Plenarprotokoll 17/172 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 172. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 I n h a l t : Wahl der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Dr. h. c. Wolfgang Thierse und Hans-Joachim Otto als ordentliche Mitglieder und der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup) und Siegmund Ehrmann als stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates der Kulturstiftung des Bundes Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 33 und 36 e Nachträgliche Ausschussüberweisungen Begrüßung der Präsidentin der Abgeordnetenkammer der Republik Rumänien, Frau -Roberta Anastase Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksache 17/9046) b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Drucksache 17/9045) c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen -Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) (Drucksache 17/9048) d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes (Drucksache 17/9049) e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Drucksache 17/9047) f) Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: -Europäischen Stabilitätsmechanismus ablehnen, europäisches Investitionsprogramm auflegen (Drucksache 17/9146) g) Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ratifizierung des Fiskalvertrags ablehnen – Ursachenorientierte Politik zur Krisenbewältigung einleiten (Drucksache 17/9147) h) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Grundlegende Reformen der EU-Verträge umsetzen – Änderungen von Artikel 136 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union verhindern (Drucksache 17/9148) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Drucksache 17/9145) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Rainer Brüderle (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volker Kauder (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) Michael Roth (Heringen) (SPD) Otto Fricke (FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Florian Pronold, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Gemeinsam Zukunft planen – Infrastruktur bürgerfreundlich voranbringen (Drucksache 17/9156) Florian Pronold (SPD) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) Sabine Leidig (DIE LINKE) Oliver Luksic (FDP) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister BMVBS Bettina Hagedorn (SPD) Sören Bartol (SPD) Patrick Döring (FDP) Bettina Hagedorn (SPD) Sabine Leidig (DIE LINKE) Patrick Döring (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Patrick Schnieder (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zur Individualbeschwerde schnellstmöglich ratifizieren (Drucksache 17/8917) b) Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen transparent gestalten (Drucksache 17/9168) c) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter, Sabine Leidig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wirksame Anreize für klimafreundlichere Firmenwagen (Drucksache 17/9149) d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einführung eines pauschalierenden psychiatrischen Entgeltsystems zur qualitativen Weiterentwicklung der Versorgung nutzen (Drucksache 17/9169) f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier ausweiten (Drucksache 17/9170) Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Städtebauliche Qualität des Regierungsviertels verbessern (Drucksache 17/9171) Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Oktober 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien über Soziale Sicherheit (Drucksachen 17/8727, 17/9094) b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. November 2011 über die Errichtung des Sekretariats der Partnerschaft für öffentliche Gesundheit und soziales Wohlergehen im Rahmen der Nördlichen Dimension (NDPHS) (Drucksachen 17/8981, 17/9200 ) c)–g) Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 412, 413, 414, 415 und 416 zu Petitionen (Drucksachen 17/9050, 17/9051, 17/9052, 17/9053, 17/9054) Zusatztagesordnungspunkt 4: a)–h) Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 417, 418, 419, 420, 421, 422 423 und 424 zu Petitionen (Drucksachen 17/9177, 17/9178, 17/9179, 17/9180, 17/9181, 17/9182, 17/9183, 17/9184) Tagesordnungspunkt 5: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der kalten Progression (Drucksachen 17/8683, 17/9201) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/9202) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Daniel Volk (FDP) Olav Gutting (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unberechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen – Kein Sponsoring der Konzerne durch Stromkunden (Drucksache 17/8608) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Michael Kauch (FDP) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Franz Obermeier (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jens Koeppen (CDU/CSU) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Drucksachen 17/8877, 17/9152) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Jan Korte, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter (Drucksachen 17/8892, 17/9152) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Matthias Machnig, Minister (Thüringen) Christian Hirte (CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Michael Kauch (FDP) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Christian Hirte (CDU/CSU) Michael Kauch (FDP) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU Dirk Becker (SPD) Klaus Breil (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Betreuungsgeld einführen – Kinder und Familie durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung fördern (Drucksache 17/9165) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes (Drucksachen 17/1579, 17/8201) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten (Drucksachen 17/6088, 17/8201) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Geis (CDU/CSU) Dagmar Ziegler (SPD) Caren Marks (SPD) Miriam Gruß (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Dagmar Ziegler (SPD) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Sönke Rix (SPD) Sibylle Laurischk (FDP) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Dr. Birgit Reinemund, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Europäische -Finanzaufsicht stärken und effizient ausgestalten (Drucksache 17/9151) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peter Aumer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten (Drucksachen 17/7360, 17/8507) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Andrej Hunko, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren (Drucksachen 17/5387, 17/8807) Joachim Spatz (FDP) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) Sevim Da?delen (DIE LINKE) Joachim Spatz (FDP) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (PrStG) (Drucksachen 17/3355, 17/9199) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tabea Rößner, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (Drucksachen 17/3989, 17/9199) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit (Drucksache 17/9144) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Ingo Egloff (SPD) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen Hochschulpakt Plus – Zusätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen – Hochschulen sozial öffnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen (Drucksachen 17/7340, 17/7341, 17/6918, 17/9141) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Lehre an allen Hochschulen garantieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Drucksachen 17/4588, 17/1737, 17/9142) Tagesordnungspunkt 13: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Siebten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) (Drucksachen 17/8839, 17/9083) Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln (Drucksache 17/6128) b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken (Drucksache 17/4037) Tagesordnungspunkt 15: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 30. September 2011 des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Drucksachen 17/8840, 17/9176) Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsgerecht erbringen (Drucksachen 17/8149, 17/8831) Tagesordnungspunkt 17: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Vertrages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geändert durch den Vertrag vom 3. März 2008 (Drucksachen 17/8842, 17/9081) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/9082) Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wasser und Ernährung sichern (Drucksache 17/9153) Helmut Heiderich (CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD) Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) Niema Movassat (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Michael Roth (Heringen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Drucksache 17/9154) Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksachen 17/8841, 17/9140) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Holger Krestel (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine soziale Revision der Entsenderichtlinie (Drucksachen 17/1770, 17/4755) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11 (Drucksachen 17/8515 Nr. A.36, 17/9069) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Manfred Nink (SPD) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren (Drucksache 17/4884) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Fritz Rudolf Körper (SPD) Joachim Spatz (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen (Drucksache 17/9155) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) Martin Dörmann (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Carola Reimann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gesundheitsforschung an den Bedarfen der Patientinnen und Patienten ausrichten – Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung überarbeiten (Drucksachen 17/5364, 17/9143) Eberhard Gienger (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Peter Röhlinger (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen (Drucksache 17/9058) Michael Brand (CDU/CSU) Gerd Bollmann (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Karin Binder (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung bezahlbarer Mieten und zur Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekosten (Drucksachen 17/6371, 17/8953) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD) Michael Groß (SPD) Stephan Thomae (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Hans-Joachim Hacker, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Sicherheit auf Kreuzfahrtschiffen verbessern (Drucksache 17/9158) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Uwe Beckmeyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unverzügliche Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (Drucksache 17/9066) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schlecker-Verkäuferinnen unterstützen – Arbeitsplätze und Tarifverträge erhalten – Einfluss der Beschäftigten stärken (Drucksachen 17/8880, 17/9131) Ulrich Lange (CDU/CSU) Gitta Connemann (CDU/CSU) Ottmar Schreiner (SPD) Pascal Kober (FDP) Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen (Drucksache 17/9150) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU) Frank Heinrich (CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Maria Michalk (CDU/CSU) Anlage 3 Erklärung nach § 3 GO der Abgeordneten Manfred Grund, Dr. Thomas Feist, Dr. Michael Luther, Michael Stübgen und Arnold Vaatz (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Anlage 4 Erklärung nach § 3 GO der Abgeordneten Dr. Peter Danckert. Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Hans-Joachim Hacker, Dr. Eva Högl, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, Steffen-Claudio Lemme, Burkhard Lischka, Mechthild Rawert, Silvia Schmidt (Eisleben), Swen Schulz (Spandau), Rolf Schwanitz, Sonja Steffen, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Wolfgang Tiefensee, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes (Tagesordnungspunkt 8 b) Sylvia Canel (FDP) Miriam Gruß (FDP) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für einen Hochschulpakt Plus – Zusätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen – Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen – Hochschulen sozial öffnen – Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Gute Lehre an allen Hochschulen garantieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Peter Röhlinger (FDP) Nicole Gohlke (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu der Siebten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) (Tagesordnungspunkt 13) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Peter Aumer (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Holger Krestel (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln – Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 30. September 2011 des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Tagesordnungspunkt 15) Norbert Schindler (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Holger Krestel (FDP) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsgerecht erbringen (Tagesordnungspunkt 16) Heike Brehmer (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Angelika Krüger-Leißner (SPD) Pascal Kober (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Vertrages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zen-tralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geändert durch den Vertrag vom 3. März 2008 (Tagesordnungspunkt 17) Beatrix Philipp (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Petra Pau (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Tagesordnungspunkt 19) Lena Strothmann (CDU/CSU) Dieter Jasper (CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD) Andrej Hunko (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen (Zusatztagesordnungspunkt 5) Karl Holmeier (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Sebastian Körber (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Inhaltsverzeichnis 172. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir noch einige vom Deutschen Bundestag zu entsendende Mitglieder bzw. stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates der Kulturstiftung des Bundes zu wählen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für die neue Periode dieses Stiftungsrates wiederum erstaunlicherweise den Bundestagspräsidenten als ordentliches Mitglied sowie die Kollegin Dorothee Bär und den Kollegen Wolfgang Börnsen als stellvertretende Mitglieder vor. Für die SPD-Fraktion sollen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse als ordentliches Mitglied und der Kollege Siegmund Ehrmann als stellvertretendes Mitglied bestellt werden. Die Fraktion der FDP benennt als ordentliches Mitglied den Kollegen Hans-Joachim Otto. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – (Otto Fricke [FDP]: Gerade wegen des -Letzten!) – Auch die Zwischenrufe werden wie immer sorgfältig registriert, Herr Kollege Fricke. – Im Ergebnis ist das der Fall. Dann sind die Kollegin Bär und die genannten Kollegen in den Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen wegen Nichterfüllung der Frauenquote bei den Führungskräften (siehe 171. Sitzung) ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes – Drucksache 17/9145 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 36 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Städtebauliche Qualität des Regierungsviertels verbessern – Drucksache 17/9171 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 37 a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 417 zu Petitionen – Drucksache 17/9177 – b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 418 zu Petitionen – Drucksache 17/9178 – c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 419 zu Petitionen – Drucksache 17/9179 – d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 420 zu Petitionen – Drucksache 17/9180 – e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 421 zu Petitionen – Drucksache 17/9181 – f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 422 zu Petitionen – Drucksache 17/9182 – g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 423 zu Petitionen – Drucksache 17/9183 – h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 424 zu Petitionen – Drucksache 17/9184 – ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen – Drucksache 17/9150 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 33 und 36 e werden abgesetzt. Schließlich mache ich noch auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 22. März 2012 in der 168. Sitzung überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Drucksache 17/7376 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Der am 22. März 2012 in der 168. Sitzung überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Kauder, Dr. Frank-Walter Steinmeier, Gerda Hasselfeldt, Rainer Brüderle, Dr. Gregor Gysi, Renate Künast, Jürgen Trittin sowie weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz – Drucksache 17/9030 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Der am 8. März 2012 in der 165. Sitzung überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss (6. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beobachtung und Überwachung von Mitgliedern des Deutschen Bundestages durch deutsche Geheimdienste – Drucksache 17/8797 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a bis h sowie den Zusatzpunkt 2 auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – Drucksache 17/9046 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – Drucksache 17/9045 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am -Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – Drucksache 17/9048 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes – Drucksache 17/9049 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist – Drucksache 17/9047 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Europäischen Stabilitätsmechanismus ablehnen, europäisches Investitionsprogramm auflegen – Drucksache 17/9146 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Ulrich, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ratifizierung des Fiskalvertrags ablehnen – Ursachenorientierte Politik zur Krisenbewältigung einleiten – Drucksache 17/9147 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Grundlegende Reformen der EU-Verträge umsetzen – Änderungen von Artikel 136 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union verhindern – Drucksache 17/9148 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes – Drucksache 17/9145 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich mache darauf aufmerksam: Hier geht es insbesondere um den Aspekt der Parlamentsbeteiligung bei solchen europäischen Mechanismen. Da sich dazu eine -verständliche, aber im Kern glücklicherweise unnötige Besorgnis artikuliert hat, mache ich darauf aufmerksam, dass wir entsprechende ähnliche Texte auch für die übrigen heute auf der Tagesordnung stehenden Vertragswerke in den Fraktionen bereits nicht nur verfügbar haben, sondern sich auch da ein ähnlich breiter Konsens abzeichnet, wie er diesem gerade zuletzt genannten Gesetzentwurf zur Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetzes zugrunde liegt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Auch hierzu sehe ich keine Änderungswünsche. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister der Finanzen Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den Gesetzentwürfen zur Schaffung einer Fiskalunion und eines dauerhaften Stabilitätsmechanismus schaffen wir einen weiteren wichtigen Baustein zur Überwindung der Vertrauenskrise in den Finanzmärkten, um die Lage der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in Europa nachhaltig zu verbessern. Man muss daran erinnern, dass als Folge der Finanz- und Bankenkrise in den Jahren 2007 und 2008 die wachsende Staatsverschuldung in fast allen Industrieländern von den Finanzmärkten zunehmend – und eigentlich zum ersten Mal – als ein Risiko empfunden worden ist und zu einer entsprechenden Verunsicherung auf den -Finanzmärkten geführt hat. Aus der wachsenden Staatsverschuldung einer Reihe von Mitgliedsländern in der Euro-Zone haben sich Gefahren für nachhaltiges Wachstum ergeben, und das hat zu einer allgemeinen und sich verstärkenden Verunsicherung geführt. Damals bestand in Europa und weltweit Einigkeit darüber, dass die Ursachen die zu hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten fast aller Industriestaaten sind und dass zugleich eine zu geringe Wettbewerbsfähigkeit in einer Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusätzlich zu Spannungen in dieser gemeinsamen europäischen Währung führt. Es bestand Einigkeit darüber, dass diese Probleme nur dadurch gelöst werden können, dass die Ursachen der Krise in den betroffenen Ländern angegangen werden. Deswegen führt kein Weg daran vorbei, dass wir die Krise in den betroffenen Ländern bekämpfen, indem wir die Defizite reduzieren und die Wachstumsperspektiven und die Wettbewerbsfähigkeit durch entsprechende Strukturreformen verbessern bzw. stärken. Es war international völlig einvernehmlich, dass wir dazu eine balancierte Politik aus wachstumsfördernden Maßnahmen und gleichzeitiger Reduzierung der zu hohen Defizite und zu hohen Staatsverschuldungen brauchen, also eine wachstumsfreundliche Defizitreduzierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das entspricht exakt der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, die wir seit Beginn dieser Legislaturperiode betreiben und für die wir in der vergangenen Woche im Bundeskabinett Eckwerte für den Haushalt 2013 und für die mittelfristige Finanzplanung vorgelegt haben. Es ist gelegentlich diskutiert worden, ob wir den richtigen Pfad eingeschlagen haben. Ich glaube, die bisher erzielten Erfolge bei der Reduzierung auch unserer als Folge der Finanzkrise zu hohen Neuverschuldung sowie die Überwindung der Wachstumsdelle belegen, dass diese Politik einer wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung in Deutschland erfolgreich betrieben wird und dass sie in Europa notwendig ist. Genau diese Politik müssen wir konsequent fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir waren uns in Europa in der zu Beginn des Jahres 2010 eingetretenen Euro-Krise bzw. sogenannten Vertrauenskrise im Euro-Raum von Anfang an einig, dass wir eine solche Politik in allen Mitgliedsländern betreiben müssen. Deswegen war es nicht ein Mangel an Solidarität, sondern richtig verstandene finanz- und wirtschaftspolitische Verantwortung, dass wir gesagt haben: Wir dürfen nicht Maßnahmen ergreifen, die dazu führen, dass die Länder nicht selber die notwendigen Korrekturmaßnahmen durchsetzen. – Deswegen wäre alles, was dazu geführt hätte, dass diese Reformen in den betroffenen Ländern nicht ergriffen worden wären, falsch verstandene Solidarität gewesen. Das gilt beispielsweise für die Debatte um Euro-Bonds. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will daran erinnern: Jede Vergemeinschaftung von Haftung bei gleichzeitigem Fehlen einer entsprechenden Finanzstruktur und damit verbunden die Ausschaltung des Marktmechanismus, also des Zinsrisikos, hätten dazu geführt, den Reformdruck nicht zu verstärken, sondern zu verringern. Es wären Fehlanreize gesetzt worden, und genau deswegen haben wir es nicht gemacht. Vielmehr haben wir gesagt: Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Wer auch immer Hilfe braucht, um seine Schwierigkeiten bei der Refinanzierung auf den Finanzmärkten zeitweilig zu überbrücken, bekommt diese Hilfe bei Vereinbarung entsprechender Anpassungsprogramme. Das war der erste Baustein, um die Krise in Europa Schritt für Schritt zu bekämpfen, und wir sind auf diesem Weg erfolgreich. Die Programme funktionieren in Portugal und in Irland. Andere Länder wie Spanien oder Italien haben in den letzten Monaten wichtige Maßnahmen ergriffen, um Fehlentwicklungen nicht fortzusetzen, um Defizite zu reduzieren und die Wachstumsfähigkeit durch Strukturreformen zu verbessern. Selbst in Griechenland, wo wir eine Zeit lang Schwierigkeiten hatten, die getroffene Vereinbarung umzusetzen, haben wir jetzt deutliche Fortschritte gemacht. Ich füge hinzu: Mit dem Schuldenschnitt unter Beteiligung des Privatsektors, der Anlagegläubiger, in Höhe von 53,5 Prozent hat Griechenland eine Chance, im Laufe der Jahre zu einer tragfähigen Entwicklung zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will bei dieser Gelegenheit auch sagen: All denjenigen, die gesagt haben – es waren viele Interessenvertreter des Finanzsektors, die sich so geäußert haben –, das sei gefährlich – was ist nicht alles gesagt worden! –, dieser Schuldenschnitt könne nicht funktionieren und werde nicht funktionieren – es ist darauf hingewiesen worden, was er anrichten könne –, halte ich entgegen: Wie man sieht, hat es funktioniert. Wir haben mit den Vereinbarungen, die wir erreicht und durchgesetzt haben, eine Grundlage geschaffen, dass Griechenland zu einer Schuldentragfähigkeit kommen kann. Die professionellen Interessenvertreter und Angstmacher haben nicht immer recht. Wir haben die richtigen Entscheidungen getroffen. Wir sind auf einem guten Weg, und wir werden diesen Weg konsequent und entschlossen fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Der zweite Baustein ist nun die Schaffung einer dauerhaften Stabilitätsunion. Das, was zu Beginn der Euro-Zone politisch noch nicht erreichbar war, müssen wir – das ist die richtige Lehre aus der Krise – jetzt schaffen. Das, meine Damen und Herren, haben wir mit dem Entwurf dieses Fiskalvertrages erreicht. Alle Länder der Euro-Zone und acht weitere Länder der Europäischen Union verpflichten sich – das hätte vor einem Jahr noch niemand in Europa für denkbar gehalten –, in ihre nationalen Verfassungs- und Rechtsordnungen Schuldenbremsen einzuführen, die der Schuldenbremse des deutschen Grundgesetzes vergleichbar sind. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das zeigt, Herr Kollege Trittin: Es gibt einen grundsätzlichen Einstellungswandel in Europa, was die Nachhaltigkeit von tragfähigen Haushalten anbetrifft. Das ist der entscheidende Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Schuldenbremsen werden eingeführt. Es wird überprüft, dass sie dem entsprechen, was im Fiskalvertrag vereinbart worden ist. Man kann gegebenenfalls den Europäischen Gerichtshof anrufen. Es muss durchgesetzt werden. Auch dies ist ein entscheidender Schritt. Im Übrigen muss man den Fiskalvertrag natürlich im Zusammenhang mit den verstärkten Überwachungsmöglichkeiten in Bezug auf die Haushalts- und Wirtschaftspolitik aller Mitgliedstaaten der Euro-Zone sehen, die wir im sogenannten Sixpack Ende 2011 in Kraft gesetzt haben. Mit diesen Maßnahmen – Fiskalvertrag plus Sixpack – erhält der Stabilitäts- und Wachstumspakt zum ersten Mal Zähne. Jetzt kann er durchgesetzt werden. Jetzt können sich die Fehler der Vergangenheit nicht mehr wiederholen. Der italienische Ministerpräsident hat dieser Tage daran erinnert – Herr Kollege Gabriel, Sie waren gerade in Paris; es ist ganz wichtig, Monti genau zuzuhören –: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt war im Prinzip richtig. Falsch war nur, dass er durch Deutschland unter der rot-grünen Regierung und durch Frankreich (Rainer Brüderle [FDP]: So ist es!) massiv gebrochen und damit zerstört worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen müssen wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. (Zurufe von der SPD und der LINKEN) – Sie hören es nicht gern. Ich bin sehr dafür, dass wir im Zuge der europäischen Entwicklung im Rahmen der politischen Familien miteinander Wahlkampf machen; ich bin aber auch dafür, dass wir die Fehler, die wir in europäischer Solidarität miteinander schon wieder ankündigen, rechtzeitig als solche erkennen. Wenn Sie glauben, Sie könnten nachhaltiges Wachstum in Europa dadurch fördern, dass Sie die zu hohe Staatsverschuldung weiter erhöhen, machen Sie genau die Fehler, die uns in die Krise geführt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das dürfen wir in Frankreich nicht machen, und das dürfen wir in Deutschland nicht machen. Das wäre genau der falsche Weg. Das wäre die falsche Lehre aus dem, was eingetreten ist. Deswegen ist es richtig, dass wir die Mechanismen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verschärfen. Wir haben jetzt quasi automatische Sanktionen. Wir haben vor allen Dingen viel stärkere Möglichkeiten zur Vermeidung von Fehlentwicklungen. Wir haben die Möglichkeit, durch Haushaltsüberwachung präventiv tätig zu werden, bei Ungleichgewichten der wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten früher einzugreifen, Wirtschaftspartnerschaftsprogramme rechtzeitig durchzusetzen. Das alles sind neue Instrumente, die uns in die Lage versetzen, eine wirkliche Stabilitäts- und Wachstumsunion zustande zu bringen. Das fügt sich auch in den Zusammenhang ein; denn natürlich geschieht das alles nicht nur, um Defizite zu reduzieren, sondern auch, um nachhaltiges Wachstum sicherzustellen. Das ist die Aufgabe und der Sinn unserer Politik. So wie sich die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland konkret für die Menschen auswirkt, so wird es überall in Europa sein. Dazu tragen auch der Euro-Plus-Pakt, den die Bundeskanzlerin im vergangenen Jahr durchgesetzt hat, und die vielen Initiativen bei, die zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten in den letzten Monaten ergriffen worden sind, um Wachstumsimpulse in Europa zu verstärken. Auf dem Sondergipfel des Europäischen Rats im Januar beispielsweise ist eine Reihe von weitreichenden Beschlüssen gefasst worden, um die Arbeitsmarktlage etwa in Ländern wie Spanien mit einer Jugendarbeits-losigkeit, die nahe bei 50 Prozent liegt, dauerhaft zu -verbessern und vieles andere mehr. Auch für den Frühjahrsgipfel hat die Bundeskanzlerin eine Reihe von Vorschlägen zur Stärkung von Schlüsseltechnologien, zu strukturellen Reformen – wo nötig, auch am Arbeitsmarkt – eingebracht, um die Weichen für dauerhaftes Wachstum zu stellen. Mit diesen Maßnahmen und einer Politik solider Finanzen sowie einer Begrenzung der Haushaltsdefizite und der Gesamtverschuldung werden wir die Weichen für nachhaltiges Wachstum in Europa stellen. Meine Damen und Herren, das ist der Sinn dieser Vertragswerke, die wir heute hier einbringen. Aber noch einmal: Es muss klar sein, dass wir Wachstum nicht einfach durch höhere Defizite erreichen; das war übrigens weltweit Konsens. Alle internationalen Analysen – von G 20, vom IWF, selbst von der OECD, obwohl wir nicht alle Erklärungen des Generalsekretärs in diesen Tagen immer nur mit Freude zur Kenntnis genommen haben – haben immer dasselbe festgestellt: Die Ursache der Krise war die zu hohe Staatsverschuldung. Wer dauerhaftes Wachstum will, braucht als eine Voraussetzung solide, tragfähige Haushalte. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Fiskalvertrag – all dies dient diesem Ziel. Der nächste Schritt ist übrigens – um auch das zu erwähnen, weil gelegentlich gesagt wird, wir würden von einer Maßnahme zur nächsten gehen; aber das alles hat Konzept und Sinn –, neben der Bekämpfung der Ursachen in den Mitgliedstaaten, neben der Schaffung einer dauerhaften Stabilitätsunion, eine zentrale Maßnahme zur Bekämpfung von Ansteckungsgefahren. Wir haben für die systemrelevanten Banken in Europa sichergestellt, dass sie alle über genügend Kapital verfügen, damit uns das nicht wieder passiert, was uns 2008/2009 passiert ist. Deswegen haben wir den Bankenstresstest durchgeführt, der sicherstellt, dass alle systemrelevanten Banken in der Euro-Zone mit dem nötigen Kapital ausgestattet sind. Das ist ebenfalls ein Beitrag im Rahmen unserer Gesamtstrategie, um die Stabilität unserer gemeinsamen europäischen Währung dauerhaft sicherzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, natürlich gehört als letzter Baustein – neben der Bekämpfung der Ursachen der Krise, neben einer dauerhaften Stabilitätsunion und soliden Strukturen im europäischen Währungssystem, neben einer ausreichenden Kapitalausstattung der Banken – dazu, dass wir für den Fall, dass einzelne Mitgliedsländer der Euro-Zone vorübergehend Schwierigkeiten haben, sich an den Finanzmärkten zu refinanzieren, genügend Mittel zur Verfügung haben, um ihnen Zeit für die Lösung ihrer Probleme zu kaufen. Das ist die Funktion des Rettungsschirms oder der Firewall – die Bekämpfung von Ansteckungsgefahren im Euro-System als Ganzem. Wir haben ja gesehen, dass es geradezu blitz-artig zu einer solchen Ansteckung kommen kann. Deswegen ist es gut, dass wir die vorläufige Finanzierungsfazilität 2010 kurzfristig und schnell geschaffen haben. Aber wir haben im Übrigen schon damals gesagt – da werden uns, völlig wahrheitswidrig, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate vorgehalten –, dass diese Konstruktion eine vorübergehende Maßnahme ist. Was wir anstreben, ist eine dauerhafte, stabile Konstruktion. Die legen wir heute mit den Gesetzentwürfen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus vor. Es ist vorgesehen, durch einen völkerrechtlichen Vertrag eine internationale Finanzinstitution mit einem Ausleihvolumen von insgesamt 500 Milliarden Euro zu gründen. Davon sollen 80 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten als Kapital eingezahlt werden. Der Rest steht als abrufbares, nachschusspflichtiges Kapital zur Verfügung. Damit hat dieser Europäische Stabilitätsmechanismus eine dauerhaft stabile Struktur. Die Bedingungen, unter denen er Hilfe leistet, sind ähnlich wie bei der EFSF. Es wird immer nur Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden. Voraussetzungen hierfür sind Anpassungsprogramme, die mit Ländern, die entsprechende Hilfe benötigen, vereinbart werden müssen. Daran wird sich nichts ändern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben auf ihrem Gipfeltreffen im Dezember verabredet – es wird dauernd gesagt, wir würden immer etwas anderes vorlegen; das ist einfach nicht wahr; man kann das nur sagen, wenn man die Erklärungen nicht zur Kenntnis genommen oder schon wieder vergessen hat –, dass die endgültige Größenordnung des Stabilitätsmechanismus im März noch einmal überprüft werden soll. Sie haben bei ihrem Treffen Anfang März die Finanzminister beauftragt, diese Überprüfung durchzuführen und die notwendigen Schlussfolgerungen daraus Ende des Monats zu treffen. Das werden wir morgen und übermorgen in Kopenhagen tun. Ich werde mit dem Vorschlag in diese Beratungen gehen – den haben wir in dieser Woche sehr intensiv miteinander besprochen –, dass wir entgegen dem, was im Vertragsentwurf steht, das Ausleihvolumen des ESM in Höhe von 500 Milliarden Euro nicht dadurch reduzieren, dass wir die in den bisherigen Programmen für Irland, Portugal und Griechenland vereinbarten Hilfszahlungen von den 500 Milliarden Euro abziehen oder – wie es in der Sprache des Vertrages heißt – konsolidieren, sondern dass wir die 500 Milliarden Euro als zusätzliches Volumen zur Verfügung haben, um die notwendige Solidarität gewährleisten und um die Ansteckungsgefahr bekämpfen zu können. (Zuruf von der SPD: Wo ist denn Schluss? Wo ist denn Ihre rote Linie?) – Das ist exakt die rote Linie in der internationalen Debatte. In der internationalen Debatte hat sich seit geraumer Zeit die Erwartung gefestigt – Sie können eine so hohe Firewall errichten, wie Sie wollen; das nützt gar nichts –, dass die notwendigen strukturellen Maßnahmen in Europa ergriffen und die Ursachen der Krise bekämpft werden müssen. Deswegen habe ich diesen Zusammenhang hier vorgetragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bekämpfung der Ursachen in den Mitgliedstaaten ist notwendig. Jeder kehre vor seiner Tür; wir machen es mit unserer Politik, andere machen es mit ihrer Politik. Wenn wir eine Struktur für die Stabilitätsunion erreichen, die wir in den 90er-Jahren nicht zustande gebracht haben, dann muss die Firewall nicht mehr so hoch sein. Wenn wir zusätzlich zu den schon vereinbarten Programmen ein Ausleihvolumen in Höhe von 500 Milliarden Euro in einer stabilen internationalen Finanzinstitution haben, dann ist das überzeugend, es sei denn, es fangen wieder alle möglichen Leute an, darüber zu reden, dass 3 Milliarden Euro mehr sind als 1 Milliarde Euro. Das ist wahr, löst aber unser Problem nicht. Wir brauchen eine glaubwürdige, in sich schlüssige Politik. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein hoher Anspruch! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wir brauchen die drei Programme für Irland, Portugal und Griechenland. Ich bin ganz sicher, dass die internationale Gemeinschaft im Internationalen Währungsfonds den solidarischen Beitrag der Europäer zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr im Euro-System anerkennt und ihren Beitrag für die globale Weltwirtschaft nicht verweigern wird. Wir treffen unsere Entscheidung in -Europa, so wie es alle von uns erwarten. Mit diesen Entscheidungen werden wir die Verunsicherung auf den Märkten dauerhaft beseitigen können, es sei denn, es würde wieder bewusst Verunsicherung geschürt. Ich will noch ein Wort zum Thema Finanztransaktionsteuer sagen. Wir brauchen für den Fiskalpakt, wie wir alle wissen, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat, weil wir uns verpflichten, die Regelungen unseres Grundgesetzes nicht zu verändern. Das hat verfassungsrechtliche Qualität. Sie haben gesagt, Sie möchten ein glaubwürdiges Bemühen der Bundesregierung für die Einführung einer Besteuerung des Finanzsektors. Die Bundesregierung hat sich seit zwei Jahren mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, dass wir eine Finanztransaktionsteuer in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zustande bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einhellig!) – Einhellig, die ganze Bundesregierung. Entschuldigung, Sie können das alles überprüfen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie es nicht darauf an, Herr Schäuble!) – Es werden wahrheitswidrige Behauptungen durch Wiederholungen nicht besser. Es ist nicht die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Bundesregierung hat in ihrer Finanzplanung im Juni 2010 die notwendigen Entscheidungen getroffen. Jeder kann es überprüfen, dort stehen sie geschrieben. Wahr ist aber auch: In den europäischen Verträgen steht, dass Sie eine europäische Steuer in der Europäischen Union nur zustande bringen, wenn Sie eine einstimmige Entscheidung erzielen. So steht es in den Verträgen. -Europa ist eine Gemeinschaft des Rechts; entgegen den Verträgen kann man nicht handeln. Ich muss Ihnen wahrheitsgemäß sagen: Die Chancen sind nicht sehr groß, dass wir einen einstimmigen -Beschluss zustande bringen. Es ist übrigens auch die Wahrheit, dass die Kommission erst nach einjährigem -Drängen der Bundesregierung und des deutschen -Finanzministers überhaupt einen Vorschlag für eine -Finanztransaktionsteuer entwickelt hat. Zuvor hatte sie keine Präferenz für diese Lösung. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das war das Europäische Parlament!) – Nein, es war die Bundesregierung. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist nicht die Wahrheit, was Sie hier sagen!) – Herr Gabriel, das ist nicht wahr. (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist ein Beschluss des Europäischen Parlaments!) – Es war das Drängen der Bundesregierung und der französischen Regierung. Die Wahrheit ändert sich nicht. Deswegen sage ich: Wir werden alles Menschenmögliche tun, um eine Einigung zustande zu bringen. Wir werden Sie darüber in aller Offenheit informieren. Es fehlt überhaupt nicht am Drängen der Bundesregierung; wir suchen gemeinsam nach Lösungen. Es gibt keinen Grund, daran die Stabilisierung unserer gemeinsamen Währung scheitern zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist der falsche Zusammenhang. Wir wissen, dass alle diese Diskussionen, Verunsicherungen und Entscheidungen unsere Bevölkerung mit großer Sorge erfüllen. Deswegen ist es wichtig, dass wir klar und verlässlich erklären, warum wir welche Entscheidungen treffen. Mit den Entscheidungen, für die wir heute die Gesetzgebungsverfahren eröffnen, gehen wir einen entscheidenden weiteren Schritt, um unsere europäische Währung dauerhaft stabil zu machen, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen und damit eine Voraussetzung zu schaffen, dass wir auch weiterhin solides Wirtschaftswachstum als Grundlage von sozialer Sicherheit haben. Dazu bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Schäuble, in weiten Teilen war das eine Rede für Ihre eigenen Regierungsfraktionen, wenn ich das richtig verstanden habe. Die Ankündigungen, die Sie hier gemacht haben, werden dort gerne gehört werden. Nur – auch wenn ich es nicht vorhabe –: Mit Ihren Ankündigungen und falschen Versprechungen könnte ich hier meine ganze Redezeit ausfüllen. (Otto Fricke [FDP]: Das glauben wir Ihnen!) Davon gab es reichlich von dieser Bundesregierung in der Vergangenheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) – Herr Kauder: Kein Cent für Griechenland – wir erinnern uns gut. Kein permanenter Rettungsschirm – wir erinnern uns gut. Auf keinen Fall Hebelungen – haben Sie auch hier am Podium gesagt. Und ganz sicher waren Sie sich: Keine Aufstockung des ESM. Keine dieser Zusagen hat länger als drei Monate Bestand gehabt. Aus Ihren roten Linien sind im Verlaufe der Diskussion in Wahrheit Wanderdünen geworden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das geht doch weiter. Wenn Herr Seehofer, wie ich gestern gelesen habe, jetzt öffentlich versichert, es bleibe bei Deutschlands Risiko in der Gesamtgrößenordnung von 211 Milliarden Euro, dann ist das doch die nächste Täuschung, die vorbereitet wird. Das dürfen wir nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der SPD) Ich habe es öffentlich und auch hier von diesem Pult aus gesagt: Sie werden mit dem geplanten Volumen für den ESM nicht hinkommen; nicht, weil andere europäische Staaten drängen, sondern weil das Vorhaben ökonomisch nicht aufgeht. Über Monate haben Sie sich mit der Geste der Empörung dagegengestellt, die Aufstockung zurückgewiesen, und jetzt stocken Sie doch auf. Deshalb sage ich: Hören Sie endlich auf, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Sagen Sie offen und ehrlich, was auf unser Land zukommt. Machen Sie Schluss mit Halbwahrheiten und verschwurbelten Kurskorrekturen. Eine solche hat heute hier stattgefunden. (Beifall bei der SPD) Stattdessen verfallen Sie wieder in den alten Fehler: Sie reden die Lage schön. Sie hoffen, dass nach der kleinen Beruhigung der Märkte über Weihnachten hinweg dieser ganze Europa-Griechenland-Rettungsschirm-Albtraum endlich vorbei ist: Jetzt noch schnell ein bisschen Fiskalpakt, dann deutsche Haushaltsdisziplin in ganz Europa, und dann können wir uns endlich wieder dem Regierungsalltag zuwenden. Dieser Alltag besteht aus Klein-Klein und einem Kleinkrieg im ganzen Kabinett, jeder gegen jeden. All das können die Leute nicht mehr hören. Das schädigt nicht nur das Vertrauen in Ihre Politik, sondern auch das Vertrauen in die ganze deutsche Politik. Wenn es so weitergeht, meine Damen und Herren, dass heute nicht mehr das gilt, was gestern galt, und morgen nicht mehr das gilt, was heute gilt, dann – ich sage es Ihnen – werden wir die Menschen in Deutschland auf dem Weg nach -Europa verlieren. Das darf nicht sein; das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für mich ist jedenfalls klar: Auch im vierten Jahr nach der Lehman-Pleite ist diese Krise keineswegs zu Ende. Herr Schäuble, ich würde gern dieselbe Hoffnung, denselben Optimismus haben wie Sie. Aber schauen wir ein bisschen auf die Wachstumszahlen: Da sind eben nicht nur Griechenland, Portugal und Spanien; da fällt doch auch Ihnen auf, dass ein gesundes Land wie die Niederlande plötzlich ins Minuswachstum gerät, sich Rezession andeutet. Es ist ja wahr: Noch leben wir hier in Deutschland auf einer Insel der Seligen. Aber jeder, der ein bisschen ökonomischen Sachverstand hat, der weiß, dass die roten Zahlen der anderen von heute unsere Probleme von morgen sind. Ich wünschte es mir auch anders. Aber es kann doch nicht sein, dass es allen um uns herum in Europa schlecht geht und es uns auf Dauer gut geht; dieser Zusammenhang kann leider so nicht bestehen. Daran, Herr Schäuble, kann man sich nicht vorbeiträumen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Großkrisen wie diese haben wir in den letzten Jahrzehnten Gott sei Dank nicht allzu häufig gehabt. Aber eines wissen wir alle miteinander: Erstens sind sie nicht in wenigen Jahren überwunden. Zweitens erledigt sich durch Abwarten gar nichts, erst recht nicht von selbst. In solchen Situationen kommt es auf die Politik an, auf Mut, Klugheit und Weitsicht in der Politik. Deshalb brauchen wir jetzt miteinander eine wirklich ernsthafte Diskussion über die nächste Wegstrecke, die vor uns liegt. Fiskalpakt und ESM, über die wir heute und in den nächsten Wochen diskutieren, sind eben nicht der Schlussstein in einem abgeschlossenen europäischen Rettungswerk; das sind Zwischenstationen, das sind Wegmarken. Vor allen Dingen müssen wir jetzt in dieser Diskussion sagen, wohin denn die Reise insgesamt gehen soll: Welchen Weg wollen wir in Europa gehen? Wie sieht unser Langfristkonzept zur Überwindung der Krise aus? Wie sollen wir in Europa neues Wachstum und neue Beschäftigung entstehen lassen? Wie gelingt es uns vor allen Dingen, auch die Finanzmärkte an der finanziellen Bewältigung der Krise zu beteiligen? – Das sind aus meiner Sicht die drängenden Fragen, die über das Wohl und Weh in Europa in den nächsten Jahren entscheiden werden, und zwar mehr noch als der Fiskalpakt, der zu 90 Prozent bereits europäisches Recht ist. Das dürfen nicht nur unsere Fragen sein, meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen; das müssen auch Ihre Fragen sein. Dass Sie sie nicht stellen, werfe ich Ihnen vor. (Beifall bei der SPD) Sie haben es doch in den letzten Wochen gemerkt: Eine Zweidrittelmehrheit, wie sie jetzt notwendig ist, ist in einem Parlament keine Selbstverständlichkeit, auch nicht im Deutschen Bundestag. Da muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Da muss die Bundesregierung endlich einmal die eigenen internen Konflikte entscheiden. Das ist Ihre Bringschuld, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie sagen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind doch in einem Konflikt!) – Herr Kauder, gehen Sie nicht davon aus, dass Ihnen die Zustimmung zum Fiskalpakt und zum ESM einfach so in den Schoß fällt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Gabriel macht Ihnen schon Ärger!) Ich sage Ihnen: Gerade weil uns Europa eine Herzensangelegenheit ist, gerade weil wir in der Vergangenheit eine Opposition waren, die mit Verantwortung umzugehen wusste, (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmen Sie zu?) werden wir uns die Sache nicht leicht machen. Wir wollen ein Europa, das neues Wachstum schafft. Wir wollen ein Europa, das Werte schöpft und nicht nur Wurmfortsatz der Finanzmärkte ist. Ich sage Ihnen ganz klar: Was wir nicht hinnehmen werden, ist ein Europa, in dem jeder zweite Jugendliche arbeitslos ist. Das geht nicht, und das ertragen wir miteinander nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Dann holen wir sie halt her zu uns!) Auf diese Fragen ist bisher keine Antwort gegeben worden – dröhnendes Schweigen statt neuer Ideen, erhobener Zeigefinger statt ausgestreckter Hand. So geht das in Europa nicht, und so sichern wir auf Dauer auch nicht die notwendige Stabilität für Deutschland. Lieber Herr Brüderle und lieber Herr Westerwelle – Sie sind diejenigen, deren Äußerungen dazu ich gelesen habe –: Wenn Sie sich hinstellen und öffentlich -sagen, die SPD werde am Ende sowieso zustimmen müssen, dann sage ich Ihnen: Das ist genau die Unernsthaftigkeit, mit der Sie Politik machen (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) und wegen der Sie im Augenblick reihenweise von den Wählern in die Bedeutungslosigkeit geschickt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,2 Prozent!) Ich habe in den letzten Wochen viel mit unseren europäischen Partnern in Frankreich, Italien oder Finnland gesprochen. Herr Schäuble, ich habe in Italien viel Aufbruch gesehen, auch die wirklich ernsthafte Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Aber ich sage Ihnen auch: Keiner von meinen Gesprächspartnern war der Meinung, dass der Fiskalpakt allein ausreicht, um Europa wieder auf den Wachstumspfad zu bringen. Haushaltsdisziplin ist notwendig; wem sagen Sie das? Dafür haben wir in der Großen Koalition gesorgt und nicht Sie! (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben dafür gesorgt, dass die Schuldenbremse in diesem Land gilt. (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Bald wird sie!) Ich sage auch: Selbstverständlich muss das, was bei uns gilt, auch andernorts in Europa gelten; keinen Zweifel darüber. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und in Nordrhein-Westfalen!) – Ich weiß gar nicht, was Sie haben. Arbeiten Sie sich an denen ab, die es angeht, nicht an mir. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das macht schon der Gabriel! Der arbeitet sich schon an Ihnen ab!) Fiskalpakt, Haushaltsdisziplin, Einsparung, Schulden vermeiden, Reduzierung der Neuverschuldung – das ist alles notwendig. Darüber herrscht gar kein Streit. Aber Ihnen muss klar sein: Das allein ist noch keine Zukunftssicherung. Sie können nicht daran vorbeigehen: Wenn 27 Staaten in Europa gleichzeitig nichts anderes tun, als fantasielos zu sparen, dann kann daraus kein Wachstum entstehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist keine rote Linie, das ist eine ökonomische Binsenweisheit, und die kann man doch nicht beiseiteschieben. Sie müssen sagen, wie in Europa das Wachstum von morgen entsteht. Dazu gehören Strukturreformen auf der Ebene der Nationalstaaten, ganz zweifellos. (Otto Fricke [FDP]: Zum Beispiel?) – Wer war das mit dem Zwischenruf? Herr Fricke, glaube ich. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Unverschämt! Der ruft einfach dazwischen!) Ich weiß gar nicht, was Sie haben. Herr Fricke, ich sage zu Herrn Schäuble, dass er recht hat: Viele Staaten haben ein Problem mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Aber jetzt frage ich Sie: Was haben Sie getan? (Otto Fricke [FDP]: Nein, sagen Sie doch mal was!) Als wir in Deutschland 5 Millionen Arbeitslose hatten, als unser Land unter der hohen Arbeitslosigkeit ächzte, (Unruhe bei der CDU/CSU) als wir hier in Deutschland nationale Strukturreformen in Gang gesetzt haben, da haben Sie sich zurückgelehnt (Otto Fricke [FDP]: Wir haben Ihnen doch erst die Mehrheiten im Bundesrat verschafft!) und Zeitungsseiten gefüllt mit Sätzen wie: Alles zu wenig, alles zu kleine Schritte, so kann das nichts werden. – Heute ruhen Sie sich auf dem aus, was andere geleistet haben. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist der Witz des Tages!) – Wo ist eine einzige nationale Strukturreform, die Sie sich zuschreiben können? Keine einzige! (Beifall bei der SPD) Als Sie gemeinsam 1998 aus der Regierung gegangen sind, Herr Fricke, (Otto Fricke [FDP]: Jetzt sind wir schon bei 98, okay!) hatten wir ein Rentenrecht, das uns auf einen Beitragssatz von 26 Prozent katapultiert hätte. Ohne uns säßen Sie heute tief im Dreck. Seien Sie also ruhig, was die Wettbewerbsfähigkeit angeht! (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Die FDP hat ein Problem mit dem Wettbewerb!) Meine Damen und Herren, ich glaube im Ernst: (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Genau, jetzt machen wir wieder Ernst!) Wir müssen den Menschen sagen, wo in Zukunft neues Wachstum entstehen kann. Dazu brauchen wir nationale Strukturreformen. Ich persönlich glaube: Es wird nicht gehen ohne Wachstumsimpulse auch von der europäischen Ebene aus. Deshalb sage ich: Wir müssen die vorhandenen europäischen Strukturfonds voll ausschöpfen. Beim Reden über Verwendungszweck und Kofinanzierungsregeln darf es keine Tabus geben. Wir müssen die Ausleihkapazität der Europäischen Investitionsbank erhöhen. Wir müssen auch ernsthaft über Projektbonds reden, und wir brauchen Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Wenn Sie der Meinung sind, das alles brauchten wir nicht, dann werden Sie die Menschen verlieren; das garantiere ich Ihnen. (Beifall bei der SPD) Herr Schäuble, die Schaffung von finanziellen Ressourcen ist nicht einfach; das weiß ich. Wir gehören ja zu denjenigen, die schon ein bisschen länger für die Besteuerung der Finanzmärkte eintreten. Aber ich würde, anders als Sie, sagen: Die Zahl der Unterstützer für eine Besteuerung der Finanzmärkte hat nach meiner Wahrnehmung in den letzten zwei Jahren eher zugenommen, international und auch national. Auf nationaler Ebene sehe ich mit Freude, dass Sie zu den Unterstützern gehören. Ich sehe aber auch, dass die FDP nach wie vor abseitssteht, sich bei der Besteuerung der Finanzmärkte ziert, dafür aber halbgare Vorschläge macht wie zum Beispiel die Übernahme der britischen Stempelsteuer. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was Sie da vorschlagen. Das ist nämlich ein Modell, das vor allen Dingen Kleinanleger trifft, das aber gerade Derivate und andere gefährliche Finanzmarktprodukte außerhalb der Besteuerung lässt. Wer solche Vorschläge macht, der kann nicht erwarten, dass er in Übereinstimmung mit den Erwartungen der Menschen in diesem Land handelt. Das ist meine schlichte Analyse. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden uns jedenfalls mit der Haltung in der Regierung „Schäuble dafür und Rösler dagegen“ nicht noch einmal abspeisen lassen. Wir kommen nur weiter, wenn die Regierung ihre Selbstblockade bei der Besteuerung der Finanzmärkte aufhebt. Die Finanzmarktbesteuerung muss aus meiner Sicht kommen. Es ist jetzt an der Zeit, sie mit konkreten Schritten vorzubereiten. Herr Schäuble, wenn dies an Großbritannien scheitert, dann werden wir auf der EU-27-Ebene nicht handeln können. Wenn die Niederlande innerhalb der Euro-Zone ein Veto einlegen, dann wird es kurzfristig innerhalb der Euro-Zone nicht gehen. Ich sage nur: Es gibt andere Wege, um politische Ziele durchzusetzen, nämlich den Weg der verstärkten Zusammenarbeit. Das ist jetzt gefragt, wenn Sie es wirklich ernst meinen. So viel dazu. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Des Weiteren möchte ich Ihnen sagen: Jenseits der Fragen von Wachstum und der Reichweite der Regelungen des Fiskalpakts und des ESM gibt es zumindest aus unserer Sicht einen rechtlichen Klärungsbedarf, der nicht von Pappe ist. Das zeigt schon die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit. Hier geht es um Entscheidungen, die wir zu treffen haben, die durchaus tief in die Verfassungsordnung dieses Landes, vielleicht auch in die Rechte des Parlaments eingreifen. Daraus ergeben sich zentrale Fragen, auf die hoffentlich nicht nur wir eine klare Antwort brauchen: Wie verhält sich die Schuldenbremse im Fiskalpakt zur nationalen Schuldenbremse? Gibt es für Bund und Länder eine Verschärfung der Regelungen? Wer definiert die konkreten Anforderungen für Konsolidierungspfade? Welche zusätzlichen Verpflichtungen ergeben sich für die -Länder? Gibt es Konsequenzen für die innerstaatliche Finanzordnung und auch für das Haushaltsrecht? Und am Ende die Frage: Wer ist in Zukunft für eventuelle Verstöße verantwortlich? Sie können doch nicht einfach eine Unterstützung aus den Reihen des Bundestages erwarten, wenn diese Fragen nicht beantwortet sind. Deshalb fordere ich Sie auf – das ist mein Appell –, Antworten zu geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Machen Sie es sich bitte nicht zu einfach! Ich glaube, da kann man sich nicht mit drei Sätzen aus den Ministerien durchwursteln. Auch Ihre Fraktionen wissen, Herr Schäuble: Bei einer Reihe von Fragen betreten wir schwieriges verfassungsrechtliches Neuland. Wir wissen, dass das Verfassungsgericht genau hinschaut, dass es die Diskussionen, die wir hier führen, besonders intensiv verfolgt. Nichts wäre doch peinlicher – darüber sind wir uns hoffentlich einig –, als wenn eine Entscheidung, die wir hier mit großer Mehrheit, vielleicht mit Zweidrittelmehrheit, fällen, anschließend vom Bundesverfassungsgericht kassiert würde. Daran kann niemand ein Interesse haben. Deshalb erwarten wir begründete Antworten auf diese Fragen. (Beifall bei der SPD) All das macht klar: Was wir hier vor uns haben, ist keine europapolitische Routineentscheidung. Es geht nicht nur um viel Geld. Darum geht es auch, aber vor allen Dingen geht es um den künftigen Weg in Europa. Die Frage ist, ob Politik mit den Entscheidungen, die wir jetzt vor uns haben, wirklich Handlungsfähigkeit in -Europa zurückgewinnt oder ob wir weiter mit ängstlichem Blick auf die täglichen Ratings und mit ängstlichem Blick auf die Märkte gefesselt bleiben. Wir werden uns unsere Entscheidung nicht leicht machen. Ich finde, auch Sie dürfen sie sich nicht leicht machen. Klarheit und Wahrheit sind jetzt gefordert. Nur dann kann der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit verantwortlich entscheiden. Wie genau, das liegt auch in Ihrer Hand. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Rainer Brüderle ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rainer Brüderle (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat letzte Woche eine positive, ermutigende Einschätzung der Lage im Euro-Raum abgegeben. Die Währungsunion ist aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraus. Die Ansteckungsgefahren haben sich merklich verringert. Das hat einiges mit der Europapolitik der christlich-liberalen Koalition zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Was? Das glauben Sie doch selber nicht!) Wir haben Stein auf Stein gesetzt, Brandmauern hochgezogen und so die Voraussetzungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit geschaffen. Diese Brandmauern schützen den Euro. Ohne die stabilitätspolitische Haltung der deutschen Regierung wären viele Dämme gebrochen. Ich sage nur: Euro-Bonds, diese neue Spielart von Zinssozialismus; (Zurufe von der SPD: Oh!) Banklizenz für Rettungsschirme; Notenpresse bei den Rettungsschirmen. Das sind genau die falschen Ansätze. Herr Draghi sagt auch: Es darf keine Transferunion geben. Recht hat er. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Europa braucht eine stabilitätsorientierte Politik. Zu hohe Schulden sind kein Fundament für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Ohne stabiles Geld ist ökonomisch Vernünftiges nicht erreichbar. Stabiles Geld ist die Geschäftsgrundlage unserer Demokratie. Am Beginn und Ende der unseligsten Zeit der deutschen Geschichte standen Geldentwertung, Inflation. Das sollten wir im Hinterkopf behalten. (Beifall bei der FDP) Inflation bedeutet Umverteilung von unten nach oben. Geldwertstabilität ist stille Sozialpolitik. Diese stabilitätsorientierte Politik wird bei uns umgesetzt. Auch in Europa greift sie. Der Süden Europas macht sich auf den Weg, ähnlich vorzugehen. Unsere Vorstellungen werden umgesetzt. Wichtige Reformen werden umgesetzt, Haushalte konsolidiert, Märkte geöffnet und Beschäftigungshürden abgebaut. Auch Irland berappelt sich. Ich warte nur noch darauf, dass linke Spruchbeutel wie Cohn-Bendit sagen, dass neoliberale Talibane am Werk sind, die das bewerkstelligen. Wachstum ohne Reformen gibt es nicht. Deshalb nehmen sich die Vernünftigen in Europa Deutschland als Vorbild. Nur Herr Gabriel macht das anders. Er trifft sich mit François Hollande. Dieser will 75 Prozent Spitzensteuersatz, und er will den Fiskalpakt schleifen. Das hat selbst in der SPD Kopfschütteln ausgelöst. Herr Steinbrück spricht von einer naiven Vorstellung Hollandes. Herr Gabriel jubelt das hoch. Das zeigt: Sie ticken falsch mit Ihrer Politik. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist Gabriel abgeblieben?) Kollege Steinmeier muss sich fast täglich selbst verleugnen. Steinmeier hat die Zeitarbeit flexibilisiert, er hat den Spitzensteuersatz gesenkt, er hat die Rente mit 67 unterstützt, er hat die Hartz-Reformen entworfen und umgesetzt. Herr Gabriel kassiert alle diese Themen wieder ein, Herr Steinmeier muss permanent eine Kröte von Gabriel nach der anderen schlucken. Er muss durch all die Kröten von Gabriel Halsschmerzen haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Herr Brüderle, mit Fröschen kennen Sie sich ja aus!) Mit der SPD würde Deutschland wieder in eine Rezession hineinsteuern. Schuldenumverteilung, Steuer-erhöhungen, so sieht Ihr Programm aus. Sie schlingern, wenn es um Sachfragen geht. Zuerst haben Sie die Griechenland-Hilfe abgelehnt, dann sind Sie eingeschwenkt, dann drohen Sie mit einem Nein zum Fiskalpakt. Jetzt wollen Sie Kopplungsgeschäfte machen. Der Europäische Stabilitätspakt eignet sich nicht zum Basar. Staatspolitische Verantwortung ist gefordert und nicht der billige Jakob. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herrn Steinmeier will ich nicht absprechen, dass er sich um staatspolitische Verantwortung bemüht. Aber Herr Gabriel hintertreibt dies. Die Süddeutsche Zeitung hat gestern offenbart, dass mit SMS-Anweisungen und Wortgefechten der Kurs von Herrn Steinmeier hintertrieben wird. Mit Textmitteilungen gegen den Fiskalpakt werden Sie keine zukunftsorientierte Politik betreiben können. Dass Sie kräftig Schuldenpolitik betreiben, kann man ja in Nordrhein-Westfalen sehen. Der Haushalt dort ist verfassungswidrig. Dort machen Sie Schulden, dass es kracht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber stimmen wir noch ab! Das wird sehr lustig!) Herr Gabriel will noch die Schulden der Kommunen vergemeinschaften. Es fehlt nur noch, dass Herr Gabriel in Dortmund und Essen die Akropolis originalgetreu nachbauen will. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch einen Schoppen Wein und eine Weinkönigin zum Küssen! Dann sind wir auf Ihrem Niveau! Tiefer geht es gar nicht mehr!) Herr Thierse weiß, wie man das finanziert: Mit einem Ruhr-Soli will er diese Schulden finanzieren. Es bestätigt sich der alte Satz: Fällt den Sozis etwas ein, muss es eine neue Steuer sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Oh! Das ist ein Kalauer!) Ähnlich verhält es sich mit der Finanztransaktionsteuer. Es geht Ihnen doch gar nicht darum, Spekulationen einzudämmen. Sie wollen nur mehr Geld für neue Konjunkturprogramme kassieren. „Rasen für die Rente“ kennen wir schon. Jetzt wollen Sie „Spekulieren für mehr Seifenblasenprogramme in Griechenland“. Das ist die neue Strategie. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind nur zu übertreffen durch Westerwelle, wenn er sagt: Wir sind das letzte Bollwerk der Freiheit! Das gibt es doch gar nicht! Nehmen Sie doch einmal das Land ernst! Immer dieser Klamauk!) Wir brauchen gangbare Lösungen und keinen Sozialpopulismus. Es gibt zwei Hauptfaktoren dafür, dass wir keinen optimalen Währungsraum haben. Erstens ist die Arbeitskräftemobilität zu schwach ausgeprägt, und zweitens fehlt eine politische Union. In der Tat gibt es eine erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und anderen Ländern, aber da können wir ein Stück helfen, indem wir die Mobilität erhöhen. In Deutschland haben wir einen Mangel an Auszubildenden, und wir brauchen Fachkräfte, um die Voraussetzungen für die Zukunft zu schaffen. Wenn wir Europa ernst meinen, müssen wir auf dem Arbeitsmarkt entsprechende Mobilität ermöglichen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die politische Union ist die größere Herausforderung. Wir haben damals mit dem Stabilitätspakt Hilfskonstruktionen geschaffen; diesen hat Grün-Rot zerrissen. Herr Monti hat gestern zu Recht herausgestellt, dass Grün-Rot und Frankreich dies zerrissen haben. Er sagte wörtlich: Wenn der Vater und die Mutter der Euro-Zone die Regeln verletzen, kann man natürlich nicht erwarten, dass sich Griechenland daran hält. So Monti. Er weiß, wovon er redet. Er hatte als Kommissar mit dem Monti-Plan ein Konzept vorgelegt, in dem dargelegt wird, wie man Wachstum generieren kann. Dies macht man, indem man den Binnenmarkt reguliert, und nicht, indem man schuldenfinanzierte neue Konjunkturprogramme, Strohfeuerprogramme auflegt. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit stärken; so stärken wir aus der Substanz heraus Europa. Das ist der zielführende Weg. Das muss umgesetzt werden und nicht das, was Sie und Hollande sich vorstellen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen jetzt einen Stabilitätspakt II schaffen. Darum geht es heute. Der ESM ist dabei ein zentrales Element. Er wird aber erst in Jahren seine volle Schlagkraft entfalten. Die Mittel werden in Raten eingezahlt. Es ist ein eigenkapitalunterlegtes Konzept. Diese Verzögerung der vollen Wirkung können wir nur verhindern, indem wir bereits belegte Mittel der EFSF bestehen lassen. Wir erleichtern damit den Übergang zwischen den beiden Rettungsschirmen. Die EFSF wird sich sozusagen über die Zeit auswachsen und dann voll in die Wirkungs-mechanismen des ESM hineinstrahlen. Das ist ein starkes Signal an die Märkte und an den IWF, dass er sich auch weiter hälftig an dem Konzept beteiligt. (Joachim Poß [SPD]: Hälftig?) – Ja, er übernimmt die Hälfte. Sie wollen das wohl nicht verstehen, Herr Poß. Das macht aber nichts. Es ist trotzdem richtig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie so nuscheln! Das versteht man schon akustisch nicht!) Ich zitiere: Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten. Das, Herr Gysi, hat der Genosse Lenin erklärt. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Insofern ist wichtig, dass die bürgerliche Koalition aus CDU/CSU und FDP nicht zulässt, dass unser Geld in-stabil wird. Wir stehen für Stabilität, soziale Markt-wirtschaft und ein starkes Europa. Schulden, Arbeits-losigkeit und Inflation sind rot-grün und dunkelrot. Wachstum, Stabilität und Beschäftigung sind schwarz und gelb. Deshalb ist unser Kurs richtig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, ich staune, dass Sie Lenin intensiver gelesen haben als ich. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Jetzt aber mal nicht kokettieren!) Der EU-Gipfel am 30. Januar 2012 hat den Fiskalvertrag für 17 Euro-Staaten und acht weitere Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens beschlossen. Der Vertrag soll bis zum 1. Januar 2013 ratifiziert werden. Aber er ist kein gewöhnlicher Vertrag der Europäischen Union, sondern er befindet sich außerhalb des EU-Rechts. Es geht um verbindliche Regelungen für die Staaten zum Schuldenabbau, um die sogenannte Schuldenbremse in den Staaten, um Sanktionen gegen Staaten, die gegen Regelungen verstoßen. Mithin geht es um deutliche Einschränkungen der Budgethoheit der Staaten und ihrer frei gewählten Parlamente. Dieser Vertrag wird die Situation in den EU-Staaten grundlegend verändern, auch und in besonderer Weise in Deutschland. Zunächst zur Frage des Grundgesetzes. Im Vertrag ist keine Kündigungsmöglichkeit vorgesehen. Dann ist eine Kündigung nur nach Völkervertragsrecht, das heißt nach der Wiener Vertragsrechtskonvention zulässig. Die dort geregelten Voraussetzungen wie die Unmöglichkeit der von Deutschland geforderten Leistung oder die grundlegende Änderung sämtlicher Umstände werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals eintreten. Damit bliebe nur die Möglichkeit, dass sich alle Unterzeichnerstaaten auf eine Aufhebung verständigten – eine Variante, über die wir ebenso wenig nachzudenken brauchen. Die Unkündbarkeit des Vertrages bedeutet, dass die Artikel, die bei uns die sogenannte Schuldenbremse regeln, die uns an EU-Recht und Sanktionen binden – die Art. 109, 115 und 143 d des Grundgesetzes –, niemals mehr verändert werden dürfen; ansonsten würde der Fiskalpakt verletzt werden. Das Grundgesetz regelt aber in Art. 79 Abs. 1 und 2 die Zulässigkeit und die Bedingungen für die Änderung des Grundgesetzes. Eine Ausnahme bildet das Verbot von bestimmten Änderungen des Grundgesetzes nach Art. 79 Abs. 3; dazu später. Die Art. 109, 115 und 143 d des Grundgesetzes zur Schuldenbremse und zu den anderen genannten Fragen fallen nicht unter die Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz. Ihre Änderung ist also nach Art. 79 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes zulässig. Wenn das Grundgesetz aber die Zulässigkeit der Änderung dieser Artikel ausdrücklich zulässt und ein zu ratifizierender Vertrag diese Möglichkeit dann tatsächlich ausschließt, ist der Vertrag grundgesetzwidrig. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt einen weiteren, vielleicht noch wichtigeren Punkt. Jeder Staat darf nach dem Vertrag nur Schulden in Höhe von 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung haben. Wir aber haben Schulden von 83 Prozent unserer Wirtschaftsleistung, nämlich über 2 000 Milliarden Euro. Wir werden durch den Vertrag verpflichtet, den überschießenden Betrag von etwa 500 Milliarden Euro jährlich um 5 Prozent abzubauen. Das heißt, der Bundestag wird völkerrechtlich gezwungen, 20 Jahre lang jeweils 25 Milliarden Euro an Schulden abzubauen. Trotzdem dürfen wir noch eine Neuverschuldung von zunächst 0,5 Prozent und dann nur noch von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beschließen. Es handelte sich um 12 bzw. knapp 9 Milliarden Euro. Die Regelung einer Neuverschuldung von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gilt nur für gering verschuldete Staaten, also nicht für Deutschland. Kommt es zu der berechneten Neuverschuldung, dann ist ja auch dieser Betrag eine überschüssige Schuld und erhöht die abzubauenden 5 Prozent, sodass es dann um mehr als um 25 Milliarden Euro Schuldenabbau pro Jahr geht. Das alles greift tief in die Budgethoheit des Bundestages ein. Zusätzlich hat dann ja noch die EU-Kommission zu prüfen, ob die Kriterien des Vertrages eingehalten wurden und kann Korrekturen und, wie auch Herr Schäuble gesagt hat, verbindlich geregelte Strafen festlegen. Der Europäische Rat, der aus den Regierungschefs besteht, kann nur mit qualifizierter Mehrheit solche Festlegungen wieder aufheben. Für Griechenland wird es diese qualifizierte Mehrheit nie geben, für Deutschland vielleicht -gerade noch. Hier wird nicht nur europäisch in die Haushaltshoheit der Staaten eingegriffen, sondern die Regierungschefs werden auch noch über die Parlamente gestellt, was -unser Grundgesetz ebenfalls ausschließt. (Beifall bei der LINKEN) Die Kernfrage im Verhältnis zum Grundgesetz ist -folgende: Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz regelt, dass -bestimmte Teile des Grundgesetzes nie verändert werden dürfen. Dazu gehören die Grundsätze des Art. 20 Grundgesetz. Aus ihnen ergibt sich, dass die Staatsgewalt von unserem Volk ausgeht und dass nur die im Grundgesetz geregelten Organe für Gesetzgebung zuständig sind. Es ist eine bestimmte demokratische Ordnung festgelegt. Das schließt nach allen Kommentaren die Budgethoheit des Bundestages ein. Im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 bestimmte das Bundesverfassungsgericht diese Verfassungsidentität wörtlich wie folgt: Zu wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören … Einnahmen und Ausgaben einschließlich der Kreditaufnahme … des Bundes. Herr Präsident, Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren von Union, SPD, FDP und Grünen, mit diesem Vertrag beginnen Sie die Gründung einer europäischen Föderation, der Vereinigten Staaten von Europa, und zwar über eine Fiskalunion. Das aber lässt das Grundgesetz so nicht zu, wie man im Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachlesen kann. (Beifall bei der LINKEN) Dafür gäbe es nur einen Weg, nämlich den, endlich Art. 146 Grundgesetz zu erfüllen, also das Grundgesetz durch eine durch Volksentscheid angenommene Verfassung zu ersetzen. Dann müssten wir einen neuen Verfassungsentwurf erarbeiten, in den natürlich wichtige -Bestandteile des Grundgesetzes übernommen werden müssten, und ihn dem Volk zur Entscheidung vorlegen. Undemokratisch haben Sie, Herr Schäuble, zu einem Gespräch über den Fiskalvertrag nur Union, SPD, FDP und Grüne eingeladen. Die waren mit unserer Ausgrenzung wie immer einverstanden. Vielleicht lohnte es sich auch für Sie, über diese Verfassungsfragen ernsthaft nachzudenken. (Beifall bei der LINKEN) Höchstwahrscheinlich werden Sie meine diesbezüg-lichen Ausführungen ignorieren, aber es könnte sein, dass wir das eines Tages, dann aber alle zusammen, sehr teuer bezahlen müssen. Über föderative europäische Strukturen darf man selbstverständlich nachdenken, aber dann muss es sich um ein soziales, ein freiheitliches, ein demokratisches und ein ökologisches Europa der Bevölkerungen handeln. (Beifall bei der LINKEN) Sie aber zerstören in Europa den Sozialstaat. Sie zerstören wichtige demokratische Grundsätze, einschließlich der Rechte des Europaparlaments. Sie bauen ein Europa für die Banken und Hedgefonds und nicht für die Bevölkerungen. (Beifall bei der LINKEN) Alle anderen Fraktionen sprechen absichtsvoll und falsch von einer Staatsschuldenkrise. Hier findet aber eine Verwechslung der Ursachen mit den Folgen statt. Die Ursache ist ganz eindeutig die Bankenkrise. Hier in Deutschland mussten wir einen Rettungsschirm von 480 Milliarden Euro aufstellen. Der EU-Wettbewerbskommissar Almunia – falls Sie mir nicht glauben – stellte jetzt fest: Allein von 2008 bis 2010 haben die EU-Staaten mehr als 1 600 Milliarden Euro bzw. 13 Prozent ihrer gesamten Wirtschaftsleistung, also der Wirtschaftsleistung der 27 EU-Staaten, für die Rettung von Banken ausgegeben. Aber Sie sprechen von einer Staatsschuldenkrise, damit die Leute glauben, sie hätten zu viel verbraucht oder, wie Frau Merkel sagt, über ihre Verhältnisse gelebt. Sie wollen die Banken, Hedgefonds und Spekulanten aus dem öffentlichen Blick verdrängen. Das können wir nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn man an diese Summen denkt, die für Banken zur Verfügung gestellt bzw. einfach so verschenkt wurden, und jetzt dieses Affentheater wegen einer Bürgschaft von 70 Millionen Euro für 11 000 und mehr -Beschäftigte des Schlecker-Unternehmens erlebt, damit diese in eine Auffanggesellschaft überführt werden können, dann ist das wirklich unerträglich und nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Was entscheiden Sie weiter? Sie wollen jetzt die europäischen Rettungsschirme zusammenlegen, was Sie früher immer abgelehnt haben. Dann handelt es sich um -einen Betrag von 700 Milliarden Euro. Die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften dann für bis zu 400 Milliarden Euro. Jetzt kommt aber die OECD und sagt: 700 Milliarden Euro reichen nicht aus. Der Betrag muss aufgestockt werden auf 1 Billion Euro. – Dann hafteten wir übrigens schon für fast 600 Milliarden Euro; das möchte ich nur nebenbei einmal sagen. Dann tun Sie so, als ob der Haftungsfall nicht eintritt. Aber ich sage Ihnen: Dieser kommt schneller und unerwarteter, als Sie das jetzt glauben. Die ganze Entwicklung spricht dafür. Dann frage ich Sie: Wie wollen Sie das eigentlich -bezahlen? Wovon eigentlich? Wollen Sie einen ganzen Bundeshaushalt ausfallen lassen? Wollen Sie alle Einrichtungen schließen? Merken Sie eigentlich noch, welche irrealen Absurditäten Sie festlegen und unterschreiben? Es ist doch überhaupt nicht verantwortbar, was auf dieser Schiene passiert. (Beifall bei der LINKEN) Wissen Sie, was mich am meisten stört? Dass die Banken und Hedgefonds aufgrund Ihrer Politik nicht das geringste Risiko eingehen. Wenn die Deutsche Bank und andere riesige Profite machen, verteilen sie die an ihre Großaktionäre und in Form von Boni an ihre leitenden Angestellten. Aber wenn sie Verluste machen? Na und! Das bezahlen alles die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Die Banken haben nichts damit zu tun. Sie haften noch nicht einmal für ihre schlechte Politik. Ich finde das nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Erklären Sie das einmal den Bürgerinnen und Bürgern, den Handwerkerinnen und Handwerkern sowie sämtlichen Wirtschaftsunternehmen, die für alle Verluste haften müssen, nur die Banken und die Hedgefonds nicht. Dafür haben wir immer die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die alles übernehmen. Nein, das ist nicht länger hinnehmbar. Wirklich wahr, Sie haben sich erpressbar gemacht durch die Banken. Deshalb sage ich: Sie müssen verkleinert werden. Wir müssen uns endlich auch eine Insolvenz einer Bank leisten können. Das Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger können wir trotzdem retten. Aber wir müssen die Banken nicht mehr retten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Lehman -Brothers lässt grüßen!) Dann müssen wir die Banken öffentlich-rechtlich gestalten, und dann hätten wir die Sache im Griff, Herr -Kauder, aber nicht mit Ihrer Politik. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Landesbanken!) Erklären Sie mir doch einmal, warum die Europäische Zentralbank – übrigens auch wieder durch Steuergelder finanziert – den großen privaten Banken 1 Billion Euro für drei Jahre zu 1 Prozent Zinsen zur Verfügung gestellt hat. Dann hätten Sie das Geld den Banken auch gleich schenken können. Es ist doch geradezu absurd, was dort getrieben wird. Wenn die jetzt Kredite an Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland vergeben, verlangen sie mindestens 4 Prozent Zinsen, meistens mehr. Durch eine Überweisung machen die einen Riesengewinn. Wieso eigentlich? Warum können wir nicht in solchen Situationen sagen: „Dann machen wir das doch lieber -direkt mit einer öffentlich-rechtlichen Bank und geben Staaten in Notsituationen zinsgünstig Kredite“? So würde man nicht noch für einen Verdienst von Banken und Hedgefonds sorgen, wie Sie das organisieren. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Inflationspolitik, was Sie hier machen!) Wir müssen die Finanzmärkte endlich regulieren. Wir brauchen weder Leihverkäufe noch Hedgefonds; das -alles brauchen wir nicht. Banken müssen reine Dienstleister für die Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger werden. Davon sind sie heute meilenweit entfernt. (Beifall bei der LINKEN) Da Sie immer von der Schuldenbremse reden, schlage ich Ihnen eine Millionärsteuer als Schuldenbremse vor. Was haben Sie eigentlich dagegen? Weshalb müssen die Handwerker, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner und selbst die Hartz-IV-Empfänger das Ganze bezahlen, aber die Vermögenden bleiben mit ihrem Vermögen vollständig verschont? Sie müssen davon nicht einen Euro abgeben. Zwei Beispiele. 2 000 griechischen Familien gehören 80 Prozent des gesamten Vermögens Griechenlands. -Davon müssen sie nicht einen einzigen Euro für die ganze Krise zahlen. Das erklären Sie einmal den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Rentnerinnen und Rentnern in Griechenland. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir nach Deutschland. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen ein Vermögen von 3 Bil-lionen Euro. Die gesamten Staatsschulden von Bund, Ländern und Kommunen liegen bei 2 Billionen Euro. Dann sagen Sie aber diesen 10 Prozent: Um Gottes Willen, von euch wollen wir keinen halben Cent! Wir streichen lieber das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger, -bevor wir von euch auch nur einen Euro nehmen. Herr Steinmeier, Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, die FDP stecke heute deshalb nicht im Dreck, weil Sie mit der Agenda 2010 eine unsoziale Politik -gemacht haben. Seien Sie doch als SPD nicht auch noch stolz darauf! Sie haben damit übrigens auch noch die Binnenwirtschaft geschwächt. (Beifall bei der LINKEN) Abgesehen davon ist Ihre Aussage falsch; denn die FDP steckt ja nun besonders im Dreck. Kommen wir zu Griechenland. Griechenland ist der Vorreiter für eine verheerende, sozial zerstörerische -europäische Politik. Kein Rettungsschirm hat bisher -einer Griechin oder einem Griechen etwas genutzt, nur den Banken und Hedgefonds. Dazu nur ganz wenige Zahlen: Seit drei Jahren gibt es bei den Investitionen -einen Rückgang von 50 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt jetzt bei 21 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt jetzt bei 50 Prozent. Es gibt weniger Steuereinnahmen. Es gibt ein Minuswachstum. Es ist ein Schuldenanstieg von 50 Milliarden Euro zu verzeichnen. Die Schulden Griechenlands machen nicht mehr 130, sondern jetzt 170 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Was soll das? Wo bleibt denn endlich ein Marshallplan zum Aufbau des Landes? Die Gelder aus dem Rettungsfonds gibt es jetzt nur, wenn der Mindestlohn von 751 auf 586 Euro pro Monat reduziert wird, wenn die Löhne um 22 Prozent gesenkt werden, wenn in diesem Jahr 15 000 Leute aus dem öffentlichen Dienst und bis 2014 150 000 Leute entlassen werden. In den nächsten drei Jahren werden die Renten um 14 Milliarden Euro gekürzt. – Nein, das, was dort passiert, ist nicht mehr nachvollziehbar. Wollen Sie, dass das Land verelendet? Woher sollen denn Steuereinnahmen kommen, mit -denen die Kredite zurückgezahlt werden? Das ganze Geld ist doch in den Sand gesetzt. Ich glaube, dass Sie Griechenland zahlungsunfähig machen und aus dem Euro drängen wollen; Bundes-minister Friedrich hat das schon gesagt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn die amerikanischen Ratingagenturen, die den Euro nicht mögen, weil Saudi-Arabien und China anfangen wollten, in den Euro und nicht mehr in den Dollar zu investieren, feststellen, dass es Ihnen -gelungen ist, Griechenland aus dem Euro zu drängen, dann greifen sie sich Portugal. Dann ist der Euro zerstört. Die deutsche Wirtschaft verkauft am meisten in die Euro-Länder. Stellen Sie sich einmal vor, was geschehen würde, wenn die europäischen Länder wieder nationale Währungen hätten und diese abwerten würden, sodass wir immer weniger verkaufen könnten: Dann bricht doch unsere Wirtschaft zusammen. Was richten Sie hier -eigentlich an? Das ist wirklich nicht nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN) Darf ich nur daran erinnern, dass Griechenland der Erfinder der Demokratie ist, dass wir Griechenland die größten Philosophen der Antike verdanken, von denen wir alle noch heute zehren? Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie wissen, dass Sie diese nicht einzeln mit ihren wichtigsten Werken vorstellen können. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Das verstehe ich. Ich höre auf. Ich fange nicht noch an, die Philosophen zu zitieren. Das würde die meisten hier überfordern. Das lasse ich weg. (Zurufe von der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Arroganter Kerl!) – Ich danke für Ihre Bestätigung. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit ist um!) Ich sage Ihnen: Hören Sie auf, uns auszugrenzen. Es lohnt sich, über all das, was ich gesagt habe, zu diskutieren und nachzudenken. Wenn Sie schon früher auf -unsere Argumente gehört hätten, wären wir jetzt nicht -in einer so verdammt schwierigen, fast schon elenden -Situation. Danke. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Gregor Gysi, vielleicht würden Ihnen mehr zuhören, wenn Sie diejenigen, von denen Sie Aufmerksamkeit erwarten, nicht einfach pauschal für blöd erklärten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Und das von Ihnen!) Ich will mit einem Zitat anfangen: „Der ESM bleibt bei 500 Milliarden Euro, also keine dauerhafte und unkalkulierbare Erhöhung der Fonds“, sagte Merkel am Freitag nach dem Spitzengespräch mit der deutschen Wirtschaft in München. Sie fügte hinzu: „Ich finde das auch ausgesprochen wichtig.“ Das ist eine dpa-Meldung vom 16. März 2012. Am 14. Dezember 2011 haben Sie hier im Hause eine Regierungserklärung abgegeben. Da haben Sie erklärt – ich zitiere –: Die konsolidierte Obergrenze von EFSF plus ESM wird bei 500 Milliarden Euro liegen. Meine Damen und Herren, wir wissen: Das war nicht die Wahrheit; die Schutzmauer wird größer werden. Ich könnte nun sagen: Sie agieren erneut nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Konrad Adenauer!) Ich könnte mich lustig darüber machen, dass Alexander Dobrindt erklärt hat, über solche Aufstockungen würde er nicht einmal reden. Aber die schlimme Nachricht für Sie, Frau Bundeskanzlerin, ist: Ich habe Ihnen das schon damals nicht geglaubt. Ich halte Sie für intelligent, und ich halte Sie für zu intelligent, Ihre eigene Propaganda zu glauben. War es eigentlich wirklich klug, den Bürgerinnen und Bürgern diese Wahrheit vorzuenthalten? Ist es klug, nach wie vor die Folgen dieser Wahrheit den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber zu leugnen? Selbstverständlich ist: Wenn Sie die „Brandmauer“, wie Herr Brüderle es genannt hat, erhöhen, wenn Sie dieses Aufblähen fortsetzen, wächst das Haftungsvolumen, das wir, die Bundesrepublik Deutschland, einzugehen haben; es wächst auf rund 400 Milliarden Euro. Es schaffen wohl nur ein Herr Seehofer oder ein Herr Kauder, uns weiszumachen, dass 400 genauso viel wie 211 seien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber Sie glauben ja auch, dass es in Europa noch keine Vergemeinschaftung von Schulden gibt, ungeachtet von 213 Milliarden Euro maroder Staatsanleihen, die mittlerweile bei der Europäischen Zentralbank liegen. Wissen Sie, was Ihren Umgang mit Zahlen und der Wahrheit angeht, kann ich nur sagen: Sie leiden an politischer Dyskalkulie, an einer chronischen Rechenschwäche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dabei ist das gar nicht nötig gewesen. Es ist doch gut, dass die Wahrheit jetzt auf dem Tisch liegt. Ja, es ist bitter, dass wir einen Rettungsschirm aufspannen müssen; aber es ist richtig. Wenn die Hose nicht nass werden soll, dann muss der Schirm auch groß genug sein. Das, was Sie gemacht haben, ist aber etwas anderes. Sie wollen heute mit der ersten Lesung sowohl des Gesetzentwurfs zum ESM wie zum Fiskalpakt ein Junktim aufbauen. Wir sagen Ihnen: Wir werden diesen Europäischen Stabilitätsmechanismus brauchen, weil wir quasi einen europäischen Währungsfonds brauchen, damit die Spekulation gegen unsere gemeinsame Währung abgewehrt wird. Sie sollten dazu stehen. Aber Sie können nicht dazu stehen, weil sowohl die CSU wie die FDP nicht zu Europa stehen. Das ist der Grund, warum dieses permanente Geeiere mit den neuen Zahlen und Ähnlichem an dieser Stelle passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben versucht, selbst den ESM als geheime Kommandosache am Bundestag vorbei zu organisieren. Das wird Ihnen das Bundesverfassungsgericht weghauen. Nun machen Sie etwas anderes. Nun bauen Sie, weil Sie mit der Solidarität in Europa Spielchen spielen, ein neues Junktim auf. Ich sage Ihnen: Es ist ein dummes Junktim. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir bekommen mit dem Fiskalpakt, dessen Vorgabe der Schuldenbremse übrigens nicht einmal mehrheitlich in den Verfassungen der anderen Staaten verankert werden wird, ein symbolisches Versprechen, dass man die Neuaufnahme von Schulden begrenzen will. Aber das, was Sie uns als „Stabilitätspakt mit Zähnen“ verkündet haben, ist und bleibt mehr oder weniger symbolisch; es erinnert eher an ein Kukident-Gebiss. Aber was für einen Sinn macht es eigentlich, heute zu sagen: „Wir können den ESM und den Fiskalpakt nur zusammen ratifizieren“? Wenn es richtig ist, dass Deutschland bei einem Scheitern des Euro der Hauptverlierer wäre, dann führt an dem ESM kein Weg vorbei. Es ist völlig gleichgültig, ob und wann wir an dieser Stelle den Fiskalpakt ratifizieren. Wir müssen heute den Europäischen Stabilitätsmechanismus auf den Weg bringen. Wenn es gutgeht, dann gelingt es uns auch, eine Verabredung über eine Schuldenbegrenzung zu erreichen. Damit Sie mich nicht missverstehen: Eine verantwortungsvolle gemeinsame Haushaltspolitik bzw. eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa ist mehr als überfällig. Aber Sie benutzen diese Verabredung als weiße Salbe, als Placebo, als Vademecum für diejenigen in Ihren eigenen Reihen, die Schwierigkeiten haben, zu den Notwendigkeiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu stehen. Was wir heute tun müssen, ist, aus dieser Verabredung zur Begrenzung von neuen Schulden eine auch ökonomisch und politisch runde Sache zu machen. Wir müssen auch und gerade die Defizite des Fiskalpaktes korrigieren. Die erste Frage dabei ist: Macht ein Fiskalpakt ohne Frankreich eigentlich Sinn? Frankreich hat erklärt, dass dieser Fiskalpakt, egal wer regiert, erst im Herbst ratifiziert wird; zu welchen Bedingungen, ist vor den Wahlen völlig unklar. Wollen wir als Deutscher Bundestag dafür einfach einen Blankoscheck ausstellen? Ich halte das nicht für klug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Peter Altmaier [CDU/CSU]: Wir wollen ein Signal geben!) Wir sollten neben der Verabredung zu Stabilität einen Anstoß für Wachstum und Investitionen geben. Denn nur mit Sparen kommt Europa nicht aus der Krise. 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit: Das ist keine europäische Stabilität, meine Damen und Herren. Europäische Stabilität beruht auch und gerade auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dauerhafte Massenarbeitslosigkeit wird dieses Europa zerstören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nein, wir brauchen die Besteuerung von Finanztransaktionen. Eine Stempelsteuer, die Aktien besteuert, Derivate aber nicht, ist ein schlechter Witz, lieber Herr Brüderle. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat er ja gar nicht gesagt!) Wir brauchen mehr Investitionen in Europa. Deswegen müssen die Eigenmittel der Europäischen Investitionsbank aufgestockt werden. Wir brauchen eine Investitions-offensive für nachhaltige Infrastruktur und zukunftsfähige Jobs. Wir müssen auch endlich anfangen, nicht nur neue Schulden zu begrenzen, sondern alte Schulden abzubauen. Was ist mit dem Vorschlag Ihres eigenen Sachverständigenrates zu einem Schuldentilgungspakt? Mit diesen Maßnahmen wird aus dem Fiskalpakt etwas Vernünftiges und Rundes. Europa muss raus aus der Schuldenfalle. Wir müssen neue Schulden begrenzen. Wir müssen alte Schulden abbauen. Wir müssen Spekulationen begrenzen, und wir müssen in nachhaltiges Wachstum investieren. Das müssen wir jetzt auf den Weg bringen. Dafür haben wir bis zum Jahresende Zeit, aber vorher müssen wir den ESM ratifizieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, wir erleben heute einen ganz besonderen Tag im deutschen Parlament: Wir sollten uns bewusst sein, dass heute zwei Gesetzespakete in die parlamentarische Beratung eingebracht werden, die für die Stabilität des Euro, für die Stabilität Europas und für die Zukunft Europas von entscheidender Bedeutung sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es handelt sich nicht um eine rein nationale, politisch umstrittene Frage, sondern es geht hier – ich akzeptiere sehr wohl, dass dies auch von der Opposition so gesehen wird – um mehr als um eine innenpolitische Diskussion. Auch deswegen ist es völlig klar, dass die Verantwortung, die jede Fraktion für diese Aufgabe hat, nicht irgendwelchem politischen Kalkül untergeordnet werden kann. Deshalb, sehr geehrter Herr Kollege Steinmeier, hätten Sie allen Grund, hier nicht nur zu erklären, wo aus Ihrer Sicht angeblich Probleme bestehen. Ich hätte schon erwartet, dass Sie nicht nur Hinweise darauf geben, dass es innerhalb der Regierung an dem einen oder anderen Punkt unterschiedliche Auffassungen gibt. Diese gibt es eigentlich nicht; darauf werde ich gleich noch zu sprechen kommen. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich glaube, gerade Sie haben keinen Grund, zu lachen. Der Kollege Gabriel ist schon gar nicht mehr da. Sie haben ein riesengroßes Problem, zwischen staatspolitischer Verantwortung und SPD-parteipolitischem Kalkül zu entscheiden. Das ist Ihr Thema. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern kann ich nur hoffen, dass sich die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein, das ich in der Rede von Frank-Walter Steinmeier gespürt habe, durchsetzen können und nicht das, was der Parteitaktiker Gabriel macht. (Zurufe von der SPD: Oh! – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Der hat doch gar nicht geredet!) – Da brauchen Sie gar nicht so zu stöhnen. Ich kann nichts dafür, dass heute auf Seite 1 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung steht, dass Sie sich offen darüber streiten. Es ist kein gutes Signal, wenn man einen solchen Streit öffentlich austrägt, obwohl man Verantwortung für die Stabilität in Europa trägt. Das muss man auch einmal klar und deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen kann ich nur hoffen – das hat auch der Kollege Trittin gesagt –, dass gesehen wird, dass es hier um eine gemeinsame Position für unser Europa geht. Ein weiteres Thema. Wir haben uns in dieser Woche darüber unterhalten, wie wir diese beiden Gesetzespakete miteinander diskutieren und beraten. Die Vorstellung der Koalition war, dass wir Ende Mai mit den Beratungen zum Abschluss kommen können. In der Opposition bestand der Wunsch, dass vielleicht noch etwas mehr Zeit zur Verfügung gestellt wird, dass die Entscheidungen bis Mitte Juni getroffen werden. Kaum hatten wir das gemeinsame Beratungszimmer verlassen, habe ich gelesen, dass gefordert wird, die Entscheidungen vielleicht doch erst Ende des Jahres zu treffen. Dazu will ich sagen: Wenn wir als Koalition auf die Opposition zugehen und gemeinsam etwas verabreden, dann sollte das länger halten als bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Fuß das Beratungszimmer verlässt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen uns schon an das gemeinsam Vereinbarte halten. Herr Kollege Trittin, eine widersprüchliche Aussage kann nicht zum Programm gemacht werden. Sie haben gesagt, man könne die beiden Pakete auch voneinander trennen, und gefragt: „Warum muss der Fiskalpakt zusammen mit dem ESM beraten werden?“ (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gute Frage!) Kaum hatten Sie diesen Satz ausgesprochen, redeten Sie davon, dass Deutschland seine Führungsrolle ernst nehmen soll. Deswegen muss von dieser Entscheidung in Deutschland ein Signal ausgehen. Wir stehen zu den Dingen, und die anderen werden uns folgen. Unsicherheit darf allerdings nicht instrumentalisiert werden. Daher müssen die beiden Pakete zusammen behandelt werden, und dafür werbe ich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir waren uns in dem Gespräch auch darin einig, dass wir die Finanzmärkte beteiligen wollen. Wolfgang Schäuble hat ausführlich erklärt, was alles von ihm und von der Bundeskanzlerin bereits gemacht worden ist, um eine Finanztransaktionsteuer voranzubringen. Jetzt muss ich auch Ihnen einen Satz sagen, den ich meiner Fraktion immer wieder sage – sie kann es zum Teil gar nicht mehr hören, aber es ist wahr –: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist, dass wir auf europäischer Ebene die Transaktionsteuer nicht hinbekommen und dass wir auch in der Euro-Zone erhebliche Probleme haben, die Einstimmigkeit herbeizuführen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Teil des Problems sitzt da drüben!) Da kann man sich doch nicht an dieses Rednerpult stellen und so tun, als ob es das nicht gäbe. Eine solche Form der Realitätsverweigerung ist in der Politik nicht hilfreich, Herr Trittin. Das hilft uns überhaupt nicht weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie hätten allen Grund, sich aufzuregen, wenn wir gesagt hätten, damit sei die Veranstaltung beendet. Das haben wir aber gar nicht gesagt, sondern Wolfgang Schäuble hat hier heute und auch im Gespräch mit Ihnen ausdrücklich erklärt, dass wir alles daransetzen, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben gar kein Modell dafür!) dieses Instrument voranzubringen, dass wir aber für den Fall, dass das nicht gelingt – das zeichnet sich ab –, eine Lösung suchen, die nahe – so hat Wolfgang Schäuble formuliert – daran herankommt. Da haben Rainer Brüderle und ich vorgeschlagen, dass wir eine Lösung im Umfeld dessen suchen, was die Engländer als Stempelsteuer bezeichnen. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben ausdrücklich gesagt – das will ich hier wiederholen, damit Sie das noch einmal hören, Herr Trittin –, dass wir uns nur eine Lösung vorstellen können, die Derivate mit einbezieht. (Rainer Brüderle [FDP]: Genau so!) Nichts anderes! Das haben wir beide erklärt, und dabei bleibt es auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Selbstverständlich muss darüber hinaus noch etwas überlegt werden. Es gibt einen weiteren Punkt, und da sind wir auch gar nicht auseinander. Wir wollen den schnellen Computerhandel etwas verlangsamen. Wenn dies auf dem Wege über die Transaktionsteuer, die diesen Handel erfassen würde, nicht geht, weil wir in -Europa eine einstimmige Lösung nicht hinbekommen, dann müssen wir uns überlegen, ob wir nicht eine Mischung aus Besteuerung und Regulierung auf den Weg bringen. Wir werden aber – das verspreche ich Ihnen – eine Lösung finden, dass diejenigen, die die Probleme mit verursacht haben, nicht einfach so davonkommen. Das ist die Zusage. Daran werden wir uns auch halten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) In den Zeitungen lese ich immer wieder, es müsse eine Wachstumsstrategie entwickelt werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es!) Ja, völlig richtig! Bei dieser Wachstumsstrategie braucht man aber gar nicht so geheimnisvoll zu tun. Man braucht nicht so zu tun, als ob man erst eine große Expertenkommission einsetzen müsse. Wir haben in Deutschland eine Wachstumsstrategie. Gerade kommt die Meldung, dass wir im Vergleich zum Vorjahr 182 000 weniger Arbeitslose haben; die Jugendarbeitslosigkeit ist erheblich zurückgegangen. Bei uns gibt es Perspektive. Wir haben also aus Deutschland an Vorschlägen einiges einzubringen, um die Wachstumsstrategie in Europa voranzubringen. Das wollen wir auch machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weil gefragt wird: „Was ist denn da getan worden?“, will ich noch einmal sagen – normalerweise brauche ich keinen Zettel, aber jetzt schon –: Im August 2011 gab es einen gemeinsamen Brief der Bundeskanzlerin und des Staatspräsidenten Sarkozy genau zu diesem Thema: Die Struktur- und Kohäsionsfonds sollen stärker als bisher auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet werden. Im Januar 2012: Sonderrat zum Thema Wachstum auf Initiative der Bundeskanzlerin. Auf dem Frühjahrsgipfel 2012 wurden weitere Vorschläge gemacht. Da kann ich nur fragen: Sind Sie eigentlich blind, oder lesen Sie nur selektiv? Es ist von dieser Bundesregierung, von der Bundeskanzlerin eine ganze Menge gemacht worden, um Wachstumskonzepte in Europa umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was ist umgesetzt?) Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen – das weiß der Kollege Steinmeier aus eigener Erfahrung –: Wenn man entsprechende Reformmaßnahmen auf den Weg bringt, dann zeigt sich der Erfolg nicht von heute auf morgen. Wir haben nie bestritten, dass ein Teil von dem, was die rot-grüne Regierung auch unter Verantwortung von Frank Steinmeier gemacht hat – nicht alles! –, Deutschland vorangebracht hat. Das Schlimme ist nicht, dass wir das sagen, sondern das Schlimme ist, dass Sie es nicht mehr wahrhaben wollen. Das ist das Thema hier. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) So kann man Wachstumspfade natürlich nicht erreichen. Lieber Herr Kollege Steinmeier, bekennen Sie sich wenigstens zu dem, was gut war in der rot-grünen Koalition! Dann kommen wir auf dem Weg auch voran. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das -haben wir gerade gehört!) Ich habe eine herzliche Bitte. Wir alle sollten um die Verantwortung wissen, die wir jetzt haben, und sollten uns gemeinsam darauf festlegen, dass wir aus dem Deutschen Bundestag heraus für Europa ein starkes Signal geben wollen. Wir kommen jetzt mit den beiden Paketen aus einem Krisenmanagement heraus und in eine Stabilitätsunion hinein. Wir schaffen jetzt Voraussetzungen, dass die Märkte nicht jeden Tag fragen müssen: „Wie ist denn das eigentlich; einigen sie sich bei dem Thema?“ und dass nicht eine Krisennachtsitzung die andere jagen muss, sondern dass es klare und verlässliche Strukturen gibt. Da sollten wir nicht wackeln, sondern sagen: Die beiden Instrumente, die Stabilität in Europa und für den Euro bedeuten, gehören zusammen. Die bringen wir jetzt auf den Weg – ein starkes Signal für ein starkes Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Carsten Schneider erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kauder, die SPD ist sich sehr wohl der Verantwortung bewusst, die wir für Europa, also auch für die Stabilität unserer Wirtschaft und Währung, haben. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Dann -nehmen Sie sie auch wahr!) Deswegen haben wir auch nie geleugnet, dass wir Schutzmauern brauchen, um den Absurditäten der -Finanzmärkte etwas entgegenzusetzen. Wer das geleugnet hat, waren Sie! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Trittin hat die Zitate gebracht: Der erste Fonds sei nur für den Übergang, der werde nicht dauerhaft da sein. – Die 500 Milliarden Euro, die jetzt dauerhaft da sind, hat die Bundeskanzlerin nach dem Europäischen Rat noch als sakrosankt erklärt. (Joachim Poß [SPD]: Ja!) Das ist drei Monate her. Jetzt sind wir bei einer Summe – zumindest im Übergang bis zum 30. Juni 2013 – von 940 Milliarden Euro, für die die Europäische Gemeinschaft und auch Deutschland haften – Deutschland mit 400 Milliarden Euro. Herr Minister Schäuble, Sie haben Ihre Rede heute nicht an das deutsche Volk oder an den Bundestag gehalten, sondern an Ihre eigene Truppe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sich die Umfragen in der Bevölkerung anschauen, dann stellen Sie fest, dass die Zustimmung zu den Maßnahmen – vorsichtig formuliert – sehr zurückhaltend ist. Ich glaube, dass Sie, die Bundesregierung, aber auch die Koalition, eine große Verantwortung dafür tragen. Sie sagen nicht klar, warum es notwendig ist, dass wir anderen Staaten helfen, wenn sie von den -Finanzmärkten erpresst und ausgetrocknet werden. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen. Es ist zu kurzfristig; es ist wieder nicht überzeugend. Und insbesondere auf die Frage, wie wir da eigentlich wieder rauskommen – Thema Wachstum –, dass die Politik am Gängelband der Märkte durch die Manege getrieben wird und dass Staats- und Regierungschefs morgens erst auf den Ticker schauen, wie die Kurse von Anleihen stehen, bevor sie politische Entscheidungen treffen, geben Sie keine Antwort. Das ist uns zu wenig! (Beifall bei der SPD) Herr Kauder sagte gerade, wir kommen jetzt aus der Phase der Risiken und Krisenmechanismen in eine dauerhafte, stabile Situation. Ich hoffe das sehr – allein mir fehlt der Glaube. Ich glaube, wir haben es derzeit mit einer Scheinruhe zu tun, einer Scheinsicherheit, die vor allem daher rührt, dass die Europäische Zentralbank die politischen Fehler des Nichthandelns, die Sie gemacht haben, korrigiert, indem sie die Märkte mit Geld flutet: mit 1 Billion Euro. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ohne -Konditionierung!) – Und das ohne politische Konditionierung. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!) Was ist jetzt passiert? Erstens gibt es eine lauernde Inflationsgefahr; zweitens verdienen sich die Banken, die Sie quasi als Mittler nutzen, dumm und dämlich. 1 Prozent zahlen sie bei der Europäischen Zentralbank, 4 Prozent bekommen sie von den Staaten. Wer da kein gutes Geschäft macht, ist selber schuld. Diese nutzen also ganz gezielt diesen Marktmechanismus, und Sie nehmen das in Kauf. Was ich dann aber erwarte, Herr Minister Schäuble, ist, dass Sie dafür sorgen, dass die Banken einen Teil der Verantwortung tragen. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Das bedeutet, dass sie die Gewinne, die sie jetzt machen, eben nicht an ihre Aktionäre ausschütten. Es muss ein Dividendenausschüttungsverbot geben, damit das Eigenkapital gestärkt wird (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!) und die Manager am Ende des Jahres nicht dastehen und sagen: „Wir haben super Geschäfte gemacht, jetzt regnet es wieder Boni vom Himmel!“ – Das müssen Sie ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Neben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus soll es jetzt also auch den Fiskalpakt geben. Der wird uns als Bundestag sehr binden. Ich glaube auch, das ist zwingend notwendig, wenn man – und dafür stehe ich – die Europäische Union und die europäische Währung erhalten will. Da muss der Grundfehler, eine Währung, aber ganz unterschiedliche Haushalts- und Finanzpolitiken zu haben, beseitigt werden. Das bedeutet dann natürlich auch zwingend die teilweise Abgabe des Budgetrechts, das wir hier als Königsrecht verstehen. Das bedeutet auf lange Sicht – das hat Frank-Walter Steinmeier deutlich gemacht – eine neue Europäische Union. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ist das mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung?) Das bedeutet aber auch eine neue Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union. Ich finde, wir müssen darüber sprechen, wie wir diese ausgestalten, damit sie nicht nur den Märkten dient, sondern vor allen Dingen auch den Menschen in Europa. (Beifall bei der SPD) Der Fiskalpakt, den Sie jetzt vorgelegt haben, geht bei weitem nicht weit genug. 90 Prozent dessen, was darin steht, ist schon europäisches Recht. Sie hätten im Oktober, als das „Sixpack“ der Europäischen Kommission im Europäischen Parlament verhandelt wurde – hier geht es darum, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verändern –, die automatischen Sanktionen verankern können. Aber es waren Frau Merkel und Herr Sarkozy, die das bei ihrem Strandspaziergang in Deauville weggewischt haben. Wir diskutieren hier über ein Phantomthema. Man hätte es schon längst auch mit den Briten innerhalb des europäischen Rahmens regeln können. Dies wäre bedeutend besser gewesen als das, was Sie hier parallel vorlegen. (Beifall bei der SPD) Dazu, dass sich Deutschland – das betrifft Sie, Herr Minister Schäuble; Sie sind als Euro-Gruppenchef im Gespräch – als Stabilitätsanker darstellt, kann ich nur sagen: Sie sind mit Ihrer Politik, insbesondere mit Ihrer Haushaltspolitik, ein schlechtes Vorbild. Wer 2011 17 Milliarden Euro Schulden aufnimmt und mit dem Nachtragshaushalt 2012, den wir hier beraten werden, 34 Milliarden Euro Schulden aufnimmt – das ist eine Verdoppelung der Schulden, obwohl aufgrund der guten Konjunktur die Steuereinnahmen steigen –, der sollte anderen keine Vorschriften machen und den Eindruck erwecken, als wäre das alles normal. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Im Gegenteil: Sie taugen nicht als Vorbild. Deswegen meine ich, Sie müssen dies korrigieren, um auch in -Europa glaubhaft zu sein, und insbesondere die Vorschläge von Frank-Walter Steinmeier berücksichtigen, Gespräche zu mehr Wachstum aufzunehmen, damit wir unser Geld wiederbekommen und es keine dauerhaften Transfers werden. Das ist ein zwingender Punkt neben der Besteuerung der Finanzmärkte. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun für die Bundesregierung der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Gudio Westerwelle. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in dieser Debatte nur wenige Punkte anfügen. Zunächst einmal glaube ich, dass wir uns trotz der Kontroverse zwischen den Parteien in diesem Hause in einem ganz überwiegend einig sind: Wir sind uns bewusst, dass das, was wir heute beraten, ein Meilenstein auf dem Weg der weiteren europäischen Integration ist. Wenn ich die Debatte, die ich aufmerksam verfolgt habe, zusammenfasse, dann halte ich fest: Bis auf eine Fraktion sind alle Fraktionen der Überzeugung, dass mit mehr Europa auf diese Krise geantwortet werden muss. Mehr Europa wird und soll heute auch hier diskutiert werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sehen wir auch so!) Ich will ein paar Dinge aus der Debatte aufgreifen. Zur Verhandlungsstrategie: Es ist in Ordnung, dass es zwischen der Opposition und der Regierung unterschiedliche Auffassungen über die Verhandlungsstrategie gibt. Ich will unsere Strategie noch einmal wiedergeben. Es ist aber nicht in Ordnung, wenn mit Zitaten gearbeitet und dadurch rein aus innenpolitischen Gründen der Eindruck erweckt wird, die Bundesregierung habe nicht mit einer Kontinuität in Europa verhandelt. (Lachen des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Herr Kollege Trittin, Sie zitieren aus der Rede der Bundeskanzlerin in München den Satz: Deshalb ist es auch so, dass wir bei einer Obergrenze des ESM von 500 Milliarden Euro den Vertrag als gegeben sehen. Sie sagen, dies sei der Beleg für Ihre These, dass das, was wir jetzt vorschlagen und diskutieren, ausgeschlossen gewesen sei. Das ist kein korrektes Zitieren. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was heißt denn „rote Linie“?) Sie hätten auch den nächsten Satz zitieren müssen. Im nächsten Satz hat die Bundeskanzlerin dies genau erläutert: Wir werden dann weiter darüber diskutieren – darüber haben die Finanzminister der Eurozone gesprochen –, inwieweit wir schauen können, ob es Kombinationsmöglichkeiten von EFSF und ESM gibt. Wenn Sie zitieren, müssen Sie anständigerweise komplett zitieren. Dann entsteht ein völlig anderes Bild. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Regierungserklärung hat sie nicht die Wahrheit gesagt! Deshalb habe ich bewusst die Regierungserklärung auch zitiert, Herr Kollege!) Was ist der Unterschied in der Debatte, und was ist der Unterschied vor allen Dingen in der Verhandlungsstrategie? Wir sind der Überzeugung, dass es richtig war, in Europa mit Geben und mit Nehmen zu verhandeln. Das heißt, wir waren bereit, Solidarität zu geben, (Joachim Poß [SPD]: 180 Prozent!) wir sahen uns aber auch veranlasst, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und ganz Europas dafür zu sorgen, dass die Hausaufgaben in den einzelnen Mitgliedsländern auch gemacht werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kollege Trittin, Sie haben gesagt: Wenn die Hose nicht nass werden soll, dann muss der Schirm groß genug sein. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ihnen steht das Wasser doch schon bis zum Hals!) Nur, Herr Trittin, wenn die Hose von innen nass wird, dann kann der Schirm so groß sein, wie er will. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deshalb muss man gegen die Schuldenpolitik angehen. Genau das machen wir. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da ist wieder der alte Guido! Das ist der unwürdige Außenminister Guido Westerwelle!) Wie Sie sich mit der Regierung auseinandersetzen, geschieht aus unserer Sicht in einer Art und Weise, die mit der Sache nichts zu tun hat. Sie sagen, diese Bundesregierung sei der Überzeugung, es gebe nur Schuldenabbau und Haushaltsdisziplin, das Wachstum jedoch würden wir ignorieren. Das ist kompletter Humbug. Seitdem uns Griechenland die Schuldenkrise auf die Tagesordnung gesetzt hat, arbeitet die Bundesregierung an beiden Säulen zur Bekämpfung der Schuldenpolitik. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn? Wo denn?) Wir wollen Haushaltsdisziplin, und gleichzeitig wollen wir das Wachstum voranbringen. Wir sind der Überzeugung: Wachstum kann man nicht mit Schulden kaufen, Wachstum gibt es nur durch Strukturreformen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das muss in einem anderen Land sein! In Deutschland jedenfalls nicht!) Es reicht aber nicht, wenn nur wir das tun; das müssen auch die anderen tun. Das versteht jeder, sei es in Italien oder in Griechenland. Dort wird das Ganze mit riesigen Mehrheiten in den Parlamenten beschlossen – nur Sie machen hier parteipolitisches Klein-Klein. In meinen Augen nehmen Sie Ihre Verantwortung an dieser Stelle nicht wahr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: „Parteipolitisches Klein-Klein“? – Weitere Zurufe von der SPD) Schließlich will ich noch etwas dazu sagen, wie es weitergeht. Eine kurze Bemerkung: (Joachim Poß [SPD]: Er meint, er wäre in -einem anderen Land!) Ich habe nie gesagt – Herr Steinmeier musste leider gehen, sodass er es nicht mehr hört –, dass ich der Meinung sei, dass die SPD selbstverständlich zustimme. Das ist überhaupt nicht meine Aufgabe, und das ist auch nicht meine Meinung. Ich habe jedoch eine Erwartung. Ich habe die Erwartung, dass in einer historischen Stunde für Europa jeder seiner staatspolitischen Verantwortung nachkommt. (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sagen Sie!) Ich habe die Erwartung, dass in einer solch historischen Stunde – in der es nicht nur darum geht, die Schuldenkrise zu bekämpfen, sondern auch darum, dass sich Europa in der Welt behauptet –, (Joachim Poß [SPD]: Unsere Positionen machen wir nicht von Ihren Erwartungen abhängig!) jeder seine Wahlkampfmanöver zurückstellt und an Deutschland und Europa insgesamt denkt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sagt die FPD!) Denken Sie nicht an den Wahltermin in NRW, denken Sie an Europa und an Deutschland! Darum geht es an diesem heutigen Tage. Wir wollen Sie einladen, hierbei entsprechend mitzuwirken. Diese Regierungskoalition ist der Überzeugung: Mehr Europa ist die Antwort. Wir müssen die Fehler beseitigen, die seinerzeit gemacht worden sind. (Zurufe von der SPD) Ich werfe Ihnen vor, dass Sie von Rot-Grün damals den Stabilitätspakt aufgeweicht haben. Aber das ist Vergangenheit. Wenn Sie heute jedoch erneut mit neuen Schulden und weicheren Stabilitätsregeln auf die Schuldenkrise antworten wollen, (Joachim Poß [SPD]: Das musste noch einmal erklärt werden!) dann machen Sie in meinen Augen den historischen Fehler zum zweiten Mal. Wir werden das nicht tun, weil wir Europa stärken wollen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ökonomisch ahnungslos!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Priska Hinz erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nett, wenn sich auch einmal der Außenminister zur Europapolitik äußert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Allerdings hat das weder zur Erhellung hinsichtlich der Regierungspolitik beigetragen noch macht es die europafeindlichen Wahlkämpfe der FDP vergessen, weder hier noch in der Öffentlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Seltsame Abstimmungen!) Es ist nur dem zerrütteten Zustand der Koalition zu verdanken, dass wir heute, obwohl wir über die Gesetze beraten, noch nicht wissen, wie groß der Rettungsschirm am Ende tatsächlich sein wird. Sie gehen am Wochenende in Verhandlungen – das wurde uns gestern im Haushaltsausschuss mitgeteilt –, und hier erzählen Sie uns, dass EFSF mit den belegten circa 200 Milliarden Euro und ESM nebeneinander laufen sollen. Auf europäischer Ebene erzählen Sie, dass natürlich die 240 Milliarden Euro aus der EFSF auch noch dazukommen. Das verschweigen Sie hier tunlichst. Deswegen ist es unredlich, dass der Finanzminister hier Nebelkerzen wirft und sagt: Wir haben alles im Griff, alles wird gut; die Parallelführung ist das, was wir schon immer wollten. – Nein, das ist nicht das, was Sie wollten. Sie wollten keine Aufstockung des Rettungsschirmes. Wie Sie sich auch drehen und wenden: Vor allen Dingen haben wir im Bundestag beschlossen, dass es mit der EFSF eine Gewährleistung im Umfang von 211 Milliarden Euro geben wird. Was uns jetzt vorliegt, bedeutet weitere Gewährleistungen von rund 190 Milliarden Euro. Das macht in der Summe etwa 400 Milliarden Euro. Vor dem Sichbekennen zu dieser Zahl wollen Sie sich in der Debatte drücken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Meine Damen und Herren, die Parallelführung der EFSF ist auch noch die ökonomisch schlechtere Alternative als die richtige Aufstockung beim ESM, weil der dauerhafte Rettungsschirm aufgrund der Bareinlage eine viel bessere und stabilere Bonität hat; das ist das Wesentliche an der Konstruktion des ständigen Rettungsschirms. Weil Sie aber befürchten, dass Sie wieder einen Wortbruch begehen müssten, oder Sie Ihren teilweise begangenen Wortbruch verschleiern möchten, entscheiden Sie sich für eine Parallelführung. Ich sage Ihnen: Das ist der ökonomisch schlechte Weg, weil er der teurere Weg ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da kostet uns Europa wieder unnötig Geld, das wir für andere Zwecke ausgeben könnten. Schwarz-Gelb hat in der Euro-Krise bislang immer nur die Kraft zum unbedingt Notwendigen gehabt. Wir Grünen haben einen Kompass; das habe ich Ihnen von dieser Stelle aus schon einmal gesagt. Wir haben bislang die richtigen Entscheidungen für Europa getroffen. Sie müssen hier immer um die Kanzlermehrheit bangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) An uns liegt es nicht, wenn es darauf ankommt, Europa aus der Krise zu führen. Sie treffen immer erst dann, wenn es fast zu spät ist, die richtige Entscheidung. Deswegen möchte ich Sie im Sinne des lebenslangen Lernens bitten: Stocken Sie den Rettungsschirm am Wochenende richtig auf! Denn wir brauchen einen großen Rettungsschirm, (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Wie viel darf es denn sein, Frau Hinz?) nicht weil wir das so toll finden, sondern weil wir Spekulationen entgegentreten müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Gefahr ist doch nicht, dass jetzt andauernd Länder kommen und unter den Rettungsschirm wollen. Wir sehen doch an Italien, dass das gar nicht der Fall ist. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Wie viel darf’s denn sein?) Das Problem dreht sich doch darum, dass wir wollen, dass die Staatsanleihen zu adäquaten Zinssätzen ausgegeben werden können. Dafür brauchen wir einen großen Rettungsschirm. Ich bitte Sie, jetzt endlich einmal vorher über Ihre rote Linie zu gehen, nicht wieder erst hinterher, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, im Rahmen der Krisen-politik ist der Fiskalpakt mit der Einführung von Schuldenbremsen ein Baustein einer mittelfristigen soliden Staatsfinanzierung, aber mehr auch nicht. Es ist bislang völlig unklar, wann die anderen Mitgliedstaaten den Fiskalpakt ratifizieren wollen. Mindestens zwölf Staaten sagen: in der Zeit vom Sommer bis zum Winter. Weil wir Grüne der Meinung sind, dass zu diesem Baustein weitere Mosaiksteine dazugehören, etwa die Finanztransaktionsteuer, der Schuldentilgungsfonds und vor allen Dingen wirtschaftliche Impulse, und weil wir wissen wollen, wie sich eigentlich die Schuldenbremse gemäß Fiskalpakt auf unsere Schuldenregel auswirkt – in der letzten Sitzungswoche konnte die Frage, ob wir nicht eine weitere Grundgesetzänderung vornehmen wollen, noch nicht beantwortet werden –, müssen wir uns diese Zeit nehmen. Wir haben diese Zeit für die Beratung. Bislang sind wir alle für eine ausgiebige Parlamentsbeteiligung. Das sollten wir auch in diesem Falle so halten. Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach allem, was wir heute feststellen können, waren unsere bisherigen Entscheidungen richtig. Die Finanzmärkte haben sich beruhigt, die Risikoaufschläge auf Anleihen aus Krisenländern sind gesunken, die wirtschaftliche Entwicklung hat sich in vielen Ländern stabilisiert – bei uns hat sie sich sogar noch verbessert –, die Aktienindizes sind auf einem hohen Niveau stabilisiert und die Umtauschaktion von Griechenland-Anleihen ist ohne größere Probleme vonstattengegangen. All das bestätigt: Unsere Strategie der schrittweisen Bewältigung der Staatsschuldenkrise zeigt Wirkung und ist richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun wäre es aber leichtsinnig, zu glauben, damit seien alle Probleme gelöst und damit sei die Gefahr eines weiteren Aufflackerns einer Finanzkrise beiseite geräumt. Deshalb ist es richtig, darüber nachzudenken: Wie gestalten wir den dauerhaften Mechanismus? Es ist völlig richtig, was vorhin gesagt wurde: Die Schwelle, auf der wir jetzt stehen, ist eine ganz entscheidende, weil wir von einer vorläufigen Rettungsaktion übergehen zu einem dauerhaften Rettungsschirm und zu einer echten Stabilitätsunion in Europa. Mit dem zu verabschiedenden Gesetzespaket stellen wir die entscheidenden Weichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Mal konkret!) Es ist richtig, den dauerhaften Rettungsschirm ESM ein Jahr vorher in Kraft treten zu lassen, als es ursprünglich geplant war. Es ist auch richtig, ihn von Anfang an mit einem größeren als zunächst geplanten Volumen an Bareinzahlungen zu speisen. Wir müssen alle darauf achten – ich finde, da haben wir alle in Europa eine große Verantwortung –, dass der Rettungsschirm von Anfang an funktionsfähig und schlagkräftig ist, dass das Vertrauen in den Rettungsschirm vonseiten der Finanzmärkte und der internationalen Partner gegeben ist. Meines Erachtens ist es deshalb richtig, dass die Finanzminister auf der Basis, die der Finanzminister heute hier geschildert hat, in den nächsten Tagen in die Verhandlungen auf europäischer Ebene einsteigen. Natürlich gibt es Diskussionen über die Größenordnung des Ausleihvolumens. Man muss ganz genau darauf achten, dass die Größenordnung des Ausleihvolumens ausreichend ist, um das Vertrauen in den Rettungsschirm und seine Handlungsfähigkeit zu stärken. Die Risiken sinken mit einem stabilen, glaubwürdigen und handlungsfähigen Rettungsschirm. Aber er darf nicht zu groß sein, weil er damit den einzelnen Krisenländern jeden Anreiz nimmt, sich zu bemühen, sich anzustrengen, zu sparen und Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Es gilt nun, die Verhandlungen mit Blick auf genau diese Balance zu führen. Ich glaube, dass die zeitweise Parallelität von EFSF und ESM, so wie sie jetzt angedacht ist, die richtige Antwort auf die momentan anstehende Frage ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Heute geht es auch um das Auf-den-Weg-Bringen des Fiskalvertrages. Ich gebe zu, dass mir diese Bezeichnung nicht allzu sehr gefällt, aber wir alle wissen, was damit gemeint ist. Es ist gemeint, dass sich 25 europäische Länder – nicht nur die Euro-Länder, sondern auch 8 der 10 übrigen Mitgliedstaaten der Europäische Union – verpflichten, das, was wir verfassungsrechtlich verankert haben, nämlich die nationale Schuldenbremse, auch in ihren Verfassungen nicht nur ein bisschen zu beherzigen, sondern fest zu verankern. Wenn wir ehrlich sind: Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass uns das möglich wäre? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das bedeutet, dass das Einhalten der Schuldenbremse beim Europäischen Gerichtshof auch eingeklagt werden kann und dass bei einem Verfehlen quasi automatische Sanktionen verankert sind. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das hätte man auch schon früher haben können!) Das ist ein Meilenstein – so wurde es vorhin genannt – auf dem Weg zu einer echten Stabilitätsunion in Europa. Eines ist auch klar: Wenn wir das gemacht hätten, was uns die Opposition in den letzten Monaten immer wieder vorgeschlagen hat, nämlich eine Vergemeinschaftung von Schulden mittels Euro-Bonds, dann wären wir heute nicht so weit, dann hätten wir heute keine Diskussion über die Fiskalunion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Joachim Poß [SPD]: So, wie Sie das sagen, ist das doch nicht richtig!) Ich will Ihnen dies erklären, Herr Poß: Wir hätten die Diskussion nicht, weil es dann nämlich in den entsprechenden Krisenländern überhaupt kein Bewusstsein -gegeben hätte, sich im Bereich der Haushaltskonsolidierung und der Umsetzung der Strukturreformen anstrengen zu müssen. Das alles hätten wir nicht, wenn wir in den letzten Monaten nicht so konsequent unseren Kurs vollzogen hätten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Joachim Poß [SPD]: Von wegen, Sie hätten -einen anderen Kurs! Frau Merkel ist umgefallen! Sie sind umgefallen! Die CDU diskutiert über die „rote Linie“ von Herrn Seehofer! – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Die rote Linie ist überschritten!) Manche sagen, dieser Fiskalvertrag habe noch nicht den richtigen Biss und er müsse noch etwas stärker sein. Wenn ich diesen Vorwurf gerade von denjenigen höre, die uns das Ganze eingebrockt haben, dann muss ich -sagen, dass dadurch die Verlogenheit erst richtig deutlich zum Ausdruck kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Joachim Poß [SPD]: Was?) Wenn diejenigen, die damals – ich glaube, das war im Jahr 2002 – unter rot-grüner Verantwortung den Stabilitätspakt quasi abgeschafft (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: So ein Quatsch!) und die anderen Länder auch noch dazu eingeladen -haben, sich in ihrem Haushaltsverhalten auch ein bisschen schlampig zu gebaren, (Joachim Poß [SPD]: Es ist sogar wissenschaftlich untersucht, dass das, was Sie sagen, Quatsch ist!) heute sagen, das, was nun völkerrechtlich vereinbart wird, habe nicht den nötigen Biss, dann ist das alles -andere als glaubwürdig und konsequent. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Joachim Poß [SPD]: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Sie hier verleumden! Ich kann -Ihnen die Stelle aus einem interessanten Werk geben!) Jetzt wollen Sie das Ganze mit der Forderung verbinden, dass die Wachstumsstrategie noch vertieft werden müsse. Sie tun so, als wäre da nichts geschehen. Volker Kauder hat deutlich darauf hingewiesen, was auf euro-päi-scher Ebene alles geschehen ist. Wenn man genau hingehört hat, dann hat man gemerkt, dass dies alles auf deutsche Initiative hin geschehen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb, liebe Frau Bundeskanzlerin und Herr Finanzminister, möchte ich Ihnen ganz herzlich dafür danken, dass dies von Deutschland aus immer wieder auf euro-päischer Ebene eingebracht worden ist und dass wir jetzt bei den Kohäsionsfonds, bei der Verwendung der europäischen Mittel auf einem guten Weg sind. Wir dürfen da auch nicht nachlassen; denn eines ist klar: Die Haushaltskonsolidierung ist die eine Seite der Medaille. Die andere, die genauso wichtige Seite der Medaille muss die Stärkung der Wettbewerbsstrukturen in den einzelnen Ländern, muss größeres Wachstum in ganz Europa sein. Da haben wir noch einiges zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das, was zu tun ist, können wir aber nicht mit einer zusätzlichen Verschuldung machen. Wachstum durch eine höhere Verschuldung zu erreichen, ist genau der falsche Weg. Das ist der Weg, den Sie uns immer wieder vorschlagen. Wir wissen aber aus unserer eigenen Erfahrung, dass Haushaltskonsolidierung die notwendige Vo-raussetzung für Wachstum ist. Deshalb gehört beides -zusammen, und das eine darf nicht für das andere vernachlässigt werden. Wir alle stehen vor wichtigen Entscheidungen, die sich nicht für Pokerspiele und nicht für parteipolitische Strategien und Taktiken eignen. (Joachim Poß [SPD]: Das müssen gerade Sie sagen! Was machen Sie denn die ganze Zeit?) Vielmehr ist von uns allen eine hohe staats- und europapolitische Verantwortung gefragt. Wir sind dazu bereit. Ich bitte auch Sie, dazu zu stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich die Gelegenheit nutzen, die Präsidentin der Abgeordnetenkammer der Republik Rumänien, Frau Roberta Anastase, und ihre Delegation im -Namen des ganzen Hauses sehr herzlich hier zu begrüßen. (Beifall) Frau Präsidentin Anastase, wir wünschen Ihnen einen gelungenen Aufenthalt in Deutschland und hier im Deutschen Bundestag. Für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche. Jetzt hat als nächster Redner Michael Roth von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Roth (Heringen) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie können noch so viel dementieren: Frau -Merkel, die Bundesregierung und die schwarz-gelbe -Koalition haben sich heillos in den zahllosen roten -Linien verheddert. Auch Sie, verehrte Frau Hasselfeldt, können dieses Knäuel nicht entwirren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bin gespannt – ich habe eigentlich erwartet, dass Sie das hier vorbringen –, wann der CSU-Sonderparteitag einberufen wird. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Herr Seehofer hat ja angekündigt: Wenn diese „rote -Linie“ überschritten wird, dann muss die Basis, dann müssen die Delegierten der Christlich-Sozialen Union entscheiden. Wann findet der Sonderparteitag statt? -Unter Wahrnehmung europapolitischer Verantwortung versteht Ihre Partei, die CSU, Europa abzulehnen und Europa schlechtzumachen. Insofern sind Sie ein denkbar schlechter Ratgeber. (Beifall bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das ist -unter Ihrem Niveau!) Ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie Ihre ganze Leidenschaft darauf verwenden, uns anzupampen. Ich dachte, Sie wollten noch etwas von uns, mit uns reden, mit uns verhandeln. Von ernsthaftem Bemühen habe ich in dieser ansonsten ziemlich mediokren Debatte wirklich wenig gespürt. (Beifall bei der SPD – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Leider wahr!) Nun könnte man ja sagen, dass wir uns darüber freuen können, dass das Vertrauen in die Kraft der Bundesregierung am Boden liegt. Das Schlimme an dem permanenten Hü und Hott von Frau Merkel ist aber, dass das Vertrauen in die Politik in Europa allgemein nachgelassen hat. Wir sitzen doch alle in einem Boot. Insofern sage ich: Sie haben sich an Europa versündigt, Frau Bundeskanzlerin. Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, haben sich versündigt. Selbstverständlich wissen wir, die wir uns aus den Klauen der Finanzmärkte befreien wollen, dass wir das nur schaffen, wenn wir Schulden abbauen und die Neuverschuldung reduzieren. Deshalb sollten Sie mit Ihren 34 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr ganz ruhig und demütig sein, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen. (Beifall bei der SPD) Wenn die Finanzmärkte nicht reguliert werden, (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie haben sie doch dereguliert! Es war doch die SPD, die dereguliert hat!) wenn sie nicht unter strenge Aufsicht gestellt werden, dann sind die Finanzmärkte eher etwas für die geschlossene Psychiatrie. Insofern haben wir eine ganze Menge zu verrichten. Eines ist aber auch klar: Dieser Fiskalpakt, der uns auf den Tisch gelegt wurde, löst kurzfristig nicht die Krise. Nur Luxemburg und einige wenige skandinavische Partnerländer wären derzeit in der Lage, eine Schuldenbremse nach Vorbild des Fiskalpakts einzuhalten. Deutschland hätte allein im Haushaltsjahr 2011 20 Milliarden Euro zusätzlich einsparen müssen. Daran sehen wir doch, was für eine Riesenaufgabe vor uns liegt. Deshalb ist es gut, dass wir uns dafür hier im Bundestag sehr viel Zeit nehmen. Die Qualität des Fiskalpakts kann doch nicht ernsthaft daran bemessen werden, ob wir im Juni, im September oder im Oktober entscheiden. Qualität geht vor Schnelligkeit. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen einen echten Fiskalpakt. Es fehlt nicht an Konzepten, sondern es fehlt der Mut, diese Aufgabe anzupacken. Über Wachstum und Beschäftigung ist heute abstrakt gesprochen worden – auch von Rednern aus Ihren Reihen –, wir brauchen sie aber endlich konkret. Wenn Sie endlich aufhören würden, gegenüber der Opposition die Backen so aufzublasen, sondern endlich begreifen würden, dass der größte Skandal in Europa die Tatsache ist, dass die Hälfte der Jugendlichen in Griechenland und Spanien ohne Perspektive, ohne Job, ohne Qualifizierung ist! Darüber müssten wir uns gemeinsam empören. Dafür brauchen wir nicht 2014 eine konkrete Lösung, wir brauchen noch in diesem Jahr ein konkretes Angebot für diese Jugendlichen. Sie müssen mit Europa wieder Hoffnung und Zuversicht verbinden und nicht nur Abbau und Verluste. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen in Europa – das hat nicht zuletzt die -berühmt-berüchtigte Lissabon-Strategie gezeigt – Verbindlichkeit. Wir brauchen Zielkorridore. Wir brauchen Mindeststandards für die Bereiche Steuern, Sozialabgaben, Beschäftigung, Bildung und Forschung. Es kann doch nicht angehen, dass einige Länder eine Flat Tax für die Unternehmen haben und gleichzeitig üppige Mittel aus den Kohäsions- und Strukturfonds erhalten. Das passt nicht zusammen. Wir brauchen mehr Fairness, auch bei der Steuerpolitik in der Europäischen Union. (Beifall bei der SPD) Selbstverständlich stehen auch wir in der Verantwortung. Wir haben in den letzten Monaten sehr oft den -Zeigefinger in Richtung der Länder, die ein Leistungs-bilanzdefizit haben, erhoben. Aber auch wir als Überschussland stehen in der Verantwortung. Derzeit laufen in Deutschland Tarifverhandlungen. Tun wir doch etwas zum Abbau der Leistungsbilanzen! Wir wollen nicht die Exporte in Deutschland drosseln, aber wenn die Krankenschwester in Deutschland wieder mehr verdient und wenn endlich flächendeckend in allen Branchen Mindestlöhne durchgesetzt werden, dann bauen wir auch die unfairen Vorteile ab, mit denen wir uns zulasten -unserer Partnerländer in der Europäischen Union einen schlanken Fuß in Europa gemacht haben. (Beifall bei der SPD) Frau Merkel hat aus der Europäischen Union ein -Europa der Regierungen gemacht. Wir, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, streiten für ein Europa der Parlamente. Wir müssen, wenn es um die Abgabe nationaler Souveränität geht, neue Wege gehen, vor -allem auch in der Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten. Wir brauchen eine ordentliche Parlamentsbeteiligung, wir brauchen aber keine Obstruktionspolitik. Wir als Deutscher Bundestag müssen darüber nachdenken, wie wir mehr Verantwortung in diesen schwierigen Bereichen übernehmen können. Schlussendlich: Wir sollten – Kollege Carsten Schneider hat es schon angedeutet – genauso leidenschaftlich, wie wir über ökonomische Parameter streiten, endlich auch einmal darüber streiten, wie viel Europa uns wirklich wert ist. Europa steht für Freiheit. Europa steht für Frieden. Europa steht für Solidarität. Die Münze, mit der Sie Europa zu bezahlen trachten, ist ziemlich klein; Sie sind da verzagt. Das passt nicht. So wird Europa nicht zukunftsfähig. Deswegen wäre es gut, wenn Sie, liebe Damen und Herren der Bundesregierung, der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, möglichst schnell aus der Verantwortung herausgehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Otto Fricke. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Geschätzter Vizepräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich um ein historisches Projekt. Ich finde, das sollten wir noch einmal festhalten. Wir alle wollen dieses Europa. Wir brauchen dieses -Europa. Deutschland braucht dieses Europa. Nur dann, wenn wir es schaffen, andere davon zu überzeugen, dass das, was wir unter deutschen Bilanzregeln, unter deutscher Haushaltspolitik verstehen, sinnvoll ist, wird -Europa auf Dauer stabil sein. Das muss die Nachricht sein, die von diesem Bundestag zur Jahreshälfte ausgeht. Ich will Ihnen eines deutlich sagen: In dieser Debatte wurde den Bürgern vonseiten der Opposition nicht -erklärt, warum Europa wichtig ist. Sie arbeiten sich an roten Linien ab. Das hat ja auch Herr Steinmeier getan; er ist jetzt nicht mehr da. (Zuruf von der SPD) – Oh, Herr Steinmeier ist wieder da. Das finde ich gut. Danke für den Hinweis. Auch Herr Steinbrück ist da; das hat einen Effekt. – Auch Herr Schneider und Herr Roth haben das getan. Herr Steinmeier, Sie haben eben von roten Linien gesprochen. Ich habe dann geschaut, wo Ihre roten Linien sind. Wir erleben hier seitens der -Opposition etwas Interessantes. Es ist Ihr Recht als -Opposition, eine gut arbeitende Regierung zu kritisieren; etwas anderes bleibt Ihnen auch nicht übrig. Aber sagen Sie doch einmal, wo Ihre roten Linien sind. Sind Ihre- -roten Linien bei den vorgesehenen 500 Milliarden Euro? (Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) Sind Ihre roten Linien bei 750 Milliarden Euro, sind sie bei 1 Billion Euro? Das Interessante ist: Die Opposition hat gar keine roten Linien. Die Opposition hat einen -roten Teppich für Schuldenländer. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für den Bürger ist eines wichtig. Wir als Bundesrepublik Deutschland profitieren von einem stabilen Europa nicht nur deswegen, weil wir mit unseren Exporten -unsere Wirtschaft stabilisieren, sondern wir profitieren auch deswegen, weil Stabilität in Europa für unser Land immer bedeutet, dass wir uns weiterentwickeln können, dass wir modernisierende Schritte nach vorne machen können. Reformen können wir nur durchführen, wenn Europa stabil ist. Ist es nicht mehr stabil, kann der Stärkste in Europa nicht für Fortschritt sorgen. Da – das ist ein Hinweis an die Opposition – tragen Sie Verantwortung. Herr Steinmeier, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, Sie hätten Reformen gemacht. Stimmt, das haben Sie. Daher müssten wir uns doch einig sein, dass all die Reformen, die in Deutschland durchgeführt worden sind, die Deutschland nach vorne gebracht haben, auch in den -anderen -europäischen Ländern auf die eine oder andere Weise gemacht werden müssen. Das heißt, ich erwarte von der Sozialdemokratie, (Joachim Poß [SPD]: Sie haben überhaupt nichts zu erwarten!) dass sie international, auch bei Besuchen in Frankreich sagt: Die Rente mit 67 müssen nicht nur wir in Deutschland einführen, sondern auch ihr in Frankreich. Interessant ist, was Herr Gabriel macht. (Joachim Poß [SPD]: Was haben Sie zu -erwarten?) – Wieder einmal getroffen! – Was macht Herr Gabriel? Herr Gabriel sagt: Liebe Franzosen, macht bloß nicht all die Reformen, die wir in Deutschland gemacht haben. (Joachim Poß [SPD]: Unwahr!) Da liegt der Fehler: Sie sagen, dass Reformen wichtig sind, aber dass nur wir in Deutschland Reformen -machen sollen und die anderen bitte schön nicht. Sie verstecken sich vor Ihrer Verantwortung. (Burkhard Lischka [SPD]: Sie sind schon lange ins Loch gefallen!) Meine Damen und Herren, es wurde hier viel über Quantität und Qualität geredet. Es wird oft gesagt – auch der Kollege Roth hat das gerade getan –, man müsse den Fiskalpakt noch einmal verhandeln, und man solle sich dabei Zeit lassen. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Nein! Kein Wort zu Neuverhandlungen! Das ist einfach nicht wahr!) Ich finde es unverantwortlich, zu sagen, dass man neue Verhandlungen über den Fiskalpakt will. Sie wissen doch ganz genau: Er ist ausverhandelt. Die Ergebnisse stehen fest. (Joachim Poß [SPD]: Wir haben immer von einer Ergänzung gesprochen! Wir haben nie von Neuverhandlungen gesprochen!) Welches Signal sendet eigentlich eine Opposition in die Welt hinein, die sagt: Den Fiskalpakt, der für die Stabilität in Europa wichtig ist, kann man ruhig verschieben? (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verschieben nicht! Im Rahmen des Vertrages ratifizieren, Herr Kollege Fricke!) Welches Signal wollen Sie eigentlich senden? Wollen Sie weiter Verschuldung betreiben, oder wollen Sie einen Fiskalpakt? Zum Schluss. SPD und Grüne bzw. die Oppositionsparteien insgesamt haben aufgrund unserer Verfassung Verantwortung bekommen, als es um den Fiskalpakt ging, eine Verantwortung, die Sie ja sehr gerne übernehmen wollten. Daran arbeiten Sie ja und sagen, das sei wichtig und unbedingt notwendig. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber dafür brauchen wir von Ihnen keine Belehrungen!) Aber was machen Sie? Sie sagen nicht, was Sie wollen. Sie sagen nur, was Sie nicht wollen. Sie sind nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie sind ängstlich. Hören Sie doch auf den Bundespräsidenten, (Bettina Hagedorn [SPD]: Er ist unser Bundespräsident!) der so schön gesagt hat: Mut ist das, was wir zum jetzigen Zeitpunkt brauchen. – Wo bleibt Ihr Mut, Verantwortung zu übernehmen? Wiederholen Sie bitte nicht die historischen Fehler, die Sie gemacht haben. Ihr erster historischer Fehler, der ewig an Ihnen haften bleiben wird, war, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Aha! Was haben die Liberalen denn damals dazu gesagt? – Bettina Hagedorn [SPD]: Wie wäre es denn, wenn du mal zum Thema redest?) Ihr zweiter historischer Fehler war, dass Sie den Stabilitätspakt gebrochen haben. Herr Monti hat recht, dass Deutschland und Frankreich mit ihrer Verschuldung Anfang des letzten Jahrzehnts für den Ursprung der Euro-Krise gesorgt haben; auch das war ein historischer Fehler. (Joachim Poß [SPD]: Warum haben Sie das denn nicht korrigiert?) Machen Sie bitte nicht Ihren dritten historischen Fehler, indem Sie die Stabilität Europas zerstören, die wir als Koalition mit ESM und Fiskalpakt gerade wieder aufbauen. Ich bitte Sie: Gehen Sie in sich, haben Sie Mut, und seien Sie mehr als nur Kritiker! Seien Sie wahre Demokraten! Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ach, Otto! Das ist doch nur Pfeifen im Wald!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Was ist denn mit Krichbaum?) Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehrere meiner Vorredner, vor allem die der Koalition, haben bereits darauf hingewiesen, dass dies eine historische Stunde ist. Wir beraten heute im Bundestag in erster Lesung ein Gesetzespaket, das im Grunde aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Fiskalpakt besteht. Das sind zwei grundlegende Tragpfeiler einer neuen Stabilitätsarchitektur in Europa. Diese beiden grundlegenden Pfeiler dieser Architektur dürfen nicht beschädigt werden. Ich muss feststellen, dass wir heute eine eigenartige Erfahrung machen dürfen. Denn ein Teil der Opposition, insbesondere die Grünen, sagt: Wir möchten den ESM zwar noch etwas ausweiten, aber grundsätzlich sind wir dafür. Wir bräuchten allerdings noch mehr Zeit zur Beratung. – Die SPD sagt: Wir sind grundsätzlich für den Fiskalpakt. Wir sind auch für den ESM. Aber wir wollen noch Verbindungen herstellen und Bedingungen an den Fiskalpakt knüpfen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Wir wollen ihn -erfolgreich machen!) Das ist schon ein eigenartiges Erlebnis. Ich komme zum ersten Punkt: zum Zeitplan. Nach unserem Zeitplan könnten wir den Fiskalpakt und den ESM bis zur Sommerpause ratifizieren. Das hat übrigens auch Portugal vor, das hat Spanien vor, und das hat Griechenland vor. Meine Damen und Herren, wir sollten nicht hinter diese Länder zurückfallen. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das hat Österreich nicht vor! Das hat Frankreich nicht vor! Das haben die Niederlande nicht vor!) Zweitens. Wer so tut, als würden wir dieses Thema hier und heute zum ersten Mal beraten, der war in den vergangenen Monaten irgendwo anders. Zumindest im Haushaltsausschuss haben wir uns tage- und wochenlang mit dem Zustandekommen des Fiskalvertrages und des ESM-Vertrages beschäftigt. Wir haben die Vertragsentwürfe bekommen. Wir haben verfolgt, welche Veränderungen eingearbeitet worden sind. Auch im Plenum des Deutschen Bundestages haben wir über diese beiden Themen schon hinlänglich diskutiert. Wer also so tut, als würden wir uns das erste Mal damit beschäftigen, der muss irgendwo anders gelebt haben. Das kann ich mir nicht erklären. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Es gibt noch eine andere Welt außer der des Haushaltsausschusses!) – Aber wir haben auch hier schon darüber diskutiert; (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber ohne Vorlage!) das muss klar sein. Wir haben schon vor langer Zeit hinlänglich und ausführlich über die Kautelen, die Inhalte und alle Details des Fiskalvertrages diskutiert. Das geschieht heute nicht zum ersten Mal. Dritter Punkt. Die SPD – es kam ja schon ein entsprechender Zwischenruf – knüpft Bedingungen an den Fiskalpakt und sagt: „Wir stimmen dem Fiskalvertrag nur zu, wenn …“ Nun sagen die einen: wenn eine Finanztransaktionsteuer kommt. – Die anderen sagen: wenn es Wachstumsprogramme gibt. – Was jetzt eigentlich? Wenn Sie ein Pfand in der Faust haben, dann sollten Sie uns einmal erklären, wie dieses Pfand eigentlich aussieht. Ich weiß das nämlich immer noch nicht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) In Bezug auf Wachstumsprogramme darf ich Sie daran erinnern, dass wir insbesondere bei den Programmländern, die schon jetzt unter dem Rettungsschirm sind, immer Bedingungen an Hilfen knüpfen. Die Vierteljahresberichte der Troika geben Auskunft darüber, wie dort Programme für mehr Wachstum und für mehr Wettbewerbsfähigkeit, also nicht nur zum Abbau der Staatsverschuldung, umgesetzt werden müssen. Man muss sich die Programme nur einmal anschauen. Das tun Sie aber wahrscheinlich nicht so gerne; denn darin steht, dass für mehr Wettbewerbsfähigkeit und für mehr Wachstum zum Beispiel die Mindestlöhne abgesenkt oder ganz abgeschafft werden müssen, dass es zu Arbeitsmarktderegulierungen kommen muss und dass der Kündigungsschutz ausgesetzt werden muss. Dagegen protestieren die Menschen in Spanien momentan. Das alles steht dort drin – zur Verbesserung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Das hören Sie nicht so gerne. Schauen Sie sich also die Berichte der Troika an und machen Sie sich die Mühe, da nachzulesen. Dann bekommen Sie eine Blaupause dafür, was in diesen Ländern geschehen muss, um mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Was will ich damit sagen? (Caren Marks [SPD]: Das fragen wir uns auch!) Ist Ihnen von der Opposition eigentlich klar, dass Sie dann, wenn Sie zu diesem Fiskalvertrag zwar Zustimmung signalisieren, aber nur unter Bedingungen, das Signal nach draußen aussenden, dass Sie zwar eigentlich dafür sind, aber so richtig doch nicht; denn wenn man sich innerlich distanziert und die Zustimmung an Bedingungen knüpft, dann distanziert man sich von den Inhalten. Das müsste Ihnen zu denken geben. Ich glaube, Europa und die gesamte Welt brauchen ein klares und deutliches Signal, dass wir in allen Euro-Staaten festen Willens sind, einerseits die Staatsverschuldung zurückzuführen und eine Politik für eine wachstumsfördernde Konsolidierung zu betreiben und andererseits solidarisch dafür einzutreten, dass auf keinen Fall ein Euro-Mitgliedsland in die Insolvenz getrieben wird. Es geht letztendlich um Europa, das haben wir gehört, aber es geht schlicht und einfach auch um unsere Währung. Es geht um den Euro, den jeder von uns in der Tasche hat. Vorne sieht man das Euro-Zeichen und hinten – zumindest auf meinem – den deutschen Bundesadler. Es geht auch um unsere Verantwortung, zur Stabilität unserer Währung beizutragen. Es darf nie wieder geschehen, dass sich ein deutscher Handwerker fragen muss: Kann ich noch investieren und dem Euro noch trauen? Es darf nie wieder geschehen, dass internationale Investoren die Frage stellen müssen: Hat der Euro eine Zukunft? Wir bauen dem entsprechend vor, indem wir einerseits einen Pakt für Solidarität und andererseits einen Pakt für Stabilität verabschieden. Das sind die beiden Seiten ein und desselben Euro-Geldscheines bzw. -Geldstückes, die wir bei unserer Politik beachten müssen. Unser bisheriger Weg war erfolgreich und hat zu guten Ergebnissen geführt, und wir setzen diesen Weg auch erfolgreich fort. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/9046, 17/9045, 17/9048, 17/9049, 17/9047, 17/9146, 17/9147, 17/9148 und 17/9145 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören Bartol, Florian Pronold, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Gemeinsam Zukunft planen – Infrastruktur bürgerfreundlich voranbringen – Drucksache 17/9156 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Florian Pronold (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an: Das ist das Sankt-Florians-Prinzip, das unter missbräuchlicher Verwendung meines Vornamens zurzeit an vielen Orten in der Republik Anwendung findet. (Oliver Luksic [FDP]: Heiliger Sankt Pronold!) Wenn es um neue Straßen geht, wenn es um die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene oder wenn es darum geht, dass immer mehr Menschen den Flieger benutzen, dann ist die Bereitschaft, die damit verbundene Infrastruktur auszuhalten, unterausgeprägt. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder erfahren, dass die Umsetzung gesellschaftlich akzeptierter Ziele – ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte ist die Energiewende, der Ausstieg aus der Atomkraft und damit verbunden der Ausbau neuer Energietrassen – zu Widerstand vor Ort führt. Deshalb brauchen wir einen neuen Infrastrukturkonsens. Zukünftig können wir große Projekte nur noch dann realisieren, wenn es gelingt, die Bürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe einzubeziehen, statt in ein Gegeneinander zwischen übergeordneten Interessen und den konkreten Sorgen und Befürchtungen der Menschen vor Ort zu verfallen. Deswegen hat die SPD-Bundestagsfraktion das „Projekt Zukunft“ aufgelegt. Wir haben uns mit vielen Vereinen, Verbänden und Betroffenen vor Ort über die Frage unterhalten, wie wir einen neuen Infrastrukturkonsens herstellen können. Infrastruktur ist eine wichtige Lebensader für Wohlstand, für Lebensqualität und für Arbeitsplätze. Ich bin froh, dass wir als Bundesrepublik Deutschland nie den Weg anderer Länder gegangen sind, die zum Beispiel ihre industriellen Kerne aufgegeben und auf Finanzmärkte gesetzt haben, wie es in Großbritannien der Fall war. Wer will, dass wir auch in Zukunft ein moderner Industrie- und Dienstleistungsstandort sind, der muss auch dafür Sorge tragen, dass die richtige und wichtige Infrastruktur schnell geschaffen und ausgebaut wird. Das geht nur, wenn man das nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger macht, sondern wenn man sie tatsächlich in die Frage des Ob und die Frage des Wie einbezieht. (Beifall bei der SPD) Bürgerbeteiligung und Planungsbeschleunigung sind keine Gegensätze. Wir sind der felsenfesten Auffassung, dass eine bessere und frühere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auch zu einer Beschleunigung der Verfahren führen kann. Die Erfahrung, die viele Bürgerinnen und Bürger machen, ist aber, dass eine nachträgliche Akzeptanz hergestellt werden soll. Sie haben das Gefühl, dass sie hinter die Fichte geführt werden. Deswegen verfolgen wir mit dem heute vorliegenden Antrag den Ansatz, mehr Transparenz bei der Planung zu erreichen und die Planung nicht mehr hinter verschlossenen Türen zu machen. Vielmehr müssen alle Schritte für Betroffene einsehbar sein, und sie müssen sich beteiligen können. Wir wollen eine Demokratisierung des Planungsverfahrens. Außerdem wollen wir, was ganz wichtig ist, einen Dialog auf Augenhöhe. Wir schlagen dazu ganz konkrete Mittel vor. Die Bundesregierung unter der Federführung des Innenministeriums plant zurzeit einen Gesetzentwurf, der darauf abzielt, Planungen zu beschleunigen und Bürgerinnen und Bürger besser und mehr einzubeziehen. Wer heute dazu Die Welt liest, stellt fest, dass Heiner Geißler, also derjenige, der von der CDU ausgesucht worden ist, weil er sich mit Bürgerbeteiligung und -Mediation am besten auskennt, dieses Vorhaben aufs Schärfste kritisiert. Er sagt, bei diesen Vorschlägen der Bundesregierung gehe es allenfalls darum, eine verbesserte Anhörung zu erreichen. Es fehle allerdings, dass mit den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe geredet wird. Das ist aber doch die Voraussetzung dafür, dass man Akzeptanz herstellt und einen Infrastrukturkonsens erreicht. (Beifall bei der SPD) Was macht der Bundesverkehrsminister? Er legt uns in dieser Woche ein Handbuch vor. Nachdem wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine ganze Menge aufgeschrieben haben, was man tun kann, erstellt der Bundesverkehrsminister ein Handbuch. Das ist schön. Manchmal ist Sprache aber verräterisch. Im Internet nachlesbar heißt es unter Frage 8: Welche Konsequenzen hat die Teilnahme an Bürgerbeteiligungsgesprächen für die Rechte Betroffener im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren? -Welche Verbindlichkeit haben Ergebnisse von Mediationsverfahren, Runden Tischen oder ähnlichem? Als Antwort ist dort zu lesen: Gleichzeitig ist es wichtig, dass es eine gewisse Verlässlichkeit im Hinblick auf die zur Konfliktlösung gefundenen Kompromisse gibt und sich die Beteiligten an die Ergebnisse gebunden fühlen. Auch sollten möglichst – möglichst! – alle entscheidungserheblichen Fakten auf den Tisch kommen. Sprache ist verräterisch; das zeigt sich in dieser Einschränkung. Wir erleben gerade in Frankfurt eine Nachtflugdebatte. Es hat unter Hans Eichel eine wirklich hervorragende Mediation stattgefunden. Diese führte zu einem Ergebnis. Auf dieses Ergebnis haben sich die Menschen verlassen, dass es nämlich dort keine Nachtflüge geben wird. Dann ist unter Roland Koch dieses Ergebnis ignoriert worden, sodass der Fall jetzt beim Bundesverwaltungsgericht liegt und sich die Menschen von Ihnen zu Recht hinter die Fichte geführt vorkommen. (Patrick Döring [FDP]: Beschluss des Gerichtes! Unabhängige Justiz! Schon einmal davon gehört? ) In Frankfurt haben Sie für diese Haltung die Quittung bekommen. Was wollen Sie denn? (Patrick Döring [FDP]: Beschluss des -Gerichtes!) – Brüllen Sie nicht dazwischen, Herr Döring. Wenn Sie eine Frage haben, stellen Sie sie doch. Darüber würde ich mich freuen. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP) – Es hilft nichts, wenn Sie noch so laut schreien. – Das, was wir wollen, ist: Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden, welche Infrastruktur unser Land braucht. Dazu wollen wir auch auf Bundesebene die Möglichkeit von Volksentscheiden und Referenden schaffen. Nur wenn es tatsächlich eine Entscheidung über das Ob und Wie gibt, kann diese nachher vor Ort akzeptiert werden. Natürlich werden die vor Ort Betroffenen nie immer komplett für eine belastende Infrastruktur sein. Aber wenn es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dann ist natürlich die Bereitschaft, auch eine belastende Infrastruktur zu ertragen, größer, nämlich dann, wenn man vorher beim Ob und beim Wie wirklich beteiligt worden ist. Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger einen Bürgeranwalt von der Verwaltung gestellt bekommen. Es kann doch nicht sein, dass jeder Bürger im Laufe eines Planungsverfahrens selber zum Verwaltungsfachjuristen werden und sich all diese Kenntnisse selber aneignen muss. Wir wollen, dass bei großen Vorhaben Bürgerinnen und Bürger, die nicht die Zeit und die Lust haben, sich mit der Frage intensiv zu beschäftigen, trotzdem die Möglichkeit haben, einen schnellen und guten Einblick zu bekommen. Was spricht denn heute auch bei Großprojekten gegen eine Computersimulation – das ist ähnlich wie ein Computerspiel –, bei der die Menschen sehen: Was passiert, wenn die Trasse an der einen oder an einer anderen Stelle verläuft? Was kostet das an Ausgleichsmaßnahmen? Was bedeutet das für den Steuerzahler und die Steuerzahlerin? Wer ist betroffen? Wie viele sind betroffen? Das kann man heute alles in einer vernünftigen Computersimulation machen. Das fördert vielleicht das Verständnis für die Problemlagen: Wenn an der einen Stelle etwas gemacht oder unterlassen wird, sind dafür andere an anderer Stelle betroffen. Dieses Vorhaben kann man doch schnell umsetzen. Wir wollen, dass es verbindliche Qualitätsstandards gibt. Das, was wir immer wieder erleben, ist, dass eine Mediation von dem größten Befürworter, zum Beispiel dem Landrat eines Landkreises beim Bau einer Autobahn – sagen wir einmal: die A 8 –, geleitet wird. Er wird nicht als neutraler Mediator wahrgenommen. Die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger werden dann nicht aufgenommen. Das führt natürlich zu Widerstand. Deswegen wollen wir verbindliche Standards dafür, wie eine Mediation ausschauen, was in dem Verfahren passieren und dass das Verfahren insgesamt transparent und offen verlaufen soll. Wir sind im Gegenzug dafür, Planungen zu beschleunigen. Es kann doch nicht wie in Stuttgart sein, dass 17 Jahre nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens erst mit dem Bau begonnen wird. So etwas hat mit dem Ernstnehmen von Bürgerinnen und Bürgern nichts zu tun. Wir wollen eine Vermeidung von Doppelprüfungen. Wir regen an, dass man noch einmal an das herangeht, woran die schwarz-gelbe Bundesregierung gescheitert ist, nämlich Raumordnungsverfahren und Planfeststellungsverfahren zusammenzuführen – zumindest zu einem Teil –, um Doppelprüfungen zu vermeiden. Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger schon sehr früh eingebunden sind, auch in einem Vorverfahren. Wir wollen, dass der Planungsträger verpflichtet ist, schon am Anfang zu informieren und die Akzeptanz zu prüfen, damit er auch für sich selber schon sehen kann: Wo gibt es Widerstände? Wie geht man damit um? Wir wollen ferner, dass überprüft wird, wie die Erfahrungen mit der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes sind, dass man überlegt, bei welchen Maßnahmen man dies auch in Zukunft unter Umständen so halten kann. Was zum Beispiel die Flugrouten angeht, wollen wir, dass Teil des Planfeststellungsverfahrens wird, dass zukünftig die Betroffenen – auch alle potenziell Betroffenen – rechtzeitig und umfassend in den gesamten Dialog einbezogen werden. Wenn wir wollen, dass der Industrie- und Dienstleistungsstandort Deutschland leistungsfähig erhalten bleibt, dann müssen wir für einen Infrastrukturkonsens sorgen. Das geht nur mit Transparenz und wenn die Bürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe beteiligt werden und tatsächlich mitbestimmen können. (Beifall bei der SPD) Dafür müssen Sie sorgen und nicht für eine Verbesserung des Anhörungsverfahrens. Es geht nicht darum, irgendwelche Handbücher aufzulegen, sondern um wirkliche Änderungen im Sinne des Ernstnehmens der Bürger und der Schaffung eines Infrastrukturkonsenses. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dirk Fischer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die SPD die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Infrastruktur erneut bestätigt. (Thomas Oppermann [SPD]: Das ist ja mal ein Grundsatz!) Der Konsens, den wir in dieser Frage haben, ist wichtig. Aber die Regierungskoalition von CDU, CSU und FDP ist schon ein ganzes Stück weiter. (Sören Bartol [SPD]: Wo denn?) Es gibt im Deutschen Bundestag den Konsens: Mobilität und Infrastruktur schaffen die Voraussetzungen für Beschäftigung, Wohlstand und die Nutzung persönlicher Freiheit. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nicht mit uns!) Leistungsfähige und optimal vernetzte Verkehrswege haben somit für unser Land eine zentrale Bedeutung. Wir verfügen heute in Deutschland schon über ein gut ausgebautes Verkehrsnetz. Wir wissen, dass das für unser Land einer der wichtigsten Standortfaktoren ist; denn unsere arbeitsteilige Volkswirtschaft verdient ihr Geld auch mithilfe einer hervorragenden Verkehrsinfrastruktur. Durch die Infrastruktur können Arbeitsplätze in allen Teilen des Landes geschaffen und gesichert werden, auch in peripheren Räumen. Das entspricht der Verpflichtung des Grundgesetzes, die wir ernst nehmen. Aufgrund unserer zentralen Lage in Europa stehen wir zusätzlich in der Verantwortung, insbesondere auch für das gerade jetzt so wichtige wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas zu sorgen. Wir müssen also im Ergebnis alles dafür tun, unsere Verkehrswege durch Investitionen leistungsfähig zu erhalten und zukunftsfähig auszubauen. Aber Geld ist nicht alles. Auch die Planung und Umsetzung der Bauvorhaben müssen in einem überschaubaren Zeitraum möglich sein. Jahrzehntelange, viel zu lange Planungs- und Bauprozesse binden in unverantwortlicher Weise Kraft, Zeit und Geld und verhindern notwendige volkswirtschaftliche Effekte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die zentrale Frage an uns alle ist: Kann man daran etwas ändern? Nicht ändern kann man nach meiner Auffassung die Tatsache, dass von jedem Infrastrukturvorhaben Einschränkungen und Belastungen für unmittelbar betroffene Anlieger ausgehen, und dies gerade in einem sehr dicht besiedelten Land. Diese Konflikte sind im Grundsatz unvermeidlich. Das erzeugt immer wieder Konfliktpotenziale. Die Konsequenz für Infrastrukturvorhaben, die in aller Regel als Bedarf vom Gesetzgeber festgesetzt worden sind, kann doch nicht sein, völlig darauf zu verzichten, um jedem Konflikt auszuweichen, sondern wir müssen uns anstrengen, eine größtmögliche Minimierung der schädlichen Auswirkungen auf die Anlieger und die Umwelt zu erreichen. Dazu brauchen wir im Diskussionsprozess mehr Akzeptanz für die Projekte in der Gesamtbevölkerung. Dazu sind noch mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung schon in frühen Planungsphasen notwendig. Wir müssen die Leute informieren und ihnen das Pro und Kontra darstellen und sie in einem solchen Prozess im positiven Sinne mitnehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will sagen, Herr Pronold: Diese Herausforderung nimmt die Bundesregierung nachweislich sehr ernst. (Sören Bartol [SPD]: Wo denn?) Dazu bedarf es keines Antrages der SPD-Fraktion, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) bei dem man den Eindruck hat, dass Sie offensichtlich von dem einen Extrem in das andere verfallen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Gut lesen! Lesen bildet!) Nach dem SPD-Konzept hätten wir in der Zukunft zwar mehr Kommunikation, aber es würde wohl kaum noch ein Projekt in vernünftigen Zeitabläufen realisiert werden können, und das auf allen Ebenen: zu Lande, zu Wasser und in der Luft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bei meiner Vorbereitung kam mir die Idee, man sollte das, was Sie aufgeschrieben haben, vielleicht einmal in einem SPD-geführten Bundesland als Pilotprojekt durchführen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Jubel in den anderen Bundesländern über frei werdende Mittel für ihre Infrastrukturvorhaben wäre wahrscheinlich relativ groß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das zu der Verkehrsinfrastruktur Gesagte gilt auch für den Ausbau der Energienetze in Deutschland. So entschieden wir gemeinsam aus der Kernenergie raus -wollen, so entschieden müssen wir aber auch in die Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen rein wollen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bettina Hagedorn [SPD]: Na, dann man los! – Sören Bartol [SPD]: Applaus!) Gegen beides zu sein, Herr Kollege Hofreiter – das können Sie landauf, landab beobachten –, nämlich gegen die Kernenergie, gegen die Verspargelung der Landschaft, den Ausbau der Energienetze und die Pumpspeicherwerke, kann nur ein völliges Desaster für unser Land in der Energiepolitik zur Folge haben. Davor kann man nur dringend warnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das bei der CDU/CSU! Das ist das Problem!) Wir brauchen schnellstmöglich den Ausbau der Übertragungs- und Verteilungsnetze sowie der Speicherkapazitäten für Strom aus erneuerbaren Energien. Dabei müssen sich alle glaubwürdig anstrengen, dies in der Bevölkerung verständlich zu machen und durchzusetzen. Wir müssen auch durch mehr Information und eine frühzeitige Bürgerbeteiligung die Akzeptanz erhöhen. Die Bundesregierung verfolgt dieses Ziel mit Nachdruck. Denn am Ende zählt nur die Tat bzw. das Ergebnis. Vor kurzem ist der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden. Das begrüßen wir ausdrücklich. Mit diesem Gesetz wollen wir neue Möglichkeiten für eine verbesserte Teilhabe unserer Bürgerinnen und Bürger schaffen. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung kann künftig bereits vor dem eigentlichen Verwaltungsverfahren stattfinden und einem möglichst großen Personenkreis offenstehen. Dieses Instrument der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll das Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren bei Großvorhaben besser vorbereiten und helfen, Konflikte frühzeitig beizulegen oder sogar zu vermeiden. Das wird dazu führen, dass wichtige Infrastrukturprojekte am Ende sogar schneller umgesetzt werden, und das trotz oder gerade wegen mehr Öffentlichkeitsbeteiligung. Das ist das Ziel, das wir anstreben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das geplante E-Government-Gesetz wird zudem dafür sorgen, dass alle Planungsunterlagen künftig im Internet bekannt gegeben werden. Das bedeutet deutlich mehr Öffentlichkeit für alle Menschen, die sich damit intensiv befassen wollen. Wir beglückwünschen im Unterschied zu Ihnen, Herr Pronold, unseren Verkehrsminister Peter Ramsauer zum gestern vorgestellten Entwurf eines Handbuches, das sämtliche Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung beinhaltet. Wir freuen uns darüber, dass der Entwurf auf dem Tisch liegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Das ist ein bunter Katalog!) – Sie werden es auch lesen müssen, damit Sie Ihren Erfahrungsschatz ein bisschen erweitern können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn darin wird konkret aufgezeigt, welche gesetzlichen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung bereits heute existieren, wie diese besser und intensiver genutzt werden können und welche weiteren Maßnahmen gegebenenfalls ergriffen werden können. Damit erreichen wir eine bessere und frühzeitigere Bürgerbeteiligung. Dazu wird auch noch ein Werkzeugkasten mit Vorschlägen für eine durchgängige Bürgerbeteiligung auf allen Verfahrens-ebenen erarbeitet, aus dem die im Einzelfall sinnvoll erscheinenden Maßnahmen ausgewählt werden können. Das Handbuch richtet sich an Vorhabenträger, Behörden und Bürger und soll einen Diskussionsprozess anstoßen. Interessierte Bürger, Institutionen, Verbände und sonstige Einrichtungen können bis Mai Anmerkungen und Vorschläge einreichen, die dann ausgewertet werden und bei der Endfassung des Handbuches berücksichtigt werden können. Das Handbuch hat also nicht nur eine bessere Bürgerbeteiligung zum Inhalt, sondern kommt selbst mit mehr Bürgerbeteiligung zustande. Am Ende will ich die SPD ausdrücklich ermuntern, sich doch noch einmal kritisch mit ihren eigenen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Ein ehemaliger Chef des Bundeskanzleramtes, also ein richtiger Macher, ein pragmatischer Macher, der selbst Erstunterzeichner Ihres Antrages ist, weiß doch ganz genau, dass der Aspekt der zügigen Projektrealisierung nicht aus den Augen verloren gehen darf. Wir als Koalition aus Union und FDP sind optimistisch, dass der Gesetzentwurf unserer Bundesregierung beiden Herausforderungen gerecht wird: einem besseren Verständnis zwischen Bürger und Staat – uns darum zu sorgen und zu bemühen, mahnt uns ja auch der neue Bundespräsident –, aber auch dem dringend notwendigen und zügigen Ausbau unserer Verkehrswege und Energienetze. In diesem Sinne sollten wir positiv rangehen, und ich glaube, dann werden wir auch für unsere Projekte in der Durchsetzung einen guten Beitrag leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich ist es die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 gewesen, die die demokratische Erneuerung im 21. Jahrhundert auf die Tagesordnung gesetzt hat. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie da erzählen?) – Ja, ich glaube fest daran. Vorher haben Sie überhaupt nicht darüber gesprochen; jetzt reden wir darüber – und auch in der vorausgegangenen Debatte über Europa. Es steht die Frage im Raum, wie Bürgerinnen und Bürger bei der handfesten Weichenstellung für die Zukunft nicht nur mitreden, sondern auch entscheiden können. Jetzt reden wir über Infrastruktur, und viele der Projekte, um die es geht, sind mit der Frage verbunden: Wie wollen wir künftig leben, und wie sollen unsere Enkel leben können? (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir wollen im Stau stehen!) Die Milliarden Euro, die heute in einen unterirdischen Bahnhof gesteckt werden, stehen künftig nicht zur Verfügung, um viele kleine Bahnhöfe attraktiv und barrierefrei zu gestalten. Das steht gegeneinander. Es geht um die langfristigen Perspektiven, (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja!) um die Perspektiven, die von den Bestimmern heute in Beton gegossen werden. Eine Autobahnbrücke, die jetzt in diesem Parlament beschlossen wird, ist fertig, wenn viele der Abgeordneten schon gar nicht mehr verantwortlich sind. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Warum deprimieren Sie so? Ich sitze noch in 20 Jahren hier! Seien Sie doch etwas optimistischer!) Aber die Menschen im Tal, über deren Häuser und Weinberge die Lkw-Kolonnen dröhnen, können nicht fort. (Beifall bei der LINKEN) Und wo sind die Stararchitekten, Projektleiter und Ministerpräsidenten, die Stuttgart 21 mit Feuer und Flamme, mit Lug und Trug durchgesetzt haben? Weg, noch bevor der eigentliche Bau beginnt. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Selbst in Stuttgart war das Volk dafür! Nehmen Sie das mal zur Kenntnis! Sie erzählen hier Märchen! Sie sind hier im Parlament! Da sind Sie der Wahrheit verpflichtet!) Mittlerweile liegen gute Vorschläge für eine wirksame Bürgerbeteiligung auf dem Tisch. Wir haben als Linksfraktion eine Studie in Auftrag gegeben und im Oktober veröffentlicht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz hat im letzten Monat ein Sechs-Punkte-Programm vorgestellt, und, Herr Ramsauer, es wäre super gewesen, wenn Sie dieses Programm zur Grundlage Ihrer Arbeit gemacht hätten. (Beifall bei der LINKEN) Denn in diesem Programm sind sehr präzise die Hindernisse und Probleme geschildert, die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, in der Praxis wirklich mitzubestimmen. Gleichzeitig werden die passenden Lösungen dargestellt. Die SPD-Fraktion hat jetzt einen Antrag eingebracht. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken, (Oliver Luksic [FDP]: Das würde mir zu -denken geben!) auch wenn wir da noch einigen Diskussionsbedarf haben. Aus unserer Sicht gibt es ein paar wesentliche Bedingungen für den Fortschritt der Demokratie an dieser Stelle. Dazu gehört, dass die Möglichkeiten der Beteiligten und ihrer Verbände denen der Projektbetreiber ebenbürtig sind. Das gilt zum Beispiel für den Zugang zu Unterlagen. Das gilt aber auch für den Zugang zu Recht und Gesetz. Heute können Projektträger beispielsweise alle Einwände der Bürgerinnen und Bürger auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen lassen. Umgekehrt ist dies aber nicht möglich, und auch dies will ich am Beispiel Stuttgart 21 deutlich machen. Sie alle erinnern sich daran, dass der sogenannte Stresstest am Ende der sogenannten Faktenschlichtung der Knackpunkt war. Schafft es der milliardenteure Tunnelbahnhof, wenigstens 30 Prozent mehr Züge abzuwickeln als der bestehende Kopfbahnhof? Das hat die Deutsche Bahn AG behauptet und mit einem langwierigen Simulationsverfahren nachgewiesen. Alle Zweifel daran wurden weggewischt. Inzwischen wissen wir, dass der Stresstest manipuliert war. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was erzählen Sie eigentlich heute? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) Wir wissen, dass das Ergebnis „49 Züge in der Spitzenstunde“ falsch ist. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das Volk hat mit großer Mehrheit für den Bahnhof gestimmt! Dann können Sie sich nicht hier hinstellen und solchen Scheiß erzählen! Das ist unglaublich!) Ich habe vorhin einen alternativen Geschäftsbericht zur Bahnbilanz in die Hände bekommen. Darin ist dokumentiert, dass die Bahn selber im Jahr 2002 einen Kapazitätsnachweis an das Eisenbahn-Bundesamt geliefert hat, in dem steht, was auch die Gegner des Projekts vorgetragen und nachgewiesen haben: (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn die Bürger nicht so abstimmen, wie Sie wollen, wird das Volk beleidigt, oder was ist los?) Der neue Bahnhof schafft nicht mehr als der alte; im Gegenteil: maximal 32 Züge in der Spitzenstunde. (Oliver Luksic [FDP]: Haben die das zu Hause im Hobbykeller ausgezählt oder was? Sind das Hobbyeisenbahner?) Was geschieht jetzt? Wer macht die Verantwortlichen haftbar? Wer überprüft die Richtigkeit dieser vorgeblichen Stresstestgeschichte? Das muss sich ändern. Diejenigen, die die Öffentlichkeit täuschen, die falsche Unterlagen vorlegen, müssen mit Konsequenzen rechnen. (Beifall bei der LINKEN) Nur so kann das Ungleichgewicht der Kräfte etwas verringert werden, das ansonsten die Bürgerbewegungen erschlägt. Vor allem aber – darüber wurde schon gesprochen – müssen die Bürgerinnen und Bürger über die Weichenstellungen entscheiden können. Nicht nur die konkret projektierte Autobahn, nicht nur die konkrete Landebahn oder der versenkte Bahnhof sollen jeweils zur Debatte stehen; entscheidend ist, dass auch die sogenannte Nullvariante möglich ist: gar kein Ausbau von Autobahnen, gar kein Ausbau von Flughäfen, stattdessen vielleicht lieber Ausbau von Eisenbahnverbindungen. (Beifall bei der LINKEN) Es müssen von Anfang an echte Alternativen zur Debatte stehen. Wir brauchen ergebnisoffene Grundsatz-anhörungen (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jawohl!) am Beginn der Maßnahme. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jawohl!) Die Ergebnisse dieser Anhörungen müssen dann auch verbindlich sein. Heute findet die Bürgerbeteiligung erst statt, wenn die Entscheidung eigentlich längst gefallen ist, wenn schon Hunderttausende Euro für Planungskosten investiert worden sind, wenn die Politik sich schon festgelegt hat. Die Einwände und Änderungswünsche werden dann als Störung empfunden, und es geht vor allen Dingen darum, die Konflikte zu befrieden, damit die Sache umgesetzt werden kann. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie machen doch Unfrieden! Wir machen überhaupt nur Frieden!) Herr Fischer, was Sie hier vorgetragen haben, ist genau diese Geschichte. Sie sagen: Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. – Sie wollen sie aber mitnehmen auf eine Reise, deren Ziel Sie längst bestimmt haben. Es geht aber darum, dass auch die Ziele der Bürgerinnen und Bürger eine Rolle spielen, dass sie bestimmen können, wohin die Reise geht. Nun zum Handbuch, das Sie, Herr Ramsauer, dieser Tage vorgelegt haben. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: „Herr Bundesminister Ramsauer“ heißt das! So viel Zeit muss sein!) – Herr Bundesminister Ramsauer. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist das!) Das Handbuch für Bürgerbeteiligung ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Es gehört eigentlich gleich bei seinem Erscheinen auf den Müllhaufen der Geschichte. (Beifall bei der LINKEN) Herr Bommarius hat das heute in der Frankfurter Rundschau sehr treffend kommentiert. Er schreibt: Die Frage, die in diesem Handbuch behandelt wird, ist eigentlich nur die, ob die Bürokratien das Placebo am Anfang des Prozesses oder am Ende des Prozesses verabreichen sollen. Hauptsache Placebo. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sabine Leidig (DIE LINKE): Hinter dieser Haltung versteckt sich eine Angst vor dem Souverän, die wir nicht teilen. Wir meinen, dass es Zeit ist in Deutschland für mehr Demokratie, (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Aber für weniger Infrastruktur! Das ist Ihr Problem!) dass mehr Volksbegehren, Volksentscheide auf allen Ebenen möglich und notwendig sind. Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht zu dumm, sich mit den komplexen Fragen zu beschäftigen. Wenn sie es täten, wäre das das Ende einer Infrastrukturpolitik, die sich als Dienstleistung für die Wirtschaft versteht. Besten Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Oliver Luksic. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Oliver Luksic (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns kennt wohl aus seinem Wahlkreis oder Bundesland den Fall, dass Infrastrukturplanungen aus dem Ruder laufen oder Bürger demonstrieren. Auch bei mir in Saarbrücken ist das der Fall bei der Übertunnelung der Saar bei dem Städtebauprojekt „Stadtmitte am Fluss“. Dieser Schwierigkeiten in der Republik nimmt sich jetzt diese Koalition an. Bundesminister Ramsauer hat das Handbuch für Bürgerbeteiligung vorgestellt. Wir diskutieren im Plenum auch bald das Gesetz zur Planungsvereinfachung. Das ist gut. Das ist wichtig. Da musste etwas getan werden. Auch wenn Ihnen das nicht passt: Diese Koalition macht das, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Eines ist uns bei diesem Thema besonders wichtig: Wir dürfen nicht so tun, als wenn diejenigen, die am lautesten schreien, die die meisten Sitzblockaden veranstalten, die am meisten in Internetforen schreiben, immer automatisch die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Am lautesten schreien die Unternehmerverbände! Die haben am meisten Geld!) Liebe Frau Leidig, genau das hat die Bürgerbefragung beim viel zitierten Stuttgart 21 deutlich gemacht. Ihre Rede hat klar gezeigt, dass Sie das Urteil des Volkes nicht akzeptieren. Das sollte Ihnen zu denken geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie und das Volk – das passt zusammen!) Die Bürgerbefragung ging nämlich anders aus, weil es – wie so oft – auch so etwas wie eine schweigende Mehrheit gab. Es gibt nämlich auch Menschen, die nicht immer Zeit haben, zu protestieren. Wir wollen Bürgerbeteiligungen, aber am Anfang und nicht am Ende von Projekten und mit sinnvollen Instrumenten. Dann sind die Menschen auch mit den geplanten Infrastrukturprojekten zufrieden. Das ist das Ziel unserer Koalition. Wir wollen nicht nachträglich, wie Sie es eben getan haben, mit falschen Fakten Unfrieden stiften. Sie haben eben falsche Behauptungen zu Stuttgart 21 aufgestellt. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die falsche Behauptung hat die Bahn aufgestellt! Das lässt sich auch nachweisen!) Akzeptieren Sie endlich die Entscheidung der Bevölkerung in Stuttgart! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem Land sind die Planungskosten oft fast schon höher als die Baukosten. Das zeigt: Hier läuft etwas falsch. Deswegen sind Bürgerbeteiligung und Planungsbeschleunigung für die FDP-Bundestagsfraktion wichtige Themen. Wir haben dazu schon in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorgestellt und uns mit diesen Themen befasst. Wir haben schon früh gesagt: Wir wollen auch die lokale Ebene, die lokalen Räte und Parlamente, stärken. Wir wollen die Bedeutung von Bürgerentscheiden erhöhen. Wir glauben, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen: Wir brauchen eine Bringschuld von Behörden und keine Holschuld von Bürgern. Wir wollen planungsbegleitende Mediationsverfahren und keine Doppelung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Raumordnungs- und im Planfeststellungsverfahren. Die SPD hat dazu in ihrem Antrag einen richtigen und wichtigen Punkt aufgegriffen. Dies sind schon lange Forderungen von uns, die jetzt nach und nach von dieser Koalition umgesetzt werden. Liebe Kollegen der SPD, Sie haben in Ihren Antrag in der Tat viele richtige Punkte aufgenommen – vieles können wir mittragen –: (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Dann können Sie zustimmen!) Planfeststellungsverfahren beschleunigen, Doppelungen vermeiden, mehr lokale Bürgerbeteiligung. Aber es gibt einen großen Unterschied: Wir sind diese Themen schon angegangen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wo denn?) Und wenn es darauf ankam, liebe Kollegen der SPD – beispielsweise beim NABEG, bei der Beschleunigung des Netzausbaus, den wir in dieser Koalition angestoßen haben, weil wir die Energiewende nicht aufgrund eines verzögerten Netzausbaus hinauszögern wollen –, haben Sie dagegen gestimmt. Deswegen ist Ihr Antrag auch nicht glaubwürdig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir wollen jetzt das E-Government-Gesetz einbringen, um die Chancen des Internets bei der Bürgerbeteiligung zu nutzen. Wir bringen auch die Novelle des Planungsvereinfachungsgesetzes auf den Weg. Auch damit stärken wir die Bürgerbeteiligung. So bringen wir das Land voran, und nicht mit Ihren Vorstößen hier im Parlament. Wir werden genau schauen, wie Sie sich im Bundesrat verhalten. Sie tun so, als würde sich diese Koalition um nichts kümmern, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Erinnern Sie sich an Ihre eigene Regierungszeit – Sie waren elf Jahre lang an der Regierung –: Weder unter Herrn Tiefensee noch unter Herrn Stolpe gab es Vorschläge, wie man schneller baut, wie man Bürger besser beteiligt, wie man für bessere Infrastruktur sorgt. Nach elf Jahren Stillstand bei SPD-geführten Häusern geht diese Regierung dieses Thema nun an. Das ist gut und richtig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Warten Sie ab, bis die entsprechenden Gesetze hier eingebracht werden! Dann können wir darüber diskutieren. Blockieren Sie das nicht im Bundesrat, verwässern Sie es nicht! Ich glaube, es gibt in der Tat einen großen Infrastrukturkonsens, zumindest zwischen den Regierungsfraktionen und der SPD. Die Linken und Grünen dagegen sind nicht nur bei Flughäfen, Straßen, Brücken und Energienetzen, sondern auch bei Bahnhöfen kritisch. Es ist wichtig, dass wir dieses Thema gemeinsam nach vorne bringen. Wir brauchen einen großen Konsens und keine Schaufensteranträge. Diese Regierung geht das Thema an – das ist gut und richtig –; und bei diesem Weg bleiben wir. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Anton Hofreiter. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer selbst aufseiten der Bürger an solchen Verfahren beteiligt war, der weiß, wie das letztendlich abläuft. Wie läuft es im Kern ab? Die Behörden haben zum Teil schon viele Jahre geplant; dann wird das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Im Planfeststellungsverfahren ist alles festgelegt: Jeder Böschungswinkel ist festgelegt; durch den Grünordnungsplan weiß man meistens schon, wo jeder einzelne Baum neu gepflanzt werden soll; man kennt exakt die Fahrbahnbreite. Alles liegt letztendlich fest. Dann kommt der Anhörungstermin, wenn er denn stattfindet. Was erlebt man dort? Dort argumentieren zum Teil hochfachkundige Menschen gegen die Planungen der Behörden – und selbstverständlich wird alles abgeschmettert. Woran liegt das? Das liegt daran, dass im Erörterungstermin eigentlich ein Konsens gefunden werden sollte, das Verfahren aber de facto zeitlich so strukturiert ist, dass es auf Konfrontation ausgelegt ist. Man kann die Behörden ja verstehen. Wenn jemand ein Straßen- oder Schienenprojekt zwei, drei oder vier Jahre aufwendig geplant hat, dann hält er es natürlich nicht für falsch, sondern für richtig. Erst danach beginnt der Dialog mit den betroffenen Bürgern. Die Behörden verteidigen das Projekt selbstverständlich bis aufs Messer. Das würde jeder von uns genauso machen. Wenn man zwei oder drei Jahre an etwas gearbeitet hat, dann will man sich nicht sagen lassen, dass das alles falsch war. Deshalb ist der Zeitpunkt der Bürgerbeteiligung von entscheidender Bedeutung. Die Bürger müssen in dem Moment beteiligt werden, in dem noch nicht alles feststeht und das Ergebnis noch offen ist. Dann hat man die Chance auf eine vernünftige Bürgerbeteiligung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es war schon die Rede davon, dass die Sprache verräterisch ist. Es wird versucht, mit einer Bürgerbeteiligung Akzeptanz für ein Verfahren zu schaffen. Genau das bringt die Leute auf die Palme. Es wird nach dem Motto gehandelt: Unser Projekt ist richtig, wir haben nur ein Kommunikationsproblem. – Jemand, der glaubt, bei seiner Politik ein Kommunikationsproblem zu haben, hat meistens ein Inhaltsproblem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es ist nicht entscheidend für ein Verfahren, Akzeptanz zu schaffen. Entscheidend ist, dass man mit den Leuten in einen ehrlichen Dialog darüber eintritt, ob das Projekt sinnvoll ist oder nicht. Wenn man dann gemeinsam feststellt, dass das Projekt sinnvoll ist, gibt es eine höhere Akzeptanz. Wenn man aber mit der Haltung in die Verhandlung geht, dass das Projekt gut ist und dass man es nur ein bisschen pseudotransparent machen muss, um es den Leuten besser verkaufen zu können, dann ist ein Scheitern unvermeidlich. Das heißt: Dialog auf Augenhöhe und kein Schaffen falscher Akzeptanz, die am Ende scheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun zu der Befürchtung, dass sich durch ein solches Verfahren die Projekte unendlich verzögern. Wir, die wir im Verkehrsausschuss sitzen, wissen, dass das nicht an den Planungszeiten liegt. Wir haben eine Unmenge planfestgestellter Projekte, für die kein Geld vorhanden ist. Dass sich die Projekte im Bereich Verkehrsinfrastruktur in die Länge ziehen, liegt daran, dass wir eine gigantische Wünsch-dir-was-Liste haben, die in keinem Verhältnis zu den real vorhandenen Finanzen steht, egal wer regiert. Das sollten wir alle miteinander ehrlich eingestehen. In vielen Fällen ist der Träger des Vorhabens – die DB AG ist ein schönes Beispiel dafür – froh über Bürgerproteste, weil man dann sagen kann: Die bösen Bürger sind schuld. – Man sollte aber ehrlich sein und sagen, dass man dafür kein Geld hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Nehmen wir zum Beispiel die Eisenbahnstrecke Nürnberg–Erfurt. Das Vorhaben wurde 1992 beschlossen. Baubeginn war 1996. Der erste Bauabschnitt ist 2017 fertig. Die ersten Brücken müssen grundsaniert werden, bevor der erste Zug darüberfährt. Wir hatten dann eine Bauzeit von 21 Jahren. Das ist doch keine sinnvolle Planung. Das liegt aber nicht daran, dass sich die Bürger so heftig gegen das Projekt gewehrt haben, sondern schlichtweg daran, dass jeder Ministerpräsident sein Wunschprojekt im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans hat. Es liegt auch daran, dass wir uns nicht trauen, Prioritäten zu setzen. Warum trauen wir uns das nicht? In der Theorie spricht sich jeder für eine Prioritätensetzung aus. In der Praxis aber bedeutet das, festzulegen: Du kriegst dein Projekt, alle anderen bekommen ihr Projekt erst einmal nicht. – Das bedeutet Prioritätensetzung. Es bedeutet nämlich nicht nur, dafür zu sorgen, dass einige Leute ihr Projekt schneller bekommen, sondern auch, dass andere ihr Projekt später bekommen. Deshalb traut man sich letztendlich nicht, Prioritäten zu setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alle haben davon gesprochen, dass die Bürger früher beteiligt werden sollen, wenn auch mit unterschiedlichem Zungenschlag, auf Augenhöhe oder auch nur der Akzeptanz wegen. Aber was passiert? Ein Handbuch wird herausgegeben. (Oliver Luksic [FDP]: Das ist nicht alles! Es kommt noch mehr!) Es ist ja schön, wenn ein Handbuch herausgegeben wird. Aber Hauptaufgabe einer Regierung ist es nicht, Handbücher herauszugeben, die lediglich zur Beratung dienen, sondern die Hauptaufgabe besteht darin, Gesetze zu verändern. (Oliver Luksic [FDP]: Was hat Rot-Grün zu dem Thema gemacht?) Wenn man in das Gesetz schaut, dann liest man Worte wie „der Vorhabenträger kann …“; aber so funktioniert das nicht. Wenn man die Bürger auf Augenhöhe beteiligen will, dann muss das Gesetz so ausgelegt sein, dass die Bürgerbeteiligung am Anfang festgeschrieben wird. Das mag kompliziert sein und ist gesetzgeberisch sicher nicht einfach zu lösen, aber genau dieser Aufgabe muss man sich stellen. Es reicht nicht, schöne Handbücher herauszugeben, die von der Presse zu Recht als Placebo beschrieben werden. Machen Sie lieber vernünftige Gesetze! Dann bekommen Sie auch von uns Applaus. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat der Bundesminister Peter Ramsauer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte meine Rede eigentlich ganz anders beginnen; aber der Kollege Hofreiter kommt mir heute aus mehreren Gründen gerade recht. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Erster Grund. Was die Regierung zu tun und zu lassen hat, das wissen wir selber am besten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Eben nicht! Das ist ja das Problem!) Deswegen sind wir ja an der Regierung. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Macht auf Zeit!) Wenn Sie sagen, die Regierung solle Gesetze ändern, dann antworte ich Ihnen als jemand, der diesem Parlament bereits 21 Jahre angehört: Gesetzesänderungen sind Sache des Parlaments, bei uns des Deutschen Bundestags. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sache der Regierung ist es, ordentlich und gut zu regieren, und zwar gesetzeskonform. (Lachen bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können auch Initiativen ergreifen!) Auch das ist mit dieser Regierung in guter Weise gewährleistet. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nicht verboten, Gesetzes-initiativen zu ergreifen!) Manche Dinge muss man einfach richtigstellen. Sonst heißt es, der Ramsauer habe das im Raum stehen lassen und identifiziere sich vielleicht damit. Lassen wir also die Kirche im Dorf! Zweiter Grund. Es ist eigenartig, Herr Kollege Hofreiter: Sie beschweren sich über gute Planungen. Das war auch bei einigen anderen Oppositionsrednern der Fall. Als Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung will ich hier einmal eine Lanze brechen für die hervorragenden Planer und Planungsingenieure in all unseren Planungsbehörden, angefangen von den Gemeinden über die Länder, die Bezirksregierungen bis hin zum Bund. Wir haben überall hervorragende Planer. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Sören Bartol [SPD]) – Danke, Herr Bartol. Klatschen Sie ruhig, trauen Sie sich! (Sören Bartol [SPD]: Habe ich doch!) Ich lobe diese Leute. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Wir auch!) Warum planen sie so intensiv? Weil sie vorschriftsgemäß planen. Was würden Sie sagen, lieber Herr Kollege Hofreiter, wenn wir mit lückenhaften Planungsunterlagen ins Planfeststellungsverfahren gingen? Dann wären Sie doch der Erste, der das anprangern würde. Zu dieser intensiven Planung gehört schlicht und einfach die Tatsache, dass Dinge bis in die kleinsten Details hinein berücksichtigt werden müssen. Sie sind gelernter Biologe, Sie haben über die biologische Artenvielfalt in den -Anden promoviert. Sie sollten wissen, dass in solchen Planfeststellungsunterlagen auch berücksichtigt werden muss, in welcher Vegetationsperiode, in welcher Kalenderwoche im Jahr der letzte Wiesenbrüter von A nach B transferiert werden kann, weil sonst nicht weitergebaut werden darf. Das sind die Realitäten in unserem Lande, über die in vielen anderen Ländern der Welt – auch in Südamerika, wo Sie Ihre Forschungen gemacht haben – nur noch gelacht wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber wir halten uns natürlich daran, weil wir auf die Einhaltung der Vorschriften achten. Sie kommen mir aus einem dritten Grund gerade recht. Sie haben mir vorgehalten, eine Wünsch-dir-was-Bundesverkehrswegeplanung zu betreiben. Vielleicht können Sie sich noch erinnern; im Jahr 2002 waren Sie ja schon im Bundestag, das haben Sie mir letztens gesagt. Wir haben übrigens neulich ein sehr gutes Gespräch geführt; das möchte ich einmal verraten, wir sind ja unter uns. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Sie können sich sicherlich daran erinnern, lieber Herr Kollege Hofreiter, dass dieser von Ihnen als solcher bezeichnete Wünsch-dir-was-Katalog eine Erbschaft aus rot-grüner Regierungszeit ist. Der letzte Investitionsrahmenplan, den wir jetzt abgelöst haben, hatte ein Volumen von 57 Milliarden Euro. Wir haben das Ganze -wieder auf eine realistische Grundlage gestellt. Der Investitionsrahmenplan, den ich vor wenigen Wochen nach langen Konsultationen in Kraft gesetzt habe, hat ein Volumen von nur noch gut 41 Milliarden Euro. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind mit 9 Milliarden Euro unter-finanziert!) Damit ist der Plan wesentlich realistischer geworden. (Sören Bartol [SPD]: War das jetzt der IRP oder der Bundesverkehrswegeplan?) Jetzt aber zum eigentlichen Thema des heutigen Tages. Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei diesem Thema rennen alle bei mir, dem zuständigen Minister, offene Türen ein. Insofern begrüße ich ganz ausdrücklich diese Debatte. Wir alle wissen, dass wir zwar schon heute umfassende gesetzliche Beteiligungsverfahren haben, aber man sich mehr wünscht. Deshalb habe ich gestern das Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Ich möchte dazu gerne einiges sagen. Das, was in diesem Handbuch steht, geht Hand in Hand mit dem, was der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich als Bundesinnenminister in derselben Pressekonferenz erläutert hat, dem Planungsvereinheitlichungsgesetz. Das Planungsvereinheitlichungsgesetz liefert sozusagen den gesetzgeberischen Rahmen für die praktische Substanz; im Handbuch machen wir die entsprechenden praktischen Vorschläge. Ich möchte in dieser Debatte drei Kernbotschaften hervorheben, die mit dem Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung in Verbindung stehen. Die erste Kernbotschaft lautet: Wir müssen in Deutschland Großprojekte und Verkehrsinfrastrukturprojekte aller Art weiter ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das mag für manche wie ein Angriff klingen, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja!) für diejenigen, die überhaupt nichts verändern wollen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die alles -verändern wollen!) Gott sei Dank ist die Mehrheit dafür und sagt: Das ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit. – Über den Begriff des Großprojekts kann in der Tat gestritten werden: Wann ist etwas ein Großprojekt? Wenn man in Länder wie Brasilien, Indien, Japan, China oder Russland reist, dann merkt man: Die lachen über das, wofür wir schon den Begriff Großprojekt verwenden. Es geht hier aber nicht nur um Großprojekte – nach unserer Terminologie –, sondern auch um stinknormale Bundesfernstraßenausbauten oder um Schienenbauten. Es muss weiter möglich sein, von einem Gleis auf zwei Gleise auszubauen; das darf nicht sofort verteufelt werden. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, vor allen Dingen im Hinblick auf das Wachstum im Güterverkehr. Jawohl, der Güterverkehr soll von der Straße auf die Schiene; (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schön wär’s!) aber wenn das geschehen soll, dann muss man Schienenbauten ermöglichen. Dazu bekenne ich mich in aller Form. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die zweite Kernbotschaft lautet: Schneller bauen bei mehr Bürgerbeteiligung. Ich weiß, dass viele dies für eine Quadratur des Kreises halten. Aber wir müssen uns dieser Anstrengung stellen, damit wir solche Infrastrukturprojekte weiterhin durchführen können, damit wir weiter große Infrastrukturprojekte durchsetzen können. Wenn man die Beiträge heute Vormittag zusammennimmt, wird deutlich: Wir stimmen darin überein, dass dies nur mit einer besseren, frühzeitigeren Bürgerbeteiligung möglich ist, und zwar im Rahmen der bestehenden Regelungen, die in diesem Handbuch expressis verbis aufgeführt sind. Die Bürgerbeteiligung muss dem Verfahren gemäß den bestehenden gesetzlichen Regelungen vorgeschaltet werden. Ich möchte noch einmal unterstreichen – auch da befinde ich mich im Einklang mit den Rednern der Opposition –, dass diese Beteiligung nicht erst dann stattfinden soll, wenn viele Dinge weitgehend festgeklopft sind, sondern schon sehr frühzeitig, wenn wir noch Spielräume haben, wenn die Pläne noch nicht fix und fertig sind. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Entschuldigung, Herr Minister. Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn? Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Gerne. Das gibt mir die Möglichkeit, meine Redezeit x-beliebig zu verlängern. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nein, x-beliebig nicht. Frage und Antwort sollten kurz und präzise sein. Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ja, aber dennoch erschöpfend. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Frau Hagedorn. Bettina Hagedorn (SPD): Herr Ramsauer, ich konnte der Presse entnehmen, dass Sie im Zusammenhang mit Ihrem Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung das Dialogforum, das in Schleswig-Holstein zur Hinterlandanbindung durch die feste Fehmarnbelt-Querung implantiert ist, als Beispiel lobend hervorgehoben haben. Dazu habe ich eine Frage. Wir beschäftigen uns hier mit einem Antrag der SPD-Fraktion, – Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Bettina Hagedorn (SPD): – der explizit einen Dialog auf Augenhöhe vorsieht; das ist hier von vielen angesprochen worden. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ist die -Fragezeit auch x-beliebig?) In Schleswig-Holstein steht dahinter aber ein dickes Fragezeichen; denn es wird nur über das Wie und nicht über das Ob dieses Großprojekts gesprochen. Das wäre aber nach Heiner Geißler Voraussetzung, um die Ernsthaftigkeit eines Dialogs zu dokumentieren. Jüngst haben zwei sehr engagierte Vertreter der dortigen Bürgerinitiative unter berechtigtem Protest das -Dialogforum verlassen, weil alle anderen Teilnehmer, insbesondere die Befürworter dieses Projektes, mit Unterlagen ausgestattet wurden, die den Gegnern nicht zur Verfügung gestellt worden sind. Würden Sie unter den Aspekten, die ich gerade geschildert habe, immer noch daran festhalten, dass das Dialogforum eine Vorbildfunktion für die von Ihnen gewünschte Bürgerbeteiligung hat? Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Vielen Dank für die Frage, liebe Frau Kollegin Hagedorn. Ich möchte die Frage nicht nur mit einem klaren Ja in Bezug auf die Vorbildfunktion beantworten, sondern eine ausführliche Antwort geben. Herr Präsident, ich merke an, wenn ich die Beantwortung beendet habe. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Frau Hagedorn, Sie kommen mir mit Ihrem Beispiel gerade recht. Ich wäre sogar noch darauf zu sprechen gekommen. Die Frage hat im Grunde genommen zwei -Aspekte: zum einen den, wie das mit dem Ob ist – die Ob-Philosophie –, zum anderen den, wie das konkret mit dem Planungsdialog in diesem Bereich ist. Ich habe mich am 25. Juni letzten Jahres – das war ein Samstag –, ausführlich mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Sie wissen das, ich hatte Sie persönlich eingeladen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ich war nicht e-ingeladen!) Das Infozentrum, das wir in Burg auf Fehmarn errichtet haben, lässt wirklich keine Frage offen; es ist vorbildlich. Ich habe an diesem Samstag alle Bürgermeister auf der Strecke von Lübeck bis Puttgarden auf eine Zugfahrt eingeladen. Wir sind in Lübeck gestartet und sind dann von Gemeinde zu Gemeinde gefahren. Ich war im Führerhaus und habe mir die Bürgermeister einzeln von Gemeindegebiet zu Gemeindegebiet ins Cockpit des Zuges geholt. (Bettina Hagedorn [SPD]: Aber danach hatte ich nicht gefragt, Herr Ramsauer!) – Ich antworte gerade auf Ihre Frage. – Ich habe den Präsidenten des Bauernverbands für diese Belange dabeigehabt und habe mir von Bahnübergang zu Bahnübergang, von Gemeindegrenze zu Gemeindegrenze, (Bettina Hagedorn [SPD]: Das habe ich nicht gefragt!) von Schrebergartenkolonie zu Badestrand, von Badestrand zu Gewerbegebiet im Einzelnen erklären lassen, wo welche Probleme liegen. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist keine Beantwortung meiner Frage!) Damit beginnt zum Beispiel der Planungsdialog, der Bürgerdialog. (Abg. Bettina Hagedorn [SPD] nimmt wieder Platz) – Bitte bleiben Sie stehen, solange ich antworte. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ich stehe wieder auf, wenn Sie meine Frage beantworten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Minister, in der Geschäftsordnung steht, dass Fragen und Bemerkungen genauso wie die Antworten kurz und präzise sein sollen. Ich bitte Sie, präzise zu antworten. Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Okay, dann mache ich es kürzer; ich respektiere das. Aber die Frage gibt viel her. Lob für die Kollegin Hagedorn! (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dann müssen Sie das in Ihre Rede einbauen, nicht in die Antwort. Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich werde dann in einer anderen Rede mehr über meine Erlebnisse bei dieser Zugfahrt reden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jetzt zu der Frage des Ob, Frau Kollegin Hagedorn. Wollen Sie in Bezug auf den Grundkonsens „von der Straße auf die Schiene“ ewig lang über das Ob diskutieren, darüber, ob wir bei der Fehmarnbelt-Querung nur eine Straße für den Güterverkehr haben wollen oder ob wir auch eine Anbindung durch einen zweigleisigen Eisenbahnausbau bewerkstelligen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ja zu einem Eisenbahnausbau. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es ist doch kein faires Verfahren, wenn nur ein Teil die Unterlagen bekommt!) Bei der A 1 muss noch ein kleines Stück verlängert werden. Ich bin demnächst wieder dort. Jetzt bin ich mit der Antwort leider Gottes zu einem vorzeitigen Ende gekommen. (Heiterkeit) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Minister. Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die dritte Kernbotschaft – eine alte Regel auch aus meiner kommunalpolitischen Erfahrung vor Jahrzehnten – ist: Wir müssen alle Betroffenen zu Beteiligten machen. Der Grundsatz des Beteiligens Betroffener wurde in der Vergangenheit eigentlich immer so verstanden, dass nur diejenigen zu Wort kommen, die als Betroffene gegen etwas sind. Ich möchte erreichen – das ist in dem Handbuch, in diesen Empfehlungen ausgeführt –, dass sich von den Betroffenen auch diejenigen zu Wort melden und ermuntert werden, sich als Betroffene und Staatsbürger einzumischen, die für etwas sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Lautesten in unserem Land sind zwar laut; aber sie repräsentieren in der Regel nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Deswegen müssen sich diejenigen, die dafür sind – das ist in der Regel die Mehrheit –, einmal trauen. Sie dürfen sich nicht darauf verlassen, wie es in unserer politischen Kultur leider Gottes eingerissen ist, dass die Politik es schon richten wird. Wir haben viele Aufgaben wahrzunehmen und den Kopf hinzuhalten. Aber wir können dies umso besser tun, je mehr auch positiv Betroffene und diejenigen, die für etwas sind, mit viel Zivilcourage etwas sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eines muss allerdings auch klar sein: Die passgerechte Form eines solchen Bürgerdialogs kann man nicht, wie die SPD dies in ihrem Antrag tut, für alle möglichen Anwendungsfälle gesetzlich normieren und in ein Zwangskorsett gießen; man muss das je nach Einzelfall passgenau machen. Was beim Brenner-Zulauf im Süden unserer Republik auf diese oder jene Art geeignet ist, muss für den Zulauf zur Fehmarnbelt-Querung, im Rheintal oder beim Bau einer neuen Lande- bzw. Startbahn nicht unbedingt passen. Das Ganze ist quasi ein Werkzeugkasten, aus dem sich Betroffene, Beteiligte, Projektprüfer und Vorhabenträger bedienen können; aber im Einzelfall muss individuell entschieden werden. Ziel ist, dass wir die Bürger, und zwar alle, besser erreichen. Warum sage ich „alle besser erreichen“? Weil wir aus Stuttgart 21 gelernt haben. Es sind zwar zig Wahlen darüber hinweggegangen – mehrere Kommunalwahlen, Landtagswahlen, Bundestagswahlen, Wahlen, bei denen immer das Projekt Stuttgart 21 durchgekaut worden ist; es gab formale Beteiligungsprozesse –, aber als es dann losging, wollte niemand mehr etwas gewusst haben, so als sei dies ein Meisterstück der Zusammen-arbeit mit dem deutschen Geheimdienst gewesen. Von ihm erfahren wir oft mehr. Deswegen haben wir gelernt: Die kognitive Barriere muss überwunden werden, sodass alle Bürger mit den entsprechenden Informationen erreicht werden. Gott sei Dank können wir dies mit den heutigen Kommunikationsmöglichkeiten wesentlich besser tun. Die Pläne können effektiver ausgelegt werden und vieles mehr. Ich möchte aber auch auf die Grenzen des Machbaren hinweisen. Ein solcher Bürgerdialog darf nicht die Illusion wecken, dass alle Erwartungen umgesetzt werden können; denn wir müssen natürlich die Mechanismen, die wir haben, die heutigen formalen Bewilligungsprozesse durchlaufen. Warum? Weil diese Verfahren den Bürgern umgekehrt wieder Rechte, nämlich Prozess- und Klagerechte, verleihen, und die will ich nicht einschränken. Sie verlängern das Ganze zwar; aber ich möchte solche Rechte nicht einschränken. Wir haben zum Teil nur noch eine Instanz und eine Berufung bei Nichtzulassung. Diese Rechte können durch noch so viel Bürgerbeteiligung nicht verwässert werden; aber wir können solche Genehmigungsprozesse deutlich konfliktärmer, wenn auch nicht ganz konfliktfrei gestalten. Ferner muss klar sein: Wenn man am Ende zu Ergebnissen gekommen ist, dann müssen diese Ergebnisse auch verbindlich sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was ich soeben gesagt habe, Frau Kollegin Leidig, das waren wortwörtlich – – Frau Kollegin Leidig, hören Sie mir bitte zu! Ich rede gerade über Ihre Rede. (Sören Bartol [SPD]: Das ist unverschämt!) Wenn ich jetzt eine Frage stellen dürfte, würde ich fragen: Können Sie sich noch an Ihre Rede erinnern? (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja! Sehr gut!) Sie haben gesagt: Ergebnisse müssen verbindlich sein. Da kann ich nur zustimmen. Allerdings müssen die Ergebnisse auch dann verbindlich sein, wenn sie Ihnen nicht in den Kram passen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das war ja bei Stuttgart 21 interessant. Da kam es zu einem Mediationsverfahren und dann noch zu einem Volksentscheid. Der Volksentscheid hat ein demokratisch nicht überbietbares Ergebnis gebracht. Dieses Ergebnis ist angegriffen worden, weil es vielen Leuten -Ihrer Couleur nicht in den Kram gepasst hat. Nein, Ergebnisse müssen schlicht und einfach akzeptiert werden. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ging um den Anfang und nicht um das Ende einer verfahrenen Geschichte!) Da dankenswerterweise viel von dem Handbuch zur Bürgerbeteiligung die Rede war, sage ich: Man will mehr Bürgerbeteiligung. Deswegen soll es nicht ohne Bürgerbeteiligung zustande kommen. Wir geben die Möglichkeit, sich bis Mai – das ist die Frist – auf allen möglichen Kommunikationswegen daran zu beteiligen. Ich lade auch Sie dazu ein. Noch ein Wort zu dem Antrag der SPD: (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist der Tagesordnungspunkt! Das ist das eigentliche Thema!) Dieser Antrag ist gekennzeichnet durch einen regelrechten Drang nach zusätzlicher Regulierung. (Beifall des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU]) Daran kann uns allen nicht gelegen sein. Ich lese hier von einem Anspruch auf einen „Bürgeranwalt mit entsprechendem Etat“ – oje, oje! –, über umfassende Verpflichtungen für die öffentlichen Planungsträger und den Nachweis entsprechender Bürgerbeteiligung. Das reicht bis zu Volksentscheiden über die Bedarfspläne für Bundesverkehrswege. (Beifall bei der SPD) Lieber Dirk Fischer, ich greife deinen Vorschlag auf – das ist ein toller Vorschlag –: Wir sollten den Ländern, in denen es einen SPD-Verkehrsminister gibt – inzwischen gibt es wieder einige in den Ländern –, entsprechende Projektstudien vorschlagen. Ich weiß, was passieren würde, wenn das ernst gemeint wäre: In der nächsten Länderverkehrsministerkonferenz kämen die SPD-Landesverkehrsministerkollegen alle einzeln zu mir und würden mich fragen, ob ich an dieser Stelle nicht mit einer Weisung einschreiten könne, damit so etwas unterbleibt. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Was? Sie wollen doch den Bundestag nicht anweisen?) Lassen Sie uns das Ziel, Bürger mit ihrem Wissen wesentlich besser in unsere Planungsprozesse einzubinden, doch miteinander weiter verfolgen, damit Deutschland weiterhin nicht nur das Land der Ideen ist, worauf wir stolz sind und wofür wir bewundert werden, sondern auch das Land des Ausführens und Verwirklichens bleibt; denn auch das gehört zu unserer Identität. Wir wollen unsere Ideen umsetzen – mit viel Bürgerbeteiligung und auf möglichst kurzem Wege. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Jetzt kommt eine strukturierte Rede!) Sören Bartol (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Ramsauer, ich muss ganz ehrlich sagen: Wer Ihre Rede gehört hat, (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ist -begeistert!) hat festgestellt, dass es Ihnen schwerfällt, den Unterschied zwischen Bundesverkehrswegeplanung und Investitionsrahmenplan zu erklären. Angesichts dessen sollten Sie vielleicht etwas charmanter mit dem Parlament umgehen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Weil du das nicht verstanden hast, brauchst du den Minister nicht zu beleidigen! Das ist ja unglaublich!) Bürgerbeteiligung ist der Schlüssel für eine moderne Infrastrukturpolitik. Sie ist auch der Schlüssel, wenn wir Konflikte, wie wir sie bei Stuttgart 21 erlebt haben, künftig abmildern oder – das wäre am besten – vermeiden wollen. Ich freue mich deshalb, dass nun auch Sie, Herr Minister, ein Jahr nach Stuttgart 21, die Bürgerbeteiligung für sich entdeckt haben. Wenn Ihnen Bürgerbeteiligung allerdings so wichtig ist, wie Sie behaupten, dann frage ich mich: Warum praktizieren Sie sie denn nicht? Ihr Ministerium arbeitet seit zwei Jahren unter sorgfältigem Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit an einem neuen Bundesverkehrswegeplan. In Berlin hat die Ihnen unterstellte Deutsche Flugsicherung die neuen Flugrouten buchstäblich über die Köpfe der Menschen hinweg festgelegt. (Patrick Döring [FDP]: Quatsch!) Als das Umweltbundesamt ein Gutachten zur Lärmbelastung der Anwohner veröffentlichen wollte, hatte Ihr Staatssekretär nichts Eiligeres zu tun, als genau dies verhindern zu wollen. Ist das die von Ihnen versprochene neue Transparenz und Beteiligungskultur? Beim Feldversuch mit Lang-Lkw umgehen Sie sogar die gewählten Volksvertreter im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen nicht einmal uns gewählte Volksvertreter an Ihrer Politik beteiligen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheinbeteiligung!) Als es um die Bürgerbeteiligung und den Volksentscheid bei Stuttgart 21 ging, waren Sie völlig abgetaucht, Herr Minister. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, mögen Volksentscheide nicht ganz geheuer sein. (Patrick Döring [FDP]: Doch! Doch!) Was für die einen ein Mehr an Demokratie ist, bedeutet für andere, wie wir diese Woche von einem Kollegen aus dem Deutschen Bundestag erfahren durften, die „Tyrannei der Masse“. (Oliver Luksic [FDP]: Falsch verstanden!) Die SPD hat sich massiv für einen Volksentscheid zu Stuttgart 21 eingesetzt. Das Volk ist verantwortungsvoll mit dieser Entscheidung umgegangen. Daher lautet mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam Volksentscheide auf Bundesebene einführen! Damit stärken wir unsere repräsentative Demokratie. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben unsere Vorschläge für eine bessere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bereits im Herbst letzten Jahres vorgelegt und breit mit Verbänden, Bürger-initiativen und gesellschaftlichen Gruppen darüber diskutiert. Ein halbes Jahr später hören wir vom Bundesverkehrsminister, dass auch er die Bürgerinnen und Bürger künftig beteiligen will. Wie wenig ernst es die Bundesregierung mit der Bürgerbeteiligung meint, zeigt ein Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett verabschiedet hat, wohl auch mit Ihrer Zustimmung, Herr Ramsauer. Das Gesetz hört auf den wohlklingenden Namen „Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren“. Bereits vor einem Jahr wurde uns dasselbe Gesetz unter dem weniger schönen Namen „Planungsvereinheitlichungsgesetz“ präsentiert. Dieses wurde schnell zurückgezogen, als klar wurde, dass es darin um den Abbau von Bürgerrechten geht, etwa um die Abschaffung des obligatorischen Erörterungstermins beim Planfeststellungsverfahren. Nun wird also ein neuer Versuch unter neuem Namen unternommen. Tatsächlich soll in das Verwaltungsverfahrensgesetz ein neuer Absatz zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung eingefügt werden. Liest man sich diesen durch, wird klar: Es wird überhaupt keine Öffentlichkeitsbeteiligung verpflichtend eingeführt. Vielmehr soll die zuständige Behörde künftig darauf hinwirken, dass der Antragsteller „die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet“. So steht es im Gesetzentwurf. Lieber Herr Minister, „wirkt darauf hin, dass …“, vielleicht hätten Sie einmal darauf hinwirken sollen, dass Öffentlichkeitsbeteiligung hier verbindlich vorgeschrieben wird. Ich glaube, dann wären Ihre Worte hier im Plenum etwas glaubwürdiger gewesen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Stattdessen stellt es nun die Bundesregierung in das Belieben von Behörden und Planungsträgern, ob sie die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig informieren und einbeziehen. Das ist Bürgerbeteiligung nach Gutsherrenart. Wenn es mir passt, beteilige ich, wenn nicht, dann lasse ich es sein. Das Gesetz, so wie es jetzt vorliegt, ist Etikettenschwindel. Es verdient seinen Namen nicht. Herr Minister Ramsauer, sorgen Sie dafür, dass dieser Gesetzentwurf, so wie er jetzt auf dem Tisch liegt, zurückgezogen wird! Es geht nicht darum, die Bürger nach Stimmungslage und Wohlgefallen zu beteiligen. Auch ist die Bürgerbeteiligung kein Mittel, um nachträglich Akzeptanz für Entscheidungen zu beschaffen, die vorher unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen worden sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht vielmehr darum, unser Planungsrecht grundlegend zu demokratisieren, beginnend bei der Bundesverkehrswegeplanung bis hin zu einer frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit, wenn die Trassen neuer Verkehrswege festgelegt werden. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wollen einen Konsens für eine moderne, nachhaltige Infrastruktur. Wir bieten Ihnen hier ausdrücklich Zusammenarbeit an. Aber es gibt eine Bedingung: Sie, Herr Minister, müssen es künftig mit der Bürgerbeteiligung ernst meinen und dürfen hier keine Placebogesetze zur Bürgerbeteiligung vorlegen, die niemandem helfen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Bettina Hagedorn [SPD]: Und auch keine Handbücher!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Patrick Döring. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Döring (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst sage ich für die Koalition: Wir freuen uns, dass auch die Sozialdemokraten das Thema Bürgerbeteiligung entdeckt haben. (Sören Bartol [SPD]: Du hast bei meiner Rede nicht zugehört, oder? – Weitere Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) Sie haben gegen das Netzausbaubeschleunigungsgesetz gestimmt, in dem es darum ging, umfangreiche, frühzeitige Bürgerbeteiligung bei der Planung unserer Energienetze einzuführen. Sie waren dagegen, wir waren dafür. Die Rede der Kollegin Leidig hat deutlich gemacht, dass Bürgerentscheide von manchen hier ganz offensichtlich immer nur dann akzeptiert werden, wenn die Mehrheit das tut, was die Linke will. Das war bei Stuttgart 21 anders. Wir freuen uns ausdrücklich darüber, dass es eine Mehrheit für das Projekt, das so lange umstritten war, gab. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Kollege Bartol hat viel Richtiges gesagt. Auch der Antrag der Sozialdemokraten enthält viel Richtiges. Nur: Er unterschätzt und verschweigt, dass sich das deutsche Planungsrecht, das deutsche Verwaltungsrecht und die deutschen Regelungen zur Beteiligung der Träger öffentlicher Belange bei Investitionen nicht nur auf öffentliche Investitionen beziehen, sondern dass sich die gesamte Rechtsetzung der Bundesrepublik Deutschland – das macht es ja auch so schwer; deshalb haben Sie keinen Gesetzentwurf, sondern einen Entschließungsantrag vorgelegt – auch auf private Investitionen bezieht. -Deshalb ist es klug und richtig, dass der Entwurf des Bundesinnenministers nicht vorsieht, dass jeder Antragsteller – jeder, der seine Fabrik erweitern, sein Wohngebäude erweitern oder seine wirtschaftliche Betätigung verändern will – die Öffentlichkeit genauso beteiligen muss wie die Bundesrepublik Deutschland oder die öffentliche Hand. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht es nämlich so schwer. Das ist der Unterschied im Rechtsstaat und in einer Kultur des Eigentums. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Man darf nicht den Fehler machen, zu glauben: Wenn man verbindliche Bürgerbeteiligung ins Gesetz schreibt, dann wird automatisch alles besser. Denn die Antragsteller, die investieren wollen – 90 Prozent der Investitionen in Deutschland sind private Investitionen –, können wir als Gesetzgeber jedenfalls nicht so leicht in Verfahrensschritte zwingen, wie wir sie uns vornehmen; das zeigt das Handbuch der Bundesregierung. Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung bei öffentlichen Infrastrukturinvestitionen. Aber man darf öffentliche Infrastrukturinvestitionen nicht genauso behandeln wie private Investitionen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ja! Das ist doch der Sinn des Antrags!) Deshalb haben wir das Handbuch vorgelegt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist der Unterschied. Diesen Unterschied muss man auch bei der Gesetzgebung machen. Das ist nicht trivial. Frau Hagedorn hat in ihrer Frage an den Herrn Bundesminister interessanterweise gesagt: Wir wollen eine Beteiligung im Hinblick auf das Ob, den Bedarf. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Das gehört doch auch dazu!) – Das gehört unbedingt dazu, geschätzte Frau Kollegin. – Sie haben in Ihrer Frage nur verschwiegen, dass bei dem Projekt, auf das sich Ihre Frage bezog, nämlich die Fehmarnbelt-Querung, längst über das Ob entschieden ist. Es gibt dazu nämlich einen völkerrechtlich bindenden Vertrag zwischen dem Königreich Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland. Er trägt die Unterschrift von Wolfgang Tiefensee, in Klammern: SPD. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Oliver Luksic [FDP]: Aha! Interessant!) Den Eindruck zu erwecken, nachdem ein solcher völkerrechtlicher Vertrag von einem sozialdemokratischen Verkehrsminister unterzeichnet worden ist (Oliver Luksic [FDP]: Ohne Bürgerbeteiligung! Das wurde im Hinterzimmer ausgekungelt!) – ohne jegliche Bürgerbeteiligung –, könne noch eine Diskussion über das Ob und die Sinnhaftigkeit dieses Projektes stattfinden, ist verlogen, (Bettina Hagedorn [SPD]: Es gibt aber einen Art. 22, Herr Kollege!) denn in Wahrheit kann das deutsche Volk darüber nicht mehr entscheiden, geschätzte Frau Kollegin. Das wissen Sie. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Oliver Luksic [FDP]: Alles im Hinterzimmer ausgekungelt! Null Bürgerbeteiligung!) Der Punkt, der mich in dieser Debatte und im Papier der Sozialdemokraten am meisten beschwert, findet sich unter Ziffer 2. Es geht um die Frage, inwieweit und inwiefern wir die Bevölkerung an der Planung der Bedarfe beteiligen können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Döring, Frau Hagedorn würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Patrick Döring (FDP): Ja, unbedingt; gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte. Bettina Hagedorn (SPD): Herr Kollege Döring, da nicht jeder so gut in dem Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dänemark drinsteckt wie ganz offensichtlich Sie und ich, würde ich Sie bitten, dem Plenum und der Öffentlichkeit zu erläutern, dass dieser Staatsvertrag einen Art. 22 enthält, der übrigens auf Initiative der damaligen Bundesregierung – von Kanzlerin Merkel, Herrn Steinbrück und Herrn Tiefensee an der Spitze – verhandelt und aufgenommen wurde, auch die dänische Regierung hat ihn unterschrieben. Dieser Art. 22 sieht vor, dass man sich dann, wenn sich maßgebliche Rahmenbedingungen, die bei Aushandlung des Vertrages – das war im Jahr 2008 – Bestand hatten, ändern – dabei geht es insbesondere um -finanzielle Aspekte –, erneut an einen Tisch setzt, über die veränderten Rahmenbedingungen redet und möglicherweise sogar von einer Ausstiegsoption Gebrauch macht. Würden Sie mir zustimmen, dass sich seit 2008 nicht nur durch die Pleite von Lehman Brothers und durch die Finanz- und Wirtschaftskrise einige finanzielle Rahmenbedingungen bei großen Infrastrukturprojekten geändert haben? Würden Sie mir weiterhin zustimmen, dass Dänemark gar keine Brücke mehr bauen will, sondern einen Tunnel? Würden Sie mir auch zustimmen, dass der Bundesrechnungshof eine gewaltige Erhöhung, mindestens eine Verdopplung, der Kosten solide prognostiziert hat? Herr Kollege Döring, man muss hier ehrlicherweise auch sagen: Der Art. 22 des deutsch-dänischen Staatsvertrages gilt, und die dänische Regierung hat ihn unterschrieben. Patrick Döring (FDP): Frau Kollegin Hagedorn, das ist korrekt dargestellt. In der Tat gibt es eine Öffnungsklausel, die Möglichkeiten für neue Verhandlungen eröffnet. Diese Verhandlungen sind aber zurzeit aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht in vertretbarer Weise anzustrengen; denn das Königreich Dänemark hat entschieden, die kompletten Gesamtkosten dieses Bauwerks zu tragen. (Florian Toncar [FDP]: Aha!) Wer sind dann wir als Vertragspartner, Gespräche darüber zu führen und dem dänischen Parlament und der dänischen Regierung auszureden, diese Infrastrukturmaßnahme komplett zu bezahlen, trotz der zu Recht -angesprochenen vorhandenen Risiken? Ich glaube, das wäre nicht redlich. Die Bundesrepublik Deutschland wäre dann kein guter Vertragspartner, und darauf kommt es mir an. Der Vertrag gilt, und über das Ob wird keine Bürgerbefragung dieser Welt noch entscheiden können. Das muss man den Menschen dann auch sagen. Ich bin sehr für eine Bürgerbeteiligung hinsichtlich der Frage, wie wir die notwendige Schieneninfrastruktur realisieren. Die Realisierung der Fehmarnbelt-Querung ist aber durch völkerrechtlich bindenden Vertrag erst einmal in Stein gemeißelt. Das hat Ihr sozialdemokratischer Verkehrsminister zu verantworten, geschätzte Kollegin, und darauf, das klarzustellen, kam es mir an. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter der Ziffer 2 Ihres Antrages wird der Eindruck erweckt, dass der Bedarf an öffentlicher Infrastruktur – Straße, Schiene, Wasserstraße – in Deutschland quasi durch eine anonyme, weit abgekoppelte Behörde Bundesverkehrsministerium oder auch durch den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages zustande kommt. Das ist in Wahrheit eine völlig verzerrte Darstellung, genauso wie der so populäre Begriff Wünsch-dir-was-Liste, den der Kollege Hofreiter hier verwendet hat. Wer wünscht sich eigentlich was von wem? Es ist ja nicht so, dass der Bund durch die Gegend läuft und sagt: Wir haben rasend viel Geld, nun teilt uns doch endlich mit, wo wir das verbauen können! – In Wahrheit wünschen sich die Menschen, die in Orten wohnen, die mehr als 20 000 oder 30 000 Pkw und Lkw pro Tag ertragen müssen, eine andere Infrastruktur. Die Menschen, die an Schienentrassen wohnen, auf denen viele Güterzüge fahren – erfreulicherweise aufgrund der guten Konjunktur –, wünschen sich mehr Lärmschutz. Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, die jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit und am Abend auf dem Weg in den Feierabend im Stau stehen, wünschen sich eine neue In-frastruktur. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es geht nicht um Staus!) Deshalb ist es gelebte Bürgerbeteiligung, dass wir diese Wünsche in einem Bundesverkehrswegeplan abbilden. Hier haben wir vielleicht ein unterschiedliches Verständnis, aber das ist kluge Infrastrukturplanung, weil sie sich an der Realität orientiert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass das nicht an der Realität orientiert ist, wissen wir alle!) Dass man nicht alle Wünsche erfüllen kann, liegt in der Natur der Sache. Die Opposition hat immer unendlich viel Geld, und wir müssen verantwortungsbewusst mit den Mitteln umgehen, die wir haben. Das Zerrbild, dass die Wünsche nicht aus der Mitte der Bevölkerung von der betroffenen Bevölkerung, sondern von einer -supraplanenden Behörde oder Bahn ausgehen, die nichts anderes zu tun hat, als sinnlose Infrastruktur zu planen, lasse ich nicht zu und will ich hier nicht durchgehen lassen. Das ist eine Verzerrung dessen, wie wir die Infrastruktur in Deutschland planen, nämlich orientiert an den Sorgen und Nöten der Menschen in Deutschland, die an Straßen, Schienen und Wasserstraßen leben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will auch zu dem interessanten Aspekt der Flugrouten kommen, der ja insbesondere diese Stadt, in der wir hier arbeiten dürfen, bewegt hat. Durch das Fluglärmgesetz der Großen Koalition wurde die permanente öffentliche Beteiligung über die Fluglärmkommission gesetzlich verankert. Das war gut so. Wir als Opposition haben das damals unterstützt, und das hat hier auch Anwendung gefunden. Es gehört aber zur politischen Willensbildung und zur seriösen politischen Debatte dazu, dass man auch sagt: Bei der Realisierung von Anflug- und Abflugrouten an einem Flughafen müssen zwar auch die Lärmauswirkungen berücksichtigt werden – das ist überhaupt gar keine Frage –, aber die Flugrouten müssen zuallererst, zumindest nach den Gesetzen in Deutschland und in aller Welt, unter dem Aspekt der Sicherheit des An- und Abfluges geplant werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Das geht eben vor. So leid es mir für die Bürgerinnen und Bürger tut, die von Lärm betroffen sind: Die Sicherheit von Lande- und Startvorgängen an einem neuen Großflughafen ist nicht verhandelbar. Manchmal geht sie den berechtigten Lärmschutzinteressen der Bürgerinnen und Bürger auch vor. Das ist auch politische Realität, die man dann auch kommunizieren muss. Ich stelle fest, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Ministerpräsident von Brandenburg – in Klammern: beide SPD – in der vierten Amtszeit sind. Ganz offensichtlich hat es ihnen nicht geschadet, dass sie zu dem Flughafen gestanden haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Abschließend ist festzustellen, dass dies ein Posi--tionspapier der Sozialdemokraten ist, das weitestgehend das aufnimmt, was wir in Gesetzen realisieren, das aber leider an manchen Punkten das Kind mit dem Bade ausschüttet und das – das ist eigentlich das Tragischste – so gar nicht zu der Realität passt, die die Sozialdemokraten in den Ländern zeigen, in denen sie regieren. Denn Sie haben in Rheinland-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg Koalitionsverträge unterschrieben, in denen steht, dass Sie gar keine Infrastruktur mehr realisieren wollen. Das ist natürlich der einfachste Konsens: indem man sich schlicht verweigert. Das ist aber nicht die Politik, die wir machen wollen. Wir wollen mit dem Bürger klug planen und bauen. Das ist der Unterschied. Vielen Dank, geschätzte Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das muss aber nicht sein!) Sabine Leidig (DIE LINKE): Verehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist sowohl von Herrn Minister Ramsauer als auch von Ihnen, Herr Döring, gerade der Eindruck erweckt worden, es hätte eine Volksabstimmung über das Projekt Stuttgart 21 gegeben. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr hat es eine Volksabstimmung in einer Phase des Projektes gegeben, in der schon alles das schlecht gelaufen ist, was wir hier zu Recht auf die Tagesordnung gesetzt haben. Bei der Abstimmung, die in Baden-Württemberg stattgefunden hat, ging es um die Frage, ob das Land als einer der Projektträger aus diesem Projekt aussteigen soll. Diese Volksabstimmung war mit einer groß angelegten Kampagne verbunden, bei der überall Plakate zu sehen waren, auf denen stand: 1,2 Milliarden Euro Ausstiegskosten. Heute kann man sagen, das war die große Ausstiegskostenlüge, die von den Projektbetreibern flächendeckend verbreitet worden ist und die den Bürgerinnen und Bürgern suggeriert hat, dass das Land 1,2 Milliarden Euro zu zahlen hätte, wenn der Bahnhof nicht gebaut würde. Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass der Vorstandsvorsitzende von Daimler, Herr Zetsche, auf die Frage, warum Daimler gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden so viel Geld in diese Kampagne investiert, ob denn ein Vorteil für sie durch Stuttgart 21 entstünde, sagte: Nein, er könne keinen Vorteil nennen. Es gehe grundsätzlich um die Frage, ob ein Teil der Öffentlichkeit der Industrie vorschreiben könne, was sie zu machen habe. Ich glaube, das ist an dieser Stelle eine wichtige Ergänzung. (Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das hätten Sie sich glatt sparen können!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Döring zur Erwiderung. Patrick Döring (FDP): Geschätzte Frau Kollegin Leidig, Sie wissen, dass ich mich mit diesem Projekt auch in anderer Funktion sehr intensiv befasse. Deshalb will ich nicht auf alle Vorhaltungen eingehen. Sind Sie bereit, mir dahin gehend zu folgen, dass seit 1994, als das erste Mal über dieses Projekt diskutiert wurde, in Ermangelung des Instruments des Bürgerentscheids sowohl in Baden-Württemberg als auch im Bund dennoch zahlreiche demokratische Wahlen stattgefunden haben zum Gemeindeparlament, zum Landtag und zum Deutschen Bundestag, in denen jedes Mal dieses Projekt Teil des Wahlkampfs zumindest in der Region Stuttgart war und in denen jedes Mal dennoch Vertreterinnen und Vertreter von Union und FDP mit großer Mehrheit gewählt wurden? Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass, wenn man keinen Volksentscheid macht, wenigstens demokratische Wahlen, die diejenigen als Gewinner hervorbringen, die für das Projekt sind, ein gewisser Indikator dafür sind, wie die Mehrheit der Bevölkerung tickt? Wir haben bisher kaum ein transparenteres Planungsverfahren als bei Stuttgart 21. Über Stuttgart 21 ist mehr als 50-mal im Stuttgarter Gemeindeparlament und mehr als 30-mal im Stuttgarter Landtag diskutiert worden. Es sind mehr als 3 000 Bürgereinwendungen positiv abgeräumt worden, berücksichtigt worden bei der Planung. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schöner Versprecher!) Dann gab es ein Problem. Das will ich Ihnen zugestehen. Zwischen dem Zeitpunkt der Planfeststellung und dem Zeitpunkt des Baubeginns ist zu viel Zeit verstrichen, in der die Diskussion und die Aufklärung der Bevölkerung erlahmte. Das hat die neue Bürgerentscheidsdebatte bzw. Schlichtungsdebatte dann wieder geheilt. Aber den Eindruck zu erwecken, es sei geheimdienstlich gearbeitet worden, ist in Anbetracht der ausführlichsten parlamentarischen Beratung im Gemeindeparlament, im Landtag und auch in diesem Hause schlicht die Unwahrheit. Es gehört zur Wahrheit dazu: Die Parlamente und die gewählten Vertreter haben sich mit diesem Projekt mehr beschäftigt als mit so gut wie jedem anderen in Deutschland. Mit Verlaub: Bei aller Sympathie für Bürgerentscheidungen und Bürgerbeteiligung, auch die repräsentative Demokratie hat eine Aufgabe. Diese hat sie an dieser Stelle besonders ausführlich und sorgfältig wahrgenommen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Herbert Behrens das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung zu Ihnen, Herr Minister Ramsauer. Sie spielen unberechtigterweise die Planer gegen die Bürger aus, wenn Sie sagen: Die Planer machen ihre Arbeit gut und vernünftig. Es ist ungerechtfertigt, die Entscheidungen der Planer anzugreifen. – Die Planer machen ihre Arbeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten, (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nein, im Rahmen der Gesetze!) im Rahmen von Gesetzen und Vorschriften. In diesen Vorschriften kommt Bürgerbeteiligung nicht ausreichend vor. Darum sind die Planer ab dem Zeitpunkt, wenn sie mit ihrer Planung fertig sind, vor die Situation gestellt, dass sie wesentliche Teile offenbar nicht berücksichtigen konnten und durften. Insofern ist das eine ungerechtfertigte Gegenüberstellung von Bürgern und Planern. (Beifall bei der LINKEN) Woche für Woche gehen immer noch Menschen auf die Straße, sowohl hier in Berlin als auch in Frankfurt und München, wenn es darum geht, Flughafenerweiterungen zu kritisieren und mehr Lärmschutz und auch Alternativen einzufordern. Da haben sich Engagierte zusammengetan. Sie haben sich gefunden und nicht aufgegeben, obwohl ihnen alle Offiziellen sagen: Geht nach Hause, das Ding ist gelaufen. – Diese engagierten Menschen sagen aber: Wir sind die Bürger. Wir sind der Souverän. Deshalb soll unsere Position einbezogen werden in das, was noch folgt. Wir halten diese Position für richtig und für außer-ordentlich wichtig. Eines zeigt sich dabei: Diese Diskussion und diese Demonstrationen haben dazu geführt, dass wir uns heute mit dieser Frage hier im Bundestag beschäftigen. Das finde ich gut. Das ist meine Überzeugung. (Beifall bei der LINKEN) Aber viele Menschen wenden sich inzwischen ab. Sie melden sich eben nicht mehr zu Wort, weil sie immer zu hören bekommen: Es ist schön und gut, wenn ihr euch kümmert, aber das Verfahren ist abgeschlossen. Insofern gibt es keine Chance mehr, etwas zu verändern. – Die Linke sagt: Wir brauchen mehr Bürgerengagement in der Gesellschaft. Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung bei der Planung von Verkehrsprojekten. Das ist eine Frage von Demokratie und nicht nur in Bezug auf einzelne Fragen wichtig. Was soll die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger leisten? Hier wurde darüber diskutiert: Soll sie das Schmiermittel sein, damit Verkehrsprojekte schneller umgesetzt werden, oder soll sie grundsätzlich zu besseren, zu fundierteren Entscheidungen führen? In ihrem Antrag bemüht sich die SPD-Fraktion darum, sich dieser Frage zu nähern, aber sie beantwortet diese Frage nicht. Es soll ein neuer gesellschaftlicher Konsens für moderne Infrastruktur geschaffen werden. Das ist ein vernünftiger Ansatz. Aber ein Punkt, der mir wichtig ist: Dieser Konsens soll in der Begleitung von Verfahren hergestellt werden. Die Diskussion, die wir gerade eben geführt haben, macht deutlich: Es ist falsch, die Beteiligung von Bürgern erst in Begleitung von Verfahren einzuführen. Dann ist möglicherweise ein Gesamtprojekt schon schief eingestielt und kann überhaupt nicht mehr gerade werden. Darum ist Bürgerbeteiligung ganz woanders anzusetzen. Auch das steht in Ihrem Antrag, aber ich finde, dieser Satz gehört an den Anfang Ihres Antrages. Bürgerbeteiligung heißt, sich zunächst damit zu befassen, ob es überhaupt einen Bedarf für ein bestimmtes Projekt gibt. An dieser entscheidenden Stelle kann sich Bürgerbeteiligung entwickeln. (Beifall bei der LINKEN – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das steht doch im Antrag drin!) – Richtig. Auf Seite 2 unter „ferner liefen“. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Auf neun -Seiten!) Ich will es an einer zentralen Stelle Ihres Antrages haben, damit ich einen Anspruch darauf habe, das zu fordern. Aber Sie müssen all das, was folgt, diesem Grundsatz unterordnen. Insofern ist es wichtig, dass man die Prämisse an den Beginn setzt und dann die daraus abgeleiteten Folgen auflistet. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie haben nicht gut gelesen!) Ein gutes Verfahren schützt nicht davor, dass ein Projekt vor die Wand fährt. Ein Beispiel dafür haben wir in Berlin bei dem Mediationsverfahren „Bäume am Landwehrkanal“ gesehen. Seit Ende 2007 findet in Berlin in dieser Frage das größte Mediationsverfahren statt. 25 Vertreterinnen und Vertreter von Behörden und Verbänden und die Bürgerinnen und Bürger sind daran beteiligt. Am vergangenen Wochenende war in der Presse zu lesen, dass plötzlich ohne Absprache mit den Beteiligten 100 Bäume abgehackt werden sollen. Das war überhaupt nicht vorgesehen. Die Bürgerinitiativen sind entsetzt darüber, dass all das, was vorher besprochen worden ist, auf einmal überhaupt nicht mehr gelten soll. Uns ist es wichtig, dass Bürgerbeteiligungsverfahren insbesondere auf solche Situationen vorbereitet werden. Das heißt, sie sollen darauf vorbereitet werden, was man machen kann, wenn Absprachen, wenn gemeinsam gefundene Kompromisse nicht umgesetzt werden, wenn man an einer bestimmten Stelle vor die Wand läuft. Wir als Linke sind dafür, am Beginn eines Verfahrens öffentlich und breit zu diskutieren, ob ein Umbau, ein Ausbau oder ein Neubau eines Verkehrsprojektes überhaupt notwendig ist. Wenn dieser Bedarf festgestellt wird, dann tritt man in das Beteiligungsverfahren mit Bürgerinnen und Bürgern ein. Die vielen Proteste von Bürgerinnen und Bürgern in Stuttgart, in München und auch hier in Berlin sind nicht nur Protestaktionen gegen Fehlplanungen. Ich finde, sie sind auch Proteste gegen die wirtschaftlich Mächtigen, die die Politik auf ihre Seite ziehen. (Beifall bei der LINKEN) Sie sind eine Aufforderung an die Politik, in der Verkehrspolitik umzudenken und die Zukunft anders zu planen. Diese Aufforderung nehmen wir gerne an. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Stephan Kühn das Wort. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ehrliche Bürgerbeteiligung, soll sie nicht der reinen Akzeptanzbeschaffung dienen, setzt eine ehrliche und offene Prüfung von Alternativen voraus; denn der Erfolgsfaktor für Bürgerbeteiligung heißt Ergebnisoffenheit. Liest man in dem besagten Handbuch, gewinnt man schnell den Eindruck, dass es darum geht, Kritiker kleinzukriegen oder, wie es der Kollege Döring ausgedrückt hat, Kritiker und Bedenken einfach abzuräumen. Dialog auf Augenhöhe heißt übrigens auch, Planfeststellungsverfahren oder Anhörungen nicht mitten in den Schulferien stattfinden zu lassen, wie es in Deutschland leider gelebte Praxis ist. Darüber hinaus heißt es, dass wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern eine verständliche Sprache finden. Statt „Lichtsignalanlage“ kann man zum Beispiel „Ampel“ sagen. Würde man dem folgen, würde das bedeuten, dass man sich an vielen Stellen vom Planer-Deutsch trennen müsste. Des Weiteren heißt das, dass wir in solchen Verfahren freien Zugang zu allen Unterlagen bekommen, beispielsweise zu Verkehrsprognosen. Die Bürgerinnen und Bürger wollen hinterfragen, sie wollen tatsächlich prüfen, ob die unterstellten Annahmen mit der Realität etwas zu tun haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die entsprechenden Unterlagen werden ihnen aber meistens nicht zur Verfügung gestellt. Im „Handbuch Bürgerbeteiligung“, das uns hier vorgelegt wurde, wird suggeriert, eine bessere Bürgerbeteiligung sei ohne eine weitere gesetzliche Änderungen auf Basis des geltenden Rechts möglich. Das funktioniert nicht. Ich will es Ihnen am Beispiel Flughafenplanung und Flugroutenplanung deutlich machen. Dort geht es nicht ohne gesetzliche Änderungen, will man eine tatsächliche Verbesserung beim Lärmschutz für die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner erreichen. Ohne eine Verbesserung des Lärmschutzes wird man in der Bevölkerung keine Akzeptanz mehr für Großprojekte erhalten. Wie ist die Situation? Raumordnungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Planfeststellungs-verfahren zum Ausbau und Neubau von Flughafeninfrastruktur finden lange vor Festlegung der Flugrouten statt, sodass die Bewältigung des Lärmkonflikts gar nicht stattfinden kann. Das Raumordnungsverfahren, das letztlich über die Standortwahl entscheidet, sieht überhaupt keine Bürgerbeteiligung vor. Wie das Verfahren beim Hauptstadtflughafen zeigt, ist im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nicht garantiert gewesen, dass tatsächlich alle betroffenen Gemeinden und alle Bürgerinnen und Bürger beteiligt wurden, die später von den Flugrouten betroffen sind. Eine direkte Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger am Verfahren zur Festlegung von Flugrouten ist nach dem Luftverkehrsgesetz wiederum gar nicht vorgesehen. Daran ändern auch die Beratungen der Flugroutenvorschläge in Lärmschutzkommissionen nichts. Dort haben die Bürgerinnen und Bürger keine Möglichkeiten, direkt Einfluss zu nehmen und Einspruch zu erheben. Für den Ablauf des Planfeststellungsverfahrens zum Erlass von Flugrouten existieren im Übrigen gar keine gesetzlichen Grundlagen, weder im Luftverkehrsgesetz noch in der Luftverkehrs-Ordnung. Die Bundesregierung – wir haben das Thema zuletzt im Ausschuss behandelt – hat nicht erkennen lassen, dass sie hier Handlungsbedarf sieht. Das finde ich völlig inakzeptabel. Wo bleibt die angekündigte Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In einem Planfeststellungsverfahren – das besagt die Theorie – sollen alle Probleme und Konflikte bewältigt werden. Dadurch, dass die Flugrouten aber davon getrennt in einem anderen, späteren Verfahren festgelegt werden, ist eine wirkliche Bewältigung des Lärmkonfliktes nicht möglich. Daher sollte die Planung der Hauptflugverfahren in das Planfeststellungsverfahren integriert oder ein entsprechendes separates Beteiligungsverfahren, also mit wirklichen Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger, aufgelegt werden. Sonst werden weiter zuerst die Flughafenkapazitäten festgelegt und erst danach die Flugrouten, sodass der Lärm dann nur noch verteilt statt reduziert werden kann. Wir brauchen also nicht nur die freiwillige, sondern auch mehr verbindliche Bürgerbeteiligung bei der Flughafen- und Flugroutenplanung. Wir brauchen die verbindliche Einführung von Mediationsverfahren im Vorfeld zu den formellen Genehmigungsverfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das bedeutet aber auch, dass sich beispielsweise die schwarz-gelbe Landesregierung in Hessen an die Ergebnisse eines solchen Mediationsverfahrens zu halten hat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss und ende damit, dass auch die Zusammensetzung der Fluglärmkommissionen zugunsten einer stärkeren Beteiligung der Betroffenen verändert werden muss. In Leipzig beispielsweise werden nicht einmal die Tagesordnungen und Protokolle der -Sitzungen veröffentlicht. Ich finde, das ist ein Skandal. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Patrick Schnieder hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns, jedenfalls in der großen Mehrheit, einig, dass eine leistungsfähige Infrastruktur für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Zukunft unseres Wohlstandes von entscheidender Bedeutung ist. Wir sind uns auch einig – das betrifft den Großteil des Antrags der Sozialdemokraten –, dass wir bei den Verfahren, die wir praktizieren, um Infrastruktur neu schaffen und ausbauen zu können, in dem einen oder anderen Fall nachbessern müssen. Deshalb hat sich diese Koalition auf die Fahne geschrieben, die Verfahren zu verbessern und mehr und bessere Bürgerbeteiligung bei den Planungsverfahren zu erreichen. Diese Koalition ist auf einem guten und richtigen Weg, weil sie das nicht nur beschreibt, sondern auch -umsetzt. Deshalb bin ich sowohl dem Bundesinnen--minister als auch dem Bundesverkehrsminister, Herrn Dr. Ramsauer, sehr dankbar, dass diese beiden Initiativen, nämlich der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren sowie das Handbuch Bürgerbeteiligung, jetzt vorliegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wo liegen die Probleme? Meiner Ansicht nach ist das Kernproblem die überlange Verfahrensdauer von der Geburt einer Idee und dem Beginn eines Projektes bis hin zur Umsetzung. Oft sind diejenigen, die über ein Projekt entschieden haben, am Ende gar nicht mehr im Amt und sehen nicht, was aus ihrem Projekt geworden ist. Oftmals sind es am Ende auch andere, die dann tatsächlich von dieser Infrastruktur profitieren oder auch Einschränkungen hinzunehmen haben. Deshalb müssen wir an erster Stelle bei der überlangen Verfahrensdauer ansetzen und uns mit der Frage befassen, wie wir zu strafferen und effizienteren Verfahren kommen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist richtig! Das steht im Antrag!) Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass die Bürger im Planfeststellungsverfahren bisher in einem sehr komplizierten Verfahren nur formal beteiligt werden. Es sind vor allem diejenigen eingebunden, die mit einer entsprechenden Maßnahme beschwert sind oder ihren Protest dagegen äußern. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Völlig richtig!) Deshalb finde ich es richtig, sehr geehrter Herr Minister, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir auch diejenigen, die für die Infrastruktur eintreten, im Vorfeld solcher Maßnahmen beteiligen wollen. Das hat zudem den Vorteil, dass der Zeitablauf diejenigen, die betroffen sind oder die Planänderungen im Laufe eines solchen Verfahrens zu gewärtigen haben, nicht überholt. (Beifall des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD]) Deshalb glaube ich, dass wir an vier verschiedenen Stellen einhaken müssen. Das Erste ist: Wir brauchen ein Bekenntnis zu neuer Infrastruktur in Deutschland, und zwar für alle Verkehrsträger. (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) Das ist nicht trivial. Das ist vielleicht trivial für eine Seite des Hauses, aber das ist leider nicht mehr bei allen Verkehrsträgern Konsens. Der Kollege Döring hat da-rauf hingewiesen, dass einige Landesregierungen zum Beispiel keinen Straßenbau mehr wollen. Dazu zählen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen; die Beispiele sind genannt worden. Deshalb muss das erste Bekenntnis lauten: Wir stehen zu einer leistungsfähigen und zukunftsfähigen Infrastruktur in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Genau!) Zweiter Punkt: Wir brauchen eine frühere Öffentlichkeitsbeteiligung. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Auch wichtig!) Wir wollen unterschiedliche Meinungen am Anfang des Verfahrens diskutieren. Wir wollen nicht nur die Bedenkenträger, sondern auch die Befürworter an den Tisch bringen, ihnen die Möglichkeit zur Mitsprache bieten und das, was dort an Gutem geäußert wird, in die Planungsphase mit einbeziehen. Wir brauchen drittens mehr Informationen, eine verbesserte Kommunikation und mehr Transparenz in den Verfahren. Auch das ergibt sich zum Teil aus der Komplexität und der langen Verfahrensdauer. Deshalb bin ich dankbar, dass in dem E-Government-Gesetz vorgesehen ist, dass wir die Möglichkeiten des Internets nutzen. Viertens brauchen wir effizientere Planungsverfahren. Ich habe hier mehrfach wahrgenommen, dass Media--tionsverfahren als die Erfüllung aller Wünsche und als die Lösung aller Probleme dargestellt wurden. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat niemand gesagt!) Ich wäre dankbar, wenn Sie sich an Ihren eigenen Ansprüchen messen lassen würden. Mir sind durchaus -Projekte bekannt, zu denen Mediationsverfahren durchgeführt worden sind. Dort wird ein Mediationsverfahren an das nächste gehängt, um die Dinge zu verzögern und somit das Projekt nicht umsetzen zu müssen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Welche sind das denn?) – Das ist zum Beispiel die B 10 in der Pfalz. Dort sind die Mediationsverfahren längst durchgeführt worden, und nun könnte man langsam an das Baurecht denken. Dort werden aber neue Mediationsverfahren eingeleitet, um die Projekte zu verzögern und nicht umsetzen zu müssen. Deshalb ist ein sehr wichtiger Punkt, dass wir Verfahren entbürokratisieren. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sehr gut!) – Ja, aber genau das Gegenteil machen Sie mit Ihrem Antrag. Sie blähen Verfahren durch die Forderungen, die hier vorgetragen worden sind, auf, und dies führt dazu, dass sie länger dauern. Damit wird das konterkariert, was man mit einer früheren Bürgerbeteiligung erreichen kann. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ihre Rede ist nicht schlüssig!) Ein ganz wesentlicher Bereich ist das Umweltrecht, das wir dringend optimieren müssen. Ein problematischer Punkt ist sicherlich das Verbandsklagerecht. Ich sage frank und frei, dass ich kein Freund des Verbandsklagerechts bin. Durch die aktuelle EuGH-Entscheidung zum Kohlekraftwerk Lünen ist das Klagerecht für Umweltverbände stark ausgeweitet worden. Das wird für die Umsetzung von Infrastrukturprojekten kontraproduktiv sein und zusätzliche Erschwernisse in diesem Bereich bringen. Deshalb müssen wir uns intensiv Gedanken -darüber machen, wie wir insbesondere im Bereich des Umweltrechts, aber auch beim Verbandsklagerecht eher zu einer Einschränkung als zu einer Erweiterung dieser ausufernden Beteiligungsrechte kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen; ich meine die schnellere Umsetzung. Wir müssen in Deutschland dazu kommen, dass wir das Projekt dann, wenn Baurecht vorliegt, auch tatsächlich umsetzen. Es kann nicht sein, dass Projekte fertig sind und Baurecht vorliegt, es aber noch Jahre dauert, bis diese umgesetzt werden. Auch die Finanzierung muss gesichert sein. Wir brauchen zusätzliches Geld für die Verkehrsinfrastruktur. Auch in diese Richtung hat der Verkehrsminister einen ersten wichtigen Schritt durch die zusätzliche Milliarde Euro, die in die Verkehrsinfrastruktur fließt, unternommen. Wir -haben allerdings auch andere Möglichkeiten, die Verkehrsinfrastruktur auszubauen. Zum Beispiel könnten wir das Instrument der ÖPP-Projekte stärker nutzen. Die Erfahrungen mit der ersten Staffel der A-Modelle sind schließlich positiv, vor allem was die Beschleunigung und Umsetzung von Projekten angeht. Wir müssen auch weiterhin die Potenziale nutzen, die in diesem Bereich liegen. Ohne zukunftsweisende Verkehrsprojekte werden wir die wachsenden Mobilitätsanforderungen in Deutschland nicht in den Griff bekommen. Die Vorbereitungen für den neuen Bundesverkehrswegeplan laufen. Dabei ist die Beteiligung der Öffentlichkeit als fester Bestandteil vorgesehen, sowohl als Information als auch als Konsultation im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Strategischen Umweltprüfung. So können Bürger dort zum Entwurf des Bundesverkehrswegeplans selbst Stellung nehmen. Das wird dann auch in die Beratungen und Entscheidungen einfließen. Diese Koalition steht für eine leistungsfähige Infrastruktur und deren Ausbau. Sie steht für ein Mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz. Sie steht auch für straffere Verfahren und für zügige Umsetzung. Ich darf festhalten, dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln und dass wir uns auf einem guten Weg befinden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hans-Joachim Hacker jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD) Hans-Joachim Hacker (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Debatte kann man nicht viel Neues sagen. Ich will deswegen auf ein paar Gedanken meiner Vorredner eingehen. Herr Schnieder, ich hatte vorhin das Gefühl, fast die Angst, Sie hätten mit meinem Büro korrespondiert und Teile meiner Rede übernommen; denn in weiten Bereichen, muss ich sagen, haben Sie das angesprochen, was auch in unserem Antrag steht. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ja! Danke für das Lob dieser Regierungskoalition!) Insofern bin ich sehr optimistisch, dass wir hier heute eine große Zustimmung bekommen. Ihre zentrale Botschaft „Deutschland braucht eine leistungsfähige Infrastruktur, um auch künftig als moderner Industrie- und Dienstleistungsstandort wirtschaftlich erfolgreich zu sein“, ist der Aufschlag unseres Antrags. Da sind wir uns völlig einig. Natürlich geht es uns darum, dass wir nicht, wie in der Vergangenheit, über das Wie diskutieren, sondern tatsächlich über das Ob. Dazu haben wir eine konkrete Ansage, nicht nur auf der Seite 2 unseres Antrags, Herr Behrens; wir fordern im Bereich der Netz- und Bedarfsplanung für Bundesverkehrswege und Energieleitungen ganz konkret, „den Bedarf für Infrastrukturprojekte transparent und unter Mitwirkung der Öffentlichkeit zu ermitteln“. Wir haben heute den Fall, dass mehr Projekte in den Regionen gefordert werden, zum Beispiel Ortsumgehungen; wir haben aber auch den Fall, dass Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden und auch Kommunalpolitiker ein bestimmtes Projekt nicht wollen, das vor 15 Jahren einmal geplant wurde. Praktisches Beispiel: die Ortsumgehung Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern. Dort gibt es eine Bürgerinitiative gegen die Ortsumgehung. (Gero Storjohann [CDU/CSU]: Wir waren mit dem Petitionsausschuss da!) Dort wird wahrscheinlich nicht mehr gebaut, Herr Minister; denn Sie werden sich, wie ich Sie kenne, ja nicht gegen das Volk stellen. Dieses Projekt werden wir im nächsten Bundesverkehrswegeplan bestimmt nicht wiederfinden, weil sich das Land Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile klar dagegen erklärt hat. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie unseren Antrag würdigen, Herr Minister. Sie haben in der Substanz an unserem Antrag nichts auszusetzen gehabt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben aber ein Stück weit den Eindruck erweckt, als würden wir die Rechtsweggarantie infrage stellen. Das ist dem Antrag nicht im Ansatz zu entnehmen. -Natürlich ist auch für die Sozialdemokratie ganz klar: Wir werden die Konflikte bei Infrastrukturvorhaben nicht allein durch Mediation klären können, aber Mediation ist ein Weg, um den Konflikt vorzeitig aufzunehmen und vielleicht gütlich zu lösen. Der Rechtsweg – das ist grundgesetzlich verankert – kann gar nicht beschränkt werden. Wenn wir uns hier heute über diesen Antrag unterhalten, geschieht dies auch deshalb, weil die SPD die Partei ist, die immer auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens gesetzt hat. Willy Brandt hat das Wort geprägt: Mehr Demokratie wagen. – Dieser Grundgedanke zieht sich durch unseren Antrag. Wir wollen mehr Bürger--demokratie erreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es sind hier in der Diskussion von den Kollegen vor mir, auch aus der Koalition, Fehler der Vergangenheit genannt worden: späte Einbeziehung der Bürger, Diskussion nicht über das Ob, sondern erst über das Wie, lange Planungszeiträume. Ich denke, dass es auch neue Formen der Information der Bürger geben muss. Die viel zitierten 40 Aktenordner sind nicht der Weg, um Bürger mit einzubeziehen und aufzuklären. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Aber die Welt ist kompliziert!) Seien wir doch einmal ehrlich: Wir würden selber Schwierigkeiten haben, in einem Erörterungstermin alle Unterlagen objektiv zu bewerten. Wir brauchen neue Formen der Information. Die Bundesregierung – wir haben das Thema zuletzt im Ausschuss behandelt – hat nicht erkennen lassen, dass sie hier Handlungsbedarf sieht. Das finde ich völlig inakzeptabel. Wo bleibt die angekündigte Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In einem Planfeststellungsverfahren – das besagt die Theorie – sollen alle Probleme und Konflikte bewältigt werden. Dadurch, dass die Flugrouten aber davon getrennt in einem anderen, späteren Verfahren festgelegt werden, ist eine wirkliche Bewältigung des Lärmkonfliktes nicht möglich. Daher sollte die Planung der Hauptflugverfahren in das Planfeststellungsverfahren integriert oder ein entsprechendes separates Beteiligungsverfahren, also mit wirklichen Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger, aufgelegt werden. Sonst werden weiter zuerst die Flughafenkapazitäten festgelegt und erst danach die Flugrouten, sodass der Lärm dann nur noch verteilt statt reduziert werden kann. Wir brauchen also nicht nur die freiwillige, sondern auch mehr verbindliche Bürgerbeteiligung bei der Flughafen- und Flugroutenplanung. Wir brauchen die verbindliche Einführung von Mediationsverfahren im Vorfeld zu den formellen Genehmigungsverfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das bedeutet aber auch, dass sich beispielsweise die schwarz-gelbe Landesregierung in Hessen an die Ergebnisse eines solchen Mediationsverfahrens zu halten hat. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss und ende damit, dass auch die Zusammensetzung der Fluglärmkommissionen zugunsten einer stärkeren Beteiligung der Betroffenen verändert werden muss. In Leipzig beispielsweise werden nicht einmal die Tagesordnungen und Protokolle der -Sitzungen veröffentlicht. Ich finde, das ist ein Skandal. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Patrick Schnieder hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns, jedenfalls in der großen Mehrheit, einig, dass eine leistungsfähige Infrastruktur für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Zukunft unseres Wohlstandes von entscheidender Bedeutung ist. Wir sind uns auch einig – das betrifft den Großteil des Antrags der Sozialdemokraten –, dass wir bei den Verfahren, die wir praktizieren, um Infrastruktur neu schaffen und ausbauen zu können, in dem einen oder anderen Fall nachbessern müssen. Deshalb hat sich diese Koalition auf die Fahne geschrieben, die Verfahren zu verbessern und mehr und bessere Bürgerbeteiligung bei den Planungsverfahren zu erreichen. Diese Koalition ist auf einem guten und richtigen Weg, weil sie das nicht nur beschreibt, sondern auch -umsetzt. Deshalb bin ich sowohl dem Bundesinnen--minister als auch dem Bundesverkehrsminister, Herrn Dr. Ramsauer, sehr dankbar, dass diese beiden Initiativen, nämlich der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren sowie das Handbuch Bürgerbeteiligung, jetzt vorliegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wo liegen die Probleme? Meiner Ansicht nach ist das Kernproblem die überlange Verfahrensdauer von der Geburt einer Idee und dem Beginn eines Projektes bis hin zur Umsetzung. Oft sind diejenigen, die über ein Projekt entschieden haben, am Ende gar nicht mehr im Amt und sehen nicht, was aus ihrem Projekt geworden ist. Oftmals sind es am Ende auch andere, die dann tatsächlich von dieser Infrastruktur profitieren oder auch Einschränkungen hinzunehmen haben. Deshalb müssen wir an erster Stelle bei der überlangen Verfahrensdauer ansetzen und uns mit der Frage befassen, wie wir zu strafferen und effizienteren Verfahren kommen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist richtig! Das steht im Antrag!) Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass die Bürger im Planfeststellungsverfahren bisher in einem sehr komplizierten Verfahren nur formal beteiligt werden. Es sind vor allem diejenigen eingebunden, die mit einer entsprechenden Maßnahme beschwert sind oder ihren Protest dagegen äußern. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Völlig richtig!) Deshalb finde ich es richtig, sehr geehrter Herr Minister, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir auch diejenigen, die für die Infrastruktur eintreten, im Vorfeld solcher Maßnahmen beteiligen wollen. Das hat zudem den Vorteil, dass der Zeitablauf diejenigen, die betroffen sind oder die Planänderungen im Laufe eines solchen Verfahrens zu gewärtigen haben, nicht überholt. (Beifall des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD]) Deshalb glaube ich, dass wir an vier verschiedenen Stellen einhaken müssen. Das Erste ist: Wir brauchen ein Bekenntnis zu neuer Infrastruktur in Deutschland, und zwar für alle Verkehrsträger. (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) Das ist nicht trivial. Das ist vielleicht trivial für eine Seite des Hauses, aber das ist leider nicht mehr bei allen Verkehrsträgern Konsens. Der Kollege Döring hat da-rauf hingewiesen, dass einige Landesregierungen zum Beispiel keinen Straßenbau mehr wollen. Dazu zählen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen; die Beispiele sind genannt worden. Deshalb muss das erste Bekenntnis lauten: Wir stehen zu einer leistungsfähigen und zukunftsfähigen Infrastruktur in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Genau!) Zweiter Punkt: Wir brauchen eine frühere Öffentlichkeitsbeteiligung. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Auch wichtig!) Wir wollen unterschiedliche Meinungen am Anfang des Verfahrens diskutieren. Wir wollen nicht nur die Bedenkenträger, sondern auch die Befürworter an den Tisch bringen, ihnen die Möglichkeit zur Mitsprache bieten und das, was dort an Gutem geäußert wird, in die Planungsphase mit einbeziehen. Wir brauchen drittens mehr Informationen, eine verbesserte Kommunikation und mehr Transparenz in den Verfahren. Auch das ergibt sich zum Teil aus der Komplexität und der langen Verfahrensdauer. Deshalb bin ich dankbar, dass in dem E-Government-Gesetz vorgesehen ist, dass wir die Möglichkeiten des Internets nutzen. Viertens brauchen wir effizientere Planungsverfahren. Ich habe hier mehrfach wahrgenommen, dass Media--tionsverfahren als die Erfüllung aller Wünsche und als die Lösung aller Probleme dargestellt wurden. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat niemand gesagt!) Ich wäre dankbar, wenn Sie sich an Ihren eigenen Ansprüchen messen lassen würden. Mir sind durchaus -Projekte bekannt, zu denen Mediationsverfahren durchgeführt worden sind. Dort wird ein Mediationsverfahren an das nächste gehängt, um die Dinge zu verzögern und somit das Projekt nicht umsetzen zu müssen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Welche sind das denn?) – Das ist zum Beispiel die B 10 in der Pfalz. Dort sind die Mediationsverfahren längst durchgeführt worden, und nun könnte man langsam an das Baurecht denken. Dort werden aber neue Mediationsverfahren eingeleitet, um die Projekte zu verzögern und nicht umsetzen zu müssen. Deshalb ist ein sehr wichtiger Punkt, dass wir Verfahren entbürokratisieren. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sehr gut!) – Ja, aber genau das Gegenteil machen Sie mit Ihrem Antrag. Sie blähen Verfahren durch die Forderungen, die hier vorgetragen worden sind, auf, und dies führt dazu, dass sie länger dauern. Damit wird das konterkariert, was man mit einer früheren Bürgerbeteiligung erreichen kann. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ihre Rede ist nicht schlüssig!) Ein ganz wesentlicher Bereich ist das Umweltrecht, das wir dringend optimieren müssen. Ein problematischer Punkt ist sicherlich das Verbandsklagerecht. Ich sage frank und frei, dass ich kein Freund des Verbandsklagerechts bin. Durch die aktuelle EuGH-Entscheidung zum Kohlekraftwerk Lünen ist das Klagerecht für Umweltverbände stark ausgeweitet worden. Das wird für die Umsetzung von Infrastrukturprojekten kontraproduktiv sein und zusätzliche Erschwernisse in diesem Bereich bringen. Deshalb müssen wir uns intensiv Gedanken -darüber machen, wie wir insbesondere im Bereich des Umweltrechts, aber auch beim Verbandsklagerecht eher zu einer Einschränkung als zu einer Erweiterung dieser ausufernden Beteiligungsrechte kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen; ich meine die schnellere Umsetzung. Wir müssen in Deutschland dazu kommen, dass wir das Projekt dann, wenn Baurecht vorliegt, auch tatsächlich umsetzen. Es kann nicht sein, dass Projekte fertig sind und Baurecht vorliegt, es aber noch Jahre dauert, bis diese umgesetzt werden. Auch die Finanzierung muss gesichert sein. Wir brauchen zusätzliches Geld für die Verkehrsinfrastruktur. Auch in diese Richtung hat der Verkehrsminister einen ersten wichtigen Schritt durch die zusätzliche Milliarde Euro, die in die Verkehrsinfrastruktur fließt, unternommen. Wir -haben allerdings auch andere Möglichkeiten, die Verkehrsinfrastruktur auszubauen. Zum Beispiel könnten wir das Instrument der ÖPP-Projekte stärker nutzen. Die Erfahrungen mit der ersten Staffel der A-Modelle sind schließlich positiv, vor allem was die Beschleunigung und Umsetzung von Projekten angeht. Wir müssen auch weiterhin die Potenziale nutzen, die in diesem Bereich liegen. Ohne zukunftsweisende Verkehrsprojekte werden wir die wachsenden Mobilitätsanforderungen in Deutschland nicht in den Griff bekommen. Die Vorbereitungen für den neuen Bundesverkehrswegeplan laufen. Dabei ist die Beteiligung der Öffentlichkeit als fester Bestandteil vorgesehen, sowohl als Information als auch als Konsultation im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Strategischen Umweltprüfung. So können Bürger dort zum Entwurf des Bundesverkehrswegeplans selbst Stellung nehmen. Das wird dann auch in die Beratungen und Entscheidungen einfließen. Diese Koalition steht für eine leistungsfähige Infrastruktur und deren Ausbau. Sie steht für ein Mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz. Sie steht auch für straffere Verfahren und für zügige Umsetzung. Ich darf festhalten, dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln und dass wir uns auf einem guten Weg befinden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hans-Joachim Hacker jetzt das Wort. (Beifall bei der SPD) Hans-Joachim Hacker (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende der Debatte kann man nicht viel Neues sagen. Ich will deswegen auf ein paar Gedanken meiner Vorredner eingehen. Herr Schnieder, ich hatte vorhin das Gefühl, fast die Angst, Sie hätten mit meinem Büro korrespondiert und Teile meiner Rede übernommen; denn in weiten Bereichen, muss ich sagen, haben Sie das angesprochen, was auch in unserem Antrag steht. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ja! Danke für das Lob dieser Regierungskoalition!) Insofern bin ich sehr optimistisch, dass wir hier heute eine große Zustimmung bekommen. Ihre zentrale Botschaft, „Deutschland braucht eine leistungsfähige Infrastruktur, um auch künftig als moderner Industrie- und Dienstleistungsstandort wirtschaftlich erfolgreich zu sein“, ist der Aufschlag unseres Antrags. Da sind wir uns völlig einig. Natürlich geht es uns darum, dass wir nicht, wie in der Vergangenheit, über das Wie diskutieren, sondern tatsächlich über das Ob. Dazu haben wir eine konkrete Ansage, nicht nur auf der Seite 2 unseres Antrags, Herr Behrens; wir fordern im Bereich der Netz- und Bedarfsplanung für Bundesverkehrswege und Energieleitungen ganz konkret, „den Bedarf für Infrastrukturprojekte transparent und unter Mitwirkung der Öffentlichkeit zu ermitteln“. Wir haben heute den Fall, dass mehr Projekte in den Regionen gefordert werden, zum Beispiel Ortsumgehungen; wir haben aber auch den Fall, dass Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden und auch Kommunalpolitiker ein bestimmtes Projekt nicht wollen, das vor 15 Jahren einmal geplant wurde. Praktisches Beispiel: die Ortsumgehung Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern. Dort gibt es eine Bürgerinitiative gegen die Ortsumgehung. (Gero Storjohann [CDU/CSU]: Wir waren mit dem Petitionsausschuss da!) Dort wird wahrscheinlich nicht mehr gebaut, Herr Minister; denn Sie werden sich, wie ich Sie kenne, ja nicht gegen das Volk stellen. Dieses Projekt werden wir im nächsten Bundesverkehrswegeplan bestimmt nicht wiederfinden, weil sich das Land Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile klar dagegen erklärt hat. Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie unseren Antrag würdigen, Herr Minister. Sie haben in der Substanz an unserem Antrag nichts auszusetzen gehabt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben aber ein Stück weit den Eindruck erweckt, als würden wir die Rechtsweggarantie infrage stellen. Das ist dem Antrag nicht im Ansatz zu entnehmen. -Natürlich ist auch für die Sozialdemokratie ganz klar: Wir werden die Konflikte bei Infrastrukturvorhaben nicht allein durch Mediation klären können, aber Mediation ist ein Weg, um den Konflikt vorzeitig aufzunehmen und vielleicht gütlich zu lösen. Der Rechtsweg – das ist grundgesetzlich verankert – kann gar nicht beschränkt werden. Wenn wir uns hier heute über diesen Antrag unterhalten, geschieht dies auch deshalb, weil die SPD die Partei ist, die immer auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens gesetzt hat. Willy Brandt hat das Wort geprägt: Mehr Demokratie wagen. – Dieser Grundgedanke zieht sich durch unseren Antrag. Wir wollen mehr Bürger--demokratie erreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es sind hier in der Diskussion von den Kollegen vor mir, auch aus der Koalition, Fehler der Vergangenheit genannt worden: späte Einbeziehung der Bürger, Diskussion nicht über das Ob, sondern erst über das Wie, lange Planungszeiträume. Ich denke, dass es auch neue Formen der Information der Bürger geben muss. Die viel zitierten 40 Aktenordner sind nicht der Weg, um Bürger mit einzubeziehen und aufzuklären. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Aber die Welt ist kompliziert!) Seien wir doch einmal ehrlich: Wir würden selber Schwierigkeiten haben, in einem Erörterungstermin alle Unterlagen objektiv zu bewerten. Wir brauchen neue Formen der Information. Für mich ist eine wichtige Schlussfolgerung aus der Diskussion der letzten Monate, die wir mit Planungsträgern und Bürgerinitiativen geführt haben, dass wir den offensichtlichen Widerspruch zwischen materieller Planung und Finanzrahmen beseitigen müssen. Dann kommen wir auch nicht in die Bredouille, in der sich Herr Ramsauer jetzt mit seinem Investitionsrahmenplan befindet. Sie schieben jetzt Projekte aus dem IRP 2006 bis 2010 bis in die Zeit nach 2015. Ich spreche insbesondere die Kollegen aus der CDU/CSU an, weil die in der Großen Koalition mit uns den alten IRP beraten und verabschiedet haben. (Zuruf von der SPD: Weiße Salbe! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: D wie durchhängen! – Zuruf von der CDU/CSU) – Natürlich, das ist doch Ihre Erfindung. – Sie haben eine wundersame Liste D erfunden, auf der Sie all die Projekte zusammengefasst haben, die bis 2015 nicht mehr realisiert werden. Sie schieben jetzt Projekte, deren Realisierung vor Ort für die Zeit bis 2010 verkündet worden ist, in die Zeit nach 2015, zum Beispiel den Autobahnzubringer Schwerin. Der soll nach 2015 kommen. Ihr Staatssekretär hat mir im vorigen Jahr gesagt, dass der Grünstempel, also der „gesehen“-Vermerk, im Januar kommen soll. Der ist heute noch nicht da. Sie schieben das auf die lange Bank. Das ist keine gute Planungspolitik, die Sie betreiben, Herr Minister. (Beifall bei der SPD) Deswegen kann man das, was Sie machen, nicht als besonders kreatives Regierungshandeln bezeichnen, Herr Minister. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will hier nur noch das Stichwort „Flughafen- und Flugroutenplanungen“ nennen. Wir sehen das ganz genauso wie Bündnis 90/Die Grünen: Wir brauchen eine Veränderung bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten. Das ist wichtig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Dinge haben wir als Ergebnis der Diskussion mit Bürgerinitiativen und Planungsträgern in den Antrag geschrieben. Aus der CDU/CSU höre ich zu dem ganzen Thema gar nichts. Doch – Herr Geißler äußert sich dazu. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Geißler ist ja nicht mehr Mitglied Ihrer Fraktion. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Hans-Joachim Hacker (SPD): Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. Bei der FDP gab es im vorigen Jahr Ankündigungen, aber danach folgte nichts, Herr Döring. Sie müssten mit Blick auf das Thema Bürgerbeteiligung am Sonntag eigentlich die Glocken läuten gehört haben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Hans-Joachim Hacker (SPD): Kommen Sie mit Vorschlägen! (Patrick Döring [FDP]: Unsere Fraktion hat seit mehr als einem Jahr ein Positionspapier! Sie sind zu spät!) Unser Vorschlag liegt vor, Frau Präsidentin. Wir können einen neuen gesellschaftlichen Konsens für eine leistungsfähige Infrastruktur in Deutschland schaffen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Hans-Joachim Hacker (SPD): Dieser Prozess könnte den Namen „Willy Brandt 2.0“ tragen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9156 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 36 a bis d und f -sowie Zusatzpunkt 3 auf: 36 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zur Individualbeschwerde schnellstmöglich ratifizieren – Drucksache 17/8917 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen transparent gestalten – Drucksache 17/9168 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter, Sabine Leidig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wirksame Anreize für klimafreundlichere Firmenwagen – Drucksache 17/9149 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einführung eines pauschalierenden psychia-trischen Entgeltsystems zur qualitativen Weiterentwicklung der Versorgung nutzen – Drucksache 17/9169 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier ausweiten – Drucksache 17/9170 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Städtebauliche Qualität des Regierungsviertels verbessern – Drucksache 17/9171 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 37 a g sowie den Zusatzpunkt 4 a bis h auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 37 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Oktober 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien über Soziale Sicherheit – Drucksache 17/8727 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/9094 – Berichterstattung: Abgeordneter Josip Juratovic Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9094, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8727 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. November 2011 über die Errichtung des Sekretariats der Partnerschaft für öffentliche Gesundheit und soziales Wohlergehen im Rahmen der Nördlichen Dimension (NDPHS) – Drucksache 17/8981 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/9200 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Harald Terpe Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9200, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8981 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Die übrigen Fraktionen haben zugestimmt. Wir kommen zu dem Tagesordnungspunkt 37 c bis g sowie dem Zusatzpunkt 4 a bis h. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 37 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 412 zu Petitionen – Drucksache 17/9050 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 413 zu Petitionen – Drucksache 17/9051 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt, alle anderen Fraktionen dafür. Tagesordnungspunkt 37 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 414 zu Petitionen – Drucksache 17/9052 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung von Koalition und SPD. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt. Tagesordnungspunkt 37 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 415 zu Petitionen – Drucksache 17/9053 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. SPD und Linke haben dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt 37 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 416 zu Petitionen – Drucksache 17/9054 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen, indem die Koalition dafür und die Opposition dagegen gestimmt hat. Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 417 zu Petitionen – Drucksache 17/9177 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 418 zu Petitionen – Drucksache 17/9178 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 419 zu Petitionen – Drucksache 17/9179 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch Koalition und SPD. Die Linke hat dagegen gestimmt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 420 zu Petitionen – Drucksache 17/9180 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 421 zu Petitionen – Drucksache 17/9181 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Gegenstimmen der Linken. Die übrigen Fraktionen haben dafür gestimmt. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 422 zu Petitionen – Drucksache 17/9182 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Für die Sammelübersicht haben die Koalitionsfraktionen, Linke und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die SPD-Fraktion hat dagegen gestimmt. Die Sammelübersicht ist angenommen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 423 zu Petitionen – Drucksache 17/9183 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Für die Sammelübersicht haben die Koalitionsfraktionen und die SPD gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben dagegen gestimmt. Die Sammelübersicht ist angenommen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 424 zu Petitionen – Drucksache 17/9184 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalition. Die Opposition hat dagegen gestimmt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der kalten Progression – Drucksache 17/8683 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/9201 – Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Nicolette Kressl Dr. Volker Wissing Dr. Barbara Höll Dr. Gerhard Schick – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/9202 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, eine Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Abbau der kalten Progression im Einkommensteuerrecht. Was ist die kalte Progression? Stellen Sie sich vor, jemand bekommt eine Gehaltssteigerung in Höhe von 3 Prozent. Die Inflation, die Preissteigerung, beträgt in dem Jahr ebenfalls 3 Prozent. Dann geht jeder davon aus, dass er einen Kaufkraftausgleich bekommen hat und netto genauso viel in der Tasche hat, um die gleichen Waren wie zuvor zu kaufen. Das ist aber nicht so. Wir haben einen sogenannten steigenden, einen progressiven Steuertarif. Mit jedem Prozent, das Sie mehr an Einkommen erhalten, zahlen Sie 1,7 Prozent mehr Steuern. Diese kalte Progression wollen wir für die unteren und mittleren Einkommen abschaffen. Wir wollen sie reduzieren. Das ist ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP, und das halten wir heute ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie haben schon viel versprochen!) Wir bekennen uns im Steuerrecht zum Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit, das heißt, wenn jemand ein höheres Einkommen erzielt, dann muss er auch mehr Steuern zahlen. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung trauen wir eine steuerliche Leistungsfähigkeit eher nicht zu, deswegen sind etwa 40 Prozent der Bevölkerung von Einkommen- oder Lohnsteuerzahlungen befreit. Wer aber nach der Grundtabelle beispielsweise ein Einkommen in Höhe von 25 000 Euro hat, zahlt für jeden weiteren Euro 29 Prozent Steuern; hat er ein Einkommen von 40 000 Euro, zahlt er bereits 36 Prozent Steuern; hat er ein Einkommen von 50 000 Euro, zahlt er 41 Prozent Steuern. Hat jemand ein sehr hohes Einkommen – die sogenannten Reicheneinkommen ab 250 000 Euro –, so zahlt er 45 Prozent Steuern plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, somit kommen wir auf etwa 50 Prozent. Das ist das Prinzip der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Genau zu diesem Prinzip bekennen wir uns. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir halten es für das steuergerechteste Prinzip. Heute jedoch geht es um kleine und mittlere Einkommen, also um Einkommen bis etwa 55 000 Euro, für die wir diese schleichende, heimliche Steuererhöhung reduzieren wollen. Es ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise die Sozialdemokraten hier nicht mitziehen und sie nicht mehr damit einverstanden sind, dass wir kleine und mittlere Einkommen von Steuern entlasten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist wirklich falsch! Das muss man sagen!) Der Staat – das ist der Bund, das sind die Länder und die Gemeinden – nimmt durch diese schleichende Steuererhöhung jedes Jahr etwa 3 Milliarden Euro ein, in den Jahren 2013 und 2014 werden es somit 6 Milliarden Euro sein. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung war vor wenigen Tagen im Rahmen einer Anhörung zu diesem Thema bei uns im Hause. Es hat deutlich gemacht: Wenn wir den Bürgern diese 6 Milliarden Euro zurückgeben, dann handelt es sich dabei nicht um Steuerausfälle; denn diese Belastungen für den Bürger sind nicht durch das Leistungsfähigkeitsprinzip gedeckt. Das heißt, hier entstehen Einnahmen für den Staat nur aufgrund der Inflation. Das hat nichts mit der Leistungsfähigkeit zu tun; die Einnahmen entbehren einer gesetzlichen Grundlage. Wir in der Koalition haben deutlich gemacht: Das werden wir nicht weiter zulassen. Wir werden den Steuertarif alle zwei Jahre überprüfen und damit zeigen, dass wir den Bürgern das zurückgeben, was ihnen zusteht. Ohne eine höhere Leistungsfähigkeit dürfen die Bürger keine höheren Steuern zahlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die SPD zitiert in ihrem Entschließungsantrag den Sachverständigenrat, der darauf hinweist, dass die kalte Progression durch die Tarifsenkungen der letzten Jahre korrigiert worden sei. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Bund der Steuerzahler, der hierzu bei unserer Anhörung hinreichend Stellung genommen hat. Sie haben nur eines vergessen, nämlich dass sich die gesamten Gutachten auf den Zeitraum bis 2010 beziehen, nicht auf die Jahre 2011 bis 2014. Hier wird nämlich ganz klar – das hat auch der Bund der Steuerzahler deutlich gesagt –: Die Vorgehensweise der Koalition, den kleinen und mittleren Einkommen das zurückzugeben, was dem Staat nicht zusteht, ist im Hinblick auf die Steuerprogression völlig richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie können sich auch nicht damit herausreden, dass der 9. Existenzminimumbericht 2012 noch nicht vorliege. In der letzten Debatte hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Schäuble, deutlich gemacht, dass der steuerfreie Grundbetrag 2012 knapp 1 Prozent über dem steuerfreien Existenzminimum liegt, was 9 Euro ausmacht. Die politische Absicht ist deutlich: Wir wollen diese Entlastung im Hinblick auf die Jahre 2012, 2013 und 2014 durchführen, und Sie versuchen, das aus politischen Gründen zu blockieren. Das wird der Bürger in den nächsten Wochen und Monaten nicht honorieren. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ist das jetzt eine Gegenleistung oder keine?) Wichtig in diesem Zusammenhang ist – das ist mir auch persönlich besonders wichtig –, dass wir parallel zu den Steuergesetzen die Konsolidierung des Haushaltes vorantreiben. Wir haben eine Schuldenbremse eingeführt. Sie soll bis zum Jahre 2016 dazu führen, dass wir keine neuen Schulden aufnehmen. Wir werden nach der jetzigen -Planung voraussichtlich sogar schon im Jahre 2014 diese Vorgabe der Schuldenbremse einhalten. Die Diskussion in der Anhörung des Finanzausschusses hat aber gezeigt, dass Sie unserer heutigen Maßnahme nichts entgegensetzen konnten (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!) und ausschließlich darüber diskutiert haben, wie man die Steuern erhöhen könnte. Das gilt für Sie von der Linken ohnehin; aber auch die Grünen und die SPD haben deutlich gemacht: Es geht Ihnen um Steuererhöhungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wir haben 2007 einen Antrag gemacht!) Ich gebe Ihnen eine Empfehlung: Sie sollten einmal im Protokoll der Sitzung vom 6. Juli 2000 nachlesen, wie Herr Poß – er sitzt hier – in einer leidenschaftlichen Rede zum Steuersenkungsgesetz von SPD und Grünen für Steuerentlastungen in einer Größenordnung von 50 Milliarden für Arbeitnehmer, Mittelstand und vor allen Dingen Großunternehmen plädiert hat. Wenn Sie das nachgelesen haben, werden Sie heute einiges in dem Bereich nicht mehr verstehen. Sie sprechen von einer Erhöhung der Steuern in der Spitze. Die Linken, aber auch Herr Hollande und Herr Gabriel, sprechen davon, dass man den Spitzensteuersatz deutlich anheben müsse. Selbst wenn wir den Spitzensteuersatz von 50 auf 70 Prozent anheben würden, -würden wir nicht einmal die Mittel einnehmen, um die Steuerentlastung, die wir jetzt den Bürgern zukommen lassen, zu finanzieren; es wären nicht einmal 6 Milliarden Euro. Um das in ein richtiges Verhältnis zu setzen, sollten Sie sich auch das Gutachten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ansehen, in dem davor gewarnt wird, die Steuern im Bereich der Einkommensteuer oder, wie es von den Oppositionsparteien durchgängig gewünscht wird, im Bereich der Vermögensteuer anzuheben. Dann würde nämlich das passieren, was die größte Gefahr ist: Es gäbe – das gilt besonders für Familienbetriebe – weniger Investitionen, weniger Arbeitsplätze, weniger Sozialabgaben und vor allen Dingen weniger Steuereinnahmen. Unsere Politik, die Politik von CDU/CSU und FDP in den letzten Monaten, hat dafür gesorgt, dass wir wieder eine stabile Wirtschaft in Deutschland haben. Wir haben die wenigsten Arbeitslosen. Wir haben ein sehr hohes Steueraufkommen: Allein von 2010 bis 2013 erreichen wir pro Jahr 83 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, von denen beispielsweise 13,2 Milliarden Euro den Kommunen zustehen. Das ist unsere Wirtschaftspolitik, die für eine starke mittelständische Wirtschaft sorgt. Da wir pro Jahr 83 Milliarden Euro mehr einnehmen, ist es meines Erachtens gerechtfertigt, dass wir den Bürgern, wie wir es vereinbart haben, jetzt 6 Milliarden Euro an unberechtigterweise erhaltenen Steuermehreinnahmen zurückgeben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Lothar Binding hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht eine Replik auf Ihre Bemerkung zum Jahr 2000. Der erste kleine -Unterschied ist, dass man damals in D-Mark gerechnet hat und heute in Euro rechnet. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Nein, nein! Prozente gab es damals auch schon!) Die Zahlen sollte man geschickterweise anpassen, um der Wahrheit näherzukommen. Um der Wahrheit noch einen Schritt näherzukommen, sage ich: Wir wollten damals, als wir allerdings in Europa ein Hochsteuerland waren, den Spitzensteuersatz auf 43 Prozent senken; die CDU/CSU wollte damals aber eine Senkung auf 36 Prozent. Insofern glaube ich, dass sich Ihr Argument irgendwie in Luft auflöst. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Es geht um die Bemessungsgrundlage!) Es scheint doch immer gut zu sein, sich genauer zu erinnern. Zugegeben: In Ihrer Rede haben Sie vorhin die Theorie der kalten Progression nicht falsch beschrieben. Sie haben allerdings an der Praxis, an der Wirklichkeit der Menschen vorbeigedacht, vorbeigeredet und auch -vorbeigeregelt. Denn man muss sagen: Die kalte Progression, die Sie hier abschaffen wollen, existiert in der Praxis für die Menschen nicht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Quatsch! Völlig daneben! – Manuel Höferlin [FDP]: Für die, die keine Steuern zahlen, nicht! Aber sonst doch!) – Man kann das berechnen; wer ein bisschen rechnen kann, kann sich das leicht ausrechnen. Dass Sie die kalte Progression in Wahrheit gar nicht abschaffen wollen, erkennt man daran: Wenn Sie sie abschaffen wollten, würden Sie eine jährliche Anpassung der Kurve, über die wir reden, vornehmen; Sie würden jedes Jahr eine Anpassung durch eine Verschiebung der Grenzsteuersatzkurve nach rechts vornehmen. Das wollen Sie aber nicht, und zwar aus guten Gründen. Deshalb sollten Sie hier in Bezug darauf, was Sie tun oder nicht tun, keine Schimäre aufbauen. Dahinter steckt etwas ganz anderes. Ich bin froh, dass wir überhaupt keinen Wahlkampf haben; insofern ist dieser Gedanke fernab jeder Realität. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der öffentliche Dienst kämpft gerade um Lohnerhöhungen. Diesen Forderungen nach Lohnerhöhungen wird mit folgenden Argumenten begegnet: Kassen leer, kein Geld, Schuldenbremse, Bankenkrise, Europa. Da könnte man an so einiges denken. Für die Konzerne und auch die Hotels war Geld vorhanden. Ich möchte daran erinnern, weil das eine ganz andere Seite aufzeigt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie wollen nur ablenken!) Lassen Sie mich noch ein weiteres Argument anführen, das unsere Sensibilität an dieser Stelle ein bisschen illustriert. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur ein bisschen!) Der Bundesgesundheitsminister Bahr hat in diesen -Tagen ein zentrales Projekt der Regierung vorgestellt, mit dem die Leistungen der Versicherung konsequent auf die Bedürfnisse von an Demenz erkrankten Menschen ausgerichtet werden soll. Das ist ein hehres Ziel, ein gutes Ziel; es klingt auch gar nicht nach Finanzpolitik. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir haben doch kalte Progression als Thema!) – Darauf gehe ich gleich ein. – Das bedeutet: Demenz-patienten (Olav Gutting [CDU/CSU]: Kalte Demenz!) können zusätzlich ein monatliches Pflegegeld von 120 Euro erhalten. Das sind 4 Euro pro Tag. (Holger Krestel [FDP]: Guter Mann, der Herr Bahr!) Dafür haben wir Geld. Für 5 Euro pro Tag haben wir -anscheinend kein Geld mehr übrig. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Das ist kalte -Demenz! Hör doch auf!) Gleichzeitig verursacht diese Regierung durch das jetzt vorgelegte Gesetz Ausfälle von über 6 Milliarden Euro. Das muss man sich einmal vorstellen: Hier wird Sozialpolitik betrieben, und zwar ohne jede Gegenfinanzierung – denken Sie an Ihren Koalitionsvertrag – und somit auf Pump. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir haben 83 Milliarden mehr Steuereinnahmen!) Allein in den Ländern und Kommunen sind Ausfälle von 2,5 Milliarden Euro zu erwarten. Diese können sie im ersten Jahr kompensieren, aber das Gesetz ist auf viele Jahre angelegt, und in den Folgejahren werden die Ausfälle nicht kompensiert. Die Kommunen und die Länder werden große Probleme bekommen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie zahlen doch fast alles alleine!) Wir fragen uns: Warum braucht man dieses Gesetz überhaupt? (Gisela Piltz [FDP]: Dass Sie nicht verstehen, warum man das Gesetz jetzt braucht, wundert mich nicht!) Die Steuerbelastung für Einkommen gleicher Kaufkraft – darüber reden wir, das hat Herr Flosbach auch erklärt – lag im Jahr 2011 deutlich niedriger als im Jahr 1999. Man muss wirklich darüber nachdenken, was Sie mit diesem Gesetz überhaupt erreichen wollen; (Joachim Poß [SPD]: Richtig!) denn in den letzten 16 Jahren gab es zehn Tarifsenkungen. Schon bisher – jetzt komme ich zum Kern der Überlegung – wurde das steuerfrei zu stellende sächliche Existenzminimum alle zwei Jahre neu festgestellt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Bis 2010!) Das steuerlich freizustellende Einkommen wurde bis zum Jahr 2012 festgestellt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: 2010!) Das steuerfreie Einkommen lag immer deutlich über dem Existenzminimum. Wir haben den Bürgern sozusagen schon in der Vergangenheit vorauseilend die Besorgnis vor den Gefahren, die durch die kalte Progression entstehen könnten, genommen. Es gab überhaupt keine kalte Progression. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen – rechnen Sie es sich aus –: Selbst der jetzige Grundfreibetrag von 8 004 Euro liegt noch deutlich oberhalb des verfassungsrechtlich gebotenen Maßstabs für das sächliche Existenzminimum. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Für das Jahr 2012, nicht für 2013!) Damit gibt es die kalte Progression zwar in der Theorie, aber nicht in der Praxis. Sie wollen doch ein Gesetz für die Menschen machen und nicht für ein Lehrbuch; denn das erreicht die Menschen gar nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Alles falsch!) Wir erwarten auch in diesem Jahr eine Anhebung des Existenzminimums. Die gebotene Anhebung des Grundfreibetrages kommt wie in der Vergangenheit automatisch. Was aber wollen Sie jetzt machen? Sie wollen die bisherige Verfahrenstechnik auf gesicherter Datengrundlage durch eine Verfahrenstechnik, die auf ungesicherten Daten und auf einer Schätzung für die Zukunft beruht, austauschen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Nein!) Man muss schon sagen: Wer sich um diese Art Phantomschmerz kümmert, der müsste noch einen substanziellen Grund hinzufügen, warum er dieses Gesetz un-bedingt braucht. Gerade vor dem Hintergrund der vielen bereits gescheiterten Gesetze frage ich Sie: Warum brauchen Sie dieses Gesetz? Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie einen Stufentarif wollen. Diesen sieht keiner, darüber diskutiert keiner. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ein Glück!) – Ein Glück, aber nur, weil die Verabredung aus dem Koalitionsvertrag nicht eingehalten wird. Sie wollen Steuersenkungen – das Wort musste ja noch einmal fallen – in Höhe von 24 Milliarden Euro. Die sind übrigens vertraglich verabredet. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist schon längst Geschichte! Zum 1. Januar 2010! – Manuel -Höferlin [FDP]: Das haben Sie nicht gemerkt!) Ich bin dagegen, aber Sie haben das im Koalitionsvertrag verabredet. Was machen Sie jetzt? Sie kommen mit einem Betrag von über 6 Milliarden Euro, nur um die Formulierung in der Koalitionsvereinbarung irgendwie zu rechtfertigen, damit es nicht so auffällt, dass Sie die nicht erfüllen, und damit der Streit, den Sie darüber haben, möglicherweise nicht öffentlich wird. (Gisela Piltz [FDP]: Wir glauben, dass die Bürger besser mit Geld umgehen können als Sie!) Ich glaube, die Menschen werden das merken. Dass sozusagen die Restgröße der kalten Progression dafür herhalten muss, das halte ich schon für riskant. Ich will nur eine Zahl nennen: Denjenigen, der ein zu versteuerndes Einkommen von 25 000 Euro hat, entlasten Sie jetzt um 70 Euro im Jahr. Wer 70 Euro durch 12 teilen kann, der weiß, was das im Monat bedeutet, und der weiß auch, was Sie mit kalter Progression und deren Gefahren für die niedrigen Einkommen tatsächlich meinen. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Das ist auch Geld! – Zuruf von der FDP: Ist das sozial, was Sie sagen?) Wir erkennen, dass das ein weiterer steuerpolitischer Rohrkrepierer wird, der sich ohne Weiteres in Ihre Gesetzesserie einfügt. Ich nenne das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem Sie vererbte Unternehmenswerte nicht erfassen, also den Reichen sozusagen Geld zurückgeben, Geld schenken. Das Steuervereinfachungsgesetz ist gescheitert. Das Ziel einer Steuererklärung alle zwei Jahre musste zurückgenommen werden. Wer sich die -Serie dieser Gesetze anguckt, der weiß, warum Sie heute so sehr an der Theorie der kalten Progression festhalten. Leider hilft Ihr Gesetz den Menschen nicht. Deshalb werden wir es ablehnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Argumentation, Herr Binding, finde ich, ehrlich gesagt, beschämend. Als wir hier in Deutschland darüber diskutiert haben, ob man die Transferleistungen bei Hartz IV erhöhen muss, haben Sie gesagt: Sie müssen drastisch angehoben werden, weil die Lebenshaltungskosten der Menschen erheblich gestiegen sind. Jetzt geht es darum, unser Steuerrecht den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen. Nun sagen Sie: Bei den Menschen, die arbeiten, gilt diese Argumentation nicht, bei denen sind die Lebenshaltungskosten nicht gestiegen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Kaufen die denn in anderen Supermärkten ein? So muss man die SPD einmal fragen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie können doch nicht zwei Welten schaffen, nämlich eine Welt für Empfänger von Transferleistungen, denen man immer mehr gibt, und eine Welt für Steuerzahler, für die angeblich alles immer besser wird und die man immer höher besteuern kann. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Sie müssen einmal die Frage stellen, ob jemand, der -arbeiten geht und der ein Einkommen im unteren und mittleren Bereich hat, nicht auch höhere Lebens--haltungskosten hat. Deswegen finde ich Ihre Argumentation einen Schlag ins Gesicht von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. (Zurufe von der SPD: Oh!) Es ist eine an den Haaren herbeigezogene und auch leicht zu entlarvende Argumentation von Ihnen. Sie -suchen offensichtlich Gründe auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um diesen hervorragenden Gesetzentwurf nicht unterstützen zu müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da fragt man sich schon: Wo ist die SPD damit angekommen? Sie haben gesagt, die Lebenshaltungskosten seien in Deutschland nicht gestiegen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Habe ich das behauptet? Das habe ich nicht gesagt!) Fragen Sie doch einmal die Menschen in Ihrem Wahlkreis! Das Gegenteil ist nämlich richtig. Weiterhin haben Sie gesagt, in Deutschland gebe es keine kalte Progression. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist völliger Unsinn!) Damit sagen Sie im Grunde genommen, dass die Leute durch die Lohnerhöhungen eine ordentliche Erhöhung ihres Nettoeinkommens haben. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wer hat das denn gesagt?) Gehen Sie einmal in Ihren Wahlkreis! Sprechen Sie einmal mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Löhne im unteren Einkommensbereich verdienen, und fragen Sie sie, ob bei ihnen die Nettoeinkommen und die Kaufkraft in den letzten Jahren durch Lohnerhöhungen kräftig gestiegen sind! (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wären Sie für Mindestlöhne, dann wäre das Problem weg!) Dann werden Ihnen die Menschen das Gleiche sagen wie uns: Nein. Wir arbeiten zwar, aber die Steuern schlagen immer stärker zu. Die Tariferhöhungen führen bei uns nicht zu höheren Nettoeinkommen. – Das sagen uns die Menschen. Deswegen legen wir diesen Gesetzentwurf vor. Sie sollten ihn unterstützen und ihre an den Haaren herbeigezogenen Ablehnungsgründe beiseitelegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wer hat denn diese Lohnpolitik gemacht? Sie!) Dass es eine kalte Progression gibt, haben alle Sachverständigen in der Anhörung einhellig gesagt. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: In der Theorie!) Sie sagen in der Öffentlichkeit immer wieder das Gleiche, nämlich es handele sich dabei um Steuergeschenke auf Pump. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Wir hingegen sagen: Lohnerhöhungen sind keine -Geschenke an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern sie haben sie sich mit ihrer Hände Arbeit verdient. Deswegen ist es Zynismus, wenn die Sozial-demokraten immer wieder von Geschenken sprechen. Lohnerhöhungen sind keine Geschenke. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir sind doch für Lohnerhöhungen! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um Lohngeschenke, sondern um Steuergeschenke!) – Auch die Grünen reden jetzt von Geschenken. Ich sage noch einmal, auch an die Adresse der Grünen: Lohnerhöhungen sind keine Geschenke. Diese haben sich die Menschen mit harter Arbeit verdient. Sie haben nicht das Recht, dies als Geschenke zu diffamieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie sagen immer wieder, das sei auf Pump. Sie wissen es besser. Trotzdem sagen Sie den Leuten bewusst die Unwahrheit. Wir verzichten auf Steuererhöhungen. Wozu muss man denn dafür einen Kredit aufnehmen? Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich doch von diesem Unsinn verhöhnt vorkommen. Die Einnahmen des Staates reduzieren sich durch diesen Gesetzentwurf doch nicht; sie erhöhen sich nur nicht. (Zurufe von der SPD: Ah!) Deswegen bedeutet das: Wenn Sie gegen dieses Gesetz sind, dann sind Sie für Steuererhöhungen im unteren und mittleren Einkommensbereich. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie es doch deutlich, damit die Menschen wissen, wofür Sie stehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dann behaupten Sie – auch das tragen die Grünen wie eine Monstranz vor sich her –, das würde die Kommunen belasten. Das würde die Kommunen doch nur dann belasten, wenn Sie das Geld in den Ländern, in denen Sie regieren, in Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg, auf Landesebene abziehen würden. Wenn Sie das, was der Bund als Ausgleich für diesen Gesetzentwurf zahlt, fair an die Kommunen weitergeben, dann kommt das zu 100 Prozent dort an, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Im ersten Jahr! Künftig nicht!) dann kostet das die Kommunen keinen einzigen Cent. Sie haben es in den Ländern, in denen Sie regieren, in der Hand. Dadurch, dass Sie heute angekündigt haben, dass das die Kommunen Geld kosten würde, haben Sie sich entlarvt: Sie wollen die Kommunen in den von Ihnen regierten Ländern hereinlegen, wie Sie es schon bei unserem Gemeindefinanzreformgesetz gemacht haben. (Lachen bei der SPD – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Herr Wissing!) Damals ist ein Teil der 4 Milliarden Euro in den Kassen der Landesfinanzminister gelandet, anstatt die Kommunen zu entlasten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Politik, die Sie hier betreiben, ist scheinheilig. (Joachim Poß [SPD]: Das haben Sie gerade nötig! Sie sind doch Mister Scheinheilig des Bundestages!) Wir haben mit diesem Gesetzentwurf ein hervorragend berechnetes Konzept zur Entlastung der Bezieher unterer und mittlerer Einkommen und zum Schutz vor höheren Steuern vorgelegt. Mit unserem Steuerprogressionsbericht, der alle zwei Jahre vorgelegt wird, haben wir dafür gesorgt, dass die Intransparenz des Steuersystems beseitigt wird. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt doch alles nicht, was Sie da sagen!) Ich schaue die Grünen an: Sie sind nach außen immer für Transparenz. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch gar nichts mit Transparenz zu tun, Herr Wissing!) Hier wird Transparenz geschaffen. Warum stimmen Sie dann nicht zu? Endlich hören die schleichenden, heimlichen Steuererhöhungen auf. Und wer ist dagegen? Ausgerechnet die Grünen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Weil es nicht stimmt!) An diesem Gesetzentwurf herumzumäkeln, ist kleinkariert. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Den Gesetzentwurf zu machen, ist kleinkariert!) Weil es hier nicht um hohe Einkommen, sondern um -untere und mittlere Einkommen geht, sollten Sie Ihre Blockadehaltung aufgeben. Der Gesetzentwurf ist so nötig, wie er richtig ist. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er kostet 6 Milliarden!) Wir fordern Sie auf, ihn nicht zu blockieren. Sie sind das den Menschen in Deutschland, die Einkommen im unteren und mittleren Bereich beziehen, schuldig. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Die Einzige, der das etwas bringt, ist die FDP!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war eine Theatervorstellung: Herr Wissing als moderner Robin Hood für Arme und Entrechtete. (Beifall bei der FDP) Wenn Sie morgen hier einen Antrag einbringen und 10 Euro Mindestlohn für alle in der Bundesrepublik Deutschland fordern würden, dann könnten wir Ihnen vielleicht ein bisschen glauben. (Beifall bei der LINKEN) Ich will hier klarstellen: Auch die Linke ist für Steuerentlastungen im Bereich der unteren und mittleren Einkommen. Dafür sind wir. Wir haben auch etwas dafür getan. Den Weg, den Sie hier propagieren, können wir aber nicht unterstützen. Das Vorhaben ist falsch, es ist nicht gegenfinanziert, und die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs führt zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Gesetzentwurf gehen Sie an dem Grundproblem der Ungerechtigkeit im derzeitigen Einkommensteuertarif vorbei. Dies haben Ihnen auch Sachverständige in der Anhörung gesagt. Ich erinnere an Stefan Bach vom DIW, der gesagt hat: Natürlich müssen wir im unteren Bereich stärker entlasten, und natürlich haben wir im oberen Einkommensbereich die Möglichkeit, das gegenzufinanzieren. Wer wirklich etwas tun will, um die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen zu entlasten, der muss an den sogenannten Waigel-Bauch herangehen, an den Verlauf des Einkommensteuertarifs. Wir von der Linken haben Ihnen dazu einen Vorschlag vorgelegt: Bei einem durchgehend linear-progressiven Einkommensteuertarif hätten wir keine kalte Progression in der Form, wie wir sie jetzt haben, dann hätten wir nicht das Problem der Stauchung des Tarifs bei Anhebung des Grundfreibetrags. (Beifall bei der LINKEN) In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird außerdem nicht zwischen gewünschter Progression und unerwünschter, sogenannter kalter Progression unterschieden. Der progressive Tarifverlauf in der Einkommensteuer entspricht dem Gerechtigkeitsprinzip des deutschen Steuerrechts, der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dementsprechend sollen höhere Einkommen proportional höhere Steuern zahlen. Dieses Prinzip ist aber leider ausgehebelt worden. Klar ist: Einkommenssteigerungen, die nur inflationsbedingt entstanden sind, verkörpern keine höhere Leistungsfähigkeit und sollten daher auch nicht höher besteuert werden. Nun hatten wir in den letzten zwölf Jahren aber eine Steuerpolitik – das wurde schon gesagt –, die zu einem massiven Abbau der gewünschten Progression führte. Wir hatten in den letzten zwölf Jahren eine gezielte Entlastung insbesondere der Bezieher hoher Einkommen. Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Beispiele nennen: Erstes Beispiel ist die Absenkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer von 53 Prozent bis zum Jahr 1999 auf 42 Prozent im Jahr 2005. Zweites Beispiel ist die Herauslösung der Kapitaleinkünfte aus der regulären Einkommensteuer durch die Abgeltungsteuer; dies wurde von der Großen Koalition umgesetzt. Da die Abgeltungsteuer nur einen Steuersatz hat – er liegt bei 25 Prozent –, sind Kapitaleinkünfte seit 2009 nicht mehr von der kalten Progression betroffen. Von der sowieso schon niedrigeren Besteuerung von Kapitaleinkünften profitieren eindeutig die Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen; denn nur sie haben so viel Einkommen, dass sie tatsächlich Kapitaleinkünfte erzielen können. Wenn nunmehr hohe Einkommen durch die vorgesehene Rechtsverschiebung des Tarifverlaufs über die Anhebung des Grundfreibetrages hinaus entlastet werden sollen, dann ist das angesichts des vorangegangenen massiven Abbaus der gewünschten Progression regelrecht eine Verkehrung der Tatsachen. Der Abbau der kalten Progression wird von Ihnen instrumentalisiert, um die Verteilungsposition der Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen weiter auszubauen und zu zementieren. Sie vergrößern durch Ihren Gesetzentwurf die Schere zwischen Arm und Reich. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Zur geplanten Erhöhung des Grundfreibetrags sage ich Ihnen Folgendes: Natürlich ist eine Erhöhung notwendig. Aber die vorgeschlagene Anhebung ist viel zu gering. Das liegt daran, dass die Kriterien, die der Berechnung zugrunde liegen, unzureichend sind. Ich möchte darauf verweisen, dass Ihnen zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Grundfreibetrag von etwa 9 300 Euro vorgeschlagen hat. So steht es auch in unserem Vorschlag. 9 300 Euro steuerfreier Grundfreibetrag – das wäre eine Abbildung der Realität. Was machen Sie? Sie instrumentalisieren auch diese Frage wahltaktisch. Sie gehen eben nicht nach dem bewährten Verfahren vor, nach dem die Anpassung alle zwei Jahre nach Veröffentlichung des entsprechenden Berichts vorgenommen wird. Sie ziehen einen Gesetzentwurf locker aus der Tasche und sagen: Wir machen jetzt eine kleine Anhebung, egal ob wir neue Zahlen haben oder nicht. Das ist doch wunderbar. – Nein, das, was Sie machen, ist Quatsch und eigentlich sträflich. (Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sagt die PDS!) Ich muss Ihnen auch sagen: Sie haben auf einmal die kalte Progression als großes Thema entdeckt. Die Linke hat hier bereits im Jahre 2007 einen Antrag eingebracht, in dem wir gefordert haben, dass überprüft wird, ob es eine kalte Progression gibt, und wenn ja, wie sie sich auswirkt und wie man darauf reagieren kann. Diesen Antrag haben Sie hier einmütig abgelehnt. Das Thema fanden Sie alle nicht so interessant. Wir haben Ihnen verschiedene Vorschläge unterbreitet. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da war doch ein SPD-Finanzminister, oder? Der hieß Steinbrück, glaube ich!) Nun haben wir darüber diskutiert und im Finanzausschuss gefragt, wie die kalte Progression wirkt. Herr Gutting sagte am Mittwoch, in den letzten Jahren habe sie eigentlich gar nicht gewirkt, wir würden ja über die Zukunft reden. Sie haben nicht einmal belastbare Zahlen. Das ist ein Problem. Sie wollen also jetzt etwas verändern, obwohl es dazu keine belastbaren Zahlen gibt. Sie agieren hier völlig freischwebend im Raum und verkaufen das als seriöse Politik. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Das, was Sie machen, ist völlig verkehrt. Wir müssen das Problem grundlegend im Einkommensteuertarif angehen. Ich möchte noch einmal die Zahlen nennen. Nach Ihrem Vorschlag wird ein Lediger mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von etwa 15 000 Euro monatlich 8,30 Euro einsparen. Das ist gewaltig. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30 000 Euro beträgt die Ersparnis 14,50 Euro. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Monatlich! Das ist doch gut!) Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60 000 Euro beträgt die monatliche Entlastung 31,50 Euro. Betrachten Sie ruhig die absoluten Zahlen; denn sie spiegeln das wider, was man im Portemonnaie hat und was nicht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben das mit der Progression noch nicht verstanden!) Wenn Sie im Bereich der unteren und mittleren Einkommen wirklich Entlastungen erzielen wollen, dann brauchen wir einen durchgehend linear-progressiven Tarif. Nach unserem Vorschlag – 14 Prozent Eingangssteuersatz, 53 Prozent Spitzensteuersatz, 9 300 Euro steuerfreier Grundbetrag – würde der Ledige mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von 15 000 Euro monatlich um 41,50 Euro entlastet werden, bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30 000 Euro sogar um 102 Euro. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir einen gegenfinanzierten Vorschlag vorgelegt. Das unterscheidet uns grundlegend. (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen minimale Veränderungen im unteren Bereich, und oben wollen Sie mehr entlasten, und das sogar noch auf Pump. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Oben ist doch gar keine Entlastung!) Nach unserem Vorschlag würden alle mit einem Monatseinkommen von bis zu 5 850 Euro, das entspricht einem Jahreseinkommen von 70 000 Euro, durch eine stärkere Belastung der Einkommen im oberen Bereich entlastet werden. Herr Wissing, weil Sie im Hinblick auf die kleinen und mittleren Einkommen eine dicke Lippe riskiert haben, muss ich Ihnen sagen: Sorgen Sie lieber erst einmal dafür, dass möglichst viele Menschen überhaupt in die Situation kommen, Einkommensteuer zu zahlen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das tun wir! Sehen Sie sich doch die Arbeitslosenzahlen an! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir hatten noch nie so wenige Arbeitslose!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Frau Präsidentin, mein letzter Satz. – Diejenigen, die noch nicht einmal einen Mindestlohn bekommen, und diejenigen, die Minijobs haben und zum Amt müssen, um aufzustocken, – (Dr. Volker Wissing [FDP]: Jetzt sagen Sie am besten noch etwas zur Finanztransaktionsteuer! Dann haben wir dieses Thema auch abgehakt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): – haben von diesen Peanuts nichts. Auch diese Menschen müssen endlich von ihrer Arbeit leben können. Das ist das Hauptproblem. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Dr. Volker Wissing [FDP]: Jetzt hat mir aber die Finanztransaktionsteuer gefehlt, Frau Kollegin! Wie schade!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Verteilungssituation von heute mit der von 1970 vergleicht, stellt man fest: Es hat sich viel verschoben, und das, obwohl Deutschland schon 1970 ein marktwirtschaftliches Land war. Würde man die großen und die kleinen Einkommen so verteilen, wie es 1970 der Fall war, müsste man dem reicheren Teil der Bevölkerung 1,5 Billionen Euro abnehmen und diesen Betrag den unteren 90 Prozent der Bevölkerung zukommen lassen. (Joachim Poß [SPD]: Das ist richtig!) Dann hätten die unteren 90 Prozent der Bevölkerung pro Kopf 20 000 Euro mehr in der Tasche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) So hat sich die Verteilungssituation entwickelt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Ist das etwa der Vorschlag der Grünen? Das ist ja interessant! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Aber wir wollen Verteilungsgerechtigkeit!) Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welche Steuerpolitik braucht Deutschland? „Es müsste Sie doch mindestens genauso sehr besorgen wie mich, dass drei Viertel der in Deutschland lebenden Bevölkerung die derzeitige Einkommens- und Vermögensverteilung als ungerecht empfinden.“ In einer Zeit, in der bei Sozialleistungen gespart werden muss, ist das „nicht nur eine Frage der öffentlichen Akzeptanz, sondern auch eine Frage, wie man sich die Herstellung der Verteilungsgerechtigkeit im Hinblick auf das Steuersystem vorstellt“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) – Da hätten jetzt auch Sie von den Koalitionsfraktionen klatschen können. Das war nämlich ein Zitat von Norbert Lammert, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, vom 8. März 2012. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Dem stimmen wir ja auch zu! – Gisela Piltz [FDP]: Sie klatschen bestimmt auch nicht bei jedem Zitat von Frau Höhn, oder?) Sie, Herr Flosbach, haben vorhin mit Ihrem Zwischenruf deutlich gemacht, dass Sie diese Position als Umverteilungssozialismus bezeichnen würden. Dabei hat der Mann natürlich recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Er spricht damit vielen Menschen aus der Seele. Ich sage Ihnen: Wenn wir über dieses Thema diskutieren, dürfen wir nicht abstrakt über irgendwelche Tarife reden. Denn dann kann vieles ganz galant unter den Tisch gekehrt werden, und es kann ein völlig falscher Eindruck entstehen. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Gut! Dann reden Sie doch jetzt mal konkret!) Die Rede von Volker Wissing war leider diesbezüglich sehr aufschlussreich. In den letzten Wochen gab es in Deutschland eine Diskussion über das Einkommen von Spitzenmanagern, und zwar am Beispiel von Martin Winterkorn, dem Vorstandsvorsitzenden der Volkwagen AG, der 17,5 Millionen Euro im Jahr verdient. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wer hat das beschlossen?) Im Hinblick auf Ihr Steuergesetz stellt sich jetzt die Frage: Wollen wir, dass er steuerlich entlastet wird, oder wollen wir, dass er steuerlich mehr belastet wird? (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er wird nach diesem Gesetz doch gar nicht entlastet! Das ist doch völliger Quatsch!) An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen Regierung und Opposition deutlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sagen Sie den Menschen doch, dass es Ihnen nicht um die Bezieher kleiner Einkommen geht, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist ganz dummes Zeug, was Sie reden!) sondern dass Sie die Bezieher großer Einkommen in dieser Gesellschaft entlasten wollen! Das ist Ihre Steuerpolitik. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Völliger Blödsinn, was Sie da sagen! Wir wollen die kleinen Einkommen entlasten!) – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen und mit Zahlen kontern. Sie merken ja selbst, dass Sie hier einen wunden Punkt haben. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben damals 42 Prozent Steuerprogression verlangt! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Mann, Mann! Jetzt reicht es aber!) – Stellen Sie bitte eine Zwischenfrage. Dann hätte ich Zeit, darauf einzugehen, und könnte das ausführlich widerlegen. Aber das trauen Sie sich ja nicht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das können Sie eben nicht widerlegen! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Dann stellen Sie doch eine Frage!) Diese Forderung damals kam im Bundesrat vonseiten der Union. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Ach was! Erzähl doch nichts!) Betreiben Sie doch keine Geschichtsklitterung! Der Punkt ist: Das Steuergesetz, das Sie auf den Tisch legen, wird dazu führen, dass die Hälfte der Entlastungen bei den oberen 20 Prozent der Steuerpflichtigen ankommt. Aber hier faseln Sie davon, dass es Ihnen um die Bezieher kleiner Einkommen geht. Das stimmt einfach nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Sie haben gesagt: Es ist wichtig, die kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten. – Unser Vorschlag verfolgt genau dieses Ziel. Wir schaffen das, ohne die öffentlichen Haushalte mit neuen Schulden zu belasten, (Dr. Volker Wissing [FDP]: Wir auch!) weil wir eine Gegenfinanzierung vorschlagen. Sie tun das nicht. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Ja! Weil man keine braucht! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Natürlich! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 6 Milliarden Euro, Herr Wissing! Nehmen Sie die etwa aus der Portokasse?) Wir wollen den Grundfreibetrag höher als Sie anheben, nämlich auf 8 500 Euro. Wir entlasten die Empfänger unterer Einkommen wirklich. Das können wir schon für 2013 darstellen. Wenn man wirklich entlasten will, dann kann man das auch tun. Man muss das aber so machen, dass man die öffentlichen Haushalte schont. Man kann den Menschen auch klar sagen, um was es geht, und muss nicht mit irgendeiner schiefen Argumentation tricksen, wie Sie das hier getan haben. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie waren fünf Jahre lang der Defizitsünder in Europa! Hören Sie nur auf mit Haushalt!) Ich möchte abschließend auf den Punkt „kalte Progression“ zu sprechen kommen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Endlich! Eine Minute noch!) Sie sagen: Wir müssen die Wirkungen der Inflation berücksichtigen. – Sie haben uns einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem Sie das vorschlagen – aber natürlich nur für den Einkommensteuertarif. Daran sieht man, dass Sie in diesem Punkt die Scheuklappen aufsetzen. Sie wollen damit nämlich nur begründen, dass bei der Einkommensteuer in dem Bereich, wo die Empfänger hoher Einkommen entlastet werden, eine Korrektur erfolgt, wenn die Inflation Wirkungen auf das Verteilungssystem und auf die Tarife hat, in anderen Bereichen aber nicht. Nehmen Sie die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. Von 2005 bis 2012 stieg diese um 7,7 Prozent. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch etwas ganz anderes! Da haben Sie einen Gegenleistungsanspruch!) Die Inflationsrate betrug 12,7 Prozent. Dadurch sparen Gutverdienende 300 Euro im Jahr. Über diese Wirkung der Inflation reden Sie nie; denn vor diesem Hintergrund müssten Sie auch einmal Höherverdienende belasten, und das tun Sie nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Oder schauen Sie sich den Behindertenpauschbetrag an. Seit 1975 wurde er nicht angepasst. Wenn Sie die Inflation bei der Bemessung der Tarife und der Abgaben berücksichtigen wollen, dann tun Sie das doch bitte auch bei den Sozialabgaben. Dann sind wir auch dabei. Das war unser Vorschlag im Ausschuss. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Da haben Sie doch einen Gegenleistungsanspruch! Das ist etwas ganz anderes! Bei Steuern haben Sie keinen Gegenleistungsanspruch!) Aber nein, Sie wollen das ausschließlich auf den Bereich konzentrieren, in dem es zu Verteilungswirkungen kommt, die Ihrem Wunsch für unsere Gesellschaft entsprechen. Dies lehnen wir ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich fasse zusammen: Wir Grüne machen einen Vorschlag, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Steuern rauf!) der keine zusätzliche Belastung für die öffentlichen Haushalte bedeutet und die Kommunen, die Länder und den Bund nicht zu höheren Schulden zwingt. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Genau! Steuer-erhöhungen!) Wir machen einen Vorschlag, der die Empfänger kleiner bzw. geringer Einkommen wirklich entlastet, und wir sorgen dafür, dass die Menschen, die in diesem Land sehr gut verdienen, nämlich die obersten 10 Prozent, mehr beitragen, damit die Steuerpolitik wirklich zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt, was sich drei Viertel der Menschen in diesem Lande wünschen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Hans Michelbach hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Tag gehen wir einen richtigen Schritt dahin, dass die Steuererhebung in Deutschland gerechter und leistungsfreundlicher wird. Das ist ein guter Tag. Wir entlasten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinem und mittlerem Einkommen, deren Lohnzuwächse der vergangenen Jahre durch die kalte Progression zu ungewollten, geradezu heimlichen Steuererhöhungen geführt haben. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist falsch! Das stimmt gar nicht!) Es geht uns um einen fairen Anteil der arbeitenden Bevölkerung an den selbst erarbeiteten Löhnen und Lohnzuwächsen. Wir geben die Aufschwungdividende heute zurück. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wer hat das aufgeschrieben?) Unser Gesetz stellt sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger in den Jahren 2013 und 2014 von zu hohen Wirkungen der kalten Progression entlastet werden. Die Koalition sorgt dafür, dass diejenigen, die sich in der Krise zurückgehalten haben und jetzt Lohnsteigerungen erwarten, diese auch vermehrt behalten können, indem sie gerechter besteuert werden. Unser Ziel bzw. unser Anliegen heißt: Mehr netto vom Brutto! Arbeit muss sich lohnen. – Das ist der richtige politische Ansatz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Entlastungsbeträge geben wir den Menschen zurück. Wir geben ihnen das zurück, was der Staat inflationsbedingt quasi ohne rechtliche Grundlage erhalten hat. (Zurufe von der SPD: Was?) Das ist ein gerechter und leistungsfreundlicher Weg. Unser Prinzip heißt: Besteuerung nach Leistungsfähigkeit – und nicht nach Ideologie, wie wir das gerade von den Grünen gehört haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die kalte Progression bedeutet eine jährliche heimliche Steuererhöhung. Das ist das Problem, das wir jetzt lösen. Wir haben außerdem einen Entschließungsantrag eingebracht, der darauf abzielt, dass uns ab der 18. Legislaturperiode alle zwei Jahre von der Bundesregierung ein Steuerprogressionsbericht vorgelegt wird, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber nur für die Einkommensteuer!) der aufzeigen soll, ob wir Geld an die arbeitende Bevölkerung zurückgeben müssen. Das ist ein wichtiger Schritt, der bisher unterlassen wurde, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Unserer Meinung nach gehört das Geld zuerst den Menschen und nicht dem Staat, wie Rot-Grün das immer will. Es ist schon sehr erstaunlich, dass sich ausgerechnet Rot-Grün dieser wichtigen Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verweigern möchte. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es ist doch gar keine!) Meine Damen und Herren von der Opposition, mit Ihrer Blockadehaltung, die Sie hier einnehmen, versündigen Sie sich an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Durch Ihre bisherige Blockade lassen Sie meiner Meinung nach Ihre Maske fallen. Eigentlich wollen Sie immer nur Steuererhöhungen, Steuererhöhungen, Steuererhöhungen. Dabei wollen Sie mit Neiddebatten Politik machen; das ist klar erkennbar. Wenn man aber Geld zurückgeben will, dann sind Sie nicht dafür. Dann schlagen Sie sich in die Büsche. Es geht Ihnen um noch mehr Staat und um noch mehr Umverteilung. Ich will Ihnen sagen: Die Steuererhöhungspolitik von Rot-Grün braucht dieses Land nicht. Wir brauchen leistungswillige Bürgerinnen und Bürger, um Wachstum zu erzielen, um Arbeitsplätze zu schaffen und um Investitionen zu ermöglichen. Wir brauchen aber nicht diese Neid- und Umverteilungsideologie, die Sie hier immer wieder an den Tag legen. Wir haben gerade gehört, dass dazu sogar eine Vermischung von Steuern und Abgaben stattfinden soll. Das ist völliger Unsinn. So etwas habe ich in diesem Hause bisher noch nie gehört. Wir dürfen feststellen, dass im Verhältnis zur gezahlten Steuer die Entlastung gerade der unteren Einkommensgruppen bei Umsetzung dieses Gesetzes am größten ist. So wird ein alleinstehender Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoarbeitslohn von 30 000 Euro aufgrund der Tarifänderung 2014 jährlich etwa 150 Euro weniger Steuern zahlen müssen als nach dem geltenden Recht. Wenn Sie diese 150 Euro verhohnepipeln und den Leuten sagen, das sei nichts wert, das sei zu wenig, dann kann ich Ihnen nur sagen: 150 Euro sind für viele Menschen in diesem Land viel Geld. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dies entspricht einer Entlastung von 3,4 Prozent der bisherigen Steuerzahllast dieses Steuerzahlers von 4 328 Euro Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag. Wenn wir 3,4 Prozent zurückgeben, ist das ein wirklich guter Ansatz. Dies sind keine Steuergeschenke, sondern es handelt sich um den Verzicht auf ungewollte, heimliche Steuererhöhungen. Wenn Sie sagen, das Steuergeschenk von 6 Milliarden Euro sei zu hoch, weil dadurch die Schuldenbremse nicht eingehalten werden könne, dann sage ich Ihnen: Das ist grundsätzlich falsch. Das ist das falsche Fazit. Wir sind die Ersten in Europa, die die Schuldenbremse einhalten. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Sie haben sie doch noch kein Jahr eingehalten! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Da wollen wir mal gucken! Eingehalten haben Sie sie noch nicht!) Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir den richtigen Weg eingeschlagen, indem wir bis zum Jahr 2016 fast eine Nettoneuverschuldung von null erreichen wollen. Das ist solide Politik. Das ist die richtige Haushaltspolitik, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir verstehen Steuerpolitik als Wachstumspolitik. Denn wir wissen, dass die Basis aller Staatsfinanzen die Arbeit der Bürger unseres Landes und die wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen sind. Mit einem größeren finanziellen Spielraum ist eine Voraussetzung geschaffen für mehr Konsum, mehr Arbeitsplätze und mehr Investitionen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie die 10 Prozent der Steuerzahler, die dem Spitzensteuersatz unterliegen und die meisten Steuern zahlen, immer wieder verketzern, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die haben aber 150 Prozent der Einkommen!) dann schaden Sie diesem Land. Diese Leute zahlen nahezu 60 Prozent des Aufkommens aus der Einkommensteuer, tragen ein Risiko und schaffen letzten Endes Arbeitsplätze. Deswegen ist es völlig falsch, dass Sie diese Leute immer an den Pranger stellen. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stellen sie gar nicht an den Pranger!) Wir brauchen diese Leute. Wir wollen sie nicht durch Ihre Steuererhöhungspolitik ins Ausland treiben. Der richtige Weg ist eine wachstumsorientierte Steuerpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wer soll Ihnen das glauben?) Die Entlastung der Menschen ist das Gebot der Stunde. Ich kann Sie nur ersuchen, sich nicht aus wahltaktischen, ideologischen Gründen dieser für die Menschen wichtigen Entlastung zu verweigern. Kehren Sie um! (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Kehren Sie um“, was ist das denn?) Beenden Sie die Blockade in Ihrem Kopf! Gehen Sie mit uns den Weg der Entlastung der Steuerzahler, insbesondere der arbeitenden Menschen in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten Prediger werden sollen! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Und die CSU muss Kindergärten finanzieren!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der letzten Rede konnte man einen etwas schiefen Eindruck bekommen, vor allem die, die jetzt neu dazugekommen sind. Deswegen möchte ich hier noch einmal kurz erwähnen: Es geht um den Abbau der kalten Progression. Bei diesem Begriff fröstelt es jeden, keiner will davon betroffen sein, wenn auch keiner so richtig weiß, was das eigentlich ist. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Doch!) Ich sage es einmal so: Der vorliegende Gesetzentwurf hat einen ganz kleinen guten Teil und einen sehr großen schlechten Teil. Ich fange mit dem kleinen guten Teil an, sonst vergesse ich ihn am Ende, weil er so klein ist. (Beifall des Abg. Bernd Scheelen [SPD]) Es wurde schon angedeutet: In Zukunft – dies wurde in einem Entschließungsantrag gefordert; dem haben wir zugestimmt – soll alle zwei Jahre von der Regierung eine Vorlage gemacht werden, in der dargelegt werden soll, ob es weiterhin eine kalte Progression gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dabei geht es um den sogenannten Steuerprogressionsbericht. Das ist schon einmal ein gutes Ansinnen, weil wir gar nicht wissen, ob die Betroffenheit, die wir zu spüren glauben, vorhanden ist. Diesem Teil haben wir zugestimmt; wir sind ausdrücklich dafür. Dem anderen Teil können wir aber nicht zustimmen. Es geht darum, ein Problem zu lösen, das im Normalfall gar keines ist. Sie sagen einfach: Wir erhöhen den Grundfreibetrag mit Blick auf den Existenzminimumbericht, der erst Ende 2013 vorliegen wird. Mit Blick in die Zukunft erklären Sie: Es wird wahrscheinlich nötig sein, den Grundfreibetrag zu erhöhen, und zwar um 4,4 Prozent. Gleichzeitig erhöhen wir den Tarif, um eine Stauchung zu vermeiden, wie das der Finanzminister das letzte Mal erklärt hat. Natürlich muss das Existenzminimum steuerfrei bleiben. Das wollen wir alle. Das will das Bundesver-fassungsgericht; es hat uns aufgegeben, diese Vorgabe umzusetzen. Aber wir wollen die Anpassung des Grundfreibetrages nicht unnötigerweise vorziehen. Es gibt überhaupt keinen Grund, das jetzt zu tun. (Beifall bei der SPD) Weil das schon für die Jahre 2013 und 2014 gilt, könnte man vermuten, dass das irgendwie mit den Wahlen zusammenhängt. Die Vermutung steht im Raum: Nach 2014 wird es dies nicht mehr geben, weil dann andere regieren, die dieses Gesetz wieder aufheben werden. (Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Das hängt nur mit dem Zustand der FDP zusammen! Das war heute bei Herrn Wissing zu besichtigen!) Es geht dabei um einen Ausgleich von Inflation und Lohnerhöhung. Kurz gesagt, dadurch haben die Menschen nachher weniger Geld als vorher; jedenfalls ist das Befinden so. Deswegen ändert man sowohl das Tarifmodell als auch die Tarifstruktur, will also etwas Grundlegendes ändern. Man macht es aber nur formal, nicht grundsätzlich. Man könnte ja sagen: Man ändert den gesamten Tarifverlauf und sorgt so für Steuergerechtigkeit. Sie reden immer davon, den Waigel-Buckel abzuschaffen. Das machen Sie aber nicht. Sie sagen: Wir erhöhen den Grundfreibetrag ein bisschen und ändern den Tarifverlauf ein bisschen. Damit schaffen wir Steuergerechtigkeit. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen nichts!) Ich denke, das kann nicht die Antwort auf die Steuerprobleme unseres Landes sein. (Beifall bei der SPD) Die SPD hält weder die Anpassung zum jetzigen Zeitpunkt für nötig, noch glauben wir, dass es das Problem der kalten Progression in den letzten Jahren gegeben hat. Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten 2011/2012 festgestellt, dass es diese Effekte nicht gab, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Bis zum Jahr 2010!) weil durch verschiedene Tarifänderungen, zum Beispiel das Bürgerentlastungsgesetz oder Lohnerhöhungen, der Effekt der kalten Progression bei den Bürgern nicht angekommen ist. Wie gesagt, wir haben es im Ergebnis mit einer Lösung ohne Problem zu tun. Man verteilt nach dem Gießkannenprinzip 6 Milliarden Euro über das Land. Dieses Geld wird unterschiedlich verteilt – das gebe ich zu –: Die unteren Einkommen erhalten weniger Entlastung, die oberen mehr. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! Völlig falsch!) – Natürlich stimmt das. Meine Vorredner haben es schon gesagt: Ein Lediger, der ein Einkommen von 30 000 Euro versteuert, erhält eine Entlastung von 12,50 Euro. Das mag eine ganze Menge für den Einzelnen sein. Wir müssen allerdings schauen: Wie finanzieren wir das eigentlich? Sie sagen: Okay, es gibt keine Mindereinnahmen; wir haben einfach nur weniger Mehreinnahmen. – Nur, diese geringeren Mehreinnahmen von 6 Milliarden Euro haben Sie im Prinzip schon eingespeist: bei der Schuldenbremse, also bei der Konsolidierung des Staatshaushaltes. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir halten alle Grenzen ein, im Gegensatz zu Rot-Grün!) Sind diese 6 Milliarden Euro plötzlich übrig? Wo kommen sie jetzt auf einmal her? Wir wären mit der Konsolidierung des Staatshaushaltes viel schneller fertig, wenn wir die 6 Milliarden Euro wenigstens gegenfinanziert hätten. Dazu habe ich jeglichen Vorschlag von Ihnen vermisst. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissing zulassen? Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ja. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. (Joachim Poß [SPD]: Der musste noch kommen!) Dr. Volker Wissing (FDP): Frau Kollegin, nachdem Sie jetzt schon die zweite Rednerin in dieser Debatte sind, die behauptet, dieser Gesetzentwurf entlaste höhere Einkommen stärker als niedrige, (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Natürlich!) möchte ich Ihnen einmal folgende Fragen stellen: Teilen Sie meine Auffassung, dass durch den Verlauf unseres linear-progressiven Tarifs ein besonders steiler Tarifanstieg bei den unteren und mittleren Einkommen stattfindet und dass sich die kalte Progression in diesem Bereich besonders stark auswirkt? Ist es nicht so, dass sich dann, wenn man die kalte Progression abbaut, die Reduzierung der Steuermehrbelastungen auch bei den unteren und mittleren Einkommen denklogisch am stärksten auswirken muss? Teilen Sie meine Auffassung, dass die Behauptung, wir belasteten höhere Einkommen stärker, eine von Ihnen erfundene Falschinformation ist? (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ich habe Ihnen eben erklärt, dass wir in den letzten Jahren den Effekt einer kalten Progression nicht hatten, zum Beispiel durch Entlastungsgesetze und durch Lohnerhöhungen. Lohnerhöhungen erfolgen in der Regel prozentual. Eigentlich könnten Sie mir bestätigen, dass eine 6,5-prozentige Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst für die unteren Einkommen in der Summe geringer ausfällt als für die oberen Einkommen. Daher ist davon auszugehen, dass jede positive Wirkung auch eine negative Seite hat. Das heißt, wenn man entlastet, dann entlastet man natürlich progressiv. Von Ihrem Gesetz haben die unteren Einkommen daher deutlich weniger als die oberen Einkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Völlig falsch! Die unteren Einkommen zahlen fast gar keine Steuern!) Darüber habe ich geredet. Ein Ausfall von 6 Milliarden Euro – darüber habe ich eben gesprochen – bedeutet für Länder und Kommunen ein Minus von 2,4 Milliarden Euro; allein auf die Kommunen kommt wahrscheinlich ein Ausfall von 600 Millionen Euro zu. Wir können uns alle vorstellen: Wenn jemand im Monat 12,50 Euro mehr in der Tasche hat, freut er sich darüber nicht allzu sehr, wenn seine Kommune gleichzeitig noch weniger Geld hat und er entsprechend mehr für Eintrittsgelder und andere Dinge zahlen muss. Das heißt, dieses Gesetz wird keine positive Wirkung auf die Bezieher niedriger Einkommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Im Ergebnis fehlt das Geld an anderen Stellen. Wir haben es vorhin schon gehört: Wir bräuchten dieses Geld dringend an anderen Stellen. Nach dem Jahr der Pflege, von dem keiner etwas mitbekommen hat – demnächst tritt in Kraft, dass für die Betreuung von Schwerstpflegefällen 4 Euro mehr gezahlt werden –, ist dieses Gesetz ein Witz. Im Pflegebereich werden diese 6 Milliarden Euro dringend gebraucht; doch da hat man sie nicht eingesetzt. (Beifall bei der SPD) Täglich fallen mir Maßnahmen ein, bei denen man dieses Geld besser unterbringen könnte. (Zurufe von der FDP) – Ja, das würde mir einfallen. Wir werden nach der nächsten Bundestagswahl vor diesem Problem stehen, und dann werden Sie sehen, wie wir es lösen werden. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie haben das Problem weiterer Ausgaben nicht!) Wenn das Ganze hier Wahlkampfhilfe für die FDP sein soll, dann wird das nicht fruchten; da können Sie sicher sein. Denn Ihre potenziellen Wähler werden den geplanten Effekt nicht empfinden; aufgrund von Beitragssteigerungen kommt die Entlastung nicht zustande. Wirklich vernünftige, auf Konsolidierung ausgerichtete Haushaltspolitik sieht anders aus. Ich möchte noch etwas zu meinen Vorrednern sagen. Ich finde, die Unterstellung, Rot-Grün hätte zustimmen müssen, weil dieses Gesetz so sozial sei, ist einfach Blödsinn. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man hätte eine soziale Steuergesetzgebung vornehmen können. Das haben Sie verpasst. Allerdings hatte auch Herr Binding unrecht, als er sagte, das sei ein dauerhaftes Gesetz. Das ist natürlich kein dauerhaftes Gesetz. Es wird seine Wirkung höchstens bis 2014 entfalten, weil wir 2013 etwas Besseres vorlegen werden. (Gisela Piltz [FDP]: Das haben Sie in der Vergangenheit bewiesen!) In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniel Volk (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Arndt-Brauer, Sie haben ja eine sehr erhellende Ankündigung gemacht. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die war gut! – Joachim Poß [SPD]: Das ist von Ihnen leider nicht zu erwarten!) Sie gehen also schon jetzt davon aus, dass Sie 2014 die Regierungsbank besetzen werden. Ich schlage vor, abzuwarten. Der Wähler hat das letzte Wort, und es zählt, was bei den Wahlen herauskommt. Erhellend fand ich aber, dass Sie ganz offen und unverblümt schon für das Jahr 2014 deutliche Steuererhöhungen, übrigens offenbar auch für die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen, angekündigt haben. Damit zeigt sich das wahre Gesicht derjenigen auf der linken Seite des Hauses. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, wir alle sollten nicht die Augen davor verschließen, dass wir momentan mit Inflationsraten zu leben haben, (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ach was!) die tatsächlich dazu führen, dass der einzelne Steuerpflichtige sehr wohl das Gefühl hat, dass er trotz einer Lohnerhöhung weniger Geld in der Tasche und damit weniger Kaufkraft hat, nachdem seine Einkommensteuer abgezogen wurde. Es bringt auch nichts, wenn von der linken Seite des Hauses geradezu Realitätsverweigerung betrieben und gesagt wird, dieses Phänomen bestehe nicht; wir sollten doch erst einmal einen Bericht abwarten. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Ja, genau!) Herr Kollege Binding, Sie haben gefragt, wo die Menschen sind, die dieses Gefühl haben. Ich spreche mit vielen Menschen mit unteren und mittleren Einkommen, die mir genau dies bestätigen. (Joachim Poß [SPD]: Das sind die Begegnungen der dritten Art! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ich kann doch nicht bestätigen, was es nicht gibt! Sie müssen aufklären!) Ich gehe felsenfest davon aus, dass Sie, wenn Sie bereit wären, mit diesen Menschen zu sprechen, dann auch diese Bestätigung bekommen würden. Verschließen Sie doch nicht die Augen vor dem Phänomen der kalten Progression. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gibt es das? In welchem Jahr gab es die?) Wenn gesagt wird, dass angeblich auf Pump eine Steuersenkung vorgenommen würde, dann ist auch das leider Gottes schlechterdings falsch. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!) Wir nehmen ganz einfach vorweg, dass sich unbeabsichtigte und ungerechtfertigte Steuererhöhungen nicht auf die Portemonnaies der Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen auswirken. Ich darf Sie an einen Punkt erinnern, den Sie möglicherweise mittlerweile verdrängt haben. Im Jahre 2009 haben Sie unter der Verantwortung eines SPD-Finanzministers, Peer Steinbrück, ein Gesetz auf den Weg gebracht, das mit ungefähr 6 Milliarden Euro das gleiche Entlastungsvolumen hatte. Sie haben damals auch den Tarif nach rechts verschoben. Übrigens haben Sie auch den Spitzen- bzw. Reichensteuersatz nach rechts verschoben. Das machen wir nicht. Aber der entscheidende Unterschied zwischen der damaligen und der heutigen Maßnahme ist: Von dem damaligen Entlastungsvolumen von 6 Milliarden Euro mussten Länder und Gemeinden mehr als 50 Prozent in Form von Mindereinnahmen tragen. In unserem Gesetz zum Abbau der kalten Progression übernimmt der Bund den Großteil der Mindereinnahmen, die sich aus dem Abbau der kalten Progression ergeben. Wir unterstützen die Bundesländer und die Kommunen in ihren haushaltsmäßigen Anforderungen und Anstrengungen. Ich sage aber eines ganz ehrlich: Ich habe das Gefühl, dass ausgerechnet in den Bundesländern, wo Sozialdemokraten und Grüne die Regierungsverantwortung übernommen haben, offenbar ein gewisser Hang zu verfassungswidrigen Haushalten besteht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen. Insofern brauchen wir sicherlich keine Belehrung Ihrerseits über das Aufstellen verfassungsmäßiger Haushalte. Wir halten die Schuldenbremse ein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dr. Daniel Volk (FDP): Wir schaffen es, in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Gleichzeitig schaffen wir es, die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entsprechend gerecht zu behandeln. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Olav Gutting hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das war bisher eine recht erhellende Debatte. Wir haben von der Opposition viel gehört, zum Beispiel dass es das Phänomen der kalten Progression überhaupt nicht gebe. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Theoretisch, habe ich gesagt, gibt es das sehr wohl! Aber nicht praktisch!) Kritisiert wurde das Verfahren zur Festlegung des Existenzminimums. Die Linke fordert hier 10 Euro Mindestlohn. (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Die Abgeltungsteuer wurde thematisiert. Die Grünen wünschen sich 1970 zurück und ziehen über Herrn -Winterkorn von VW her. Aber zu dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet werden soll, haben wir von der Opposition relativ wenig gehört. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb will ich noch einmal deutlich machen, wo-rüber wir gleich abstimmen. Im System des progressiv ausgestalteten Einkommensteuertarifs profitiert der Staat von Steuermehreinnahmen, die über den Effekt der kalten Progression – und diesen gibt es – entstehen. Das Zusammenspiel aus Lohnerhöhung, Geldentwertung und Progression in der Einkommensteuer führt dazu, dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, zu einem höheren Durchschnittssteuersatz führen. Wir wollen sicherstellen, dass der Staat nicht von Lohnerhöhungen profitiert, die nicht gleichzeitig zu einer höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen beitragen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Ihr habt doch nichts gelernt!) Das erscheint uns umso wichtiger, als von der kalten Progression gerade die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen überproportional betroffen sind. Es geht um die Beseitigung einer Ungerechtigkeit, die gerade die Bezieher mittlerer und unterer Einkommen trifft. Es geht hier aber nicht um eine Steuersenkung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir diesen Gesetzentwurf nicht verabschieden, dann lassen wir zu, dass es jedes Jahr zu einer heimlichen Steuererhöhung um circa 3 Milliarden Euro kommt. Dann zahlen die Bürger höhere Steuern, obwohl die reale Kaufkraft ihres Einkommens nicht gestiegen ist. Eigentlich wäre es vor diesem Hintergrund doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir hier eine Korrektur vornehmen, damit sich der Staat nicht noch zusätzlich an den bescheidenen Einkommen bereichert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nur, die Damen und Herren von der Opposition stellen sich hierhin und blockieren. Wenn Sie aber meinen, meine Damen und Herren von der SPD, der Linken und den Grünen, dass man mit weiteren Steuererhöhungen – ob versteckt oder offen – den Haushalt konsolidieren könne, dann haben Sie nichts gelernt. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie haben nichts gelernt!) Ihr Getue – Sie sagen, es gehe Ihnen darum, den Haushalt zu konsolidieren – ist wirklich unglaubwürdig. Schließlich fordern Sie an anderer Stelle Mehrausgaben in Milliardenhöhe. Im Übrigen muss man feststellen: In den Haushalten der Länder, in denen die SPD regiert, werden rote Zahlen geschrieben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In Nordrhein-Westfalen ist der Haushalt sogar verfassungswidrig. In den Ländern, in denen die SPD regiert – und das ist eine Tatsache –, geht es auch den Kommunen schlechter. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deswegen nehmen wir Ihnen Ihre angebliche Sorge um den Haushalt hier nicht ab. Dank der guten Wirtschaftspolitik dieser Koalition werden wir im Jahr 2013 die Schallmauer von 600 Milliarden Euro an Steuereinnahmen in diesem Land durchbrechen. Wir alle in der Politik, aber insbesondere Sie in der Opposition müssen endlich lernen, dass wir mit dem vorhandenen Geld auch auskommen müssen. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Sie machen doch ein Gesetz auf Pump!) Gerade in der jetzigen Phase, in der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer schweren Wirtschaftskrise in vielen Betrieben völlig zu Recht eine spürbare Lohnerhöhung erhalten, (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die Wirtschaftskrise noch nicht überwunden!) müssen wir den Menschen in diesem Land eine Perspektive geben, damit sich Arbeit wieder lohnt. Wir müssen ihnen eine Perspektive zum Ausstieg aus der kalten Progression bieten. Lohnerhöhungen, meine Damen und Herren, gehören den Bürgern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie dieses Gesetz mithilfe des Bundesrates weiter blockieren, dann kann ich nur sagen, dass dies eine Attacke auf den Geldbeutel der kleinen Leute ist, die zwar viel arbeiten, aber wenig mit nach Hause bringen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Völliger Quatsch!) Es ist beschämend, dass gerade Sie vonseiten der SPD hier sagen, 150 Euro seien gar nichts. Sie gönnen den Menschen nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel, und das ist von Ihrer Seite beschämend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ihnen: Wir lassen Sie hier nicht raus. Stimmen Sie zu! Helfen Sie mit, gerade die Bezieher mittlerer und unterer Einkommen proportional stärker zu entlasten! Treten Sie beiseite! Machen Sie mit bei diesem Stück mehr Steuergerechtigkeit! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abbau der kalten Progression. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9201, den Gesetzentwurf der Bundes--regierung auf Drucksache 17/8683 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt -dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koali--tionsfraktionen und Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Hier ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte, sie aber abgeben wollte? – Das scheint mir nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1 Wir setzen die Abstimmungen fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9201 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Was ist mit der FDP? – Okay. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Was macht die Linke? – Der Entschließung stimmen Sie zu. Dann haben wir die Zustimmung der Koali--tionsfraktionen, der SPD und der Linken, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unberechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen – Kein Sponsoring der Konzerne durch Stromkunden – Drucksache 17/8608 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Hier ist verabredet, eine Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Unruhe) – Wenn Sie so nett wären, Ihre Besprechungen anderswohin zu verlegen, dann könnten wir mit der Debatte fortfahren. Ich eröffne die Aussprache und bitte jetzt die Kollegin Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke, das Wort zu nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Stunde wird von der Mehrheit des Hauses die Solarstromförderung zusammengestrichen. Die Begründung ist, die Umlage für die erneuerbaren Energien würde durch die Photovoltaik in die Höhe getrieben und das würde Unternehmen und Haushalte belasten. Vor allem die FDP – die quatschen alle noch – hat in diesem Fall ihr Herz für die Harz-IV-Empfänger entdeckt. Abgesehen von der unsinnigen Kürzung: Die Treiber beim Strompreis sind ganz andere. Einer davon ist der unbedingte Wille der Bundesregierung, die energieintensive Industrie von den Kosten der Energiewende zu -befreien. (Beifall des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Genau darum geht es in unserem Antrag, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist diese Politik eine gigantische Umverteilungsmaschine. Das haben wir schon beim vorherigen Debattenpunkt gehört; hier ist das auch wieder der Fall – das ist Kontinuität. Kleine und mittlere Unternehmen zahlen dafür genauso mit höheren Strompreisen wie private Verbraucherinnen und Verbraucher. Ein Hartz-IV-Empfänger subventioniert genauso wie ein Handwerksbetrieb große Unternehmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Eine Unverschämtheit!) Ich denke, so haben sich wohl die Wenigsten die Energiewende vorgestellt. Ich sage Ihnen: Wenn Sie da nichts ändern, dann wird der sozial-ökologische Umbau scheitern. (Beifall bei der LINKEN) Dem Bundeshaushalt entgehen überdies Steuereinnahmen. Allein die Ermäßigungen bei der Ökosteuer für die energieintensive Industrie machen jährlich rund 5 Milliarden Euro aus. In der Summe betragen alle Vergünstigungen dieses Jahr rund 9,3 Milliarden Euro. Das hat eine Studie von Arepo Consult ergeben. Das können wir beweisen. Ich wiederhole: 9,3 Milliarden Euro – das ist in der Summe beinahe genauso viel, wie insgesamt an EEG-Umlage gezahlt wird. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Zweitens behindert dieser Geldsegen auch die Energiewende. Der Umweltverbrauch soll sich ja eigentlich betriebswirtschaftlich niederschlagen; das erzählen Sie uns ja auch immer. Aber das sind leider Sonntagsreden. Oder warum werden gerade jene Firmen von umwelt--politischen Instrumenten entlastet, die am meisten Energie verbrauchen? Wir brauchen Anreize für energiesparende Technologien. Das ist dringend notwendig; und dazu brauchen wir Preissignale. (Beifall bei der LINKEN) Und weil wir gerade dabei sind: Den Emissionshandel hält jetzt sogar schon Eon-Chef Teyssen für tot; und das ist sicher kein Linker. „Er kenne kein Unternehmen in Europa, das noch mit dem Ziel investiert, Kohlen--dioxid zu sparen“, ist in der taz zu lesen. Da schau her. Dies ist kein Wunder bei den jetzigen CO2-Preisen. Sie liegen bei 7 Euro statt bei den angepeilten 25 bis 30 Euro. Dies liegt unter anderem daran, dass die Indus-trie zu viele Zertifikate geschenkt bekommen hat. Das macht einen geldwerten Vorteil in Höhe von 1,4 Milliarden Euro aus. Um nicht missverstanden zu werden: Der Wettbewerb mit außereuropäischen Unternehmen soll fair ablaufen. Es gibt natürlich Unternehmen, die es technologisch nicht schaffen, Energie oder CO2 einzusparen. Wir -wollen nicht, dass die Unternehmen aufgrund umwelt-politischer Maßnahmen abwandern. Das sage ich an -dieser Stelle ausdrücklich; denn Sie alle werden mir das unterstellen. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Mit gutem Recht!) Wertvolle Arbeitsplätze dürfen nicht leichtfertig vernichtet werden. Aber die Frage ist – ich hoffe, Sie antworten darauf –: Welches Unternehmen steht wie stark unter einem Zwang? Wer braucht tatsächlich Hilfe, und wer ist ein Trittbrettfahrer? (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat dafür zwei Kriterien, die so ähnlich auch das Bundesumweltministerium im Jahr 2008 bei den Brüsseler Verhandlungen über das EU-Klimapaket vor Augen hatte. Unterstützung erhalten sollten nur jene Unternehmen, die erstens einen relevanten Teil ihrer Produkte trotz fortschrittlicher Produktionsweise CO2-intensiv herstellen. Diese Unternehmen müssen zweitens zugleich mit diesem Teil ihrer Produktion im tatsächlichen Wettbewerb mit Konkurrenten stehen, und zwar mit Konkurrenten, die keinen vergleichbaren Klimaschutzinstrumenten unterliegen, wie sie in Europa existieren; ich nenne nur Emissionshandel und Förderung der erneuerbaren Energien. Es geht folglich um Konkurrenten im außereuropäischen Ausland. Ich denke, solche Kriterien sind gut und nachvollziehbar, sonst hätten Sie sie als Große Koalition damals nicht vorgeschlagen. Diese Vorschläge wurden letztlich aber vom Wirtschaftsministerium über Bord geworfen. Schade. Wir kennen aber deren Reaktion. Und jetzt profitieren ab 2013 beispielsweise, im Falle der kostenlosen Zuteilung im Emissionshandel, fast alle energieintensiven Unternehmen, egal ob sie in einer solchen Konkurrenz stehen oder nicht. Den öffentlichen Haushalten entgehen Milliarden Steuereinnahmen. Viele Firmen haben schon jetzt mehr kostenlose Zertifikate als sie brauchen. Leistungslose Sondergewinne sind die Folge. Der CO2-Preis befindet sich auch aus diesem Grund im Keller. Infolge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sparen insbesondere die großen Stromverbraucher netto mehr Geld, als sie über die ermäßigte EEG-Umlage bezahlen müssten. Es wird also auch hier nicht einfach ausgeglichen; denn im Vergleich zu einer Welt ohne EEG verdienen energieintensive Unternehmen an jeder bezogenen Kilowattstunde einen halben Cent. Das muss man sich einmal vorstellen. Wenn also eine Firma 4 500 Gigawattstunden Strom verbraucht, dann hat sie einen -Zusatzgewinn von fast 25 Millionen Euro. Bei der Ökosteuer ist es ähnlich. Hier profitieren Firmen des produktiven Gewerbes von der Senkung der Rentenbeiträge. Sie werden aber weitgehend von der Stromsteuer befreit. Die Steuerausfälle in Höhe von 5 Milliarden Euro, wie es im Subventionsbericht der Bundesregierung steht, bräuchten wir für eine soziale Abfederung der Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Das ist aber kein Thema für Schwarz-Gelb. Lieber weiten Sie die Privilegien weiter aus. Gerade wurden die Stromfresser unter den Unternehmen von den Netzentgelten befreit. Alle anderen Unternehmen zahlen dafür rund 300 Millionen Euro. Weitere 500 Millionen Euro sollen künftig zum Ausgleich der emissionshandels--bedingten Strompreiserhöhungen fließen. Empfangs--adresse: die energieintensiven Unternehmen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Bulling-Schröter. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Ich bin gleich fertig. – Ich frage mich also: Wer bezahlt eigentlich dem Otto Normalverbraucher einen -Bonus für gestiegene Strompreise? Das tun Sie nicht. Wir wollen eine industriepolitische Unterstützung, die fair ist, die alle leben lässt, die aber auch zielgerichtet ist. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt; es ging um den Entwurf eines Gesetzes zum Abbau der kalten Progression: Abgegeben worden sind 553 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 310, mit Nein haben gestimmt 243, es gab keine Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 553; davon ja: 310 nein: 243 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Petra Pau Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Jetzt rufe ich auf den Kollegen Dr. Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über den Antrag der Linken reden, dann ist es wichtig, zunächst einmal die Zusammenhänge deutlich zu machen. Es ist auch wichtig, sich zu fragen: Was ist eigentlich die Zielsetzung in diesem Bereich der Energieversorgung? Unsere Zielsetzung sieht so aus: Wir wollen eine nachhaltige Energieversorgung, die sicher und verlässlich ist und die unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll ist. Wir wollen die erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Das tun wir bereits. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum kürzen Sie gleich die Photovoltaikzuschüsse?) Die Energieversorgung muss aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten vernünftig sein. Das heißt, wir brauchen bezahlbare Preise für die Menschen und die Unternehmen in diesem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in Deutschland eine starke Wirtschaft und eine starke Industrie. Darüber sind wir sehr froh. Zu dieser starken Industrie zählen auch sogenannte energieintensive Branchen, die aufgrund ihrer Produktpalette relativ viel Energie benötigen. Wir wollen, dass diese energieintensiven Unternehmen auch in Zukunft in Deutschland produzieren. Wir wollen, dass auch zukünftig in Deutschland Möbel und Papier hergestellt werden, Glas produziert wird und viele andere Produkte mehr. Wir wollen, dass die Arbeitsplätze in diesem Bereich in Deutschland bleiben, die Unternehmen Steuern bezahlen und insgesamt zum Wohlstand in diesem Land beitragen. Das ist unsere klare Zielsetzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch!) Wir fragen uns: Was will die Linke eigentlich? Sie sprechen davon, dass es bei den Energiekosten zu starke Umverteilungen von den Privaten hin zu den energieintensiven Branchen gebe. Sie nennen Zahlen, die zustande kommen, indem Sie verschiedene Dinge in einen Topf werfen, die nicht in einen Topf gehören. In Ihrem Antrag fordern Sie dann, die energieintensiven Branchen im Vergleich zu heute deutlich stärker zu belasten. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Subventionen!) Jetzt fragen wir einmal: Was wäre denn die Folge, wenn wir Ihre Forderungen umsetzen würden? Die Folge wäre, dass die Produktion in diesen Branchen in Deutschland teurer werden würde. Die Folge wäre, dass die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz massiv zurück-gehen würde und dass insgesamt die Standortgunst und -attraktivität sinken würde. Dieses Problem erkennen Sie ebenfalls. In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass im Falle einer drohenden Insolvenz oder Produktionsverlagerung auch künftig Ermäßigungen gewährt werden können. Das eigentliche Problem ist aber, dass all die Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag konkret fordern, darauf abzielen, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen deutlich zu reduzieren. Damit erhöhen Sie die Gefahr, dass es genau zu solchen Verlagerungen kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist das eine Problem. (Zurufe von der LINKEN) Das andere Problem – und das verkennen die Linken total – ist: (Zurufe von der LINKEN: Ja, ja!) Selbst wenn es in dem einen oder anderen Fall infolge dieser Verteuerungen nicht sofort zu einer Verlagerung kommt, dann können die Verteuerungen und die reduzierte Wettbewerbsfähigkeit dazu führen, dass Neuinvestitionen oder Ersatzinvestitionen eben nicht mehr an diesem Standort erfolgen, sondern an anderen Standorten. Damit nehmen Sie einen schleichenden Prozess in Kauf. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dazu hat die Kollegin doch etwas gesagt!) Das entspricht aber nicht unserer Vorstellung. Wir denken in diesem Bereich langfristig; deswegen berücksichtigen wir solche Zusammenhänge. Sie jedoch blenden diese Fragen völlig aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter zulassen? Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Ich würde es gerne im Zusammenhang darstellen. – Ich mache es konkret: Sie fordern, den Spitzenausgleich bei der Ökosteuer deutlich abzusenken. Diesen Spitzenausgleich hatte damals Rot-Grün bei der Einführung der Ökosteuer mit eingeführt. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) Wenn wir den Spitzenausgleich zu stark absenken würden, dann hieße dies in der Konsequenz, dass zum Beispiel die Papierherstellung in Deutschland in bestimmten Bereichen nicht mehr rentabel sein würde. Ich frage Sie schon: Was hätten wir unter dem Strich gewonnen, wenn es so wäre, wenn also die Papierherstellung im Ausland geschähe und wir lediglich die Fertigerzeugnisse importieren würden, aber in Deutschland kein Gramm Papier weniger verbraucht würde? Ich sage es Ihnen: nichts, aber auch gar nichts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Angelika Brunkhorst [FDP] – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist Blödsinn!) Wir hätten auch unter ökologischen Gesichtspunkten nichts gewonnen. Im Gegenteil: Wir haben die Regelungen bei der Ökosteuer an die Voraussetzungen geknüpft – das ist auch Teil des Energiekonzepts –, dass die Unternehmen effizienter werden, Energie einsparen und insgesamt zum Klimaschutz beitragen. Das haben sie im Übrigen gemacht: Viele der energieeffizientesten Unternehmen in diesen Bereichen sind Unternehmen, die bei uns in Deutschland produzieren. Wir wollen, dass dies auch künftig so sein wird. Denn dies macht in jeder Hinsicht Sinn, unter Umweltschutzgesichtspunkten genauso wie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, natürlich wollen wir in gleicher Weise, wie wir auf die Kosten der Unternehmen achten, darauf achten, dass die Preise für die Verbraucher bezahlbar bleiben. Genau deswegen ist es notwendig, dass wir Anpassungen bei den Fördersystemen vornehmen, zum Beispiel im Erneuerbare-Energien-Gesetz; wir führen gleich im Anschluss eine Debatte dazu. Wir ändern die Regelungen, sodass wir zu mehr Kosteneffizienz kommen; wir machen das. Aber von den Linken höre ich an dieser Stelle relativ wenig. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Wenn Sie nicht zuhören! – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Was ist mit den Arbeitsplätzen in der Solarindustrie?) Wir haben über die Energiepreise und die Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Ein anderer Punkt ist aber für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland genauso wichtig wie die Energiepreise: die Versorgungssicherheit. Ich habe es gesagt: Wir bringen die erneuerbaren Energien massiv voran; wir tun dies. Aber wir werden auf lange Sicht nur erfolgreich sein, wenn wir auch die Netze ausbauen und die Speichertechnologien voranbringen. Das sind die eigentlichen Herausforderungen in diesem Bereich. Aber auch hier gilt: Wir brauchen Lösungen gemeinsam mit der Wirtschaft, gemeinsam mit der Industrie. Es hilft überhaupt nicht weiter, hier irgendwelche Gegensätze aufzubauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Kauch [FDP]) Meine Damen und Herren, wir wollen den Umbau der Energieversorgung. Wir wollen die erneuerbaren Energien voranbringen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mir nicht so sicher!) Wir wollen die Energieeffizienz voranbringen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum blockieren Sie dann die Energieeffizienzrichtlinie?) Wir wollen aber eines nicht: die Industrie aus diesem Land treiben und damit Zigtausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. Das ist nicht unsere Politik. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch nur Phrasen!) Deswegen lehnen wir Ihren Antrag heute ab, und zwar aus voller Überzeugung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen machen Sie gar keine Politik! Das ist das Problem in Deutschland!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn sich Abrissexperten einem Gebäude nähern, entfernen sie nicht nur die Fassade der beiden unteren Etagen, sondern sie zerstören so lange tragende Elemente des Gebäudes, bis die noch bestehenden Säulen so viel Gewicht tragen müssen, dass die kleinste Explosion ausreicht, das gesamte Gebäude zu Fall zu bringen. Irgendwie erinnert mich das an die schwarz-gelbe Energiepolitik: (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Jetzt kommt ein Kelber-Gleichnis!) eine künstliche Erhöhung der Strompreise auf die Art und Weise, dass die Finanzierung der Förderung der erneuerbaren Energien, der Netzkosten, aber auch der Umlage bei der Ökosteuer auf immer weniger Schultern verteilt wird, da es immer mehr Befreiungen gibt, sodass am Ende die Privathaushalte und kleinen und mittleren Unternehmen diese Last alleine schultern müssen. Damit gefährdet Schwarz-Gelb die Akzeptanz; die Akzeptanz der Ausnahmen, die am Ende notwendig sind; denn es gibt notwendige Ausnahmen. Rot-Grün hat bei der Einführung der ökologischen Steuerreform und bei der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes solche Ausnahmen eingeführt, und zwar nach klaren Kriterien: Die Unternehmen mussten energieintensiv sein, also einen hohen Anteil an Energiekosten bei ihrem Produkt haben, sie mussten mit ihren Produkten in starkem internationalen Wettbewerb stehen, und sie mussten zertifiziert nachweisen, dass sie die verbrauchte Energie benötigten. Uns allen fallen die Branchen ein, auf die das zutrifft: die Aluminiumindus-trie mit ihrer gesamten Wertschöpfungskette oder die Chemieindustrie. Man kann sogar über einige der Ausnahmen von damals neu nachdenken. Ist die Zementindustrie tatsächlich handelsintensiv? Sind alle Teile der Glasindustrie handelsintensiv? Auch das könnte man prüfen. Es gibt einen Grund dafür, solche Ausnahmen zu gewähren: um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und von der Grundstoffindustrie bis zum Hightechprodukt alles anbieten zu können. Es ist aber auf der anderen Seite notwendig, sie so gering wie möglich zu halten, damit die Lasten fair verteilt werden: wegen der Kosten, wegen des Klimaschutzes und wegen der Akzeptanz in der Gesellschaft. Diese Akzeptanz ist jetzt durch die enorme Ausweitung, die Schwarz-Gelb bei den Befreiungen durchgeführt hat, gefährdet. Allein beim Erneuerbare-Energien-Gesetz belaufen sich die Ausnahmen nach Schätzung des Bundesumweltministeriums – die Frau Staatssekretärin ist hier – auf 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Es ist schon wichtig, das zu debattieren; denn als Nächstes soll die Förderung der Solarindustrie zurückgefahren werden, damit die Menschen weniger Umlage für erneuerbare Energien bezahlen. Ich denke, es ist wichtig, dass die Menschen wissen, warum sie eine Umlage in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bezahlen, von der andere in Deutschland befreit wurden. Im Bereich der Netzentgelte werden wahrscheinlich mehr als 400 Millionen Euro aufgrund der Befreiung einiger auf andere übertragen. Jeder hat das gemerkt, als Anfang des Jahres die Strompreise erhöht wurden. Die Erhöhung kam kaum durch den Betreiber allein – und wenn, dann haben Sie ihn hoffentlich gewechselt –; der Grund war, dass die Netzentgelte angestiegen sind, und zwar nur wegen der Übertragung. Das einzige Kriterium dafür, weniger Netzentgelte zu bezahlen, war, dass man einen hohen Verbrauch hat und nicht etwa ein in der Herstellung energieintensives Produkt. Das ist eine perverse Überlegung; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn das zeigt: Die Strompreise sind nicht wegen der Energiewende gestiegen, sie sind trotz der Energiewende gestiegen. Die Mehrkosten tragen die Privathaushalte und die kleinen Unternehmen: also der Rentner für das befreite Hotel, die Krankenschwester für das befreite Rechenzentrum, der Einkaufsmarkt um die Ecke für den Riesenmarkt auf der grünen Wiese und der Handwerker für die Fabrik. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: -Skandal!) Wie kann man nur auf so blödsinnige Regelungen kommen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Schwarz-Gelb!) Die SPD will bezahlbare Energie für alle. Dazu können auch Ausnahmen und Umverteilungen gehören, aber eng begrenzt. Ich komme daher noch einmal auf die drei Aspekte für die Gewährung von Subventionen zurück: energieintensiv, internationaler Wettbewerb und effizient. Die Subvention ist eine Befreiung. Natürlich muss jemand, der in Deutschland eine Subvention erhält, den Nachweis erbringen, dass er diese Subvention dringend benötigt. Ich kann nicht verstehen, dass Schwarz-Gelb darauf verzichten will, dass Unternehmen, die diese Subvention erhalten, nachweisen müssen, dass sie alles betriebswirtschaftlich Sinnvolle gemacht haben, um ihren Energieverbrauch zu senken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das heißt, die Subvention wird sogar für nicht Notwendiges gewährt. Uferlose Ausnahmen sind unsozial und wettbewerbsverzerrend, es gibt andere Dienstleistungen und andere Produkte in Deutschland, die diese Befreiungen nicht haben, weil sie weniger energieintensiv sind. Und sie sind übrigens auch unlogisch; denn viele der jetzt zusätzlich befreiten Unternehmen profitieren längst vom Ausbau der erneuerbaren Energien und der ökologischen Steuerreform, weil sie niedrigere Lohnnebenkosten haben, weil der Steuerzuschuss zur Sozialversicherung erhöht wurde, weil sie ihre Produkte im Bereich der erneuerbaren Energien verkaufen und weil der Zuwachs der erneuerbaren Energien so viele teure Kraftwerke aus der Strombörse gedrückt hat, dass die Preise an den Strombörsen sinken. Schon heute können Industrieunternehmen für das Jahr 2017 Strom zu einem Preis einkaufen, der noch nicht einmal im Jahr 2008 überschritten wurde. Das heißt, 2017 wird der Strom wegen des Zubaus der Erneuerbaren, die profitieren, billiger sein als 2008. -Deswegen sind diese zusätzlichen Ausnahmen nicht notwendig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP, wenn Sie wirklich Interesse an bezahlbaren Energiepreisen haben, dann müssen Sie diesem Wildwuchs an Ausnahmen ein Ende setzen. Sie dürfen den beiden Ministern Rösler und Röttgen nicht durchgehen lassen, dass sie im Streit um die Energieeffizienz eine Seifenoper aufführen. Die beiden haben nicht etwa -irgendeine Idee, die sie statt der Vorschläge aus Brüssel umsetzen wollen, sondern sagen einfach nur Nein. Und wenn sich der andere Minister nur minimal aus der -Deckung wagt, dann wird schnell eine Pressemitteilung herausgegeben, warum der andere nicht recht hat. Auch dürfen Sie nicht mehr zulassen, dass der Finanzminister die Förderprogramme zum Einsparen von Energie in Haushalten und kleinen Unternehmen zusammenstreicht; denn der beste Schutz gegen steigende Energiepreise ist noch immer, weniger Energie zu verbrauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Energieeffizienz zu verweigern und die Energiepreise für private Haushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen künstlich zu erhöhen – das ist die Energiepolitik von Schwarz-Gelb. Diese lehnen wir entschieden ab. Wir werden sie rückgängig machen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Lieber Kollege Kelber, Sie haben heute einen jugendlichen Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall – Ulrich Kelber [SPD]: Vielen Dank!) Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, über das wir heute diskutieren, zeigt sehr eindeutig das Dilemma, in dem die Umweltpolitik steckt, die zwar national oder europäisch gemacht wird, sich aber auf Unternehmen bezieht, die im internationalen Wettbewerb stehen. Wir haben diese Debatte immer wieder: Auf der einen Seite wollen wir Deutschen im Umweltschutz Vorreiter sein; dazu steht diese Koalition. Auf der anderen Seite haben wir Unternehmen, die mit Wettbewerbern aus Ländern konfrontiert sind, die eben nicht solche Vorgaben haben oder die – beispielsweise weil es ausländische Unternehmen sind – keine Bindung an den Standort haben und dann möglicherweise sehr schnell entscheiden, dass sie an Orte gehen, wo die Produktionsbedingungen besser sind. Deswegen müssen wir eine Balance zwischen diesen beiden Gedanken finden. Ich sage ganz klar: Was die FDP, aber auch die Koalition hier im Deutschen Bundestag nicht mitmachen werden, ist eine Politik der Deindustrialisierung. Das, was die Linke hier vorschlägt, ist die Politik der Deindustrialisierung Nordrhein-Westfalens, aber auch der Chemiegebiete in Sachsen-Anhalt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir wollen Vorreiter beim Klimaschutz sein. Wir sind Vorreiter bei der Energiewende. Aber unsere Industrie steht im internationalen Wettbewerb, die energieinten--siven Unternehmen ganz besonders. Das sind Unternehmen, die häufig prozessbedingte Emissionen sowie einen Strom- und Energieverbrauch haben, der sich kaum mehr reduzieren lässt. Unternehmen, in denen die Energie der größte Produktionsfaktor ist, haben ein Interesse daran, ihre Energie so effizient wie möglich zu nutzen. Deswegen ist es ein Märchen, zu sagen, diese Unternehmen werden jetzt privilegiert, gesponsert. Nein, es geht darum, dass die Arbeitsplätze für die Menschen in -diesen Unternehmen erhalten werden. Das ist unsere -Politik. Das ist nicht Ihre Politik, wie wir hier gerade gehört haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Koalition hat zwei wesentliche Kriterien angesetzt – das sind die Kriterien, die wir auch schon von früheren Erneuerbare-Energien-Gesetzen her kennen –: Erstens müssen diese Unternehmen energieintensiv sein. Das heißt, sie müssen einen hohen Anteil von Energie an ihrer Produktion haben. Zweitens müssen sie eine Zertifizierung vorlegen, dass sie genau geprüft haben, welche Einsparmöglichkeiten sie noch haben. Ich sage Ihnen auch, was wir nicht gemacht haben. Die Unternehmensverbände sind 2011 Sturm gelaufen, als wir das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz beraten haben, und wollten eine Deckelung der EEG-Umlage für alle Unternehmen auf 2 Cent. Damals haben wir gesagt: Nein, das ist gegenüber den Verbraucherinnen und -Verbrauchern nicht gerechtfertigt. Wir wollen die EEG-Umlage nicht auf nur wenige Schultern verteilen und sie dadurch immer höher steigen lassen. Wir haben gesagt: Nur diejenigen, die im internationalen Wettbewerb Pro-bleme bekommen, erhalten eine Entlastung bei der EEG-Umlage, bei den Netzentgelten. (Ulrich Kelber [SPD]: Aber der internationale Wettbewerb steht doch gar nicht drin!) Wir haben damit die richtige Abwägungsentscheidung getroffen. Wir entlasten nicht alle Unternehmen, aber wir entlasten diejenigen, bei denen die Gefahr droht, dass sie ansonsten abwandern oder ihre Produkte nicht mehr verkaufen können, sodass Arbeitsplätze verloren gehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Ulrich Kelber [SPD]: Hotels und Rolltreppenbetreiber, die können abwandern!) Mit dem neuen EEG haben wir 2012 Ungerechtigkeiten und Wettbewerbsverzerrungen beseitigt, für die der SPD-Vorsitzende Gabriel in seiner Zeit als Umweltminister Verantwortung getragen hat. Sie haben die energieintensiven Großunternehmen entlastet. (Ulrich Kelber [SPD]: Wo soll das denn -gewesen sein?) Das ist in der Tradition von Schröder, des Genossen der Bosse. Das war Ihre Politik. Wir haben Folgendes -gemacht: Wir haben auch die energieintensiven Unternehmen entlastet, die weniger Strom verbrauchen, die weniger produzieren, weil sie kleiner sind. Wir haben den industriellen Mittelstand entlastet. Auch hier zeigt sich ein Unterschied: Diese Koalition ist für den Mittelstand, Sie sind für die Großunternehmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Ulrich Kelber [SPD]: Hotels und Rolltreppenbetreiber!) Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik. Das sollte noch einmal sehr deutlich werden, auch in den nächsten Wochen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben große Supermärkte befreit!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Bulling-Schröter. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Danke schön. – Unserer Fraktion wurde vonseiten der FDP unterstellt, die Linken würden die Arbeitsplätze kaputtmachen. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Genau! So ist es!) Ich kenne dieses Argument auch aus anderen Zusammenhängen. Ich stelle fest, dass Ihre Partei zurzeit -Arbeitsplätze von Schlecker-Kolleginnen kaputtmacht, indem sie keine Finanzierung mitbeschließt. Jetzt möchte ich aber ganz genau auf das eingehen, was Sie hier dargestellt haben. Sie haben von Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt gesprochen. Wir wissen, dass Solarfirmen in Sachsen-Anhalt demnächst Kurz--arbeit anmelden oder sogar ganz dicht machen müssen. Sachsen-Anhalt wurde schon einmal deindustrialisiert. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben das Gefühl, dass diese Region jetzt noch einmal deindustrialisiert wird. Über diese Ihre Politik werden wir beim nächsten Tagesordnungspunkt detailliert diskutieren. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Eben! Im nächsten!) Sie haben behauptet, dass wir keine Ausnahmetatbestände wollen. Das ist nicht richtig. Sie sollten zuhören. Wir wollen nur, dass die Unternehmen beweisen, dass sie Energie einsparen. Ich denke, das ist möglich. Ich möchte einige Beispiele nennen. Ich war in einer Lederfabrik, die Energie einspart. Dort wurden die Energiepreise hochgerechnet. Man sagte mir: Wir werden in einigen Jahren Gewinn -machen. Dann werden wir überhaupt nichts mehr für Energie bezahlen; denn wir nutzen die Wärme, wir nutzen den Strom, und wir werden sogar welchen verkaufen. – Das ist ganz super. Dieses Unternehmen macht das ganz freiwillig. Ich war in einer großen Metallfirma. Dort sagte man mir: Ja, wir könnten Energie einsparen. Aber, Frau Bulling-Schröter, dann zählen wir nicht mehr zu den energieintensiven Unternehmen, die EEG-Ermäßigung fällt also weg, und dann wird der Strom teurer, das rentiert sich nicht. Wir müssen gemeinsam überlegen, wie wir es schaffen, dass die Unternehmen mehr Energie einsparen. Und wir müssen darauf achten, dass Otto Normalverbraucher nicht die Zeche zahlt. Bei Ihrer Politik wird Otto Normalverbraucher immer zahlen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Kauch, Sie haben die Möglichkeit zur -Antwort. Michael Kauch (FDP): Liebe Kollegin Bulling-Schröter, über die Reform im Bereich Solarenergie werden wir gleich ausführlich sprechen. Deshalb gehe ich darauf jetzt nicht ein. Sie sagten: Auch wir Linke wollen Ausnahmen. Man sollte sich einmal genau anschauen, was in Ihrem Antrag steht. Darin steht unter „1.“: „nachweisliche Wett--bewerbsnachteile“ und „hohe Wahrscheinlichkeit zur Insolvenz“. Die Unternehmen müssen also gleich richtig pleitegehen. Dann steht da: „Stand der Technik“. Das ist okay. Dann kommt: Die Unternehmen müssen den „Hauptteil ihrer Produkte im Wettbewerb mit Unternehmen außerhalb der EU“ erwirtschaften, „die keinen -adäquaten umweltpolitischen Regelungen unterliegen.“ Wenn sie eine Ausnahmeregelung bekommen, dann müssen diese Produkte mit einer spezifischen produktgebundenen „Ökosteuer“ verbunden werden. Einmal abgesehen von dem Dirigismus, der dahinter steht: Dafür müssen Sie in jedes Unternehmen einen Staatskommissar schicken, um genau zu schauen, welches Produkt an welches Unternehmen geschickt wurde und ob dieses vielleicht in China, in Indien oder in Italien produziert wurde. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Das ist die Art von Planwirtschaft, mit der Sie und Ihre Partei bzw. die Vorgänger Ihrer Partei ein Land zugrunde gerichtet haben. So kann man nicht Wirtschaft betreiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Ulrich Kelber [SPD]: Das hat gerade der Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums gefordert!) Deshalb müssen wir die ordnungspolitische Linie der sozialen Marktwirtschaft ernst nehmen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Niemand, der jetzt für oder gegen Bürgschaften für eine Transfergesellschaft bei Schlecker ist, macht Arbeitsplätze kaputt oder rettet sie. Diese Arbeitsplätze sind kaputt, und zwar durch ein falsches Geschäftsmodell des Unternehmens Schlecker, (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der LINKEN) dessen Arbeitsbedingungen Sie als Linke immer als menschenunwürdig bezeichnet haben. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Warum haben Sie dann den Banken geholfen?) Jetzt sage ich Ihnen ganz deutlich: Wenn ein Unternehmen so wirtschaftet, wie Schlecker es getan hat, dann ist es gut, wenn die Marktanteile von einem anderen -Unternehmen übernommen werden und die Beschäftigten von den anderen Wettbewerbern eingestellt werden, statt in eine Transfergesellschaft zu kommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen, dass die Menschen im ersten Arbeitsmarkt sind und nicht im zweiten. Das, was Sie für die bisher bei Schlecker Beschäftigten vorschlagen, wäre eine Scheinrettung. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Scheinheilig ist das!) Deshalb sage ich Ihnen ganz klar für meine Fraktion: Wir glauben nicht, dass es gut ist, dass man Menschen in eine Gesellschaft schickt, die Ihnen scheinbar eine Zukunft bietet. (Stefan Rebmann [SPD]: Keine Ahnung von der Realität!) Diese schwarz-gelbe Koalition hat dafür gesorgt, dass auf dem Arbeitsmarkt Fachkräfte, auch Verkäuferinnen, in vielen Regionen Deutschlands händeringend gesucht werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Unglaublich! – Stefan Rebmann [SPD]: Sie haben bei denen noch nie gestanden! Wenn ich so etwas erlebe!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, Ihre Argumente werden durch Geschrei nicht besser. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Ich glaube, das muss man – unabhängig von dem, was die Kollegen der Linken wollen – an dieser Stelle sagen. Wenn Sie das Wort „Deindustrialisierung“ in den Mund nehmen, dann fällt mir die deutsche Solarindustrie ein, dann fällt mir ein, wie sich Ihre wahlkämpfenden Parteigenossen in Nordrhein-Westfalen vor Windkraftanlagen stellen, von Windenergiemonstern sprechen und eine ganze Branche in den Senkel stellen. (Michael Kauch [FDP]: Da steht keiner!) Das ist die Realität in Ihrer Partei, und das ist Deindus-trialisierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Es ist völlig richtig: Die energieintensive Industrie gehört zu Deutschland, gehört zu unserer Wertschöpfungskette. Wir müssen alles Notwendige tun – ich -betone das –, damit wir diese Unternehmen im Land halten. Das ist eine Herausforderung. Aber wir müssen uns die Realität genau anschauen. Wir hören, das Strompreisniveau in Deutschland sei zu hoch. Wenn man sich das Börsenniveau, die Börsenentwicklung anschaut, sieht man, dass der Strompreis sowohl im Termin- als auch im Spotmarkt inzwischen unter dem Niveau liegt, das er vor den Ereignissen in Fukushima hatte. Das heißt, durch die Energiewende gibt es keine Strompreissteigerung. Der Verband der Industriellen Energie – und Kraftwirtschaft – das ist der Lobbyverband eines Teils der energieintensiven Industrie – erstellt einen Strompreisindex. Laut diesem Index liegt der Industriestrompreis im Moment unter dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Realität ist, dass wir in Deutschland keine explodierenden Strompreise haben und dass keine Notwendigkeiten bestehen, weitere Subventionen zu verteilen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Deswegen ist -unser Weg richtig!) Man muss sich die Realität anschauen; das ist eben schon mehrfach angeklungen. Es gibt einen unheimlichen Wust von Ausnahmen in den Bereichen EEG-Umlage, Kraft-Wärme-Kopplungs-Umlage, Stromsteuer und Emissionshandel. Das alles summiert sich auf 9 Milliarden Euro. Diese 9 Milliarden Euro werden von den privaten kleinen Verbrauchern in Richtung Industrie umgeswitcht. Ich sage ja nicht, dass alles daran falsch ist, aber das ist die Realität, der Sie sich letztendlich stellen müssen. Sie reduzieren dieses Vorgehen nicht, Sie schauen nicht, wo es notwendig ist und wo nicht, sondern Sie weiten dies immer mehr aus. Immer weniger müssen immer mehr zahlen. Die privaten Verbraucher müssen immer mehr zahlen, und die Industrie wird immer weiter entlastet. Die Frage ist: Kommt dieses Geld wirklich dort an, wo es gebraucht wird, nämlich – auch wir sagen, dass man hier in der Tat etwas tun muss – bei den energie-intensiven Industrien, die im internationalen Wettbewerb stehen? Man erlebt sein blaues Wunder, wenn man versucht, das herauszubekommen. Wir haben im Bundestag etliche Anfragen gestellt, wir waren beim Finanzministerium, und wir haben Wissenschaftler gefragt. Es ist nicht herauszubekommen, wer genau welche Subventionen bekommt. Das ist ein sehr intransparenter Wust. Man kann überhaupt nicht nachvollziehen, wohin das Geld fließt. An ein paar Stellen bekommt man es aber plötzlich heraus. Durch hartnäckiges Nachfragen erfährt man zum Beispiel, dass der Braunkohlebergbau, der nun wirklich nicht im internationalen Wettbewerb steht – Braunkohle, die im Tagebau abgebaut wurde, wird im Kraftwerk nebenan verbrannt, aber nicht über Grenzen transportiert –, von der EEG-Umlage befreit ist. Das macht im Jahr einen Betrag von sage und schreibe 40 Millionen Euro aus, den Sie von den privaten Verbrauchern in Richtung RWE und Vattenfall verschieben. Das ist die Realität Ihrer Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir sagen: Wenn es Ausnahmen gibt – man muss sie sich allerdings sehr genau ansehen, sie transparent ausgestalten und muss deutlich machen, wohin das Geld fließt –, dann müssen sie mit Verpflichtungen verbunden sein. Als Allererstes gehört dazu, dass Unternehmen ein Energiemanagement betreiben müssen. Wenn ich ein Unternehmen besuche, höre ich immer: Hier kann man nichts mehr einsparen. Es gibt keine einzige Kilowattstunde, die überflüssig ist. – Wenn ein Energiemanager in dem Unternehmen war, stellt sich aber plötzlich heraus: Das Unternehmen kann doch noch 20 Prozent einsparen. Genau das müssen wir machen. Das ist nämlich ein Standortvorteil für Deutschland. (Michael Kauch [FDP]: Das steht im Gesetz!) Auf diesem Gebiet ist beispielsweise die nordrhein-westfälische Landesregierung, die im Rahmen von Ökoprofit genau solche Maßnahmen durchführt, sehr gut unterwegs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir Grüne sagen: Es darf am Ende nicht so laufen, wie es der Kollege Pfeiffer, den ich in dieser Debatte übrigens vermisse – sonst nimmt er an diesen Debatten ja immer teil –, einmal schön formuliert hat. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssten bitte zum Schluss kommen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. (Judith Skudelny [FDP]: Das ist schön!) Kollege Pfeiffer sagte: Die Verbraucher wollten die Energiewende. Dann sollen sie sie auch bezahlen. – Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass es in diesem Land gerecht zugeht. Es ist ein gemeinsames Projekt, die Energiewende voranzubringen. Daran müssen sich alle beteiligen: die privaten Verbraucher, die Industrie und die Politik. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst auf ein paar Punkte eingehen, die soeben angesprochen worden sind. Erstens. Herr Krischer, der Vorwurf, dass die Photovoltaikindustrie in Deutschland Schwierigkeiten hat, hat mit unserem Thema so gut wie nichts zu tun. (Dr. Thomas Gebhart [CDU/CSU]: So ist das! – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Gut, dass du das richtigstellst!) Denn der Wettbewerb, den sich die deutsche Photovoltaikindustrie mit den Chinesen liefert, ist aussichtslos. (Ulrich Kelber [SPD]: Mein Gott!) In China gibt es nicht nur das von den Linken angesprochene Energiensponsoring, sondern die chinesische Regierung zahlt dieser Industrie auch noch Zuschüsse, damit sie die Märkte der Welt bedienen kann. Dieses Beispiel geht völlig fehl. (Ulrich Kelber [SPD]: Was machen wir, wenn sich die nächste Branche so aufführt? Auch aufgeben? Das ist eine Wirtschaftspolitik!) – Nein, das ist nicht Wirtschaftspolitik, sondern das ist Staatsdirigismus in China. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das gefällt uns nicht. Das ist nicht unsere Politik. Aber so ist die Realität, und es tut uns furchtbar leid, dass wir so dastehen. Zweitens. Herr Krischer, ich habe bei Ihrer Rede den Eindruck gewonnen, dass Sie die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge überhaupt nicht einordnen können. Alles, was wir per Gesetz erheben – ob es die EEG-Umlage ist, ob es die Netzumlage ist –, wird letzten Endes beim Verbraucher landen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja! Immer!) Das zahlt niemand anders als der Verbraucher. Es ist völlig unerheblich, wie wir das Ganze machen. Mit Blick auf den Antrag der Linken und bei der gesamten Politik im Zusammenhang mit dem EEG, dem Netzausbau und Ähnlichem geht es uns um die Frage, wie es gelingt, dafür zu sorgen, dass die deutsche Volkswirtschaft keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren Wettbewerbern in Europa, ja in der ganzen Welt erleidet. Ich will Ihnen sagen, dass wir in der Wirtschaft, in der Industrie und bei den Strompreisen schon jetzt Nachteile haben. Schauen Sie bitte nach, was ein Industriebetrieb in Frankreich und was ein Industriebetrieb in Spanien und auch in anderen Ländern Europas für seinen Indus-triestrom zu zahlen hat. Sie werden dann sehen – ich rede, wie gesagt, nur vom Industriestrompreis, weil das beim Kleinverbraucher anders ist; das weiß ich auch –, dass es erhebliche Differenzen gibt. Ich weiß ja nicht, in welche Betriebe Sie gehen, (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: In die falschen wahrscheinlich!) aber ich sage Ihnen: Mir hat bisher noch keiner der Betriebe, die ich in meinem Wahlkreis und darüber hinaus besuche und mit denen ich über die Zusatzlasten durch den Strom rede, kundgetan, dass er keine Potenziale hat, den Energieverbrauch zu reduzieren. Alle haben gesagt, sie werden erhebliche Anstrengungen unternehmen. Das wird seitens der Linken dieses Hauses total unterschätzt. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nein! – Ulrich Kelber [SPD]: Was ist das für eine Rede?) Frau Bulling-Schröter, für jedes kluge Unternehmen sind die Energiekosten ein Kostenfaktor. Diejenigen, über die wir heute reden, haben fast durchweg einen sehr hohen Energiekostenanteil. (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sie verstehen überhaupt nichts von Wirtschaftspolitik! Das ist unerträglich!) Wenn sie klug waren, dann haben sie in der Vergangenheit schon einiges dafür unternommen, dass dieser Kostenfaktor so klein wie möglich bleibt. Ich weiß von vielen Unternehmen, dass sie aufgrund der aktuellen Entwicklung und dessen, was noch alles auf uns zukommt, zum Beispiel beim Netzausbau, alles Mögliche unternehmen, um den absoluten Energieverbrauch, speziell den Stromverbrauch, so gering wie möglich zu halten. Ich will Ihnen auch sagen: Im internationalen Vergleich der Produktivität – schauen Sie sich die Studien an – ist die deutsche Wirtschaft, insbesondere die energieverbrauchende Wirtschaft, an der Weltspitze. Wir sind weltweit die Besten, wenn es darum geht, wie viel Energie bezogen auf eine produktive Einheit verbraucht wird. Hier sind wir hervorragend. Hier können wir auch noch besser werden, das ist schon wahr, aber das Risiko, das wir eingehen würden, wenn wir solche Instrumente wie die einsetzen würden, die die Linken per Antrag eingebracht haben, wäre mir viel zu groß. Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland eine kumulative Belastung des Stroms, zum einen durch die Steuern, zum anderen durch den Emissionshandel, durch die EEG-Umlage und durch die KWK-Umlage. Wir müssen aufpassen, dass wir uns alle miteinander nicht überfordern. Deswegen ist es unser Bestreben, das Bestreben der christlich-liberalen Koalition, dass wir diese Lasten beim Umstieg in der Energiepolitik für die Verbraucher insgesamt und für die deutsche Volkswirtschaft so gering wie möglich halten. Wir reden jetzt von einer Zusatzbelastung durch die EEG-Umlage in Höhe von 3,5 Cent pro Kilowattstunde, und in diesem Jahr wird es beispielsweise in der Photovoltaik wieder zu einem deutlichen Zubau kommen. Wir tun uns alle miteinander keinen Gefallen, wenn wir die gesamten Belastungen für die Kleinverbraucher, für die mittelständische Wirtschaft und für die Industrie ständig anwachsen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das tun Sie doch!) Deswegen bleibt uns bei dem Antrag der Linken nichts anderes übrig, als ihn rigoros abzulehnen, weil er nicht zielführend ist und unsere Bürger kein Verständnis dafür hätten, wenn wir Arbeitsplätze in unserem Land gefährden würden. Frau Bulling-Schröter, es tut mir leid, (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Tut es nicht!) aber es wird nichts mit Ihrem Traum, dass man das Ganze von Leuten bezahlen lässt, die nicht existent sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rolf Hempelmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn man den Rednern Glauben schenken darf, dann scheint es zumindest in einem Punkt Einigkeit in diesem Hause zu geben: Der deutschen Industrie wird eine hohe Bedeutung zugemessen. Ich denke, dass das zumindest eine richtige Erkenntnis ist. Diese ist bei einigen vielleicht gerade im Zuge der Weltwirtschaftskrise erwachsen, die Deutschland überdurchschnittlich schnell überwunden hat. Die deutsche Industrie hat daran sicherlich einen erheblichen Anteil. Das ist auch der Grund, warum schon frühere Regierungen – gerade auch die rot-grüne Bundesregierung – in begrenztem Umfang Ausnahmen für die Entlastung insbesondere der energieintensiven Industrien zugelassen haben. Das hat nicht nur mit den vielen Arbeitsplätzen in diesem industriellen Sektor zu tun, sondern das hat natürlich auch damit zu tun, dass die dahinter liegenden Wertschöpfungsketten abhängig davon sind, dass wir die Grundstoffindustrien hier im Lande haben; denn dieses Zusammenwirken der Wertstoffketten insgesamt macht eine besondere Stärke unserer Volkswirtschaft aus. Insofern sind wir konstruktiv mit dabei, wenn es darum geht, diese Ausnahmeregelungen für stromintensive Unternehmen weiterzuentwickeln. Vor dem Hintergrund der internationalen Strompreissituation reicht es in Europa leider immer noch nicht aus, auf die Börsenpreise zu schauen. Wie wir wissen, gibt es in einigen Staaten Staatsunternehmen, die Industriestrompreise an die Unternehmen weiterreichen, die im Wettbewerb mit unseren Unternehmen überhaupt nicht mehr zu unterbieten sind. Das muss man berücksichtigen. Deswegen sind solche Ausnahmeregelungen zumindest auf Zeit nach wie vor notwendig. Wenn man die Menschen dabei mitnehmen will, ist es aber genauso wichtig, dass man diese Unternehmen gerade beim Thema Energieeffizienz fordert. Was wir dabei zurzeit bei der Bundesregierung erleben, ist ein Hin und Her, ein Geschachere zwischen zwei Ministern, die sich bei diesem wichtigen Thema nicht einigen können und die sich gegenseitig blockieren. Deshalb richtet sich die Aufforderung und die Bitte an die Koalitionsfraktionen, mitzuhelfen, dass diese beiden Minister jetzt endlich einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen, der ausreichend ambitioniert ist, um tatsächlich die möglichen Fortschritte im Bereich der Energieeffizienz im gesamten Industriesektor in Deutschland zu erzielen. (Beifall bei der SPD) Herr Obermeier, es ist richtig, dass wir im internationalen Vergleich beim Thema Energieeffizienz gar nicht so schlecht dastehen. Genauso richtig ist aber auch, dass es Studien gibt, die nachgewiesen haben, dass noch enorme Effizienzreserven in der deutschen Industrie liegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist auch richtig, dass eine Reihe von Unternehmen dabei besonders gut ist. Es gibt aber auch andere Unternehmen, die vielleicht noch einen entsprechenden Anstoß brauchen. Deswegen reicht das Vertrauen in die Klugheit der Geschäftsführungen der Unternehmen nicht. Vielmehr ist es wichtig, einen Rahmen zu setzen. Das, was wir dazu vorgeschlagen haben, sollten Sie sich vielleicht noch ein bisschen näher anschauen. Meine Damen und Herren, wenn wir Ausnahmen für die deutsche Industrie beschließen, dann kommt es auf drei Dinge an: Wir müssen das mit einem Höchstmaß an Transparenz tun. Wir müssen das gut begründen und sauber kommunizieren. Außerdem müssen die Ausnahmen ausgesprochen zielgerichtet, also nicht breit gestreut sein. Gegen alle diese Grundsätze ist in letzter Zeit leider mehrfach verstoßen worden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns beispielsweise die Entlastungen an, die Sie im Bereich der Netzentgelte beschlossen haben. Diese Ausnahmen sind überhaupt nicht kommuniziert worden. Sie sind öffentlich überhaupt nicht begründet worden. (Zuruf von der FDP) Das hat dazu geführt, dass sich die Medien dieses Themas angenommen haben und dass von 1,1 Milliarden Euro Entlastung die Rede war, obwohl hierin Entlastungen inbegriffen waren, die gar nicht die deutsche -Industrie betreffen, sondern zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerke – was durchaus auch gewollt ist –, Nachtspeicherstromheizungen oder Wärmepumpen. Als Bundesregierung muss man aber sauber kommunizieren, was entlastet wird und welchen Anteil die Industrie trägt. Aber auch bei den 400 Millionen Euro, die hier für die Industrie vorgesehen sind, muss man sich sehr genau anschauen: Ist es wirklich so – das hat mein Kollege Kelber hier schon ausgeführt –, dass alle Unternehmen, die davon positiv betroffen sind, tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen und dass sie mit ihrer Bandabnahme netzentlastend wirken? Dieser Nachweis ist ausgeblieben. Ein anderer Punkt: Sie haben im EEG die Zahl der Ausnahmen ausgeweitet. Das klingt zunächst sehr gut – das ist hier eben noch einmal gesagt worden –, nach dem Motto: Wir wollen nicht nur die Großen entlasten. – Übrigens sind die stromintensiven Unternehmen im Wesentlichen keine großen Konzerne, sondern Mittelständler, manche vielleicht etwas größere Mittelständler, -andere kleinere. Jedenfalls sind die deutschen Unternehmen, die das betrifft, im Wesentlichen mittelständische Unternehmen. Es sind zwar auch einige internationale Konzerne im Spiel, aber im Wesentlichen handelt es sich um deutsche Mittelständler. Es ist so, dass die Ausweitungen, die Sie gemacht haben, nicht für mehr Gerechtigkeit gesorgt haben, sondern Sie haben zum Beispiel – das ist hier angeklungen – -Hotels einbezogen und andere, die nun weder energie--intensiv sind noch im internationalen Wettbewerb stehen. Das Hotel wird nicht verlagert und die Rolltreppe auch nicht. Deswegen ist das, was Sie an dieser Stelle gemacht haben, Unsinn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Praktisch gescheitert!) Ein weiterer Punkt, der, wenn er gut ausgestaltet ist, nach meiner Auffassung im Zuge der Energiewende sehr sinnvoll sein kann, ist das Lastmanagement. Auch ich gehe davon aus, dass die Netzbetreiber in Zukunft mehr Gebrauch davon werden machen müssen, zu Spitzenlastzeiten gegebenenfalls, wenn beispielsweise ein Netz-kollaps droht, Unternehmen abzuschalten, also ein -Industrieunternehmen zeitweilig nicht oder nur in reduzierter Menge mit Strom zu beliefern. Aber dann muss man das vernünftig ausgestalten, und dann muss man das mit den Akteuren, zum Beispiel mit den Netzbetreibern, gemeinsam diskutieren. Das ist ganz offensichtlich unterblieben. Anders wäre der Alarmruf eines der Netzbetreiber gar nicht zu erklären. Ich habe die dringende Bitte – weil ich glaube, dass hier ein durchaus sinnvolles Instrument entstehen kann –, dass Sie Ihre Hausaufgaben nachholen und dass sich auch hier die Minister nicht wieder gegenseitig blockieren und Nein sagen, sondern möglichst bald einen -vernünftigen, konstruktiven und mit den Akteuren ab--gestimmten Vorschlag unterbreiten. Fazit: Ja, wir brauchen restriktiv gehandhabte, gut begründete, sauber kommunizierte Ausnahmeregelungen für die deutsche Industrie, damit sie im Wettbewerb bestehen kann. Aber dann gestalten Sie sie so aus und kommunizieren Sie sie auf eine Art und Weise, dass die Akzeptanz dieses Instrumentes und der Energiewende insgesamt erhalten bleibt! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Martin Lindner für die FDP--Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Herr Kollege Hempelmann, wenn Sie sagen, dass Einvernehmen zwischen uns darüber besteht, dass wir Industrie in Deutschland haben wollen, dann stimmt das in der Zielsetzung schon. (Rolf Hempelmann [SPD]: Guck mal an!) Ich frage Sie nur zurück, warum jedes Mal dann, wenn es konkret wird, Ihre Fraktion und Ihre Partei nicht mehr vorhanden sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mehr vorhanden ist die FDP! – Rolf Hempelmann [SPD]: Fragen Sie mal die Unternehmen!) Ein Beispiel ist die Grüne Gentechnologie. Wenn es bei der Grünen Gentechnologie konkret wird – die SPD: weg. Wenn es bei der Rohstoffsicherung darum geht, deutschen Unternehmen zu helfen, weltweit explorativ tätig zu sein – Ihre Partei: weg. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wer ist nicht mehr da?) Wenn es um Exportsicherung geht, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wer ist nicht mehr da? Die FDP ist weg!) zum Beispiel Angra 3, (Ulrich Kelber [SPD]: Atomkraftwerke in -Erdbebengebiete!) wenn es darum geht, deutsche Arbeitsplätze durch -Exportbürgschaften zu sichern – SPD: weg. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die FDP ist weg!) Wenn es schließlich jetzt konkret um Ausnahmen für die energieintensiven Unternehmen geht, ist mit der SPD nicht zu rechnen. Sie waren früher einmal eine industriepolitische Partei. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die FDP ist weg! – Rolf Hempelmann [SPD]: Fragen Sie mal die Industrie!) Das sind Sie nicht mehr. Die einzigen, die wirklich Industriepolitik betreiben, sind auf der anderen Seite des Saales zu finden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sind Spruchbeutel; Sie können gar nichts. Wenn man sich konkret anschaut, über was wir hier -reden, ist festzustellen: Wir haben eine Industrie, die mit einem sehr hohen Verbrauch am Markt existieren muss. Wenn wir dann betrachten, wie die Industriestrompreise im Vergleich sind, kommen wir zu dem Ergebnis, dass Deutschland mit 12,98 US-Cent pro Kilowattstunde an zweithöchster Stelle aller referenzierten Länder liegt. Italien hat als einziges Land in Europa mit 15,72 US-Cent -einen höheren Wert. In Frankreich, unserem Nachbarstaat, sind es 7,62 US-Cent, in den USA 9,27 US-Cent, in -Kanada 7,27 US-Cent, in Australien 6,88 US-Cent. (Rolf Hempelmann [SPD]: Deswegen sind wir ja für vernünftige Ausnahmeregelungen!) Da kann man doch als durchschnittlich verständiger Sozialdemokrat folgern, (Rolf Hempelmann [SPD]: Nicht so arrogant!) dass man in diesem Bereich für die deutsche Wirtschaft Ausnahmen braucht, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wenn wir hier nicht ein Industrieabbauprogramm machen wollen – und das wollen wir nicht. Unsere Staatsquote liegt mit 46 Prozent an zweithöchster Stelle in der EU; nur in Dänemark ist sie noch höher. Das zeigt doch ernsthaft, Herr Hempelmann, die Notwendigkeit, dass wir zu Ausnahmen kommen, und dass das, was die Bundesregierung gemacht hat, richtig war. (Rolf Hempelmann [SPD]: Habe ich dagegen gesprochen?) – Ja, aber verstehen Sie: Sie sind in der Zielrichtung tatsächlich mit uns vereint, aber immer wenn es konkret wird, immer wenn es um die Wurst geht, dann werden Sie zu Vegetariern. Das ist das Problem. Das muss man sehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Immer wenn es um Hotels geht, dann sind wir auseinander!) Maßnahmen, dem entgegenzuwirken, gibt es zweierlei. Beide führen wir durch. Gerade durch das angestrebte Reduzieren von Subventionen, gerade bei der -Solarenergie, versuchen wir, eine gewisse Entlastung hinzukriegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erhöhen Subventionen!) – Ja. – Dass der Cheflobbyist der Solarwirtschaft im Deutschen Bundestag – Kelber – damit ein Problem hat – – (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) – Cheflobbyist zu sein, ist angesichts der Anzahl von Lobbyisten, die hier gerade vor mir sitzen, wirklich eine tolle Auszeichnung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da spricht gerade einer!) Hier kann es doch nicht darum gehen, etwas für Ihre Spender und für Ihre Lobby zu tun, sondern hier geht es um die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land und nicht um Ihre Spendengeber und Sponsoren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und darum belasten Sie die! – Rolf Hempelmann [SPD], an die FDP gewandt: Habt ihr eigentlich keinen anderen Redner?) Zum Schluss zur Linken; von Ihnen kommt ja der Antrag. Bei Ihnen ist es doch so: Sie machen doch ernsthaft keine Industriepolitik. Sie möchten doch genau ein -Modell haben, bei dem es ausschließlich darum geht, ein Volk von Hartz-IV-Empfängern zu produzieren, von Menschen, die der Staat zu versorgen hat. Sie möchten erst mal Industriearbeitsplätze plattmachen, um sie -anschließend in einer Transfergesellschaft auf Steuerzahlerkosten aufzufangen. Das ist doch Ihre Wirtschaftspolitik. (Lachen bei der LINKEN) Und deswegen ging es – da hat der Kollege Kauch völlig recht – auch in der Schlecker-Sache nicht darum, ernsthaft Ökonomie zu betreiben, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,8 Prozent!) sondern darum, eine Propagandamaschine für Herrn Schmid, den sogenannten Wirtschaftsminister von -Baden-Württemberg, in Gang zu setzen, und das haben die Leute durchschaut. Das machen wir nicht mit; selbstverständlich machen wir das nicht mit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist kalte FDP, die da vorne steht!) Wir machen eine vernünftige, seriöse Wirtschaftspolitik und nicht diese Art von Versorgungspolitik, die Sie hier fordern. Es geht hier nicht um Calvinismus, sondern um ökonomische Vernunft. Sie wollen hier Steuergelder für die eigene Propaganda verbraten. Um nichts anderes geht es. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Das machen wir auf keinen Fall mit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: So gehen Sie mit den Menschen um! Pfui! – Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Pfui!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Lindner, auch die Auferstehung der FDP als -Industriepartei wird nicht gelingen. Nächste Wahlen – FDP: weg! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Und dann werden wir keine Transfergesellschaft machen! Das steht auch fest! – Oliver Krischer [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die FDP gibt es keine! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Genau. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jährlich 9 Milliarden Euro Subventionen bekommt die energieintensive Industrie in Deutschland seit Jahren, und jetzt kommt wieder etwas dazu. Aber das ist kein Thema für diese Koalition und auch nicht für die Subventions--abbaupartei FDP. Auf der anderen Seite steht die Förderung der erneuerbaren Energien unter Dauerbeschuss, obwohl der Unterstützungstatbestand darunter liegt. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Und Spitzenausbau!) Bei alldem gibt es einen strukturellen Unterschied: Die Mittel für die Erneuerbaren sind keine Subventionen, sondern eine Umlage. Diese Umlage war von Anfang an zeitlich befristet, (Judith Skudelny [FDP]: So eine Heuchelei!) so, wie man Subventionen eigentlich ausgestalten sollte. Außerdem war von Anfang an festgeschrieben, dass diese Umlage jährlich kleiner wird, also jährlich gekürzt wird. (Judith Skudelny [FDP]: Und die Umlage wird jährlich mehr!) Von einer Subventionskürzung ist im Hinblick auf den Bereich der energieintensiven Industrie kein Wort von Ihnen zu hören, und das seit zehn Jahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Obwohl das so ist, obwohl völlig klar ist, dass ein Ende der Umlage bei den Erneuerbaren abzusehen ist – bei der energieintensiven Industrie ist kein Ende der Subventionen abzusehen –, werden Sie hier in einer Stunde das Ende der Solarindustrie in Deutschland beschließen. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Kauch [FDP]: Das ist doch lächerlich! Das haben Sie jedes Jahr gesagt, und es ging immer weiter!) Sie opfern die Zukunft auf Kosten der Vergangenheit, und das ist ein Skandal, meine Damen und Herren von der Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Sie verspielen damit nicht nur die Energiewende und die Zukunft; (Franz Obermeier [CDU/CSU]: 80 Prozent aus China!) Sie gefährden damit auch die gesellschaftliche Unterstützung für die Energiewende (Michael Kauch [FDP]: So jemand hat VWL studiert!) und die Unterstützung der Europäischen Union, bei der Sie immer wieder vorstellig werden müssen, weil die Subventionen für die energieintensiven Industrien Beihilfen sind, die von der EU genehmigt werden müssen. Deshalb brauchen Sie die Unterstützung für Ihren energiepolitischen Kurs durch die EU-Kommission, und das torpedieren Sie permanent, indem Sie zweierlei Maß anwenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Punkt ist: Sie verfehlen auch Ihre eigenen Ziele. Zumindest auf dem Papier gibt es das Energiekonzept der Bundesregierung. Darin schreiben Sie selber, dass die Energieproduktivität gesteigert werden muss, und zwar um 2,1 Prozent jährlich. Leider ist es so, dass wir diese Zahl in Deutschland gegenwärtig noch nicht erreichen, sondern nur die Hälfte davon. Zurzeit steigt die Energieproduktivität eben nur um 1 Prozent pro Jahr. Das heißt, Sie müssen sie verdoppeln. Es ist völlig klar, dass auch die Industrie ihren Beitrag dazu wird leisten müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das muss natürlich mit Augenmaß geschehen. Dazu wurde schon von grüner und roter Seite das Richtige -gesagt. Das muss zielgenau erfolgen. Man muss sich das bei den energieintensiven Industrien, die im internationalen Wettbewerb stehen, genau anschauen und auch -dafür über Ausnahmen nachdenken. Aber eines ist klar: Die Effizienzreserven in diesem Bereichen müssen gehoben werden. Deswegen brauchen wir Energiemanagementsysteme in allen Bereichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich komme zum Schluss. Wir müssen aber trotzdem auch etwas für bessere Wettbewerbsbedingungen tun. Dafür könnten auch Sie etwas tun. Dabei sind Sie am Zuge, auch auf der europäischen Ebene. Sie argumentieren immer: Wir haben ein Wettbewerbsproblem. – Dann müssen Sie dafür sorgen, dass wir zumindest innerhalb der Europäischen Union zu anderen Wettbewerbsbedingungen kommen. Deswegen: Blockieren Sie nicht weiter die Effizienzrichtlinie, und blockieren Sie bitte nicht weiter die Energiesteuerrichtlinie. Damit könnten Sie bessere Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Industrie erreichen. Das blockieren Sie aber dauerhaft. Beenden Sie endlich Ihre Blockade in diesem Punkt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Ich finde, die energieintensive Industrie in Deutschland hat eine klügere und zukunftsweisendere Politik verdient. Deswegen: Beteiligen Sie sich endlich am Durchsetzen der Energiewende! Blockieren Sie sie nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jens Koeppen (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss, auch wenn es wehtut, noch einmal auf den vor--liegenden Antrag und darauf, woher er kommt, zurückkommen. Bei den ideologischen Ergüssen und sozialis-tischen Ausarbeitungen Ihrerseits fällt es manchmal schwer, gelassen zu bleiben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) obwohl ich mir als Ostdeutscher schon lange, auch schon vor 1990, Gelassenheit auferlegt habe. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ich komme aus Bayern!) Damals hießen Sie noch SED, und es gab auch eine entsprechende Umweltpolitik. (Ulrich Kelber [SPD]: Die CDU war damals im Parlament mit dabei! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht die Blockflöten vergessen!) Danach – das war Ihnen wahrscheinlich ein bisschen zu bunt – hießen Sie SED/PDS. Das hat Ihnen dann auch nicht mehr gereicht; auch das war Ihnen zu peinlich. -Irgendwann war es nur noch PDS und dann Linke. Es ist aber nie besser, sondern immer schlechter -geworden. Aber dieses Mal ist es mir besonders schwergefallen, mich durch den Antrag mit seinen fünf Seiten zu quälen. Sie haben so viele Ungereimtheiten, Des-informationen, Verdrehungen der Tatsachen und so viel Erfindergeist und Dichtung hineingebracht – das ist unglaublich. Es geht schon mit dem ersten Wort der Überschrift los: „Unberechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen“. Bei der Frage, was „unberechtigt“ heißt, hilft ein Blick in den Duden, oder wir machen -politische Bildung. „Unberechtigt“ heißt rechtswidrig, heißt ungesetzlich, heißt illegal oder auch, wenn man es weitertreiben würde, kriminell. Meine Damen und Herren, ich weiß, dass Sie Pro-bleme mit dem demokratischen Rechtsstaat und dem -demokratischen System haben. Aber nicht Sie entscheiden über Recht und Unrecht; das macht immer noch die -Legislative, der Sie – aus meiner Sicht: leider – immer noch angehören. Aber auch daran kann man arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zum Thema! – Jörn -Wunderlich [DIE LINKE]: Bringen Sie auch mal Argumente zum Thema?) Darüber entscheidet auch kein ZK oder Politbüro, sondern dieses Haus. In Ihrem Antrag verweisen Sie auf die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Rosa-Luxemburg-Stiftung macht uns jetzt praktisch Vorschläge, wie in der Wirtschafts- und Energie-politik vorzugehen ist. (Widerspruch bei der LINKEN) Ich wusste gar nicht, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Institut ist, das auf ökonomische Expertisen spezialisiert ist, meine Damen und Herren. Wir brauchen von dieser Stiftung unter der Leitung von Heinz Vietze (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben schon sehr viel Zeit damit verbraten, nicht zum Thema zu sprechen! – Zurufe von der LINKEN) keine Hinweise für Anti-Marktwirtschafts-Debatten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denjenigen, die Heinz Vietze, den Chef der Rosa-Luxemburg-Stiftung, nicht kennen, muss ich einfach mal was erzählen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Enkelmann? Jens Koeppen (CDU/CSU): Nein. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Ich muss Ihnen einfach mal sagen, wer der Kollege Vietze, der Chef, der uns diese Vorschläge macht, ist. Er war der letzte Chef der SED-Kreisleitung Potsdam. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier geht es um Industriepolitik! Zum Thema bitte! – Zurufe von der LINKEN) Er war darüber hinaus – Quelle: Wikipedia – inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit, und, meine Damen und Herren, er hat 19 Jahre lang im Landtag von Brandenburg gesessen. (Zuruf von der LINKEN: Erfolgreich!) Ich muss Ihnen sagen: Nach den Ergebnissen der -Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Nachwendezeit des Brandenburger Landtages hätte er da gar nicht sitzen dürfen; Quelle wiederum: Wikipedia. Meine Damen und Herren, wir haben es nicht nötig, uns mit solchen Leuten auf Anti-Marktwirtschafts-Debatten einzulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die energieintensiven Industrien (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie haben jetzt einen Satz zum Thema gesagt! 30 Sekunden! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erste Mal zum Thema!) erzielen einen Jahresumsatz von 300 Milliarden Euro; das sind 19 Prozent des gesamten Umsatzes des verarbeitenden Gewerbes. 10 Milliarden Euro investieren die energieintensiven Industrien am Standort Deutschland. Sie selbst müssen 15 Milliarden Euro für Energie ausgeben. Eine Papierfabrik in meinem Wahlkreis hat von einem Jahr auf das andere Jahr 15 Millionen Euro zusätzlich – on top – für Energiekosten ausgeben müssen. Die Ausnahmetatbestände haben nichts, aber auch gar nichts mit unberechtigten Privilegien zu tun. Vielmehr ist das eine Hilfe, die wir solchen Betrieben angedeihen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 875 000 Menschen arbeiten in diesen Industrien, und jeder Arbeitsplatz dort zieht zwei weitere Arbeitsplätze in anderen Bereichen nach sich. Spätestens an diesem Punkt müssten Sie aufwachen und aus Ihren ideologischen Schützengräben herausspringen. Denn, meine Damen und Herren, Sie verraten gerade die Arbeiterklasse, für die einzutreten Sie sonst immer vorgeben, und das werden wir nicht mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die energieintensiven Industrien sind ein enormer Wirtschaftsfaktor und Wohlstandsgarant für Deutschland. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben irgendwie ein Karl-Marx-Trauma! Kann das sein?) In keinem anderen Land in der EU nimmt dieser Wirtschaftszweig eine solch herausragende Rolle für Beschäftigung, für Einkommen und für Wohlstand ein, und das soll auch so bleiben. Bei vielen Unternehmen machen aber bereits jetzt die Energiekosten über 60 Prozent ihrer Ausgaben aus. Es handelt sich also nicht um Privilegien – und schon gar nicht um unberechtigte –, sondern um die Sicherung von Arbeitsplätzen und das Herstellen von Waffengleichheit im internationalen Wettbewerb. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir ja gleich bei der Photovoltaik!) Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Umbau der Energieversorgung, die Verbesserung der Klimaverträglichkeit, die Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien werden hierzulande direkt über den Verbrauch von Energie finanziert. Es gibt – das können wir bedauern oder nicht – keine europäische Lösung, und auch nicht jede Regierung geht diesen Weg – in Klammern: Zertifikatehandel – mit. Weil das so ist, gibt es einen unfairen Wettbewerb zulasten der deutschen Industrie und zulasten der Menschen, die hier leben. Wir können eines nicht machen, dass dann, wenn Arbeitslosigkeit entsteht und diese Menschen Hartz IV beziehen, Sie die Ersten sind, die sagen: Die Regelsätze bei Hartz IV müssen steigen. – Das ist ein Ding, das wir nicht mittragen werden. Wir entlassen die energieintensive Industrie auch nicht aus ihrer Verantwortung – das wurde hier mehrfach angesprochen –, was ihren eigenen Energieverbrauch angeht. Es liegt auch im eigenen Interesse der Unternehmen, weniger Energie zu verbrauchen. Denn weniger Energie bedeutet weniger Kosten und bedeutet eine stärkere Position im Wettbewerb. Meine Damen und Herren, das begleiten wir. Wir werden uns nach wie vor politisch dafür einsetzen – zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zugunsten der Unternehmer. Die können sich dabei auf uns verlassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Dagmar Enkelmann. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Kollege Koeppen, als stellvertretende Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung kann ich sehr wohl einschätzen, über welches Know-how und welche wissenschaftliche Kompetenz die Rosa-Luxemburg-Stiftung verfügt. Dazu gehört unter anderem die genannte Energiestudie, die ich Ihnen nur wärmstens empfehlen kann, um Ihre Kompetenz möglicherweise weiter zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich maße mir nicht an, über die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung oder andere Stiftungen zu reden. Alle leisten ihren Teil zur politischen Bildung in diesem Land – genauso wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was Heinz Vietze anbetrifft, so hatte er anders als beispielsweise die damaligen Parlamentarier der CDU in Brandenburg einen großen Anteil daran, dass die Demokratie in Brandenburg entwickelt wurde. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist mir neu!) Die PDS ist mit verfassunggebende Partei in Brandenburg – anders als übrigens die CDU, die heute noch ein Problem mit der Verfassung in Brandenburg und mit der Demokratie in Brandenburg hat. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Das sieht man am gegenwärtigen Agieren der brandenburgischen Landtagsfraktion. Dafür werden Sie Ihre Quittung bekommen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/8608 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak-tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien – Drucksache 17/8877 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – Drucksache 17/9152 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Michael Kauch Dorothée Menzner Hans-Josef Fell b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Jan Korte, Dorothée Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter – Drucksachen 17/8892, 17/9152 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dirk Becker Michael Kauch Dorothée Menzner Hans-Josef Fell Zu dem Gesetzentwurf, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach intensiven Beratungen im Ausschuss, in den Arbeitsgruppen und einer ausführlichen Anhörung stellen wir nun die in Bezug auf die Photovoltaik überarbeitete Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Plenum zur Abstimmung. Dass es einen Handlungsbedarf für eine Novellierung gibt, daran besteht wohl auch in dieser Runde kein Zweifel. Nach einem Ausbau um 7 400 Megawatt im Jahr 2010 und um 7 500 Megawatt im Jahr 2011 müssen wir miteinander erkennen, dass hier eine Marktüberhitzung vorliegt, dass wir also handeln müssen. Weil ich das Argument schon kenne, dass wir mit einer Novelle Arbeitsplätze in Gefahr bringen – es ist in der letzten Debatte auch schon gefallen –, muss ich Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das EEG ist weder ein Instrument zur Gefährdung noch eines zur Rettung von Arbeitsplätzen, (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) sondern ein Instrument zur Markteinführung erneuerbarer Energien. Deshalb würde ich darüber jetzt auch gern sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wenn wir eine Marktüberhitzung tatsächlich zurückführen wollen und auf einen nachhaltigen Aufbaupfad kommen wollen, dann ist es notwendig, die Vergütungen abzusenken. Genau das machen wir. Zum einen ziehen wir die bereits erwartete Absenkung zum 1. Juli dieses Jahres um 15 Prozent auf den 1. April vor, und zum anderen legen wir eine nochmalige Degression um 5 bis 15 Prozent obendrauf, weil der Preisverfall auf dem Markt aufgrund des ruinösen Wettbewerbs durch chinesische Hersteller so ist, wie er ist. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Darum machen Sie das in Deutschland kaputt!) Wir achten aber darauf – in Modifizierung des Regierungsentwurfs –, dass diejenigen Investoren, die im Vertrauen auf die bestehende Gesetzeslage Geld in die Hand genommen haben, keine gestrandeten Investments hinnehmen müssen, sondern dass sie die Projekte, die sie in Angriff genommen haben, auch noch realisieren können. Wir haben also letztendlich Übergangsregelungen unterschiedlicher Art – je nach Anlagenart – geschaffen, und zwar für einfache Dachanlagen bis zum 1. April und für große Freiflächenanlagen, die auf einer Konversionsfläche errichtet werden und für deren Installation entsprechende Vorarbeiten notwendig sind, bis zum 30. September. Ich glaube, dass wir damit all denen, die im Vertrauen auf die geltende Rechtslage gehandelt haben, ein sehr, sehr faires Angebot machen. Einen zweiten wichtigen Punkt haben wir in dem Gesetzentwurf, so wie wir ihn jetzt dem Plenum vorlegen, berücksichtigt: Wir wollen den Investoren darüber hinaus auch in Zukunft Planungssicherheit verschaffen. (Ulrich Kelber [SPD]: Wie denn? – Jan Korte [DIE LINKE]: Reden Sie mal mit den Unternehmen!) Das haben wir erreicht, indem wir die zunächst vorgesehenen Verordnungsermächtigungen, mit denen die Bundesregierung auf entsprechende Marktentwicklungen reagieren wollte, zurückgenommen und im Gesetzentwurf fixiert haben, nach welchen Maßgaben sich die Vergütung tatsächlich richtet, damit das für jeden einsehbar und von vornherein klar ist. Deshalb haben wir den atmenden Deckel fortentwickelt, den es auch im derzeit geltenden Gesetz gibt, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den hat der Kollege Fell erfunden! Den hat Hans-Josef Fell erfunden!) und zwar unter der Maßgabe einer kontinuierlichen Degression zwischen 11 Prozent bei einem Ausbau im Rahmen des Korridors – also zwischen 2 500 und 3 000 Megawatt – und 29 Prozent ab einem Ausbau von 7 500 Megawatt. Denn wir sind doch gemeinsam der Meinung, dass wir eine solche Größenordnung nicht wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nächste Kritikpunkt, mit dem wir uns im Rahmen der Beratungen intensiv auseinandergesetzt haben, betraf die Absenkung des Korridors. Da kam die Frage auf: Die wollen gar nicht mehr PV-Installationen in diesem Land. Wie kommen die dann auf die Zahlen, die sie eigentlich wollen, bis 2020 letztendlich 52 Gigawatt? – Das ist insofern zu erklären, als in vielen Bereichen schon Netzparität erreicht ist und es also wirklich interessant ist, eine PV-Anlage auf dem Dach oder einer Freifläche zu installieren, wenn man denn weiß, wofür man den Strom nutzen will. Nicht mehr jede produzierte Kilowattstunde ist also als solche eine gute Kilowattstunde, sondern die Erneuerbaren – insbesondere die Photovoltaik – müssen jetzt Kunden für ihr Produkt finden. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie verwechseln gerade Kapazität und Leistung! Das ist für eine Umweltpolitikerin peinlich! Das sind zwei physikalische Größen!) Das ist völlig in Ordnung; das wollen wir. Deswegen muten wir das der Branche auch zu und sagen: Bei Dachanlagen bis 10 Kilowatt ist es vernünftig, bis zu 20 Prozent in den Eigenverbrauch zu gehen, (Rolf Hempelmann [SPD]: Was hat denn die Anhörung dazu ergeben?) und bei größeren Anlagen bis 1 000 Kilowatt kann man bis zu 90 Prozent in den Eigenverbrauch gehen. Damit haben wir letztendlich einen Hebel in der Hand und können sagen: Wer eine solche Anlage betreibt, der muss auch wissen, von wem der Strom abgenommen werden soll. Ich glaube, dass wir dadurch sehr innovative Projekte auf den Weg bringen. (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist keine Glaubensfrage, Frau Flachsbarth!) Denn ich kann mir vorstellen, dass Gewerbetreibende, Landwirte, Einzelhändler es natürlich interessant finden, ihren eigenen Strom zu geringeren Kosten zu produzieren, als sie aufbringen müssten, wenn sie ihn aus dem Netz holten. Darüber hinaus haben wir neue Modelle bezüglich eines modifizierten Grünstromprivilegs eingeführt, sodass der Mieter den Vermietern oder auch den nächsten Nachbarn den Strom zu sehr, sehr günstigen Preisen verkaufen kann, ohne dass das öffentliche Netz genutzt werden muss. Ich glaube, dass wir diesbezüglich tatsächlich auf einem sehr guten Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben darüber hinaus – das möchte ich hier noch erwähnen – in Bezug auf die Speicherförderung einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir haben nämlich Speicher von der EEG-Umlage befreit. Das ist vernünftig, um einen Anreiz für den Bau von großen Speichern, die wir im Zuge der Energiewende brauchen, zu schaffen. Und wir haben im Umweltausschuss einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung dazu auffordert, bis Oktober konkrete Vorschläge für ein Programm zur Markteinführung für Speicher vorzulegen und die Forschung in diesem Bereich zu intensivieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Oktober welchen Jahres? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher soll das Geld kommen?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt davon, dass wir mit der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, insbesondere mit der Förderung der Photovoltaik, einen richtigen Schritt in die Zukunft gemacht haben. Ich bin davon überzeugt, dass die Photovoltaik eine starke Säule der Energiewende bleiben wird und dass es bei uns einen nachhaltigen Ausbau der Photovoltaik geben wird. Herzlichen Dank für Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun der Wirtschaftsminister des Landes Thüringen, Matthias Machnig. (Beifall bei der SPD) Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im letzten Jahr ist in diesem Hause intensiv über die Energiewende diskutiert worden. Auch im Bundesrat wurde darüber debattiert. Ich habe immer genau zugehört, wenn beispielsweise Herr Röttgen oder andere Vertreter der Koalitionsfraktionen gesprochen haben. Was war deren Botschaft? Wir brauchen ein Gemeinschaftswerk, hieß es. Wir brauchen eine gute Koordination dessen, was wir tun. Heute zeigen Sie, dass Sie zu einem Gemeinschaftswerk nicht in der Lage sind. Ein Gemeinschaftswerk braucht nämlich eines: einen breiten politischen Konsens in den einzelnen Bereichen, auch wenn es um eine Schlüsselbranche wie die Solarindustrie geht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen eines voraus: So falsch es war, den Versuch zu wagen, wieder in die Kernenergie einzusteigen, um danach wieder auszusteigen, so falsch ist es jetzt, den Konsens, den man im Bundestag und auch mit den Ländern herbeiführen könnte, zu gefährden. Dazu kann ich nicht raten; denn wir werden ihn in den nächsten Jahren brauchen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will eine kleine Geschichte erzählen; denn man lernt aus Konkretem. Auf Einladung des Bundeswirtschaftsministers, Herrn Rösler, war ich im Januar beim Konjunkturrat. In diesem Gremium, das im Wachstums- und Stabilitätsgesetz vorgesehen ist, berät der Bundeswirtschaftsminister mit den Wirtschaftsministern der Länder. Wir haben über Konjunktur und Energie geredet. Ich bin seit 30 Jahren in der Politik aktiv, aber ich habe noch nie erlebt, dass übereinstimmend festgestellt worden ist – Herr Zeil, ein Vertreter der FDP, hat damit begonnen –, dass wir im Bereich der Energiepolitik endlich eine vernünftige Koordination in Deutschland brauchen. Diese Auffassung wurde von allen Vertretern, ob CDU, ob CSU, ob FDP, ob Grüne, ob Linkspartei, ob SPD, geteilt. Das macht deutlich, was wir in den nächsten Jahren brauchen. Vonseiten der Länder haben wir Herrn Röttgen und Herrn Rösler immer wieder signalisiert: Sprecht doch einmal mit uns! (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sprechen ja nicht mal untereinander!) Wir kennen die Industrie. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht durch Ihre Arbeit!) In Thüringen gibt es mehr als 5 000 Arbeitsplätze in der PV-Industrie. Sprecht doch einmal mit uns! Man hätte klüger werden können und die eine oder andere Entscheidung anders getroffen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage deshalb auch hier: Wenn man heute über den vorliegenden Gesetzentwurf entscheidet, muss man vier Antworten darauf geben, warum man das macht. Man muss eine energiepolitische Antwort geben, man muss eine investitionspolitische Antwort geben, man muss eine industriepolitische Antwort geben, und man muss eine preispolitische Antwort geben. Dazu mache ich einige Bemerkungen. Erstens zur Energiepolitik. Die PV-Industrie ist der Energieträger mit der höchsten Akzeptanz aller Energieträger in Deutschland. 96 Prozent unterstützen diesen Energieträger. Ich kenne keinen anderen Energieträger, der eine so hohe Akzeptanz findet. Wenn wir etwas für die Realisierung der Energiewende brauchen, dann Akzeptanz und ein Konsens darüber, welche Energieträger wir in den nächsten Jahren einsetzen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entscheidend ist auch: PV stärkt dezentrale Strukturen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, das solle alles dezentral ablaufen. Wir brauchen in den nächsten Jahren ein ausgewogenes Verhältnis von dezentralen und zentralen Strukturen. Wir brauchen aber auch dezentrale Angebote, und da ist die Photovoltaik von ganz entscheidender Bedeutung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Sie müssen mir einmal eines erklären: Wenn Sie im Jahr 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 35 Prozent erreichen wollen, Sie aber beim Bereich Offshorewind nicht vorankommen – und in anderen Bereichen auch nicht –, dann werden wir die Photovoltaik brauchen, um das Ziel zu erreichen. Das ist die Wahrheit. Man muss sich dazu bekennen oder die Ziele entsprechend anpassen; eines von beiden geht nur. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens zur Investitionspolitik, einem Thema, das mir ganz besonders wichtig ist. Für die Energiewende brauchen wir in den nächsten Jahren massive Investitionen im Bereich der Netze, aber auch im Bereich der fossilen Energieträger. In diesem Zusammenhang stelle ich fest: Die Vorgänge, die sich derzeit in der Solarbranche abspielen, werden nicht auf die Solarbranche beschränkt bleiben. Reden Sie doch einmal mit Energieunternehmen! Ich jedenfalls mache das. (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!) Sie sagen: Diese Bundesregierung verunsichert die Märkte, sie schafft keine klaren Rahmenbedingungen – nicht nur in der Solarindustrie, sondern auch in anderen Bereichen. Das ist ein Riesenproblem für die Energiewirtschaft; denn wir brauchen in den nächsten Jahren Investitionen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie haben sich nicht geändert, Sie Schlaumeier!) Das ist die Wahrheit. Deshalb sage ich: Wir brauchen klare Rahmenbedingungen. Ich hoffe, dass das gelingt. Das dritte Thema ist die Industriepolitik. Auch hier will ich Ihnen einen Hinweis geben. Wer sich die Zahlen im Hinblick auf die deutschland- und weltweit installierte Leistung anschaut, wird Folgendes feststellen: Im Jahre 2011 wurden knapp 28 Gigawatt Photovoltaikleistung verbaut, davon 7,5 Gigawatt in Deutschland. 2010 lag dieser Wert noch bei 50 Prozent. Was ist passiert? Die internationalen Märkte springen an. Wir haben die Photovoltaik ja nicht nur gefördert, weil wir sie inländisch nutzen wollen, sondern auch, weil sie für deutsche Unternehmen eine Riesenexportchance bedeutet, vorausgesetzt, dass diese Unternehmen noch existieren. Ich möchte gerne, dass die Unternehmen existieren, damit sie die Chancen auf den internationalen Märkten nutzen können. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich die Zahlen vergegenwärtigt – 20 Milliarden Euro Umsatz, Investitionen in Höhe von 19,5 Milliarden Euro im Jahre 2010, 70 Prozent aller Investitionen im Bereich der Erneuerbaren in der Photovoltaikbranche – und ein bisschen volkswirtschaftlich denkt, wird deutlich, dass diese Branche industriepolitisch ein sehr wichtiger Faktor ist. Das ist gerade für Thüringen und die anderen neuen Bundesländer essen-ziell. Wir haben hier eine der wenigen Branchen mit Zukunftspotenzial aufbauen können. Entstanden ist dies im sogenannten Solar Valley, einem der größten Solarcluster der Welt. Jetzt erleben wir, dass Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die de facto zu einer Unterstützung chinesischer Solarhersteller führen; das ist die Konsequenz aus Ihrer Politik. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gefährdet 30 bis 40 Prozent aller industriellen Arbeitsplätze, sagt die Branche; das müssen wir im Auge behalten. Es handelt sich hier um eine industriepolitische, innovationspolitische und strukturpolitische Schlüsselaufgabe, die wir in den nächsten Jahren angehen müssen. Das sage ich insbesondere als Minister eines neuen Bundeslandes. Ich bitte Sie darum, einmal neu darüber nachzudenken. In Frankreich wird zum Beispiel gerade über eine Local-Content-Klausel diskutiert. Vielleicht ist das ja nur Wahlkampfgeklingel, weil Herr Sarkozy im Wahlkampf steckt; ich weiß es nicht genau. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und der andere ist nicht im Wahlkampf? Das ist ja lächerlich!) – Ich bin nicht im Wahlkampf, sondern Sie, Herr Lindner. Ich war einmal im Wahlkampf. Wir haben gegen Sie gewonnen; das war das Schöne. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP) – Ist ja gut. Wir kommen schon noch; macht euch mal keine Sorgen. 2 Prozent ist ja nicht so sehr stark. Ich will auf Folgendes hinaus: In anderen Ländern wird ernsthaft darüber diskutiert, wie man Industriepolitik macht, um die Branche zu unterstützen. Frankreich habe ich bereits genannt; auch Italien hat eine Local-Content-Klausel, ebenso Kanada. Wir sollten ernsthaft darüber diskutieren, ob es nicht auch in Deutschland eine Local-Content-Klausel geben sollte, um diese Schlüsselindustrie, die wir im 21. Jahrhundert brauchen, voranzubringen. Mit Blick auf den vorliegenden Gesetzentwurf will ich eines sagen: Es gibt seit dem 23. März eine positive Entwicklung; das will ich ausdrücklich festhalten. Ich finde es gut, dass die Verordnungsermächtigungen gestrichen worden sind. Meine Vermutung aber ist die Folgende: Sie sind ohnehin nur hineingeschrieben worden, damit die Fraktionen sie wieder herausstreichen können. (Dirk Becker [SPD]: Genau das ist der Punkt! – Ulrich Kelber [SPD]: Billiges Theater! Der Abteilungsleiter lacht doch schon!) Das ist meine Vermutung, das kann ich natürlich nicht beweisen. (Christian Hirte [CDU/CSU]: Sie dürfen nicht von sich auf andere schließen!) Ich finde, dass sich die Übergangsfristen verbessert haben; das unterstütze ich sehr. Ich halte auch das eine oder andere Element für richtig, zumindest ist es ein Schritt in die richtige Richtung. In der Substanz aber kann dieser Gesetzentwurf nicht so bleiben. Wir brauchen weitere Schritte; sie sind dringend notwendig. Da will ich einige Dinge ansprechen. Ich halte das Festhalten am Deckel von 3 500 Megawatt für falsch, weil doch eines klar ist: Nur wenn es uns gelingt, eine Economy of Scale aufzubauen, werden wir in der Lage sein, die Kostendegression in den nächsten Jahren voranzutreiben. Die Kostendegression bei der Photovoltaik muss doch im Zentrum stehen, damit wir schnell wettbewerbsfähige Preise haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion? Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Ja, am Ende, wenn ich so weit bin. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dann ist es ja keine Zwischenfrage mehr. Jetzt oder nie! Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Bitte schön. Christian Hirte (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Minister Machnig, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir uns in einer Weltmarktsituation befinden, in der das Angebot in der Solarbranche sehr stark die Nachfrage übersteigt, etwa um das Doppelte? Wollen Sie außerdem bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir, wenn Sie schon davon sprechen, die Industrie zu schützen, auch sichere Rahmenbedingungen schaffen wollen? Wenn Sie gerade verkünden, dass der Gesetzentwurf in seiner Ausprägung aus Ihrer Sicht nicht ausreichend ist, erweckt das den Anschein, dass Sie dem auf Länderebene nicht zustimmen wollen, – Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Das ist so, ja. Christian Hirte (CDU/CSU): – was hieße, dass gegebenenfalls für Monate eine rechtsunsichere Lage entsteht (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Herbeigeführt wird!) und Sie damit der Branche eventuell einen Bärendienst erweisen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Ich finde, das ist ein tolles Argument. Dann will ich einmal ein anderes Beispiel nennen: Im weltweiten Automobilmarkt haben wir seit Jahren Überkapazitäten. Es käme in Deutschland niemand auf den Gedanken, die deutsche Automobilindustrie wegen weltweiter Überkapazitäten zu schwächen. Niemand käme auf diesen Gedanken! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Armes Thüringen!) – Das ist doch die Wahrheit. Wir haben im Übrigen in der Großen Koalition in einer schwierigen konjunkturellen Lage – das war auch nicht unumstritten – ein Programm zur Steigerung der Nachfrage nach neuen Fahrzeugen geschaffen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist ein lobbyistischer Veitstanz, der hier aufgeführt wird!) – Ja, das ist klar. Das müssen Sie gerade sagen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie sind alle Lobbyisten!) – Ja, wir sind alle Lobbyisten. Vielen Dank. Das sagt mir jemand von der FDP. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth von der FDP? Das verlängert Ihre Redezeit. Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Ja, gerne. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Herr Minister, die Ostthüringer Zeitung vom heutigen Tage – sie kommt aus Ihrem Bundesland – schreibt: Solarzellenproduktion wächst immer noch. Unterüberschrift: Fachzeitschrift prognostiziert weitere Verlagerung nach Fernost und anhaltende Dominanz der chinesischen Hersteller. (Ulrich Kelber [SPD]: Ja, weil sie eure -Gesetze kennen! Mein Gott!) Unter den Top 10 der Solarzellenproduzenten findet man inzwischen sechs Chinesen. Ich frage Sie, inwieweit Sie mit der EEG-Novelle, die Sie eventuell einbringen wollen, diesem Trend in der Produktion – nicht in der Innovation – entgegenwirken? Eine zweite Frage: Können Sie mir, wenn Sie der Auffassung sind, dass die Automobilproduktion trotz weltweiter Nachfrage überdimensioniert ist, erklären, wie viele Millionen Sie Opel Eisenach in diesem oder auch im letzten Jahr überwiesen haben? Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Das kann ich gerne machen. Wir können in Thüringen weiter darüber diskutieren. Auch dafür stehe ich ein. Bei Opel Eisenach werden im Übrigen gerade 200 Millionen Euro investiert, um eine neue Produktlinie, ein neues Produkt aufzubauen. Das, was wir da tun, ist richtig und auch regionalpolitisch sehr vernünftig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir können doch nicht die Entscheidung treffen, die weltweiten Überkapazitäten zulasten der deutschen Standorte abzubauen. Das ist keine Wirtschaftspolitik; das ist gar nichts, überhaupt nichts. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist Untergangsgezucke!) Das Zweite ist: Ich glaube, dass wir bei den Fördersätzen ab dem 1. April zu viel tun. Ich bin für die Degression; das sage ich hier ganz klar. Mir geht es um ihre Höhe. (Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] nimmt wieder Platz – Ulrich Kelber [SPD], an Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] gewandt: Das ist schon noch die Antwort! Ein Benehmen! – Christian Lange [Backnang] [SPD], an Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] gewandt: Bleiben Sie stehen, bitte! Aufstehen!) Das Thema ist auch nicht unstrittig. Ich war einmal im Bundesumweltministerium; da haben wir auch eine Degression vorgenommen. Die Frage ist, wie hoch die Degression ist. Die höchste Wertschöpfung hat die deutsche Solar-industrie im Bereich kleinerer Anlagen, die auf den Dächern installiert werden. Wir sollten deswegen Regelungen suchen, damit gerade dieses Marktsegment, in dem wir bei deutschen Herstellern die größte Wertschöpfung haben, gefördert wird. Dort sollten wir die Vergütungssätze nicht absenken, sondern sogar leicht steigern. Das ist meine Position in der Sache. (Beifall bei der SPD) Mein letzter Punkt. Ich würde gerne darüber sprechen, wie wir Regelungen finden können, um wieder für mehr Planungssicherheit zu sorgen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Ich weiß, ich will nur noch einen Gedanken ausführen. – Ich glaube nicht daran, dass das Modell des atmenden Deckels in dieser Form funktioniert. Das schafft mehr Unsicherheit als Sicherheit. (Zuruf von der SPD: So ist das!) Deswegen sollten wir zu der Regelung zurückkehren, dass es zu bestimmten Stichtagen klar definierbare Absenkungen der Einspeisevergütung gibt. Ich glaube, es wäre vernünftig – da gibt es durchaus eine Diskrepanz zwischen der SPD-Bundestagsfraktion und einem Ländervertreter –, die Degression, die wir ohnehin im EEG für 2012 beschlossen haben, zum 1. Juli einzuführen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen. Matthias Machnig, Minister (Thüringen): Ein letzter Satz. – Mir ist eines wichtig: Ich und meine Landesregierung, wir wünschen uns – das kann ich in Übereinstimmung mit meiner Ministerpräsidentin sagen, die der CDU angehört –, dass wir über den Bundesrat die Chance bekommen, im Vermittlungsausschuss noch einmal über das Paket zu reden. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Das möchte ich gerne, weil ich glaube, dass dies eine Chance ist, zu einem breiteren Konsens in der Sache zu kommen, den wir brauchen. Es muss der Grundsatz gelten: – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen. Matthias Machnig, Minister (Thüringen): – Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Wir alle sollten uns ein bisschen ändern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD – Christian Hirte [CDU/CSU]: Sie schaden der Branche!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Machnig ist ja ein importierter Landesminister. (Lachen des Landesministers Matthias Machnig [Thüringen]) Er ist aus Berlin importiert, wo er Staatssekretär war. Als Staatssekretär im Umweltministerium war er federführend für das EEG 2009 zuständig. (Dirk Becker [SPD]: Die Kanzlerin war aber auch daran beteiligt!) Damals hat Herr Gabriel gemeinsam mit Herrn Machnig einen Zielkorridor für die Photovoltaik von 1 200 bis 1 900 Megawatt für das Jahr 2011 beschlossen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das hat das Parlament beschlossen! – Dirk Becker [SPD]: Das hat Frau Reiche für die CDU verhandelt!) Diese Koalition hat diesen Zielkorridor in etwa verdoppelt. Der Ausbau war dann noch einmal doppelt so hoch. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Eine falsche Behauptung wird durch Wiederholung nicht richtig!) Das ist die Wahrheit. Schauen Sie doch ins Gesetz. Der atmende Deckel, der gerade kritisiert wurde, (Dirk Becker [SPD]: Das hat die Union mit Frau Reiche damals verhandelt!) wurde in das EEG 2009 sozusagen in einer Kurzfassung eingeführt. Basis für die Degression 2011 ist ein Anlagenzubau von 1 900 Megawatt als Obergrenze und 1 200 Megawatt als Untergrenze. Das kann jeder gerne auf seinem iPhone nachlesen. Die ganze Diskussion ist scheinheilig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Kleinere Ziele, aber bessere Ergebnisse!) Als er Staatssekretär war, waren es 1 900 Megawatt. Jetzt soll es keine Obergrenze geben, nur weil es vielleicht einen Hersteller gibt, den er hier als Landesminister vertritt. Das mag ja legitim sein, aber das ist keine verantwortliche Politik für das ganze Land. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Lernen Sie sich einmal zu benehmen am Rednerpult!) Die Mengen sind zwei Jahre hintereinander doppelt so hoch gewesen, wie es das Gesetz vorsieht. (Ulrich Kelber [SPD]: Schlimm! Da muss man sofort eingreifen!) Es wäre ja schön, wenn sich das aus dem Markt heraus entwickelt hätte, aber es ist doch nur deswegen so gekommen, weil die Preise für die Solaranlagen schneller gesunken sind als die Vergütung. (Ulrich Kelber [SPD]: Ganz schlimme Entwicklung! Aber Ironie kommt im Protokoll ja nicht rüber!) Wenn die Preise für die Anlagen schneller sinken als die Vergütung, dann machen sich diejenigen, die die Anlagen aufbauen, die Taschen voll, und die Rechnung wird dem Endverbraucher präsentiert. Das will die SPD fortführen; das ist der Punkt. Das ist unsoziale Politik: Einige machen sich die Taschen voll, und andere müssen es bezahlen. Das machen wir nicht mit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das war allerhöchstens Pflichtbeifall!) Wenn die Preise für Anlagen sinken, dann finden wir das gut, weil das technischen Fortschritt bedeutet. Das genau ist es, was wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz erreichen wollen: dass Anreize für Innovationen geschaffen werden und die Kosten durch hohe Stückzahlen sinken. Wenn die Kosten sinken, dann muss aber auch die Vergütung sinken. Ansonsten wäre das aus meiner Sicht gegenüber dem Normalbürger in unserem Land, der am Schluss die Rechnung bezahlt, nicht vertretbar. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den belasten Sie doch zugunsten der Industrie!) Deshalb müssen wir auch bei der Menge zu einem Umdenken kommen. (Ulrich Kelber [SPD]: Beim Einzelhandel hat das Kabinett gerade den Verkauf unter Einstandspreis verboten!) Eine Energiewende bedeutet, dass wir das gesamte Energiesystem in einem gewissen Zeitrahmen auf erneuerbare Energien umstellen wollen. Dann müssen die erneuerbaren Energien aber nicht nur Masse, sondern auch Qualität im Netz liefern. Deshalb brauchen wir einen Energiemix der verschiedenen Formen der erneuerbaren Energien. Für das Energiesystem ist es nicht gut, wenn wir auf der einen Seite auf Teufel komm raus die Solarindustrie subventionieren und wenn auf der anderen Seite andere Technologien keinen Raum haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn?) – Beispielsweise die Solarthermie. Investitionen in diesem Bereich haben seit dem Boom der Photovoltaik nachgelassen, weil es sich eben mehr lohnt, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach zu installieren als eine Solarthermieanlage. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn für die Solarthermie? Sagen Sie mir, was Sie für die Solarthermie tun!) Deshalb müssen wir beim Ausbau der Versorgung durch erneuerbare Energie zu einer Nachhaltigkeit kommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn uns hier suggeriert wird, bei der Vergütungshöhe ginge es um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Solarindustrie, dann geht das leider völlig am Thema vorbei. Die deutschen Solarunternehmen stehen in Konkurrenz zu den Chinesen, egal wie hoch die Vergütung ist. Deutsche Verbraucher, die sich eine Solar-anlage auf das Dach bauen, entscheiden nach Preis und Qualität, ob sie eine deutsche oder eine chinesische Anlage kaufen. Wenn man nicht billiger ist als die Chinesen, dann muss man besser sein als die Chinesen. Das heißt, dann muss man mehr Qualität liefern. Nur so werden die deutschen Solarunternehmen in diesem Land eine dauerhafte und gute Zukunft haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich höre immer wieder, wir brauchten eine Local-Content-Klausel. Was bedeutet denn Local Content? -Local Content bedeutet: Ihr dürft hier nur dann eure Solaranlagen verkaufen und die entsprechende Vergütung erhalten, wenn ihr hier produziert. – Wenn wir diese Logik auf alle Branchen der Wirtschaft ausweiten, dann ist das das Ende der Exportnation Deutschland. Das macht den Freihandel kaputt. Das, was hier gefordert ist, ist gegen die deutschen Interessen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es gibt nicht nur die Solarbranche; es gibt auch andere Arbeitsplätze in der Industrie, und die vergessen Sie an dieser Stelle. Ich muss sagen: Ich finde das beschämend, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Beschämend ist das, was ihr bei Schlecker macht!) gerade vor dem Hintergrund der nordrhein-westfälischen Situation, nämlich wenn uns Ministerpräsidentin Kraft aus Nordrhein-Westfalen immer wieder sagt: „Wir müssen die industriellen Kerne erhalten“, und dann Vorschläge gemacht werden, die am Schluss den Freihandel zunichtemachen, aufgrund dessen diese Unternehmen auf dem Weltmarkt bestehen. Das ist das Gegenteil von kluger Industriepolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dorothée Menzner (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! 16 Gigawattstunden – das war gestern zwischen 12 und 13 Uhr in der Mittagszeit die Strommenge, die Solaranlagen in Deutschland produziert haben. 16 Gigawattstunden entsprechen dem Jahresverbrauch von 4 500 Haushalten. Für diesen sauberen Strom wurde keine Kohle, kein Öl und kein Uran verbraucht und folglich auch kein CO2 freigesetzt. Für diejenigen, die auf Atomkraft stehen: Bei Atomstrom wären dafür 11,3 Kilo Atommüll angefallen. Zur gleichen Zeit mussten die vier großen Energie-konzerne trotz Spitzenlastzeit fossile Großkraftwerke herunterregeln, und zur gleichen Zeit ist der Strompreis an der Börse, der morgens um 9 Uhr noch 5 Cent je Kilowattstunde betrug, wegen des hohen Angebots an erneuerbaren Energien auf 2,5 Cent gefallen. Dass das die vier großen Stromkonzerne Eon, RWE und Co. nicht besonders freut, die bisher in der Mittagszeit ihre größten Gewinne gemacht haben, ist vollkommen klar. Die Preise sind gesunken; hier können sie keine Gewinne mehr machen. Nur so viel zu dem Märchen, man müsse aus Verbraucherschutzgründen den Zubau an Solaranlagen drosseln. (Beifall bei der LINKEN) Das hat etwas mit der Preisbildung zu tun und nicht damit, dass dies für den Verbraucher so teuer wäre. Wir beraten heute abschließend einen Gesetzentwurf, der in Berlin Tausende von Mitarbeitern der Solarbranche zu Protesten auf die Straße gebracht hat. Dieser Gesetzentwurf ist fatal, selbst wenn man die Änderungen – zum Teil waren das tatsächlich Verbesserungen – der letzten 48 Stunden einrechnet. Daran wird aber auch deutlich, mit welch heißer Nadel diese Koalition strickt. Dass die Bundesregierung den Zubau von Solaranlagen begrenzen will, ist aus ihrer Sicht logisch; das muss ich zugestehen. Die vier großen Energiekonzerne haben schlicht und ergreifend den Zug der Zeit verpasst. Sie kommen nicht hinterher und realisieren jetzt, dass ihr Monopol allmählich bröckelt, weil die Bürgerinnen und Bürger selbst zu Stromproduzenten werden. Das kann Konzernlobbyisten nicht gefallen. Die Koalition legt mit ihren Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes seit 2009 ein Hü und Hott an den Tag, das jeden Verbraucher, aber auch die Industrie unnötig verunsichert. Wer heute eine PV-Anlage plant, weiß nicht, mit welchem Satz er den eingespeisten Strom in einigen Monaten vergütet bekommt. So dreht man einer Branche den Hahn ab. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz allein ist natürlich nicht dazu in der Lage, die Photovoltaikbranche in diesem Land wettbewerbsfähig zu halten. Dazu gehört noch sehr viel mehr. Dazu gehört zum Beispiel Industriepolitik. (Beifall bei der LINKEN) Öffentliche Bürgschaften gehören dazu, Zertifizierungspflichten, Recyclingregelungen oder auch die Förderung von Forschung und Entwicklung. Bei all dem herrscht aber Fehlanzeige. Wenn wir nachfragen, heißt es immer, dafür sei kein Geld da, das sei zu teuer. Ich kann nur sagen: Ganz stimmen kann das nicht. Entwicklungshilfe und internationale Zusammenarbeit sind etwas sehr Sinnvolles; sie finden unsere Unterstützung. Wenn man sich hier hinstellt und sagt, dass für die Solarindustrie kein Geld da sei, es aber woanders ausgibt, dann ist das absurd. Yingli – das ist ein chinesischer Solarhersteller, einer der größten weltweit – macht fast die Hälfte seines Umsatzes in Deutschland. Das Unternehmen kassierte einen 25-Millionen-Kredit der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, einer Tochter der öffentlich-rechtlichen KfW. Yingli geht es nicht besonders schlecht. Das Unternehmen hat große Werke, macht Umsatz und Gewinn, so viel, dass das Unternehmen sogar einer der Sponsoren des FC Bayern München ist. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Da schau her!) Wenn die KfW außerdem einen zinsgünstigen Kredit über 75 Millionen Euro an die chinesische Staatsbank gibt, die das Geld dann unter anderem an die größten Konkurrenten der deutschen Unternehmen in der Solarwirtschaft weiterreicht, dann darf man diese Regierung, so finde ich, getrost fragen, wieso keine Gelder da sind, um die deutsche Industrie in den Bereichen Forschung und Entwicklung zu unterstützen. (Beifall bei der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: 100 Millionen! Forschungsallianz!) Wieso ziehen sie sich immer wieder mit dem Argument, dass kein Geld da ist, zurück, und wieso versäumen Sie es, Industriepolitik zu machen? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluss kommen? Dorothée Menzner (DIE LINKE): Sie würgen eine ganze Branche ab. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Judith Skudelny [FDP]: Die Lobby spricht! – Gegenruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer kräht da?) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Gesetzesnovelle ist ein heftiger Schlag gegen die erfolgreiche und innovative Solarbranche. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Schwarz-Gelb kennt kein Erbarmen mit den Arbeiterinnen und Arbeitern in dieser Branche, obwohl in den letzten Wochen weitere Solarfirmen Insolvenz und Kurz-arbeit anmelden mussten. (Christian Hirte [CDU/CSU]: Vor der -Novellierung!) Ihre radikalen und überzogenen Vergütungskürzungen werden, verbunden mit einer fehlenden Industriepolitik, weitere Insolvenzen verursachen. Deswegen werden wir Grünen Ihrer Gesetzesnovelle nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Hirte [CDU/CSU]: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!) Wir brauchen diese Branche, wenn wir den Atomausstieg schultern wollen. Statt einer drastischen Zubaubeschränkung, die Sie in Ihrem Gesetz vorsehen – sogar die Planzahlen sind geringer –, benötigen wir einen verstärkten Zubau im Bereich der erneuerbaren Energien. Sie wollen angeblich die Kosten senken. Sie erhöhen aber die Belastung der Sozialkassen, indem Sie immer mehr Insolvenzen, Kurzarbeiter und Arbeitslose schaffen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirte von der CDU/CSU-Fraktion? Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne, Herr Kollege Hirte. Christian Hirte (CDU/CSU): Sehr geehrter, lieber Kollege Fell, Sie haben gerade ausgeführt, dass es in der Solarbranche schon Insolvenzen gab. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass diese vor der Novellierung des aktuellen EEG eingetreten sind? Haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass das etwas damit zu tun hat, dass das weltweite Angebot die Nachfrage deutlich übersteigt? Das ist unabhängig davon, ob wir aktuell noch etwas ändern. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie genau zugehört hätten, Herr Kollege Hirte, wüssten Sie, dass ich betont habe, dass es auch an der fehlenden Industriepolitik dieser Bundesregierung liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Da möchte ich mich auf Herrn Machnig beziehen, der dies gerade sehr schön ausführen konnte, weil er mehr Redezeit hatte. Ich kann das nicht so umfangreich ausführen. Es ist klar: Der Wettbewerber aus China ist stark geworden. Wir sollten uns zunächst einmal freuen, dass auch China groß in eine Klimaschutztechnologie investiert. Aber jetzt wird China einen großen starken Binnenmarkt aufbauen. Wir haben Freude daran, wenn unsere Unternehmen dorthin exportieren können, aber bevor dies in großem Rahmen stattfindet, wird ein Teil unserer deutschen Solarfirmen vom Markt verschwunden sein. Es kann doch nur ein Treppenwitz der Geschichte sein, dass wir die Solarindustrie mit großen Geldern erst aufgebaut haben und Sie dann, wenn es um das Ernten in der Exportwirtschaft geht, die Daumenschrauben bei dieser Industrie ansetzen. Nein, das ist keine gute Industriepolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christian Hirte [CDU/CSU]: Sie haben an der Frage vorbeigeantwortet!) Sie wollen Kosten senken, aber Sie erhöhen einfach die Finanzierungskosten für die Solarinvestoren. Sie bejammern fehlende Netzintegration, aber Sie verweigern sich der Einführung eines Speicherbonus. Sie wollen den Mittelstand, die Handwerker und die kleinen Firmen -unterstützen, Sie senken aber in genau diesem Geschäftssegment überproportional. So sinkt nach Ihrem Gesetzentwurf die Vergütung bei Freiflächen um etwa 24 Prozent, während Sie bei Dachflächen sogar um sage und schreibe 32,5 Prozent kürzen. Bei den Dachanlagen kommt auch noch die neue Zwangsvermarktung hinzu. Ein Familienvater hat doch gar keine Chance, seinen Solarstrom vom Hausdach an der Börse zu vermarkten. (Michael Kauch [FDP]: Nein, aber selber -verbrauchen!) – Sie haben es als Marktintegration bezeichnet und sagen, er soll den Strom, wenn er ihn nicht verbrauchen kann, vermarkten. Das ist hier verfehlt. (Michael Kauch [FDP]: Abwegig!) Ihre Zwangsvermarktung wirkt wie eine weitere 10- bis 20-prozentige Vergütungssenkung. Das alles trifft die Hausbesitzer, die Mieter, die Vermieter, die Bürgergenossenschaften, all diejenigen, die einen persönlichen Beitrag zum Atomausstieg leisten wollen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch? Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich diesen Gedanken vorher zu Ende führen. – Es trifft vor allem die Handwerker, die gerade hinsichtlich der Dachanlagen schon heute massive Markteinbrüche befürchten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bitte, Herr Kollege. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Kollege Kauch. Michael Kauch (FDP): Herr Kollege Fell, ich schätze Ihr Engagement für die erneuerbaren Energien, aber man muss bei der Wahrheit bleiben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt genau der Richtige!) Im Gesetz ist nicht vorgesehen, dass der Eigenheimbesitzer mit seinem Strom an die Börse geht. Wenn man sich den entsprechenden Paragrafen im EEG, so wie er hier heute beschlossen wird, anschaut, dann sieht man, dass es bei den kleinen Dachanlagen natürlich um den Eigenverbrauch geht. (Rolf Hempelmann [SPD]: Warum nennt ihr das dann Marktintegrationsmodell?) Ich sage ganz deutlich: Es geht um eine Entlastung der Netze und vor allen Dingen um Dezentralität, die gerade die Photovoltaik schaffen soll. Dies soll entsprechend gefördert werden. Deshalb bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass es hier um einen Eigenverbrauchsanteil von 20 Prozent geht. Diesen Anteil kann jeder Hausbesitzer, der sich ein bisschen um seinen Stromverbrauch kümmert, erreichen. Dies kann auch von ihm gefordert werden, schließlich bekommt er über die Verbraucherinnen und Verbraucher erhebliche Mittel und hat deshalb eine gewisse Gemeinwohlverpflichtung zur Netzentlastung. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss er Strom verschwenden, dass er auf die 20 Prozent kommt?) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Kauch, das gehört, wie so oft, in Ihre theoretischen Begründungen, die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ein Hausbesitzer, der jetzt in dieses Zwangsvermarktungsmodell kommt, muss zusätzliche Investitionen aufbringen, beispielsweise einen zweiten Zähler kaufen, der nicht billig ist und über Jahre hinweg Zusatzkosten verursacht. Dadurch wird die Gesamtbelastung durch die Investition erhöht, und die Renditen sinken. Die Anschaffung eines zweiten Zählers ist völlig unnötig; denn der Hausbesitzer wird keine Chance haben, das, was er nicht selbst verbraucht, zu vermarkten. Das haben Sie ja selbst zugegeben. An die Börse – das wissen wir – kann er nicht. Ja, an wen soll er denn verkaufen? An den Nachbarn? Soll er ein Energieversorgungsunternehmen oder so etwas werden? Das ist völlig abstrus, was Sie hier vorlegen. Es wird keine Vermarktungschance für diesen Teil der Dachbesitzer geben. (Michael Kauch [FDP]: Das hat ja auch keiner gesagt!) Damit ist Ihre Gesetzesnovelle genauso verfehlt wie das, was Sie im Zusammenhang mit der Marktprämie gemacht haben. Auch da sagten Sie: Wir wollten eigentlich die Integration in den Markt stärken. – Sie erzeugen nur Zusatzkosten im Erneuerbare-Energien-Gesetz, aber keine Marktintegration. Aber diese handwerklichen Fehler haben bei Ihnen ja Methode. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herr Kauch, dass Sie selbst nichts von Ihrer sogenannten Marktintegration halten, haben Sie gezeigt, indem Sie die Zwangsvermarktung für große Freiflächen nun gestrichen haben. Was Sie tun, ist immer dasselbe: Die Großen werden bevorteilt, und die Kleinen werden weiter belastet. Das ist lupenreine FDP-Politik, Herr Kauch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: Ja, genau! Deshalb kriegen die auch eine Kürzung um 30 Prozent! Das ist ja eine Superbevorteilung! Das ist doch absurd!) Es hätte nur noch gefehlt – hören Sie gut zu! –, dass Sie auch die Hotelbesitzer von der Zwangsvermarktung befreit hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: Ach! Nicht schon wieder diese Leier! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt eigentlich! Warum sind die denn nicht befreit worden?) Auch Herr Seehofer, der sich mit seiner CSU so gerne als Beschützer der kleinen Leute und des Handwerks darstellt, hat versagt. Noch am 14. März dieses Jahres, bei der Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse in München, betonte er, die vom Kabinett angesetzten Kürzungen seien zu hoch und setzten die falschen Schwerpunkte. Recht hat er. Aber herausgekommen ist bei den Verhandlungen zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und den Koalitionsfraktionen das glatte Gegenteil. Er hat die mittleren Segmente, – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – das, woran die Handwerker verdienen, noch stärker belastet und damit in diesem Segment für eine Verschlechterung gesorgt. Wir fordern Sie, meine Damen und Herren von der CSU, auf: Wenn Sie es ernst meinen, dann organisieren Sie eine Bundesratsmehrheit, um exakt dies zu korrigieren! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Minister Norbert Röttgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Teilzeitminister!) Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Alle Reden der Opposition, insbesondere die von SPD und Grünen, die heute gehalten worden sind, sind fast bis in die Formulierungen hinein – gerade bei Ihnen, Herr Kollege Fell, war das so – vor zwei Jahren schon einmal genauso gehalten worden. (Dirk Becker [SPD]: Und Sie haben dieselbe Rede, mit der Sie jetzt anfangen, schon vor zwei Wochen gehalten! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie halten doch auch immer die gleiche Rede, Herr Röttgen!) Damals haben Sie angekündigt: Die Branche wird sterben, Deutschland wird seine Technologieführerschaft verlieren, die Solarbranche wird keine Zukunft haben. Nachdem Sie Ihre Reden vom Tod der Branche gehalten haben, hat die Erfolgsgeschichte der Photovoltaik in diesem Land aber erst angefangen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und zwar deshalb, weil wir diese Gesetzesänderungen vorgenommen haben. (Dirk Becker [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!) – Das sind die Fakten. Sehen Sie: Sie sprechen immer von „glauben“, ich rede von den Fakten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu den Fakten gehört, dass wir in den letzten beiden Jahren 15 000 Megawatt zugebaut haben. Das ist deutlich mehr als das Doppelte von dem, was in all den Jahren zuvor, als SPD und Grüne regiert haben, zugebaut wurde. Wir haben also in zwei Jahren mehr als doppelt so viel geschafft, wie Sie in den Jahren Ihrer Regierungszeit zuwege gebracht haben, meine Damen und Herren. (Ulrich Kelber [SPD]: Aber mit dem Gesetz, das Sie von uns übernommen haben und jetzt verändern wollen!) Darum: Sie können zwar reden. Aber von der Realität haben Sie wenig Ahnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der entscheidende Punkt ist: Der Erfolg ist nicht eingetreten, obwohl wir diese Änderungen vorgenommen haben, sondern weil wir diese Änderungen vorgenommen haben. Sie waren die Bedingung des Erfolges. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben eine Schlussverkaufsmentalität ausgelöst! Das ist die Realität!) Wenn es bei dem geblieben wäre, was ich übernommen habe, als ich ins Amt kam, dann wäre dieser Erfolg nicht eingetreten, sondern dann wäre die Photovoltaik heute gescheitert, weil sie nicht mehr bezahlbar gewesen wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine Fakten! Das ist Heuchelei!) Gerade die SPD nimmt ja für sich in Anspruch, eine Partei der sozialen Verantwortung zu sein. Als ich ins Amt gekommen bin und die Arbeiten von Gabriel und Machnig übernommen habe, (Dr. Thomas Gebhart [CDU/CSU]: Wer ist Machnig?) gab es für einige wenige Investoren zweistellige Kapitalrenditen, garantiert für 20 Jahre. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Ich habe nichts gegen zweistellige Kapitalrenditen. Aber ich habe etwas dagegen, dass die Stromverbraucherinnen und -verbraucher dies mit ihrer Stromrechnung bezahlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) „Dass einige wenige verdienen und alle anderen dafür zahlen müssen, hat das mit sozialer Verantwortung zu tun?“, frage ich Sie von der SPD. Wahrscheinlich nicht. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: RWE! Ganz toll!) Die entscheidende These lautet, dass die Erfolgsgeschichte der Photovoltaik weitergehen wird und weitergehen soll, jedenfalls solange diese Koalition diese Politik macht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie?) Wir wollen, dass die Wertschöpfung in Deutschland bleibt, und wir wollen die 110 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich erhalten. Wir sind Technologieführer in diesem Bereich. All das ist unser Ergebnis. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dank uns!) Sie haben parteipolitisch keine Freude daran, aber freuen Sie sich doch über den Erfolg für unser Land, den wir auf diesem Gebiet haben. Das müssten Sie doch zuwege bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Erfolg wird durch Ihr konservatives Besitzstandsdenken, in Teilen auch Besitzstandslobbyismus, gefährdet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie der Richtige!) Wer nicht anpassungsfähig ist und wer den Strukturwandel nicht gestaltet, der wird sein Opfer. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da -müssen Sie selber lachen!) Mit dem Besitzstandslobbyismus, den Sie betreiben, sind Sie eine Gefahr für die Solarenergie in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen Sie doch selber, Herr Röttgen!) Es sind drei Punkte, die man gewährleisten muss: Erstens. Wir müssen die Kosten im Blick behalten. In den gut zwei Jahren, von denen ich gesprochen habe, sind die Vergütungssätze für die Solarenergie – in der Zeit, in der sie ausgebaut wurde – um die Hälfte gesunken. Glauben Sie denn, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher bereit wären, doppelt so viel zu bezahlen, obwohl das nicht durch die Marktpreise gerechtfertigt ist? Wir müssen die Kosten der Energiewende im Blick behalten. Die Bürgerinnen und Bürger sind doch bereit, das zu bezahlen. Aber alles, was nicht geboten ist, den Einzelinvestoren zu geben, gehört den Verbraucherinnen und Verbrauchern und nicht Einzelnen, die Kapital haben. Den Bürgerinnen und Bürgern und nicht einigen wenigen gehört die Rendite der Energiewende. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Großverbraucher?) Zweitens. Versorgungssicherheit. Sie ist der zweite fundamentale Aspekt und noch viel wichtiger als die Kosten im Einzelnen, die nicht zu unterschätzen sind, auch in der sozialen Dimension. Eine Energiewende ohne soziale Dimension darf es nicht geben und wird mit dieser Koalition auch nicht stattfinden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Ihnen denn?) In zwei Jahren haben wir in Deutschland doppelt bis dreifach so viel Solarenergie zugebaut, als wir uns selber als Zielmarke vorgegeben haben. Herr Kollege Kauch hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass das eine deutlich anspruchsvollere Zielmarke als die war, die Herr Kollege Machnig als Staatssekretär zu verantworten hatte. Sie waren bei der Solarenergie nie sehr ambitioniert. (Matthias Machnig, Minister [Thüringen]: Das ist unfassbar!) Wir haben Sie mit unserer Ambition schon deutlich übertroffen. Das alles sind die Fakten, Herr Kollege. Ich kann es ja nicht ändern. Es mag Sie schmerzen, aber es ist so. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das sagt der Norbert Röttgen, der gegen das EEG gestimmt hat! Sie verdecken mit diesem Pathos doch nur Ihren Blödsinn!) – Ich weiß gar nicht, warum Sie so schreien. Dadurch, dass Sie schreien, werden Ihre Argumente nicht überzeugender. – Wir haben ungefähr das Vierfache Ihrer Ambition realisiert. Diese Ambition war aber auch nicht ehrgeizig. Darum nehme ich das nicht zum Maßstab. Wir haben also das Zwei- bis Dreifache von dem erreicht, was im Gesetz steht. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie kommen von null auf drei!) Wenn ich die volatile Stromeinspeisung aus Solarenergie und Windenergie in Deutschland addiere, dann komme ich auf eine Kapazität von rund 55 Gigawatt. Diese volatile Stromeinspeisung ist deutlich höher als der Verbrauch in Zeiten schwacher Nachfrage. Der beträgt nämlich unter 40 Gigawatt. Die durchschnittliche Nachfrage beträgt rund 60 Gigawatt. Das heißt, wir haben schon heute an bestimmten Tagen und in bestimmten Stunden von Tagen eine deutlich höhere volatile Stromeinspeisung als Stromnachfrage. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, wenn wir den zu schnellen Ausbau stark volatiler Stromerzeugung nicht durch eine vernünftige Entwicklung beenden und wenn wir die Entwicklung der Erzeugungskapazitäten nicht in eine Beziehung zum Netzausbau bringen, dann sind die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland und die Stabilität der Netze gefährdet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, wenn die Netzstabilität in Deutschland nicht mehr unbedingt gewährleistet ist? Das darf nicht in einer Minute im Jahr passieren. Darum stehen wir für Versorgungssicherheit und für Netzstabilität. Sie gefährden diese Güter unserer Volkswirtschaft und Gesellschaft mit Ihrer Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tun Sie nichts für Speicher?) Das steht außerhalb jeden Zweifels. Mit Ihrem unkontrollierten Ausbau gefährden Sie die Sicherheit und die Stabilität der Netze und der Stromversorgung in Deutschland. Das ist unverantwortlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Drittens. Markt. Wir wollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen. Darum müssen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz nach und nach zu einem Marktordnungsgesetz machen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Warum passiert dann nichts?) Wir müssen die Technologien in den Markt einbringen. Sie müssen wettbewerbsfähig werden. Das werden sie auch, indem wir permanent Anpassungen vornehmen, die Marktpotenziale nutzen, Vergütungen reduzieren und Anreize schaffen. Sie müssen in den Markt eingebracht werden. (Rolf Hempelmann [SPD]: Warum passiert immer noch nichts?) Damit machen wir erstmalig Ernst. Sie haben wahrscheinlich noch nicht in den Gesetzentwurf hineingeschaut, mit dem wir nun das Marktintegrationsmodell gesetzlich verankern wollen und nicht mehr 100 Prozent, sondern 80 Prozent des produzierten Stroms vergüten wollen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist nur ein Wort!) Jeder normale Produzent muss irgendwann auch einmal anfangen, sich mit dem Produkt, das er herstellt, am Verbraucher zu orientieren, meine Damen und Herren. Das muss auch für diese Technologien gelten. Die Technologien können viel mehr, als Sie ihnen zutrauen. Darum ist Marktintegration genau das Richtige, was wir machen. Das bringen wir nach vorne. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will noch ein bisschen auf die Argumente von Herrn Machnig eingehen. Ich weiß nicht, ob man fürchten oder hoffen soll, dass die SPD diese Argumente teilt. Immerhin hat er aber für sie – das nehme ich doch einmal an – gesprochen. Ansonsten wäre ich daran interessiert, dass sich die SPD eindeutig distanziert von den Thesen des SPD-Redners. (Dirk Becker [SPD]: Auch CDU-Bundes-länder sind der Ansicht!) – Sie haben die Gelegenheit, sich davon zu distanzieren. Herr Machnig hat vorgeschlagen, heimische bzw. -europäische Produkte gegenüber Importprodukten zu bevorzugen. Ich stelle hier die Frage an die SPD: Haben Sie das schon einmal in Arbeitsplätzen ausgerechnet? Haben Sie schon einmal ausgerechnet, was es kostet, wenn unser Land, das vom Export lebt, das so wettbewerbsfähig ist wie nie zuvor, auf einmal auf Protektionismus setzt? Haben Sie das schon einmal in Wertschöpfung und Arbeitsplätzen ausgedrückt, meine Damen und Herren? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das hat mit Protektionismus nichts zu tun!) Es ist unglaublich, was Sie hier einfach so einmal in die Debatte werfen. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben das Thema doch selbst einmal erwähnt!) Herr Machnig scheint sozusagen der Oberökonom der SPD geworden zu sein. Er ist vom Kollegen Hirte auf die Überkapazitäten bei der Herstellung angesprochen worden. Ein Problem der Solarenergie sind in der Tat die globalen Überkapazitäten, Herr Kollege Hirte, die auch den Preis unter Druck setzen. Darauf haben Sie Herrn Machnig angesprochen. Darauf hat er gesagt, bei der Automobilindustrie gebe es diese ja auch, und noch nie sei jemand auf vergleichbare Ideen gekommen. (Matthias Machnig, Minister [Thüringen]: -Unsinn!) Erstens haben Sie offensichtlich auch von der Automobilindustrie wenig Ahnung. Zu behaupten, es gebe in diesem Bereich vergleichbare Überkapazitäten, ist völliger Unsinn. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens ist es immer noch so, dass, wenn man sich ein Auto kauft, man das Auto selbst bezahlen muss, während der Photovoltaikstrom von allen Stromverbrauchern bezahlt wird. Ich finde, das ist ein großer Unterschied bei Ihrem Vergleich, den Sie auch berücksichtigen müssen. Wenn das Auto von allen Verbrauchern bezahlt würde, wäre das anders. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zur Stichtagsregelung. Ich hoffe, dass der umwelt-politische Kompetenzabfall erst nach Ihrem Ausscheiden aus dem Umweltministerium eingetreten ist. Alle haben gesagt, die Stichtagsregelung habe sich nicht bewährt, weil diese einen Schlussverkaufseffekt zur Folge hat. Deshalb stimmen alle darin überein, die Stichtagsregelung abzuschaffen. Sie plädieren jedoch für die Beibehaltung dieser Regelung. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie können noch nicht einmal die Anträge der Opposition lesen! Was für eine Arroganz!) Das zeigt, wie weit Sie vom Markt, von der Realität und von ökonomischer Vernunft entfernt sind, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir treiben die Energiewende voran mit wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Verantwortung. Gut, dass diese Koalition regiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sprücheklopfer! – Dirk Becker [SPD]: So wird das nichts in Nordrhein-Westfalen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Dirk Becker für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dirk Becker (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt muss erst einmal der Machnig rausgeschmissen werden!) Die Energiewende hat wieder den Bundestag gefangen. Manche sind anscheinend gefangen genommen von einer Ideologie, von der sie sich nicht verabschieden können. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Ich muss Ihnen eines sagen: Immerhin ist hier heute einmal ein Minister aufgetreten, wenn auch ein Minister aus einem Bundesland, der erkannt hat, dass die Energiewende mit ihren Herausforderungen angekommen ist. Man will sie annehmen und nicht zulassen, dass die rechte Seite des Hauses das kaputtmacht. Das ist zunächst einmal begrüßenswert. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass das wehtut, das verstehe ich. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Karneval im März!) Herr Röttgen, allen Ernstes: Mir fehlen eigentlich die Worte bei dem, was Sie hier sagen, was Sie sich selbst in die Tasche lügen. Seit heute hat das Wort Blindleistung für mich eine neue Bedeutung. Davon haben Sie nämlich gesprochen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist aber keine Systemdienstleistung!) Man soll vorsichtig sein, wenn man die Aussagen von Ministern vergleicht. Sie kritisieren die hohen Renditen, die Sigmar Gabriel angeblich zu verantworten hat, bei Investitionen in erneuerbare Energien. Die Eons und die RWEs dieser Welt hatten zu Beginn Ihrer Amtsperiode eine Rendite von rund 25 Prozent erzielt. Sie haben sie mit der Laufzeitverlängerung doppelt vergoldet; davon kein Wort. Sie sind doch einfach unglaubwürdig. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Ein echter Röttgen eben!) Was hat der Bundesumweltminister noch im November gesagt? Wir haben eine neue EEG-Novelle mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 gemacht, um den Herausforderungen Rechnung zu tragen. Das muss jetzt erst einmal in Ruhe wirken, bis wir beurteilen können, wie es wirkt. – Die Änderungen waren noch nicht einmal in Kraft, als Sie das EEG erneut infrage gestellt haben. Ihnen passt das EEG nicht. Ihnen passt der Umstieg auf die Erneuerbaren nicht. Insbesondere die PV ist doch Ihr Hauptangriffsfeld. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Üble Unterstellung!) Gerade Herr Rösler ist doch derjenige, der im End-effekt Druck macht. Herr Röttgen, ich weiß, es tut weh, aber in allen energiepolitischen Fragestellungen der letzten Monate war von Ihnen nichts als warme Worte zu hören. Als es darum ging, zu liefern, waren die Taten eben nicht so, wie Sie sie angekündigt haben. Sie haben sich hier hingestellt und gesagt: Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. Diese Regierung ist die Regierung, die am meisten für den Ausbau der erneuerbaren Energien tut. – Diese Novelle hat Sie enttarnt. Sie wollen bremsen, wo es nur geht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie machen dabei nicht einmal bei der Solarenergie halt. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann wären die sogenannten Instrumente der Marktprämie auf alle anderen Bereiche der Erneuerbaren ausgeweitet worden. Wozu hat diese Regelung bisher geführt? Es gab Fachkongresse von Banken, von Gesellschaften, die gesagt haben: Mit der Ankündigung der Regierung und der Vorlage des Entwurfs sind massenhaft Finanzierungszusagen der Kreditinstitute zurückgezogen und gestrichen worden, weil die Energiepolitik à la Röttgen die Investitionssicherheit am Markt beseitigt hat. Damit finden keine Investitionen mehr statt. Herr Röttgen, mit dieser Politik sind Sie höchstpersönlich zu einem Investitionsrisiko für Projekte der erneuerbaren Energien geworden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie können sich hier ruhig hinstellen und lachen. Sie wissen, wie das die Branche sieht. Ein letzter Punkt. Es ist einfach, zu sagen, was alles nicht geht, so angeblich die Local-Content-Regelung. Wenn die Chinesen dies machen, um die Windindustrie in China zu schützen: Kein Wort! Wenn das die Italiener oder andere machen: Kein Wort! Warum geht das denn in Deutschland nicht? Ich frage Sie: Was wollen Sie stattdessen tun? Gehen Sie nach Brüssel, und setzen Sie sich dafür ein, dass auf europäischer Ebene endlich eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs eingereicht wird! (Michael Kauch [FDP]: Dafür muss man erst einmal eine Mehrheit finden!) Machen Sie das? Nichts da! Nur Worte! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen etwas ganz Entscheidendes zum Schluss. Es gibt viele Dinge, über die wir hätten reden können und müssen – ich bin da ganz nah bei Herrn Machnig –: Sie haben das Gespräch erst gar nicht gesucht. Auch wir wollen die qualitative Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wir wollen den Eigenverbrauch stärken. Aber bei der Thematik Eigenverbrauch stärken ist für uns wichtig, in Zukunft auch die Mieter und Mietshäuser mit in den Fokus zu nehmen. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das -haben wir doch!) Da gibt Ihr Entwurf die falschen Antworten. Wir brauchen beispielsweise eine Größenklasse von 10 bis 100 Kilowatt. Wir brauchen einen ernsten Anreiz zur Speicherförderung. Das, was Sie hier vorschlagen, ist weiße Salbe; nicht finanziert, Absichtserklärungen. So kann das nicht gelingen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von daher sage ich Ihnen: Sie reden sich diese Novelle schön. Sie ist nichts weiter als ein kaltes PV-Kürzungsprogramm, mehr nicht. Die Energiewende wird so mit Ihnen nicht gelingen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Klaus Breil für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Breil (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Schritt, den wir heute mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes gehen, ist ein überfälliger Schritt; denn die Höhe der Vergütung für Strom aus Photovol-taikanlagen hinkt dem Verfall der Systempreise seit zwei Jahren hinterher. Die Renditen für Anlagenbetreiber waren, sind und bleiben attraktiv. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Daher musste dieser Schritt angemessen groß werden. Die Vorlage der beiden Minister Dr. Rösler und Dr. Röttgen war sehr im Sinne der Fraktionen von CDU/CSU und FDP. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Eines wollten wir allerdings verhindern, nämlich dass Unternehmen und Bürger, die im Vertrauen auf das gültige Gesetz neue Anlagen auf den Weg gebracht haben, auf einen Schlag neuen Investitionsbedingungen gegenüberstehen. Für einen besseren Vertrauensschutz haben wir deshalb Übergangsregelungen eingeführt. Das geschah besonders mit Rücksicht auf kleine und mittelständische Unternehmen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Es wird nunmehr jedem, der Anfang des Jahres ernsthaft eine Anlage bauen wollte, die Möglichkeit eingeräumt, dies noch zu den alten Konditionen zu Ende zu bringen. Meine Damen und Herren, Vertrauensschutz, ja, Anspruch auf lebenslange Förderung, nein. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dies war das Leitmotiv für die vorliegende Einigung. Wenn ich mir die Klagen der Opposition anhöre, könnte ich zu der Auffassung gelangen, dass man den eigentlichen Sinn des EEG vergessen hat, nämlich die Markteinführung der erneuerbaren Energien, und dass man die gemütliche Hängematte der Einspeisevergütung nie wieder abhängen wolle. Wir müssen uns klar darüber sein, dass das EEG ein Instrument bleiben muss, um die erneuerbaren Energien an den Markt zu bringen, und dass es nicht dazu da ist, sie durchzufüttern. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Um die Marktintegration von Photovoltaik voranzubringen, ohne dabei bestehende Umlagesysteme zu belasten oder gar neue Umlagesysteme aufzulegen, haben wir die Gesetzesänderung mit einem Entschließungs-antrag begleitet. Dessen Ziel ist es, technologieoffen den effizientesten Speichertechnologien über bestehende Hürden hinwegzuhelfen. Auch Speichersysteme müssen in naher Zukunft die Marktreife erlangen. Wie wir dorthin kommen, soll im Rahmen einer Studie durch die Bundesregierung geprüft werden. Wir erwarten von der Bundesregierung noch in diesem Jahr Vorschläge für ein Marktanreizprogramm für Speichersysteme. Die KfW soll dies im Rahmen ihrer bestehenden Möglichkeiten flankieren. (Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP]) Die vorliegende Gesetzesänderung zeigt, dass die Koalition und die Bundesregierung auf dem allerbesten Weg sind, die erneuerbaren Energien weiter an den Markt zu bringen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Richtig!) Das ist unser Ziel; darüber sind wir uns alle einig. Was uns von den Plänen der Opposition aber besonders unterscheidet, ist, dass wir beim Umbau unserer Energieversorgung auch auf die Bezahlbarkeit achten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Zum Schluss sage ich Ihnen noch eines, meine Damen und Herren: In vielen Gesprächen mit der Industrie und den Projektoren sagten mir alle, dass eine kräftige Kürzung jetzt und vermutlich auch in Zukunft notwendig ist. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jan Korte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Wahlkreisabgeordneter aus Bitterfeld-Wolfen. Es ist schon erwähnt worden: Da ist das Solar Valley beheimatet, wo mittlerweile rund 3 000 Beschäftigte arbeiten. Herr Röttgen, ich glaube, wenn diese Beschäftigten heute Ihre Rede gehört haben, dann denken sie: Das ist der blanke Hohn für Menschen aus einer Region, die so gebeutelt wie diese ist. – Unglaublich! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Durch wen denn so gebeutelt? – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Unglaublich, dass man sich dann darüber echauffiert!) Die Region Bitterfeld-Wolfen hat seit 1990 die wohl drastischsten ökonomischen, ökologischen, sozialen und vor allem persönlichsten Umbrüche der Menschen in diesem Land verkraftet. Über Nacht sind dort 50 000 Arbeitsplätze weggefallen. Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist die Arbeitslosenquote auch heute noch exorbitant hoch, vor allem die der Langzeitarbeitslosen. Immer noch verlassen täglich – das ist besonders dramatisch – gut ausgebildete junge Leute diese Region. Die gute Seite der Entwicklung ist – das ist in der Tat anzuerkennen –, dass es dort mit der Ansiedlung, der Förderung und dem Ausbau der Solarindustrie – die bekanntesten Unternehmen sind Q-Cells und Sovello – in dieser so gebeutelten Region gelungen ist, den Aufbruch hinzubekommen und einen sozial-ökologischen Umbau zu initiieren. In diesen Betrieben sind Menschen beschäftigt, die zum Teil 10 bis 15 Jahre arbeitslos gewesen sind. Reden Sie einmal mit ihnen darüber, was sie von Ihrer Politik halten! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie darüber, was sie von Ihrer Politik gehabt haben!) Ihnen ist Ostdeutschland egal. Das ist doch das weitere Problem. Es ist in der Tat bemerkenswert. Etwas anderes als die Wirtschaftsliberalen ist von Ihnen ja nicht übriggeblieben. (Zuruf von der FDP: Haha!) Reden Sie doch mit den Unternehmen! Reden Sie mit den Beschäftigten! Reden Sie mit den Gewerkschaften, wie sie Ihren Gesetzentwurf einschätzen, wenn Sie schon nicht auf die Opposition hören wollen. Ihre Politik ist erstens ein Anschlag auf die Entwicklung in Ostdeutschland und ganz konkret auch auf die in meinem Wahlkreis, im Solar Valley. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens haben Sie sich das, was Sie heute exekutieren wollen, gar nicht selber ausgedacht, sondern das ist Ihnen direkt von den Konzernzentralen der vier großen Energieunternehmen aufgetragen worden, und Sie setzen es eins zu eins um. Das ist die Situation. (Beifall bei der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: Das ist doch wohl lächerlich! – Christian Hirte [CDU/CSU]: Früher war das alles! Heute nicht mehr!) Drittens kann einem das, was Herr Röttgen und Herr Rösler miteinander aushandeln, eigentlich egal sein. Das ist in der Tat zweitrangig. Was Sie aber heute machen, um der Profilierung der mittlerweile zur Splitterpartei FDP gewordenen Truppe willen, (Michael Kauch [FDP]: In NRW haben wir mehr in den Umfragen als Sie!) machen Sie auf dem Rücken der Menschen in Ostdeutschland. Das werden wir nicht zulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen freue ich mich auch als Bundestagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, dass alle Bundestagsabgeordneten der Linken, der SPD und der Grünen erklärt haben, Ihrem Murks heute nicht zuzustimmen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das haben wir auch nicht anders erwartet!) Ich bin gespannt, was die Abgeordneten der CDU/CSU und FDP aus Ostdeutschland heute machen werden. Das interessiert uns sehr. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Genau das -Gegenteil natürlich!) Wir werden nicht mitmachen, und Sie können sicher sein, dass sowohl die Beschäftigten als auch die Linke Ihnen in dieser Frage und übrigens zunehmend auch in anderen Fragen energischen Widerstand entgegensetzen werden. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Bärbel Höhn hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass es heute etwas hitzig zugeht, hängt damit zusammen, dass wir über eine zentrale Weichenstellung für die Energiewende reden. Zunächst einmal freue ich mich, dass Sie überhaupt hier sind, Herr Röttgen. Das ist nämlich ein seltenes Ereignis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein seltener Gast! – Ulrich Kelber [SPD]: Das haben wir mit der namentlichen Abstimmung erzwungen!) In den letzten Debatten gab es immer wieder den Zwischenruf: Wo steckt eigentlich Minister Röttgen? – Im Umweltausschuss sagte gestern ein Kollege, und zwar nicht einer von der Opposition, sondern einer von der Koalition: Vom Bundesminister kommt momentan nicht allzu viel. – Das hat auch etwas damit zu tun, dass Sie sich nicht entscheiden können. Ein solches Amt, in dem es um Themen wie die Energiewende geht, ist kein Teilzeitjob. Sie haben sich zwischen der Bundespolitik und Nordrhein-Westfalen zu entscheiden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Röttgen, wenn Sie über diejenigen, die die Interessen der Photovoltaik vertreten, sagen: „Das sind Besitzstandswahrer“, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie sind die Photovoltaikindustrie!) dann sage ich Ihnen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer nicht nach Nordrhein-Westfalen geht, weil er seinen Besitzstand in Berlin wahren will, der sollte nicht anderen Besitzstandswahrung vorwerfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN Herr Röttgen, Sie haben eben sehr viel über Erfolge geredet. Sie sehen sich sowieso nur als Minister der Erfolge. Ein Blick auf Ihre Bilanz zeigt aber nur Miss-erfolge, einen nach dem anderen. Wer war für die AKW-Laufzeitverlängerung? Sie nicht, aber Sie haben damals gegen die Energiekonzerne verloren. Wer will die Energiewende? Eigentlich Sie, aber wer gewinnt, ist der Kollege Rösler von der 2-Prozent-Partei. (Ulrich Kelber [SPD]: 1,2!) Die Energieeffizienz kommt nicht voran. Deutschland blockiert die Energieeffizienz, weil wir die Energiepolitik von einer 2-Prozent-Partei und deren politischem Überleben abhängig machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das, was Sie jetzt bei den erneuerbaren Energien vorhaben – auch das ist ein Vorschlag von Minister Rösler –, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Die kleinste Fraktion bläst hier die Backen auf!) ist keine Absenkung mit Augenmaß. Das hat nichts mit der Abkühlung eines überhitzten Marktes zu tun. Das, was Sie vorhaben, ist Kahlschlag, meine Damen und Herren. Sie gefährden Zehntausende von Arbeitsplätzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Deshalb sollten Sie sich den Begriff „soziale Verantwortung“ – Sie haben den anderen vorgehalten, Sie seien der Einzige, der sich sozial verantwortlich verhielte – selber einmal zu Herzen nehmen. Man trägt auch soziale Verantwortung gegenüber Zehntausenden von Arbeitsplätzen, und die sollten Sie nicht einfach so gefährden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir können bei der Photovoltaik eine Menge verändern. In den letzten vier Jahren sind die Zuschüsse um 60 Prozent gesenkt worden; das ist viel. Wir alle waren übereinstimmend der Meinung, dass wir die Stromeinspeisevergütung im Jahre 2012 noch einmal um 30 Prozent senken können. Was Sie aber machen, ist keine Senkung um 30 Prozent, sondern zum Teil eine Senkung um 50 Prozent. Welche Technologie soll es schaffen, in einem Jahr eine Senkung der Zuschüsse um 50 Prozent hinzunehmen? Das ist Kahlschlag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das führt auch zu einem Jo-Jo-Effekt, wie die taz heute zu Recht schreibt; denn die massiven Kürzungen, die Sie hier beschließen, führen bei denjenigen, die Solaranlagen installieren wollen, zu Torschlusspanik. Dann wird schnellstmöglich alles gebaut. Für die Überhitzung des Solarmarkts sind Sie verantwortlich. Für diese Ausbauzahlen sind Sie verantwortlich, weil Sie die Kürzungen nicht vernünftig ausgestalten. Das ist der Grund, warum wir in diese missliche Lage geraten sind. Deshalb ist das, was wir hier erlebt haben, kein Erfolg, sondern ein Armutszeugnis. Ich komme zum Schluss und sage Ihnen nur eines, Herr Röttgen: Ich habe in dieser Woche nachgelesen, was Jürgen Hambrecht, der frühere Chef der BASF, in der Financial Times gesagt hat. Er hat gesagt: Wenn die Energiewende so weitergeht, dann müssen wir die Atomkraftwerke am Ende doch länger laufen lassen. – Ich unterstelle Ihnen, Herr Röttgen, nicht, dass Sie das wollen. Aber mit Ihrem Versagen in der Energiewende geben Sie Atomfreunden wie Herrn Hambrecht die Hoffnung, dass es mit diesem atomaren Wahnsinn weitergehen könnte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür tragen Sie dann die Verantwortung. Wir wollen eine Energiewende, die ganz und gar funktioniert und nicht den Atomkonzernen die Oberhand überlässt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So, jetzt wird noch einmal überzeugt!) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich vom Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen wieder zu der Sache, die wir hier diskutieren wollen, kommen, (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) obwohl, Frau Höhn, es gerade zum Wahlkampf gehört, dass man bei der Wahrheit bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zur Wahrheit gehört auch, dass Ihnen Norbert Röttgen hier bei vielen Gelegenheiten die Leviten gelesen hat, wenn wir um Energiepolitik gestritten haben, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seltener Gast hier!) und er hat dies genauso klar und glanzvoll getan wie heute. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte nun weg von Nordrhein-Westfalen und auf Bayern zu sprechen kommen. Bei uns in Bayern werden Solaranlagen momentan auf der Ostseite montiert. Nun, was schließt man daraus? Zum einen kann man daraus schließen, dass Bayern mit Sonne gesegnet ist. Das ist zwar auch ein richtiger Schluss, aber man muss daraus insbesondere schließen, dass wir es mit einer erheblichen Überhitzung auf dem Markt zu tun haben und dass es einer Korrektur bedarf. Genau das machen wir, und zwar maßvoll, in Stufen und so, dass diese Schlussverkäufe in Zukunft ausbleiben. Das bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Maßvoll und in Stufen? 50 Prozent Kürzung!) Zum anderen glaube ich, dass irgendwann Einigkeit über ein bestimmtes Ziel hergestellt werden muss. Es kann doch nicht sein, dass man Strom auf dem Dach produziert, diesen teuren Strom dann einspeist und anschließend billigen Strom vom Kraftwerk kauft. Das ist bis dato gängige Praxis. Nach 14 Jahren der Solarförderung wird es doch irgendwann einmal so weit sein können, dass man den Strom, den man produziert, selber verbraucht und nur den, den man übrig hat, einspeist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Genau an diesen Punkt, zu dem jeder vernünftige Bürger nickt und sagt: „Jawohl, das ist der richtige Weg“, führen wir die PV-Förderung mit dieser Novellierung des EEG. Herr Minister Machnig hat recht: Die Akzeptanz der Photovoltaik ist hoch. Nur, Herr Machnig, was schließen wir daraus? Wir müssen doch unseren Beitrag dazu leisten, dass das so bleibt. Das geht nicht dadurch, dass man hohe Renditen sichert, die nur Neid schüren, sondern das geht dadurch, dass man eine vernünftige und nachvollziehbare Politik macht und die Potenziale nutzt, die die Technologie letztendlich hergibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Gestatten Sie mir, eine Frage zu stellen: Wer glaubt denn mehr an die Sinnhaftigkeit, an die Zukunftsfähigkeit der Photovoltaik, wer hat mehr Zutrauen darin, derjenige, der wie die linke Seite des Hohen Hauses sagt: „Man muss einen hohen Subventionszaun bauen“ – wenn es nach Ihnen ginge, wären wir immer noch bei der Förderung von knapp 1 DM, wie Sie sie seinerzeit eingeführt haben –, oder derjenige, der sagt: „Darin liegt ein hohes Potenzial; wir reduzieren die Förderung der Photovoltaik auf ein Niveau, auf dem man zu sinnvollen Konditionen Strom produzieren kann“? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Letzteres ist das, was diese Koalition mit Kürzungen um gut 40 Prozent in knapp zwei Jahren erreicht, und zwar bei nach wie vor Rekordzubau. Beides findet gleichzeitig statt. Insofern sind die Vorwürfe, die hier allenthalben erhoben wurden, schlicht und einfach falsch. Es geht um Akzeptanz bei den Verbrauchern, aber auch um Akzeptanz bei den Investoren. Diese Akzeptanz erreichen wir durch Übergangsvorschriften, durch ein hohes Maß an Verlässlichkeit und durch Vertrauensschutz. Für die CSU stand immer fest: Vertrauensschutz ist nicht verhandelbar. Deshalb sind wir hier sehr weit gegangen. Ich bin mir sicher, dass mit den Regelungen, die wir jetzt treffen, praktisch jeder, der im Vertrauen auf das Gesetz, das zum 1. Januar in Kraft getreten ist, ein Projekt in Planung hat, der schon im Vorfeld Geld darin investiert hat, dieses Projekt auch umsetzen kann. Auch das ist wichtig für die zukünftige Entwicklung der erneuerbaren Energien. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Da ich beim Stichwort „Akzeptanz“ bin: Ich räume ein, dass innerhalb der Koalition der CSU-Vorschlag, im Rahmen des EEG Speicher zu fördern, leider keine Mehrheit gefunden hat. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Ich räume auch ein, dass die Gründe für mich und den Kollegen Göppel – wir beide haben den Vorschlag vertreten – durchaus nachvollziehbar waren. Es wurde darauf hingewiesen, dass so das Risiko besteht, die EEG-Vergütung nach oben zu treiben. Dieses Risiko besteht; das räume ich ein. Wir sind einen anderen Weg gegangen. Wir haben uns gemeinsam darauf verständigt, die Regierung aufzufordern, bis Oktober einen Vorschlag vorzulegen, wie wir im Rahmen des Haushalts diese Förderung leisten wollen. (Dirk Becker [SPD]: Da kommt doch wieder nichts bei rum!) – Lieber Kollege Becker, regen Sie sich nicht auf! (Dirk Becker [SPD]: Bei Ihnen muss man sich aufregen!) Wenn dabei nichts herauskommt, weil die Haushalts-restriktionen so sind, wie sie sind – zu Recht –, werden wir bei der nächsten Novellierung des EEG – die kommt bestimmt; das ist Erfahrungswissen – noch einmal über die Förderung von Speichern diskutieren müssen; denn das gehört zusammen. Ich habe eingangs erwähnt: Beim Thema Eigenverbrauch leuchtet der Zusammenhang mit der Speicherung aus meiner Sicht ein. Wir wollen eine intelligente, eine bezahlbare Energiewende, eben keine rot-rot-grüne, sondern eine schwarz-gelbe Energiewende. Diesen Weg gehen wir beherzt. Ich darf mir abschließend wünschen, Herr Machnig, dass der Bundesrat jetzt auch dem zustimmt, was wir hier vorgelegt haben. (Dirk Becker [SPD]: Das kann ich mir vorstellen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das jetzt auch noch!) Ich bin der festen Überzeugung: Der Branche schadet ein Verzögern des Verfahrens im Bundesrat erheblich – Vermittlungsausschuss und das ganze Hin und Her –, wenn man bedenkt, was dieses Gesetz an guten und sinnvollen Neuerungen bringt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung. Es geht darum, verlässliche Grundlagen für diese Branche zu schaffen. Dann geht es auch wieder vorwärts, so, wie wir es gewohnt sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien. Hierzu liegen eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung aus verschiedenen Fraktionen vor.2 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9152, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8877 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Enthaltungen waren jedenfalls von hier aus nicht zu erkennen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben offensichtlich ihre Plätze schon eingenommen. Gibt es eine Urne, die noch nicht besetzt ist? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Abstimmung eröffnet. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Noch einige. Wir haben hier vorne ganz viel Platz zum Abstimmen. Man kommt hier vorne auch gut ins Fernsehen. Ist jetzt noch jemand im Saal, der seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Wir kommen nun zu einer Entschließung des Ausschusses und zu zwei Entschließungsanträgen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9152 empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Entschließung ist angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen; dagegen haben SPD und Grüne gestimmt, die Linksfraktion hat sich enthalten. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst den der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9157. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben zugestimmt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9172. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt worden. Dagegen haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, dafür die Oppositionsfraktionen. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/9152 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8892 mit dem Titel „Mut zum Aufbruch ins solare Zeitalter“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben sich mehrheitlich enthalten. Es gab einige Gegenstimmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 a bis c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Betreuungsgeld einführen – Kinder und Familie durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung fördern – Drucksache 17/9165 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes – Drucksache 17/1579 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 17/8201 – Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Caren Marks Miriam Gruß Diana Golze Katja Dörner c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten – Drucksachen 17/6088, 17/8201 – Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Caren Marks Miriam Gruß Diana Golze Katja Dörner Über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später ebenfalls namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Katja Dörner vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute die Möglichkeit, die Notbremse zu ziehen. Wir haben heute die Möglichkeit, die Einführung einer Maßnahme zu verhindern, die eine gleichstellungspolitische und eine bildungspolitische Katastrophe wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Das hat nicht nur Ministerin von der Leyen erkannt. Wir haben heute vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit die Zahlen schwarz auf weiß bekommen. Es hat belegt, dass das Betreuungsgeld eine gleichstellungspolitische und bildungspolitische Katastrophe wäre. Es wäre auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Wir werden gleich wieder hören, beim Betreuungsgeld gehe es um Wahlfreiheit. Dieses Argument kommt gewichtig daher, aber es ist falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich zitiere aus dem 8. Familienbericht, der uns druckfrisch vorliegt. In diesem Bericht steht ganz dezidiert: Erst wenn für alle Kinder Ganztagsbetreuungsplätze in hervorragender Qualität vorhanden sind, haben Eltern tatsächlich eine Wahlmöglichkeit. Investitionen in Kitas schaffen Wahlfreiheit und nicht das Betreuungsgeld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Ich vertrete hier auch die Anliegen des DGB, des Kinderschutzbundes, der IG Metall, der GEW, von pro familia, des Arbeitgeberverbandes, der AWO, des Land-frauenverbandes, der Industrie- und Handelskammer, des Bundesforums Familie, des Deutschen Vereins, des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Diakonie, des Deutschen Juristinnenbundes, der AFET, des Bundes Deutscher Wirtschaft, des Zukunftsforums Familie, des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter, des BDI und vieler mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind die Familienvertreter?) Alle haben sich unisono und über ihre ansonsten erheblichen Differenzen hinweg gegen die Einführung des Betreuungsgeldes ausgesprochen. Auch die Kirchen kämpfen nicht für das Betreuungsgeld. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Unlängst schmollte die bayerische Sozialministerin in der Würzburger Tagespost, selbst von dieser Stelle gebe es keine Unterstützung. Die EU-Kommission zeigt der Bundesregierung wegen des Betreuungsgeldes die Rote Karte. Diese Phalanx müsste Sie doch endlich einmal wachrütteln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir erleben, dass eine Minderheit einer großen Mehrheit auf der Nase herumtanzt. CDU/CSU und FDP haben sich wider alle Vernunft und wider besseren Wissens auf einen durchsichtigen Deal eingelassen. Dieser Deal geht zulasten der Kinder, der Familien und in erster Linie zulasten vieler Mütter. Ich finde das unfassbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) In den Haushaltsplanungen ist das Betreuungsgeld nicht seriös finanziert. Für 2013 sind 400 Millionen Euro und für 2014 bereits 1,2 Milliarden Euro als globale Minderausgabe zur Finanzierung vorgesehen. Den Haushältern müssten sich da eigentlich die Fußnägel hochrollen, das aber nur am Rande. Was bedeutet in dem Zusammenhang „globale Minderausgabe“? Das bedeutet: Die Bundesregierung weiß nicht, wie sie das Betreuungsgeld finanzieren soll. Das bedeutet auch: Andere Leistungen müssen für die Einführung des Betreuungsgeldes bluten. Wir wissen nicht, welche Leistungen das sein werden. Vielleicht ist es das Elterngeld. Es gibt zwar Beteuerungen, das Elterngeld solle nicht angetastet werden, aber wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, ob es die Sprachförderung in den Kitas oder die Familienhebammen betreffen wird. Ich finde dieses Vorgehen unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen sehr genau, dass man beides nebeneinander – den Kitaausbau und das Betreuungsgeld – nicht seriös finanzieren kann. In einer Emnid-Umfrage haben sich 80 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, statt des Betreuungsgeldes lieber in die Kitas zu investieren. Das ist die richtige Prioritätensetzung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Viele Kolleginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen wissen es ebenfalls besser. Ich möchte stellvertretend nur Frau Kramp-Karrenbauer als Kronzeugin nennen, die am Montag – einen Tag nach der Saarland-Wahl – vor der Einführung des Betreuungsgeldes gewarnt hat und die ihrer Sorge Ausdruck verliehen hat, dass die Einführung des Betreuungsgeldes zu Einsparungen beim Elterngeld führen wird. Wenn Sie schon Oppositionspolitikerinnen nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens der wahrscheinlich zukünftigen Ministerpräsidentin des Saarlandes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Schluss. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. Ich möchte Sie dringend auffordern, heute mit uns gemeinsam die Notbremse zu ziehen. Machen Sie dem Spuk Betreuungsgeld ein Ende. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt; es ging um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien auf den Drucksachen 17/8877 und 17/9152. Abgegeben wurden 541 Stimmen. Mit Ja haben 305 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 235, es gab eine Enthaltung. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 541; davon ja: 305 nein: 235 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein CDU/CSU Veronika Bellmann Josef Göppel Helmut Heiderich SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Petra Pau Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Enthalten CDU/CSU Andreas G. Lämmel Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe das Wort dem Kollegen Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann überhaupt kein Zweifel bestehen – darüber besteht Einigkeit über alle Fraktionen hinweg –, dass es erste Aufgabe der Eltern ist, darüber zu entscheiden, wie sie ihr Kind erziehen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Nicht der Staat hat das Recht, darüber zu entscheiden, sondern die Eltern haben das Recht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum klatschen nur die Männer?) Das ist hoffentlich die gemeinsame Meinung. Das steht so auch in Art. 6 Grundgesetz. (Caren Marks [SPD]: Art. 3!) Wenn die Eltern schon das Recht haben – – (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Kann ich bitte Ruhe haben, das ist ja furchtbar. Sie müssen doch in der Lage sein, sich wenigstens einmal ein paar Argumente anzuhören. Ich habe wirklich den Eindruck, dass in der Debatte über das Betreuungsgeld sehr viel Verbohrtheit dabei ist. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Bringen Sie doch Argumente, aber bitte keine Schlagwörter, wie wir sie jetzt schon über zwei Jahre lang hören. Keine Schlagwörter, sondern zurück zu Argumenten. Mein erstes Argument ist, dass die Eltern die Entscheidungsfreiheit haben, ob sie ihr Kind in die Kita geben oder ob sie es daheim erziehen oder die Erziehung anderweitig planen. Diese Entscheidungsfreiheit haben die Eltern. (Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich bedanke mich für den Applaus. (Caren Marks [SPD]: Sie haben es nicht -verstanden!) Der Staat hat nicht das Recht, zu entscheiden, (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie aber auch nicht!) ob die Eltern ihr Kind in die Kita geben oder es daheim erziehen; darüber darf der Staat nicht entscheiden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich bedanke mich für den Beifall. – Wenn das aber so ist, dann hat der Staat auch die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass beides möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Genau!) – Na also! Sie klatschen mir Beifall und stimmen mir zu, dass der Staat die Verpflichtung hat, auch die Eltern zu unterstützen, die ihr Kind nicht in die Kita geben wollen, sondern es lieber daheim erziehen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Jetzt wird es falsch! Buh!) – Jetzt hören Sie auf zu klatschen; jetzt haben Sie es kapiert. Sie haben mir aber immerhin zugestimmt, dass erstens die Eltern die Entscheidungsfreiheit haben sollen und dass zweitens der Staat da nicht hineinzureden hat. Der Staat muss also drittens die Möglichkeit schaffen – da haben Sie mir nicht mehr zugestimmt –, dass die Eltern diese Entscheidungsfreiheit nutzen können. Genau das will das Verfassungsgericht. Hier ist immer die Rede davon, unser Verlangen sei verfassungswidrig. Das, was Sie wollen, ist verfassungswidrig. (Zuruf von der SPD: Nein!) In seiner Entscheidung vom 10. November 1998, vor 14 Jahren, hat das Verfassungsgericht festgelegt, dass der Staat Sorge dafür tragen muss, dass die Eltern diese Entscheidungsfreiheit haben. Es hat gesagt: Wenn sich eine Frau dazu entschließt, ihre Erwerbstätigkeit zu unterbrechen, daheim zu bleiben und daheim ihr Kind zu erziehen, hat der Staat die Verpflichtung, diese Frau zu unterstützen. (Caren Marks [SPD]: Warum „diese Frau“? Es könnte auch ein Mann sein!) Genau das wollen wir mit dem Betreuungsgeld leisten. Was ist daran falsch? Ich verstehe Ihre Logik wirklich nicht. Wenn Sie zunächst Beifall klatschen, dass der Staat nicht hineinzureden hat, dass der Staat die Entscheidungsfreiheit zu gewährleisten hat, dann müssen Sie auch Beifall klatschen, wenn ich feststelle, dass der Staat aufgrund Art. 6 Grundgesetz die Verpflichtung hat, der Frau zu helfen, die daheim bleibt und daheim ihr Kind erziehen will. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Warum „der Frau“?) Genau das wollen wir mit dem Betreuungsgeld leisten. Wir wollen auf der anderen Seite, dass die Frau, die ihre Erwerbstätigkeit nicht unterbrechen will, ihr Kind in die Kita geben kann. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wo sind die Männer?) Wir wollen, dass die Kitas gebaut werden. Sie werden staunen: Bayern liegt insoweit an der Spitze. (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Da können Sie wohl nur lachen. Ich vermute, Sie lachen aus lauter Dummheit und weil Sie es nicht besser wissen. Das ist der Hintergrund. Sie reden sich etwas ein, aber übersehen völlig eine vernünftige Argumentation und auch die Wirklichkeit. Bayern steht beim Bau von Kitas mit an der Spitze; nichts anderes ist wahr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD) – Da brauchen Sie nicht so dumm zu lachen. Sie lachen über Ihre eigene Dummheit. Das mag es wohl sein. Wenn es so ist, dass der Staat nicht hineinreden darf, dann muss man sich schon die Frage stellen, warum Sie dagegen sind. Warum sind Sie dagegen, dass die Frau die Möglichkeit hat, (Caren Marks [SPD]: Der Mann! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Männern?) ihr Kind daheim zu erziehen und es nicht in die Kita geben zu müssen? Was soll daran falsch sein? Sie sagen immer, nur in der Kita könne das Kind richtig erzogen werden. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt keiner!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich hier um Kleinkinder, um Kinder zwischen ein und drei Jahren. Diese Kinder brauchen zunächst einmal die Bindung zu ihren Eltern. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!) Das ist nicht nur Erbgut der Menschheit insgesamt; das können Sie auch in jeder Studie nachlesen. (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!) Sie können also nicht behaupten, dass das Kind nur in der Kita richtig erzogen werden kann. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behaupten aber auch nur Sie!) Das ist eine Behauptung, die Sie für Ihre Ideologie brauchen, die aber nicht wahr ist. Ich will einen weiteren Punkt dazu sagen. Sie befinden sich bei dieser Frage in einer wirklich seltsamen Allianz mit den Arbeitgeberverbänden; das will ich zugestehen. Aber den Arbeitgebern geht es darum, dass die Frau als Arbeitskraft erhalten bleibt, auch in der Zeit, in der sie das Kleinkind hat. Wir denken nicht an die Arbeitskraft der Frau, sondern zunächst an das Kind. Das ist meiner Meinung nach die Aufgabe des Staates. Das übersehen Sie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Geis, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ziegler von der SPD-Fraktion zulassen wollen? Norbert Geis (CDU/CSU): Bitte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Dagmar Ziegler (SPD): Herr Kollege, ich habe nach Ihrer Meinung dumm gelacht. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja!) Das zeigt schon den Intellekt auf Ihrer Seite. (Beifall der Abg. Caren Marks [SPD]) Sie sagen, dass Bayern beim Ausbau der Kitas ganz vorn liegt. Ich glaube, Sie wissen nicht, von welchem Level ausgehend Bayern ganz vorne liegt, nämlich von dem Level ganz unten. Würden Sie das bitte zur Kenntnis nehmen und die Unterlagen einmal genau studieren. Sie haben offensichtlich einen höheren IQ als alle anderen hier. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Norbert Geis (CDU/CSU): Sie liegen falsch. Beim Ausbau der Kitaplätze liegt Bayern nicht von irgendeinem Level kommend, sondern absolut gesehen an der Spitze. (Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU] – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Es ist so. Sie haben leider keine Ahnung. Es hat keinen Sinn, dass ich die Frage noch weiter beantworte; denn Sie werden nicht klüger. Sie sind nicht bereit, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie denken immer nur in eine Richtung, und das ist das Problem. Wenn der Staat bereit ist, die Frau zu unterstützen, die daheim bleibt, um ihre Kinder zu erziehen, dann hat der Staat auch die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass der Frau der Wiedereinstieg in den Beruf gelingt. Das ist eine viel wichtigere Verpflichtung als die, die Sie für wichtig halten, nämlich Kitas auszubauen. Der Wiedereinstieg der Frau, die daheim geblieben ist, in den Beruf scheint mir eine der zentralen Aufgaben zu sein. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Vätern?) Da sind wir hoffentlich einer Meinung. Es ist wahnsinnig schwierig, sich hier Gehör zu verschaffen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Man muss die Lautstärke seiner Stimme voll und ganz einsetzen, um überhaupt noch zu Wort zu kommen. Es ist nicht möglich, mit Ihnen hier in einer vernünftigen Art und Weise zu diskutieren. Wir werden unsere Politik weiterverfolgen. Wir müssen es allerdings aufgeben, Sie von der Richtigkeit unserer Politik zu überzeugen. Es hat offensichtlich keinen Sinn. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Caren Marks hat jetzt das Wort für die Fraktion der SPD. (Beifall bei der SPD) Caren Marks (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Geis, wie gewohnt haben wir von Ihnen keine Argumente gehört – keiner hat sie wirklich erwartet –, sondern Ihre verbohrte, verquaste Ideologie. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seit dem 21. März ist die Katze aus dem Sack: Auch Finanzminister Schäuble ist vor der CSU eingeknickt und hat diesem wirklich unsinnigen Betreuungsgeld im Kabinett grünes Licht gegeben. 2013 sollen hierfür 400 Millionen Euro und 2014 bereits 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Die Süddeutsche Zeitung nannte den verabschiedeten Eckwertebeschluss zum Haushalt völlig zu Recht „Buch der vertanen Chancen“. Grund dafür ist das – Zitat – „völlig sinnlose Betreuungsgeld“, das hier festgeschrieben wird. Wie das Betreuungsgeld im Detail ausgestaltet wird und wie die Gegenfinanzierung aussehen soll, bleibt weiterhin völlig unklar. Ich sage Ihnen: Solide, verantwortungsvolle Haushaltspolitik geht anders. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist wirklich enttäuschend, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dass Sie diese Fernhalteprämie – und nichts anderes ist es – allein auf Druck einiger Verbohrter in der CSU tatsächlich umsetzen wollen, und das trotz aller berechtigten Proteste. Ich will die Verbände und Organisationen nicht im Einzelnen aufzählen, das hat bereits meine Kollegin Frau Dörner getan. Es hagelt zu Recht massive Kritik von Fachverbänden, der Wissenschaft, von Gewerkschaften und von allen Arbeitgeberverbänden, auch von denen, die nicht im Verdacht stehen, den Grünen, der SPD oder den Linken nahezustehen. Auch die Europäische Kommission hat das Betreuungsgeld im Januar gerügt, doch Sie ignorieren das. Selbst einige Kolleginnen und Kollegen in Ihren eigenen Reihen schämen sich für diese unsinnige Idee. Das machen sie uns in Gesprächen jedenfalls immer wieder deutlich. Die Regierung hat der CSU nachgegeben, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Vorhaben bildungspolitisch, gleichstellungspolitisch und integrationspolitisch schlicht katastrophal ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist eine Fehlinvestition; denn es soll für die Nicht-inanspruchnahme eines Krippenplatzes gezahlt werden. Welch absurde Idee! Welch absurde Ideologie! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Doch schön, dass Herr Geis direkt vor mir gesprochen hat. Ein besseres Beispiel dafür, dass bei der CSU Ideologie vor Fachlichkeit kommt, konnten Sie hier nicht geben, Herr Geis. Herzlichen Dank für diese Steilvorlage! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Staat schafft damit finanzielle Anreize, die Bildungsbeteiligung von Kindern und die Erwerbstätigkeit insbesondere von Müttern zu verringern. Zahlreiche Studien beweisen ganz aktuell, dass diese Gefahr wirklich besteht. Zudem ist diese Fernhalteprämie, Herr Geis, verfassungsrechtlich höchst problematisch; denn das Gleichstellungsgebot – vielleicht schauen Sie noch einmal in unser Grundgesetz; es lohnt sich – wird konterkariert. Mit diesem Unsinn zementieren Sie die veraltete Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. Sie setzen falsche Anreize, insbesondere für Frauen, länger zu Hause zu bleiben und die eigene Existenzsicherung und damit auch die eigene Alterssicherung zu vernachlässigen. Stellen Sie sich einmal die Frage, welches Signal Sie dem Arbeitsmarkt geben. Sie bauen Hürden für die Berufstätigkeit von Frauen auf. Ich frage mich: Wäre es nicht die Pflicht dieser schwarz-gelben Bundesregierung, die Hürden abzubauen und vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern? (Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um das Kind, nicht um die Wirtschaft!) Doch dieses Ziel, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, erreichen wir nur mit dem wirklich forcierten Ausbau der frühkindlichen Bildung. Hier sollte Ihre Schwerpunktsetzung liegen. Noch immer entscheidet viel zu häufig die soziale Herkunft über den Bildungserfolg von Kindern. Wir alle wissen: Auf den Anfang kommt es an. Wir brauchen mehr Krippen- und Kitaplätze und insbesondere mehr Ganztagsangebote. Die Qualität muss verbessert werden. Nur so erhalten alle Kinder tatsächlich eine gute und verlässliche Förderung. Ich warne Sie eindringlich: Wenn das Betreuungsgeld kommt, dann konterkarieren Sie den notwendigen Ausbau, vor allem den Ausbau der frühkindlichen Bildung. Sie wollen für Eltern einen finanziellen Anreiz schaffen, ihr Kind nicht in eine Krippe zu geben. Das ist einfach fatal und absurd. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das, was Sie da reden, ist Schwachsinn!) Ich fordere Sie im Namen meiner gesamten Fraktion und der gesamten Opposition auf: Verzichten Sie auf dieses unsinnige und fatale Betreuungsgeld und investieren Sie die hierfür eingeplanten Mittel in den Ausbau der frühkindlichen Bildung! Die Kinder in unserem Land werden es Ihnen einmal danken, wenn Sie ein Einsehen haben. Deutschland braucht weniger Ideologie, aber deutlich mehr Chancengleichheit. Wir werden dem Gesetzentwurf der Grünen aus voller Überzeugung und zu Recht zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die FDP-Fraktion hat jetzt Miriam Gruß das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Miriam Gruß (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bislang wissen wir über das Betreuungsgeld nur, dass es kommen soll. Ich zitiere aus einer Vereinbarung der Koalitionsspitzen: Als zusätzliche Anerkennungs- und Unterstützungsleistung erhalten Familien, die ihre Kinder nicht in eine Krippe geben, ab 2013 zunächst 100 Euro ab dem zweiten Lebensjahr; ab 2014 erhalten sie 150 Euro für das zweite und dritte Lebensjahr des Kindes. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist eine bekloppte Vereinbarung!) Darüber hinaus liegt kein konkretes Konzept vor. Ich werde mich daher bei der heutigen namentlichen Abstimmung enthalten. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hört! Hört!) Meine Vorbehalte aus bildungs-, gleichstellungs- und familienpolitischer Sicht sind lange bekannt, und ich brauche sie hier nicht zu wiederholen. Ich will aber einen weiteren Punkt anführen: Wir geben in Deutschland 187 Milliarden Euro für familien-politische Leistungen aus. Trotzdem haben wir mit die geringste Geburtenrate europaweit. Dank der Arbeit von Ministerin Schröder erwarten wir in 2013 die Ergebnisse der Gesamtevaluation der familienpolitischen Leistungen. Dann gilt es, die gesamte Familienpolitik ohne ideologische Scheuklappen effizienter zu gestalten; denn bislang ist es tatsächlich so, dass wir in der einen Richtung etwas fördern und es mit einer anderen Maßnahme wieder konterkarieren. Familienpolitik muss effizienter gestaltet werden. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Vorfeld dazu eine neue milliardenschwere Leistung einzuführen, halte ich im Sinne einer nachhaltigen, zukunfts- und generationengerechten Haushaltspolitik für fragwürdig. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen und erst recht nicht lernen. Nichtsdestotrotz: Die Koalitionsspitzen haben es beschlossen. Es liegt nun an Ministerin Schröder, ein verfassungsgemäßes Konzept vorzulegen. An der Verfassungsmäßigkeit wird sich dieses Konzept messen lassen müssen. Ich bleibe skeptisch. Man kann ein Amt verlieren, man kann ein Mandat verlieren, aber nicht seine Überzeugung. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Respekt! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Nehmt euch daran ein Beispiel!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Diana Golze hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Diana Golze (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Miriam, ich bin richtig stolz. – Ich sage das einmal so. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir kennen uns aus der Kinderkommission. Ich bin sehr froh, dass du dich heute so geäußert hast, dass du zu deiner Meinung stehst und dir nicht reinreden lässt. Ich hoffe, dass ganz viele deiner Kolleginnen und Kollegen deinem Beispiel folgen werden. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Wahlfreiheit ist schon einiges gesagt worden. Ich will diesen Punkt nur kurz aufgreifen: Herr Geis, auch Sie sollten sich die Zahlen wirklich noch einmal konkret anschauen. Sie wissen: Es stehen längst nicht genügend Kitaplätze zur Verfügung. Auch fehlt es an gut ausgebildetem Personal und guten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Das heißt, wer tatsächlich Wahlfreiheit herstellen will, muss in den Ausbau der Kindertagesbetreuung und der Angebote investieren, weil die Eltern erst dann eine Wahl haben. Beim Ausbau der Kindertagesbetreuung wäre das Geld wirklich gut eingesetzt. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte mich auf das Thema Anerkennung der Betreuungsleistung der Eltern konzentrieren. Als zweifache Mutter möchte ich es noch einmal sagen: Auch erwerbstätige Eltern erbringen Betreuungs- und Erziehungsleistungen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch ihnen gebührt Anerkennung. Erziehende und betreuende Eltern, die erwerbstätig sind und ihr Kind in die Kita bringen, erhalten die Kitabetreuung nicht als Geschenk, sondern sie bezahlen Kitagebühren. Sie würden doppelt bestraft: Sie müssten Kitagebühren bezahlen und könnten kein Betreuungsgeld bekommen. Andere bekämen die Anerkennung und müssten keine Kitagebühren bezahlen. Das fände ich sehr ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte den Fokus auf die Alleinerziehenden richten. Von einem Vertreter der Unionsfraktion ist hier eben gesagt worden, es gehe Ihnen nicht um die Arbeitskraft der Frauen, es gehe Ihnen um die Kinder. Dazu sage ich: Wenn es wirklich so ist, sollten Sie sich eine Studie anschauen, die Ministerin Schröder heute in Berlin vorgestellt hat. Das ist eine Studie des Bundesfamilienministeriums, des Deutschen Roten Kreuzes und des Instituts der deutschen Wirtschaft, das der Linken nicht wirklich nahesteht. Nach dieser Studie könnten fast doppelt so viele Kinder von Alleinerziehenden ein Gymnasium besuchen, wenn sie im Alter von ein bis zwölf Jahren ganztägig betreut würden. Das würde ihre Bildungschancen verbessern. Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Steigern Sie die Bildungschancen von diesen Kindern! (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Investieren Sie in öffentliche Kindertagesbetreuung! Schaffen Sie eine qualitativ gute Betreuung der Kinder! Damit leisten Sie etwas für die Kinder. Sparen Sie sich das Betreuungsgeld! In diesem Zusammenhang ein kleiner Ausflug zu einem anderen Thema: 11 000 Verkäuferinnen und Verkäufer des Schlecker-Unternehmens sind verunsichert; zum Großteil sind es Verkäuferinnen. Ich finde es wirklich krass, dass Sie es nicht fertigbekommen, 75 Millionen Euro für eine Transfergesellschaft für Schlecker-Verkäuferinnen zusammenzubekommen, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Thema zu tun?) aber 1,2 Milliarden Euro für diesen familien- und frauenpolitischen Schwachsinn ausgeben wollen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird vor dem Betreuungsgeld gewarnt. Umfragen und Studien zeigen, dass es Mitnahmeeffekte geben wird, dass auch Familien dieses Betreuungsgeld in Anspruch nehmen werden, die es eigentlich überhaupt nicht brauchen, die sowieso nie vorhatten, ihr Kind in eine Kita zu geben, die das Betreuungsgeld als zusätzliches Taschengeld abgreifen. Im Übrigen werden das genau dieselben sein, die vom Ehegattensplitting profitieren. Für diese Gruppe ist das Betreuungsgeld ja eigentlich auch gedacht. Das Betreuungsgeld würde erwerbstätige Elternpaare und Alleinerziehende zugunsten von Einverdienerehen benachteiligen. Deshalb lehnen wir es ab. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss noch ein Wort zu der Formulierung im Koalitionsvertrag, nach der es um die Förderung und die Bildung gehen soll. In § 16 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes steht, dass es Angebote der Familienbildung geben soll. Dem können viele Kommunen nicht mehr so nachkommen, wie sie es wollen, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Dieser Paragraf ist zur Sparbüchse geworden. Deshalb ist es kein Ausweg, in Taschengeld zu investieren. Vielmehr müssen wir den Kommunen ihren finanziellen Spielraum zurückgeben. Ich fordere Sie auf: Verzichten Sie auf dieses milliardenteure Wahlgeschenk in 2013! Investieren Sie in Bildung, in Betreuung und in die Kommunen! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Peter Tauber spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Haben Sie keine Frauen? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir haben Gleichberechtigung! – Caren Marks [SPD]: Den Frauen von der Union ist es peinlich, dazu zu sprechen!) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Meine lieben Kollegen! (Caren Marks [SPD]: Oh! Nicht so -schleimen!) – Entschuldigung, Frau Marks, bei Ihnen nützt Schleimen sowieso nichts mehr; deswegen versuche ich es erst gar nicht. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Gott sei Dank!) Es gibt gute Gründe, bei der Frage des Betreuungsgelds über unterschiedliche Ansätze oder auch über Alternativen zu reden. Natürlich kann man sagen: Das Geld, das wir dafür bereitstellen, nutzen wir lieber, um schneller einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Natürlich kann man auch sagen: Wir wollen das Geld, das wir dafür bereitstellen, an anderer Stelle verwenden, zum Beispiel für eine Beschleunigung des Krippenausbaus. (Caren Marks [SPD]: Das wäre sinnvoll!) Die dritte Alternative ist, zu überlegen, wie wir mit den Familien umgehen, bei denen die Eltern gemeinsam entschieden haben, dass sie ihr Kind bis zum dritten Lebensjahr selbst betreuen wollen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat ihnen das jemand verboten?) Ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, darüber nachzudenken, wie wir ihnen das ermöglichen können. An der Stelle bin ich geneigt, zu sagen, dass es keinen Abwägungsprozess zwischen diesen drei Alternativen gibt. Denn hier wurde sehr schnell deutlich – dies wurde auch in einigen Reden, wenn auch nicht in allen, aus den Reihen der Opposition deutlich –, dass Sie nicht zwischen drei Maßnahmen abwägen wollen. Sie moralisieren und wollen die Form, wie sich Familien in diesem Land zu organisieren haben, vorgeben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Hier haben wir ein Problem; denn an der Stelle ist die Diskussion nicht mehr sachlich, und wir wägen nicht mehr ab. (Caren Marks [SPD]: Sie wissen, dass Sie -Unsinn reden!) Sie sagen selbst – Frau Marks hat es am Ende ihrer Rede gesagt –: Die Eltern werden es uns danken, (Caren Marks [SPD]: Ihnen nicht!) wenn wir kein Betreuungsgeld einführen. Das heißt, Frau Marks entscheidet, was Eltern in diesem Land wollen. Das finde ich beeindruckend, Frau Marks. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Das zeigen Umfragen!) – Natürlich können wir uns über Umfragen unterhalten. (Caren Marks [SPD]: Fragen Sie einmal -Eltern!) Ich weiß, dass die Lebenswirklichkeit in diesem Land so aussieht, dass sich ein Großteil der Eltern diese Frage gar nicht stellt und sie sich Betreuungsangebote wünschen, (Caren Marks [SPD]: Genau!) weil sie beide arbeiten gehen wollen oder dies aus finanziellen Gründen müssen. Aber – auch das wird in den Umfragen deutlich – es gibt auch eine signifikant große Zahl an Eltern, die sagen: Wir wollen und können die Betreuung unseres Kindes bis zum dritten Lebensjahr selbst organisieren. (Caren Marks [SPD]: Können sie ja auch!) Es geht auch nicht darum – das unterstellen Sie immer –, dass im Idealfall einer zu Hause bleibt. Sie unterstellen weiterhin, dass es nach unserem Verständnis die Frau sein müsste. Mitnichten ist das so. (Diana Golze [DIE LINKE]: Herr Geis hat nur von Frauen gesprochen!) Wir wollen, dass die Familien, die die Betreuung eines Kindes bis zu dessen drittem Lebensjahr selbst organisieren können und wollen, weil die Großeltern in der Nähe sind, weil es ältere Geschwister gibt, weil andere Fami-lienmitglieder in der Nähe wohnen oder (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie das, was Sie erzählen, eigentlich?) weil die Eltern aufgrund der beruflichen Situation von zu Hause aus arbeiten können, Anerkennung erfahren und die Gesellschaft ihnen zeigt, dass wir diese Erziehungsleistung honorieren und sie unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darum geht es im Kern. Sie hingegen moralisieren und sagen, dass das weniger wert ist. (Caren Marks [SPD]: Nein, das sagen wir nicht!) Das ist eine Unverschämtheit gegenüber den Eltern, die die Betreuung selbst organisieren wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist der entscheidende Punkt in der Debatte. Hier besteht der Unterschied zwischen uns und Ihnen. Ich sage Ihnen sehr ehrlich: Ich habe keinen Blankoscheck für ein Betreuungsgeld in der Tasche. Ich sage auch nicht: Egal, wie es aussieht, ich mache da mit. Natürlich habe ich konkrete Vorstellungen davon, was ich mir wünsche. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch mal, wie Sie das gegenfinanzieren werden! Erzählen Sie das den Eltern!) Nach meinem Verständnis sollte es beiden Elternteilen möglich sein, arbeiten zu gehen, auch wenn sie die Betreuung ohne staatliche Institutionen organisieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wäre eine Möglichkeit. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Frau Ziegler würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Wenn Frau Ziegler gerne eine Frage stellen möchte und es der Wahrheitsfindung dient, dann sehr gerne. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann kannst du es vergessen!) Dagmar Ziegler (SPD): Vielen Dank, Herr Dr. Tauber. – Sie sagten ja gerade, mit dem Betreuungsgeld solle auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sichergestellt werden. Können Sie uns hier und heute erklären, wie das gewährleistet werden soll? Sie sagten, Geschwister, Großeltern oder andere Bezugspersonen könnten die Betreuung übernehmen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sogar die Eltern! Stellen Sie sich das mal vor!) Bei der Kitabetreuung stellt der Staat bisher hohe Anforderungen an die Qualifizierung des Betreuungspersonals, weil wir damit auch die frühkindliche Bildung verknüpfen. (Unruhe bei der CDU/CSU) Wie sollen Ihrer Auffassung nach die Anforderungen an die Qualifikation der Betreuungspersonen, die das Betreuungsgeld erhalten, aussehen? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie demnächst etwa einen Elterntest machen, um dann zu entscheiden, ob die Eltern ihre Kinder erziehen dürfen, oder was?) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Diese Frage kann man relativ schnell beantworten, Frau Kollegin. (Caren Marks [SPD]: Ich bin gespannt!) Mir ist bis jetzt nicht bekannt, dass Eltern oder Groß-eltern eine Art Elternführerschein bzw. Großelternführerschein vorlegen müssen, um in diesem Land Kinder großzuziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich habe den Eindruck, auch beim Blick in diesen Saal, dass das bei den meisten auch ohne einen solchen Führerschein ganz gut geklappt hat – zugegebenermaßen vielleicht nicht bei allen. Aber bei den meisten hier im Saal hat das auch ohne Eltern-TÜV ziemlich gut geklappt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von daher halte ich nichts davon, – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): – Entschuldigung, diesen Halbsatz noch –, den Eindruck zu erwecken, wir würden abwägen: zwischen der Herzenswärme von Eltern, (Caren Marks [SPD]: Oje!) die nicht pädagogisch gebildet sind und vielleicht nicht studiert haben, und der sehr großen Kompetenz der Erzieherinnen und Erzieher in den entsprechenden Einrichtungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, auch Herr Lenkert würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Na gut. Eine habe ich ja schon zugelassen. Dann lasse ich noch eine zweite zu. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie sprachen gerade von der Anerkennung der Erziehungsleistung. Meines Wissens erziehen alle Eltern ihre Kinder. Ein Kindergartenkind bzw. Krippenkind besucht die Einrichtung im Durchschnitt an 230 Tagen im Jahr, sagen wir acht Stunden täglich. Das macht, grob überschlagen, 2 000 Stunden im Jahr. Das ist ein Viertel des Jahres. Selbst wenn ich in Rechnung stelle, dass das Kind nachts schläft, und diese Zeit von der Erziehungsleistung abziehe, würde ich die kühne Behauptung aufstellen, dass ein Kind, das Vollzeit eine Betreuungseinrichtung besucht, mindestens 50 oder 60 Prozent des Jahres von seinen Eltern erzogen wird. Wollen Sie nicht auch diesen Eltern eine Anerkennung zuteilwerden lassen, indem Sie die Regelung treffen, dass sie die Hälfte des Betreuungsgeldes bekommen? Wenn es Ihnen um Anerkennung geht, müssten Sie eigentlich der Auffassung sein, dass alle Eltern ein Betreuungsgeld bekommen sollten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen die Feiertage mit berechnen, Herr Kollege!) Zweitens möchte ich gern von Ihnen wissen, wie Sie dazu stehen, dass Sie Eltern monatlich einen kleinen dreistelligen Euro-Betrag an Betreuungsgeld zahlen wollen, während Sie bei dem so nicht genutzten Kindergarten- bzw. Krippenplatz gleichzeitig 800 Euro pro Monat einsparen. Könnte es nicht sein, dass Sie das Betreuungsgeld lediglich als eine Art Silberling nutzen, damit die Eltern auf die Inanspruchnahme der wesentlich teureren, für die Kinder aber besseren Kindergartenplätze verzichten? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Lieber Kollege, danke für diese Fragen. Das war ja nicht nur eine Frage, sondern das war eher ein Fragenbündel. Man kann festhalten: Diese Gesellschaft honoriert es, wenn sich Paare dafür entscheiden, Kinder zu bekommen, indem die Gesellschaft als Solidargemeinschaft Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stellt. Daran beteiligen sich alle, die Steuern zahlen. Sie wissen genau, dass jeder Betreuungsplatz im Schnitt mit 1 000 Euro pro Monat subventioniert wird. Das ist eine Leistung, die die Solidargemeinschaft für die Eltern erbringt. Es stellt sich aber die Frage: Was machen wir mit denen, die sagen: „Wir freuen uns, dass die Solidargemeinschaft diese Leistung erbringt. Auch wir leisten durch unsere Steuerzahlungen einen Beitrag dazu. Aber wir haben für uns ein anderes Modell gewählt. Wir wollen das anders handhaben“? Sagen wir ihnen: „Das ist schön; das könnt ihr tun“ – Gott sei Dank sind Sie ja noch nicht so weit, den Eltern das verbieten zu wollen; das kommt wahrscheinlich als Nächstes –, (Heiterkeit des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]) oder sagen wir ihnen: „Gut, dann wollen wir euch eine Form von Anerkennung zukommen lassen, die es euch leichter macht, diese Aufgabe selbst zu übernehmen“? Auch Eltern können Bildungsinhalte vermitteln. Es wäre schlimm, wenn das nicht so wäre. Wie ich sehe, haben Sie sich wieder hingesetzt. Ich war mit der Beantwortung Ihrer Fragen eigentlich noch nicht fertig; schließlich haben Sie nicht nur eine Frage gestellt. Aber dann werde ich jetzt in meiner Rede fortfahren. Am Ende bleibt es dabei: Man kann das gegeneinander abwägen. Man kann sagen: Wir verzichten auf das Betreuungsgeld und sparen das Geld, um schneller die schwarze Null zu erreichen. – Man kann auch sagen: Wir setzen einen anderen Schwerpunkt. – Aber bei Ihnen klingt durch, dass Sie den Eltern vorschreiben wollen, wie Erziehung und Bildung in den ersten drei Lebensjahren des Kindes zu organisieren sind. (Caren Marks [SPD]: Nein! Keiner will das!) – Das ist so. (Caren Marks [SPD]: Nein!) Sie verstecken sich hinter pro familia und hinter dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Sie vertreten aber nicht die Interessen der Eltern, die gerne ein Betreuungsgeld hätten. Das ist der entscheidende Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Und was ist mit den Arbeitgebern? Was ist mit den Kirchen? – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Aha! So einfach ist das? Was sagt denn der BDI?) – Sie können sich hinter Lobbyisten verstecken, wie Sie wollen. (Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen für die Eltern, die sagen: Wir wollen das selber machen. – Ich sage Ihnen auch: Es ist mir herzlich egal, was hierzu der BDI oder der Gewerkschaftsbund sagen. (Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Herr Tauber, schämen Sie sich!) – Liebe Frau Marks, ich bin geneigt, meine Haltung zum Betreuungsgeld vielleicht zu überdenken, wenn Sie mir persönlich nachher noch einmal die Frage beantworten, (Caren Marks [SPD]: Nein, Gott bewahre! -Ihnen persönlich gar nicht!) ob Sie zu Hause betreut worden sind oder in einer Einrichtung waren. Ihr Verhalten und Ihre Zwischenrufe lassen vielleicht Rückschlüsse darauf zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Caren Marks [SPD]: Ich sage noch mal: Es gibt Männer, Frauen und Schnösel! Sie gehören zur letzten Gattung! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich! Unterirdisch, der Tauber!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Nerven scheinen bei Schwarz-Gelb blank zu liegen. In hitzigen Debatten Zwischenrufe als ungezogen darzustellen, finde ich schon etwas schräg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit muss man umgehen können. Gerade wenn man Argumente liefert, die zu Zwischenrufen animieren, sollte man eine größere Gelassenheit haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP]) Ich möchte auf ein paar Argumente eingehen, die gerade pro Betreuungsgeld genannt worden sind: Erstens. Herr Geis, Sie haben mehrmals die Verfassung zitiert und gesagt, aus verfassungsrechtlichen Gründen sei die Einführung des Betreuungsgeldes quasi ein Gebot, weil wir die Verpflichtung hätten, die Frauen – Sie haben es so formuliert – dafür zu belohnen, dass sie zu Hause bleiben und sich dort um die Kinder kümmern. Von den Männern haben Sie nie gesprochen. Ich weise auf einen Verfassungsgrundsatz hin, nämlich auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Den haben Sie anscheinend außer Acht gelassen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Zweitens. Hier wird häufig davon gesprochen, dass es sowohl auf der einen Seite als auch auf der anderen Seite des Hauses Ideologien gibt und dass wir das Betreuungsgeld aus ideologischen Gründen ablehnen würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere der CDU/CSU – bei der FDP ist ja eine Einsicht vorhanden, zumindest in großen Teilen –, wir haben den Ausbau der Krippenplätze doch gemeinsam beschlossen. Warum stehen Sie denn nicht dazu und tun jetzt so, als ob das der falsche Weg gewesen ist? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Wir stehen doch dazu!) Sie sind doch jetzt diejenigen, die ein neues Instrument einführen und uns vorwerfen, wir hätten eine falsche Ideologie. Wir sind von der gemeinsamen Beschlusslage nicht abgewichen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir auch nicht!) Das wollen Sie doch jetzt. Sie wollen doch jetzt plötzlich den Konsens aufgeben. Sie reden auch gerne von einem besonderen Familienbild und suggerieren mit einigen Aussagen, dass diejenigen Familien, bei denen ein Elternteil zu Hause bleibt und auf die Kinder aufpasst, sie betreut und erzieht, etwas sehr Gutes tun. Sie verleugnen dabei aber, dass es genügend Eltern gibt, die das einfach nicht können, weil sie arbeiten müssen. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das hat er doch gesagt!) Diesen quasi zu sagen: „Ihr bekommt keine Belohnung, weil ihr eure Kinder erst nach der Krippenzeit betreut“, finde ich eine Frechheit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das, was Sie sagen, ist dumm!) Das suggeriert doch, dass die Erziehung derjenigen, die ihre Kinder in die Krippe geben, weniger wert ist als die Erziehung derjenigen, die das nicht tun. Warum werden sie denn nicht belohnt? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer sagt denn so einen Schwachsinn? Auf so einen Schwachsinn können auch nur Sie kommen! Herr Gott noch mal!) Ein Beispiel: Stellen wir uns einmal Familie Meier vor. Die Kinder der Familie Meier gehen nie in eine Bücherei. Bekommen auch sie einen Bonus dafür, weil sie die Bücherei nicht nutzen? Die gleiche Frage stelle ich in Bezug auf die Kinder, die nicht in die Schwimmhalle oder nicht ins Museum gehen. Wir halten öffentliche Einrichtungen vor und wollen nicht diejenigen belohnen, die diese nicht nutzen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Billiger geht es gar nicht mehr!) Über die Summe, die das Betreuungsgeld kostet, haben wir schon gesprochen. Es wäre sinnvoller angelegt, wenn es in den Ausbau von Krippenplätzen gesteckt würde. Die Kommunen warten auf weitere Signale durch den Bund und die Länder. Wir müssen uns mit den Ländern an einen Tisch setzen und Signale dafür senden, dass es sich lohnt, weiter in Krippenplätze zu investieren, und dass wir Geld dafür bereitstellen – und nicht für ein unsinniges Betreuungsgeld. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss möchte ich sagen, dass ich nicht hoffe, dass Sie sich der Meinung der Lobbyisten wie der Kirchen, der Arbeitgeberverbände und der Unternehmensverbände anschließen. Es kann ja angehen, dass Sie diese als Lobbyisten bezeichnen, Herr Tauber. Wir machen das aber nicht ausschließlich. Vielmehr hoffe ich, dass Sie sich den Argumenten von Frau von der Leyen anschließen. Sie hat nämlich gesagt, das Betreuungsgeld sei eine bildungspolitische Katastrophe. Sie sollten sich einmal daran erinnern, was Ihre eigenen Leute zu diesem Thema sagen. Sie haben nun die Chance, diesen Worten Taten folgen zu lassen. Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Grünen zu, weil er auch von uns hätte sein können. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sibylle Laurischk hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Sibylle Laurischk (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über das Betreuungsgeld diskutieren, dann müssen wir uns auch den gesellschaftlichen Realitäten stellen. Wir haben seit einigen Jahren ein neues Unterhaltsrecht, das insbesondere Frauen nach einer Scheidung auferlegt, zu arbeiten. Das heißt, wir haben die klare Zielsetzung, dass die Berufstätigkeit von Frauen gewünscht ist. Insofern ist zu überlegen, ob der Weg, der mit dem Betreuungsgeld gewiesen werden soll, nämlich zu Hause zu bleiben, der richtige Weg ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Rahmenbedingungen dahin gehend ausrichten müssen, dass diese Realität lebbar ist. Dies betrifft den Weg der Frauen in den Beruf und ihre eigenverantwortliche selbstständige Lebensführung. Dies ist mit einer Eheschließung nicht immer gewährleistet. Darüber hinaus gibt es eine weitere gesellschaftliche Realität, nämlich die Notwendigkeit zur Integration. Das heißt, viele Kinder, die zu Hause unzureichend gefördert werden, weil ihre Eltern dazu einfach nicht in der Lage sind, auch wenn sie das wollen, brauchen entsprechende Bildungsangebote. In diesem Zusammenhang würde das Betreuungsgeld nach meinem Dafürhalten falsche Anreize setzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Ich denke, diese Bundesregierung hat gerade mit der Förderung der frühkindlichen Bildung das richtige Signal gesetzt, mehr Sprachförderung zu entwickeln und den betroffenen Kindern frühzeitig ein Angebot in den Kindergärten bzw. Kitas zu machen. Das Betreuungsgeld dagegenzusetzen, ist sicherlich problematisch. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb müssen wir uns genau überlegen, wie das Betreuungsgeld aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist. Kann der Bund es denn überhaupt einführen? Nur dann, wenn er dafür zuständig ist. An dieser Stelle ist Art. 74 Abs. 1 des Grundgesetzes, die konkurrierende Gesetzgebung, zu beachten. Nur dann, wenn die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung des Betreuungsgeldes erfordern – entsprechend Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes –, wäre die konkurrierende Gesetzgebung überhaupt gegeben. Dies halte ich allerdings für zweifelhaft. Ich meine, bei dieser Frage muss noch rechtliche Expertise eingeholt werden. Deswegen werde ich mich heute der Stimme enthalten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9165 an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8201, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1579 abzulehnen. Wir werden jetzt über diesen Gesetzentwurf abstimmen, und zwar namentlich. Es liegen hierzu verschiedene Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, unter anderem der Kolleginnen Gruß, Happach-Kasan und Canel.4 Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Würden Sie bitte noch einmal sagen, worüber abgestimmt wird?) – Wir stimmen über den Gesetzentwurf namentlich ab. – Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind überall da? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Konnten denn jetzt alle ihre Stimmkarten abgeben? – Das scheint mir der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort, und zwar über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/8201. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6088 mit dem Titel: „Auf die Einführung des Betreuungsgeldes verzichten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Was macht Bündnis 90/Die Grünen? (Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Wir waren jetzt bei der Drucksache 17/6088. Die Fraktion stimmt dagegen, nehme ich an. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen. Somit komme ich zu Tagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Peter Flosbach, Dr. Michael Meister, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, Dr. Birgit Reinemund, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Europäische Finanzaufsicht stärken und effizient ausgestalten – Drucksache 17/9151 – Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Unruhe) – Ich bitte darum, die Gespräche an der Regierungsbank und im vorderen Teil des Saales zu verlagern, damit der nächste Redner ausreichend zur Geltung kommt. – Vielen Dank. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Ergebnis der Finanzkrise im Jahr 2008 war die Erkenntnis, dass wir Finanzmärkte nur noch europäisch regulieren können, und zwar deswegen, weil Finanzmärkte leider nicht an Ländergrenzen haltmachen können. Noch besser wäre es gewesen, das Ganze international zu regeln. Das ist aber leider nicht gelungen. Europäische Regulierung bedeutet aber auch, dass wir eine europäische Aufsicht brauchen. Genau so eine Aufsicht ist im Jahr 2010 für das Jahr 2011 auf den Weg gebracht worden. Wir haben Aufsichtsbehörden gegründet: die EBA für die Banken, die EIOPA für die Versicherungen und die ESMA für die Wertpapiere. Wir haben diesen Aufsichtsbehörden auch Aufgaben zugewiesen: Sie sind dafür verantwortlich, dass europäisches Recht einheitlich ausgeübt wird. Wir haben ihnen die Verantwortung für die Schlichtung von Streit zwischen nationalen Aufsichtsbehörden zugewiesen, und wir haben ihnen Eingriffsrechte im Fall von Krisen gegeben. Wir haben dabei die nationalen Aufsichten weiterarbeiten lassen; denn wir wissen genau, dass die Dinge vor Ort besser von denen zu regeln sind, die auch vor Ort verhaftet sind. Das ist gelebtes Subsidiaritätsprinzip. Meine Damen und Herren, ich denke, dieses Konstrukt ist gelungen. Es ist gar nicht hoch genug zu bewerten, dass wir innerhalb eines Jahres – es geht um Gründungen im Jahr 2011 – dazu gekommen sind, dass diese drei Behörden arbeitsfähig sind, und das, obwohl sie gleichzeitig Personal rekrutieren mussten und obwohl sie im Feuer standen, da sich die Finanzmärkte weiterentwickelt haben. Insofern ist das eigentlich eine gute Entwicklung. Aber es gibt auch einige Dinge, die Anlass zur Sorge geben. Diese Dinge möchten wir in unserem Antrag benennen. Wir möchten die Bundesregierung auffordern, darauf hinzuwirken, dass diese Dinge sich nicht so schlecht entwickeln, wie wir es uns vorstellen könnten. Der erste Punkt. Es gibt eine europäische Aufsicht, es gibt nationale Aufsichten, und da muss sich einiges zusammenruckeln. Jeder kämpft um Einfluss. Wir möchten auf der einen Seite dafür sorgen, dass die nationale Aufsicht hier in Deutschland abgeben kann, dass sie erkennt: Mehr Kompetenzen müssen auf die europäische Ebene verlagert werden. Auf der anderen Seite möchten wir, dass die europäische Aufsicht das macht, wofür sie zuständig ist, und nicht zu tief in die nationalen Belange eingreift. Der zweite Punkt; er ist besonders wichtig, wie ich vielen Gesprächen mit Vertretern von Privatbanken, Sparkassen und Volksbanken entnehmen kann. Wir haben nicht das Gefühl, dass auf europäischer Ebene die Vielfalt der europäischen Bankenlandschaft zur Kenntnis genommen wird. Wir haben nicht das Gefühl, dass zur Kenntnis genommen wird, dass wir sehr erfolgreiche regionale, mittelständisch tätige Banken haben. Wir haben vielmehr das Gefühl, dass das Rollenmodell für die Bankenregulierung viel zu sehr die nach britischem Vorbild formierte börsennotierte Aktiengesellschaft ist. Das kann nicht sein. Wir müssen immer wieder darauf hinwirken, dass unsere mittelständischen Banken weiterhin ihren Platz haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das hat viel damit zu tun, dass wir insbesondere den mittelständischen Banken durch neue Aufsichtsbehörden viel Bürokratie aufhalsen. Auch das kann nicht sein. Wenn mir Volksbanker sagen: „Ich kann mein Geschäft nicht mehr machen, weil ich nur noch damit beschäftigt bin, sämtliche Templates im Meldewesen auszufüllen“, dann ist das nicht in unserem Sinne. Wir wollen einheitliche europäische Regeln haben. Wir wollen aber nicht, dass insbesondere kleine und mittelständische Institute, ob im Banken- oder im Versicherungsbereich, durch Bürokratie kaputtgemacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auch das ist ein wichtiger Ansatz in unserem Antrag. Es geht aber noch weiter. An dieser Stelle wird es vielleicht etwas kompliziert, aber für uns als Parlamen-tarier sehr interessant. Wir haben den europäischen -Aufsichtsbehörden eigentlich nur zugewiesen, die Anwendung von Recht, das andere gesetzt haben, zu beaufsichtigen. Was wir momentan erleben, ist aber eine -andere Entwicklung: Im europäischen Gesetzgebungsprozess werden Vorlagen vom Rat, von der Kommission und leider auch vom Parlament nur noch so aufgebaut, dass ein grober Rahmen gesetzt wird und dass alles, was in die Details geht, den Aufsichtsbehörden überlassen wird mit der Folge, dass sie technische Standards setzen und mit diesen Standards dann quasi demokratiefrei Politik machen. Das ist nicht gut, und das ist nicht richtig. Wir sind der Meinung, dass auch auf europäischer Ebene in der einen oder anderen Detailregelung dafür gesorgt werden muss, dass die Parlamente weiter mitbestimmen können. Wir wollen kein Regime der Technokraten, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer Punkt, der uns im Zusammenhang mit dem Antrag bewegt und der durchaus kritisch anzumerken ist, ist, dass in den Schlüsselpositionen der europäischen Aufsichtsbehörden nahezu keine deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertreten sind. Das ist im Übrigen nicht nur ein Problem der europäischen Finanzaufsichtsbehörden, sondern dieses Problem besteht auch an vielen anderen Stellen auf europäischer Ebene. Wenn man davon ausgeht, dass unabhängig vom Ansehen der Nationalität die Besten dorthin gelangen sollen, ist das auf den ersten Blick vielleicht nicht schlimm. Aber vielleicht ist es auch so, dass die Wahrnehmung der mittelständisch strukturierten und regional aufgestellten deutschen Bankenlandschaft mit Sparkassen, Volksbanken und kleinen Privatbanken in Brüssel deswegen fehlt, weil dieses Modell dort zu wenig vertreten wird. Das hängt vielleicht wiederum damit zusammen, dass wir als Deutsche nicht in Schlüsselpositionen vertreten sind. Deswegen geht mein dringender Appell an das Finanzministerium, die BaFin und alle anderen, die dafür verantwortlich sind, verstärkt dafür zu sorgen, dass deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den europäischen Finanzbehörden und ebenso bei anderen europäischen Institutionen auch in Schlüsselpositionen zum Zuge kommen. Ich denke, darin haben wir großen Nachholbedarf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist aber eine böse Kritik an der Kanzlerin! Ganz böse!) Ich komme zum letzten Punkt meiner Ausführungen. Angesichts der Geschichte der europäischen Regulierung und der europäischen Rechtsetzung haben wir eines festzustellen, nämlich dass wir in Deutschland immer viel Zeit investiert haben, um zu verhindern, dass in -Europa etwas geregelt wird, was wir in Deutschland vermeintlich besser regeln können. Ich glaube, wir könnten diese Zeit besser investieren, wenn wir uns bemühen würden, die europäischen Regelungen für Deutschland besser zu gestalten, statt zu versuchen, sie zu verhindern. Dieser Antrag soll dazu dienen. Er ist proeuropäisch. Ich freue mich auf die Diskussion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe Ihnen zwischenzeitlich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes – bekannt: Abgegeben wurden 537 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 231 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 297 Kolleginnen und Kollegen. Es haben sich 9 Kolleginnen und Kollegen enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 538; davon ja: 232 nein: 297 enthalten: 9 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Anton Schaaf Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Silvia Schmidt (Eisleben) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Dr. h. c. Jürgen Koppelin DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Petra Pau Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten CDU/CSU Dr. Maria Flachsbarth Anette Hübinger Katharina Landgraf Rita Pawelski FDP Nicole Bracht-Bendt Sylvia Canel Miriam Gruß Sibylle Laurischk Johannes Vogel (Lüdenscheid) Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe das Wort dem Kollegen Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Finanzaufsicht ist wohl so etwas wie das schwarze Loch der Koalition. Es hat viele Ankündigungen gegeben, und alles ist irgendwie verschwunden. Ich will das Ganze ein bisschen nachzeichnen und beginne mit den Koalitionsverhandlungen am 8. Oktober 2009. Ich zitiere: Die künftigen Koalitionäre CDU, CSU und FDP haben sich auf ein erstes Vorhaben geeinigt: Die Bankenaufsicht wird bei der Bundesbank konzentriert. Mit dieser Position zur Finanzaufsicht ist Schwarz-Gelb in diese Koalition gestartet. Ich kann mich noch sehr gut an Aussagen von Herrn Wissing erinnern – er ist gerade nicht anwesend –, der im Finanzausschuss deutlich gemacht hat: Dies ist unser wichtigstes Reformvorhaben zur Regulierung der Finanzmärkte. Wir müssen feststellen: Sie sind mit dieser Position krachend gegen die Wand gefahren. Dieses Vorhaben, das ich eben beschrieben habe, war schon damals falsch. Dies haben wir als Sozialdemokraten von Anfang an deutlich gemacht. (Beifall bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Andere auch!) – Genau, andere auch. Ich frage die Koalition: Warum gibt es eigentlich immer noch keinen Gesetzentwurf zur Finanzaufsicht? Es gibt bisher nur einen Referentenentwurf. Zu dem nach Ihrer Aussage wichtigsten Reformthema dieser Legislaturperiode gab es bisher nur heiße Luft. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Armselig!) Man kann weiterverfolgen, was dann passierte. Am 16. Dezember 2010 war sich die Koalition angeblich über die Reform der nationalen Finanzaufsicht einig. Na wie schön! Zehn Eckpunkte wurden der staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Was passierte dann? Gar nichts. Ein Jahr lang passierte gar nichts. Dann, am 13. Januar 2011, stand im Handelsblatt unter dem Titel „Streit um Neuordnung der Finanzaufsicht“ – ich zitiere –: Die Koalition hat sich auf eine Reform der Finanzaufsicht verständigt, doch wichtige Fragen sind noch nicht geklärt. Experten warnen bereits vor einem Kompetenzgerangel der Aufseher, das im Krisenfall wertvolle Zeit kosten könnte. Jetzt sind wir wieder ein Jahr später, und ich muss feststellen: Sie sind keinen Schritt weitergekommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie können sich innerhalb dieser Regierung offensichtlich nicht einigen. Dies ist ein eklatantes Armutszeugnis für diese Koalition. Denn natürlich müssen Konsequenzen aus den Fehlern der Bankenaufsicht vor der Finanzmarktkrise gezogen werden; das ist ganz wichtig. Die Rolle der BaFin muss präzisiert werden. Ihre Aufgaben im Bereich von Aufsicht und Verbraucherschutz müssen angepasst werden. Die Zusammenarbeit mit der Bundesbank muss präzisiert werden. Wir warten deshalb dringend auf Ergebnisse. Ich kann vielleicht noch einmal einen nicht völlig unbekannten ehemaligen Kollegen zitieren. Er hat wörtlich gesagt: Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn wir – also Sie – die notwendige Reform der Finanzaufsicht auf die lange Bank schieben würden. … Das wäre eine ungute Situation. So Herr Dautzenberg, ehemaliger finanzpolitischer Sprecher. – Diese ungute Situation haben Sie herbeigeführt. (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr habt doch die Drachen gefüttert, und jetzt müssen wir sie zähmen!) Da Sie zu dem Thema nationale Aufsicht, welches von der Regierung bearbeitet und vorgelegt werden müsste, nichts beitragen konnten, beschäftigen Sie sich in dem vorliegenden Antrag mit dem Verhältnis Europas zur Bundesrepublik. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Jetzt kommt er zum Thema! Das war aber ein langer Anlauf!) – Natürlich war es ein langer Anlauf. Aber das musste man Ihnen noch einmal deutlich machen. (Zuruf von der FDP: Nein, das wäre nicht notwendig gewesen!) Jetzt haben Sie ein Problem. Denn die Sozialdemokraten haben einen Antrag zu Basel III und den Sparkassen eingebracht, der morgen diskutiert wird. Dabei geht es um das, was Sie hier eben angesprochen haben, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Na also!) nämlich um das Verhältnis der deutschen zur europäischen Aufsicht. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Jetzt kommt das Lob!) Dann haben Sie sich schnell überlegt, was Sie machen, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da haben wir uns überlegt, was schreiben die Sozialdemokraten, und haben das dann auch aufgeschrieben! – Das aber nicht mitschreiben! Um Gottes willen, das ist diskreditierend! – Gegenruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesagt ist gesagt! Das muss ins Protokoll! Darauf bestehe ich! – Heiterkeit) und sich dafür entschieden, einen eigenen Antrag einzubringen. Das will ich nicht kritisieren. Denn es ist nicht schlecht, wenn es der Opposition gelingt, die Regierungsfraktionen vor sich herzutreiben. Wenn man sich Ihren Antrag anschaut, dann stellt man fest: Sie haben teilweise von uns abgeschrieben. Da kann man sich nicht beklagen; die Quelle ist dann sicherlich richtig. Konrad Adenauer hat ja zu Recht gesagt: Man soll niemanden daran hindern, klüger zu werden. (Beifall bei der SPD) In Ihrem Antrag beschäftigen Sie sich mit dem Verhältnis zwischen der europäischen und der nationalen Aufsicht. Ich stelle für uns fest: Wir begrüßen ausdrücklich die Reform des europäischen Aufsichtssystems. Diese war überfällig. Grenzüberschreitend agierende Banken müssen auch grenzüberschreitend überwacht werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Dieses europäische Finanzsystem hat seine Arbeit am 1. Januar 2011 aufgenommen. Daher ist es nachvollziehbar, dass es auch nach über einem Jahr – verallgemeinernd würde man es so sagen – noch an vielen Punkten quietscht und klemmt. Das gilt für die Ausgestaltung der Arbeit – wer ist wofür zuständig? – und besonders für die Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsehern. Sie haben es zu Recht gesagt: Da muss man seine Claims abstecken und die Ellbogen ausfahren. Da kommt es zu Problemen. – Aber wir müssen ganz klar feststellen: Wir fordern, dass die mikroprudentielle Aufsicht auch in Zukunft von den nationalen Aufsichtsbehörden wahrgenommen wird; das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es muss ebenso eine abgestufte Aufsichtsdichte erhalten bleiben. Was heißt das? Die Risikostufe des beaufsichtigenden Instituts muss beachtet werden. Es kann nicht sein, dass SIFIs, also große international agierende Banken, genauso behandelt werden wie eine kleine kommunale Sparkasse. Hier muss entsprechend differenziert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir hatten gehofft, dass Sie in Ihren Formulierungen Konkretes von der Bundesregierung fordern. Aber diese Hoffnung war vergeblich. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Weil Sie nicht lesen können!) Wir diskutieren hier im Bundestag viele Anträge, aber selten gibt es im Forderungsteil eines Antrags eine solche Ansammlung von Plattitüden und Gemeinplätzen wie hier. Ich darf einmal zwei zitieren. Da wird gefordert, „darauf zu achten, dass die mit dem aufsichtlichen Meldewesen verbundene bürokratische Belastung der Finanzinstitute nicht außer Verhältnis zu dem mit dem Meldewesen angestrebten Zweck steht“. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist -einer der entscheidenden Punkte!) – Ja, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Da werfen Sie aber schwer mit Wattebäuschchen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Perfekt formuliert!) Ich würde von Ihnen verlangen, dass Sie klare Forderungen in Richtung Bundesregierung stellen (Beifall bei der SPD) und nicht in dieser allgemeinen Form formulieren „da-rauf hinzuwirken, dass die Arbeit des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken effektiv und transparent -gestaltet wird“. – Mein Gott! (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super! Wer könnte da dagegen sein?) – Das finde ich auch. Es ist wirklich eine grandiose Forderung. Man stelle sich vor, dieser Ausschuss würde -ineffektiv und intransparent arbeiten! Grauenvoll! (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!) Wir als Sozialdemokraten hatten, als wir das gelesen haben, ein kleines Problem. Wir haben nämlich beim besten Willen keinen Grund gefunden, diesen Antrag in der allgemeinen Form abzulehnen. (Peter Aumer [CDU/CSU]: Super!) Wenn wir das ganze Thema etwas konkreter diskutieren wollen, dann können wir das morgen tun, wenn wir uns mit unserem Antrag zu diesem Thema befassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob wir diesen -Antrag beschließen oder ob in China ein Sack Reis -umfällt, ist völlig egal. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Sprechen Sie jetzt von dem SPD-Antrag?) Damit aber die Reissäcke in China stehen bleiben können, werden wir dem Antrag zustimmen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD – Ingrid Arndt-Brauer [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Wollen Sie nicht klatschen?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Björn Sänger hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich jetzt etwas mehr Zeit als die sechs -Minuten hätte, Herr Kollege Zöllmer, dann würde ich noch einmal die einzelnen Stationen aufzeigen, die uns in diese Situation gebracht haben, (Manfred Zöllmer [SPD]: Keine Drohungen!) für die Sie Verantwortung tragen. Aber da ich nur sechs Minuten habe, möchte ich viel lieber über unseren guten Antrag sprechen. Es ist schon gesagt worden: Eine ganz große Lehre aus der Krise, in der wir uns befinden, ist, dass wir die Aufsicht europäisch gestalten müssen, weil wir europäische Finanzstrukturen und Verflechtungen haben. Deswegen hat die Bundesregierung aktiv daran mitgewirkt, darauf hingewirkt, dass das Europäische Finanzaufsichtssystem installiert wurde und seine Arbeit aufgenommen hat. Auch in anderen Fällen hat die Bundesregierung bei entscheidenden regulatorischen Maßnahmen vorn an der Front gestanden, wenn es nämlich darum ging, die Dinge zu regeln, zum Beispiel beim Thema Banken-Restrukturierungsgesetz, beim Thema Leerverkäufe, beim Thema Selbstbehalt bei Verbriefungsverkäufen. Aber obwohl das mit der europäischen Finanzaufsicht ganz gut angelaufen ist, gibt es immer noch das eine oder andere, wo Bedenken bestehen. Es holpert etwas. Der Motor läuft noch nicht ganz rund. Diese Probleme greifen wir mit dem Antrag auf und sagen der Bundesregierung, auf welche Punkte sie ein besonderes Augenmerk richten soll. Wir gehen dabei davon aus, dass es ein einheitliches Leitbild gibt, was da heißt: gleiches Geschäft – gleiche Regeln. „Gleiches Geschäft“ bedeutet in dem Fall: Wenn eine Organisation eine Bank, eine Versicherung oder ein Wertpapierinstitut ist, dann gelten für die jeweilige -Organisation alle entsprechenden Regeln; sonst könnte man beispielsweise auch auf eine andere Idee kommen. Ein Vergleich: Jemand im Gastronomiebereich etwa könnte sagen: Ich habe ein besonders hochwertiges Restaurant. Ich verwende keine Risikolebensmittel. Ich habe einen ganz besonderen Kundenkreis. Deswegen gehe ich sehr sorgfältig mit allem um. Da müssen die Hygienevorschriften für mich nicht gelten – anders als möglicherweise bei der grenzüberschreitend tätigen Imbisskette. Das soll aber eben nicht sein. Die Regeln gelten für alle gleich. Die Frage ist nur, wer häufiger und intensiver kontrolliert wird, und das ist die Frage, um die es sich hier im Kern dreht. Es gibt in der Branche natürlich eine Sorge bzw. eine Verunsicherung darüber, ob jetzt aus Europa, aus London, aus Paris oder vielleicht aus Frankfurt – die euro-päische Versicherungsaufsicht sitzt ja in Frankfurt; aber das wird in Deutschland wahrscheinlich niemanden schrecken, außer vielleicht einen Nordhessen wie mich – kontrolliert wird, (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Nichts gegen Nordhessen!) ob es mehr Bürokratie gibt, was mit den deutschen -Besonderheiten passiert und wie man sich rechtlich wehren kann, wenn so eine EU-Behörde auf ein Institut -zukommt. Diese Bedenken greifen wir mit dem vorliegenden Antrag auf. Denn es gibt natürlich Besonderheiten in -unserem Markt. Wir haben das bewährte Drei-Säulen-Modell; wir haben bestimmte Formen der Trägerschaft, die im EU-Raum nicht ganz so bekannt sind. Wir haben im Versicherungsbereich eine breit gefächerte Struktur von mittelständischen Versicherungen, die eben auch Vorteile für den Konsumenten bietet: Es gibt einen Wettbewerb, es gibt bestimmte Spezialangebote und eben keinen Einheitsbrei von nur drei, vier, fünf oder auch zehn großen Versicherungen. Es besteht eine berechtigte Sorge mit Blick auf die Frage, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Behörden auch immer das richtige Verständnis für diese Besonderheiten haben. Wir haben dafür zwei Lösungsansätze: Zum einen ermutigen wir unsere guten und -bewährten Aufsichtsinstitute, die BaFin, die Bundesbank, ihr Know-how noch deutlich stärker als bisher in das Europäische Finanzaufsichtssystem einzubringen. Zum anderen sagen wir: Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns gerade im Hinblick auf diese Fragen in Europa personell noch stärker aufstellen als bisher, zum Beispiel indem wir geeignete Kandidaten identifizieren, sie qualifizieren und sie dann auch auf den entsprechenden Positionen unterbringen. Das muss optimiert werden. Es gibt darüber hinaus die Sorge, dass willkürlich Recht gesetzt wird. Es gab die Erfahrung mit dem EBA-Stresstest. Wir meinen, dass man darauf achten muss, dass Rechtsetzung wirklich nur dann an eine nachgeordnete Behörde – nichts anderes ist es ja – delegiert wird, wenn es um technische Standards geht, und nicht, wenn es etwa um die Politik geht, auf die es ankommt. Hier ist eine demokratische Legitimation notwendig. Ich ermuntere auch unsere Kollegen in den Parlamenten in Straßburg bzw. Brüssel, darauf zu achten, dass man ihnen da nichts aus der Hand nimmt. Wir wollen darüber hinaus regelmäßig evaluieren, -inwieweit diese Rechtsetzungsakte tatsächlich notwendig sind, ob man da eventuell nachsteuern muss. Eine weitere große Sorge – ich sagte es schon – -betrifft die Frage, wie man sich rechtlich wehren kann. Es ist verständlich, dass sich eine kleinere Volksbank möglicherweise darüber Gedanken macht, wie sie sich gegen Maßnahmen einer EU-Behörde wehren kann. Der Weg bis zum Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg erscheint sehr weit. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit man die Rechtshilfemöglichkeiten näher zu den Betroffenen bringen kann. Wir stehen zum Europäischen Finanzaufsichtssystem; wir haben es mit dieser Bundesregierung initiiert. Wir unterstützen die Bundesregierung aktiv dabei, es weiter zu optimieren, weil wir seinen Erfolg wollen. Um diesen Erfolg zu erreichen, müssen wir mögliche Akzeptanzprobleme beseitigen. Das tut und will dieser Antrag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Axel Troost hat das Wort für die Fraktion die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag ist mit dem Titel „Europäische Finanzaufsicht stärken“ überschrieben. Wenn man sich aber den Inhalt des Antrags anschaut, dann stellt man fest, dass -alles Mögliche relativiert wird und Aufsichtstätigkeiten eher eingeschränkt werden. Deswegen stellt sich für mich schon die Frage, was Sie denn nun wollen: Wollen Sie die europäische Finanzaufsicht stärken, oder sehen Sie darin eher eine Bedrohung für die national unterschiedlich ausgeprägten Finanzsysteme? Ich bin ganz bei Ihnen, wenn die Zielsetzung ist, dass die Europäische Bankaufsichtsbehörde, EBA, für eine kleine Sparkasse im Schwarzwald nicht dieselben Maßstäbe anlegen darf wie für die Deutsche Bank oder für französische oder britische Großbanken. Aber das tut sie ja auch nicht. Die Sparkassen und Volksbanken waren beim Bankenstresstest der EBA völlig zu Recht nicht auf dem Prüfstand. Ich habe den Eindruck, dass Sie ein grundsätzlich richtiges Anliegen an der falschen Stelle viel zu spät vertreten. Das Problem ist nicht primär eine europäische -Finanzaufsicht, die zu wenig zwischen lokalen Volksbanken und globalen Investmentbanken unterscheidet. Das Problem ist vielmehr eine europäische Finanzmarktregulierung – Stichwort Basel III oder CRD IV –, wo weitgehend gleiche Spielregeln für diese so unterschiedlichen Bankentypen festgeschrieben werden. An dieser Stelle haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, und Ihre Bundesregierung eher geschlafen. (Beifall bei der LINKEN) Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, für die Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei den europäischen Verhandlungen, zum Beispiel zu Basel III, eine andere -Behandlung auszuhandeln. Genau dies ist sträflich versäumt worden. (Beifall bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!) Es ist zwar positiv, wenn Sie dieses Versagen jetzt -implizit eingestehen und nun versuchen, bei der Regulierung Veränderungen herbeizuführen, um das wiedergutzumachen. Es ist aber die falsche Stelle. Mir fällt zudem auf: Ihr Antrag macht insgesamt Stimmung gegen das Europäische Finanzaufsichtssystem und insbesondere gegen die Bankenaufsicht. Ich kann zwar die Kritik an der EBA nachvollziehen, dass der europäische Bankenstresstest nicht glücklich verlaufen ist und man sich wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten hat, aber das ist nicht nur eine Schwäche, sondern auch eine Stärke. Die EBA ist selbstbewusst aufgetreten und hat den Großbanken – nicht den Sparkassen – einen gehörigen Schreck eingejagt. Es ist genau das Auftreten, das wir aus meiner Sicht brauchen. Wenn die Öffentlichkeit und auch die Banken den Eindruck haben, dass die Finanzaufsicht die Finanzinstitute nur mit Samthandschuhen anfasst und mit Wattebäuschchen um sich wirft, dann läuft hier etwas schief. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. -Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Die Großbanker haben uns die teuerste Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit eingebrockt. Trotz vieler Aufseher werden sie nach wie vor vorsichtig -behandelt. Auch die Politik scheint sich immer zu entschuldigen, wenn es darum geht, Regulierungen endlich vernünftig zu gestalten. Wir sollten froh sein, wenn die Bankenaufsicht hier vernünftig handelt. So verschafft man sich Respekt gegenüber der Branche, und man lehrt der Branche an der einen oder anderen Stelle auch das Fürchten. Genau das brauchen die Großbanker: Sie sollen sich ruhig vor einer strengen Finanzaufsicht fürchten. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. -Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] und Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Leider steht davon nichts in Ihrem Antrag, im Gegenteil. Deswegen werden wir ihn ablehnen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die europäische Finanzaufsicht sprechen, ist es wichtig, sich klarzumachen, warum wir sie brauchen. Es gibt hier einen Zielkonflikt, den man als das Trilemma der internationalen Finanzaufsicht bezeichnet, und zwar gibt es drei Dimensionen, von denen man nur zwei erreichen kann. Das sind die Stabilität des interna-tionalen Finanzsystems, globale Finanzinstitute und -nationale Aufsichtsbehörden. Das kann zusammen nicht funktionieren. Das können Sie im letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrates nachlesen. Dort steht -– ich -zitiere –: Wenn von wirtschaftspolitischer Seite ein stabiles internationales Finanzsystem mit global tätigen -Finanzinstituten gewollt ist, dürfen Länder nicht weiter auf der Souveränität der nationalen Aufsichtsbehörden beharren. Und weiter heißt es: Auf europäischer Ebene bedeutete dies die Schaffung einer umfassenden europäischen Finanzaufsicht mit sämtlichen Kompetenzen für global tätige Finanzinstitute. Genau das ist die Forderung von uns Grünen. Im -Gegensatz dazu schreiben Sie in Ihrem Antrag, es gebe eine nicht ausreichende Beschränkung der Aufsichts-tätigkeit der europäischen Finanzaufsichtsbehörden auf ihre harmonisierende Funktion. Dazu schreibt der Sachverständigenrat, dass das der Versuch ist, die drei -Dimensionen mit der Harmonisierung zu verknüpfen. Das muss natürlich scheitern. An dieser Stelle gibt es einen Dissens. Es ist keine gute Struktur, dass wir eine Harmonisierung der Aufsicht für große wie für kleine Banken anstreben. Bei großen Banken, die grenzüberschreitend tätig sind, brauchen wir eine knackige europäische Finanzaufsicht. Bei kleinen Banken, die nur regional tätig sind, ist es richtig, dass sie der Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörde unterstehen. Das muss man nicht von London aus machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) An dieser Stelle ist es wichtig, sich noch einmal die Unterschiede in der Größenordnung deutlich zu machen. Auf der einen Seite steht beispielsweise die Volksbank Mannheim-Sandhofen: 55 Mitarbeiter, Bilanzsumme etwa 200 Millionen Euro. Auf der anderen Seite steht ein Konzern in der Größenordnung der Deutschen Bank: Bilanzsumme etwa 2 Billionen Euro, 10 000-mal größer, etwa 100 000 Mitarbeiter, davon 8 500 in London. Wie wollen Sie diese globalen Aktivitäten von Deutschland aus sinnvoll beaufsichtigen? In London sitzt keine Handvoll Aufseher der britischen Finanzaufsicht, die hierfür zuständig sind. Genau deswegen ist es richtig, eine knackige europäische Finanzaufsicht zu haben. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Kein -Widerspruch!) Das Problem ist, dass sich die Bundesregierung in Brüssel dagegen ausgesprochen hat. In Ihrem Antrag wollen Sie die Aufsichtstätigkeit auf eine harmonisierende Funktion beschränken; aber Sie verweigern die direkten Durchgriffsrechte auf die globalen Finanzinstitute. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein! Das steht nirgendwo drin!) Sie verweigern den Finanzaufsichtsbehörden genau die Rechte, die sie hierfür brauchen. Hier liegt der Dissens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Einfach mal lesen!) – Deswegen habe ich ja genau zitiert. Sie sagen: Der Bundestag ist besorgt, dass die Aufsichtstätigkeit der ESAs nicht ausreichend auf die harmonisierende Funktion beschränkt ist. Sie schreiben überhaupt nichts zu den stärkeren direkten Durchgriffsmöglichkeiten, die jedoch notwendig sind. Die Differenzierung zwischen kleinen und großen Banken, die wir brauchen, nehmen Sie an dieser Stelle gerade nicht vor. An einer Stelle können wir dem Antrag aber zustimmen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Kontrolle durch das Parlament verstärkt wird. Es kann nicht sein, dass Aufsichtsbehörden ein Eigenleben entwickeln. Wir Grünen setzen uns deswegen auf europäischer Ebene dafür ein, dass die Kontrolle durch den Rat und insbesondere durch das Parlament verstärkt wird. Jede Aufsichtsbehörde – das gilt für die Aufsichtsbehörden in Deutschland wie auch für die europäischen – braucht eine klare Kontrolle durch demokratisch legitimierte Institutionen. Das ist extrem wichtig. Zum Schluss möchte ich noch eine Bemerkung machen. Ich finde es schade, dass die Koalition erneut einen Antrag zu europäischen Fragen vorlegt, bei dem nicht versucht wurde, eine gemeinsame Position zu formulieren. Früher hatten wir immer wieder den Versuch unternommen, uns als Fraktionen zu europäischen Fragen gemeinsam aufzustellen. Vielleicht hätte das auch in dieser Frage gelingen können, zumindest zu einer Reihe von Punkten. Sie haben es nicht einmal versucht. Ich würde mich freuen, wenn wir es in Zukunft wieder schaffen könnten, bei europäischen Fragen im -Finanzausschuss zu prüfen, ob der Bundestag nicht mit einer gemeinsamen Stimme entscheidende konsensfähige Punkte anstoßen kann. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Peter Aumer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Aumer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren eines der großen Themen unserer Zeit, nämlich die Frage, wie die Finanzmärkte effektiv oder – wie Sie es sagen, Herr Dr. Schick – knackig reguliert werden können. Die Bundesregierung hat die Konsequenzen aus der Krise gezogen und hat auf europäischer Ebene bei der Umsetzung einer effektiven europäischen Finanzaufsicht mitgewirkt. Vor allem hat sie Wert darauf gelegt, dass eines der tragenden Prinzipien Europas und unserer Gesellschaft, das Subsidiaritätsprinzip, beachtet wird. Für uns als christlich-liberale Koalition ist es ganz wichtig, dass man auf europäischer Ebene einheitliche Regelungen trifft, die auch greifen. Dennoch dürfen die nationalen Eigenheiten nicht vergessen werden. – Deshalb unser Antrag. Wir unterstützen selbstverständlich die Arbeit der neu geschaffenen europäischen Aufsichtsbehörden. Wir wollen aber auch, dass dabei die deutschen Eigenheiten berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang muss man den Zielkonflikt, den Sie, Herr Dr. Schick, angesprochen haben, selbstverständlich beachten. Man kann nie alle Ziele gleichzeitig im Auge haben; es gilt ganz klar auszutarieren. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss sich entscheiden, auf welches man verzichten will! Bei der Stabilität machen wir keine Abstriche!) Zielkonflikte wird es immer geben; diesen Konflikt muss man aber so lösen, dass man den deutschen Eigenheiten, vor allem unserem dreigliedrigen Bankensystem, nicht den Boden unter den Füßen wegzieht. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Dr. Troost, wir haben in unserem Antrag sehr klar dargelegt, was wir wollen. Ich glaube, Sie haben den Antrag nicht wirklich gelesen. Auch in Bezug auf Basel III haben Sie uns vorgeworfen, wir würden nicht so verhandeln, dass unsere deutschen Eigenheiten – das geht wieder in diese Richtung – berücksichtigt werden. Da gibt es schon einmal einen Konflikt zwischen den Linken und den Grünen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt vor!) Eigenheiten müssen beachtet werden – das ist ganz klar –, damit wir den Weg unseres Bankensystems gemeinsam erhalten können. Dann kommt Herr Zöllmer mit seinem „schwarzen Loch“. Ich kann kein schwarzes Loch erkennen. Vielleicht war es nur in Ihrer Rede, Herr Zöllmer. Mit Blick auf die innerdeutschen Angelegenheiten haben wir eine Regelung gefunden, die im Moment beraten wird und im Sommer sicherlich kommen wird. (Manfred Zöllmer [SPD]: In welchem Jahr denn?) Sie von der SPD sagen, Sie hätten von Anfang an gewusst, wie man richtig reguliert; ich habe es mir extra aufgeschrieben. Dann frage ich mich schon: Wie konnte es zu dieser Krise kommen? Sie haben lange Zeit vor der Krise die Regierung gestellt und hätten in dieser Zeit eine Finanzaufsicht auf den Weg bringen können, die effektiv arbeitet und auch mit Blick auf Europa einen guten Weg einschlägt. Da würde ich um ein bisschen mehr Bescheidenheit bitten. Man hätte von Anfang an etwas tun können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir waren nicht so global ausgerichtet! Wir haben uns ums Land gekümmert!) – Ja. Aber vorausschauende Politik bedeutet natürlich auch, dass man rechtzeitig Lösungen auf den Weg bringt, die tragen. Wir haben vorausschauend einen Finanzkongress geplant – schon lange Zeit vor Ihrem Antrag zu Basel III, der morgen diskutiert wird –, genau zu dem Thema des heutigen Antrags: „Europäische Finanzaufsicht stärken und effizient ausgestalten“, aber die Eigenheiten Deutschlands berücksichtigen. Das ist lange vor Ihrem Antrag diskutiert worden. Auch da sollte man vielleicht ein bisschen bescheidener sein und nicht immer nur die eigenen Dinge nach vorne stellen. Wir haben ganz bewusst ein Thema gewählt, das wichtig ist. Ich glaube, man muss dieses wichtige Thema gemeinsam diskutieren. Herr Dr. Schick, wenn Sie mir nicht den Rücken zukehren würden, dann würde ich Sie darin unterstützen, dass man bei solchen wichtigen europäischen Themen gemeinsame Wege gehen muss. Es ist für uns alle wichtig, dass man einen starken Aufsichts- und Regulierungsrahmen für Europa findet, der die deutschen Eigenheiten berücksichtigt. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber auch bei der Finanztransaktionsteuer!) Im Zusammenhang mit der Finanztransaktionsteuer hat der Herr Minister heute früh ganz klar den Weg genannt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die Opposition steht fest hinter Ihnen!) Sie müssen ab und zu ein bisschen aufpassen, damit man bei diesen Themen gemeinsam in eine gute Zukunft gehen kann. Sie wollen eher den Konflikt herbeireden, als gemeinsam eine Lösung für Europa zu finden. Es muss uns einmal bewusst werden – ich denke mir das bei vielen Diskussionen in diesem Haus –, dass von Ihnen keine konstruktiven Vorschläge kommen, etwa wenn ich mir die Debatte heute Morgen zum Fiskalpakt und zum Stabilitätsmechanismus vor Augen führe. Da muss man konstruktive Beiträge leisten, um Europa in eine gute Zukunft zu führen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch jede Menge konstruktive Vorschläge gemacht!) – Na ja. Herr Zöllmer, Sie haben gesagt, dass wir keine klaren Forderungen gestellt haben. Wenn Sie unseren Antrag genau gelesen hätten – ich habe ihn hier –, dann hätten Sie gesehen: Darin wird in acht Punkten mit klaren Forderungen sehr ausdrücklich dargelegt, (Manfred Zöllmer [SPD]: Da ist nichts klar!) wie wir es haben wollen: eine starke Aufsicht in Europa, die die individuellen Aspekte Deutschlands mit berücksichtigt. Da ist die Dreigliedrigkeit unseres Bankensystems ein zentrales Thema. Wir wollen unser Netz regionaler Banken nicht noch stärker mit Bürokratie und Anforderungen belasten, die eher die global agierenden Banken zu erfüllen haben. Das ist ein wesentlicher Punkt, auf den wir mit diesem Antrag aufmerksam machen wollten. Bürokratische Belastungen sollen nicht überbordend sein. Ein wichtiger Punkt, der heute noch nicht angesprochen wurde, ist, auch deutsches Personal in diese Institutionen zu bringen; deutsches Denken ist gerade im Finanzbereich ganz wichtig. (Zurufe von der SPD: Ja! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das hat die SPD elf Jahre versäumt!) Wir fordern die Bundesregierung dazu auf. Hätten Sie es doch angesprochen und dem Staatssekretär mit auf den Weg gegeben! (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Der tippt!) – Der passt schon auf. Der Herr Staatssekretär kann beides zugleich: Zuhören und Tippen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben eine gute Lösung für die Finanzaufsicht in Europa gefunden. Wir gehen einen Weg, bei dem aber auch die deutschen Interessen verwirklicht und berücksichtigt werden. Deswegen bitte ich Sie, diesen Antrag zu unterstützen, (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir machen es ja!) damit wir gemeinsam in eine gute Zukunft gehen, mit stabilen Finanzen und einer guten Finanzaufsicht. Herzlichen Dank für die Zustimmung. Ich wünsche mir bei Europafragen weiterhin ein gutes Miteinander. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Gerne!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/9151 mit dem Titel „Europäische Finanzaufsicht stärken und effizient ausgestalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD angenommen. Dagegen haben die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten – Drucksachen 17/7360, 17/8507 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Dr. Frithjof Schmidt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Andrej Hunko, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren – Drucksachen 17/5387, 17/8807 – Berichterstattung: Abgeordnete Roderich Kiesewetter Dietmar Nietan Dr. Rainer Stinner Sevim Da?delen Dr. Frithjof Schmidt Hierzu ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Joachim Spatz für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Joachim Spatz (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei große Linien zeichnen sich als Herausforderungen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ab. Die eine ist die multipolare Welt, die Neudefinition von Beziehungen zu aufstrebenden Mächten, die zweite Linie ist, dass wir erkennen müssen, dass wir in Zukunft sehr viel stärker zivile Aspekte der Sicherheitspolitik werden betonen müssen, und der dritte große Bereich ist die europäische außen- und sicherheitspolitische Integration. Wir haben in Bezug auf die außen- und sicherheitspolitische Integration der EU – wie in manchen anderen Feldern – einen eher technokratischen Ansatz. Es wird versucht, über technische Integration und über Versuche der gemeinsamen Beschaffung bis hin – um das erfolgreichste Modell zu nennen – zur Integration der strategischen Lufttransporteinheiten mehr Kooperation und mehr Gemeinsamkeiten zu etablieren, aus dem Bewusstsein, dass die Mittel für Verteidigung in Europa beschränkt sind und in dem Gedanken, dass wir mit mehr Kooperation letztendlich Einsparpotenziale realisieren, die wir anders nicht heben können. Leider sehen wir auch bei den erfolgreichen Modellen, dass irgendwann eine Grenze erreicht ist. Wir haben gestern im Verteidigungsausschuss das Thema angesprochen, ob wir bei der erfolgreichen Integration von Lufttransporteinheiten nicht irgendwann einmal daran denken könnten, nicht nur Flugzeuge, sondern auch Hubschrauber zu integrieren. Aber man sieht schon: Je näher sie an die „Front“ herankommt, je näher sie an den Kriegseinsatz herankommt, desto schwieriger wird die Integration, weil wir an einen Punkt kommen, an dem die politische Integration gefragt ist. Das ist aus unserer Sicht die Herausforderung, der wir uns jetzt stellen müssen. Im Endeffekt haben wir uns als Europäer viel zu lange um diese Fragen herumgedrückt. Immer dann, wenn es zu Treffen und zu den wirklich harten Entscheidungen kam, hat man wieder die alten Reflexe in den nationalen Hauptstädten registrieren müssen. Das müssen wir endlich überwinden, um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik voranzubringen. Wir als Deutscher Bundestag haben auf Vorlage der Koalitionsfraktionen eine Resolution zu einer parlamentarischen Begleitung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union verabschiedet, die vorsieht, dass sich die nationalen Parlamente mit dem Europäischen Parlament zusammensetzen sollen, das gerade im zivilen Bereich – ich betonte bereits die steigende Notwendigkeit – eine starke Rolle spielt und auch spielen sollte. Das kann eine Unterstützung sein für das, was die Regierungen an Bemühungen an den Tag legen, um eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auf europäischer Ebene zu formulieren. Da ich vor Frau Cramon-Taubadel reden muss, möchte ich folgenden Aspekt aufgreifen. Sie haben gestern in der Ausschusssitzung gesagt, dass es auf die Größe der Delegation gar nicht ankomme, weil das ohnehin – das sei ein Erfahrungswert aus anderen parlamentarischen Versammlungen – sehr spärlich genutzt werde. Frau Cramon-Taubadel, ich kann Ihnen nur sagen: Wer mit einem solchen Ansatz herangeht, hat die Dimension des Problems nicht verstanden. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal Ihre anderen Kolleginnen und Kollegen!) Wenn wir das so machen wie in anderen parlamentarischen Versammlungen, dann werden wir dieser Herausforderung nicht gerecht. Wer schon jetzt skeptisch ist, ob wir – wie alle anderen – das erkennen, und kleine Brötchen bäckt, der wird das Thema verfehlen. Der Druck wird noch wachsen. Die Amerikaner haben öffentlich mehrfach angekündigt, dass sie ihre Schwerpunkte verlagern werden, und zwar in den pazifischen Raum. Da ist es völlig unausweichlich, dass auf die Europäische Union ein Mehr an Herausforderungen zukommen wird – im zivilen Bereich, aber auch im militärischen Bereich. Deshalb ist hier ein Mehr an Integration notwendig. Ich bezweifele aber nachhaltig, dass das gelingen wird, wenn wir es nur den Regierungen überlassen, so wichtig die Exekutive hier ist. Ich glaube, dass die Formulierung des europäischen Gemeinwohls in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr sein muss als die Summe von nationalen Interessen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich glaube, hier müssen die Parlamentarier, die dafür Verantwortung tragen, entsprechend eine Mitgestaltungsmöglichkeit haben. Wenn das gewährleistet ist, dann können wir auf der sachlichen Ebene gerne über die nächsten Integrationsschritte reden, Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Aber die Conditio sine qua non für die harten Themen, für den konkreten Einzelfall, bei dem der Deutsche Bundestag gegebenenfalls eine Zustimmung für einen Auslandseinsatz gibt, klären wir nicht auf administrative und nicht auf technokratische Art und Weise, sondern mit einem neuen Integrationsschub auf politischer Ebene zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. So werden wir wirklich vorankommen. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Spatz dankbar dafür, dass er nicht das Hohelied der Erfolge der Bundesregierung gesungen hat, sondern etwas Neues in die Debatte geworfen hat, worüber wir einig sind: Wir wollen eine Parlamentarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union, weil sie ein Motor sein kann, die Fortschritte zu erreichen, die wir bisher vermissen. (Joachim Spatz [FDP]: So ist es!) Auch diese Bundesregierung war nämlich nicht in der Lage, sie wirklich anzustoßen. Aber wir wollen mehr Europa in der Verteidigungs- und der Sicherheitspolitik. Erstens. Warum brauchen wir das? – Wir leben nicht mehr in einer bipolaren Welt, sondern wir leben heute in einer multipolaren Welt. Europa soll einer der starken Pole in dieser Welt sein, nicht Deutschland, nicht Frankreich, nicht Großbritannien, nicht Italien, nicht Spanien, nicht Polen, sondern ein gemeinsames Europa, das wir politisch schon geschaffen haben. Es gibt die Europäische Union in vielen Bereichen, aber außenpolitisch ist sie noch schwach. Zweitens. Wir erleben die neue amerikanische Sicherheitspolitik als eine Politik, die sich vielleicht nicht von Europa abkehrt, die aber Europa aus gutem Grund nicht mehr als ersten Adressaten für ihre Besorgnisse, aber auch nicht mehr für ihre Bündnisse sieht, sondern sich dem pazifischen Raum zuzuwenden scheint. Auch deshalb wird es für Europa wichtiger, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu sorgen. Wir werden uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die Amerikaner immer in die Bresche springen oder dass sie dies gemeinsam mit der NATO tun. Wir brauchen auch die EU als einen eigenständigen sicherheitspolitischen Akteur. Drittens. Warum brauchen wir mehr Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik? – Wir brauchen sie, weil wir alle die gleichen Probleme haben. Wir haben die gleichen, zum Teil veralteten militärischen Strukturen, die reformiert werden. Wir haben die gleichen Einsätze zu bestehen, nämlich auf dem Balkan, am Horn von Afrika, letztlich weltweit. Wir haben in allen europäischen Ländern die gleichen beschränkten Haushaltsmittel. Das heißt, eine Zusammenarbeit kann uns stärker machen. Ich sehe kein anderes Mittel, um stärker zu werden. Wir werden nicht mehr Geld ausgeben als jede einzelne Nation, sondern wir werden durch Zusammenarbeit effizienter werden müssen. Aber da hat die jetzige Bundesregierung eine Chance vertan. Der verflossene Verteidigungsminister zu Guttenberg hat vor der Verkündung der Ergebnisse der Bundeswehrreform als Anspruch sehr richtig formuliert: Wir müssen jetzt handeln; es ist die Stunde Europas, das Bekenntnis zur europäischen Verteidigung muss mehr sein als ein Lippenbekenntnis. Im gleichen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung fuhr er fort: Wie können bestehende Redundanzen abgebaut werden? Was sind militärische Kernfähigkeiten, die weiterhin rein national bereitgestellt werden sollen? Auf welche Fähigkeiten können wir in Zukunft verzichten, weil sie besser von anderen Partnern erfüllt werden können? Gute Fragen. Die neue Struktur, das neue Reformkonzept des Nachfolgers de Maizière gibt darauf aber keine Antwort. Das ist eine rein nationale Reform. Genauso führen die Briten und die Franzosen rein nationale Reformen ihrer Streitkräfte durch. Wir müssen spätestens beim nächsten Mal – das soll keine Drohung sein – zu europäischeren Lösungen kommen. Wir Sozialdemokraten haben als, ich glaube, erste Partei in Europa in unserem Grundsatzprogramm das Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee formuliert. (Joachim Spatz [FDP]: Das haben wir auch!) – Auch im Grundsatzprogramm? (Joachim Spatz [FDP]: Selbstverständlich!) – Sie haben ein Grundsatzprogramm? (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Im Koalitionsvertrag!) Das Grundsatzprogramm der FDP ist der Koalitionsvertrag. Das lerne ich jetzt und bin erfreut darüber, dass wir einer Meinung sind. (Lachen des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Ich wollte eigentlich eine noch größere Autorität zitieren, die Frau Bundeskanzlerin, die sich sozialdemokratische Programmsätze immer gern zu eigen macht. Bei der Verleihung des Karlspreises an den polnischen Regierungschef Tusk in Aachen hat sie gesagt: Und jenseits des Ökonomischen wagen wir vielleicht nach der gemeinsamen Währung weitere Schritte, zum Beispiel den zu einer gemeinsamen europäischen Armee. Das steht bei uns im Programm, aber recht hat sie natürlich. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Wo steht Europa heute? Was geht schon? Kollege Spatz hat es angesprochen. Wir diskutieren im Verteidigungsausschuss über ein gemeinsames europäisches Lufttransportkommando. Dies ist das erste Jahr, in dem es operativ tätig ist, und wir können sagen: Es scheint zu funktionieren. Auch die gemeinsame Lufttransportlösung SALIS – schwerer strategischer Lufttransport, stationiert in Leipzig; hier haben sich etliche NATO-Staaten zusammengeschlossen – scheint zu funktionieren. Das sollte man auf Dauer stellen. Die Lufthoheit über dem Baltikum wird durch NATO-Geschwader gesichert, weil es keinen Sinn macht, dass Staaten, die 1 Million Einwohner haben, sich eine eigene Luftwaffe anschaffen. Das kann man gemeinsam, abwechselnd erledigen. Es gibt ein paar Beispiele innerhalb der NATO, aber sie sind rar. Das ist der AWACS-Verband; in Zukunft wird vermutlich das Aufklärungssystem AGS dazugehören. Sonst haben wir eigentlich noch nichts. Wir brauchen neue, zusätzliche europäische Beispiele. Wir brauchen einen starken Kern einer strukturierten Zusammenarbeit im militärischen Bereich, auch einer technischen Zusammenarbeit. Die Deutsch-Französische Brigade ist noch kein Beispiel dafür, wie es gehen soll. Die Tatsache, dass es sich um eine deutsch-französische Brigade handelt, ist geradezu ein Hindernis, wenn es darum geht, sie einzusetzen. Sie hat noch keine Aufgabe gefunden. In der neuen -Bundeswehrstruktur, die im Übrigen von Minister de Maizière erarbeitet wurde, ist vorgesehen, dass ihre Jägerbataillone im Falle des Einsatzes deutschen Brigaden unterstellt werden. Das entspricht gerade nicht der europäischen Idee. Eigentlich müsste die Deutsch-Französische Brigade zum Beispiel als Reserve für das Kosovo dienen, sozusagen als ORF-Bataillon – hinter dem Horizont –, das bei einer Lagezuspitzung eingesetzt werden kann. Das wäre eine wirkliche Funktion. Im Kosovo haben wir erlebt, dass ein solcher Einsatz nötig werden kann. Hier könnte die Deutsch-Französische Brigade eingesetzt werden. Wir brauchen mehr Erfolgsgeschichten, die man weitererzählen kann. Die Brigade ist bisher keine solche Erfolgsgeschichte. Warum sollten wir nicht mit Polen, Dänemark oder anderen skandinavischen Ländern gemeinsame einsatzfähige Einrichtungen schaffen? Das kann heißen, dass zu einem Bataillon eine Kompanie aus einem anderen Land hinzukommt. Oder eine Fähigkeit könnte in einem Land stationiert werden, aus dem die Soldaten nicht kommen. Das ist in Deutschland ja nicht anders: Nicht alle, die in Schleswig-Holstein stationiert sind, kommen aus Schleswig-Holstein, und nicht alle, die in Bayern stationiert sind, sind Bayern. Europa ist groß, aber nicht so groß, dass man nicht hier und dort stationiert sein könnte. Insofern ist es gut, dass ein deutsches Bataillon in Frankreich stationiert sein kann, aber es ist schlecht, dass die Franzosen ihre Stationierung in Deutschland komplett aufgegeben haben. Dieses Stationieren in unterschiedlichen Ländern ist wichtig, um eine europäische Durchmischung herbeizuführen und das Ganze mit Leben zu erfüllen, damit man gemeinsam in Einsätze gehen kann. Das ist der nächste Schritt, den wir gehen müssen. Wir haben in unserem Antrag einige technische Anforderungen, wie Kollege Spatz sagen würde, formuliert. Ich glaube, diese Bedingungen sind nicht hinreichend, aber notwendig, um weiterzukommen. Wir brauchen ein europäisches Weißbuch. Wir brauchen eine Fortschreibung der Solana-Strategie, der europäischen Sicherheitsstrategie, die zu ihrer Zeit gut war. Aber das war 2003; inzwischen hat sich vieles verändert. Wir brauchen eine europäische Verteidigungsplanung. Wir brauchen eigentlich auch eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik. Es kann nicht sein, dass wir uns da noch Konkurrenz machen. Man müsste versuchen, sich in Europa auf die restriktiven deutschen Vorschriften zu verständigen. Dass jeder nach anderen Kriterien vorgeht, ist nicht vernünftig. Sich da Konkurrenz, einen Unterbietungswettbewerb zu leisten – wer kann noch ein bisschen mehr exportieren –, entspricht nicht dem Gedanken einer Zivilmacht Europa, die wir – ich glaube, hier sind wir uns fraktionsübergreifend einig – anstreben. In unserem Antrag steht, dass die Regierung da noch mehr tun muss. Da sind wir sicherlich einer Meinung. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Roderich Kiesewetter für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen zwei Anträge vor, wie sie gegensätzlicher wohl kaum sein können. Es ist interessant, zu sehen, mit welch unterschiedlichen Ansätzen die Opposition an uns herantritt. Insbesondere der Antrag der Linken beinhaltet einige Punkte, auf die wir gar nicht weiter einzugehen brauchen. (Beifall des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Ich frage mich, warum Sie fordern, militärische Einsätze grundsätzlich abzulehnen. Schauen Sie einmal in Richtung bestimmter Einsatzgebiete wie Libyen. Sie stellen auch fest, dass die Anzahl der Einsätze zugenommen hat. Es kann doch nicht um die Quantität von Einsätzen gehen. Es geht dabei um Fragen der Notwendigkeit und um aktive europäische Gestaltungspolitik. Dies sieht man zum Beispiel gut bei der Operation Atalanta. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP] – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: 50 000 Tote! Ist das Gestaltungspolitik?) In Ihrem Antrag geht es auch um parlamentarische Kontrollrechte; Kollege Spatz hat das vorhin beeindruckend angesprochen, und auch Kollege Bartels ist darauf eingegangen. Wir haben kein Zuwenig an parlamentarischer Kontrolle. Dieser Bundestag bestimmt über die Einsätze wie jedes andere der 27 Parlamente auch. Jetzt kommt es darauf an, dass man die gemeinsame Kontrolle ausübt. Wie das ausgestaltet wird, werden wir sehen. Der Bundestagspräsident hat gestern jedenfalls überzeugend dargestellt, dass er sich dem Interesse unseres Parlaments angenommen hat. Wir warten jetzt auf Vorschläge der polnischen Präsidentschaft. Ich glaube, wir werden unsere deutschen Beiträge gut einbringen. Lieber Herr Kollege Bartels, wenn Sie Ihren Antrag so formuliert hätten wie Ihre Rede, dann sähe die Situation vielleicht etwas anders aus. Ihr Antrag ist viel düsterer formuliert als das, was Sie vorgetragen haben. (Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Das war die Hoffnung!) Ich denke, so pessimistisch sollte man die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nicht sehen. Sie steht nicht vor dem Zerfall. Vielmehr ist es die Kunst der Europäischen Union, 27 Politiken zusammenzubringen. Dabei kommt es auch ganz wesentlich auf unseren Bundestag an. Ich möchte einen strategischen Blick auf die GSVP wagen. Es geht um den Dreiklang von Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit. Genau das macht Macht aus. Macht ist nicht die Menge an militärischen Arsenalen, sondern Macht ist die Fähigkeit zur Kooperation. Diese zeichnet uns Deutsche besonders aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Ich möchte auch sagen, dass wir diesen Teil der außenpolitischen Kultur – ich sage das als Außenpolitiker – deutlicher bewerben müssen. Dann können wir auch die Gefahr, die Sie ansprechen, Frankreichs und Großbritanniens Sonderweg, auffangen. Ich möchte das anhand von vier Gedanken darstellen. Erster Gedanke. Das bilaterale Vorgehen von Frankreich und Großbritannien ist sicherlich das Kernthema für die Zukunft der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aber, liebe Kollegen von der SPD, Konzepte, die Großbritannien nicht berücksichtigen, sind zum Scheitern verurteilt. Eine Fokussierung allein auf das Weimarer Dreieck wird nicht reichen. Zweiter Gedanke. Deutschland sollte sich noch stärker und proaktiver als Anlehnungspartner für andere in der Europäischen Union profilieren. Wir sollten zusammen mit denjenigen europäischen Partnern vorangehen, die bereits heute politisch dazu bereit sind. Diese Kooperation dürfen wir nicht als Gegensatz zum französisch-britischen Vorgehen sehen, sondern wir müssen es als Ergänzung betrachten. Aufgrund ähnlicher außenpolitischer Kulturen könnte ich mir – dies haben Sie vorhin angesprochen – eine Kooperation mit Polen, den Niederlanden, Österreich und einigen skandinavischen Staaten sehr gut vorstellen. Dritter Gedanke. Unter ähnlicher außenpolitischer Kultur – ich glaube, hier lohnt sich auch ein Blick auf unsere Geschichte – kann der Vorrang für das Zivile und die Art der parlamentarischen Entscheidungsfindung in Deutschland verstanden werden. Unser behutsamer Ansatz baut insbesondere auf Verlässlichkeit und kann zu einer größeren Bereitschaft führen, tiefere Abhängigkeiten von unserem Land einzugehen. Die Niederlande haben das bereits vorgemacht. Ein vierter Gedanke. Auf diese Weise könnte unser Land einen ganz zentralen Beitrag zur Gemeinsamen -Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch zur -Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU leisten. Wir könnten unser Land damit zu einer Drehscheibe der europäischen Handlungsfähigkeit werden lassen. Warum ist das so wichtig? Das ist wichtig, damit wir auch unsere essenzielle Beziehung zu den Vereinigten Staaten von Amerika weiter ausgestalten. Deutschland könnte also verlässlicher Ansprechpartner sein, eine Scharnierfunktion zwischen EU und NATO haben und das, was wir bereits einbringen, deutlich weiterent-wickeln. Damit könnten wir die GSVP, wenn ich diese Abkürzung verwenden darf, erheblich dynamisieren. Ich halte fest: Deutschland als Anlehnungspartner für andere in Europa, Ergänzung und irgendwann vielleicht Aufhebung der französisch-britischen Achse und damit ihre europäische Wiedereinbindung, Behutsamkeit und Verlässlichkeit sowie Scharnierfunktion für das Trans-atlantische Bündnis. Das könnte auch ein glaubwürdiger Beitrag unseres Landes zu einer europäischen Sicherheitsstrategie sein. Ein Letztes. Mit sehr großem Interesse habe ich die Rede des SPD-Parteivorsitzenden, Herrn Gabriel, zur GSVP vom 10. März dieses Jahres gelesen. Mich freut, dass er sich für die Stärkung der GSVP einsetzt. Er geht sogar einen erheblichen Schritt weiter: Er fordert die Verankerung einer europäischen Armee als Staatsziel im Grundgesetz. Hervorragende Theorie! Jetzt schauen wir auf die Praxis. Ich würde mir wünschen, Sie würden bei der Operation Atalanta Ihre im Verhältnis zu diesem ganz wichtigen Vorhaben sehr kleinen Bedenken auf-geben und dieser ersten europäischen Marinemission deutlich mehr Schwung verleihen, (Gerd Bollmann [SPD]: Das haben wir doch gemacht!) statt große Theorien zu einer Verankerung als Staatsziel im Grundgesetz zu entwickeln und sich in der Praxis, wenn es darum geht, im Rahmen von Atalanta rasch zu einer Lösung zu kommen, dermaßen zurückzuhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stärken müssen. Ich glaube auch, es gibt hier im Hause wenig Widerspruch, wenn ich sage: Wir sollten darüber nachdenken, die parlamentarische Kontrolle zu verstärken und vor allen Dingen die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in ganz konkreten Projekten zusammenzuführen. Wir sollten lieber einige wenige Projekte gut machen als eine Vielfalt unterschiedlicher Initiativen, die weder zu kon-trollieren noch in irgendeiner Weise zu finanzieren sind, aufrechtzuerhalten. Das schaffen wir, indem wir zum Beispiel das Baltic Air Policing, also den Luftraumschutz über dem Baltikum, intensiver betreiben und vielleicht sogar gemeinsam durchführen, indem wir den Schutz der Außengrenzen an der Küste gewährleisten, indem wir gemeinsame Ausbildungseinrichtungen schaffen, also auch junge Menschen zusammenführen, und indem wir gemeinsame Hauptquartiere und gemeinsame Doktrinen entwickeln. Hier gibt es noch viel zu tun. Wir von der Union sind mit ganzer Kraft dabei, diese Vorhaben zu unterstützen. Aber vor dem Hintergrund des erwähnten inneren Widerspruchs – Sie formulieren große Ziele, sprechen sogar von einer Verankerung im Grundgesetz, haben aber im Kleinen Schwierigkeiten – haben wir noch etwas Nacharbeit vor uns. Deswegen folgen wir der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin -Sevim Da?delen das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kiesewetter, eines ist ganz deutlich geworden: -Unter Stärkung der parlamentarischen Kontrolle bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verstehen Sie eigentlich nur die Durchsetzungskraft deutscher Interessen, aber nicht, eine echte parlamentarische Kontrolle der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einzurichten. (Beifall bei der LINKEN – Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) Während die Zahl der Missionen – vor allen Dingen die der Militärmissionen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – immer weiter zunimmt und der Haushaltstitel für eine global agierende Europäische Union mittlerweile mil-liardenschwer ist und jedes Jahr exorbitant steigt, fristet die parlamentarische Kontrolle von GASP- und GSVP-Missionen immer noch ein stiefmütterliches Dasein. Vor diesem Hintergrund bedauert es die Linke, dass alle anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen einen Antrag meiner Fraktion zur Etablierung einer GASP-Versammlung mit wirklichen, echten parlamentarischen Kontrollrechten in den entsprechenden Ausschüssen unisono zurückgewiesen haben. Im vorliegenden Antrag der SPD heißt es, die „gestalterische Kraft“ Deutschlands fehle ganz besonders „für den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“. Sie schreiben, hier sei „seit Jahren nichts mehr passiert“. Da fragt man sich: Wo leben Sie eigentlich? Sie erwähnen in Ihrem Antrag doch selbst das Weimarer Dreieck, und die Gent-Initiative zum Pooling und -Sharing ist an Ihnen offensichtlich ganz vorbeigegangen. Im Kern geht es eben wohl doch darum, unter deutscher Vorherrschaft ein eigenständiges EU-Hauptquartier und ständig bereitstehende zivil-militärische Battle Groups, also Kampftruppen, Schlachttruppen aufzustellen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) – Ja, so heißt das. Wie würden Sie denn „Battle Groups“ übersetzen? – Sie gehen sogar noch weiter mit der Forderung, dass Deutschland eine Vorreitergruppe beim Ausbau gemeinsamer militärischer Fähigkeiten bilden soll. Genau das treibt den Keil in die Europäische Union, den Sie als tiefste Krise der EU seit ihren Anfängen -monieren. Die Linke ist gegen eine deutsche Vorreiterrolle. Wir wollen eine entmilitarisierte EU-Außenpolitik und ein friedliches Europa. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb finden wir es eben auch skandalös, dass wir -gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, während überall von Sparen und Spardiktaten gesprochen wird, in der Europäischen Union eine Mammutbehörde haben, nämlich den Europäischen Auswärtigen Dienst, der letztes Jahr rund eine halbe Milliarde Euro „gefressen“ hat. Was könnte man hier in Europa mit diesem Geld vor allen Dingen im sozialen Bereich nicht alles erreichen! (Beifall bei der LINKEN) Für die Militarisierung haben Sie immer Geld, an allem anderen soll gespart werden. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ein Unsinn! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Was reden Sie da eigentlich?) Auch sonst kann nicht im Geringsten davon die Rede sein, dass in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nichts passiert. Die EU hat ein umfangreiches Sanktionsregime entwickelt, das in der Elfenbeinküste, in Libyen, in Syrien die Eskalation zu Bürgerkriegen -begünstigt hat und in einen Krieg mit dem Iran zu münden droht. (Joachim Spatz [FDP]: So ein Quatsch! Wer hat denn dort das Problem gelöst? Dummes Geschwätz jedenfalls nicht!) – Das glauben auch nur Sie. Wovon träumen Sie eigentlich nachts? Sehen Sie sich die Elfenbeinküste an! – Die EU hat Berater und Grenzschützer nach Libyen entsandt und finanziert mit ihrer Sahel-Strategie die Militarisierung der Sahara. Sie bereitet gegenwärtig eine GSVP-Mission in Mauretanien, Niger und Mali vor, dort wo -gerade ein Aufstand und ein Putsch stattgefunden haben. All das geschieht ohne jede Kontrolle des Europäischen Parlaments oder der nationalen Parlamente. Auch zum Horn von Afrika hat die EU mittlerweile eine eigene Strategie entwickelt. Sie hat ein eigenes Operationszentrum errichtet und plant ihre mittlerweile dritte GSVP-Mission. Das erweiterte Mandat für die Operation Atalanta wurde mit der somalischen Übergangsregierung abgestimmt und vom Rat beschlossen, bevor es dem Bundestag auch nur ansatzweise vorlag. Und da sprechen Sie hier von parlamentarischen Rechten! Für die EU-Trainingsmission EUTM SOM für die Übergangsregierung wurde niemals ein Mandat des Bundestages eingeholt, und sie wurde über den Ablauf des EU-Mandates hinaus stillschweigend fortgesetzt. Unsere Kleine Anfrage zur geplanten Mission zur maritimen Aufrüstung der Verbündeten in der Region blieb faktisch unbeantwortet. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Da?delen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spatz? (Zuruf von der CDU/CSU: Längere Redezeit!) Das würde Ihnen die Redezeit tatsächlich verlängern. Sevim Da?delen (DIE LINKE): Ja, sehr gern. Joachim Spatz (FDP): Auch wenn man das billigend in Kauf nehmen muss, habe ich doch einmal eine Frage. Was hätten Sie denn gesagt, wenn hier im Deutschen Bundestag ein Mandat vorgelegt worden wäre, das mit der somalischen Regierung nicht abgestimmt gewesen wäre? Dann wäre genau das doch Ihr Vorwurf gewesen. Sie müssen sich schon einmal entscheiden, ob Sie -Ownership so hoch hängen, wie wir das tun, und erst die Betroffenen fragen oder ob Sie hier einfordern, dass das Mandat gewissermaßen im Verhandlungsstadium hätte vorliegen müssen. Sevim Da?delen (DIE LINKE): Herr Kollege Spatz, Sie sprechen gerade etwas an, worüber wir im Deutschen Bundestag überhaupt nicht haben beraten können. Das ist ja meine Kritik. (Joachim Spatz [FDP]: Das kommt ja noch!) – Sie sagen: „Das kommt ja noch.“ Die Mission EUTM SOM läuft schon seit Jahren. Wir haben hier im Deutschen Bundestag nicht ein Mal eine Diskussion oder eine Debatte über dieses Mandat gehabt. Es gibt einen Antrag der Linksfraktion, darüber hier zu debattieren. Wir fordern, dass der Parlamentsvorbehalt endlich einmal wahrgenommen und ernst genommen wird. (Beifall bei der LINKEN) Sie entparlamentarisieren das System und höhlen den Parlamentsvorbehalt aus, indem eben nur noch auf europäischer Ebene über die Mandatierungen gesprochen und abgestimmt wird und das Kabinett und nicht das Parlament entscheidet. Das kritisiert die Linke hier. Wir sind für echte parlamentarische Kontrollrechte. Das geht nur, wenn Sie uns die entsprechenden Vorlagen liefern, wir hier in den Ausschüssen und im Deutschen Bundestag darüber diskutieren und Sie nicht eine heimliche -Außenpolitik im Hinterzimmer betreiben. Herr Kollege Spatz, das müssen Sie auch einmal ernst nehmen. (Beifall bei der LINKEN – Joachim Spatz [FDP]: Nein, das darf man gar nicht ernst nehmen!) Deshalb fordert die Linke echte parlamentarische Mitbestimmung und Transparenz in der europäischen Außenpolitik, meine Damen und Herren. Dies kann mit einer interparlamentarischen Versammlung, wie wir sie in unserem Antrag fordern, erreicht werden, und zwar mit ständigen Strukturen und substanziellen Kontroll- und Vetorechten. Das wäre ein wirklicher Beitrag zum Frieden. Ich bitte Sie deshalb: Springen Sie einfach über Ihren Schatten und stärken Sie Ihre eigenen parlamentarischen Rechte! Entmachten Sie sich nicht weiterhin selbst -dadurch, dass Sie sich selbst Ihre parlamentarischen Rechte beschneiden. (Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Demokratie wagen! Auch im Parlament!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Cramon-Taubadel das Wort. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir sind natürlich für eine echte parlamentarische Kontrolle der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wenn wir aber hier über die WEU und die Selbstauflösung der WEU sowie über die Idee des Lissabon-Vertrags sprechen und wenn wir das alles zueinanderbringen, dann kommen wir auf jeden Fall nicht zu dem Ergebnis, das Sie uns in Ihrem Antrag präsentiert haben. Die Frage der Umsetzung, also die Frage, wie wir eine solche Versammlung gestalten, kann nicht darin münden, dass wir sagen, dass wir ein vollständiges -Sekretariat haben wollen, dass wir uns vier Mal im Jahr treffen wollen und dass wir große Delegationen brauchen. Wer Mitglied in einer parlamentarischen Versammlung ist – ich bin Mitglied in zwei parlamentarischen Versammlungen, und ich wiederhole das gerne noch einmal, wie ich es gestern im Ausschuss getan habe –, wird merken, dass wir im Deutschen Bundestag gar nicht die Abgeordneten finden, die diese parlamentarische Kon-trolle auch ausüben wollen. Wenn wir in unseren Frak-tionen geeignete und sehr motivierte Kolleginnen und Kollegen heuern, die sich dann die Mühe machen, dort auch mitzuarbeiten, ist das ganz bestimmt eine vernünftige Sache. Ich glaube aber nicht, dass wir angesichts -unserer Beteiligung in der WEU und angesichts dessen, was in der WEU besprochen wurde, in dieser Form darüber diskutieren müssen. (Joachim Spatz [FDP]: Das ist doch ein ganz neues Ding!) Daher sind wir für die parlamentarische Kontrolle. Wir sind außerdem sehr dafür, dass das Europäische Parlament in geeigneter Form eingebunden wird. Was die Frage der Umsetzung angeht, brauchen wir den Antrag der Linken nicht unbedingt ernst zu nehmen. Er ist unrealistisch. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sagt die Kriegspartei Grüne!) – Genau, sagt die Kriegspartei Grüne. Richtig. Das können wir hier festhalten. Es steht also nicht gut um das deutsche Engagement in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Der Motor stottert. Der Verteidigungsminister konzentriert sich im Augenblick noch auf die Bundeswehrreform. Fragen nach Einsparungen im EU-Rahmen spielen bislang keine Rolle. Der Verteidigungsminister sagt – ich zitiere –: Wir müssen mehr können und mehr gemeinsam können. Allein uns fehlt der Glaube; denn wenige Tage zuvor konnten wir ebenfalls von ihm lesen, und das klingt schon deutlich skeptischer – ich zitiere wiederum –: Die Wahrheit ist: Smart Defence spart kein Geld, sondern reduziert allenfalls künftige Aufwendungen. Das ist doch genau die Skepsis, die wir immer wieder auf der Seite der Bundesrepublik feststellen, wenn es um die Zusammenarbeit in der EU und in der NATO geht. Das ist auch die Linie des Verteidigungsministeriums. Das Projekt eines europäischen Hauptquartiers ist am Widerstand Großbritanniens gescheitert. Das haben Sie erwähnt. Das ist sicherlich richtig. Es ist sicher auch richtig, dass wir es nicht schaffen, gemeinsame Battle Groups aufzustellen. Das Pooling und das Sharing hat noch Herr Minister zu Guttenberg angestoßen. Das ist auch versandet. Es stockt also an allen Stellen. Von den Mitgliedern der Konferenz der europäischen Vertei-digungsagentur haben wir gehört, dass es keine neuen Initiativen gibt. Bei der Abstimmung über Ihren Antrag können wir uns aber nur der Stimme enthalten, weil wir nicht erkennen können, dass der zivile Bereich in Ihrem Antrag -berücksichtigt wurde. Aus unserer Sicht liegen genau hier die Dinge noch im Argen. Im Europäischen Auswärtigen Dienst fristen die für die zivilen Aspekte der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik -zuständigen Abteilungen ein Schattendasein. (Zuruf des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Wir sind der Meinung: Es muss endlich einen Pool für Expertinnen und Experten aus Polizei, Verwaltung und Justizwesen geben. Das gibt es im Moment nicht. Deutsche Justizbeamte und Polizisten, die sich bereit erklären, werden vielfach ausgebremst. Sie müssen Karrierepausen befürchten, anstatt befördert zu werden. Ein Belohnungssystem sähe anders aus. An Vereinbarkeit von Familie und Auslandstätigkeit ist nicht zu denken. Wir sehen im Moment noch keine Bereitschaft aufseiten der Koalition, da etwas zu ändern. Wir wünschen uns, dass vor allem – – Entschuldigung, ich glaube, ich bin gerade etwas neben der Spur; das tut mir leid. (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Das macht doch nichts!) Wir sehen, dass insbesondere Großbritannien darauf drängt, dass den Einsatzkräften die Zerstörung der Piraterielogistik ermöglicht wird. Das sind aus unserer Sicht unübersehbare Risiken. Diese führen dazu, dass der gesamte Erfolg der geplanten EU-Mission in Gefahr ist. – Ich werde jetzt meine Rede beenden; das tut mir leid. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Wolfgang Götzer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Bestehen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik tritt die Bundesregierung kontinuierlich für deren Weiterentwicklung im europäischen Rahmen ein. (Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]) Dabei kommt der GSVP als operativem Arm der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eine nicht zu unterschätzende, ja zunehmende Bedeutung auch für das europäische Einigungswerk und die Wahrnehmung der EU als internationalem Akteur auf der Weltbühne zu. Mit nunmehr über 20 zivilen Missionen und militärischen Operationen tritt die EU in Krisengebieten weltweit als Krisenmanager in Erscheinung. So zeigt die EU seit Jahren Präsenz in Afghanistan, wo sie erfolgreich -afghanische Polizisten und Sicherheitskräfte ausbildet, vor der Küste Somalias, wo sie Piraterie bekämpft und Schiffen des Welternährungsprogramms sicheres Geleit bietet, oder in Georgien, wo sie seit Oktober 2008 durch eine Beobachtermission zur Stabilisierung der Lage -beiträgt. Erst letzte Woche haben die Außenminister der EU bei ihrem Treffen grünes Licht für einen weiteren Ausbau der GSVP-Einsätze, insbesondere in Afrika, gegeben. Von Stillstand oder fehlender „gestalterischer Kraft“ in der GSVP, wie es im SPD-Antrag heißt, kann also keine Rede sein. Um diesen stetig wachsenden Herausforderungen und Aufgaben gerecht werden zu können, braucht die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Struktur, und zwar sowohl zivile als auch militärische Fähigkeiten. Gerade in deren Vernetzung liegt eine große Stärke der Krisenmanagementfähigkeiten der EU. Da die GSVP nach wie vor Defizite im Bereich der militärischen Fähigkeiten hat, gilt es, diese zu stärken. Eine Entmilitarisierung, wie im Antrag der Fraktion der Linken gefordert, wäre genau der falsche Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Wenn Sie keinen Frieden wollen, dann ist das so!) Der Ausbau der militärischen Fähigkeiten geht Hand in Hand mit dem Ausbau der parlamentarischen Kon-trolle der GSVP. Auch hier sind sehr wohl in der jüngsten Zeit wichtige Schritte hin zu einer stärkeren Einbindung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments unternommen worden. Richtungweisend war vor allem der auf Antrag der Koalitionsfraktionen – der Kollege Spatz hat das schon erwähnt – gefasste Beschluss zur Einrichtung einer interparlamentarischen Konferenz aus Vertretern der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments zur GASP und zur GSVP. Die -Einrichtung eines Konvents oder anderer Gremien zur Kontrolle der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist somit nicht erforderlich. Um noch einmal auf den Antrag der SPD-Fraktion zurückzukommen: Selbstverständlich hat es in den letzten Jahren Initiativen der Bundesregierung gegeben, (Joachim Spatz [FDP]: Natürlich!) auch die Strukturen und Fähigkeiten der GSVP, gerade in Zeiten der Finanzkrise, weiterzuentwickeln. Man denke bloß an die GSVP-Initiative des Weimarer Dreiecks. In dieser schlugen Polen, Frankreich und Deutschland Ende 2010 vor, die Battle Groups zu reformieren, ein EU-Headquarter aufzubauen, die EU-NATO-Beziehungen auszubauen und gemeinsam auf EU-Ebene militärische Fähigkeiten zu entwickeln, oder an die ebenfalls von Deutschland mit initiierte Gent-Initiative, die zum Ziel hat, gemeinsame Spar- und Kooperationspotenziale durch Pooling and Sharing militärischer Fähigkeiten zu optimieren. Wenn nun die SPD-Fraktion in ihrem Antrag fordert, diesen Ansatz des Pooling and Sharing noch stärker zu nutzen, so ist dazu zu sagen: Dies geschieht bereits. Erst am 23. März dieses Jahres haben die Verteidigungsminister der EU die bedeutenden Fortschritte, die die EU auf diesem Gebiet in jüngster Zeit erzielt hat, lobend hervorgehoben. Darunter sind vor allen Dingen die mithilfe der Europäischen Verteidigungsagentur, EDA, zustande gekommenen Initiativen zur Luftbetankung, zur medizinischen Unterstützung und zur maritimen Überwachung. Trotz dieser Fortschritte ist es uns wichtig, dass Pooling and Sharing nicht nur als Möglichkeit, in Zeiten der Finanzkrise Kosten einzusparen, genutzt werden sollte, sondern auch als ein Instrument zum Ausbau weiterer militärischer Fähigkeiten. (Sevim Da?delen [DIE LINKE]: Sieh mal! Das wollen Sie also!) Wenn wir jetzt aus der Not eine Tugend machen und vor dem Hintergrund schrumpfender Verteidigungs-budgets den Schritt hin zu mehr europäischer Integration im Verteidigungsbereich gehen, setzen wir damit auch ein eindeutiges Signal für die Zukunft Europas. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8507, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7360 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirksam kontrollieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8807, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5387 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 a und b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (PrStG) – Drucksache 17/3355 – – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tabea Rößner, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht – Drucksache 17/3989 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/9199 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Ingo Egloff Burkhard Lischka Christian Ahrendt Halina Wawzyniak Jerzy Montag b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit – Drucksache 17/9144 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wenn die entsprechende Ruhe und Aufmerksamkeit hier im Saale hergestellt ist, kann ich die die Aussprache eröffnen. Ich bitte sowohl die Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionsreihen als auch diejenigen auf der Regierungsbank, die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen. – Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, -Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine freie Presse ist für das Funktionieren des demokratischen Gemeinwesens unverzichtbar. (Beifall bei der FDP) Unsere Verfassung schützt die Pressefreiheit ausdrücklich. Das gehört zu den konstitutiven Grundlagen unserer Verfassung. Die Gefahren, die der Pressefreiheit drohen, gibt es seit der Erfindung des Buchdrucks. Sie setzen sich im 21. Jahrhundert angesichts digitaler Kommunikation und rasend schneller Verbreitung von Texten, von Arbeiten von Journalisten fort. Zuletzt hat das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutlich gemacht, dass auch in Deutschland nach wie vor Gefährdungen bestehen. (Mechthild Dyckmans [FDP]: Sehr richtig!) Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll nun ein Einfallstor geschlossen werden, durch das die Arbeit der freien Presse unmittelbar gefährdet wird. Wenn Journalisten ihnen zugespieltes Geheimmaterial verwendet haben, wird ihnen nach bisher geltendem Recht „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ vorgeworfen. Das ist dann ein Anlass zu strafrechtlichen Ermittlungen, die natürlich gerade auch mit dem Ziel geführt werden, die eigentlichen Quellen, also gerade auch undichte Stellen in verschiedenen Behörden oder öffentlichen Institutionen, aufzudecken. In vielen Fällen ist es in der Vergangenheit zu umfangreichen Ermittlungen gekommen. Dazu gehören Durchsuchungen von Redaktionsräumen und die Beschlagnahme von Computern, Festplatten und wichtigem Recherchematerial bzw. von Notebooks mit Hinweisen auf Informanten. All das sind erhebliche Beeinträchtigungen unabhängiger journalistischer Tätigkeit. Verurteilungen wegen Beihilfe zum Geheimnis--verrat hat es nicht gegeben. Für Medienangehörige, die sich auf das Entgegennehmen und Verwenden eines Geheimnisses beschränken, soll deshalb nach dem Gesetzentwurf der Bundesre--gierung künftig die Strafbarkeit der Beihilfe gestrichen werden. (Beifall bei der FDP) Wir wollen, dass dieser Vorwurf gegenüber Journalisten nicht mehr benutzt wird, um Ermittlungen in andere Richtungen zu tätigen. Damit unterbinden wir in unserem Strafgesetzbuch an der entscheidenden Stelle die Möglichkeit, durch die es immer wieder – Sie kennen die Verfahren, die es dazu gibt – umfangreiche Strafverfolgungsmaßnahmen gegeben hat. Wir stärken damit den Quellen- und Informantenschutz. Das sichert zudem investigative Recherche und kritische Berichterstattung. Das alles ist uns allen nicht immer angenehm, aber es ist Bestandteil unseres demokratischen Rechtsstaats. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schafft damit Klarheit über strafrechtliche Grenzen, aber keine, wie teilweise angeklungen ist, unangemessene Privilegierung von Medienangehörigen. Vielmehr wägen wir sehr sorgfältig in dem Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Presseberichterstattung und der Arbeit von Journalisten auf der einen Seite und der Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden auf der anderen Seite, Delikte zu ahnden, ab, die natürlich ermöglicht werden muss. Wir wählen einen angemessenen und richtigen Weg. Es gibt Gesetzentwürfe und Änderungsvorschläge aus den Oppositionsfraktionen, von Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD. Ein Vorschlag ist, die Anstiftung zum Geheimnisverrat durch Medienvertreter auch straflos zu stellen. Wir konzentrieren unseren Gesetzentwurf auf Beihilfehandlungen. Denn wir sind der Auffassung, dass der Unrechtsgehalt einer Anstiftung anders zu bewerten ist, wenn zielgerichtet versucht wird, aus Behörden heraus mit verschiedensten Möglichkeiten Informationen zu bekommen, die der Geheimhaltung unterliegen, als wenn einem Material zugespielt wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb haben wir die Anstiftung nicht straffrei gestellt. Wir wenden uns weiterhin der Strafprozessordnung zu und wollen bei der Beschlagnahme von Material, das Journalisten von Informanten erhalten, die Hürden zugunsten der Pressefreiheit ein Stück höher legen. In Zukunft wird nicht mehr nur ein auf bestimmte Tatsachen gestützter einfacher Tatverdacht gegen einen Journalisten ausreichen, sondern es muss ein dringender Tatverdacht vorliegen. Das heißt, es sind natürlich Beschlagnahmemaßnahmen möglich, aber für diese sind höhere Hürden vorgesehen. Ich glaube, das zeigt, dass die Bundesregierung hier mit Augenmaß vorgegangen ist. Wir setzen an den Stellen an, bei denen wir der Auffassung sind, dass es richtig ist, die Pressefreiheit, die Recherchearbeit und das Vorgehen von Journalisten zu schützen und zu würdigen. Das tun wir nach Abwägung aller Kriterien. Die vorliegenden Gesetzentwürfe der Opposition wählen teilweise andere Ansätze oder gehen unserer Meinung nach deutlich über das, was wir erreichen wollen, hinaus. Deshalb werbe ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Ingo Egloff das Wort. (Beifall bei der SPD) Ingo Egloff (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe der Ministerin an der Stelle recht, wo sie die Bedeutung einer freien Presse und eines freien Rundfunks für das Funktionieren eines demokratischen Rechtsstaates hervorgehoben hat; ich glaube, hieran besteht in diesem Hause auch kein Zweifel. Das wird von allen Fraktionen so gesehen. Ich begrüße es auch ausdrücklich, dass hier alle Seiten Konsequenzen aus dem Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen haben, und die Entwürfe zur Regelung der Fragen der Beihilfe, Beschlagnahme und Durchsuchungen bei Medienangehörigen haben die richtige Stoßrichtung. Der Regierungsentwurf, Frau Ministerin, geht unseres Erachtens allerdings nicht weit genug. Das Bundesverfassungsgericht hat im Cicero-Urteil in dankenswerter Klarheit ausgeführt, dass das Risiko bestehen könnte, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe mit dem ausschließlichen oder überwiegenden Ziel einleitet, die Person des Informanten festzustellen. Dies aber – so das Bundesverfassungsgericht wörtlich – widerspräche dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Informantenschutz … Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet, dem Risiko entgegenzuwirken. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über Durchsuchung und Beschlagnahme -dahingehend ausgelegt werden, dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr spezifische … Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. So das Bundesverfassungsgericht zu Recht. Der Entwurf der Bundesregierung schlägt eine Änderung des Strafgesetzbuches vor, mit der sichergestellt werden soll, dass Journalisten ihnen vertraulich zugeleitetes Material veröffentlichen können, ohne sich strafbar zu machen; dazu dient ihr Vorschlag zu § 353 b StGB. Zudem wird das Beschlagnahmeverbot gegen Journalisten ausgeweitet, indem bei Verdacht der Verstrickung nicht mehr der einfache Verdacht, sondern ein dringender Verdacht der Verstrickung bestehen muss. Hier, meine Damen und Herren, setzt unsere Kritik an. Denn ein solcher dringender Verdacht besteht sonst ausschließlich beim Haftbefehl, und wir erachten ihn bei § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO als systemwidrig. (Beifall bei der SPD) Der Kollege Montag hat im Rechtsausschuss zu Recht von der Sortierung nach Berufsgruppen gesprochen. Das lehnen wir ab. Auch die Einfügung beim § 353 b StGB – die Grünen haben das genauso gemacht – halten wir für rechtsdogmatisch falsch. Hier wird bei der Strafrechtsnorm auf die Beihilfehandlung einer einzigen Berufsgruppe aus der Gruppe der Berufsgeheimnisträger abgestellt. Unseres Erachtens hätte das besser in der Strafprozessordnung angesiedelt werden sollen, so wie es in unserem Entwurf in Bezug auf die Änderung von § 160 a StPO vorgeschlagen wird. (Beifall bei der SPD) Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sind unterschiedliche Formen von Erhebungs- und Beweisverwertungsverboten geschaffen worden, welche je nach Berufsgruppe unterschiedlich gestaltet sind. Die Journalisten gehörten bisher zu der Berufsgruppe, die nicht in dem Maße geschützt war, wie dies bei Geistlichen, Verteidigern, Abgeordneten und seit 2011 auch bei Anwälten der Fall ist. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Ärzte und Psychotherapeuten. Deswegen sind wir der Auffassung, dass diese Berufsgruppen, die auch Berufsgeheimnisträger sind, in diesen Schutz des Beweiserhebungs- und -verwertungsverbotes einbezogen werden müssen, damit es nicht dazu kommen kann, dass das Zeugnisverweigerungsrecht, das vor Gericht besteht, im Ermittlungsverfahren leerläuft. Deshalb schlagen wir vor, dass das absolute Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsgebot auch bei Ermittlungsverfahren gegen Medienangehörige greift. (Beifall bei der SPD) Auch die Grünen haben die Änderung des § 353 b StGB vorgeschlagen und dies dann noch – darauf hat die Ministerin hingewiesen – um die Anstiftungshandlungen erweitert. Ich bin in der Kritik bei Ihnen, was diese Frage angeht: Auch wir Sozialdemokraten sehen es kritisch, eine Anstiftung in diesem Zusammenhang auf diese Art und Weise straffrei zu stellen. Das geht unseres Erachtens zu weit. Ich teile die Kritik der Ministerin: Es ist ein substanzieller Unterschied, ob ein Medienangehöriger einen Geheimnisträger dazu anstiftet, Geheimnisse zu offenbaren, oder ob dem Medienangehörigen solche Geheimnisse zugespielt werden. Deswegen sollte man an der Stelle vorsichtig sein, das Tor weiter zu öffnen. (Beifall bei der SPD) Wir wollen die Beschlagnahme grundsätzlich in allen diesen Fällen unter Richtervorbehalt stellen, um hier die Schwelle zu erhöhen und die Berufe in diesen sensiblen Bereichen zu schützen. Wir hätten uns gewünscht, dass wir das nach dem Vorlauf – das Ganze geht ja schon etliche Jahre – diese Woche nicht sozusagen im Schweinsgalopp durch den Ausschuss und hier durch das Plenum hätten bringen müssen, sondern die Zeit gehabt hätten, das noch einmal entsprechend zu diskutieren, zumal wir ja auch noch einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Diese Kritik haben wir bereits im Rechtsausschuss angebracht. Auch eine intensive Diskussion um die Frage, ob die rechtssystematische Einordnung der Änderung richtig ist, hätten wir uns gewünscht. Auch diese Diskussion hätten wir führen können. Aber das war wahrscheinlich aus koalitionsinternen Gründen nicht gewünscht, nachdem Sie im Koalitionsausschuss am 4. März 2012, anscheinend im Rahmen eines Tauschgeschäfts, sich darauf verständigt haben, den Gesetzentwurf der Bundesregierung ohne Änderung durchzudrücken. Gut finden wir das nicht, meine Damen und Herren. (Beifall der Abg. Sonja Steffen [SPD]) Der Deutsche Journalisten-Verband ist mit dem Gesetzentwurf der Regierung nicht einverstanden, weil, so der DJV, der Schutz der Informanten und der Recherche durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht verbessert wird. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, forderte die Abgeordneten dazu auf, sich intensiv mit den Gesetzentwürfen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu befassen, weil sie der Situation der Journalisten als Berufsgeheimnisträger besser gerecht werden. Nur wenn die Regelungen in den Gesetzentwürfen der Opposition berücksichtigt werden, so der DJV-Vorsitzende, ist in Deutschland ein Mehr an Pressefreiheit erreicht. Der Mann hat recht. (Beifall bei der SPD) Aber da die Koalition wild entschlossen ist, heute hier die Sache durchzuziehen, werden wir auf einen umfassenden Schutz, wie der Journalisten-Verband und auch wir ihn erwarten, noch ein bisschen warten müssen. Wir arbeiten daran. Wir werden nicht nachlassen. Wir sehen uns an dieser Stelle mit einem anderen Gesetzentwurf wieder. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: -Guter Mann!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Ansgar Heveling hat nun für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Müsste ich entscheiden, ob wir eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne Regierung haben sollten, ich würde nicht einen Augenblick zögern, Letzteres zu wählen. So pointiert hat bereits der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson, zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Bedeutung der Presse und der Pressefreiheit für den demokratischen Staat formuliert, zu einer Zeit im Übrigen, zu der in Kontinentaleuropa die Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit erst einmal noch eine ganz andere Wendung nehmen sollte. Bei uns musste diese Freiheit erst über einen langen Prozess mit vielen Rückschlägen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein erkämpft werden. Unter der Geltung des Grundgesetzes sind Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland allerdings – gottlob! – fest verankert und in Art. 5 des Grundgesetzes auch als Grundrecht ausformuliert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) So hat das Bundesverfassungsgericht bereits in einer frühen Entscheidung zur Meinungsfreiheit klargestellt, was ohne Weiteres auch auf die Pressefreiheit übertragen werden kann: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt … Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist … Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt … Aus dieser grundlegenden Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für den freiheitlich-demokratischen Staat ergibt sich, daß es vom Standpunkt dieses Verfassungssystems aus nicht folgerichtig wäre, die sachliche Reichweite gerade dieses Grundrechts jeder Relativierung durch einfaches Gesetz (und damit zwangsläufig durch die Rechtsprechung der die Gesetze auslegenden Gerichte) zu überlassen. So weit das Bundesverfassungsgericht. Das zeigt: Art. 5 des Grundgesetzes hat eine besondere Stellung in unserem Verfassungsgefüge. Er erfordert eine besondere Sensibilität von den staatlichen Gewalten. Dem müssen wir als Gesetzgeber auch in besonderem Maße gerecht werden. Es ist unsere Aufgabe, durch gesetzliche Regelungen sorgsam auszutarieren, wo die Relativierung durch einfaches Gesetz beginnt und wo es gerechtfertigt ist, der Pressefreiheit gesetzliche Grenzen zu setzen. Dazu ist zunächst einmal festzuhalten: Die Pressefreiheit in Deutschland ist stark. In der Bundesrepublik können Medien ihrer wichtigen Aufgabe ungehindert nachkommen. Die Presse ist frei. Jeder hat die Chance, die unterschiedlichste veröffentlichte Meinung in den verschiedensten Medien ohne jegliche Repression wahrzunehmen. Das ist nicht in jedem Land so, aber bei uns ist es so. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Allerdings ist auch klar, dass die Pressefreiheit in einem Spannungsverhältnis zu anderen Rechten steht, zum Beispiel zum Interesse des Staates an einer wirksamen Strafverfolgung. Hier gibt es keinen Automatismus, der Medienangehörige generell und grundsätzlich außerhalb des Geltungsbereichs strafrechtlicher und strafprozess-ualer Normen stellt. Zu Recht wird in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen – ich zitiere –: Dass das Strafverfolgungsinteresse grundsätzlich hinter das Rechercheinteresse der Medien zurückzutreten hat, lässt sich verfassungsrechtlich nicht begründen … Es ist zudem zu beachten, dass das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung durch verfahrensrechtliche Vorschriften, die die Ermittlung der Wahrheit beschränken, empfindlich berührt werden kann. Solche Beschränkungen können auch den im Rechtsstaatsprinzip begründeten Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Strafverfahren beeinträchtigen, weil Gegenstände, auf die sich Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote beziehen, grundsätzlich nicht nur der Anklage, sondern auch der Verteidigung entzogen sind. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen nun nicht nur Verfahrensrechte geregelt werden. Es soll auch vielmehr gesetzlich geregelt werden, dass Beihilfehandlungen zur Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht gemäß § 353 b Strafgesetzbuch zukünftig nicht einmal mehr rechtswidrig sein dürfen. Damit reagiert die Bundesregierung unmittelbar auf eine Entwicklung in jüngster Zeit, bei der Medienangehörige wiederholt Gegenstand der Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden gewesen sind. Die Bundesregierung hat deshalb die Notwendigkeit gesehen, das Verhältnis von Pressefreiheit und Strafrecht neu zu justieren. Ich will dabei keinen Hehl daraus machen, dass dies eine Abwägung ist und dass man bei jeder Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter durchaus auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann – insbesondere dann, wenn es sich im Wesentlichen um Einzelfälle handelt. Gleichwohl hat sich die Koalition entschieden, diese Fälle zum Anlass zu nehmen, das Verhältnis zwischen der Pressefreiheit und anderen Rechten gesetzlich neu auszubalancieren. Das ist maßvoll geschehen, indem nur Beihilfehandlungen aus dem Bereich der Rechtswidrigkeit herausgenommen wurden. Wir erteilen damit keinen Freibrief, andere etwa zum Geheimnisverrat anzustiften. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen lehnen wir auch die weitergehenden Vorschläge vonseiten der Opposition ab. Wenn das neue Gesetz also mehr Freiheit gewährt, dann verbindet sich damit aber auch eine klare Verpflichtung – eine klare Verpflichtung an den Freiheits-adressaten. Je weiter dessen Freiheitsraum ist, umso größer ist auch seine Verantwortung, mit der Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das hat der Gesetzgeber dann nämlich nicht mehr in der Hand. Dessen sollten und müssen wir uns alle bewusst sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir über drei Gesetzentwürfe zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht. Ausgangspunkt für diese Initiativen ist folgendes Problem: Häufig sind Medienschaffende von der Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden betroffen. Dies passiert immer dann, wenn jemand, der im Rahmen seiner Tätigkeit zur Geheimhaltung verpflichtet ist, trotzdem Dokumente oder Informationen an eine Journalistin oder einen Journalisten weitergibt und diese dann veröffentlicht werden. Die Rechtsprechung sagt gegenwärtig: Medienangehörige sind in einem solchen Fall Tatbeteiligte – das ist hier schon angesprochen worden –, und zwar durch die bloße Veröffentlichung der erhaltenen Informationen. Dabei wird der Begriff Medienangehörige weit gefasst. Es werden Personen subsumiert, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder berufsmäßig an der Unterrichtung oder der Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdienste mitwirken. Letztlich haben alle hier im Hohen Haus vertretenen Parteien erkannt, dass dies absurd ist und das hohe Gut der Pressefreiheit infrage stellt. Pressefreiheit ist nicht möglich, wenn Medienschaffende ihre Informantinnen oder Informanten preisgeben oder verraten müssen, aus welcher Quelle ihre Informationen stammen. Das sogenannte Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat diese Auffassung und damit Pressefreiheit und Informantenschutz bestärkt. Deshalb muss künftig für -Medienangehörige die Rechtswidrigkeit von sogenannten Beihilfehandlungen ausgeschlossen werden. Wer -Informationen und Dokumente, die der Geheimhaltung unterliegen, entgegennimmt, auswertet oder veröffentlicht, handelt nicht rechtswidrig. Für die Linke gilt: Recherche fällt ebenso unter Auswertung. Eine solche Klarstellung oder Ergänzung wäre besser gewesen als der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung. Das sehen auch die Grünen so; das finden wir gut, und das unterstützen wir auch. Ebenso finden wir – das ist schon erwähnt worden –, dass die Anstiftung zur Weitergabe von Dokumenten oder Informationen, die der Geheimhaltung unterliegen, straffrei sein soll; denn uns geht es nicht nur um den Schutz derjenigen, die veröffentlichen, uns geht es gleichermaßen um den Schutz von Informantinnen und Informanten. Darin sind wir uns mit den Grünen einig. Begrüßenswert ist auch, dass die Grünen in ihrem Gesetzentwurf den -Informantenschutz durch die Einschränkung von Ermittlungsmaßnahmen über das Beschlagnahmeverbot hinaus erweitern. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf -zustimmen. Die vorgeschlagenen Änderungen sind uns gleichwohl nicht weitgehend genug; denn alle vorliegenden Gesetzentwürfe erfassen einige Probleme nicht. Für uns stellt beispielsweise die Beschränkung auf Medienangehörige, also auf eine Berufsgruppe, ein Problem dar. Sie ist nicht mehr zeitgemäß, wenn man sich anschaut, wie heutzutage Informationen verbreitet werden und wer -alles im digitalen Zeitalter die Möglichkeit hat, Informationen zu veröffentlichen. Deshalb sollten alle, die sich dieser Möglichkeit bedienen, davon Gebrauch machen können, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen, egal ob es sich hierbei um Journalisten, Gelegenheitspublizisten, Bloggerinnen und Blogger, politische Aktivistinnen und Aktivisten handelt. Wir sagen: Wer etwas öffentlich macht, ist egal, wenn es sich dabei nicht um den Geheimnisträger oder die Geheimnisträgerin handelt. Auch die einmalige Verbreitung von Informationen mithilfe des Internets sollte von der Regelung erfasst werden. Der Sachverständige Fiedler hat in der Anhörung gefordert, dass Gelegenheitspublizisten einbezogen werden. Sicher kann man darüber streiten, ob Leak-Plattformen und Blogs Journalismus sind oder nicht. Aber dieser Streit geht an der eigentlich wichtigen Frage vorbei: Bewerten wir die Veröffentlichung von Informationen, die der Geheimhaltung unterliegen, aber nicht vom Geheimnisträger selbst verbreitet werden, als Straftat oder nicht? Darauf kann es nach Überzeugung der Linken nur eine Antwort geben: die zugunsten der Pressefreiheit. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Tabea Rößner das Wort. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Journalistin ruft einen Beamten an und bittet um Informationen. Der Beamte kommt ihrer Bitte nach, steckt ihr möglicherweise eine vertrauliche Information und begeht so einen Geheimnisverrat. Der Informantenschutz – das ist hier schon angesprochen worden – soll gewährleisten, dass die Journalistin kritisch berichten kann, ohne dass sie ihren Informanten preisgeben muss. Sie soll nicht zum Ziel von Ermittlungen werden. Ermittler dürfen nicht ihren Computer beschlagnahmen und ihre Arbeitsräume durchsuchen, um herauszufinden, von wem die Information stammt. Aber genau das ist dem Journalisten Bruno Schirra im sogenannten Cicero-Fall passiert. Um Informationslecks zu finden, werden wegen des Anfangsverdachts der Beihilfe oder der Anstiftung zum Geheimnisverrat immer wieder Arbeits- und Privaträume von Journalisten durchsucht und Beweisstücke beschlagnahmt. Das Zeugnisverweigerungsrecht wird so unterlaufen. Ein solcher Verdacht der Beteiligung an einer Straftat führt zu einer erheblichen Einschränkung der Pressefreiheit. Schirra konnte seiner Arbeit monatelang nicht nachgehen, weil sein Büro quasi lahmgelegt war. Es existierte nicht mehr. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht kritisiert. Man sollte glauben, dass uns die Pressefreiheit als Grundpfeiler unserer Demokratie viel wert ist. Dennoch befindet sich Deutschland laut Reporter ohne Grenzen nicht unter den ersten 15 Staaten, die die Pressefreiheit hochhalten. Das ist peinlich. Solange wir es aber zulassen, dass Journalisten Strafvorwürfen ausgesetzt sind, wenn sie investigativ recherchieren, wird sich daran auch nichts ändern. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir Grünen sichergehen, dass Journalisten so etwas nicht mehr passieren kann. Uns ist die Pressefreiheit wichtiger als Strafverfolgung um jeden Preis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alle Fraktionen halten die Pressefreiheit hoch; das haben wir heute gehört. Dennoch hat sich die Koalition anderthalb Jahre lang über den eigenen Vorschlag gestritten und am Ende alles beim Alten gelassen. Das geht uns Grünen nicht weit genug. Unser Gesetzentwurf ist konsequenter. Wir wollen Journalisten – zu ihnen zählen wir übrigens auch die Blogger – wirklich stärken. Wir wollen nicht, dass gegen sie irgendein Tatverdacht erhoben werden kann, weder eine Beihilfe noch eine Anstiftung. Wer den Geheimnisverräter sucht, darf das nicht auf dem Rücken von Medienangehörigen tun. Es ist doch fern jeder Realität, während der Ermittlungen zu beurteilen, ob ein Journalist möglicherweise den Wunsch, das Geheimnis zu verraten, erst hervorgerufen hat. Dann nämlich könnte ihm nach dem Willen der Bundesregierung weiterhin Anstiftung vorgeworfen werden. Er würde dann einer Straftat verdächtigt, obwohl er einfach nur recherchiert hat. Wir alle wissen: In Ermittlungsverfahren muss es sehr schnell gehen, und was sich genau abgespielt hat, wird oft erst am Ende der Ermittlungen klar. Dann ist die Pressefreiheit aber schon beschädigt. Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist die Pressefreiheit nicht schützenswert genug. Sie wollen ja nicht die Strafbarkeit als solche angehen, sondern nur die Beschlagnahmemöglichkeiten. Mit -Ihren Änderungen im Strafprozessrecht schützen Sie die Journalisten eben nicht vor Ermittlungen. Sie lassen Einschränkungen der Pressefreiheit somit weiter zu. Wir wollen außerdem, dass Beschlagnahmen und Durchsuchungen bei Medienangehörigen nur dann möglich sind, wenn der Richter dies anordnet, ausführlich begründet und die Verhältnismäßigkeit prüft, auch in Eilfällen. Dies darf nicht nur für Redaktionsräume gelten. Es ist inzwischen üblich, frei und mobil zu arbeiten. Der Laptop darf also auch nicht im Café oder aus dem Auto beschlagnahmt werden, ohne dass der Richter umfassend prüft. Pressefreiheit heißt für uns aber noch mehr: Wir wollen Zufallsfunde bei Beschlagnahmen ausschließen, die Berichterstattung bei laufenden Strafverfahren lockern und Medienangehörige bei strafprozessualen Maßnahmen anderen Berufsgeheimnisträgern gleichstellen. Das fehlt im Regierungsentwurf leider völlig. Sie tun nichts für den Schutz von Medienangehörigen im präventiv-polizeilichen Bereich, etwa im BKA--Gesetz. Die SPD greift beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern einzelne Berufsgruppen heraus; das ist nicht konsequent. Wir haben hier den weitestgehenden Gesetzentwurf vorgelegt. Wir drehen nicht nur an einem Schräubchen, sondern meinen es ernst, damit Deutschland bald wieder zu den Top Ten in Sachen Pressefreiheit gehört. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Silberhorn für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Freiheit der Medien ist ein hohes Gut, ein so hohes Gut sogar, dass man etwas überhöhend von den Medien in Deutschland als der vierten Gewalt spricht. Es ist die originäre Aufgabe von Presse und Rundfunk, Geschehnisse in Politik und Gesellschaft kritisch zu hinterfragen sowie offene Diskussionen und öffentliche Debatten zu ermöglichen. Schrankenlos ist die Freiheit der Medien aber nicht. Die Vertreter von Presse und Rundfunk müssen die allgemeinen Gesetze achten. Es ist die Aufgabe sowohl des Gesetzgebers als auch der Rechtspflege, diese grundgesetzlich verankerte Freiheit der Presse in einen angemessenen Ausgleich zu anderen Rechtspositionen zu bringen und sie zu gewährleisten. Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es um eine Abwägung zwischen dem Grundrecht der Pressefreiheit einerseits und dem Interesse an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und einer effektiven Strafverfolgung andererseits. Fest steht, dass Ermittlungsmaßnahmen gegen Presseangehörige nicht missbraucht werden dürfen, um die Identität von Informanten offenzulegen. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Cicero-Entscheidung aus dem Jahr 2007 unmissverständlich bekräftigt. Zu demselben Zweck befreien wir nun einen Teilbereich der Medientätigkeit von der Strafandrohung. Indem wir die Rechtswidrigkeit von Beihilfehandlungen ausschließen, die Medienangehörige bei der Entgegennahme, der Auswertung oder der Veröffentlichung von Geheimnissen begehen, machen wir deutlich: Diese Beihilfehandlungen unterliegen von vornherein keinem strafrechtlichen Unwerturteil mehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dadurch, dass künftig Beschlagnahmen nur noch statthaft sind, wenn die Schwelle des dringenden Verdachts einer Tatbeteiligung überschritten wird, sollen Einschüchterungen durch Beschlagnahmen im Presse--bereich vermieden werden und soll dafür gesorgt werden, dass der beabsichtigte Schutz der Presse nicht ins Leere läuft. Das ist die Zielsetzung unseres Gesetzes. (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) Ich will nicht ganz verhehlen, dass wir uns in der Union die selbstkritische Frage gestellt haben, inwieweit gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Hier ist zunächst festzuhalten, dass der Geheimnisschutz nach § 353 b StGB schon in seiner geltenden Fassung in der Rechtspraxis sehr restriktiv angewandt wird. Wir sollten auch die Kontrollmechanismen unserer Rechtsprechung nicht unterschätzen. Das hat etwa das Gros der Sachverständigen im Rahmen der öffentlichen Anhörung Anfang vergangenen Jahres unterstrichen. In den fraglichen Fallkonstellationen werden Versäumnisse und Fehler der Eingangsinstanzen spätestens in der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz repariert. Hinzuweisen ist auch darauf, dass die bloße Entgegennahme oder Auswertung eines Geheimnisses nach der Praxis der deutschen Staatsanwaltschaften nicht strafbar ist. Mit der Cicero-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Seit dieser Entscheidung sind mir -jedenfalls keine weiteren Eingriffsmaßnahmen wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat bekannt geworden. Dennoch: Durch die ausdrückliche Normierung in Straf--gesetzbuch und Strafprozessordnung bringen wir als Gesetzgeber noch einmal zum Ausdruck, dass wir eine unberechtigte Beschränkung der Pressefreiheit nicht -tolerieren. Wir schließen damit Fehlinterpretationen von vornherein aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten uns allerdings davor hüten, über das Ziel hinauszuschießen, wie es der Gesetzentwurf der Grünen tut. Der Vorschlag nämlich, nicht nur die Beihilfe, sondern auch die Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353 b Strafgesetzbuch für Medienvertreter straflos zu stellen, würde die Balance der in Rede stehenden Rechtsgüter, die ich vorhin angesprochen habe, zerstören. Denn die Anstiftung besitzt in der Regel einen höheren Unwertgehalt als die Beihilfe. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie denn das unterscheiden?) Durch die Anstiftung wird beim Täter der Tatentschluss erst hervorgerufen. Deshalb wird nicht ohne Grund der Anstifter grundsätzlich wie ein Täter bestraft, während für den Gehilfen die Möglichkeit der Strafmilderung vorgesehen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine Straflosigkeit in den Fällen, in denen der Medienangehörige letztlich den Amtsträger erst zu seinem strafbaren Handeln anstiftet, zum Zwecke der Gewährleistung der Presse- und Rundfunkfreiheit ist weder geboten noch überhaupt plausibel begründbar. Deswegen lehnen wir diesen Vorschlag ab. Inwieweit in der Abwägung zwischen Pressefreiheit und Geheimschutz eine Straffreistellung für Beihilfehandlungen angezeigt ist, konnte bislang im Einzelfall entschieden werden, im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens oder eines gericht--lichen Strafverfahrens. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Silberhorn, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Rößner? Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Ich habe noch zwei Sätze. Dann nehme ich gerne eine Frage entgegen. Vizepräsidentin Petra Pau: Dann sind die 15 Sekunden um. Sie müssen jetzt eine Abwägung treffen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Dann würde ich gerne im Zusammenhang fortfahren. Wenn wir jetzt eine pauschale Straffreistellung gesetzlich festlegen, dann sollten wir nicht ganz vernachlässigen, dass ein Mehr an Presse- und Rundfunkfreiheit notwendigerweise ein Weniger an Geheimschutz bedeutet. Nun kann man sagen, dass staatliche Stellen das bis zu einem gewissen Grade hinnehmen müssen. Zu beachten bleibt aber auch dann, dass hinter den durch einen Amtsträger zu wahrenden Geheimnissen auch Geheimschutzinteressen Privater stehen können, etwa Persönlichkeitsrechte oder Betriebsgeheimnisse, die weiterhin des Schutzes bedürfen. Sie sehen, wir führen einen offenen Diskurs, so wie wir auch die Medienfreiheit in aller Offenheit brauchen. Dazu soll unser Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht einen Beitrag leisten. Deswegen bitte ich um Zustimmung für diesen Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Rößner das Wort. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte nur kurz feststellen, dass der Unterschied zwischen der normalen Recherche eines Journalisten, wenn er einen Beamten nach Informationen fragt, und der Anstiftung zum Geheimnisverrat nicht klar ist. Ich würde mir hier vonseiten der Bundesregierung eine Klarstellung wünschen. Danke. Vizepräsidentin Petra Pau: Möchten Sie erwidern, Herr Silberhorn? – Das sieht nicht so aus. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9199, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/3355 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 11 a. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9199, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3989 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/9144 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen Hochschulpakt Plus – Zusätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen – Hochschulen sozial öffnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen – Drucksachen 17/7340, 17/7341, 17/6918, 17/9141 – Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Swen Schulz (Spandau) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Nicole Gohlke Kai Gehring b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Lehre an allen Hochschulen garantieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern – Drucksachen 17/4588, 17/1737, 17/9142 – Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Swen Schulz (Spandau) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Nicole Gohlke Kai Gehring Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Monika Grütters, Florian Hahn, Swen Schulz, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Peter Röhlinger, Nicole Gohlke und Kai Gehring.6 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/9141. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7340 mit dem Titel „Für einen Hochschulpakt Plus – Zusätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7341 mit dem Titel „Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen – Hochschulen sozial öffnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6918 mit dem Titel „Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 12 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/9142. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4588 mit dem Titel „Gute Lehre an allen Hochschulen garantieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1737 mit dem Titel „Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. (Abg. Iris Gleicke [SPD] begibt sich zum -Präsidium) Zur Erklärung für diejenigen, die uns hier zuschauen und sich wahrscheinlich fragen: Was tun die Parlamentarierinnen und Parlamentarier dort unten? (Manfred Grund [CDU/CSU]: Natürlich die Gesetze machen!) Wir sind jetzt in einem Marathon von Abstimmungen über Beschlussempfehlungen und Überweisungen, damit wir ab morgen in den Ausschüssen weiterarbeiten können. Da sich das Ganze noch ein Weilchen hinziehen wird, haben wir gerade die Verabredung getroffen, dass wir bei den Punkten, bei denen wir die Reden zu Protokoll nehmen, darauf verzichten, die Namen der Kolleginnen und Kollegen zu verlesen. Das ist aber dann im Protokoll nachlesbar. – Das akzeptieren Sie offensichtlich, meine Damen und Herren Abgeordneten. Ähnliches gilt bei der Feststellung der Abstimmungsergebnisse. Ich stelle nur fest, welche Beschlüsse angenommen wurden und welche nicht. Alles andere, denke ich, lässt sich dem Kontext entnehmen. Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Siebten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) – Drucksache 17/8839 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/9083 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Manfred Zöllmer Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.7 Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9083 den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8839 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist bei einer Enthaltung einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln – Drucksache 17/6128 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrens-akten des Bundesverfassungsgerichtes stärken – Drucksache 17/4037 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Wir haben interfraktionell vereinbart, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.8 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/6128 und 17/4037 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 30. September 2011 des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung – Drucksache 17/8840 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/9176 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Dr. Gerhard Schick Es ist vereinbart, die Reden zu Protokoll zu geben.9 Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9176, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8840 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsgerecht erbringen – Drucksachen 17/8149, 17/8831 – Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Zimmermann Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll.10 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8831, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8149 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Vertrages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geändert durch den Vertrag vom 3. März 2008 – Drucksache 17/8842 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/9081 – Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Gabriele Fograscher Dr. Stefan Ruppert Petra Pau Wolfgang Wieland Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/9082 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Herrmann Petra Merkel (Berlin) Florian Toncar Roland Claus Katja Dörner Wir nehmen die Reden zu Protokoll11 und kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9081, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8842 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) – Auch ich finde, Kollege Grund, wir haben Grund, uns darüber zu freuen, dass wir diesen Gesetzentwurf einstimmig angenommen haben. Außerdem hatte ich so Gelegenheit, einmal Luft zu holen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wasser und Ernährung sichern – Drucksache 17/9153 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Wir nehmen die Reden zu Protokoll. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Wasser ist Leben. Der menschliche Körper besteht zu über 70 Prozent aus Wasser. Damit ist der Mensch ohne Wasser nicht lebensfähig. Ein Mangel an Wasser führt schnell dazu, dass die Funktionen des Körpers, die auf Wasser angewiesen sind, eingeschränkt werden. Ein direkter und problemloser Zugang zu Wasser ist für jeden Menschen auf der Welt mehr als notwendig. Während hierzulande eine problemloser Zugang zu sauberem Wasser gewährleistet ist, leiden insbesondere Menschen in ärmeren Gebieten der Erde unter einem unzureichenden Zugang zu Wasser. Das Umweltinstitut WWF hat -darauf aufmerksam gemacht, dass weltweit rund 50 bewaffnete Konflikte existieren, bei denen der Wassermangel eine Rolle spielt oder gespielt hat. Selbst wenn der Zugang gesichert ist, heißt das nicht, dass das Wasser auch für den Menschen und seinen täglichen Bedarf brauchbar ist. In einigen Ländern erkranken die Menschen, weil Trinkwasser verseucht ist. Weltweit muss laut Angaben von WHO und UNIFEC knapp 1 Milliarde Menschen verunreinigtes Wasser trinken. -Aufgrund dieser Erkenntnis haben sich die Entwicklungsländer und die Regierungen der Geberländer im Rahmen der im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniumsentwicklungsziele unter anderem dazu verpflichtet, den Anteil der Menschen ohne nachhaltigen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Versorgung bis 2015 auf die Hälfte zu reduzieren. Unlängst wurde festgestellt, dass dieses Entwicklungsziel, den Anteil der Menschen ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser von 65 Prozent auf 32 Prozent zu reduzieren, inzwischen erreicht wurde. Einen wichtigen Anteil an diesem Ergebnis hat die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, für die der Wassersektor ein traditioneller Schwerpunkt ist. Das bisher Erreichte ist zwar überaus erfreulich, reicht jedoch nicht aus, um zukünftigen Pro-blemfeldern zu begegnen. Neben dem Trinkwasser müssen wir berücksichtigen, dass global gesehen 70 Prozent des Wassers für die Erzeugung von Nahrungsmitteln eingesetzt wird. Damit wird deutlich, dass die zunehmende Verknappung von Wasser ein zentrales Thema für die Welternährung ist. Der sichere Zugang zu Wasser wird zu einer Schlüsselfrage der Welternährung, betonte gerade auch der Deutsche Bauernverband zum Weltwassertag. Nahrung kann ohne Wasser nicht erzeugt werden. Mit steigender Bevölkerungszahl steigt auch die Nachfrage nach Wasser und Nahrungsmitteln. Setzt sich der Nachfrageanstieg unverändert fort, wird der weltweite Wasserbedarf im Jahr 2030 das Angebot um rund 40 Prozent übersteigen. Somit ist es mehr als geboten, dass Thema Wasser und Nahrungssicherheit verstärkt in den internationalen Fokus zu nehmen. In diesem Jahr hat folgerichtig die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen den Weltwassertag unter dem Motto „Wasser und Nahrungssicherheit“ durchgeführt. Unter diesem Motto wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die internationale Gemeinschaft eine nachhaltige Wassernutzung gewährleisten muss, um genug Nahrung für die rasch zunehmende Weltbevölkerung zu erwirtschaften. „Jeder von uns trinkt zwei bis vier Liter Wasser täglich“, schreibt die Welternährungsorganisation FAO. „Aber es sind 2000 bis 5000 Liter Wasser nötig, um die tägliche Nahrung für einen Menschen zu produzieren.“ Derzeit leben etwa 7 Milliarden Menschen auf der Erde; bis 2050 könnten es nach FAO-Angaben 9 Milliarden sein. Um diese satt zu bekommen, müsse die Menschheit lernen, besser mit dem Wasser umzugehen. Dazu zähle, mehr Nahrung mit weniger Wasser zu produzieren und weniger Lebensmittel wegzuwerfen. „30 Prozent der weltweit produzierten Lebensmittel werden nie gegessen, und das dafür benötigte Wasser ist definitiv verloren“, schreibt dazu die Organisation UN-Water. Die Kommission der Europäischen Union hat die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit der zunehmenden Nachfrage nach Wasser und einer ressourcenschonenden Nutzung auf die Agenda der in diesem Jahr stattfindenden UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro – kurz Rio plus 20 – eingebracht. Mit unserem jetzt vorgelegten Antrag wollen wir diese Initiative unterstützen, damit sich die internationale Gemeinschaft im Rahmen des Klimawandels noch stärker für einen besseren und nachhaltigeren Umgang mit der Ressource Wasser einsetzt. Die internationale Klimapolitik hat sich bereits zur Begrenzung der globalen Erderwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung verständigt; denn es ist klar, dass durch die Erderwärmung Wasser in vielen Gegenden knapper wird. Deshalb muss ein entsprechendes Bewusstsein für den sorgsamen Umgang mit Wasser geschaffen werden. Klimapolitische Entscheidungen müssen auch im Hinblick auf die globalen Wasservorkommen getroffen werden. Es muss allgemein bewusst sein, dass Entscheidungen auf dem einen Gebiet auch auf andere Bereiche Auswirkungen haben. Die Förderung der Ernährungssicherheit bedarf einer verbesserten, effizienteren Wassernutzung. Ein Drittel der Erdbevölkerung lebt bereits jetzt in Wassermangelgebieten. Die Probleme des Bevölkerungswachstums können mithilfe einer verbesserten Agrartechnik und einer sinnvolleren Nutzung des Ökosystems abgefedert werden. In vielen Teilen der Welt geht Wasser auf dem Weg zum Feld in maroden Kanälen verloren – um nur ein Beispiel zu nennen. Weiterhin versickert oder verdunstet oft bis zu dreiVierteln des Wassers aufgrund falscher Bewässerung. Jedoch gibt es Bewässerungssysteme, die dies verhindern können. Wir müssen gemeinsam projektieren und investieren, damit entsprechend angepasste Bewässerungssysteme auch in Entwicklungsländern genutzt werden. Zudem vergrößern sich die Gebiete, in denen mehr Wasser entnommen wird, als durch Zufluss wieder angefüllt wird. Der Aral-See in Zentralasien ist zum Beispiel in den vergangenen Jahren so stark geschrumpft, dass heute die früheren Häfen 100 Kilometer vom Ufer entfernt liegen. Eine wichtige Quelle für die Bewässerung ist auch das vorhandene Abwasser. Für etwa 10 Prozent der bewässerten Gesamtfläche in Entwicklungsländern wird diese Ressource genutzt. Zwar bietet dies von Wassermangel betroffenen Bauern unmittelbare Vorteile. Dennoch muss der Umgang mit Abwasser mit Bedacht erfolgen. Das verwendete Abwasser darf nicht unbehandelt auf die Felder gegossen werden, sondern muss entsprechend technisch aufbereitet werden, damit es nicht zu einer Belastung der Böden kommt. In einigen Regionen mit intensiv betriebener Landwirtschaft seien die Grenzen der Wasserversorgung bereits erreicht oder überschritten, heißt es in einem -Bericht des UN-Umweltprogramms und des Internationalen Instituts für Wassermanagement. Deshalb müssen Möglichkeiten zum schonenden Umgang mit Wasser entwickelt und vor Ort umgesetzt werden. Richtige Anreize können dazu beitragen, umweltschonender zu wirtschaften. Nur mit internationalem Handeln kann dafür ein Bewusstsein geschaffen werden. Die jährlich stattfindende World Water Week in Stockholm widmet sich in diesem Jahr im August ebenfalls dem Thema Wasser und Ernährungssicherheit. Es ist also erkennbar, dass dieses Thema verstärkt in einem internationalen Kontext diskutiert wird. In diesem Umfeld ist es richtig und wichtig, dass der Bundestag selbst aktiv wird und die Neuausrichtung der internationalen Politik durch eigene Aktivitäten unterstützt. Mit unserem Antrag wollen wir dazu beitragen, dass sich die Bundesregierung noch stärker mit weiteren Schritten für die Wasser- und Ernährungssicherheit -einsetzt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche -Zusammenarbeit und Entwicklung engagiert sich seit Jahren traditionell stark für eine Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor. Wasserbezogene Entwicklungsvorhaben waren in den vergangenen Jahren der zweitgrößte Investitionsbereich der gesamten deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Deutsches Know-how und deutsche Expertise im Wassersektor sind weltweit führend. So hat beispielsweise die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zwischen Jordanien und Deutschland vor allem im Wassersektor den Schwerpunkt. Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft können daher die Entwicklung eines effizienten Wassermanagements in Jordanien entscheidend voranbringen. Wir begrüßen dieses Engagement des BMZ und fordern, solche Projekte weiter auszudehnen. Dabei sind auch alle Kooperationen hilfreich, bei denen die Verbindung zwischen modernen Technologien mit der Privatwirtschaft und entwicklungspolitischer Arbeit synergetische Fortschritte bringen. Die Deutsche Klimatechnologieinitiative – um ein Beispiel herauszugreifen – arbeitet mit dem Ziel, Rahmenbedingungen für den Einsatz von Technologien für den Klimaschutz zu schaffen. Es werden innovative Technologien deutscher Unternehmen mittels bilateraler Technologiepartnerschaften in Länder vermittelt, die diese benötigen. Dies zeigt gelungene Beispiele, die auch auf dem Sektor der Bewässerungssysteme in Zukunft verstärkt genutzt werden sollen. Die Deutsche Klimatechnologieinitiative ist dabei eine enge Kooperation von BMU und BMZ. Insoweit wird deutlich, dass eine gute Kooperation mehrerer Ministerien erfolgreich in der Lage ist, Technologien für Entwicklungsländer nutzbar zu machen. Für die zukünftige Ernährungssicherung durch besseres Wassermanagement könnte deshalb eine weitergehende Kooperation der projektaktiven Ministerien wie BMU, BMZ und BMELV noch größere Erfolge erzielen. Ministerien und Behörden sollten den engen Zusammenhang von Klima, Energie, Wasser und Nahrung stärker in den Blick nehmen und nicht mehr nur als Einzelelemente betrachten. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Nexus-Konferenz, die unter Federführung der Bundesregierung vergangenen November in Bonn stattfand. Deutschland ist zwar von einer Verknappung der Wasservorräte nicht direkt betroffen. Dennoch wird jedoch häufig übersehen, dass viele Industriestaaten ihren steigenden Bedarf mit Wasser aus ärmeren Ländern decken. Dies wird besonders deutlich bei der Berechnung des Wasserfußabdrucks eines jeden Landes. Mit dem Import von Lebensmitteln aus anderen Ländern wird zwangsläufig auch das für die Produktion genutzte Wasser importiert. Zum Beispiel werden in Südspanien in großem Umfang Erdbeeren für den Markt in Deutschland produziert, obwohl Südspanien schon lange unter Wassermangel leidet. Seit Jahren sinkt der Grundwasserspiegel, und immer öfter trocknen die Zuflüsse aus. Für diese Situation sind wir durch unser Konsumverhalten mitverantwortlich. Industriestaaten und damit Deutschland sind deshalb auch indirekt zum Handeln verpflichtet, um Wasserknappheit in anderen Regionen der Welt zu bekämpfen. Dr. Sascha Raabe (SPD): Die ständige Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser ist für uns in Deutschland eine absolute Selbstverständlichkeit. Jeder von uns verbraucht im Durchschnitt 127 Liter pro Tag. Davon nutzen wir nur den kleinsten Teil, nämlich etwa 5 Liter, zum Trinken und Kochen – also als Lebensmittel. Der weitaus größte Teil wird zum Duschen, Wäschewaschen, für die Toilettenspülung oder auch zum Blumengießen im Garten verwendet. Es ist so einfach: Wir drehen den Wasserhahn auf, und das Wasser ist da. Für rund 900 Millionen Menschen auf der Welt aber ist sauberes Wasser alles andere als Normalität. Für sie ist der tägliche Kampf ums Überleben auch ein täglicher Kampf um Trinkwasser. Noch weit größer ist die Zahl derer, die keinen Zugang zu sanitärer Grundversorgung haben. Die Folgen sind dramatisch: dreckiges Trinkwasser und mangelnde sanitäre Ver- und Entsorgung verursachen Krankheiten bis hin zu Seuchen. Und es ist wie so oft: Es sind die Ärmsten der Armen, die unter der ungerechten Verteilung der wertvollen Ressource Wasser leiden. Während sich der weltweite Zugang zu sauberem Wasser grundsätzlich in den letzten Jahren stark verbessert hat, liegt die Versorgung in vielen Ländern Afrikas, insbesondere in den ländlichen Gebieten südlich der Sahara, noch immer erst bei 60 Prozent. Nun haben wir uns sicher alle gefreut, als kürzlich UN-Generalsekretär Ban Ki-moon das siebte der Millenniumsentwicklungsziele hinsichtlich der Zielvorgabe, bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte zu senken, die keinen Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser und grundlegenden sanitären Einrichtungen haben, schon jetzt für erfüllt erklärt hat. In der Tat hat sich die Versorgungslage insgesamt verbessert; aber die Lage in Afrika ist – obwohl auch hier Fortschritte erzielt werden konnten – nach wie vor besorgniserregend. Keinesfalls dürfen wir uns also auf dem bislang Erreichten ausruhen, sondern müssen weiter für jeden Tropfen sauberen Wassers kämpfen. Das Menschenrecht auf Trinkwasser wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nation 2010 offiziell anerkannt. Es darf kein Lippenbekenntnis bleiben. So gesehen ist es sicherlich zu begrüßen, dass sich die Koalition des Problems in einem Antrag angenommen hat. Leider muss man sagen: Problem erkannt, aber mit den Forderungen, die die Koalition stellt, nicht gebannt. Der Problemaufriss ist in weiten Teilen richtig, die Schlussfolgerungen sind dürftig und bleiben leider zu oft unkonkret. Wenn es etwa in Punkt 15 heißt, Regelwerke im Wassersektor sollten weiterentwickelt werden, dann wäre es schon interessant, zu wissen, was damit konkret gemeint ist. Etwas mehr Mut im Forderungsteil hätte man sich schon gewünscht, zumal Deutschland im Wassersektor einen bis dato guten Ruf zu verteidigen hat. Seit vielen Jahren schon ist der Wassersektor ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das deutsche Engagement reicht dabei von Infrastrukturmaßnahmen bis hin zur Unterstützung bei der Ressourcenverwaltung. Im Wassersektor ist das umfassende integrierte Wasserressourcenmanagement schon seit langem das Leitbild. Insofern haben wir durch jahrelanges kontinuierliches Wirken in diesem Bereich wohl einen nicht unerheblichen Anteil an dem, was in unseren Partnerländern erreicht werden konnte. Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung den Weg weitergeht – und zwar nicht nur durch bi-, sondern auch durch multilaterale Zusammenarbeit. Wichtig ist, dass wir Wasser als Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge begreifen. Wasser ist Leben, und es ist erste Pflicht des Staates, seinen Bürgern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Für das Lebensmittel Wasser heißt das, dass es in erster Linie bezahlbar sein muss, damit jeder die Möglichkeit hat, sich zu versorgen. Ob daher die Beschränkung auf private Versorger, wie von der Koalition vorgesehen, der Königsweg ist, muss bezweifelt werden. Knappe Ressourcen und gewinn-orientierte Privatunternehmen auf der einen und der Kampf der Ärmsten ums Überleben auf der anderen Seite – das geht nicht zusammen. Mindestens ebenso wichtig wie regulierte Tarifsysteme für private Anbieter, wie von der Koalition vorgeschlagen, ist daher die Einbeziehung kommunaler Versorger und genossenschaftlicher Modelle. Nicht nur an dieser Stelle bleibt der vorliegende Antrag hinter seinen Möglichkeiten zurück. Man würde sich insgesamt von der Koalition einen weiteren Blick auf die Dinge wünschen. Der Zugang zu Trinkwasser ist eben nur ein Glied in einer ganzen Kette von entwicklungspolitischen Maßnahmen, die zusammenwirken müssen. So wird etwa nur sehr am Rande die Problematik des Landgrabbing gestreift. Die aber lässt sich nicht von der Frage der Wasserknappheit abtrennen. Landgrabbing geht naturgemäß oft mit Watergrabbing einher, wenn riesige Ländereien bewirtschaftet und dementsprechend auch bewässert werden. Wenn Betriebe aus dem Ausland im großen Stil Ackerland nehmen und Wasser beanspruchen, bleiben für die lokale Landwirtschaft oft nur noch trockene, unbrauchbare Flächen. Hier brauchen wir in Zukunft strengere Regeln für die Nutzung sowohl von Land als auch von Wasser. Die FAO hat kürzlich einen Aufschlag gemacht und neue Leitlinien formuliert. Ich empfehle der Koalition, dort einmal hi-neinzuschauen. Gleiches gilt übrigens auch für den Bereich der industriellen Produktion, der neben der Landwirtschaft der größte Wasserverbraucher ist. Es ist absolut enttäuschend, dass im Antrag keinerlei verbindliche Regeln für die Nutzung von Wasser durch die Industrie entworfen werden. Die Koalition vertraut stattdessen auf – wie es heißt – ein enges und vernetztes Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Allein auf freiwillige Selbstbeschränkung zu setzen, wird aber kaum reichen. Es ist naiv, das zu glauben. Letztlich muss man festhalten: Der Antrag, den wir heute debattieren, hat wie die meisten seiner Vorgänger auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sämtliche schwarz-gelben Anträge, all die schönen Strategiepapiere und Konzepte des Ministeriums, sie klingen gut – die Worte hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wer es im Haushalt nicht schafft, für die nötigen Aufwüchse in der Entwicklungszusammenarbeit zu sorgen, der kann noch so viele Papiere schreiben, sie werden folgenlos bleiben. Die vielleicht gut gemeinten Ansätze bleiben auf der Strecke, wenn man nicht die Mittel hat, sie umzusetzen. Leider werden wir auch in diesem Jahr wieder erleben, dass die Bundesregierung nicht die erforderlichen Mittel in den Haushalt einstellen wird, die nötig wären. Von dem Versprechen, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeiten bereitzustellen, ist Deutschland heute weiter entfernt denn je. Ich appelliere daher an die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Stellen Sie die Mittel zur Verfügung, dann können wir weiterreden. Alles andere ist unglaubwürdig. Was gute Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor bewirken kann, konnte ich mir erst kürzlich während einer Reise nach Äthiopien anschauen. An unter anderem durch die Welthungerhilfe eingerichteten Wasserkiosken wird zu fairen Preisen sauberes Trinkwasser an die Bevölkerung verkauft. Mussten früher die Frauen kilometerweit laufen, um mühselig Wasser zu besorgen, ist der Zugang nun wesentlich vereinfacht. Das bringt eine enorme zeitliche und damit wirtschaftliche Ersparnis für die Familien. Hinzu kommt, dass denen, die bislang in Tanklastern vorfuhren und zu völlig überteuerten Preisen eine dreckige Brühe als Trinkwasser verkauft haben, damit endlich das Handwerk gelegt ist. Es sind solche Taten und nicht wohlfeile Worte, mit denen wir dazu beitragen, dass das Millenniumsziel „Wasser“ nicht nur statistisch erreicht ist, sondern auch spürbar bei den Menschen ankommt. Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP): So selbstverständlich, wie wir in den Industrieländern den Wasserhahn zu Hause aufdrehen, so wenig selbstverständlich ist die Versorgung mit Wasser in den meisten Entwicklungsländern. Wenn wir uns hier im Reichstag die Hände waschen möchten, dann brauchen wir uns nur zweimal umzuschauen, und schon sehen wir den nächsten Wasserhahn. Für die Menschen in den Entwicklungsländern hingegen entscheidet es sich jeden Tag neu, ob sie genügend Wasser zum Trinken, für die Bewässerung von Pflanzen oder zum Tränken für ihre Tiere vorfinden. Und auch hier sind – wie so oft, wenn wir über Armut sprechen – die Frauen die am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe. Die Frauen sind es, die für die häusliche Wasservorsorge zuständig sind. Im Durchschnitt legen Frauen und Mädchen täglich sechs Kilometer Fußweg zurück, um 20 Liter Wasser nach Hause zu tragen. Je problematischer die Wassersituation ist, desto weiter müssen sie gehen, und desto weniger Zeit bleibt den Mädchen für den Schulbesuch oder den Frauen für Erwerbsarbeit, die sie unabhängig machen könnte. Der diesjährige Weltwassertag, der jedes Jahr am 22. März von den Vereinten Nationen ausgerufen wird, stellt den Zusammenhang zwischen Wasser und Nahrungssicherheit in den Vordergrund, genauso wie der -ihnen vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen. Bei einer steigenden Weltbevölkerung muss die Wasserversorgung immer im Zusammenhang mit der Nahrungs-sicherheit betrachtet werden. Besonders die Produktion von Nahrungsmitteln verknappt die vorhandenen Wasservorräte. Für die Produktion von einem Kilogramm Weizen werden 1 500 Liter benötigt, für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch sogar 15 000 Liter Wasser. Es wird in Zukunft darum gehen, dass wir in der westlichen Welt mit unseren Ressourcen und mit denen in den Entwicklungsländern schonender umgehen. Die Kampagne der Bundesministerin Aigner „Zu gut für die Tonne“ geht da in die richtige Richtung. Wir können es uns nicht leisten, Lebensmittel wegzuwerfen und zu vernichten. Und es wird in Zukunft immer mehr auf die technologische Entwicklung in diesem Bereich ankommen. Speziell in den Entwicklungsländern lässt sich hier mit vergleichsweise wenigen Mitteln viel für den effizienteren Wassereinsatz tun. Ferner benötigt insbesondere die Industrie einen erheblichen Anteil der Wasserressourcen. Hier bedarf es einer engen und vernetzten Zusammenarbeit zwischen Politik, Ökonomie und Gesellschaft. Wir brauchen ein nachhaltiges Zusammenspiel von Landwirtschaft und Industrie um die Ressource Wasser aufzubauen. Das siebte Milleniumsentwicklungsziel, den Anteil der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung haben, zwischen 1990 und 2015 um die Hälfte zu senken, haben wir vor einigen Wochen erreicht. Das ist ein großer Erfolg. Doch noch immer haben fast 900 Millionen Menschen auf der Welt keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu adäquaten sanitären Einrichtungen. Sauberes Trinkwasser ist eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben. Viele, auch tödliche, Krankheiten ließen sich durch eine saubere Trinkwasserversorgung von Vorneherein verhindern. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden im Jahr 2025 zwei Drittel der Weltbevölkerung von Wasserknappheit betroffen sein. Gleichzeitig gibt es berechtigte Warnungen der Weltgemeinschaft, dass der Streit um den Zugang zu Wasser und um die Nutzungsrechte von Wasser eine immer größere Bedrohung für den Frieden auf der Welt sein wird. Dürren, Überschwemmungen und Mangel an Trinkwasser können demnach in den kommenden Jahrzehnten zu Instabilität führen und Konflikte schüren. So könnten stromaufwärts gelegene Nationen die Wasserverteilung als Druckmittel gegen ihre stromabwärts gelegenen Nachbarn einsetzen. Daher fordern wir, dass die weltweite Wasserver-sorgung weiter in den Fokus der internationalen Gemeinschaft gerückt wird, Krisenpläne bei Dürren oder Überschwemmungen weiter integriert werden, die Desertifikationen zurückgedrängt werden, die Forschung in Technik und Pflanzen vorangetrieben wird, der Technologieaustausch verstärkt wird, noch mehr Unterstützung bei Bewässerungs- und Kanalisationssystemen -geleistet wird und die Stärkung von Wasserversorgungssystemen in den Entwicklungsländern weiter vorgenommen wird. Wasser ist die Quelle allen Lebens. Der Mensch kann fast 30 Tage ohne Nahrung überleben, aber nur 3 Tage ohne Wasser. Unser Antrag zeigt einen Weg auf, wie wir in Zukunft das Recht auf den Zugang zu sauberem Wasser weltweit umsetzen können. Ich bitte Sie daher um die Unterstützung unseres Antrags. Niema Movassat (DIE LINKE): Ich möchte eines klar feststellen zu Beginn meiner Rede: Für uns, die Linke, ist das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung nicht nur eine Floskel. Wir müssen es auch weltweit umsetzen. Deshalb muss die Wasserversorgung überall auf der Welt als öffentliche Aufgabe, als Teil der Daseinsvorsorge, begriffen werden. Eine ausreichende Trinkwasserversorgung ist für jeden Menschen so existenziell, dass nur die Staaten selbst sie gewährleisten dürfen. Private Konzerne sind aufgrund ihres Profitstrebens völlig ungeeignete Akteure auf diesem Gebiet. Das gilt für Berlin ebenso wie für Chochabamba in Bolivien. Denn private Konzerne gewährleisten nicht, dass arme Teile der Bevölkerung an Wasser kommen; sie verteuern die Preise, um Gewinne zu machen, und hängen damit die Ärmsten ab. Der vorliegende Antrag der Koalition weist richtigerweise sehr ausführlich auf die Probleme eines eingeschränkten Zugangs zu Wasser und die daraus resultierenden negativen Folgen für die betroffenen Menschen hin. Als Lösungsvorschläge bietet er technische Maßnahmen wie effizienteres Wassereinzugsgebietsmanagement oder moderne Verteilungsnetze. Doch für Regionen, in denen heute schon beständig Wassermangel herrscht, werden diese Vorschläge keine Verbesserungen bringen, zumal sie im Süden nicht finanzierbar sind. „Wasser sparen“ ist hier der einzig erfolgversprechende Weg. Und eben dies blendet der vorliegende Antrag aus. Auch in wasserarmen Regionen ist es häufig nicht die lokale Fehlnutzung, die zu Wassermangel führt, sondern der Anbau von Agrarrohstoffen für den Konsum in den Industrieländern, oder auch von Rosen oder wasser-intensiven Exportpflanzen wie Kaffee oder Baumwolle. Dass dabei auch zumeist von kleinbäuerlicher Landwirtschaft auf Industrielandwirtschaft umgestellt wird, steigert die Wasserverschwendung zusätzlich. In ganzen Landstrichen in Afrika, Asien und Lateinamerika wird mittlerweile etwa Palmöl zur Biokraftstoffherstellung angebaut, Tendenz steigend. Wasserökonomisch bedeuten diese Projekte den Super-GAU für ganze Regionen. Sie fördern Landraub und damit einhergehend Wasserraub. Kein Wort dazu in Ihrem Antrag. Der Fortschritt wird’s schon richten, wir hier können auf jeden Fall so weitermachen wie bisher so, lässt sich die Haltung der Koalition zusammenfassen. Denn wie beim Thema Klimawandel wollen Sie eines nicht wahrhaben: Es ist primär der Lebensstil in den reichen Ländern mit seiner Wachstums- und Konsumfixierung, der die Grenzen des globalen Ökosystems aufzeigt. Wir hier in Deutschland verursachen einen großen Teil der Wasserprobleme in Entwicklungsländern. Das gilt es anzuerkennen, will man brauchbare Lösungsvorschläge machen. Entgegen der Erkenntnis zahlreicher Studien sollen gentechnisch veränderte Pflanzen die Ernährungssituation in Dürreregionen verbessern. Was für eine Fehleinschätzung! In der Praxis benötigen die Zauberpflanzen von Montsanto und Konsorten oft von Jahr zu Jahr mehr Insektenschutzmittel, die die leichten Vorteile im Ertrag schnell überwiegen. Nur eines ist am Ende sicher: Der Gewinn der beteiligten Konzerne steigt. Die Selbstmordwelle unter Kleinbauern zum Beispiel in Indien ist die tragische Folge einer solchen Politik. Bei näherer Betrachtung erweisen sich auch ihre Forderungen alles andere als innovativ. Das Kon-zept „Integriertes Wasserressourcenmanagement“ etwa wur-de bereits 1992 von Global Water Partnership entwickelt. Und die Vorschläge der 2030 Water Resources Group in den Planungen des Entwicklungsministeriums zukünftig zu berücksichtigen, lehnen wir selbstverständlich grundsätzlich ab. Unternehmen wie The Coca-Cola Company, The International Finance Corporation, McKinsey & Company, Nestlé S.A., New Holland Agriculture und die Syngenta AG sind Mitglieder dieser Gruppe. Sie sind naturgemäß daran interessiert, Profit zu machen. Und ich sage es nochmal: Mit der Wasserversorgung sollte niemand Profit machen. Stattdessen sollte das Entwicklungsministerium lieber die Vorschläge von kleinbäuerlichen Organisationen wie Via Campesina berücksichtigen. Auch beim Thema Wassermanagement findet man hier die kompetentesten Ansprechpartner. Die Zukunft der Entwicklung des ländlichen Raums liegt in einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die in erster Linie die Versorgung der lokalen Bevölkerung sicherstellt und sparsam mit Ressourcen wie Wasser umgeht, und eben nicht in der industriellen Landwirtschaft und Grüner Gentechnik. Doch die von Wasserknappheit betroffenen Bevölkerungsgruppen sind erkennbar nicht das Hauptaugenmerk der Koalition. Denn auch die Forderung nach der Stärkung der Eigentumsrechte dient letztendlich vor allem industriellen Großprojekten und deren Investoren. In den meisten Entwicklungsländern sind Land- und Wassernutzungsrechte gewohnheitsrechtlich geregelt. Eine Stärkung der Eigentumsrechte im herkömmlichen Sinne geht deshalb in den meisten Fällen zulasten von indigenen Gruppen, Nomaden, Kleinbauern, Landlosen. Aber Sie nennen diese Bevölkerungsgruppen nicht einmal beim Namen. Das sagt viel über die Geisteshaltung in ihrem Antrag aus. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat einen Antrag zum Thema „Wasser und Ernährung sichern“ vorgelegt. Es ist gut, dass sie dieses Thema aufnimmt. Die weltweite Wasser- und Nahrungskrise gehört zu den größten Herausforderungen der internationalen Gemeinschaft. Ich richte mein Augenmerk hier auf die menschenrechtlichen -Aspekte. Zunächst die gute Nachricht: Die internationale Gemeinschaft hat ihr für 2015 gesetztes Millenniumsentwicklungsziel erreicht, den Anteil der Menschen mit mangelhaftem Zugang zu sauberem Trinkwasser zu halbieren. 89 Prozent der Weltbevölkerung haben Zugang zu sauberem Trinkwasser. 2 Milliarden mehr Menschen können heute sauberes Wasser trinken als noch 1990. Weniger Kinder sterben oder werden krank, und mehr Mädchen können Zeit in ihre Ausbildung investieren, anstatt Wasser für den häuslichen Bedarf zu organisieren. Dagegen ist das Ziel, den Anteil der Menschen ohne Sanitärversorgung zu halbieren, leider noch lange nicht erreicht. Der Erfolg in der Wasserversorgung blendet ein wenig. Da der Zugang zu Wasser vor allem in China und Indien verbessert werden konnte, täuschen die Zahlen leicht über weiterhin schlechte Bedingungen in Subsahara-Afrika und über Rückschritte in Zentralasien oder Ozeanien hinweg. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass vor allem die Reicheren von einer besseren Versorgung profitieren. Leidtragende sind noch immer die Ärmsten der Armen, die Landbevölkerung sowie Frauen und Kinder. Fortschritte gehen ausgerechnet an denjenigen vorbei, die besonders auf sie angewiesen sind. Quantitative Ziele sind wichtig, aber sie bergen die Gefahr, dass sich Staaten vor allem auf die leicht zugänglichen Armen, etwa in Großstädten, konzentrieren. Auch wenn der Staat seine Versorgungsstatistik damit insgesamt verbessert hat – die Bevölkerung in weniger gut zugänglichen Regionen geht oft leer aus. Ein Menschenrechtsansatz darf die Versorgungsdiskrepanzen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht aus dem Blick verlieren. Er richtet den Fokus explizit auf Benachteiligte, Marginalisierte und Diskriminierte. Im Antrag der Bundesregierung wird das Menschenrecht auf Nahrung nicht erwähnt. Doch es macht einen Unterschied, ob wir von Nahrungsmitteln als Gnade oder als rechtliche Ansprüche sprechen. Nach dem Menschenrecht auf Nahrung sind Regierungen aufgefordert, alle möglichen Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass niemand Hunger leidet und dass für jede und jeden Einzelnen das Recht auf angemessene Nahrung sobald wie möglich verwirklicht wird. Für Kinder aus den ärmsten 20 Prozent der Haushalte in Entwicklungsländern ist das Risiko, vor dem Erreichen des fünften Lebensjahrs an Hunger zu sterben, mehr als doppelt so hoch wie für Kinder aus den reichsten 20 Prozent der Haushalte. Auch die Staatengemeinschaft ist verpflichtet, gemeinsam und einzeln zu handeln, um das Recht auch außerhalb ihres eigenen Landes zu unterstützen und umzusetzen. Bei der Vielzahl an Organisationen und Staaten, die sich im Kampf gegen Hunger engagieren, kann das Menschenrecht auf Nahrung als bindender Referenzrahmen Orientierung geben und zur Harmonisierung und Kohärenz der verschiedenen Politiken beitragen. Als einflussreiches Industrieland tragen wir eine besondere Verantwortung für eine gerechte Wirtschaft. Wer es mit dem Kampf gegen Hunger ernst meint, darf nicht an Agrarexportsubventionen oder spekulativen Finanzinvestitionen auf Agrarmärkten festhalten. Es gilt, vor allem eine kleinbäuerliche, klimaverträgliche Landwirtschaft zu fördern. In ländlichen Gebieten sind Kinder doppelt so häufig untergewichtig wie in städtischen Gebieten. Die Menschenrechte auf Wasser und Nahrung erscheinen vielen als abstrakte Normen, die in endlosen internationalen Konferenzen verhandelt werden, aber kaum konkrete Auswirkungen in der Praxis haben. Inzwischen ist die Argumentation mit rechtlichen Ansprüchen auf Wasser und Nahrung aber zu einem viel genutzten Instrument vor allem der Zivilgesellschaft avanciert. Das ist gut so. Denn nach wie vor klafft eine Lücke zwischen geäußerten Absichten und tatsächlichem politischen Willen. Menschenrechte auf Wasser und Nahrung bleiben eine ständige Herausforderung. Sie müssen immer wieder gegen Widerstände erkämpft, eingefordert und beharrlich in Erinnerung gerufen werden. Sie erfordern einen langen Atem und den unbedingten Willen zur Veränderung. Dann helfen sie, Mauern einzureißen, die den Weg zu gerechteren Lösungen der weltweiten Wasser- und Nahrungskrise versperren. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9153 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Michael Roth (Heringen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen – Drucksache 17/9154 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Federführung strittig Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.12 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9154 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion der SPD wünscht Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD, also Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen – Drucksache 17/8841 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/9140 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg) Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Dem Deutschen Bundestag liegt heute ein Gesetzentwurf zur Ratifikation eines neuen Doppelbesteuerungsabkommens mit der Republik Türkei vor. Grundsätzlich dienen Doppelbesteuerungsabkommen dazu, die doppelte Besteuerung in den Vertragsstaaten für Unternehmen und Privatpersonen zu vermeiden. -Damit können die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessert und Investitionshemmnisse aufgrund einer doppelten Steuerlast abgebaut werden. Deutschland ist mit einem Handelsvolumen von rund 26 Milliarden Euro im Jahr 2010 der wichtigste Handelspartner der Republik Türkei. Die Zahl deutscher Unternehmen in der Türkei liegt bei über 4 700. Beeindruckend ist auch das deutsche Investitionsvolumen: rund 6,3 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik Deutschland hatte bereits seit 1985 ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Türkei, das jedoch fundamentale Steuervorteile für die türkische Seite enthielt. Diese Regelungen entsprachen in den letzten Jahren nicht mehr der deutschen Doppelbesteuerungspolitik und auch nicht einmal mehr der Praxis, wie sie gegenüber Entwicklungsländern angewendet wird. Unter anderem gab es die Möglichkeit, „fiktive“ Steuern, also in der Türkei nicht gezahlte Steuern, in Deutschland steuermindernd geltend zu machen. Mit der türkischen Regierung konnte in drei Revi-sionsverhandlungen von 2007 bis 2008 keine Einigung erzielt werden, weshalb dann 2009 das alte Doppelbesteuerungsabkommen mit der Türkei gekündigt wurde, mit dem Angebot und Ziel, Verhandlungen über ein neues Abkommen aufzunehmen. Aus diesem Grund galt eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2010, in der das alte Abkommen weiter angewendet wurde. In Verhandlungen mit der Türkei wurde ein neues Abkommen erarbeitet, das die kritisierten Punkte aufnahm und auf der Höhe der aktuellen deutschen Abkommenspolitik ist. Das neue Doppelbesteuerungsabkommen, das am 19. September 2011 unterzeichnet wurde, hält sich im Wesentlichen an das OECD-Musterabkommen. Ziel des neuen Abkommens ist einerseits die Ver--meidung einer Doppelbesteuerung von deutschen -Unternehmen und Privatpersonen in der Türkei und andererseits eine Verbesserung der Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Lassen Sie mich die wichtigsten Änderungen kurz erläutern: Das Besteuerungsrecht von Dividenden wurde für den Quellenstaat auf 5 Prozent begrenzt. Das entspricht dem OECD-Musterabkommen. Hierfür muss der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft sein, die mindestens 25 Prozent der Anteile an der ausschüttenden Gesellschaft hält; ansonsten beträgt der Quellensteuersatz 15 Prozent des Bruttoertrages der Dividenden. Ruhegehälter oder Renten können nun auch im Quellenstaat, also dem auszahlenden Land, besteuert -werden. Bisher musste die Steuer im Wohnsitzstaat abgeführt werden. Das bedeutet für Deutschland etwa, dass die Renten, die in die Türkei überwiesen werden, in Deutschland versteuert werden. Beispielsweise kann die Rente des ehemaligen türkischen Gastarbeiters in Deutschland, der seinen Ruhestand in der Türkei verbringt, mit dem neuen Abkommen erstmals von den deutschen Steuerbehörden besteuert werden, wie das im -Übrigen beim Großteil der Renten schon geschieht, die ins Ausland überwiesen werden. Allerdings fällt die Besteuerung erst ab einer Höhe von mehr als 10 000 Euro an und beträgt maximal 10 Prozent. Der steuerfreie Teil der Rente ist jedoch anzurechnen. Deutschland zahlte im Jahr 2010 mehr als 53 000 Renten mit einem Volumen von circa 335 Millionen Euro in die Türkei. Diese Summe kann jetzt also in Deutschland teilweise versteuert werden. Erstmalig erhält die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit mithilfe einer Umschwenkklausel, einseitig von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode überzugehen. Hierfür ist erst eine Konsultation mit der Türkei notwendig. Dieser Fall würde verhindern, dass Einkommen in keinem der beiden Vertragsstaaten besteuert würden. Wie bisher wird eine Doppelbesteuerung bei den wichtigsten Einkünften durch Freistellung vermieden. Beispiele wären Einkünfte aus selbstständiger und unselbstständiger Arbeit oder Gewinne aus Betriebsstätten in der Türkei oder Deutschland. Bei Einkünften, die nicht von der deutschen Steuer freigestellt werden, wird die türkische Steuer auf die deutsche Steuer angerechnet. Das gilt etwa für Zinsen, Lizenzgebühren, Vorstandsvergütungen oder Gagen von Sportlern oder Künstlern. Die deutsche Steuerfreistellung wird also nur bei aktiver Tätigkeit in der Türkei gewährt. Das alte Abkommen sah hier bisher die Anrechnung von fiktiven, nicht gezahlten, türkischen Steuern auf Streubesitzdividenden, Zinsen und Lizenzgebühren vor, die in Deutschland angerechnet werden konnten – das ist jetzt nicht mehr möglich. Auf der anderen Seite eröffnet das neue Doppel--besteuerungsabkommen bessere Möglichkeiten des Informationsaustausches in Steuersachen. Informationen, die zur Durchführung des Abkommens notwendig sind, aber auch Informationen, die zur Verwaltung und Durchsetzung von Steuern jeder Art erforderlich sind, werden unter den entsprechenden Behörden ausgetauscht. Keiner der beiden Staaten kann sich auf ein Bankgeheimnis berufen. Neu vereinbart wurde auch die Amtshilfe bei der Steuererhebung zwischen der Türkei und der Bundesrepublik. Mit diesem Abkommen wird es Steuerbetrügern wieder ein Stück schwerer gemacht, ihr Vermögen am Finanzamt vorbeizumanövrieren. Die Türkei entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Industrienation und einem großen Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland. Sie gilt zudem als Stabilitätsfaktor im Nahen Osten. Es ist deshalb gut und recht, ein neues Doppelbesteuerungsabkommen zu ratifizieren, das beide Staaten gleichstellt. Deutschland ist für viele ehemalige türkische Gastarbeiter zu ihrer -Heimat geworden, viele haben hier Geschäfte eröffnet – die Türkei ist für deutsche Unternehmen ein guter Wirtschaftsstandort und Handelspartner. Wir möchten die wirtschaftliche Verbindung der beiden Länder stärken und setzten deshalb auf dieses faire und sinnvolle -Doppelbesteuerungsabkommen. Das ist gut so. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute abschließend über den Regierungsentwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen. Die SPD--Bundestagsfraktion unterstützt diese Vorlage der Bundesregierung, weil wir die Grundsätze und die Arbeitsrichtung des Gesetzes richtig finden – auch wenn uns noch einige Verbesserungsvorschläge zu Einzelaspekten des Vertragsgesetzes einfallen, die in den Verhandlungen mit der Türkei aber leider nicht aufgegriffen -wurden. Das Abkommen mit der Türkei enthält gute -Regelungen, die die Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte in Deutschland stärken, den Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten und die Zusammenarbeit bei der Steuererhebung zwischen den Verwaltungsbehörden verbessern, den Besteuerungsinteressen beider Seiten im Kompromiss entgegenkommen und steuerliche Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland abbauen helfen. Unsere Zustimmung zu einem Vorschlag der Bundesregierung ist auch deshalb erwähnenswert geworden, da es die Bundesregierung und die sie tragenden Regierungsfraktionen von CDU, CSU und FDP der Opposition in den letzten Wochen und Monaten häufig sehr schwer gemacht haben, ihren schlechten, zögerlichen, unvollständigen oder gleich ganz fehlenden Verhandlungsergebnissen auf europäischer und internationaler Bühne zuzustimmen. Das ist eine bedauerliche Entwicklung; denn es gibt in der sozialdemokratischen Fraktion ein grundsätzliches Bekenntnis zu europäischer und internationaler Solidarität und eine Bereitschaft, sinnvolle Regelungen zu unterstützen, mit denen sich unsere -gemeinsamen Interessen in der Steuerpolitik, in der -Finanzmarktregulierung, in der Bewältigung der Finanzkrisen im Ausland gemeinsam vertreten lassen. -Allerdings streut die lärmende Uneinigkeit in der Regierungskoalition immer wieder Sand ins Getriebe bei der Suche nach einheitlichen und abgestimmten Positionen, die Deutschlands Wahrnehmung als verlässlichen und berechenbaren Partner in Europa stärken. Ich bin daher über jedes zustimmungsfähige Verhandlungsergebnis froh und erleichtert, das die Bundesregierung vorlegt. Mein Dank geht daher an dieser Stelle an meine Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss und insbesondere auch an die Fachbeamtinnen und Fachbeamten des Bundesfinanzministeriums, denen wir das gute Verhandlungsergebnis mit der Türkei verdanken. Obwohl stets mehr wünschbar ist – diese Verhandlungsleistung der Finanzbeamten und Finanzbeamtinnen ist umso höher einzuschätzen, als wir gegenwärtig mit Westerwelle und Niebel auf dem Tiefpunkt deutscher Außendarstellung und -politik angekommen sind. Das alte, aus dem Jahr 1985 stammende und im Jahr 2009 gekündigte Abkommen mit der Türkei hat der -rasanten Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen und der engen gesellschaftlichen Verflechtungen zwischen der Türkei und Deutschland nicht mehr angemessen Rechnung getragen. Es ist Ende 2010 ausgelaufen und wird durch das heute beschlossene neue Abkommen ersetzt. Das rückwirkende Inkrafttreten zum 1. Januar 2011 gewährleistet Rechtssicherheit und stellt sicher, dass keine Lücke in der Rechtsanwendung entsteht. Das Abkommen mit der Türkei schafft neue Möglichkeiten zur Besteuerung von Sozialversicherungsrenten und Ruhegehältern auch im Quellenstaat. Bislang lag das Besteuerungsrecht ausschließlich beim Wohnsitzstaat; die gesetzliche Rente des Arbeitnehmers, der seinen wohlverdienten Ruhestand im milden Klima der türkischen Riviera genießt, unterlag in Deutschland also nicht der Besteuerung – und ich kann verstehen, wenn sich mancher Rentner im deutschen Winter ungerecht behandelt fühlt, dessen Rente hierzulande in zunehmendem Umfang steuerlich belastet wird. Die Türkei hat in den Verhandlungen das deutsche Besteuerungsinteresse anerkannt; im Gegenzug hat man sich im Kompromiss darauf verständigt, den Steuersatz im Quellenstaat auf 10 Prozent zu beschränken. Außerdem greift die Besteuerung erst bei Leistungen über 10 000 Euro; allerdings wird der steuerfreie Teil der Rente nach § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG auf diesen Freibetrag angerechnet. Art. 25 des Abkommens enthält wichtige Passagen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Das Abkommen orientiert sich am Musterabkommen, MA, der -Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD-MA, das einen international akzeptierten Standard für den umfassenden Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten definiert. In den Verhandlungen mit der Türkei wurde eine Klausel über den Informationsaustausch gemäß dem OECD-Standard aus dem Jahr 2008 aufgenommen, OECD-MA 2005. Damit wird ein Austausch von Informationen auf Anfrage möglich, die zur Durchführung dieses Abkommens und des innerstaatlichen Besteuerungsrechts der Vertragsstaaten erforderlich sind. Betroffen sind Steuern aller Art und Bezeichnung, nicht nur diejenigen, auf die sich das DBA bezieht. Ein Bankgeheimnis darf sich nicht dahin gehend auswirken, dass diese Informationen nicht übermittelt werden können. Im Zusammenwirken mit Art. 26 des Abkommens, der die wechselseitige Amtshilfe bei der Erhebung von Steuern regelt, sind dies wichtige Fortschritte, die bei der einheitlichen Anwendung unseres Steuerrechts helfen. Leider ist der Informationsaustausch aber nicht so umfassend, wie wir uns das in der SPD-Fraktion vorstellen, nämlich im Sinne eines automatischen Informa-tionsaustauschs, bei dem steuerlich relevante Daten übermittelt werden, ohne dass es eine konkrete Anfrage der jeweiligen Behörde zur Aufklärung eines Sachverhaltes geben muss oder ohne dass es einen begründeten Anfangsverdacht auf Steuerhinterziehung oder -betrug geben muss. Der automatische Austausch ist nach Art. 26 OECD-MA möglich und mit Blick auf die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Türkei und Deutschland und der nicht nur geografischen Nähe der Türkei zum einheitlichen Wirtschafts- und Verwaltungsraum der Europäischen Union auch wünschenswert. In der Europäischen Union ist der automatische Informa-tionsaustausch bei Zinseinkünften in einer Richtlinie -geregelt – auch wenn es immer noch Staaten gibt, die sich der lückenlosen Anwendung dieser Regel und der Einbeziehung weiterer Arten von Kapitaleinkünften aus Eigeninteresse widersetzen. Eine entsprechende Einigung mit der Türkei wäre hier in der Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung der Zinsrichtlinie sicherlich hilfreich gewesen. Meine Nachfrage in den Beratungen im Finanzausschuss nach den Unterschieden zum OECD-Muster--abkommen haben folgende Klarstellungen ergeben: Deutschland und die Türkei haben Quellsteuersätze auf Lizenzgebühren vereinbart, die im Musterabkommen nicht vorgesehen sind. Außerdem konnte die Bundes--regierung ein eigenes Besteuerungsrecht erzielen, das nach dem Musterabkommen nur dem Wohnsitzstaat zusteht. Weitere Abweichungen bestehen bei der Definition von Betriebsstätten: Die türkische Seite hat in diesem Punkt ihre Besteuerungsinteressen verteidigt. Das Abkommen bringt auch einige wichtige Verbesserungen für die Besteuerung von Kapitaleinkünften aus dem unternehmerischen Bereich, wovon wir uns Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte in Deutschland versprechen: Bei Zinseinkünften wird der Quellensteuersatz, der in dem Land erhoben wird, aus dem die Zinsen zufließen, von 15 auf 10 Prozent reduziert, Art. 11. Zudem hat sich die Türkei bereit erklärt, auf eine Besteuerung von Zinsen aus Hermes--Bürgschaften und Zinszahlungen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, Deutsche Entwicklungsgesellschaft, DEG, Bundesregierung und Bundesbank zu verzichten. Es geht dabei um Zinsen, die in Deutschland steuerpflichtige Unternehmen als „Gegenleistung“ für Unterstützungszusagen der öffentlichen Hand zahlen müssen. Diese Garantien spielen eine wichtige Rolle dabei, die finan-ziellen Risiken für deutsche Unternehmen bei einem Engagement im Ausland zu verringern – eine sinnvolle Einrichtung, von der sowohl deutsche Unternehmen als auch die Staaten profitieren, in denen sie investieren. Bei Einnahmen aus Dividenden, die eine türkische Tochtergesellschaft an ihre deutsche Konzernmutter ausschüttet, wird das Besteuerungsrecht des Quellenstaats von 15 auf 5 Prozent des Bruttobetrags begrenzt, wenn das begünstigte Unternehmen mit mehr als 25 Prozent an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligt ist. Bislang galt für Dividendenausschüttungen aus diesen sogenannten Schachtelbeteiligungen eine Mindestbeteiligungsquote von 10 Prozent. Bei Beteiligungen unterhalb dieser Grenze, sogenannten Streubesitz--dividenden, gilt ein von 20 auf 15 Prozent reduzierter Quellensteuersatz. Diese Regelung ist ein guter Verhandlungserfolg, da sie den Kreis miteinander -verflochtener Unternehmen einengt, die von einem günstigeren Steuersatz profitieren; außerdem wird der türkische Quellensteuersatz, der auf die deutsche Steuerschuld angerechnet werden kann, reduziert. Beide Maßnahmen stärken die deutsche Einnahmeseite. Für Dividenden, die in umgekehrter Richtung fließen, reduziert sich hingegen die Kapitalertragsteuerbelastung; damit ist zwar ein Rückgang an Steuereinnahmen verbunden, der mit Blick auf die Kapitalverkehrsbilanz und darauf, dass die Dividendenströme in der Regel in stärkerem Maße in Richtung Deutschlands fließen, vermutlich aber mehr als kompensiert wird. Art. 22 des Abkommens enthält eine wichtige „Umschwenkklausel“, die im Zusammenwirken mit den geänderten Regelungen zur Dividendenbesteuerung die deutsche Steuerbasis stärkt und Gestaltungsmöglichkeiten verschließt, mit denen steuerpflichtige Unternehmen ihre Steuerbelastung künstlich reduzieren können. Die Möglichkeit der Anrechnung fiktiver türkischer Quellensteuer wurde gestrichen. Bei der Ermittlung der Steuerbelastung eines Unternehmens in Deutschland wurde in der Vergangenheit so getan, als ob aus der Türkei zufließende Dividenden dort besteuert worden seien – was in der Realität allerdings nicht geschah. Diese Einkünfte wurden dann in Deutschland steuerfrei gestellt, was wirtschaftlich gesehen wie eine doppelte Nichtbesteuerung wirkte. Deutschland verzichtete mit dieser Regelung quasi auf die Ausübung von Besteuerungsrechten und die Festlegung von Steuersätzen; es galten vielmehr die Steuersätze des Quellenstaats, auch wenn diese wie bei der Türkei effektiv „null“ betrugen. Diese Regelung ermöglichte es der Türkei, durch einen Verzicht auf eine Besteuerung ihre Attraktivität als Investitionsstandort für deutsche Unternehmen zu verbessern; für deutsche Unternehmen entstanden steuerliche Anreize, Tochtergesellschaften in der Türkei anzusiedeln, insgesamt eine Lösung, die als – zeitlich befristetes – Instrument der Außenhandelsförderung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen Staaten sinnvoll eingesetzt werden kann. Die Rahmenbedingungen haben sich -allerdings angesichts der starken Wachstumsdynamik der türkischen Volkswirtschaft geändert; ein entsprechender steuerrechtlicher Nachvollzug der neuen Kon-stellation in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten ist damit erforderlich geworden. Der Übergang zur Anrechnungsmethode ist seit einigen Jahren ein wichtiger Aspekt der deutschen Verhandlungsposition, wenn es um die Revision bestehender Doppelbesteuerungsabkommen und den Abschluss neuer Vereinbarungen geht. Deutschland kann künftig von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode übergehen, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. Das heißt, die in der Türkei fiktiv gezahlte Quellensteuer führt nicht mehr zu einer Steuerfreistellung in Deutschland, sondern wird auf die deutsche Steuerschuld angerechnet. Im Ergebnis erhöht sich zwar die gesamte Steuerbelastung für das Unternehmen – allerdings nur auf ein Niveau, das auch für Unternehmen ohne Tochtergesellschaften im Ausland gilt. Die Freistellungsmethode gilt im Prinzip bei allen -aktiven Einkünften. Darunter fallen Einkünfte aus selbstständiger und nichtselbstständiger Arbeit sowie Einkünfte aus einer Betriebsstätte in der Türkei, bei Dividendenausschüttungen einer in der Türkei ansässigen Gesellschaft, bei der eine Beteiligung von mindestens 25 Prozent besteht – allerdings unter beschriebenem Vorbehalt der „Umschwenkklausel“. Die Anrechnungsmethode gilt im Grundsatz bei Einkünften, die nicht der Freistellung unterliegen, das heißt für Dividenden in Streubesitz, Zinsen, Lizenzgebühren sowie bei Einkünften von Sportlern und Künstlern. Doppelbesteuerungsabkommen sind Kompromisse – manchmal gute, manchmal schlechte, manchmal reife, manchmal faule. Es gab schon Abkommen, bei denen uns die Zustimmung schwerer gefallen ist als bei dieser Vereinbarung mit der Türkei. Holger Krestel (FDP): Die Türkei ist ein starker und aufstrebender Wirtschaftspartner für Deutschland, und durch das Anwerbeabkommen, welches vor kurzem 50-jähriges Jubiläum feierte, sind diese beiden Länder auf eine ganz besondere Weise verbunden. Dies schlägt sich auch sehr deutlich in der Wirtschaft nieder. So gibt es unter den in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen auch zahlreiche Unternehmer, die neue Möglichkeiten schaffen und die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder intensivieren. Auch kehren viele türkischstämmige, junge Deutsche in die Heimat ihrer Eltern zurück, um unternehmerisch aktiv zu werden, und eine große Zahl von Firmen fungiert als Brückenbauer, wenn sie die Bedürfnisse dieser Selbstständigen mit festen Bindungen zu zwei Ländern bedient und mit ihnen zusammenarbeitet. Der Außenhandel beider Länder untereinander ist in den letzten Jahren stetig und kräftig gewachsen, und Deutschland ist noch vor dem großen Rohstofflieferanten Russland der wichtigste Handelspartner der Türkei. Zudem lässt das boomende Wirtschaftswachstum der letzten Jahre von bis zu 11 Prozent die Türkei zu einem immer wichtigeren Absatzmarkt für deutsche Unternehmen werden. Viele deutsche Firmen haben dies erkannt und sind vermehrt auch mit Niederlassungen und Mitarbeitern vor Ort aktiv. Diese intensive Beziehung macht eine zeitgemäße Regulierung der Besteuerung zwischen den beiden Nationen zu einem wichtigem Thema, dem wir uns auch gerne gewidmet haben. In dieser Überarbeitung des Doppelbesteuerungsabkommen von 1985 wird primär die Besteuerung von Einkommen neu geregelt, was zahlreiche Selbstständige, Unternehmer und Angestellte in beiden Ländern betrifft. Durch klare Regelungen, die den bürokratischen Aufwand vermindern und die Mehrfachbesteuerung von Einkommen verhindern, möchten wir Steine für unternehmerische lnnovationen aus dem Weg räumen und einen reibungslosen Ablauf des Handels und der Investitionen garantieren. Wenn ein Leistungsträger den großen Schritt wagt und im Ausland unternehmerisch aktiv wird oder als Angestellter ein wichtiges Projekt im Ausland übernimmt, bringt er damit den wirtschaftlichen Fortschritt, von dem alle profitieren, voran. Daher sollte man diese Menschen nicht abschrecken und für eindeutige Regeln sorgen, damit sie sich in einer neuen und unbekannten Situation nicht auch noch mit unsinniger Bürokratie herumschlagen müssen. Inhaltlich basiert das Abkommen im Wesentlichen auf dem OECD-Musterabkommen. Durch die Anpassung verschiedener Besteuerungssätze bei Dividenden- und Zinszahlungen ist aufgrund eines höheren Zahlungsstroms aus der Türkei nach Deutschland mit einem positiven Saldo für die Bundesrepublik zu rechnen. Die Abschaffung der Möglichkeit zur Anrechnung fiktiver, tatsächlich nicht gezahlter türkischer Steuern auf die deutsche Steuer, welche bisher bestand, dürfte ebenfalls für Mehreinnahmen im deutschen Haushalt sorgen. Weite Teile des alten Abkommens wie beispielsweise Informationspflichten für Unternehmen bleiben jedoch unverändert. Dieses Abkommen ist ein vernünftiger Schritt im Rahmen einer stetig wachsenden Beziehung binationaler Zusammenarbeit. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Steuerverweigerung ist nicht nur ein leichtes Ver--gehen, sondern unsolidarisch und eine – ich zitiere Professor Bryde, Richter des Bundesverfassungsgerichts – „Kampfansage gegen die Grundlagen der staatlichen Ordnung“. Unsere heutige globalisierte und hochindustrialisierte Welt ist von starkem internationalem Waren- und Kapitalverkehr geprägt. Dazu bedarf es dementsprechender Regelungen der Staatengemeinschaften, so auch im Steuersystem. Die Länder haben unterschied--liche Steuersysteme. Dies führt mitunter zur Steuerhinterziehung und bedeutet unter anderem für Deutschland jedes Jahr mehrere Milliarden Euro Steuereinbußen. Ich erinnere auch an die heißbegehrten Steuer-CDs. Sie sind ein Beispiel dafür, dass der Staat dringend mehr gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung unternehmen muss. Damit allerdings keine Doppelbesteuerung erfolgt, existieren zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen, kurz DBA, zwischen Deutschland und anderen Ländern. Das hier vorliegende Doppelbesteuerungs--abkommen mit der Türkei, welches sich an das OECD-Musterabkommen von 2005 und 2008 anlehnt, soll das bereits gekündigte DBA ersetzen. Noch einmal kurz zur Rolle von Doppelbesteuerungsabkommen: Einerseits ist zu verhindern, dass Staatsbürger, sofern sie in einem anderen Land arbeiten, übermäßig besteuert werden. Gleichzeitig sollen sie verhindern, dass jemand Vermögen ins Ausland schafft und somit der Besteuerung im Ursprungsland entzieht. Der Knackpunkt bei der tatsächlichen Verhinderung von Steuerumgehung ist der Informationsaustausch -zwischen den Steuerbehörden der Länder. Hier steckt der Teufel wie so oft im Detail. Selbst nach OECD--Musterabkommen erfolgt kein automatischer Informa-tionsaustausch, sondern lediglich ein Austausch auf -Ersuchen. Das heißt, zuerst muss die Steuerverwaltung einen begründeten Verdacht hegen, um dann im betreffenden Land nachfragen zu können. Das ist bürokratisch, kostet Zeit, frisst viele Ressourcen und unterstützt die Steuerumgehung. Deshalb fordert die Linke seit langem einen automatischen Informationsaustausch. Was soll nun im DBA mit der Türkei geregelt werden? Neu im Vergleich zu anderen DBA enthält dieses hier auch eine Regelung zur Verhinderung der Doppel--besteuerung von Renten. Die Politik der Bundesregierung besteht hier – unter Verweis auf den Übergang zur nachgelagerten Besteuerung – seit geraumer Zeit darin, Rentenbezüge aus Deutschland auch dann besteuern zu können, wenn sie an Empfängerinnen und Empfänger im Ausland fließen. Dieses DBA ist zwar im Vergleich zum alten DBA ein Fortschritt, aber immer noch unzureichend. Denn es wurde keine verbindliche Umsetzung von Spontanauskunft und automatischem Informationsaustausch vereinbart. Zudem wird im Wesentlichen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung das Freistellungsverfahren angewendet und nicht, wie wir fordern, das Anrechnungsverfahren. Ich frage mich auch, warum in dieses Abkommen nicht die Erbschaft- und Schenkungsteuer aufgenommen worden ist. Und ich frage mich, warum hinsichtlich des Informationsaustausches der Standard des OECD--Musterabkommens von 2005 genommen wurde und nicht der von 2008. Das alles sind triftige Gründe, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Wir werden uns daher bei diesem Gesetzentwurf aus den genannten Gründen enthalten. Zum Schluss noch etwas Allgemeines, aber sehr Wichtiges: Damit die geltenden Steuergesetze auch vernünftig umgesetzt werden können, brauchen wir eine besser ausgestattete Finanzverwaltung, die diese Arbeit tatsächlich erledigen kann. Dabei lohnt sich diese Investition auch noch. Im Falle der Betriebsprüfungen zum Beispiel trieb jeder Finanzbeamte im Jahr 2009 rund 1,4 Millionen Euro an Steuernachzahlungen ein. Das heißt: Wird bei Finanzämtern gespart und gibt es weniger Planstellen, dann geht Deutschland viel Steuergeld durch die Lappen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Türkei ist ein überaus interessanter Wirtschaftsstandort. Mit einem Volumen von rund 243 Milliarden Dollar war das BIP im ersten Quartal dieses Jahres etwa so groß wie die türkische Wirtschaft im gesamten Jahr 2003. In der Rangfolge der größten Volkswirtschaften der Welt liegt die Türkei inzwischen auf Platz 17. Umso wichtiger ist es für die beiden Länder, für Deutschland und die Türkei gleichermaßen, mit einem Doppelbesteuerungsabkommen die Steuerfragen mit dem Ziel der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von unterschiedlichen steuerlichen Regeln in beiden Ländern zu regeln. Die engen Beziehungen beider Länder, verbunden mit einer hohen Anzahl türkischer Einwanderer sowie deutscher Staatsbürger, die in der Türkei leben, erhöhen die Notwendigkeit eines funktionierenden Rahmens, der sowohl Doppelbesteuerung vermeidet als auch eine doppelte Nichtbesteuerung verhindert. Beim vorliegenden Entwurf gehen einige Änderungen gegenüber dem bisher geltenden Doppelbesteuerungsabkommen aus dem Jahr 1985 in die richtige Richtung. So steigt die Beteiligungshöhe für das Schachtelprivileg von 10 auf 25 Prozent, und die Anrechnung fiktiver Quellensteuern in der Bundesrepublik wird abgeschafft. Diese hat sich als ein wenig erfolgreiches Instrument der Entwicklungspolitik erwiesen. Außerdem war es notwendig, dass die Besteuerung von Renten geregelt wird, was mit dem Abkommen geschehen ist. Besonders vor dem Hintergrund, dass viele Gastarbeiter Rentenansprüche in der Bundesrepublik erworben haben, aber zurück in die Türkei gezogen sind oder dies planen, ist die Regelung erforderlich geworden. Das ausgehandelte Doppelbesteuerungsabkommen enthält aber auch Schwächen. Besonders kritisch ist die Absenkung der Quellensteuersätze. Bei Dividenden sinkt er von 20 auf 15 Prozent, und bei Zinsen sinkt er von 15 auf 10 Prozent. Damit liegt der Steuersatz noch unter der in der Bundesrepublik gültigen Abgeltungsteuer, was nur schwer nachvollziehbar ist. Insgesamt werden so die Möglichkeiten, die eine Quellensteuer zur Vermeidung von Steuerflucht oder Steueroptimierung bietet, nicht ausgenutzt. Da in Europa bei der Zinsrichtlinie eine 35-prozentige Quellensteuer vorgesehen ist, sind die ausgehandelten Steuersätze auch kein Zeichen für eine schnellere Integration der Türkei in die EU, sei es als Vollmitglied oder als privilegierter Partner. Hier hätten wir von der Bundesregierung mehr Weitsicht erwartet: sei es durch eine fest vereinbarte Öffnungsklausel oder noch besser durch eine Angleichung der Regelung an europäische Muster. Auch die Türkei wäre gefordert, denn auch sie will eine Annäherung an die EU erreichen, zumindest auf dem Gebiet der Wirtschaft. Deshalb könnten wir den Partner fordern. Dies ist aber seitens der Bundesregierung offensichtlich nicht geschehen. Beim Informationsaustausch zwischen beiden Staaten entspricht das neue Abkommen dem OECD-Standard, weist aber in Richtung Europa ähnliche Mängel wie die Quellenbesteuerung auf. Es sieht keinen automatischen Informationsaustausch beider Länder vor, wie er in der EU mit der Zinsrichtlinie eingeführt werden soll. Damit wurde auch hier die Möglichkeit verpasst, ein Zeichen zu setzen, dass eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU oder eine privilegierte Partnerschaft ein Stück näher rückt. Mit diesen Mängeln können wir dem Abkommen nicht zustimmen. Insgesamt ersetzt und verbessert das Doppelbesteuerungsabkommen zwar manche überkommene Regelungen aus dem DBA von 1985. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Meine Fraktion bewertet aber einige Stellen sogar als eine Verschlechterung gegenüber den alten Regelungen. Darüber hinaus vermissen wir Lösungen, die eine zügige Angleichung an die EU erlauben. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung enthalten. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9140, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8841 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine soziale Revision der Entsendericht-linie – Drucksachen 17/1770, 17/4755 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Johann Wadephul Auch hier nehmen wir, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, die Reden zu Protokoll. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Auslöser heftiger Debatten zur Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge waren das Rüffert- und das Laval-Urteil des Europäischen Gerichtshofs in den Jahren 2007 und 2008. Mit ihnen stellt der EuGH klar: Tariftreue ist ein vergabefremder Aspekt – sie verstoße gegen europäisches Recht. Bund und Länder dürfen demnach die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht an die Tarifbindung koppeln. Damit widerspricht der EuGH dem Bundesverfassungsgericht, das im Jahr 2006 in -einem Urteil gesetzliche Regelungen zur Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen als Gemeinwohlziel ansieht und das aus meiner Sicht zu Recht. Die Urteile des EuGH führten dazu, dass die Europäi-sche Kommission zu einer Überprüfung der Entsenderichtlinie aufgefordert wurde. Ein solches Anliegen teilt auch die SPD in ihrem Antrag. Grundsätzlich sind wir uns einig: Mit der Entsenderichtlinie sollen der Schutz der Arbeitnehmer vor Ausbeutung flankiert sowie Wettbewerbsverzerrungen und Sozialdumping im Binnenmarkt vermieden werden. Als ein wichtiges Instrument sind hier die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz festgesetzten branchenspezifischen Mindestlöhne zu nennen. National festgesetzte Mindestlöhne ermöglichen es, Missbrauch bei der Entsendung zu begegnen und einen Mindestschutz für entsandte Arbeitnehmer sicherzustellen. Doch wie verfahren in Branchen, in denen es keine Mindestlöhne bzw. für allgemeinverbindlich erklärte -Tarifverträge gibt? Auch wenn das Urteil des Europäischen Gerichtshofs Pflöcke einschlägt, heißt es nicht, dass uns mit der bestehenden Entsenderichtlinie die Hände gebunden sind. Neben der Möglichkeit, Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die sich verpflichten, ihren Beschäftigten mindestens branchenspezifische Mindestlöhne zu zahlen, könnte eine Vergabe öffent--licher Aufträge an einen vergabespezifischen Mindestlohn gekoppelt werden. Ein solcher findet bereits in einigen Bundesländern Anwendung. Dies stellt für mich einen gangbaren Weg dar, den wir weiter beschreiten sollten. Problematischer dürfte sich die Kontrolle gestalten, ob entsprechende tarifliche Vereinbarungen vor Ort eingehalten werden. Dies werde oftmals als Argument gegen eine Tarifbindung als Vergabekriterium angeführt. Das ist für mich nicht hinnehmbar, genauso wie es für mich nicht nachzuvollziehen ist, warum die Erhaltung sozialer Standards in der Praxis gerechtfertigt werden muss, während ökonomische Argumentationen hingegen beinahe schon einen axiomatischen Charakter haben. Daher: Wenn Regeln nicht eingehalten werden, dann müssen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass deren Einhaltung besser kontrolliert werden kann. Unternehmen, welche die Tarifbindung etwa durch Freischichten ihrer Mitarbeiter zu unterlaufen versuchen, missbrauchen das Vertrauen ihrer Arbeitnehmer. Tarif-treue ist für mich eine Selbstverständlichkeit, die einem Unternehmer gegenüber nicht begründet werden muss. Schließlich profitieren auch sie davon, wenn seine -Mitbewerber unter gleichen Voraussetzungen antreten müssen. Für wenig hilfreich halte ich die Forderung der So--zialdemokraten, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen zu öffnen. Meines Erachtens ist es sinnvoller, wenn wir zeitnah ein Gesetz für eine Lohnuntergrenze auf den Weg bringen. Eine Lohnuntergrenze kann dann auch als tariflicher Maßstab bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge herangezogen werden. Tarif-treue wäre dann nicht mehr länger ein vergabefremder Aspekt, sondern systemimmanent. Sicherlich wäre es auch wünschenswert, wie die So-zialdemokraten in ihrem Antrag fordern, Briefkastenfirmen zu unterbinden. Ob die Entsenderichtlinie hierfür das Mittel erster Wahl darstellt, möchte ich bezweifeln. Das Ziel ist gewiss lohnenswert, aber über den Weg sollten wir an anderer Stelle streiten – ebenso wie über eine von der SPD geforderte zeitliche Begrenzung der Entsendung. Abschließend möchte ich drei Punkte deutlich -machen. Erstens darf im Interesse der Arbeitnehmer eine Revision der Entsenderichtlinie keinesfalls zu einer Abschwächung bestehender Schutzstandards oder zu einer Verminderung unserer nationalen Kontrollmöglichkeiten führen. Wir werden uns daher den Entwurf einer Revision, den die EU-Kommission sicherlich in nächster Zeit vorlegen wird, sehr genau anschauen. Zweitens sollten die Bundesländer den weiteren Ausbau europarechtskonformer Tariftreuegesetze forcieren. Der vergabespezifische Mindestlohn stellt hierfür ein probates Mittel dar. Drittens zeigt die Debatte, dass eine Lohnuntergrenze für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen -vorteilhaft wäre; denn sie würde im europäischen Wettbewerb der Schmutzkonkurrenz durch Dumpinglöhne Einhalt gebieten. Daher gilt es nun, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir sind uns mit den Sozialdemokraten einig im Ziel. Wir wollen den Schutz der Arbeitnehmer vor Ausbeutung flankieren; Lohndumping ist inakzeptabel. Was die Wahl der Mittel angeht, unterscheiden wir uns jedoch punktuell. Die SPD stellt in ihren Antrag einige Forderungen, die gut gemeint sind, aber nicht zwingend an eine Revision der Entsenderichtlinie zu koppeln sind. Daher werden wir den Antrag der SPD ablehnen. Ulrich Lange (CDU/CSU): Unsere Fraktion sieht in der Entsenderichtlinie sowie dem hierzu ergangenen nationalen Arbeitnehmer-Entsendegesetz einen Schutz der Arbeitnehmer in Deutschland und Europa, da die durch die Entsenderichtlinie geltenden Mindestlöhne auch von ausländischen Dienstleistungserbringern einzuhalten sind. Und ich möchte darauf hinweisen, dass in den Art. 3 und 152 ausdrücklich die soziale Marktwirtschaft, sozialer Fortschritt und die Rolle der Sozialpartner erwähnt werden. Der Vertrag von Lissabon wertet die sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer also auf. Wie ist der Sachverhalt? Im EU-Binnenmarkt genießen Unternehmen die Freiheit, Dienstleistungen in -anderen Mitgliedstaaten zu erbringen. Das schließt die Möglichkeit ein, Arbeitnehmer vorübergehend in anderen Mitgliedstaaten einzusetzen, damit sie dort -bestimmte Projekte durchführen. Unternehmen haben so die Möglichkeit, ihre besonderen Dienstleistungen -innerhalb des gesamten EU-Binnenmarktes anzubieten, was wiederum zu größerer Effizienz und Wirtschaftswachstum beiträgt. Es ist gerade diese Freiheit des EU-Binnenmarktes, die zum wirtschaftlichen Erfolg der Mitgliedsländer führt. Insbesondere für Deutschland als Exportnation ist es von äußerster Wichtigkeit, dass wir nicht unnötig Hemmnisse innerhalb von Europa aufbauen. Unsere wirtschaftliche Stärke beruht auf unserer Exportstärke, auch von Dienstleistungen. Auch darauf sind die derzeit sprudelnden Steuereinnahmen zurück-zuführen. Und ausreichende Steuereinnahmen sind Vo-raussetzung für die sozialen Leistungen, die in Deutschland gewährt werden. Nach Feststellung der EU gibt es aber auch schwarze Schafe, die diese Freiheiten ausnutzen wollen. Durch Umgehung der Vorschriften werden die Arbeitnehmer vor allem im Baugewerbe daran gehindert, ihre vollen Rechte, zum Beispiel bei Bezahlung oder Urlaub, in -Anspruch zu nehmen. Deshalb hat die EU-Kommission nach einer Prüfung der Situation in Europa jetzt neue Regeln vorgeschlagen, um vorübergehend ins Ausland entsandte Arbeitnehmer besser zu schützen. Wenn es um den EU-Binnenmarkt geht, sind Arbeitnehmerschutz und fairer Wettbewerb zwei Seiten ein und derselben -Medaille. Studien zeigen jedoch, dass für die rund 1 Million entsandten Arbeitnehmer in der EU die Mindestarbeits- und Beschäftigungsbedingungen nicht immer eingehalten werden. Als Antwort auf diese spezielle Problematik hat die Kommission konkrete, praktische Vorschläge in eine Durchsetzungsrichtlinie gepackt, mit der die Überwachung und Einhaltung der Bestimmungen verstärkt und die Anwendung der für entsandte Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen in der Praxis verbessert werden sollen. Damit werden gleiche Ausgangsbedingungen für die betroffenen Unternehmen geschaffen und Firmen, die sich nicht an die Regeln halten, ausgeschlossen. Des-halb ist der Antrag der SPD überholt. Wie im Aus-schuss schon mehrfach angesprochen, rate ich den Kolleginnen und Kollegen der SPD zu etwas mehr Geduld. Auf der Grundlage der Evaluierung der EU müssen wir jetzt prüfen, welche Konsequenzen dies für Deutschland hat. Auch wenn Ihr Antrag von der Entwicklung überholt ist, möchte ich anmerken, dass die SPD scheinbar -Abstand nimmt von ihrer Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn und auf den von uns favorisierten Weg der tariflichen Mindestlöhne einschwenkt. Diese Einsicht begrüße ich ausdrücklich. Auch wenn Ihr Antrag für die Debatte zur Entsenderichtlinie keine -Bedeutung mehr hat, hoffe ich, dass Sie den Standpunkt der tariflichen Mindestlöhne, wie in Ihrem Antrag -beschrieben, weiterhin favorisieren. Josip Juratovic (SPD): Das Thema der Entsenderichtlinie ist in der vergangenen Woche wieder hochaktuell geworden. Die EUKommission hat zwei Vorschläge vorgestellt, um bessere Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmer zu schaffen. Nur, leider gilt hier: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Bei der Verbesserung von Arbeitsbedingungen generell, aber besonders für entsandte Arbeitnehmer beobachte ich oft das gleiche Spiel: Jeder betont in Grußworten und Sonntagsreden, dass gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne wichtig sind für ein soziales Europa. Die Umsetzung dieser Sonntagsreden an den Wochentagen funktioniert jedoch nicht, wie wir auch am Vorschlag der Kommission für eine Monti-II-Verordnung sowie an dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie sehen. Die Entsenderichtlinie war ursprünglich dazu gedacht, Lohn- und Sozialdumping in Europa zu verhindern. Es sollte ein fairer Wettbewerb in Europa entstehen, bei dem die Unternehmen um Innovation und bessere Produkte konkurrieren und sich nicht bei den Löhnen unterbieten, um möglichst günstig zu sein. Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie aber in mehreren Urteilen zu einer Maximalrichtlinie uminterpretiert, sodass nur noch niedrige Standards eingehalten werden mussten. Entsandte Arbeitnehmer sind dabei die Leidtragenden, da sie oft deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen und Löhne in Kauf nehmen müssen, als in dem Land, in das sie entsandt sind, üblich sind. Die Beispiele aus der Praxis sind zahlreich. Wir kennen alle die erschreckenden Berichte aus Zeitungen, wenn wieder einmal ein Missbrauchsfall ans Tageslicht kommt. Oft sind dies Fälle in der Bauwirtschaft, zuletzt auch beim Bau des neuen Berliner Flughafens. Irgendwelche windigen Subunternehmer ziehen in Dörfer vorzugsweise in Osteuropa und erzählen den Menschen dort etwas von guter Entlohnung in Deutschland. Hier werden die Menschen dann in überteuerten Unterkünften untergebracht, unterschreiben keinen Arbeitsvertrag, sondern eine Anmeldung als Selbstständige, und arbeiten dann oft 12 bis 13 Stunden am Tag auf der Baustelle. Häufig werden auch ihre Pässe eingezogen, und die Entlohnung erfolgt erst ganz zum Schluss, falls überhaupt, sodass die Menschen keine Chance haben, den Missbrauch anzuzeigen. Bisher wird dann in der öffentlichen Debatte darauf verwiesen, dass das schwarze Schafe bei den Arbeitgebern seien, die einen solchen Missbrauch von entsandten Arbeitnehmern betreiben. Es kann aber nicht sein, dass wir sehenden Auges einen solchen Missbrauch in unserem Land zulassen und uns dann darauf berufen, dass das nur Einzelfälle seien. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, dafür zu sorgen, dass ein solcher Missbrauch gar nicht erst geschieht! Denn jeder Mensch muss rechtlich geschützt sein vor Ausbeutung. Dazu gehört die Einführung von Beratungsbüros für entsandte Beschäftigte. Hier leisten die Gewerkschaften und insbesondere die dort angestellten mehrsprachigen Berater eine hervorragende Arbeit, indem sie die entsandten Beschäftigten über ihre Rechte aufklären und sie in Fällen des Missbrauchs unterstützen. Wir brauchen aber auch mehr Aufsicht durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit sowie eine Generalunternehmerhaftung, damit die Ketten von Subunternehmern, die oft bei Missbrauchsfällen von entsandten Arbeitnehmern involviert sind, endlich für die Arbeitnehmer zu durchschauen sind und es am Ende einen gibt, der für den Missbrauch haftet. All das reicht aber nicht aus, wenn wir nicht auch auf europäischer Ebene vorankommen. Ich habe daher bereits im Juli 2010 hier dazu gesprochen, dass eine soziale Revision der Entsenderichtlinie dringend notwendig ist. Die Entsenderichtlinie muss wieder ihre ursprünglichen Ziele erhalten, nämlich das Verhindern von Lohndumping und die Schaffung von gleichen Löhnen und gleichen Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Leider gehen die Vorschläge der Kommission teils in die falsche Richtung, teils reichen sie nicht aus. Bei der Monti-II-Verordnung ist ein System herausgekommen, das Streiks diskreditiert. Es soll zum ersten Mal ein EU-weiter Mechanismus geschaffen werden, mit dem die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, Streiks, die „das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes schwerwiegend beeinträchtigen“, an andere betroffene Mitgliedstaaten und die EU-Kommission zu melden. Zum einen ist meiner Meinung nach ziemlich unklar, was alles „das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen“ kann. Zum anderen ist unklar, was mit dieser Information dann geschehen soll. Will die Kommission dann bewerten, ob ein Streik verhältnismäßig ist? Für mich ist klar, dass das Streikrecht nicht angetastet werden darf. Die Kommission täte gut daran, die Monti-II-Verordnung zurückzunehmen und neu mit der Arbeit zu beginnen, um festzulegen, dass soziale Rechte und der Binnenmarkt zusammengehören und eben nicht, wie es in der derzeitigen Fassung der Verordnung geschieht, gegeneinander ausgespielt werden. Es darf nicht sein, dass Wirtschaftsfreiheiten und Wettbewerbsregeln über den sozialen Grundrechten stehen. Ich fordere daher die Bundesregierung auf, bei den Verhandlungen über die Verordnung eine klare Position pro Streikrecht einzunehmen! Der Richtlinienvorschlag zur besseren Durchsetzung der Entsenderichtlinie ist so, wie er derzeit vorliegt, leider ein zahnloser Tiger. In unserem Antrag, den wir heute debattieren, fordern wir eine soziale Revision der Entsenderichtlinie, damit diese Richtlinie sicheren Schutz bietet, wenn es darum geht, Lohndumping und Ausbeutung von entsandten Arbeitnehmern zu verhindern. Die Durchsetzungsrichtlinie beschränkt sich jedoch darauf, die Zusammenarbeit nationaler Behörden besser zu regeln und eine Generalunternehmerhaftung nur im Baugewerbe einzuführen. Das reicht bei weitem nicht aus, um die Richtlinie wieder ihrem ursprünglichen Ziel zuzuführen. Zudem gibt es bei der Zusammenarbeit nationaler Behörden einen Pferdefuß: Die Kontrollbefugnisse der nationalen Behörden sollen eingeschränkt werden. Wenn wir die Missbrauchsfälle sehen, die in Deutschland passieren, und wenn wir mit den Menschen sprechen, die bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll arbeiten, ist klar, dass wir mehr Kontrollen und mehr Personal brauchen, aber definitiv nicht weniger Kontrollrechte! Daher fordere ich die Bundesregierung auf, die Einschränkung der Kontrollrechte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene zu verhindern und sich für eine echte soziale Revision der Entsenderichtlinie anstatt der nun vorliegenden Durchsetzungsrichtlinie einzusetzen, damit das soziale Europa nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch unter der Woche stattfindet. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Endlich schließen wir die Debatte um den Antrag der SPD ab. Ihr wesentliches Anliegen hat sich ja vollkommen erledigt. Die schwarz-gelbe Koalition hat eine gute Regelung für die Zeitarbeit gefunden, die auch für aus dem EU-Ausland entsandte Arbeitnehmer gilt. Hieran zeigt sich einmal mehr der entscheidende Unterschied zwischen der Regierungskoalition und der Opposition. Das kann man ruhig so allgemein sagen, obwohl es sich um einen SPD-Antrag handelt, weil die Grünen ohnehin dem Ganzen zustimmen und die Linke trotz ihrer Enthaltung den Zielen ihres Antrags grundsätzlich und ausdrücklich zugestimmt hat. Der Unterschied liegt einfach darin, dass wir für Probleme angemessene Lösungen finden und Sie jedes Problem dadurch bekämpfen wollen, dass Sie hektisch ein größeres Problem schaffen. Mein Kollege Heinrich Kolb hat es Ihnen in der ersten Lesung im Juli 2010 schon gesagt, und ich muss es noch einmal wiederholen: Es ist nicht der Fall, dass das soziale Europa durch die wirtschaftlichen Grundfreiheiten bedroht sei oder an den Rand gedrängt würde. Und es wäre falsch, vermeintlichen sozialen Schutz durch blanken Protektionismus schaffen zu wollen. Genau das möchte ich heute gerne noch einmal thematisieren. Denn was einen doch ziemlich stören muss, ist der gesamte Ton, den Sie, liebe Opposition, im Vorfeld der Arbeitnehmerfreizügigkeit für unsere östlichen Partner angeschlagen haben. Erst einmal möchte ich zum Abschluss der Debatte festhalten, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit eine wichtige Errungenschaft, ja eine wichtige Freiheit ist, die wir alle durch die Europäische Union erhalten haben. Das ist die entscheidende Botschaft. Besonders ärgerlich finde ich es da, wenn zum Beispiel Sie, liebe Frau Pothmer, sich im November 2010 vor allem mit der Warnung vor einer osteuropäischen Billigkonkurrenz zitieren ließen. Und in der Plenardebatte im Juli 2010 sprachen Sie von „Sendboten des Lohndumpings“. Ich muss sagen, diese arbeitsmarktpolitische Deutschtümelei von Ihnen habe ich damals für völlig unangebracht gehalten und halte ich auch nach wie vor für vollkommen unangebracht. So jedenfalls schafft man keine Willkommenskultur. Leider ist dies bei SPD und Linkspartei keinesfalls besser gewesen. Sie beide haben das in diversen Vorlagen deutlich gemacht. Nicht umsonst hat die Zeitung „Das Parlament“ – sozusagen unsere Hauszeitung, liebe Kolleginnen und Kollegen – in ihrer Ausgabe vom 26. April 2011 festgehalten, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit bei den Abgeordneten aller Oppositionsparteien vor allem ein „mulmiges Gefühl“ hinterlassen würde. Schön, dass wir aus heutiger Sicht festhalten können, dass sich die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen nicht durch diese Bauchschmerzen haben kirre machen lassen. Mit anderen Worten: Sie sind heute klüger, wir waren es schon damals. Letztes Jahr schon hat das IAB einen Kurzbericht vorgelegt. Und da heißt es: „Die Zuwanderung aus den EU-8-Ländern ist nach den Angaben des Ausländerzentralregisters seit Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit nur moderat gestiegen.“ Es ist also das Gegenteil von dem passiert, was Sie immer behauptet haben. Dagegen hat das IAB festgestellt, dass seither die Beschäftigung aus den EU-8-Ländern deutlich stärker zugenommen hat als die Zuwanderung. Das heißt, dass eine Menge Menschen, die ohnehin schon bei uns waren, nun eine Arbeit aufgenommen haben oder auch aus einer Selbstständigkeit heraus eine Beschäftigung begonnen haben. Übrigens haben die Forscher aus Nürnberg nicht nur festgestellt, dass das von vielen an die Wand gemalte Horrorszenario reiner Unfug gewesen ist, sondern, dass vielleicht sogar eine andere Politik hätte eingeschlagen werden müssen. Man hätte nicht unbedingt die volle Frist bei der Abschottung des deutschen Arbeitsmarkts ausnutzen müssen. Das IAB jedenfalls meint: „Angesichts des vergleichsweise hohen Qualifikationsniveaus der jungen Kohorten aus den EU-8-Staaten ist die geringe Zuwanderung aus diesen Ländern vermutlich ein erheblicher Verlust für die deutsche Volkswirtschaft.“ Aber gut, inzwischen ist ja eigentlich jedem klar, dass Deutschland mehr gesteuerte Zuwanderung braucht, um hochqualifizierte Fachkräfte ins Land zu locken. Ich bin glücklich, dass meine Partei bei der Diskussion um die Arbeitnehmerfreizügigkeit schon einmal ein gutes Beispiel abgegeben und die Willkommenskultur gemehrt hat. Die aktuellen Beschlüsse zur Bluecard begrüße ich deswegen ausdrücklich. Sie sind der Einstieg in ein bedarfsabhängig gesteuertes Zuwanderungssystem. Das ist auch allemal wichtiger als Ihr Antrag, liebe SPD, den wir guten Gewissens ablehnen werden. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Bei der Entsenderichtlinie geht es an ganz zentraler Stelle um die Rechte der europäischen Beschäftigten: Die Entsendung von Beschäftigten über Grenzen hinweg birgt die Gefahr von Lohndumping, wenn Beschäftigte nach den Löhnen des Herkunftslandes bezahlt werden und nach den dortigen Arbeitsbedingungen hier arbeiten. Am Beispiel des Möbelriesen Ikea lässt sich das wunderbar darstellen: In dessen Europalager in Dortmund wurde der Fall einer litauischen Logistikfirma bekannt. Ihre Beschäftigten machen die Nachtschicht auf Werkvertragsbasis für 6,50 Euro die Stunde. Ikea spart sich so die Nachtarbeitszuschläge und die höheren Tariflöhne, die regulär laut deutschem Tarifvertrag fällig wären. Das könnte von der Bundesregierung eingedämmt werden: zum einen durch die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit unserer Tarifverträge und zum anderen durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde. Es ist schlicht unglaublich, dass Schwarz-Gelb hier beharrlich blockiert. Entsendete Beschäftigte brauchen zudem eine gute Beratung. Nur so können sie ihre Rechte auch einfordern. Viele Beschäftigte, gerade aus Osteuropa, werden zu gnadenlosem Lohndumping missbraucht. Es gibt Arbeitgeber, die sie systematisch um ihre Rechte und ihre Löhne betrügen. Bisher werden diese Beschäftigten allein vom Deutschen Gewerkschaftsbund beraten. Dieses DGB-Projekt wird aber nur für drei Jahre gefördert – was ist dann? Unternehmen aus anderen EU-Ländern, die hier Dienstleistungen anbieten wollen, bekommen schon seit Jahren eine großzügige, dauerhafte Beratungsinfrastruktur zur Verfügung gestellt. Warum haben das die Beschäftigten nicht? Beratung für entsandte Beschäftigte braucht es flächendeckend und auf Dauer. Das ist doch sonnenklar! Die Linke setzt darüber hinaus auf eine Revision der Entsenderichtlinie. Wir wollen, dass das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ auch in der Europäischen Union volle Gültigkeit erlangt. Dadurch kann Lohndumping zulasten der Beschäftigten wirkungsvoll verhindert werden. Es darf Arbeitgebern nicht länger erlaubt sein, Beschäftigte zu den Bedingungen ihres Herkunftslandes zu entsenden, und es darf auch nicht sein, dass für entsandte Beschäftigte nur die absoluten Minimalbedingungen gelten. Schließlich muss verhindert werden, dass die Entsenderichtlinie Streikrecht und Tarifverträge aushebelt. Die Entsenderichtlinie definiert den Mindeststandard – weitergehende Regelungen auf nationaler Ebene, die für die Beschäftigten günstiger sind, müssen möglich sein. Darüber hinaus ist auch eine Änderung der EU-Verträge nötig, um zu verhindern, dass soziale Grundrechte mit Verweis auf die Binnenmarktfreiheiten ausgehebelt werden. Soziale Grundrechte müssen durch eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen einen klaren Vorrang vor den Freiheiten der Unternehmen bekommen. Es greift zu kurz, wenn die SPD fordert, soziale Grundrechte sollen nur gleichrangig neben den Unternehmensfreiheiten stehen. Das sieht man am aktuellen Beispiel der Monti-II-Verordnung. In dem letzte Woche von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag wird das Streikrecht nach dem Gleichrangigkeitsprinzip wie folgt geregelt: Streiks sollen demnach nur gestattet sein, wenn sie verhältnismäßig sind. Arbeitgeber könnten dies in Zukunft bei Gericht prüfen lassen. Gewerkschaften müssten künftig bei Streikaktionen mit dem Risiko von Schadenersatzforderungen rechnen, die ihre Existenz bedrohen. Wir lehnen das ab. Ich frage Sie: Wird künftig das Grundrecht auf Unternehmensfreiheit auch anfechtbar? Wird in Zukunft das Verhalten eines Unternehmens in Europa per Gericht auf Verhältnismäßigkeit geprüft und im Zweifelsfall eingeschränkt? Nein, ich fürchte, das wird es nicht geben. Die sogenannte Gleichrangigkeit ist daher in Wahrheit eine massive Einschränkung des Streikrechts von Beschäftigten und Gewerkschaften. Um dies zu verhindern, braucht es eben den Vorrang von sozialen Grundrechten. Dieser Vorrang fehlt leider im Antrag der SPD. Die Linke sagt hingegen: Soziale Grundrechte müssen Vorrang haben. Wir machen eine klare Politik: Menschen vor Profite! Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur ein soziales Europa schafft Vertrauen. Aber genau dieser notwendige soziale Aspekt von Europa wurde durch eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zu den Regelungen in der 1996 beschlossenen Entsenderichtlinie infrage gestellt. Der EuGH hat in den Rechtssachen Viking, Laval und Rüffert einen Vorrang der Dienstleistungsfreiheit vor einschlägigen Bestimmungen zu den Arbeitsbedingungen im Gaststaat erkannt. Die Interpretation, dass die Entsenderichtlinie Maximalstandards anstelle von Minimalstandards enthält und eine Unterordnung sozialer Kriterien unter wirtschaftliche Freiheiten, können wir nicht akzeptieren. Streikrecht, Tarifautonomie und Arbeitnehmerschutz müssen gewahrt bleiben und dürfen nicht gegen andere Freiheiten abgewogen werden. Wir fordern daher – wie die Gewerkschaften in Europa auch – eine soziale Fortschrittsklausel und eine Überarbeitung der Entsenderichtlinie. Am vergangenen Mittwoch hat nun die Europäische Kommission mit dem Entsendepaket zwei Vorschläge öffentlich gemacht, wie die angemahnte soziale Dimension in Europa gestärkt werden soll. Das Ergebnis ist aber enttäuschend und bleibt hinter den Erwartungen zurück. Kommissionspräsident Barroso hatte dem Parlament im Vorfeld seiner Wiederwahl versprochen, dass er die Probleme beheben wird, die mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen der Entsenderichtlinie entstanden sind. Die vorliegenden Vorschläge aber sind genau das Gegenteil, denn bereits jetzt werden zwei neue Angriffe auf die sozialen Rechte der Beschäftigten offenkundig. Erstens. Die sogenannte Monti-II-Verordnung sollte eigentlich das Streikrecht wahren und nationale Rechtsvorschriften unberührt lassen. Fakt ist aber, dass das Streikrecht gegen wirtschaftliche Freiheiten abgewogen werden soll. Eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen einem sozialen Grundrecht und wirtschaftlichen Interessen darf und kann es nicht geben. Damit würde das Streikrecht infrage gestellt und in der Folge die Rechte der Beschäftigten geschwächt. Ein soziales Europa geht anders. Zweitens. Der Vorschlag zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie listet eine Reihe von Kontrollmaßnahmen auf, die die Mitgliedstaaten durchführen können, um die Einhaltung von Arbeits- und Entlohnungsstandards zu gewährleisten. Darüber hinausgehende Maßnahmen – und hier liegt das Problem – sollen nicht mehr möglich sein. Für Deutschland bedeutet das konkret: Die Kontrollbefugnisse der nationalen Behörden würden eingeschränkt. Die bewährte Kontrolle des Zolls vor Ort in den Betrieben wäre in dieser Form nicht mehr möglich. Der Kampf gegen Schwarzarbeit und Lohndumping muss aber gestärkt werden und darf nicht ans Gängelband europäischer Regelungen genommen werden. Die Bundesregierung ist also aufgefordert, sich in den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene und im Rat vehement für Veränderungen einzusetzen und Einschnitte beim Streikrecht und bei den nationalen Kon-trollbefugnissen zu verhindern. Sie darf nicht zulassen, dass weitere nationale Standards infrage gestellt werden. Sie muss bei den Verhandlungen in Brüssel einen klaren Kurs zur Bewahrung und Stärkung der Arbeitnehmerrechte vertreten. Denn das deutsche Sozialmodell ist ein hohes Gut, das es zu bewahren und auszubauen gilt, anstatt sinnvolle Regelungen über Bord zu werfen. Die Bundesregierung muss aber auch zu Hause ihre Hausaufgaben erledigen. Es muss endlich eine Mindestlohnregelung auf den Tisch. Wir brauchen Vereinfachungen im Verfahren für mehr branchenspezifische Mindestlöhne und für mehr allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge. Die nationale Kontrollbehörde, Finanzkontrolle „Schwarzarbeit“, muss personell und mate-riell gestärkt werden. Das Prinzip von gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Beschäftigungsort muss effektiv umgesetzt werden. Die in Deutschland geltenden und unter den Tarifparteien ausgehandelten Mindestarbeitsbedingungen in Bezug auf Ruhezeiten, Urlaubstage, Arbeitsschutzvorschriften dürfen durch die Anwendung der Entsenderichtlinie nicht unterlaufen werden. Viele berechtigte Forderungen, die wir Grünen im Bereich der Arbeitnehmerrechte haben, sind im vorliegenden Antrag der SPD aufgegriffen. Sie sind auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen nach wie vor gültig und wichtig. Wir werden dem Antrag daher zustimmen; denn nur ein soziales Europa schafft Vertrauen und Gerechtigkeit. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4755, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1770 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe KOM(2011) 897 endg.; Ratsdok. 18960/11 – Drucksachen 17/8515 Nr. A.36, 17/9069 – Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Nink Auch hier nehmen wir die Reden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, zu Protokoll. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): „Und wöchentlich grüßt die Konzessionsrichtlinie“ – so könnte man in Abwandlung des mittlerweile fast zum Klassiker gewordenen Filmtitels „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bei dem heute wieder einmal vorliegenden Tagesordnungspunkt sagen. Dabei sind alle Argumente, vor allem die gegen den Richtlinienentwurf, längst ausgetauscht und bekannt, die Frontlinie gegen den Vorschlag steht auf nationaler wie auf europäischer Ebene wie selten in großer, überparteilicher Einigkeit – mit einer kleinen Ausnahme: Das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium und damit leider auch unser Koalitionspartner, die FDP-Bundestagsfraktion, können sich mit der breiten Mehrheitsmeinung im Deutschen Bundestag, im Bundesrat, ja auch im Europäischen Parlament sowie bei allen kommunalen Spitzenverbänden und sämtlichen kommunalen Wirtschaftsverbänden nicht anfreunden und zeigen sich dem Vorschlag der EU-Kommission gegenüber zumindest offen, wenn nicht gar -hörig. Das hat unsere Debatte um einen Entschließungsantrag zu dem Richtlinienentwurf einer EU-weiten Konzessionsvergabe deutlich gezeigt – bedauerlicherweise. Die von der SPD als Antrag vorgelegte Subsidiaritätsrüge hätte ich inhaltlich – das muss ich deutlich -sagen – gerne unterstützt; ebenso im Inhalt den Antrag der Grünen, die Bundesregierung dazu anzuhalten, die Richtlinie im Rahmen ihrer Verhandlungen in Brüssel zu kippen. Mittlerweile hat der Bundesrat am 2. März 2012 eine Subsidiaritätsrüge nach Art. 6 des Protokolls Nr. 2 des Vertrags von Lissabon beschlossen. Ich glaube, da sitzen auch noch einige Länderkollegen aus der FDP mit drin. Warum sehen die das offenbar anders als die Kollegen in ihrer Bundestagsfraktion? Mit Rücksicht auf unseren Koalitionspartner haben wir im Wirtschaftsausschuss den ursprünglich von CDU/CSU formulierten, Ihnen in der Drucksache 17/9069 vorliegenden, von den FDP-Kollegen aber deutlich abgeschwächten Entschließungsantrag angenommen, in dem die Bundesregierung im Ergebnis lediglich „ersucht“ wird, „bei ihren Verhandlungen im Europäischen Rat darauf hinzuwirken, dass in dem Richtlinien-Vorschlag zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen den besonderen Belangen insbesondere der Wasserversorgung ... Rechnung getragen wird.“ Allerdings hat die Wasserwirtschaft „besondere Belange“. Wenn es um so sensible und lebensnotwendige Bereiche wie die Trinkwasserversorgung, die Abwasser-entsorgung oder auch die Rettungsdienste geht, dann ist bei mir die Diskussion um die Frage einer EU-weiten Ausschreibung schnell beendet. Die im internationalen Vergleich qualitativ herausragende Trinkwasserversorgung in Deutschland ist das beste Beispiel, dass im Sinne des Subsidiaritätsprinzips auf kommunaler Ebene ein nicht nur funktionsfähiges, sondern ausgezeichnetes Versorgungssystem aufrecht-erhalten wird – auch ohne Vorschriften aus Brüssel. -Vordergründig argumentiert die Kommission, mehr Transparenz und Wettbewerb auf den öffentlichen Beschaffungsmärkten herstellen, den Binnenmarkt vorantreiben und mehr Rechtssicherheit schaffen zu wollen. Die FDP-Kollegen lesen in der Begründung der Kommission nur „mehr Wettbewerb“ und schreien Hurra. Ist mehr künstlich erzeugter Wettbewerb aber immer ein Hurra? Ich bezweifele das: Nehmen wir doch die geplante Verschärfung des Vergaberechts im Bereich der Trinkwasserversorgung her: Eine EU-weite Ausschreibungspflicht sorgt eben nicht für mehr Transparenz, sondern für mehr Bürokratie, weil höherer Verwaltungsaufwand, und damit für höhere Kosten für die Verbraucher. Und nicht nur das: Die europaweit führende Trinkwasserqualität in Deutschland wird doch nicht gerade dadurch gesichert, dass ein griechisches Wasserunternehmen den Zuschlag für die Wasserversorgung zum Beispiel in Freiburg, in St. Peter-Ording, in Wismar oder in Leverkusen erhält und dann von Athen aus die Trinkwasserqualitätskriterien in Deutschland überwachen soll. Meinen Sie, das funktioniert in allen Fällen so gut wie bisher? Gerade bei der Wasserversorgung kann man doch nicht von grenzüberschreitendem Dienstleistungsverkehr sprechen! Gerade weil unsere Kommunen die Gestaltungshoheit über die Trinkwasserversorgung für ihre Einwohner vor Ort haben und damit im Sinne einer besonderen Fürsorgepflicht für „ihre“ Bürger besonders auf ein Topniveau des Trinkwassers achten, haben wir in Deutschland einen europaweit führenden Qualitätsstandard des Trinkwassers. Wollen wir dieses über Jahrzehnte erarbeitete Topniveau wegen dieser fadenscheinigen Argumente der EU-Kommission wieder aufgeben? Ebenso bei Rettungsdienstleistungen: Sollen denn Rotes Kreuz, Johanniter, Malteser, Arbeiter-Samariter-Bund oder die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft ihre Rettungsdienstleistungen und ihre Alten- und Behindertentransporte an einen rumänischen Bewerber abgeben, der nach den Vergabekriterien den Zuschlag erhalten hat? Dann haben Sie Ihren totalen Wettbewerb, werte Freunde der FDP. Hurra? Ich weiß nicht … Der jetzt vorliegende Richtlinienvorschlag ist aus mehreren Gründen überflüssig, ja kontraproduktiv für uns alle. Mit einem solchen Rechtsakt würde der Gestaltungsspielraum unserer Kommunen – auch wenn von der Kommission anders behauptet – erheblich eingeschränkt. Dienstleistungskonzessionen haben – wie die Grünen in ihrem Antrag richtig schreiben – lange Laufzeiten. Das liegt in der Natur der Sache. Die Laufzeiten der Konzession können die Konzessionsgeber, also die Kommunen, mit dem Konzessionsnehmer nach geltendem Recht vertraglich frei bestimmen. Mit der vorgelegten Richtlinie wäre damit Schluss. Es würden bestimmte Laufzeiten EU-rechtlich festgelegt. Erschwerend kommt hinzu: Im Rahmen eines solchen EU-weiten Vergabeverfahrens könnten alle sich benachteiligt fühlenden Mitbewerber aus dem EU-Raum gegen die Vergabe dieser oder jener Konzession klagen. Damit könnte eine Flut von Klagefällen auf die Vergabekammern und auf unsere Städte und Gemeinden zukommen. Die Dienstleistungskonzessionen wären also faktisch vollständig dem Vergaberecht unterworfen. Unsere Kommunen wären damit an enge Ketten gelegt – und das bei so unverzichtbaren Aufgaben wie der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung oder bei so fundamentalen Gesundheitsdienstleistungen wie Rettungsdiensten. Das ist und bleibt falsch und wäre nicht nur in meinen Augen unverantwortlich. In der Begründung der von der SPD vor kurzem vorgelegten Subsidiaritätsrüge erkennt die Fraktion „das Bestreben der Kommunen an, effiziente, kundenorientierte und wettbewerbsfähige kommunale Unternehmen und Einrichtungen zu betreiben“. Da kommunale Unternehmen an das Örtlichkeitsprinzip gebunden sind, sind sie tatsächlich in ihrer Existenz gefährdet, wenn finanzstarke Unternehmen oder Investoren aus dem EU-Ausland die ausschreibungspflichtigen Konzessionen übernehmen und das örtliche Unternehmen die Konzession verlieren würde. Das kann uns doch nicht egal sein! Es geht mir nicht um patriotischen Protektionismus unserer kommunalen Unternehmen oder um Rekommunalisierung als Prinzip, wie es von linker Seite gerne betrieben wird, sondern um die Aufrechterhaltung unserer fundamentalen Grundgüterversorgung. Das ist die Basis, auf der unsere Diskussion fußen sollte; die meisten Fraktionen haben das ja auch erkannt. Eine Subsidiaritätsrüge des Deutschen Bundestages hätte hier noch ein weiteres, wichtiges Ausrufezeichen gesetzt. Aber liberale Kräfte haben daraus ein Fragezeichen geformt. Schade. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat nachvollziehbarerweise bislang auf sekundärrechtliche Regelungen der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen verzichtet. Wieder verweise ich an dieser Stelle auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH: Danach gelten im Vergaberecht schon jetzt die aus den Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der EU abzuleitenden primärrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz. Ein besonderer Regelungsbedarf für Dienstleistungskonzessionen ist nach dem EuGH also nicht erforderlich. Dazu darf ich aus dem Urteil des Gerichts vom 10. März 2011 zitieren. Hier heißt es: „Es ist hinzuzufügen, dass Verträge über Dienst-leistungskonzessionen beim gegenwärtigen Stand des -Unionsrechts zwar von keiner der Richtlinien erfasst werden, mit denen der Unionsgesetzgeber das öffentliche Auftragswesen geregelt hat, die öffentlichen Stellen, die solche Verträge schließen, aber gleichwohl verpflichtet sind, die Grundregeln des AEU-Vertrags, insbesondere die Art. 49 AEUV und 56 AEUV, sowie die daraus fließende Transparenzpflicht zu beachten, wenn … an dem betreffenden Vertrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht.“ Gegen einen wie jetzt vorgelegten Rechtsakt spricht sich auch das Europäische Parlament unter anderem in seinem am 18. Mai 2010 beschlossenen Initiativbericht zum Vergaberecht, dem sogenannten Rühle-Bericht, aus. Vielmehr sollten die Kommunen nach Auffassung des Europäischen Parlaments nach Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung des EuGH zusammenarbeiten. So auch der Bundesrat, der in seinem Beschluss vom 12. Februar 2010 an die Kommission appelliert – ich zitiere –, „den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, Regionen und lokalen Gebietseinheiten nicht durch legislative Eingriffe einzuschränken“, was „insbesondere auf Dienstleistungskonzessionen gerichtete Regulierungsbestrebungen der Kommission“ gemünzt ist. Diese Haltung hat der Bundesrat in seinem Beschluss vom 11. Februar 2011 bekräftigt. Hier hat der Bundesrat mit Blick auf Art. 14 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU besonders auf das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen verwiesen. Ich zitiere: „Im Vertrag von Lissabon wird das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen anerkannt. Vor allem im Interesse der Kommunen ist daher darauf zu achten, dass die EU ihre Regelungskompetenz betreffend Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nicht zu Steuerungszwecken einsetzt und versucht, für den sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge eigene Qualitäts- und Sozialstandards einzuführen. Die Daseinsvorsorge muss im Entscheidungsbereich der Mitgliedstaaten und dort insbesondere der Kommunen verbleiben. Nur so kann auch dem Subsidiaritätsgedanken Rechnung getragen werden.“ Die schon genannte, jüngst am 2. März 2012 beschlossene Subsidiaritätsrüge des Bundesrates spricht in diesem Sinne für sich. Ich hatte mich zu diesem Thema in den letzten Monaten, ja Jahren, bereits mehrfach an die Bundesregierung gewandt, bevor die Kommission dann doch einen Richtlinienentwurf auf den Tisch gelegt hat. In ihren Antworten haben mir der frühere Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, sein Nachfolger Dr. Philipp Rösler und der zuständige Staatssekretär Dr. Bernhard Heitzer immer wieder versichert, dass der Gestaltungsspielraum der Kommunen auch mit einer solchen Richtlinie erhalten bleibe, denn die Kommunen könnten ja weiterhin selbst darüber entscheiden, ob sie Leistungen der -Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung selbst erbringen oder Dritte – natürlich unter Beachtung des Vergaberechts – damit beauftragen. So hat auch EUKommissar Michel Barnier mir gegenüber geantwortet – um dann doch einen Richtlinienvorschlag vorzulegen. Was können wir nationale Parlamentarier dann also tun, wenn der Entwurf dann doch vorliegt? Ein von mir initiierter und von CDU/CSU intern so beschlossener Entschließungsantrag hatte auch den Auftrag an die Bundesregierung, die Richtlinie in Brüssel ganz zu verhindern oder wenigstens Ausnahmeregelungen für so sensible Bereiche wie die Wasserversorgung oder Rettungsdienste zu schaffen. Was aus unserem Antragsentwurf geworden ist, können Sie in der Beschlussempfehlung und in dem Bericht, die wir heute als Drucksache 17/9069 debattieren, nachlesen. Das ist politisch enttäuschend und in der Sache fahrlässig, wenn nicht gefährlich. Wenn sich Teile einer kleinen Fraktion und eine Reihe von Ministerialbeamten gegen den „Rest“ des Parlaments, gegen die Länder, gegen die Kommunen, gegen die kommunalen Spitzen- und Wirtschaftsverbände, gegen die Mehrheit des Europäischen Parlaments und gegen die Intentionen der bisherigen Rechtsprechung stellen, dann müssen sich unsere Freunde von der FDP schon deutlicher erklären als bisher. Manfred Nink (SPD): Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Konzessionsrichtlinie steht heute ein weiteres Mal auf der Tagesordnung des Bundestages. Die geplante Richtlinie ist vor allem für unsere Städte, Kreise und Gemeinden von großer Bedeutung, denn sie ist in erster -Linie ein Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung. Das hat meine Fraktion bereits vor vier Wochen mit dem Antrag einer Subsidiaritätsrüge im Bundestag zum Ausdruck gebracht. Die SPD hat sich damit für die Kommunen und die kommunalen Unternehmen stark -gemacht. Sehr geehrte Damen und Herren von CDU, CSU und FDP, nur aus Koalitionsdisziplin haben Sie unseren -Antrag abgelehnt. Das hat der Kollege Nüßlein in der Debatte am 1. März mit seiner Rede, die er zu Protokoll gegeben hat, sehr deutlich gemacht. Kollege Nüßlein, ich danke Ihnen für diese offenen Worte über den aktuellen Gemütszustand der Koalition. Immerhin konnten Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sich im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu einem Entschließungsantrag durchringen, der Teil der Beschlussempfehlung des Ausschusses ist. Mit diesem bleiben Sie aber hinter den Forderungen der Opposition zurück. Anders als wir haben Sie keine grundsätzlichen Probleme damit, dass eine solche Konzessionsrichtlinie kommen soll. So schreiben Union und FDP in ihrem Entschließungsantrag wörtlich: „Ordnungspolitisch ist es sinnvoll, Konzessionen aufgrund ihres wirtschaftlichen -Potentials in einem transparenten und von Wettbewerb geprägten Markt zu vergeben. Ob die von der Europäischen Kommission anvisierten Ziele mit dem vorgelegten Richtlinienentwurf erreicht werden können, bedarf einer eingehenden Prüfung und Diskussion.“ Lassen Sie uns diese Diskussion gerne führen. Die Aushöhlung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und der Versuch, die Wasserwirtschaft in Europa durch die Hintertür zu liberalisieren, waren bereits Teil der Kritik der Subsidiaritätsrüge der SPD. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt insbesondere einen Gesetz-gebungsakt im Bereich der Dienstleistungskonzessionen ab. Diese sind durch die Prinzipien des Primärrechts und die gültige Rechtsprechung ausreichend geregelt. Die Argumente der SPD und der anderen Oppositionsparteien in diesem Bereich sollten hinlänglich bekannt sein. Ich möchte mich hier deshalb nicht wiederholen, sondern lieber auf weitere wichtige Kritikpunkte am Richtlinienentwurf hinweisen. Die Europäische Kommission hat als Ziel formuliert, mehr Rechtssicherheit mit dieser Richtlinie schaffen zu wollen. Ich habe meine Zweifel, dass das gelingen kann. Der Kommissionsvorschlag ist sehr komplex. Er ist zu komplex, geht zu weit und ist in Teilen auch ungenau. Meine Kritik bezieht sich dabei unter anderem auf die Laufzeitregelung, aber vor allem auch auf den gesamten Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit und der Inhouse-Vergabe. Hier müsste die Kommission viel deutlicher machen, dass solche Fälle von der Richtlinie nicht erfasst werden. Es darf hier nicht zu einer Verschärfung kommen, die die Handlungsmöglichkeiten der öffent-lichen Stellen weiter einschränken würde. Wir Sozial-demokraten wollen im Gegenteil die interkommunale Zusammenarbeit stärken und halten das auch mit Blick auf unsere bestehenden deutschen Strukturen für den richtigen Weg. Weitere Ziele, die die Europäische Kommission mit dieser Richtlinie verfolgt, sollen eine Vereinfachung des Vergaberechts und größere Transparenz sein. Der -geplante massive Aufbau von Bürokratie muss dabei -unweigerlich auf Kritik stoßen. Die Europäische Kommission fordert stets und ständig den Abbau von Bürokratie. Mit ihrem Vorschlag bezweckt sie jedoch genau das Gegenteil. Die Bekämpfung von Korruption im -Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ist ein wichtiges Ziel. Und auch die Herstellung von Transparenz ist wichtig. Aber Meldungen, Statistiken und Berichte sind sicherlich nicht Teil eines Bürokratieabbauprogramms. Weder für die öffentlichen Auftraggeber noch für die Auftragnehmer wird das Verfahren dadurch erleichtert. Das passt also hinten und vorne nicht zusammen. Diskussionswürdig ist aus meiner Sicht außerdem die Frage der Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie. Im Entschließungsantrag von CDU/CSU und FDP heißt es – ich zitiere –: „Die strukturellen Auswirkungen der Richtlinie auf bestimmte Bereiche staat-lichen Handels und einzelne Branchen, darunter ins-besondere auch auf die Wasserversorgung, sind zu bedenken.“ Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, muss die Forderung nicht vielmehr lauten, die Wasserwirtschaft vom Anwendungsbereich der Richtlinie gänzlich auszunehmen? Das wäre meiner Meinung nach eine konsequentere Haltung und eine Forderung mit Sub-stanz. Warum trauen Sie sich nicht, die Bundesregierung mit dieser eindeutigen Position des Bundestages zu den Verhandlungen nach Brüssel zu schicken? Das müssen Sie erklären. Und wo wir schon bei Ausnahmen für einzelne Branchen sind, möchte ich einen weiteren Bereich nennen, der unbedingt in den Ausnahmekatalog gehört: die Rettungsdienste. Die Organisation des Rettungsdienstes ist Ländersache. Und da ist der Rettungsdienst gut aufgehoben. Wir brauchen keine Ausschreibungspflichten für Dienstleistungskonzessionen in diesem Bereich. Es geht um die innere Sicherheit und den Katastrophenschutz. Eine Kommerzialisierung ist der falsche Weg. Kostendrückerei zulasten der Qualität können wir uns hier nicht erlauben. Es sind die vielen ehrenamtlichen Kräfte, die durch ihr unermüdliches Engagement die hohe Qualität der Rettungsdienste vor Ort sichern. Die wichtige Stütze des Ehrenamtes wäre mit der Richtlinie infrage gestellt. Ein System, das dem Ehrenamt vertraut und ihm eine breite Anerkennung in der Bevölkerung verleiht, würde kaputtgemacht. Das alles sind Punkte, an denen die Bundesregierung dringend Nachbesserungen und Ausnahmeregelungen in Brüssel durchsetzen muss, wenn sie sich nicht in der Lage sieht, die Konzessionsrichtlinie komplett abzulehnen und zu verhindern. An dieser Stelle muss ich mich dann doch wiederholen: Die SPD-Bundestagsfraktion sieht durch die Richtlinie die Prinzipen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit verletzt. Insbesondere die Regelungen zur Ausschreibungspflicht für Dienstleistungskonzessionen sind vollkommen unnötig und ein Angriff auf das Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen durch eine Richtlinie der EU zu regeln. Das sehen nicht nur wir so. Es gibt eine breite Front gegen diese Richtlinie: von den Kommunalverbänden aus Deutschland, Frankreich und Österreich über den DGB bis hin zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Und auch der Bundesrat und das Europäische Parlament haben diese Richtlinie abgelehnt. Ich will hier nur mal das Europäische Parlament zitieren, das erklärt, „dass ein Vorschlag für einen Rechtsakt über Dienstleistungskonzessionen nur dann gerechtfertigt wäre, wenn durch ihn etwaige Verzerrungen beim Funktionieren des Binnenmarkts -abgestellt würden“. Da diese bisher noch nicht fest-gestellt worden seien, sei ein Rechtsakt über Dienstleistungskonzessionen folglich auch nicht notwendig. Und viele Kolleginnen und Kollegen der Union sehen das doch genauso, wenn sie ehrlich sind. Das war schon eine interessante Beratung im Wirtschaftsausschuss. In der ersten Version des Entschließungsantrags hatte die Koalition die Bundesregierung noch aufgefordert, „bei ihren Verhandlungen im Europäischen Rat darauf hinzuwirken, dem Richtlinien-Vorschlag zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen keine Abstimmungsmehrheit zu verschaffen bzw. zumindest darauf hinzuwirken, dass der sensible Bereich der Wasserversorgung aus -einer solchen Regelung ausgenommen bleibt.“ Dem hätten wir gerne zugestimmt. Doch leider haben Sie diesen Antrag zurückgezogen und in der neuen Version ihres Entschließungsantrags auf die Ablehnung des Richt-linienvorschlags verzichtet. Wenn die Union da nicht schon wieder einmal vor der FDP und ihrem Wirtschaftsminister eingeknickt ist! Energie-, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind grundlegende Aufgaben der Daseinsvorsorge. Die Koalition weist in ihrem Antrag im Ausschuss zu Recht darauf hin, „dass der hohe und europaweit führende Qualitätsstandard des Trinkwassers in Deutschland letztlich auf die von den Kommunen verantwortete Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zurückzuführen“ ist. Bei einer europaweiten Ausschreibung sei zu befürchten, „dass die Qualität dieser Versorgung zum Nachteil der Verbraucher signifikant sinkt“. Trotz dieser Analyse verlangt die Koalition jetzt nur noch, „dass in dem Richtlinien-Vorschlag den besonderen Belangen, insbesondere der Wasserversorgung Rechnung getragen“ werden soll. Das ist vor dem Hintergrund, dass es um elementaren Belange geht gelinde gesagt eine armselige Formulierung. Tatsache ist, dass die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen durch das bestehende Primärrecht der EU und die ständige Rechtsprechung des Europäischen -Gerichtshofes hinreichend rechtssicher geregelt ist. Es ist nicht angemessen, mit dieser Richtlinie die Gestaltungsspielräume der Kommunen einzuschränken und im Bereich der Daseinsvorsorge eine Dienstleistungskonzessionspflicht einzuführen. Ich freue mich, dass dies alle Oppositionsfraktionen so sehen und wir einen -gemeinsamen Antrag in den Ausschuss dazu einreichen konnten. Prinzipiell muss der Nutzen von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften grundsätzlich hinterfragt werden. Meistens wird die Dienstleistung teurer und schlechter, zulasten der Bürgerinnen und Bürger. Die Gewinne werden privatisiert, die Kosten verbleiben bei der öffent-lichen Hand. Deshalb fordern wir die Bundesregierung weiterhin auf, sich im Europäischen Rat gegen eine Richtlinie für Dienstleistungskonzessionen auszusprechen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ist derzeit bewusst vom Anwendungsbereich des EU-Vergaberechtes ausgenommen. Sie sind, im Gegensatz zu der -öffentlichen Beschaffung, auch nicht in den internationalen Verträgen fixiert. Durch das bestehende Primärrecht der Europäischen Union, also Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz und die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hierzu, sind Dienstleistungskonzessionsvergaben hinreichend rechtssicher geregelt. So sieht es auch der Europäische Gerichtshof selbst. Die EU-Kommission hatte am 20. Dezember 2011 ihre Vorschläge zur Modernisierung des öffentlichen Vergaberechts vorgelegt. In diesem Gesamtpaket unterbreitet die Kommission auch einen umfänglichen Richtlinienvorschlag zur Vergabe von Konzessionen, der in das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen eingreift und unseres Erachtens nicht verhältnismäßig ist. Hier wird auf 98 Seiten bürokratisch geregelt, was in der Praxis schon jetzt gut funktioniert. Darüber hinaus beschränkt sich der vorgelegte Vorschlag der Kommission nicht darauf, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes umzusetzen, sondern geht weit darüber hinaus. Die Kommission begründet ihren Rechtsetzungsvorschlag damit, dass die bisherige Regelungslücke schwerwiegende Verzerrungen des EU-Binnenmarkts zur Folge habe. Allerdings sind in den Bereichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge, auf die der Vorschlag zielt, schwerwiegende Wettbewerbsverzerrungen oder eine Marktabschottung, die eine solche Regulierung gegebenenfalls erfordern würden, bislang nicht erkennbar und von der EU-Kommission auch nicht nachgewiesen worden. Ähnliche Bewertungen haben aktuell der Bundesrat am 2. März 2012 und das Europäische Parlament sogar mehrmals, so zum Beispiel im Bericht „Neue Entwicklungen im öffentlichen Auftragswesen“ vom 18. Mai 2010 sowie im Bericht „Über die Modernisierung im Bereich des öffentlichen Auftragswesens“ vom 25. Oktober 2011, abgegeben. Im Bereich der Dienstleistungskonzessionsvergabe besteht keine Notwendigkeit einer weiteren Verrechtlichung mit den entsprechenden bürokratischen Belastungen für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen. Darüber hinaus wird die Gestaltungsfreiheit der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge, beispielsweise in den Bereichen Wasser- und Energieversorgung, beschränkt. Das lehnen wir ab und haben im Wirtschaftsausschuss zusammen mit SPD und Linken die Bundesregierung aufgefordert, den Richtlinienvorschlag im Europäischen Rat abzulehnen, und diesen Antrag auch bereits im Plenum zur Abstimmung gestellt. Union und FDP haben unsere Anträge abgelehnt. Dabei hatte ursprünglich der gesamte Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages unsere Positionierung mitgetragen und bereits am 1. Dezember 2010 in einem gemeinsamen Schreiben an den Kommissar für den Binnenmarkt und Dienstleis-tungen, Michel Barnier, zum Ausdruck gebracht. Der -Ausschuss hatte sich dafür ausgesprochen, dass die Rechtsetzungsinitiative zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein Regelungstatbestand der Europäischen Union sein sollte. Leider haben nun bei Vorliegen des Richtlinienvorschlags die Koalitionsfraktionen von Union und FDP einen Rückzieher gemacht und ein einheitliches und klares Signal des Bundestages an den -Europäischen Rat und an das Europäische Parlament verhindert. Die von der Koalition formulierten Nachbesserungsforderungen an der Richtlinie sind nicht ausreichend; damit ist den Kommunen nicht geholfen. Die -Koalition verlässt damit die von allen Fraktionen gemeinsam getragene Linie des Wirtschaftsauschusses, eine weitere Regulierung der Vergabe von Konzessionen klar abzulehnen. Wir werden die Beschlussempfehlung des Ausschusses deshalb ablehnen. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Die Bundesregierung dankt dem Deutschen Bundestag für seine Einschätzung zur geplanten Konzessionsrichtlinie. Auch die Bundesregierung hat sich schon seit längerem eingehend mit dem Für und Wider einer -gesetzlichen Regelung zur Vergabe von Konzessionen auseinandergesetzt. Aus Sicht der Bundesregierung ist es ordnungspolitisch sinnvoll, Konzessionen in einem transparenten und von Wettbewerb geprägten Markt zu vergeben. Mehr Rechtssicherheit bei der Konzessionsvergabe und ein besserer Zugang zu den Konzessionsmärkten sind Ziele, denen sich Deutschland nicht verschließen darf. Es freut mich, dass der Bundestag im Grundsatz diese Auffassung teilt. Ich möchte aber keinen Hehl daraus machen, dass wir uns einen schlankeren und praxisgerechteren Text gewünscht hätten. Auch die geplante Konzessionsricht-linie muss sich an dem Ziel der Europäischen Kommission messen lassen, das Vergaberecht insgesamt zu vereinfachen. Diese Vereinfachung ist bisher leider nicht ausreichend gelungen. Je komplexer aber die Regeln sind, desto größer ist der Anreiz für die Kommunen, auf Auftragsvergaben an private Unternehmen ganz zu verzichten, um keine Angriffsfläche für vergaberechtlichen Rechtsschutz zu bieten. Das Vorhaben läuft daher in seiner jetzigen Fassung Gefahr, Märkte abzuschotten, -anstatt mehr Wettbewerb zu schaffen. Auch lassen sich Widersprüche zum allgemeinen Vergaberecht nicht ausschließen. Die Sorge der Kommunen vor einer Einschränkung ihrer Handlungsspielräume haben wir immer sehr ernst genommen. Wir haben diese Befürchtungen wiederholt in Brüssel deutlich gemacht. Auch aufgrund unserer -Intervention bei der Kommission respektiert der aktuelle Richtlinienentwurf die kommunale Handlungsfreiheit: Auch künftig werden die Kommunen frei darüber entscheiden können, in welcher Form sie öffentliche Aufgaben erbringen. Für uns sind neben der kommunalen Selbstverwaltung aber auch die Wettbewerbschancen privater Unternehmen beim Zugang zu Konzessionen sehr wichtig. Das ordnungspolitische Ziel der Richtlinie, Rechts-sicherheit zu schaffen und den europaweiten Zugang zu Konzessionsmärkten zu verbessern, ist richtig. Aber ihre jetzige Ausgestaltung ist zu bürokratisch und schwerfällig. Wir werden uns daher mit Nachdruck dafür einsetzen, dass der Text deutlich verschlankt und praxis-gerechter wird. Auch die weiteren Überlegungen des Deutschen Bundestages, insbesondere zu den strukturellen Auswirkungen auf einzelne Branchen wie beispielsweise die Wasserwirtschaft, werden wir bei den Verhandlungen in Brüssel angemessen berücksichtigen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9069, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren – Drucksache 17/4884 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss (f) Federführung strittig Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir auch diese Reden zu Protokoll. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Seit Jahrzehnten ist es geübte und bewährte Praxis, dass die Bundeswehr in besonderen Situationen Amtshilfe und Unterstützung im Inland leistet. Ich erinnere an die Flutkatastrophe in Norddeutschland von 1962, als der damalige Hamburger Innensenator, spätere Verteidigungsminister und Bundeskanzler Helmut Schmidt kurzerhand Streitkräfte der NATO anforderte, was zur Rettung unzähliger Menschenleben beitrug, obwohl Altbundeskanzler Schmidt als damaliger Innensenator zu diesem Schritt verfassungsrechtlich gar nicht befugt war. Aufgrund dieser Erfahrung wurde 1968 Art. 35 des Grundgesetzes geändert, um für die Zukunft eine solide rechtliche Grundlage zu schaffen. Auf dieser Grundlage haben Soldaten der Bundeswehr seither vielfach Hilfe im Innern geleistet, ob bei Waldbränden oder zahlreichen weiteren Flutkatastrophen wie 1997 an der Oder, als sie – teilweise unter Lebensgefahr – entscheidend zur Rettung der Deiche im Oderbruch beitrugen. Die Bundeswehr hat unter anderem technische Hilfe beim Zugunglück von Eschede im Jahr 1998 geleistet und während der Vogelgrippe 2006 Fahrzeuge dekontaminiert und verendete Vögel eingesammelt, um die Bedrohung durch das Virus einzudämmen. Sie hat mit den Wärmebildgeräten von Tornado-Aufklärern nach Vermissten gesucht und auch sonst in vielen Fällen Polizei und Hilfsorganisationen mit speziellen Fähigkeiten und Manpower unterstützt, all das in den engen Grenzen, die Art. 35 vorgibt, der ein Tätigwerden der Bundeswehr aus eigener Befugnis, insbesondere unter Einsatz von Waffen, ausschließt. Bewaffnete Inneneinsätze werden bekanntlich in noch engeren Grenzen von Art. 87 a Abs. 4 des Grundgesetzes geregelt. So weit, so gut. Nun kommt also die Linke und beklagt in ihrem vorliegenden Antrag zunächst eine angebliche Zunahme der Bundeswehreinsätze nach Art. 35. Sie schafft das, ohne auch nur mit einem einzigen Wort die ungezählten Hilfeleistungen bei Naturkatastrophen und anderen Großschadensereignissen zu erwähnen, geschweige denn die dabei von unseren Soldaten geretteten Menschenleben. Stattdessen fabuliert sie von der mutmaßlichen Absicht, die Öffentlichkeit an das Auftreten der Bundeswehr im Inland zu gewöhnen. Angesichts des Ausmaßes, in dem die Bundeswehr seit der Wiedervereinigung Deutschlands aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, kann man das nur als bizarr bezeichnen. Im Rahmen der gegenwärtigen Streitkräftereform sind wir gerade dabei, weitere 31 Standorte zu schließen. In der zukünftigen Struktur wird es nur noch maximal 185 000 Soldaten in der ganzen Bundeswehr geben, verglichen mit 500 000 allein in Westdeutschland während des Kalten Krieges. Die meisten hier werden sich noch an Zeiten erinnern, in denen es in jedem Landkreis mindestens eine Kaserne gab. Heute sind auch Politiker der Linken vor Ort heilfroh um jeden erhaltenen Standort. Ihr saarländischer Landesvorsitzender Rolf Linsler wollte vor kurzem noch Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer daran messen, wie sehr sie sich in Berlin für die Saarlandbrigade einsetzt. Der Wittenberger Landrat Jürgen Dannenberg hat sich dankbar gezeigt, dass man beim Erhalt des örtlichen Standortes Gehör in Berlin gefunden habe, obwohl „wir uns noch mehr erhofft und gewünscht“ hatten. Und, man höre und staune: Dieser Standort habe „für die Sicherheit Deutschlands und den Katastrophenschutz in der Region eine hohe Bedeutung“, Recht hat er, Ihr Landrat. Und angesichts dessen, was die Bundeswehr mit viel zu wenig Anerkennung für unser aller Sicherheit im In- und Ausland leistet, wird sie in ihrer künftigen Stärke jedes bisschen Öffentlichkeit dringend nötig und verdient haben. Das ist aber natürlich nicht der Grund für Unterstützungsleistungen nach Art. 35, sondern jeweils ganz konkrete Erfordernisse. Zusammen zeigt das alles nachdrücklich die Geschichtsvergessenheit der Linken. Lieber versucht sie sich an semantischen Konstruktionen, die in Abwesenheit realer Tatsachen ein Bedrohungsgefühl herbeibeschwören sollen, etwa dass Amtshilfe der Bundeswehr für die Polizei an militärische Inlandseinsätze erinnere. Sodann beklagt sie, dass das parlamentarische Fragerecht sich als unzureichend für eine wirksame und zeitnahe parlamentarische Kontrolle erwiesen habe, dies von einer Partei, die jedes Quartal eine regelmäßige Anfrage zu Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inland stellt, die die Bundes-regierung ebenso regelmäßig pflichtgetreu auf 30 bis 40 Seiten beantwortet, ganz zu schweigen von zahllosen weiteren Anfragen zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, bis hin zu Veranstaltungen im Rahmen von Patenschaften zwischen Einheiten der Bundeswehr sowie Städten, Gemeinden und Landkreisen, was nicht unerheblich zu dem parlamentarischen Papierberg beiträgt, den Bundestagspräsident Lammert zu Anfang dieser Legislaturperiode einmal zart hinterfragt hat. Damit aber nicht genug, fordert die Linke nun jeweils im Vorfeld einer Unterstützungsleistung die Unterrichtung des Bundestages mit der Möglichkeit, dass dieser die Durchführung untersagen kann. Das muss man sich einmal vorstellen: Bei der nächsten Oder-Flut stünde dann ein weiterer Hilfseinsatz der Bundeswehr unter dem Vorbehalt eines parlamentarischen Entscheidungsganges, weil die Linke befürchtet, die möglichen Opfer könnten dabei ein positives Bild von unseren Soldaten gewinnen. Oder noch zugespitzter formuliert: Lieber ein Dorf weggespült als eine Uniform in der Öffentlichkeit. Ich nehme an, nach Ihrem Willen wird die Beteiligung von Soldaten an öffentlichen Müllsammelaktionen und Veranstaltungen zur Integration von Behinderten bei den Patengemeinden ihrer Einheiten auch gleich mit verboten. Gerade bei uns in Rheinland-Pfalz gibt es sehr viele dieser Patenschaften zwischen Einheiten der Bundeswehr und Kommunen, und ich begrüße diese lebendigen Verbindungen ausdrücklich. Im Übrigen ist die Anforderung von Kräften der Bundeswehr zu Unterstützungsleistungen im Rahmen von Art. 35 Sache der Länder. Der Bundestag sollte sich hier aus gutem Grund sehr zurückhalten. Im noch nie eingetretenen Fall von Abs. 2 dieses Artikels, bei dem die Bundesregierung die Länder zum Einsatz von Einheiten der Bundespolizei oder Bundeswehr anweisen kann, wäre es denn auch das Recht des Bundesrates als Ländervertretung, die Einstellung dieser Maßnahme zu verlangen. Der Weg über die Landesparlamente und Landesregierungen, um in diesem Gremium Kontrollrechte auszuüben, steht Ihnen selbstverständlich frei, meine Damen und Herren von der Linken. Dieser Antrag ist dagegen nur ein weiterer Mosaikstein in dem Bild, das Sie abgeben. Je mehr Sie Ihre Felle davonschwimmen sehen, desto mehr reiten Sie auf Ihrem politischen Alleinstellungsmerkmal herum: Angriffe auf unsere Bundeswehr und die Ablehnung all dessen, was sie tut, selbst wenn es sich um Hilfe für ganz konkret bedrohte Menschen handelt. Es wird Sie nicht überraschen, wenn auch dieser Antrag mit breiter Mehrheit in diesem Haus abgelehnt wird. Und ich möchte diese Ablehnung ausdrücklich mit einem Dank an die Zehntausenden Soldaten verbinden, die in den vergangenen Jahrzehnten der Bundesrepublik Menschen aus Gefahr für Leib und Leben gerettet haben. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Heute hat die Fraktion Die Linke das Thema der Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren auf die Tagesordnung gesetzt. Bedauerlicherweise beschäftigt sie sich dabei aber nicht etwa mit den Möglichkeiten der Verbesserung der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Deutschland oder beispielsweise mit den zukünftigen Herausforderungen im -Bereich des Katastrophenschutzes. Den Linken geht es vielmehr um eine Berichts- und Zustimmungspflicht bei Anträgen auf Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr. Sie fordern, dass das Parlament in Zukunft über -Anträge, die von Behörden oder Dritten an die Bundeswehr gestellt werden, im Vorfeld informiert werden soll. Nach den Vorstellungen der Linken soll der Deutsche Bundestag zudem ein Vetorecht erhalten. Hinzu kommt die Forderung nach einer umfassenden Berichtspflicht der Bundesregierung nach dem Abschluss einer Unterstützungsleistung. Der Hintergrund ihres Antrags sei der rasante -Anstieg der Hilfeleistungen der Bundeswehr in den letzten Jahren, der nach Ansicht der Linken rein politisch motiviert ist. Genau das führt uns zur eigentlichen Motivation für den vorliegenden Antrag: Im Grunde spricht die Fraktion Die Linke davon, dass durch die Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen Inlandseinsätze der Bundeswehr durch die Hintertür eingeführt würden. Überdies wirft sie der Bundesregierung vor, die Bevölkerung durch die vermehrte Präsenz der Bundeswehr an den Anblick uniformierter Soldaten gewöhnen zu wollen. Diese Vorwürfe kann ich nur entschieden zurückweisen. Ich lehne den Antrag daher ab. Die Bundeswehr ergänzt in Deutschland den zivilen Sicherheits- und Katastrophenschutz, der eine gesamtstaatliche Aufgabe darstellt. Den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 ist zu entnehmen, dass zum entsprechenden Beitrag der Bundeswehr subsidiäre Aufgaben im Inland im Rahmen geltender Gesetze gehören. Zu diesen zählt die Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastrukturen und bei innerem Notstand. Ein solcher Einsatz der Bundeswehr ist im Grundgesetz in Art. 35 geregelt. Die von der Fraktion Die Linke in -ihrem Antrag aufgeführten Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der letzten Jahre bewegten sich alle im Rahmen der Vorgabe des Art. 35, auch wenn einige von ihnen politisch umstritten waren. Zudem möchte ich -darauf hinweisen, dass die Unterstützungsleistungen nicht von der Bundeswehr selbst konzipiert werden, sondern von den zuständigen zivilen Stellen vor Ort. Deshalb sehe ich keine Notwendigkeit zur Änderung des bisherigen Verfahrens. In ihrem Antrag zielt die Linke demnach erneut da-rauf ab, das Bild einer Bundesregierung zu zeichnen, die eine Militarisierung der Gesellschaft vorantreiben möchte. Die Befürchtungen, die die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag anführt, werden aber durch meine Erfahrungen aus der Praxis in keiner Weise bestätigt. In meinem Wahlkreis werden insbesondere die -Gemeinden, die direkt an der Donau im Hochwasser-gebiet liegen, seit jeher im Katastrophenfall von Soldaten der Bundeswehr unterstützt. Die Bundeswehr -genießt aufgrund dieser Unterstützungsleistungen ein sehr hohes Ansehen in der Region. Wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort spreche, dann äußert niemand – im Gegensatz zur Fraktion Die Linke – Befürchtungen über eine zu starke Präsenz der Bundeswehr. Der letzte große Einsatz war beim Pfingsthochwasser 1999. Vielmehr wird immer wieder die Sorge an mich herangetragen, dass nach dem Wegfall der Wehrpflicht der -Katastrophenschutz nicht in gleichem Maße aufrechterhalten werden kann wie bisher. Das sind die Probleme, die die Bevölkerung bewegen, und um die kümmern wir uns als christlich-liberale Koalition. Dieses Thema ist mir persönlich ein großes Anliegen. Das Bundesverteidigungsministerium muss bei der Reform darauf achten, dass die Bundeswehr auch in -Zukunft ihren Beitrag zum Sicherheits- und Katastrophenschutz leisten kann. Bei dem, was ich sehe, ist das auch der Fall. Dafür möchte ich der Bundesregierung herzlich danken. Unsere Aufgabe als Abgeordnete des Deutschen Bundestages sollte es sein, die Bundeswehr bei der Erfüllung ihrer Hilfeleistungen und dem Schutz unser Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen. Fritz Rudolf Körper (SPD): Mit ihrem Antrag reagiert die Linkspartei auf die nach ihrer Ansicht unangemessene und verfassungswidrige Amtshilfe der Bundeswehr beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und bei einer steigenden Anzahl von Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr. Die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes von 2007 hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil von 2010 eindeutig verneint Die Linke spricht von einer „schleichenden Militarisierung der Gesellschaft“ und „von einem Gewöhnen der Gesellschaft an ein Tätigwerden der Bundeswehr im Innern“ durch diese vermehrten Amtshilfeersuchen und Unterstützungsmaßnahmen. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion sind beide Argumente nur als völlig absurd zu bezeichnen. Weder wird die Gesellschaft schleichend militarisiert noch besteht die politische Absicht, die Bevölkerung an Bundeswehreinsätze im Innern zu gewöhnen. Jede Hilfe durch die Bundeswehr geht zurück auf ein konkretes Hilfeersuchen einer Behörde, von der kleinen Kommune bis zum Land. Ein durch die Bundesregierung koordiniertes Verfahren, das ja vorhanden sein müsste, wenn die beiden Argumente der Linken zuträfen, ist für mich nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Um welche Hilfeleistungen der Bundeswehr handelt es sich eigentlich, die hier so vehement kritisiert werden? Amtshilfe kann von der Bundeswehr als technisch-logistische Unterstützung einer Amtshandlung, das heißt einer hoheitlichen Verwaltungstätigkeit der anfordernden Behörde, geleistet werden. Hierbei können zum Beispiel Auskünfte erteilt, Liegenschaften, Transportkapazität und andere Sachleistungen bereitgestellt sowie personelle Unterstützungen geleistet werden. Die Bundeswehr stellt Hilfeleistungen stets subsidiär insoweit und solange bereit, als zivile Ressourcen nicht in ausreichender Anzahl oder mit den benötigten Fähigkeiten zur Verfügung stehen. Ein Beispiel hierfür war die Unterstützung der Bundeswehr bei der Bombenentschärfung Ende letzten Jahres in Koblenz. Hier stellte sie unter anderem Laut-sprecherwagen zur Verfügung sowie Liegenschaften außerhalb des Evakuierungsraums zum Abstellen von Fahrzeugen des Rettungs- und Katastrophendienstes und als Ruheraum für das Personal. Dieses wurde zudem aus der Truppenküche mit verpflegt. Zur Hilfe bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen können nach Art. 35 Abs. 1, 2 und 3 des Grundgesetzes Truppenteile und Dienststellen der Bundeswehr zur Rettung von Menschenleben und von Tieren sowie zum Schutz und zur Erhaltung von für die Allgemeinheit wertvollem Material und lebenswichtigen Einrichtungen eingesetzt werden. Gleiches gilt für die Abwehr von Gefährdungen, die durch eine unmittelbar bevorstehende Katastrophenlage eintreten können. Naturkatastrophen sind unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse wie zum Beispiel Erdbeben, Hochwasser, Eisgang, Unwetter, Wald- und Großbrände durch Selbstentzündung, Blitze oder Dürre ausgelöst werden. Die verschiedenen Hochwassereinsätze der Bundeswehr in den vergangenen Jahren sind hier nur in zu guter Erinnerung. Besonders schwere Unglücksfälle sind Schadens-ereignisse von großem Ausmaß und von Bedeutung für die Öffentlichkeit, die durch Unfälle, technisches oder menschliches Versagen ausgelöst oder von Dritten absichtlich herbeigeführt werden. Hierunter fallen zum Beispiel besonders schwere Verkehrsunfälle, schwere Flugzeug- oder Eisenbahnunglücke, Stromausfall mit Auswirkungen für lebenswichtige Einrichtungen, Großbrände, Unfälle in Industrieanlagen mit giftigen oder in sonstiger Form lebensbedrohlichen Stoffen, Unfälle in Kernenergieanlagen, andere Unfälle mit Strahlenrisiko und Großschadenslagen nach terroristischen Anschlägen. In allen diesen Fällen kann die Bundeswehr auf Antrag der zuständigen Behörden unterstützend mit Hilfeleistungen tätig werden. Hinzu kommen noch Fälle der dringenden Nothilfe, die als Hilfeleistung weniger Bundeswehrangehöriger, gegebenenfalls mit Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Wasserfahrzeugen und Geräten, zum Beispiel zur Rettung von Menschenleben oder zur Vermeidung schwerer gesundheitlicher Schäden sowie erheblicher Beeinträchtigungen der Umwelt oder des Verlustes von für die Allgemeinheit wertvollem Material, insoweit und solange zulässig sind, als geeignete zivile Hilfskräfte und geeignetes Material der zuständigen Behörden oder Hilfsorganisationen nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Nach Abschluss der Hilfeleistung ist ein Ersuchen der Behörde nachzureichen. Am bekanntesten sind hier sicherlich die Suche nach vermissten Personen mittels Wärmebildkameras zum Beispiel durch Tornadoflugzeuge. Aber was verfolgt die Linke nun aber konkret mit ihrem Antrag? Sie fordert die Vorlage eines Gesetzentwurfes, mit dem Amtshilfeersuchen an und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr nach Art. 35 Abs. 1 bis 3 grundsätzlich unter einen Parlamentsvorbehalt gestellt werden. Der Bundestag sei unverzüglich nicht nur über den Eingang des Antrags, sondern umfassend auch über Inhalt, Zweck und Ablauf sowie konkrete Tätigkeiten, die die Soldatinnen und Soldaten zu verrichten hätten, Ort, Datum, Anzahl des erforderlichen Personals und die anfallenden Kosten zu informieren. Dabei soll dem Bundestag sogar ein Vetorecht im Einzelfall eingeräumt werden, das sich sogar gegen einzelne der beantragten Leistungen der Bundeswehr im Rahmen solcher Maßnahmen richten kann. Dazu ist der Bundestag über den Abschluss der durchgeführten Maßnahmen umgehend zu informieren, und eventuelle Abweichungen gegenüber dem ursprünglichen Antrag sind auch zu begründen. Ist dieser Vorschlag der Linken überhaupt umsetzbar? Aus meiner Sicht: Nein. Der Verteidigungsausschuss und der Bundestag müssten sich ja dann mit jedem einzelnen Antrag auseinandersetzen. Oder soll ein Sondergremium für diese Fälle geschaffen werden? In welchem Zeitraum soll die Prüfung geschehen? Was geschieht bei Fällen der Nothilfe? Nein, hier entstände ein überflüssiges bürokratisches Verfahren, das Hilfeleistungen der Bundeswehr unmöglich macht. Aber das ist ja auch der Sinn dieses Antrags, oder? Diesen im Antrag der Linken aufgezeigten Weg wird die SPD-Bundestagsfraktion auf keinen Fall mitgehen. Joachim Spatz (FDP): Um es vorweg zu sagen: Dem Ansinnen der Fraktion Die Linke können und wollen wir uns nicht anschließen. Der vorliegende Antrag ist ein weiterer untauglicher Versuch, die Bundeswehr in Misskredit zu bringen und ihr Wirken als regelmäßig repressiv zu verunglimpfen. Die Bundesregierung hat in etlichen Stellungnahmen klargestellt, dass die Unterstützungsleistungen, die im Rahmen der technischen Amtshilfe erbracht werden, -unter der Einsatzschwelle des Art. 87 a Satz 2 des Grundgesetzes verbleiben. Auch verweist die Bundes-regierung fortwährend darauf, dass der unterstellte Aufwuchs von sogenannten Inlandseinsätzen schlicht falsch ist. Diese Aussage wird regelmäßig durch detailliertes Zahlenmaterial dokumentiert und bestätigt. Die FDP-Bundestagsfraktion hat nicht den geringsten Anlass, an der Richtigkeit der gemachten Angaben zu zweifeln. Im Gegenteil: Die Bundesregierung genießt unser volles Vertrauen. Wir sind überzeugt davon, dass die verfassungsmäßig auferlegte Beschränkung des Art. 87 a Satz 2 des Grundgesetzes stets eingehalten und die Bundeswehr verantwortungsbewusst nur unter klar umrissenen Kriterien im Sinne der Amts- und Unterstützungsleistung im Innern zum Einsatz gebracht wird. Damit erfüllt die Bundeswehr nicht nur einen ihr übertragenen Auftrag, sondern leistet einen wichtigen Beitrag zum Wohle unseres Landes. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Die Antragsteller dagegen haben offensichtlich ein Problem damit, die Bundeswehr als Teil der Gesellschaft anzuerkennen und die von ihr auf vielfältige Art und Weise geleistete Unterstützung zu akzeptieren. Die von den Antragstellern implizit vermutete Tendenz zur schleichenden Militarisierung der Gesellschaft zieht sich wie ein roter Faden durch den Antrag. In welcher Form diese Unterwanderung vonstattengehen soll, bleibt allerdings schwammig. Die Vermutung, dass etwa die Präsenz der Bundeswehr bei Großveranstaltungen wie dem 34. Europäischen Jugendtreffen der Kommunität von Taizé im vergangenen Oktober durch die Bereitstellung von Warmhaltethermen für 2 000 Liter Tee zur Imagepflege oder gar Nachwuchsgewinnung missbraucht wird, ist schlicht lebens- und realitätsfremd und zeugt von ideologisch verbrämtem Misstrauen. Tatsache ist, dass Hilfeleistungen der Truppe nicht von der Bundeswehr angeregt oder gar veranlasst werden, sondern ausschließlich auf Nachfrage durch die für die Veranstaltung verantwortlichen zivilen Stellen geleistet werden. Die von den Antragstellern unterstellte „verstärkte Amtshilfebewilligung“ für Maßnahmen der Bundeswehr bei gesellschaftlichen Großveranstaltungen wie Kirchentagen oder sportlichen Massenveranstaltungen zur „Imagepflege“ geriert sich angesichts der vorherrschenden Genehmigungspraxis und des ständig arti-kulierten Bedarfs vonseiten der Länder und Gebiets-körperschaften mehr als kurios und grenzt an Verschwörungstheorie. Die im Antrag geforderte Dokumentationspflicht in Form unzumut- und unleistbarer Berichtspflichten wäre darüber hinaus ein nie da gewesener Akt des Bürokratieaufbaus und soll offenkundig zur Verhinderung der Amtshilfe durch die Bundeswehr beitragen. An dieser Stelle ist schon erlaubt, zu fragen, wie sich die Antragsteller – etwa im Falle von Naturkatastrophen – das von ihnen erdachte Antrags- und Berichtswesen vorstellen. Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse wie Erdbeben, Hochwasser, Eisgang, Unwetter, Wald- und Großbrände durch Selbstentzündung, Blitze oder Dürre ausgelöst werden, sind regelmäßig schlicht nicht vorhersehbar, in ihrem Ausmaß kaum abzuschätzen und daher, etwa -bezogen auf die Dauer und die anfallenden Kosten, stets auch erst im Nachgang festzustellen. In diesen Fällen erfolgen Hilfsmaßnahmen der Streitkräfte zur Unterstützung der für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörden im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 des Grund-gesetzes, bei der die Streitkräfte allerdings keine hoheitlichen Befugnisse ausüben. Keine Amtshilfe erfolgt -dagegen, wenn dienstliche Belange unter angemessener Berücksichtigung des Anliegens der ersuchenden -Behörde entgegenstehen oder eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann als die Bundeswehr. Diese Praxis stellt einen weiteren Beleg dafür dar, dass die Amtshilfe der Bundeswehr keinen Selbstzweck im Sinne eines verstärkten Auftretens von Soldatinnen und Soldaten zur Gewöhnung an die Tätigkeit der Bundeswehr im Innern darstellt, sondern eine subsidiäre Hilfeleistung in Form von fähigkeitsbezogenen Kräften und Mitteln, sofern zivile Mittel nicht zur Verfügung stehen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Linke will, dass sogenannte Amtshilfemaßnahmen der Bundeswehr besser vom Parlament kontrolliert werden können und der Bundestag die Möglichkeit hat, ein Veto gegen solche Maßnahmen einzulegen. Denn mit der rasanten Zunahme von Amtshilfeeinsätzen werden politische Absichten verfolgt, die nicht dem Auftrag der Bundeswehr entsprechen. Und: Es ist nicht immer Amtshilfe drin, wo Amtshilfe draufsteht. Das haben wir ganz deutlich beim Heiligendamm-Einsatz der Bundeswehr im Jahr 2007 festgestellt, als beim G8-Gipfel weit über 1 000 Bundeswehrsoldaten, Kampfflugzeuge und Spähpanzer gegen Demonstranten eingesetzt wurden. Aus unserer Sicht war das ein verfassungswidriger Inlands-einsatz. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage offen gelassen. Offenkundig wird jedoch, dass es hier eine Kontrolllücke im Bereich der inneren Verwendungen der Bundeswehr gibt. Im Moment kann die Bundesregierung Amtshilfeer-suchen anderer Behörden nach eigenem Gutdünken erfüllen oder ablehnen. Das Parlament wird weder gefragt, noch wird es überhaupt darüber informiert. Da kann ein Militäreinsatz noch so politisch brisant sein, wie jener in Heiligendamm – die Abgeordneten und die Öffentlichkeit erfahren nichts davon, bis zur letzten -Minute, bis er dann konkret durchgeführt wurde. Diese Kontrolllücke will die Linke schließen. Die Bundesregierung soll jeweils vor einem solchen Einsatz mitteilen, wann und wo er stattfinden soll, wie viele Soldaten eingeplant sind und was sie genau machen werden. Wenn der Bundestag zum Schluss kommt, dass er diesen Einsatz aus politischen oder rechtlichen Gründen ablehnt, muss er das Recht haben, ihn zu unterbinden oder seinen Abbruch zu erwirken. Ich bin mir sicher: Der Heiligendamm-Einsatz wäre nicht durchgeführt worden, hätte er vorher mitgeteilt werden müssen. Es geht aber nicht nur um den Heiligendamm--Einsatz. Die Linke erkundigt sich seither jedes Quartal nach durchgeführten und beantragten Maßnahmen. Die Antworten der Bundesregierung zeigen eindeutig, dass die Zahl der Amtshilfeeinsätze in den letzten Jahren rasant nach oben gestiegen ist. Ende der 90er-Jahre gab es eine einzige solche Maßnahme pro Jahr. In unserer Antragsbegründung nennen wir den Stand des Jahres 2009. Da waren es schon 44. Im Jahr 2010 wurde die bisherige Höchstmarke mit 71 erreicht, im vorigen Jahr waren es 68. Es liegt ja auf der Hand, dass diese Zunahme nicht an Sachzwängen liegt. Niemand in diesem Haus wendet sich dagegen, dass Bundeswehrsoldaten, wenn es nottut, bei der Abdichtung von Deichen helfen. Aber Hilfe bei Katastrophen – und dazu zähle ich jetzt auch solche Fälle wie das Entschärfen von Weltkriegsblindgängern macht weniger als ein Drittel dieser -Einsätze aus. Ansonsten handelt es sich entweder um prestigeträchtige Maßnahmen wie Hilfe bei Sportveranstaltungen oder um Unterstützungsmaßnahmen bei sogenannten Großlagen; das kann die Fußball-EM sein, aber auch größere Gipfeltreffen, Staatsbesuche und Großdemonstrationen. Auch wenn die Soldaten dabei nicht unmittelbar gegen Demonstranten vorgehen, besteht ihre Funktion doch darin, den Polizeieinsatz logistisch und materiell zu unterstützen. Das ist aber nicht der primäre Verwendungszweck der Bundeswehr. Die Linke sieht diese Entwicklung im Zusammenhang mit immer wieder aufflammenden Diskussionen über einen Inlandseinsatz der Bundeswehr. Die Gefahr besteht in einem Gewöhnungseffekt: Die Soldaten gewöhnen sich daran, eine aktive Rolle im Bereich der inneren -Sicherheit zu spielen. Die Polizei gewöhnt sich daran, bei der Wahrnehmung ihrer Kernaufgabe auf militärische Ressourcen zuzugreifen. Und die Öffentlichkeit gewöhnt sich daran, dass die Bundeswehr immer mit von der Partie ist, wenn es eine sogenannte Großlage gibt. Solche Gewöhnungsprozesse sind außerordentlich bedrohlich. Dass sich ein Szenario wie 2007 in Heiligendamm nicht mehr wiederholt hat, liegt nämlich genau daran, dass der Militäreinsatz damals große Empörung hervorgerufen hat und weithin als Skandal empfunden wurde. Wenn man jetzt Schritt für Schritt die Bundeswehr als Hilfspolizei aufbaut, droht ein solches Szenario seine Skandalträchtigkeit zu verlieren. Wer parlamentarische Kontrolle ernst nimmt, kann nichts dagegen haben, dass der Bundestag über die inneren Verwendungen der Bundeswehr genau in Kenntnis gesetzt wird. Das entspricht dem parlamentarischen Prinzip und dem Primat der Politik. Die Linke verbindet mit dem Antrag natürlich auch die Hoffnung auf eine disziplinierende Wirkung: Manche Einsätze würden womöglich ausfallen, wenn sie öffentlich würden. Eines sei noch angemerkt: Ich habe schon ausgeführt, dass niemand etwas gegen Soldaten haben wird, die in der unmittelbaren Katastrophenhilfe unterstützen. Wir müssen aber immer danach fragen, warum so etwas notwendig wird. Die Gefahr besteht doch, dass Kapazitäten im zivilen Katastrophenschutz eingespart werden, weil man darauf hofft, im Ernstfall aufs Militär zurückzugreifen. Das ist freilich eine trügerische Option, weil militärische Kapazitäten nach militärischem und nicht nach zivilem Bedarf eingeplant werden. Wenn es darauf ankommt, sind die vielleicht gerade in Afghanistan. Also: Im Zweifelsfall muss der zivile Katastrophenschutz gestärkt werden. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Bundeswehreinsätze im Innern, das ist eines der Grundprinzipien grüner Innenpolitik. Der militärische Auftrag, die Ausbildung der Soldatinnen und -Soldaten und die entsprechende Ausrüstung vertragen sich einfach nicht mit polizeilichen Aufgaben. Wir haben immer dagegen gekämpft, die Bundeswehr als Polizei einzusetzen, und wir haben uns beharrlich gegen eine paramilitärische Bewaffnung und Ausrichtung der Polizei eingesetzt. Für uns gilt: Die Bundeswehr ist keine Polizei, und sie soll es auch niemals werden. Das Grundgesetz ist da auch ganz eindeutig, und wo es deutungsbedürftig ist, da hat Karlsruhe für die notwendige Klarheit gesorgt. Nach Art. 35 des Grundgesetzes kann die Bundeswehr in Amtshilfe bei Notlagen tätig werden, die von den Ländern und der Polizei nicht zu bewältigen sind. Die klassischen Beispiele kennen wir alle. Erinnert sei nur an den Schutz der Deiche im Oderbruch, bei dem Abertausende von Soldaten im Einsatz waren und mit THW, Feuerwehr und vielen anderen Sandsack um Sandsack aufgeschichtet haben, um noch Schlimmeres zu verhüten, und es wird hier hoffentlich niemand sagen wollen, dass das falsch oder verfassungswidrig war. Mir wird nicht klar: Was will dieser Antrag der Linkspartei? Die Bundeswehr hat eine militärische Aufgabe – von der Linkspartei übrigens ja nicht nur im Innern abgelehnt –, und sie übernimmt im zivilen Bereich Amtshilfe. Sie ist als Armee eine Parlamentsarmee. Ihr Einsatz für militärische Zwecke bedarf der Zustimmung des Deutschen Bundestages, und das ist auch richtig so. Es geht um Leben und Gesundheit der beteiligten deutschen Soldatinnen und Soldaten, um die Interessen der Bundesrepublik und um den Einsatz militärischer Gewalt gegen andere. Das sind gute Gründe, den Marschbefehl nicht einfach der Regierung zu überlassen, sondern diese schweren Entscheidungen hier zu debattieren und zu treffen. Aber darum geht es in dem Antrag nicht; denn dafür gibt es schon ein Parlamentsbeteiligungsgesetz. Es geht in diesem Antrag um die Amtshilfeeinsätze im Innern. Die sind grundsätzlich nicht militärischer -Natur; denn genau das hat das Bundesverfassungsgericht 2006 verboten. Der Einsatz spezifisch militärischer Bewaffnung ist ja eben nicht erlaubt. Über die wollen Sie nun das Parlament entscheiden lassen? Warum? Weil Sie sagen – nicht ganz falsch, aber auch mehr in der Begründung als im Beschlusstext –, es gibt zu viele solche Einsätze. Und Sie sagen: Manche davon sind fragwürdig, auch das ist nicht falsch. Aber wieso ist denn die Konsequenz daraus, dass für den Einsatz der Beschluss des Parlamentes nötig werden soll? Wenn ein Einsatz nicht legal ist, gehört er vor Gericht. Und wenn ein -Einsatz illegitim ist, dann gehört die Regierung dafür angeprangert. Aber wie um alles in der Welt soll denn der Beschluss des Bundestages hier Abhilfe schaffen? Endgültig skurril wird es bei Ihren Forderungen zur Öffentlichkeitsarbeit und zu Einsätzen im Kontext von Demonstrationen. Für Letztere gilt das schon Gesagte: Diese Einsätze, wenn sie nicht rechtmäßig sind, wenn sie die Ausübung von Grundrechten beeinträchtigen, sind schlicht zu unterlassen. Und für Erstere gilt: Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr mag man mögen oder nicht, aber wollen Sie allen Ernstes den Bundestag da-rüber entscheiden lassen? Ist das nicht ganz eindeutig Aufgabe der Bundeswehr und des Verteidigungsministers? Was soll das mit dem Gesetzgeber zu tun haben? Kritik an falscher Praxis ist gut und richtig; da kann ich mich vielem anschließen. Wenn die Linkspartei hier gesagt hätte: „Es gibt einfach zu viele Einsätze der Bundeswehr bei Großlagen; das ist nicht immer nötig“, wenn sie gesagt hätte: „Der Auftrag ist eben nicht immer Amtshilfe; das grenzt – wie in Heiligendamm – an Einschüchterung und damit an einen Eingriff in die -Bürgerrechte“, wenn sie gesagt hätte: „Wir wollen enge Richtlinien für die Entscheidung über Amtshilfe, und wir wollen detaillierte Berichte über jeden Einsatz“, wenn sie all das gesagt hätte, dann hätten wir dem zugestimmt. Aber in der Form, wie der Antrag jetzt vorliegt, ist er ein Gemischtwarenangebot in einem zu großen Schaufenster, aber mit zu wenig Ware. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/4884 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist hier jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD wünschen Federführung beim Verteidigungsausschuss. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Innenausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, Federführung beim Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD, Federführung beim Verteidigungsausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf solide Datenbasis stellen – Drucksache 17/9155 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir auch diese Reden zu Protokoll. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD lassen einen ratlos zurück. Viele Worte für einen Sachverhalt, nämlich die Fertigstellung und Veröffentlichung der Mediendatenbank, der eigentlich nicht der Rede wert ist, und da, wo ein klares politisches Bekenntnis gefragt wäre, die Themen Pressefusionsrecht und vor allem Leistungsschutzrecht der Verlage, findet sich nichts Konkretes. Das ist medienpolitisch dürftig. Die Bundesregierung muss durch den Antrag der Oppositionsfraktionen nicht gedrängt werden, die Mediendatenbank zu veröffentlichen. Die Bundesregierung hat immer erklärt, auch im Lichte eines Beschlusses des Haushaltsausschusses, dass sie die Studien des Hans-Bredow-Instituts und des Formatt-Instituts unverzüglich nach deren Fertigstellung veröffentlichen wird. Dies steht unmittelbar bevor. Politisch entscheidend ist doch aber ein ganz anderer Sachverhalt. Sie unterstellen, die Bundesregierung könne oder dürfe sogar in Sachen Pressefusionskon-trolle und Leistungsschutzrecht nicht handeln, bevor eine Mediendatenbank erstellt ist. Das ist abwegig. Die Frage, ob man etwa Verlagen ein Leistungsschutzrecht einräumen will, setzt doch in erster Linie eine medienpolitische Entscheidung voraus und ist nicht von den Angaben einer Mediendatenbank abhängig. Wir als CDU/CSU bekennen uns klar und eindeutig zu einem solchen Leistungsschutzrecht, wie wir es auch schon in der Ko-alitionsvereinbarung angekündigt haben. Wir müssen gerade auch in der digitalen Welt für einen fairen Inte-ressenausgleich zwischen Verlagen und gewerblichen Anbietern im Netz sorgen, um die Pressevielfalt und Leistungsfähigkeit der Verlage zu stärken. Und ich bin sehr dafür, dass wir uns auch in diesem Bereich dazu bekennen, dass das Netz genauso eine Ordnung braucht, wie es für uns in der analogen Welt selbstverständlich ist. So wie wir selbstverständlich es richtig finden, dass man etwa für die Verwendung von Zeitungsartikeln in Pressespiegeln eine Abgabe an die VG Wort zahlt, muss es auch in Zukunft selbstverständlich sein, dass Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren für die Verbreitung von Zeitungsartikeln im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen. Die Presseverlage werden damit an den Gewinnen gewerblicher Internetdienste beteiligt, die diese nur erzielen können, weil es Journalisten gibt, die einen Anspruch darauf haben, dass ihr schöpferisch-geistiges Eigentum geschützt wird, wobei ich hier gerne hinzufügen möchte, dass ich es persönlich als selbstverständlich ansehe, dass Verlage, die in Zukunft durch eine Verwertungsgesellschaft Einnahmen generieren, ihre Mitarbeiter daran beteiligen. Aus Sicht der Verlage ist die Durchsetzung eines Leistungsschutzrechts noch überzeugender und glaubwürdiger, wenn man sich nicht automatisch von seinen redaktionellen Mitarbeitern alle Rechte an den Artikeln abtreten lässt. Im Kern geht es doch darum, dass in einem Land, das nicht über sehr viele Rohstoffe verfügt, der Rohstoff geistiges Eigentum geradezu unter die Schutzpflicht des Staates gestellt werden muss. Und das ist doch in Wahrheit der Grund für die sehr merkwürdige Abfassung ihres Antrags. Sie flüchten sich in die Einforderung der Mediendatenbank, um die eigentliche Kernfrage nicht beantworten zu müssen: Wie halten Sie es mit dem Leistungsschutzrecht? SPD und Grüne sind nach den Erfolgen der „Piraten“ in einer Zwickmühle. Sie wollen einerseits das Abwandern der Netzgemeinde zu den „Piraten“ verhindern und wollen andererseits eine Klientel, die lange Zeit zu ihren politischen Stammkunden gehörte, nämlich die Vertreter der Kreativwirtschaft, die Künstler, Musiker oder Designer, nicht verprellen. Aber Sie werden sich entscheiden müssen. Die Haltung der CDU/CSU in dieser Frage ist völlig eindeutig: Gerade im Bereich des Leitungsschutzrechts steht für uns das geistige Eigentum nicht zur Debatte. Wir sind die Anwälte des geistigen Eigentums. Ich will deshalb mit allem Nachdruck angesichts der Beschlüsse des Koalitionsausschusses betonen, dass wir vom zuständigen Bundesministerium der Justiz jetzt auch erwarten, dass die entsprechenden Gesetzesentwürfe zügig vorgelegt werden. Daran dürfen, bei allem Respekt vor unserem geschätzten Koalitionspartner, auch bayerische Landesparteitagsbeschlüsse nichts ändern. Dabei ist es wiederum mit Blick auf die sogenannte Netzgemeinde wichtig, zu differenzieren, dass es hier auch um eine klare Trennung zwischen privater und gewerblicher Nutzung des Netzes gehen muss. Das Internet ist für viele Privatleute eine wunderbare Einrichtung, um sich schnell und präzise und vor allem selbstbestimmt zu informieren. Dabei soll es selbstverständlich bleiben. Hier soll es keine Einschränkungen in Form von etwaigen Gebührenverpflichtungen geben. Etwas anderes ist freilich die gewerbliche Nutzung fremden geistigen Eigentum und ich denke, dass dafür die wahrhaft Toleranten im Netz auch Verständnis haben. Was die Frage des Pressefusionsrechts anbelangt, ist es mir ebenso schleierhaft, weshalb man ernsthaft glaubt, hierbei ohne eine Mediendatenbank nicht zu guten Ergebnissen zu kommen. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang selbstverständlich den Rat sowohl der großen überregionalen Verleger als auch der lokalen Zeitungsverlage eingeholt. Diese haben sich auf einen Kompromiss verständigt, den wir jetzt im Wesentlichen übernommen haben. Ich will dabei nur auf das Sondergutachten der Monopolkommission vom Januar 2012 verweisen. Dort wird eindeutig festgehalten, dass es auch künftig gewährleistet bleibt, dass die Übernahme kleiner Verlage durch Großverlage kontrollpflichtig bleibt. Die Vorschläge werden als wettbewerbspolitisch vertretbar bezeichnet, und es wird betont, dass mit unserem Gesetzesvorhaben die in unserer deutschen Medienlandschaft vorherrschende Prägung durch kleine und mittlere Verlage nicht beeinträchtigt wird. Das ist wichtig, weil die Fusionskontrolle im Pressebereich zum Erhalt einer vielfältigen Zeitungslandschaft unerlässlich ist. Für die gesellschaftliche und politische Willensbildung ist es schlichtweg konstituierend, dass eine Vielzahl von öffentlichen Informationsquellen eröffnet wird. Mit der Reform der Pressefusionskontrolle werden dabei angemessene Spielräume der Verlage zur Stabilisierung ihrer wirtschaftlichen Basis durch Zusammenschlüsse erweitert und wird die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Medien gesteigert. Dadurch wird Medienvielfalt erhalten und nicht gefährdet. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): SPD und Grüne fordern im vorliegenden Antrag, die Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt auf eine solide Datenbasis zu stellen. Allein von dieser Grundaussage ausgehend ist das eine durchaus wünschens- und unterstützenswerte Forderung – wenn nicht schon längst genau das unternommen worden wäre! Ihr Antrag ist im Ganzen gesehen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Sie erlauben mir bitte die regionale Abwandlung eines Zitates aus einer altgriechischen Komödie –, wie Wasser in die Pegnitz schütten. Er ist nicht notwendig in seinen Forderungen, weil diese im Kern alle erfüllt sind bzw. kurz vor der Umsetzung stehen. Und er ist nicht notwendig in seiner Kritik, denn bei den für Sie kritischen Punkten bringen Sie kein Fleisch an den Knochen in den inhaltlichen Fragen, denen Sie kritisch gegenüberzustehen scheinen. Lassen Sie mich das im Einzelnen begründen. Sie listen eine Reihe von Zitaten aus Antworten der Bundesregierung in der Fragestunde vom 7. März auf, die sich um die Themen Mediendatenbank, Pressefu-sionsrechtsänderungen in der 8. GWB-Novelle und um das angestrebte Leistungsschutzrecht für Verlage drehen. Damit glauben Sie Nachweise zu führen, dass die Bundesregierung die beiden letztgenannten Gesetzgebungsvorhaben ohne ausreichende Kenntnis der Situation der deutschen Medienlandschaft plane. Im Grunde genommen steht dahinter Ihr Versuch, die Bundesregierung in einen Kontext zu setzen, wonach sie gegen Vielfalt und Transparenz in der deutschen Medienlandschaft sei. Das Gegenteil ist der Fall; das zeigen gerade diese beiden Gesetzesvorhaben. Aber darauf werde ich im Weiteren noch eingehen. Mit der soliden Datenbasis, die Sie ansprechen, ist die 2009 beschlossene Einrichtung und Veröffentlichung einer Mediendatenbank bis 2011 gemeint. Dafür wurden in den letzten drei Jahren regelmäßig Mittel im Bundeshaushalt eingestellt. Die Mediendatenbank ist Beschluss und Auftrag des Deutschen Bundestages an den Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien. Seien Sie versichert, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Nichts liegt dem BKM ferner, als diesem Auftrag nicht nachzukommen! Er muss und er wird die Datenbank ins Netz stellen. Der Beauftragte hat Anfang März mitgeteilt, dass die beiden bestandaufnehmenden Studien des Hans--Bredow-Institutes und des Formatt-Institutes als Basis für die Einrichtung der Mediendatenbank nunmehr vorliegen. Sie unterstellen, dass die Bundesregierung die -Daten nicht veröffentlichen wolle, und fordern nachdrücklich die öffentliche Zugänglichmachung der Me-diendatenbank. Genau das aber soll doch vollkommen auftragsgemäß demnächst passieren. Allerdings müssen die Studien erst freigegeben werden. Zur korrekten Ausführung dieses Bundestagsbeschlusses bedarf es nun einmal auch einer Prüfung der Untersuchungen, bevor die Ergebnisse veröffentlicht werden können. Darin liegt nichts Verwerfliches, sondern es zeugt von besonderer Sorgfalt, zumal öffentliche Mittel für Datenerhebungen geflossen sind. Sie unterstellen außerdem, die Bundesregierung habe den Entwurf zur 8. GWB-Novelle, der gestern im Bundeskabinett beschlossen worden ist, und den Beschluss zum Leistungsschutzrecht im Koalitionsausschuss vom 4. März ohne ausreichende Datengrundlagen vorgenommen. Dazu kann ich eigentlich nur sagen: Schließen Sie nicht so vorschnell von sich auf andere, und vermuten Sie bei der Bundesregierung nicht die gleiche Oberflächlichkeit, wie Sie sie in Ihrem Antrag an den Tag legen! Denn der enthält in Wirklichkeit nichts anderes als eine Reihe von Schnellschüssen. Die Einführung des Leistungsschutzrechts wurde bereits im Koalitionsvertrag formuliert und Anfang März im Koalitionsausschuss beschlossen. Verlage sollen hiernach im Onlinebereich nicht schlechter gestellt sein als andere Werkvermittler. Mit einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage soll der Schutz von Presseerzeugnissen im Internet verbessert werden. Gewerbliche Nutzer wie Suchmaschinenbetreiber sollen künftig dafür bezahlen, dass sie beispielsweise Presseartikel im Internet verbreiten. Die Presseverlage werden also beteiligt an den Gewinnen aus ihren Erzeugnissen, die die Internetdienste bislang allein und für sich erzielen. Wohlgemerkt: Die private Nutzung von Zeitungsartikeln wird damit nicht gebührenpflichtig, aber es soll eine Besserstellung der Verlage beim Leistungsschutz gegenüber den gewerblichen Nutzern ihrer Erzeugnisse erreicht werden. Erklären Sie mir bitte, wo das nicht der Medienvielfalt und Stärkung der deutschen Presselandschaft dient! In die derzeitige Erarbeitung dieses Entwurfes können sämtliche Informationen aus den beiden Datenerhebungen zur Mediendatenbank einfließen. Natürlich müssen noch einige Dinge geklärt werden, bevor der Entwurf rund ist. Ich denke da beispielsweise an die Frage „gewerblich oder nichtgewerblich“, wenn es um die journalistischen Beiträge von Bloggern geht. Denn Blogger sind meinem Verständnis nach ein fester Bestandteil unserer Medienlandschaft. Aber wie gesagt, die Detailfragen werden wir in den kommenden Wochen in dem hierfür vorgesehenen parlamentarischen Verfahren klären. Bei der 8. GWB-Novelle ist das zwar leider nicht mehr möglich, denn der Referentenentwurf liegt bereits seit Oktober letzten Jahres vor, während die Studienergebnisse des Hans-Bredow- und des Formatt-Institutes erst seit Ende Februar bekannt sind. Nichtsdestotrotz wurde der Entwurf lange und sorgfältig vorbereitet und unter Einbeziehung aller zur Verfügung stehenden Daten und Informationen erarbeitet. Eines der wichtigsten Anliegen der Bundesregierung ist die kartellrechtliche Unterstützung des Strukturwandels im Pressesektor, und dieses Bereiches nimmt sich der Entwurf zur 8. GWB-Novelle im besonderen Maße an. Die Erhöhung der Aufgreifschwelle, ab der Fusionen im Pressebereich genehmigungspflichtig sind, von 25 Millionen auf 62,5 Millionen Euro wird ein Beitrag zur Medienvielfalt sein. Denn diese maßvolle Anhebung der Aufgreifschwelle hilft gerade kleineren und mittleren Verlagen, sich angesichts der großen investiven Herausforderungen, die unter anderem das Internet an ihre Wettbewerbsfähigkeit stellt, am Markt zu behaupten. Das sollte doch auch in Ihrem Sinne sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. In Ihrem Antrag kommt aber nur zum Ausdruck, dass Sie an der Sinnhaftigkeit und Stoßrichtung beider Gesetzgebungsvorhaben zweifeln. Nichtsdestotrotz sind von Ihnen eigene inhaltliche Anmerkungen oder Verbesserungsvorschläge nicht zu vernehmen. Die Bundesregierung hingegen hat ihre Vorhaben von Anfang an klar formuliert und den Willen deutlich gemacht, den Presseverlagen einerseits den wirtschaftlich notwendigen Strukturwandel zu erleichtern und andererseits die Vielfalt der deutschen Medienlandschaft zu stärken. So sind beispielsweise die Änderungen im -Pressefusionsrecht – das war der Bundesregierung besonders wichtig – nach einer Einigung der großen und der lokalen Verleger zustande gekommen. Sie sind als Kompromiss zwar nicht sehr weitreichend, aber dennoch ein Fortschritt im Sinne der kleineren und mittleren Verleger. Die Änderungen stehen also auf breiter und sorgfältig erarbeiteter Basis. Was nun die baldige Veröffentlichung der Mediendatenbank anbetrifft: Ich freue mich darauf und bin schon sehr gespannt. Die Möglichkeiten, die sie ihren Nutzern bietet, sind ein großer Beitrag zu mehr Transparenz, und diese Transparenz wird die Vielfalt der Medienlandschaft wahren und stärken helfen. Ganz besonders gespannt bin ich aber auf eines: nämlich wie Ihre Partei, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, es selbst mit der Meinungsvielfalt und mit der Transparenz hält. Die Mediendatenbank wird auch offenlegen, wie stark die Verflechtungen der Sozialdemokratischen Partei in der Medienbranche sind. Es wird sich zeigen, ob die oftmals nicht klar erkennbaren Medienbeteiligungen Ihrer parteieigenen Druck- und Verlagsgesellschaft einem fairen Wettbewerb entsprechen. In meinen Augen sind sie ein Widerspruch zur Meinungsvielfalt in Deutschland. Seien Sie versichert: Wir freuen uns auf diese Transparenz! Martin Dörmann (SPD): Mit ihrem gemeinsamen Antrag fordern die Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen eine belastbare Datengrundlage für wichtige medienpolitische Entscheidungen. Insbesondere sollen die durch das Hans-Bredow-Institut und das Formatt-Institut erstellten Datenerhebungen zur Errichtung der Mediendatenbank im Deutschen Bundestag unverzüglich vorgelegt und die Mediendatenbank der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aktueller Anlass für unseren Vorstoß ist der zwischenzeitlich vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf zur Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB. Darin enthalten ist eine Änderung der Pressefusionsrechts. Fusionen von Presseunternehmen werden hierdurch erheblich erleichtert. Künftig soll das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss zwischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen erst ab einem gemeinsamen weltweiten Umsatz der beteiligten Presseunternehmen von 62,5 Millionen Euro prüfen statt wie bisher ab 25 Millionen Euro. Zusätzlich wird auch die Bagatellmarktschwelle im Pressebereich von 750 000 Euro auf 1,875 Millionen Euro angehoben. Begründet werden die beabsichtigten Gesetzesänderungen mit veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf den Pressemärkten. Das Internet als bedeutendes Informationsmedium führe zu einer gewachsenen Konkurrenz durch neue Anbieter, andere Mediengattungen sowie ein geändertes Mediennutzungsverhalten. In der Tat hat die Digitalisierung insbesondere die Printpresse vor große Herausforderungen gestellt. Der Auflagenverlust ist enorm und anhaltend. Von 1995 bis 2010 haben die Kaufzeitungen gut ein Drittel ihrer Auflage eingebüßt, die Abonnementzeitungen etwa ein Fünftel. Zudem ging alleine von 1998 bis 2008 der Umsatz durch Werbeerlöse um 1,7 Milliarden Euro und damit mehr als ein Viertel zurück. Auch die SPD-Bundestagsfraktion betrachtet diese Entwicklung mit Sorge, vor allem auch deshalb, weil ein erheblicher Qualitäts- und Vielfaltsverlust damit verbunden ist. Wir beobachten insgesamt einen Abbau redaktioneller Ressourcen bei Printmedien. Redaktionen werden zusammengelegt, Stellen abgebaut und Lohnkosten gesenkt. Oft lösen Reporterpools, die allen Titeln eines Konzerns zuarbeiten, eigenständige Redaktionen ab, um Kosten zu sparen. Insbesondere im lokalen Bereich ist der Vielfaltsverlust gravierend. Gerade vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass wir alle vernünftigen Möglichkeiten nutzen, um Medienvielfalt im Printbereich zu erhalten und zu stärken. So haben die Fraktionen von SPD und von Bündnis 90/Die Grünen kürzlich einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso vorsieht. Durch dieses Vertriebssystem wird sichergestellt, dass kleine und große Verlage ihre Zeitschriften gleichberechtigt an die Verkaufsstellen bringen können. Die SPD-Bundestagsfraktion wird prüfen, ob und inwieweit eine Änderung des Pressefusionsrechts sinnvoll und notwendig ist, um das wirtschaftliche Fundament kleinerer und mittlerer Presseverlage zu stabilisieren. Allerdings nehmen wir auch die Hinweise des Bundeskartellamts sehr ernst, das in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf zur GWB-Novelle die beabsichtigten Änderungen der Anmeldeschwelle für Fusionen im Pressebereich und erst recht darüber hinaus gehende Forderungen kritisch bewertet hat. Es sei zu befürchten, dass dadurch der Wettbewerb und die Pressevielfalt eingeschränkt würden. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, so weitreichende Änderungen beim Pressefusionsrecht sollten auf einer möglichst soliden Datengrundlage erfolgen. Von daher halten wir es für irritierend und wenig nachvollziehbar, dass die Bundesregierung ihr bekannte Zahlen über den Medienbereich noch nicht vorgelegt hat. Ich will daran erinnern, dass der Ende 2008 vorgelegte Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung die bestehenden Informationsdefizite im Bereich der traditionellen und der neuen Medien ausdrücklich bestätigt hat. Gerade aus diesem Grund hat der Deutsche Bundestag die Einrichtung einer Mediendatenbank beschlossen. Sie soll – aufbauend auf den Ergebnissen der Medien- und Medienkonzentrationsforschung – belastbare Daten zu den Angebots- und Anbieterstrukturen enthalten. Eigentlich sollte diese Mediendatenbank bereits Ende 2011 auf der Homepage des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien veröffentlicht werden. Beim Einstellen der Mittel für die Mediendatenbank im Haushalt 2009 hatte der Haushaltsgesetzgeber ausdrücklich das Ziel vorgegeben, dass diese belastbare Informationen und Datengrundlagen für medien- und kommunikationspolitische Entscheidungen bieten soll. Mit den Gutachten sollten insbesondere die Defizite im Bereich der vielfaltsrelevanten Daten abgebaut werden. Dabei sollten die multimedialen Angebots- und Anbieterstrukturen auf lokaler Ebene untersucht und das gesamte klassische und onlinegestützte örtliche Medienangebot sowie crossmediale Verflechtungen und Entwicklungen detailliert beschrieben und für die Mediendatenbank auch kartografisch dargestellt werden. Dabei sollte es vor allem darum gehen, nicht nur die lokalen Verhältnisse, sondern auch generelle nationale Trends der Angebots- und Anbieterentwicklung unter Vielfaltsaspekten zu erfassen. Zugleich sollte in einer zweiten Studie die Nutzerseite untersucht und aufgezeigt werden, wie die Nutzer im Medienwandel Angebote rezipieren und in ihrer Relevanz für Meinungsbildung und Meinungsvielfalt einschätzen. Damit sollten insbesondere die Veränderungen der Informationsrepertoires der Bevölkerung aufgezeigt werden, um gegebenfalls Rückschlüsse auf die Vielfaltsrelevanz klassischer und onlinegestützter Angebote und Anbieter ziehen zu können. Nun ist die vom Hans-Bredow-Institut in Kooperation mit dem Formatt-Institut in zwei Studien durchgeführte Bestandsaufnahme zwar abgeschlossen, wurde aber dem Deutschen Bundestag immer noch nicht vorgelegt. Auch ist nicht erkennbar, dass die Bundesregierung die erhobenen Daten zur Grundlage ihres Gesetzentwurfes gemacht hätte. Vielmehr hat die Bundesregierung offensichtlich bestimmte Forderungen von Verlegerver-bänden aufgegriffen, ohne dass aus der Begründung -absehbar wäre, welche Folgen die Änderung des Pressefusionsrechts für die Medienvielfalt in Deutschland hätte. Gerade diese Folgen sind aber entscheidend bei der Beurteilung, inwieweit eine Änderung des Presse-fusionsrechts Medienvielfalt stärkt oder schwächt. Deshalb fordern wie die Bundesregierung nochmals auf, jetzt unverzüglich Klarheit über die Ergebnisse der Studien zu schaffen und die Mediendatenbank schnellstmöglich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Weitreichende Änderungen des Pressefusionsrechts sollten auf eine möglichst belastbare Datengrundlage gestellt werden. Uns allen sollten der Erhalt und die Förderung einer vielfältigen Medienlandschaft ein wichtiges Anliegen sein. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Für die Liberalen ist Vielfalt ein Leitmotiv. Eine vielfältige Medienlandschaft ist die Grundvoraussetzung des Meinungspluralismus und damit unserer demokratischen Grundordnung. In Deutschland erfreuen wir uns an einer Medienvielfalt, die im globalen Vergleich -herausragend ist. Der Schutz und die Förderung dieser Vielfalt ist deshalb ein richtiges, gemeinsames Anliegen des Deutschen Bundestags, das wir als FDP-Fraktion ausdrücklich verfolgen. Ziel muss sein, dem Bürger eine freie Meinungsbildung aus unterschiedlichen Quellen seiner Wahl zu ermöglichen. Wir beschränken uns dabei nicht auf eine Sicherung des Status quo, sondern erkennen die Chancen, die der dynamische Digitalisierungs- und Konvergenzprozess im Internet eröffnet hat. So ist zum Beispiel der Rundfunk nicht länger an knappe Frequenzen gebunden, sondern kann im Internet auf unerschöpfliche Ressourcen ausweichen. Bewegte Bilder lassen sich sehr günstig produzieren, und lange Texte engagierter Blogger finden im Internet auch ohne Verleger ihren Weg zum Leser. Der Mediennutzer ist in der Auswahl der konsumierten Medien so frei wie nie, auch weil mit den Verlegern und privaten Anbietern engagierte Unternehmer wirtschaftlich in Vorleistung gehen. Den Digitalisierungsprozess und die daraus folgenden Verschiebungen auf dem -Mediensektor wollen wir konstruktiv begleiten, einseitige Fehlentwicklungen gesetzgeberisch korrigieren und dort regulierend eingreifen, wo Meinungsmacht zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger konzentriert zu werden droht. Der vorliegende Antrag hingegen ist nur nach seinem äußeren Anschein auf die Förderung der Meinungsvielfalt gerichtet und findet deshalb nicht unsere Unterstützung. So geht der Antrag von der irrigen Annahme aus, die Bundesregierung würde vorliegende Erkenntnisse ohne sachlichen Grund zurückhalten. Dies ist nicht der Fall. Die durch das Hans-Bredow-Institut und das Formatt-Institut erstellten Datenerhebungen zur Einrichtung der Mediendatenbank werden dem Deutschen -Bundestag in Kürze vorgelegt werden. So hat es Staatsminister Neumann glaubhaft bekundet, und so gibt es im Übrigen auch der Beschluss des Haushaltsausschusses vor. Sinnvollerweise wird dies im Anschluss an die Prüfung und Freigabe der Studie durch den Auftraggeber geschehen. Bekanntermaßen kann es hierbei zu Verzögerungen kommen, die uns jedoch keinesfalls an der baldigen, umfassenden Unterrichtung im Ausschuss für Kultur und Medien zweifeln lassen. Des Weiteren impliziert der vorliegende Antrag, dass die fraglichen Studien Voraussetzungen der laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Pressefusionsrecht und zum Urheberrecht waren. Auch diese Annahme trifft nicht zu. Die für die laufenden Gesetzesinitiativen benötigten Daten liegen längst vor. Es gab zahlreiche Stellungnahmen und Anhörungen, die in die Entwürfe eingeflossen sind oder noch beraten werden. Im Falle der GWB-Novelle liegt dem Beschluss des Koalitionsausschusses der Referentenentwurf vom Herbst letzten Jahres zugrunde. Die Koalition setzt -damit ihre Ankündigungen um, der internen Einigung der Branche zu folgen, und reagierte nicht unmittelbar auf die erst kurz zuvor zugestellten Studienergebnisse. Die Datenerhebungen des Hans-Bredow-Instituts und des Formatt-Instituts wurden dem BKM erst Ende Fe-bruar zugestellt, während der Referentenentwurf zur -8. GWB-Novelle bereits im Oktober seitens des BMWi vorgelegt wurde. Damit konnten die Studienergebnisse schon zeitlich nicht in den Gesetzentwurf einfließen. Sollten die Studien allerdings zusätzlich relevante -Erkenntnisse bringen, dann werden alle Fraktionen -Gelegenheit haben, diese im parlamentarischen Verfahren einfließen zu lassen. Auch bei der Reform des Urheberrechts setzen wir den Koalitionsvertrag um und verbessern die Rahmenbedingungen der Medienbranche im digitalen Zeitalter. Auch hier wurden mit dem Beschluss des Koalitionsausschusses Eckpunkte festgelegt, denen nicht kurzfristig eingegangene Datenerhebungen, sondern der Koali-tionsvertrag zugrunde liegt. Wir wollen die Verleger bei der Bewältigung der Herausforderungen des digitalen Zeitalters unterstützen und setzen uns daher seit Jahren für eine Anpassung des Urheberschutzes ein. Weitere parlamentarische Beratungen werden auch hier folgen. Zum Abschluss möchte ich nochmals betonen, dass wir die Förderung der Medienvielfalt sehr ernst nehmen und die kommenden Beratungen zur GWB-Novelle entsprechend sorgfältig angehen werden. Ich lade meine Kolleginnen und Kollegen ein, sich konstruktiv in die Debatte einzubringen, damit wir die bestmöglichen -Voraussetzungen zum Erhalt der Medienvielfalt in Deutschland schaffen. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Eine solide Datenbasis sollte überall Grundlage politischer Entscheidungen sein. Insofern mutet es höchst erstaunlich an, dass im Zusammenhang mit Presse- und Internetdienststrukturen sowie generell zu Konzentra-tionsprozessen im Medienbereich heute offenbar nicht klar ist, in welcher medienwirtschaftlichen Situation wir uns überhaupt befinden. Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschäftigt sich unter einem eher zurückhaltenden Titel faktisch mit einem Skandal. Seit 1996 gibt es durch die Einstellung der Pressestatistik des Statistischen Bundesamtes keine gültigen parlamentsamtlichen Daten über die Verschmelzungen und Verzahnungen der Presse- und Medienkonzerne mehr. Die Errichtung einer Mediendatenbank – längst überfällig und europäische Standards nachholend – ist vom Deutschen Bundestag beschlossen worden und trotzdem noch nicht zugänglich. Das Parlament ist in Auswertung der Medien- und Medienkonzentrationsforschung daher auf externe Erhebungen angewiesen, wie zum Beispiel die Basisdaten zur Mediensituation 2011 der Zeitschrift „Media Perspektiven“. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die antragstellenden Fraktionen für ihren Vorstoß nun beglückwünschen soll oder ob es nicht vielmehr angemessener wäre, angesichts des Versagens sämtlicher Bundesregierungen seit 1996 von einer vorsätzlichen Vernachlässigung elementarer Auskunftspflichten gegenüber den Mandatsträgern zu sprechen, die offensichtlich seit 16 Jahren in der Medienpolitik Entscheidungen treffen, ohne gesichert zu wissen, auf welcher Grundlage sie das tun. Von dieser Kritik können die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen natürlich nicht ausgenommen werden, da sie zwischen 1998 und 2005 selbst die Regierung bildeten. Nichtsdestoweniger ist es natürlich sehr erhellend, wenn wir als Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker erfahren müssen, dass, so heißt es in dem Antrag, „derzeit nicht einmal die Frage nach der Anzahl der Tageszeitungen in Deutschland beantwortet werden“ kann, „wenn darunter Zeitungen mit jeweils eigenständigem redaktionellen Angebot verstanden werden“. Es muss die dringende Frage erlaubt sein, wie ich bei diesen Zuständen fachpolitisch argumentieren soll. Und solange die beschlossene Mediendatenbank noch keine Daten liefert, müsste man eigentlich allen politisch Verantwortlichen größte Zurückhaltung bei der sachgerechten Bewertung vorliegender medienpolitisch relevanter Gesetzentwürfe empfehlen. Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hat hier der Tendenz nach die richtigen Fragen aufgeworfen, und erfreulich ist auch, dass explizit die bestehenden Defizite an Information sowohl für die traditionellen als auch für die neuen Medien festgestellt werden. Das Informationsdefizit ist umgehend zu beseitigen und die Datengrundlage im Mediensektor signifikant zu verbessern. In dieser Hinsicht stimmt die Fraktion Die Linke dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Wir stimmen auch darin zu, dass die fehlende Datengrundlage das gesamte Verfahren der Neufassung der Pressefusionskontrolle im Rahmen der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB, fragwürdig macht, welche ja eine Erleichterung von Pressefusionen in einem Maße vorsieht, wonach der Konzentrationswert im Pressewesen deutlich angehoben werden kann. Damit ist nun eine weitere Einschränkung des Wettbewerbs und der Pressevielfalt zu befürchten, die möglicherweise auch Auswirkungen auf den Gesamtverbund der Medienlandschaft hat. Bekanntlich nehmen crossmediale und gerätekonvergente Medienangebote im Zeitalter der Digitalisierung stark zu. Diese Erkenntnis werden sich Bundesregierung und Parlament jedoch aus anderen Quellen als den eigens finanzierten Datenerhebungen erschließen müssen – und wenn das nicht skandalös ist, dann weiß ich nicht, wie man das sonst nennen soll. Kritisch anzumerken wäre vonseiten meiner Fraktion zum wiederholten Male, dass Presse- und Medienvielfalt bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen nachgerade ein Wert an sich zu sein scheinen. Aber Vielfalt allein garantiert weder Qualität, noch ist damit gesichert, dass die medialen Angebote auch tatsächlich den kulturellen und informationellen Ansprüchen der Bevölkerung dienen. Das Plädoyer für die unbedingte Aufrechterhaltung der Presse- und Medienvielfalt kaschiert meiner Ansicht nach zu oft den durchaus spekulativen Charakter vieler Medienprodukte, wohingegen herrschaftskritische Medieninhalte nicht selten im breiten Strom der Meinungs- und Medienpluralität schlicht durch fehlende Wahrnehmungsmöglichkeit untergehen. Abzulehnen ist die in dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen suggerierte Verbindung zu einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Die Fraktion Die Linke sieht hierfür keinerlei Regelungsbedarf, da sich die Presseverlage etwas rechtlich schützen lassen wollen, das genau genommen keine eigene Leistung darstellt oder, wenn doch, dann bereits durch das Urheberrecht abgedeckt ist. Unverhohlen handelt es sich beim Leistungsschutzrecht um einen Lobbyistenwunsch der Verlage, die durch Onlinemedien verstärkt Konkurrenzdruck verspüren. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, auch andere Instrumente zur Medienstabilität als Pressefusionskontrollerleichterung und Leistungsschutzrecht zu prüfen. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entscheidungen dieses Hauses haben weit-reichende Auswirkungen: Sie betreffen die Umwelt, die Europäische Union, das Land und vor allem die Menschen. Wir müssen deshalb Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Das mit dem Gewissen muss jede und jeder selbst mit sich abmachen. Das mit dem Wissen geht einfacher, beispielsweise durch die -Erhebung von Daten. Und wenn man diese Daten hat, muss man sie nutzen. Das klingt konsequent, aber konsequentes Handeln ist nicht gerade die Stärke dieser Bundesregierung. Konkret: Bereits 2009 hatte der Bundestag mit grüner Unterstützung eine Mediendatenbank beschlossen. Aufbauend auf den Ergebnissen der Medienkonzentrationsforschung, sollte diese belastbare Daten zu Angebots- und Anbieterstrukturen im Medienbereich enthalten, vor allem zu Formen der crossmedialen Zusammenarbeit und Verflechtungen. Die Datenbank ist dringend nötig, wenn wir über die Zukunft der Presse reden; denn eine valide Datengrundlage ist rar. Die Verlage legen ihre Zahlen nicht offen, und seit die Pressestatistik 1996 -abgeschafft wurde, fehlt uns dringend benötigtes Zahlenmaterial. Die Datenbank aber, sie kommt und kommt nicht, obwohl sie bereits Ende 2011 auf der Webseite des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und -Medien online sein sollte. Staatssekretär Neumann sagte in der Fragestunde am 7. März 2012, sie sei vor kurzem abgeschlossen worden. Noch drei Tage vorher hatte der Koalitionsausschuss zwei Projekte beschlossen, die angesichts der Digitalisierung den Presseverlagen den „wirtschaftlich notwendigen Strukturwandel erleichtern“ sollen: eine Erleichterung der Pressefusionskon-trolle und das immer wieder angekündigte Leistungsschutzrecht für Verlage. Ich frage mich allerdings: Woher will die Bundesregierung wissen, was den Verlagen hilft, wenn sie nicht mal genau weiß, wie es ihnen wirtschaftlich geht? Die Bundesregierung hat offenbar ihre Vorschläge zur Neuregelung der Pressefusionskontrolle ohne jede Zahlenerhebung vorgelegt, die die Situation auf den einzelnen Medienmärkten überhaupt darstellt. Sie hatte dem-entsprechend auch keine Daten, auf deren Basis sie hätte abwägen können, welche Instrumente die Situation verbessern könnten. Dabei sollte die Mediendatenbank auf ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers vor allem als Grundlage für medien- und kommunikationspolitische Entscheidungen dienen. Die Bundesregierung hat auch nicht näher erläutert, warum sie die beiden Instrumente Leistungsschutzrecht und Erleichterungen bei der Pressefusionskontrolle für geeignet hält, um Vielfalt zu -erhalten oder zu fördern. Ja, die Presse steckt in einer großen Krise. Vor allem die kleinen Verlage kämpfen um ihr Überleben. Die Auflagen sinken kontinuierlich, ebenso die Werbeeinnahmen, weil Nutzungsgewohnheiten sich ändern und -Werbetreibende ihre Werbung lieber bei Google oder anderen zugriffsstarken Onlineportalen platzieren. Die meisten kleineren Onlineangebote schreiben rote Zahlen. Die Verlage bauen vor allem Mitarbeiter ab oder strukturieren die Redaktionen um. Das heißt, sie produzieren weniger Qualität. Genau diese bräuchten sie aber, um im Wettbewerb – auch online – bestehen zu können. Diese strukturellen Probleme möchte die Bundesregierung lösen, indem sie vor allem den großen Verlagen Geschenke macht. Es ist zweifelhaft, ob ein Leistungsschutzrecht den kleinen, lokalen Verlagen hilft. Warum? Weil prozentual die am meisten abbekommen werden, die die meisten -Artikel mit der höchsten Klickzahl online stellen, erst recht dann, wenn die Bezahlung der gewerblichen -Anbieter nicht pauschal läuft und zudem über Verwertungsgesellschaften – wie es die FDP zu wollen scheint. Denn dann müssen die Verlage die unrechtmäßige -gewerbliche Nutzung ihrer Leistung einzeln verfolgen und Klage erheben. Gerade das aber macht schon jetzt den kleinen Verlagen bei Urheberrechtsverstößen Schwierigkeiten. Sie haben weder die finanzielle Ausstattung noch die personellen Ressourcen, um lange -Gerichtsverfahren anzustrengen. Vielfalt und Qualität sind mit dem Leistungsschutzrecht also nicht gewonnen. Die Journalistinnen und Journalisten erhalten im Zweifel wenig bis nichts aus den Einnahmen. Denn: Was eine angemessene Beteiligung an der Vergütung sein soll, müsste bilateral verhandelt werden, wenn das -Gesetz bereits beschlossen wäre. Im Gesetz selbst wird dazu nichts stehen. Liebe Bundesregierung, selbst dann, wenn nur die großen Verlage profitieren von einem Leistungsschutzrecht und Sie genau dies bezwecken: Glauben Sie wirklich, dass es Springer, „WAZ“ und Co. im Kampf gegen die digitale Konkurrenz von Suchmaschinen und Social Networks hilft? Woher nehmen Sie diese Gewissheit? Mit den Änderungen bei der Pressefusionskontrolle, die das Kabinett gestern mit dem Entwurf zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB, beschlossen hat, werden nach Schätzungen des Bundeskartellamtes rund 20 Prozent der bislang anmeldepflichtigen Fusionen in diesem Bereich nicht mehr der Fusionskontrolle unterliegen. Ich sehe darin – ähnlich wie das Kartellamt in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf – die Gefahr von noch mehr Konzentration und weniger Vielfalt auf den Märkten. Anstatt den Davids unter den Verlagen noch größere Goliaths gegenüberzustellen, hätte die Bundesregierung wenigstens die etwa in Frankreich oder Österreich übliche direkte und indirekte Presseförderung prüfen müssen. Nebenbei ist auch nichts zu einer gesetzlichen Regelung des Presse-Grosso enthalten, wie wir es in unserem Antrag zur gesetzlichen Absicherung desselben fordern. Auch hier verpasst die Koalition eine Gelegenheit, die Pressevielfalt zu stärken. Wissen ist Macht, heißt es. Wissen haben, aber daraus nichts machen – das ist eine große medienpolitische Dummheit. Wie schade, meine Damen und Herren von der Regierung, dass Sie sich dem Wissen nicht verpflichtet fühlen. Denn dann könnten wir bei der Bewältigung der Pressekrise schon einen Schritt weiter sein. Es wäre angesichts des Vormarsches von Google und Co. dringend nötig. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9155 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Carola Reimann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gesundheitsforschung an den Bedarfen der -Patientinnen und Patienten ausrichten – Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung überarbeiten – Drucksachen 17/5364, 17/9143 – Berichterstattung: Abgeordnete Eberhard Gienger René Röspel Dr. Peter Röhlinger Dr. Petra Sitte Krista Sager Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir auch diese Reden zu Protokoll. Eberhard Gienger (CDU/CSU): Der Antrag der SPD entbehrt jeder Tatsache. Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung wird im Antrag der SPD an vielen Stellen ins Gegenteil verkehrt. Es heißt, das Programm orientiere sich zu nahe an der Wirtschaft und nutze vor allem den Pharmaunternehmen. Erstens ist das falsch, und zweitens widerspricht der Vorwurf dem, was die SPD in Ihrer Regierungszeit mit vorangetrieben hat. In Ihrem Antrag setzen Sie darauf, dass die Menschen das Gesundheitsforschungsrahmenprogramm nicht gelesen haben, und kritisieren Punkte, die im Programm bereits stehen. Damit will sich die SPD wohl als Erfinder der Programmpunkte hervortun. Ich kann das nicht für gut befinden, denn ich finde, wie Ministerin Schavan im April 2011 schon ausgeführt hat, das Thema Gesundheit für die Menschen in unserem Land sollte überparteilich zur Gemeinsamkeit führen. Die Menschen setzen große Hoffnung in das rund 6 Milliarden schwere Programm. Hier sind parteitaktisches Kalkül, Kleinkariertheit und Nörgelei völlig fehl am Platz. Das Leitmotiv des Gesundheitsforschungsprogramms ist klar: Wir wollen die Wege zum Patienten verkürzen. Wenn von Translation und Wissenstransfer die Rede ist, dann geht es nicht um verkaufbare Produkte, -sondern um neue Therapien, um neue Leitlinien für Diagnostik und Therapien und der Beschleunigung der Herstellung bzw. der Marktreife von Medikamenten, mit dem Ergebnis, Verbesserungen für den Patienten zu erzielen. Das ist unser Leitmotiv. Doch die SPD stellt es in ihrem Antrag falsch dar. Dort heißt es: Das Leitmotiv sei die Stärkung der Gesundheitswirtschaft. Das ist ein Nebeneffekt, ja. Denn die Gesundheitswirtschaft schafft und sichert Arbeitsplätze, und wir wollen natürlich auch, dass sich die Branche gut entwickelt. Das primäre Ziel ist und muss sein, Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung für kranke Menschen weiter zu steigern. Dabei ist es unerlässlich, die Produktivität der Wirtschaft zum Wohle der Menschen zu nutzen. Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wollen Sie die Zielsetzung des Rahmenprogrammes der Gesundheitsforschung nicht wahrnehmen? Ich zitiere aus dem gemeinsamen Vorwort von Ministerin Schavan und dem damaligen Gesundheitsminister Rösler: Aus der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entstehen die Ansätze, die bei entsprechender Weiterentwicklung und erfolgreicher Übertragung in die medizinische Praxis den Menschen in unserem Land ein beschwerdefreies, selbstbestimmtes und langes Leben ermöglichen. Damit nimmt das Programm den Menschen als Ganzes in den Fokus. Die Koalition hat beispielsweise den öffentlichen Zugang zu Studiendaten beleuchtet und gehandelt. In § 42 b Arzneimittelgesetz mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes haben wir diesen Zugang herbeigeführt. Denn wenn man nichtkommerzielle Forschung fördert, sollte man auch im Bereich nichtarzneimittelbezogener Forschung ein Interesse an öffentlichen Daten haben. Das gesamte aus Studien resultierende Wissen muss zur Verfügung stehen, ohne den Patienten durch unnötige Doppeluntersuchungen zu belasten. Weiterhin werden mit dem gemeinsamen Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des BMBF vorrangig Studien über psychische Erkrankungen gefördert. Der Vorwurf, dass die Erforschung von vernachlässigten und seltenen Erkrankungen vordergründig kommerziellen Interessen diene und nicht genug Beachtung fände, kann ich hier nicht so stehen lassen. Die Produktentwicklungsstudien der klinischen Phasen 1 bis 3 beziehen sich auf vernachlässigte und seltene Erkrankungen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt des Interesses steht. Und natürlich haben wir auch immer mehr den Menschen in einer alternden Gesellschaft im Blick. Das Deutsche Zentrum für Neurogenerative Erkrankungen für Parkinson, Demenz, Alzheimer und das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung sind bereits gegründet, und vorgestern erst wurde das Deutsche Zentrum für Lungenforschung eröffnet. „Gesundheitsforschung an den Bedarfen der Patienten ausrichten“, so lautet der Antrag der SPD. Das tun wir doch. Eine Überarbeitung ist überflüssig. Das Stichwort heißt hier individualisierte Medizin, wie im Ak-tionsfeld 2 beschrieben. Dieses Aktionsfeld ist der ganzheitlichen Behandlung gewidmet. Die Forschung weiß inzwischen, dass Krankheiten und deren Verläufe individuell entstehen können. Dabei spielen offensichtlich Alter, Geschlecht, sozialer Hintergrund und die genetische Disposition eine große Rolle. Daher werden Diagnostik und Therapie künftig stärker individuell ausgerichtet werden. Wir sprechen über ein Forschungsfeld, welches die humane Entwicklung unserer Gesellschaft betrifft. Was wir brauchen, sind ein parteiübergreifender Konsens, eine gute Zusammenarbeit zwischen Forschung und Staat, eine gute Verbindung der Forschung mit dem Gesundheitssystem und der Gesundheitsversorgung. Was wir nicht brauchen, ist das Zerreden des Rahmenprogramms der Gesundheitsforschung. Deshalb ist der Antrag der SPD abzulehnen. René Röspel (SPD): Gesundheit – das wünschen wir uns gegenseitig bei den verschiedensten Gelegenheiten, und das nicht ohne Grund. Denn krank sein bedeutet häufig Schmerzen, Unannehmlichkeiten und oft auch Unsicherheit. Darüber hinaus hält uns Krankheit von der Teilnahme am sozialen Leben und der Arbeit ab. Der Staat wie auch die Bürgerinnen und Bürger haben deshalb ein großes Interesse an einem gut funktionierenden und finanzierbaren Gesundheitssystem. In Deutschland sind wir in der glücklichen Lage, dass jeder von uns zum Arzt gehen kann, Medikamente in der Apotheke erhältlich sind und, wenn es ganz schlimm wird, ein Krankenhaus in der Nähe ist. Aus einem Kranken wird in Deutschland also schnell ein Patient und dann hoffentlich bald wieder ein Gesunder. Im Vergleich zu vielen, auch europäischen Ländern existiert in Deutschland ein sehr gutes Gesundheitswesen. Dazu hat, wie so oft, auch die Forschung einen großen Teil beigetragen. Auf diesen Strukturen können und sollten wir uns aber nicht ausruhen. Denn auch im aktuellen Gesundheitssystem gibt es viele Schwachstellen. So gibt es insbesondere auf dem Lande und in sozial schwachen Stadtgebieten immer noch einen Ärztemangel. Wenn wir gleichzeitig um den Zusammenhang von Bildung, Armut und Gesundheitszustand der Menschen wissen, ergeben sich neue Forschungsfelder. Auch die speziellen Herausforderungen bei der Pflege von Demenzkranken spiegeln sich immer noch nicht im Gesundheitssystem wider. Da helfen auch keine Pflegereförmchen à la Minister Bahr. Und die Privilegien der Privatversicherten sind gesamtgesellschaftlich so unsozial, dass sie längst abgeschafft gehören. Neben den aktuellen Problemen kommen aber auch neue Herausforderungen auf unser Gesundheitssystem zu. Zu nennen ist dabei der demografische Wandel, der einerseits zu einem Ausbau der Geriatrie, insbesondere im Bereich Demenz, führen wird, aber andererseits auch den Fachkräftemangel im Bereich des Pflege- und Medizinpersonals noch weiter verschärfen wird. Darüber hinaus steigen mit neuen Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten häufig auch die Kosten, übrigens auch für die so hoch gepriesene personalisierte Medizin. Es muss somit ein Ausgleich zwischen der Ausweitung des Therapie- und Behandlungsspektrums auf der einen Seite und den begrenzten Ressourcen eines auf Beitrags- und Steuerzahlerinnen und zahlern basierenden Gesundheitsversorgungssystems auf der anderen Seite gefunden werden. Langfristig werden wir diese Herausforderungen nur durch die Unterstützung der Forschung, zum Beispiel im Bereich der Allokation, meistern können. Aus diesem Grund waren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auf das Gesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung sehr gespannt. Die Vorarbeiten dazu hatten noch unter der Großen Koalition begonnen, weshalb wir durchaus Hoffnung auf ein solides Programm hatten. Umso enttäuschter waren und sind wir über das Resultat. Es zeigt sich, dass die Verfasserinnen und Verfasser nicht aus der Sicht von Patientinnen und Patienten gedacht haben, sondern sich zu stark von wirtschaftlichen Interessen haben leiten lassen. Die Handschrift einer markt- und verwertungs-orientierten FDP scheint an vielen Punkten durch. Das Programm ist außerdem viel zu allgemein gehalten. Inhaltlich wichtige Fragen werden, wenn überhaupt, nur gestreift. Als Reaktion haben wir deshalb den hier vorliegenden Antrag zur Überarbeitung des Gesundheitsforschungsprogrammes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Während der Diskussion im Plenum und im Ausschuss haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, sich redlich bemüht, unsere Kritikpunkte am Gesundheitsforschungsprogramm als unzutreffend darzustellen. Leider, auch im Sinne der Gesundheitsforschung in Deutschland, ist Ihnen dies nicht gelungen. Ihre verzweifelten Versuche, die positiven Aspekte des Programms herauszustellen, haben im Gegenteil gezeigt, wie groß die Leerstellen in Ihrem Konzept sind. Anbei möchte ich unsere Kritik noch einmal an einigen Beispielen illustrieren. Frau Schavan konzentriert sich mit dem Gesundheitsforschungsprogramm stark auf die Einführung neuer medizinischer Produkte. Das ist nicht grundsätzlich falsch. Aber neue Produkte sind nicht die einzige und nicht immer die beste Lösung für Patientinnen und Patienten, insbesondere wenn sie die Kosten für das Gesundheitssystem unverhältnismäßig erhöhen, ein großer Teil der Bevölkerung sie sich gar nicht mehr leisten kann und sie dann in vielen Fällen auch nur geringen Nutzen erbringen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass die Bundesregierung Forschungsprojekte auflegt, die der Kommerzialisierung von medizinisch notwendigen Gesundheitsleistungen entgegenwirken. In den letzten Jahren wird viel über die Stärkung der Patientenautonomie diskutiert. Dies ist wichtig. Denn auch hier gibt es noch viel Verbesserungs- und Forschungsbedarf. Unser Ziel ist die mündige Patientin bzw. der mündige Patient, aber die Realität in den Praxen sieht oft anders aus. Viele medizinische Eingriffe sind mittlerweile so komplex, dass viele Patientinnen und Patienten – und wohl auch nicht mehr jede Ärztin und jeder Arzt – überhaupt bis ins letzte Detail verstehen, welche Konsequenzen Ihre Unterschrift mit sich bringt. Unklar ist Patientinnen und Patienten daneben ebenfalls oft, welche Alternativen sie zu den angepriesenen Eingriffen eigentlich haben. Besonders schwer ist diese Entscheidung für Menschen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen. Deshalb sprechen wir uns in unserem Antrag dafür aus, Fördermaßnahmen zu entwickeln, die in dem zunehmend komplexeren medizinischen Versorgungsystem das Ziel eines informierten und selbstbestimmten Patienten fördern. Statt des technikzentrierten Ansatzes von Frau Schavan brauchen wir breite Lösungsansätze, die auch sozialwissenschaftliche Fragen mit einbeziehen. Es kann doch zum Beispiel nicht sein, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern unter Arbeitsbedingungen arbeiten und behandeln, die sie in absehbarer Zeit selbst krank machen. Das ist doch nicht nachhaltig. Strukturen und Arbeitsbedingungen, die Menschen krank machen, existieren aber auch in anderen Bereichen. Auch diese müssen in einem ganzheitlichen Gesundheitsforschungsprogramm angegangen werden. Insbesondere die Arbeitsforschung muss deshalb im Sinn des gesundheitlichen Präventionsansatzes massiv ausgebaut werden. Auch hier findet man im Programm der Bundesregierung nur Leerstellen und hübsche Bildchen. Man könnte noch viele weitere Beispiele nennen, an denen das aktuelle Gesundheitsforschungsprogramm zum Wohle der Menschen in diesem Land verbessert werden könnte und müsste. Es liegt jetzt an Frau Bundesministerin Schavan und der Regierungskoalition, die vielen Kritikpunkte aus den Diskussionen aufzunehmen und in die Konkretisierung des Programmes einfließen zu lassen. Wir sind auf das Resultat gespannt. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Vor einem Jahr haben wir hier über das Gesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung gesprochen. Damals haben Sie Ihren Antrag eingebracht und Ihre Kritik am Gesundheitsforschungsprogramm formuliert. Demnach meinen Sie, das Programm diene mehr der Stärkung der Gesundheitswirtschaft als dem Ziel, kranken Menschen schnell neu entwickelte Hilfsangebote -zugänglich zu machen. Sie sehen da offenbar einen Gegensatz, den es meiner Meinung nach so nicht gibt. Wissenschaftler, die Krankheiten erforschen und Unternehmen, die Produkte und Geräte für Diagnose und Therapie herstellen und vertreiben, tun das, um kranken und hilfebedürftigen Menschen zu helfen. Den Bedarf dieser Menschen zu decken ist das Ziel. Was denn sonst? Dabei kann man unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Der Schwerpunkt, den die Forschungspolitik setzt, ist die Gesundheitsforschung – mit Betonung auf Forschung. Es ist richtig, dass wir die Steigerung der Lebenserwartung in Deutschland in den letzten 100 Jahren in erster Linie der Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen zu verdanken haben. Dafür müssen wir uns heute mit den Problemen einer alternden Gesellschaft auseinandersetzen. Wir können uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, sondern müssen unseren Blick auf die Gegenwart und in die Zukunft richten. Daraus folgt, dass wir uns im Hinblick auf unsere -Gesellschaft verstärkt um die sogenannten Volkskrankheiten zu kümmern haben. Schwerpunkt des Gesundheitsforschungsprogramms der Bundesregierung ist deshalb die Einrichtung von Zentren zur Erforschung von neurodegenerativen Erkrankungen, zum Beispiel Parkinson, Demenz, Alzheimer, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Infektions- und Lungenkrankheiten. Es ist schön, dass Sie den Auf- und Ausbau dieser Zentren grundsätzlich begrüßen. Dass die Entwicklung der Zentren und die Arbeit dort beobachtet und evaluiert werden muss, ist selbstverständlich. Dass nicht alles, was wünschenswert wäre, realisiert werden kann – geschenkt. Das Ziel ist, dass Forschungsergebnisse in Zukunft schneller aus der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung in die medizinische Regelversorgung und damit zu den Patienten kommen. Dieser Prozess, der in der Vergangenheit manchmal Jahrzehnte gedauert hat, soll durch neue Strukturen und neue Formen der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beschleunigt werden. In ihrem Antrag vermissen Sie Maßnahmen, die zum Beispiel die pflegerischen Leistungen für chronisch Kranke verbessern. Inzwischen sind wir ein Jahr weiter und wie Sie wissen, werden solche Maßnahmen im -Gesundheitsministerium vorbereitet. Auch im Hinblick auf die Verbesserung der Situation der Menschen in Entwicklungsländern, die Sie ebenfalls vermissen, sind wir inzwischen weiter. Wir unterstützen sowohl die Forschung zur Sicherung der weltweiten Ernährung als auch die Forschung zur Bekämpfung von vernachlässigten und armutsassoziierten Erkrankungen. Für das Gesundheitsforschungsprogramm stehen im Zeitraum 2011 bis 2014 über 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich bin davon überzeugt, dass diese Mittel gut angelegt sind. Die Patienten stehen im Mittelpunkt. Partner der Bundesregierung sind in erster Linie die Forschungseinrichtungen. Aber wir haben auch ein -ungestörtes Verhältnis zu den Unternehmen als Partner bei der Lösung so außerordentlich komplizierter Vorhaben. Ich meine, wir sollten das Programm jetzt nicht überarbeiten, sondern wir sollten es sich entfalten lassen. Ihren Antrag lehnen wir deshalb ab. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Vor etwa einem Jahr haben wir hier im Plenum des Bundestages das neue Gesundheitsforschungsprogramm diskutiert. Alle Oppositionsfraktionen kritisierten dessen Kürze und Unkonkretheit. Viele der bereits bestehenden Förderinstrumente und -programme werden in diesem kurzen Text anschaulich erklärt. Zudem definiert die Bundesregierung sechs Aktionsfelder, die auf die großen Herausforderungen im Gesundheitsbereich reagieren. Diese Felder sind durchaus richtig benannt, es fehlt jedoch die eigentliche programmatische Aussage. Wie will die Bundesregierung diese Herausforderungen konkret meistern? Nun, mehr als ein Jahr nach Beschluss und Debatte des Programms, zeigen sich die großen Schwächen eines solchen missionsorientierten Rahmenprogramms. Niemand, nicht mal wir Profis, kann anhand der uns zugänglichen Informationen nachvollziehen, wie das Rahmenprogramm mit Leben gefüllt wird. Wir kennen die enorme Zahl von etwa 1,2 Milliarden Euro, die für Gesundheitsforschung verausgabt werden sollen. Aber welche Schwerpunkte Sie in Zukunft setzen wollen, wofür ein Großteil des Geld ausgegeben werden soll – diese wichtigen Prioritätensetzungen sind für uns Parlamentarier kaum nachvollziehbar, geschweige denn für Ottilie Normalbürgerin. Das neue Rahmenprogramm Gesundheitsforschung ist in Sachen Transparenz, verglichen mit der Vorgängerin, der Roadmap -Gesundheitsforschung, und verglichen mit den diesbezüglichen Debatten von 2007 ein großer Schritt zurück. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat einmal versucht, am Beispiel der Tuberkuloseforschung festzustellen, wie intensiv sich Deutschland an der Lösung großer internationaler Probleme der Gesundheitsversorgung beteiligt. Die Kolleginnen und Kollegen mussten aufwendige Expertengespräche mit diversen Beteiligten aus Ministerien, Forschungsorganisationen und Hochschulen führen, um einen auch nur halbwegs aussagekräftigen Überblick über die Tuberkuloseforschung zu bekommen. Und selbst dieser, so die Selbsteinschätzung, sei noch mit Unwägbarkeiten verbunden. Transparenz, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht anders aus. Seitens des Forschungsministeriums wird stets darauf verwiesen, dass man sich ja auf ihrer Seite die Informationen holen könne. Nun ja. Auch das ist ein wenig mühevoll, denn so gut ist die Suchfunktion der ministeriellen Seiten nicht. Wie auch immer, mit zielstrebiger Suche kann man sich über manches im Nachhinein informieren. So habe ich nach den geförderten Projekten in der Präventionsforschung gesucht. Immerhin lassen sich die vergleichsweise lächerlichen Gesamtsummen von etwa 4 bis 6 Millionen Euro jährlich in diesem Bereich rekonstruieren. Aber nicht genug, dass diese extrem niedrig angesetzt sind, enden diese Förderungen alle im ersten Halbjahr 2012. Was das Ministerium zukünftig in diesem Bereich fördern will, darüber haben wir keine Informationen erlangen können. In der Versorgungsforschung, die immerhin als sogenannter Schwerpunkt gilt, sieht es etwas besser aus. Hier lassen sich Informationen über die bis 2014 geltenden Förderausschreibungen abrufen. Volle 10 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Das sind etwa zwei Tausendstel der Gesamtförderung für die Gesundheitsforschung – beileibe nicht das, was einen Schwerpunkt bzw. ein Aktionsfeld ausmachen sollte. An diesen Zahlen zeigt sich: Erst durch eine offene und transparente Debatte über Prioritäten und Posterioritäten, also nachgelagerte Schwerpunkte, über konkrete Fördervorhaben kann das blumige Rahmenprogramm Gesundheitsforschung mit Inhalt füllen. Gerade aus dem Pharma- und Biotechbereich sowie die Medizintechnik, in denen die Mammutausgaben der Forschungsförderung erfolgen, haben wir weder über Projekte noch über Adressaten zufriedenstellende Informationen. Es ist geradezu symptomatisch, dass vor einem Jahr Abgeordnete der Regierungsfraktionen auf Nachfrage keine konkreten neuen Fördervorhaben in der Gesundheitsforschung, geschweige denn Zahlen dazu nennen konnten. Ministerin Schavan argumentierte in der damaligen Debatte, niemand könne angesichts schnelllebiger wissenschaftlicher Entwicklung die Förderbedarfe voraussehen. Dem muss ich entgegenhalten, dass zumindest ein Zeitraum der kommenden fünf Jahre nicht unüberschaubar ist. Zudem haben auch Förderausschreibungen lange Vorläufe im Ministerium und decken in der Förderperiode mehrjährige Zeiträume ab. Eine offene Darstellung der Förderplanung sollte in solchen Zeiträumen in jedem Fall möglich sein. Es erscheint eher so, als dass sich das Forschungsministerium hier Handlungsfreiheit und eine gewisse Abschottung gegenüber lästigen Nachfragen aus Parlament und Zivilgesellschaft schaffen möchte. Fakt ist: Der Forschungsbereich ist in Bezug auf die Finanzen eines der intransparentesten Politikfelder. Wir leben jedoch in Zeiten offener Daten – diese müssen auch in der Forschungsförderung Einzug halten. Es darf nicht sein, dass immer mehr Fördergelder mit immer weniger Transparenz einhergehen. Unser ehemaliger Kollege Wolfgang Wodarg fordert heute in der „taz“ pointiert ein Register für Forschungsausgaben. Auch meine Fraktion hat eine solche Plattform und eine Offenlegung des ministeriellen Informa-tionsstandes immer wieder angemahnt. Dabei geht es insbesondere um die Verknüpfung der quasi unüberschaubaren Fördervielfalt in Projekten, außeruniversitären Instituten und bei Drittmittelförderern wie der DFG. Innovationsprozesse dürfen zukünftig nicht mehr ohne die Zivilgesellschaft, ohne betroffene Patientinnen und Patienten, ohne gesundheitsökonomische Expertise und Akteure aus Versorgung und Forschung vorbestimmt werden. Dies gilt sowohl für den privaten wie den öffentlichen Bereich. Wenn darüber hinaus mit Steuermitteln gefördert wird, muss das Gemeinwohlinteresse in besonderer Weise im Vordergrund stehen. Diesem Ansatz wird die Bundesregierung mit ihrer Förderpolitik nur unzureichend gerecht. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung sehen wir Grüne positive, aber auch eine Reihe kritischer Aspekte. Positiv hervorzuheben ist, dass die Bereiche Prävention, Versorgung sowie globale Herausforderungen – und hierunter auch das Thema vernachlässigte Krankheiten – aufgerufen und als wichtige Aktionsfelder der Gesundheitsforschung identifiziert werden. Angesichts ihrer finanziellen Ausstattung muss man andererseits allerdings auch feststellen: Um eine angemessene und echte Fokussierung auf diese Felder handelt es sich dabei noch nicht. Das ist ausbaufähig und sollte weiter vorangebracht werden. Noch unterbelichtet sind im Rahmenprogramm bislang Forschungsperspektiven, die sozial-medizinische Dimensionen von Krankheit und Gesundheit in den Blick nehmen. Ich denke da an Beiträge, die die -Forschung dazu leisten kann, um bei Prävention und Versorgung mehr Zugangs- und Teilhabegerechtigkeit zu gewährleisten. Wie können Prävention, rehabilitative Ansätze und Versorgungsansätze beispielsweise so verbessert werden, dass davon nicht allein Menschen aus der Mittelschicht profitieren, dass sie auch Bedürfnisse und Lebenslagen von Menschen berücksichtigen, für die gesunde Lebensweise oder die Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten weniger selbstverständlich sind? Das sind wichtige Forschungsfragen. Wie wären aber auch partizipative Gestaltungs--prozesse, also Verfahren, bei denen Nutzerinnen und Nutzer bzw. Patientinnen und Patienten in der Entwicklung von medizinischen Produkten und Dienstleistungen einbezogen werden, im Bereich der Gesundheitsforschung besser zu integrieren? Oder: Wie kann altersspezifische Aufklärung gelingen? Wie können Erkenntnispotenziale der Genderforschung im Gesundheitsbereich besser genutzt werden? Ein differenziert ausgearbeiteter inklusiver und partizipativer Anspruch mit Ideen für ambitionierte Konzepte fehlt dem Rahmenprogramm zur Gesundheitsforschung leider gänzlich. Unterbelichtet sind im Rahmenprogramm nicht zuletzt Schmerz- und Pflegeforschung. Die älter werdende Gesellschaft, die Zunahme von chronisch Erkrankten, Pflegebedürftigkeit, Multimorbidität im Alter und Debatten um mehr Lebensqualität in all diesen Situationen erfordern, dass wir die Anstrengungen hier verstärken. Die Zahl pflegebedürftiger Menschen könnte sich bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppeln. Das macht den Handlungsdruck, unter dem wir stehen, deutlich. Die meisten Menschen möchten auch im Pflegefall ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Selbstständigkeit. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt. Und dem sollte auch die strategische Ausrichtung des Rahmen--programms zur Gesundheitsforschung Rechnung tragen. Dabei ist die Frage, wie der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand auch in die Qualifizierung und Weiterbildung des Fachkräftepotenzials integriert werden kann, von besonderer Bedeutung. Der größte Anteil der finanziellen Mittel für das Gesundheitsforschungsrahmenprogramm fließt in die sogenannten Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, DZG. Ich wiederhole, was ich in den zurückliegenden Beratungen dazu betont habe: Die Schwerpunktsetzung auf die großen Volkskrankheiten und Bündelung von Kräften und Ressourcen, um die translationale Forschung zu verbessern, ist prinzipiell richtig. Die DZG werfen strukturell aber weiterhin Probleme, Fragen und Konflikte auf, die bis heute nicht gelöst werden konnten. So stellt sich angesichts des starken Top-Down--Ansatzes, der bei den DZG verfolgt wurde, prinzipiell die Frage: Haben sich die Partner in den Netzwerken tatsächlich zusammengefunden mit dem Ziel, ihre Forschungskooperationen personell und inhaltlich aus--zubauen und durch den Austausch qualitativ bessere Bedingungen für die Translation zu schaffen? Oder führen sie im Wesentlichen genau das fort, was sie auch ohne das Netzwerk getan haben? Geht es den Beteiligten also primär um die pragmatische Erschließung zusätzlicher Forschungsgelder, zu denen die Partner einzeln keinen Zugang hätten, und weniger um echte Forschungskooperation? Die Antwort darauf ist entscheidend für die Frage, ob die geförderten Netzwerke tatsächlich zu einem forschungspolitischen Mehrwert führen. Darüber hinaus sind Zweifel angebracht, ob der hehre Anspruch der Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ und zu „fairen“ Bedingungen tatsächlich in der Praxis umgesetzt und durchgehalten wird. Denn es besteht die Gefahr, dass die Helmholtz-Zentren angesichts ihrer Doppelrolle als potenzielle Geldgeber und Beteiligte die Zentrenpartner, insbesondere die universitären, dominieren. In jedem Fall birgt der Top-Down-Ansatz die Tendenz zu spannungsanfälligen Hierarchisierungen. Dies würde sich aber gerade im Feld Translation kon-traproduktiv auswirken. Denn die translationale -Forschung kann nur in enger und fairer Kooperation mit den Universitäten und der klinischen Praxis funktionieren. Insbesondere den Universitätskliniken kommt eine Schlüsselrolle zu: bei der schnelleren Überführung -medizinischer Forschungsergebnisse in die klinische Praxis wie auch bei der Rückkopplung klinischer Fragestellungen in die Forschung. Offen ist ferner die Frage, welche langfristigen Folgen es für die Exzellenzentwicklung im Forschungsfeld Translation hat, dass die Helmholtz-Zentren von vornherein als Partner der DZG gesetzt waren. Sie mussten sich nicht in gleicher Weise wie die anderen Partner -einer Hinterfragung ihrer Exzellenz und einem wissenschaftsgeleiteten Wettbewerb um eine Beteiligung in den DZG stellen. Außerdem bestehen Befürchtungen, es könnte zu einem Braindrain des besonders guten wissenschaft--lichen Nachwuchses von den Universitäten und Universitätskliniken zu den Helmholtz-Zentren kommen. Dabei geht es aber auch um Detailfragen wie: Welchen Partnern werden die aus den DZG hervorgehenden gemeinsamen Forschungsleistungen am Ende überhaupt zugerechnet? Publikationen spielen für die wissenschaftliche Reputation von Personen und Einrichtungen nun mal eine zentrale Rolle. Wer erscheint aber in der Autorenliste künftig als Erster bei Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor? Um -abzusehen, ob ein produktives Verhältnis zwischen Helmholtz und ihren Partnern, insbesondere den universitären Partnern bzw. den Universitätskliniken, gelingt, brauchen wir eine frühzeitige unabhängige Evaluation sowohl der Leistungen als auch der Folgen und Risiken der neuen Strukturen. Eine solche kritische Überprüfung ist vor allem unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten wichtig: Schließlich macht es keinen Sinn, so viel Geld in eine so umstrittene und wenig erprobte Struktur zu geben, wenn diese sich am Ende als ein problematischer Pfad herausstellen könnte, aber dann kaum noch korrigiert werden kann nach dem Motto: Wo schon so viel Geld in den Aufbau von neuen Forschungsstrukturen geflossen ist, kann die Förderung nicht mehr eingestellt werden. Daher plädieren wir nachdrücklich dafür, die DZG-Strukturen beizeiten zu evaluieren. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9143, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5364 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen – Drucksache 17/9058 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir diese Reden zu Protokoll. Michael Brand (CDU/CSU): Die heutige Debatte ist die Fortsetzung einer gewissen Grundsatzdebatte, in der wir uns insgesamt noch nicht verständigt haben. Im Kern geht es um die Frage, in welcher Form wir zum Schutz von Ressourcen, und nicht zunächst zur Abwendung von gesundheitlichen Risiken, die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wirtschaft und die Kommunen per Zwang zur Einhaltung möglichst optimaler Umweltziele anhalten bzw. veranlassen wollen. Wie bei den Energiesparlampen, so geht es auch bei den nicht minder diskutierten Themen Mehrweg und Einweg, Mobiltelefone und vielen anderen Konsumgütern bzw. deren Zuleitung in die Kreislaufwirtschaft nach der Verwendungsphase um die Frage: Was schreiben wir zwingend vor? Wie stark erzeugen wir Druck auf die Beteiligten? Und, nicht weniger bedeutsam: Mit welcher Strategie erzielen wir die besten Rahmenbedingungen zu ressourcenschonendem Verhalten? Mit welchen Vorgaben schützen wir die Umwelt und die Gesundheit der Menschen, die mit Produkten oder Abfällen in Berührung kommen? Beim Thema Energiesparlampen gibt es, nach meinen privaten wie politischen Erfahrungen, eine zusätzliche Komponente: Die Energiesparlampen sind nicht wirklich so akzeptiert bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch nicht bei vielen Umweltorganisationen und Testern, wie uns die Protagonisten der neuen Beleuchtungsära hatten glauben machen wollen. Offen angesprochen: Es gibt auch Stimmen, die von einer Fehlentwicklung sprechen, von den im Vergleich zur alten Glühbirne und zur im Kommen befindlichen LED-Lampe viel zu hohen Gesundheitsrisiken für Familien und Betriebe, wenn es um möglichen Bruch der Energiesparlampen geht. Wer einmal selbst – wie auch ich – einen Glasbruch bei einer Energiesparlampe im Wohnraum, zum Beispiel durch spielende Kinder, erlebt und den beißenden Geruch des Gases nach dem Austritt von Schadstoffen gerochen hat, der wird sich zumindest um die lieben Kleinen etwas Sorgen machen. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Menschen bei den Recyclern, die mit diesen Energiesparlampen umzugehen haben. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Transport zum Kunden vor der Nutzung und dem Umgang mit Energiesparlampen als Abfall ist ja, dass die schützende Verpackung bzw. die Fixierung im Gewinde fehlt. Dadurch – das spielt bei diesem Antrag eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Praxis – ist der Bruch dieser in der Tat hauchdünnen Ummantelung ein immanentes Risiko. Wir haben es hier nicht mit Glas im herkömmlichen Sinne zu tun, sondern mit einer hochfeinen und hochbruchgefährdeten Ummantelung, aus der im Schadensfall beißendes Gas austritt. Diese besondere Kombination bzw. Konsistenz aus bruchgefährdeter Ummantelung und Austritt giftigen Gases macht die Frage der Rücknahme von Energiesparlampen im Handel zu einer deutlich anderen Frage als beispielsweise die Rücknahme von Batterien, Pfandflaschen oder anderen Dingen. Es ist völlig klar, dass die Rückführung des Materials in geordneter und besonders vorsichtiger Form zu erfolgen hat. Es ist deshalb auch völlig klar, dass diese Energiesparlampen angesichts der bekannt gefährlichen Stoffe nun gar nichts in der Abfalltonne und auch nichts im Altglascontainer zu suchen haben. Allerdings haben diese mit giftigen Stoffen befüllten Energiesparlampen auch nicht so einfach etwas im Einzelhandel zu suchen. Denn sonst wäre die Folge: Es müssten nicht nur Tausende Beschäftigte mit diesen niedergefährlichen Stoffen umgehen und wären dem Gesundheitsrisiko ausgesetzt, sondern es wären auch, gerade wegen des extrem hohen Bruchrisikos, besondere Vorrichtungen und Einrichtungen im stationären Handel erforderlich, die an anderer Stelle bereits vorgehalten werden. Wer das Elektrogesetz und die WEEE-Richtlinie der EU über den Umgang mit Elektro- und Elektronikgeräteabfall richtig betrachtet und richtig umsetzt, dem fallen deutlich bessere Wege und Verfahren auf, als es der typisch kurzatmige Ansatz dieses Antrages versucht: Die Recyclingprofis müssen sich mit dieser relativ neuen und relativ gefährlicheren Art von Lampe befassen. Im Übrigen gelten Regeln analog inzwischen natürlich auch für den internetgestützten Fernabsatz. Auch hier ergeben sich seltene Probleme, wenn hochbruchgefährdetes Glas nun auf den Rückweg zum Händler gebracht werden soll. Die Verweise im SPD-Antrag sind unzureichend: Finnland ist in punkto Recycling und Erfassung solcher Energiesparlampen ebenso wenig mit unserer stark kommunal und mittelständisch geprägten Struktur zu vergleichen wie zum Beispiel unser Nachbar Frankreich. Und dass bereits die Absicht einer – aus unserer Sicht falschen – Pfandpflicht der in diesen Fragen nicht immer nur vorbildlichen schwedischen Partner herhalten muss, um SPD-ähnliche Forderungen in Europa auszumachen, dokumentiert auch, dass diese Frage nicht so einfach und nicht einheitlich zu beantworten ist. In der Tat allerdings ist festzuhalten: Die herstellende Industrie hat noch zu wenig getan, um ihrer Produzentenverantwortung im vollen Maße gerecht zu werden. Insofern muss die Kritik am nicht ausreichenden Aufbau der Rücknahmesysteme, und hier auch konkret von Lightcycle, ernst genommen und die Industrie aufgefordert werden, jenseits von Internetpräsentationen auch in der Realität mehr zu tun, um die gefahrlose Rücknahme zu unterstützen. Dass dies mit Kosten verbunden ist, steht außer Frage. Allerdings stehen vor den Entsorgungskosten bekanntlich Umsatz und Ertrag aus dem Absatz der im Übrigen auch auf massive Veranlassung der Industrie durch Verbot der Konkurrenzprodukte indirekt geförderten Energiesparlampen. Hier sind konkret Milliarden an Investitionen der Konsumenten in Gang gesetzt worden; aus diesen Umsätzen ist nach dem Prinzip der Produzentenverantwortung auch das Ende des Produktzyklus zu finanzieren. Insgesamt ist also Nachholbedarf und hier und da auch Korrekturbedarf gegeben. Was aber gar nicht geht, ist, die im SPD-Antrag zu Recht genannte Gefährdung der Beschäftigten in den Wertstoffhöfen als so stark anzusehen, dass diese, und das zu Recht, auf toxische Einwirkungen durch Energiesparlampenbruch untersucht werden sollen – während im selben Antrag der kleine und mittelständische Händler oder Versender, der dem Fachbetrieb im Umgang weit unterlegen ist, dem Risiko ausgesetzt wird. Eines ist auch klar: Wer diese Vorschrift tatsächlich umsetzen wollte, der würde den Konzentrationsprozess im Handel befördern. Denn den aus Gesundheits- wie aus Logistikgründen zweifelsfrei erforderlichen zusätzlichen Platzbedarf für das Handling dieser toxischen Abfälle würden die großen Händler mit ihren Großflächen natürlich besser einrichten können als der kleine Einzelhandel vor Ort. Ob das alles von den antragstellenden Kolleginnen und Kollegen bedacht wurde, da sind auch laute Zweifel anzubringen. Also kommen wir zum Fazit und zur Bewertung des Antrages. Die konkrete Prüfung und der Praxistest zeigen: Es muss den Antragstellern und anderen – uns eventuell auch – noch das eine oder andere Licht aufgehen, bis wir einen optimierten Weg zur Entsorgung der Energiesparlampen erreichen. Daran müssen wir weiter arbeiten – allerdings liegt der Weg sicher mehr im Bereich der vor allem mittelständischen Recyclingexperten gemeinsam mit den kommunalen Strukturen wie den fachlich gut aufgestellten Abgabestellen in kommunalen oder privaten Entsorgungseinrichtungen. Eine konkrete Entwicklung der letzten Zeit ist aber vor allem zu begrüßen und gegebenenfalls zu unterstützen: der möglichst rasche Ersatz dieser riskanteren Beleuchtungsmittel durch energieeffizientere, wesentlich besser zu recycelnde Beleuchtung wie unter anderem die neuartigen Halogen-Xenon-Glühbirnen und mehr noch durch LED-Leuchtmittel – die im Übrigen auch ein Lichtspektrum realisieren, das dem menschlichen Wohlbefinden erheblich mehr entspricht als die doch auch von vielen als dumpf empfundene Lichtausbeute der Energiesparlampen. Die Entwicklung geht rasant voran und das Thema ESL wird uns womöglich nicht so lange aufhalten, wie dies vor wenigen Jahren noch geglaubt bzw. befürchtet wurde. Bis dahin ist an der einen oder anderen Stelle noch anzupacken – aber bitte in der richtigen Art und Weise und nicht mit Vorschlägen, die als gefährliche Nebenwirkung die Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten im Einzelhandel mit sich bringen. Eine ordentliche Beratung sollte uns zu besseren Ergebnissen bringen. Wir als CDU/CSU bleiben für die fachliche Erörterung offen und der Bundesumweltminister mit uns. Gerd Bollmann (SPD): Viele Menschen haben in der Vergangenheit aus den unterschiedlichsten Gründen Energiesparlampen ab--gelehnt. Einer dieser Gründe war die Angst vor dem Quecksilber aus zerbrochenen Energiesparlampen. Die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung durch eine -einzelne in unserer Wohnung zerbrochenen Energiesparlampe ist absolut gering. Von der einzelnen Energiesparlampe geht weder in der Wohnung noch in der Mülltonne eine Gesundheitsgefährdung aus. Bei einem ordnungsgemäßen Umgang geht von Energiesparlampen weder im Gebrauch noch bei der Entsorgung eine Gefahr aus. Damals wurden Ängste geschürt, um Stimmung gegen die Energiesparlampe zu machen. Die Situation sieht inzwischen anders aus. Die Umsetzung der EU-Verordnung Nr. 244/2009 der Kommission vom 18. März 2009 zur Durchführung der Richt--linie 2005 32/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates ist inzwischen weit fortgeschritten. Inzwischen sind zum Beispiel Glühlampen mit mehr als 40 Watt nicht mehr im Handel erhältlich. Seitdem ist die Anzahl der verkauften Energiesparlampen stark angestiegen. Diese Entwicklung begrüße ich. Sie hilft, Energie einzusparen. Gleichzeitig stellt sich die Frage der Entsorgung von Altenergiesparlampen angesichts dieser aus meiner Sicht positiven Entwicklung erneut. Schauen wir uns die derzeitige Situation bei der Entsorgung von Altenergiesparlampen an. Wie alle anderen Elektro- und Elektronikaltgeräte müssen die Altenergiesparlampen zu den kommunalen Wertstoffhöfen gebracht werden. Dies ist die Rechtslage. Die Realität sieht aber anders aus. Genaue Untersuchungen über den Verbleib der alten Energiesparlampen gibt es in Deutschland nicht. Die wenigsten Bürger bringen -jedoch ihre Altenergiesparlampen zum kommunalen Wertstoffhof. Vielmehr werden sie aus Bequemlichkeit in die Restmülltonne geworfen oder in den Glascontainern entsorgt. Im Gegensatz zu Deutschland wurde in Skandinavien inzwischen der Verbleib der gebrauchten Energiesparlampen untersucht. Diese Untersuchungen in Finnland und Schweden haben ergeben, dass rund die Hälfte der Altenergiesparlampen im Hausmüll oder Glascontainern landen, und dies trotz Aufklärungskampagnen. Ich vermute, dass der Anteil falsch entsorgter Energiesparlampen in Deutschland noch höher liegt. In Skandinavien ist man zu der Erkenntnis gekommen, dass millionenfach falsch entsorgte Energiesparlampen zu einer Gesundheitsgefährdung führen können. Insbesondere die Beschäftigten in der Entsorgungsbranche, und hier wiederum die Beschäftigen beim Glasrecycling, sind durch Quecksilber gefährdet. Diese Erkenntnisse haben in Schweden zu einer intensiv geführten Diskussion über die ungefährliche Entsorgung von Energiesparlampen geführt. Im Schweden wird sogar über die Einführung einer Pfandpflicht nachgedacht. Und was geschieht in Deutschland? Die Bundes--regierung hat es mehrfach abgelehnt, weitergehende -gesetzliche Regelungen für die Entsorgung von Altenergiesparlampen umzusetzen. Begründet wird dies mit -angeblich gut funktionierenden freiwilligen Rücknahmesystemen. Konkret verweist das Bundesumweltministerium auf Lightcycle. Bei meinen Anfragen wurde besonders auf die stetige Zunahme von Teilnehmern an diesem Rücknahmesystem verwiesen. Aber schauen wir uns das doch mal genauer an. Klicken Sie auf die Internetseite von Lightcycle und geben Sie ihre Heimatstadt an. Wenn Sie Glück haben, gibt es in 10 bis 20 Kilometer Entfernung fünf oder sechs Geschäfte, welche alte Energiesparlampen zurücknehmen. In vielen Kommunen oder Kreisen ist es aber auch nur eine Rücknahmestelle, und diese ist über 20 Kilometer entfernt. Auch wenn die Zahl der freiwilligen Rücknahmestellen zugenommen hat, wird doch wohl niemand behaupten, dass dies ein gut funktionierendes System ist. Lightcycle ist nicht mit der freiwilligen Rücknahme bei Altbatterien zu vergleichen. Es ist zu umständlich, zu -lückenhaft. Auch bei einer weiteren Zunahme der Zahl der Rücknahmestellen ist durch Freiwilligkeit kein -Entsorgungssystem zu schaffen, das eine sichere, -Gesundheitsgefährdung ausschließende Entsorgung ermöglicht. Meine Damen und Herren von Union und FDP, damit gefährden Sie die Akzeptanz von Energiesparlampen. Sie ignorieren die Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten. So kann es nicht weitergehen. Es muss eine Rücknahmepflicht des Handels geben. Ohne Internetrecherche, ohne lange Wege muss die Entsorgung für den Endverbraucher einfach sein: Dort, wo ich Energiesparlampen kaufe, kann ich die alten zurückgeben. Horst Meierhofer (FDP): Vor zwei Monaten hat das EU-Parlament in zweiter Lesung die sogenannte WEEE-Richtlinie beschlossen. Diese wird wahrscheinlich Mitte 2012 offiziell im Amtsblatt verkündet werden. Gegenstand der Richtlinie sind unter anderem eine sehr begrüßenswerte Verschärfung der Exportregeln für gebrauchte Elektrogeräte und die erweiterte Rücknahmepflicht des Einzelhandels. Inwieweit diese Rücknahmepflicht auch für Energiesparlampen gelten wird, ist noch offen. Der Antrag der SPD knüpft hieran an. Sie fordert eine Rücknahmepflicht an allen Verkaufsstellen, eine Informationspflicht für die Produzenten der Energiesparlampen und die Erstellung einer Studie hinsichtlich der -Gesundheitsgefährdungen der Beschäftigten in der -Recyclingindustrie bei zu Bruch gegangenen Energiesparlampen. Mir missfällt der Antrag aus drei Gründen: Erstens wird behauptet, das freiwillige Rücknahmesystem sei wieder einmal gescheitert. Ich habe den Eindruck, die SPD unterstellt ganz generell jedem freiwilligen System das Scheitern. Nur der staatliche Zwang führt angeblich zum Erfolg. Angesichts der Missstände beispielsweise bei der staatlichen Vollziehung der Verpackungsverordnung oder auch anderer Gesetze wäre ich vorsichtig mit solchen Behauptungen. Den staat-lichen Behörden immer neue und weitere Aufgaben zukommen zu lassen, funktioniert nur dann, wenn ich für diese Aufgaben auch die entsprechenden Personalstellen schaffe. Und wir wissen alle: Hierfür fehlt es fast überall an Mitteln. Im Klartext: Wenn Sie jeden Kleinstladen – und das will die SPD in ihrem Antrag – zur Rücknahme von Energiesparlampen verpflichten, brauchen Sie jemanden, der das kontrolliert. Sonst haben Sie die schwarzen Schafe, die aus illegalem Vorgehen Wettbewerbsvorteile ziehen. Denken Sie an die Verpackungsverordnung: Nur zwei Drittel der Hersteller lizensieren und zahlen für die Entsorgung ihrer Verpackungen. -Gerade in SPD-geführten Ländern wie Berlin wird die Verordnung faktisch nicht vollzogen. Darum empfehle ich gerade Ihnen ganz besonders, freiwillige Rücknahmesysteme etwas differenzierter zu betrachten. Ein zweiter Aspekt ist der Zeitpunkt Ihres Antrags. Wie ich schon ausgeführt habe, ist die Richtlinie, die Grundlage für die Novellierung des Elektro- und Elek-troaltgerätegesetzes sein wird, bisher noch nicht einmal verkündet. Und es geht beileibe nicht nur um Energiesparlampen, sondern um die Gesamtheit der Elektroaltgeräte. Wie Sie aus eigener Erfahrung wissen sollten, sind auch die Kapazitäten der Bundesministerien nicht unendlich. Wenn man – wie die Koalition – eine Novellierung des gesamten Gesetzes anstrebt, benötigt man für seriöse Gesetzgebung auch ein entsprechendes Zeitfenster. Sie wollen offenkundig den Teilbereich der Energiesparlampen vorziehen und im Anschluss die ohnehin zwingende Novellierung für die Umsetzung der Richt-linie vornehmen. Mit Verlaub: Das ist nicht sehr clever und uneffektiv. Drittens ist Ihr Rundumschlag gegenüber freiwilligen Rücknahmesystemen in der Sache falsch und in der Schlussfolgerung zu undifferenziert. Mich stört nicht, dass Sie eine Rücknahmepflicht für alle Geschäfte fordern. Das dürfen Sie, auch wenn Sie in meinen Augen über das Ziel hinausschießen. Was mich allerdings -ärgert, ist Ihre überzogene Kritik an dem Versuch, das Recycling von Energiesparlampen zu verbessern. Auch das ist natürlich noch verbesserungsfähig. Sie unterschlagen aber alle Positivmeldungen. Ich möchte Ihnen das einmal mit Zahlen belegen: Vor Gründung des nicht gewinnorientierten freiwilligen Rücknahmesystems „Lightcycle“ wurden in Baden-Württemberg 168 Tonnen Lampen gesammelt. Im Jahr nach der Gründung war es mit 355 Tonnen mehr als das Doppelte. Bereits im Jahr 2010 lag die Zahl bei 411 Tonnen. Mit 4 300 Kleinsammelstellen und 400 Großsammelstellen ist bundesweit ein großes flächendeckendes Netz an Rücknahmestellen aufgebaut worden. Was ist jetzt die Schlussfolgerung? In meinen Augen ist es sinnvoll, dieses Netz weiter auszubauen – auch mit einer Ausweitung der Rücknahmepflicht. Aber nicht für jede Verkaufsstelle! Gerade in kleineren Ladengeschäften mit geringerem Umsatz ist ein schneller Abholrhythmus logistisch und ökonomisch nicht sinnvoll. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die Tonnen mit den quecksilberhaltigen Energiesparlampen über einen längeren Zeitraum im Ladengeschäft stehen. Ich sehe darin eine nicht unerhebliche Belastung für die Gesundheit der -Beschäftigten und der Kunden. Nur in größeren Geschäften und Großmärkten sind Abläufe denkbar, die eine regelmäßige und sichere Abholung gewährleisten. Dabei kann bei der Rücknahmepflicht, wie auch in der WEEE-Richtlinie erfolgt, an die Größe des Laden-geschäfts angeknüpft werden. Der Antrag schießt an dieser Stelle über das Ziel hinaus. Abschließend noch ein Wort zur Energiesparlampe im Allgemeinen. Die heutige Diskussion zeigt wieder einmal, dass gerade die Entsorgung der quecksilberhaltigen Lampen Probleme bereitet. Hier ist sowohl auf europäischer wie auch nationaler Ebene ein Umdenken erforderlich. Es bringt uns doch nichts, die ehrwürdige alte Glühbirne einzudampfen und sich mit der Quecksilberbelastung ein überflüssiges Problem heranzuzüchten. Für mich liegt die Zukunft nicht in der quecksilberhaltigen Energiesparlampe. Es muss gelingen, derartige Stoffe aus Artikeln herauszubekommen, die jeder Haushalt nutzt. Dann – aber auch nur dann – steht einer Rücknahmepflicht der kleineren Läden nichts mehr entgegen. Karin Binder (DIE LINKE): Rund 2 Tonnen hochgiftiges Quecksilber landen mittlerweile jedes Jahr mit alten und verbrauchten Energiesparlampen im Hausmüll. Der Grund: Es gibt kaum geeignete Möglichkeiten der Entsorgung. Kommunale Sammelstellen sind schwer erreichbar, und der Handel verweigert meist die Rücknahme. Ein Teil des Giftes reichert sich deshalb in Luft, Wasser und Boden an und findet den Weg zurück zum Menschen. Das ist nicht hinnehmbar. Energiesparen darf nicht der Gesundheit schaden. Schon 5 Millionstel Gramm im Körper gelten als gesundheitsbedenklich. Und das Problem und die Gefahr wachsen. Mit der europaweiten Abschaffung der Glühbirne nimmt die Zahl der quecksilberhaltigen Leuchtmittel zu. Die Hersteller sind dennoch nicht bereit, den Gehalt des hochgiftigen Stoffes deutlich zu verringern. Die Linke fordert deshalb, endlich das Verursacherprinzip anzuwenden: Wer Produkte auf den Markt bringt, die Schadstoffe beinhalten, der muss sie nach Gebrauch auf seine Kosten wieder einsammeln und entsorgen. Bereits im Juni 2010 hatte die Linke mit einem Antrag eine „verbraucherfreundliche Rücknahmepflicht des Handels für Energiesparlampen“ gefordert. CDU/CSU und FDP lehnten ihn mit der Begründung ab, es gebe eine Aufklärungskampagne der Hersteller und Sondermüllsammelstellen. Es sei ausreichend, die fachgerechte Entsorgung „besser zu kommunizieren“. Die Untätigkeit der Bundesregierung hat das Problem inzwischen noch verschärft. Noch immer werden neun von zehn Energiesparlampen über die Hausmülltonnen entsorgt, und die Menge des quecksilberhaltigen Mülls steigt drastisch an. Das Verhalten von Schwarz-Gelb kann nur als gesundheitsschädlich betrachtet werden. Wir, die Linke, begrüßen deshalb, dass die SPD das Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt hat. Die Bundesregierung erhält damit noch einmal die Gelegenheit, einen gravierenden Fehler zu beheben. Die Linke fordert, dass der Handel zur Rücknahme der quecksilberhaltigen Lampen verpflichtet wird. Hier muss endlich das Verursacherprinzip angewendet werden. Die Hersteller müssen mit dem Verkauf eine dichte und leicht verschließbare Rückgabeverpackung mitliefern. So wird sichergestellt, dass auf dem Rückweg zum Verursacher kein Quecksilber austreten kann. Die Bundesregierung muss den Herstellern die Verringerung des Quecksilberanteils in den Lampen ins ökologische Hausgabenheft diktieren. Auch sinnvolle Alternativen wie die LED-Leuchten sind kostengünstiger anzubieten. Es reicht nicht, den Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie den klammen Kommunen das Problem überzustülpen und den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen den heute vorgelegten Antrag der SPD ausdrücklich und können ihm aus voller Überzeugung zustimmen. Das Thema Rücknahme von Energiesparlampen ist ja nicht neu. Wir haben es bereits in dieser Legislaturperiode und auch in der davor beraten. Doch trotz aller Willensbekundungen und aller freiwilligen Initiativen und Aufklärungsaktionen werden bisher kaum Energiesparlampen zurückgenommen. Schon vor knapp zwei Jahren haben wir Grüne die Bundesregierung in unserem Antrag „Bürgerfreundliches Rücknahmesystem für gebrauchte Energiesparlampen im Handel einrichten“ auf das Problem deutlich hingewiesen. Damals haben wir gefordert, einen gesetzlichen Rahmen für ein verbessertes Angebot an Rücknahmestellen für gebrauchte Energiesparlampen im Handel zu schaffen. Doch was ist passiert? Natürlich nichts – bei dieser Regierung! Die Koalition lehnte unseren Antrag nach lang andauernden Beratungen ab. Die FDP setze damals, wie in der Beschlussempfehlung des Umweltausschusses nachzulesen ist, auf „Überzeugung und Einsicht“ der Unternehmer und Verbraucher, die CDU/CSU-Fraktion auf Gesprächsrunden mit allen Beteiligten und Öffentlichkeitsarbeit und das Bundesumweltministerium auf den „gut laufenden freiwilligen Prozess“. So gut ist dieser Prozess aber scheinbar doch nicht gelaufen, denn verbessert hat sich kaum etwas. Stolz wird regelmäßig beispielsweise von Lightcycle verkündet, wie stark sich die Sammelzahlen erhöht hätten. Setzt man dies aber in Relation mit der stark zunehmenden Zahl der in Umlauf befindlichen Lampen, bleibt nicht viel übrig vom Erfolg. Die Rücknahmequoten sind weiterhin sehr bescheiden, und die Rücknahmestellen, insbesondere im ländlichen Raum, muss man mit der Lupe suchen. Wenig überraschend wird häufig der Weg in die Schublade oder im Zweifel in die Restmülltonne gewählt, mit den bekannten negativen Folgen für die Umwelt. Dabei liegt die einfache Lösung auf dem Tisch. Wir möchten uns der Forderung der SPD an die Bundesregierung anschließen, endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Einzelhandel verpflichtet, gebrauchte Energiesparlampen zurückzunehmen, und zwar unentgeltlich und verbraucherfreundlich. Dass so eine Rücknahme machbar ist, zeigen die wenigen Vorreiter im Einzelhandel, die schon jetzt verbraucherfreundliche Rücknahmesysteme anbieten. Auch das Europäische Parlament und der Europäische Rat erwägen mittlerweile, entsprechende Rücknahmepflichten einzuführen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktion und insbesondere Sie, Minister Röttgen, falls Sie überhaupt noch Zeit zur Beschäftigung mit solch speziellen umweltpolitischen Fragen haben vor lauter Wahlkampf, geben Sie sich doch einmal einen Ruck, schauen Sie sich die Rücknahmezahlen doch einmal genauer an, und denken Sie dann noch einmal neu über das Thema nach! Kommen Sie bitte nicht wieder, wie beim letzten Antrag zum Thema Energiesparlampen, mit der immer gleichen Parole von Überzeugung und Einsicht, von der Kraft der Freiwilligkeit und des ach so gut laufenden Dialogs. Das nimmt Ihnen wirklich keiner mehr ab. Lassen Sie sich nicht weiter von angeblichen Erfolgen, die nur auf den ersten Blick als solche erscheinen, blenden, und denken Sie ernsthaft darüber nach, ob etwas mehr Rücknahmepflicht hier nicht der bessere Weg ist, um das gemeinsame Ziel, mehr Schutz für die Umwelt, zu erreichen. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9058 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung bezahlbarer Mieten und zur Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekosten – Drucksache 17/6371 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/8953 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Ingo Egloff Stephan Thomae Halina Wawzyniak Ingrid Hönlinger Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir auch diese Reden zu Protokoll. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Wir behandeln heute den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung bezahlbarer Mieten und zur Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekosten – eingebracht von der Fraktion Die Linke. Ich kann mich an dieser Stelle recht kurz halten, denn über diesen Gesetzentwurf haben wir bereits im Sommer letzten Jahres hier im Plenum in erster Lesung debattiert. Ich habe damals deutlich gemacht, dass der Entwurf nicht nur wortwörtlich von einer Bundesratsinitiative des Landes Berlin abgeschrieben, sondern vor allem auch handwerklich schlecht gemacht ist und sogar die selbstgesetzten Ziele verfehlt. Wir haben den Entwurf daher abgelehnt. An dieser Einschätzung hat sich seitdem nichts geändert. Die Linke ignoriert bei ihrem Gesetzentwurf -wieder einmal, dass sich die Welt zwischenzeitlich weitergedreht hat. Bei ihren mietrechtlichen Forderungen nimmt sie schlicht nicht zur Kenntnis, dass wir damals wie aktuell über einen konkreten Gesetzentwurf zur -Novellierung des Mietrechts diskutieren. Statt inhaltlich und konstruktiv auf die dortigen Vorschläge und Forderungen einzugehen, beraten wir heute in zweiter und dritter Lesung alte und nicht mehr dem aktuellen Diskussionsstand entsprechende Bundesratsinitiativen. Konstruktive Oppositionsarbeit sieht wirklich anders aus! Im Gesetzentwurf der christlich-liberalen Koalition wägen wir jeden Eingriff in das Mietrecht sorgfältig ab. Denn nur so kann der gebotene Ausgleich der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen gewährleistet bleiben. Das ist auch notwendig, denn das Mietrecht -betrifft fast alle: Es gibt rund 24 Millionen Mietwohnungen in Deutschland, und viele andere Menschen in unserem Land sind Vermieter. Ein ausgewogenes und soziales Mietrecht hat für viele Menschen daher eine existenzielle Bedeutung. Die Wahrung der sozialen -Ausgewogenheit des Mietrechts ist daher eine Selbst--verständlichkeit für uns. Das, was uns hingegen die Linke präsentiert, wird der notwendigen gesellschaftlichen Ausgewogenheit in keiner Weise gerecht. Die Linke schafft es gerade nicht, dem eigenen Anspruch zu genügen, einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zu erreichen. Im Gegenteil: Die geforderten Änderungen im Mietrecht führen zur einseitigen Belastung der Vermieter. So will die Linke etwa die Umlagemöglichkeiten von Modernisierungskosten erschweren. Dazu soll die Umlagefähigkeit von 11 auf 9 Prozent reduziert werden. Aber was hat das zur Folge? Wirtschaftlich stehen hinter der Errichtung und der Bewirtschaftung von Mietwohnraum erhebliche Investitionen und dauerhafter finanzieller Aufwand. Wenn nun Anreize für Vermieter gesenkt werden, Modernisierungen vorzunehmen, weil sie die Kosten nurmehr eingeschränkt umlegen können, werden diese nicht mehr sondern weniger investieren. Das aber gefährdet den Erhalt eines qualitativ hochwertigen Wohnungsbestandes. Als wäre das nicht schon schlimm genug, wird damit auch das – von uns allen sicherlich geteilte – Ziel des Klimaschutzes gefährdet. Denn auch energetische Sanierungen werden so unattraktiver. Das Klima schützen wir mit Ihren Anträgen daher nicht. Im Gegenteil: Wollen wir Eigentümer zu den notwendigen, aber teuren Modernisierungsmaßnahmen motivieren, müssen diese für Vermieter auch wirtschaftlich tragbar sein. Deswegen bedarf es wirtschaftlicher Anreize dafür und nicht zusätzlicher Hürden! Allerdings: Angesichts erheblicher Mietsteigerungen gerade in den Ballungszentren wie Berlin, München oder Hamburg soll es auch dabei bleiben. Mehr als 11 Prozent Kostenumlage wird es nicht geben, denn wir wollen diese Situation für Mieter nicht noch zusätzlich verschärfen. Der Gesetzentwurf der Linken enthält noch so manchen wirtschaftlichen Unsinn. Ich erspare Ihnen die -Details. Darüber haben wir ja auch schon diskutiert. Hinweisen möchte ich aber noch darauf, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen Mieter zum Teil sogar schlechter stellen, als es nach geltendem Recht bzw. nach unseren Vorschlägen der Fall ist. Offenbar haben Sie vieles in Ihrem Antrag nicht zu Ende gedacht. Wenn Sie zum Beispiel in Bezug auf die gewerbliche Wärmelieferung das Contracting fordern, dass die anfallenden Kosten dafür die bisherigen Heizkosten nicht übersteigen dürfen, hätten Sie den Gesetzentwurf der Koalition zum Mietrecht lesen sollen. Denn da ist Ihre Forderung nach Kostenneutralität längst erfüllt. Tatsächlich geht unser Gesetzentwurf sogar noch weiter. Bei uns gilt strikt und ohne Ausnahme, dass die Betriebskosten nach der Umstellung aufs Contracting nicht höher sein dürfen als vorher. Bei Ihnen kann das in bestimmten Fällen sehr wohl erlaubt sein. Sie bleiben also hinter Ihrem selbstgesteckten Ziel des Mieterschutzes zurück. Und weiter: Sie fordern, dass ein Mietvertrag erst dann wirksam zustande kommt, wenn dem Mieter ein Energieausweis ausgehändigt wurde. In der Konsequenz führt das dazu, dass bei einem Verstoß des Vermieters gar kein wirksamer Mietvertrag zustande kommt. Wenn es schlecht läuft, kann sich der Mieter wieder auf -Wohnungssuche begeben. Sie greifen mit Ihrer Forderung auch willkürlich ein Kriterium heraus, nach dem in der Praxis keiner fragt. Das geht nicht nur an den -Menschen, die Sie angeblich im Blick haben, völlig vorbei, sondern im Ergebnis verkürzen Sie Mieterrechte -damit sogar. Solche absurden Forderungen machen wir nicht mit. Die christlich-liberale Koalition hat anders als die Linke einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sehr ausgewogen ist. Wir befördern die energetische Sanierung, um dem gesamtgesellschaftlichen Ziel des Klimaschutzes Rechnung zu tragen. Wir berücksichtigen dabei die berechtigten Interessen der Mieter und verhindern, dass sich die Mietpreisspirale weiter dreht. Das war mir als Berliner Abgeordneter – Berlin ist ja bekanntlich eine Mieterstadt – sehr wichtig. Gleichzeitig übervorteilen wir aber auch nicht die Vermieter. Ohne sie gibt es keine Investitionen – und die brauchen wir zum Erhalt und zur Modernisierung unseres Wohnungsbestandes und damit letztlich für den Schutz unseres Klimas. Mein Fazit zum Gesetzentwurf der Linken lautet daher nach wie vor: Er ist abgeschrieben, handwerklich schlecht gemacht und verfehlt die selbstgesteckten Ziele. Wir werden ihn daher ablehnen. Dr. Eva Högl (SPD): Es freut mich sehr, dass sich bei der Bundesregierung die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Klimawandel nicht ohne politischen Einsatz und Engagement vollzogen werden kann. Die Einhaltung der Klimaschutzziele erfordert neben einer gesellschaftlichen Bewusstseinsveränderung nicht zuletzt auch gesetzgeberische Maßnahmen. Zur Umsetzung der klimapolitisch notwenigen Gebäudesanierung wird die Bundesregierung voraussichtlich im Mai 2012 das sogenannte Mietrechtsänderungsgesetz vorlegen. Dieses Gesetz ist bereits vor -Einbringung in den Bundestag auf massive Kritik gestoßen – und dies zu Recht! Dieser Gesetzentwurf ist sozialpolitisch fehlgeschlagen und im höchsten Maße unsozial: Die Gebäudesanierung soll ausschließlich durch die Mieter und Mieterinnen finanziert werden. Vermieter und Vermieterinnen sowie staatliche Subventionen bleiben weitestgehend außen vor. Nachdem die staatliche Förderung durch die KfW-Bank in den vergangenen Jahren gedrosselt wurde, soll nun nach dem Willen der Bundesregierung die Finanzierung der energetischen Häusersanierung durch Mieterhöhungen an die Mieterschaft weitergegeben werden. Dieses Vorgehen ist für uns Sozialdemo--kratinnen und Sozialdemokraten nicht tragbar! In Deutschland leben 53 Prozent der Menschen in Mietwohnungen. Der deutsche Mietwohnungssektor ist einer der größten Europas. Daneben bietet der deutsche Mietraumsektor eine weitere Superlative, die besorgniserregend ist: Die Wohnkosten in Deutschland gehören im europaweiten Vergleich zu den höchsten. Im Durchschnitt müssen Mieter knapp 30 Prozent ihres Nettoeinkommens auf die monatliche Miete verwenden. Das Mietrecht hat eine soziale Funktion, und die Vorschläge der Bundesregierung werden diesem Anspruch in keinster Weise gerecht. Daher fordern wir, die Höhe der Umlage, die die Vermieter und Vermieterinnen auf die Miete legen können, von 11 auf 9 Prozent zu begrenzen. Dahin gehend verfolgt der hier zur Debatte -stehende Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke das richtige Ziel. Fest steht: Eine Beteiligung des Mieters an der Finanzierung der Sanierungskosten darf nicht in einer versteckten Mieterhöhung münden. Genau das wird aber passieren, da die schwarz-gelbe Bundesregierung dem Vermieter das Recht einräumen will, zeitlich unbegrenzt die Umlage einzufordern. Konkret bedeutet das: Der Mieter zahlt auch nach Amortisierung der Sanierungskosten, und das ist unstrittig eine Form der Mieterhöhung. Nicht ohne Grund begrenzt das Mietrecht die Möglichkeit, die Miete nach Belieben zu erhöhen, und knüpft für die Zulässigkeit einer Mieterhöhung an strenge Voraussetzungen. Geht es nach der Bundesregierung, droht den Mietern im schlimmsten Fall eine doppelte Mieterhöhung: Der Vermieter kann die Kosten seiner energetischen Sanierung auf den Mieter abwälzen und zusätzlich noch von dem regulären Recht der Mieterhöhung in Höhe von 20 Prozent Gebrauch machen. Dies kann nicht sein! Vor dem Hintergrund, dass Mietverhältnisse in Deutschland der Regelfall sind, müssen Mieten bezahlbar bleiben. Als Berliner Abgeordnete erlebe ich regelmäßig die tiefe Sorge der Menschen, dass ihr Einkommen in naher Zukunft nicht mehr für die Finanzierung ihrer Wohnungen reichen wird. Die Menschen haben Angst, aus ihren Kiezen in die Randbezirke verdrängt zu werden und -damit ihr vertrautes Wohn- und Arbeitsumfeld zu verlieren. Das ist, was die Menschen in ihrem Alltag wirklich beschäftigt. Gerade in Berlin sind in den letzten Jahren die Mieten für Wohnraum in attraktiven städtischen -Lagen rasant gestiegen. Wir erleben eine Entwicklung, die zur massiven Verdrängung der alten Mieter führt und längerfristig die Gefahr von sozialen Unruhen birgt. Als Gesetzgeber sind wir gefordert, soziale Ausgrenzung zu verhindern. In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln, die eine starke Mieterfluktuation aufweisen, brauchen wir dringend eine Deckelung der Miethöhen bei Wiedervermietung. Denn mit jedem neuen Mietvertrag kann der Vermieter unbegrenzt die Miete anheben. Zudem müssen wir dem Phänomen der Ferienwohnungen in Wohngebieten entgegentreten. Der Wohnraummangel darf in zentralen Innenstadtlagen nicht auch noch durch die Ferienwohnungen verschärft werden. Gerade in den Berliner Innenbezirken hat die Nutzung von Wohnfläche zum Zwecke der Beherbergung von Touristen Hochkonjunktur. Die Landesregierungen müssen ermächtigt werden, nicht nur für Gemeinden, sondern auch für einzelne Bezirke individuell angepasste Genehmigungspflichten einzuführen. Wohnraum darf kein Luxus sein! Michael Groß (SPD): Die Entwicklung in Deutschland zeigt zwei klare Tendenzen auf: In Ballungsräumen prosperiert die Wirtschaft, der Wohnungsmarkt boomt, die Mietpreise steigen, und viele können bei nur gering steigendem Einkommen Miete und Energiekosten kaum bezahlen. Auf der anderen Seite stehen Abwanderungsgebiete mit steigender Arbeitslosigkeit, Sanierungsrückzug und Mehrbedarf an altersgerechtem und barrierefreiem Wohnraum aufgrund demografischer Veränderungen. Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der gesellschaftlichen Teilhabe und das tatsächliche Erleben unserer Demokratie entscheiden sich in den Stadtteilen und Wohnquartieren. Das verfügbare Einkommen bestimmt die Auswahlchancen und Auswahlentscheidungen auf dem Wohnungsmarkt, entscheidet über gute und schlechte -Adressen und Lebensperspektiven. Hier muss Politik – müssen wir – handeln! Es gilt, unseren Wohnraum zukunftsfähig zu gestalten – bezahlbar, umweltschonend, ökonomisch sinnvoll und barrierearm. Im Gebäudebestand müssen wir die energetische Sanierung voranbringen, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Mehr Sanierung bedeutet mehr CO2-Einsparung. Aber hier sind nicht einzelne Leuchtturmprojekte die Beschleuniger, sondern Maßnahmen in der Breite. Investitionen in die energetische Gebäudesanierung müssen wesentlich stärker als zu den jetzigen Zeiten einer schwarz-gelben Koalition gefördert und angeregt werden. Jeder über die KfW-Programme zur energetischen Sanierung geförderte Euro löst mehr als das Sechsfache an weiteren Investitionen aus. Dies kommt besonders der regionalen Wirtschaft zugute. Wer sein Haus anpackt und energetisch effizient gestaltet, spart nicht nur klimaschädliche Emissionen, sondern auch Energiekos-ten ein. Aber wir wissen auch, dass jemand, der wirtschaftlich denkt, nicht nur energetisch saniert, sondern gleichzeitig auch alters- und familiengerecht umbaut. Die Eigentümer orientieren sich an der Lebensdauer von Heizungsanlagen und Bauelementen, um insgesamt eine Verbesserung der Wohnqualität zu erreichen. Somit geht die schlichte Rechnung, dass Mieter und Eigentümer automatisch profitieren, nicht auf. Die Einsparungen bei den Energiekosten kompensieren meist nicht die durch Sanierungskosten steigenden Mieten. Und regional sehr unterschiedlich stellt sich der Mehrwert für die Immobilie durch die Sanierung dar. SPD-Politik heißt, explodierenden Mieten in Wachstumsregionen entgegenzuwirken, energetische Sanierungen regional spezifisch und qualifiziert zu unterstützen und voranzubringen. Bezahlbarer Wohnraum und bezahlbare Energiepreise – keine Überforderung des Einzelnen! Nicht erst, wenn Mieter sich ihre energetisch sanierten Wohnungen nicht mehr leisten können und aus den Quartieren verdrängt werden, wenn die Kosten der energetischen Sanierung den Wert der Immobilie übersteigen, müssen wir handeln, sondern jetzt! Die Lebensbedingungen und -chancen entstehen in unseren Quartieren. Es geht letztendlich um unser Zusammenleben, eine stabile Nachbarschaft und um ein -lebenswertes Wohnquartier. Stadtsanierung, Energiegewinnung und Energieversorgung müssen im Zusammenhang gesehen und in einem Quartiers- und Regionalbezug umgesetzt werden. Das Mietrecht darf nicht zulasten der Mieter verändert und seine soziale Funktion darf nicht ausgehöhlt werden. Stephan Thomae (FDP): Ziel der Linksfraktion ist es, mithilfe des vorliegenden Gesetzentwurfes die Mieten bezahlbar zu halten, Energie einzusparen und Energiekosten zu senken. Ich bin der Überzeugung, dass Sie Ihr Ziel mit dem Vorschlag nicht erreichen können. Lassen Sie mich an einigen Punkten erklären, weshalb die FDP-Bundestagsfraktion Ihren Antrag ablehnt. Der erste Punkt betrifft das Thema Energieausweis. Der Entwurf der Linken sieht vor, dass ein Mietvertrag über Wohnraum nur wirksam ist, wenn der Vermieter bei Abschluss des Vertrags dem Mieter einen Energieausweis für den Wohnraum vorlegt. Eine solche Regelung hätte aber im Umkehrschluss zur Folge, dass immer dann, wenn bei Abschluss des Vertrags kein Energieausweis vorgelegt wird, auch kein wirksamer Mietvertrag zustande kommt. Man muss sich einmal überlegen, was das für die Altfälle, also für die schon bestehenden Mietverträge, bedeutet. Muss dann der Energieausweis nachgereicht werden? Welche Konsequenzen stehen den Parteien bevor, wenn kein Energieausweis nachgereicht wird? Das ist ein Punkt, der zumindest bei der Übergangsregelung zu bedenken wäre. Dazu sagt Ihr Entwurf aber nichts. Der zweite Punkt betrifft faktische Mietverhältnisse, also solche Fälle, in denen bei Eingehung des Mietvertrags ein Energieausweis nicht vorgelegt wird, weil die Parteien es nicht bedenken, die Vorschriften nicht kennen, sie ihnen gleichgültig sind oder keiner von beiden Wert darauf legt. Kommt es dann zu einem Rechtsstreit zwischen Mieter und Vermieter, wäre der Mieter durch den Antrag der Linken faktisch rechtlos, weil er im Falle des Beendigungswunsches des Vermieters auf keinen wirksamen Mietvertrag zurückgreifen kann. Die Linke verfehlt nicht nur ihr Ziel, die Rechte der Mieter zu stärken. Sie verkehrt es durch den Antrag sogar ins Gegenteil, indem sie für eine Vielzahl von Mietverhältnissen eine erhebliche Rechtsunsicherheit herbeiführt. Der dritte Punkt betrifft die Vorschläge der Linksfraktion zu Contracting-Verträgen. Wir halten es für sehr erstaunlich, dass Ihr Entwurf es zulässt, dass dem Mieter für Wärme-Contracting höhere Nebenkosten entstehen dürfen. Da verfolgt die Koalition andere Ziele. Wir wollen erreichen, dass sich der Vertrag beim Wärme-Contracting für den Mieter kostenneutral auswirkt. Die Linke fordert, dass im Rahmen von Energie-Contracting-Verträgen der Primärenergiebedarf um mindestens 15 Prozent sinken muss und dass bei größeren Mietobjekten die Hälfte der Mieter zustimmen muss. Solche apodiktischen Voraussetzungen würden jedoch den Modernisierungsanreiz mindern. Im Ergebnis bestünde dadurch sogar die Gefahr, dass genau das verhindert wird, was wir wollen: die energetische Sanierung des Wohnraums in Deutschland. Ein weiteres Problem ist für die FDP-Bundestagsfraktion der Vorschlag der Linken zur Kappungsgrenze. Bislang darf die Miete innerhalb von drei Jahren um maximal 20 Prozent erhöht werden. Die Linke will, dass die Miete innerhalb von vier Jahren um maximal 15 Prozent erhöht werden darf. In diesem Zusammenhang muss man sich vergegenwärtigen, was auf dem Mietmarkt geschieht. Die Anschaffung von Wohnungsmietraum in Form einer Immobilie ist für den Vermieter zunächst eine Geldanlage. Diese Geldanlage gilt im Vergleich zu anderen Anlageformen zwar als sicher, aber eher als renditeschwach. Wir müssen in diesem Zusammenhang bedenken, dass diese Anlageform mit anderen Anlageformen konkurrieren muss. Und wir müssen bedenken, dass Gewinnerzielung nichts Illegitimes ist. Die Linke will die Obergrenze der Mieterhöhung ändern. Wir sagen: Eine wirksame Begrenzung der Mieten findet über den Markt statt. In vielen Regionen Deutschlands gibt der Mietmarkt sogar viel weniger her als die gesetzlich erlaubte Erhöhung. Das ist nur eine Obergrenze. Die eigentliche Obergrenze für Mieterhöhungen bildet aber der Markt. Wenn der Vermieter die Miete zu stark erhöht, riskiert er Mietleerstand und Mietausfälle gerade in Gegenden fernab der Innenstädte großer Städte. Dieses Risiko trägt der Vermieter ebenfalls. Das ist als eigentliche Kappungsgrenze anzusehen. Der letzte Punkt sind die Modernisierungskosten. Derzeit können bis zu 11 Prozent dieser Kosten auf die Jahresmiete umgelegt werden. Die Linke will den Anteil auf 9 Prozent senken. An dieser Stelle muss man sich vor Augen halten, was die Miete wirtschaftlich betrachtet ist. Die Miete ist eine Abzinsung, die der Mieter auf die Anschaffungskosten des Vermieters entrichtet. Deswegen heißt es auch Mietzins. Der Vermieter schafft Eigentum an, das er finanzieren muss. Er hat Kapitalkosten, muss Zinsen zahlen sowie Investitionskosten und vielleicht auch Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung tragen. Wenn Reparaturen an der Wohnung nötig werden, trägt der Vermieter zusätzlich das Risiko, dass der Mieter die Miete mindert. Darüber hinaus trägt der Vermieter auch das Mietausfallrisiko, wenn der Mieter kündigt oder zahlungsunfähig wird. Diese Aufwendung darf der Vermieter refinanzieren. Wenn wir diese Möglichkeiten beschneiden, riskieren wir, dass immer weniger Eigentümer bereit sind, in Wohnraum zu investieren. Dies würde zu einer Verschärfung der Lage auf dem Mietmarkt führen und kann daher nicht im Interesse der Mieter sein. Aus diesen Gründen lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den Entwurf der Linken ab. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Seit der ersten Lesung des hier zu behandelnden Antrags am 7. Juli vorigen Jahres haben sich die Umstände, die den Anlass für diesen Antrag gaben, keineswegs verbessert. Im Gegenteil: Wohnen ist in vielen deutschen Großstädten zum Luxusgut geworden. Selbst „Normalverdiener“ können es sich in Städten wie München, Hamburg, Düsseldorf, Potsdam und zunehmend auch in Berlin nicht mehr leisten, in diesen Städten, nah bei Ihrer Arbeit, zu wohnen. Das Problem der Verdrängung aus traditionell guten Wohnlagen ist zum Beispiel in Berlin längst nicht mehr nur eins in Mitte oder im Prenzlauer Berg. Nein, auch sogenannte gutbürgerliche Gegenden wie Wilmersdorf oder Charlottenburg und die dort seit langem lebenden und sozial verwurzelten Mieterinnen und Mieter sind davon betroffen. Da hilft kein regierungsamtlicher Verweis auf die gewachsene Zahl von Baugenehmigungen im letzten Jahr. Man muss schon hinsehen, was gebaut wird und für wen, vor allem in den Großstädten: 80 Prozent des Wohnungsneubaus erfolgen nämlich im Luxussegment. Hier zeigt sich einfach „eine Flucht ins Betongold“ oder, wie es der Präsident des Deutschen Mieterbundes ausdrückt: „Reich baut für reich.“ Die Forderung nach Wohnen zu bezahlbaren Mieten, die Furcht, sich die „eigenen vier Wände“ in der gewohnten Umgebung nicht mehr leisten zu können, sind mitten in der Gesellschaft angekommen. Für Menschen mit niedrigen Einkommen oder für die, die auf Transferleistungen angewiesen sind, wird Wohnen gar zu einem Armutsrisiko. 40, 50 Prozent des Haushaltseinkommens oder sogar mehr für Wohnkosten aufwenden zu müssen, ist längst keine Seltenheit mehr in unserem Land. Nach Recherchen einer aktuellen Studie des Pestel Instituts Hannover, die dort im Auftrag der Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“ erstellt wurde, sind circa 44 Prozent der deutschen Mieterhaushalte davon betroffen. Und diese Haushalte haben keine Reserven. Was sie für Wohnkosten aufwenden, müssen sie sich von anderen notwendigen Ausgaben absparen. Neue Wohnungsnot und zunehmende Armut sind keine links erfundenen Horrorszenarien, sondern sie hängen zusammen und sind eine sich ausbreitende gesellschaftliche Realität. Die erwähnte Studie bezeichnet die Tatsache, dass immer mehr Haushalte – selbst mit mittleren Einkommen – einen immer größeren Anteil davon fürs Wohnen ausgeben müssen, als dramatisch – und das, obwohl die Bruttokaltmieten in den meisten ländlichen Regionen gar nicht gestiegen sind. Die flächendeckende Erhöhung der Wohnkosten in den letzten Jahren, selbst dort, wo hoher Wohnungsleerstand herrscht, ist überwiegend auf eine starke Steigerung der Energiekosten zurückzuführen. Wenn jetzt auch noch nach energetischen Sanierungsmaßnahmen, die grundsätzlich ja zu begrüßen sind, die Kosten dafür vollständig auf die Mieter abgewälzt werden sollen, sprengt das deren finanzielle Leistungsfähigkeit vollends. Da hilft auch kein „Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln“, wie das die Regierungskoalition plant. Das geht völlig an der Realität vorbei und treibt unnötig einen Keil zwischen Vermieter und Mieter. Was wir in Deutschland wirklich brauchen, ist eine zukunftsorientierte und bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung des sozialen Wohnungsbaus durch Bund und Länder, eine aufgabengerechte öffentliche Förderung der energetischen Sanierung und des klimaschonenden Wohnungsneubaus ohne Überforderung von Vermietern und Mietern und ein ausgewogenes Mietrecht, das Vermieter- und Mieterinteressen gleichermaßen schützt, statt sie gegeneinander auszuspielen. Dazu soll dieser Antrag einen Beitrag leisten. Er geht auf eine Bundesratsinitiative des Landes Berlin aus der Regierungszeit von SPD und Linken im Jahr 2010 zurück. Das ist ja auch der SPD-Bundestagsfraktion nicht entgangen, die diesen von ihren Genossen im Berliner Abgeordnetenhaus mit verfassten Antrag im Verkehrsausschuss noch beargwöhnt, ihm im Rechtsausschuss aber schon zugestimmt hat. Weiter so! Und wenn auch Bündnis 90/Die Grünen sich zu ihren eigenen Anliegen konsequent verhalten, dann könnten der Untätigkeit der Bundesregierung oder ihrem Agieren in die falsche Richtung wirksame Alternativen entgegengesetzt werden. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Lage der Wohnungsmärkte in wachsenden Regionen spannt sich zunehmend an. Das belegt auch der Wohngeld- und Mietenbericht 2010. Die Anzahl der Kreise mit hohen Mietsteigerungen nimmt seit 2009 zu, und eine neue Dynamik ist feststellbar. Wir haben in -diesen Wohnungsmärkten Verknappungstendenzen, die einkommensschwachen Haushalten den Zugang zu Wohnraum erschweren. Die Bundesregierung hat auf diese drängenden Fragen keine Antworten. In ihrem vorgelegten Referentenentwurf für eine Mietrechtsnovelle ignoriert sie diese Thematik sogar völlig. Dabei ist bezahlbares und klimafreundliches Wohnen möglich. Die Fraktion Die Linke hat mit ihrem Gesetzentwurf, der auf einer Bundesratsinitiative des Landes Berlin -basiert, versucht, Antworten zu finden. Doch bevor ich auf die einzelnen Forderungen eingehe, möchte ich kurz meine Verwunderung über das uneinheitliche Abstimmungsverhalten der SPD-Bundestagsfraktion in den Ausschüssen zum Ausdruck bringen. Im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat sie sich enthalten, und im federführenden Rechtsausschuss hat die SPD zugestimmt. Ich bin guter Hoffnung, dass wenigstens die SPD künftig zu einer einheitlichen Positionierung im Mietrecht findet. Die Fraktion Die Linke hat leider mehrere und sich widersprechende mietrechtliche Forderungen in dieser Wahlperiode ins parlamentarische Verfahren eingebracht. Nun zu den einzelnen Forderungen im Antrag sowie zur Begründung unseres Abstimmungsverhaltens. Den Vorschlägen zur Änderung von § 5 Wirtschaftsstrafgesetz stimmen wir zu. Zusätzlich wollen auch wir, dass Energieausweis an Bedeutung gewinnt. Darüber hinaus soll er, flächendeckend für alle Gebäude eingeführt, bei Vermittlung sowie Verkauf verpflichtend vorgelegt werden. Auch in der Weiterentwicklung des Contractingmarktes sehen wir eine Chance, die energetische Gebäudesanierung weiter voranzutreiben. An anderen Stellen hingegen sind die Linke und auch die SPD des Landes Berlin inkonsequent. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen geht hingegen entschieden in Richtung Bezahlbarkeit und Klimaschutz. Zum Bespiel reicht es nach unserer Einschätzung nicht aus, die Modernisierungsumlage einfach von 11 auf 9 Prozent abzusenken. Wir wollen sie auch auf die energetische Sanierung und den altersgerechten Umbau konzentrieren. Auch bei den Vorschlägen zur ortsüblichen Vergleichsmiete wird lediglich vorgeschlagen, die Kappungsgrenze von 20 auf 15 Prozent abzusenken sowie den Schonungszeitraum von drei auf vier Jahre zu verlängern. Auch wir schlagen eine Absenkung der Kappungsgrenze vor; aber wir wollen auch, dass die energetische Gebäudebeschaffenheit als Vergleichsvariable in die ortsübliche Vergleichsmiete aufgenommen wird. Das sind für uns zentrale mietrechtliche Stellschrauben, mit denen die unbedingt notwendige energetische Sanierung vorangetrieben, die Bezahlbarkeit des Wohnens aber gleichsam erhalten werden kann. Deswegen haben wir uns beim Antrag der Linken in den Ausschussberatungen enthalten und werden das auch heute tun. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8953, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6371 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Hans-Joachim Hacker, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sicherheit auf Kreuzfahrtschiffen verbessern – Drucksache 17/9158 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir auch diese Reden zu Protokoll. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): In diesen Tagen jährt sich zum 100. Mal der Untergang der „Titanic“. Dieser schreckliche Unfall hat – wie kaum ein anderes Unglück – die Menschen für die Grenzen der Technik sensibilisiert. Wir gedenken heute hier der mehr als 1 500 Opfer. Sie sind bis heute für uns eine ständige Mahnung, die Sicherheit auf See immer weiter zu verbessern. Bei den Bemühungen um die Sicherheit auf See darf es niemals Stillstand geben. Die Sicherheit auf See muss dem technischen Fortschritt immer wieder angepasst werden. Dabei werden wir niemals nachlassen! Die Havarie der „Costa Concordia“ am 13. Januar dieses Jahres hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – völlig zu Recht – auf die Sicherheit von Kreuzfahrtschiffen gelenkt. Weltweit verkehren circa 500 Kreuzfahrtschiffe auf den Ozeanen. Alle Experten gehen davon aus, dass sich diese Zahl in den nächsten Jahren noch erhöhen wird. Nicht nur die Zahl der Schiffe hat zugenommen, sondern auch ihre Größe: Die „Costa Concordia“ gehört mit circa 5 000 Personen an Bord noch nicht einmal zu den größten Kreuzfahrtschiffen. Derzeit gibt es schon Schiffe, die fast 8 500 Personen an Bord haben. Damit ist aber noch nicht genug: In Planung befinden sich schon wahre Giganten der Meere, die circa 10 000 Personen an Bord haben werden. Dies entspricht der Bevölkerung einer Kleinstadt. Es ist völlig klar, dass diese Dimensionen ein völlig neues Denken erfordern. Dies gilt nicht nur für die -Verhinderung von Unfällen, sondern auch für die Versorgung der Opfer im Falle eines Unglücks. Sogar die hervorragend ausgebaute Infrastruktur eines Industrielandes wäre mit mehreren Tausend Opfern an einem einzigen Punkt überfordert. Wie dies in weniger privilegierten Teilen dieser Welt wäre, mag man sich gar nicht vorstellen. Sie sehen, dass die Sicherheit auf See ein in seiner -Bedeutung kaum zu überschätzendes Thema ist. Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauer hat daher auf interna-tionaler Ebene schon bemerkenswerte Initiativen ergriffen. Ich selbst stehe deshalb schon seit einiger Zeit in Kontakt mit den Spitzenvertretern des Verbands der Deutschen Reeder. Bei so vielen Aktivitäten der Union zugunsten der Schiffssicherheit sahen auch die Sozialdemokraten die Notwendigkeit, einen Antrag zu diesem Thema in letzter Minute mit heißer Nadel zu stricken. So ist er dann auch geworden. Dagegen hebt sich das langfristige und strategische Vorgehen unseres Verkehrsministers doch wohltuend ab: Auf dem Weltverkehrsforum in Leipzig Anfang Mai und bei der Tagung der Internationalen Seeschifffahrts--Organisation Mitte Mai dieses Jahres wird er außerdem ein Maßnahmenpaket vorstellen, um möglichst schnell zu einem neuen, weltweiten Sicherheitsstandard für Kreuzfahrtschiffe zu kommen. Peter Ramsauer ist klar, dass wir nicht auf dem Sicherheitsstandard von 1980 verharren dürfen! Deutschland bringt sich schon seit langem mit seiner maritimen Kompetenz in die Internationale Seeschifffahrts-Organisation ein. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation entwickelt in einem ganzheitlichen Ansatz Regelungen für die Sicherheit von Fahrgastschiffen. Die Vorschriften zur baulichen Beschaffenheit für den Brandschutz sowie zur Dauer der Schwimmfähigkeit nach einem Wassereinbruch wurden bereits angepasst. Derzeit entwickelt die Internationale Seeschifffahrts-Organisation unter anderem neue Vorschriften für -Evakuierungsmöglichkeiten, Rettungsmittel und die -Zuverlässigkeit aller technischen Komponenten. Dies lässt hoffen, ist aber bei weitem noch nicht genug. Maßnahmen, die die bauliche Beschaffenheit von Schiffen betreffen, wirken sich nur auf neue Schiffe aus. Schiffe, die sich bereits in Betrieb befinden, genießen Bestandsschutz. Bauliche Maßnahmen greifen also nur langfristig. Das hat niemand klarer erkannt als Peter Ramsauer. Er macht sich daher in seinem Maßnahmenpaket für die Verbesserung von operativen Maßnahmen an Bord auch von solchen Schiffen, die sich schon in Betrieb befinden, stark. Das ist praktizierte Verantwortung für die Menschen. Peter Ramsauer fordert die Simulation von Evakuierungsszenarien. Was bei Flugzeugen und Großveranstaltungen selbstverständlich ist, muss auch für Kreuzfahrtschiffe verbindlich werden. So können schon im Vorfeld Schwachstellen erkannt und im Interesse der Menschen an Bord beseitigt werden. Dies gilt auch für die an Bord befindlichen Rettungsmittel. Hier wurden die Vorschriften seit mehr als 30 Jahren dem technischen Fortschritt nicht angepasst. Dies kann nicht so bleiben. Neuartige Rettungskonzepte, die der Größe und dem Einsatz von Kreuzfahrtschiffen entsprechen, werden benötigt. Entscheidendes Kriterium muss dabei die möglichst schnelle Rettung einer möglichst großen Anzahl von Personen mit Rettungs-mitteln, die der jeweiligen Weltregion entsprechen, sein. Besonderen Wert legt unser Bundesverkehrsminister auch auf die Fortentwicklung von elektronischen Seekarten, da sie die Sicherheit des Schiffsverkehrs entscheidend erhöhen können. Hier ist nicht die Ausrüstung der Schiffe das Problem, sondern das Vorhandensein von elektronischen Seekarten für Gegenden abseits der Hauptschifffahrtsrouten. Diese und andere Vorschläge wird er auf der 90. Sitzung des Schiffssicherheitsausschusses der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation, die das Thema Kreuzfahrtschiffssicherheit noch kurzfristig auf ihre -Tagesordnung gesetzt hat, präsentieren. Das ist ein -Beispiel für konstruktive Politik zugunsten der Menschen an Bord. Doch was macht die Sozialdemokratie aus diesem ernsten Thema? Sie frönt ihrem Lieblingsthema: der Regulierung. Da soll die Bundesregierung doch tatsächlich zusammen mit den Gewerkschaften den Reedereien vorschreiben, welche Menschen sie nach welchen Kriterien in Führungspositionen berufen. Mir ist durchaus klar, dass es ein alter Traum der Sozialdemokratie ist, privaten Unternehmen vorzuschreiben, welche Leute sie einstellen und welche sie entlassen sollen. Wie spätestens seit dem Untergang der DDR klar ist, hat das auf Land nicht geklappt. Doch dies ist für unsere sozialdemokratischen Freunde kein Grund zur Einsicht. Jetzt versuchen sie es auf unseren Schiffen. Das würde in kurzer Zeit auch einen bemerkenswerten Erfolg bringen: das vollständige Verschwinden unserer Handelsmarine. Noch vor der Unterschrift des Bundespräsidenten -unter eine solche Regelung hätten sich die deutschen Reeder nicht nur an den Kopf gefasst, sondern auch alle ihre Schiffe ausgeflaggt. Dies ist ein Beispiel dafür, dass nicht nur die Sicherheitsvorschriften auf hoher See angepasst werden müssen, sondern – noch viel schneller – das wirtschaftliche Verständnis der Sozialdemokraten. Ich bin der Erste, der eine verstärkte Rückflaggung von Kreuzfahrtschiffen nach Deutschland begrüßen würde. Die geeignetste Maßnahme dafür brauche ich nicht zu prüfen, die kenne ich schon jetzt: die Überantwortung solcher sozialdemokratischer Forderungen an den nächsterreichbaren Papierkorb. Das wirtschaftliche Unverständnis der Sozialdemokratie zeigt sich auch an der Forderung, eine Werbekampagne zugunsten der Berufe der Seeschifffahrt in der Öffentlichkeit zu starten und so das Image der Branche zu verbessern. Was soll denn der Staat noch alles tun? Wenn der Staat heute den Beruf des Kapitäns bewirbt, muss er – schließlich gilt gleiches Recht für alle – morgen den Beruf des Arztes, übermorgen den des Gewerkschaftssekretärs und am Ende der Woche die -Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen bewerben. Bei der Vielfalt der Berufe in unserem Land ist davon auszugehen, dass dieser wunderbare Vorschlag dazu führen würde, dass alle 147 Jahre ein Tag für die Imagekampagne zugunsten der Berufe der Seeschifffahrt zur Verfügung stünde. Das ist ein wirklich sensationeller Fortschritt. Solche Vorschläge braucht das Land – ganz gewiss nicht! Ein wesentlicher Bestandteil sozialdemokratischer Folklore ist auch die ständige Forderung nach Subventionen für Branchen, in denen sie Wähler vermutet. Als konservativer Traditionalist freue ich mich, dass die -Damen und Herren von der Opposition auch in diesem Antrag nicht darauf verzichtet haben und zum Schluss nach Staatsknete schreien. Als Mensch, der aus der Wirtschaft kommt, schreie ich ob dieser Uneinsichtigkeit. Subventionen sind wie hochdosierte Medikamente: Im akuten Ernstfall mögen sie helfen; die dauernde Anwendung führt jedoch zu -unkalkulierbar Nebenwirkung und schweren gesundheitlichen Schäden. Fragen Sie Herrn Lauterbach, der wird Ihnen das bestätigen! Peter Ramsauer dagegen wird Ihnen bestätigen, dass seine Politik der konstruktiven Schritte mehr zur Sicherheit der Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen beiträgt als ein Imagetag für Kapitäne. Wir von der Union blicken bei diesem ernsten Thema nicht auf die partikularen Interessen einzelner sozial--demokratischer Ortsvereine, sondern möchten die -Sicherheit auf See erhöhen, möchten Unfälle verhüten und Leben retten. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Uns allen werden sicherlich die Bilder vom havarierten Kreuzfahrtschiff Costa Concordia nicht aus dem Gedächtnis gehen. Auf diesem schmucken Schiff haben mehrere Tausend Menschen die schönste Zeit des Jahres, ihren Urlaub, verbracht – und von einer Stunde zur anderen wurde aus schönster Urlaubserholung ein grauenhaftes Schrecken. Über 30 Menschen haben ihr Leben verloren. Noch wissen wir nicht genau, wie es zu diesem Unglück gekommen ist. Dies werden die italienischen Behörden jetzt detailliert untersuchen. Aber trotz dieses schrecklichen Unglücks müssen wir auch feststellen: Die Kreuzfahrtschifffahrt ist und bleibt eine attraktive und sichere Reiseform. Urlaube auf Kreuzfahrtschiffen, sei es auf hoher See oder auf größeren Flüssen, erfreuen sich steigender Beliebtheit. Im vergangenen Jahr machten 1,8 Millionen Bundesbürger eine Kreuzfahrt, das war ein Zuwachs um 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies zeigt zugleich, dass die Kreuzfahrten längst aus der Ecke des elitären Luxusurlaubs herausgekommen sind. Das ist auch gut so, und ich möchte die Reeder nur ermuntern, diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen. Kreuzfahrten sind auch sicher: Bei 200 Millionen Übernachtungen auf Kreuzfahrtschiffen seit dem Jahr 2000 hat es insgesamt 40 Todesfälle gegeben, in den vorangegangenen sechs Jahren vor dem Unglück der Costa Concordia keinen einzigen Todesfall. Deshalb sollten wir uns auch davor hüten, nach einem Unglück – so schrecklich es auch ist – Panik zu verbreiten. Bevor nicht die italienischen Behörden ihre Auswertung vorgelegt haben, wird man keine abschließenden Konsequenzen aus diesem Unglück ziehen. Immerhin gibt es erste Hinweise auf menschliches Fehlverhalten. Dagegen helfen kaum die besten Sicherheitsvorkehrungen. Dennoch beschäftigen sich die Reeder mit dem Thema Sicherheit, und das auch aus eigenem Interesse. Sie kommen ihrer Verantwortung nach. Vor wenigen Tagen haben wir auf einem Parlamentarischen Abend in der Hamburger Landesvertretung viel gehört, wie sich Reeder dieser Verantwortung stellen. Und auch die Bundesregierung handelt. Bundesverkehrsminister Ramsauer hat unabhängig vom konkreten Fall der Costa Concordia das Thema Sicherheit bei der internationalen Meeresorganisation IMO angemeldet: Der Schiffssicherheitsausschuss wird sich im Mai mit diesem Thema befassen. Die Kreuzfahrtschiffe werden immer größer. Demnächst werden Schiffe mit mehr als 10 000 Personen an Bord auf dem Wasser verkehren. Dies ist allemal Anlass, Sicherheitsstandards zu überprüfen. Es geht um Rettungsmittel. Die SOLAS-Bestimmungen sollen überprüft werden. Es geht um Evakuierungsszenarien: Die Simulation von Evakuierungen soll zur Pflicht werden. Aber es ist zweifelhaft, ob die schon diskutierte Verpflichtung, Evakuierungen real zu üben, wirklich zielführend wäre. Schließlich haben wir bei Kreuzfahrten auch regelmäßig wechselnde Gäste. Schließlich üben wir auch nicht in Krankenhäusern oder Flugzeugen reelle Evakuierungen, obwohl im Katastrophenfall auch hier schnelle Evakuierungen notwendig sind. Entscheidend kommt es darauf an, dass die baulichen Voraussetzungen für schnelle Evakuierungen vorhanden sind und dass das Personal mit den Situationen angemessen umgehen kann. Und es geht auch um die Fortentwicklung elektronischer Seekarten, eine wichtige Hilfe für die Navigation. Dies gilt insbesondere für entlegene Routen, zum Beispiel in der Antarktis oder der Arktis. Diese Beispiele zeigen, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nachkommt, sie handelt, aber mit Bedacht, nicht mit Schnellschüssen, die nur einen falschen Eindruck erwecken würden. Vor diesem Hintergrund erscheint der Antrag der Sozialdemokraten genau ein solcher Schnellschuss zu sein. Schnell ein Thema besetzen, schnell etwas zusammenschreiben, auf den Inhalt kommt es ja nicht an. Der Antrag enthält viele Selbstverständlichkeiten, die bei der Bundesregierung bereits längst in guten Händen sind, und es ist eine Vielzahl von Punkten aus dem Zettelkasten früherer Anträge aufgenommen, die mit dem Thema Sicherheit der Kreuzfahrtschiffe nur am Rande zu tun haben. Natürlich haben auch wir ein Interesse an der Fortführung des maritimen Bündnisses, und wir haben dazu im Haushalt 2012 auch eine wesentliche Grundlage gelegt. Gestern haben wir im Tourismusausschuss auch über dieses Thema diskutiert. Dort hat der Kollege Hacker von der SPD ausdrücklich gesagt, vor Abschluss der italienischen Untersuchungen könne man keine Konsequenzen ziehen. Sie haben auch von Schnellschüssen abgeraten. Aber warum kommen Sie dann heute mit diesem Antrag? Das ist doch genau so ein Schnellschuss, ohne die Untersuchungsergebnisse abzuwarten. Meine eindringliche Bitte zum Abschluss ist: Bei allem gemeinsamen Bemühen um Sicherheit in der Kreuzfahrtschifffahrt sollten wir nichts tun, was unnötige Verunsicherung erzeugt. Unsere Kreuzfahrtschiffe sind ein sicheres Reisemittel und bieten den Menschen heute und in Zukunft eine großartige Möglichkeit für schöne Urlaubserlebnisse. Uwe Beckmeyer (SPD): Wir brauchen einen klaren Kurs für mehr Sicherheit in der Kreuzfahrtschifffahrt. Nach der Havarie der Costa Concordia gehören die Sicherheitsabläufe und -standards auf den Prüfstand. Die SPD hat dazu aktuell einen Forderungskatalog vorgelegt, der helfen soll, die Sicherheit für Passagiere und Besatzungsmitglieder an Bord der Schiffe zu erhöhen. Dies ist vor dem Hintergrund der -dynamischen Entwicklung der Branche sprichwörtlich von existenzieller Bedeutung. Denn die Größe moderner Kreuzfahrtschiffe nimmt zu, und auch die Zahl der Passagiere und der Besatzung an Bord wächst stetig. Hinzu kommt, dass sich die Kreuzfahrt als eines der am stärksten wachsenden Segmente der Tourismuswirtschaft durch einen extrem hohen Wettbewerbsdruck auszeichnet. Zunehmende Konkurrenz darf aber nicht zulasten der Sicherheit gehen. Das offenkundig miserable Notfallmanagement auf der havarierten Costa Concordia hat zahlreichen Menschen das Leben gekostet. Jetzt muss es darum gehen, alles dafür zu tun, dass sich ein solches Unglück nicht wiederholt. Die Tragödie hat insbesondere die Sicherheitsabläufe an Bord und das Krisenmanagement der Besatzungen in den Blick gerückt. Die ständige Einhaltung der Vorschriften und die Weiterentwicklung der -Sicherheitsprozeduren stellt die Grundlage für einen -unfallfreien und sicheren Schiffsbetrieb dar. Im Bereich der Sicherheitsübungen in der internationalen See-fahrt wurden bereits Änderungen umgesetzt, sodass die Einweisungen in Rettungswege und Rettungsmittel inzwischen generell vor dem Auslaufen erfolgen. Doch alle -Sicherheitsregelungen helfen nur dann, wenn sie auch richtig und rechtzeitig angewendet werden. Bei mehr als 75 Prozent aller Schiffsunglücke weltweit ist menschliches Versagen im Spiel. Zu diesem -Ergebnis kommt eine aktuelle Studie über die vergangenen 100 Jahre Schifffahrt. Der Unfall der Costa Concordia hat gezeigt: Das Risiko reist mit. Sicherheit von Schiffen ist nicht allein mit Hightech zu gewährleisten. Menschliches Versagen ist ein wesentlicher Risikofaktor, und hier müssen alle weiteren Maßnahmen zur Optimierung der Sicherheit ansetzen. Die Hauptverantwortung für die Sicherheit an Bord obliegt dem Kapitän. Er muss in der Lage sein, Gefahrensituationen zu erkennen und im Notfall rasch zu -reagieren und für eine zügige Evakuierung des Schiffes zu sorgen. Dies kann er aber nur dann leisten, wenn er insbesondere in der Führung von großen Menschenmengen, aber auch in den Bereichen Fahrgastsicherheit, Krisenbewältigung und sozialer Kompetenz hervorragend und auf dem aktuellsten Niveau geschult ist. Notwendig ist daher zum einen eine regelmäßige Überprüfung und Schulung der Kapitäne und eine optimierte Selbstkontrolle der Reedereien in Bezug auf die Schiffssicherheit. Die SPD fordert die Bundesregierung in diesem -Zusammenhang auch auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern Handlungsempfehlungen für die Reedereien zu formulieren, um künftig einheitliche Kriterien bei der Personalauswahl für die Schiffsführung zu schaffen. Diese muss sorgfältig, transparent und an objektiven Kriterien ausgerichtet erfolgen. Dazu gehört aber zum anderen auch eine hochwertige Ausbildung der Kapitäne und Schiffsoffiziere in Deutschland. Um diese -sicherzustellen, brauchen wir eine angemessene finan-zielle und personelle Ausstattung der Ausbildungsstätten – Fachhochschulen und Seefachschulen – und ein verstärktes Engagement der Schifffahrtsunternehmen im Bereich der Ausbildung. In dem Wettbewerbsumfeld, in dem die Kreuzfahrtbranche derzeit agiert, wird die Konkurrenz um Passagiere zunehmend über den Preis entschieden – und der wird nicht zuletzt auch über die Löhne der Seeleute -bestimmt. Doch nur motiviertes, gut geschultes und gut bezahltes Personal ist in der Lage, die hohen Anforderungen in Bezug auf Sicherheitsstandards zu erfüllen. Wir dürfen daher nicht zulassen, dass an dieser Stelle an der Sicherheit gespart wird. Deshalb muss die Bundesregierung endlich den bereits für 2011 angekündigten Entwurf eines neuen Seearbeitsgesetzes vorlegen, um das internationale Seearbeitsübereinkommen noch in diesem Jahr in deutsches Recht umzusetzen, das weltweit geltende Mindeststandards zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Bord der Schiffe vorschreibt. Angesichts wachsender Schiffsgrößen kommen Praxistests für die Evakuierung von Kreuzfahrtschiffen eine große Bedeutung zu. Entscheidend sind eine realistische Evakuierungsanalyse und eine konsequente Evakuierungsplanung. Wir als SPD fordern klare Standards für den Einsatz von Simulationsprogrammen im Bereich der Kreuzfahrtschifffahrt. Mithilfe dieser Programme ist es möglich, Schwachstellen bei Neubauten zu identifizieren und die Dauer einer Evakuierung der Kreuzfahrtschiffe zu -berechnen. Diese modernen Methoden helfen, die -Sicherheitsstandards weiter zu erhöhen. Die Passagiere sollen mit dem Gefühl an Bord gehen: Es wird mit -Sicherheit eine gute Reise. Torsten Staffeldt (FDP): Eine Schiffshavarie ist immer eine schreckliche Sache. Und natürlich muss immer alles getan werden, um eine solche gar nicht erst geschehen zu lassen. Nur so kann man Menschenleben retten und Passagieren, Besatzungen und Angehörigen viel Leid und Schmerz ersparen. Es wird jetzt aber auch abzuwarten sein, was die endgültigen Ursachen für die letzten Havarien waren. Die Untersuchungen laufen. Aber unabhängig davon, was dabei als Ergebnis stehen wird, bleibt es dennoch Aufgabe und Pflicht von Politik und Behörden, immer wieder zu hinterfragen, wie so etwas verhindert werden kann, und zwar regelmäßig und nicht erst, wenn ein Unfall geschehen ist. In diesem Zusammenhang kann ich feststellen, dass dies in Deutschland auch erfolgreich geschieht. Daher mutet der Antrag der SPD schon nach schneller Effekthascherei auf dem Rücken der Betroffenen an. Dies wird insbesondere dadurch unterstrichen, dass Sie schon im beschreibenden Teil fragwürdige Behauptungen aufstellen. So wird von Ihnen zum Beispiel die Situation an den nautischen Fachhochschulen völlig falsch dargestellt. Das Problem besteht doch nicht im fehlenden nautisch geschulten Personal. Es ist genügend da, auch deutsches. Es ist bloß zu teuer, weshalb die Absolventen nicht zum Zuge kommen. Aber so richtig deutlich wird das Ganze erst im Forderungsteil. Hier wird ein großer bunter Strauß an Forderungen unterschiedlicher Art aufgestellt. Diese reichen von platten Selbstverständlichkeiten wie der regelmäßigen Überprüfung der geltenden Sicherheitsbestimmungen bis hin zu äußerst fragwürdigen Forderungen wie den Handlungsempfehlungen für die Führungskräfteauswahl oder die Überprüfung der sozialen Kompetenz. Ich wage zu bezweifeln, dass dies wirklich hilfreich ist. Aber vermutlich werden Sie uns das ja noch ausführlich erläutern. Ich denke, darüber wird in den jetzt anstehenden Beratungen intensiv zu reden sein. Wir werden heraus-finden müssen, was notwendig, was sinnvoll und was weniger geeignet ist, um die Sicherheit in der Kreuzfahrtschifffahrt tatsächlich zu erhöhen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Beratungen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Bereits im Jahr 2007 beschäftigte sich der Bundestag mit dem Thema Kreuzfahrtschifffahrt. Grundlage war ein Antrag von CDU/CSU und SPD „Kreuzfahrttourismus und Fährtourismus in Deutschland voranbringen“, (Drucksache 16/5957). Das Thema Sicherheit spielte in dem Antrag vor fünf Jahren keine herausgehobene Rolle, obwohl ich in meiner Rede am 20. September 2007 durchaus auf einige kritische Konsequenzen aus dem so rasant wachsenden Tourismussektor hinwies. Dazu gehörte der Verweis auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der Crewmitglieder. Bereits damals verwies die Linke auf einen Bericht aus der Bundeszentrale für politische Bildung, laut dem unabhängige Arbeitsvermittler das billige und willige Personal für die Kreuzfahrtschifffahrt vor allem aus den verarmten Ländern des Südens und des Ostens besorgen. Untersuchungen der Arizona State University zufolge war es nicht ungewöhnlich, wenn die bis zu tausendköpfige Besatzung eines Luxusliners aus mehr als 40 verschiedenen Nationen stammt. Weil aufgrund dieser Völker- und Sprachenvielfalt an Bord keine effektive gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung möglich sei, ließen sich sehr niedrige Löhne bei gleichzeitig sehr langen Arbeitszeiten und fragwürdigen Lebensbedingungen an Bord durchsetzen. Diese Strategie zur Gewinnmaximierung führt auch zu niedrigen Standards bei der Sicherheit und erhöht die Gefahr für Leib und Leben bei Havarien. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Nun zeigt sich die SPD wiederholt als Experte für den Kreuzfahrtschifffahrtstourismus. Sicher stehen ihr dabei der Kapitän und die Besatzung der unter portugiesischer Flagge fahrenden MS Princess Daphne zur Seite, welche ihre Reisen beim SPD-Reiseservice verkauft. Sicher wird niemand im Bundestag dagegen sein, mehr für die Sicherheit der Passagiere und Besatzungsmitglieder sowie für die von der Kreuzfahrtschifffahrt betroffenen Anrainer und deren Umwelt zu tun, auch die Linke nicht. Zustimmung von mir gibt es sowohl zu dem Punkt 2, wo es um den Schutz und die Sicherheit für Passagiere mit Behinderungen geht, als auch für viele weitere einzelne Forderungen. Ob aber Ursachenbenennung, Schlussfolgerungen und alle Maßnahmen, welche die Bundesregierung laut diesem Antrag ergreifen soll, die richtigen sind, stelle ich infrage. Das fängt mit der Frage an, ob die sich seit mehreren Jahren vollziehende Entwicklung in diesem Tourismussektor „gottgegeben“ ist und ob man als Politik in diesen Prozess noch beschleunigend eingreifen muss, wie es CDU/CSU und SPD bereits vor fünf Jahren schon forderten. Müssen mit unseren Steuern immer mehr und größere Kreuzfahrtschiffe und die dafür nötige Infrastruktur gefördert werden, während für die Förderung von Kinder- und Jugendreisen, für die Schaffung einer barrierefreien touristischen Infrastruktur sowie für sozial, ökologisch, arbeitsmarktpolitisch und bildungspolitisch wertvolle Inlandsreisen meist das Geld fehlt? Und man muss auch mal über den Tellerrand schauen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Wenn Sie in ihrem Antrag schreiben, dass sich der Kreuzfahrtmarkt durch einen hohen Wettbewerbsdruck auszeichnet und Sie dann weiter ausführen, „zunehmender Wettbewerb darf jedoch nicht zu Lasten von Sicherheit gehen. Das gilt insbesondere für die Kreuzschifffahrt“, dann muss ich Ihnen entgegnen, dass dies typische Merkmale für alle Bereiche einer kapital- bzw. profitorientierten Wirtschaft sind. Wettbewerbsdruck und Gigantismus und damit auch das Risiko von menschlichem oder technischem Versagen mit zunehmend gravierenderen Auswirkungen für Mensch und Natur haben wir in allen anderen Bereichen des Personenverkehrs, haben wir beim Handel, in der Nahrungsmittelindustrie und auch in so sensiblen Bereichen wie den Atomkraftwerken. Ähnliche Verantwortung wie der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes haben auch die Kapitäne von Flugzeugen oder die Fahrerinnen und Fahrer von Eisenbahnzügen, U-Bahnen und Bussen. Deswegen unterstützt die Linke einerseits eine Reihe von Forderungen aus dem Antrag, fordert aber andererseits, sich beim Thema Tourismus einschließlich der Branche Kreuzfahrttourismus umfassend mit den damit verbundenen wirtschaftspolitischen, ökologischen und sozialen Fragen und Problemen – dabei sind die Fragen der Sicherheit eingeschlossen – auseinanderzusetzen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 13. Januar dieses Jahres kollidierte das italienische Kreuzfahrtschiff Costa Concordia mit einem Felsen vor der Insel Giglio in Italien. Die Folgen waren schwerwiegend, da das Schiff binnen kurzer Zeit auf Grund lief. Eine Umweltkatastrophe konnte im letzten Moment noch verhindert werden. Über die Gründe des Unfalls kann nur spekuliert werden, solange die Seeunfalluntersuchung noch nicht abgeschlossen ist. Den Passagieren, die zu diesem Zeitpunkt an Bord waren, möchte ich an dieser Stelle meine Anteilnahme ausdrücken. Bei dem Unglück verloren wohl 32 Menschen ihr Leben. Alle anderen Reisenden mussten ihre Urlaubsreise abbrechen und fuhren mit den schrecklichen Erlebnissen wieder nach Hause. Nicht nur die Reederei des Unglücksschiffes, sondern die gesamte Kreuzfahrtbranche hat seitdem mit starken Imageverlusten zu kämpfen. In den vergangenen Jahren hat sich die Kreuzfahrtschifffahrt zu einem großen Markt entwickelt. Kaum ein anderer Tourismussektor legte ein solch rasches Wachstum hin. Allein in Europa gab es zwischen den Jahren 2005 und 2010 eine Steigerung der Passagierzahlen um fast 100 Prozent, damit sogar eine deutlich stärkere Entwicklung als weltweit. Durch den rasanten Anstieg an Passagieren verstärkt sich auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Unternehmen: Der Kostendruck wird größer, die Vorteile der Economies of Scale wirken sich entsprechend aus. Das heißt, je größer die Schiffe sind, desto niedriger sind die Kosten des Reiseveranstalters pro Fahrgast. Die Schiffsgrößenentwicklung ging daher unbegrenzt weiter. Die Entwicklung der Schiffsgröße legt den Verdacht nahe, dass Sicherheitsbestimmungen nicht ausreichend angepasst wurden in der Kürze der Zeit. So gibt es für die Evakuierung von Fährschiffen aktuellere Simulationsmodelle als für die in den letzten Jahren ständig größer werdenden Kreuzfahrtschiffe. Dies passt so nicht zusammen, und die Vorschriften für die Kreuzfahrtschifffahrt müssen dringend angepasst werden. Reiseveranstalter und Werften überboten sich beim Bau neuer Kreuzfahrtriesen. Schiffe mit 8 000 Menschen an Bord sind inzwischen auf den Weltmeeren unterwegs. Dies erfordert sehr gute Managementsysteme und bedeutet eine große Anforderung für die Besatzung an Bord. Lösungsvorschläge für eine sichere Kreuzfahrtschifffahrt sind: Vorziehen der Sicherheitsübungen an Bord bereits vor Ablegen des Schiffes; für den Ablauf der Evakuierungsmaßnahmen müssen die Simulationsprogramme entsprechend auch für Kreuzfahrtschiffe aktualisiert werden; Verschärfung der Sicherheitsvorschriften für Rettungsmaßnahmen und ausrüstung beim Neu- und Umbau zukünftiger Kreuzfahrtschiffe . Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion zieht keine vorzeitigen Schlüsse aus dem Unfall der Costa Concordia, sondern zählt die Schwachstellen der in den letzten Jahren anscheinend zu schnell gewachsenen Branche auf. Auf allen Ebenen, also von nationaler Gesetzgebung über die europäische Ebene bis zur Internatio-nalen Seeschifffahrts-Organisation, IMO, muss nach Lösungen gesucht werden, um die Kreuzfahrtschifffahrt frühestmöglich sicherer zu gestalten. Aus der Katastrophe von Giglio müssen nach Bekanntwerden der Seeunfalluntersuchung die richtigen Schlüsse gezogen werden. Aber schon jetzt ist klar, dass die Kreuzfahrtschifffahrt vor neuen Aufgaben steht und sich in puncto Sicherheit dringend neu aufstellen muss. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9158 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Unverzügliche Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation – Drucksache 17/9066 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Ich stelle mit Erstaunen, aber auch mit Freude fest, dass die Fraktion Die Linke immer häufiger – wenn auch noch in deutlich ausbaufähigem Umfang – Themen auf den Plan ruft, die sich mit den Interessen der Koalition durchaus decken. Sie kommen zwar mit Ihren Forderungen, auf die ich gleich noch näher eingehen werde, etwas verspätet. Nichtsdestotrotz sollte man positive -Bemühungen ja auch mit der ihnen angemessenen Würdigung erwähnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren der Linksfraktion, Sie fordern die Bundesregierung in Ihrem -Antrag auf, ein neues Seearbeitsgesetz vorzulegen, das das bisherige Seemannsgesetz ablösen solle. Das See-arbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, das im Jahre 2006 verabschiedet wurde, soll damit umgesetzt werden. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Seeleuten auf Schiffen sind zum Teil recht hart. Es ist uns in der Union ein wichtiges Anliegen, für diese Menschen angemessene Mindeststandards für die von ihnen zu verrichtende schwere körperliche und manchmal auch psychische Arbeit zu schaffen. Mit dem derzeit gültigen Seemannsgesetz besteht bisher eine gute Regelungsgrundlage für die Seeleute, die auf einem Schiff unter deutscher Flagge fahren. Es schreibt unter anderem vor, welche Voraussetzungen Seeleute für eine Tätigkeit an Bord erfüllen müssen, und trifft unter -Berücksichtigung der besonderen Bedingungen der -Arbeit auf hoher See fernab der Heimat insbesondere Regelungen über die Begründung und Beendigung des Heuerverhältnisses, die Vergütung, die Mindestanforderungen an Verpflegung, Unterbringung und medizinische Versorgung, über Urlaub und Landgang, Höchst-arbeitszeiten und Mindestruhezeiten sowie über den Arbeitsschutz. Darüber hinaus hat Deutschland die überwiegende Zahl der Einzelübereinkommen aus den Jahren 1920 bis 1997, aus denen sich das Seearbeitsübereinkommen -zusammensetzt, ratifiziert. Der Änderungsbedarf im Zuge der Umsetzung hält sich deshalb in Grenzen, wenn auch noch ein paar Lücken aus der Vergangenheit bestehen, die jetzt im Umsetzungsverfahren geschlossen werden müssen. Diese Lücken resultieren insbesondere aus der Zeit, als Deutschland der Internationalen Arbeits-organisation, abgekürzt ILO, nicht angehörte, also zwischen dem Austritt im Jahre 1935 und dem Wiedereintritt im Jahre 1951. Die Fachleute im Bundesarbeitsministerium befinden sich bereits mitten in den Vorbereitungen eines Gesetzgebungsverfahrens, in dem ein neues Gesetz das bisherige Seemannsgesetz ablösen soll. Die Bestimmungen des Seearbeitsübereinkommens können damit umgesetzt werden. Sie sehen also, meine sehr verehrten Damen und Herren der Linksfraktion, dass die Bundesregierung einen Schritt weiter ist als Sie. Fairer Wettbewerb und angemessene Arbeitsbedingungen haben und hatten schon immer einen hohen Stellenwert für die Union. Dafür setzen wir uns ein, was Sie an diesem Beispiel einmal mehr erkennen können. Mit der alsbaldigen Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens werden dann die Weichen dafür gestellt, dass diese Arbeitnehmerrechtecharta in Kraft treten und weltweite Geltung erlangen kann. Auf 65 000 Handelsschiffen werden in Zukunft 1,2 Millionen Seeleute unter global festgeschriebenen und vereinheitlichten Mindeststandards arbeiten. Wie diese meiner Auffassung nach aussehen könnten, möchte ich Ihnen gerne näher an -einigen Beispielen erläutern. Zu begrüßen wären beispielsweise übersichtlichere Regelungen im Bereich des Arbeitszeit- und Ruherechts. Zwar wurden hier erst im Jahre 2002 einige Bestimmungen an das Seearbeitsübereinkommen angepasst. Dennoch finden sich nach wie vor an den unterschiedlichsten Stellen im Seemannsgesetz zahlreiche Sondervorschriften für bestimmte Schiffskategorien, die gebündelt werden müssten. Damit schafft man eine bessere Übersicht und klarere Abgrenzungen. Ich würde mir auch wünschen, dass für diejenigen Seeleute, die aus persönlichen, beruflichen oder gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst ausscheiden, eine Regelung gefunden wird, unter welchen zeitlichen, -finanziellen und organisatorischen Bedingungen diese Personen in ihre Heimat zurückkehren können. Ferner könnte man bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, also der sogenannten Heuerfortzahlung, eine Lücke schließen und diese auch auf die nicht ver-sicherten Seeleute erstrecken. Ein solcher Anspruch -ergibt sich aus der ILO-Konvention 55 über die Verpflichtung des Reeders bei Krankheit, Unfall oder Tod von Schiffsleuten. Aufgrund der vorhin erwähnten Zeitspanne von 16 Jahren, in denen Deutschland nicht der Internationalen Arbeitsorganisation angehörte, wurde die während dieser Zeit verabschiedete Konvention noch nicht von Deutschland ratifiziert. Dieses Versäumnis könnte nun nachgeholt werden. Mit der von den Linken – aufgrund der Vorarbeiten der Bundesregierung – überholten Forderung nach -einer Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens werden zwei weitere wichtige Neuerungen erfolgen. Es wird im Bereich der seeverkehrsrechtlichen Überwachung eine grundlegende Neuerung geben. Die Staaten, die das Seearbeitsübereinkommen ratifiziert haben, verpflichten sich nämlich dazu, die Einhaltung des ILO-Abkommens auf den Schiffen unter ihrer Flagge zu überprüfen und deren Erfüllung zu bescheinigen. Dies wird als Flaggenstaatkontrolle bezeichnet. Hierzu ergänzend ist die Hafenstaatkontrolle zu nennen. Diese stellt sicher, dass Schiffe aus Drittstaaten, also aus Ländern, die das Seearbeitsübereinkommen nicht ratifiziert haben, an den Anforderungen des See-arbeitsübereinkommens gemessen werden. Jedes ausländische Schiff, das den Hafen eines Staates anläuft, der das ILO-Abkommen ratifiziert hat, wird auf die Einhaltung der ILO-Vorschriften überprüft. Es soll dadurch ausgeschlossen werden, dass Schiffe aus Nichtvertragsstaaten günstiger behandelt werden als Schiffe aus Vertragsstaaten. Unser Beitrag, der Beitrag unserer Bundesregierung, wird folglich dazu beitragen, dass die Mindestarbeits- und -lebensbedingungen des Seearbeitsübereinkommens weltweite Anwendung finden und ein Unterschreiten dieses Normenwerkes durch Schiffe in der internationalen Fahrt nicht mehr möglich sein wird. Ihr Antrag, meine verehrten Kollegen der Linksfraktion, in allen Ehren – er ist vom Ansatz her nicht schlecht, aber er kommt eindeutig zu spät und kann -infolgedessen nur abgelehnt werden. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir debattieren heute den Antrag der Fraktion Die Linke: „Unverzügliche Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisa-tionen“. Sehr geehrte Damen und Herren der Linken, mit diesem Antrag und Ihrer damit verbundenen Forderung nach einem Gesetzentwurf zur Ratifizierung des See-arbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, vom 23. Februar 2006, Ihrer Forderung nach einem Gesetzentwurf für ein neues See-arbeitsgesetz sowie Ihrer Forderung nach einem Einsatz der Bundesregierung zur umgehenden Umsetzung der Ratifizierung gegenüber Drittstaaten rauben Sie diesem Hohen Haus einmal mehr mit einem weder zielführenden noch notwendigen Antrag seine kostbare Zeit. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, ich darf Sie an dieser Stelle beruhigen und Ihnen mitteilen, dass die Bundesregierung bereits mit Hochdruck an der Fertigstellung des Artikelgesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006, Maritime Labour Convention – MLC, arbeitet und das Gesetz noch diesen Sommer vom Kabinett verabschiedet werden und auch noch dieses Jahr in Kraft treten soll. Das Seearbeitsübereinkommen, SAÜ, der Internationalen Arbeitsorganisationen, ILO, ist am 23. Februar 2006 angenommen worden. Es fasst nahezu alle das maritime Arbeitsrecht betreffenden Instrumente der ILO zusammen und entwickelt diese fort. Das Übereinkommen regelt die Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen, Beschäftigungsbedingungen, Regelungen für Unterkunft, Freizeiteinrichtungen, Verpflegung und Bedienung, Gesundheitsschutz, medizinische und soziale Betreuung, Gewährleistung der sozialen Sicherheit sowie die Erfüllung und Durchsetzung dieser Anforderungen. Letztere sollen sicherstellen, dass die Vorschriften des Übereinkommens auch eingehalten werden. Über die Nichtbegünstigungsklausel kann der Hafenstaat selbst dann gegen Schiffe vorgehen, die die Mindestanforderungen des Übereinkommens unterlaufen, wenn der Flaggenstaat diesem nicht beigetreten ist. Das Abkommen tritt in Kraft, wenn es von 30 Ländern ratifiziert wurde, die mindestens ein Drittel der Welttonnage in der Handelsschifffahrt repräsentieren. Laut ILO wurde es bisher von 25 Ländern ratifiziert, zuletzt am 11. August 2011 vom Inselstaat Antigua und Barbuda, unter dessen Billigflagge viele deutsche Schiffe unterwegs sind. Deutschland gehört zu den größten und erfolgreichsten Schifffahrtsstandorten der Welt, und wir von der christlich-liberalen Koalition setzen alles daran, dass das so bleibt. Um dies zu erreichen, wollen wir den Beruf des Seemannes attraktiv gestalten. Die Bundesregierung plant daher trotz knapper Haushaltsmittel bei der Neuausrichtung der maritimen Förderpolitik die Ausbildungsplatzförderung als bewährtes Instrument beizubehalten. Um den künftigen Ausbildungsbedarf abdecken zu können, ist zudem eine weitere Steigerung der Aktivitäten im Ausbildungssektor bzw. im Übergang von der Ausbildung ins Berufsleben notwendig. Ein wesentlicher Meilenstein ist das hier zu debattierende Seearbeitsübereinkommen, mit dessen Hilfe weltweit einheitlich geltende Mindeststandards die Arbeits- und Lebensbedingungen der über 1,2 Millionen Seeleute verbessert werden sollen, um hierdurch die Sicherheit auf Schiffen zu verstärken. Die Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens wird in Deutschland dazu führen, dass – auch aufgrund der grundlegenden Veränderung des Seemannsberufes – eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen angepasst und aktualisiert werden müssen. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, die unionsgeführte Bundesregierung arbeitet bereits an der Fertigstellung des Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens und nimmt diesen Prozess zum Anlass, das existierende Seemannsrecht insgesamt gründlich zu überarbeiten und zu modernisieren – ganz bewusst auch unter dem Gesichtspunkt der Entbürokratisierung. Neuer zentraler Bezugspunkt des nationalen Seemannsrechts wird ein neues Seearbeitsgesetz sein, welches das alte aus den frühen 50er-Jahren stammende Seemannsgesetz ersetzt. Dieses wird strukturell an der MLC ausgerichtet sein. Zugleich werden die bestehenden Verordnungen im Bereich des Seearbeitsrechts überarbeitet. Das deutsche Recht wird an die verbindlichen Anforderungen der MLC zur Herstellung verbindlicher arbeits- und sozialrechtlicher Mindeststandards für Seeleute in der Schifffahrt angepasst. Des Weiteren sollen diese Mindeststandards durch Hafenstaatkontrollen auch auf Schiffe von Drittstaaten angewandt werden, die die MLC nicht ratifizieren. Hierdurch soll Sozialdumping unterbunden und ein fairer Wettbewerb gewährleistet sein. Vor diesem Hintergrund, meine sehr geehrten Damen und Herren der Fraktion Die Linke, hätte es Ihrer Anregungen nicht bedurft. Josip Juratovic (SPD): Ich verfolge seit langem die Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation. Erst im vergangenen Jahr waren wir vom Ausschuss für Arbeit und Soziales auf einer Ausschussreise bei der Internationalen Jahreskonferenz in Genf. Auch die Bundeskanzlerin hat dort eine Rede gehalten und sich feiern lassen – als erste deutsche -Regierungschefin überhaupt. Es ist schön, dass die Bundesregierung die ILO offensichtlich so wichtig findet, dass sich die Kanzlerin dort in Szene setzt. Umso beschämender ist es, wenn man sieht, dass die Ratifizierung der Übereinkommen der ILO bei der Bundesregierung keinen besonders hohen Stellenwert hat. Das Seearbeitsübereinkommen ist ein Paradebeispiel dafür: 2006 wurde es von der ILO beschlossen. Die zuständigen, damals SPD-geführten Bundesministerien, nämlich das Ministerium für Arbeit und Soziales und das Verkehrsministerium, hatten 2006 angekündigt, dass die Ratifizierung zügig eingeleitet wird. Gewerkschafter, Reeder und Politik haben damals an einem Strang gezogen: Das Übereinkommen solle zügig ratifiziert werden, da dadurch Lohn- und Sozialdumping von Seeleuten und die zunehmende Ausflaggung von Schiffen bekämpft werden können. Seit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb passiert jedoch nicht mehr viel. Schon mehrfach hat die Bundesregierung uns versprochen, dass endlich das Verfahren zur Ratifikation eingeleitet sowie der Entwurf für ein neues Seearbeitsgesetz ins Parlament eingebracht wird. Wir haben das sogar schriftlich in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom Januar 2011. Da sagt die Bundesregierung, dass im Frühjahr 2011 ein Gesetzentwurf vorliegen solle. Das ist nachweislich nicht geschehen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, sorgen Sie endlich dafür, dass Ihre Regierung das einhält, was sie öffentlich verspricht, und hier nicht andauernd verzögert! Ich weiß nicht, wer genau in der Regierung das Seearbeitsübereinkommen blockiert. Die FDP hat sich in der Vergangenheit ja gerne an maritimen Metaphern bedient. Jeder von uns erinnert sich an die Worte von Guido Westerwelle: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt. Und das bin ich.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, offensichtlich ist Ihnen ja bekannt, dass man auf Schiffen klare Regeln braucht. Dazu gehören auch klare Regeln zu Arbeits- und Sozialbedingungen von Seeleuten. Leider setzt sich die FDP aber trotz der Freude an Metaphern mit Schiffen nicht dafür ein, dass klare Regeln für Matrosen und Kapitäne geschaffen werden. Das gilt im Übrigen nicht nur für das Seearbeitsübereinkommen, sondern auch für das Maritime Bündnis, dem die Bundesregierung massiv die Gelder gekürzt hat und wo keine fortschrittliche maritime Politik mehr gemacht wird. Kurz und gut: Die ganze Politik für die See liegt brach. Ich appelliere daher an meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Sorgen Sie dafür, dass klare Regeln für alle deutschen Schiffe kommen und nicht mehr nur für Ihr eigenes sinkendes FDP-Schiff! Das Seearbeitsübereinkommen ist die Grundlage für einen fairen Wettbewerb im Bereich der Schifffahrt und ein Meilenstein für die Arbeits- und Sozialrechte von 1,2 Millionen Seeleuten weltweit. Denn wir beobachten im maritimen Sektor die gleichen Entwicklungen wie in der gesamten Wirtschaft: Der Wettbewerb wird zunehmend auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Einige Arbeitgeber versuchen, die Löhne und die -Arbeitsbedingungen so zu drücken, dass sie dadurch günstiger als ihre Konkurrenz sind. Andere anständige Reeder, die gerne faire Lohn- und Arbeitsbedingungen bieten wollen, sind durch die Konkurrenz in eine Abwärtsspirale gezwungen. Ich kämpfe an Land und auf See dafür, dass diesem unlauteren Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten endlich ein Riegel vorgeschoben wird. Wir brauchen stattdessen einen Wettbewerb, der auf Innovation und besseren Produkten beruht, nicht aber auf Lohndumping! Nicht weniger als das Schaffen von menschenwürdiger Arbeit auf See ist das Ziel des Seearbeitsübereinkommens. So werden Regelungen zu Nachtarbeit, -Mindestalter, Beschäftigungsverträgen, Schiffssicherheit, Höchstarbeitszeit, Kündigungsregeln, Ruhezeiten, -Gesundheitsschutz, Unfallverhütung, Heimschaffung, Unterkunft und vieles mehr getroffen. Das Übereinkommen ist ein Musterbeispiel dafür, wie wir auf internationaler Ebene dafür sorgen können, dass weltweit faire Arbeitsbedingungen vorherrschen. Denn nicht nur die Anforderungen sind fortschrittlich, sondern es ist auch geregelt, wie diese neuen Vorschriften eingehalten und überprüft werden. Diese Kontrollmechanismen sollten beispielgebend für weitere ILO-Übereinkommen sein. Denn es gilt sowohl das Flaggstaatsprinzip als auch das Hafenstaatsprinzip. Das bedeutet, dass die Einhaltung der Arbeitsbedingungen nicht nur von dem Staat, in dem das Schiff geflaggt ist, kontrolliert wird, sondern auch in den Häfen, die das Schiff anläuft. Jedes Land muss -damit ein wirksames System für die Überprüfung der -Arbeitsbedingungen einrichten. Hervorheben möchte ich auch, dass die Ratifizierungsregelungen bei diesem Übereinkommen sehr fortschrittlich geregelt sind. Das Übereinkommen tritt in Kraft, wenn 30 Staaten die Ratifizierung vorgenommen haben und diese Staaten über mindestens 33 Prozent der Welthandelstonnage verfügen. Die Anforderung der Tonnage ist mit den Staaten, die das Abkommen bisher ratifiziert haben, schon gegeben. Noch in diesem Jahr werden weitere Staaten das Abkommen ratifizieren, sodass auch das Kriterium der 30 Staaten erfüllt sein wird. Wenn das geschehen ist, gilt das Seearbeitsübereinkommen sowieso auch für Deutschland. Wir haben also zwei Möglichkeiten: Entweder ratifizieren wir schnell das Übereinkommen, setzen es in nationales Recht um und springen noch auf den fahrenden Zug – oder besser -gesagt das auslaufende Schiff – auf. Oder wir machen uns dadurch ein bisschen zum Gespött der internationalen Seewelt, dass wir es offensichtlich nicht schaffen, das Übereinkommen zu ratifizieren. Die Anforderungen gelten so oder so auch für unser Land, von daher ist hier dringendes Handeln geboten! Auch die Reeder haben im Übrigen Bedenken, wenn wir nicht ratifizieren: Sie fürchten, dass sie dann an einigen Häfen besonders genau kontrolliert werden, weil das Übereinkommen in Deutschland noch nicht umgesetzt wurde. Das verzögert die Fahrt von Schiffen unter deutscher Flagge und stört den Handel unserer Reeder. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, daher appelliere ich an Sie: Treten Sie Ihrer Regierung auf die Füße, damit hier endlich etwas geschieht! Es kann nicht sein, dass die ILO nur zur Inszenierung der Kanzlerin genutzt wird und bei der Umsetzung der Übereinkommen hier in Deutschland verzögert wird, wie es nur geht! Torsten Staffeldt (FDP): Deutschland besitzt eines der detailliertesten und ausführlichsten Arbeitsrechte der Welt. Dies gilt an Land wie auf See. Darum hat sich Deutschland auch intensiv in die Verhandlungen bei der Internationalen -Arbeitsorganisation eingebracht. Unsere guten Standards sollen auch für andere gelten – und vor allem soll Sozialdumping auf See verhindert werden. Das ILO-Übereinkommen zum Internationalen See-arbeitsrecht ist darum ein Meilenstein für die Durch--setzung besserer Arbeitsbedingungen von Seeleuten weltweit. Eben weil wir in Deutschland ein weit ausdifferenziertes Arbeitsrecht haben, dauern die Anpassungen des deutschen Rechts an das Übereinkommen und die Ratifizierung dessen noch an. Es ist zwar bedauerlich, dass die nationale Umsetzung sich jetzt schon Jahre hinzieht, aber das Problem ist nicht durch solche überflüssigen Anträge wie jetzt der von den Linken vorliegende zu lösen. Erforderlich ist eine konsequente Facharbeit in den betroffenen Ministerien. Deshalb wurde die Arbeit an der Umsetzung in dieser Legislaturperiode intensiviert. Ein Referentenentwurf ist fast fertig, und demnächst wird es die üblichen Anhörungen der betroffenen Sozialpartner und Verbände geben. Ein Kabinettsentwurf soll noch vor der Sommerpause erfolgen, was bedeutet, dass eine Ratifizierung bzw. Umsetzung in nationales Recht noch vor dem 1. Januar 2013 realisiert werden kann. Und darauf kommt es an. Wir werden die Ratifizierung und den Gesetzentwurf nutzen, um notwendige Modernisierungen und Anpassungen vorzunehmen, ob das nun Regelungen aus der Zeit der Frachtsegler angeht oder die Seediensttauglichkeitsuntersuchungen. Dies ist gleichzeitig die Chance für Deutschlands Seeleute und Reeder, in diesem besonderen Bereich der Schifffahrt für Bürokratieabbau zu sorgen. In dem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die Fraktion Die Linke offensichtlich nicht über die nötige Sachkompetenz verfügt, die Ratifizierung Deutschlands im Gesamtzusammenhang richtig einzuschätzen. Es ist richtig, dass 30 Staaten mit mindestens 33 Prozent der weltweiten Tonnage über 200 BRZ zustimmen müssen. Das Tonnagekriterium ist im Übrigen bereits übererfüllt. Es ist aber ein Zeichen von Unwissenheit, wenn die Fraktion Die Linke in der Begründung behauptet, dass Deutschland „mit circa 3 768 Schiffen über die größte Handelsflotte der Welt“ verfüge, „wovon jedoch lediglich 542 Schiffe im Deutschen Schiffsregister eingetragen sind.“ Weder hat Deutschland die „größte Handelsflotte der Welt“, noch sind die 3 768 deutsch bereederten Schiffe unter deutscher Flagge. Weniger als die genannten 542 Schiffe sind es derzeit. Die anderen sind bei unterschiedlichen Flaggenstaaten beheimatet. Es wird daher niemanden verwundern, wenn wir einem solch mangelhaft begründeten Antrag nicht zustimmen wollen. Herbert Behrens (DIE LINKE): Seeleute sind unverzichtbar. Sie reisen mit allen möglichen Gütern um die Welt, von Bananen über Öl, Gas und Baumaterialien bis hin zu Textilien, Getreide und tiefgekühltem Fleisch. Als Arbeitnehmer sind sie praktisch unsichtbar. Was auf See passiert, entzieht sich fast immer den Blicken der Ordnungsbehörden, sodass sich die Reeder gefahrlos, ohne Angst vor Entdeckung, über die Rechte der Seeleute hinwegsetzen können. Sie arbeiten häufig sieben Tage in der Woche, sind monatelang auf See und haben kaum Kontakt zu ihren Familien. Sie leben an Bord auf engstem Raum, meistens ohne ihre gewohnte kulturelle Umgebung und Sprache. Damit menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Menschenrechte durchgesetzt werden können und gleichzeitig die Reeder vor Dumpingkonkurrenz geschützt werden, haben Gewerkschaften und Reederverbände verhandelt. Sie haben den Inhalt von 45 unterschiedlichen Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO – das ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen –, und Empfehlungen für die Schifffahrt in einem einzigen Übereinkommen zusammengefasst. Dieses Werk wurde vor sechs Jahren von der ILO ohne Gegenstimmen beschlossen. Wir fordern die umgehende Ratifizierung des Abkommens. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie dem Deutschen Bundestag spätestens bis zum 30. Juni 2012 einen Gesetzentwurf für ein neues Seearbeitsgesetz vorlegt. Auf hoher See gelten auf den Schiffen die Arbeitsbedingungen des Staates, unter dessen Flagge sie fahren. Deutschland verfügt mit rund 3 800 Schiffen über die größte Handelsflotte der Welt, Stand November 2011, doch davon fährt kaum eines unter deutscher Flagge. Lediglich 542 Schiffe sind im Deutschen Schiffsregister eingetragen. Nur auf diesen Schiffen hat die Besatzung Anspruch auf das nationale Arbeitsrecht und auf Arbeitsbedingungen nach Tarifverträgen. Ein großer Teil der Flotte der deutschen Reeder ist in Ländern wie Panama, Liberia, den Marschallinseln oder den Bahamas registriert. Für sie gelten die Regelungen ihrer Heimatländer. Der Ecklohn für einen Seemann unter Billigflagge liegt mit einem Tarifvertrag der Internationalen Transportarbeiterföderation, ITF, bei 1 577 Dollar im Monat. Ohne Tarifvertrag sind es gelegentlich kaum mehr als 500 Dollar. Internationale Organisationen wie die IMO, die Internationale Seeschifffahrts-Organisation, oder die ITF versuchen, dagegen anzugehen, können jedoch erst dann tätig werden, wenn Missstände oder menschen-unwürdige Arbeitsbedingungen offenkundig werden. -Alljährlich treiben ITF und die ihr angeschlossenen -Gewerkschaften im Namen von Seeleuten Heuernachzahlungen und Abfindungen für Unfälle mit Todesfolge oder Personenschäden in Millionenhöhe ein. Diese Arbeitsbedingungen müssen verschwinden. Und sie können verschwinden, wenn das Seearbeitsrechtsübereinkommen in Kraft treten kann – und zwar weltweit. In Deutschland wurde immer wieder angekündigt, dass sowohl die Ratifizierung als auch die Umsetzung schon seit langem geplant seien. Erst hieß es Ende 2009, dann sollte es im Jahr 2010 ratifiziert werden. Diese sechsjährige Hängepartei ist völlig untragbar. Wir fordern Sie auf, sich auch gegenüber Staaten, die das Seearbeitsübereinkommen noch nicht ratifiziert haben, für eine umgehende Ratifizierung und Umsetzung einzusetzen. Wenn Sie dies nicht tun, verhindert das Land mit der größten Handelsflotte der Welt weiterhin, dass Mindeststandards für die Arbeits- und Lebensbedingungen für über 1,2 Millionen Seeleute nicht wirksam werden können und einheitliche Wettbewerbsbedingungen in der Schifffahrt geschaffen werden. Die Linke will, dass auf Schiffen menschliche Arbeitsbedingungen herrschen und Löhne bezahlt werden, von denen Besatzungen leben können. Sechs Jahre lang schon müssen Seeleute darauf warten. Das muss jetzt ein Ende haben. Handeln Sie jetzt! Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schifffahrtsindustrie gehört zu den wenigen wirklich globalen Industriezweigen der Welt. 1,2 Millionen Seeleute aus der ganzen Welt transportieren Tag für Tag Waren über Ozeane und über Landesgrenzen hinweg. Die Schiffe liegen in der Regel nur wenige Stunden oder Tage in Häfen, bis die Ladungen gelöscht und die Schiffe wieder beladen werden. Nur in dieser Zeit können die Seeleute an Land gehen, ihre Freizeit nutzen und genießen. Die meiste Zeit jedoch sind die Schiffe auf hoher See. In dieser Zeit sind die Seeleute auf die Unterkünfte, Freizeiteinrichtungen und die medizinische Betreuung auf den Schiffen angewiesen. Sie müssen die Arbeitsbedingungen und die soziale Infrastruktur an Bord hinnehmen, wie sie sind. Die Arbeits- und Lebensbedingungen sind aber von Schiff zu Schiff verschieden und sehr unterschiedlich ausgestaltet. Deswegen war es dringend notwendig, dass weltweit gültige Arbeitsnormen und Mindestanforderungen an Beschäftigungsbedingungen und die Infrastruktur an Bord geschaffen wurden. Am 23. Februar 2006 war es endlich so weit. Das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, wurde in Genf ohne Gegenstimmen angenommen. Es ist ein Meilenstein. Endlich erhalten die Seeleute weltweit verbindliche soziale Rechte. Es fasst mehr als 60 geltende Rechtsinstrumente zusammen, die seit 1920 von der ILO verabschiedet wurden. Mit dem Übereinkommen sollen weltweite Mindeststandards geschaffen werden, die die Arbeits- und Lebensbedingungen für Seeleute erhöhen, die Sicherheit steigern und dem Lohn- und Sozialdumping einen Riegel vorschieben. Allerdings nützen die besten Normen nichts, wenn sie nicht in Kraft sind. Es ist nicht verständlich, dass es weder die CDU/CSU, die seit 2006 durchgängig an der Bundesregierung beteiligt ist, noch die FDP geschafft haben, das Seearbeitsübereinkommen zu ratifizieren. Die Untätigkeit ist auch deshalb unverständlich, weil die ILO-Übereinkommen von Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgebern gleichermaßen und somit in breitem Konsens verhandelt werden. Bisher haben lediglich 23 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Damit das Übereinkommen in Kraft treten kann, muss es aber von mindestens 30 Staaten ratifiziert werden, die zusammen über eine Bruttoraumzahl, BRZ, von mindestens 33 Prozent der Welthandelstonnage verfügen. Deswegen fordern wir – wie die Fraktion Die Linke – die Bundesregierung auf, endlich tätig zu werden. Sie muss ihrer Verantwortung für die Seeleute gerecht werden und vor allem auch ein Vorbild in der Welt sein. Statt die Ratifizierung von Jahr zu Jahr zu verschleppen, sollte sich die Bundesregierung vielmehr in der Europäischen Union und bei den wichtigsten Handelspartnern für die Ratifizierung des Übereinkommens einsetzen. Die Staaten, insbesondere Deutschland, müssen den 1,2 Millionen Seeleuten endlich die verdiente Wertschätzung entgegenbringen. Ohne sie würde der Welthandel zum Erliegen kommen, die mittlerweile stark ausdifferenzierte internationale Arbeitsteilung zusammenbrechen und globale Wertschöpfungsketten ausei-nandergerissen. Wir fordern alle an der maritimen Wirtschaft beteiligten Akteure auf, sich an einem maritimen Bündnis aktiv zu beteiligen. Sie müssen dafür sorgen, dass das Seearbeitsübereinkommen in Deutschland erfolgreich umgesetzt und auf alle über 3 000 in deutschem Besitz befindlichen Schiffe, von denen derzeit nur circa 500 unter deutscher Flagge fahren, angewendet wird. Darüber hinaus müssen die Ausflaggung erschwert, Einflaggung erleichtert und Anreize geschaffen werden, Schiffe umweltfreundlicher und ökologischer zu betreiben. Wir befürworten ebenfalls die Schaffung eines Seearbeitsgesetzes, das das bestehende Seemannsgesetz ablöst und das Seearbeitsübereinkommen in nationales Recht umsetzt. Im Zuge der Einführung des Gesetzes müssen die betreffenden Verordnungen an den neuen Gesetzestext angepasst werden. Und selbstverständlich muss dieser Prozess in enger Abstimmung mit den Tarifpartnern gestaltet werden. Das ILO-Übereinkommen darf nicht weiter ignoriert werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9066 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schlecker-Verkäuferinnen unterstützen – Arbeitsplätze und Tarifverträge erhalten – Einfluss der Beschäftigten stärken – Drucksachen 17/8880, 17/9131 – Berichterstattung: Abgeordneter Johannes Vogel (Lüdenscheid) Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Ulrich Lange (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag der Linken zeigt in sehr deutlicher Art und Weise die politische Sicht und das wirtschaftliche Verständnis der Linken. Zusammenfassend fordern die Linken die Enteignung von Firmen, zumindest ab einer bestimmten Größenordnung und Überführung in die Hand der Betriebsmitarbeiter. Man hat den Eindruck, die Linken haben aus der Vergangenheit der DDR nicht das Geringste gelernt. Der Fall Schlecker hat uns in unserem Ausschuss schon häufiger beschäftigt, weniger die wirtschaftlichen Entscheidungen der Firmenleitung als die Personalführung, und wir waren uns alle darin einig, dass die Methoden – Drehtüreffekt –, die angewandt wurden, nicht -zulässig sind. Dass das Schlecker-Management Fehler gemacht hat, ist allen offensichtlich. Deshalb aber -unsere bewährte soziale Marktwirtschaft durch Staatswirtschaft zu ersetzen, kann auch nur den SED-Nachfolgern einfallen. Es ist schlimm, wenn bei einer Firmeninsolvenz über 11 000 Arbeitsplätze verloren gehen. Wichtig ist, dass die bisherigen Schlecker-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so schnell wie möglich eine neue Arbeit finden. Aber das gelingt nicht dadurch, dass wir unser erfolgreiches Wirtschaftssystem aufgeben. Unverfroren halte ich den Hinweis der Linken, der Nachfolgepartei der SED, dass sich die Suche nach dem Vermögen von Anton Schlecker lohnen würde. Lohnender erscheint mir die Suche nach dem SED-Vermögen, dass Ihre Vorgängerpartei hat verschwinden lassen und bei deren Aufklärung Sie, vorsichtig formuliert, nicht gerade geglänzt haben, sondern untergetaucht sind. Das Insolvenzverfahren bei uns in Deutschland hat sich bewährt. Ein erfahrener Konkursverwalter ist -dabei, zumindest große Teile des Einzelhandelsimpe-riums zu sanieren und wieder flottzumachen. Die Chancen sind derzeit nicht schlecht. Ob es gelingen wird, eine Auffanggesellschaft zu gründen und damit die Arbeits-losigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verhindern, ist offen. Es wäre jedoch zu begrüßen, wenn alle Bundesländer an einem Strang ziehen und es zu -einer gemeinsamen Lösung zugunsten der Schlecker-Mitarbeiter käme. Die von den Linken vorgeschlagene Beteiligung ist kontraproduktiv. Dass Sie unser Wirtschaftssystem bis heute nicht verstanden haben und Sie in Ihrem kommunistischen Denken weiterhin verhaftet sind, wird deutlich durch Ihre Aussagen, dass der Einzelhandel „auf Kosten der -Beschäftigten ein enormes Vermögen angehäuft“ hat. Im Rahmen unserer sozialen Marktwirtschaft ist es vielen deutschen Familienunternehmen gelungen, im Nachkriegsdeutschland ein Firmenimperium aufzubauen. Diese Pionierleistung konnte nur gelingen, weil auf der einen Seite weitsichtige Persönlichkeiten etwas gewagt haben und auf der anderen Seite die Beschäftigten mit ihrem Fleiß den Erfolg ermöglicht haben. Heute würde man von einer Win-win-Situation sprechen. Unternehmer, Angestellte und unsere Gesellschaft haben davon profitiert. Und viele dieser Pioniere der Nachkriegszeit haben sich sozialen Projekten gewidmet. Hierzu gehört Schlecker leider nicht. Ebenfalls in der Nachkriegszeit hat die SED die -Bevölkerung der DDR unterdrückt und die Wirtschaft in den Sand gesetzt. Aber scheinbar wollen Sie wieder -dahin zurück, wie sonst ist Ihre Forderung zu verstehen, dass für „Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten – unabhängig von der Rechtsform – zwingend eine echte paritätische Mitbestimmung vorgeschrieben werden“ soll. Das ist eine kalte Enteignung. Es ist schade, dass Sie aus Ihrer diktatorischen Vergangenheit nichts -gelernt haben. Dies zeigt sich auch in Ihrer Aussage, dass aus Ihrer Sicht „Konkurrenz innerhalb der Branche … ganz offensichtlich zu ihrer Destabilisierung“ beiträgt. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall! Konkurrenz belebt das Geschäft und inspiriert zu Höchstleistungen. Das bisherige System aus Mitbestimmungsgesetz, Drittelbeteiligungsgesetz, Montan-Mitbestimmungsgesetz und Mitbestimmungsergänzungsgesetz hat sich bewährt. Auch die Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung – Biedenkopfkommission 2006 – hat trotz intensiver Beratungen keine -Änderung der Schwelle für das Eingreifen der paritätischen Mitbestimmung vorgeschlagen. Die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission haben dafür votiert, im Grundsatz am bestehenden System festzuhalten. Meine lieben Kollegeninnen und Kollegen von den Linken, tun Sie sich und uns allen einen kleinen Gefallen und schmeißen Sie Ihren antiquierten Antrag in die Tonne, und arbeiten Sie mit uns konstruktiv am Ausbau der sozialen Marktwirtschaft und der Schaffung von vielen Arbeitsplätzen. Gitta Connemann (CDU/CSU): „Ihr Antrag geht an dem Anliegen der Beschäftigten vorbei“. Meine Damen und Herren von den Linken, so lautete einstimmig das Urteil aller anderen Fraktionen im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 21. März. Auch in der Diskussion dort wurde deutlich, dass es Ihnen nicht wirklich ernsthaft um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schlecker-Gruppe geht. Sie waren auf der Suche nach einem -Aufhänger, unter anderem für den Weltfrauentag. Sie verraten sich schon im ersten Satz Ihres Antrags, meine Damen und Herren von den Linken. Dort heißt es – ich zitiere –: „Der Deutsche Bundestag unterstützt gerade und besonders am Internationalen Frauentag den Kampf der mehrheitlich weiblichen Schlecker-Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze.“ Meine Damen und Herren von den Linken, was wäre eigentlich gewesen, wenn die Mitarbeiterschaft bei Schlecker in der Hauptsache männlich gewesen wäre? Oder der Internationale Frauentag schon gewesen wäre? Für die Union sage ich sehr deutlich, dass uns die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land – egal ob sie weiblich oder männlich sind, egal bei welchem Unternehmen sie -arbeiten – für uns nicht nur an Gedenktagen von Bedeutung sind. Diese können sich auf uns verlassen, nicht erst seit der Eröffnung der Insolvenz. Ein solcher Antrag wurde am 23. und 26. Januar 2012 beim Amtsgericht Ulm für die Anton Schlecker e. K., die Schlecker XL GmbH, die Schlecker Home Shopping GmbH und die „Ihr Platz“ GmbH + Co KG gestellt. Davon betroffen sind circa 33 000 Mitarbeiter in der Unternehmenszentrale in Ehingen und 7 000 Fi-lialen deutschlandweit. Vor Anton Schlecker gab es nur in größeren Städten kleine Sortimente zu hohen Preisen. Mit Kleinstfilialen im ländlichen Raum entstanden zwar Tausende neuer Arbeitsplätze. Dieses Flächenwachstum ohne Rücksicht auf Deckungsbeiträge und Erträge war dann aber auch das Verhängnis. In den letzten drei Jahren wurden wegen sinkender Umsätze bereits mehr als 1 000 Filialen geschlossen. Jetzt steht die Entlassung von vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Diese ist für die Betroffenen dramatisch. Auf die unternehmerischen Entscheidungen von Schlecker hatte die Bundesregierung keinen Einfluss. Aber uns beschäftigte und beschäftigt die Frage, wie den vom Personalabbau bei Schlecker betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schnell geholfen werden kann. Hierzu steht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in engem Kontakt mit der Bundesagentur für Arbeit, BA. Die BA hat bereits die notwendigen Vorkehrungen getroffen. So wurden umfassende I-nformationsmaterialien für Veranstaltungen mit Betriebsräten und Mitarbeitern der Schlecker- und „Ihr Platz“-Filialen zur Verfügung gestellt. Die BA steht in intensivem Kontakt mit der Insolvenzverwaltung, Betriebsräten und Gewerkschaften. Die Agentur für Arbeit Ulm ist vorbereitet, eine Koordinierungs- und Vermittlungsagentur in der Schlecker-Zentrale einzurichten. Ziel ist die schnelle Hilfe vor Ort durch Bearbeitung des Insolvenzgeldes und – für den Fall von Kündigungen – die individuelle Beratung und Vermittlung der Betroffenen. Handel und Dienstleistungen sind nach Aussage der BA aufnahmefähige Branchen am Arbeitsmarkt. Insofern sind strukturelle Auswirkungen in keiner Region Deutschlands zu erwarten. Die BA kann bei der Vermittlung auf gute Geschäftsbeziehungen zum Handel zurückgreifen. Es ging weiter um die Frage, ob eine Transfergesellschaft finanziert werden kann, in der die Betroffenen bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung unterstützt und qualifiziert werden. Nicht geklärt war die Finanzierung. Die Insolvenzverwaltung hatte den Finanzbedarf für eine sechsmonatige Transfergesellschaft auf circa 70 Millionen Euro geschätzt. Ich hatte Ihnen gesagt, dass wir uns dafür einsetzen werden, dass der Bund die finanziellen Mittel für eine Transfergesellschaft zur Verfügung stellen wird. Dazu war und ist der Bund bereit, und zwar über die KfW. Die einzige Bedingung war: Es müssen Bürgschaften der Länder vorliegen. Dies entspricht einer Praxis im Umgang mit Finanzierungsanfragen von Filialunternehmen, die in der Vergangenheit regelmäßig so zwischen Bund und Ländern geübt wurde. Es gibt klare Absprachen zwischen Bund und Ländern: An erster Stelle ist das jeweilige Sitzland des Unternehmens gefordert, Hilfestellung zu leisten. Da Schlecker seinen Sitz in Baden-Württemberg hat, liegt die Verantwortung beim Land Baden-Württemberg, das ja auch in der Vergangenheit von Steuereinnahmen profitiert hat. Es lag bzw. liegt bei den Ländern, vorneweg beim Land Baden-Württemberg, dass eine Auffanglösung zustande kommt. Leider erreichte uns heute die Nachricht, dass diese Lösung gescheitert ist. Ich bedaure auch im -Namen meiner Fraktion sehr, dass das Land Baden-Württemberg nicht gestanden hat, als es zum Schwur kam. Über alle diese oder andere Maßnahmen steht in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von den Linken, nichts. Die Bereitstellung von Krediten wird in einem Nebensatz erwähnt. Ihr Antrag hilft also wirklich niemandem. Aber darauf kommt es Ihnen auch offensichtlich nicht an. Sie suchten einen weiteren Aufhänger, und zwar für den sozialistischen Umbau unserer Gesellschaft. So wollen Sie einen Gewaltritt durch das Mitbestimmungsrecht. Sie fordern in Ihrem Antrag die Einführung der -paritätischen Mitbestimmung für Unternehmen ab 100 Beschäftigten. Sie zeigen damit einen bedenklichen Realitätsverlust. Das bisherige System aus Mitbestimmungsgesetz, Drittelbeteiligungsgesetz, Montan-Mitbestimmungsgesetz und Mitbestimmungsergänzungsgesetz hat sich bewährt. Auch die Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, die sogenannte Biedenkopfkommission, hat trotz intensiver Beratungen keine Änderung der Schwelle für das Eingreifen der paritätischen Mitbestimmung vorgeschlagen. Die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission haben dafür votiert, im Grundsatz am bestehenden System festzuhalten. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich vor -Antragstellung die Mühe gemacht hätten, sich besser zu informieren. Aber Sie haben sich offensichtlich damit -begnügt, einfach aus einem Ihrer Vorgängeranträge zu kopieren. Auch Ihre Forderung, meine Damen und Herren von der Linken, einen Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte gesetzlich festzuschreiben, ist nicht neu. Seit Einführung des Mitbestimmungsgesetzes im Jahre 1976 wird diese Diskussion geführt. Das Aktiengesetz wurde mehrfach geändert. Heute muss der Aufsichtsrat oder die Satzung bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen. Dies sind in der Regel wichtige und zentrale Entscheidungen, wie zum Beispiel Investi-tionsplanungen oder Kreditaufnahmen. Hierdurch besteht auch für den Aufsichtsrat selbst die Möglichkeit, sachgerecht auf die Führung der Geschäfte der Gesellschaft durch den Vorstand Einfluss zu nehmen. Dabei kann ein individueller, auf die jeweilige Gesellschaft zugeschnittener Katalog festgelegt werden. Die bei der jetzigen Gesetzeslage mögliche Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedingungen wie zum Beispiel Größe, Branche oder Struktur der verschiedenen Gesellschaften wäre bei einer gesetzlichen Festlegung eines bestimmten Kataloges zustimmungsbedürftiger Geschäfte nicht mehr realisierbar. Angesichts der unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Unternehmen ist eine sachgerechte, für alle Gesellschaften anwendbare Formulierung nur schwerlich möglich. Auch die wissenschaftlichen Mitglieder der Biedenkopfkommission hatten bewusst keine Empfehlung ausgesprochen, einen bestimmten Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte festzulegen. Auch Ihre Forderung nach einer Verlagerung der Entscheidungskompetenz vom Aufsichtsrat auf die Belegschaft zeugt von mangelndem Sach- und Rechtsverständnis. Die Aufsichtsratsmitglieder werden von den Wahlberechtigten regelmäßig in einer demokratischen Wahl ermittelt und erhalten ihr Mandat für eine bestimmte Zeit. Sie sind dem Unternehmensinteresse und damit auch dem Belegschaftsinteresse verpflichtet. Die Verlagerung der Entscheidungskompetenz in bestimmten Fällen auf die Belegschaft würde für die Arbeitnehmer möglicherweise harte, aber im Unternehmensinte-resse sachlich gebotene Entscheidungen unmöglich machen. Die geforderte Zweidrittelmehrheit würde zudem auf ein rechtlich problematisches Vetorecht der -Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat hinauslaufen. Die Interessenvertretung der Arbeitnehmer über gewählte Vertreter hat sich – gerade in Krisenzeiten – bewährt; der Einführung von – ich zitiere – „mehr Basisdemokratie im Unternehmen“ bedarf es nicht. Mit Ihrer Forderung nach einem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in wirtschaftlichen Fragen zeigen Sie einmal mehr Ihr mangelhaftes Rechtsbewusstsein, meine Damen und Herren von den Linken. Bereits nach geltendem Recht stehen Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss umfangreiche Beteiligungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu. Ich nenne nur beispielhaft das Beratungsrecht des Wirtschaftsausschusses nach § 106 Betriebsverfassungsgesetz, die Verpflichtung des Unternehmers, bei einer geplanten Betriebsänderung über einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zu verhandeln – § 111 BetrVG –, und das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich eines Sozialplans, § 112 BetrVG. Eine beliebige Erweiterung der Beteiligungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten ist aber wegen des damit verbundenen Eingriffs in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Dies gilt auch für die Forderung, dass Betriebsschließungen und Verlagerungen des Betriebs oder von Betriebsteilen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Was halten Sie von einem Intensivseminar in den Rechtswissenschaften, meine Damen und Herren von den Linken? Dann wüssten Sie, dass die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen schon heute eine – ich zitiere – „Fortführung von Unternehmen bzw. von Unternehmensteilen in Belegschaftshand“ uneingeschränkt zu lassen. Rechtsformen für – ich zitiere – „eine gemeinschaftliche Übernahme von Betrieben durch die -Beschäftigten“ mit dem Ziel einer Unternehmensfortführung stehen mit den im Gesetz vorgesehenen Gesellschaftsformen wie Handelsgesellschaften mit und ohne Rechtspersönlichkeit sowie mit der Rechtsform der Genossenschaft in großer Zahl zur Verfügung. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des -insolvent gewordenen Rechtsträgers lässt sich eine Unternehmensfortführung durch die Belegschaft insbesondere im Wege einer sogenannten übertragenden Sanierung erreichen. Das Unternehmen, dessen Rechtsträger insolvent geworden ist, wird dann ganz oder in Teilen durch Arbeitnehmer über einen von diesen bereitgestellten Rechtsträger fortgeführt. Hätten Sie doch Ihre Hausaufgaben gemacht, meine Damen und Herren von den Linken. So bleibt der Befund: Ihr Antrag ist nicht nur rechtlich dilettantisch, sondern menschlich verwerflich. Denn Ihnen dient die Insolvenz der Schlecker-Gruppe, die persönliche Betroffenheit von vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur zur Selbstinszenierung. Ihr Antrag hilft niemandem. Deshalb lehnen wir diesen ab. Ottmar Schreiner (SPD): Der Antrag der Fraktion Die Linke ist der Versuch, aus der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker und dem damit drohenden Arbeitsplatzverlust der Beschäftigten Aufmerksamkeit für die eigene Fraktion zu erheischen. Leider ist der Antrag nicht an der Lösung der Probleme orientiert und damit nicht in der Lage, den vor dem -Verlust ihrer Arbeitsplätze stehenden Beschäftigten zu helfen. Die Fraktion Die Linke unterbreitet dem Deutschen Bundestag Vorschläge, die keinen Beitrag zur -Lösung des konkreten Problems bieten. Zu allererst hätte die Finanzierung der Transfergesellschaft geklärt werden müssen. Die Bundesregierung ist durch ihr zögerliches Verhalten und die Weigerung des Wirtschaftsministers, konstruktiv an einer Lösung für das Gesamtunternehmen Schlecker mitzuarbeiten, ihrer Mitverantwortung für die über 25 000 Arbeitnehmerwinnen und Arbeitnehmer nicht gerecht geworden. Auch die Linke machte hier keinen konkreten Versuch, zur Lösung des Problems beizutragen. Der Insolvenzverwalter und die Länder haben eine gemeinsame Lösung zur Absicherung einer Transfergesellschaft für die bereits gekündigten Schlecker-Beschäftigten gesucht. Diese ist heute gescheitert. Die Fraktion der Linken verlangt in ihrem Antrag von der Politik, ein Zukunftskonzept für das Unternehmen Schlecker zu erarbeiten. Auch wenn man der Bundesregierung vorwerfen muss, ihrer Verantwortung für die Weiterqualifizierung und -bildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht gerecht zu werden, so gilt doch, dass es nicht Aufgabe der Politik ist, ein unternehmerisches Konzept für eine Einzelhandelskette auszu-arbeiten. Sie wäre damit wohl auch überfordert. Die Linke fordert in ihrem Antrag weiter die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung und die Einrichtung von Aufsichtsräten ab einer Betriebsgröße von 100 Beschäftigten. Wir brauchen in der Tat mehr demokratische Teilhabe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in ihren Unternehmen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher den Antrag „Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Entscheidungen stärken“, Drucksache 17/2122, schon am 16. Oktober 2010 vorgelegt, der den Schwellenwert für das Mitbestimmungsgesetz auf 1 000 Beschäftigte verringert. Die Linke hat im Ausschuss für -Arbeit und Soziales für unseren Antrag gestimmt. Hier fordern Sie nun den Schwellenwert auf 100 Beschäftigte zu legen. Eine belastbare Begründung dafür liefert sie nicht. Sinnvoller scheint es mir hier, die Möglichkeiten der Betriebsräte und ihrer Wirtschaftsausschüsse in mittelständischen Unternehmen auszuweiten. Die Linke fordert einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut, WSI, der Hans-Böckler-Stiftung des DGB fordert in seinen Studien einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Von einem allgemeinen Mindestlohn in dieser Höhe würden 15,8 Prozent aller Beschäftigten profitieren. Wenn das DGB-eigene Institut einen Mindestlohn in dieser Höhe fordert, kann man natürlich trotzdem politisch einen höheren fordern, setzt sich jedoch dem Verdacht aus, einen Betrag zu nennen, der mehr an den Interessen der eigenen Fraktion orientiert ist als an denen der circa 5 Millionen Betroffenen. Pascal Kober (FDP): Der Antrag der Linken unter dem Titel „Schlecker-Verkäuferinnen unterstützen – Arbeitsplätze und Tarifverträge erhalten – Einfluss der Beschäftigten stärken“ befasst sich mit einem Thema, das wir ja auch tages-aktuell in allen Medien finden. Das ist aber auch das einzig Positive, was über den Antrag zu sagen ist. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie mit durchschaubaren Absichten den Fall des Unternehmens Schlecker und der vielen Beschäftigten zur Grundlage genommen haben, um Forderungen aufzustellen, die Sie schon lange in den Schubladen haben und immer wieder gerne hervorholen, die aber nichts mit dem konkreten Fall zu tun haben. Die Forderungen in Ihrem Antrag zielen auf eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes und des Mitbestimmungsrechts in Betrieben. Mit Ausnahme von zwei Forderungen, bei denen wir inhaltlich allerdings auch anderer Meinung sind, befasst sich Ihr Antrag überhaupt nicht mit der Situation bei Schlecker. Sie machen hier Schaufensterpolitik, indem Sie ein aktuelles Thema aufgreifen, aber keine Lösungen anbieten. Wohl kein zweites Unternehmen hat uns in unserem Arbeitsbereich in dieser Legislaturperiode so sehr beschäftigt wie das Unternehmen Schlecker. Immer wieder haben wir von Schikanen gegenüber Mitarbeitern gehört und vor allem von Problemen im Umgang mit den Betriebsräten. 2010 hat uns dann das Thema der Zeitarbeit bei Meniar, einer Tochtergesellschaft von Schlecker, beschäftigt. Diese fragwürdige und politische nicht gewollte Konstruktion, bei der Mitarbeitern von Schlecker gekündigt wurde, um sie dann zu einem niedrigeren Lohn bei Meniar anzustellen und wieder an Schlecker zu verleihen, hat diese christlich-liberale Koalition gesetzlich unterbunden. Schlagzeilen machte Schlecker auch immer wieder wegen Überfällen auf die Filialen. Die Geschäfte hatten lange Zeit aus Spargründen nicht mal ein Telefon, bis bei einem vereitelten Diebstahl eine Verkäuferin starb, weil sie niemanden zu Hilfe rufen konnte. All dies führt mich zu meiner Einschätzung, dass Anton Schlecker zwar sein Unternehmen als eingetragener Kaufmann führte, aber sicher kein ehrbarer Kaufmann war. Und es gehört zu einer sozialen Marktwirtschaft dazu, dass Unternehmen, die nicht erfolgreich sind, nicht dauerhaft bestehen. Schlecker hat sich in den vergangenen Jahren durch sein Geschäftsmodell selbst in Verruf gebracht, und die Menschen in unserem Land wollten dieses Geschäftsmodell nicht mehr unterstützen und haben bei anderen Unternehmen eingekauft. Das ist Marktwirtschaft. Zur sozialen Marktwirtschaft gehört aber auch, dass wir uns um die Beschäftigten von Schlecker kümmern. Sie können nichts für die unternehmerischen Fehler und sind jetzt die Leidtragenden. Die Verhandlungen über eine Kreditbürgschaft der Länder zur Errichtung einer Transfergesellschaft für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schlecker sind heute Nachmittag erfolglos beendet worden. Die Kollegen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Sachsen haben dafür gewichtige Gründe vorgetragen. Vielfach wurde die mangelnde Transparenz des Insolvenzverwalters angesprochen. Es ist richtig, mit Steuergeldern sorgsam umzugehen, zumal die Fälle Holzmann und Quelle gezeigt haben, dass eine staatliche Unterstützung nicht automatisch erfolgversprechend ist. Roland Pichler schreibt dazu heute in der „Stuttgarter Zeitung“ sehr treffend: „Zu einfach macht es sich die Landespolitik, wenn sie den Bundeswirtschaftsminister und die Länder mit FDP-Beteiligung als Buhmänner brandmarkt. Diejenigen, die mit dem Scheck winken, sind nicht automatisch die Guten. Hehre Motive helfen bei Schlecker nicht weiter. An Bürgschaften müssen hohe Anforderungen gestellt werden. Es geht dabei schließlich um das Geld der Steuerzahler. Dass Schlecker im Rampenlicht steht, verdankt die Kette allein ihrer Größe. Bei kleinen Einzelhändlern und Handwerksbetrieben, von denen jeden Tag viele dichtmachen müssen, schaut der Wirtschaftsminister nicht vorbei. Zur Ordnungspolitik gehört die Gleichbehandlung. Nicht die Großunternehmen schaffen die meisten Arbeitsplätze, sondern der Mittelstand. Deshalb ist es falsch, die Großen ständig zu bevorzugen.“ Dieser Analyse schließe ich mich uneingeschränkt an. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Schlecker möchte ich sagen, dass eine Transfergesellschaft nicht die beste Alternative für sie ist. Hilmar Schneider, der Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit, hat gestern auf eine Studie seines Instituts verwiesen, die besagt, dass Transfergesellschaften keine besseren Vermittlungsperspektiven bieten als die Bundesagentur für Arbeit. Vielmehr würde die Bundesagentur eine schnelle und kompetente Vermittlung in Arbeit gewährleisten, weswegen er den Schlecker-Mitarbeitern rate, nicht in eine Transfergesellschaft zu gehen. Zudem hat das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Raimund Becker, heute erst wieder bestätigt, dass es gute Vermittlungschancen für die Schlecker-Beschäftigten gibt. -Derzeit gibt es nach Angaben der BA bundesweit 125 000 offene Stellen für Verkäufer und Verkäuferinnen. Allein im letzten Jahr sind 60 000 neue Stellen in der Branche geschaffen worden. Ich bin mir im Klaren darüber, welche Belastung die derzeitige Situation für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schlecker darstellt, und bedauere dies sehr. Der Antrag der Linken würde Ihnen aber auch nicht dienlich sein. Als FDP setzen wir vielmehr auf eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, die Arbeitsplätze entstehen lässt. So entstehen auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schlecker Perspektiven. Ihnen wünsche ich alles Gute. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Was wir in den letzten Tagen und Wochen im Fall Schlecker erlebt haben, ist kaum in Worte zu fassen. Nachdem die Politik es zugelassen hat, das ein Großunternehmen wie eine Würstchenbude geführt wird und so für die Schlecker-Pleite mitverantwortlich ist, wurden die Schlecker-Beschäftigten von der Bundesregierung und den meisten Landesregierungen hingehalten. Am Ende wurde ihnen die Hilfe verweigert. Das ist ein Armutszeugnis. Milliarden flossen für die Banken, der Exbundespräsident Christian Wulff erhält bis an sein Lebensende einen Ehrensold, aber die Politik schafft es nicht, einen Kredit von 70 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung mit einer Frau an der Spitze der Regierung und des verantwortlichen Ministeriums hat sich geweigert, die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau anzuweisen, eine Bürgschaft für die Transfergesellschaft zu übernehmen. Damit stellt die Bundesregierung unter Beweis, dass ihr Frauenarbeitsplätze in den Dienstleistungsberufen weniger wert sind. Es geht hier nicht um Anton Schlecker. Er und seine Familie fallen weich. Zehntausende Beschäftigte, die für diese Familie den Rücken krumm gemacht haben, müssen um ihre Existenz bangen. Die Bundesregierung behauptet, dass die Schlecker-Frauen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, und verweist auf 25 000 offene Stellen in den Verkaufsberufen. Sie verschweigt, dass in dieser Berufssparte zugleich bereits über 300 000 Menschen arbeitslos gemeldet sind. Die Bundesregierung behauptet, dass es keinen Sinn macht, mit öffentlichen Geldern die Arbeitsplätze bei Schlecker zu fördern. Sie verschweigt aber, dass auch Arbeitslosigkeit die Gesellschaft Geld kostet. Bis zu 113 Millionen Euro können es sein, unterstellt man, dass jede zweite Beschäftigte, die bei Schlecker ihren Arbeitsplatz verliert, keinen neuen Job findet. Die dreisteste Lüge, die Vertreter von FDP und Union verbreiteten, ist, die Politik habe mit der Schlecker-Pleite nichts zu tun; sie sei ein Ergebnis der Marktwirtschaft. Die Wahrheit ist: Die Politik hat die gesetzlichen Regelungen zu verantworten, nachdem Anton Schlecker ein Unternehmen mit Zehntausenden Beschäftigten wie eine Würstchenbude führen konnte. Schlecker meldete sein Unternehmen als „eingetragener Kaufmann“ an. So konnte er die für Großunternehmen sonst üblichen Vorschriften zur Rechungsführung und einer Kontrolle durch einen Aufsichtsrat umgehen. Als „eingetragener Kaufmann“ war Anton Schlecker auch nicht verpflichtet, Insolvenz anzumelden, und kann nicht für eine Insolvenzverschleppung strafrechtlich belangt werden. Das alles hat die Politik zu verantworten, denn sie macht die Gesetze. Auch deshalb steht sie in einer besonderen Pflicht, sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einzusetzen. Unsere Forderungen sind klar. Erstens. Der Gesetzgeber ist gefordert, alle Schlupflöcher zu schließen, mit denen Großunternehmen einer umfassenden Transparenzpflicht und Kontrolle entgehen können. Dazu muss auch eine Stärkung der Mitbestimmung der Beschäftigten gehören. Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten müssen zwingend einen Aufsichtsrat einrichten, der zur Hälfte aus Vertretern der Beschäftigten besteht. Zweitens. Nach dem Scheitern der Transfergesellschaft brauchen wir ein alternatives Zukunftskonzept für Schlecker, das zusammen mit den Beschäftigten und beteiligten Akteuren wie zum Beispiel den Kommunen entwickelt werden kann. Statt Kahlschlag zu betreiben, muss es darum gehen, möglichst viele Filialen und Arbeitsplätze zu erhalten. Ein mögliches neues Unternehmensmodell ist auch mit staatlichen Geldern zu unterstützen, sofern die Belegschaft Einfluss auf die Geschäftspolitik bekommt. Es geht bei der Unternehmensrettung um Zehntausende Beschäftigte und ihre Familien, nicht um Anton Schlecker. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP hat null Erfolg bei Wahlen und schafft es nicht mehr in die Parlamente, aber da, wo sie noch -mitzureden hat, exekutiert sie mit letzter Kraft eine brachiale Marktwirtschaft und verhindert die Einrichtung einer Transfergesellschaft für die entlassenen Schlecker-Beschäftigten. Das ist unterlassene Hilfeleistung. Ich finde es skandalös, dass die Union nicht eingegriffen hat und die FDP auf den Pfad der Tugend zurückgeführt hat. Anfang März war in der „Süddeutschen Zeitung“ zu lesen, dass Bundesarbeitsministerin von der Leyen „bis Ende der Woche“ – das war vor drei Wochen – Klarheit über die Einrichtung einer Transfergesellschaft schaffen will. Frau Connemann von der CDU-Fraktion hat in der Plenardebatte hier im Bundestag am 8. März gesagt: „Wir in der Union werden dafür sorgen, dass Gelder für diese Transfergesellschaft bereitstehen.“ Und auch Herr Seehofer hat immer wieder dicke Backen gemacht und Unterstützung angekündigt. Aber offenbar ist verlassen, wer sich auf die Union verlässt. Ich frage mich: Warum haben die CDU-Minister--präsidenten aus Niedersachsen und aus Sachsen dem Marktradikalentreiben ihrer FDP-Wirtschaftsminister keinen Riegel vorgeschoben, warum hat Bundesarbeitsministerin von der Leyen nicht ernsthaft interveniert, und warum hat sich Bundeskanzlerin Merkel nicht vor die Schlecker-Frauen gestellt, so wie vor die Opel-Männer? Wer es auch nur im Entferntesten ernst meint mit -Gerechtigkeit und mit der sozialen Marktwirtschaft, der hätte die Opfer der Schlecker-Pleite mit aller Kraft -unterstützen und zusätzliche Qualifizierungsoptionen für sie schaffen müssen. Genau dafür wäre die Einrichtung von Transfergesellschaften ein wichtiger Baustein gewesen, auch wenn sie natürlich kein Allheilmittel sind. Es ging nicht darum, das miserable Geschäftsmodell des Schlecker-Patriarchen zu retten, sondern es ging darum, neue Chancen für diejenigen zu eröffnen, die all die Jahre unter dem Missmanagement gelitten haben und die jetzt vor dem Nichts stehen. Für sie hätte die Politik mit Bürgschaften für einen Massekredit in die Bresche springen müssen. Und es ist übrigens nicht so, dass -Beschäftigte in mittelständischen Unternehmen keine -öffentliche Unterstützung bekommen. Ich erinnere hier nur an das Programm WeGebAU, mit dem vor allem die Qualifizierung von Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Betrieben gefördert wird. Bei der Hilfe für die Schlecker-Frauen ging es um eine Bürgschaft in Höhe von circa 70 Millionen Euro. Das ist kein Pappenstiel, und bei der Verwendung von Geldern der Steuerzahler müssen Kosten und Nutzen selbstverständlich sorgfältig abgewogen werden. Aber: Diese 70 Millionen sind nur ein Bruchteil dessen, was an Kohlesubventionen für den Bergbau, als Abwrackprämie zur Unterstützung der Autobauer oder für die Bankenrettung verausgabt wurde. Wohlgemerkt, ich finde diese staatlichen Unterstützungsmaßnahmen nicht alle falsch; sie waren aber auch nicht alle richtig. Schon gar nicht waren oder sind sie vereinbar mit einer Ideologie des freien Spiels der Märkte. Daher ist es aus meiner Sicht in keiner Weise verhältnismäßig, wenn bei drohendem Verlust von Männer--arbeitsplätzen in den Industriebranchen mit Milliardensummen eingegriffen wird, aber wenn es um Frauenjobs im Dienstleistungssektor geht, ein Riesengezänk um die reine Lehre des Wettbewerbs losgeht mit dem Ergebnis, dass man die Frauen, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, eiskalt abserviert. Das ist nicht gerecht und tendenziell diskriminierend. Darum fordere ich, dass es in Deutschland nicht nur den gleichen Lohn für gleiche -Arbeit geben muss, sondern auch die gleiche Hilfestellung für Männer und Frauen, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht. Jetzt hat sich die FDP-Männerriege gegen die Verkäuferinnen durchgesetzt. Diese Männer kämpfen im Sinne einer falsch verstandenen Marktwirtschaft um die letzten Wählerstimmen und ignorieren dabei vollkommen die Sorgen und Nöte der Menschen. Damit muss Schluss sein. Der Politikwechsel für mehr Gerechtigkeit ist überfällig. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9131, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8880 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen – Drucksache 17/9150 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.13 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9150 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich bedanke mich recht herzlich für die gute Zusammenarbeit bei den letzten Tagesordnungspunkten. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. März 2012, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. (Schluss: 20.40 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 29.03.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 29.03.2012 Buschmann, Marco FDP 29.03.2012 Claus, Roland DIE LINKE 29.03.2012 Ehrmann, Siegmund SPD 29.03.2012 Freitag, Dagmar SPD 29.03.2012 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 29.03.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 29.03.2012 Groth, Annette DIE LINKE 29.03.2012* Günther (Plauen), Joachim FDP 29.03.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 29.03.2012 Keul, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 Kramme, Anette SPD 29.03.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 Kunert, Katrin DIE LINKE 29.03.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 29.03.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 29.03.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 29.03.2012 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 Dr. Neumann (Lausitz), Martin FDP 29.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 29.03.2012 Nink, Manfred SPD 29.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 29.03.2012 Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 29.03.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 29.03.2012* Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 29.03.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 29.03.2012 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 29.03.2012 Simmling, Werner FDP 29.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 29.03.2012 Wicklein, Andrea SPD 29.03.2012 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 29.03.2012 Dr. Wilms, Valerie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 29.03.2012 für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich werde das oben genannte Gesetz ablehnen und mit Nein stimmen. Zwar sind nach den Formulierungshilfen zum Entwurf des Gesetzes, den zahlreichen Berichterstatter-gesprächen und den in der Fraktionssitzung am 27. März 2012 vorgestellten Änderungen Schritte in die richtige Richtung erkennbar, aber für meine Zustimmung zum Gesetz sind diese nicht ausreichend. Verbraucher, Photovoltaikindustrie und Wirtschaft -erwarten von der Politik Planungssicherheit und Verlässlichkeit. Das jetzt vorgelegte Gesetz erfüllt diese Anforderungen nur teilweise. Der Solarbranche, die – unter anderem – bei Solarworld mit über 1 500 Arbeitsplätzen sowie zahlreichen Ausbildungs- und Studienplätzen, Innovations- und -Logistikzentren in meinem Wahlkreis ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, muss gegenüber der weltweiten Wettbewerbsverzerrung durch chinesische Subventionierung von Solarprodukten geholfen werden, ihren Technologievorsprung auszubauen. Da es die Bundes-regierung versäumt hat, entsprechend mit Richtlinien und Verordnungen – zum Beispiel Elektronikschrottverordnung – eine Art Schutzwall für den europäischen Markt vor einer besonderen Art einer feindlichen Übernahme des Marktes durch chinesische Wettbewerbsverzerrung einzuziehen, müsste Deutschland nunmehr mit einer Local-Content-Regelung – zum Beispiel einem zehnprozentigen Vergütungsaufschlag auf deutsche Produkte – nachsteuern. Auf vergleichbare Regelungen in anderen Branchen in Italien, Frankreich, der Türkei oder beispielsweise die Quotenregelung für chinesische Textilien oder amerikanische Strafzölle wird verwiesen. Des Weiteren ist im Gesetz eine angemessene Vergütung für eine Anlage in der Größenklasse von 10 bis 50 oder 100 Kilowatt nicht vorgesehen. Anlagen von 1 Megawatt bis 10 Megawatt hingegen erhalten die volle Vergütung aus dem EEG. Das ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung kleiner und mittlerer Anlagen, auf deren Modulbauteilproduktion sich deutsche Hersteller spezialisiert haben. Sie wirkt im Hinblick auf die Zielsetzungen der Energiewende oder einer dezentralen Stromeigenproduktion absolut kontraproduktiv. Es ist bekannt, dass sich Anlagen in der Größenordnung von 1  bis 10 Megawatt vornehmlich in Bayern und Baden-Württemberg befinden bzw. dort geplant sind. Schließlich entfällt mit dem Wegfall des Eigenverbrauchsbonus jeglicher Anreiz zum Einsatz von Energiespeichern, ob von Batterien oder anderweitigen Speichersystemen. Der Eigenstrombonus sollte in der Form beibehalten werden, die ihn an den Einsatz von Speichern koppelt. Im Übrigen hoffe ich, dass insbesondere die ostdeutschen Bundesländer unter Führung von Sachsen und Sachsen-Anhalt im Vermittlungsausschuss durch die -bereits vorgelegte Bundesratsinitiative insbesondere in vorgenannten Positionen Verhandlungsfortschritte erzielen, damit ich bei erneuter Beschlussfassung zustimmen kann. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich kann dem Gesetzentwurf zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie – Drucksache 17/8877 – nicht zustimmen. Die aktuelle Novellierung des EEG besteht aus Einschnitten und Kürzungen, die nicht mit einer konzeptionellen Weiterentwicklung der solaren Strom-erzeugung verbunden sind. Erstens. Die vorgesehene Kürzung der vergüteten Strommenge wird dem Anspruch der Marktintegration nicht gerecht. Es fehlen Mechanismen zum Markt--zugang für alle Anlagen, die zu groß oder nicht geeignet für den Eigenverbrauch und zu klein für den Börsen--zugang sind. Zweitens. Der Gesetzentwurf gibt keine Antwort auf einen Systemfehler der Strompreisfindung. Große Mengen erneuerbaren Stroms senken den Großhandelspreis an der Börse. Darauf haben die mit der steigenden EEG-Umlage belasteten Kleinverbraucher jedoch keinen Zugriff. Großverbraucher hingegen werden auch noch von der Umlage befreit, auf die ihr eigener Preisvorteil zurückzuführen ist. Drittens. Es fehlt ein Speicheranreiz, der die Regelung zum Eigenverbrauch mit der Anschaffung netzgesteuerter Speichereinheiten koppelt. Gerade die mangelnde Speicherfähigkeit erneuerbaren Stroms wird von Kritikern der Energiewende ständig beklagt. Gleich--zeitig wurden jedoch wirksame Schritte zur Lösung dieses Problems verhindert. Dieser Gesetzentwurf liefert keinen Beitrag zur -weiteren Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien. Trotz intensiver Bemühungen gelang es während der Gesetzesberatung nicht, über die Zubaubegrenzung hinaus positive Elemente zur Systemtrans--formation des Stromsektors zu verankern. Stattdessen fielen immer wieder Bemerkungen wie „Solarabzocker“ oder „Das Fallbeil muss fallen“. Die kleinteilige Stromerzeugung wird von Teilen der Koalition als System--gefahr betrachtet, der Eigenverbrauch als „Schädigung der Solidargemeinschaft“. Diese Haltung konserviert technologisch überlebte Strukturen. Sie bremst die Verlagerung der Wertschöpfung auf breite Bevölkerungsschichten und nimmt unseren Bekenntnissen zur Energiewende die Glaubwürdigkeit. Ich werde den Gesetzentwurf deshalb ablehnen. Frank Heinrich (CDU/CSU): Ich stimme dem -Gesetzentwurf zu, obwohl ich noch einige Bedenken habe. Ich bin ein großer Befürworter der erneuerbaren Energien. Bei der Abstimmung über die Verlängerung von AKW-Laufzeiten habe ich mich meiner Partei nicht angeschlossen und habe gegen die Verlängerung -gestimmt. Die in dem Gesetzentwurf getroffene Neuregelung übt noch nicht den notwendigen Druck auf die Betreiber und Anbieter von Photovoltaikanlagen aus, Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er tatsächlich benötigt wird. Aber ich bin der Auffassung, dass Planungssicherheit und Verlässlichkeit sowohl für die Photovoltaikindustrie als auch für die Wirtschaft wichtig sind. Ich denke, dass die massive Kürzung der Solarförderung mit einer kurzen Ankündigungsfrist aufgrund bestehender Verordnungen des Baurechts nicht realistisch ist. Deshalb sollten angemessene Übergangsfristen vereinbart werden, damit bereits im Bau befindliche Anlagen noch nach den momentan geltenden Vergütungssätzen abgerechnet werden. Außerdem fehlt meines Erachtens nach ein Speicheranreiz, der die Regelung zum Eigenverbrauch mit der Abschaffung netzgesteuerter Speichereinheiten koppelt. Die Kritiker beklagen gerade die mangelnde Speicherfähigkeit erneuerbaren Stroms. Weiterhin wird kein Beitrag durch diesen Gesetzentwurf zur weiteren Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien geliefert. Ich unterstütze dennoch die in diesem Gesetz getroffenen Neuregelungen und hoffe sehr, dass damit eine Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Stand erreicht wird. Die Belastung der Stromkunden durch Garantiezusagen hinsichtlich der Einspeisevergütung für in Photovoltaikanlagen erzeugtem Strom wird so gegenüber dem Status quo stärker -begrenzt. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich enthalte mich bei der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf, weil ich die darin enthaltene Förderung der Energiegewinnung in Photovoltaikanlagen über eine Einspeisevergütung, die unabhängig davon gezahlt wird, ob der erzeugte Strom bei Energieverbrauchern absetzbar ist, ablehne. Damit kann das auch von mir unterstützte Ziel, eine Alternative zur Nutzung der endlichen fossilen Energieträger zu entwickeln, nicht erreicht werden. Auch die in dem Gesetzentwurf getroffene Neuregelung übt nicht den notwendigen Druck auf die Betreiber und Anbieter von Photovoltaikanlagen aus, Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er tatsächlich benötigt wird. Eine Stromerzeugung unabhängig vom Bedarf ist aber keine Alternative zur Nutzung fossiler Energieträger, da so ein Indus-trieland nicht zuverlässig und kostengünstig mit Strom zu versorgen ist. Ich unterstütze die in diesem Gesetz getroffenen Neuregelungen nicht, da mit ihnen keine ausreichende Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Stand erreicht wird. Die Belastung der Stromkunden durch Garantiezusagen hinsichtlich der Einspeisevergütung für in Photovoltaikanlagen erzeugten Strom wird so gegenüber dem Status quo nicht begrenzt. Im Jahr 2011 wurden circa 7 500 Megawatt Photovoltaikleistung in Deutschland installiert, die Fertigungskapazitäten für Photovoltaikmodule in Deutschland betragen jedoch circa 3 200 Megawatt. Dieser Widerspruch wird vom Gesetzentwurf nicht ausreichend gewürdigt. Die gegenwärtige, schwierige Lage der deutschen Photovoltaikbranche besteht unabhängig vom Fördermechanismus im EEG. Ebenso lehne ich die im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf stehende Lösung des „50,2-Hertz-Pro-blems“ als nicht marktwirtschaftlich ab. Die Übernahme der Kosten für die notwendige Nachrüstung der betroffenen Photovoltaikanlage soll gemäß einem Verordnungsentwurf von den Verbrauchern getragen werden. Dies ist eine Abkehr vom Verursacherprinzip und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für künftigen Nachrüstbedarf. Maria Michalk (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien zu, weil es am Grundsatz des Ausbaus erneuerbarer Energie festhält und zeitgleich auf die Überschreitung des geplanten Ausbaukorridors beim Zubau von Photovoltaikanlagen von 3 500 Megawatt mit 7 500 Megawatt im Jahr 2011 reagiert. Die Vergütungssätze sind im Vergleich zu den gesunkenen Systempreisen zu hoch. Das belastet sowohl die Bürgerschaft als auch die Wirtschaft im Industrie- und Dienstleistungsbereich. Deshalb ist die Korrektur des Ausbaupfades der Photovoltaikanlagen geboten und gerechtfertigt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Manfred Grund, Dr. Thomas Feist, Dr. Michael Luther, Michael Stübgen und Arnold Vaatz (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Ich stimme dem Gesetzentwurf zu, obwohl ich die darin enthaltene Förderung der Energiegewinnung in Photovoltaikanlagen über eine Einspeisevergütung, die unabhängig davon gezahlt wird, ob der erzeugte Strom bei Energieverbrauchern absetzbar ist, ablehne. Damit kann das auch von mir unterstützte Ziel, eine Alternative zur Nutzung der endlichen fossilen Energieträger zu entwickeln, nicht erreicht werden. Auch die in dem Gesetzentwurf getroffene Neuregelung übt nicht den notwendigen Druck auf die Betreiber und Anbieter von Photovoltaikanlagen aus, Strom dann zur Verfügung zu stellen, wenn er tatsächlich benötigt wird. Eine Stromerzeugung unabhängig vom Bedarf ist aber keine Alternative zur Nutzung fossiler Energieträger, da so ein Industrieland nicht zuverlässig und kostengünstig mit Strom zu versorgen ist. Ich unterstütze dennoch die in diesem Gesetz getroffenen Neuregelungen, da mit ihnen eine Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Stand erreicht wird. Die Belastung der Stromkunden durch Garantiezusagen hinsichtlich der Einspeisevergütung für in Photovoltaikanlagen erzeugten Strom wird so gegenüber dem Status quo stärker begrenzt. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Hans-Joachim Hacker, Dr. Eva Högl, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, -Steffen-Claudio Lemme, Burkhard Lischka, Mechthild Rawert, Silvia Schmidt (Eisleben), Swen Schulz (Spandau), Rolf Schwanitz, Sonja Steffen, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Wolfgang Tiefensee, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien (Tagesordnungspunkt 7 a) Wir – die Unterzeichner dieser Erklärung – lehnen die von CDU, CSU und FDP zur Abstimmung gestellten drastischen Sonderkürzungen bei der Solarförderung sowie die weiteren Instrumente zur Zubaubegrenzung ab. Dies tun wir auch, weil diese konzeptlose Kurzschlussreaktion der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen ein wirtschaftlich vertretbares Maß vermissen lassen. Die Kürzungen sind ein Angriff auf die Verlässlichkeit, Planbarkeit und Investitionssicherheit der Solarförderung. Durch die wiederholt abrupten Sonderkürzungen werden einerseits Zubau-Rallyes mit der damit verbundenen Marktüberhitzung ausgelöst. Auf der anderen Seite wird der Solarbranche gerade auch in Ostdeutschland der Boden für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung entzogen. Wir wollen hingegen alles dafür tun, um die Zukunftsfähigkeit der ostdeutschen Solarcluster zu erhalten und dabei die Forschungs- und Entwicklungsstrukturen sowie die Vielzahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern und auszubauen. Dies kann einerseits nur vor einer verlässlichen und planbaren Förderkulisse gelingen. Andererseits ist es unerlässlich, dem unfairen Wettbewerb und Preisdumping, insbesondere der chinesischen Konkurrenz, den Kampf anzusagen. Daher müssen wir gegen diese Wettbewerbsnachteile im europäischen Interesse vorgehen und bis dahin durch eine Local-Content-Lösung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Solarbranche stärken. Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass CDU, CSU und FDP sowie die Bundesregierung nichts zur Stärkung der hochinnovativen deutschen Solarindustrie und der geschaffenen Arbeitsplätze unternehmen, sondern sich auf einseitige Förderkürzungen beschränken, die vor allem den Standort (Ost-)Deutschland zusätzlich gefährden. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes (Tagesordnungspunkt 8 b) Sylvia Canel (FDP): Als Berichterstatterin für frühkindliche Bildung weiß ich, wie wichtig der Besuch von Kindereinrichtungen für Kinder ist. Die Einführung eines Betreuungsgeldes schafft ein falsches Anreizsystem. Miriam Gruß (FDP): Aus meiner Sicht sprechen unter anderem starke bildungs-, gleichstellungs- und haushaltspolitische Gründe gegen die Einführung eines Betreuungsgeldes. Aus bildungspolitischer Sicht habe ich Sorge, ob die Einführung des Betreuungsgeldes im Interesse der Kinder ist. Denn unter Umständen würde ein Betreuungsgeld eher als Anreiz gesehen, Kinder nicht in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu geben. Dabei profitieren Kinder nachweislich von frühkindlicher Bildung in diesen Einrichtungen. Unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten ist das Betreuungsgeld ebenfalls kritisch zu sehen. Es verfestigt das tradierte Rollenbild, indem es einen Anreiz dafür bietet, den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen nach der Geburt eines Kindes hinauszuzögern. Auch vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels ist das ein weiterer Fehlanreiz. Die aktuellen Haushaltszahlen sprechen zudem eine deutliche Sprache: Deutschland gibt rund 185 Milliarden Euro jährlich für ehe- und familienpolitische Leistungen aus – und trotzdem verzeichnen wir eine der geringsten Geburtenraten in Europa. Die Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen wird für 2013 erwartet. Im Vorfeld dessen eine neue milliardenschwere familienpolitische Leistung einzuführen, halte ich im Sinne einer nachhaltigen, zukunfts- und generationengerechten Haushaltspolitik für unverantwortlich. Außerdem ist derzeit nicht in Sicht, dass bis August 2013, wenn der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz U3 greift, die für den Anspruch erforderlichen Betreuungsplätze vorhanden sein werden. Die Einführung des Betreuungsgeldes könnte als Anreiz verstanden werden, diesen Ausbau nicht mit dem nötigen Hochdruck von kommunaler und landespolitischer Seite zu begleiten. Die konkrete und vor allem verfassungsgemäße Ausgestaltung des Betreuungsgeldes ist obendrein derzeit absolut unklar. Aus all diesen Gründen werde ich mich bei der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 8 a, b und c enthalten. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Einführung eines Betreuungsgeldes für diejenigen Eltern, die ihre Kinder im Alter zwischen einem und drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen, wird in der Öffentlichkeit unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert. Die Freiheit der Eltern, ihre Kinder selbst zu betreuen oder qualifiziert betreuen zu lassen, muss erhalten bleiben. Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen, -haben das Recht, dies zu tun. Es ist jedoch eine grundsätzlich andere Frage, ob dies auch vom Staat zu finanzieren ist. Gute frühkindliche Betreuung hat einen sehr hohen Stellenwert für die Entwicklung von Kindern. Mit der Finanzierung eines Betreuungsgeldes setzt der Staat -einen Anreiz für Eltern, auf die Annahme frühkindlicher Betreuungsangebote zu verzichten. Gleichzeitig werden damit finanzielle Ressourcen gebunden, die für den Aufbau von Kinderbetreuung für Eltern, die beide ihren -Beruf ausüben wollen, nicht zur Verfügung stehen. In der Studie „Emanzipation oder Kindergeld?“ aus dem Jahr 2008, die von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wurde, wird aufgezeigt, dass in den Ländern -Europas, in denen mehr Frauen berufstätig sind, mehr Kinder geboren werden. Dazu tragen auch gute Betreuungseinrichtungen bei sowie ein hoher Anteil an Frauen mit -guten Bildungsabschlüssen. In Deutschland ist der -Anteil von Frauen in Führungspositionen sehr gering. Eine Ursache dafür ist ebenfalls die geringe Verfügbarkeit von Einrichtungen zur Kinderbetreuung. Mit dem Betreuungsgeld wird diese Situation nicht verbessert. Deutschland gibt rund 185 Milliarden Euro jährlich für familienpolitische Leistungen aus. In 2013 soll eine Evaluation dieser Leistungen erfolgen. Es ist nicht verantwortbar, vor dem Vorliegen der Evaluation eine neue familienpolitische Leistung einzuführen. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren gilt ab August 2013. Die Einführung eines Betreuungsgeldes könnte dazu führen, dass die Einrichtung von Betreuungsplätzen nicht im -erforderlichen Maß vorangetrieben wird. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung des Betreuungsgeldes ist zurzeit offen. Die Anträge der Opposition zielen auf die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und die Kritik, die Frauen aus den Koalitionsfraktionen daran geübt haben. Dies ist mir bewusst. Ich werde daher die Anträge ablehnen. Ich erwarte aber, dass in der Frage der Wertschätzung -frühkindlicher Bildung, der Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen, der verfassungsgemäßen Ausgestaltung familienpolitischer Leistungen und unter Berücksichtigung der Evaluation dieser bisherigen Leistungen über weitere familienpolitische Maßnahmen entschieden wird. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für einen Hochschulpakt Plus – Zusätzliche Studienplätze schaffen und Masterangebot ausbauen – Hochschulpakt 2020: Für mehr Studienplätze und gute Arbeitsbedingungen – Hochschulen sozial öffnen – Den Hochschulpakt weiterentwickeln: Mehr Studienplätze, bessere Studienbedingungen und höhere Lehrqualität schaffen zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Gute Lehre an allen Hochschulen garantieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt verankern und einen Wettbewerb für he-rausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU): Die Opposition hat sich darauf verständigt, ihren Debattenplatz im Plenum mit aufgewärmter Ware, mit alten Anträgen zu füllen. Das ist so wenig originell wie überraschend. Wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt, wiederholen Sie sich halt. Bereits vor sechs Monaten haben wir die nun erneut zur Debatte stehenden Anträge der Opposition zum Hochschulpakt hier im Plenum und auch im Ausschuss diskutiert. Alle drei alten Anträge der Opposition aus dem Oktober 2011 bestehen im Wesentlichen aus einer Liste von Wunschvorstellungen, deren Finanzierung nicht einmal im Ansatz dargestellt wird. Das ist das klassische Ritual der Opposition: Jeder Wählergruppe wird das Maximum versprochen. Man steht ja nicht in der Pflicht, diese Wohltaten auch finanzieren zu müssen. Mich würde aber schon interessieren, ob zumindest die Damen und Herren von der SPD ihre Vorstöße wenigstens mit ihren Ministerpräsidenten abgesprochen haben. Denn Bildung ist und bleibt trotz allem die Kernaufgabe der Bundesländer. Eben deshalb haben wir mit dem Hochschulpakt ein System geschaffen, in dem Bund und Länder gemeinsam die Finanzierung neuer Studienplätze sicherstellen. Jede Veränderung des Paktes hätte damit auch unmittelbare Auswirkungen auf die Haushalte aller Bundesländer. Dieser Idee liegt auch das von Bund und Ländern gemeinsam vereinbarte System zur Finanzierung des Hochschulpaktes zugrunde. Dieser wird nach zwei Jahren nachlaufend finanziert, weil dann die Immatrikula-tionszahlen feststehen und Mittel nicht aufgrund von Schätzungen verteilt werden müssen. Der Hochschulpakt I hat seinen Lackmustest im Übrigen eindrucksvoll bestanden. 90 000 Studienplätze waren geplant, mehr als das Doppelte, 82 000, wurden finanziert. Wir haben mit diesem flexiblen und atmenden System einen Weg gefunden, mit den Unwägbarkeiten bei der Finanzierung neuer Studierendenzahlen umzugehen. Derzeit ist noch gar nicht abzusehen, dass die 335 000 zusätzlichen Studienplätze vor 2014 überschritten werden. Aufgrund bisheriger Berechnungen der KMK ist zwischen Bund und Ländern ein Gesamtdeckel vereinbart worden. Sollte dieser erreicht werden, müssten beide Seiten neu verhandeln. Vorher aber müssen alle Länder nachweisen, dass sie die Hochschulpaktmittel auch tatsächlich für neue Studienplätze eingesetzt haben. Ich darf Sie daran erinnern, dass diese Regierung den Etat des BMBF um satte 54 Prozent gesteigert hat. Wir unterstützen die Studierenden in Deutschland bei der Finanzierung ihres Studiums in diesem Jahr mit mehr als 1,7 Milliarden Euro. Damit haben wir die Förderung in diesem Bereich im Vergleich zu Rot-Grün im Jahr 2005 um mehr als 53 Prozent ausgebaut. Wir arbeiten am Erreichen des 10-Prozent-Ziels und an der Weiterentwicklung Deutschlands zu einer Bildungsrepublik, die jeder bzw. jedem gerecht wird. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: nicht nur mit Rekorden bei den Studienanfängerzahlen und bei der Studierquote, sondern auch und gerade bei jungen Menschen aus bildungsfernen Schichten. Die letzte Studie des HIS hat gezeigt, dass die Studierquote in dieser Gruppe um 6 Prozent überproportional angestiegen ist, während die Studierquote bei Kindern aus bildungsnahen Schichten „nur“ um 3 Prozent stieg. Nun hat gerade die SPD sich in der vergan-genen Zeit mit wenig kreativen Versuchen hervor-getan, den SPD-Finanzministern in den Bundes-ländern neue Einnahmequellen zu verschaffen. Ich darf Ihnen zwei Beispiele nennen. Im Antrag 17/4187 hat die SPD verlangt, dass der Bund von geschätzten 20 Milliarden Euro zur Erreichung des 10-Prozent-Zieles ab 2015 zugunsten der Kommunen und Länder mindestens 10 Milliarden zusätzlich übernimmt. Das alles aber „unbeschadet der föderalen Zuständigkeiten“. Mit dieser Initiative ist die SPD natürlich prompt gescheitert. An ihrem wirklich durchsichtigen Manöver, die Bildungspolitik als Vehikel für einen neuen Finanzausgleich zu nutzen, hat sich aber nichts geändert. Dafür hat sich ja sogar ihr Fraktionsvorsitzender hergegeben. Die SPD bewegt offenbar nur eine Frage: „Wie bekommen wir mehr Geld vom Bund in die Länder?“, und nicht etwa „Wie schaffen wir ein vergleichbares, leistungsstarkes und gerechtes Bildungssystem in Deutschland?“ Lieber basteln Sie an einem neuen Art. 104 c, anstatt die Probleme und Ungerechtigkeiten in der Bildungspolitik zu beseitigen. Mit einem solchen Artikel wird jedenfalls kein Impuls gesetzt, die Länder dazu zu bringen, endlich für gemeinsame Standards, mehr Mobilität und mehr Vergleichbarkeit, letztlich also für mehr Gerechtigkeit in der Bildungspolitik zu sorgen. Und nur Bundesgelder in SPD-geführte Länder zu fluten, die mit ihrer Unfähigkeit aufgefallen sind, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen, das ist bildungspolitisch dann doch ein bisschen wenig. Kollege Schultz, der Vertreter des Landes Schleswig-Holsteins, hat im Fachgespräch zur Bund-Länder-Kooperation auf die Bedeutung von Bildungsmindeststandards hingewiesen, und auch Professor Prenzel hat es in der Anhörung deutlich gesagt: „Die durchschnittlichen Abstände zwischen den Ländern in Deutschland haben sich seit 2000 nicht verringert. Dies gilt auch für Ländervergleiche der an den Gymnasien erzielten Leistungen. Im Extremfall erreichen die Abstände eine Größenordnung von durchschnittlich ein bis eineinhalb Schuljahren.“ Er hat auch auf die extreme Bedeutung von Standards und Vergleichbarkeit hingewiesen, wenn es um die Verbesserung des Bildungssystems geht: „Vielmehr finden sich Hinweise darauf, dass die deutlich früher -erfolgte Einführung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung, zum Beispiel Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten, Schulevaluationen, das Qualitätsbewusstsein an Schulen geschärft und Aufmerksamkeit auf die Förderung schwächerer Schülerinnen und Schüler gerichtet hat.“ Aber die SPD ignoriert diese Probleme und glaubt, mit der trivialen Forderung nach mehr Geld für die Länder dieses Defizit an bildungspolitischem Durchblick einfach zuschütten zu können. Wir wollen unsere Bildungspolitik verantwortungsvoll und nachhaltig gestalten und uns nicht in ideologischen Debatten und dem Auftun neuer Geldquellen für marode Landeshaushalte erschöpfen. Noch nie gab es so viele junge studierende Menschen in Deutschland. Noch nie wurden so viele vom Bund und von den Ländern gefördert, und das ist auch gut so. Florian Hahn (CDU/CSU): Gerne und unermüdlich beziehen wir nun zum wiederholten Male Stellung zu den Anträgen der Opposition zum Thema Hochschulpakt Plus. Die Schaffung von mehr Studienplätzen liegt nicht nur der SPD am Herzen, sondern auch der CDU/CSU. Dass die Regierung so viel wie noch keine andere Regierung zuvor für die Bildung in unserem Land getan hat, liegt auf der Hand. Noch nie gab es so viele junge studierende Menschen in Deutschland. Und noch nie wurden so viele gemeinsam von Bund und Ländern gefördert. Für Bayern bedeutet dies konkret, dass die Zahl von 49 000 Studienberechtigten im Jahr 2007 auf 83 000 Studienberechtigte im Jahr 2011 gestiegen ist. Wir haben einen Rekordetat für den Bildungsbereich möglich gemacht: Wir sind auf dem besten Weg, das 10Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben dem Qualitätspakt für die Lehre zusätzliche 2 Milliarden Euro an Bundesgeldern zugeführt. Mit all diesen Punkten verbessern wir auch die Situation der Studierenden und der Universitäten nachhaltig. Und vor allem etablieren wir unser Land als Bildungsrepublik. Mit dem Hochschulpakt wurden in der ersten Programmphase von 2007 bis 2010  182 000 neue Studienmöglichkeiten geschaffen – das sind doppelt so viele wie ursprünglich geplant. Dieser Erfolg – das belegen die Daten des Statistischen Bundesamts – setzt sich in der zweiten Programmphase fort. Denn auch im Studienjahr 2011 konnte dank des Hochschulpakts ein Einschreiberekord an deutschen Hochschulen verzeichnet werden. Insgesamt nahmen rund 516 000 junge Menschen ein Studium auf. Die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie flexibel und handlungsfähig ist und auch auf Herausforderungen, die gebündelt auftreten, wie die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht, reagieren kann. Auch für die zweite Programmphase haben Bund und Länder vereinbart, ein bedarfsgerechtes Studienangebot zu schaffen. Auf der Basis der Zahlen von der KMK wurden bis zu 335 000 zusätzliche Studienplätze bis zum Jahr 2015 zugesichert. Dabei stehen für jeden Studienplatz sogar 4 000 Euro mehr zur Verfügung als in der ersten Programmphase. Mit dieser Erhöhung leistet der Bund erneut einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Lehre. Die Forderung der SPD, die Deckelung des aktuellen Hochschulpakts aufzuheben und einen Hochschulpakt Plus einzuführen, halte ich deshalb nicht für sinnvoll und schon gar nicht für durchführbar. Ich möchte noch einmal wiederholen, dass wir in der ersten Programmphase doppelt so viele Studienplätze geschaffen haben, als geplant waren. Die Regierung hat somit eindrucksvoll bewiesen, dass sie in kürzester Zeit ein Vielfaches an neuen Plätzen zur Verfügung stellen kann. Genau so, wie wir das in der ersten Phase gemeistert haben, werden wir das auch in der zweiten Phase lösen. Wir haben immer gesagt: Wenn es mehr Studienplätze bedarf, finanzieren wir diese auch. Dies ist aber noch nicht der Fall. Ich bitte Sie deshalb, nicht im Vorfeld die Pferde scheu zu machen und Lösungen für Probleme zu suchen, die so noch gar nicht existent sind. Außerdem: Selbst wenn wir uns über verfassungsrechtliche Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern hinwegsetzten und einen „Hochschulpakt Plus“ verabschiedeten, vermute ich, dass vor allem die hoffnungslos verschuldeten Landesregierungen der SPD überfordert wären. Diese müssten ja schließlich die Studienplätze zur Hälfte mitfinanzieren. Die Forderungen der SPD werden nur noch von den Grünen getoppt, die einen äußerst bunten Strauß an -politischen Wünschen in ihrem Antrag zusammengeschrieben haben. Diese reichen vom Ausbau der Masterstudiengänge bis zur didaktischen Weiterbildung des wissenschaftlichen Lehrpersonals, natürlich alles vonseiten des Bundes. Sinnvolle Finanzierungsvorschläge oder auch nur die Beachtung des föderalen Systems unseres Landes habe ich in dem Antrag vergeblich gesucht. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal an die Beschlüsse von Bologna erinnern: Wie Sie alle wissen, betont die Bologna-Reform ausdrücklich, dass in einem System gestufter Studiengänge der Bachelorabschluss als erster berufsqualifizierender Abschluss den Regelabschluss darstellt und somit für die Mehrzahl der Studierenden direkt in die Arbeitswelt führen soll. Der Masterabschluss muss als zusätzlicher, jedoch nicht als regulärer Abschluss betrachtet werden. Abgesehen davon haben die Länder, laut BMBF, durch Erhebungen festgestellt, dass rechnerisch für jeden interessierten Bachelor heute ein Masterstudienplatz zur Verfügung steht. Den Anträgen der Opposition kann ich daher nicht zustimmen. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben bereits im Oktober des letzten Jahres ein Konzept für einen Hochschulpakt Plus vorgelegt. Wir wollen den bestehenden Hochschulpakt ausbauen und fortentwickeln. Denn es ist offensichtlich, dass der Hochschulpakt, den wir vor einigen Jahren gemeinsam mit der Union verabschiedet haben, gewissermaßen von seinem eigenen Erfolg überrollt wird. Es gibt viel mehr Studieninteressierte, viel mehr Nachfrage nach Studienplätzen, als die Länder an Angebot finanzieren können. Darum schlagen wir in unserem Konzept vor, dass kurzfristig mindestens 50 000 zusätzliche Studienplätze finanziert werden müssen. Zudem wollen wir, dass bereits jetzt die nächste Phase des Hochschulpaktes ab 2016 zwischen Bund und Ländern vereinbart wird, damit die Hochschulen und die wissenschaftlich Beschäftigten Planungssicherheit erhalten. Denn Studienplätze, die dafür nötigen Investitionen und Personalkapazitäten lassen sich nicht von heute auf morgen schaffen. Für diese nächste Phase wollen wir auch einige Strukturänderungen in den Pakt einbauen. Das ist das Plus, das wir zur Diskussion stellen. Die zwei wichtigsten Punkte will ich hier benennen. Wir sehen, dass es immer größere Schwierigkeiten nicht nur beim Angebot für Studienanfänger, sondern auch bei Masterstudienplätzen gibt – und künftig noch mehr geben wird. Wir wollen aber nicht eine Verengung auf wenige Elite-Master, sondern allen Bachelorabsolventen muss der Weg zum Master offenstehen. Und wir wollen einen Anreiz für gute Lehre geben. Bislang finanzieren wir ja lediglich die neuen Studierenden. Was dann nach dem Studienantritt passiert, ob sie schnell scheitern oder erfolgreich zum Abschluss geführt werden – das liegt außerhalb des Paktes. Das wollen wir ändern. Es muss auch in finanzieller Hinsicht einen -Unterschied machen, ob die Studierenden gut betreut werden, ob sich die Hochschulen um gute Lehre bemühen oder nicht. Darum wollen wir einen Abschlussbonus einführen, den alle Hochschulen für jeden erfolgreichen Abschluss erhalten. Das setzt dann auch zusätzliche -Mittel frei, mit denen die Lehre weiter verbessert werden kann. Was hat nun die Koalition aus CDU/CSU und FDP mit unserem Antrag gemacht? Ich habe ja nun nicht erwartet, dass die Koalition mit Begeisterung zustimmt. Aber wenigstens als Denkanstoß hätte sie unser Konzept behandeln sollen. Stattdessen heißt es immer wieder beschwichtigend, dass doch alles in Ordnung sei und man nichts tun müsse. Das war schon der Umgang mit unserem Antrag zur Reaktion auf die Aussetzung der Wehrpflicht, und das ist jetzt wieder der Fall. Die tatsächliche Entwicklung jedoch gibt uns recht – und zwingt die Bundesregierung dann doch, auf die Schnelle Maßnahmen zu ergreifen. Auch das war bei der Frage Wehrpflicht so, und das ist auch hier der Fall. -Inzwischen nämlich liegt eine neue Studienanfänger-prognose der Kultusministerkonferenz vor, die unsere Grundaussage, dass der Hochschulpakt ausgeweitet werden muss, bestätigt. Die Koalition lehnt unseren Antrag ab. Aber die Bundesregierung wird sich gleichwohl dem Gedanken neuer Verhandlungen mit den Ländern nähern müssen. Ein ums andere Mal muss man Frau Schavan zum Jagen tragen! Das Problem dabei ist, dass die eingetretene Verspätung erhebliche Verunsicherung der Hochschulen, des wissenschaftlichen Personals und der Studieninteressierten schafft. Kurzfristige Finanzierungen sind nicht -immer optimal; besser zur Zielerreichung ist die angesprochene Planungssicherheit. Zudem verhindert die Realitätsverweigerung mit anschließender Hektik des Nachbesserns natürlich, dass auch über Strukturprobleme in Ruhe und zielgerichtet gesprochen werden kann. Die Aktivitäten der Bundes-regierung bleiben Stückwerk. Aber es gibt noch ein weiteres, ein fundamentales Problem: Frau Schavan hat einfach nicht genügend Geld. Finanzminister Schäuble stellt es nicht zur Verfügung. Die mittelfristige Finanzplanung kann gerade so die gröbsten Löcher beim Hochschulpakt stopfen. Doch sie sieht keine Vorsorge für eine ordentliche Ausweitung des Hochschulpaktes vor. Nach dem Wahljahr 2013 soll gar nichts mehr dazukommen. Das Problem kippt sie dann denen, die danach regieren, vor die Füße. Gleichzeitig hat die Koalition übrigens just heute eine Steuerentlastung vornehmlich für Spitzenverdiener in Höhe von 6 Milliarden Euro beschlossen! Wir haben nicht nur das Konzept für einen Hochschulpakt Plus, sondern auch für die Finanzierung von zusätzlichen Investitionen in Bildung, alleine vom Bund im Umfang von 10 Milliarden Euro. Mithilfe dieses Konzeptes können und werden wir dann gemeinsam mit den Ländern einen ausgeweiteten und verbesserten Hochschulpakt verwirklichen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Um noch einmal daran zu erinnern: Der Bund finanziert die Bildung in Deutschland zu 16 Prozent, die Kommunen zu 20 Prozent und die Länder zu 64 Prozent. Ebendiesen beiden Hauptfinanziers von Bildung, den Ländern und den Kommunen, wollen Sie mit ihrem Steuerentlastungs--gesetz einmal mehr die Milliarden Euro entziehen, die wir in der Debatte um mehr Bildung, gleiche Bildungschancen und gleiche Bildungszugänge in Deutschland so dringend brauchen. Ihr Steuerentlastungsgesetz entzieht den Ländern glatte 2,5 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass die Länder hier gegenhalten, wenn sie doch gleichzeitig die Verantwortung für die Studienbedingungen genauso wie auch für die Schulbedingungen ernstnehmen sollen und wollen, wie wir es uns alle hier wünschen. Weil man es nicht häufig genug sagen kann, will ich es hier noch einmal wiederholen: 50 000 zusätzliche Studienanfängerplätze erfordern 1,3 Milliarden Euro durch Bund und Länder. Auch deshalb ist es gut, wenn sich die Länder dagegen wehren, jetzt eine Steuersenkung auf Pump zu finanzieren, wo sie die Mittel, die -damit zusätzlich für die Zinsen ausgegeben werden -müssen, jetzt doch so dringlich für die Studienanfängerplätze und die bessere Ausstattung der Hochschulen brauchen könnten. Das ist Politik paradox, was Sie hier veranstalten. Dieses Verhalten von CDU/CSU und FDP ist auch deshalb umso unverantwortlicher, weil wir doch gemeinsam feststellen müssen, dass sich die staatlichen Stellen wie die Kultusministerkonferenz oder auch der Wissenschaftsrat in Bezug auf den Bedarf an Studienanfängerplätzen gewaltig verschätzt haben. Nicht, dass wir dieses beklagen wollten; denn es ist gut, wenn wir in Deutschland keine Stimmen mehr hören, die von einer Studierendenschwemme sprechen, sondern im Gegenteil alle verantwortlichen Politiker, die übrigen Kräfte in Wirtschaft, bei Gewerkschaften und an den Hochschulen froh darüber sind, dass sich so viele junge Menschen für ein Studium entscheiden. Aber die Kultusministerkonferenz und die Wissenschaft haben sich in ihren Prognosen so massiv zusammen mit dem Bund verschätzt, dass da-raus jetzt auch Konsequenzen zu ziehen sind. Ganz konkret, so wie wir es in unserem Antrag gefordert haben: Bund und Länder müssen die Finanzierung der Studienplätze neu kalkulieren. Nach den neuesten Prognosen werden bis 2025 weit mehr als 400 000 Studienanfänger zu versorgen sein. Das ist auch deshalb ein fundamentaler Unterschied, weil bis dahin die verantwortlichen Stellen davon ausgegangen waren, dass der Studierendenandrang lediglich bis 2015, also bis zur zweiten Phase des Hochschulpaktes, anhalten werde und danach ein rapider Rückgang die Hochschulen entlasten könnte. Dieses wird nicht geschehen. Ganz im Gegenteil: Es zeichnen sich neue Rekordzahlen ab. 2011 wurden rund 515 000 Studienanfänger gezählt. 2013 sollen es rund 490 000 sein. 2016 wird mit rund 470 000 gerechnet. Bis 2019 soll danach das Niveau lediglich auf 450 000 absinken. Mit einem Absinken auf die Zahl, die im Jahr 2010 angenommen wurde, nämlich rund 440 000, sei dagegen frühestens 2020 zu rechnen. Damit kommt aber nicht nur auf die Länder und den Bund in gemeinsamer Verantwortung, sondern auch auf die Hochschulen eine gewaltige Dauerleistung zu. An dieser Stelle ist seitens der SPD-Bundestagsfraktion den Hochschulen, allen Hochschullehrerinnen und lehrern und den übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich eine hohe Anerkennung auszusprechen, denn es ist nicht zuletzt ihre Leistung, die wachsenden Studierendenzahlen dennoch unter sehr schwierigen Bedingungen so gut es eben geht zu bewältigen und gleichzeitig auch möglichst vielen Studierenden einen guten Studienverlauf, eine gute Qualität, einen Studienabschluss und insgesamt eine befriedigende Studienzeit zu ermöglichen. Nur, umso mehr sind wir jetzt seitens der politisch Verantwortlichen verpflichtet, uns auf diese neuen Bedingungen an den Hochschulen mit einzustellen und das Notwendige zu veranlassen. Diese Notwendigkeiten will ich gerne in den folgenden Punkten präzisieren, ganz in der Linie des von uns bereits im Oktober 2011 eingebrachten Antrages „Für einen Hochschulpakt Plus“. Erstens. Der Bund muss alles tun, damit die Länder auskömmlich finanziert bleiben und ihren Beitrag zum Hochschulpakt und der 50-prozentigen Finanzierung der 26 000 Euro pro Studienanfängerplatz mit leisten und auch zusätzliche Kapazitätsverbesserungen im Personal wie in den Bedingungen bis hin zur Ausstattung und zu den Baulichkeiten vornehmen können. Ohne starke Länderfinanzen gibt es auch keine starken und guten Hochschulen. Dabei ist es nur vernünftig, wenn die Studienanfängerzahlen entsprechend wachsen. Hier sollte man von der ursprünglichen Platzkalkulation abgehen und die Mittel aus dem Hochschulpakt so vorziehen, dass diese Studienanfängerplätze zeitnah entstehen können. Zweitens. Niemand sollte sich allerdings vormachen, dass es zu einem schnellen Rückgang von Studienanfängerbedarfen kommen kann. Deshalb muss bei den jetzt beginnenden Verhandlungen zum Hochschulpakt III ein hohes Studierendenanfängerpotenzial auch bis zum Jahre 2020 objektiv eingerechnet werden. Die Verhandlungen zu diesem Hochschulpakt III -haben im Übrigen unverzüglich zu beginnen, weil alle wissen, dass solche Pakte ihre Vorläufe brauchen und die Verhandlungen in der Gesamtgemengelage sehr schwierig werden können. Gleichzeitig brauchen die Studierenden, ihre Familien wie die Hochschulen Vertrauen, was nach dem Abschluss der zweiten Phase geschieht. Denn nur mit Vertrauen auf Stabilität und mehr Unterstützung für die Hochschulen lässt sich die absehbare Höchstleistung, die von den Hochschulen insgesamt erwartet wird, auch erbringen. Drittens. Wenn das Kriterium der Studienanfängerplätze in der beginnenden Expansion der Studienan--fängerzahlen das Richtige war, so kommt in der nächsten Phase des Hochschulpaktes entscheidend dazu, auch den wachsenden Bedarf an Masterstudienplätzen abzubilden und insgesamt den ganzen Studienverlauf in die Förderung einzubeziehen. Die SPD kann nur noch einmal nachdrücklich fordern, dass die Hochschulen und die Landesregierungen sich einen sehr genauen, sehr objektiven Überblick verschaffen, wie der Übergang in den Masterstudiengang tatsächlich genutzt wird und was -alles getan werden muss, um hier den Rechtsanspruch auf einen Zugang zu einem Masterstudienplatz bei -jedem interessierten Studierenden auch zu ermöglichen. Damit ist ganz klar gesagt: Es soll einen Rechtsanspruch auf eine Fortsetzung des Studiums aus dem Bachelor in den Master hinein geben, nicht aber einen Rechtsanspruch, einen ganz bestimmten Studiengang an jeder -beliebigen Hochschule der eigenen Wahl fortsetzen zu können. Viertens. 26 000 Euro sind ein guter Durchschnittswert, der ganz verschiedene Studienanfängerplätze in sich einschließt. Wir erwarten für die Verhandlungen zum Hochschulpakt III, dass die Bedarfssätze hierbei auch Differenzierungen mit zulassen, damit Hochschulen davon abgehalten werden, aufwendigere Studiengänge, zum Beispiel im Bereich der Medizin oder auch der Ingenieurwissenschaften, bei denen hohen Laborkosten anfallen können, zurückzustellen. Denn gerade in diesen beiden Fachgebieten würde sonst ein Fachkräftemangel in der Zukunft besonders dramatisch eintreten. Fünftens. Mehr Studienanfänger und mehr Studierende heißt auch ein höherer Bedarf an Hochschulbauten – die offene Frage aus der Föderalismusreform 2006, in welchem Umfang die Hochschulbauten weiter gefördert werden, kann im Interesse der Studierenden nur so beantwortet werden, dass die Mittel für den Hochschulbau keinesfalls kurzfristig unter das aktuelle Niveau von 695 Millionen Euro sinken dürfen, wenn wir uns die Phase bis 2020 ansehen, zunächst einmal aus Kapazitätsgründen und dann auch aus Qualitätsgründen. Die -Bundesregierung ist hier nachdrücklich aufgefordert, gegenüber den Ländern nicht zu mauern, sondern dafür Sorge zu tragen, dass es ein hohes weiteres Finanzierungsniveau für den Hochschulbau gibt und Mittel, die an die Länder gehen, in diesen auch vorrangig für den Hochschulbau mit eingesetzt werden. Sechstens. Bei der Einbringung des SPD-Antrages wurde in der Debatte speziell vonseiten der konservativen Abgeordneten mit großer Skepsis aufgenommen, dass die SPD auch die Förderung von Abschlüssen als eine Berechnungsgröße in den neu zu verhandelnden Hochschulpakt mit einbeziehen wollte. Wir haben mittlerweise feststellen können, dass dieser Vorschlag durchaus auch aus den Hochschulen und der Wissenschaft selbst Unterstützung erfährt. Nicht als alleiniges Kriterium, sondern als ein Mischkriterium, so wie es wichtig ist, dass möglichst viele junge Leute studieren können, aber auch von diesen möglichst viele zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Wir können die Bundesregierung nur noch einmal ausdrücklich auffordern, diese komplexere Steuerungsgröße auch in die Verhandlungen für einen Hochschulpakt III mit einzubringen. Denn es ist doch im Interesse aller, wenn die Abbruchquote von rund 25 Prozent über eine solche Steuerungsgröße, aber auch über eine Verbesserung der Lehre und auch eine verbesserte Beratung und solide Begleitung der Studierenden energisch in Angriff genommen wird. Siebtens. Mehr Studierende heißt auch mehr soziale Bedarfe, angefangen vom BAföG über den Ausbau von Studierendenwohnungen bis hin zur Studienberatung. Die SPD hat hierzu schon an anderer Stelle Anträge eingebracht und kann nur die steten Hinweise des Deutschen Studentenwerkes, aber auch der Studierendenvereinigungen und der Asten nachdrücklich unterstreichen, die einen Hochschulpakt Plus, einen wirklichen Pakt für die Studierenden, durch eine soziale Absicherung und eine soziale Unterstützung begleitet sehen wollen. Wer hier spart und sein Profil alleine in dem Aufbau eines minimalen Deutschlandstipendiums sucht, wie es leider bei CDU, CSU und FDP der Fall ist, hat nicht begriffen, was Studium heißt und welche Sorgen auch zunehmend die Studierenden aus diesen sozialen und persönlichen Gründen haben. Das Fazit also ist: Wir haben in Deutschland in den Ländern und beim Bund mit der Sicherung der Hochschulen in ihrer Fähigkeit, der wachsenden Zahl von Studierenden ein gutes Studium zu ermöglichen, für die nächsten zehn Jahre eine wirkliche Herkulesaufgabe vor uns. Diese sollte sich dann allerdings auch in den -Finanzplanungen der Bundesregierung widerspiegeln. Hier ist jedoch lauter Alarm angesagt. Wenn Sie sich die bekannt gewordenen Eckwerte für den Haushaltsplan 2013 und vor allem für die Haushaltspläne 2014, 2015 und 2016 in der mittelfristigen Finanzplanung ansehen, dann muss Ihnen allen klar sein: So wie die Bundesregierung aktuell vorgeht, werden die Hochschulen und die Bildung insgesamt in der Zukunft vollkommen alleingelassen. Zwar soll der Haushalt im Jahr 2013 noch einmal wachsen, um dann aber in den Jahren 2014, 2015 und 2016 bei Bildung und Forschung deutlich zu sinken, nämlich um rund 150 Millionen im Jahr. Wie dieses mit den zusätzlichen Anforderungen durch wachsende Studierendenzahlen, durch einen auskömmlich finanzierten Hochschulpakt und durch eine nachhaltige Qualitätsverbesserung an den Hochschulen zusammenpassen kann, das wird sich keinem ernsthaften Betrachter erschließen. CDU/CSU und FDP wollen in der nächsten Legislaturperiode offensichtlich Bildung und Forschung rasieren und damit einen Abbau von Bildung und Forschung vorantreiben. Im Gegenteil: Wenn man weiß, wie viele Mittel zum Beispiel durch die große Position im Haushalt wie die Exzellenzinitiative bis zum Jahr 2017, den Pakt für -Forschung und hier die Leistungen an die großen Forschungsorganisationen mit jährlichen Steigerungsraten von 5 Prozent auf deren Gesamtvolumen von aktuell 4,2 Milliarden Euro und eben auch die steigenden Mittel für den Hochschulpakt und das BAföG gebunden sind, der kann nur voller Sorge sagen: Mehr Aufgaben und mehr unabdingbare Anforderungen bei geringeren Mitteln, das fährt die Bildungspolitik des Bundes und hier insbesondere die Hochschulpolitik vollkommen gegen die Wand. Wir können Sie nur warnen: Halten Sie inne bei dieser Politik von geplantem Bildungsabbau. Wir von der SPD haben nicht umsonst ein zusätzliches Volumen von 20 Milliarden Euro bei Bund und Ländern für Bildung und 3 Milliarden Euro für Forschung und Infrastruktur eingeplant. Oder kündigen CDU/CSU und FDP hier schon -Eingriffe in das BAföG, Einschränkungen in der Programmförderung und eine Reduzierung der Mittel für die notwendigen Studienanfängerplätze und die notwendigen Hochschulbauten an? Die Finanzplanung dieser Bundesregierung jedenfalls zeigt auf, dass sich diese Regierung nur noch bis zum Wahltag hinwegretten will, aber den vielen Hunderttausend Studierenden und ihren Familien und auch den Hochschulen keine sichere langfristige Antwort mehr geben kann und geben will. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Bildung und Forschung sind für unser Land Zukunftsthemen. Wir müssen in Köpfe investieren; das ist unser wesentlicher Rohstoff. Wir brauchen Fachkräfte. Im Unterschied zu SPD und Grünen belässt es die Koalition nicht bei warmen Worten, sondern sie handelt. Wir haben Jahr für Jahr unsere Ausgaben für Bildung und Forschung gesteigert. Der Etat des Einzelplans 30 ist von 2009 auf 2010 um 701 Millionen Euro aufgewachsen, von 2010 auf 2011 um 783 Millionen Euro und nun für das Jahr 2012 erneut um 454 Millionen Euro. Wir hatten uns vorgenommen, in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Dieses Ziel werden wir nicht nur erreichen, sondern wir werden es deutlich überschreiten. Wenn man sich im Vergleich dazu die Kennzahlen der Regierung Schröder vor Augen hält, kann man sich nur wundern. Sie haben Grund, sich zu schämen. In den Ländern sieht es nicht besser aus. Schaut man nach NRW, so stellt man fest, dass Frau Krafts Schuldenberg keineswegs aufgrund zusätzlicher Investitionen in den Hochschulbereich anwächst. Im Gegenteil: Rot-Grün lässt die Hochschulen zwischen Aachen und Bielefeld regelrecht ausbluten. Weniger Seminare, weniger Tutorien, eingeschränkte Bibliotheksöffnungszeiten sind Handschrift und Markenzeichen der Wissenschafts-ministerin. Ähnliches erleben wir zwischen Konstanz und Mannheim. Grün-Rot will ein neues Bildungssystem, aber zu sehen ist ein Debakel. Hü und Hott beim neunjährigen Gymnasium, sang- und klanglose Abwicklung der beruflichen Gymnasien, floppende Einheitsschulexperimente, Demontage der Werkrealschulen, gravierende Einnahmeausfälle an den Hochschulen wegen unzureichender Kompensationsmittel. Dafür dürfen Baden-Württembergs Studierende demnächst mit Zwangsbeiträgen eine eigene verfasste Studierendenschaft finanzieren. Damit kann sich das Land, dessen Einwohner alles können außer Hochdeutsch, demnächst zwischen den Bildungsleuchten Berlin und Bremen einreihen. Doch gerade heute ist Handeln notwendig. Der Druck auf die Hochschulen wächst. Die Zahl der Studierenden steigt stetig. Der demografisch bedingte Rückgang der Zahl der Schulabgänger wird in den nächsten Jahren an den Hochschulen kaum Entlastung bringen, weil die Hochschulzugangsquote kontinuierlich steigt. Noch nie war ein Hochschulstudium so attraktiv wie heute. Im Ergebnis ist das ausgesprochen erfreulich. Doch dieser Umstand erfordert umsichtiges Handeln. Wir sehen die Notwendigkeit, die Länder beim Ausbau der Hochschulen und bei der Verbesserung der Hochschullehre zu unterstützen. Die Bundesregierung übernimmt Verantwortung. Mit dem Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre fließen seit Jahren Milliardenbeträge in den tertiären Bildungssektor. Das ist richtig und notwendig. Wenn Bund und Länder die Finanzierung der Hochschulen gemeinsam bewältigen, wenn sie gemeinsam Kapazitäten schaffen und die Betreuung verbessern, so ist dies konsequent und richtig. Denn am Ende profitieren Länder und Bund gleichermaßen von dieser Kraftanstrengung. Allerdings regt sich Empörung, wenn Länder wie NRW und Baden-Württemberg zuerst den Hochschulen die Einnahmen zusammenstreichen und dann mit dem Finger auf Berlin zeigen, um noch mehr Geld zu fordern. Mit ihren Anträgen haben Rot und Grün ihre Wunschlisten überreicht: mehr Geld, mehr Studienplätze, keine Zulassungsbeschränkungen für Studierwillige, keine Studiengebühren, bessere Studienbedingungen, mehr Masterstudienplätze, mehr Personal an den Hochschulen für Lehre und Betreuung und so weiter und so fort. Aber die Rechnung sollen andere begleichen. Das geht so nicht. Die Bundesregierung hat zugesagt, die benötigten Studienplätze für das inzwischen beendete WS 2011/2012 und darüber hinaus mitzufinanzieren. Wir brauchen Fachkräfte, und wir wollen sie ausbilden. Aber auch die Länder müssen ihren Teil dieser Aufgabe erledigen. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Ausbau von Studienplatzkapazitäten als auch im Hinblick auf Verbesserungen bei der Personalausstattung für Lehre und für die Betreuung der Studierenden. Mit dem Hochschulpakt und mit dem Qualitätspakt Lehre sind wir auf einem sehr gutem Weg. Den bunten Strauß an Forderungen der versammelten Opposition unterstützen wir nicht. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ein paar Häuser-blöcke entfernt sitzt die Studierendenvertretung der Humboldt-Universität, der sogenannte ReferentInnenRat, und heute wie jeden Donnerstag beraten dort zwischen 12 und 15 Uhr Studierende Bewerberinnen und Bewerber, die keinen Studienplatz erhalten haben. Im letzten Sommer haben sich 29 000 Menschen an der HU beworben. Studienplätze gibt es gerade einmal 3 316. Der Studienplatzmangel ist in Berlin besonders drängend, aber er ist kein Berliner Phänomen. Bundesweit stehen Jahr für Jahr Zehntausende vor den verschlossenen Türen der Hochschulen. Die Beraterinnen und Berater in der Humboldt-Uni empfehlen den erfolglosen Bewerbern eine Studienplatzklage. Das funktioniert häufig auch, denn ein Studium aufzunehmen, ist ein Grundrecht, das man eigentlich nicht so einfach einschränken darf. Eigentlich. In der -Realität sind die Zulassungsverfahren längst nicht mehr nur dafür da, mit einer lokalen Übernachfrage klarzukommen oder statistische Ausreißer zu bewältigen. Im Gegenteil: Die Hochschulen sind chronisch unterfinanziert, es gibt einen strukturellen Studienplatzmangel, und den gibt es bundesweit. Nach heftigen Protesten von Schülerinnen und Schülern und Studierenden hat sich dann auch die Bundesregierung mit dem Hochschulpakt ein Stückchen bewegt. Aber auf halber Strecke sind Sie stehen geblieben. 275 000 Studienplätze – oder 334 000 inklusive Aussetzung der Wehrpflicht – wollen Sie bis 2015 schaffen. Dass das nicht reicht, hat im Januar sogar die KMK -bemerkt. Nun haben Sie letzte Woche im Kabinett noch einmal auf circa 300 000 nach oben korrigiert. Aber wir alle wissen doch, dass an den Hochschulen de facto über 500 000 Studienplätze fehlen. Sie müssten also in den nächsten acht Kabinettssitzungen noch einmal die gleichen Beschlüsse fassen, dann würde es am Ende reichen. Wir fordern in unserem Antrag: Lassen Sie die jetzigen Schulabgängerjahrgänge nicht im Regen stehen, und stocken Sie den Hochschulpakt sofort auf mindestens 500 000 neue Studienplätze auf! Fangen Sie endlich an, realistisch zu rechnen! Sie alle fordern in Sonntagsreden bessere Studien-bedingungen. Aber wo soll die Qualität in der Lehre -herkommen unter Bedingungen von jahrelanger Unter-finanzierung? In den vergangenen 15 Jahren wurden rund 1 500 Professuren abgewickelt. Der Betreuungsschlüssel zwischen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern und Studierenden liegt bei 1 zu 60. Qualifizierte Stellen werden mehr und mehr abgebaut und durch schlechtbezahlte und befristete Lehrbeauftragtenstellen ersetzt. Unter diesen Bedingungen kann keine gute Lehre stattfinden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen dringend raus aus den prekären Beschäftigungsverhältnissen; ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, ihr Leben planen zu können und nicht von einem Vertrag zum nächsten bangen zu müssen. Wir brauchen dringend mehr Geld für die Grund-finanzierung der Hochschulen. Bringen Sie also endlich mehr Geld ins System und nicht nur schöne Worte in Ihre Sonntagsreden! Und hören Sie auf, die Verantwortung an die Länder abzuschieben! Die Länder alleine werden das nicht schaffen; das wissen Sie ganz genau. Der Ausbau der Hochschulen ist nur zu bewältigen, wenn Bund und Länder an einem Strang ziehen. Heben Sie endlich das -Kooperationsverbot in der Bildung auf, und machen Sie den rechtlichen Weg frei für eine dauerhafte Förderung der Hochschulen, indem Sie Ihre unselige Föderalismusreform von 2006 wieder zurückdrehen! Die Grundgesetzänderung, die Sie sich im Koalitionsausschuss überlegt haben, bringt an dieser Stelle überhaupt nichts. Sie wollen nur Einrichtungen an Hochschulen fördern, nicht die Hochschulen selbst. Damit verstetigen Sie die Exzellenzinitiative und das Auseinanderdriften der Hochschullandschaft in wenige Elite-leuchttürme und den unterfinanzierten Rest – die Stu-dierenden haben rein gar nichts davon. Einer solchen Änderung wird die Linke auf keinen Fall zustimmen. Sie sind als Bundesregierung noch an einem zweiten Punkt am Zug. Denn die Hochschulzulassung selbst liegt in der Hand des Bundes. Das Zulassungschaos ist Produkt Ihrer Untätigkeit, weil die Regierung sich weigert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Raffen Sie sich endlich einmal aus Ihrer Untätigkeit auf! Hier geht es nicht um irgendetwas, hier geht es um die Perspektiven der jungen Generation! Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die heutige Debatte ist notwendig, weil die Hochschulen in der vermeintlichen Bildungsrepublik Deutschland dringend stärker als bisher ausgebaut werden müssen. Die neue Studienanfängerinnen- und Studienanfängerprognose der Kultusministerkonferenz, KMK, vom 24. Januar dieses Jahres ist hochschulpolitisch erfreulich und alarmierend zugleich: Allein in den kommenden drei Jahren – also innerhalb der aktuellen Laufzeit des Hochschulpakts bis 2015 – erwartet die Kultusministerkonferenz 357 000 Studienanfänger mehr als bisher -angenommen. Diese 357 000 Lebens-, Zukunfts- und Bildungschancen sind in den Hochschulpaktplanungen weder vorgesehen noch ausfinanziert. Dabei ist mehr als eine Verdopplung der bisherigen Zahlen notwendig – -sowohl bei den Studienanfängerinnen und Studienanfängern als auch beim Volumen des Hochschulpaktes. Die KMK hat zudem klargemacht: Aus dem oft beschriebenen kurzzeitigen „Studierendenberg“ entwickelt sich ein dauerhaftes „Studierendenhochplateau“. Der zwischen Bund und Ländern vereinbarte Hochschulpakt ist dafür nicht ausgerüstet, sondern benötigt eine kräftige Aufstockung. Diese Herausforderung muss die Bundesregierung zügig angehen und endlich Vorsorge fürs Hochplateau treffen. Andernfalls droht der Hochschulpakt zum Mangelverwaltungspakt zu verkommen. Dynamisierung nach oben statt Deckelung auf zu niedrigem Niveau – das ist das Gebot der Stunde, um derzeitigen und kommenden Studienberechtigtengenerationen einen Studienplatz bereitzustellen. Darüber hinaus ist es unser Ziel und gehen wir davon aus, dass aus Studienanfängerinnen und Studienanfängern keine Studienabbrecherinnen und Abbrecher, sondern Bachelorabsolventinnen und -absolventen und mehrheitlich Masterstudierende werden. Daher braucht der Hochschulpakt endlich eine Langfristperspektive. Dies bedeutet einerseits, den Pakt um eine Masterkomponente zu ergänzen, und andererseits, eine Verlässlichkeit und finanzielle Planungssicherheit über 2015 hinaus herzustellen. Beides fehlt bisher und macht noch offensichtlicher, dass der bisher verabredete Hochschulpakt hinten und vorne nicht ausreicht, er zu kurz springt und massiv unterfinanziert ist. Doch was tut die Bundesregierung, um den Hochschulpakt gemeinsam mit den Ländern so auszurichten, dass alle Studienberechtigten einen Studienplatz bekommen? Traurige Antwort: nichts. Diese schwarz-gelbe Verweigerungshaltung muss die junge Generation aus-baden. Damit führt die Bundesregierung die Ziele des Hochschulpakts ad absurdum, gefährdet Studienchancen, -blockiert die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und schadet unserer Innovationskraft. Schwarz-gelbe Verweigerungshaltung verfestigt Studienplatzmangel – das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Bundesbildungsministerin Schavan hat den Hochschulpakt als „atmendes System“ bezeichnet, welches sich an den Bedarf anpasst. Nur gibt es keine Anzeichen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung zu ihrem Wort steht. Der jetzt vorliegende Eckwertebeschluss des Haushalts 2013 verdeutlicht das. Für den Hochschulpakt sollen demnach keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt werden. Die Bundesregierung scheint zwar einen Mehrbedarf anzuerkennen, verschiebt aber nur Mittel aus den Jahren 2015 und 2016 ins Jahr 2013. Das ist nicht mehr als ein Taschenspielertrick. Dass dieses Geld 2015 und 2016 fehlen wird, nimmt Schwarz-Gelb gerne in Kauf. Dann hat man für die Jahre auch gleich eine Oppositionsstrategie im Ärmel. Ab dem nächsten Jahr werden die Hochschulpakt-mittel erschöpft sein. Dann stehen die Länder alleine vor der Aufgabe, das Studierendenhochplateau zu finanzieren. Die Länder sind aber kaum in der Lage, mehr als doppelt so viele Studienplätze wie geplant aufzubauen, zumal sie sich nicht sicher sein können, dass der Bund zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Nachfinanzierung bereit ist. Die Strategie der schwarz-gelben Bundesregierung ist klar: Sie will den Hochschulpakt nicht zum -Atmen bringen. Im Gegenteil: Sie will das Studierendenhochplateau im Keim ersticken. Seien Sie sich sicher: Die Studierenden, Hochschulen und die Opposition in diesem Hause werden weiter für einen Ausbau kämpfen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu der Siebten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF) (Tagesordnungspunkt 13) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Mit der heutigen -abschließenden Plenarbefassung und Abstimmung zum Gesetz zur Siebten Änderung des IWF-Übereinkommens beschäftigen wir uns vom Umfang her mit einem relativ kurzen Gesetz. Es besteht lediglich aus zwei Artikeln. Diese beinhalten zum einen, dass Deutschland der Siebten Änderung des IWF-Übereinkommens -zustimmt, und zum anderen, dass die Änderungen mit einer amt-lichen deutschen Übersetzung veröffentlicht werden. Bei der Änderung des IWF-Übereinkommens handelt es sich um die Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages. -Daher ist es auch folgerichtig, dass der Deutsche Bundestag zustimmen muss – das ist im Übrigen im Grundgesetz so geregelt. Das Gesetz selbst ist also grundsätzlich unstrittig. Was genau verbirgt sich nun hinter den eigentlichen Änderungen des Übereinkommens? Konkret geht es um die Zusammensetzung des Exekutivdirektoriums des IWF. Das Exekutivdirektorium besteht aus 24 Exekutivdirektoren, die für die laufende Geschäftsführung des Fonds verantwortlich sind. Die Direktoren wurden bislang von den einzelnen 187 Mitgliedsländern, die dem IWF angehören, ernannt bzw. wurden durch einzelne oder in Stimmrechtsgruppen -zusammengeschlossene Mitgliedsländer gewählt. Dabei war es so, dass die fünf größten Anteilseigner des Fonds – bis dato die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien – ihren Exekutivdirektor ernennen konnten und alle anderen Exekutivdirektoren gewählt wurden. Zukünftig soll diese Regelung für die fünf größten Anteilseigner aufgehoben werden, sodass dann alle Exekutivdirektoren des IWF-Direktoriums gewählt werden müssen. Diese Änderung ist aus Gründen der Gleich-behandlung der Mitgliedstaaten gerechtfertigt, auch wenn Deutschland dadurch sein direktes Benennungsrecht verliert. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass Deutschland aufgrund seines Stimmgewichtes auch weiterhin dauerhaft im Exekutivdirektorium vertreten sein wird. Des Weiteren werden zwei bisher von Europäern -besetzte Stellen im Exekutivdirektorium in Zukunft von aufstrebenden Schwellenländern besetzt werden. Europa wird dann mit 7 von 24 Mitgliedern im Exekutivdirektorium vertreten sein. Dieser Verlust mag schmerzhaft sein. Er ist aber eine zwangsläufige Folge der wirtschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. Die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich in den letzten 60 Jahren stark verschoben. Die beschlossenen Veränderungen im Exekutivdirektorium bedeuten daher auch eine notwendige Stärkung der Legitimität und Glaubwürdigkeit des IWF. Die Änderung bei der Zusammensetzung des IWF-Exekutivdirektoriums ist zudem Voraussetzung für das Inkrafttreten der ebenfalls vom IWF-Gouverneursrat -beschlossenen deutlichen Erhöhung und Umverteilung der sogenannten Quoten. Alle IWF-Mitgliedstaaten zahlen bei Beitritt zum IWF eine bestimmte Geldsumme als eine Art kreditgenossenschaftliche Einlage – die sogenannte Quote – und halten somit Anteile am Fondskapital. Diese Quoten bedingen nicht nur die Einzahlungsverpflichtungen und möglichen finanziellen Hilfen, die Mitgliedstaaten vom Fonds in Krisenzeiten erhalten können, sondern auch die Stimmrechte der einzelnen Länder. Gestützt auf die relative Größe jedes Mitgliedslandes setzt der IWF anhand einer Untersuchung des Wohlstands und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die Quote eines jeden Landes fest. Die Quoten werden in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls geändert. Denn auch die wirtschaftlichen Leistungs-fähigkeiten der einzelnen Länder ändern sich im Laufe der Zeit. Die Erhöhung und Umverteilung der Quoten ist Folge einer von den G 20 im Herbst 2010 beschlossenen Reform des IWF. Ziel war insbesondere, dass sich die Bedeutung der boomenden und aufstrebenden Schwellen- und Entwicklungsländer stärker in der Führungsstruktur des IWF widerspiegelt, als das bisher der Fall gewesen ist. Wie bereits eingangs erwähnt, sind aktuell die größten Anteilseigner immer noch die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Dabei sind die dynamischen Schwellenländer wie Indien oder China noch nicht entsprechend berücksichtigt. Mit der Reform erfolgt nun eine allgemeine Stärkung der regulären -Finanzmittel des IWF. Vor allen Dingen findet aber auch eine Umverteilung der relativen Kapitalanteile und somit der Mitspracherechte von den Ländern, die angesichts ihrer aktuellen weltweiten Wirtschaftskraft im Fonds überrepräsentiert sind, zugunsten der bisher unterrepräsentierten Länder wie China statt. China wird demnach Deutschland künftig als drittgrößter Anteilseigner ab-lösen. Die G-20-Reformen wurden vom IWF-Gouverneursrat durch Resolutionen beschlossen und sind nun bis Ende 2012 durch die Mitgliedsländer umzusetzen. Dazu gehört auch die geänderte Zusammensetzung des IWF-Exekutivdirektoriums, worüber wir hier heute -befinden. Lassen Sie mich abschließend noch einige Worte zur Rolle des IWF allgemein sagen. Traditionell vergibt der IWF unter bestimmten Bedingungen, wie zum Beispiel unter Auflage von Strukturanpassungsprogrammen, -befristete Kredite an Länder, die wirtschaftliche Pro-bleme haben. Solche Programme können beispielsweise die Kürzung von Staatsausgaben, die Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen oder Ähnliches vorsehen. Die Kreditvergabe und Entwicklungszusammenarbeit sind an Bedingungen der sogenannten Good Governance, also etwa Korruptionsbekämpfung, und der Liberalisierung gebunden. In der Vergangenheit waren häufig Entwicklungsländer Empfänger dieser Kredite. Mittlerweile hat sich das Blatt enorm gewendet. Der IWF ist sehr stark in die aktuelle Staatsschuldenkrise eingebunden und leistet einen großen Beitrag zur Unterstützung von in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Ländern. Die derzeit größten Schuldner sind daher nicht mehr -afrikanische oder südamerikanische Staaten, sondern Portugal, Griechenland und Irland. Neben dem finanziellen Beitrag ist die Bedeutung des IWF als unabhängiger Berater und Beobachter nicht zu unterschätzen. Der IWF hat sich gerade jetzt in diesen Zeiten der Finanz- und Staatsschuldenkrise als unverzichtbar und als stabilisierender Faktor erwiesen. Es ist gut und wichtig, dass der IWF diese Rolle eingenommen hat. Daher gilt es auch, den IWF weiterhin in seiner Arbeit zu unterstützen. Alles in allem denke ich, dass wir hier einen relativ unstrittigen Gesetzentwurf vorliegen haben. Auch die anderen Fraktionen – mit Ausnahme der Linken, die sich enthalten wollen – haben signalisiert, dass sie dem -Gesetzentwurf zustimmen möchten. Peter Aumer (CDU/CSU): Der Internationale Währungsfonds spielt bereits seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. Seit seiner Gründung im Jahr 1944 ist er um die Sicherung des globalen Finanzsystems, die Förderung und Überwachung der internationalen Geldpolitik und die Ausweitung des Welthandels bemüht. Mittlerweile sind ihm 187 Staaten beigetreten. In den vergangen Jahren gewann er durch sein Engagement im Rahmen der internationalen Finanzkrise und der europäischen Staatsschuldenkrise gerade für uns in Europa und Deutschland stark an Bedeutung. Durch seine umfangreiche Beteiligung an den bisherigen Rettungsprogrammen trug er einen wichtigen Teil zur Beruhigung der Finanzmärkte und Stabilisierung der Finanzierungssituation in den -Krisenländern bei. Der IWF ist heute eine international angesehene Organisation, die auch für Entwicklungs- und Schwellenländer eine große Bedeutung spielt. Letztere gewannen vor allem in der vergangenen Dekade an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung auf dem internationalen Parkett. So stieg der Anteil dieser Länder an der Weltwirtschaft in den letzten Jahren stark an. Auch Deutschland profitiert von diesem Aufstieg in hohem Maße; denn die Schwellenländer sind mittlerweile unverzichtbare Handelspartner für unsere Exportwirtschaft geworden. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln erhöhte sich der Anteil der Schwellenländer am deutschen Exportwachstum in den letzten Jahren drastisch. Ging im Zeitraum von 1995 bis 2000 nur etwa ein Fünftel des Wachstums auf diese Länder zurück, ging bereits im Zeitraum von 2000 bis 2007 mehr als ein Drittel auf das Konto der Schwellenländer. Auch während der Finanz- und Weltwirtschaftskrise ist der Anteil -dieser Märkte am deutschen Export weiter gewachsen. Deutschland profitiert von diesem Wandel der Weltwirtschaft als Exportnation von Investitionsgütern im internationalen Vergleich besonders stark von dem hohen Wachstum der Schwellenländer. Experten gehen davon aus, dass dieser Trend auch in den nächsten Jahren -anhalten wird. Die Schwellenländer haben in Deutschland und in der ganzen Welt in den letzen Jahren stark an wirtschaft--lichem und politischem Ansehen hinzugewonnen. Nun gilt es, dieser wachsenden Bedeutung auch in internationalen Gremien und Organisationen gerecht zu werden. Im Herbst 2010 beschlossen daher die Finanzminister und Notenbankchefs der führenden 20 Industrie- und Schwellenländer eine umfassende Reform des IWF. Dieser wurde am 15. Dezember durch den Gouverneursrat des IWF bestätigt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Zusammenarbeit des Exekutivdirektoriums des IWF zur Stärkung der Legitimation, Gleichbehandlung und Anpassungsfähigkeit des Direktoriums reformiert werden. Nach den Vereinbarungen, die auf G-20-Ebene getroffen wurden, sollen künftig alle Exekutivdirektoren gewählt werden. Damit wird das bislang geltende Recht der fünf größten Anteilseigner des IWF verändert, da-runter auch die Bundesrepublik, ihren Exekutivdirektor zu ernennen, während die restlichen Exekutivdirektoren durch einzelne oder in Stimmrechtsgruppen zusammengeschlossene Mitgliedsländer gewählt werden. Dem IWF wird es nun ermöglicht, sich an die verändernden weltwirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Damit ist die Basis geschaffen, eine Erhöhung der regulären -Finanzmittel des IWF durch Verdoppelung der Quoteneinzahlung seiner Mitgliedschaft zu erreichen. Die -Quoten der Länder, die die Hauptquelle der verfügbaren Finanzmittel des IWF darstellen, bestimmen sich dabei im Allgemeinen aus ökonomischen Größen wie zum Beispiel dem Bruttoinlandsprodukt und dem Anteil am Welthandel. Durch diese Reform stärken wir vor allem die Position von Schwellenländern wie Brasilien, China und -Indien, die in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung auf den globalen Handels- und Finanzmärkten gewannen. Die Änderung ist für diese Länder nun ein bedeutender Schritt hin zu einer angemesseneren Inte-gration in die internationale Gemeinschaft. So gehen die Quotenerhöhungen mit einer Anpassung der relativen Positionen der einzelnen Mitgliedsländer an ihre jeweilige ökonomische Bedeutung einher. Gerade die dynamischen Schwellenländer werden damit künftig einen weitaus größeren Kapitalanteil am IWF bereitstellen und erhalten demgegenüber mehr Mitspracherecht im Direktorium. Damit spiegelt sich nun ihre wachsende weltwirtschaftliche Bedeutung auch in der Führungsstruktur des IWF wider. Die Quotenerhöhung an sich bedarf -jedoch keiner nationalen Umsetzung. Ihr Inkrafttreten ist aber an das Inkrafttreten der siebten Änderung des IWFÜbereinkommens zur Reform des Exekutivdirektoriums gebunden. Mit diesem Gesetz setzen wir eine der größten Reformen des IWF seit jeher um. Wir werden damit der wachsenden Bedeutung der Schwellenländer, die für uns zu unverzichtbaren Handelspartnern geworden sind, gerecht. Ich bitte Sie daher, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Vielleicht sind heute auch die Kollegen der Linken überzeugt und stimmen dem Entwurf zu. Manfred Zöllmer (SPD): Es geht in dem vorliegenden Gesetzentwurf um eine internationale Organisation, den IWF und seine Struktur. Der Internationale Währungsfonds wurde 1944 auf der Konferenz in Bretton Woods gegründet. Seine Ziele sind die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik, die Ausweitung des Welthandels und die Stabilisierung von Wechselkursen. Zurzeit hat der IWF 187 Mitgliedstaaten; die Stimmrechte orientieren sich am Kapital--anteil. Der IWF ist damit eine international und global agierende Institution im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen. Seine Geschichte ist indes mehr als wechselvoll. Er diente zuerst als institutioneller Rahmen für ein System fester Wechselkurse. Dieses System brach 1973 zusammen. Danach wurde der Fonds eine Einrichtung zur Vermeidung und Bewältigung von Finanzkrisen der Mitgliedstaaten. Er berät einzelne Staaten und leistet im Bedarfsfall Hilfe. Diese Hilfe kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. In der Regel werden Kredite vergeben. Diese Kreditvergabe ist an Konditionen, also Auflagen, geknüpft. Es hat viel Kritik am IWF und seinem Handeln gegeben. Die beiden zentralen Kritikpunkte sind: Es muss eine wirksamere Armutsbekämpfung durch die Aktivitäten des Fonds geben und eine stärkere Demokratisierung der Institution. Bei unserer heutigen Debatte geht es um den zweiten Teil. Das Stimmrecht der einzelnen Länder ist abhängig von ihrem Kapitalanteil. So verfügen zum Beispiel die USA über 16,7 Prozent Anteil. Beschlüsse des IWF müssen allerdings mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Die USA haben damit real eine Vetoposition – eine Sperrminorität. Deutschland hat einen Anteil von knapp 6 Prozent. Die Stimmrechtsanteile repräsentierten lange Zeit die Nachkriegsordnung. Aufstrebende wirtschaftsstarke Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien spielten lange Zeit keine Rolle. Erst im Jahr 2010 änderte sich dies. Der damalige Chef des IWF, Dominique Strauss-Kahn, setzte eine Reform durch, die den Schwellenländern mehr Einfluss verschaffte. Jetzt soll sich auch etwas im Bereich der Organisation des IWF ändern, noch nicht an der Spitze. Informell ist der Direktor des IWF immer ein Europäer, der erste stellvertretende -Direktor immer ein Amerikaner. Man kann sich unschwer vorstellen, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die darüber not amused sind, völlig zu Recht. Dies besonders auch vor dem Hintergrund des hohen finanziellen Engagements des IWF im Rahmen der Euro-Krise. Wir Sozialdemokraten haben die angesprochenen Organisationsstrukturen des IWF schon seit längerem kritisiert. Die Liste der „globalen öffentlichen Güter“ wird immer länger. Eine institutionelle Modernisierung der multilateralen UN-Institutionen ist insoweit dringend -erforderlich. Diese Institutionen benötigen mehr Wirksamkeit, mehr Effizienz, mehr Transparenz. Dies ist eine wichtige Zukunftsaufgabe globaler Politik. Wir begrüßen deshalb, dass nun eine kleine, aber feine Reform dies festschreibt, nämlich dass zukünftig alle Exekutivdirektoren –  sozusagen die zweite Führungsebene – von allen gewählt werden. Das bisher geltende Recht der fünf größten Anteilseigner, ihren Exekutivdirektor zu ernennen, entfällt damit. Man sollte diesen Schritt nicht zu gering achten. Er beschneidet deutlich den Einfluss der großen Anteilseigner, also der traditionellen Industrieländer, und sorgt damit für mehr demokratische Partizipation kleinerer Länder. Es spiegelt stärker die multilaterale Struktur unser globalisierten Welt. Dies ist ein scheinbar kleiner, aber im Grunde bedeutender und richtiger Schritt. Ihm werden noch viele andere folgen müssen. Holger Krestel (FDP): Im Rahmen des hier vorliegenden Entwurfs wird die Berufung von Exekutivdirektoren, welche einzelne Länder oder Ländergruppen repräsentieren, in die Führung des Internationalen Währungsfonds überarbeitet. Anstatt dass die fünf größten Kapitalgeber, bestehend aus den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich, diese wie bisher einfach benennen, sollen diese von nun an entsprechend der vom gegebenen Kapital abhängigen Stimmanteile der Mitgliedsländer gewählt werden. Diese Änderung ist neben weiteren technischen Details gerade im Zusammenhang mit der Euro-Krise ein wichtiger Schritt zur Einbindung aller Mitgliedstaaten in die Entscheidungsprozesse und die gleichzeitigen Aktivitäten zur Problemlösung. Damit wird eine stärkere Legitimation geschaffen, was unabdingbar ist, da schon mit 15 Prozent der Stimmen Entscheidungen blockiert werden können, eine funktionierende Zusammenarbeit aber die Wurzel für eine erfolgreiche Bewältigung der aktuellen Situation ist. Die Troika aus IWF, Weltbank und EZB bildet ein auf drei Säulen ruhendes Fundament der Stabilität und ermöglicht einen festen Rückhalt, um die Krise gemeinsam überwinden zu können. Schon ein teilweiser Rückzug des IWF würde für so viel Unruhe und Verunsicherung weiterer Gläubiger sorgen, dass eine schrittweise und stabile Aufarbeitung der strukturellen Probleme deutlich erschwert werden würde. Es kann daher unmöglich auf die volle Unterstützung des IWF verzichtet werden, wenn wir eine geregelte Lösung der Turbulenzen in den Euro-Staaten, die in Schieflage geraten sind, anstreben. Es ist nachvollziehbar, dass viele aufstrebende Staaten und Schwellenländer, die Mitglied im IWF sind, kein Verständnis dafür haben, wenn eine kleine Gruppe über ihre Köpfe hinweg Personalentscheidungen trifft, sie daraufhin aber zur Stabilisierung von Staaten herangezogen werden, die lange Zeit über ihre Verhältnisse und zum Teil auf einem höheren Standard als viele Geberländer gelebt haben. Dieser Perspektivwechsel verdeutlicht um so mehr, warum es auch eine Frage der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung ist, den Findungsprozess der -Exekutivdirektoren zu demokratisieren. Die Strategie, sich rasant entwickelnde Nationen wie Indien oder Brasilien, die in der Zukunft großen Einfluss auf die Finanzmärkte der Welt haben werden, so lange an der kurzen Leine zu halten, bis sie sich mit neuer und vor allem selbstgewonnener Stärke befreien, ist keine gute Basis für eine funktionierende globale Finanzpolitik der Zukunft. Durch ihren hohen Kapitalanteil und ihre politische Rolle in Europa und der Welt wird die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor ein hohes Gewicht in den Entscheidungen des Währungsfonds haben. Aber gerade bei der Personalentscheidung über die Exekutivdirektoren, welche speziell die Mitgliedsländer repräsentieren, nur eine kleine Gruppe entscheiden zu lassen und nicht die zu vertretenden Staaten, entbehrt einer angemessenen Legitimation, die für den vollen Rückhalt innerhalb der Gemeinschaft sehr wichtig ist. Dieser Rückhalt ist im Kontext der heutigen finanzpolitischen Weltlage und gerade für Europa ein Gut, das nicht aufs Spiel gesetzt werden sollte. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Das vorliegende -Gesetz soll die unübersehbare Schieflage in der Zusammensetzung des IWF-Führungsgremiums korrigieren. Gemessen am Demokratiedefizit des IWF ist es jedoch unzureichend. Der IWF hat sich in vergangenen Finanzkrisen, insbesondere der Asienkrise, mit fatalen Strukturanpassungsprogrammen einen verheerenden Ruf -erworben. Zahlreiche Staaten, besonders die Schwellenländer, haben sich danach von der Institution abgewandt. Von seiner Legitimitätskrise hat sich der IWF nach wie vor nicht erholt. Grund für das Scheitern war nicht nur die neoliberale Dogmatik, sondern auch die Dienst--barkeit gegenüber den tonangebenden Industriestaaten. Eine Reform der Quoten und Führungsstrukturen war daher unumgänglich. Die Bundesregierung fordert eine höhere Kapitalausstattung des IWF. Deswegen wird ihr auch in der -Zukunft nichts anderes übrig bleiben, als den kapital--gebenden Schwellenländern weitere Zugeständnisse zu machen. Die nun zu beschließenden Änderungen reflektieren jedoch lediglich die veränderten Machtverhältnisse. Sie sind nicht von der Einsicht geprägt, wirklich etwas an den überkommenen Strukturen des weltweiten Finanzsystems verändern zu wollen. Zum Gesetz. Die Europäer stellen bisher ein Drittel der Sitze im IWF-Exekutivdirektorium. Dies ist sowohl von der Bevölkerungszahl als auch von der Wirtschaftskraft Europas her nicht zu rechtfertigen. Europa wird im Zuge der Governance-Reform also zwei Sitze abgeben. Weiterhin konnten die Staaten mit den fünf höchsten Quoten bisher direkt eine Stelle im Exekutivdirektorium besetzen. Diese nationalen Erbhöfe entfallen in Zukunft. Was bedeutet das? Europa bleibt dennoch überrepräsentiert. Deutschland verliert den direkten Zugriff auf einen Sitz, wird aber weiterhin ein starkes Mitspracherecht -haben. Allerdings spiegelt die Sitzverteilung nur die halbe Wahrheit wider: Die wahren Machtverhältnisse hängen von den mit den Sitzen verbundenen Stimmrechten ab. Diese hängen wiederum im Wesentlichen von wirtschaftlichen Faktoren ab. Die jüngste Quotenreform ist aber nur ein Reförmchen. Die europäischen Exekutivdirektoren haben weiterhin zusammen eine klare Vetomacht, ebenso der einzelne Direktor der USA. Ein riesiges Land wie Indien wird auch nach Inkrafttreten der Stimmrechtsreform weniger Stimmen haben als die Beneluxstaaten. Deutschland allein wird eine Stimmkraft haben wie ganz Afrika. Industriestaaten haben darüber hinaus einen vergleichsweise einfachen Zugriff auf die Mittel des IWF. Entwicklungsländer haben nicht nur wenig Einfluss auf die IWF-Geschäftsführung, sondern auch einen relativ geringen sowie kostspieligen Zugang zu den Mitteln des Fonds. Der IWF hat sich in der Vergangenheit weniger als Krisenbewältigungsinstanz bewiesen, sondern als Sachwalter der Gläubiger. Die laufenden Reformen sind weit davon entfernt, die nötigen strukturellen und politischen Konsequenzen zu ziehen. Zum Schluss eine kurze Bemerkung zur aktuellen Lage. Die Einbeziehung des IWF in die Euro-Krise war finanziell nicht notwendig. Es ist aber schon bezeichnend, wenn der IWF, der sich durch krisenverschärfende neoliberale Sparprogramme den Ruf verdorben hat, nun in der Euro-Krise gegenüber Kommission und EZB als vergleichsweise mäßigende Kraft auftritt. Ein schwindender europäischer Einfluss auf den IWF ist wegen der ideologischen Denkblockaden der europäischen Eliten derzeit nicht nur im Interesse der Weltbevölkerung, sondern auch im Interesse Europas. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist unter uns weitgehend unstrittig, dass das Exekutivdirektorium des Internationalen Währungsfonds, IWF, reformiert werden muss und dass es ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung ist, dass künftig alle – wirklich alle – Exekutivdirektoren gewählt werden sollen. Es ist gut, dass die ehemals fünf größten Anteilseigner – die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich – bereit sind, auf das Privileg zu verzichten, jeweils einen Exekutivdirektor selbst zu ernennen, Verzicht auf Privilegien im Sinne von mehr Gleichbehandlung und Partizipation – eine Einsicht, die ich mir auch von den Vetomächten im Weltsicherheitsrat wünschen würde; aber zunächst geht es jetzt mal um den IWF. Die Reform des Exekutivdirektoriums, der wir heute mit der breiten Zustimmung zum von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf den Weg ebnen, ist die logische Konsequenz aus der Umverteilung von 6,4 Prozent der Anteile des Fonds und der damit einhergehenden Stimmrechtsverschiebung zugunsten von China, -Indien und Brasilien. Der Aufstieg dieser Schwellenländer geht mit einer Machtverschiebung einher, die sich jetzt nach und nach überall bemerkbar macht. Die G 20 haben in ihrer Bedeutung die G 8 abgelöst – und im IWF und bald auch in der Weltbank verschieben sich die -Gewichte. Die Dominanz der westlichen Industrienationen wird geringer und aus einer globalen Perspektive -heraus gesehen ist dies auch zu begrüßen. Was dies nun konkret für den IWF bedeuten wird, ist noch unklar. Einerseits hat der IWF in Bezug auf Griechenland für relativ milde und relativ ausgewogene Konditionen plädiert – nicht zu vergleichen mit den brutalen Strukturanpassungsmaßnahmen, die der IWF in den 80er- und 90er-Jahren verschuldeten Entwicklungsländern aufgezwungen hat – und auch ein deutlich weicherer Kurs als in der Argentinien- und der Asienkrise. Aber genau das sehen nun manche Entwicklungs- und Schwellenländer mit Argwohn und werfen dem IWF vor, mit zweierlei Maß zu messen. Und deshalb werden die nun innerhalb des IWF aufgewerteten Schwellenländer sehr zurückhaltend sein, was die Kreditvergabe an europäische Länder angeht. „Die Europäer sollen sich erst einmal selber helfen“, argumentieren Vertreter aus China, Indien und Brasilien mit Blick auf die Wirtschaftskraft Deutschlands. Und völlig aus der Luft -gegriffen ist dieses Argument ja nicht. Wie gesagt, die Reform des Exekutivdirektoriums des IWF ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch er -allein reicht längst nicht aus, um zu einer besseren Global Governance zu kommen. Dazu wäre eigentlich ein großer Wurf nötig, der das Kernproblem angeht: die nicht vorhandene Kohärenz in der Global Governance. IWF und Weltbank gelten zwar als Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, führen aber praktisch ein Eigenleben ohne direkte Verbindungslinien zum VNSystem. Die WTO, zurzeit ohnehin in der Sackgasse, hat mit den Vereinten Nationen überhaupt nichts tun. Und dann gibt es noch die sogenannte Club-Governance in den -exklusiven informellen Formaten G 8 und G 20, -Parallelstrukturen, die viele Widersprüche produzieren und verhindern, dass die internationale Gemeinschaft in der Lage wäre, auf die globalen Herausforderungen mit einer abgestimmten und in sich stimmigen Strategie zu antworten. In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, zu mehr Kohärenz in der Global Governance zu kommen und dabei die Rolle der Vereinten Nationen zu stärken. Sowohl VN-Generalsekretär Kofi Annan als auch sein Nachfolger Ban Ki-moon haben hochrangige Expertenkommissionen damit beauftragt, Reformvorschläge auf den Tisch zu legen – und das haben diese Kommissionen auch getan. Fast allen Vorschlägen -gemeinsam ist die Forderung nach einem demokratisch legitimierten Organ, das über allen VN-Agenturen, -Programmen und -Sonderorganisationen sowie der WTO steht und Leitlinien für eine menschenrechtsbasierte globale nachhaltige Entwicklung entwirft – Leitlinien, an denen sich dann auch IWF und Weltbank orientieren müssten. Die Gründungsväter und -mütter der Vereinten Nationen hatten dem VN-Weltwirtschafts- und Sozialrat, ECOSOC, eigentlich diese Rolle zugedacht, die dieser aber bisher nie ausfüllen konnte, weil wichtige Industrienationen den ECOSOC bewusst kleingehalten haben. Im Vorfeld der Rio+20-Konferenz wird nun die Bildung eines VN-Rates für nachhaltige Entwicklung diskutiert, der allerdings keine überwölbende Stellung -haben soll – der also für IWF und Weltbank nicht gefährlich werden kann. Auch wenn ein solcher Rat vielleicht ein kleiner Fortschritt sein kann, zielführender wäre es meiner Meinung nach, endlich den ECOSOC zu reformieren, mit der Nachhaltigkeitsagenda zu beauftragen und kräftig aufzuwerten. Und schließlich gilt es für die internationale Gemeinschaft, noch unerledigte Hausaufgaben anzupacken. Auf einer hochrangigen VN-Sondergeneralversammlung 2009 wurde von den vielen Vorschlägen der sogenannten Stiglitz-Kommission nur ein einziger aufgegriffen – aber immerhin. Man sprach sich einstimmig dafür aus, auf der VN-Ebene wohlwollend die Einrichtung eines -Panels on Systemic Risks zu prüfen – eines interdisziplinären Wissenschaftlergremiums, das die Weltwirtschaftslage analysieren, sich mit verschiedenen -Zukunftsszenarien beschäftigen und als Frühwarnsystem fungieren soll. Man wollte damit eine Lehre ziehen aus der angeblich so plötzlich hereingebrochenen Finanzkrise, die viele nicht auf dem Schirm gehabt hatten – auch der IWF nicht –, zwar nur ein internationales Wissenschaftlergremium, ein Think Tank, ein Frühwarnsystem – aber mit dem ausdrücklichen Auftrag, die Weltwirtschaftslage ganzheitlich zu betrachten, also auch unter Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten, und Vorschläge für ein kohärentes Vorgehen auszuarbeiten, mit denen sich IWF und Weltbank zumindest beschäftigen müssten. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz verband und verbindet mit diesem Vorschlag die Hoffnung, dass ein solches Panel on Systemic Risks bei guter Zusammensetzung und guter Arbeit eine ähnliche Aufmerksamkeit und Wirkung erzielen könnte wie der Weltklimarat IPCC für die Klimaschutzdebatte. Wir erwarten von einer Bundesregierung, deren Kanzlerin vor ein paar Jahren vollmundig eine UN-Charta für nachhaltiges Wirtschaften und eine starke Wirtschafts-UNO gefordert hat, dass sie sich zumindest für dieses Panel on Systemic Risks einsetzt. Denn nur wenn VN-Mitgliedstaaten auf den VN-Beschluss von 2009 positiv reagieren und konkrete Anträge für die Einrichtung und Mandatierung dieses Panels ausarbeiten und einbringen, kann es in dieser Frage Fortschritte -geben. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln – Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): VS – dieser Stempel findet sich auf so manchem Dokument wieder, das wir als Bundestagsabgeordnete aus den Ministerien oder aus Bundesbehörden zugeschickt bekommen. VS heißt Verschlusssache – etwas, das unter Verschluss bleibt, der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wird. Dies geschieht im öffentlichen Interesse und dient der Gefahrenabwehr. Gerade weil Deutschland beispielsweise beliebtes Spionageziel ist, brauchen wir die Verschlusssachenklassifizierung. Wir wollen damit aber auch verhindern, dass extremistische und kriminelle Organisationen zu viel über die Bekämpfungsstrategien unserer Sicherheitsorgane erfahren. Vertraulichkeit ist in manchen Lebenssituationen unerlässlich, so eben auch im staatlichen Handeln manchmal notwendig. Klar muss aber auch sein, dass nur die Vorgänge den Stempel VS erhalten, bei denen dies wirklich sinnvoll ist. Unsere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit lebt von so viel wie möglich Transparenz und so wenig wie nötig Kontrolle; anders kann sie nicht funktionieren. Dies wird im höchsten Maße umgesetzt: Wir haben sehr transparente -Strukturen und nur ein unumgängliches Mindestmaß an Vertraulichkeit. Dafür steht das Parlamentarische Kontrollgremium. Im Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden haben wir bereits darüber diskutiert, wie ein guter Mittelweg zwischen Transparenz und Vertraulichkeit erzielt werden kann. Wir wollen dort aufklären, warum die Zwickauer Gruppe jahrelang unbescholten ihr Unwesen treiben konnte. Es besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, dass Ermittlungsfehler genauso aufgedeckt werden wie Pannen im Informationsfluss oder fehlende Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Ermittlungsbehörden. Gleichzeitig laufen aber die Ermittlungen noch – und die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass möglichst viele Mittäter und Unterstützer gefasst werden. Der Untersuchungsausschuss als solcher soll ja Transparenz herstellen, letztendlich ist dies sein Zweck! Es will aber auch keiner, dass dadurch laufende Ermittlungen gefährdet werden. Das ist ein schwieriger Balanceakt, und ich bin sehr froh darüber, dass die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sich ihrer Verantwortung in Bezug auf Verschlusssachen bewusst sind. Gerade auch vor diesem Hintergrund irritiert es mich, dass Sie in Ihrem Antrag gleich zu Beginn das Aktengeheimnis in Bausch und -Bogen verdammen. Ein bisschen differenzierter darf es schon sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Neben dem demokratischen Ansinnen nach Transparenz und Kontrolle gibt es auch ein zeitgeschichtliches Interesse an Verschlusssachen. Das Interesse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Dokumenten aus der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland ist berechtigt. Nicht veröffentlichte Akten verbergen so manche überraschende Erkenntnis zur Zeitgeschichte; das ist schon oft bewiesen worden. Übrigens, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht alle Projekte haben die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zum Forschungsgegenstand. Spannend finde ich beispielsweise Fragen rund um die Westanbindung der noch jungen Bundesrepublik, um ihre Rolle im Kalten Krieg, ihr Verhältnis zur DDR. Auch dazu gibt und gab es Forschungsprojekte, und auch diese Forscher wollen Bundesakten einsehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich die Mühe machen, die alten Akten zu sichten und zu interpretieren, verdienen großen Re-spekt. Der berühmte Aktenberg im verstaubten Keller ist zwar ein reichlich oft bemühtes Bild, aber gerade deswegen nicht weniger wahr. In gut funktionierenden Behörden entstehen zahllose Dokumente. Sie dokumentieren die Arbeit der Verwaltung, und sind deshalb notwendig für einen funktionierenden Rechtsstaat. So etwas zu sichten, macht eine Menge Arbeit. Im vorliegenden Antrag beklagen die Linken, dass das Bundesministerium des Innern eine Verwaltungsvorschrift über Verschlusssachen so verändert habe, dass keine automatische Freigabe mehr erfolge. Diese Aussage kann ich so nicht stehen lassen. Im Jahr 2009 hat das Bundeskabinett Eckpunkte beschlossen, nach denen Verschlusssachen innerhalb festgelegter Zeiträume hinsichtlich einer Offenlegung zu prüfen sind. Die Regelung sieht vor, dass bis zum Januar 2013 die Geheimakten aus den Jahren 1949 bis 1959 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Dokumente aus der Zeit bis 1994 sollen dann schrittweise bis 2025 freigegeben werden. Der Beschluss sieht vor, dass jährlich drei weitere Jahrgänge eingesehen werden können. Für die Akten, die ab 1995 verfasst wurden, gilt eine Sperrfrist von 30 Jahren. Das ist aus meiner Sicht ein guter und gangbarer Weg, den widerstreitenden Interessen von Vertraulichkeit und Transparenz gerecht zu werden. Sie schlagen hingegen eine automatische Deklassifizierung von Verschlusssachen nach nur 20 Jahren vor. 20 Jahre, das ist ein sehr kurzer Zeitraum, gerade in der nachrichtendienstlichen oder polizeilichen Arbeit. Nehmen Sie das Beispiel Bad Kleinen: Auch heute ließen sich aus den Unterlagen zum GSG-9-Einsatz, der fast 20 Jahre zurückliegt, noch Rückschlüsse auf die Arbeit von Ermittlern und Einsatzkräften ziehen. Das ist auch noch nach 19 Jahren interessant für Terroristen. Insofern ist die von Ihnen beantragte automatische Deklassifizierung sicherheitsfachlich nicht nachvollziehbar und einfach auch weltfremd. Ich habe in den zweieinhalb Jahren, die ich nun Bundestagsabgeordneter bin, schon viele Debatten erlebt. Da bleibt es nicht aus, dass einem einmal die eine oder andere Stunde hier überflüssig erscheint. Dieser Fall ist ein Musterbeispiel dafür: Ihr Antrag zur gesetzlichen Regelung der Deklassifizierung von Verschlusssachen ist nicht nur ohne fachliche Substanz, er ist auch noch überholt. Daher meine Bitte an Sie: Ziehen Sie den Antrag zurück! Er ist unnötig und bindet Zeit und Arbeitskraft dieses Parlaments. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Der Gegenstand der heutigen Debatte sind zwei Anträge der Linken zum Thema Transparenz. Zum ersten Antrag mit dem schönen Titel „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“ hat der Kollege Schuster schon das Notwendige gesagt. Bevor ich auf den zweiten Antrag mit dem Thema „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“ näher eingehe, möchte ich Ihnen schon sagen, dass es nicht einer gewissen Komik entbehrt, dass ausgerechnet die Erben von SED und Stasi, die Meister der Konspiration waren, versuchen, sich nunmehr als die großen Verfechter der Transparenz auszugeben – eine interessante Kehrtwende. Nun aber zu Ihrem Antrag. Er stammt aus dem Jahr 2010 und ist erkennbar nicht mehr taufrisch. Das sieht man schon daran, dass die Antragsteller sich auf angebliche Pläne des Plenums des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 beziehen. Dem Bundesverfassungsgericht wird unterstellt, in seiner Geschäftsordnung eine einheitliche Sperrfrist für die Gewährung von Akteneinsichts- und auskunftsersuchen Dritter einzuführen und diese auf 90 Jahre festzusetzen. Bereits diese Behauptung ist blanker Unsinn. Wir schreiben mittlerweile das Jahr 2012, und bislang ist nichts Derartiges passiert. Sie hätten das auch wissen können, weil Sie eine Kleine Anfrage zu dem Thema an die Bundesregierung gerichtet hatten. In der Antwort der Bundesregierung heißt es kurz und knapp: „Das Bundesverfassungsgericht hat mitgeteilt, dass solche Pläne nicht bestehen.“ Was soll Ihr Antrag also? Es liegt die Vermutung nahe, dass Sie sich den reißerischen Aufhänger offenbar nicht durch die Wirklichkeit kaputtmachen lassen wollten. Die letzte Änderung der Geschäftsordnung des BVerfG stammt aus dem Jahr 2002. Maßgeblich sind dort im Wesentlichen zwei Regelungen, nämlich die §§ 34 und 36. In § 36 ist geregelt, dass die Verfahrensakten des Gerichts zu Senatsentscheidungen samt Voten frühestens nach 10 Jahren an das Bundesarchiv abgegeben werden können und frühestens 30 Jahre nach Verkündung der Entscheidung verwertet werden dürfen. In § 34 ist geregelt, dass Voten, Entscheidungsentwürfe, Änderungs- oder Formulierungsvorschläge sowie Notizen nicht Bestandteil der Verfahrensakten sind und nicht der Akteneinsicht unterliegen. Damit liegen im Prinzip bereits sachgerechte Regelungen vor, und es bedarf Ihrer Vorschläge nicht. Gleichwohl ist es dem Vernehmen nach zutreffend, dass man sich beim Bundesverfassungsgericht mit der Problematik beschäftigt. Wie zu hören ist, gehen diese Überlegungen aber in die Richtung einer größeren Öffnung der Akten des Gerichts und nicht in diejenige einer weiteren Beschränkung. Gefordert sind jedenfalls differenzierte Regelungen, die der besonderen Stellung des Bundesverfassungsgerichts als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan gerecht werden. Gänzlich verfehlt sind deshalb die mit Ihrem Antrag verbundenen Forderungen. Die Forderung nach Unterordnung der Verfassungsgerichtsakten in das allgemeine Bundesarchivwesen verkennt die besondere Stellung des Bundesverfassungsgerichts als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan. Der Grundsatz des Respektes vor anderen Verfassungsorganen verlangt Zurückhaltung bei der Bewertung von organisatorischen Maßnahmen und Entscheidungen. Nach geltendem Recht entscheidet das Bundesverfassungsgericht deshalb selbst darüber, ob es Verfahrensakten noch zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Solange dies der Fall ist, muss es diese dem Bundesarchiv nicht zur Übernahme anbieten. Zudem dient die vertrauliche Behandlung von Voten oder Ähnlichem dem Schutz des Beratungsgeheimnisses. Schon gar nicht angezeigt ist die Forderung nach Verkürzung der allgemeinen Sperrfristen im Bundesarchivgesetz um 20 Jahre. Die nach geltendem Recht vorgesehene Dauer von 30 Jahren – „Generationsspanne“ – ist seit langem bewährt und trägt der Sensibilität von Daten Rechnung, die Bestandteil dieser Akten sein können. Insgesamt fragt man sich, wieso die Antragsteller ausgerechnet jetzt mit einem derart abseitigen Thema aufschlagen. Worum es den Antragstellern in Wirklichkeit geht, ergibt sich aus ihrer Kleinen Anfrage. Dort wird in den Fragen 9 und 10 unvermittelt nach den Akten zum KPD- und zum SRP-Verbot gefragt. Zusammen mit den in dem von den Antragstellern erwähnten Presseartikel enthaltenen Spekulationen über das Verhalten oder Vorleben einzelner Richter dieser Verfahren scheint es ihnen darum zu gehen, weitere Legenden über die Entscheidungen des BVerfG in den frühen Jahren der Bundesrepublik zu stricken. Dazu ist das Archivrecht nicht das geeignete Mittel. Kirsten Lühmann (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung über zwei Anträge der Fraktion der Linken, in denen die Antragstellerin besondere Aspekte bei der Akteneinsicht in behördliche und gerichtliche Entscheidungen und Verfahrensprozesse regeln möchte. Die Anträge fallen somit in den weiteren Anwendungsbereich des IFG. Für die SPD ist schon lange klar: Behördliche Entscheidungen und staatliches Handeln müssen für die Bürgerinnen und Bürger transparent und nachvollziehbar sein. Deshalb waren es auch die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die damals das Informationsfreiheitsgesetz in den Bundestag einbrachten, das schließlich mit Wirkung zum 1. Januar 2006 in Kraft trat. Dies geschah im Übrigen gegen den erheblichen Widerstand der Fraktion der CDU/CSU. In diesem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass auch im Jahre 2008 auf Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer eine Gesetzesänderung durch den Bundesrat angestrebt wurde, die die allgemeine Einsichtnahme in Akten der Bankenaufsicht vom Recht auf Informationszugang ausnehmen sollte, ein, wie ich finde, gerade unter den -Aspekten der aktuellen Entwicklungen besonderer Vorgang, der wieder einmal aufzeigt, welche Denkweise hinter dem Handeln der Kollegen und Kolleginnen von der CDU und der CSU steht. Bürger und Bürgerinnen sollen mit ihren Steuergeldern für den sogenannten Rettungsschirm geradestehen, gleichzeitig aber vom Informationsfluss der Entscheidungen hierzu abgeschnitten werden. Auch das durch die Bundesregierung eingesetzte sogenannte Neunergremium, das in seiner ursprünglich geplanten Form vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, hätte zur Folge gehabt, dass wichtige Entscheidungen völlig intransparent abgelaufen wären, denn hier wäre sogar der Bundestag von den Entscheidungsprozessen weitestgehend abgeschottet worden. In beiden Fällen haben jedoch Sozialdemokraten der CDU/CSU die Grenzen aufgezeigt und damit klargestellt, dass eine intransparente und für die Bürger und Bürgerinnen nicht nachvollziehbare Hinterzimmerpolitik mit der SPD nicht zu machen ist. Lassen Sie mich auf das IFG zurückkommen. Das IFG befindet sich nunmehr im siebten Jahr seiner Anwendung. Wir wollen das Gesetz auch weiterhin optimieren und insbesondere auf die Probleme, aber auch Bedürfnisse, die sich aus der praktischen Anwendung ergeben haben, eingehen. Auch auf Drängen der SPD-Bundestagsfraktion hin unterläuft das IFG daher einen Evaluationsprozess durch das Deutsche Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Speyer, dessen Ergebnisse uns in Kürze vorliegen werden. Die Zeit, uns die Empfehlungen anzuhören und sie anschließend zu diskutieren, sollten wir uns nehmen. Danach werden wir die notwendigen Änderungen vornehmen und dafür Sorge tragen, dass eine optimale Transparenz weiterhin bestehen bleibt und dass dort, wo noch Nachbesserungsbedarf besteht, auch entsprechend nachgebessert wird. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Fraktion der Linken, das Gleiche trifft auch auf Ihren zweiten Antrag zu. Wenngleich der Freigabe von Unterlagen und Dokumenten aus der NS-Unrechtszeit eine überaus wichtige Bedeutung zukommt, wäre es ein Fehler, sie zum jetzigen Zeitpunkt isoliert zu betrachten. Lassen Sie uns den Evaluationsprozess und dessen Ergebnis abwarten und dann gemeinsam nachbessern. So können wir dann eine optimale Anwendung des IFG sicherstellen. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Das Bundesverfassungsgericht genießt in der Bevölkerung höchste Anerkennung, und das aus gutem Grund. Wie wenige andere In-stitutionen steht das Gericht für einen transparenten und am Individuum ausgerichteten Rechtsstaat. Für die Festigung unserer Demokratie hat das Gericht deshalb einen herausragenden Beitrag geleistet. Diese Leistung auch zu historisieren, ist nach mehr als 60 Jahren des Bestehens eine wichtige Aufgabe, und dazu bedarf es eines besseren Aktenzugangs. Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes besagt, dass Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Für den einzelnen Forscher und für den Wissenschaftsbetrieb als Ganzes ist diese verfassungsrechtlich geschützte Freiheit das höchste Gut. Der Gesetzgeber garantiert dem Wissenschaftler damit unter anderem die freie Wahl über die Gestaltung seiner Forschungsprojekte und den Umgang mit deren Ergebnissen. Gleichwohl können Eingriffe in diese Freiheit aus verschiedenen Gründen gerechtfertigt sein, beispielsweise wenn die Persönlichkeitsrechte Dritter betroffen sind oder besondere -Geheimhaltungsinteressen bestehen. Vor diesem Hintergrund müssen die Regelungen zur Akteneinsicht beim Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld kollidierender Interessen betrachtet werden. Das Interesse der Öffentlichkeit und der Wissenschaft ist in Einklang zu bringen mit dem Schutz der Belange der beteiligten Richter und anderen legitimen Geheimhaltungsinteressen. Die Frage des Aktenzugangs gewinnt besondere Bedeutung im Zusammenhang mit rechtshistorischen Forschungsprojekten, für deren Ausgestaltung nicht nur die veröffentlichte Entscheidung, sondern der Prozess der Entscheidungsfindung der einzelnen Verfassungsrichter von Interesse ist. So plädierte der Rechtshistoriker Michael Stolleis bei einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses im Februar 2012 für besseren Aktenzugang und eine Historisierung. Er kon-statierte, dass besonders auf dem Gebiet der „dissenting votes“, der abweichenden Voten einzelner Richter bei historisch wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, großes Forschungsinteresse besteht. -Claudia Baumann hat auf Zeitgeschichte-online einen -interessanten Artikel zu dieser Problematik veröffentlicht. Allgemein müssen nach dem Bundesarchivgesetz -Gerichte, Behörden, Verfassungsorgane und andere -öffentliche Stellen Unterlagen an das Bundesarchiv oder ein Landesarchiv abgeben, wenn sie nicht mehr benötigt werden. In der Regel erhalten alle Bundesbürger nach Ablauf einer Sperrfrist von 30 oder höchstens 60 Jahren Zugriff auf das Archivgut. Eine der wichtigsten Ausnahmen dieses Grundsatzes bildet Archivgut, das Persönlichkeitsrechte berührt. Hier beginnt die Frist von 30 Jahren mit dem Tod der Person. Weitere Ausnahmen bestehen überwiegend aus Schutzinteressen der Bundesrepublik oder einem ihrer Länder, von Dritten oder -Geheimhaltungspflichten nach dem Strafgesetzbuch. Es ist zu bedauern, dass gerade die Unterlagen des Bundesverfassungsgerichts eine Ausnahme vom Grundsatz des Bundesarchivgesetzes darstellen. Zwar werden sie überwiegend vom Bundesarchiv aufbewahrt, gelten aber nicht als Archivgut. Über Anträge auf Akteneinsicht entscheidet das Bundesverfassungsgericht selbst. Die Voten – oder Entscheidungsvorschläge – werden als „Nebenakten“ bezeichnet. Ob Wissenschaftlern der -Zugang zu bestimmten Akten gewährt wird oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Einzelfall. Weder gibt es gegen diese Entscheidungen Einspruchsrechte noch basieren die Entscheidungen auf klar de-finierten, transparenten rechtlichen Grundlagen. Eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit oder des Gleich-behandlungsgrundsatzes bei der Ablehnung von Anträgen auf Akteneinsicht kann dem Gericht keinesfalls -unterstellt werden, wie dies im Antrag der Linken -geschieht. Eine klarere gesetzliche Regelung würde diesen Verdacht aber endgültig ausräumen. Mit dieser Problematik beschäftigte sich der 38. Deutsche Rechtshistorikertag im Jahr 2010, nachdem das Thema in mehreren Artikeln in der FAZ thematisiert worden war. In der FAZ vom 28. August 2010 war -behauptet worden, dass das Plenum des Bundesverfassungsgerichts eine einheitliche Sperrfrist von 90 Jahren in die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts aufnehmen wollte. Dies wurde auf Auskunft der Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 17/4073) vom Bundesverfassungsgericht dementiert. Der heute verhandelte Antrag der Fraktion Die Linke zu den Akteneinsichtsrechten beim Bundesverfassungsgericht (Bundestagsdrucksache 17/4037) basiert auf dieser -Annahme, die in der Zwischenzeit widerlegt wurde. In dieser Richtung ist seit 2010 keine Initiative des Plenums des Bundesverfassungsgerichts bekannt. In Reaktion auf die Debatte zu den Sperrfristen stellte der Ständige Ausschuss des 38. Rechtshistorikertages die Forderung nach einer verbindlichen Regel auf, die Verlässlichkeit im Umgang mit der Entscheidung auf Akteneinsicht und somit mehr Planungssicherheit für die Forschung bringen sollte. Die Regel sollte sich an den Sperrfristen von 30 und höchstens 60 Jahren orientieren, die sich mit dem Bundesarchivgesetz bewährt haben. So gerechtfertigt in gewissen Fällen die Ablehnung von Akteneinsicht aus Gründen des Beratungsgeheimnisses oder des Schutzes von Persönlichkeitsrechten sein mögen, so lässt sich durchaus in Zweifel ziehen, ob solche Begründungen noch heute für Verfassungsgerichtsentscheide aus den 1950er-Jahren stichhaltig sind. Vereinzelt wurde von Rechtshistorikern auf die spezielle Verfahrenspraxis des Bundesverfassungsgerichts in -Bezug auf die Nebenakten hingewiesen, so zum Beispiel von Thomas Henne und Arne Riedlinger in ihrem Band über das Lüth-Urteil. Es wird zu prüfen sein, inwiefern der Gesetzgeber aufgefordert ist, klare Regelungen für den Umgang mit den Unterlagen des Bundesverfassungsgerichts zu schaffen, wie sie für andere Bundeseinrichtungen mit dem Bundesarchivgesetz gelten. Die öffentliche Anhörung im Februar dieses Jahres hat klar ergeben, dass sowohl Rechtshistoriker als auch der Leiter des Bundesarchivs Michael Hollmann Handlungsbedarf sehen. Es ist wichtig, auch die relativ kleine Klientel der Wissenschaftler zu hören, für deren Forschung die Einsicht in diese -Unterlagen essenziell ist. Die Anträge der Fraktion Die Linke bieten keine vernünftige Lösung an, sind veraltet und daher abzulehnen. Jan Korte (DIE LINKE): Wir reden heute über zwei Anträge der Fraktion Die Linke, die beide im Kern die Demokratisierung und Nachvollziehbarkeit von politischem Handeln fordern. Wir leben in einer Informations- und Wissensgesellschaft, in der Informationen durch den Einsatz von elektronischer Kommunikation und Medien immer mehr zurückgehen. Die politische Entwicklung hinkt dieser gesellschaftlichen Realität weit hinterher. Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. In der Praxis jedoch sind die Informationsrechte und -pflichten nicht weitgehend genug, oder es wird ihnen von behördlicher Seite nicht nachgekommen. Zudem verhindert eine Vielzahl gesetzlicher Geheimhaltungsvorschriften bisher eine effektive Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes und des Bundesarchivgesetzes. Diese Lage zu verbessern, ist unser Anliegen. Uns geht es dabei aber nicht nur um die demokratische Kontrolle behördlicher Vorgänge. Der freie Zugang zu historisch und politisch relevanten Informationen ist eine Voraussetzung für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, für eine kritische Wissenschaft und für das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik. Statt diese konstruktive Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu fördern, wehren sich Behörden – bis hin zum Bundesverfassungsgericht – mit Händen und Füßen gegen die Veröffentlichung von Akten, die teilweise ein halbes Jahrhundert alt sind. In unserem Antrag „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“ fordern wir eine klare Regelung zur Aktenfreigabe. Das Bundesverfassungsgericht ist in den letzten Jahrzehnten zu einem politischen Machtfaktor geworden. Der Kurs der letzten Bundesregierungen, mit der Gesetzgebung regelmäßig und bewusst immer weiter an die Grenzen unserer Verfassung zu stoßen und sie teilweise zu überschreiten, macht das Gericht zum Raum politischer Auseinandersetzungen. Gerade deshalb gibt es keinen Grund, die Beweggründe des Verfassungsgerichts im Geheimen zu halten, weder bei aktuellen Auseinandersetzungen noch bei lange vergangenen Entscheidungen. Die Kenntnis über vergangene Beratungsabläufe wird die Unabhängigkeit zukünftiger Entscheidungen nicht beeinflussen, erst recht nicht, wenn sie über fünfzig Jahre zurückliegen. 1956 entschied das Bundesverfassungsgericht, die KPD zu verbieten. Die Folge war nicht nur die Illegalisierung einer politischen Kraft, sondern auch ein hartes Vorgehen des Staates gegen Kommunisten, Sympathisanten oder andere, die man dafür hielt. Bis heute sind die Verfahrensakten in ihrer Gesamtheit der Öffentlichkeit nicht zugänglich, weder für Journalisten noch für Wissenschaftler, geschweige denn für interessierte Bürgerinnen und Bürger. Das kann man beim besten Willen niemandem erklären. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich nicht alleine am Ergebnis, sondern vor allem in Kenntnis des Entscheidungsfindungsprozesses aufarbeiten. Trotz der umfassenden Kompetenzen des Gerichts und der politischen Konsequenzen von Urteilen, die ein Höchstmaß an Transparenz bei der Entscheidungsfindung erwarten lassen, stoßen Wissenschaft und Presse nicht nur bei politisch besonders brisanten Entscheidungen regelmäßig auf erhebliche und kaum überwindbare Widerstände, wenn sie Akten teilweise oder vollständig einsehen wollen. Deshalb fordern wir – da schließen wir uns den Forderungen in der Resolution des Deutschen Rechtshistorikertages in Münster an –, die Akteneinsicht- und Auskunftsrechte Dritter im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nach Vorbild des Bundesarchivgesetzes zu konkretisieren und außerdem die Sperrfristen im Bundesarchivgesetz um 20 Jahre zu verkürzen. Es ist überfällig, dass wir uns im Bundestag mit diesem Thema befassen, und ich hoffe, dass die substanziellen Vorschläge in unserem Antrag Grundlage für einen kon-struktiv geführten interfraktionellen Dialog sein können. Zum zweiten Antrag „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“. Ende letzten Jahres ging durch die Presse, dass beim Bundesnachrichtendienst 1996 und 2007 offenbar 253 Personalakten aus der Nachkriegszeit vernichtet worden sind, Akten von BND-Mitarbeitern, die einst Mitglied der SS oder der Gestapo gewesen sind, zu denen weder Geschichtswissenschaftler noch Journalisten bisher Zugang hatten, weil sie jahrzehntelang als Verschlusssachen eingestuft waren und die auch der Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Geheimdienstes nun fehlen. Ich glaube, dass es nicht sein kann, dass mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit noch immer an als Verschlusssache qualifizierten Unterlagen scheitert. Wir fordern daher, die sofortige Deklassifizierung und Offenlegung aller Akten und Unterlagen nach dem Vorbild des Nazi War Crimes Disclosure Act des US-amerikanischen Kongresses gesetzlich zu regeln. Dafür ist es allerhöchste Zeit. Die Geheimhaltung von Akten betrifft nicht nur den BND. Allein 6 Millionen Dokumente von Ministerien und Behörden sind als Verschlusssache eingestuft, selbst wenn sie schon Jahrzehnte alt sind. Diese Praxis stammt aus vergangenen, vordemokratischen Zeiten, in denen der Besitz und die Geheimhaltung von Informationen klassisches Mittel des Machterhalts Einzelner waren. Staatliches Handeln in einer Demokratie hat sich am Gemeinwohl zu orientieren und muss demokratisch legitimiert sein. Diese Legitimation ist nicht gegeben, wenn es unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt und Akten zu Vorgängen in Behörden und Ministerien für etliche Jahrzehnte unzugänglich sind. Wir fordern daher die automatische Deklassifizierung von Verschlusssachen nach spätestens 20 Jahren ohne die Möglichkeit der Verlängerung. Für eine Demokratie – darin sollten wir uns alle einig sein – stellt Wissen keine Gefahr dar. Im Gegenteil: Transparenz und Offenheit stärken die Demokratie und verhindern Lobbyismus, Korruption und Desinformation. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unseren Vorschlägen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir befinden uns mitten in einem historisch -bedeutsamen Paradigmenwechsel von der Amtsverschwiegenheit bzw. dem Prinzip der Geheimhaltung hin zum Prinzip der Öffentlichkeit der Verwaltung. Es ist ein zumindest in Teilen mühsamer Prozess. Es ist von -Widerständen in manchen Amtsstuben geprägt und auch im Parlament trotz einer umfänglichen EU-Gesetzgebung sowie Informationsfreiheitsgesetzen in Bund und Ländern – nach wie vor ein junger Prozess. Beredtes Zeugnis über diesen Widerstreit legen insbesondere die regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichte des Bundes- sowie der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit ab. Es lohnt, sich zunächst die Hintergründe des notwendigen Wechsels zum Grundsatz der Öffentlichkeit der Verwaltung zu vergegenwärtigen. Dieser bedeutet die Konsequenz aus einem nahezu vollständig gewandelten Verständnis von öffentlicher Verwaltung. „Bürokratische Verwaltung ist ihrer Tendenz nach stets Verwaltung mit Ausschluss der Öffentlichkeit“, hieß es noch bei Max Weber. Für ihn musste das Wissen der Exekutive sich im Kampf mit der Legislative zum Geheimnis verdichten, um Machtinteressen und Kontrolle zu erhalten und Kritik einzudämmen. Weitaus nüchterner gewendet könnte auch argumentiert werden, dass eine bürokratische und auf Recht und Gesetz fußende Verwaltung keinerlei -Öffentlichkeit braucht, weil sie effizienter ohne arbeitet: Dahinter steht die Vorstellung eindeutig determinierter, rechtlich festgelegter Entscheidungsprozesse. Diese Vorstellung von Verwaltung passt heute – wenn überhaupt je – nicht mehr. Die moderne Verwaltungspraxis hat sich unter dem Eindruck tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen wie zum Beispiel dem Wandel zum Präventionsstaat grundlegend verändert. Die Ablösung des rein hierarchischen und in einer durch-gehenden demokratischen Legitimationskette stehenden Gesetzesvollzuges durch weite, flexiblere Einschätzungs- und Entscheidungsspielräume bis hin zur Verwaltung als kooperierender Vertragspartner prägen heute das Bild. Ohne eine grundlegende eigene demokratische -Absicherung lässt sich dieser Wandel nicht rechtfertigen. Die Rückkopplung an den Volkswillen geschieht durch Öffentlichkeit. Das Transparenzprinzip ist damit Grundvoraussetzung der Legitimation moderner Verwaltung. Ganz konkret führt dies auch zu einem individuellen und voraussetzungslosen Auskunftsanspruch der Bürgerinnen und Bürger gegenüber öffentlichen Stellen. Es ist ihr gutes Recht. Der Antrag „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“ (Bundestagsdrucksache 17/6128) greift ein drängendes Problem bei der Realisierung dieses Transparenzprinzips in der Praxis auf. Er ist deshalb in seiner Grundtendenz zu begrüßen. Denn die Aktenöffentlichkeit als Teilausprägung des Transparenzprinzips scheitert in der Praxis durch eine Kombination von Faktoren: Rein rechtlich betrachtet wurden zwar umfängliche Rechtsgrundlagen für den Informationszugang geschaffen. Diese werden jedoch in vielen Fällen durch ebenso umfängliche Einschränkungen wieder zurückgenommen bzw. erheblich relativiert. Eine dieser Einschränkungen liegt in § 3 Nr. 4 des Bundesinformationsfreiheitsgesetzes. Werden Informa-tionen auf der Grundlage behördeninterner Verwaltungsvorschriften als Verschlusssachen eingestuft, entfällt der Informationsanspruch der Öffentlichkeit bzw. der Bürgerinnen und Bürger. Die dementsprechend maßgebliche VS-Anweisung, VSA, des Bundes legt die Entscheidung für eine Einstufung auf der Grundlage sehr abstrakter und ausschließlich an Geheimhaltung orientierter -Begrifflichkeiten weitgehend in die Hände der Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Hier kommt der zweite begrenzende Faktor für mehr Transparenz voll zum Tragen, nämlich die nach wie vor sehr verbreitete Grundeinstellung in den Köpfen, dass die Öffentlichkeit außen vor zu bleiben habe. Die etablierte Arkankultur der öffentlichen Verwaltung, wie sie vielfach von den -Informationsbeauftragten beschrieben und kritisiert wird, steht einer weiteren Öffnung immer noch entgegen. Im Falle der Verschlusssachen besteht eine besonders weitgehende Möglichkeit, das Wissen der Verwaltung insbesondere über sehr lange Zeiträume der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu entziehen. Übergreifend sind davon auch nach den Archivgesetzen -erfasste Bestände betroffen, die damit der historischen Forschung, aber auch besonderen journalistischen Inte-ressen grundsätzlich nicht offenstehen. Skandalös -erscheint dies vor dem Hintergrund der besonderen -geschichtlichen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland ganz besonders im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Deshalb ist die Forderung des Antrags der Linksfraktion nach einer Vergesetzlichung der VS-Anweisung dann zutreffend, wenn auf diese Weise tatsächlich eine am Ziel des Transparenzprinzips ausgerichtete Neufassung bewirkt werden kann. Hinsichtlich der Einzelheiten einer solchen Regelung ist es sicher sinnvoll, eine ein-gehende parlamentarische Anhörung durchzuführen. Fragen etwa wirft der Vorschlag des Antrags auf, eine automatische Deklassifizierung nach 20 Jahren herbeizuführen. Angesichts der zum Teil sehr unterschiedlich gelagerten, legitimen Einschränkungen des Transparenzprinzips wie zum Beispiel den Persönlichkeitsrechten, aber auch besonderen Geheimhaltungspflichten, etwa beim Informantenschutz, muss hier sehr genau hingeschaut werden. Wir sollten deshalb die nach der jetzigen Rechtslage zum Teil sehr undifferenzierten Bereichsausnahmen zum Nachteil des Transparenzprinzips nicht mit gleichermaßen pauschalen Vorgaben zugunsten dieses Prinzips beantworten. Sachgerechte Verbesserungen der Transparenz sind hier anzustreben. Insgesamt greift auch eine allein auf die Frage der Verschlusssachen angelegte Reform deutlich zu kurz. Zahlreiche weitere Baustellen im Bereich des Informationsfreiheitsgesetzes verpflichten vielmehr zu einer umfassenderen Modernisierung zugunsten von mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger. Klar ist ferner auch, dass eine Änderung der normativen Grundlagen allein keine wirkliche Veränderung -bewirken kann. Eine verkürzte, allein juridische Sichtweise der Hindernisse auf dem Weg zu mehr Transparenz würde verkennen, das auch das Selbstverständnis und die Arkankultur in den Behörden selbst mit in den Blick genommen und mit zusätzlichen Maßnahmen Veränderungen angestoßen werden sollten. Die von der Linksfraktion heute vorgenommene Verbindung der Thematik der Verschlusssachen mit der Frage der Zugänglichmachung von Akten des Bundesverfassungsgerichts ist dagegen keineswegs zwingend. Denn als Teil der Judikative unterliegt das höchste deutsche Gericht durchaus anderen Transparenzmaßstäben als die unter einem besonderen demokratischen Legitimationsdruck stehende Verwaltung. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung, insbesondere der den Richtern gewährten richterlichen Unabhängigkeit und der zum Schutz dieser Unabhängigkeit bestehenden Regelungen, aber auch weil der rechtliche Rahmen der Arbeit des Gerichts keine vergleichbar grundlegenden Veränderungen erfahren hat wie die Verwaltung. Gleichwohl gilt auch hier, dass sich der gesellschaftliche Kontext, in dem das Gericht heute seine Entscheidung trifft, verändert und dementsprechend auch die an das Gericht herangetragenen Prozesse. Kaum von der Hand zu weisen ist insbesondere die gewachsene politische Bedeutung seiner Entscheidungen angesichts zunehmender Entscheidungsdelegation durch die Politik. Es ist deshalb naheliegend, dass heute ein weitaus -umfänglicheres, legitimes öffentliches Interesse der historischen Forschung, zum Beispiel zur Entstehung der besonders herausragenden und gesellschaftspolitisch -relevanten Entscheidungen des Gerichts, besteht. Dabei können beispielsweise auch die bislang von Auskunftsansprüchen nicht miterfassten Voten der Richter von -Interesse sein. Insgesamt macht es deshalb, im Austausch auch mit dem Bundesverfassungsgericht selbst, Sinn, darüber nachzudenken, auf welche Weise Verbesserungen der Auskunftsrechte herbeigeführt werden können, ohne das richterliche Beratungsgeheimnis -unverhältnismäßig einzuschränken. Nach unseren Informationen ist es allerdings unzutreffend, dass das Gericht eine pauschale Sperrfrist von 90 Jahren für alle „Verfahrensakten“ anstrebt. Hier können wir deshalb schon den Feststellungen des Antrags nicht folgen. Hinsichtlich des Forderungsteils gilt: Es bestehen derzeit differenzierende Regelungen, die nach veröffentlichten und unveröffentlichten Entscheidungen unterscheiden und die unseres Wissens nicht grundlegend verändert werden sollen. Die Akten unveröffentlichter Entscheidungen etwa können nach 30 Jahren vernichtet werden, über ihre mögliche Umwidmung als Archivgut – mit der dann entsprechenden Anwendbarkeit des Bundesarchivgesetzes – entscheidet das Gericht im Einvernehmen mit dem Bundesarchiv. Es gibt demnach keine – uneingeschränkte – Angebots- und Übergabepflicht, wie im Antrag der Linken dargestellt. Die pauschale Forderung aber, die Sperrfristen im Archivgesetz pauschal um 20 Jahre zu verkürzen, geht weit über den im Antrag zugrunde gelegten Fall hinaus, und es fehlt damit schon an einer hinlänglichen Begründung. Die vielfältigen und bei der gesetzlichen Regelung zu -berücksichtigenden gegenläufigen Interessen erfordern eine differenzierte Bewertung, die hier nicht einmal im Ansatz erkennbar ist. So dürfte eine pauschale Verkürzung um 20 Jahre deutliche Veränderungen bei der -Betroffenheit von Persönlichkeitsrechten nach sich ziehen, die nicht einfach ignoriert werden dürfen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 30. September 2011 des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Tagesordnungspunkt 15) Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir beschließen heute in zweiter und dritter Beratung den Gesetzentwurf zur Änderung der Aufgaben der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, EBWE, in London. Mit der Zustimmung zu diesem Gesetz soll der Beschluss des Gouverneursrats der Bank, den Einsatzbereich der EBWE auf die Länder des südlichen und östlichen -Mittelmeerraumes auszuweiten, auch von Deutschland unterstützt werden. Deutschland ist Gründungsmitglied der 1991 errichteten multilateralen EBWE; insgesamt gibt es 65 nationale und supranationale Anteilseigner, von denen Deutschland mit einem Kapitalanteil von 8,5 Prozent neben Frankreich, Italien, Großbritannien und Japan eines der größten Mitglieder ist. Lediglich die USA halten mehr, nämlich 10 Prozent des Kapitals. Die Errichtung der EBWE war eine Reaktion auf die historischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa nach dem Fall der Berliner Mauer. Der politische Auftrag der Bank war die Förderung von Demokratie und Marktwirtschaft in ihren 30 Einsatzländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Kaukasusregion, Zentral-asien, Russland, Mongolei und der Türkei. Sie finanziert dabei mittels Darlehen und Kapitalbeteiligungen Investitionsprojekte insbesondere im privaten, aber auch im -öffentlichen Sektor. Hauptaugenmerk ist dabei die ökonomische Tragfähigkeit der Projekte und das Voranbringen der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder. Das Geschäftsvolumen der EBWE belief sich im Jahr 2011 auf circa 9 Milliarden Euro, das Gesamtportfolio, Kredite und Beteiligungen, auf rund 35 Milliarden Euro. Daneben unterhält die EBWE ein umfangreiches, von Gebern gespeistes Fondsprogramm zur Bereitstellung von fachlicher Beratung und Unterstützung von Investitionen in den Einsatzländern. In den letzten 20 Jahren verwaltete die Bank dafür über 200 bilateral und multilateral gespeiste Fonds für technische Zusammenarbeit im Gesamtvolumen von 1,7 Milliarden Euro. Prominentes Beispiel sind sechs Nuklearsicherheits- und Still--legungsfonds. Der größte davon ist für die Überführung des zerstörten Reaktors in Tschernobyl in einen umweltsicheren Zustand bestimmt. Die Verwaltung der Fonds durch die Bank erfolgt mit der gleichen Sorgfalt wie das normale Bankgeschäft. Die Kontrolle über die Verwendung der Fondsmittel erfolgt grundsätzlich in regelmäßigen Geberversammlungen. Voraussetzung für ein Tätigwerden der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung war und ist, dass in den Ländern demokratische Grundsätze eingehalten werden. Dies wird auch vom Gouverneursrat, dem höchsten Beschlussorgan der Bank, dem Bundes--finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland angehört, überprüft. Ebenso werden dort grundsätzliche Entscheidungen für die -Aufgaben der 1 600 Mitarbeiter der Zentrale und der Regionalbüros getroffen. So hat der Gouverneursrat am 30. September 2011 durch Resolution die Ausdehnung des Mandats der EBWE auf die Staaten des südlichen und östlichen Mittelmeerraums beschlossen. Voran--gegangen war eine Initiative der G-8-Staaten zur Unterstützung des Demokratisierungsprozesses in diesen -Staaten, die auch eine finanzielle Hilfe durch internationale -Finanzinstitutionen vorsieht. Diese Ausweitung soll durch klare geografische Eingrenzung auf die unmittelbare Nachbarschaft den europäischen Charakter der Bank bewahren, auch ohne die grundsätzliche Ausrichtung der EBWE zu verändern. Bei der räumlichen Ausweitung des Mandats der EBWE handelt es sich lediglich um eine Option, die -Finanzierungstätigkeit auch auf die Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraus auszuweiten. Damit könnten die Länder Ägypten, Algerien, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien sowie die palästinensischen Gebiete, die zum Teil bereits Mitglied der EBWE sind, unter der Voraussetzung, dass sie sich Mehrparteiendemokratie und Pluralismus verpflichten, gefördert werden. In einem ersten Schritt hat die EBWE Maßnahmen der technischen Hilfe und ähnliche Aktivitäten mit sogenannten Kooperationsfonds gestartet, die durch Gewinnzuweisungen sowie durch externe Geber finanziert werden. Kredite und Beteiligungen können daraus jedoch nicht finanziert werden. Dies ist der Hauptgrund, warum ich die Mandatserweiterung nicht so kritisch betrachte wie einige Kolleginnen und Kollegen der Opposition. Mir liegt am Herzen, dass neben der politischen Unterstützung des arabischen Frühlings dieser auch mit finanziellen Mitteln im privaten und öffentlichen Sektor flankiert wird. Denn der politische Umbruch in den arabischen Staaten des Mittelmeerraums wird nur erfolgreich sein, wenn -damit ein wirtschaftlicher Erfolg einhergeht. Auf die -Risiken eines mangelnden wirtschaftlichen Erfolgs muss ich hier wohl nicht näher eingehen. Die mögliche Unterstützung durch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung mit konkreten Maßnahmen ist richtig und wichtig, denn auch hier stehen wir vor einem ähnlichen Transformationsprozess wie zu dem Zeitpunkt, als die Bank gegründet wurde. Große politische Risiken, die durch Terrorismus, Migrationsbewegungen und andere Aspekte immense Kosten für die Europäische Union mit sich bringen würden, können mit den geplanten Maßnahmen der EBWE zumindest geschmälert werden. Die von der Opposition angeführte zu wenig an den Zielen des EU-Vertrags ausgerichtete Geschäftstätigkeit kann ich nicht erkennen. Auch steht die EBWE nicht in Konkurrenz mit bereits in der Region tätigen Institutionen, sondern ergänzt diese. Da die Koordinierung der -internationalen Finanzinstitutionen, zum Beispiel Europäische Investitionsbank, Afrikanische Entwicklungsbank, im Mittelmeerraum durch die G-8-Länder innerhalb der sogenannten Deauville-Partnerschaft erfolgt, ist eine Überschneidung der Aufgaben und der Tätigkeiten auch nicht zu erwarten. Der Forderung der Mitglieder des Finanzausschusses nach einer Gesamtübersicht des Aufgabenspektrums der international tätigen Entwicklungsbanken, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, schließe ich mich ausdrücklich an. Auch sollte die Frage nach einer besseren parlamentarischen Kontrolle dieser Banken noch einmal debattiert werden. Abschließend sei noch einmal betont: Das geplante -finanzielle Engagement der EBWE in den potenziellen Empfängerländern, zunächst über einen Sonderfonds, ist richtig und deckt sich mit den politischen Zielen der Bundesrepublik Deutschland und der EU. Die Möglichkeiten hierfür müssen sehr schnell geschaffen werden, deshalb gilt es, die Voraussetzungen für die Ratifizierung der Änderungen des Übereinkommens zur Errichtung der EBWE hier und heute im Parlament zu -beschließen. Damit dokumentieren wir unsere Unterstützung für die Staaten des Mittelmeerraums, die sich der Mehrparteiendemokratie und dem Pluralismus verpflichtet haben, auch in multilateraler finanzieller Art und Weise. Manfred Zöllmer (SPD): Wir haben Ende der 80er- und zu Beginn der 90er-Jahre mit den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa eine der größten politischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts erlebt. Diese Umbrüche in der Auflösung politischer Systeme und des kommunistischen Blocks haben Europa nachhaltig verändert. Im vergangenen Jahr haben wir in zuvor kaum vorstellbarer Weise den sogenannten arabischen Frühling erlebt, in dem sich die Menschen in verschiedenen arabischen Ländern gegen ihre Diktatoren erhoben und für neue demokratische Strukturen auf die Straße gingen, um sich aus den autokratischen Fesseln zu befreien. Diese Transformationsprozesse sind schwierig, bieten aber eine große Chance, in zuvor autokratischen Ländern eine Demokratisierung und einen freien Wettbewerb und eine freie Wirtschaft zu etablieren. Derartige Umbrüche haben auch einschneidende Folgen für die internationalen Beziehungen und machen ein Umdenken in internationalen oder supranationalen Organisationen nötig. Diese Prozesse brauchen unsere Hilfe und Unterstützung. Die Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung war eine Reaktion auf die historischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa Ende der 80er-Jahre und eine sehr gute Initiative des damaligen französischen Präsidenten Mitterrand. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Mauerfalls wurde Deutschland Gründungsmitglied der 1991 in London errichteten multilateralen europäischen Bank. Sie hat insgesamt 63 nationale und supranationale Anteilseigner. Mit einem Kapitalanteil von 8,5 Prozent ist Deutschland einer der größten EBWE-Mitglieder. Die Bank fördert mit ihren Projekten die demokratische Entwicklung und die Marktwirtschaft in 30 Einsatzländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Kaukasusregion, Zentralasien, Russland und der Türkei. Im Detail finanziert die EBWE ausgewählte Investitionsprojekte sowohl im privaten wie im öffentlichen Sektor, die ökonomisch tragfähig sein müssen, um die wirtschaftliche Entwicklung der jeweiligen Länder voranzubringen. Dies geschieht in erster Linie durch Darlehen, Garantien und Kapitalbeteiligungen. Dabei finanziert und investiert die EBWE nur gemeinsam mit anderen Investoren und Finanziers, sodass wir über ein stattliches Gesamtvolumen von 179 Milliarden Euro sprechen können. Der Wert der EBWE-Projekte mit Beteiligung deutscher Unternehmen belief sich im Januar 2011 auf 16,8 Milliarden Euro. Die meisten Projekte mit deutscher Beteiligung erfolgten in Russland, Polen und Ungarn. Die EBWE stellt Projektfinanzierungen für Banken, Indus-trieunternehmen und Firmen bereit. Dies betrifft sowohl Neugründungen als auch Investitionen in laufende Unternehmen. Die Projekte werden den Bedürfnissen der Kunden und der besonderen Lage des Landes, der Region oder des Sektors angepasst. Die Direktinvestitionen der EBWE liegen in der Regel zwischen 5 und 230 Millionen Euro. Inzwischen hat die EBWE 2 500 Projekte initiiert. Um dies einmal anschaulich zu machen, will ich exem-plarisch drei größere Projekte der letzten Zeit nennen: Im Januar dieses Jahres wurde die Ada-Brücke in Belgrad eröffnet, die die bisher relativ isolierten Teile der serbischen Hauptstadt verbindet. Die neue Brücke dient nicht nur der Verbindung oder als touristische Attraktion, sondern verbessert als Verkehrsweg auch den nationalen und internationalen Handel über den Fluss Sava. Die Ada-Brücke wurde mit 130 Millionen Euro Kredit der EBWE mitfinanziert. Um kleine und mittelständische Unternehmen in Armenien hin zu einer nachhaltigen Produktion zu fördern, hat die EBWE nicht nur mit Finanzierungsmitteln, sondern auch bei der Verbesserung der Transparenz und Corporate Governance geholfen. Dem Unternehmen -Saranist, einem der führenden Glas- und Flaschenhersteller in Armenien, wurden Umwelt- und soziale Auswirkungsanalysen finanziert, damit Arbeits- und Umweltstandards etabliert werden konnten. Dies wurde mit einem Darlehen in Höhe von knapp 6 Millionen Euro finanziert. In Rumänien strebt die Regierung eine 20-prozentige Energieeinsparung bis zum Jahr 2020 an. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die EBWE Energieeinsparprogramme im öffentlichen Sektor in Rumänien unterstützt. Im Juli 2011 gewährte die EBWE einen Unternehmenskredit in Höhe von 10 Millionen Euro dem landesweit größten Elektrotechnikunternehmen für neue Netzverbindungen. Mit dieser zehnjährigen Anleihe wird die Energieeffizienz nachhaltig verbessert. Diese Beispiele belegen sehr gut die Vielfältigkeit der Projekte. Aber sie belegen auch, dass wir nicht in jedes Projektdetail der EBWE eintauchen können, weil wir sonst damit parlamentarische Kontrollrechte überstrapazieren würden. Hierzu haben wir uns gestern im Finanzausschuss bereits ausgetauscht. Aufgrund der genannten neuen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in den Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraums besteht zwischen den 63 Anteilseignern der Bank nunmehr Einvernehmen darüber, das Mandat der Bank auszuweiten. Vorgesehen ist eine Ausweitung der Finanzierungstätigkeit der Bank auf Ägypten, Algerien, Jordanien, den Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tunesien sowie die palästinensischen Gebiete. Dies ist richtig und findet unsere volle Unterstützung. Die Menschen erwarten als Ergebnis ihrer revolutionären Aktionen möglichst bald eine deutliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. Dies ist nachvollziehbar, doch solche Entwicklungen brauchen Zeit und Unterstützung. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung kann zukünftig eine solche Unterstützung leisten. Die Finanzierung soll über Sonderfonds erfolgen. Wir begrüßen und unterstützen diesen Prozess und wünschen diesen Ländern eine gute Zukunft. Holger Krestel (FDP): Die ursprünglich zur Förderung demokratischer und marktwirtschaftlicher Strukturen in den ehemaligen GUS-Staaten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gegründete Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, EBWE, hat ihr Tätigkeitsfeld inzwischen signifikant erweitert. Die Anteilseigner, unter denen sich auch die Bundesrepublik Deutschland befindet, haben sich im September letzten Jahres einstimmig darauf geeinigt, ihre Finanzierungstätigkeiten auf den südlichen und östlichen Mittelmeerraum auszuweiten, um den Ländern, welche im Rahmen des sogenannten arabischen Frühlings große Fortschritte in der Demokratisierung erreicht haben, oder erreichen können, in diesem Prozess behilflich zu sein. Als Änderung eines völkerrechtlichen Vertrags bedarf dieser Beschluss nunmehr der Ratifikation durch dieses Haus. Nun ist es legitim, einzuwenden, warum eine europäische Förderbank Projekte in Nordafrika unterstützen sollte. Dies genau geschieht im europäischen Interesse, und die Förderung demokratischer und markwirtschaftlicher Entwicklungen ist als Ziel in den Statuten der EBWE fest verankert. Durch die geografische Nähe der neuen Mandatsgebiete bleibt der europäische Charakter der Bank bewahrt. Eine gezielte Auswahl von Projekten ermöglicht es der Bank, dort umweltverträgliche, energieeffiziente und nachhaltige Technologien zu etablieren. Volkswirtschaften mit solchen Zielen unterstützt die EBWE in besonderer Weise. Das liegt nicht nur im Interesse der Europäischen Union, sondern der ganzen Weltgemeinschaft. Dies sind nicht die ersten Tätigkeiten der EBWE außerhalb der europäischen Union. Es befinden sich bereits zahlreiche Projekte in der Türkei, Kasachstan oder Aserbaidschan zur Förderung des Transformationsprozesses hin zu demokratischen und marktwirtschaftlichen Strukturen in der Durchführung. Wichtig hierbei ist, dass mit undemokratischen Regierungen wie in Weißrussland oder Usbekistan keine Zusammenarbeit stattfindet. Stattdessen werden privatwirtschaftliche Anstrengungen unterstützt, welche direkt den Menschen im Lande zugutekommen. Hierbei handelt es sich jedoch ausdrücklich nicht um Almosen. Basis bleibt die Vergabe von Krediten an private Initiativen und Unternehmen, welche neben einem Mehrwert für die Gemeinschaft auch Gewinne erzielen und stets eine Rückzahlung der Kredite anstreben. Diese Hilfe zur Selbsthilfe ist die effektivste Art für selbstbestimmten Fortschritt ohne langfristige Abhängigkeit vom Geldgeber. Dass von einer Entwicklung, die allen Seiten hilft, auch deutsche Unternehmen profitieren können, ist eine Selbstverständlichkeit. Freilich darf man nicht der Illusion erliegen, dass dieser Prozess ein Selbstläufer wäre. Es gilt zahlreiche Schwierigkeiten zu bewältigen. Aber gerade weil die EBWE mit ihrer Betreuung der Transformationsprozesse von den ursprünglich staatlich gelenkten Volkswirtschaften in Osteuropa und Zentralasien umfassendes Knowhow angesammelt hat, ist sie für ihre neuen Aufgaben besonders prädestiniert und auf viele Komplikationen bereits vorbereitet. So herrschen vor Ort ganz andere Bedingungen, was Infrastruktur, Kultur und Organisationsgrad angeht, als es in den entwickelten Volkswirtschaften Europas der Fall ist. Diese Unterschiede müssen bereits im Voraus antizipiert werden. Dies gilt auch so für die unabdingbare -Koordination mit anderen Förderbanken und Entwicklungshilfeorganisationen, um Überschneidungen zu verhindern. Wichtig an diesem Gesetz ist vor allem, dass es schnell Handlungsfreiheit schafft. Durch die Änderung des Art. 18 des Übereinkommens wird es möglich, bereits mit Zustimmung von 75 Prozent der Anteilseigner und 80 Prozent des Kapitals Sonderfonds zu schaffen, bis die restlichen Mitglieder ebenfalls ihre Ratifizierung abgeschlossen haben. Allerdings ist damit nicht vor dem Jahr 2013 zu rechnen. Damit schnell vor Ort gehandelt werden kann, bitte ich Sie daher, diesem Entwurf zuzustimmen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Es steht außer Frage, dass die Menschen in den im Gesetz genannten Regionen zusätzlicher Hilfe für eine weitere Entwicklung und einen Wiederaufbau bedürfen. Gerade die Aufstände -gegen die Despoten des südlichen und östlichen Mittelmeerraums wurden getragen von der Generation der -unter 30-Jährigen, die in den damals herrschenden Verhältnissen keine Perspektive mehr hatte. Es wird höchste Zeit, allen Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Staaten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dazu gehören ohne Zweifel die Wahrung der Menschenrechte und eine pluralistische Mehrparteiendemokratie. Doch ohne die Sicherstellung der Grundbedürfnisse der Menschen – ausreichende Versorgung mit Nahrung, sauberem Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Bildung ? wird jede weitere Entwicklung in diese Richtung weiter erschwert oder verhindert. Gerade an dieser Stelle sehen wir in dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetz ein großes Pro-blem. Denn die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hat mit ihren Projekten in Osteuropa einen nur sehr überschaubaren Erfolg erzielen können. Die Konzentration auf die Entwicklung der osteuropäischen Staaten zu offenen Marktwirtschaften hat häufig zu krassen Fehlentwicklungen geführt. Bei der Ausbeutung fossiler Rohstoffquellen für den Export in Industriestaaten ist es zu massiven Umweltzerstörungen gekommen. Das Binden der Förderung öffentlicher Projekte an Bedingungen wie der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen hat lediglich zu einer stärkeren Umverteilung zugunsten der neuen Eigentümer geführt. Eine Verbesserung der Qualität und des Zugangs zu diesen ehemals öffentlichen Dienstleistungen ist nicht messbar. Das Dogma, Märkte seien grundsätzlich besser als staatliches Handeln, ist keine Basis für eine Politik, die auf Wiederaufbau und Entwicklung von Staaten abzielt. Nur durch eine starke Fokussierung auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen der zu fördernden Projekte kann eine nachhaltige Entwicklungspolitik Erfolg haben. Zudem ist bisher viel zu gering gewürdigt worden, dass wir es bei der betroffenen Gruppe von Staaten nur bedingt mit Demokratien zu tun haben. Selbst in den Staaten, deren Diktatoren durch Aufstände entmachtet wurden, sind die dahinterstehenden autoritären Regime noch nicht vollständig beseitigt. Die zukünftige Entwicklung dieser Staaten ist derzeit noch nicht absehbar. In Staaten wie Marokko oder Algerien kann von Demokratie gar keine Rede sein. Den Einfluss der dortigen Machthaber durch die Aktivitäten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zu stärken, ist unverantwortlich, insbesondere weil in einigen dieser Staaten derzeit noch militärische Konflikte existieren, im Gegensatz zur Situation der osteuropäischen Staaten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Das Instrumentarium der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ist für derartige Situationen ungeeignet. Aus diesen Gründen werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, weil eine Erweiterung der geografischen Geschäftstätigkeit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ohne eine grundsätz-liche Reform ihrer Ziele und Instrumente in der jetzigen Situation nur kontraproduktive Effekte haben wird. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Bündnisgrünen begrüßen den Aufbruch in vielen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, wie wir sie seit dem Frühjahr 2011 beobachten. Die Demokratisierungswelle war und ist von großen Hoffnungen begleitet. Ihr Erfolg wird auch davon abhängen, welche wirtschaftlichen Perspektiven es für die Menschen in den jeweiligen Ländern gibt. Politischen Initiativen wie der vorliegenden, die diesen Reformprozess ökonomisch -begleiten und stützen möchten, stehen wir daher im Grundsatz aufgeschlossen gegenüber. Für mich als Finanzpolitiker, der sich intensiv mit -Finanzmärkten und Banken, aber weniger stark mit -Außenpolitik beschäftigt, wirft der vorliegende Gesetzentwurf allerdings einige Fragen bezüglich des Wie dieser Unterstützung auf, die in unseren Beratungen im Ausschuss in der Kürze der Zeit nicht umfassend geklärt werden konnten. Eine dieser Fragen lautet: Wer tut eigentlich was? Sie stellt sich, weil es mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Europäischen Investi--tionsbank und der Entwicklungsbank des Europarates gleich drei Entwicklungsbanken mit Bezug zu Europa bzw. seinen Nachbarn gibt. Zugegeben: Im Detail haben diese drei Banken unterschiedliche Mandate, Einsatz--gebiete und Anteilseigner. Es gibt aber unzweifelhaft auch viele Überschneidungen. Das zeigt sich auch beim vorliegenden Gesetzesvorhaben, das ja im Kern das künftige Einsatzgebiet der EBRD auf Länder des sogenannten arabischen Frühlings ausweiten will. So ist die Europäische Investitionsbank bereits seit zehn Jahren mit dem Programm FEMIP in Ländern des östlichen und südlichen Mittelmeerraumes unterwegs – also genau dort, wo künftig mittels des vorliegenden Gesetzentwurfs die EBRD tätig werden soll. Auch bei den bereits von der EIB dort genutzten Förderinstrumenten – Darlehen, Beteiligungskapital und Technische Hilfe – und den Förderzielen sowie den Begünstigten – Unterstützung des Privatsektors durch Kredite – bestehen große Schnittmengen zu dem, was die EBRD in dieser Region vorhat. Warum also nicht vorhandene Förderkapazitäten in der Region genutzt, sondern neue aufgebaut und somit Doppelstrukturen produziert werden, erschließt sich mir hier nicht. Ich kann auch derzeit nicht recht nachvollziehen, warum die Wahl auf die EBRD, nicht aber auf die Weltbank gefallen ist: Nach welchen Kriterien werden hier eigentlich Entscheidungen getroffen? Und stehen wirklich – wie es nach meinem Dafürhalten sein muss – die Bedürfnisse der Menschen und die Beseitigung von Entwicklungshemmnissen vor Ort im Zentrum der Entscheidung, welche Bank aktiv wird? Spielen Erfolgskontrollen und Konzepte bei der Auswahl der richtigen -Förderbank eine Rolle? Vor diesem Hintergrund erscheint es mir jedenfalls richtig und wichtig, dass sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages einmal grundsätzlich mit der Frage beschäftigt, ob die heutige Abgrenzung und -Arbeitsteilung der drei europäischen Förderbanken noch überzeugt oder ob nicht eigentlich vieles dafür spricht, hier mittelfristig Strukturen zusammenzulegen und die so eingesparten Mittel für Förderzwecke einzusetzen. Auch unter dem Blickwinkel einer kohärenten, aufeinander abgestimmten Förderpolitik scheinen mir derlei -Fusionsgedanken zumindest diskussionswürdig. Bei dieser Gelegenheit sollten wir auch Überschneidungen mit anderen multilateralen Entwicklungsbanken wie der Weltbank in den Blick nehmen. Im Gespräch der Berichterstatter des Finanzausschusses haben wir eine solche Grundsatzdebatte über die -Förderstrukturen auf Europaebene ja auch bereits verabredet. Wichtig wäre mir, dass wir in eine solche Diskussion auch Vertreter der Zivilgesellschaft einbeziehen. Denn Nichtregierungsorganisationen wie Bankwatch oder urgewald haben in Verbindung mit diesem Gesetzesvorhaben durchaus – wie ich finde – substanzielle Kritik vorgetragen. So messe die EBRD ihre Entwicklungserfolge nur unzureichend, setze in ihren Projekten zu stark und einseitig auf den Export von -Rohstoffen, habe zu gravierenden Umweltbelastungen beigetragen und vielerorts ungleiche Einkommensverteilungen eher verstärkt als geglättet. Auch bestehe mit Blick auf die jüngere Förderpraxis der Bank die Gefahr, dass die Mittel der EBRD eher bestimmte Machtstrukturen in der neuen Zielregion stützten, als dort den demokratischen Wandel zu befördern. Der Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteure scheint mir vor dem Hintergrund dieser Kritiken sehr wichtig, um ein ausgewogenes Bild der Lage zu erhalten. Eine weitere Frage, die sich mir stellt, betrifft das beabsichtigte Fördervolumen: Bisher wissen wir nicht, über welchen finanziellen Einsatz wir hier eigentlich sprechen – für mich eine unbefriedigende Entscheidungsgrundlage. Auch habe ich bisher nicht im Detail nachvollziehen können, worin die konkreten Vorteile und Hintergründe für den recht häufigen Einsatz von derzeit 24, bald 25 Sonderfonds im Portfolio der EBRD bestehen. Vor dem Hintergrund dieser Vielzahl an noch offenen Fragen wird sich meine Fraktion enthalten. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und -Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und -bedarfsgerecht erbringen (Tagesordnungs-punkt 16) Heike Brehmer (CDU/CSU): Mitmachen möglich machen, dieses Motto setzt das Bildungs- und Teilhabepakt seit nunmehr einem Jahr in die Tat um. Seit einem Jahr bietet es Kindern und Jugendlichen aus Geringverdienerfamilien eine Chance, an gesellschaftlichen Aktivitäten und Bildungsangeboten in ihrem Umfeld teilzunehmen. Rückwirkend zum 1. Januar 2011 konnten Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien im Bereich Sport, Musik oder Kultur dabei sein. Sie können an Schulausflügen und am gemeinsamen Mittagessen in der Schule, im Hort oder in der Kita teilnehmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, -einen Gesetzentwurf vorzulegen, der – nach ihren Worten – „eine echte soziokulturelle Existenzsicherung von allen Kindern und Jugendlichen ermöglicht“. Gern verweise ich Sie auf die Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/8732). Haben Sie diese schon gelesen? Darin heißt es – und das bringt es auf den Punkt –, das Bildungs- und Teilhabepaket „dient der Deckung der Bildungs- und Teilhabebedarfe von Kindern und Jugendlichen und sichert somit deren spezifisches soziokulturelles Existenzminimum“. Meine Damen und Herren von den Grünen, ich habe es Ihnen bereits in meiner Rede zum Bildungspaket im Dezember letzten Jahres gesagt. Aber ich rufe es Ihnen gern noch einmal in Erinnerung: Anders als ihre Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben Sie sich aus der Verantwortung gestohlen, als es im Frühjahr 2011 darum ging, wie das Bildungspaket bzw. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden kann. Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket haben erstmals seit Ein-führung der Hartz-IV-Gesetze bedürftige Kinder und -Jugendliche die Chance, an Bildung und Freizeitangeboten teilzunehmen. Ich berichte Ihnen gern von den Erfahrungen aus meinem Heimatbundesland Sachsen-Anhalt und aus meinem Wahlkreis Harz. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete am 12. März 2012, Zitat: „Das vor einem Jahr ins Leben gerufene Bildungs- und Teilhabepaket für bedürftige Kinder wird in Sachsen-Anhalt gut angenommen.“ Laut einer Umfrage seien landesweit für 110 550 anspruchsberechtigte Kinder und Jugendliche bis Ende 2011 fast 135 300 Anträge gestellt worden, heißt es weiter. Pro Kind können mehrere Anträge eingereicht werden. Der Landkreis Harz nimmt im Landesvergleich -sogar einen Spitzenplatz ein, wenn es um die Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets geht. Im Jahr 2011 wurden im Harzkreis 9 766 Anträge gestellt und davon 95,5 Prozent bewilligt. Die Nachfrage nach der Unterstützung bei Vereinsmitgliedschaften ist groß und nimmt nach dem Bereich der Mittagsversorgung den zweiten Platz ein. Gemeinsam mit dem Parlamentarischen Staatssekretär, Herrn Dr. Ralf Brauksiepe, war ich in meinem Wahlkreis unterwegs, und wir haben uns über die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets informiert. Die kommunale Beschäftigungsagentur, KoBa, setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit den regionalen Akteuren wie dem Kreis-, Kinder- und Jugendring und dem Kreissportbund. Ich habe mir vor Ort viele gute Beispiele für ein ideenreiches Miteinander ansehen können und habe mich über deren Umsetzung informiert. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die Akteure vor Ort sind sich Ihrer Verantwortung durchaus bewusst. Dabei sind Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zwei entscheidende Stichworte. Die -Bundesregierung hat hierzu eine umfassende Informa-tionskampagne gestartet, die sich an eine breite Öffentlichkeit richtet. Neben allgemeinen Informationen sollen insbesondere zwei Zielgruppen angesprochen werden. Das sind zum einen die leistungsberechtigten Familien selbst. Zum anderen sind das die sogenannten Multiplikatoren, das heißt diejenigen Menschen, die im nahen Umfeld der Familie beschäftigt sind, wie zum Beispiel Engagierte in Schulen, Kindertageseinrichtungen, Verbänden, Vereinen etc. Die Ergebnisse der von unserer Ministerin Frau -Dr.  von der Leyen ins Leben gerufenen Runden Tische, -zuletzt im November 2011, haben eine positive Tendenz bei der Nutzung des Bildungs- und Teilhabepakets aufgezeigt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen die Umsetzung des Teilhabepakets beraten. An dieser Umsetzung sind viele Akteure beteiligt. Das Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales, die Kreise und die kreisfreien Städte sowie die Jobcenter und ihre Partner vor Ort sorgen alle dafür, dass das Bildungspaket bei den Kindern ankommt. Denn da soll es auch hin. Ich habe es eingangs bereits erwähnt: Das Bildungspaket folgt der großen Leitidee „Mitmachen möglich machen“. Ich denke, darauf haben die Kinder ein -Anrecht. Die CDU/CSU will das Mitmachen möglich machen. Und es lohnt sich, dass wir alle gemeinsam -unsere Kraft und unsere Politik für die Kinder und ihre Lebensperspektiven einsetzen. Die CDU/CSU wird -daher dem Antrag der Grünen nicht zustimmen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir kümmern uns darum, dass Kinder nicht ausgeschlossen werden, und haben deshalb im Januar des letzten Jahres das Bildungs- und Teilhabepaket auf den Weg gebracht. Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, haben nämlich bei Einführung der Hartz-IV-Regelungen gerade die Menschen vergessen, die die Zukunft unseres Landes gestalten werden. Wir haben nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 umgesetzt und müssen uns nun bewusst machen, dass die neu eingeführte Regelung eben Zeit braucht, um sich zu etablieren. Hätten Sie die Teilhabe von Kindern gleich inte-griert, könnten wir bereits jetzt die Erfolge in einem zufriedenstellenden Maße beobachten. Die Kritik am Bildungs- und Teilhabepaket, die Sie in Ihrem Antrag vorbringen, spiegelt in keiner Weise die Realität wider. Sie missdeuten die unumgänglichen Anlaufschwierigkeiten als Mängel in der Ausgestaltung der einzelnen Leistungen. Wir sehen, dass für alle Kinder in unserem Land ein Umfeld geschaffen werden muss, das es jedem einzelnen erlaubt, seine Talente zu entdecken und sein Potenzial zu entfalten. Der richtige Ansatz ist, dass jedes Kind aus dem Paket genau die Einzelförderung erhält, die es braucht. Wir setzten auf maßgeschneiderte Förderungen unserer Kinder – wir wollen, dass jedes einzelne seine eigenen, ganz individuellen Talente entfalten kann. Wir setzen – auch in Anbetracht des drohenden Fachkräftemangels – auf die Potenziale, die in unserem Land liegen – und dazu gehört ganz entscheidend die Bildung und Teilhabe unserer Kinder. Wir haben uns daher aus gutem Grunde für das Sachleistungsprinzip entschlossen. Da Sie dieses leider noch immer nicht verstanden haben, werde ich es noch mal erklären. Durch das Sachleistungsprinzip stellen wir sicher, dass die Leistungen bei den Kindern ankommen. Zudem ist eine maßgeschneiderte Förderung möglich. Wir verteilen nicht nach dem Gießkannenprinzip Gelder. Das lässt weder unser zu konsolidierender Staatshaushalt zu, noch ist dies in irgendeiner Weise zielführend. Wir wollen, dass jedes Kind, das eine Lernschwäche hat, gefördert wird. Des Weiteren möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die christlich-liberale Koalition nichts von einer Bevormundung der Eltern hält. Eltern sind verantwortlich, dafür zu sorgen, dass ihr Kind seine Potenziale ausschöpft. Wir schaffen in diesem Hohen Hause die Möglichkeiten, kommunizieren diese durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, etliche Kampagnen und über zahlreiche Einrichtungen, und wir unterstützen die Kommunen, die mit der Umsetzung beauftragt sind, darin, bürokratische Hürden abzubauen. Mit der oben genannten Einschränkung, dass es selbstverständlich Zeit braucht, bis das neue Paket die nötige Aufmerksamkeit erhält, vertrauen wir darauf, dass Eltern imstande sind, Leistungen für ihr Kind zu beantragen. Wir erkennen die wichtige und auch verantwortungsvolle Position der Eltern an. Und diese fördern wir auch in anderen Bundesprogrammen. So hat beispielsweise das BMFSFJ im Fe-bruar dieses Jahres das Bundesprogramm „Elternchance ist Kinderchance“ zur Weiterqualifizierung zur Elternbegleitung ins Leben gerufen – dieses wird bereits erfolgreich angenommen. Die ersten 500 Elternbegleiter erhielten bereits Ende Februar ihr Zertifikat, das sie durch einen dreiwöchigen Kurs, in dem pädagogische und beraterische Kompetenzen vermittelt werden, erworben haben. Es ist wichtig, lange vor dem ersten Schultag Eltern frühzeitig für die Bildungsförderung ihrer Kinder zu interessieren und sie kompetent zu beraten. Elternbegleiter stehen deshalb an vielen Orten der Familienbildung als kompetente Vertrauenspersonen an ihrer Seite. Faire Chancen für Kinder sind eng mit der frühen Förderung und Verantwortung durch die Eltern verknüpft, und da-rauf bauen wir. Wir stellen darüber hinaus fest, dass sehr viele Kommunen das Programm auch sehr gut umsetzen. So hat beispielsweise das Jobcenter Würzburg Land in meinem Wahlkreis eine sehr übersichtliche Broschüre herausgegeben, die den Eltern zeigt, welche Förderungen möglich sind und wo diese beantragt werden können. Wir geben den Kommunen Hilfestellungen bei der Umsetzung. Es ist jedoch nicht möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wie Sie in Ihrem Antrag fordern, in kommunale Strukturen einzugreifen. Nichtsdestotrotz haben wir selbstverständlich erkannt, dass das Bildungs- und Teilhabepaket noch mehr Kindern zugutekommen muss. Die Antragsquote von 45 Prozent, die die kommunalen Spitzenverbände im November 2011 veröffentlichten, ist nicht ausreichend. Am kommenden Freitag steht ein weiterer Erhebungsbericht zum Stand 1. März 2012 an, den wir abwarten und entsprechend bewerten müssen. Darüber hinaus müssen die Länder gemäß § 46 Abs. 8 Satz 4 SGB II an das BMAS die Gesamtausgaben für Bildungs- und Teilhabeleistungen der Kommunen nach SGB II und BKGG, Bundeskindergeldgesetz, melden. Auch diese Zahlen müssen abgewartet und entsprechend bewertet werden. Wir haben Interesse daran, dort nachzujustieren, wo Änderungen nötig und zielführend sind. Deshalb hat das BMAS auch eine Studie beim Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Mai dieses Jahres bekannt gegeben werden. Des Weiteren ist Ihnen sicherlich auch bekannt, dass es den Runden Tisch zum Bildungspaket mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden gibt, der in regelmäßigen Abständen tagt, das Programm begleitet und bewertet und damit schnell auf Beschwerden und Anlaufschwierigkeiten eingehen kann. Ihr Antrag jedoch verfehlt dieses Ziel und ist deshalb abzulehnen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir sprechen heute über den Grünen-Antrag zum Bildungs- und Teilhabepaket. Und wir wollen heute darüber abstimmen. Wir werden dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben das Bildungspaket im letzten Jahr gemeinsam mit der CDU/CSU auf den Weg gebracht. Es soll arme und einkommensschwache Familien unterstützen, damit ihre Kinder bessere Bildungschancen erhalten. Bisher ist es in Deutschland leider so, dass vor allem der Geldbeutel entscheidet, was aus unseren Kindern einmal wird. Das ist ungerecht. Deshalb haben wir uns für das Bildungs- und Teilhabepaket im Bundestag starkgemacht. Es geht schließlich um 2,5 Millionen Kinder und deren Eltern. Die Grünen beklagen in ihrem Antrag, dass das Bildungs- und Teilhabepaket viel zu bürokratisch ist, und damit haben sie recht. Folgende Geschichte zum Bildungspaket war Mitte letzten Jahres in der Zeitung zu lesen: Eine Mutter wollte Leistungen für ihren Sohn beantragen. Er brauchte dringend Nachhilfe, damit er den Schulabschluss schaffen konnte. Sie meldete ihren Sohn sofort zur Nachhilfe an, um keine Zeit zu verlieren. Sie streckte das Geld von dem wenigen, was sie hat, vor und stellte dann den Antrag beim Jobcenter. Und nun begann eine wahre Odyssee. Sie musste mehrfach zum Jobcenter und zur Schule fahren. Denn entweder war ihr Antrag noch nicht bearbeitet, oder es wurden weitere Unterlagen angefordert, Unterlagen, die es zum Teil gar nicht gab. Es war sehr aufwendig und anstrengend, bis sie das Geld für die Nachhilfe endlich erhielt. Und das gelang auch nur, weil sich ein Bundestagskollege eingeschaltet hatte. So kann es nicht gehen. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn viele Eltern vorher aufgeben und auf das Geld für ihre Kinder verzichten. Man schätzt, dass nur etwa 45 Prozent der Kinder tatsächlich Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket erhalten. Das bedeutet: 55 Prozent – also jedes zweite bedürftige Kind – gehen leer aus. Sie sehen, wir sind noch sehr weit von Bildungs- und Chancengerechtigkeit entfernt. Wie viele Kinder es ganz genau sind, weiß niemand. Die Bundesregierung konnte dazu in der Antwort auf unsere Anfrage keine Angaben machen. Das ist ein Armutszeugnis. Wie miserabel die Informationspolitik aus dem Haus von Ministerin von der Leyen ist, zeigt auch folgendes Beispiel: Es gibt vom Ministerium ein Infotelefon, über das man sich über die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets informieren kann. Das ist eigentlich eine gute Idee. Leider handelt es sich dabei um eine kostenpflichtige Servicenummer. Eine Minute kostet zwischen 14 und 42 Cent – das können sich viele arme Familien nicht leisten. Ja, in vielen Punkten ähnelt das Bildungs- und Teilhabepaket einem bürokratischen Monster. Vieles ist nicht zufriedenstellend gelöst und muss nachgebessert werden. Aber es ist ein Anfang hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit gemacht worden. Und das hat die SPD im letzten Jahr trotz ihrer Minderheit hier im Bundestag durchgesetzt. Wir haben uns über die Bundesländer eingemischt, die beim Bildungspaket ein Wort mitzusprechen hatten. Wir, die SPD, haben seit unserem Wahlerfolg in Nordrhein-Westfahlen im Mai 2010 zum Glück die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit gebrochen und konnten deshalb auf die Verhandlungen Einfluss nehmen. Es ist schade, dass sich die Grünen vorzeitig aus diesen wichtigen Verhandlungen zurückgezogen hatten. Jetzt, nachdem das Verfahren abgeschlossen ist und seit einem Jahr ein Gesetz auf dem Tisch liegt, schlagen Sie vor, wie man alles besser machen könnte. Schade, dass Sie dies so spät tun. Denn nun gibt es für Ihre Vorschläge keine Möglichkeit mehr sie durchzusetzen. Ihr Antrag wird von Schwarz-Gelb heute abgelehnt werden. Wir möchten, dass möglichst alle Kinder aus armen und einkommensschwachen Familien die Leistungen, die sie brauchen, auch bekommen. Wie erreichen wir das? Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, machen einige Vorschläge. Sie fordern, dass Bund und Länder bei der Bildung wieder zusammenarbeiten dürfen. Das wollen wir auch. Also: Weg mit dem Kooperationsverbot! Nur gemeinsam wird es gelingen, Ganztagsschulen in Deutschland auszubauen und die Schulen besser auszustatten – Bund und Land Hand in Hand. Am einfachsten wäre es, die Schulen könnten Leistungen aus dem Bildungspaket selbst anbieten. Nachhilfe, Sport- und Freizeitangebote gehören an die Schulen. Und auch für das Mittagessen an Schulen und Kitas müssen einfachere Lösungen gefunden werden. Dafür brauchen Schulen und Kitas das nötige Geld. Und das muss vom Bund und von den Ländern gemeinsam kommen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben durchgesetzt, dass nicht nur Kinder aus Hartz-IV-Familien an Klassenfahrten, Nachhilfe und Schulessen teilnehmen können und Lernmaterial erhalten. Auch einkommensschwache Familien können das Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch nehmen. Das betrifft rund 500 000 Kinder zusätzlich. Leider klafft trotzdem noch eine Lücke. Wir haben es bis heute nicht geschafft, dass auch die ärmsten Kinder in Deutschland diese wichtigen Leistungen beanspruchen können. Ich spreche von 40 000 Flüchtlingskindern. Sie sind auf die Großzügigkeit der Städte und Gemeinden angewiesen, in denen sie bei uns leben. Einen Rechtsanspruch haben sie nicht. Wir wollten diese Gerechtigkeitslücke schließen und hatten deshalb unsere Forderungen in einem Antrag aufgeschrieben. Leider wurden sie von CDU/CSU und FDP mit deren Mehrheit abgelehnt. Es hat sehr weh getan, in der Minderheit zu sein und den Kindern nicht helfen zu können. Gerade sie brauchen unsere Unterstützung. Sie sind mit ihren Eltern aus ihrer Heimat und gewohnten Umgebung in ein für sie fremdes Land geflüchtet. Es wird erwartet, dass sie sich unseren Lebensgewohnheiten anpassen und unsere Sprache sprechen. Es wird aber versäumt, die Grundlagen dafür zu schaffen. Das ist ein schwerer Fehler, den die schwarz-gelbe Bundesregierung und Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, zu verantworten haben! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, das Bildungspaket ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Es sind aber noch Verbesserungen nötig. Da stimmen wir mit Ihnen überein. Wir wollen, dass die Leistungen bei den Kindern ankommen, und wir wollen bessere Wege, wie dies ohne viel Bürokratie umgesetzt werden kann. Dies muss gemeinsam mit den Bundesländern und mit den Städten und Gemeinden passieren. Diese lassen Sie in Ihrem Antrag jedoch außen vor. Somit fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept. Das brauchen wir aber, und deshalb werden wir uns enthalten. Ganz wichtig ist: Das Bildungspaket muss schnellstens ausgewertet werden. Wie viele Kinder nehmen es in Anspruch? Welche Leistungen werden abgefragt? Das zu wissen, ist notwendig, um bei Fehlentwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können. Es geht um gerechte Chancen für Kinder. Und wie verhält sich die Bundeskanzlerin in dieser Angelegenheit? Sie hat angekündigt, das Bildungspaket frühestens in zwei Jahres auf den Prüfstand zu stellen. Das ist eindeutig zu spät. So lange dürfen unseren Kindern Bildungschancen nicht vorenthalten werden. Aber das passiert, solange nur jedes zweite Kind die Leistungen, die ihm zustehen, auch tatsächlich bekommt. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Mitte Dezember haben wir den Antrag der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen zum ersten Mal beraten. Zu diesem Zeitpunkt existierten die gesetzlichen -Regelungen zur Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und -Jugendliche gerade neun Monate, und es war gut, zum Jahresende schon einmal einen Blick zurückzuwerfen. Der Antrag, der sich eingehend mit der Einführung und der Umsetzung des Bildungs-pakets befasst, bot dazu Gelegenheit. Heute können wir nun auf ein Jahr zurückblicken, und wir müssen leider eine nüchterne Bilanz ziehen: Ein Jahr Bildungs- und Teilhabepaket heißt, ein Jahr ungenügende Aufklärung und Information über die neuen Leistungen für bedürftige Kinder und eine unbefriedigende Umsetzung in der Praxis. Ich habe mich diesbezüglich nicht nur bei den Landkreisen in meinem Wahlkreis erkundigt, sondern auch bei etlichen anderen. Eines ist dabei sehr deutlich geworden: Die Umsetzung des Bildungspakets erfolgt – ein Jahr nach seinem Start – immer noch äußerst schleppend, und das hat seine Ursachen. Bürokratische Hürden bei der Antragstellung schrecken viele Leistungsberechtigte ab. Sie verzichten also auf Leistungen, die sie beanspruchen könnten. Die Leidtragenden sind dabei die Kinder und Jugendlichen. Der Verwaltungsaufwand bei der Abwicklung steht in keinem Verhältnis zu den möglichen Leistungen. Er ist viel zu hoch. Die Leistungen hingegen sind zu gering. Das schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis ist alarmierend. Das dürfen die Sozialministerin und die sie tragenden Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP nicht ignorieren. Wenn ich an die von Ministerin von der Leyen gebetsmühlenartig vorgetragene Zielsetzung denke, sie wolle dafür sorgen, dass die Leistungen des Bildungspakets auch wirklich bei den Kindern ankommen, kann ich nur sagen: Ziel eindeutig verfehlt. Denn das ist leider die -bittere Wahrheit: Von den 2,5 Millionen Kindern und Jugendlichen, die einen Anspruch auf Leistungen haben, kommt aktuell nicht einmal jedes zweite Kind in deren Genuss. Das ist blamabel. Ein solches Ergebnis kann uns nach einem Jahr nicht zufriedenstellen. Zum Jahrestag der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets hat jetzt der DGB neue Zahlen veröffentlicht. Sie bestätigen leider unsere Befürchtungen. Nach den Berechnungen des DGB sind von den im SGB-II-Bereich eingeplanten 626 Millionen Euro gerade einmal rund 130 Millionen im Jahr 2011 ausgegeben worden. Das ist lediglich ein Fünftel. Auch wenn diese Zahlen noch unvollständig sind, weil weder die Ausgaben der Optionskommunen noch die Auszahlungen für Kinder, deren Eltern Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen, eingerechnet werden konnten, so sind sie doch ein eindeutiges Warnsignal, dass hier etwas falsch läuft. Vieles ist in den letzten Wochen schon dazu gesagt worden, dass die 10 Euro für die Teilhabe zum Beispiel am -Musikunterricht oder an Sportvereinsaktivitäten viel zu gering sind. In meiner Rede im Dezember hatte ich schon darauf hingewiesen, dass echte Teilhabe nur erreicht wird, wenn auch die Kosten für die notwendige Ausstattung der jeweiligen Angebote berücksichtigt werden. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Wen wundert es also, dass diese Leistungen des Pakets kaum in Anspruch genommen werden? Der Ausgabenanteil hierfür liegt bei nicht einmal 5 Prozent. Ich möchte auf eines ganz besonders hinweisen: Das Bildungspaket wird seinem Namen nicht gerecht, wenn ausgerechnet der Weg zur Nachhilfe bzw. Lernförderung derartig erschwert wird, wie es mit dem schulischen Nachweis der Versetzungsgefährdung der Fall ist. Hier tun sich die Schulen schwer, die Eltern ebenfalls. Denn ein solches Versagersiegel – wie es eine Zeitung zutreffend ausgedrückt hat – kann dem Kind lange anhängen. Häufig lässt sich außerdem zu dem Zeitpunkt, in dem die Nachhilfe sinnvollerweise einsetzen sollte, noch gar keine Versetzungsgefährdung bestimmen. Die Zurückhaltung der Lehrer erstaunt mich deshalb nicht. Ist die Versetzung tatsächlich in Gefahr und kann bescheinigt werden, ist es in der Regel für Nachhilfeunterricht schon zu spät. Dass der Anteil der Ausgaben für die Lernförderung beim Bildungspaket 2011 lediglich bei 2 Prozent liegt, empfinde ich als Skandal. Hier muss die Regierung dringend nachjustieren; sonst geht der Teil des Bildungs--pakets komplett ins Leere. Auch die inzwischen vorliegenden Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets haben gezeigt, dass Schwarz-Gelb über keine konkreten Erkenntnisse verfügt, ob und wie das Paket wirkt. Und was noch schlimmer ist: Es scheint die Bundesregierung auch gar nicht weiter zu kümmern. Nicht anders verstehe ich -ihren wiederholten Verweis auf die Länder und Kommunen bei den Antworten auf unsere 111 Fragen. Dabei finde ich die Ahnungslosigkeit der Bundesregierung wirklich erschreckend. Denn es geht doch um die Verwendung von Bundesmitteln – immerhin 1,3 Milliarden Euro. Wir fordern die Bundesregierung auf, schnellstmöglich für eine umfassende Evaluation des Bildungs- und Teilhabepakets zu sorgen. Es muss endlich eine Auswertung und Kontrolle darüber erfolgen, welche Leistungen in welchem Umfang abgerufen werden. Richtig ist, dass wir uns dafür eingesetzt haben, dass die Umsetzung des Pakets über die Städte und Kommunen erfolgt. Das war ein Ergebnis des Vermittlungsverfahrens, und dazu stehen wir auch noch heute. Deshalb enthalten wir uns auch zum vorliegenden Antrag. Aber – und das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt – das darf doch nicht zur Folge haben, dass man die Städte und Kommunen im Regen stehen lässt und sie nicht bei der Umsetzung begleitet. Meine Fraktion und ich haben erwartet, dass die Bundesregierung hier die Rahmenbedingungen schafft, um ein effizientes, unbürokratisches Verfahren sicherzustellen. Das ist das Mindeste, wenn die Bildungs- und Teilhabeleistungen zu 100 Prozent durch den Bund finanziert werden. Hier fehlt es aber an sachgerechten Vorgaben der Bundesregierung, und das Ergebnis sehen wir nun: Es gibt keine einheitliche Verwaltungspraxis. Trotz vieler Bemühungen in den Städten und Kommunen kommen die Leistungen bundesweit bei einem Großteil der bedürftigen Kinder nicht an. Ich lobe ausdrücklich, dass es vereinzelt zur Entbürokratisierung bereits Bestrebungen gegeben hat, durch Globalanträge das Antragsverfahren zu vereinfachen und damit eine schnellere Bearbeitung zu gewährleisten. Das sind erste richtige Schritte, damit das Paket angenommen wird. Aber diese Initiative ist nicht von der Sozialministerin gestartet worden, sondern von einigen Kreisen. An einer bundesweit einheitlichen Verbesserung fehlt es unverändert, und das ist es, was zu Recht die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und auch wir kritisieren. Hier muss die Bundesregierung endlich das Zepter in die Hand nehmen und sich nicht nur bei Runden -Tischen inspirieren lassen. Frau von der Leyen, Sie lassen die Kommunen im Stich. Das ist unverantwortlich. Wir werden das spätestens 2013 ändern. Pascal Kober (FDP): Am morgigen Freitag ist das Bildungs- und Teilhabepaket ein Jahr in Kraft. Aus diesem Anlass wird es am morgigen Freitag ein Treffen von Bundesarbeitsministerin von der Leyen mit den kommunalen Spitzenverbänden geben. Dabei werden auch die aktuellen Zahlen der Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepakets veröffentlicht. Ich kenne die genauen Zahlen noch nicht, aber ich bin mir sehr sicher, dass wir einen weiteren deutlichen Zuwachs bei der Inanspruchnahme werden verzeichnen können. Von Juni 2011 bis November 2011 war die Inanspruchnahme durchschnittlich schon von 26 auf 45 Prozent gestiegen. Wir können daran erkennen, dass die Tendenz in die richtige Richtung geht. Ich möchte noch einmal daran erinnern, wie wir zu der jetzigen Rechtslage gekommen sind. Bei der Einführung des Systems des Arbeitslosengeldes II unter der rot-grünen Regierung Schröder wurden die Regelsätze der Kinder von ALG-II-Bezugsberechtigten als pauschaler Abschlag der Regelsätze für Erwachsene bestimmt. -Daher fehlten in den Regelsätzen für Kinder und Jugendliche spezifische Posten wie zum Beispiel alle Leistungen zur Bildung und Teilhabe. Diese rot-grüne Gesetzgebung wurde vom Bundesverfassungsgericht am 9. Februar als verfassungswidrig beurteilt. Daraufhin hat die christlich-liberale Koalition unter Federführung von Frau Ministerin von der Leyen einen Vorschlag erarbeitet, wie die Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendlich erbracht werden sollen. Wir hatten uns, mit Zustimmung der Sozialverbände, darauf festgelegt, dass mit Ausnahme des Schulstarterpakets, womit es gute Erfahrungen gab, die übrigen Leistungen als Sachleistungen und nicht als Geldleistungen erbracht werden. Zudem hatte diese Koalition vor dem Vermittlungsverfahren beschlossen, dass die Leistungen für Bildung und Teilhabe einheitlich über die Jobcenter administriert werden sollen. Nachdem der Bundesrat unserem Gesetz nicht zugestimmt hatte, haben SPD und Grüne im Vermittlungsverfahren darauf gedrungen, dass diese Leistungen von den Kommunen erbracht werden sollen. Es hätte ihnen schon damals klar sein müssen, dass dies zu einer sehr unterschiedlichen Umsetzung des Bildungspakets vor Ort führt. Die Kommunen waren unterschiedlich gut auf diese neue Aufgabe vorbereitet, auch wenn die Kommunen sie selbst wollten. So kam es mancherorts zu Anlaufschwierigkeiten. Und auch heute wird das Bildungs- und Teilhabepaket von jeder einzelnen Kommune unterschiedlich administriert. Manchmal -machen es die Jobcenter alleine, manchmal die Jobcenter zusammen mit den Sozialämtern oder den Jugend-ämtern. Das war ihr Wunsch, dem wir im Vermittlungsverfahren nachgekommen sind. Sie müssen jetzt aber auch zu den Konsequenzen -stehen und dürfen nicht die Vaterschaft für diese Idee verweigern. Ich hatte sie Ihnen ja schon bei der ersten Lesung zitiert, möchte Ihnen aber die Passage gerne noch einmal in Erinnerung rufen. Sie stammt aus einem einstimmigen Beschluss des Parteirats von Bündnis 90/Die Grünen vom 21. Februar 2011: „Gleichwohl haben wir in den langen Verhandlungen bis zum gestrigen Abend wichtige Änderungen erreicht: Das Bildungs- und Teilhabepaket wird von den Kommunen organisiert und nicht von den Jobcentern, wie sich dies die Arbeitsministerin vorstellte. Hier haben wir überbordende -Bürokratie verhindert. … Und die Kommunen haben eine hohe Gestaltungsmöglichkeit bei der konkreten Umsetzung der Leistungen vor Ort.“ Hier bekennen Sie sich doch klar zur Vaterschaft. Sie haben das zu verantworten, was sie hier kritisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass Sie, wenn Sie hier das Bildungs- und Teilhabepaket schlechtmachen und stattdessen den Ausbau von Ganztagesbetreuung und Ganztagesschulen fordern, zu sagen, dass dies nicht der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts war. Sie benennen hier die falsche Alternative. Sie heißt nicht Bildungs--paket oder Ganztagesbetreuung. Die Alternative zum Bildungspaket wäre die pauschale Auszahlung des -Geldbetrags an die Eltern der Kinder und Jugendlichen. Nur so könnte man den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts in anderer Weise erfüllen. Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie sich aber auch dazu bekennen und dies sagen. Wir verschließen die Augen nicht vor den anfäng--lichen Schwierigkeiten des Bildungs- und Teilhabe--pakets und unterstützen die Länder und Kommunen durch Beratung und Moderation an unserem Runden Tisch, diese Schwierigkeiten abzustellen. Ich bin mir -sicher, dass das Bildungspaket mit zunehmender Zeit immer erfolgreicher wird, und in einigen Jahren werden die Grünen dann verkünden, dass sie es ja waren, die es genauso haben wollten. Diana Golze (DIE LINKE): Uneingeschränkter Zugang zu Bildung und gleichberechtigter Teilhabe an Bildungsangeboten, aber auch an kulturellem und gesellschaftlichem Leben sind grundlegende Rechte eines jeden Kindes. Sie gehören zu dem, was ein Kind für eine bestmögliche Entwicklung, ein bestmögliches Aufwachsen braucht. Das Bundesverfassungsgericht hat dies -eindeutig festgestellt und der Bundesregierung die Zuständigkeit für den Zugang zu Bildungsangeboten zugewiesen. Statt diesen Auftrag eins zu eins umzusetzen, schuf die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen den unerträglichen Mythos von den Eltern im Hartz-IV-Bezug, die ihr Geld für alles Mögliche und Unmögliche ausgeben – nur eben nicht für ihre Kinder. Der Satz „Das Geld muss auch bei den Kindern ankommen“ wurde zum Leitsatz für das, was wir heute als Bildungs- und Teilhabepaket kennen. Ein Jahr nach Einführung dieses Paketes kann man nur versuchen, eine Bilanz zu ziehen. Die Erhebung bundeseinheitlicher Daten ist nur schwer möglich, weil eine solche nicht im Bundesgesetz geregelt wurde. Und dies ist nur einer der vielen Mängel. Das Bildungs- und Teilhabepaket entpuppt sich vor allem als Bürokratiemonster, das sich durch viel zu hohe Verwaltungskosten und ein Zerfasern von Leistungsangeboten auszeichnet. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Nur bei rund der Hälfte der Anspruchsberechtigten kommt zumindest eine Leistung an aus dem sogenannten Paket. Grund für die geringe Antragsquote sind vor allem viel zu geringe Informationen über das Paket, die hohen bürokratischen Hürden und ein unübersichtliches Antragsverfahren, das zudem mit dem Lebensalltag der Familien wenig zu tun hat, vor allem aber weil es nicht dem entspricht, was ein Kind wirklich braucht. Allein in meinem Heimatlandkreis, dem Havelland, sind von 103 Anträgen auf Lernförderung 63 Prozent abgelehnt worden, weil das Erreichen des festgelegten wesentlichen Schulziels nicht gefährdet war. Es ist aus unserer Sicht purer Zynismus, wenn Kindern in einem Jobcenter gesagt wird, dass es erst dann Anspruch auf Lernförderung hat, wenn es das Klassenziel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. Es geht bei der Leistung eben nur um die Verhinderung des Wiederholens, nicht aber um die Chance auf eine bessere Durchschnittsnote. Anträge für den Bereich soziales und kulturelles Leben wurden abgelehnt, weil Leistungen angegeben wurden, die das Bildungs- und Teilhabepaket nicht vorsieht. Frau von der Leyen hat sich in der Presse hoch und runter zitieren lassen, dass ihr Paket Kindern die Teilhabe an Freizeit- und Kulturangeboten bieten soll. Was in diesen Interviews nicht gesagt wurde, ist, dass sie den Kindern und ihren Familien in einem Katalog vorgibt, was abrechenbare Freizeit- und Kulturangebote sind. Die Entscheidung von Kindern und Eltern über die Gestaltung von Teilhabe an Bildung und gesellschaftlichem Leben derart zu reglementieren, ist nicht nur aus unserer Sicht verfassungsrechtlich fragwürdig. So urteilt zum Beispiel Professor Johannes Münder: „Wenn die 10 Euro Teilhabepauschale mit verhaltensregulierenden Bedingungen verknüpft werden, so liegt hier mit einer Regulierung der ,Lebensführungsweise‘ ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG vor.“ Mit dieser Bevormundung von Betroffenen muss endlich Schluss sein. Was das Paket also nicht erreicht hat, ist sein originäres Ziel: die Behebung überdeutlich gewordener Defizite bei Bildung und sozialer Teilhabe von Kindern. Wie auch? Wenn die Sicherung von Teilhabe an Bildung zwar endlich als Teil der Existenzsicherung angesehen wird, dies aber natürlich keine weiteren Kosten verur-sachen darf, kann nur das herauskommen, was die zuständigen Politikerinnen und Politiker bereit waren hinein-zupacken. Bestehende Leistungen wie das Schulbedarfspaket oder die Gewährung von Zuschüssen für Klassenfahrten bekamen ein neues Etikett, ohne dass sich an den Leistungen selbst viel geändert hat. Darum sagt die Linke: Nur ein Nachbessern macht das Bildungs- und Teilhabepaket nicht besser. Im Kampf gegen Kinderarmut braucht es Konzepte, die wirksam gegen Ausgrenzung und Benachteiligung wirken. Der DGB bescheinigt Frau von der Leyen zumindest noch, dass das Bildungs- und Teilhabepaket sicher gut gemeint ist. Gut gemeint reicht aber nicht, um ein Bundesverfassungsgerichtsurteil umzusetzen. Wir brauchen endlich einen Kinderregelsatz, der die Bedarfe von Kindern widerspiegelt und in jeder Hinsicht existenzsichernd ist. Mittelfristig sollten die Kinder komplett raus aus dem SGB II, denn sie sind keine kleinen Langzeiterwerbslosen. Eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen wäre eine mögliche Alternative. Solange Bildung und Teilhabe nicht für alle Kinder gesichert sind, gilt ein Satz von Kurt Tucholsky: „Das Gegenteil von Gut ist nicht Böse, sondern gut gemeint.“ Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Jahr nach Inkrafttreten des Bildungs- und Teilhabepakets ist klar: Diese Leistungen sind an Bürokratie kaum zu überbieten, und der verfassungsrechtlich garantierte -Zugang zu Bildung und Teilhabe bleibt vielerorts auf der Strecke. Dies widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, 1 BvL 1/09. Eine Umfrage des Deutschen Städtetages bei den kreisfreien Städten, Stand 15. Oktober 2011, ergab, wie gering die Inanspruchnahme der BuT-Leistungen ist. So nehmen nur 27,4 Prozent aller SGB-II-anspruchsberechtigten Kinder -Zuschüsse zum Mittagessen wahr, nur 19,4 Prozent Kosten für Schulausflüge und Klassenfahrten, 16 Prozent die Teilhabepauschale, 8 Prozent die Schülerbeförderung und nur 5,3 Prozent Kosten für die Lernförderung. Ministerin von der Leyen spricht öffentlich von einer Inanspruchnahme des BuT von über 40 Prozent der Kinder im SGB II. Eine Stichprobenumfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Städten und Landkreisen soll den Eindruck erwecken, die Nachfrage nach dem Bildungspaket komme langsam in Schwung. So hätten mittlerweile deutlich mehr als 50 Prozent der antragsberechtigten -Eltern ihre Kinder für die Angebote angemeldet. Magdeburg und der Landkreis Vorpommern-Rügen hätten gar eine Anmeldungsquote von etwa 85 und 80 Prozent. -Ministerin von der Leyen wird auf ihre offizielle Bilanzierung am morgigen Freitag mit Sicherheit weitere vermeintliche Erfolgszahlen vorstellen. Es geht bei dieser Betrachtung unter, dass die so errechnete Antragsquote nur besagt, wie hoch die Zahl derer ist, die wenigstens einen Antrag auf eine einzige Leistung gestellt haben. Wenn beispielsweise alle anspruchsberechtigten Kinder Leistungen fürs Mittagessen beantragen würden, läge die Anspruchsquote bei 100 Prozent, auch wenn alle -anderen Leistungen des Pakets überhaupt nicht in -Anspruch genommen würden. In Berlin etwa bedeutet eine Anspruchsquote von über 60 Prozent, dass von den rund 200 000 anspruchsberechtigten Kindern ganze 80 000 Kinder seit über -einem Jahr nicht eine einzige Leistung des Bildungs- und Teilhabepakets in Anspruch genommen haben. Wie gering die bisherige Inanspruchnahme der Leistungen für Bildung und Teilhabe ist, zeigen Zahlen aus dem Ruhrgebiet. So wurden etwa für den gesamten Regionalverband Ruhr mit so großen Städten wie Essen, Dortmund und Duisburg von den über 56 Millionen Euro zur Verfügung stehenden Mitteln nur 24 Prozent für Bildungs- und Teilhabeleistungen ausgegeben. Ganze 43 Millionen Euro sind noch übrig und werden nun vo-raussichtlich für das Stopfen kommunaler Haushalts-löcher verwandt. Auch in anderen Regionen des Bundesgebietes zeichnet sich ein solches Bild, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund für 80 Prozent der Jobcenter unter Berücksichtigung von Daten der Bundesagentur für -Arbeit berechnet hat. Die geringe Inanspruchnahme ist insbesondere auf ein aufwendiges Antragsverfahren mit einer Fülle von Arbeitshilfen, Anträgen, Zusatzfragebögen, Nachweisen, Verträgen und Bescheiden zurückzuführen. Dies führt zu einem enormen Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Allein die Verwaltung des Bildungs- und Teilhabepakets verschlingt rund 30 Prozent der eingesetzten Mittel. Wohl keine andere Sozialleistung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist so bürokratisch. Etliche Widersprüche und Verfahren aufgrund unbestimmter Rechtsbegriffe belasten außerdem die -Sozialgerichte und frustrieren Antragsteller, Schulen, Vereine sowie Behördenmitarbeiter gleichermaßen. Leistungen wie das Mittagessen oder die Teilhabepauschale werden sogar nur dann gewährt, wenn ein entsprechendes Angebot vor Ort vorhanden ist. Auch die drei Runden Tische, die mittlerweile stattgefunden haben, konnten an der Problematik nichts ändern. Bei solchen Zahlen muss man sich grundsätzliche Fragen stellen und schauen, wie Bildung und Teilhabe wirklich bei den Kindern ankommen können. Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem wir konkrete Vorschläge -machen. Um den individuellen Rechtsanspruch zu -gewährleisten, müssen die einzelnen Leistungen des -sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets realitätsgerecht ermittelt und finanziell bedarfsdeckend ausgestattet werden. Ein Teil der Leistungen wie die Lernförderung, das Mittagessen oder teilweise auch die kulturelle Teilhabe lassen sich am effektivsten in den Bildungs- und Teilhabeeinrichtungen verwirklichen. Solange -jedoch die bundesweite Infrastruktur fehlt, gilt es, -zumindest die Leistungen der Schülerbeförderung, des Schulbasispakets und der sogenannten Teilhabepauschale in den monatlichen Regelsatz für Kinder zu überführen. Die Kinderregelleistungen müssen darüber -hinaus den Vorgaben des Bundesverfasssungsgerichts entsprechend ermittelt werden. Das sind konkrete Vorschläge, die es umzusetzen gilt. Dass es hier grundlegender Veränderungen bedarf, -haben auch die Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände erkannt. So kritisiert etwa der DGB das schlechte Kosten-Nutzen-Verhältnis des Bildungs- und Teilhabepakets und fordert, die Angst der Bundesregierung vor höheren Regelsätzen nicht gegen Bildungsleistungen auszuspielen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht das Paket zu Recht von Anfang an als gescheitert an. Die Diakonie hat in einer Umfrage von über 70 diakonischen Beratungsstellen herausgefunden, dass die Umsetzung des Rechts auf die Gewährleistung des Existenzminimums nicht gut gelingt, und schlägt vor, die Leistungen auf Antrag weigehend mit dem Regelsatz auszubezahlen. Lassen Sie mich noch auf einen Punkt kommen, den Herr Pascal Kober, FDP, in der ersten Lesung unseres Antrages im Dezember 2011 ansprach. Dort behauptete er, Erfolg und Misserfolg des BuT würden letztlich von der Umsetzung vor Ort abhängen. Als Beispiel nannte er seinen Wahlkreis Reutlingen, in dem „eine bisherige -Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepakets von sage und schreibe 85,8 Prozent“ zu verzeichnen sei. Weiter sagte Kober: „Außerordentlich gut gearbeitet, kann ich die Menschen vor Ort, bei uns in Reutlingen, nur beglückwünschen. Von diesen Best-Practice-Beispielen müssen andere Kommunen – Sie haben einige angeführt, Herr Kurth, die anscheinend in Ihrem Umfeld sind – lernen. Ich lade Sie, aber auch Ihre Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen gerne einmal nach Reutlingen ein. Sie können dann mit den Verantwortlichen vor Ort sprechen und von diesen guten Beispielen lernen.“ Meine Kollegin Frau Beate Müller-Gemmeke veranstaltete am Montag, den 30. Januar 2012, eine Veranstaltung zur Umsetzung des BuT im Landkreis Reutlingen. Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Lob gab es für das Reutlinger Gutscheinheft sowie für die nach -Anlaufschwierigkeiten doch wohl gelungene Umsetzung vor Ort. Kritisiert wurde, dass viele Sportvereine die Gutscheine noch nicht akzeptierten, dass die Leistungen bei vielen Migrantinnen und Migranten noch nicht ankämen sowie die Ausbaufähigkeit der Lernförderung. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege forderte zudem verlässliche Ansprechpartner und eine zentrale Stelle. Der Aufwand für die Lernförderung sei groß, bei einigen Gymnasiasten führe das BuT zu Mobbing. Unsere Hauptkritikpunkte wurden indes nur teilweise aufgegriffen: Das BuT ist mit einem immens hohen Verwaltungsaufwand verbunden, viele Kinder und Jugendliche können aus strukturellen Gründen gar nicht in den Genuss der Leistung kommen. So gibt etwa der Kreissozial-dezernent Andreas Bauer zu bedenken, dass von allen 4 000 Kindern und Jugendlichen im SGB II im Landkreis Reutlingen nur die Hälfte in Kindergärten und Schulen gehe. Die andere Hälfte habe – abgesehen von der Teilhabepauschale – überhaupt keine Möglichkeit, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen! Auch das ist ein wichtiger Punkt, denkt man an das grundgesetzliche Recht auf Bildung und Teilhabe aller Kinder und Jugendlicher, unabhängig davon, ob sie in der Schule oder in der Kita sind. Die von Pascal Kober genannten 85,5 Prozent sind offensichtlich der Presse entnommen und beziehen sich auf die Zahl der Anträge im Verhältnis zu den Antragsberechtigten. Sie als Beleg für eine hohe Inanspruchnahme zu verwenden, ist aber grundfalsch. Denn für -jedes antragsberechtigte Kind können bis zu sechs -Anträge gestellt werden. Die Zahlen, Stand 10. Januar 2012, ergeben eine Inanspruchnahme in Reutlingen von 54,4 Prozent, die zwar immer noch über, aber nicht doppelt so hoch ist wie der Bundesdurchschnitt von 40 Prozent. Es ist allerdings nochmals darauf hinzuweisen, dass die 54,4 Prozent nur besagen, wie viele der nach SGB II bzw. SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz kinderzuschlags- und wohngeldberechtigten Kinder wenigstens einen Antrag auf eine der sechs Leistungen des BuT gestellt haben. Im Landkreis Reutlingen gibt es insgesamt 6 122 anspruchsberechtigte Kinder und Jugendliche, SGB II/SGB XII, Kinderzuschlag, Wohngeld und AsylbLG. All diese Kinder haben theoretisch Anspruch auf alle sechs Leistungen des BuT. Das heißt, es könnten theoretisch 36 732 Anträge gestellt werden. Von diesen 36 732 theoretisch möglichen Anträgen wurden im Landkreis Reutlingen exakt 6 174 Anträge zu -allen sechs möglichen Leistungen gestellt. Die wahre -Inanspruchnahme des BuT liegt somit bei 16,8 Prozent. Für die einzelnen Leistungen ergeben sich folgende Inanspruchnahmen im Landkreis: Ausflüge/Klassenfahrten – 10,1 Prozent, Schulbedarf – 44,3 Prozent, Schülerbeförderung – 2,5 Prozent, Lernförderung – 2,3 Prozent, Mittagessen – 20,5 Prozent, Teilhabeleistungen – 21,1 Prozent. Es ist also eben nicht so, wie Pascal Kober behauptete. Eine Kommune kann das BuT noch so gut umsetzen, das Bildungs- und Teilhabepaket schließt viele Kinder und Jugendliche strukturell aus und verhindert einen grundgesetzlich garantierten Anspruch auf Bildung und Teilhabe. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zur Änderung des Vertrages vom 27. Januar 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland – Körperschaft des öffentlichen Rechts – zuletzt geändert durch den Vertrag vom 3. März 2008 (Tagesordnungspunkt 17) Beatrix Philipp (CDU/CSU): Charlotte Knobloch, damals noch Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, schrieb 2007 in einem Leitartikel in politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates – ich zitiere – : „Judentum – das ist ein Balanceakt zwischen Kultur und Religion, Geschichte und Tradition des jüdischen Volkes, das – bis auf in Israel – in der Diaspora als Minderheit rund um den Globus lebt.“ Ich stelle dieses Zitat bewusst an den Anfang meiner Rede, weil jüdisches Leben in Deutschland von der Bedeutung her mehr ist als die exakte Anzahl der Gemeindemitglieder der tatsächlich in Deutschland lebenden Juden. Es ist die Verankerung des jüdischen Lebens im öffentlichen Alltag, es ist dessen Wahrnehmung in der gesamten Bevölkerung, und das geschieht in den unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlicher Intensität. Bis heute überschattet der Holocaust das jüdische Leben in Deutschland, und kaum jemand, schon gar nicht die jüngere Generation, weiß, wie prägend jüdisches Leben bis 1933 war, prägend für die kulturelle, wissenschaftliche, politische und auch wirtschaftliche Vielfalt des Lebens in Deutschland. So waren unter anderem jüdische Gottesdienste fester Bestandteil von nationalen Feiertagen im deutschen Reich. Der dann 1933 – zwangsweise – gegründeten Reichsvertretung der Deutschen Juden gehörten über 500 000 deutsche Juden an. Zum Zeitpunkt der Konstituierung des Zentralrats der Juden in Deutschland am 19. Juli 1950 – also nur 17 Jahre später, aber was für Jahre, in Frankfurt am Main lebten 15 000 Juden in Deutschland. Ein Anknüpfen an die religiöse Vielfalt der Vorkriegszeit war angesichts dieser geringen Zahl der Mitglieder kaum mehr möglich. Und doch entwickelte es sich wieder. Der Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung 1990 haben die Anziehungskraft Deutschlands auch und besonders bei den bisher in Osteuropa lebenden Juden mehr als deutlich werden lassen. Und somit bildete die Zuwanderung von Juden gerade aus der ehemaligen Sowjetunion, den sogenannten GUS-Staaten, einen neuen Aufschwung und eine erhebliche Stärkung der jüdischen Gemeinden. Seit 1990 hat sich daher die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland mehr als verdreifacht. Damit einher ging eine deutliche Belebung der Gemeinden, der religiösen Aktivitäten und nicht zuletzt auch unseres Alltages. Heute leben fast 110 000 Juden in über 100 stetig wachsenden Gemeinden. 70 Jahre nach dem mörde-rischen Beschluss der Wannsee-Konferenz ist das jüdische Leben wieder Teil des deutschen Alltags – ein wichtiger Teil deutscher Kultur, und das sollte uns positiv stimmen. Aber der rasante Anstieg der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft brachte auch neue Herausforderungen mit sich und zweifellos auch Probleme. Wer in den Kommunen Kontakte zur jüdischen Gemeinde pflegt, weiß, wie groß die Anforderungen an Integrationsleistungen sind, wie viel Hilfe bei der Arbeits- und Wohnungssuche notwendig ist, welche besonderen Probleme bei den Betagten zu lösen sind und wie Vermittlung, Praktizierung und Kenntnis religiösen Wissens große Anforderungen an alle Beteiligten stellen. Wie gesagt, in den Jahren des Wiederaufbaus des Gemeindelebens ist das jüdische Leben in Deutschland wieder bunt und vielschichtig geworden. Dieses Wachstum und diese kulturelle Vielfalt fordern die Bürgerinnen und Bürger der jüdischen Gemeinden täglich neu heraus. Und wer sich damit befasst – oder befasst ist – spürt, dass Judentum mehr ist als reine Religionszugehörigkeit; Judentum ist Philosophie und Kultur, und diese Kultur begleitet die jüdischen Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod. Sie ist Zusammenspiel von Sprache, Bildung, Musik und Religion. Bei seiner Gründung in den 50er-Jahren lag der Schwerpunkt der Arbeit des Zentralrats als Dachorganisation der jüdischen Gemeinden und Landesvertretungen in Deutschland auf der Beobachtung der Gesetzgebung zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts. Erst mit der Zeit wandelten sich seine Aufgaben. Der Kampf gegen den Antisemitismus, die Unterstützung der Annäherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel sowie die Förderung der Arbeit der Mitgliedsgemeinden und Landesverbände wurden zu wichtigen Aufgaben des Zentralrats. Aber der aktuelle Bericht der Bundesregierung von August 2011 zum Antisemitismus in Deutschland belegt, dass die -ursprüngliche Hauptaufgabe des Zentralrats im Kampf gegen Antisemitismus noch längst nicht getan ist. -Gemäß dem oben genannten Bericht ist der Antisemitismus in Deutschland zum Teil wieder deutlich spürbar. Antisemitische und antiisraelische Organisationen versuchen, Einfluss auf das öffentliche Meinungsbild zu nehmen und zu emotionalisieren. Wir müssen uns leider in diesem Hause mit unvorstellbaren Vorgängen – in verschiedensten Teilen der Welt, nicht nur in Frankreich und Syrien als Beispiel, aber eben auch bei uns – befassen. Nicht zuletzt mit den neuen Herausforderungen an die Integration der zugewanderten jüdischen Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion nahm der Zentralrat auch die satzungsgemäße Aufgabe – nämlich die Förderung und Pflege religiöser, kultureller und sozialer Aufgaben der jüdischen Gemeinde – wahr, zum einen durch die Schaffung eines Angebotes an Sprachkursen in den Gemeinden, zum anderen durch die Heranführung der Menschen an ihre jüdischen Wurzeln und ihren jüdischen Glauben, den sie in ihren Heimatländern jahrzehntelang nicht leben konnten bzw. durften. Mithilfe von geschultem Personal und Rabbinern wurden wieder jüdische Riten und Gebräuche sowie jüdisches Wissen vermittelt. So konnten neue jüdische Gemeinden entstehen, jüdische Gotteshäuser wieder ihre Türen öffnen und junge Rabbiner ihre Arbeit in den Gemeinden aufnehmen. Über Kunst, Kultur und Sprache wird Identität geschaffen, auch wenn das immer noch von manchen bestritten wird. Kunst, Kultur und Sprache werden zu einem kulturellen und geistigen Brückenschlag beitragen können. Kulturelle Vielfalt erfordert zuerst aber die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur. Viele Probleme mit anderen haben ihren Grund in mangelnder Kenntnis bzw. unzureichendem Verständnis füreinander. Deshalb hat die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen zur Voraussetzung, die eigene, aber auch die fremde Kultur zu kennen oder zumindest auf beide gleichermaßen neugierig zu sein. Mit der Aufgabe, den Weg in die jüdische Gemeinschaft zu ebnen, Vorbehalte abzubauen und die sprichwörtliche Gastfreundschaft zu pflegen, sind die Gemeinden mehr denn je gefordert. Wie fassungslos machen uns vor diesem Hintergrund die jüngsten Morde in Frankreich, wie beschämend sind in meiner Heimatstadt Düsseldorf die sich als notwendig erweisenden Sicherheitsvorkehrungen im Bereich der Synagoge; fast jeder kennt solche Beispiele aus seiner Umgebung. Die in der vergangenen Zeit errichteten jüdisch-theologischen Fakultäten, wie zum Beispiel das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, unterstützen den Ausbau des jüdischen Lebens in der heutigen Gesellschaft. Begleitet von aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen stellte aber auch dies den Zentralrat der Juden in Deutschland vor neue Aufgaben. Umso bedeutender war die Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland am 27. Januar 2003. Erstmalig existierte damit ein Dokument, in dem sich der deutsche Staat hinter die in Deutschland lebenden Juden stellte und seine Unterstützung auf sozialem, kulturellem sowie integrationspolitischem Gebiet zusagte. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU befürwortete bereits damals die Absicht der Bundesregierung, finan-ziell zur Erfüllung der überregionalen Aufgaben des Zentralrats der Juden verstärkt beizutragen. Dies galt insbesondere für dessen Erhalt und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes sowie den weiteren Ausbau der jüdischen Gemeinschaft, wie zum Beispiel in der weiteren Unterstützung des Abraham-Geiger-Kollegs, der ersten jüdisch-theologischen Fakultät; ich erwähnte es -bereits. Es muss uns ein besonderes Anliegen sein, die Ausbildung von Rabbinern und Kantoren zu unterstützen und zu fördern. Auch hier zeigt sich die besondere historische Verantwortung für die Förderung des Wiederaufbaus jüdischen Lebens in Deutschland sowie für die Festigung und Vertiefung der freundschaftlichen -Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft. Und aus der historisch-gesellschaftlichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren jüdischen -Gemeinden hat sie dem Wandel und den vermehrten -Anforderungen auch finanziell Rechnung zu tragen. Die Bundesrepublik Deutschland und der Zentralrat der -Juden in Deutschland haben daher am 30. November 2011 eine Leistungsanpassung von bisher 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro jährlich ab dem Haushaltsjahr 2012 vereinbart. Dieses Mehr an Unterstützung dient auch dem weiteren Ausbau, der Etablierung und Förderung der bereits erwähnten Fakultäten vonseiten der Bundesregierung; wir erachten die Erhöhung der jährlichen finanziellen Mittel daher für erforderlich, auch um vor Ort den gewachsenen Aufgaben entsprechen zu können. Mit dem vorliegenden Gesetz wird dem Erfordernis der Zustimmung des Deutschen Bundestages bei einer Anpassung der Staatsleistungen nach Art. 7 des Vertrages Rechnung getragen. Mit der Zustimmung zur Änderung des Gesetzes wird die gesetzliche Grundlage für die Leistungsanpassung im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden geschaffen. Die Fülle der zusätzlichen Aufgaben des Zen-tralrats der Juden erfordert diese Leistungsanpassung. Wir bitten Sie daher heute um Zustimmung und hoffen auf eine breite, fraktionsübergreifende Mehrheit. Gabriele Fograscher (SPD): Die Bundesrepublik Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das jüdische Leben in Deutschland angesichts des Leids, das die jüdische Bevölkerung in den Jahren 1933 bis 1945 erdulden musste. Aus diesem Grunde haben die Bundesrepublik Deutschland und der Zentralrat der Juden in Deutschland in einem Vertrag 2003 eine kontinuierliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. In dem Vertrag wurde festgeschrieben: „Die Bundesregierung wird zu Erhaltung und Pflege des deutsch--jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen -Gemeinschaft und zu den integrationspolitischen und -sozialen Aufgaben des Zentralrats in Deutschland beitragen. Dazu wird sie den Zentralrat der Juden in Deutschland bei der Erfüllung seiner überregionalen Aufgaben sowie den Kosten seiner Verwaltung finanziell unterstützen.“ Zu diesen Zwecken zahlte die Bundesrepublik Deutschland jährlich einen Betrag von 3 Millionen Euro an den Zentralrat der Juden. Dieser Vertag vom 27. Januar 2003 wurde 2008 -ergänzt. Der Zentralrat der Juden erhielt ab dem Haushaltsjahr 2008 jährlich eine Zuwendung von 5 Millionen Euro. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die jähr-liche Unterstützungsleistung der Bundesrepublik Deutschland an den Zentralrat der Juden auf 10 Millionen Euro ab dem Jahr 2012 erhöht werden. In der -Begründung zu dem Gesetzentwurf heißt es: „Vor dem Hintergrund neuer, vielfältiger Anforderungen an die -jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die zu einem -wesentlichen Anstieg der Aufgaben des Zentralrats, insbesondere im Bildungsbereich, geführt haben, haben sich die Vertragsparteien nach Art. 7 Satz 2 des Vertrages auf eine Anpassung der Staatsleistung verständigt.“ Zu den Aufgaben des Zentralrates der Juden zählen die Förderung und Pflege religiöser und kultureller Aufgaben der jüdischen Gemeinden und die Vertretung der gemeinsamen politischen Interessen der jüdischen -Gemeinschaft sowie der Aufbau neuer jüdischer -Gemeinden vor allem in Ostdeutschland. Dabei konzen-triert sich der Zentralrat auf die Betreuung durch Berufsbildungs- und Ausbildungsseminare, bietet Sprachkurse, politische Bildungsseminare, Religionsunterricht und -integrationsfördernde Maßnahmen an. Bei der Rabbinerausbildung spielt das Abraham--Geiger-Kolleg in Potsdam eine entscheidende Rolle. Es ist die erste Ausbildungsstätte für liberale und konservative Rabbiner in Europa seit der Schoah. Gegründet wurde das Abraham-Geiger-Kolleg 1999 und ist an die Universität Potsdam angegliedert. Unter der Mitträgerschaft des Zentralrates der Juden in Deutschland werden hier seit 2011 Rabbiner ausgebildet. Das Abraham--Geiger-Kolleg verdient weiterhin Unterstützung. Jüdisches Leben bereichert unsere Gesellschaft, und es gibt Grund zu großer Freude, dass es wieder so viele aktive jüdische Gemeinden in Deutschland gibt. Im November 2008 hat der Deutsche Bundestag den Antrag „Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern“ über Fraktionsgrenzen hinweg mit großer Mehrheit verabschiedet. Eine Forderung dieses Antrags war die Einrichtung eines Expertengremiums aus Wissenschaftlern und Praktikern, das in regelmäßigen Abständen einen Bericht zum Antisemitismus in Deutschland erstellen und Empfehlungen zur Entwicklung sowie Weiterentwicklung von Programmen zur Antisemitismusbekämpfung formulieren soll. Inzwischen liegt der erste Bericht vor. Das Expertengremium führt darin aus, dass Antisemitismus ein -bedeutendes Bindeglied in der Ideologie des Rechtsex-tremismus ist. Auch vom Islamismus geht ein erheb-licher Antisemitismus aus. Beunruhigend hoch bleibt der Anteil von Vorurteilen und Ressentiments in der deutschen Bevölkerung. Dazu heißt es in dem Bericht des Expertengremiums: „Was die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung anbelangt, so geben die durch den Expertenkreis ausgewerteten demoskopischen Untersuchungen übereinstimmend eine Größenordnung von etwa 20 Prozent latentem Antisemitismus an.“ Diese tiefe Verwurzelung von Negativklischees über Juden und antisemitische Einstellungen in der deutschen Kultur und Gesellschaft müssen wir langfristig und mit nachhaltigen Maßnahmen ändern. Deshalb brauchen wir eine umfassende Abwehrstrategie, die Wissenschaft, -Pädagogik und zivilgesellschaftliche Initiativen mit einbezieht. Wir benötigen eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema, die in enger Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen erfolgen muss. Nur dann werden wir erreichen, dass jüdische Einrichtungen nicht mehr gefährdet sind und wie Hochsicherheitseinrichtungen bewacht werden müssen. Antisemitismus stellt nicht nur eine Gefahr für unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dar, sondern auch für die Werte unserer Demokratie. Deshalb sind wir alle gefordert, hier aktiv zu werden, Aufklärung zu -betreiben und Vorurteile abzubauen. Dem vorliegenden Gesetzentwurf stimmt die SPD-Bundestagsfraktion zu. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Welch ein Glück ist es, dass es nur wenige Jahrzehnte nach dem Holocaust wieder jüdisches Leben in diesem Land gibt! Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt im Jahr 2010 hieß: „Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik“. Die Veranstalter fingen etwas provokativ bei dieser legitimen Frage an: Wie war es bloß möglich, „ausgerechnet nach Deutschland als Jude/Jüdin“ zu kommen? Als Bilanz der Ausstellung stand die Frage, ob tatsächlich so etwas wie – zugespitzt gesagt – ein neues deutsches Judentum als Ergebnis der Einwanderung entstanden sei. Ich bin überzeugt, dass es unsere Verantwortung ist, jüdisches Leben in Deutschland zu fördern. Es ist bisher viel gemacht worden: Der am 27. Januar 2003, dem Gedenktag der Opfer des Na-tionalsozialismus, auf Initiative des Zentralrates -geschlossene Vertrag, den wir heute zum zweiten Mal anpassen werden, ist ein Meilenstein dieser erfreulichen Entwicklung. Die finanzielle Zuwendung, die sogenannte Staatsleistung an den Zentralrat der Juden, resultiert nicht nur aus einer historischen Verantwortung. Vielmehr trägt sie dem Verantwortungsbewusstsein des deutschen Gesetzgebers für jüdisches Leben in Deutschland Rechnung. In Deutschland bedeutet die Trennung von Religion und Staat keine Trennung von Religion und Gesellschaft. Der Staat, als eine Heimstatt all seiner Bürger, versteht seine weltanschauliche Neutralität nicht als eine laizistische Verdrängung der Religion aus der Öffentlichkeit ins rein Private. Er will sich den einzelnen Religionen -gegenüber kooperativ verhalten und begreift sie als wichtige Partner und Träger einer mündigen Bürgergesellschaft. Gleichsam unterstützt er im Rahmen des für die Politik Möglichen den interreligiösen Dialog, den Austausch zwischen Kulturen. Im Rahmen der Reli-gionsförderung des deutschen Staates spielt die Unterstützung des Judentums eine besondere Rolle. Diese -Debatte bietet uns Bundestagsabgeordneten einen seltenen Anlass, uns in diesem Plenarsaal mit den Belangen des Judentums in unserem Land auseinanderzusetzen. Das Bestreben nach einem deutschen Judentum steht in der Tradition vieler liberaler Juden. Diese Tradition reicht vom jüdischen liberalen Rechtsanwalt Gabriel Risser aus Hamburg, der an der Seite der Partei der Liberalen im 19. Jahrhundert für die Emanzipation kämpfte, bis Ignatz Bubis, der ein überzeugter Liberaler war und sich bewusst einen „deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens“ nannte. Identität kann man nicht verordnen. Sie entsteht. In einer offenen Gesellschaft ist die Summe und Vielfalt „deutscher Identitäten“ ein Gewinn. Sollte ein „neues deutsches Judentum“ das zentrale, zukunftsgewandte Anliegen des Zentralrats sein, so gibt es hier eine Reihe von Herausforderungen, die rechtfertigen und begründen, warum eine Erhöhung der Staatsleistung notwendig ist. So hat Herr Dr. Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, mehrmals hervorgehoben, eine Vielfalt sei in einer Welt der Einheitsgemeinden sehr willkommen, aber eine ausgesprochen jüdische Vielfalt. Ein Pluralismus religiöser Ausrichtungen des Judentums kristallisiert sich zurzeit heraus. Ich empfinde das als gut. Dieser Prozess ist nicht unproblematisch, doch ist er von großer Tragweite für die Zukunft des Judentums in Deutschland. Die Unterstützung dieser Prozesse, unter anderem durch die Ausbildung des jeweiligen religiösen Personals – Rabbiner und Kantoren – ist eine regelrechte Herausforderung. Sowohl orthodoxes als auch liberales und konservatives Judentum müssen Platz unter dem Dach der Einheitsgemeinden finden. Auch der allgemeine, für westliche Wohlstandsgesellschaften typische Säkularisierungstrend als Folge von Modernisierung, Urbanisierung, Technisierung spielt eine Rolle. So sind die Identitätsbezüge vieler Jüdinnen und Juden – genauso wie im christlichen Bereich – eindeutig kulturell und weniger religiös geprägt. Ein kulturelles Angebot in den Gemeinden ist mit Sicherheit ein Zweck der Finanzierung. Durch Einwanderung aus der ehemaligen UdSSR 1990 bis 2005 ist ein wesentlicher demografischer -Zuwachs erreicht worden von knapp 30 000 Ende der 1980er-Jahre bis etwa 105 000 Gemeindemitglieder heute. Zu mehr als 90 Prozent bestehen die Gemeinden in der Regel aus den russischsprachigen Einwanderern. Auch 20 Jahre nach dem Beginn der jüdischen Immigration in Deutschland ist die Integrationsfrage nach wie vor präsent. Unter den vielen möglichen Integrationsmaßnahmen sind einige besonders wichtig: Die Sozialabteilungen der Gemeinden müssen dringend unterstützt werden bei der Kommunikation mit jeweiligen Ämtern. Denn mehr als 70 Prozent der – zugewanderten – Juden sind Akademiker; weit mehr als 50 Prozent sind arbeitslos. Das ist eine Situation, bei der Gemeinden sicherlich mithelfen könnten und dafür Unterstützung benötigen. Die staatliche Politik der Verteilung der sogenannten Kontingentflüchtlinge führte dazu, dass zahlreiche -Gemeinden auch in den Kleinstädten entstanden sind, viele zumal nach dem Holocaust. Wir haben es also mit einer Veränderung der Topografie der Gemeinden zu tun. Wenn auch unfreiwillig, ist dieser Wandel der religiös-jüdischen Gemeindelandschaft ein Glück für unser Land. Doch die kleinen Gemeinden brauchen dringend eine zusätzliche finanzielle Unterstützung – für sie ist es überlebenswichtig. Das leitende Personal der Gemeinden – das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre – braucht durchaus Hilfestellungen bei Verwaltung, Jurisprudenz, geschäftlicher Kommunikation. Anders ist das auf politischer und Verwaltungsebene, besonders in den kleineren und mittleren Gemeinden, nicht zu bewältigen. Die Jugendarbeit ist ebenfalls ein zentraler Punkt. Das Alter ist neben Herkunft und kulturellen Differenzen ein wesentlicher Integrationsfaktor. Hier ist eine Jewish Education in einer Gemeindewelt sowie in einem deutschen Schulsystem von großer Bedeutung: Erziehungsprojekte, Gemeindeschulen, Treffen, etwa von der ZWST, der Zentralen Wohlfahrtstelle, organisiert. All das muss unterstützt werden! Ganz wichtig ist die Unterstützung bei der Ausbildung des theologischen Nachwuchses. Beispielhaft sei in diesem Kontext die Tätigkeit des Ihnen allen sicherlich bekannten Abraham-Geiger-Kollegs erwähnt. Auch Institutionen, wie die Hochschule in Heidelberg, brauchen Unterstützung. -Gerade die Herausforderungen im Rahmen der Errichtung der ersten jüdisch-theologischen Fakultät zeigen den Bedarf einer Anpassung der finanziellen Zuwendung. Die Erhöhung, über die wir heute zu beschließen haben, ist also mehr als gerechtfertigt. Und nicht zuletzt: Die Lage der Holocaust-Überlebenden und der jüdischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs in den Gemeinden erfordert auch besondere Aufmerksamkeit. Diese Menschen brauchen Unterstützung vor Ort. Es geht um ein geordnetes System der jüdischen Altersheime, Sozialdienste usw. Abschließend möchte ich betonen, dass das Ziel dieses Vertrages, nämlich die Entfaltung des jüdischen -Lebens und seine Akzeptanz in der Bevölkerung, nach wie vor eine Frage der Zivilgesellschaft bleibt, eine Frage des guten Willens und des mutigen Auftrittes aller gegen Vorurteile, alte Klischees und Unwissenheit. -Sicherlich werden das Vertragswerk und diese Debatte ein positiver Impuls in dieser Richtung. Petra Pau (DIE LINKE): Die Linke bejaht den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden. Mit dem vorliegenden Gesetz wird der Staatsvertrag der Bundesrepublik Deutschland mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland erneuert. Es geht um die Förderung jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in Deutschland. Dem stimmt die Linke selbstverständlich zu. Die damit verbundene Unterstützung gilt der gesamten Breite jüdischen Lebens, also nicht nur den Einrichtungen unter dem Dach des Zentralrats der Juden. Die Förderung jüdischer Vielfalt schließt unabhängig von diesem Staatsvertrag natürlich den kontinuierlichen Kampf gegen jedweden Antisemitismus ein, so wie es der Bundestag am 4. November 2008 fraktionsübergreifend beschlossen hat: Antisemitismus bekämpfen, jüdisches Leben fördern. Ein Punkt aus dem damaligen Beschluss liegt seit Ende 2011 vor: ein erster Expertenbericht über Antisemitismus in Deutschland. Ich gehe davon aus, dass wir ihn und die enthaltenen Anregungen demnächst im Plenum sachlich und ohne parteipolitische Kalküle diskutieren werden. Sechs weitere Aufgaben, die der Bundestag damals der Bundesregierung gestellt hatte, harren noch eines Berichtes. Wir erwarten ihn demnächst. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen den vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der -Juden in Deutschland. Durch die Änderung des Vertrages wird die Summe von bisher 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro jährlich steigen. Bereits am 27. Ja-nuar 2003 hat Rot-Grün den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland abgeschlossen, der sich als tragfähige Grundlage für eine kontinuierliche und partnerschaft-liche Zusammenarbeit herausstellte. Damals haben wir die finanzielle Unterstützung in Form einer jährlichen Staatsleistung festgeschrieben. Mit Änderung des Vertrages vom 3. März 2008 wurde die jährliche Staatsleistung von 3 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro angehoben. Insbesondere vor dem Hintergrund neuer, vielfältiger Anforderungen an die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die zu einem wesentlichen Anstieg der Aufgaben des Zentralrats, insbesondere im Bildungs-bereich, geführt haben, war diese Erhöhung notwendig. Wir gehen davon aus, dass der Zentralrat der Juden auch in Zukunft nach fairen Regeln für die gerechte und sinnvolle Verteilung der Gelder innerhalb der jüdischen Gemeinschaft sorgen wird, auch jener jüdischen Verbände, die nicht unter dem Dach des Zentralrats organisiert sind. Seit über 60 Jahren vertritt nun schon der Zentralrat der Juden 23 Landesverbände mit insgesamt 107 jüdischen Gemeinden. 60 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland, das ist nach dem Zivilisationsbruch Auschwitz für mich weder Selbstverständlichkeit noch Wunder. Es ist das große Verdienst von Persönlichkeiten wie Heinz Galinski und Paul Spiegel, die unermüdlich für die Verständigung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen eintraten. An deren Wirken möchte ich an dieser Stelle besonders erinnern. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wuchs bei den jüdischen Sowjetbürgern die Angst vor Antisemitismus, weshalb viele von ihnen nach Deutschland migrierten. Als sogenannte Kontingentflüchtlinge sind nach Angaben des Zentralrats insgesamt 220 000 Menschen seither nach Deutschland gekommen. In der Folge vervierfachte sich die Zahl der Mitglieder in jüdischen -Gemeinden auf heute rund 120 000 Mitglieder. Insbesondere in den neuen Bundesländern wurden Gemeinden gegründet und neue Synagogen gebaut. Daneben wurde die Integrationsarbeit des Zentralrats so zu einer zentralen Aufgabe. Diese Integrationsleistungen der jüdischen Gemeinschaft sind mit großem Respekt zu sehen, auch wenn diese nicht immer ohne Konflikte bewältigt werden konnten. Diese Aufgaben verlangen vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung für die Verbrechen im Nationalsozialismus und dem Mord an 6 Millionen europäischen Juden auch künftig unsere materielle und immaterielle Unterstützung. Denn im Persönlichen sind wir alle gefordert, wenn es darum geht, jeder Form von Antisemitismus entgegenzutreten. Wir begrüßen deshalb den vorgelegten Gesetzentwurf und wünschen dem Zentralrat der Juden auch weiterhin viel Erfolg in seiner bemerkenswerten Arbeit. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie „Europa 2020“ berücksichtigen (Tagesordnungspunkt 19) Lena Strothmann (CDU/CSU): Wir alle wollen ein starkes und sicheres Europa und setzen uns daher auch vehement für die gemeinsame Währung ein. Wir wollen nicht weniger Europa, sondern mehr Europa. Europa ist ein großer Wirtschaftsraum. Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsräumen: USA, Japan, die BRIC-Staaten. Es war auch schon Ziel der Lissabon-Strategie im Jahr 2000, Europa – die EU der 15 – zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“. Es wurden leider nicht alle Lissabon-Ziele erreicht. Die Mitgliedstaaten haben nicht immer an einem Strang zogen. Es gab durchaus unterschiedliche Interessen. Leistungsstarke Mitgliedstaaten drängten auf Reformen. In anderen Staaten gab es erhebliche Umsetzungsrückstände. Hinzu kamen neue Herausforderungen: die Finanzkrise von 2008, die Wirtschaftskrise, die Schuldenkrise. Die Krisen waren ein Weckruf für Europa. Das Jahr 2010 musste daher für einen entschlossenen Neuanfang stehen. Die Lissabon-Strategie wurde abgelöst durch die Strategie „Europa 2020“. Sie beschreibt die aktuelle Strategie für Wachstum in Europa. Drei Prioritäten werden gesetzt: Intelligentes Wachstum, nach-haltiges Wachstum, integratives Wachstum. Alle drei verstärken die Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts. Deshalb gab es auch strategische Änderungen. Bislang wurden Maßnahmen immer erst im Nachhinein auf ihre Wirksamkeit überprüft. Im Rahmen des Europäischen Semesters verpflichten sich alle Mitgliedstaaten bis April des laufenden Jahres, ihre Beiträge zur Wachstumsstrategie 2020 zu liefern. Es findet ein Dialog statt. Das ist ein positives und konstruktives Element. Europa zieht damit die Konsequenzen aus mangelnder Haushaltsdisziplin und hoher Verschuldung einzelner Staaten. Die finanzpolitischen Prozesse des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und die wirtschaftspolitischen Prozesse um die EU-2020-Strategie werden zeitlich angeglichen und zusammengeführt. Das Semester ist quasi ein Instrument der vorbeugenden Überwachung. Es läuft alles nach einem festen Zeitplan ab und beginnt mit der Vorlage des Europäischen Jahreswachstumsberichtes zu Jahresbeginn. Im Frühjahr werden die nationalen Ziele und Reformpläne der einzelnen Mitgliedstaaten der Kommission vorgelegt. Sie werden von der Kommission analysiert und bewertet. Daraus folgen die sogenannten Empfehlungen des Rates. Hier sind im Gegensatz zu den Maastricht-Kriterien keine Sanktionen vorgesehen. Bei den nationalen Reformprogrammen gilt das Prinzip der Freiwilligkeit – mit allen Vor- und Nachteilen. Aber die Mitgliedstaaten wissen um ihre gemeinsame Verantwortung. Am Beispiel des Euro-Plus-Paktes ist erkennbar, wie flexibel auch bei aktuellen Ereignissen reagiert werden kann. Das deutsche Aktionsprogramm zum Euro-Plus-Pakt haben wir in unser Reformprogramm integriert. Vor allem ist die Haushaltskonsolidierung in den europäischen Staaten als Hauptaufgabe erkannt. Unsere deutschen Regierungsvorhaben sind im aktuellen Nationalen Reformprogramm zusammengestellt. Die Bewertung des ersten Programms von 2011 war überaus positiv. Auch das vorgelegte Programm 2012 überzeugt. Die Bundesländer, Verbände und Sozialpartner waren beteiligt. Die Antworten auf die Herausforderungen können sich wirklich sehen lassen. Alles in allem bietet es eine ziemlich komplette Übersicht über die Maßnahmen der christlich-liberalen Koalition. Schauen Sie sich doch auch den Anhang an. Hieran wird die Vernetzung unserer Politik mit den europäischen Zielen und der EU2020-Strategie deutlich. Viele Bereiche, von Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bis hin zu Bildung und Ausbildung, Haushaltskonsolidierung und Forschung und Entwicklung, sind aufgeführt. Wir leisten hier Beiträge für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und Europa. Der SPD-Antrag hierzu ist daher überflüssig. Er suggeriert, die sozialen Ziele seien unterrepräsentiert. Das trifft jedoch eindeutig nicht zu. Denn die Analyse der fünf Kernbereiche der 2020-Strategie zeigt: Die von der  EU bis 2020 angestrebte Beschäftigungsquote von 75 Prozent haben wir auf nationaler Ebene bereits 2010 fast erreicht. Wir sind zuversichtlich, dass wir unser hochgestecktes Ziel von 77 Prozent erreichen werden. Die EU strebt bis 2020 im Bereich der Innovation die Quote von 3 Prozent auf Basis des BIP an. Auch das haben wir in Deutschland fast erreicht. 2010 betrug unsere Quote bereits 2,82 Prozent. Unser nationales Ziel heißt 10 Prozent bis 2015. Beim Klimaschutz sind wir Vorreiter in Europa. Das von der EU gesetzte Ziel von 20 Prozent Emissionseinsparung haben wir auf 40 Prozent erhöht, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Eine große Herausforderung liegt im Bereich Bildung: Die Schulabbrecherquote soll bis 2020 unter 10 Prozent liegen, 40 Prozent der Abgänger sollen einen Hochschulabschluss erreichen. In Deutschland lag 2010 die Schulabbrecherquote bei 11,9 Prozent. Wir werden unser nationales Ziel in jedem Fall erreichen. Einer Hochschulquote stehe ich grundsätzlich skeptisch gegenüber. Ich betone immer die hohe Bedeutung der dualen Ausbildung, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Schließlich brauchen wir im gewerblich-technischen Bereich auch Arbeits- und Führungskräfte. Im Bereich Armut/soziale Eingliederung gibt es unterschiedliche Ansichten über die zu treffende Definition. Unser Indikator Langzeitarbeitslosigkeit ist geeignet; das steht fest. Die Verringerung um 20 Prozent bis 2020 ist unser nationales Ziel. Unsere Ausgangslage in Deutschland ist somit sehr gut. Die Gesamtkonjunktur zeigt gute Wachstumsquoten. Das ist eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen kann. Die Erwartung für 2012 beschreibt ein Plus von 0,7 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt. Nach Überwindung der angekündigten Delle im Winter wird für 2013 mit einem Plus von 1,6 Prozent gerechnet. Hinzufügen möchte ich, dass das Handwerk bereits im laufenden Jahr 1,5 bis 2 Prozent erwartet. Das freut mich ganz besonders. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland wird auch in 2012 auf ein neues Rekordhoch zusteuern. 41,3 Millionen Menschen werden dann erwerbstätig sein, und das überwiegend in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen. Die Zahl der Arbeitslosen wird mit größter Wahrscheinlichkeit unter 3 Millionen liegen. Aufschlussreich ist auch die Betrachtung der Jugendarbeitslosigkeit. Deutschland hat wegen seines dualen Ausbildungssystems eine deutlich geringere Jugendarbeitslosigkeit als die anderen europäischen Staaten. Zurückzuführen ist unser Rückgang in Deutschland auch auf die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen bei Jugendlichen, seit dem letzten Ausbildungspakt auch besonders bei jungen Menschen ohne Schulabschluss. Die Zukunft der Jugend wird auch von unserer heutigen Politik bestimmt. Vor allem die Schuldenbremse wird wirken. Wir sollten alles daran setzen, den Zeitpunkt, an dem wir ohne Neuverschuldung auskommen, möglichst früh zu erreichen. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wie die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW die Neuverschuldung munter hochgetrieben hat. Die Bürger werden ihr dafür die Quittung ausstellen. Wer die Schuldenbremse ablehnt und stattdessen Steuererhöhungen plant, wird bei Wachstum, Beschäftigung und sozialer Gerechtigkeit keine Erfolge erzielen, weder in Europa noch in Deutschland. Dass es auch anders und erfolgreich geht, zeigt die christlich-liberale Koalition. Wir hoffen sehr, dass Deutschland als Motor und auch als Vorbild für andere Länder gilt. Denn nur wenn alle mitmachen, kann die Strategie Europa 2020 insgesamt erfolgreich sein. Dieter Jasper (CDU/CSU): Der Europäische Rat hat im Juni 2010 die Strategie „Europa 2020“ verabschiedet. Der Kurzfristigkeit politischer Entscheidungen sollen mittel- und längerfristige Strukturreformen gegenübergestellt werden. Weniger Krisenmanagement und mehr vorausschauende Planung heißt die Devise. Diese europäische Strategie wird durch ein jährlich vorzulegendes Nationales Reformprogramm, NRF, umgesetzt. Auch Deutschland muss regelmäßig erläutern, wie die Verpflichtungen aus der europäischen Ebene in nationale Politik umgesetzt werden. Das jetzt vom Bundeskabinett verabschiedete NRF 2012 belegt, dass Deutschland einen erheblichen Beitrag für mehr Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in -Europa leistet. Folgende Zahlen belegen das sehr anschaulich: Die Zahl der Beschäftigten ist so hoch wie nie zuvor. Bereits im Jahr 2010 gingen fast 75 Prozent der deutschen Bevölkerung einer Beschäftigung nach. Die Zahl der Langezeitarbeitslosen sank im Bundesdurchschnitt im Vergleich zum Jahr 2008 um 15 Prozent. -Investitionen in Forschung und Bildung steigen kontinuierlich. Die Energiewende stellt eine in dieser Form nirgendwo auf der Welt zu findende Neuorientierung hin zu einer umwelt- und klimafreundlichen Energieversorgung dar. Dies ist gerade für Deutschland als eine der führenden Industrienationen eine besondere Heraus-forderung. Der Anteil der Deutschen mit Hochschul-abschluss – oder vergleichbarer Ausbildung – liegt über der EUZielvorgabe. Die vereinbarten Kernziele – erstens Förderung der Beschäftigung, zweitens Verbesserung der Bedingungen für Innovation sowie für Forschung und Entwicklung, drittens Reduktion der Emissionen, Ausbau der erneuerbaren Energien und Verbesserung der Energieeffizienz, viertens Verbesserung des Bildungsniveaus, fünftens Verringerung von Armut und Ausbau sozialer Eingliederungsmöglichkeiten – werden also nicht nur erreicht, sondern die Zielmarken werden sogar überschritten. Ein wichtiges Ziel dieses Paktes ist die Sicherung und die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Staaten. Nur so können Wachstum und Beschäftigung generiert werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Sicherung der öffentlichen Finanzen. Die deutsche Schuldenregel bzw. Schuldenbremse verpflichtet die Bundesregierung zum Sparen und stellt zunächst auf den Abbau der Neuverschuldung bis spätestens zum Jahr 2016 ab. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass wir unser eigentliches Ziel erreichen können, nämlich die bereits bestehende Verschuldung abzubauen. Diese beeindruckenden Zahlen und die erheblichen Anstrengungen von Bürgern, Wirtschaft und Politik bei der Erfüllung der nationalen und europäischen Zielvorgaben lassen die Vertreter der SPD dennoch nicht ruhen. Statt sich über das Erreichte zu freuen und mit an einer weiteren Stärkung des Standorts Deutschland zu arbeiten, wird mit dem Antrag „Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der Strategie ‚Europa 2020‘ berücksichtigen“ suggeriert, dass angeblich soziale Aspekte bei diesem Reformprogramm nicht berücksichtigt werden. Dies ist schon im Grundsatz falsch. Die beste Sozialpolitik ist die, wenn wir aufhören, auf Kosten unserer Kinder zu leben. Der Abbau der immensen Staatsverschuldung, die wir nicht zuletzt mit der Aufnahme der Schuldenregel in die Verfassung nachhaltig angehen, ist meines Erachtens einer der wichtigsten Schritte hin zu einem sozial gerechten Staat. Die SPD kritisiert, dass sich die Bundesregierung auf die Reduzierung der Neuverschuldung konzentriert, und fordert stattdessen einen weiteren Ausbau der Sozial-systeme. Abgesehen davon, dass man die Bereiche -„Soziale Sicherung“ und „Öffentliche Finanzen“ nicht gegeneinander ausspielen kann, ist die Finanzierung dieser Sicherungssysteme schon heute nur unter größten Mühen und nur mit staatlicher (Teil-)Finanzierung möglich. Ein weiterer Ausbau würde nicht nur die Beitragszahler belasten, sondern auch die staatliche Verschuldung in neue Höhen treiben, da schon heute die Sozialkassen nur durch erhebliche Mittel aus dem Steueraufkommen überlebensfähig sind. Die deutsche -Wirtschaftspolitik mit ihrem Fokus auf solide Staats--finanzen hat sich als äußerst wirkungsvoll erwiesen, wie die ökonomischen Kennzahlen unseres Landes eindrucksvoll belegen. Auch das Thema Mindestlohn wird angesprochen. Dieser soll die angebliche „soziale Spaltung“ in Deutschland beenden und für sozialen Frieden sorgen. Die Union lehnt einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn für unser Land weiterhin ab. In erster Linie befürchten wir den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze, wenn Lohnfestsetzung politisch motiviert durchgeführt und nicht nach ökonomischen Kriterien festgelegt wird. Wir vertrauen weiterhin auf die seit vielen Jahren bewährte Tarifautonomie. Die zwischen den Tarifpartnern verhandelte Lohnfindung ist in den vergangenen Jahren Grundlage und Voraussetzung für sozialen Frieden und nachhaltigen Wohlstand gewesen. In tariffreien Bereichen ist eine Lohnuntergrenze denkbar, die dann aber auch von den Tarifpartnern ausgehandelt und gefunden werden muss. Unser Land ist in den letzten Jahren gut mit einer derartigen Lohnfindung gefahren. Die Arbeitslosigkeit sinkt beständig und liegt zwischenzeitlich unter 3 Millionen Menschen. Im Gegenzug steigt der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung und liegt jetzt über 40 Millionen Menschen. Da von „Zunahme der sozialen Spaltung in Deutschland“ zu sprechen, ist schon ungeheuerlich. Im Weiteren werden die bekannten ideologisch motivierten Lösungsansätze und Instrumente der SPD aufgeführt, die schon in der Vergangenheit in Deutschland keine oder nur eine schlechte Wirkung gezeigt haben. Im Sinne der von uns befürworteten sozialen Marktwirtschaft werden von uns nur die Rahmenbedingungen gesetzt. Direkte und dirigistische Eingriffe in den Markt sollten nur im Ausnahmefall erfolgen und nicht die -Regel sein. Alles in allem bleibt festzuhalten: Deutschland erfüllt seine nationalen und europäischen Verpflichtungen. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung der Kernziele der EU. Die von der SPD aufgestellten Forderungen sind irreführend und überflüssig. Wir sollten weiter auf dem erfolgreichen Weg der unionsgeführten Bundesregierung gehen. Kerstin Griese (SPD): Die Bundesregierung hat eine Chance vertan. Die Idee der Strategie „Europa 2020“ beinhaltet, dass die Zivilgesellschaft intensiv und umfassend an der Verwirklichung der Ziele von „Europa 2020“ beteiligt wird. Dazu gehört, dass die Ideen der Verbände und Sozialpartner bei der Formulierung des Nationalen Reformprogramms berücksichtigt werden. Die Bundesregierung aber war unfähig, den Entwurf des Nationalen Reformprogramms 2012 so frühzeitig zur Kenntnis zu geben, dass sich diese Partner ausführlich mit dem Programm hätten beschäftigen können. Stattdessen hatten die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der Kommunen lediglich wenige Tage Zeit, um sich zu dem 90-seitigen Nationalen Reformprogramm 2012 zu äußern. Diese kurzfristige Beteiligung wurde von den kommunalen Spitzenverbänden wortwörtlich als „äußerst ärgerlich“ bezeichnet. Fest steht, dass die Zivil-gesellschaft nicht angemessen an der Formulierung des Nationalen Reformprogramms beteiligt wurde. Das ist angesichts der Bedeutung der Strategie „Europa 2020“ für die Zukunft Deutschlands und Europas ein eklatantes Versäumnis. Die Beteiligung der Partner wäre deshalb so wichtig gewesen, weil dadurch eine Rückkopplung zwischen der Ebene der Europäischen Union und der Zivilgesellschaft der Menschen in Deutschland geschaffen worden wäre. Das Nationale Reformprogramm ist aus dem Grunde so wichtig, weil es die Ziele der Strategie „Europa 2020“ umsetzen soll. Mit der Strategie „Europa 2020“ hat sich die Bundesregierung im Jahr 2010 verpflichtet, jedes Jahr bis April in ihrem Nationalen Reformprogramm darzulegen, mit welchen Maßnahmen sie die Ziele der Strategie „Europa 2020“ erreichen will. Das strategische Ziel von „Europa 2020“ ist es, „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ in der Europäischen Union zu generieren. Um dieses übergeordnete Ziel zu erreichen, hat sich die Europäische Union auf fünf Kernziele geeinigt, die sie bis 2020 verwirklichen möchte. Europa soll umweltfreundlicher werden, indem die Treibhausemissionen gesenkt, die erneuerbaren Energien gestärkt und die Energieeffizienz in der Europäischen Union gesteigert werden. Außerdem -haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, im Jahr 2020 mindestens 3 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Innovation, Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Die soziale Dimension der Europäischen Union soll gestärkt werden, indem die Beschäftigungsquote in den Mitgliedstaaten gestärkt wird, sodass im Jahr 2020 mindestens 75 Prozent der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren einen Arbeitsplatz haben. Gleichzeitig sollen die Schulabbrecherquote auf unter 10 Prozent gesenkt und der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit abgeschlossener Hochschulbildung auf mindestens 40 Prozent eines Jahrgangs angehoben werden, um das Bildungsniveau zu verbessern. Schließlich hat sich die Bundesregierung ebenso wie alle anderen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dazu verpflichtet, die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Millionen zu senken. Die Bundesregierung hat aber das Nationale Reformprogramm 2012 – wie bereits im vergangenen Jahr – allein dazu genutzt, ihre Politik zu rühmen. Deutschland habe die Ziele der Strategie „Europa 2020“ nahezu -erreicht. Deshalb bedürfe es keiner weiteren Anstrengungen; das ist der Grundtenor der Bundesregierung. Entsprechend dürftig ist der Inhalt des Nationalen -Reformprogramms. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in ihrem Antrag besonders auf die sozialpolitischen Ziele konzentriert. Denn Europa ist mehr als ein Wirtschaftsraum. Das so-ziale Europa ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr wichtig. Deshalb will ich hier besonders das Ziel der Armutsreduktion nennen, um zu zeigen, dass die Bundesregierung weit davon entfernt ist, die Ziele der Strategie bereits erreicht zu haben. Zur Erinnerung: Die Anzahl der durch Armut und soziale Ausgrenzung gefährdeten Menschen in der Europäischen Union soll bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Millionen verringert werden. Die Bundesregierung hat sich dazu entschlossen, einen Beitrag zu diesem Ziel zu leisten, indem sie sich allein auf die Anzahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland konzentriert, die sie bis zum Jahr 2020 um 320 000 Menschen verringern will. Heute – im Jahr 2012 – gibt es in Deutschland über 1 Million Menschen, die mindestens zwölf Monate ohne Unterbrechung -arbeitslos waren und damit als langzeitarbeitslos gelten. Eine Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit um 320 000 Personen bis zum Jahr 2020 hieße also erstens, dass im Jahr 2020 immer noch rund 700 000 Menschen länger als ein Jahr arbeitslos wären. Die Bundesregierung gibt sich also damit zufrieden, die Langzeitarbeitslosigkeit um lediglich ein Drittel zu verringern. Sie findet sich damit ab, dass 700 000 Menschen auch im Jahr 2020 noch von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen wären. Schon daran zeigt sich, dass die Bundesregierung weit davon entfernt ist, die Ziele der Armutsbekämpfung zu erreichen. Wir müssen in Deutschland mehr tun, um Armut zu vermeiden und um Menschen aus Arbeitslosigkeit und Armut zu befreien. Das zeigt sich nicht nur an der -Anzahl der Langzeitarbeitslosen, sondern auch an den Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat. -Eurostat hat ermittelt, dass in Deutschland fast 16 Mil-lionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Das Statistische Bundesamt sprach jüngst von 13 Millionen Menschen in Deutschland, die weniger als 60 Prozent des Durchschnitts zum Lebensunterhalt zur Verfügung haben. Laut Eurostat lebten im Jahr 2010 in unserem Land rund 3,7 Millionen Menschen, die unter erheblicher materieller Deprivation litten, also ihre Grundbedürfnisse nicht aus eigener Kraft befriedigen konnten. Die Bundesregierung hat in dieser Woche eingeräumt, dass Millionen Frauen Armut im Alter drohe, da sie heute nur geringfügig beschäftigt seien. 4,65 Millionen Frauen arbeiten derzeit in Minijobs, sodass sie nur geringe Rentenanwartschaften erwerben. Angesichts dieser Zahlen sind die im Nationalen Reformprogramm 2012 genannten Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Armut in Deutschland völlig unzureichend. Es ist dringend erforderlich, dass die Bundesregierung neben dem Indikator der Langzeitarbeitslosigkeit auch die anderen Armutsindikatoren der Europäischen Union berücksichtigt. Nur dann würde die Bundesregierung dem Ausmaß der Armut und sozialen Ausgrenzung in Deutschland gerecht. Nur dann wäre der Beitrag Deutschlands zur Verringerung der Armut in der Europäischen Union angemessen. Leider ignoriert die Bundesregierung den Handlungsbedarf im Bereich der Armutsbekämpfung seit langem. Schon das Nationale Reformprogramm des vergangenen Jahres beschränkte sich auf den Indikator Langzeitarbeitslosigkeit. Die Bundesregierung hat unsere damalige Aufforderung, mehr gegen Armut zu tun, ignoriert. Wenn schon der stärkste Mitgliedstaat der Europäischen Union der Verringerung der Armut einen solch geringen Stellenwert beimisst, ist zu fragen, warum andere Mitgliedstaaten, in denen die Armut und soziale Ausgrenzung ein weit höheres Ausmaß haben, mehr tun sollten. Die Bundesregierung geht hier mit schlechtem Beispiel voran. Der Spiegel bezeichnete die Bundesregierung in dieser Woche als „Tunix-Regierung“. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Im Kampf gegen Armut sind Bundeskanzlerin Merkel und ihr Kabinett ebenso untätig wie in den anderen Bereichen der Strategie „Europa 2020“. Bei der Beschäftigungsquote mag das quantitative Ziel, dass mindestens 75 Prozent der Männer und Frauen zwischen 20 und 64 Jahren einen Arbeitsplatz haben, statistisch fast erreicht sein. Es reicht aber nicht aus, auf das quantitative Ziel zu schauen. Zu fragen ist auch, wie die -Beschäftigungsverhältnisse qualitativ aussehen. Diese Frage stellt sich die Bundesregierung jedoch nicht. Ihr geht es allein darum, statistisch gut auszusehen. Ob die Menschen von ihrer Arbeit leben können, interessiert -offenbar weder Frau Merkel noch Frau von der Leyen. Anderenfalls hätten sie längst einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt und die Leiharbeit anständig reguliert. Meine Kritik am Nationalen Reformprogramm 2012 der Bundesregierung ließe sich fortsetzen. Trotz meiner Enttäuschung über die Reformprogramme der vergangenen beiden Jahre möchte ich meine Hoffnung äußern, dass die Bundesregierung die zu erwartende Kritik der Europäischen Kommission aufnehmen und ihr Nationales Reformprogramm verbessern wird. Unser Ziel ist, dass Europa auch ein soziales Gesicht hat und dass trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise sozialpolitische Standards und Ziele stärker berücksichtigt werden. Ich will sogar deutlich sagen: Gerade wegen der Krise dürfen wir uns nicht allein aufs Sparen verlassen, sondern müssen Wachstum unter sozialen Bedingungen gestalten. Andrej Hunko (DIE LINKE): Spätestens seit den sogenannten Sozialreformen in Deutschland unter Gerhard Schröder, der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen, hat der früher einmal positiv besetzte Begriff Reform für viele Menschen in Deutschland einen bitteren Bei--geschmack. Den Antrag der SPD-Fraktion „Nationales Reformprogramm 2012 muss soziale Ziele der ,Strategie Europa 2020‘ berücksichtigen“ kann ich nur einen -typisch sozialdemokratischen Antrag nennen, der leider nicht dazu beiträgt, die vorgeblich verfolgten sozialen Ziele zu erreichen. Das beginnt bereits bei dem grundlegenden Bezug zur Strategie „Europa 2020“, die meine Fraktion im Unterschied zur SPD abgelehnt hat. Denn diese Strategie setzt die offensichtlich gescheiterte -Lissabon-Strategie nicht nur fort, sondern radikalisiert ihren neoliberalen Charakter auch noch. Aber mit den umzusetzenden Mitteln der Marktöffnung, des Sozial-abbaus und der Deregulierung werden die auf geduldigem Papier geschriebenen wünschenswerten sozialen Ziele wieder nicht erreicht werden. Zur Umsetzung fokussiert „Europa 2020“ ausschließlich auf Wachstum durch Wettbewerb und marktbasierte Instrumente. Der ungebrochene Fokus auf Beschäftigungsförderung durch beispielsweise größere Mobilität und Flexi-bilisierung der Beschäftigten ist kaum vereinbar mit dem Ziel der Armutsverringerung. Ihr Antrag spiegelt zwar die aktuelle Entwicklung in der Krisen-EU wieder, in der die „Schere zwischen Arm und Reich“ weiter auseinandergeht. Aber Sie vermeiden es, zu sagen, dass es die europäischen Austeritätspakete sind, die ganze Bevölkerungsteile in die Armut stoßen. Stattdessen reden Sie von der sozialen Dimension der EU als zentralem Teil des europäischen Gesellschaftsmodell, die in der Strategie „Europa 2020“ enthalten sei. Dabei wird das europäische Sozialstaatsmodell gegenwärtig durch den Fiskalpakt völlig infrage gestellt. Der EZB-Chef Draghi spricht gar davon, dieses Modell habe ausgedient. Liebe Kollegen von der SPD, Sie sind offensichtlich noch heute stolz darauf, dass in Deutschland ein vorher kaum vorhandener Niedriglohnsektor massiv eingeführt wurde und die meisten Jobs in Deutschland heute prekäre Jobs sind. So heißt es in Ihrem Antrag: „Aufgrund der von der SPD verantworteten Reformmaßnahmen der vergangenen Jahre ist Deutschland heute im europäischen Vergleich wirtschaftlich erfolgreich.“ Haben Sie noch nicht mitbekommen, dass der deutsche Niedriglohnsektor, das deutsche Lohndumping eine der Hauptursachen der Krise innerhalb der Euro-Zone ist, dadurch, dass in Deutschland als einzigem europäischen Land die Reallöhne gesunken sind und so die Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der Beschäftigten und auf Kosten schwächerer Volkswirtschaften in der Euro-Zone erhöht wurde? Die Einführung des Niedriglohnsektors in Deutschland durch Agenda 2010 und Hartz IV hat die Axt an die wirtschaftliche Integration Europas gelegt. Die Forderungen, die Sie im Forderungsteil aufstellen, gehen für sich genommen zweifellos in die richtige Richtung. Aber Sie bleiben die Antwort auf die Frage schuldig, wie diese Forderungen unter den Bedingungen des Fiskalpaktes und auf Grundlage der EU-2020-Strategie verwirklicht werden sollen. Wie bei der Agenda 2010 werden auch die Mittel der Europa-2020-Strategie gnadenlos angewandt, nur um am Ende zu merken, dass die Ziele so nicht zu erreichen sind. Daher irren Sie auch, wenn Sie schreiben, dass die Bundesregierung der Strategie „Europa 2020“ offenkundig einen niedrigen -Stellenwert beimisst. Vielmehr ist die europäische Wirtschaftspolitik der Regierungskoalition eine Weiterführung der neoliberalen Strategie der verkürzten Fokussierung auf Wettbewerbsfähigkeit und blindes Wachstum. Die Paradigmen in der EU müssen völlig anders gestellt werden. Der betriebswirtschaftliche Begriff der Wettbewerbsfähigkeit, der seit der Lissabon-Strategie aus dem Jahre 2000 zur Kernideologie europäischer Wirtschaftspolitik avanciert ist, eignet sich nicht als Ziel einer Volkswirtschaft. Europa muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die neoliberalen Dogmen müssen durch soziale und ökologische Kriterien ersetzt werden. Ich fürchte, dass die schönen Forderungen in Ihrem Antrag am Ende Papier bleiben, wenn sich die strategischen Grundlagen der EU nicht ändern. Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr -Kauder sprach davon, dass Deutschland dank überdurchschnittlicher Wirtschaftsentwicklung vorangehen sollte. An Ihrem eigenen Maßstab gemessen, ist Ihr Nationales Reformprogramm ein Armutszeugnis. Mit der EU-2020-Strategie haben wir uns zum Ziel gesetzt: 20 Millionen Menschen weniger sollen von Armut und Ausgrenzung bedroht sein. 16 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger sind deutsch. 16 Prozent von 20 Millionen sind 3,25 Millionen. Aber Herr Kauder sagt: Wir wollen vo-rangehen. Setzt sich die Bundesregierung also mehr als 3,25 Millionen als Ziel? Nein! 640 000 ist die kümmer-liche Zahl, die diese Bundesregierung sich gerade noch zutraut. Auch bei der Sozialpolitik geht diese Regierung nicht voran. Sie machen Deutschland zum Schlusslicht in Europa. Die Bundesregierung macht das Nationale Reformprogramm an dieser Stelle zum notorischen Rechtfertigungsprogramm. Sie rechnen vor, wie sie Langzeitarbeitslosigkeit reduzieren wollen. Landzeitarbeitslose sind auch leider oft arm. Die EU-Kommission hat dieses Ablenkungsmanöver aber schon letztes Jahr kritisiert; denn Langzeitarbeitslose sind nur ein kleiner Teil der über 16 Millionen von Armut bedrohten Menschen in Deutschland. 15 von 16 Millionen kommen dann aber bei Ihrer Zielsetzung schon nicht mehr vor. Das ist ein Skandal. Hier gehört dringend nachgebessert. Dieser Fehler im Grundansatz Ihres Programms hat leider sogar System. Arbeit verhindert Armut, so lautet Ihr Rezept. Leider stimmt das immer öfter nicht. Ich -zitiere aus dem Arbeitspapier der EU-Kommission zu Ihrem sehr ähnlichen Papier von letztem Jahr: „Obwohl immer mehr Menschen trotz Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind, wird dieses Thema nicht als Herausforderung eingestuft.“ Armut trotz Arbeit, das Problem ignorieren Sie einfach, sagt die mehrheitlich von Konservativen besetzte EU-Kommission. Kein Wunder, denn selbst unter konservativen Regierungen fällt Deutschland -negativ auf. Sie verweigern sich Mindestlöhnen, die in Europa die Regel sind. Lassen Sie sich von Europa in-spirieren. Statt Armut oder Lohnuntergrenzen brauchen wir Mindestlöhne überall in Europa. Armut trotz Arbeit, das ist leider auch für viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter harte Realität. Herr -Kauder hat aufgefordert, wir sollten zu rot-grünen Erfolgen stehen. Keine Angst, das tun wir. Vor allem sind wir aber auch bereit, aus Fehlern zu lernen. Mehr Leiharbeit hat teils zu mehr Beschäftigung geführt, teils aber auch feste Stellen ersetzt und Löhne gedrückt. Im Interesse der Beschäftigten und auch im Interesse Europas muss das beendet werden. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter verdienen den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft. Wir fordern: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. So geht soziales Europa. Neben dem Ziel der Armutsbekämpfung verpflichtet uns die EU-2020-Strategie auf 75 Prozent Beschäftigungsquote. Sie sagen: Wir erreichen fast 77 Prozent. Da würde ich gerne wissen: Warum so bescheiden? Wer in Europa vorangehen will, sollte sein Ziel nicht danach aussuchen, was sich gut darstellen lässt, sondern mindestens danach, was bei ordentlicher Anstrengung möglich ist. Außerdem hält der Scheinerfolg keiner harten Überprüfung stand. Mehr Beschäftigung ist vor allem mehr atypische Beschäftigung, die eben nicht vor Armut schützt. Ihr Programm spart an der falschen Stelle. Sie wollen nicht investieren, um den harten Kern der Arbeitslosigkeit anzugehen. Gleichzeitig schlägt die EU-Kommission bei den EU-Strukturfonds ganz im Rahmen der EU-2020-Strategie vor: Mindestens die Hälfte der Mittel soll für sozialpolitische Ziele ausgegeben werden. Ihre falschen Schwerpunkte stärken dabei meine Befürchtung. Sie wollen Mittel der EU verwenden, um ihre frischen Einschnitte bei der Arbeitsmarktpolitik ein bisschen zu ersetzen. Das wäre gegen die richtigen und nachhaltigen Ziele der EU-Förderung. So geht soziales Europa nicht. Seien sie europäischer als das! Nur ein Beispiel, welche ihrer Kürzungen ich besonders falsch finde. Der Gründungszuschuss war eine Hilfe für Menschen, die sich aufmachen, selbstständig zu sein statt arbeitslos. Alle Analysen loben dieses Instrument. Gegen den vereinten Rat aller Expertinnen und Experten haben Sie den Gründungszuschuss als Anspruch gestrichen. Jetzt wird er nur noch halb so oft beantragt, wie er vorher genehmigt wurde. Das zeigt: Diese Bundesregierung kann erfolgreich gegen Arbeitslosigkeit sein, schon indem Sie ihre eigene Politik rückgängig macht. Sträflich vernachlässigt wird im Beitrag dieser Regierung zum europäischen Semester die europäische -Dimension. Mindestlöhne und bessere Sozialpolitik hier helfen nicht nur Menschen in Deutschland. Mehr Kaufkraft auf dem deutschen Binnenmarkt könnte auch die riesigen Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den EU-Krisenländern und Deutschland verringern. Eine -Regierung, in der teils bis heute der Austritt Griechenlands aus dem Euro gefordert wird, könnte endlich solidarisch handeln. So würden Menschen in Deutschland und Menschen in Griechenland, Spanien und Portugal gleichermaßen profitieren. So ginge soziales Europa. Geben Sie Europa endlich wieder eine Chance! Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der SPD für den Antrag, der diese Kritik aufgreift. Es ist schade, dass die Bundesregierung für solche Kritik kaum offen ist. Herr Rösler behauptet: „Das Programm ruht auf breiten Schultern. Verbände, Sozialpartner und auch die Länder waren beteiligt.“ In derselben Debatte musste er einräumen, die Frist sei „vergleichsweise kurz“ gewesen. Drei Arbeitstage lang hatte das Ministerium zugestanden. Das ist ein interessantes Zeichen dafür, wie wichtig der -Regierung die Zusammenarbeit mit Verbänden und -Gewerkschaften ist. Zum Glück haben Sie nach der Debatte und der zu -erwartenden Kritik der EU-Kommission mehr als drei Tage Zeit, ein Programm mit ernsthaften Zielen zu formulieren. Nutzen Sie diese Zeit! 16 Millionen allein in Deutschland von Armut bedrohte Menschen haben eine bessere Politik dringend verdient. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Die Bundesregierung hat am 21. März das Nationale Reformprogramm 2012 verabschiedet. Das Dokument ist deutlicher Beleg für unsere erfolgreiche Regierungsarbeit. Mit dieser Erfolgsbilanz können wir uns in Brüssel wirklich sehen lassen. Die Europäische Kommission hatte uns für das Programm ambitionierte Vorgaben und einen engen Zeitplan gesetzt. Wir haben die Länder intensiv an der Erarbeitung beteiligt. Mit den Verbänden und Sozialpartnern haben wir Gespräche geführt und ihre Stellungnahmen berücksichtigt. Im Ergebnis ist festzuhalten: Deutschland hat seine Verpflichtungen eingehalten und einen wichtigen Beitrag für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung in Europa geleistet. Wir haben bei der Umsetzung der Europa-2020-Strategie konkrete, sichtbare Fortschritte gemacht. Das gilt für alle EU-2020-Ziele und ist ausgesprochen erfreulich. Mit ihrem Antrag, das Nationale Reformprogramm stärker auf soziale Ziele zu fokussieren, hinkt die SPD wieder einmal der Realität hinterher. In dieser Woche hat das Statistische Bundesamt Zahlen zum europäischen Vergleich bei der Armutsgefährdung und der Einkommensungleichheit veröffentlicht. Fakt ist: Deutschland liegt in Sachen Armutsgefährdung unter dem europäischen Durchschnitt und unter dem Durchschnitt der Euro-Länder. Bereits jetzt haben wir die von der EU für 2020 angestrebte Beschäftigungsquote von 75 Prozent praktisch erreicht. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im Vergleich zum Jahr 2008 um rund 15 Prozent gesunken. Der Anteil der Menschen mit Hochschul- oder vergleichbarem Bildungsabschluss übersteigt das EU-Ziel deutlich. Wir investieren massiv in Bildung und Forschung. Bildung und Beschäftigung zu sichern ist für uns auch in Zukunft das beste Mittel, um Armut zu bekämpfen. Flexibilität und Effizienz des deutschen Arbeitsmarktes sind auch weiterhin entscheidend, um mehr Beschäftigung und Wachstum in Deutschland zu erreichen. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt sind wir dabei einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Wir setzen gezielte Schwerpunkte – weg von der Versorgung mit Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung, hin zu einer wirkungsvollen Aktivierungs- und Integrations-strategie mit mehr Entscheidungskompetenzen der Vermittler vor Ort. Damit ergänzen wir die Arbeitsmarktreformen, die auch von der SPD Mitte des vergangenen Jahrzehnts eingeleitet wurden. Die Koalition hat diese Reformen weiterentwickelt und zum Erfolg geführt. Aber die SPD vollzieht jetzt leider mit ihrem Antrag eine völlige Kehrtwende. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wollen den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Das gefährdet die in Deutschland bewährte Tarifautonomie und kostet Arbeitsplätze. Sie wollen die Öffnung der Zeitarbeit rückgängig machen. Und dabei vergessen Sie, dass für viele Arbeitslose gerade dies der Weg in eine dauerhafte Beschäftigung ist. Ihr Antrag ist rückwärtsgewandt. Das, was Sie selbst mit eingeleitet haben und was sich jetzt am Arbeitsmarkt auszahlt, stellen Sie infrage. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Die Bereitschaft der Unternehmen, auch in Zukunft weiter einzustellen, hängt wesentlich davon ab, dass der Arbeitsmarkt flexibel bleibt. Genau hierfür steht diese Bundesregierung. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG-Wohnungen (Zusatztagesordnungspunkt 5) Karl Holmeier (CDU/CSU): Ein bekannter deutscher Politiker, der nicht der CSU angehört, hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist“. Damit hatte er durchaus recht, denn Gestalten kann man nur in Regierungsverantwortung. Opposition hat aber auch etwas für sich, wie man am vorliegenden Antrag der Linken sieht. Denn in der Opposition zu sein, eröffnet offenbar die bequeme Möglichkeit, ohne Rücksicht auf jede Sach- und Rechtslage Forderungen zu erheben, die fernab der Realität sind und nichts mit dem zu tun haben, was man unter verantwortungsvoller Politik versteht. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, hier einiges klarzustellen: Erstens. Für alle jene, die die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN GmbH nicht kennen: TLG steht für Treuhand Liegenschaftsgesellschaft. Das Unternehmen ist 1991 aus der Treuhandanstalt hervorgegangen. Nachdem diese ihre Tätigkeit Ende 1994 beendete, wurde die Verantwortung für die Erfüllung ihrer verbliebenen Aufgaben 1995 auf einzelne Gesellschaften des Bundes übertragen. Die noch nicht privatisierten Liegenschaften der Treuhand wurden fortan von der TLG verwaltet. Zweitens. Seit dem Jahr 2000 wurde dann schließlich die Privatisierung der TLG vorbereitet, da ihr Zweck, der Treuhandauftrag, weggefallen ist. Diese Privatisierung ist mit dem Wegfall des Treuhandauftrages sogar nach der Bundeshaushaltsordnung zwingend vorgeschrieben, da damit kein wichtiges Interesse des Bundes mehr besteht. Mit ihrer Forderung operiert die Linke insofern nahe an der Rechtswidrigkeit. Drittens. Ein solches wichtiges Bundesinteresse lässt sich auch nicht aus der unbestrittenen Verantwortung des Staates herleiten, für bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnraum in Deutschland zu sorgen. Ich will auch gern begründen, warum. Schauen Sie sich doch einfach einmal das Portfolio der TLG an. Die Wohnungen der TLG befinden sich im Wesentlichen überhaupt nicht an den Orten, wo Wohnungsengpässe bestehen und wo eventuell der Staat zur Stabilisierung des Mietwohnungsmarktes gefragt wäre. Die Wohnungen der TLG befinden sich vielmehr im Wesentlichen dort, wo es einen ausgewogenen Wohnungsmarkt gibt und wo zum Teil sogar Leerstand herrscht. Die Bundesregierung hat sich hierzu auch bereits in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im November 2011 unter Drucksache 17/7594 geäußert und mitgeteilt, dass „die Steuerungswirkung des TLG-Wohnungsbestandes auf die ostdeutschen Mietwohnungsmärkte … als gering eingeschätzt“ wird. Vielleicht hätten sich die Kollegen von der Linken diese Antwort zunächst einmal angeschaut. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht erkennen, warum der Staat hier in den Wettbewerb mit privaten Unternehmen treten und ins Immobiliengeschäft einsteigen sollte. Darüber hinaus ist mit Blick auf die Forderung, die TLG-Wohnungen an die Kommunen zu übergeben, zu beachten, dass der Bund aufgrund des EU-Beihilferechts daran gehindert ist, die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN freihändig zu verkaufen. Der Verkauf muss im Rahmen eines europaweit auszuschreibenden Bieterverfahrens erfolgen. Der Bund hat damit keinen Einfluss darauf, wer Kaufgebote abgibt. Auch dies kann man in der bereits genannten Antwort der Bundesregierung vom November nachlesen. Viertens. Im Übrigen möchte ich betonen, dass die christlich-liberale Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung die Unterstützung sozial schwacher Haushalte bei der Wohnraumversorgung durchaus ernst nimmt. Denn letztlich ist dies die Aufgabe eines Sozialstaates. Wesentliche Ansatzpunkte hierfür sind die Gewährung von Wohngeld zur Stärkung der Mietzahlungsfähigkeit und die soziale Wohnraumförderung. Im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung kümmert sich der Staat um die Bereitstellung preiswerter Mietwohnungen für sozial schwache Haushalte und die Unterstützung bei der Bildung selbst genutzten Wohneigentums vor allem für Haushalte mit Kindern. Auch die Schaffung von behindertengerechtem Wohnraum wird von zahlreichen Ländern und Kommunen gefördert. In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung im Zuge der Föderalismusreform mit Wirkung vom 1. September 2006 vom Bund auf die Länder übertragen wurde. Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben erhalten die Länder zunächst bis einschließlich 2013 vom Bund jährlich 518,2 Millionen Euro. Darüber hinaus setzt sich der Bund auch direkt im Zusammenhang mit der Privatisierung der TLG dafür ein, dass sozialschwache Mieter und Menschen mit Behinderung geschützt werden. Im Rahmen einer Sozialcharta zum Schutz der Mieter soll verhindert werden, dass nach der Privatisierung aus den Wohnungen der TLG Luxusobjekte entstehen und sozial schwache Mieter benachteiligt werden. Ich will an dieser Stelle keine plumpe Linken-Schelte betreiben, aber mir zwängt sich vor dem erläuterten Hintergrund der Verdacht auf, dass sich die Linke von der Vorstellung volkseigener Betriebe immer noch nicht ganz verabschiedet hat. Aus den Fehlern der Vergangenheit scheint sie jedenfalls auch fast 22 Jahre nach der Deutschen Einheit in diesem Zusammenhang nichts gelernt zu haben. Aber wenn man in der Opposition ist, ist eben doch nicht alles Mist. Denn man kann fordern, was man möchte, sogar die Wiedereinführung volkseigener Betriebe. Hans-Joachim Hacker (SPD): Auch 22 Jahre nach der Gründung der Treuhandanstalt in der DDR hält der Bund immer noch Vermögenswerte aus diesem Bestand. Dazu zählen auch die von der TLG IMMOBILIEN gekauften nicht betriebsnotwendigen Immobilien der Treuhandanstalt. Die TLG IMMOBILIEN hat eine erfolgreiche Sanierungspolitik betrieben und hält in den neuen Ländern Eigentum im Verkehrswert von circa 1,7 Milliarden Euro. Dieses verteilt sich auf die Segmente Büros, Einzelhandel, Gewerbe und Wohnen. In der Gesamtsumme der Verkehrswerte stecken 544 Millionen Euro bei -Wohnimmobilien. Die Bundesregierung hat die -ursprüngliche TLG IMMOBILIEN zu Beginn dieses Jahres in zwei Gesellschaften zerlegt, die TLG IMMOBILIEN GmbH einschließlich ihrer Tochterunternehmen und die TLG WOHNEN GmbH, die über rund 11 500 Wohnungseinheiten verfügt. Die Bundesregierung hat beschlossen, beide Gesellschaften zu veräußern, und zwar im Rahmen eines marktüblichen Bieterverfahrens, das im Amtsblatt der EU bekannt gegeben ist. Der Bundesfinanzminister plant nach dem gescheiterten ersten Privatisierungsversuch im Herbst 2008 aufgrund der damaligen Finanzkrise den Abschluss der Privatisierung der beiden Gesellschaften bis Ende 2012. Eine milliardenschwere Euro-Einnahme soll dem Bundeshaushalt Kraft verleihen. Dies ist der Hintergrund für den Antrag der Fraktion Die Linke, über den wir beraten. Den Feststellungen, dass Wohnen ein elementares Grundbedürfnis der Menschen ist, kann sich die SPD-Bundestagsfraktion anschließen, und die soziale Komponente von öffentlichem Wohneigentum ist unbestritten. Sie ist für uns ein hohes Gut. In Zeiten, in denen zu wenige Wohnungen gebaut werden und die Preise auf dem Mietmarkt steigen, ist ein reiner auf Erlös ausgerichteter Verkauf von bundeseigenen Wohnungsbeständen im Bieterverfahren auf dem freien Markt das absolut falsche Signal. Wir müssen hier auf allen Ebenen gegensteuern. Dieser Verantwortung kann sich auch der Bund nicht entziehen. Bei künftigen Überlegungen zur Veräußerung von Bundeswohneigentum müssen vorrangig Überlegungen angestellt werden, den Einfluss der öffentlichen Hand zu sichern oder genossenschaftliche Erwerbsmodelle zu entwickeln. Nicht die Euro-Zeichen in den Augen des Finanzministers sind der Maßstab, sondern die Aufrechterhaltung eines regulierenden Einflusses auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Deutschland – soweit dies möglich ist. Für die Aufrechterhaltung des Einflusses der öffentlichen Hand stehen die Kommunen. Der Weg muss also in Richtung der Länder beschritten werden, es gibt hierfür Beispiele. Ich erinnere an die Verhandlungen zwischen Bund und den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg über den Verkauf bundeseigener Seengewässer. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte in ihrem damaligen Antrag genau diesen Weg beschrieben. Leider ging die Einsicht der Koalitionsfraktionen nicht so weit. Nun haben aber Verhandlungen stattgefunden und sind erste Ergebnisse erreicht worden. Die SPD-Bundestagsfraktion ist allerdings nicht der Meinung, wie es sich aus dem Antrag der Fraktion Die Linke ergibt, dass die TLG IMMOBILIEN GmbH, die in den Segmenten Büros, Einzelhandel, Gewerbe und Dienstleistungen Immobilien hält, dauerhaft im Eigentum behalten soll. Die Übernahme des ursprünglichen Gesamtbestandes resultierte aus der notwendigen Trennung von nicht betriebsnotwendigen Immobilien von den Unternehmen der Treuhandanstalt. Die TLG IMMOBILIEN war für diesen Bereich von vornherein eine zeitlich befristete Einrichtung. In dem Moment, wo sich Möglichkeiten einer günstigen Veräußerung für den Bund ergeben, sind diese ernsthaft zu prüfen. Es gibt hier im Gegensatz zum Wohnungsbestand auch nicht die Notwendigkeit von Kooperationsmodellen mit den Ländern bzw. Kommunen, da nach allgemeiner Kenntnis beide staatlichen Ebenen kein Interesse am Eigentumserwerb derartiger Objekte haben. Auf diese gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Immobiliengruppen und -somit den beiden Gesellschaften des Bundes will ich deutlich hinweisen. Sollte der Bund wie geplant das -Bieterverfahren für die TLG IMMOBILIEN – ich meine ausdrücklich nicht die TLG WOHNEN – bis zum 31. Dezember 2005 weiterverfolgen, erwartet die SPDBundestagsfraktion, dass hierbei die Interessen der Beschäftigten und übergreifende gesellschaftliche Interessen Berücksichtigung finden. Ich meine hier insbesondere, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben darf, dass die Objekte wie bislang im Fortbestand gesichert werden und in die Stadtentwicklung einbezogen bleiben. Für den Verkauf der TLG WOHNEN sieht die SPD-Bundestagsfraktion, wie oben dargestellt, keine Grundlage. Im Gegenteil: Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen nicht durchzuführen. Wegen der undifferenzierten Antragstellung der Fraktion Die Linke, die nicht zwischen den Immobilienbeständen der TLG IMMOBILIEN GmbH, Gewerbe, und der TLG WOHNEN GmbH, Wohnbestände, unterscheidet, wird sich die SPD-Bundestagsfraktion bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Sebastian Körber (FDP): Die SED-Erben der Linksfraktion und das Eigentum – das ist immer wieder ein Kapitel für sich; jetzt bereichern Sie uns mit einer weiteren Kostprobe. Sie wollen – wenig überraschend – keine Privatisierungen der TLG-Wohnungen, weil es Ihnen natürlich um Ideologie geht. Für mich und meine Fraktion ist Privatisierung aber keine Frage der Ideologie; denn es stellt sich die spannende Frage, was zu den Aufgaben des Staates gehört und was nicht. In der Beantwortung dieser Frage unterscheiden wir uns als Liberale fundamental: Die Linke meint, der Staat könne alles besser, die Gesellschaft wisse am besten, was für den Einzelnen gut ist. Sie haben aus der Geschichte wahrlich nichts gelernt oder sie bewusst verdrängt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung zu Recht zu einer grundsätzlichen Überprüfung staatlichen Beteiligungsbesitzes verpflichtet. Konkrete Maßstäbe für diese Überprüfungen sind dabei die Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung sowie ein eindeutiges Nein auf die Frage, ob für eine Beteiligung an Unternehmen ein „wichtiges Bundesinte-resse“ besteht. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen wirtschaftlich zu veräußern – das ist also sowohl das Recht als auch die Pflicht des Bundes. Das gilt auch im Fall der TLG IMMOBILIEN GmbH; wir als FDP begrüßen den Verkauf. Der Bund wollte bei seinem ersten Anlauf zur Privatisierung 2008 die TLG IMMOBILIEN GmbH noch als Ganzes verkaufen. Dies hatte seinerzeit zur Folge, dass vor allem Finanzinvestoren am Erwerb der TLG interessiert waren. Für strategische Investoren war die TLG zu breit aufgestellt. Der Finanzminister hat daher richtig entschieden, sämtliche Wohnimmobilien in eine separate Gesellschaft – die TLG WOHNEN – zu übertragen, um auf diese Weise einen getrennten Verkauf der Wohnimmobilien und der Gewerbeimmobilien zu ermöglichen. Hierdurch können die Chancen des Erwerbs durch langfristig orientierte Investoren sowie die Chancen auf einen dauerhaften Fortbestand der Unternehmen erhöht werden. Der Verkauf der TLG IMMOBILIEN GmbH und der TLG WOHNEN erfolgt aktuell im Einklang mit dem EU-Beihilferecht im Rahmen eines europaweit auszuschreibenden Bieterverfahrens. Es ist schon sehr durchsichtig, in welcher Art und Weise von der Linksfraktion hier mit Ängsten und Verunsicherung gearbeitet wird, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Es wird ja suggeriert, dass Mieter aller ihrer Rechte beraubt werden, wenn der Staat sich von überflüssigen Beteiligungen bei Immobiliengesellschaften trennt. Sie müssen sich doch darüber im Klaren sein, dass die Mieter schon aufgrund des geltenden Mieterrechts bei einem Kauf geschützt sind. Die Linke behaupten in ihrem Antrag, Wohnungsprivatisierungen führten zur Verschlechterung des Mieterschutzes. Richtig ist hingegen, dass wir ein sehr starkes Mietrecht zum Schutz der Mieter in Deutschland haben, eines der stärksten der Welt; das verschweigen Sie bei Ihren Anträgen natürlich immer geflissentlich. Das deutsche Mietrecht lässt Mieterhöhungen nur in engen Grenzen zu und bietet hierzu hinreichend Schutz. Das Mieterhöhungsverlangen des Vermieters darf nicht über die ortsübliche Vergleichsmiete hinausgehen. Weitergehende Mieterhöhungen sind nur möglich, wenn durch Modernisierungsmaßnahmen der Gebrauchswert der Wohnung erhöht wird. Zusätzlich kommen in beiden Fällen Kappungsgrenzen zur Anwendung. Die Wohnimmobilien der TLG befinden sich zu über 90 Prozent in einem qualitativ hochwertigen Zustand, sodass „Luxussanierungen“ unwahrscheinlich sind. Der Bund als Verkäufer ist sich darüber hinaus der -sozialen Verantwortung gegenüber den Mietern der Wohnimmobilien der TLG bewusst und wird dieser Ver-antwortung gerecht werden, soweit dies zum Schutz der Mieter erforderlich und angemessen ist. Er beabsichtigt daher, mit den Bietern für die TLG WOHNEN Ver-handlungen über den Abschluss einer Sozialcharta zum Schutz der Mieter zu führen. Wie der Verkauf von deutschen Wohnimmobiliengesellschaften in den vergan-genen Jahren gezeigt hat, ist der Abschluss einer -Sozialcharta zum Schutz der Mieter inzwischen branchenüblich. Die Linke tischt uns heute wieder allerhand tristen programmatischen Plattenbau auf. Wie das in der Realität ausgesehen hat, wissen wir alle: düstere Trabanten- und verfallene Innenstädte in der DDR und anderen so-zialistischen Staaten, die das Wohnen nicht gerade lebenswert machten. Der TLG-Verkauf ist für mich hingegen ein gutes Beispiel dafür, dass der Staat nicht alles machen kann, sondern dass man es demjenigen überlassen sollte, der es am besten kann. Wir stehen als FDP für den schlanken Staat und eine moderne zukunftsfähige Wohnungspolitik jenseits von Ideologie und linker Symbolpolitik und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Diesen Kurs wollen wir zum Wohle unseres Landes konsequent fortsetzen. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Dass die Linke konsequent und stetig gegen den Privatisierungsrausch der Bundesregierung ankämpft, ist Ihnen nicht neu. Das hat mit unserem Verständnis von Sozialstaat und politischer Verantwortung für soziale Gerechtigkeit zu tun. Dass wir aber nun einen Antrag einbringen, der vor allem den Schutz der TLG WOHNEN GmbH vor der Privatisierung zum Inhalt hat, werden manche hier im Haus zumindest merkwürdig finden: Ausgerechnet die Linke setzt sich scheinbar für eine Nachfolgegesellschaft der Treuhandanstalt, der vormaligen Treuhand Liegenschaftsgesellschaft und jetzigen TLG IMMOBILIEN GmbH, ein. Bemerkenswert ist daran aber vor allem, dass wir augenscheinlich die einzige Partei sind, die diesen beabsichtigten Verkauf der TLG GmbH grundsätzlich hinterfragt. Es geht hier immerhin um eine Bilanzsumme von fast 1,9 Milliarden Euro, wovon allein rund 1,7 Milliarden Immobilienvermögen sind. Verkauft werden sollen aber nicht schlechthin 11 500 Wohnungen und diverse Gewerbeimmobilien, sondern die TLG IMMOBILIEN GmbH insgesamt, die extra wegen der vermeintlich besseren Verkaufsaussichten zum Jahresbeginn 2012 in zwei Gesellschaften aufgespalten worden ist. Angeboten werden auch keine Tranchen von Wohnungsbeständen in den betroffenen Städten Berlin, Dresden, Rostock, Merseburg, Stralsund und Halle, sodass sich die Kommunen, kommunale oder regionale Wohnungsgesellschaften an dem – sehr eiligen – „strukturierten Bieterverfahren“ beteiligen könnten. Ich frage mich, wie zwei Parteien, die angeblich den Mittelstand so sehr ins Herz geschlossen haben und ständig von liberaler Chancengleichheit schwafeln, so etwas betreiben können. Das Verfahren läuft vom 8. März bis zum 16. April dieses Jahres. Der Verkauf insgesamt soll in diesem Jahr über die Bühne gehen. Das Bundesministerium der Finanzen sieht ausdrücklich nur den Verkauf sämtlicher Gesellschaftsanteile an einen oder höchstens zwei Erwerber vor. Zu Beginn zwei Fragen: Erstens. Wer kann das wohl sein? Zweitens. Wird mit diesem Verkaufsmodell möglicherweise die Grunderwerbsteuer umschifft? Wohlgemerkt: Das sind keine Schrottimmobilien, die man lieber heute als morgen loswerden müsste, sondern das sind gut vermietete und verwaltete Wohnungen und Gewerbeobjekte, die Jahr für Jahr satte Gewinne abwerfen. Es ist, als würde man das Huhn, das goldene Eier legt, für einen schnellen Happen zwischendurch schlachten. Mit nachhaltiger Haushaltskonsolidierung hat das nicht das Geringste zu tun. Das ist lediglich der untaugliche Versuch, neu klaffende Haushaltslöcher kurzfristig zu kaschieren. Nicht einmal von „solide stopfen“ könnte hier die Rede sein. Aber dieser wirtschaftliche Unfug ist nur die eine Seite der Medaille. Viel gravierender sind aus meiner Sicht drei charakteristische Denk- und Verhaltensmuster dieser Koalition, die hier wieder einmal deutlich sichtbar werden: Erstens. Mit dem Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände bedient man nicht nur die privaten Profitinteressen von großen Anlegern und internationalen Finanzinvestoren, für die der deutsche Immobilienmarkt höchst lukrativ ist, sondern man entledigt sich zugleich eines weiteren Stücks politischer Verantwortung für das soziale Funktionieren der Gesellschaft. Um den erhofften Verkaufsgewinn nicht zu schmälern, werden die Eignungskriterien für die Interessenten möglichst tief gehängt. Eine „kurze Begründung der mit dem Erwerb verfolgten Ziele“ und „Angaben bzw. Nachweise zur finanziellen Leistungsfähigkeit“ sollen nach dem Bekanntmachungstext des BMF für eine Zuschlagserteilung ausreichen. Noch einmal: Hier werden keine leblosen Wohn- und Gewerbeimmobilien verscherbelt, sondern Gesellschaften mit dem jahrzehntelangen Wissens- und Erfahrungsschatz ihrer Mitarbeiter und – was uns am meisten empört – mit allen Mieterinnen und Mietern, die seit vielen Jahren in ihren Wohnungen, in ihren Nachbarschaften, in guten, gewachsenen Wohnlagen leben und dort auch weiter unbehelligt und sicher bleiben wollen. Aber nicht einmal eine Nachbesserung der Mietverträge zum Schutz der Mieter ist bisher vorgesehen. Das ist eiskaltes Kalkül ohne jede soziale Regung oder Rücksichtnahme auf die betroffenen Menschen. Das geht so nicht! Zweitens. Man geht weiter den Irrweg, mit kurzfristigen Einmalerlösen strukturelle Defizite kompensieren zu wollen, ohne zu bedenken, dass daraus dauerhafte Mehrausgaben an anderer Stelle entstehen. Drittens. Man vertut vor allem die Chance, mit dem Potenzial, das in solchen Vermögenswerten steckt, nach neuen, dauerhaft tragenden Modellen zu suchen. Wenn schon die Bundesregierung kein „wichtiges Bundesinteresse“ mehr am Halten der Wohnungsbestände sieht, sollte sie doch zumindest bedenken, dass sehr wohl ein starkes öffentliches Interesse am Erhalt dieser Wohnungen im öffentlichen Eigentum besteht. Schon die verheerenden Erfahrungen, die so manche Kommune mit dem Verkauf ihrer Wohnungsgesellschaften an Finanzinvestoren gemacht hat, sollten dieses Interesse eindrucksvoll illustrieren. Unbestreitbar – und inzwischen auch für den letzten Ignoranten unübersehbar – ist, dass wir in Deutschland – speziell in den Großstädten – wieder ein massives Wohnungsproblem haben. Eine Facette dieses Problems ist das Fehlen von bezahlbarem, mietpreisgebundenem Wohnraum in vielen Städten und Regionen der Bundesrepublik. Natürlich wissen wir, dass mit 11 500 Wohnungen nicht alle Probleme gelöst werden können; aber man kann damit in den Städten, wo sie konzentriert sind, einen Anfang machen. Wenn man politischen Gestaltungswillen besäße und bereit wäre, Neues zu probieren, könnte man damit Modelle entwickeln, die auch auf andere Städte und Regionen übertragbar wären und zur dauerhaften Lösung der Wohnungsprobleme beitragen könnten. Dazu muss aber – und das ist unsere Kernforderung – das laufende Bieterverfahren sofort ausgesetzt, der beabsichtigte Verkauf zumindest der Wohnungen sofort unterbunden werden. Dann: Kleinere Pakete schnüren und mehr Zeit und Gründlichkeit vorsehen, damit sich kommunale und regionale Wohnungsgesellschaften oder Genossenschaften und die Mieterinnen und Mieter beteiligen können. Wir stellen uns folgende Schritte vor: Erstens. Zunächst sollte geprüft werden, ob in den betreffenden Kommunen wirtschaftlich ausreichend starke Wohnungsgesellschaften existieren, die die TLG-Wohnungen in ihren Bestand übernehmen können. Der Kaufpreis sollte dabei – auch wenn es entgegenstehende gesetzliche Regelungen gibt – eher symbolisch sein. Schließlich hat die TLG ja nichts für diese Immobilien bezahlt. Sie sind ihr – freundlich ausgedrückt – in den Schoß gefallen. Zweitens. Wenn Kommunen oder kommunale Gesellschaften die Wohnungsbestände nicht erwerben können oder wollen, sollten Modelle entwickelt werden, bei denen die bundeseigenen Wohnungen in Genossenschaften oder Stiftungen übertragen werden. Auch ein Verkauf von Wohnungen an deren Bewohner sollte geprüft werden. Drittens. Wo all dies nicht oder noch nicht möglich ist, könnte die TLG IMMOBILIEN GmbH unter klaren Sozialvorgaben die Verwaltung weiter betreiben oder eine Aufgabenübertragung zum Beispiel an die BImA erfolgen, bis ein passfähiges Gesellschaftsmodell für die jeweiligen kommunalen Verhältnisse gefunden ist. Grundsätzlich geht es darum, solidere Grundlagen für kommunale Wohnungspolitik zu schaffen oder sie zu erweitern und einen Grundstock an Wohnungseigentum in öffentlicher Hand zu sichern. Damit kann ermöglicht werden, sozialen Bedürfnissen zu entsprechen und dabei den gesellschaftlich notwendigen Umbau der Wohnungsbestände zu Barrierefreiheit und Klimaschutz voranzubringen. Der geplante Verkauf – speziell der TLG WOHNEN GmbH – leistet dazu nichts, und er ist überhaupt kein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung oder zum Schuldenabbau. Er verbaut aber Chancen auf neue Denk- und Lösungsansätze, die in der Wohnungswirtschaft dringend gebraucht und von dort auch eingefordert werden. Also, Herr Finanzminister, geben Sie diesen untauglichen Plan auf, und leisten Sie einmal einen bescheidenen Beitrag, um den dringend notwendigen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft einen kleinen Schritt voranzubringen! Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst möchte ich der antragstellenden Fraktion für den Antrag zur Privatisierung der TLG recht herzlich danken; denn es bringt ein wichtiges Thema auf die politische Agenda: den Verkauf öffentlichen Immobilien-eigentums. Der Antrag enthält wichtige Passagen wie die Feststellung, dass Wohnen als elementares Grund-bedürfnis Teil der Würde aller Menschen ist und daher staatlichen Schutzes bedarf. Dies deckt sich mit Art. 25 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung …“, sowie mit Art. 13 des Grundgesetzes, in dem die Unverletzlichkeit der Wohnung geregelt ist. Klar ist auch, dass der Bund angehalten ist, ausreichende materielle Voraussetzungen zur Wohnraumversorgung zur Verfügung zu stellen. Dieser Anforderung kommt der Bund über die Städtebauförderung und so-ziale Wohnraumförderung nach, wobei festgestellt werden muss, dass die Städtebauförderung dringend auf 610 Millionen Euro zu erhöhen ist. Mit der Föderalismusreform I wurde den Bundesländern vom Bund die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis für das Recht der Wohnraumförderung und der Wohnungsbindung übertragen. Hierfür erhalten sie zur Kompensation bis 2013 jährlich 518,2 Millionen Euro, bis 2019 gibt es noch eine Übergangsfrist. Diese Mittel fließen unter anderem in den Rückkauf von Belegungsbindungen, was an sich nicht falsch ist. Allerdings wird dadurch nicht der Kern des Problems gelöst. Denn es werden in Deutschland zu wenige Mietwohnungen in den Segmenten niedriger und moderater Preise gebaut. Der geringe Wohnungsneubau in Deutschland konzen-triert sich auf den Bau von Wohneigentum und Mietwohnungen im Luxussegment. Nach den Erhebungen der Fachkommission Wohnungsbau/SUBVE Bremen gab es in Deutschland Ende 2008 circa 1,85 Millionen Wohnungen mit einer sozialen Belegungsbindung. Das sind nur knapp 5 Prozent der knapp 40 Millionen Wohnungen in Deutschland. Im Vergleich: 2006 waren es noch etwas mehr 2 Millionen Wohnungen mit Belegungsbindung. Es fallen also jährlich rund 100 000 Wohnungen aus der Bindung. Hinzu kommt, dass der Bestand zwischen den einzelnen Bundesländern ungleich verteilt ist. Die Mietpreisbindung zur Sicherung von Wohnraum für einkommensschwache Haushalte ist ein wichtiges -Instrument in der Wohnungspolitik. Besonders für die Kommunen bieten der Rückkauf und Erhalt von Belegungsbindungen gerade in beliebten zentrumsnahen Stadtquartieren eine Möglichkeit der Einflussnahme auf den Wohnungsmarkt. Angesichts der kommunalen -Fi-nanzlage müssen sie hierfür finanzielle Unterstützung aus Wohnraumförderprogrammen erhalten. Leider lässt sich der Erwerb von Belegrechten im Bestand in der Praxis nur selten bei einzelnen Vermietern realisieren. Da-rüber hinaus entziehen sich zunehmend die großen Wohnungsunternehmen diesem Handlungsansatz. Es bleibt festzuhalten, dass eine Mietpreisbindung ein sinnvolles Instrument der Wohnungspolitik ist. Wir haben hierzu in unserem Antrag „Wohnraum in Deutschland zukunfts-fähig machen“, im Gegensatz zum vorliegenden Antrag, konkrete Vorschläge hinsichtlich Mietobergrenzen gemacht. Bevor ich zur Privatisierung der TLG komme, möchte ich Grundsätzliches zur Privatisierung öffentlichen Wohnungsbestandes in Deutschland ausführen. Es befinden sich noch knapp 10 Prozent des Wohnungsbestands in der Hand von öffentlichen Wohnungsunternehmen, diese sind hauptsächlich im Besitz von Ländern und Kommunen. Nach zahlreichen Privatisierungen ist die öffent-liche Wohnungswirtschaft bereits deutlich geschrumpft, obwohl sie bei der Vermeidung von Verdrängungsprozessen eine wesentliche Rolle spielen kann und soll. So kann sie bezahlbaren Wohnraum für einkommensschwache Mieter bereitstellen. In den Bereichen energetische Modernisierung und Barrierefreiheit kann sie eine entscheidende Vorbildfunktion erfüllen. Die öffentliche Wohnungswirtschaft muss daher auf allen Ebenen, Länder und Kommunen, wieder unter anderem durch -gezielte Ankäufe oder Wohnungsneubau in verschiedenen städtischen Lagen – gerade auch in den beliebten -innerstädtischen – gestärkt werden. Einen weiteren -Verkauf öffentlicher Wohnungen an spekulative Finanz-investoren darf es nicht mehr geben. Müssen -öffentliche Wohnungen aufgrund finanzieller Zwänge dennoch verkauft werden, sind nachhaltig wirtschaftende Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften oder – bei geeigneten Objekten – auch Mieterprivatisierungen zu bevorzugen. Dennoch: Eine Privatisierung öffentlichen Wohn-eigentums auf den Ebenen der Bundesländer und Kommunen ist nicht per se abzulehnen und ist im Einzelfall zu prüfen. Es kann aber auch durchaus richtig sein, -öffentliches Wohneigentum nicht zu veräußern wie im Fall der Nassauischen Heimstätte in Hessen; hier hat sich die grüne Landtagsfraktion deutlich gegen einen Verkauf ausgesprochen. Nun zur Kernforderung des Antrags „Privatisierung der TLG stoppen“. Einen grundsätzlichen Verkaufsstopp, wie im vorliegenden Antrag formuliert, lehnen wir Grüne ab. Wir würden den Verkauf an eine sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaftende Wohnungs-gesellschaft oder Genossenschaft mit langfristiger -Unternehmensplanung sehr begrüßen. Da die TLG WOHNEN en bloc verkauft werden soll, kommt leider eine Mieterprivatisierung nicht in Betracht. Die TLG in eine bundeseigene Wohnungsgesellschaft umzuwandeln, macht angesichts der Größe – 1 151 Objekte, 15 864 Mieteinheiten gesamt, 11 917 Mieteinheiten/Wohnen, verteilt über 212 Kommunen – und lokalen Konzentration des Unternehmens auf die neuen Bundesländer keinen Sinn. Denn aufgrund dieser vorliegenden Rahmendaten ist die TLG als wohnungspolitisches Steuerungsinstrument des Bundes schlicht nicht geeignet. Selbst wenn man die Wohneinheiten der TLG mit den 40 000 Wohnungen der BImA fusionieren würde, wäre dieses Unternehmen kleiner und hätte eine breitere Streuung ihres Portfolios als die landeseigene Nassauische Heimstätte mit 60 000 Wohnungen in Hessen. Ein wirksames bundesweites Steuerungsinstrument wäre dies weder für die Wohnungsmärkte der neuen Bundesländer im Besonderen noch für den deutschen Wohnungsmarkt an sich. Die Einführung von dauerhaft verbindlichen sozialen Kriterien in Form einer Sozialcharta, die verbindlich im Kaufvertrag festgehalten oder direkt in die bestehenden Wohnungsmietverträge integriert wird, begrüßen wir ausdrücklich. Eine für den Käufer verpflichtende barrierefreie und energetische Sanierung sehen wir, wenn nicht das Kopplungsprinzip beachtet und eine Warmmietenneutralität wenigstens angestrebt wird, sehr kritisch, besonders wenn die demografische Entwicklung und die damit verbundenen sinkenden Einwohnerzahlen berücksichtigt worden. Auch hier bleibt der Antrag sehr unkonkret bis inhaltsleer. Die Investitionsentscheidung in einem solchen Marktumfeld sollte dem Käufer überlassen werden. Wenn eine Entscheidung hinsichtlich einer Investition positiv ausgefallen ist, greifen je nach Umfang der Maßnahmen sowieso die Anforderungen, die in der EnEV formuliert sind. Der Antrag enthält viele wichtige Facetten der real existierenden Probleme auf den Wohnungsmärkten, aber man sollte der Versuchung widerstehen, der Wohnungswirtschaft die Rolle einer eierlegenden Wollmilchsau -zuweisen zu wollen; das wird sie nicht leisten. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die von der Bundesregierung beabsichtigte Privatisierung der TLG IMMOBILIEN GmbH und der TLG WOHNEN GmbH hat rechtliche, haushaltspolitische und wettbewerbspolitische Gründe. Bereits im Jahr 2000 wurde die TLG IMMOBILIEN in ein normales Wirtschaftsunternehmen umgewandelt, mit dem Ziel, sie mittelfristig zu privatisieren. Das Unternehmen hat seitdem ein attraktives Immobilienportfolio aufgebaut. Der TLG WOHNEN GmbH wurden mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1. Januar 2012 sämtliche Wohnimmobilien der TLG IMMOBILIEN GmbH übertragen. Die TLG WOHNEN GmbH verfolgt keinen öffentlichen Zweck. Die Gründung und die Übertragung der Wohnbestände dienten ausschließlich dem Zweck, die Privatisierung zu erleichtern. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, über eigene Unternehmen Bürgern Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Es gibt keine Legitimation – insbesondere keinen -öffentlichen Auftrag – für eine Beteiligung des Bundes an „normalen“ Immobiliengesellschaften wie der TLG IMMOBILIEN GmbH und der TLG WOHNEN GmbH, die im Wettbewerb mit anderen Immobilienunternehmen stehen. Der Bund hat der TLG IMMOBILIEN GmbH seit ihrer Gründung im Jahre 1991 in erheblichem Umfang Eigenkapital zur Verfügung gestellt. Die Privatisierung dient daher auch dem Ziel, nach Erfüllung des öffentlichen Auftrags durch die TLG den Rückfluss der in die TLG investierten Steuermittel in den Bundeshaushalt sicherzustellen. Der Bund ist auch aus rechtlichen Gründen gehalten, die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN GmbH zeitnah zu verkaufen: § 65 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung verpflichtet den Bund, sich von Beteiligungen an Unternehmen zu trennen, wenn kein wichtiges Interesse an der Beteiligung des Bundes mehr vorliegt. Bei der TLG IMMOBILIEN GmbH ist das wichtige Bundesinteresse mit dem Wegfall des ehemals öffentlichen Zwecks ihrer Tätigkeit entfallen. Aufgabe der TLG IMMOBILIEN in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war es, die über 100 000 Immobilien ehemals „volkseigener Betriebe“, die ihr von der Treuhandanstalt übertragen worden waren, an Investoren zu verkaufen bzw. in geringerem Umfang zu kommunalisieren oder Alteigentümern zurückzugeben. Diese Aufgabe hat die TLG inzwischen erfolgreich abgearbeitet. Aus den genannten Gründen ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, die TLG IMMOBILIEN GmbH und die TLG WOHNEN GmbH zu privatisieren. Ein Stopp der Privatisierung – wie von der Fraktion Die Linke gefordert – ist daher nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Aus denselben Gründen ist es auch rechtlich nicht zulässig, deren Wohnungsbestände dauerhaft von einer bundeseigenen Wohnungsgesellschaft bewirtschaften zu lassen. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung schon in der letzten Legislaturperiode diese Auffassung vertreten hat. Die damals eingeleitete Privatisierung konnte aber wegen der Krise an den -Finanzmärkten nicht realisiert werden. Gegen den Antrag der Fraktion Die Linke, den Wohnungsbestand in kommunales Eigentum zu überführen, sprechen mehrere Gründe. So ist der Wohnungsbestand der TLG WOHNEN GmbH großflächig auf alle neuen Bundesländer und Berlin verteilt. Kommunen dürfen nur Wohnbestände in der jeweiligen Kommune bewirtschaften. Auch kommunale Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften sind in der Regel nur -regional tätig. Die Forderung der Fraktion Die Linke liefe daher darauf hinaus, die TLG-Gruppe bzw. das -Unternehmen TLG WOHNEN GmbH zu zerschlagen, um gegebenenfalls einzelne Wohnimmobilienportfolien an Kommunen oder kommunale Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften zu verkaufen. Dies hätte einen Abbau von Arbeitsplätzen und eine Vernichtung von Werten zur Folge, weil der Wert der TLG WOHNEN GmbH höher ist als der reine Wert ihrer Wohnimmobilien. Im Übrigen ist der Bundesregierung nicht bekannt, dass Kommunen oder kommunale Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften willens und finanziell in der Lage sind, derartige Wohnimmobilienportfolien zu erwerben. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung nach europäischem Beihilferecht verpflichtet ist, die Privatisierung europaweit auszuschreiben. Die Bundesregierung ist daher schon aus Rechtsgründen daran gehindert, mit Kommunen und kommunalen Wohnungsunternehmen bzw. Wohnungsbaugenossenschaften außerhalb eines -offenen Bieterverfahrens in exklusive Verkaufsverhandlungen zu treten. Sie kann lediglich Verkaufsverhandlungen mit solchen Interessenten führen, die im Rahmen des nunmehr gestarteten Bieterverfahrens ein Kaufangebot abgeben. Die Bundesregierung ist sich ihrer sozialen Verantwortung für die Mieter der Wohnimmobilien der TLG WOHNEN GmbH bewusst und wird ihr gerecht werden. Die Bundesregierung hat bereits am 2. November 2011 als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck gebracht, dass sie beabsichtigt, mit den Bietern eine Sozialcharta zum Schutz der Wohnungsmieter abzuschließen. Dies möchte ich heute noch einmal bekräftigen. Die Bundesregierung legt bereits im Vorfeld der Transaktionsplanung großen Wert darauf, die Interessen und Schutzbedürfnisse der Mieter im Prozessverlauf durchgängig zu berücksichtigen und zu wahren. Sie wertet zu diesem Zweck unter anderem Wohnungsprivatisierungen der vergangenen Jahre systematisch darauf aus, welche Gestaltungsmerkmale in Transaktionen sich zugunsten einer nachhaltigen Gewährleistung des Mieterschutzes ausgewirkt haben, aber andererseits auch, welche Fehler und Versäumnisse zu sehen waren und zu vermeiden sind. Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, den Mieterschutz als wichtiges Strukturmerkmal des Privatisierungsprozesses für das TLG-Portfolio fest im Transaktionsprozess zu verankern, soweit dies unter beihilferechtlichen Aspekten zulässig ist. Das Bundesfinanzministerium steht hierzu bereits im Dialog mit Mietervertretern. Die Bundesregierung wird sich insbesondere dafür starkmachen, ältere und behinderte Mieter vor Nachteilen zu schützen. Anlagen 1Ergebnis Seite 20278 D 2Anlagen 2 bis 4 3Ergebnis Seite 20314 D 4Anlage 5 5Ergebnis Seite 20328 C 6Anlage 6 7Anlage 7 8Anlage 8 9Anlage 9 10Anlage 10 11Anlage 11 12Anlage 12 13Anlage 13 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 20286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20287 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 20476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 172. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 29. März 2012 20475