserteilung bereits nach geltendem Recht gemäß § 16 Abs. 4 Satz LuftVO nur möglich ist, wenn die beabsichtigte Nutzung nicht zu einer Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs oder die öffentliche Ordnung führen kann, sorgt diese Ergänzung für eine Klarstellung und Rechtssicherheit. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass wir uns in der parlamentarischen Beratung verantwortungsbewusst und ergebnisoffen mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auseinandergesetzt und dabei einige kleinere Korrekturen angeregt haben. So konnten wir den angemessenen und ausbalancierten Entwurf des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes noch weiter verbessern, was auch im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit geschlossener, fraktionsübergreifender Zustimmung zum Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP gewürdigt wurde. Nicht nur vor diesem Hintergrund werden wir auch heute in der abschließenden Beratung dem Gesetzentwurf gemeinsam mit den eingebrachten Änderungen der Koalitionsfraktionen ausdrücklich zustimmen. Daniela Ludwig (CDU/CSU): Nachdem kurz vor Weihnachten das Gesetz in den Bundestag eingebracht wurde, sind wir heute hier, um es zu verabschieden. Die 14. Änderung des Luftverkehrsgesetzes bringt einiges an Neuem mit. In den Fachausschüssen wurde daran gearbeitet, und wir sind froh und zufrieden, Ihnen heute ein Gesetz zur Abstimmung geben zu können, das aus unserer Sicht abgerundet und ausgewogen ist, um jetzt umgesetzt werden zu können. Zusammen mit dem Änderungsantrag – da waren wir uns im Ausschuss weit-gehend einig – kann man diesem Gesetz guten Gewissens zustimmen. Viel mussten wir nicht mehr ändern, denn der Entwurf, den uns die Bundesregierung vorgelegt hatte, war schon sehr gut ausgearbeitet. Zudem kommen wir heute unserer Verpflichtung nach, die Richtlinie 2009/2012/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 über Flughafenentgelte nun endlich umzusetzen. Das wurde auch Zeit, wir sind spät dran. Es herrscht Einhelligkeit, was die Lösung des Hauptanliegens betrifft, nämlich die Einigung bei den Flughafenentgelten. Ein sehr positiver Dialog zwischen den Beteiligten im Luftverkehr über die angemessene Aus-gestaltung nun auch in Deutschland wird jetzt beendet. Alle beteiligten Akteure, die Flughafengesellschaften, die deutsche Luftverkehrsindustrie und die Airlines sehen ihre Interessen ausreichend berücksichtigt und sind mit der vorliegenden Lösung zufrieden. Dann können auch wir zufrieden sein. Für Flughäfen mit jährlich mehr als 5 Millionen Fluggastbewegungen werden nun für die Nutzung der Einrichtungen und Dienstleistungen, die ausschließlich von Flughafenbetreibern bereitgestellt werden und mit Landung, Start, Beleuchtung und Abstellen von Flugfahrzeugen sowie mit der Abfertigung von Fluggästen und Fracht in Zusammenhang stehen, Entgelte erhoben, die zudem eine Differenzierung nach Lärmschutzgesichtspunkten und nach Schadstoffemissionen vorsehen. So weit, so gut. Weil aber die Bundesregierung in diesem Gesetz auch noch einige andere Punkte regelt, hat es doch zu kleineren Diskussionen geführt, die sich auch in der Presse wiederfanden. Dabei geht es zum Beispiel um die von mir schon in der ersten Lesung erwähnten unbemannten zivilen Luftfahrzeugsysteme, die jetzt als eine neue Kategorie von Luftfahrzeugen eingeführt werden. Dabei darf man aber nicht denken, dass es diese vorher noch nicht gegeben hätte. Im Gegenteil. Es gibt auch schon jetzt unbemannte Luftfahrzeugsysteme, die nach einer entsprechenden Prüfung und Genehmigung starten dürfen und ihre Aufgaben erledigen. Mit der aktuellen Regelung werden sie nun als Fahrzeug eingeführt und erhalten somit eine viel besser zu kontrollierende Stellung in unserem Luftraum. Uns geht es da in erster Linie um die technischen Voraussetzungen und nicht um die Zwecke, zu denen sie eingesetzt werden. Daher sieht das Gesetz auch vor, dass die Zulassung dieser Geräte in einem gestuften Verfahren erfolgen soll. Die nähere Spezifikation und die Festlegung der erforderlichen technischen Parameter sollen dann in einem zweiten Schritt der Verwaltung überlassen werden. Zudem wird die Bundesregierung auch zeitnah die Kleine Anfrage der Fraktion der Grünen beantworten und in einem Bericht darüber Auskunft geben, mit welchen Zahlen von Zulassungen wir wohl zu rechnen haben. Man darf nicht vergessen, dass die Bundesländer ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle einnehmen. Dann wird das Argument der Datensicherheit und des Datenschutzes herangezogen. Der Datenschutzbeauftragte hat dazu Stellung genommen. Dies wurde zwar im ursprünglichen Gesetzentwurf schon thematisiert, aber mit dem nun vorliegenden Änderungsantrag wird es noch einmal konkretisiert. Die vorgenommene Ergänzung von § 16 Abs. 4 Satz 1 LuftVO soll sicherstellen, dass eine Erlaubnis für diese Flugobjekte nur dann erteilt werden darf, wenn im Fall des Aufstiegs nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 die Vorschriften betreffend den Datenschutz nicht verletzt werden. Das klingt eigentlich nicht so kompliziert, und ich bin sehr zuversichtlich, dass in der Umsetzung auch die datenschutztechnische Seite bei der Nutzung dieser Flugkörper und ihrer sicherlich auch sehr nützlichen Arbeit eingehalten werden können. Gleiches gilt ja bereits für andere Luftfahrzeuge wie Hubschrauber, aus dem ebenfalls Foto- oder Filmaufnahmen gemacht werden können. Ich weiß auch gar nicht, warum Sie sich so gegen diese Einsätze wehren. Schon in meiner ersten Rede zu diesem Thema bin ich kurz darauf eingegangen: Es gibt so viele Tätigkeitsfelder, in denen solche unbemannten Flugkörper wunderbar eingesetzt werden können, um Menschen das Leben und Arbeiten zu erleichtern. Unsere Forscher, Landvermesser, Geologen würden sicher einiges an Zeit und Aufwand einsparen, könnten sie ihre Daten auf diese Weise erlangen. Doch die Einsatzfelder sind eigentlich nicht unser Thema. Auch der Datenschutz ist Sache des Innenausschusses. Wir kümmern uns hier um die verkehrstechnische Seite. Ich sage an dieser Stelle: Ich persönlich habe keine Einwände dagegen, wenn diese Objekte zur Überwachung von Gefahrensituationen verwandt werden. Dazu zählt für mich durchaus auch der Nutzen durch die Polizei in entsprechenden Situationen. Doch natürlich – ich rechne hier mit Ihrem Einspruch – muss bei solchen Einsätzen der Datenschutz gewahrt werden. Das traue ich unseren Behörden durchaus zu. Kirsten Lühmann (SPD): Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur 14. Änderung des Luftverkehrsgesetzes vorgelegt. Diesen Entwurf behandeln wir heute abschließend in zweiter und dritter Lesung. Hintergrund dieses Gesetzentwurfs ist die Umsetzung der EU-Richtlinie 2009/2012/EG in deutsches Recht. Die Richtlinie ist am 15. März 2009 in Kraft getreten. Mit dieser Richtlinie verpflichtet Europa die Mitgliedstaaten auf gemeinsame Regeln zur Festlegung von Flughafenentgelten. Flughafenentgelte sind Entgelte, die Flughafenbetreiber für das Starten und Landen, das Abstellen von Luftfahrzeugen sowie für die Abfertigung von Fluggästen und die Benutzung von Fluggasteinrichtungen erheben. Mit Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs werden Entgelte nun auf Flughäfen mit jährlich mehr als 5 Millionen Fluggastbewegungen nach klaren gemeinsame Kriterien festgelegt, und kein Anbieter kann mehr dis-kriminiert werden. Es wird EU-weit gemeinsame Standards zum zeitlichen Ablauf, Inhalt und Umfang der Konsultationen zwischen Flughäfen und Fluggesellschaften zu den Entgelten geben sowie Regelungen zum weiteren Verfahren für den Fall, dass es in den Konsultationen zu keiner Einigung über die Höhe der Entgelte gekommen ist. Während des vorangegangenen parlamentarischen Verfahrens haben wir den vorliegenden Gesetzentwurf geprüft und gemeinsam im federführenden Verkehrsausschuss diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion ist zu dem Ergebnis gekommen: Wir begrüßen die Umsetzung der Richtlinie bezüglich der Flughafenentgelte ausdrücklich. Sie ist sinnvoll und wird von uns mitgetragen. Wir wissen, dass die Verhandlungen im Vorfeld des Gesetzentwurfs sehr schwierig waren, da der Flughafenmarkt hart umkämpft ist. Den mittelständischen Flughafenunternehmen auf der Angebotsseite stehen maßgeblich zwei große Luftverkehrsunternehmen in Deutsch-land auf der Nachfrageseite gegenüber. Mit dem Gesetzentwurf ist es der Bundesregierung jedoch gelungen, die Interessen beider Seiten sorgfältig und ausgewogen im Rahmen der EU-Richtlinie aufeinander abzustimmen. Die Bundesregierung hat sich weitestgehend an den Vorgaben aus Brüssel orientiert und ist nicht über die Anforderungen der EU-Richtlinie hinausgegangen. Die im Entwurf festgelegte Differenzierung der Entgelte nach Lärmschutz- und emissionsabhängigen Kriterien begrüßen wir. Damit wird es in Zukunft einen finanziellen Anreiz geben, statt lauten, klimaschädlichen Flugzeugen leise, emissionsarme Flugzeuge einzusetzen. Bundeseinheitliche Kriterien für die Einführung lärmabhängiger Start- und Landegebühren – wie es etwa die Fraktion der Grünen gefordert hat – finden wir nicht erforderlich. Wir wollen keine weitere Regulierung. Es bedarf maßgeschneiderter Lösungen, die auf den jeweiligen Flughafen zugeschnitten sind. Wir fordern jedoch, die Erfahrungen mit den vorgesehenen Regelungen zur Einbeziehung ökologischer Kriterien nach einem Jahr zu evaluieren. Außerdem sollen mit diesem Gesetzentwurf die Verbraucherschutzbestimmungen aus der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten der Gemeinschaft umgesetzt werden. Mit dieser neuen Regel soll der Preisdschungel im Luftverkehr gelichtet werden: Das war notwendig und wird in Zukunft transparenter geregelt werden. Alle Kunden sollen wissen, wie sich ihr Preis zusammenstellt, kostenpflichtige Zusatzleistungen müssen als solche kenntlich gemacht werden. Das Angebot muss für alle in gleicher Weise zugänglich und vergleichbar sein, sowohl für Online-kunden als auch für Kunden, die ihren Flug im Reisebüro buchen. Zudem sollen unbemenschte Luftfahrtsysteme als eigene Kategorie von Luftfahrzeugen und nicht mehr unter dem Sammelbegriff „andere Luftfahrzeuge“ berücksichtigt werden. In dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Luftverkehrsgesetz geht es damit lediglich um die Zulassung von unbemenschten Luftfahrtsystemen unter verkehrsrechtlichen Gesichtspunkten, nicht um die Frage der möglichen Einsatzzwecke. Mögliche Einsatzzwecke von Drohnen werfen zweifelsfrei erhebliche datenschutzrechtliche Probleme auf. Diese sind allerdings in den einschlägigen Spezialgesetzen zu lösen. Wir sind der Ansicht, dass den Bedenken des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hinsichtlich dieser Regelung mit dem Änderungsantrags der Bundesregierung ausreichend Rechnung getragen werden. Den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke lehnen wir ab. Wir begrüßen außerdem die Zusage der Bundesregierung, bis Ostern einen Bericht zu den aktuellen Zahlen und Verwendungszwecken unbemenschter Flugkörper zur Verfügung zu stellen. Mit diesen Angaben kann der zuständige Innenausschuss über datenschutzrechtliche Aspekte beraten. Bei der Erteilung von Einzelfluggenehmigungen müssen schon heute datenschutzrechtliche Bestimmungen eingehalten werden. In der jetzigen Praxis werden Drohnen auch als kostengünstige Variante zum Schutz von Menschen und wichtigen Sachgütern eingesetzt wie zum Beispiel in der Brandbekämpfung. Den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, jeglichen Einsatz von Drohnen sofort zu verbieten, halten wir daher für nicht sachgerecht. Wir unterstützen den geänderten Entwurf der Bundesregierung zur 14. Änderung des Luftverkehrsgesetzes. Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Änderung des Luftverkehrsgesetzes ist notwendig, weil die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden muss. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Aber es soll eine weitere Änderung ins Gesetz geschrieben werden, die nicht zwingend heute beschlossen werden muss. Drohnen, im Gesetzestext beschönigend Unmanned Aircraft Systems, UAS, genannt, sollen nun Teil des regulären Flugverkehrs werden. Drohnen sind nicht Teil der Flughafenentgelte-Richtlinie, und die gesetzliche Regelung ist ausdrücklich gedacht als Erweiterung der Möglichkeit, Drohnen zu testen und die (Markt-)Entwicklung zu fördern. Die notwendige öffentliche Debatte zu Drohnen hat bisher nicht stattgefunden. Wir haben große Sorge, dass die Überwachung durch Behörden mit Drohnen zukünftig noch leichter wird. Davor schützt auch die Änderung zur Frage Datenschutz nicht, die auf Intervention des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar aufgenommen worden ist. Ist das Luftverkehrsgesetz geändert, sind weitere Regelungen per Verordnung oder in Landespolizeigesetzen möglich, ohne dass der Bundestag beteiligt wird. Wir wollen über die Einführung von Drohnen ins Luftverkehrsgesetz erst dann entscheiden, wenn die Bundesregierung dem Verkehrs- und Innenausschuss den angekündigten Bericht geliefert hat. Wir kaufen keine Katze im Sack. Mit diesem Gesetzentwurf sollen drei wesentliche Neuregelungen vorgenommen werden: Geregelt wird die Festlegung von Flughafenentgelten, also den Gebühren vor allem für die Starts und Landungen von Flugzeugen. Die Regelungen zur Umsetzung dieses Teils der Richtlinie scheinen recht klar und unproblematisch zu sein. Dann soll die Möglichkeit eingeführt werden, Airlines aus bestimmten Drittstaaten die Einfluggenehmigung zu entziehen, wenn diese gegen die Vorgaben der EU zur Terrorvorsorge verstoßen. Wir sind zwar gegen solche Listen, wollen das Fass aber an dieser Stelle nicht aufmachen. Stattdessen will ich auf den wichtigsten Punkt in diesem Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes hinweisen, der dort eigentlich gar nicht zwingend geregelt werden muss: Die Regelung zu Drohnen bis 150 Kilogramm. Derzeit gibt es keine klaren technischen Anforderungen an diese Systeme. Dafür soll nun die gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Einsätze von Drohnen bedürfen bislang und auch zukünftig einer Genehmigung. Das Problem ist, dass der Bundestag mit der Entscheidung heute die Katze im Sack kaufen würde, alle weiteren Regelungen per Verordnung auf dem Verordnungswege oder in Landespolizeigesetzen getroffen werden. Eingesetzt werden Drohnen bereits zur Überwachung bei Demonstrationen; auch bei den Olympischen Spielen in London ist das geplant. Wegen der Unklarheiten zur Frage der Drohnen gab es ein Gespräch mit Verkehrs- und Innenpolitikerinnen und -politikern in Anwesenheit von Vertretern des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Erreicht wurde dabei letztlich, dass das Ministerium den Änderungsvorschlag des Bundesdatenschutzbeauftragten ins Gesetz aufgenommen hat. Damit wird deutlich gemacht, dass der Datenschutz explizit berücksichtigt werden muss. Dem stimmen wir zu. Das reicht uns dennoch nicht aus, weil wir große Sorgen haben, dass die Überwachung mit Drohnen, so wie es der Gesetzentwurf ja auch anspricht, zur Strafverfolgung und zu Kontrollzwecken zukünftig noch leichter wird. Diesbezüglich wird auf die Landespolizeigesetze verwiesen. Das ist zutreffend; aber wie man am Beispiel der Funkzellenüberwachung in Dresden sieht, ist dem Vollzug Tür und Tor geöffnet. Deswegen wollen wir mit unserem Änderungsantrag in diesem Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt alle Bestimmungen zum Thema Drohnen streichen. Die Regierung soll die Aufnahme von Drohnen zu einem späteren Zeitpunkt erneut vorlegen, wenn die vielen Unklarheiten, die vom Ministerium in der Gesetzesbegründung selber angeführt werden, beseitigt sind. Zwar werden schon heute Drohnen eingesetzt – und dies ohne klare technische Vorgaben. Dieser Missstand rechtfertigt angesichts der derzeit und noch auf Jahre hinaus absehbar geringen Anzahl eingesetzter Drohnen nicht die jetzige grundsätzliche Einführung ins Gesetz. Für das von der Bundesregierung vorgesehene Zweistufenmodell mit gesetzlicher Grundlage sofort und Detailregelung in ein paar Jahren gibt es keine Notwendigkeit. Vielmehr ist die Bundesregierung aufgefordert, zunächst die offenen Fragen zu klären und die Einführung von Drohnen ins Luftverkehrsgesetz gesondert vorzulegen. Die Erforschung von Drohneneinsätzen ist aber seit langem insbesondere ein Bestandteil der deutschen Sicherheitsforschungsprogramme. Dabei ist es unendlich schwierig, die realen Ausgaben und Projekte festzustellen. Es handelt sich jedoch um zig Millionen für verschiedene Programme und Projekte. Der Markt der Sicherheitstechnologien und der Sicherheitsforschung ist seit vielen Jahren für die Bundesregierungen der Wachstumsmarkt. Sein Umfang wird auf viele Milliarden Euro geschätzt, und die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, eine führende Rolle in Europa zu erlangen bzw. zu erhalten. Dabei werden in den Programmen systematisch die Grenzen zwischen polizeilichen, militärischen und katastrophenschützerischen Projekten verwischt, denn die erforschten Techniken und Instrumente sind klassisch mehrfachnutzbare Techniken. Wir haben große Sorge, dass die Überwachung durch die Behörden mit Drohnen zukünftig noch leichter wird. Wir fordern noch einmal dazu auf, unserer Forderung nach einer Änderung des Gesetzentwurfs nachzukommen. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute abschließend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur vierzehnten Änderung des Luftverkehrsgesetzes, der sich auf Flughäfen mit jährlich mehr als 5 Millionen Flugbewegungen bezieht. Damit kommen wir unserer schon seit längerem ausstehenden Verpflichtung nach, die EU-Entgeltrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen begrüßt, dass mit diesem Gesetzentwurf nach einem langwierigen Diskussionsprozess zwischen den Flughafenbetreibern und den Fluggesellschaften ein tragfähiger Kompromiss für die Erhebung von Flughafenentgelten gefunden wurde. Allerdings gibt es aus unserer Sicht insbesondere bei der lange angemahnten Einführung lärm- und emissionsabhängiger Start- und Landegebühren noch Nachbesserungsbedarf. Denn der Gesetzentwurf schreibt zwar die Einführung differenzierter Entgelte zwingend vor, legt aber weder einen Maßstab dafür fest noch konkrete Lärm- und Schadstoffminderungsziele, die damit erreicht werden sollen. Somit bleibt es dem Ermessen der jeweiligen Flughäfen überlassen, welche Differenzierung der Lärm- und Schadstoffkategorien sie vornehmen und ob beispielsweise besonders laute Maschinen mit hohem Schadstoffausstoß wirklich empfindlich höhere Gebühren entrichten müssen und somit die angestrebte Lenkungswirkung erreicht wird. Um zu überprüfen, ob die mit dem aktuellen Gesetzentwurf verabschiedeten Vorgaben ausreichen, haben wir uns gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion im Verkehrsausschuss des Bundestages dafür eingesetzt, dass die Bundesregierung in etwa einem Jahr eine Evaluation der Entgeltrichtlinie vornimmt. Damit soll die Wirksamkeit der jetzigen Gesetzesvorgaben überprüft werden. Neben der Umsetzung der EU-Entgeltrichtlinie umfasst der Gesetzentwurf der Koalition auch die Aufnahme einer neuen Luftfahrzeugkategorie in den Regelungsrahmen des Luftverkehrsgesetzes. Diese betrifft die sogenannten unbemannten Flugsysteme, die besser bekannt sind als Drohnen. Drohnen stellen potenziell eine erhebliche Gefährdung des Datenschutzes der Bürgerinnen und Bürger dar. Denn sie sind in der Lage, zu filmen und Daten zu erheben und dies zumeist völlig unbemerkt, oft sogar aus nächster Nähe und mit völlig neuen Einblicksmöglichkeiten. Deshalb haben wir uns mit aller Deutlichkeit dafür eingesetzt, dass die Erlaubniserteilung nach der Luftverkehrs-Ordnung, LuftVO, bei Drohnen explizit auch die Prüfung der Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung beinhaltet. Damit wurde der Forderung des Bundesdatenschutzbeauftragten entsprochen. Dies bedeutet einen ersten wichtigen Schritt in Sachen präventiver Datenschutz. Die Aufnahme von Drohnen als Luftverkehrsfahrzeuge in das Luftverkehrsgesetz bereits zum jetzigen Zeitpunkt erscheint uns angesichts der offenbar nach wie vor bestehenden technischen Herausforderungen bei der Gewährleistung vergleichbarer Sicherheit fragwürdig. Zudem bestehen zahlreiche noch offene tatsächliche Fragen hinsichtlich Technik, Verbreitung, Ausrüstung, Flughöhen und Einsatzgebieten, die für die Bewertung der Datenschutzrisiken maßgeblich sind. Deshalb können wir das Anliegen der Bundesregierung, die Entwicklung der Drohnen „dynamisieren“ zu wollen, mangels Informationen nur begrenzt nachvollziehen. Ein besonderer Eilbedarf ist aus unserer Sicht ebenfalls nicht zu erkennen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Bundesregierung die Chance versäumt hat, mit der aktuellen Luftverkehrsnovelle endlich wirksame gesetzliche Regelungen zum besseren Schutz für die vom Fluglärm Betroffenen zu schaffen. Weder wird der rechtliche Anspruch auf aktiven Schallschutz im Luftverkehrsgesetz geregelt, noch wird die Deutsche Flugsicherung dazu verpflichtet, bei der Erarbeitung von An- und Abflugverfahren dem Lärmschutz der Bevölkerung Vorrang vor den betriebswirtschaftlichen Interessen der Luftfahrtbranche zu geben. Und auch verbindliche Lärmgrenzwerte werden wieder nicht festgelegt. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Auch, wenn man in den letzten Wochen den Eindruck bekommen konnte, es gehe hier um die Zulassung von unbemannten Luftfahrzeugen, sogenannten Drohnen, ist festzustellen: Ein zentraler Bestandteil des vorliegenden 14. ÄndLuftVG ist die Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Flughafenentgelten vom März 2009. Kurzer Exkurs: Eine Zulassung sogenannter Drohnen findet hier nicht statt. Es wird vielmehr die Ermächtigungsgrundlage geschaffen, damit die technischen, rechtlichen und sonstigen Rahmenbedingungen erarbeitet und definiert werden können, um irgendwann in der Zukunft eventuell solche UAS zulassen zu können. Dazu sage ich später noch ein paar Sätze. Die EU-Entgeltrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten auf gemeinsame Regeln zur Festlegung von Flughafenentgelten für Flughäfen mit jährlich mehr als 5 Millionen Fluggastbewegungen. Damit wird ein wichtiger Schritt im Bereich Luftverkehr getan im Hinblick auf eine EU-weite Harmonisierung der Grundlagen für die Berechnung von Flughafenentgelten. Wie immer, wenn es ums Geld geht, prallen hier die unterschiedlichsten Interessen aufeinander, gestaltet sich die Abstimmung besonders schwierig. Hier sind insbesondere die divergierenden Interessen zwischen Flughafenbetreibern und Luftfahrtunternehmen einerseits sowie den Ländern als zuständige Genehmigungsbehörden andererseits zu nennen. Mit dem vorliegenden Entwurf ist es gelungen, diesen Einzelinteressen weitestgehend gerecht zu werden. So werden die allgemeinen Grundsätze der Entgelterhebung wie Transparenz und Diskriminierungsfreiheit unmittelbar im LuftVG verankert (§ 19 b neu). Für Flughäfen mit mehr als 5 Millionen Fluggastbewegungen jährlich gelten dabei entsprechend der Richtlinie Sonderbestimmungen: So wird für derartige Flughäfen die Durchführung eines obligatorischen Konsultationsverfahrens zwischen Flughafenunternehmen und -nutzern eingeführt. Dies dient einer verbesserten Transparenz des Verfahrens, was ein Leitgedanke der Richtlinie ist. Zudem werden die für die Genehmigung der Entgeltordnungen zuständigen Landesbehörden verpflichtet, zu prüfen, ob eine „Orientierung an einer effizienten Leistungserstellung erkennbar“ ist. Bei einvernehmlicher Regelung der Entgelte zwischen Flughafenbetreibern und nutzern kann die Genehmigungsbehörde jedoch von der Prüfung der Effizienzorientierung absehen. Durch diese privilegierende Regelung soll ein Anreiz für eine einvernehmliche Erarbeitung der Entgeltordnung zwischen Flughafenbetreibern und nutzern geschaffen werden. Ziel der Bundesregierung bei der Umsetzung der Richtlinie war es, sich so nah wie möglich an den Vorgaben der Richtlinie zu orientieren (sogenannte Eins-zu-eins-Umsetzung); insbesondere sollte die nach geltender Rechtslage bestehende – und bewährte – Zuständigkeit der Landesluftfahrtbehörden als Genehmigungsbehörden für Flughafenentgelte erhalten bleiben. Gleiches galt für die Bundesregierung auch im Hinblick auf die Beibehaltung der Wahlfreiheit des Geschäftsmodells des Flughafenunternehmens („Single-Till“ oder „Dual-Till“) sowie der Möglichkeit einer Vorfinanzierung von Infrastrukturmaßnahmen am Flughafen. Dass hierdurch keine „unkontrollierbaren Ausbaufantasien“ der Flughafenbetreiber ausgelöst werden, ist zum einen durch das zitierte Konsultationsverfahren mit möglichst konsensualer Festlegung der Entgelte gewährleistet und zum anderen dadurch, dass die Vorfinanzierung nur für Investitionsmaßnahmen in Betracht kommen kann, die nach den gesetzlichen Regelungen als „entgeltrelevant“ für die Berechnung der Entgelte infrage kommen. Wichtige Neuerung in Bezug auf die alte Regelung ist künftig das sogenannte Konsensprinzip, das für Flughäfen mit jährlich mehr als 5 Millionen Fluggastbewegungen gilt. Das Genehmigungsverfahren wird nunmehr um Regelungen ergänzt, die auch die Genehmigung einer vom Flughafen und seinen Nutzern abgeschlossenen Entgeltvereinbarung zulassen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der im Gesetzentwurf hervorzuheben ist, sind die bereits eingangs erwähnten unbemannten Luftfahrtsysteme, UAS, die als eine neue Kategorie von Luftfahrzeugen eingefügt werden. Wir kennen solche unbemannten Luftfahrtsysteme vor allem im militärischen Bereich unter dem Stichwort „Drohne“. Mittlerweile bieten sich aber auch verstärkt zivile Einsatzmöglichkeiten an, wie im Rahmen der Umwelt- und Verkehrsüberwachung, Geländeaufnahmen bei Bauvorhaben oder dem Schutz von Pipelines. Bislang kennt aber das Luftverkehrsgesetz diese Geräte nicht. Allenfalls für Flugmodelle und unbemannte Ballone finden sich im Luftrecht Regelungen für die unbemannte Luftfahrt. Die unbemannte Luftfahrt hat aber gerade in den letzten Jahren eine dynamische technische Entwicklung erfahren. Es erscheint in naher Zukunft nicht mehr ausgeschlossen, dass bemannte und unbemannte Luftfahrt-geräte gleichberechtigt am Luftverkehr teilnehmen. Dieser Realität muss sich auch das Luftrecht stellen; es gilt, die technische und betriebliche Sicherheit dieser Geräte zu regeln. Dies bedeutet keineswegs eine pauschale Zulassung dieser Geräte. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht vertretbar. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene haben wir nämlich ausreichende Erkenntnisse, um solche Anforderungen an die Betriebssicherheit definieren zu können. Insbesondere im Bereich der Notlandeverfahren, der Anforderungen an die Sicherheit und Stabilität der Funkverbindungen und an die erforderliche Sensorik fehlen uns die notwendigen Erkenntnisse. Wir gehen aber davon aus, dass wir im Hinblick auf das rasche Voranschreiten der Technik in diesem Sektor und die Zunahme möglicher Einsatzbereiche für diese unbemannten Luftfahrzeugsysteme schon bald Genaueres wissen werden. Wie bei allen anderen Luftfahrzeugen auch sollen daher dann diese Anforderungen vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung durch Verordnung festgelegt werden. Dieses Verfahren stellt eine relativ flexible und schnelle Möglichkeit dar, mit der Entwicklung Schritt halten zu können. Für die Praxis – das möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – hat das vorliegende Gesetz keine unmittelbaren Konsequenzen: Die derzeit geltenden, sehr restriktiven Regelungen der Luftverkehrs-Ordnung, die den Betrieb und den Einsatz dieser Geräte in nur eingeschränktem Umfang zulassen, werden in keiner Weise angetastet. Es muss sich keiner sorgen, dass mit diesem Gesetz der Betrieb von Drohnen über Deutschland generell freigegeben wird. Das Interesse der Bundesregierung geht auch keinesfalls dahin, Deutschland mittels Drohnen zu überwachen und Personen zu beobachten. Es ist vielmehr Interesse der Bundesregierung, sicherzustellen, dass diese Geräte von ihrer technischen Ausstattung her sicher gestaltet und sicher betrieben werden. Es soll durch sie keiner zu Schaden kommen. Daher sollen künftig auch nur Leute diese Geräte steuern können, die bestimmten persönlichen Anforderungen entsprechen. Ich verstehe die Sorgen hinsichtlich eines möglichen und unkontrollierten Einsatzes dieser Systeme sehr gut. Deshalb habe ich den Vorschlag des Bundesbeauftragten für den Datenschutz sehr begrüßt, durch eine ausdrückliche Ergänzung in der Luftverkehrs-Ordnung deutlich zu machen, dass beim Einsatz dieser Geräte insbesondere die Belange des Datenschutzes zu wahren sind. Ich denke, mit dieser Regelung wird den Belangen des Datenschutzes in besonderer Weise Rechnung getragen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes (Tagesordnungspunkt 19) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Die SPD erfreut uns heute mit einem Gesetzentwurf zur Änderung des geltenden Telemediengesetzes. Mir wurde dieses Gesetz am Mittwoch, dem 25. Januar 2011, zugeleitet, aber die Onlineausgabe der Bild-Zeitung titelte bereits am 23. Januar „SPD will Cookies verbieten“. Sie behauptet in ihrem Gesetzentwurf, Deutschland habe eine Norm der europäischen E-Privacy-Richtlinie nicht umgesetzt. Fraglich ist jedoch, ob die Problembeschreibung im Entwurf und die darin abgeleitete Lösung überhaupt so zutrifft? Ich glaube, hier muss etwas Klarheit in die geworfenen Nebelkerzen gebracht werden. Erstens. Es gibt bereits eine Regelung zu den Cookies in Deutschland. Der § 13 TMG regelt die Pflichten eines Diensteanbieters gegenüber seinen Nutzern. Nun fordert die SPD eine Einwilligung für sämtliche Cookies, entsprechend der angeführten EU-Richtlinie. Aber ist das notwendig? Die Richtlinie fordert die Einwilligung für „die Zwecke der Verarbeitung“. „Verarbeitung“ ist im europäischen Recht ein Rechtsbegriff, der auf die Nutzung personenbezogener Daten abstellt. Verarbeiten die Cookies die erhobenen Daten nicht personenbezogen, bedarf es keiner Einwilligung. Zweitens. Auch die von der SPD angeführte EU-Richtlinie lässt unter Erwägungsgrund 66 dem Nutzer die Möglichkeit, die Handhabung von Cookies über den Internetbrowser zu steuern. Drittens. Die Bundesregierung hat übrigens die geltende Fassung des TMG als Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie nach Brüssel gemeldet. Von der EU-Kommission kam dazu bisher kein Widerspruch. Viertens. Die Rechtslage ist also nicht so klar, wie von der SPD behauptet. Fünftens. Wir müssen uns aber fragen, ob eine solche Regelung auch wirtschaftlich sinnvoll ist? Ein Einwilligungsvorbehalt für sämtliche Cookies, auch solche die keine personenbezogenen Daten verarbeiten, würde erfolgreiche Geschäftsmodelle im Internet zumindest gefährden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die meisten Angebote im Internet für uns als Verbraucher umsonst sind, frei von Kosten sind sie natürlich nicht. Viele Anbieter finanzieren sich über Werbung. Werbung funktioniert im Internet anders als in den Printmedien oder im Fernsehen. Im Internet lohnt sich Werbung nur nutzerbezogen. Und ein Cookie ist das Instrument für dieses Geschäftsmodell. Natürlich muss es Regeln für den Einsatz von Cookies geben. Sie dürfen keine personenbezogenen Daten sammeln und weitermelden. Es gibt bereits umfassende Bemühungen in der Werbe- und Internetbranche zur Selbstregulierung und der Herstellung von Transparenz. Die Branche ist in enger Abstimmung mit den Datenschutzbeauftragten und lässt ihre Werkzeuge dort regelmäßig zertifizieren. Das Risiko, wenn wir in Deutschland alle Cookies unter Einwilligungsvorbehalt stellen, sehe ich darin, dass wir mit unseren Ansprüchen die Branche strangulieren und die internetorientierte Werbewirtschaft abwandert. Dann findet die Entwicklung von Geschäftsmodellen im Internet außerhalb Deutschlands oder Europas statt. „Internet made in Germany“ zeichnet sich bereits durch hohe Standards bei Datenschutz und Sicherheit aus. Der Nutzer muss informiert sein, was auf seinem Rechner los ist. Er muss mit wenig Aufwand erfahren können, welche Cookies gespeichert sind und wie er sie wieder löschen kann. Das ist über die Browsereinstellungen möglich. Ich bin daher skeptisch, ob dieses Gesetz notwendig ist, aber wir haben sicher noch genug Gelegenheit zur Diskussion im Ausschuss. Ich freue mich darauf. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Dass die SPD mit dem vorgelegten Gesetzentwurf die Europäische Kommission besänftigen will, weil angeblich die neueste Novellierung der E-Privacy-Richtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt sei, erstaunt mich schon. Vielmehr hätte die SPD Europa und Deutschland gedient, wenn sie zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung die EU-Stabilitätskriterien nicht aufgeweicht hätte – mit dem ganzen Schlamassel als Ergebnis, mit dem wir uns heute herumschlagen müssen. Bei der ach so bedeutenden E-Privacy-Richtlinie dagegen steht die SPD in vorauseilendem Gehorsam in Habtachtstellung. Da sieht man mal wieder, wie die Sozialdemokraten ihre Schwerpunkte setzen. Nun aber zur Sache: In ihrem Gesetzentwurf behauptet die SPD, dass die im Dezember 2009 in Kraft getretene Änderungsrichtlinie der Richtlinie über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der elektronischen Kommunikation, der sogenannten E-Privacy-Richtlinie, im derzeit geltenden Telemediengesetz nicht angemessen umgesetzt sei. Das Setzen von sogenannten Cookies, also Informationen, die bei der Nutzung von Telemedien auf dem Rechner des Nutzers gespeichert und von Dritten abgerufen werden, sei „in der Regel“ unter einen Einwilligungsvorbehalt des Nutzers zu stellen. Es trifft einfach nicht zu, dass dies im geltenden Telemediengesetz nicht geregelt ist. Auch wenn das deutsche Gesetz richtigerweise keine explizite Regelung im Wortlaut des in der Cookie-Frage entscheidenden Art. 5 Abs. 3 der novellierten E-Privacy-Richtlinie enthält, ist erstens die Unterrichtung und zweitens die Einwilligung des Nutzers über die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten im Telemediengesetz bereits geregelt. Ich zitiere in der Frage der Unterrichtung § 13 Abs. 1 TMG: Der Diensteanbieter hat den Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und Zwecke der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten … in allgemein verständlicher Form zu unterrichten, sofern eine solche Unterrichtung nicht bereits erfolgt ist. Bei einem automatisierten Verfahren, das eine spätere Identifizierung des Nutzers ermöglicht und eine Erhebung oder Verwendung personenbezogener Daten vorbereitet, ist der Nutzer zu Beginn dieses Verfahrens zu unterrichten. Der Inhalt der Unterrichtung muss für den Nutzer jederzeit abrufbar sein. Darüber hinaus verlangt das TMG bei der Verwendung von Nutzungsdaten über die bloße Inanspruchnahme hinaus immer die Einwilligung, wie sie in Art. 5 Abs. 3 der E-Privacy-Richtlinie gefordert wird. Das ist in den §§ 12 und 15 des TMG schon heute geregelt. In § 12 Abs. 1 TMG heißt es: Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten zur Bereitstellung von Telemedien nur erheben und verwenden, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat. Weiter heißt es in Absatz 2: Der Diensteanbieter darf für die Bereitstellung von Telemedien erhobene personenbezogene Daten für andere Zwecke nur verwenden, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat. § 12 stellt also klar, dass personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Telemedien ohne Einwilligung nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Gesetzgeber das ausdrücklich erlaubt. Eine solche gesetzliche Regelung enthält § 15 TMG, der regelt, dass Nutzerdaten bei Inanspruchnahme von Telemedien ohne Einwilligung nur verarbeitet werden dürfen, wenn das für diesen Zweck erforderlich ist. Ich zitiere: Der Diensteanbieter darf personenbezogene Daten eines Nutzers nur erheben und verwenden, soweit dies erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen (Nutzungsdaten). Für die Speicherung und den Abruf von Informationen wie zum Beispiel durch Cookies bedeutet das, dass solche Verfahren in Deutschland ohne Einwilligung des Nutzers nur zulässig sind, wenn dies aus technischen Gründen für die Inanspruchnahme erforderlich ist. Im Übrigen dürfen solche Verfahren ohne Einwilligung des Nutzers nicht verwendet werden. Wer dagegen im Sinne des § 16 TMG ordnungswidrig handelt, kann mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro belegt werden. Im Übrigen darf ich die Genossen der SPD darauf hinweisen, dass die Bundesregierung, konkret das zuständige Bundeswirtschaftsministerium, dieses Instrumentarium der Europäischen Kommission als Umsetzung des Art. 5 Abs. 3 der E-Privacy-Richtlinie in aller Ausführlichkeit vorgestellt hat. Dabei hat die EU-Kommission unseren nationalen Regelungen inhaltlich und formell nicht widersprochen. Was die SPD in ihrem Gesetzentwurf nun fordert, ist eine Vorschrift, die jedwede Verwendung von Informationen unabhängig von ihrer Personenbezogenheit – also von personenbezogenen Daten, die Rückschluss auf eine konkrete natürliche Person geben können – unter den Einwilligungsvorbehalt des Nutzers stellen würde. Damit wäre aber die Reichweite der Richtlinie viel zu weit interpretiert. Denn damit würden die Sozialdemokraten funktionierende Geschäftsmodelle der gesamten Internetwirtschaft ohne Not beeinträchtigen, schlimmstenfalls von vorneherein vereiteln. Besonders betroffen wären die meist werbefinanzierten Onlineangebote der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage. Das sollten wir als Wirtschaftspolitiker hier schon mal ansprechen. Gerade die Verlage müssen heute bei der Pluralisierung der Medienangebote in nicht wenigen Fällen ums Überleben kämpfen. Wollen Sie denen denn endgültig den Todesstoß versetzen, verehrte Kollegen der SPD? Gerade Sie sind doch mit Ihrer Medienholding in Form der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft an zig Verlagen und damit Regionalzeitungen beteiligt. Ich nenne hier nur mal die Westfälische Rundschau, den Nordbayerischen Kurier, die Hannoversche Allgemeine oder die Frankfurter Rundschau. Wollen Sie Ihren eigenen Leuten ihr Geschäftsmodell kaputtmachen? Ich glaube, wohl kaum. Die EU-Kommission plant, per Verordnung ein EU-weit geltendes Instrumentarium für den Datenschutz in der gesamten EU durchzusetzen. Die zuständige EU-Kommissarin Reding hat dazu jetzt einen über hundert Seiten starken Entwurf vorgelegt, der nach meiner Einschätzung viel Zündstoff in sich birgt. Da sollten wir genau hinsehen. Denn was da aus Brüssel kommt, soll unmittelbar geltendes Recht werden. Jetzt in einem Schnellschuss und in vorauseilendem Gehorsam eine EU-Richtlinie zu weit auszulegen, sich damit selbst Fesseln anzulegen und unsere Wirtschaft unnötig zu gefährden, ist nicht nur überflüssig, sondern schlicht schädlich. Daher werden wir den Gesetzentwurf klar ablehnen. Gerold Reichenbach (SPD): Wir haben heute einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie, der sogenannten Cookie-Richtlinie vorgelegt. Worum geht es in dieser Richtlinie? Es geht darum, dass Cookies zum Ausspähen von Surfverhalten nur dann auf der Festplatte des Nutzers gespeichert werden dürfen, wenn dieser aufgrund vorheriger, für den durchschnittlichen Nutzer verständlicher Information bewusst eingewilligt hat. Cookies sind kleine Textdateien, die auf dem Endgerät des Nutzers gespeichert werden. Man unterscheidet dabei Erstanbieter- und Drittanbieter-Cookies. Erstanbieter-Cookies werden von der besuchten Webseite gesetzt. Drittanbieter-Cookies werden von einer fremden Seite gesetzt. Während ein Teil dieser Cookies unproblematisch ist und teilweise sogar notwendig, um eine Webseite aufzubauen oder den Dienst vollständig nutzen zu können, werden mit sogenannten Tracking-Cookies Informationen über das Surfverhalten des Nutzers gesammelt. Ich bin mir sicher, dass nicht vielen Nutzern bewusst ist, dass es durch die Verwendung von Cookies möglich ist, detaillierte Nutzerprofile über sie anzulegen oder festzustellen, welche weiteren Cookies bei ihm auf den Rechner geschrieben werden. Wer weiß denn schon, wie viele Cookies schon beim bloßen Aufrufen einer bestimmten Webseite auf seinem Rechner gespeichert werden? Geht man zum Beispiel auf die Seite der SPD-Bundestagfraktion, werden genau null Cookies gesetzt. Das gleiche bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Besucht man die Seite der Bundestagsfraktion Die Linke, werden immerhin zwei Cookies gesetzt, und auf der Seite der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen drei Cookies. Und geht man auf die Seite der so Pro-Datenschutz eingestellten FDP-Bundestagsfraktion, werden sogar sieben Cookies gesetzt, drei von Erstanbietern und vier von Drittanbietern. Im kommerziellen Bereich werden beispielsweise auf der Seite von Zalando 53 Cookies gesetzt, 9 von Erstanbietern und 44 von Drittanbietern, sobald man nur die Seite besucht. Das müssen nicht alles Cookies sein, die der Ausspähung und Protokollierung des Nutzerverhaltens dienen, aber niemand wird davon informiert oder gefragt, ob er eine solche Dokumentation und Weiternutzung der Daten zulassen will. Grundsätzlich sind die meisten Browser so eingestellt, dass sie das Setzen dieser Cookies zulassen und eine differenzierte Deaktivierung dieser Funktion, etwa nach Zweck der Cookies, nicht zulassen. Das ist der Grund, warum wir heute den Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vorlegen. Die bisherigen Regelungen im Telemediengesetz sind entgegen der Auffassung der Bundesregierung unzureichend. Nach der sogenannten E-Privacy-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis spätestens 31. Mai 2011 Regelungen zu erlassen, die Anbietern von Telemediendiensten das Speichern von Cookies auf den Computern der Nutzer in der Regel nur erlaubt, wenn der Nutzer aufgrund vorheriger umfassender Information eingewilligt hat. 31. Mai 2011 – nicht 2012! Seit circa neun Monaten hält die Bundesregierung den Internetnutzern im Europäischen Recht vorgesehene Verbraucher- und Datenschutzrechte vor. Einwilligung ist dabei das Stichwort. Die bisherigen Regelungen im Telemediengesetz sehen eine datenschutzrechtlich schwache Kombination aus Unterrichtungspflichten des Diensteanbieters und einer Widerspruchsmöglichkeit für den Nutzer vor. Der Nutzer muss so jedes Mal seine Browsereinstellungen ändern, um zu verhindern, dass er in seinem Surfverhalten ausgespäht wird. Dieses Prinzip nennt sich Opt-out und ist nicht das, was von der Richtlinie vorgesehen ist. Haben Sie schon einmal versucht, zu surfen, wenn Sie in ihrem Browser die Einstellung „Cookies akzeptieren“ deaktivieren? Das macht nach zwei Minuten keinen Spaß mehr. Die Richtlinie sieht nun ausdrücklich eine Einwilligung vor – und keine nur für hoch informierte Menschen mit Computerspezialwissen mögliche „Auswilligung“. Information, Aufklärung und Einwilligungsvorbehalt sind wichtige Voraussetzungen für selbstbestimmtes Surfen im Netz. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es dabei nicht darum geht, für jeden einzelnen Cookie eine Einwilligung zu fordern. Die Einwilligung kann im Rahmen eines zusammenhängenden, abgegrenzten Datenverarbeitungsprozesses für mehrere Cookies eines Anbieters gemeinsam erteilt werden. Die Einwilligung muss aber auf einer informierten und freiwilligen Basis gegeben werden. Das Argument der mangelnden Praktikabilität zieht dabei nicht. Die Europäischen Datenschutzbeauftragten haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie sich das Recht der Verbraucher auf bewusste Einwilligung praktikabel umsetzen lässt, ohne dass ständig irgendein Informations- und Einwilligungsfenster aufpoppt. Man kann sich nicht ernsthaft auf den Standpunkt stellen, die Richtlinie sei nicht umzusetzen, weil entweder die bisherigen Regelungen im Telemediengesetz ausreichend seien oder sich die Umsetzung angesichts der anstehenden Datenschutzreform auf EU-Ebene erledigt habe. Fakt ist, egal in welcher Rechtsform der Datenschutz demnächst auf europäischer Ebene geregelt werden wird: Zurzeit gibt es erst einen Entwurf. Bis der Entwurf bindendes Recht wird, kann noch viel Zeit vergehen. Fakt ist: Der Umsetzungsbedarf besteht jetzt. Darum gab es einen entsprechenden Vorstoß des Bundesrates, wie die E-Privacy-Richtlinie im Telemediengesetz umgesetzt werden könnte. Die Bundesregierung hat aber sowohl in ihrer Stellungnahme auf den Entwurf des Bundesrates als auch in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion darauf bestanden, im Rahmen der Telekommunikationsnovelle eigene Vorschläge zu unterbreiten, wie eine vernünftige Regelung im Telemediengesetz aussehen könnte. Passiert ist nichts. Die europäische Union hat deshalb bereits die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland angekündigt. Darum haben wir heute in Übereinstimmung mit der Formulierung des Bundesrates einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die weitgehend technikneutrale Regelung der Richtlinie aufgreift. Wir fordern Sie auf, die Richtlinie endlich umzusetzen und nicht weiter die völlig aberwitzige Auffassung zu vertreten, dass der Nutzer dem Setzen von Ausspäh-Cookies alleine dadurch zustimme, dass er seinen Browser nicht selbst umkonfiguriert habe, was ja auch gar nicht differenziert geht. Wir appellieren an die Koalitionsfraktionen: Enthalten Sie den deutschen Bürgern nicht weiter unter unhaltbaren Begründungen die Verbraucher und Datenschutzrechte vor, die die europäische Richtlinie vorsieht. Claudia Bögel (FDP): Der vorliegende Entwurf soll nach dem Willen der SPD die Cookie-Regelung umsetzen. Mir drängt sich die Frage auf, warum sich die Kollegen so viel Mühe und Arbeit machen; denn der Vorwurf, das Telemediengesetz setze die europäischen Anforderungen zu Cookies nicht um, ist schlicht nicht zutreffend. Im Gegenteil: Diese Anforderungen sind bereits zu 100 Prozent im Telemediengesetz enthalten und müssen nicht durch den uns vorliegenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion umgesetzt werden. Vielen Dank für das Angebot, aber es kommt zu spät. Bereits seit 2002 regelt Art. 5 Abs. 3 der europäischen Richtlinie 2002/58/EG über den Datenschutz in den elektronischen Kommunikationsdiensten die Verwendung von Cookies und stellt diese unter besondere Anforderungen. Cookies, die über die Inanspruchnahme eines Dienstes hinausgehende Zwecke, zum Beispiel Werbung, verfolgen, bedürfen aufgrund der Neuregelung der Vorschrift 2009 nunmehr der Einwilligung. Das TMG erfüllt aufgrund der bestehenden Regelungen die europäischen Anforderungen. Dabei enthält das TMG keine explizite Regelung im Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 EPrivacy-Richtlinie. Die von Art. 5 Abs. 3 geforderte Unterrichtung des Nutzers ist in § 13 Abs. 1 TMG geregelt. Danach ist der Nutzer bei einem automatisierten Verfahren, das darauf ausgerichtet ist, eine spätere Identifizierung des Nutzers zu ermöglichen sowie eine Erhebung bzw. Verwendung personenbezogener Daten vorzubereiten, zu Beginn dieses Verfahrens umfassend, das heißt über Art, Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie über die Verarbeitung seiner Daten in Drittstaaten außerhalb der EU, in allgemein verständlicher Form zu unterrichten. Darüber hinaus verlangt das TMG bei der Verwendung von Nutzungsdaten über die bloße Inanspruchnahme hinaus immer die Einwilligung. Das vorhandene TMG-Instrumentarium wurde auf EU-Ebene als Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 E-Privacy-Richtlinie dargestellt. Die Europäische Kommission widersprach dem nicht. Die Forderung nach einer Vorschrift, die jedwede Verwendung von Informationen unabhängig von ihrer Personenbezogenheit unter den Einwilligungsvorbehalt stellt, halte ich persönlich für überzogen, und sie würde nach meiner Auffassung funktionierende Geschäftsmodelle der gesamten Internetwirtschaft ohne Not erheblich beeinträchtigen, wenn nicht sogar vereiteln. Im besonderen Maße würde dies die werbefinanzierten Onlineangebote der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage treffen. Meine Fraktion unterstützt daher die Vorgehensweise, es bei den bestehenden Regelungen zur Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zu belassen, und lehnt den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes der SPD-Fraktion ab. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die Linke begrüßt den Vorstoß der SPD-Fraktion, endlich eine Regelung zur Verwendung von sogenannten Cookies im Telemediengesetz aufzunehmen. Die Verwendung von Cookies ist in vielen Fällen unbestritten sinnvoll. In den letzten Jahren hat aber vor allem die Nutzung von Cookies zum Aufzeichnen von Nutzerverhalten massiv zugenommen. Dazu werden Cookies angelegt, die ihren Dienst bis zu 30 oder mehr Jahre lang tun sollen und Informationen über besuchte Webseiten speichern. Gerade die Werbewirtschaft versucht auf diesem Weg immer ausgefeiltere Profile von Nutzerinnen und Nutzern zu erstellen, um zielgerichtet Werbung platzieren zu können. Dabei wird zwar betont, dass die Daten ausschließlich anonym erhoben und verarbeitet werden, in der Praxis lassen sich aber aus den Nutzungsprofilen durchaus Informationen über Personen ableiten, die sich dahinter verbergen. Die Praxis im Umgang mit Cookies widerspricht dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses sieht vor, dass Personen jederzeit wissen können müssen, wer welche Daten und Informationen über sie zu welchem Zweck besitzt und/oder verarbeitet. Die Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten ist daher grundsätzlich an eine Einwilligung des Betroffenen gebunden. Bei Cookies ist dies regelmäßig nicht der Fall. Cookies werden von Webseitenbetreibern oftmals ohne vorherige Einwilligung platziert und ausgewertet. Hier besteht also Handlungsbedarf. Nicht um den Einsatz von Cookies zu verbieten, sondern um Nutzerinnen und Nutzer über diesen zu informieren und ihnen eine tatsächliche Wahlmöglichkeit zu bieten. Bisherige Opt-out-Modelle im Umgang mit Cookies haben sich als nicht praxistauglich erwiesen. Informationen über den Einsatz von Cookies, deren Funktionsweise und die Art und Dauer der Datenspeicherung und Übermittlung finden sich heute oftmals nur auf Umwegen und versteckt in den AGB oder im Impressum. Der Vorschlag der SPD-Fraktion fußt auf einem Gesetzentwurf, der Mitte 2011 durch den Bundesrat beschlossen wurde. In der Begründung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Regelung schon durch EU-Vorgaben im letzten Jahr hätte umgesetzt werden müssen. Bisher ist aber nichts passiert, die Bundesregierung hat nichts vorgelegt. Auf Kritik stößt die geplante Regelung vor allem bei der Werbewirtschaft – das wird niemanden verwundern. Hier wird eingewendet, dass es technische Probleme bei der Umsetzung eines Opt-in-Modells, also einer echten Einwilligung auf Basis von ausreichend Informationen, gäbe. Diese Kritik hat vor kurzem die Artikel-29-Gruppe, also die Arbeitsgruppe der europäischen Datenschutzbeauftragten, aufgegriffen und auch einige Vorschläge zur technischen Umsetzung gemacht. Der Vorwurf, dass für Onlinewerbung eine unangemessen hohe Zahl von Einwilligungen in die Verwendung der jeweiligen Cookies nötig wäre, läuft ins Leere. Tatsache ist doch, dass der Markt der Onlinewerbung von einer überschaubaren Zahl großer Werbenetzwerke beherrscht und betrieben wird. Dort wären Einwilligungen also nur ein paar Mal zu erteilen oder eben nicht und vor allem nicht auf jeder einzelnen Website, die Werbung enthält. Auch bei der grafischen Umsetzung gibt es Beispiele, die zeigen, wie es gehen kann. Der Datenschutzbeauftragte Großbritanniens macht es auf seiner eigenen Website vor. Beim erstmaligen Besuch der Seite wird im Kopf der Seite darauf hingewiesen, dass Teile der angebotenen Dienste nur durch das Einwilligen in einen Cookie-Einsatz nutzbar sind. Dort wird auf weitere Informationen zu Cookies hingewiesen und es kann in die Nutzung mit einem Klick eingewilligt werden. An der technischen Umsetzung eines datenschutzkonformen Einsatzes von Cookies sollten also keine Zweifel bestehen. Die Linke möchte die größtmögliche Freiheit der Nutzerinnen und Nutzer und den Schutz der informationellen Selbstbestimmung stärken und wird daher den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion wohlwollend begleiten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der mit nur einem Paragrafen etwas knapp gehaltene Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion führt mitten hinein in das Herz der Debatte um den Internetdatenschutz. Dabei geht es beispielsweise um die Probleme der Profilbildung und des Behavioral Targeting. Und um es gleich vorweg zu sagen: Der Gesetzentwurf wirft die schwierige Frage auf, ob für die Bürgerinnen und Bürger und den Schutz ihrer Daten mit derlei chirurgischen Eingriffen tatsächlich etwas gewonnen werden kann. Bevor ich dazu einige Punkte erläutere, möchte ich zunächst zum Handeln, oder sollte ich besser sagen, zum Nicht-Handeln der Bundesregierung in diesem Bereich etwas erläutern: Die schwarz-gelbe Koalition muss im Bereich des Datenschutzes endlich tätig werden. Insoweit der Entwurf der SPD hier einen Anstoß geben will, geht er in die richtige Richtung. Denn die Bundesregierung verweigert seit über zwei Jahren hartnäckig jegliche Verantwortung für einen zeitgemäßen Schutz der Bürgerinnen und Bürger und dem Ausverkauf ihrer Daten und Grundrechte. Sämtliche Versprechen, selbst die, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, sind bis heute nicht eingelöst – sei es der Beschäftigtendatenschutz, die Stiftung Datenschutz, die Überarbeitung des Bundesdatenschutzgesetzes, der Beschäftigtendatenschutz oder die zunächst vom vormaligen Innenminister angekündigte, aber vom jetzigen Minister bereits wieder beerdigte Rote-Linie-Gesetzgebung. Mussten wir uns noch bis vor kurzem anhören, man wolle diese oder jene Maßnahme mit Blick auf die anstehende Datenschutzreform in Brüssel nicht vorwegnehmen, heißt es nun, nachdem die Europäische Kommission einen recht ambitionierten Entwurf vorgelegt hat, die Reform aus Brüssel gebe Anlass zu allergrößten Bedenken und der bundesdeutsche Gesetzgeber dürfe sich nicht ausbremsen lassen. Mit dieser anhaltenden Verweigerungshaltung untermauert die Bundesregierung einmal mehr ihren Unwillen, hier endlich für die Rechte der Bürgerinnen und Bürger einzustehen. Es bleibt offen, ob dies allein aus Überzeugung oder aus Unfähigkeit geschieht. Gerade der Fall der heute hier zu verhandelnden Cookies hinterließ jedenfalls – im Rahmen der Diskussion um die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes etwa – den Eindruck, man sei schlicht nicht in der Lage, eine tragfähige Antwort zu präsentieren. Die Bundesregierung war sich des Ablaufs der Frist zur Umsetzung der Vorgaben der E-Privacy-Richtlinie bewusst. Und auch die schwierigen, mit der Cookie-Problematik verbundenen Rechtsfragen waren hinlänglich bekannt. Gelöst hat die schwarz-gelbe Bundesregierung diese wichtigen Fragen bis heute nicht, weshalb für das Setzen von Cookies nach wie vor im Grundsatz die bestehende Rechtslage im Telemediengesetz gilt, nämlich eine Opt-out-Regelung. Und das ganz im Widerspruch zu der von der E-Privacy-Richtlinie geforderten Opt-in-Lösung. Wie ich allerdings bereits eingangs betont habe, führt die Diskussion um eine Cookie-Regelung ins Herz der Fragen um den Internetdatenschutz. Und damit sind wir bei der tatsächlich nichttrivialen Frage angelangt, ob überhaupt und, wenn ja, auf welcher Weise es gelingen kann, effektive rechtliche Bindungen für Betreiber bereits auf der Ebene des mittlerweile recht ausdifferenzierten Tableaus von Wiedererkennungstechniken anzusetzen. Hier gilt es zum Beispiel, die hochumstrittene Frage des Personenbezuges von IP-Adressen mit zu bedenken, denn gerade auch für Cookies spielt diese eine Rolle. Hier liegt nun eine Richtlinie, die E-Privacy-Richtlinie, vor. Auf den ersten Blick scheint sie klare Vorgaben zu machen. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Reformvorschläge der Europäischen Kommission für eine grundlegende Datenschutzreform dürfen wir eine kritische Prüfung der EU-Vorlagen nicht vernachlässigen. Die Anforderungen an eine zeitgemäße gesetzliche Regelung sind vielfältig: Da wären die guten alten Session-Cookies und die dauerhaften Cookies. Zu ihnen gesellen sich heute sogenannte Web Bugs und Flash-Cookies. Zudem gibt es noch anderweitige Auswertungsmöglichkeiten – etwa durch Browser-Footprints. Ein präventiv ansetzender Datenschutz müsste bereits hier ansetzen – auch wenn die unterschiedlichen Zwecksetzungen von Cookies Fragen aufwerfen. Dementsprechend nimmt etwa der SPD-Entwurf, der im Wortlaut eine ganz erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Bundesratsentwurf – BR-Drucksache 156/11 – aufweist, die Session-Cookies sowie diejenigen Cookies gänzlich vom Einwilligungserfordernis aus, die „unbedingt erforderlich sind, um einen vom Nutzer ausdrücklich gewünschten elektronischen Informations- oder Kommunikationsdienst zur Verfügung stellen zu können.“ Dieses Vorgehen erscheint zwar zunächst sinnvoll, aber schon hier stellt sich die Frage, ob etwa die von Facebook im Rahmen von Like-Buttons platzierten datr-Cookies unter eine solche Privilegierung fallen, die nach Einlassung des Konzerns allein zu Sicherheitszwecken unbedingt erforderlich sein sollen. Ferner unterwirft der Gesetzesvorschlag der SPD unterschiedslos alle anderen Cookie-Verwendungen dem Einwilligungsvorbehalt, ganz gleich, ob diese für eine Webseite nur zu Sicherheitszwecken, für Werbezwecke, allein durch Drittanbieter oder webseitenübergreifend zur Profildatenerstellung gesetzt werden. Auch Lebensdauer und Inhalt finden insoweit keine Berücksichtigung. Zugleich bleibt der Einwilligungsbegriff unpräzise, weil Bezug genommen wird auf die bestehenden TMG-Vorschriften und damit auf die zumindest in der Literatur vertretene Auslegung, wonach eben auch die konkludente Einwilligung per Browservoreinstellung genügen können soll. Auch der Begründung des Entwurfs der SPD ist zu dieser Frage leider keine Stellungnahme zu entnehmen. Damit weicht der Gesetzentwurf einer der entscheidenden regulatorischen Fragen der Cookie-Problematik schlicht aus und verfehlt damit das Ziel, Rechtssicherheit zu bringen. Die entscheidende Frage also bleibt offen: Sollte angesichts der in der Praxis auf Webseiten oftmals bis zu 20 oder 30 gleichzeitig platzierten Cookies auf die nahezu unmöglichen Einzeleinwilligungen verzichtet und eine pauschale, letztlich von den Datenschutzeinstellungen des Users selbst vorzunehmende Absicherung umgestellt werden? Von einer solchen alleinigen Selbstverantwortung der Nutzerinnen und Nutzer halten wir, genau wie die Artikel-29-Datenschutzgruppe der Datenschutzbehörden der EU-Mitgliedstaaten, nur wenig. Sie wird von der Wirtschaft gefordert, die, insoweit durchaus nachvollziehbar, die Praktikabilität nicht durch eine Vielzahl von Pop-up-Fenstern mit Einwilligungserfordernissen unterbrechen will. Hier gilt es zu bedenken, dass noch längst nicht alle Browser über einfache und verständliche Datenschutzeinstellungen verfügen: So umgehen Flash-Cookies den Browser vollständig. Die Medienkompetenz der Bürgerinnen und Bürger würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt überschätzt, überließe man ihnen allein die Last der zu treffenden Schutzmaßnahmen. Neuere Studien zu den bestehenden technischen Selbstschutzmöglichkeiten kommen zu dem Schluss, dass diese nach wie vor lückenhaft sind. Es stellt sich also die Frage, wie eine differenzierte gesetzliche Regelung ausgestaltet werden müsste. Womöglich müsste sie risikoabgestufte Lösungen anbieten und den Fall der webseitenübergreifenden Anwendungen zur Profilerstellung im Schwerpunkt aufgreifen. Zusätzlich wären für alle Techniken der Wiedererkennung Privacy-by-Design-Vorgaben verpflichtend zu machen. Eine weitere, gegenüber den EU-rechtlichen Vorgaben sogar missliche Verkürzung enthält der SPD-Entwurf schließlich bei den Informationspflichten: Während die Richtlinie Einwilligungen nur auf der Grundlage „klarer und umfassender Informationen“ zulassen will, gibt sich der Entwurf mit den weitaus spärlicheren Anforderungen von § 13 Abs. 1 des bestehenden Telemediengesetzes zufrieden. Das kann gerade deshalb nicht akzeptiert werden, weil zum einen die Komplexität der Problematik selbst, aber auch die Vielfalt und Undurchsichtigkeit möglicher Selbstschutzmaßnahmen eher zusätzliche Informationen für die Verbraucherinnen und Verbraucher erforderlich machen. Insgesamt sind diese vagen und unpräzisen Regelungen des SPD-Gesetzentwurfs nicht geeignet, die sich im Zusammenhang mit der Verwendung von Cookies stellenden Fragen zu beantworten. Facebook und Google veröffentlichten nicht zufällig zeitgleich mit der Vorstellung der EU-Verordnung für eine Reform des Datenschutzes ihre weitreichenden Umstellungen in der Datenverarbeitungspraxis. Diese Unternehmen, deren Geschäftsmodell maßgeblich vom maximal perfekten Targeting der Nutzerinnen und Nutzer lebt, wollen vor Umsetzung der regulatorischen Anstrengungen der EU offenbar vollendete Tatsachen schaffen. Wir sollten ihnen mit umfassenden und differenzierten Regelungsansätzen zeigen, dass wir willens und in der Lage sind, verfassungsrechtlich gebotene Vorgaben zu formulieren und auch durchzusetzen. Anlagen 1Anlagen 2 bis 7 2Ergebnis Seite 18575 D 3Ergebnis Seite 18579 C 4Ergebnis Seite 18581 B/D 5Anlage 10 6Anlage 9 7 Anlage 8 8 Anlage 11 9 Anlage 12 10 Anlage 13 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 155. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 155. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2012 18681 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 18711 18710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 155. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 155. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2012 18661