Plenarprotokoll 17/180 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 180. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 23. Mai 2012 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Daniel Bahr, Bundesminister BMG Dr. Marlies Volkmer (SPD) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Kathrin Vogler (DIE LINKE) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Erwin Rüddel (CDU/CSU) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Daniel Bahr, Bundesminister BMG Dr. Carola Reimann (SPD) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Mechthild Dyckmans (FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Steffen-Claudio Lemme (SPD) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Bärbel Bas (SPD) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Dr. Marlies Volkmer (SPD) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Mechthild Dyckmans (FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Kathrin Vogler (DIE LINKE) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Dr. Carola Reimann (SPD) Daniel Bahr, Bundesminister BMG Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 17/9677) Mündliche Frage 1 Manfred Nink (SPD) Berücksichtigung der besonderen Struktur der deutschen Wirtschaft bei den Verhandlungen über das Gesetzespaket zur Umsetzung von Basel III unter anderem durch Einführung einer Mittelstandsklausel Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Mündliche Frage 2 Manfred Zöllmer (SPD) Position der Bundesregierung zu der im Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht geplanten Reform des Verwaltungsrates der BaFin Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Manfred Zöllmer (SPD) Mündliche Frage 3 Manfred Zöllmer (SPD) Verhalten der Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Commerzbank zur Frage der Erhöhung der Bezüge des Managements und der geplanten Bonizahlungen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Manfred Zöllmer (SPD) Nicolette Kressl (SPD) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Bernd Scheelen (SPD) Mündliche Frage 6 Bernd Scheelen (SPD) Verlängerung der Übergangsregelung zur Gelangensbestätigung für innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 17 a Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung bis Ende 2012 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Bernd Scheelen (SPD) Mündliche Frage 7 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Bundeseinheitliche Gewährung des Ehegattensplittings bei eingetragenen Lebenspartnerschaften Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Mündliche Frage 8 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Berücksichtigung von Steuerverkürzungen bei natürlichen Personen über Trusts und Stiftungen im Steuerabkommen mit der Schweiz Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Nicolette Kressl (SPD) Andrej Hunko (DIE LINKE) Mündliche Frage 12 Nicolette Kressl (SPD) Kritik am zukünftig erhöhten Bürokratieaufwand in der Elektronischen Bilanz bei kleinen Kapitalgesellschaften Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Nicolette Kressl (SPD) Manfred Zöllmer (SPD) Mündliche Frage 13 Nicolette Kressl (SPD) Kritik steuerberatender Berufe an der Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung im Massengeschäft der Umsatzsteuerbefreiung Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Nicolette Kressl (SPD) Mündliche Frage 14 Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Festhalten an den im Rahmen des Gesetzes zum Abbau der kalten Progression beabsichtigten Steuersenkungen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Bernd Scheelen (SPD) Mündliche Frage 15 Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Kompensation der mit dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression einhergehenden Steuerausfälle der Länder und Gemeinden Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Bernd Scheelen (SPD) Mündliche Frage 18 Andrej Hunko (DIE LINKE) Griechische Forderungen auf Rückzahlung der von den deutschen und italienischen Besatzungsmächten aufgezwungenen Kredite Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Andrej Hunko (DIE LINKE) Mündliche Frage 19 Andrej Hunko (DIE LINKE) Ausscheiden Griechenlands aus der EU durch eine „ungeordnete Staatspleite“ Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Zusatzfragen Andrej Hunko (DIE LINKE) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Mündliche Frage 25 Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorschläge zur Ausgestaltung der Agrarzahlungen bei den Verhandlungen um die zukünftige gemeinsame Agrarpolitik Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Zusatzfragen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 41 Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Mehrkosten durch die verspätete Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 42 Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Information des Vertreters des Bundes in den Aufsichtsratssitzungen der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg über mögliche Verzögerungen bei der Fertigstellung des neuen Hauptstadtflughafens Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 43 Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bewertung und Schlussfolgerungen der Bundesregierung bezüglich Informationen über mögliche Verzögerungen bei der Fertigstellung des Flughafens Berlin Brandenburg Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 46 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Termin für den Kabinettsbeschluss über das Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 47 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ergebnisse der Evaluation der Zielerfüllung der „Bebauungspläne der Innenentwicklung“ seit Einführung in das Bau-gesetzbuch und Konsequenzen Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfragen Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 53 Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Position der Bundesregierung in den Verhandlungen zur Energieeffizienzrichtlinie Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Keine Vergemeinschaftung europäischer Schulden – Euro-Bonds-Pläne der SPD: Haftung für deutsche Steuerzahler? Norbert Barthle (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Michael Meister (CDU/CSU) Nicolette Kressl (SPD) Marco Buschmann (FDP) Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Klaus Hagemann (SPD) Joachim Spatz (FDP) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Bettina Kudla (CDU/CSU) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 4 Dr. Carsten Sieling (SPD) Information und Beteiligung der Bundesregierung an Plänen zu Gehaltserhöhungen für den Vorstand der Commerzbank sowie etwaige Konsequenzen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 3 Mündliche Frage 5 Dr. Carsten Sieling (SPD) Einführung und Ausgestaltung einer europaweiten Finanztransaktionsteuer Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 4 Mündliche Frage 9 Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Relevanter Stichtag für die Bemessungsgrundlage der Einmalzahlung im Steuerabkommen mit der Schweiz Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 5 Mündliche Frage 10 Richard Pitterle (DIE LINKE) Nachversteuerung nach dem Schweizer Steuerabkommen bei Schenkung von Vermögenswerten vor dem 1. Januar 2013 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 6 Mündliche Frage 11 Richard Pitterle (DIE LINKE) Identifizierung der indirekt aus der Bundesrepublik abgeflossenen Vermögenswerte und rechnerische Ermittlung des hinsichtlich dieser Vermögenswerte erhobenen Anteils der Einmalzahlung nach dem Schweizer Steuerabkommen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 7 Mündliche Frage 16 Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Verlässlichkeit der aktuellen Steuerschätzung angesichts der bestehenden Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 8 Mündliche Frage 17 Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Fälle von Aussetzung der Rücknahme von Anteilen an Immobilien-Sondervermögen gemäß § 81 Investmentgesetz durch Kapitalanlagengesellschaften Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 9 Mündliche Frage 20 Katrin Kunert (DIE LINKE) Verfahren bei der Weiterleitung der im Rahmen der Befragung zu Merkmalen des Migrationshintergrundes gewonnenen Daten an die Bundesagentur für Arbeit Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 10 Mündliche Frage 21 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Abschluss von Altersteilzeitvereinbarungen seit dem 1. Januar 2010 im Vergleich zum Stand 1. Januar 2009 und Anzahl der Vereinbarungen mit Insolvenzabsicherung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 11 Mündliche Frage 22 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Tarifliche Grundlagen der seit dem 1. Januar 2010 abgeschlossenen Altersteilzeitvereinbarungen und Aufteilung auf Privatwirtschaft und öffentlichen Dienst Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 12 Mündliche Frage 23 Anette Kramme (SPD) Änderung der gegenwärtigen Anforderungen an die Insolvenzsicherungspflicht für die in Aktivphase erworbenen Wertguthaben nach § 8 a Altersteilzeitgesetz angesichts der Erfahrungen beim Insolvenzverfahren der Firma Schlecker Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 13 Mündliche Frage 24 Anette Kramme (SPD) Ergebnisse der Ressortabstimmung zum Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung der Lebensleistung in der Rentenversicherung Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 14 Mündliche Fragen 26 und 27 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Behebung steigender Schwarzwildschäden in der Landwirtschaft, insbesondere ver-ursacht durch den Missbrauch von Kirrungen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 15 Mündliche Fragen 28 und 29 Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unterstützung für die mögliche Verhängung nationaler Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen durch einzelne EU-Mitgliedstaaten Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 16 Mündliche Frage 30 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Personelle Ausstattung der Familienbetreuungsorganisation für die Betreuung der Familien von Soldaten im Auslandseinsatz Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 17 Mündliche Frage 31 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kindergerechte Vermittlung der Tätigkeiten von Soldaten im Auslandseinsatz Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 18 Mündliche Frage 32 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inkrafttreten der vom bayerischen Umweltminister Dr. Marcel Huber angekündigten Erleichterungen für militärische Tiefflüge mit der entsprechenden Anhebung der Höhe von Bauwerken, insbesondere im Bereich Windkraft Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 19 Mündliche Fragen 33 und 34 Steffen-Claudio Lemme (SPD) Auswirkungen der Erhebung von Verwaltungsgebühren bei den Einsatzstellen für die Zuweisung von Teilnehmern am Bundesfreiwilligendienst durch die Wohlfahrtsverbände in ihrer Funktion als Zentralstellen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 20 Mündliche Frage 35 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zahlengrundlage für die Aussage zur fehlenden Anzahl von Krippenplätzen; Anzahl der unter Dreijährigen mit Betreuung in Tageseinrichtungen oder öffentlich geförderter Kindertagespflege Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 21 Mündliche Frage 36 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Geplante Finanzmittel für das angekündigte Zehn-Punkte-Programm für den Kitaausbau Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 22 Mündliche Frage 37 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Seit Inkrafttreten des 2. Conterganstiftungsänderungsgesetzes bei der Stiftung eingegangene Anträge auf Anerkennung als Conterganopfer sowie auf Neubewertung der Schadenseingruppierung; Anzahl der positiv bzw. negativ beschiedenen Anträge Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 23 Mündliche Frage 38 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung der Contergangeschädigten inklusive der Bereitstellung und Kostenübernahme von Hilfs- und Heilmitteln Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staats- sekretärin BMG Anlage 24 Mündliche Fragen 39 und 40 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zeitpunkt und Kriterien der Benennung der Pilotstrecken für die Leistungs- und -Finanzierungsvereinbarung Straße Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 25 Mündliche Frage 44 Jutta Krellmann (DIE LINKE) Verhinderung eines Lohndumpings bei der Vergabe einer dritten Lizenz für die Bodendienste am neuen Flughafen Berlin Brandenburg Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 26 Mündliche Frage 45 Jutta Krellmann (DIE LINKE) Etwaiger Verfall von Löhnen und Arbeitsbedingungen bei der geplanten Neuordnung der Bodendienste an europäischen Flughäfen durch die EU Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 27 Mündliche Frage 48 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stopp des Preisverfalls bei Emissionszertifikaten Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 28 Mündliche Frage 49 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Fragestellungen, Finanzvolumen und Laufzeit des zur Unterstützung der Arbeitsgruppe der Strahlenschutzkommission initiierten Forschungsvorhabens Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 29 Mündliche Frage 50 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deutscher Anteil am „Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich 2012–2013“ Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 30 Mündliche Fragen 51 und 52 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umsetzung der Einigung zwischen BMU und BMWi zum Verzicht auf die Fracking-Technologie bei Bohrungen nach Schiefergas; Einrichtung entsprechender Kapazitätsmechanismen Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 31 Mündliche Frage 54 Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nutzung der Ermächtigung nach § 49 Abs. 4 Nr. 8 des Energiewirtschaftsgesetzes Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 32 Mündliche Frage 55 Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gespräche mit dem niederländischen Finanzministerium über eine dem Energiewirtschaftsgesetz entsprechende Finanzausstattung der TenneT TSO GmbH Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 33 Mündliche Fragen 56 und 57 Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Medienberichte über Pläne der Eon AG zur Stilllegung von Gaskraftwerken in Bayern und Hessen; etwaige Auswirkungen auf die Stromversorgung Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 34 Mündliche Frage 58 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einführung einer gesonderten Umlage zur Haftungsübernahme bei fehlender Netz-anbindung von Offshorewindparks Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 35 Mündliche Frage 59 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anzahl und Ergebnisse der vom Bundeskartellamt seit 2005 durchgeführten Verfahren bezüglich § 20 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 36 Mündliche Frage 60 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gesamtkosten Griechenlands für Rüstungsimporte im Zeitraum 2009 bis 2012 insbesondere aus Frankreich und Deutschland und Einsparungen in diesem Bereich Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 37 Mündliche Frage 61 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verbleib von Bundeswehrsoldaten in -Afghanistan nach 2014 und Berücksichtigung des Bundestagsmandats Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 38 Mündliche Frage 62 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Überführung der Kosten für das Büro der beiden Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Schutzverantwortung und für die Verhinderung von Völkermord in den regulären Haushalt der Vereinten Nationen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 39 Mündliche Frage 63 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beteiligung an der Initiative des Global Center for the Responsibility to Protect zur Einrichtung nationaler Kontaktstellen zur Koordination von Maßnahmen zur Umsetzung der Schutzverantwortung Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 40 Mündliche Frage 64 Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Behebung des Stillstands der Arbeit der United Nations Conference on Disarmament Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 41 Mündliche Frage 65 Sevim Da?delen (DIE LINKE) Beteiligung an NATO-Einsätzen und Berücksichtigung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 42 Mündliche Frage 66 Sevim Da?delen (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zur Aussage bezüglich Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland insbesondere in Bezug auf die Frage der künftigen Ressortzuständigkeit für die Islamkonferenz Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 43 Mündliche Fragen 67 und 68 Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Senkung der Gebühren für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, insbesondere für türkische Staatsangehörige Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 44 Mündliche Frage 69 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Abschiebestopp für die in Deutschland lebenden afghanischen Hindus und Sikhs Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 45 Mündliche Frage 70 Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Regelungskompetenz der Universitäten bei der Kostenerstattung weiterer Reisekostenarten neben der „Dienstreise“ Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Inhaltsverzeichnis 180. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 23. Mai 2012 Beginn: 13.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Es gibt keine besonderen Vorkommnisse, folglich auch keine Mitteilungen, die vor Eintritt in die Tagesordnung erfolgen müssten, sodass ich gleich Tagesordnungspunkt 1 aufrufen kann: Befragung der Bundesregierung Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, dass für die Befragung heute insgesamt 45 Minuten zur Verfügung stehen. Dies behandeln wir wie immer mit der gebotenen Flexibilität, je nachdem, wie sich der Fragebedarf entwickelt. Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Das Wort für die einleitenden, je fünfminütigen Berichte haben zunächst die Bundesministerin der Justiz und anschließend der Bundesgesundheitsminister. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, bitte. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Recht herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten beschlossen. Dieses Vorhaben beschäftigt den Bundestag schon viele Jahre, eigentlich die letzten 20 Jahre. Diese Bundesregierung legt zu diesem Thema erstmals einen Gesetzentwurf vor, der sich – das ist mein Anteil an diesem Gesetzentwurf – mit einer Kodifizierung des Behandlungsvertrages zwischen dem Behandelnden, also dem Arzt, dem Psychotherapeuten oder -einem anderen Behandelnden einerseits, und dem Patienten andererseits befasst. Dies wird im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben, und zwar in der Form, dass sich Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag im Gesetz ausdrücklich wiederfinden. Das gibt nicht nur Rechts-sicherheit, sondern schafft auch Transparenz; vor allen Dingen stärkt es die Stellung von Patientinnen und Patienten. Wenn die Patientinnen und Patienten nämlich wissen, dass sie umfassend informiert und über die -Behandlungen aufgeklärt werden müssen, dass Wesentliches bezüglich Diagnose, Therapie, mögliche Behandlungen und Untersuchungen in der Patientenakte festgehalten sein muss und sie ein Einsichtsrecht haben, stärkt das ganz klar ihre Position. Der Patient steht damit dem Behandelnden auf Augenhöhe gegenüber; er bringt gegenüber dem Arzt auch kein Misstrauen zum Ausdruck, wenn er gesetzlich festgelegte Rechte wahrnimmt, Einsicht in seine Patientenakte nimmt und Abschriften aus dieser Akte verlangt. Über 60 Prozent der Patientinnen und Patienten wissen über ihre Rechte nicht Bescheid. Deshalb ist es zum einen dringend geboten, die Rechte, die sich in den letzten Jahren ergeben haben, in das Gesetz zu schreiben, zum anderen aber auch deutlich zu machen, dass wir über die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung hi-nausgehen, zum Beispiel bei den Informationspflichten. Ein ganz wichtiger Punkt für Patienten ist natürlich, wie die Regelungen zur Haftung bei Behandlungsfehlern aussehen. Solche Fehler treffen einen Patienten besonders; denn er hat nicht nur eine Behandlung über sich ergehen lassen müssen, sondern muss auch mit den Folgen einer möglicherweise fehlerhaften Behandlung kämpfen. Grundsätzlich geht das BGB beim Haftungsrecht davon aus, dass derjenige, der Forderungen geltend macht, Beweise dafür erbringen muss. Aber diesen Grundsatz -haben wir – auf der Grundlage der sich immer weiterentwickelnden Rechtsprechung – so nicht ins Gesetz übernommen. Vielmehr gibt es bei der Geltendmachung von Ansprüchen eine Verlagerung der Risiken zwischen Patient und Arzt, wobei stärkeres Haftungsrisiko auf den behandelnden Arzt verlagert wird, juristisch gesprochen also eine Beweislastumkehr für bestimmte Fälle stattfindet. Bei den sogenannten groben Behandlungsfehlern muss der Arzt zukünftig beweisen, dass die Behandlung ordnungsgemäß erfolgt ist. Das Gleiche gilt für Bereiche, in denen der Patient selbst nicht die nötige Einsicht hat, nämlich das beherrschbare Risiko eines Behandelnden im Operationssaal oder im Behandlungszimmer im Hinblick auf die eingesetzten Geräte. Auch hier liegt die Beweislast bei dem Behandelnden und nicht beim Patienten. Das soll den Patienten darin bestärken, Ansprüche geltend zu machen, wenn er eine fehlerhafte Behandlung vermutet. Im zweiten Teil des Gesetzentwurfs, der sich unter anderem mit den Fragen von Fehlervermeidungsmanagement und Strukturverbesserung befasst, sind weitere wichtige Punkte hierzu enthalten. Das ist jedoch der Part des Bundesgesundheitsministers. Vielen Dank. Präsident Dr. Norbert Lammert: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Minister Bahr. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal möchte ich an das anschließen, was die Bundesjustizministerin gesagt hat: Dieses Gesetz ist Ausdruck einer jahrzehntelangen Debatte. Es ist ein gutes Gesetz für die Patientinnen und Patienten. Die Bundesregierung setzt damit ihre Politik fort, die Patienten in diesem Bereich zu stärken. Insbesondere werden die Rechte der Patientinnen und Patienten gegenüber den Leistungserbringern sowie die Rechte bei Verfahren um Behandlungsfehler gestärkt. Wir wollen eine Fehlervermeidungskultur fördern sowie die Patientenbeteiligung und die Patienteninformation stärken. Unser Leitbild ist der mündige Patient. Das in Deutschland besondere Verhältnis zwischen Patient und Arzt gilt es weiterhin zu schützen. Ziel soll sein, dass der Patient dem Arzt möglichst auf Augenhöhe gegenübertritt und seine Rechte kennt. Es ist auch vorgesehen, dass der Patient bzw. der Versicherte gegenüber der Krankenversicherung seine Rechte und Ansprüche besser geltend machen kann. Uns erreichen immer wieder Briefe, in denen sich Versicherte darüber beschweren, dass Entscheidungen der Krankenversicherung häufig lange dauern und verzögert werden. Der Versicherte ist gegenüber seiner Krankenversicherung kein Bittsteller, sondern er hat Rechte und An-sprüche. Wir gehen davon aus, dass nunmehr mit einer zügigeren Entscheidung im Sinne der Versicherten und Patienten zu rechnen ist, da ein Ausbleiben der Entscheidungen seitens der Krankenkassen sanktioniert werden kann. So kann der Patient, wenn er nicht innerhalb von drei bzw. fünf Wochen, wenn der Medizinische Dienst hinzugezogen worden ist, eine Entscheidung der Krankenkasse mitgeteilt bekommen hat, eine angemessene Nachfrist setzen. Danach kann er sich die infrage stehende Leistung selbst beschaffen und der Krankenversicherung in Rechnung stellen. Weiterhin sind Kranken- und Pflegekassen künftig verpflichtet, ihre Versicherten bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Behandlungsfehlern zu unterstützen. Wie kann eine solche Unterstützungsleistung aussehen? Eine Krankenkasse kann beispielsweise die Beweisführung des Versicherten erleichtern, indem sie ein medizinisches Gutachten erstellt. Das ist für die Praxis sehr wichtig. Denn viele Versicherte, die den Verdacht auf einen Behandlungsfehler haben, wissen nicht, an wen sie sich wenden können und welche Rechte sie als Patienten haben. Jetzt können sie sich an ihre -Krankenkasse wenden. Diese ist verpflichtet, dem Versicherten zu helfen, entsprechende Stellen zu benennen, Informationen und gegebenenfalls ein Gutachten zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist aber: Im Gesundheitswesen arbeiten Menschen; da können Fehler passieren. Ziel ist es, so weit wie möglich Fehler zu vermeiden. Dazu brauchen wir aber eine offene Fehlervermeidungskultur gerade im Gesundheitswesen in Deutschland. Wir begrüßen es, dass sich ärztliche Organisationen und mittlerweile auch andere Organisationen dieser Diskussion offen stellen. Aus Fehlern kann man lernen, um sie das nächste Mal zu vermeiden und Konsequenzen daraus zu ziehen. Mit dem Patientenrechtegesetz fördern wir, dass in der medizinischen Versorgung Fehlervermeidungssysteme etabliert werden und so Fehler gar nicht erst auftreten. So können zum Beispiel Krankenhäuser Vergütungszuschläge erhalten, wenn sie ein Fehlervermeidungssystem implementieren. Außerdem soll in den Krankenhäusern ein Beschwerdemanagement eingerichtet werden, damit Versicherte und Patienten ihre Ansprüche besser geltend machen können. Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung wird im Gesetzentwurf gestärkt. Er wird künftig eine umfassende Übersicht über die geltenden Patientenrechte zur Information der Bevölkerung bereithalten. Uns geht es beim Patientenrechtegesetz darum, die bereits bestehenden Rechte der Patienten zu bündeln, zu erweitern und damit zu stärken. Unser Leitbild ist der mündige Patient, der selbst entscheiden kann, der seine Rechte und Pflichten kennt und Ansprüche stellt, anstatt als Bittsteller gegenüber Leistungsträgern aufzutreten. Mit diesem Gesetz wollen wir vor allen Dingen eine Kultur des Vertrauens im Gesundheitswesen etablieren. Zwischen Arzt bzw. Behandler und Patienten braucht es ein besonderes Vertrauensverhältnis, um die bestmögliche medizinische Versorgung der Patienten zu erreichen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Vielen Dank. – Ich habe eine Reihe von Wortmeldungen, die ich jetzt der Reihe nach aufrufe. Zunächst Frau Dr. Volkmer. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Schon im Vorfeld dieses Gesetzes, also seit mehr als zwei Jahren, wurden bei Patientinnen und Patienten viele Erwartungen geweckt, insbesondere wie die Situation der Patientinnen und Patienten beim Umgang mit Behandlungsfehlern verbessert werden kann. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet Regelungen, die bereits heute Anwendung finden. Dass bei groben Behandlungsfehlern eine Beweislastumkehr gelten soll, wie die Ministerin der Justiz ausgeführt hat, ist ja schon heute gängige Vorgehensweise vor Gericht. Das Problem ist nur, dass grobe Behandlungsfehler selten attestiert werden. Im Vorfeld ist sowohl vom Patientenbeauftragten, Herrn Zöller, als auch vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Singhammer, ein Entschädigungsfonds für Härtefälle ins Gespräch gebracht worden. Auch die Gründung einer Stiftung war im Gespräch. Dazu ist im Gesetzentwurf nichts zu finden. Warum ist das so? Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin Volkmer, ich halte die Beschränkung auf grobe Behandlungsfehler für genau richtig. Wenn wir eine generelle Beweislastumkehr vornehmen würden, dann müsste ein Behandler bei jedem Fall darlegen und begründen können, dass er alles richtig gemacht hat. Das würde zu einem enormen Dokumentationsaufwand führen. Ich hätte die Sorge, dass dadurch amerikanische Verhältnisse entstünden, nämlich dass der Arzt als Erstes an seine Versicherung denkt und sich davor scheut, Risiken einzugehen. Wir brauchen aber eine offene Fehlervermeidungskultur und keine Risikovermeidungskultur; denn der Arzt sollte das Bestmögliche tun, um dem Patienten zu helfen. Eine ähnliche Sorge treibt mich bezüglich der Einrichtung eines Entschädigungsfonds um. Derjenige, der den Schaden verursacht, muss dafür zur Verantwortung gezogen werden. Es ist nicht die Aufgabe der Solidargemeinschaft, denjenigen, der den Schaden verursacht hat, aus der Verantwortung zu nehmen. Dafür sollten keine Beitragsgelder verwendet werden. Für heute Nachmittag wurde eine Aktuelle Stunde zum Thema Schuldenkrise vereinbart; da sieht man ebenso diese unterschiedlichen Haltungen. Für uns gilt bezüglich der Schuldenkrise das Prinzip, dass der Verursacher verantwortlich ist und nicht die Allgemeinheit dafür herangezogen werden darf. Wir wollen daher keinen Entschädigungsfonds. Wir hätten außerdem die große Sorge, dass daraus neue Bürokratie entsteht: Antragsverfahren mit eigenen Kriterien, die regeln, wer Geld aus dem Entschädigungsfonds bekommt. Das ist aus unserer Sicht nur zusätzliche Belastung, zusätzlicher Aufwand und nicht im Sinne einer wirklichen Stärkung der Rechte der Patienten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Vogler. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Minister, Frau Ministerin. – Ich finde, man muss diesen Gesetzentwurf auch einmal unter der Perspektive betrachten, aus welcher Ecke er den meisten Beifall bekommt. Wir haben gehört, dass der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, gesagt hat, der Gesetzentwurf entspreche im Wesentlichen dem, was er mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung abgesprochen habe. Von Patientinnen- und Patientenorganisationen hingegen hören wir nicht, dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen das enthalte, was sie mit der Bundesregierung abgesprochen bzw. von der Bundesregierung erwartet haben. Deswegen frage ich Sie: Warum verschließen Sie sich weiterhin einer weiter reichenden Beweiserleichterung für Patientinnen und Patienten – ich will nicht von Beweislastumkehr sprechen, sondern von Beweiserleichterung –, einer Reform des Gutachterwesens, das es den Patientinnen und Patienten überhaupt erst ermöglichen würde, mit den behandelnden Ärzten auf Augenhöhe zu sein, einer Regulierung der individuellen Gesundheitsleistung – dieses Thema geht ja momentan auch wieder durch die Presse –, einer Reform der Schlichtungsstellen, die mehr Raum für die Interessen der Patientinnen und Patienten verschaffen, sowie besseren Mitwirkungsmöglichkeiten von Patientinnen und Patienten in den entsprechenden Gremien? All das wäre meiner Ansicht nach wichtig gewesen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich gehe davon aus, dass sich die Regierung selbst -koordiniert und Sie sich jeweils darüber verständigen, wer die Frage beantwortet. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das glauben Sie nicht wirklich!) Notfalls stehe ich für Streitschlichtungen zur Verfügung. (Heiterkeit – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein! Wir brauchen Sie hier, im Bundestag!) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wunderbar. Das wird aber nicht notwendig sein. Einige der gerade gestellten Fragen fallen natürlich in den Zuständigkeitsbereich von Herrn Bahr, aber ich möchte grundsätzlich sagen: Wir haben diesen Gesetzentwurf mit niemandem in irgendeiner Form vorher abgesprochen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber schlechter Stil!) Wir haben im Vorfeld keine Forderungen aufgenommen oder einer Seite Zugeständnisse gemacht. So ist der Gesetzentwurf nicht entstanden. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist aber -interessant!) Das Ziel, das wir mit diesem Gesetzentwurf verfolgen, ist vielmehr, den Patienten die Möglichkeit zu geben, ihrem Behandelnden auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Das ist ein wichtiges Anliegen, und das gelingt. Das wird einmal deutlich, wenn man sich ansieht, welche Regelungen wir hinsichtlich Informationspflichten, Einwilligung, Aufklärungspflichten, Dokumentation in der Patientenakte und des Rechts zur Einsichtnahme in die Patientenakte in diesen Gesetzentwurf aufgenommen haben. Vor allen Dingen wird das aber deutlich, wenn man sich die Regelung anschaut, die greift, wenn Dinge, die besprochen worden sind, sich nicht in der Patientenakte wiederfinden: Daraus sollen Vermutungen zugunsten der Patienten und zulasten der Ärzte abgeleitet werden. Bei diesem Gesetzentwurf werden natürlich die unterschiedlichen Interessen in den Blick genommen; das muss bei jedem Gesetzgebungsvorhaben der Fall sein. Es gibt aber keineswegs eine einseitige Ausrichtung. Wir konzentrieren uns bei diesem Gesetzentwurf – das gilt insbesondere für die vorgesehenen Änderungen im Bereich des BGB – auf die drängenden Fragen und auf das, was sich grundsätzlich in unser Haftungsrecht – deliktisch oder vertraglich – einfügen lässt. Ein Fonds, der Ärzte entlastet, der durch die Hintertür eine Gemeinschaftshaftung der Versicherten einführen würde, passt nicht in unsere Rechtsordnung. Deshalb haben wir nach intensiver Erörterung mit diesem Gesetzentwurf einen solchen Weg nicht beschritten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Darf ich noch einmal an unser Zeitregime erinnern? Die Lichtsignale bieten eine Orientierungshilfe für die Annäherung an die Minutengrenze. Dies ist ja keine Debatte, sondern eine Fragestunde. Die nächste Frage hat der Kollege Erwin Rüddel. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Herr Präsident! Wir sind froh, dass diese Koalition nach zehn Jahren Diskussion dieses Projekt jetzt abschließend auf den Weg gebracht hat. Im Gesetzentwurf wird von effektiv durchsetzbaren und ausgewogenen Rechten gesprochen. Ich bitte darum, diese Rechte etwas zu konkretisieren: Sind Sie der Meinung, dass die Rechtsstellung des Patienten gegenüber seiner Krankenkasse ausreichend ausgeprägt ist? Wie wollen Sie sicherstellen, dass durch diese Gesetzesinitiative das Ver-trauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht in Mitleidenschaft gezogen wird? Sie haben eben die Fehlervermeidungskultur angesprochen, die im Zentrum dieses Gesetzentwurfs steht. Könnten Sie auch hierzu noch detailliertere Ausführungen machen? Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege, zum ersten Teil Ihrer Frage: Wir stärken die Rechte der Versicherten gegenüber ihrer Krankenversicherung durch geeignete Fristsetzung. Eine Krankenkasse muss bei einer Leistung, die einer Beantragung bedarf, innerhalb einer Frist eine Entscheidung treffen, damit der Versicherte nicht lange im Unklaren gelassen wird. Das habe ich eben beschrieben. Uns erreichen viele Schreiben, in denen sich Versicherte darüber beschweren, dass Entscheidungen zu lange dauern. Eine geeignete Sanktion ist beispielsweise, dass der Versicherte sich die Leistung selbst beschaffen und der Krankenversicherung in Rechnung stellen kann, sofern innerhalb der Frist keine Entscheidung getroffen wurde. Zum zweiten Teil: Uns ist wichtig, dass zwischen Patient und Arzt eine Kultur des Vertrauens herrscht und nicht eine Kultur des Misstrauens. Insofern sage ich, anknüpfend an die Frage von Frau Vogler: Es bringt nichts, Ärzte unter Generalverdacht zu stellen und sie gegen die Patienten zu stellen. Beide, Patient und Arzt, wollen ein gutes Verhältnis haben. Der Patient möchte möglichst schnell gesunden und eine gute Behandlung bekommen. Mehr Dokumentationspflichten würden den Arzt möglicherweise mit mehr Bürokratie belasten, wodurch er weniger Zeit für den Patienten hätte. Schließlich: Fehlervermeidungskultur heißt, dass offen mit Fehlern umgegangen wird, dass in Selbstverwaltung geeignete Instrumente gewählt werden. Wir sehen beispielsweise vor, dass Krankenhäuser Zuschläge bei der Vergütung erhalten können, wenn sie ein Instrument zur Fehlervermeidung in ihren Arbeitsablauf integrieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Klein-Schmeink, bitte. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe eine Frage an Frau Leutheusser--Schnarrenberger. Sie haben die Aufklärungspflichten, die Informationspflichten besonders hervorgehoben. Ich frage Sie, wie Sie diese Aussagen damit vereinbaren können, dass in Ihrem Gesetzentwurf keine Regelungen vorgesehen sind, um den barrierefreien Zugang zu Informationen und Aufklärung sicherzustellen. In der Begründung wird beispielsweise darauf abgehoben, dass es keinen kostenfreien Zugang zu Dolmetscherleistungen gibt. Wie ist das mit Ihrem Anspruch auf umfassende Aufklärung und Information zu vereinbaren? Welche anderen Regelungen im Sinne der UN-Konvention schlagen Sie ansonsten vor? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir haben unter „Aufklärungspflichten“ in § 630 e BGB-E ausgeführt, dass die Aufklärung mündlich durch den Behandelnden oder eine Person, die zu dieser Behandlung oder zu diesem Eingriff befähigt ist, durchzuführen ist. Das impliziert doch ganz eindeutig, dass die Aufklärung in der Art und Weise erfolgen muss, dass der Empfänger, also der Patient – Aufklärung muss empfängerorientiert erfolgen –, in der Lage ist, diese Infor-mationen und Aufklärung zu verfolgen. Wenn es auf Empfängerseite, also bei dem Patienten, eine Beeinträchtigung des Hörens oder andere Beeinträchtigungen der Wahrnehmung gibt – ich sage das jetzt so nüchtern –, dann ist ganz klar – so impliziert es § 630 e Abs. 2 –, dass eine umfassende Aufklärung des Patienten in einer entsprechenden Art und Weise zu erfolgen hat; denn der Patient muss wissen, was ihn möglicherweise erwartet. Nur so ist diese Verpflichtung erfüllt. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident, darf ich ergänzen? Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Bahr möchte noch ergänzen. Bitte schön. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Ich würde gern ergänzen, Frau Klein-Schmeink. Wir haben im Kabinettsentwurf der Forderung von Patien-tenorganisationen nach einer stärkeren Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention explizit Rechnung getragen. Im Gesetzentwurf – Frau Leutheusser--Schnarrenberger hat darauf hingewiesen – steht das Wort „verständlich“. In der Begründung – Sie nannten das Beispiel eines Gebärdendolmetschers – haben wir dies explizit aufgegriffen und erwähnt, dass die insoweit bestehende Kostenübernahme der Sozialleistungsträger gemäß § 17 Abs. 2 SGB I auch für den Fall gilt, dass bei einem hörbehinderten Patienten ein Gebärdendolmetscher hinzugezogen werden muss. Die Frage, ob ein Gebärdendolmetscher in Anspruch zu nehmen ist, ist also geregelt, und zwar explizit im Gesetzeswortlaut durch das Wort „verständlich“, aber auch durch entsprechende Erwähnung in der Begründung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Reimann. Dr. Carola Reimann (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben ausgeführt: Die Kosten, die durch das Verschulden Einzelner entstehen, sollten nicht durch einen Fonds abgedeckt werden. Die Realisierung der Haftung – die Ministerin hat dies angesprochen – spielt eine große Rolle für den Patienten. Deswegen frage ich nach der Berufshaftpflicht, die sehr unterschiedlich gestaltet ist. Im Pa-tientenrechtepapier der Länder und auch in dem Papier der Kollegen der Union fand sich deshalb die Forderung, eine bundeseinheitliche Berufshaftpflicht zu etablieren. Ich frage: Warum haben Sie das nicht aufgenommen? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir haben eine Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Für diesen Bereich sind die Länder zuständig. Wir haben das in den bisherigen Gesprächen bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs natürlich angesprochen und auch an die Länder herangetragen; denn wir teilen diese Zielrichtung. Es wäre gut, wenn es zwischen den Ländern abgestimmte, möglichst einheitliche Berufshaftpflichtregelungen geben würde. Von daher wäre es sehr gut, wenn wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, vielleicht schon bei der ersten Stellungnahme des Bundesrates, von den Ländern hören würden, dass sie willens und bereit sind, hier einen tatkräftigen Beitrag zu leisten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Dyckmans, bitte. Mechthild Dyckmans (FDP): Frau Ministerin, könnten Sie noch einmal genau darlegen, in welcher Form dieser Gesetzentwurf Hilfe für Patientinnen und Patienten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte vorsieht, wenn Behandlungsfehler eingetreten sind, insbesondere in dem Fall, wenn man wirklich von Ärztepfusch reden kann? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Liebe Frau Kollegin, im Gesetzentwurf sind, korrespondierend mit den Pflichten des Behandelnden zur Information und Aufklärung, auch die Rechte der Patienten auf Einsichtnahme in die Patientenakte geregelt und damit auch das Recht auf Einsichtnahme in das, was dokumentiert ist: zum Beispiel das Beratungsgespräch und die Maßnahmen, die möglicherweise ergriffen werden sollten. Wir haben das in einem Paragrafen sehr ausführlich aufgeführt. Anamnese, Diagnose, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen sind demzufolge in die Patientenakte aufzunehmen. Hier besteht ein Akteneinsichtsrecht. Das stärkt die Patienten. Es handelt sich ja um ein Recht; die Patienten müssen, wenn sie davon Gebrauch machen, kein schlechtes Gewissen haben. Sie sind, wie Herr Kollege Bahr sagte, nicht Bittsteller. Bei der Haftung, glaube ich, darf man nicht unterschätzen, dass jetzt im Gesetzentwurf steht – das ist in unserem Haftungsrecht nicht die Regel –, dass in bestimmten Fällen die Beweislastführung auf den Behandelnden übergeht. Darüber, dass es dabei im Einzelfall um schwierige Fragen geht, brauchen wir uns überhaupt nicht zu unterhalten. Aber dass das ausdrücklich festgelegt ist, zeigt: Das ist nicht nur etwas, was die Rechtsprechung entwickelt, sondern es ist ein Bestandteil und soll auch Grundlage für das sein, was weiterführende Rechtsprechung nach sich ziehen kann. Ich glaube, das alles stärkt den Patienten, auch gegenüber dem Behandelnden. Da gibt es eben keinen Halbgott in Weiß. Vielmehr wird auf Augenhöhe über ganz wichtige Themen gesprochen, die den Patienten unmittelbar betreffen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Lemme. Steffen-Claudio Lemme (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage richtet sich an Herrn Minister Bahr. Sie hatten ja im Vorfeld der Erarbeitung des Gesetzentwurfes die Absicht, die Rechte der Patientenvertreter, also die Kollektivrechte, im G-BA zu stärken; die Patientenvertreter sollten stärker eingebunden werden, auch in Verfahrensabläufe. Das ist nun nicht geschehen. Warum haben Sie die Rechte der Pa-tientenvertreter nicht gestärkt? Außerdem möchte ich fragen: Wo ist eigentlich Herr Zöller? (Jens Spahn [CDU/CSU]: Krank! – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Er ist krank, Sie Schlaumeier!) Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal: Ich bin nicht für den Terminplan von Herrn Zöller zuständig. Weil ich mit ihm telefoniert habe, kann ich Ihnen aber versichern: Er ist heute erkrankt und kann deswegen nicht an dieser Sitzung teilnehmen. (Beatrix Philipp [CDU/CSU], an den Abg. Steffen-Claudio Lemme [SPD] gewandt: Lieber mal vorher fragen, Herr Kollege! Sonst kann es peinlich werden!) Er lässt sich entschuldigen. Ich weiß ihn allerdings an unserer Seite. Er hat dieses Vorhaben sehr unterstützt, auch heute öffentlich. Ich bin sehr dankbar für die Arbeit, die der Patientenbeauftragte für das Patientenrechtegesetz geleistet hat. Ich kann mich an eine Äußerung, in der ich zugesichert habe, dass die Verfahrensrechte der Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss verändert werden, nicht erinnern. Ich halte das auch nicht für sinnvoll. Nach all den Erfahrungen, die wir im Gemeinsamen Bundesausschuss gemacht haben, werden die Patientenvertreter sehr gut berücksichtigt und in die Diskussion eingebunden. Bei den meisten Entscheidungen – das bestätigt auch der unparteiische Vorsitzende – würden die Patientenvertreter, wenn sie Stimmrecht hätten, keine andere Entscheidung treffen. Aber: Der Gemeinsame Bundesausschuss trifft Entscheidungen, die den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung betreffen und die ansonsten der Gesetzgeber treffen müsste. Dafür braucht es eine Legitimation der Vertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss, die ein Stimmrecht haben. Das sind die Vertreter der Krankenversicherten, die Krankenkassen, und die Vertreter der Ärzte und Krankenhäuser, also Vertreter von Organisationen, in denen überwiegend eine Pflichtmitgliedschaft besteht und die insofern legitimiert sind. Die Patientenvertreter stammen nicht aus Organisationen, in denen eine Pflichtmitgliedschaft besteht. Insofern ist es auch richtig, dass sie kein Stimmrecht haben und somit keine Entscheidung beeinflussen können. Jedoch sollen sie beteiligt werden. Ihre Einbindung wird gestärkt; das ist so. Die Patientenvertreter werden an der Arbeit weiterer Gremien beteiligt, beispielsweise wenn es um die Bedarfsplanung auf Landesebene geht. Ein eigenes Stimmrecht wird aus meiner Sicht dem Charakter des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Legitimation der Entscheidung aber nicht gerecht – auch nicht ein eigenes Stimmrecht in Verfahrensfragen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Bunge. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren der Bundesregierung, auch meine Kontakte zu den Pa-tientenverbänden zeigen, dass nach deren Einschätzung dieser Gesetzentwurf seinen Namen nicht verdient. Etliches ist schon angesprochen worden. Ich möchte aber noch ganz kurz zu einer weiteren Frage kommen. Ich möchte auf die Ankündigungen von Herrn Zöller eingehen, auf die sich natürlich auch Erwartungen gründen. Eine dieser Erwartungen bezieht sich darauf, dass im Zusammenhang mit dem Brustimplantateskandal im Frühjahr dieses Jahres viel davon gesprochen wurde, die Medizinproduktesicherheit zu steigern und die Haftung patientenfreundlicher zu handhaben. Die Linke plädiert dafür, den Selbstverschuldungsparagrafen abzuschaffen. Wenn man nicht so weit gehen will, sollte man in diesen Fällen die Patienten zumindest nicht mehr an den Kosten der notwendigen Behandlung beteiligen. Das findet sich in diesem Gesetzentwurf nicht wieder. Daher frage ich Sie: Warum nicht? Wo sonst soll so etwas geregelt werden? Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal wird eine Behauptung durch bloße Wiederholung nicht richtiger. Auch heute können Sie den Tickermeldungen entnehmen, dass Patientenorganisationen den Gesetzentwurf durchaus gelobt haben, genauso wie Ärzteorganisationen und andere Beteiligte. Sie tragen auch Punkte vor, die durch den Gesetzentwurf geändert werden sollten. Das ist im politischen Diskussionsprozess völlig normal. Deswegen gibt es auch Anhörungen, in denen jeder noch einmal seine Anregungen einbringen kann. Insofern stimmt Ihre These nicht. Im Gegenteil: Patientenorganisationen freuen sich, dass endlich ein Patientenrechtegesetz im Entwurf vorliegt und wir an dieser Stelle unser Versprechen gehalten haben. Ich habe im Übrigen darauf gewettet, dass wir das machen werden. Diese Wetten habe ich jetzt gewonnen. Zum Inhaltlichen: Die Erfahrungen aus dem Skandal um die PIP-Brustimplantate in Frankreich zeigen, dass es kriminelles Handeln gibt. Das muss bestraft werden. Da müssen die Betreffenden auch zur Verantwortung gezogen werden. In der letzten Legislaturperiode ist im Sozialgesetzbuch V die Regelung geschaffen worden, dass bei solchen Leistungen, die medizinisch nicht notwendig waren und die aufgrund eines Wunsches des Versicherten durchgeführt worden sind, der Versicherte bei späteren Komplikationen zu einer angemessenen Eigenbeteiligung herangezogen werden kann. Die Krankenkassen können diese Regelung in Anspruch nehmen. Alle Erfahrungen und alle im Moment geführten Debatten zeigen uns, dass mit dieser Regelung sehr sorgsam umgegangen wird. Es gibt Krankenkassen, die generell darauf verzichten, und andere Krankenkassen, die sich das im Einzelfall anschauen. Wir haben keinen Anlass, diese Regelung im Sozialgesetzbuch V wieder aufzuheben, wie Sie es gerade gefordert haben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Bas. Bärbel Bas (SPD): Vielen Dank. – Ich würde gerne noch bei den Medizinprodukten bleiben. Beim Brustimplantateskandal ist deutlich geworden, dass selbst dann, wenn der Arzt richtig operiert hat, Probleme beim Patienten dadurch entstehen können, dass das Produkt, das verwendet wurde, schadhaft war. Deshalb will ich nachfragen, warum zum Beispiel die Forderungen nicht aufgenommen wurden, eine amtliche Zulassung für Hochrisikoprodukte einzuführen, ein Register einzurichten, das auch überwacht wird, und bei den Herstellern von Medizinprodukten deutlich stärkere Kontrollen vorzunehmen. Für Patienten ist es wichtig, solche Regelungen überhaupt erst einmal zu haben; denn sonst kann man keine Patientenrechte daraus ableiten. Mich wundert es sehr, dass ich in dem Gesetzentwurf dazu nichts finde. Vielleicht können Sie noch einmal erläutern, wo das Berücksichtigung findet – wenn nicht im Patientenrechtegesetz, dann möglicherweise woanders. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Zunächst einmal habe ich mich eben explizit auf die Frage von Frau Bunge bezogen, die die Regelung der Eigenbeteiligung im Sozialgesetzbuch V ansprach. Generell haben Sie recht. Der Skandal um die PIP-Brustimplantate hat uns allen noch einmal gezeigt, dass Veränderungsbedarf besteht. Wir wissen aber, dass das Medizinprodukterecht europäisch geregelt ist. Da sind nationale Alleingänge nicht sinnvoll. Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich die nun von EU-Gesundheitskommissar Dalli gestartete Initiative, bei der es darum geht, wie das Medizinprodukterecht besser gestaltet werden kann, wie es europaweit stärker vereinheitlicht werden kann, wie Kontrollen -effektiver stattfinden können und Erkenntnisse besser ausgetauscht werden können. Jetzt warten wir die konkreten Vorschläge der EU-Kommission ab. Wir werden uns dort intensiv und aktiv einbringen, um Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen. Das Ganze ist aber, wie gesagt, eine europäische Aufgabe. Hier liegt auch die Zuständigkeit. Die entsprechende Richtlinie wird gerade ohnehin überarbeitet. Sie haben daneben die Kontrollen angesprochen. Im Rahmen unserer Zuständigkeit haben wir in der Bundesregierung auf nationaler Ebene Konsequenzen gezogen. Im Dezember 2011 haben wir den Entwurf einer All--gemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Medizinproduktegesetzes beschlossen. Nach Maßgaben im Bundesrat wird die Vorschrift morgen im Bundes--anzeiger veröffentlicht. Hierin ist dargestellt, wie die Überwachungstätigkeiten, für die in Deutschland ja die Länder zuständig sind, gestärkt werden können; denn es zeigt sich, dass die Überwachungen verbessert werden müssen, anlassunabhängig sein müssen und unangemeldet erfolgen sollten. Bei den PIP-Brustimplantaten sind wir zu der Erkenntnis gekommen: Dahinter stand kriminelle Energie. Hier war ein Hersteller tätig, der sich an bestehende Gesetze bewusst nicht gehalten hat. Diese kriminelle Energie wird man nur eindämmen können, wenn man die Überwachungstätigkeit verbessert. Das haben wir in der Verwaltungsvorschrift vorgesehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass das Thema auf europäischer Ebene erstens angesiedelt ist und zweitens jetzt auch verhandelt wird. Dennoch würde es in Bezug auf das Thema Patientenrechte doch sehr gut passen, wenn Sie durch den Gesetzentwurf zumindest die Informationsmöglichkeiten verbessern würden. Deswegen interessiert uns sehr wohl, inwieweit sichergestellt wird, dass die Patientinnen und Patienten beim Einsatz von Medizinprodukten auch Informationen zu produktbezogener Gewährleistung und zu den Risiken erhalten. Auch das – so ist jedenfalls unsere Information – ist in Ihrem Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen, würde aber dort hineingehören. Das ist nicht nur eine europäische Frage. Warum ist das bisher nicht enthalten? Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Wir sehen in dem Patientenrechtegesetz ja vor, dass die Informationspflichten, auch die des Behandlers, erweitert werden. Beispielsweise muss bei den individuellen Gesundheitsleistungen auf die Behandlungskosten und auf mögliche Folgen hingewiesen werden. Daneben geben wir den Patienten jetzt die Möglichkeit, Einsicht in die Patientenakte zu erlangen, und wir haben auch Informationspflichten des Patientenbeauftragten und der Krankenversicherung vorgesehen. Insgesamt werden durch diesen Entwurf eines Patientenrechtegesetzes die Informationspflichten der Behandler, also auch derjenigen, die ein Medizinprodukt einsetzen, erweitert, damit der Patient bessere Informationen erhält. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe konkret nach Medizinprodukten gefragt!) – Das gilt natürlich auch für den Einsatz von Medizinprodukten. Hier müssen ebenfalls entsprechende Informationen zur Verfügung gestellt werden. Auch das stärkt der Entwurf des Patientenrechtegesetzes noch einmal -explizit. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Aschenberg-Dugnus. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident, vielleicht gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle die allerherzlichsten Genesungswünsche an den Kollegen Wolfgang Zöller übermittle. Ich denke, das ist angebracht. Mich würde interessieren – das Thema wurde gerade schon behandelt, aber sehr auf Medizinprodukte reduziert –, wie der Gesetzentwurf die Patienten unterstützt, die sich ganz speziell über mangelnde Informationen beim Arzt beschweren. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Wir stärken die Patienten beispielsweise dadurch, dass wir vorsehen, im Krankenhausbereich ein Beschwerdemanagement zu implementieren, sodass sich die Versicherten dort entsprechend beschweren und informieren können. Es ist auch vorgesehen, dass in den Qualitätsberichten, die die Krankenhäuser veröffentlichen, das Thema Fehlervermeidung enthalten sein soll. Daneben fördern wir durch Vergütungszuschläge, dass in Praxen und in Krankenhäusern Fehlervermeidungsstrategien implementiert werden. Der Patient hat schon jetzt die Möglichkeit, die Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen, wenn er Informationen zum Beispiel über Leistungserbringer und darüber erhalten will, wo er seine Rechte geltend machen kann und wie er sich informieren kann. Der Versicherte erhält hier also insgesamt mehr Möglichkeiten, an Informationen zu kommen. Er tritt gegenüber dem Leistungserbringer möglichst auf Augenhöhe auf. Das wird nie ganz gelingen, weil ein Patient nicht die Ausbildung eines Arztes hat und somit nicht die gleichen Informationen haben kann. Uns ist es aber wichtig, dass er möglichst viele Informationen hat und dass er vor allem weiß, wo er welche Informationen bekommt. Gleichzeitig werden die Leistungserbringer verpflichtet, möglichst viele Informationen zur Verfügung zu stellen, wie beispielsweise durch die Verpflichtung bei den individuellen Gesundheitsleistungen, auch auf die zu erwartenden Behandlungskosten hinzuweisen. In diesem -Zusammenhang ist das Erfordernis der Textform implementiert, sodass der Patient schriftliche Informationen darüber erhält, was er dort in Anspruch nimmt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Volkmer, bitte. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Herr Minister, Sie haben vorhin erklärt, dass Sie keinen Entschädigungsfonds wollen, weil die Ärzte nicht aus der Verantwortung entlassen werden sollen. Warum sind Sie nicht einer Lösung nahegetreten, bei der die Ärzte nicht aus der Verantwortung entlassen werden, aber bei der den Patienten geholfen wird, indem zum Beispiel der Fonds finanziell in Vorleistung geht? Wir alle wissen, dass Prozesse, bei denen es um die Haftung eines Arztes geht, Jahre dauern. Das führt die Patientinnen und Patienten abgesehen von der psychischen Belastung vor allen Dingen ganz schnell an ihre finanziellen Leistungsgrenzen. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Ich habe mich eben explizit darauf bezogen, dass es meiner Meinung nach nicht sinnvoll ist, dass ein solcher Fonds mit Beitragsgeldern aus der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten finanziert wird. Unbenommen davon können ärztliche Organisationen selbst eine solche Stiftung gründen oder einen solchen Entschädigungsfonds schaffen. Es gibt schon heute eine gemeinnützige Stiftung, die Alexandra-Lang-Stiftung, an die sich Patienten wenden und von der sie Unterstützung -erfahren können. Diese Stiftung arbeitet sehr gut mit Krankenkassen zusammen. Außerdem glaube ich, dass auch Ärzte ein Interesse daran haben, dass nicht diejenigen, die sich korrekt verhalten, für das Fehlverhalten eines anderen Arztes in Haftung genommen werden. Das ist die grundsätzliche Fragestellung. Die praktische Fragestellung ist: Nach welchen Kriterien wird das Geld aus einem solchen Fonds gezahlt? Diese müssen vorher festgelegt werden. Man benötigt eine eigene Behörde, die entscheidet, ob die Kriterien erfüllt sind. Man braucht ein Antrags--verfahren. All das sind doppelte Verfahren. Wenn Sie sagen, das sei ein Vorgriff auf eine Leistung, die der Patient später im bestätigten Schadensfall erhält, stellt sich natürlich umgekehrt die Frage: Was ist denn, wenn sich im Klageweg herausstellt, dass der Schaden nicht von dem Arzt verursacht wurde? Muss dann der Patient das Geld an den Fonds zurückzahlen? So gut sich das alles im Interesse des Patienten -anhört, so stellt sich doch die Frage, ob hier nicht das Verursacherprinzip ausgehebelt wird und damit Fehl--anreize geschaffen werden. Wir wollen, dass die Anreize zur Fehlervermeidung so stark sind, dass es möglichst jeder vermeidet, Fehler zu machen, und dass derjenige, der einen Schaden verursacht, bitte schön zur Verantwortung gezogen wird. Risiko und Haftung müssen -zusammengehören. Der Verursacher eines Fehlers trägt dafür die Verantwortung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Klein-Schmeink. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie schließen einen Härtefallfonds zum Beispiel auch für die Fälle aus, bei denen es nachweislich einen großen Schaden gegeben hat, aber die Ursache nicht eindeutig zu klären ist. Es stellt sich die Frage, warum Sie nicht wenigstens in den Fällen eine Beweiserleichterung vorsehen, in denen es einen Fehler und nachweislich einen Schaden gegeben hat, in denen aber darüber hinaus der Geschädigte nachweisen muss, dass es einen Ursachenzusammenhang gibt. Warum haben Sie für diese dritte Stufe keine Erleichterung vorgesehen? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Es geht gerade bei den Haftungsregelungen darum, dass wir – deshalb orientieren wir uns daran, wie sich das bisher in der Rechtsprechung entwickelt hat – hier zwischen einfachen und groben Behandlungsfehlern -unterscheiden. Dabei machen wir keine Differenzierung zwischen einem Fehler und dem eingetretenen Schaden auf der einen Seite und der Feststellung der Ursächlichkeit auf der anderen Seite, die dann immer auf den Arzt oder den Behandelnden zu übertragen wäre. Das wäre eine generelle Beweislastumkehr; denn die Ursächlichkeit ist gerade einer der entscheidenden Punkte. Von -daher nehmen wir keine generelle Beweislastumkehr im Bereich der Ursächlichkeit vor. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Dyckmans. Mechthild Dyckmans (FDP): Es gibt Behandlungen, deren Kosten die Kranken-kassen nicht übernehmen. Über diese Leistungen haben wir in der letzten Zeit oft diskutiert. Ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen, dass Patienten, die Behandlungen wählen, deren Kosten von den Krankenkassen nicht übernommen werden, Informationen darüber bekommen, welche Kosten auf sie zukommen? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Dieses Thema hat schon die Beratungen beherrscht. Deshalb sind wir beide hier aktiv geworden. Wir sehen im Gesetzentwurf vor, als § 630 c eine Bestimmung ins Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen, dass im Falle von individuellen Leistungen, den IGeL-Leistungen, der -Patient dann, wenn der Behandelnde weiß, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten nicht gesichert ist oder dass es berechtigte Gründe gibt, dies anzunehmen – es genügt also der Anschein, dass das so sein könnte –, vor der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung schriftlich, also in Textform, informiert werden muss. Es gibt auch die Information auf mündlichem Wege, aber in dem Entwurf ist ausdrücklich vorgesehen, dass ein Papier übergeben wird, in dem genaue Informationen über die Kosten bzw. die Übernahme der Kosten der Behandlung enthalten sind. Das ist etwas Neues. Das hat es bisher in der Rechtsprechung nicht gegeben. Es klang vereinzelt schon einmal an, aber daraus konnte der Patient bisher kein Recht ableiten. Das Recht bekommt er jetzt mit dieser Neuregelung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Vogler, bitte. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Herr Bahr, Sie haben vorhin gesagt, dass die Einführung eines Entschädigungs- bzw. Haftungsfonds sehr kompliziert und mit viel Arbeit verbunden sei. Das würden Sie lieber nicht angehen; Sie würden vielmehr auf freiwillige Lösungen seitens der Ärzteschaft wie die von Ihnen genannte Stiftung vertrauen. Könnten Sie uns vielleicht ungefähr sagen, wie viele Patientinnen oder Patienten bzw. Versicherte insgesamt von solchen privaten Lösungen profitieren und welchen Vorteil aus Ihrer Sicht die Privatisierung eigentlich staatlicher Verantwortung für Patientinnen und Patienten im Vergleich zur Wahrnehmung durch die Politik hat? Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Liebe Frau Kollegin, ich glaube, das ist einfach ein Unterschied zwischen uns. Deswegen sind Sie Mitglied der Linken, und ich bin Mitglied in einer anderen, einer liberalen Partei. Ich bin der Meinung, dass derjenige, der einen Schaden verursacht, auch dafür zur Verantwortung gezogen werden muss. Sie möchten, dass alle, das heißt die gesamte Gesellschaft, der Staat und die Versicherten, kollektiv für die Kosten aufkommen. Da ich diesen Ansatz nicht teile – das betrifft genauso die Schulden in -Europa und andere Fragen –, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie sind ja zum Glück nicht Finanzminister!) bin ich der Meinung, dass es richtig ist, dass derjenige, der etwas falsch gemacht hat, auch zur Verantwortung gezogen wird. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Falsch -verstanden!) Darüber hinaus begrüße ich – das Patientenrechtegesetz und die Debatte darüber tragen auch dazu bei –, dass es gemeinnützige Stiftungen wie die Alexandra-Lang-Stiftung gibt, die sich in der Bürgergesellschaft engagiert, um andere zu unterstützen. Wir verankern hier – das ist eine wesentliche Veränderung –, dass Krankenkassen erstmals verpflichtet sind, ihren Versicherten zu helfen, zum Beispiel durch Gutachtenerstellung und Information darüber, wo man Hilfe bekommen kann. Wie ist das denn in der Praxis? Die Fälle, in denen es zu Behandlungsfehlern gekommen ist, zeigen, dass sich die Betroffenen alleingelassen fühlen. Sie kennen ihre Rechte nicht und wissen nicht, wer ihnen hilft. Daher ist die Möglichkeit, dass sie sich an ihre Krankenkasse wenden können, die ihnen helfen muss, ein sehr guter Weg, der der Praxis besser entspricht, als wenn wir ein neues Verfahren mit neuen Beantragungen, neuen Kriterien und einer neuen Behörde, die wiederum entscheiden muss, ob jemand Leistungen bekommt, schaffen würden. Das würde nur viel Geld kosten und Kapazitäten binden. Hier muss klar das Verursacherprinzip gewahrt bleiben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir sind jetzt jenseits der vereinbarten Zeit. Ich habe noch zwei Wortmeldungen der Kolleginnen Reimann und Volkmer. Ich schlage vor, dass wir sie noch aufrufen. – Das ist offenkundig einvernehmlich. Bitte schön, Frau Reimann. Dr. Carola Reimann (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe noch eine Frage zu den individuellen Gesundheitsleistungen, die gerade schon angesprochen wurden. Verbraucherzentralen, Krankenkassen und auch die Ärzteschaft sind sich einig und fordern seit langem Regularien und Regeln für diesen Bereich der individuellen Gesundheitsleistungen. Das geht weit über die schlichte Information über den Preis hinaus. Es geht um Leistungen, die häufig einen medizinisch zweifelhaften Nutzen haben. Deswegen frage ich: Warum ist im Entwurf des Patientenrechte-gesetzes entgegen den Ankündigungen und Forderungen im Vorfeld keine spezifische Regelung gefunden worden? Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Die Ankündigungen haben wir mit dem Patientenrechtegesetz umgesetzt. Wir haben darin Regelungen für die individuellen Gesundheitsleistungen vorgesehen. Das Kabinett hat heute den Entwurf beschlossen. Weitere Beratungen finden statt. Das, was das Kabinett vorlegt, ist eine Verbesserung. Denn erstmals wird eine Verpflichtung verankert, dass die voraussichtlichen Kosten der Behandlung durch den Behandler zu benennen sind. Wir sehen ein Textformerfordernis vor. Das heißt, der Patient erhält schriftliche Informationen über die individuellen Gesundheitsleistungen. Ich glaube – das unterscheidet uns vielleicht ein bisschen –, dass wir individuelle Gesundheitsleistungen brauchen. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollen nach Sozialgesetzbuch V ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Das stellen Sie nicht infrage, und das stelle ich nicht infrage. Das heißt, dass es auch Leistungen oberhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung geben kann, die vielleicht nicht notwendig sind, aber dennoch für den Patienten sinnvoll sein können. Deswegen habe ich gestern auf dem Ärztetag eingefordert, dass die Ärzteschaft, die hier in erster Linie -gefordert ist, nämlich die Selbstverwaltung, mit den individuellen Gesundheitsleistungen entsprechend sorgsam und verantwortungsbewusst umgeht. Der Arzt ist kein Unternehmer, sondern ein Freiberufler. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis, das nicht durch wirtschaftliche Aspekte belastet werden darf. Der Ärztetag hat schon vor einigen Jahren einen entsprechenden Kodex beschlossen. Auch auf dem aktuellen Ärztetag befasst sich die Ärzteschaft mit Regularien und Regeln, die innerärztlich die individuellen Gesundheitsleistungen festlegen sollen. Ich halte aber von Vorschlägen nichts, die beispielsweise vorsehen, dass ein Tag zwischen Angebot und Behandlung liegen muss. Ich glaube, der Patient ist mündig genug, selbst zu entscheiden, wenn er gut informiert ist, die Konsequenzen kennt und sich nicht ausgenutzt fühlt; darauf kommt es an. Das stärken wir mit dem Gesetz. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Volkmer? – Ihre Frage hat sich erledigt. Dann schließen wir diesen Teil der Regierungsbefragung ab. Gibt es andere Fragen zur heutigen Kabinettssitzung? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Hat jemand eine sonstige, vorher nicht schriftlich eingereichte Frage an die Bundesregierung? – Nicht einmal das ist der Fall. Es senkt sich seltener Frieden über den Plenarsaal. Damit können wir die Regierungsbefragung abschließen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde – Drucksache 17/9677 – Wir rufen die schriftlich eingereichten Fragen zur mündlichen Beantwortung in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Manfred Nink auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, bei den Verhandlungen über das Gesetzespaket zur Umsetzung von Basel III die besondere Struktur der deutschen Wirtschaft zu berücksichtigen, die sich vorwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen, KMU, zusammensetzt, die in höherem Maße von Bankkrediten abhängig sind und durch die Einführung der neuen Eigenkapitalquoten überproportional belastet werden, und wird sie sich dementsprechend für die Einführung einer speziellen Mittelstandsklausel (KMU-Unterstützungsfaktor) – zum Beispiel durch die Senkung des Risikogewichts bei Mittelstandskrediten – einsetzen, um die Belastung des Mittelstandes zu kompensieren? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Nink, Sie fragen nach der Haltung der Bundesregierung bei den Verhandlungen im Hinblick auf die Umsetzung von Basel III. Dahinter verbirgt sich die Stärkung der Eigenkapitalunterlegung der Banken als eine wesentliche Schlussfolgerung aus der Finanzkrise. Die Bundesregierung hat das Ziel der Stärkung der Eigenkapitalbasis der Banken begrüßt. Es war ihr aber bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene sehr wichtig, dass die bankenaufsichtsrechtlichen Vorschriften so ausgestaltet und eingeführt werden, dass vor allem Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihre zentrale Rolle bei der Finanzierung mittelständischer Unternehmen auch in Zukunft umfassend ausfüllen können. Auch künftig werden die nationalen Aufsichtsbehörden über die Intensität der Beaufsichtigung und die -Organisation der bankenaufsichtlichen Überprüfungsverfahren das Entscheidungsrecht haben. Es gilt der Grundsatz der abgestuften Aufsichtsdichte nach Maßgabe der Risikoeinstufung des beaufsichtigenden Instituts. Dieses sogenannte Proportionalitätsprinzip kommt vor allem den kleineren und mittleren Sparkassen und Genossenschaftsbanken zugute, die – dafür sind wir dankbar – der Hauptfinanzierer des Mittelstands in Deutschland sind. Die politischen Verhandlungen im Ecofin sind vorerst abgeschlossen. Die EU-Finanzminister haben sich in der Ratssitzung am 15. Mai auf einen Kompromisstext verständigt und die Präsidentschaft beauftragt, die sogenannten Trilogverhandlungen zwischen Präsidentschaft, Europäischem Parlament und Kommission zu führen. Nach dem bisherigen Verhandlungsstand ist keine Absenkung des Risikogewichts bei Mittelstandskrediten vorgesehen. Dafür gab es bei den Ratsverhandlungen keine Mehrheit. Der zuständige Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments hat sich aber im Zusammenhang mit diesem Vorschlag bereits am 14. Mai sehr eindeutig für eine deutliche Absenkung des Risikogewichts für Mittelstandskredite ausgesprochen. Das wird von der Bundesregierung begrüßt. Wir tun alles, was wir tun können, um in den Trilogverhandlungen diese Position zum Tragen zu bringen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 2 des Kollegen Zöllmer auf: Will die Bundesregierung bei der im Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht geplanten Reform des Verwaltungsrates bleiben, wonach die derzeit zehn Repräsentanten der Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften nicht mehr im 21-köpfigen Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vertreten sein sollen, nachdem es hierzu heftige Kritik aus der gesamten Finanzbranche gibt? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Zöllmer, die Bundesregierung hat in der Kabinettssitzung am 2. Mai – das ist Ihnen bekannt – den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht beschlossen. Zur Stärkung der Unabhängigkeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und übrigens im Einklang mit internationalen -Aufsichtsstandards sieht der Regierungsentwurf die Änderung der Zusammensetzung des Verwaltungsrats der BaFin vor. Danach sollen dem Verwaltungsrat anstelle von bisher zehn Verbandsvertretern der Finanzindustrie in Zukunft sechs Persönlichkeiten mit Expertise im Bereich der Finanzwirtschaft angehören. Insofern hat die Bundesregierung nicht die Absicht, den bereits beschlossenen Gesetzentwurf zu ändern. Die parlamentarischen Beratungen bleiben abzuwarten. Ich gehe aber davon aus, dass es auch nach den -Beratungen eine Mehrheit im Parlament für diesen Neugestaltungsansatz bei der Finanzaufsicht und für die Reform des Verwaltungsrats der BaFin geben wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zusatzfrage? – Bitte. Manfred Zöllmer (SPD): Nun hat es bei der Debatte über diesen Entwurf vonseiten der Koalition sehr markige Äußerungen und den Hinweis gegeben, man dürfe diejenigen, die beaufsichtigt werden sollen, nicht in einem solchen Gremium -haben. Auf der anderen Seite gibt es Kritik; denn die Banken und Versicherer sind die Financiers der entsprechenden Einrichtung. Nun gehöre auch ich zufällig dem Verwaltungsrat der BaFin an und weiß, dass sich dieser Verwaltungsrat mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit dem Tagesgeschäft der Überwachung von Banken. Daher meine Frage: Teilt die Bundesregierung die Kritik aus den Reihen von CDU/CSU und FDP, die ich eben erwähnt habe? Sind auch Sie der Meinung, dass mit den Bankenvertretern und Versicherungsvertretern im Aufsichtsrat diejenigen an der Aufsicht mitwirken sollten, die beaufsichtigt werden sollen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich habe keinerlei Kritik der Koalitionsfraktionen an dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung beschlossen hat und der die Verwaltungsratszusammensetzung ändern wird, vernommen. Insofern gehe ich davon aus, Herr Kollege Zöllmer, dass es für diesen Vorschlag eine entsprechende parlamentarische Mehrheit geben wird. (Manfred Zöllmer [SPD]: Gut, danach hatte ich aber nicht gefragt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine Nachfrage. Manfred Zöllmer (SPD): Die Frage ist: Teilt die Bundesregierung genau diese Aussage der Koalitionsfraktionen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Zöllmer, ich versuche es noch einmal: Wir haben eine veränderte Zusammensetzung des Verwaltungsrats der BaFin beschlossen. Es sollen nicht mehr wie bisher zehn Verbandsvertreter dem Gremium angehören, sondern Persönlichkeiten mit Erfahrung und einem Expertisenachweis aus dem Bereich der Finanzwirtschaft. Das heißt, die Verbände entsenden nicht mehr einfach so Vertreter, auf die niemand Einfluss nehmen kann. Diesem Ansatz der Änderung der Zusammen-setzung wird, glaube ich, vonseiten der Koalitionsfraktionen nicht mit Kritik begegnet; er findet vielmehr Zustimmung und wird nach meiner Einschätzung eine parlamentarische Mehrheit erhalten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Nachfragen dazu sehe ich nicht. Wir kommen zur Frage 3: Wie haben sich die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Commerzbank AG bzw. die von der Bundes-regierung hierfür genutzten Vertreter der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft und der frühere Bundesbank-Vorstand M. verhalten, als es aktuell um die Frage der Erhöhung der Bezüge des Managements der Commerzbank AG und die ebenfalls geplante Zahlung von darüber hinausgehenden Boni ging? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Zöllmer, die vom Finanzmarktstabilisierungsfonds eingegangenen Beteiligungen an Kreditinstituten dienen der Stabilisierung des Finanzmarktes. Die Bundesregierung hat stets betont, dass sie nicht auf das Geschäft stabilisierter Banken Einfluss nimmt. Deshalb gibt das Bundesministerium der Finanzen auch keine Auskünfte und Stellungnahmen zu unternehmensinternen Entscheidungen dieser Institute, zum Beispiel auch der Commerzbank. Auch über den Inhalt der Tätigkeit von Aufsichtsräten äußert sich die Bundesregierung nicht. Soweit Beschäftigte der Bundesregierung im Rahmen des rechtlich Zulässigen Auskünfte von Gremienvertretern entgegennehmen, haben sie nach § 395 Aktiengesetz darüber Stillschweigen zu bewahren und dürfen keine Auskünfte erteilen. Diese gesetzliche Verschwiegenheitspflicht schließt auch das Abstimmungsergebnis und das Stimmverhalten im Aufsichtsrat mit ein. Eine Verletzung dieser Geheimhaltungspflicht stellt übrigens nach § 404 des Aktiengesetzes einen Straftatbestand dar. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Manfred Zöllmer (SPD): Aber die Erhöhung der Vorstandsvergütung um insgesamt 60 Prozent ist ein Vorgang, der öffentlich geworden ist. Die Commerzbank ist eine Einrichtung, die mit stillen Einlagen in Höhe von 18,2 Milliarden Euro und 16 Milliarden Euro vom Steuerzahler davor bewahrt wurde, Bankrott zu machen. Nun haben wir eine Situation, die aus meiner Sicht der unverschämten Selbstbedienungsmentalität von Vorständen geschuldet ist, deren Banken vom Steuerzahler gerettet worden sind und die noch nicht einmal Zinsen für das eingelegte Kapital gezahlt haben. Dazu muss die Bundesregierung doch eine politische Meinung haben. Diese politische Meinung hätte ich gern von Ihnen erfahren. Ist es so, dass die Bundesregierung diese unverschämte Selbstbedienungsmentalität für richtig hält? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Zöllmer, ich darf darauf hinweisen, dass die Vorstandsbezüge der Commerzbank AG vom Aufsichtsrat im Hinblick auf die fixe und die variable Vergütung gemäß der gesetzlichen Vorgabe in den Jahren 2010 und 2011 auf 500 000 Euro pro Jahr begrenzt wurden. Die gesetzlich festgelegte Begrenzung greift bereits ab dem Geschäftsjahr 2011 nicht mehr, da die Bank im Jahr 2011 mehr als die Hälfte der Rekapitalisierungsleistungen des Sonderfonds für Finanzmarktstabilisierung zurückgeführt hat. Für 2011 galt allerdings auf Beschluss des Aufsichtsrats – und damit freiwillig, also ohne dass dies gesetzlich erforderlich gewesen wäre – noch die absolute Begrenzung auf 500 000 Euro. Diese Begrenzung wurde von der Bank eingehalten. Herr Kollege Zöllmer, die vom Aufsichtsrat in Einklang mit der Rechtslage beschlossene Vergütungsregelung für den Vorstand tritt daher ab 2012 wieder in Kraft und ermöglicht so für das Geschäftsjahr 2012 ein Überschreiten der Vergütungshöhe von 500 000 Euro. Präsident Dr. Norbert Lammert: Eine zweite Zusatzfrage wollen Sie nicht stellen? Manfred Zöllmer (SPD): Doch. – Ich stelle also fest, dass Sie ein Gehalt von 500 000 Euro pro Jahr für etwas halten, von dem man jemanden erlösen muss? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Lieber Herr Kollege Zöllmer, ich glaube, ich habe die Rechtslage sehr sachlich, so, wie sie ist, dargelegt. Auch Sie dürften von einer Bundesregierung erwarten, dass sie Sachverhalte gemäß der Gesetzeslage beurteilt und sich nicht auf eine polemische Debatte einlässt, wie sie von Ihnen teilweise geführt wird. Wir haben den Sachverhalt so zu beurteilen, wie er nach Recht und Gesetz zu beurteilen ist, und das habe ich Ihnen gerade dargelegt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kressl, bitte. Nicolette Kressl (SPD): Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben dem Bundestag gerade erläutert, dass Sie auf den Einzelfall nicht eingehen können. Dennoch bleibt die Frage: Hält es die Bundesregierung nach diesen Vorgängen nicht für sinnvoll, grundsätzliche politische Konsequenzen zu ziehen? Es werden ja seit längerer Zeit Möglichkeiten diskutiert, Begrenzungen einzuführen, beispielsweise bei der steuerlichen Absetzbarkeit von sehr hohen Managergehältern. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Kressl, da Sie mich so allgemein fragen, möchte ich Ihnen antworten: Wir haben in der Großen Koalition entsprechende Begrenzungen für Managergehälter vorgenommen. Die Bundesregierung hält es nicht für erforderlich, von diesen gesetzlichen Regelungen, die von der Großen Koalition vorgenommen wurden, abzugehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, es wurde die Frage nach dem Handeln der Aufsichtsratsmitglieder gestellt. Nun kann man grundsätzlich fragen, warum die Bundesregierung extra jemanden benennt, der nicht Teil der Weisungskette ist, sodass man die Verantwortung gut abschieben kann. Darüber will ich jetzt aber nicht diskutieren, darüber diskutieren wir an anderer Stelle. Ich möchte jedoch die Frage stellen, wie der Bund als Eigentümer agiert. Auf der Hauptversammlung der britischen Großbank Barclays haben kritische Aktionäre die überhöhten Vorstandsbezüge hinterfragt und diese zur Abstimmung gestellt. Warum hat der Bund als Eigentümer mit einer Beteiligung von 25 Prozent auf der Hauptversammlung der Commerzbank, die heute stattfindet, nicht die Möglichkeit genutzt, in dieser Frage einzugreifen? Heißt das, dass die Bundesregierung es zumindest stillschweigend billigt, dass Herr Blessing durch den Aufsichtsrat eine entsprechende Gehaltserhöhung bekommen hat? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Schick, auch Sie darf ich darauf hinweisen, dass eine Intervention des Bundes bzw. der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung aus der Position als Aktionär mit einer Beteiligung an der Commerzbank in Höhe von 25 Prozent plus einer Aktie aus folgenden Gründen nicht möglich ist: Über die Vorstandsvergütung entscheidet nach dem Gesetz der Aufsichtsrat in eigener Verantwortung. Was das Verhalten von Aufsichtsratsmitgliedern aus dem Bereich der Bundesregierung anbelangt, auch in rechtlicher Hinsicht, habe ich in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Zöllmer entsprechende Ausführungen gemacht. Der Bund hat in der Tat zwei Vertreter zur Wahl in den 20-köpfigen Aufsichtsrat vorgeschlagen. Die Hauptversammlung, auf die Sie anspielen, Herr Kollege Schick, kann dem Aufsichtsrat keine verbindliche Empfehlung vorgeben und auch nicht die Entscheidung des Aufsichtsrats an sich ziehen. Die mit dem Gesetz über die Angemessenheit von Vorstandsvergütungen geschaffene Billigung des Vergütungssystems durch die Hauptversammlung hat nach § 120 Abs. 4 Satz 2 Aktiengesetz keine Bindungswirkung für den Aufsichtsrat. Das heißt, die Entscheidung und Verantwortung des Aufsichtsrats für die konkrete Höhe und Angemessenheit der Vorstandsvergütung bleiben von einem etwaigen Votum der Hauptversammlung unberührt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollegin Höll. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, Sie haben uns die Rechtslage erläutert; das ist richtig. Die Frage bezog sich aber – darauf möchte ich zurückkommen – auf die politische Wertung seitens der Bundesregierung. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sehen Sie es als rechtens an, dass es drei Jahre lang eine Begrenzung der Gehälter gab, und zwar auf 500 000 Euro; das ist nicht ganz wenig Geld. Die Wirkungen der Finanzkrise auf die öffentlichen Haushalte und damit auf viele Bürgerinnen und Bürger gehen weit über diese drei Jahre hinaus. Sie halten es als Bundesregierung also politisch für richtig, dass die Manager, das heißt diejenigen, die durch ihr Handeln ganz konkret mitzuverantworten haben, dass die Finanzkrise so ausgebrochen ist und so gewirkt hat, jetzt wieder in die Vollen greifen können, während die öffentliche Hand weiterhin die Belastungen trägt. Habe ich Sie so richtig verstanden? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Verehrte Frau Kollegin Höll, ich darf noch einmal sagen: Der Vorgang bei der Commerzbank, den ich Ihnen als Reaktion auf die Fragen anderer Kollegen geschildert habe, hat sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt. Ich glaube, es ist nicht richtig, wenn die Bundesregierung dann, wenn nach Recht und Gesetz gehandelt wird, daran Anstoß nimmt und sich in eine politische Debatte darüber einschaltet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Scheelen, bitte. Bernd Scheelen (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin auf die Frage der Kollegin Kressl geantwortet, man habe in der Großen Koalition entsprechende Regelungen getroffen. Auch ich war damals dabei, kann mich daran aber eigentlich nicht erinnern. Vielmehr erinnere ich mich daran, dass wir Ihnen vorgeschlagen haben, die Managergehälter in der Weise zu begrenzen, dass man festlegt: Sie sind nur bis zu einer bestimmten Höhe, zum Beispiel bis zu 1 Million Euro, steuerlich absetzbar und darüber hinaus nicht mehr. Dem haben Sie damals, soweit ich mich erinnere, nicht zugestimmt. Die Frage ist: Warum haben Sie das nicht getan? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich glaube, dass die von uns getroffene gesetzliche Regelung, was die Angemessenheit der Vergütung anbelangt, richtig war und dass wir damals auch richtig entschieden haben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Fragen hierzu liegen mir nicht vor. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Sieling werden schriftlich beantwortet. Somit sind wir bei der Frage 6 des Kollegen Scheelen: Wird die Bundesregierung – wie von der Wirtschaft -dringend gefordert – die zur Jahresmitte 2012 auslaufende Übergangsregelung zur Gelangensbestätigung für innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 17 a der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung bis zum Jahresende 2012 verlängern und, falls nein, warum nicht? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Scheelen, ja, die bis 30. Juni 2012 geltende Übergangsregelung, was die Gelangensbestätigung anbelangt, wird nochmals verlängert. Das haben Bund und Länder auf Fachebene am 15. Mai 2012 entschieden. Ein entsprechendes BMF-Schreiben wird mit der Wirtschaft zurzeit noch abgestimmt und soll in Kürze veröffentlicht werden. Auf Vorschlag der Wirtschaft prüfen wir derzeit auch eine Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung. Denn es erscheint sinnvoll, dass in erster Linie die in dem derzeitigen Entwurf des BMF-Einführungsschreibens zur Gelangensbestätigung vorgesehenen Vereinfachungen und Erleichterungen im Verordnungswege auch gesetzlich abgesichert werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, Zusatzfrage. Bernd Scheelen (SPD): Damit das ganz klar ist: Sie verlängern diese Regelung bis Ende des Jahres? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ja. Bernd Scheelen (SPD): Das ist ein wichtiger Schritt. Das Grundsatzproblem wird durch diese Verlängerung aber nicht gelöst. Sie sind daher auch bereit, an der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung etwas zu tun, weil die bisherige Rechtslage gegenüber dem, was jetzt faktisch noch möglich ist, am Ende einen gewissen Widerspruch erzeugt. Habe ich das richtig verstanden? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nein. Bernd Scheelen (SPD): Sie sind bereit, die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung zu ändern. In dem Punkt „Mussvorschrift“ sind also Öffnungen vorgesehen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Genau. Wir sind bereit, die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung zu ändern, um dem, was wir in einem BMF-Schreiben im Hinblick auf die Handhabbarkeit der Gelangensbestätigung jetzt mit den Ländern, aber auch den Wirtschaftsverbänden abgesprochen haben, eine entsprechende Rechtssicherheit zu geben. Wir kommen damit auch einem Vorschlag aus der Wirtschaft nach. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage. Bernd Scheelen (SPD): Sehen Sie eventuell vor, dass man den Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung auch künftig mit Speditionsbelegen führen kann, so wie das bisher der Fall war? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist noch in der Prüfung. Wir wollen in Gesprächen mit dem Speditionsgewerbe jedenfalls dafür sorgen, dass die letztendlich durch das BMF-Schreiben zur Anwendung kommende Gelangensbestätigung für die Unternehmen, gerade auch mit den Anschlussleistungen im Speditionsgewerbe, handhabbar ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Barbara Höll auf: Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der Anwendung des Splittingtarifs bei Steuerpflichtigen einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft bundeseinheitlich zu gewähren ist, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Einkommensteuerbescheiden nach § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanz-gerichtsordnung bestehen, in denen die Anwendung des -Splittingtarifs abgelehnt wird – so wie es auch der Bundes-finanzhof in seinem Beschluss vom 5. März 2012 (III B 6/12) entschieden hat; siehe www.lsvd.de/fileadmin/pics/Doku mente/Rechtsprechung5/BFH120305.pdf –, und stimmt die Bundesregierung damit überein, dass es vor diesem Hintergrund geboten ist, zum Zweck einer bundeseinheitlichen Anwendung des Einkommensteuergesetzes eine Verwaltungsanweisung herauszugeben? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Verehrte Frau Kollegin Dr. Höll, der Bundesfinanzhof hat den von Ihnen zitierten Beschluss am 16. Mai 2012 veröffentlicht. Wir prüfen derzeit, welche Folgerungen aus diesem Beschluss zu ziehen sind. Nach Abschluss dieser Prüfung wird das Bundesministerium der Finanzen das weitere Vorgehen mit den obersten Finanzbehörden der Länder abstimmen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, danke für die Antwort. – Ich muss feststellen, dass Sie als Ministerium bei diesem Thema bisher leider massiv gemauert haben. Ich muss jetzt einmal aus der Antwort vom 27. April zitieren, die Sie auf unsere Kleine Anfrage zur Frage zum Rechtsschutz für alle Betroffenen gegeben haben: Das Bundesministerium der Finanzen wartet diesbezüglich vielmehr die Entscheidung des Bundes-finanzhofs in den anhängigen Beschwerdeverfahren zum vorläufigen Rechtsschutz … ab. Nun haben wir diese Entscheidung. Sie ist eindeutig. Deshalb meine Frage: Was müssen Sie jetzt noch prüfen? Wie lange wollen Sie prüfen? Warum ist es nicht möglich, eine bundeseinheitliche Regelung bezüglich eines Rechtsschutzes zu treffen, wie es ja in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Pendlerpauschale, von Ihnen durchaus getan wurde? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Liebe Frau Kollegin Dr. Höll, das ist ein schwieriger Sachverhalt. Wir müssen diese Prüfung sorgfältig vornehmen. Wenn sie abgeschlossen ist, müssen wir die Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder leisten. Da geht wirklich Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, es mag schwierig sein, aber wir haben ja vergleichbare Fälle. Ich wies eben schon auf die Pendlerpauschale hin. Sie könnten nach § 165 der Abgabenordnung die vorläufige Steuerfestsetzung auch bundeseinheitlich regeln. Das ist ein erprobter Akt, das ist ein einfacher Akt. Deshalb frage ich Sie, warum Sie das nicht anstreben, vor allem vor dem Hintergrund, dass, soweit mir bekannt ist, in einzelnen Bundesländern bisher schon ein Rechtsschutz gewährt wird. Da würde mich auch interessieren: Wie viele Bundesländer sind das? Welche sind das? Warum diese Nichtübereinstimmung zwischen den Ländern und dem Bund? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Höll, bei Steuerbescheiden ist eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung beschränkt auf den Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Jahressteuer bzw. den festgesetzten Vorauszahlungen und den anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen. Eine Aussetzung der Vollziehung ist daher nur möglich, wenn der Bescheid zu einer Steuernachzahlung führt. Eine vorläufige Erstattung von Steuerbeträgen kann nicht erreicht werden. Dies ist besonders für Arbeitnehmerfälle von Bedeutung. Die Frage nach den Bundesländern kann ich Ihnen jetzt aus dem Stegreif nicht beantworten; die Antwort würde ich Ihnen aber gern nachreichen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Enkelmann, bitte. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, die Gleichbehandlung von Eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe haben Sie bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. Das ist immerhin fast drei Jahre her. Die Frage ist: Was haben Sie bislang getan, um hier tatsächlich endlich zu einer einheitlichen rechtlichen Regelung zu kommen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, es gibt eine ganze Reihe von Lebenssachverhalten – das haben wir schon in mehreren Antworten auf entsprechende Parlamentsanfragen, auch von Ihnen, deutlich gemacht –, wo wir den Koalitionsvereinbarungen nachgekommen sind. Bei einer wichtigen Frage sind wir uns innerhalb der Bundesregierung einig, dass wir noch die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten wollen und dann im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die notwendigen Konsequenzen aus dieser Rechtsprechung ziehen werden. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und bei anderen sind Sie sich nicht einig?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die weitere Zusatzfrage ist nicht zulässig. Wenn der Herr Staatssekretär sie freiwillig beantwortet hätte, hätte ich ihm nicht im Wege gestanden. Ich rufe nun die Frage 8 der Kollegin Höll auf: Welche konkreten Tatbestände müssen nach dem im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommen mit der Schweiz nach der Definition in Art. 2 Buchstabe h – alternative nutzungsberechtigte Person – vorliegen, damit auch Steuerverkürzungen von natürlichen Personen über Trusts und Stiftungen erfasst werden können, und in welchen Fällen greift bei der Anlage über einen Trust oder eine Stiftung die Ausweitung des persönlichen Anwendungskreises nach Art. 2 Buchstabe h nicht? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Höll, die Anwendung des Abkommens hängt in den von Ihnen angeführten Sachverhalten maßgeblich von der Frage ab, wer die tatsächliche Herrschaftsbefugnis über die entsprechenden Kapitalerträge besitzt. Sofern dies ein in Deutschland unbeschränkt deutscher Steuerpflichtiger ist, findet das Abkommen auch Anwendung, wenn ein Trust oder eine Stiftung zwischengeschaltet ist. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön, die Zusatzfragen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, die Interpretation der Ausnahmeregelung ist bisher eher unklar; Sie haben jetzt eine Interpretation geboten. Die Vermögensverwaltung über Trusts und Stiftungen dient oftmals der Steuerumgehung. Mir ist völlig unklar, wie Sie das – bei einer völlig unzureichenden Datenlage – herausfinden wollen, vor allem, da die deutschen Steuerbehörden keine Möglichkeiten haben, hier Nachprüfungen vorzunehmen. Es erfolgt ja kein automatischer -Informationsaustausch. Ich wüsste gern, wie Sie das einschätzen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Es ist so, Frau Kollegin, dass die Schweizer Finanzverwaltung derzeit an entsprechenden Verwaltungsanweisungen arbeitet, in denen auch die Problematik, die Sie angesprochen haben, behandelt werden soll. Der Entwurf dieser Verwaltungsanweisungen wird uns zugehen, sodass wir hierzu Stellung nehmen können. Wir werden in unserer Stellungnahme zu diesem Verwaltungsanweisungsentwurf gegenüber der Schweizer -Finanzverwaltung darauf hinweisen, dass in Zweifelsfällen zunächst eine Anwendung des Abkommens und -somit zur Sicherung des Steueraufkommens ein Steuerabzug zu erfolgen hat. Diese Position werden wir im -Dialog mit der Schweizer Finanzverwaltung einnehmen, sodass sichergestellt ist, dass in Zweifelsfällen zunächst das Abkommen so zur Geltung kommt, wie ich es Ihnen vorhin im Hinblick auf Trusts und Stiftungen beschrieben habe. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke. – Es bleibt aber dabei, dass dann de facto eine Übergabe des Vollzugs und der Kontrolle von der Verwaltung an die Schweizer Banken – die sich bisher nicht unbedingt dadurch ausgezeichnet haben, Steuerhinterziehern Möglichkeiten der Geldanlage zu verweigern –, also in nichtöffentliche Hände, erfolgt. Kann ich feststellen, dass damit deutsche Finanzbehörden de facto keine Möglichkeit der Kontrolle haben und damit ihre Aufgabe nicht wahrnehmen können? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass wir in Art. 39 des Abkommens, das noch ratifiziert werden muss, vereinbart haben, dass, sofern zwischen den Vertragsparteien unterschiedliche Auffassungen -hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Abkommens bestehen, über diese Frage ein gemeinsamer Ausschuss, an denen beide Seiten paritätisch beteiligt sind, zu entscheiden hat. Wir wollen an diesem Ausschuss übrigens auch die Länder beteiligen. Dieser Ausschuss wird dann in Zweifels- und Streitfällen die Möglichkeit haben, über konkrete Sachverhalte mit der Schweizer Finanzverwaltung zu sprechen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Enkelmann. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, in der Vereinbarung ist eine sehr großzügige Stichtagsregelung enthalten: Wenn ein deutscher Steuerpflichtiger bis zum Stichtag 1. Januar 2013 sein Vermögen aus der Schweiz abzieht und nach Honolulu, auf die Bahamas oder wohin auch immer bringt, dann haben deutsche Steuerbehörden keine Chance mehr, hier zu ermitteln und entsprechend zu handeln. Verstehe ich das richtig, und ist das gerecht? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Auch diese Frage ist im Steuerabkommen geregelt. Das heißt, wir haben auch die Möglichkeit geschaffen, dass wir, wenn jemand nach diesem Stichtag zum Beispiel nichtversteuertes Vermögen aus der Schweiz abzieht, in Form von Auskunftsersuchen Nachrichten von der Schweiz erhalten. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die Frage war: bis zum Stichtag!) – In Bezug auf Stichtage gibt es immer schwierige Abgrenzungsgesichtspunkte. Verehrte Frau Kollegin, eines müssen Sie sehen: Würde dieses Abkommen nicht zum Tragen kommen, hätten wir überhaupt keine Möglichkeit, an nichtversteuertes Steuersubstrat aus Deutschland in der Schweiz heranzukommen. Deshalb haben wir ein Abkommen geschlossen, das einen Kompromiss zwischen unserer Rechtsauffassung und der Rechtsauffassung der Schweiz darstellt. Wir konnten von der Schweiz nicht verlangen, dass sie ihre Rechtsauffassung im Nachhinein ändert. Deshalb haben wir einen Weg geschaffen, der eine gleiche Besteuerung in der Zukunft -ermöglicht. Für die Vergangenheit haben wir einen Kompromiss geschaffen, der dafür Sorge tragen wird, dass hinreichend Steuersubstrat nach Deutschland zurückgeführt wird. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sehr großzügiger Kompromiss!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kressl. Nicolette Kressl (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben gerade beschrieben, dass die Verwaltungsanweisungen, die noch getroffen werden sollen, um zu verhindern, dass man über Stiftungen und Trusts das Steuerabkommen umgehen kann, -Ihnen – Sie sagten: wir – zur Verfügung gestellt werden. Ich möchte gerne wissen, wen Sie damit meinen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das Bundesfinanzministerium. Nicolette Kressl (SPD): Okay. – Wenn Sie mit „wir“ das Bundesfinanzministerium meinen, dann frage ich Sie: Werden diese Entwürfe auch dem Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellt? Oder erwartet die Bundesregierung, dass das deutsche Parlament ein Steuerabkommen beschließt, ohne dass es darüber Kenntnis hat, mit welchen Notnägeln die Steuerschlupflöcher geschlossen werden sollen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich bin sicher, Frau Kollegin, dass die Bundesregierung in der parlamentarischen Beratung, was die Ratifizierung des Steuerabkommens anbelangt, dem Parlament wie immer alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen wird, damit es Auskunft darüber erhält, wie wir uns das Management unterschiedlicher Sachverhalte mit der Schweiz auch in schwierigen Situationen vorstellen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Hunko. Andrej Hunko (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, ich empfinde es als widersinnig und ungerecht, wenn Steuerbetrüger, die noch nicht einmal freiwillig eine Meldung machen, nachher bessere Konditionen erhalten als jene, die wenigstens teilweise aus eigenem Antrieb im Rahmen einer strafbefreienden Selbstanzeige die Hinterziehung gestehen. Wenn man schon durch das Abkommen eine Abgeltungswirkung mit Strafamnestie ermöglicht, wäre es dann nicht das Mindeste gewesen, in den Verhandlungen dafür zu sorgen, dass die Belastungswirkung in etwa jener der strafbefreienden Selbstanzeige entspricht? Die Anonymität hätte dann immer noch gewährt werden können. Aus welchem Grund hat die Bundesregierung das versäumt? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, diese allgemeine pauschale Einschätzung, die Sie vornehmen, kann ich so nicht teilen. Es wird immer im Einzelfall, je nachdem wie lange sich das unversteuerte Vermögen in der Schweiz befunden hat, darauf ankommen, ob sich derjenige, der reinen Tisch machen möchte, mit einer strafbefreienden Selbst--anzeige besser stellt oder ob er die Regelungen des -Abkommens für sich in Anspruch nimmt. Wir haben – ich sage es noch einmal – einen Weg gefunden, für die Zukunft sicherzustellen, dass nach gleichen Grundsätzen wie in Deutschland besteuert wird. Bezogen auf die Vergangenheit haben wir einen Mittelweg gefunden, der dafür Sorge trägt, dass Steuersubstrat nach Deutschland zurückfließt, gerade auch durch die Zahlung in einer nicht unbedeutenden Höhe. Wir haben übrigens auch dafür gesorgt, dass an diesem Aufkommen Länder und Kommunen überproportional beteiligt werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Frage 9 des Abgeordneten Axel Troost sowie die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Richard Pitterle werden schriftlich beantwortet, sodass ich jetzt die Frage 12 der Kollegin Kressl aufrufe: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Kritik der Wirtschaftsverbände, dass sich wegen der umfangreichen und einheitlichen Gliederungsvorgaben der Elektronischen Bilanz der Bürokratieaufwand insbesondere für kleine Kapitalgesellschaften stark erhöht, weil sie gegenüber den bisher auszufüllenden 22 Pflichtfeldern des Handelsgesetzbuchs künftig 190 Pflichtfelder ausfüllen und an die Finanzverwaltung melden müssen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Kressl, die Ausgestaltung des Datensatzes im Sinne von § 5 b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes, die sogenannte Taxonomie, war und ist vom Grundsatz bestimmt, Eingriffe in das Buchungsverhalten der Unternehmen weitestgehend zu vermeiden. Die -Taxonomie umfasst Positionen für alle Rechtsformen – das heißt Einzelunternehmen, Personen- oder Kapitalgesellschaften – und alle möglichen Berichtsbestandteile, so zum Beispiel Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht. Von diesen Positionen muss der Steuerpflichtige grundsätzlich nur Mussfelder befüllen, und diese auch nur dann, wenn sie für seine Rechtsform und seinen Wirtschaftszweig einschlägig sind. Das haben wir auch in dem entsprechenden BMF-Schreiben zum Ausdruck gebracht. Zudem haben wir die Regelung eröffnet, dass ein Mussfeld auch dann ohne Wert übermittelt werden kann, wenn sich der betreffende Wert aus der Buchführung heraus nicht ableitet. Schließlich haben wir neben den Mussfeldern und den fakultativen Positionen auch noch Auffangpositionen implementiert. Hier hat es einige Missverständnisse darüber gegeben, ob diese Auffangpositionen zeitlich befristet sind. Wir haben jetzt, auch im Dialog mit den Verbänden, deutlich gemacht, dass diese Auffangpositionen unbefristet gelten sollen. Nicolette Kressl (SPD): Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Vielleicht ist schon beim Zuhören deutlich geworden, dass es sich nicht gerade um eine einfache Regelung handelt. Deshalb meine erste Nachfrage: Gerade kleine und mittlere Unternehmen kritisieren, dass der bürokratische Aufwand sie bei weitem überfordere. Haben Sie inzwischen Rückmeldungen, ob kleine und mittlere Unternehmen mit Ihrem neuerlichen Regelungsversuch besser zurechtkommen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Diesen Eindruck haben wir gewonnen. Ich selber habe gemeinsam mit dem Kollegen Burgbacher Gespräche mit Vertretern kleiner und mittlerer Unternehmen, aber auch mit Vertretern der steuerberatenden Berufe geführt. Ich will Ihnen deutlich machen, wie kleine und mittlere bilanzpflichtige Unternehmen von der Steuerverwaltung unterstützt werden: Zum einen werden in den Steuerverwaltungen der Länder E-Bilanz-Betreuer geschult, die anschließend für Fragen rund um die E-Bilanz zur Verfügung stehen werden. Zum anderen wird auf der BMF-Internetseite eine Informationsbroschüre mit Fragen und Antworten zur E-Bilanz eingestellt, die insbesondere kleinen und mittleren bilanzierenden Unternehmen den Einstieg in die E-Bilanz erleichtern soll. Außerdem wird auf der Webseite www.elster.de eine kleine Datenbank mit am Markt verfügbarer Steuersoftware mit Elster-Schnittstelle vorgehalten. Für besonders problematische Fälle sieht § 5 b Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes eine Härtefallregelung vor: Auf Antrag kann die Finanzbehörde zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine elektronische Übermittlung verzichten. Nicolette Kressl (SPD): Vielen Dank für Ihre zweite Antwort. Auch diese Antwort lässt immer noch nicht den Schluss zu, das Ganze sei für kleine und mittlere Unternehmen einfach zu bewältigen. Können Sie sich vorstellen, dass beispielsweise für kleine und mittlere Unternehmen bis zu einer bestimmten Größenordnung und Personalkapazität grundsätzliche Ausnahmeregelungen geschaffen werden können? Denn Härtefallregelungen werden ja nicht so gerne in Anspruch genommen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist teilweise vorgesehen. Dieser Sachverhalt wird derzeit noch diskutiert. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Zöllmer. Manfred Zöllmer (SPD): Herr Staatssekretär, die Bundesregierung ist ursprünglich mit dem Ziel angetreten, Bürokratie abzubauen; jedenfalls ist das im Koalitionsvertrag so festgehalten. Hier haben wir ein Beispiel für einen massiven Bürokratieaufbau. Dies ist nicht das erste Beispiel für eine entsprechende Gesetzgebung dieser Bundesregierung. Ich erinnere nur an die „Hotelierbeglückung“, die mit massivem Bürokratieaufbau verbunden war, und an andere Gesetze. Deswegen meine Frage: Ist das Ziel, Bürokratie abzubauen, jetzt von der Bundesregierung aufgegeben worden? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nein, Herr Kollege Zöllmer. Wir werden ganz sicher auch bei der Einführung der E-Bilanz dafür Sorge tragen, dass sich der bürokratische Aufwand für die betroffenen Unternehmen in einem vertretbaren Ausmaß hält. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Kressl auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Kritik von Vertretern der steuerberatenden Berufe, dass die Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 der Abgabenordnung im Massengeschäft der Umsatzbesteuerung „völlig realitätsfern“ (DWS Steuern Aktuell, Newsletter 2/2012) ist, und welche Lösungsansätze der Finanzverwaltung „sind auf dem Weg“ (Rede von Dr. Horst Vinken, Präsident der Bundessteuerberaterkammer, anlässlich des Deutschen Steuerberaterkongresses 2012 am 7. Mai 2012)? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Kressl, die Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz soll verhindern, dass die Selbstanzeige als Teil einer Steuerhinterziehungsstrategie missbraucht wird. Dabei bestand schon während des Gesetzgebungsverfahrens Einigkeit darüber, dass Bagatellabweichungen bei Steuererklärungen bzw. -anmeldungen unschädlich sind. Dies gilt insbesondere beim Massengeschäft der Umsatzbesteuerung. Zur Klarstellung wird derzeit mit den Ländern eine Verwaltungsanweisung abgestimmt, die eine bundesweit einheitliche Handhabung der Neuregelung der Selbst-anzeige bei den Massenverfahren der Umsatz- und Lohnsteuererhebung praxisgerecht gewährleisten soll. Nicolette Kressl (SPD): Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, die mögliche Problematik ist bereits während des Gesetzgebungsverfahrens in den Anhörungen sehr deutlich thematisiert worden. Deshalb meine Frage: An welchen Eckpunkten wird sich die Verwaltungsanweisung orientieren? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Sie wird sich natürlich am Gesetz orientieren, Frau Kollegin Kressl. (Lachen der Abg. Nicolette Kressl [SPD] – Manfred Zöllmer [SPD]: Ach!) Sie haben in Ihrer Frage auf die Rede von Dr. Horst -Vinken, dem Präsidenten der Bundessteuerberaterkammer, abgehoben. Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir mit den Länderfinanzbehörden durch eine Klarstellung in einer entsprechenden Verwaltungsanweisung – die, wenn sie abgestimmt und erlassen ist, selbstverständlich auch dem Finanzausschuss und dem Parlament zugeht – eine praxisgerechte Handhabung gewährleisten. Nicolette Kressl (SPD): Vielen Dank. – Ich bin sehr froh, dass Sie uns versichern, dass sich die Regelung am Gesetz orientieren wird. Mich interessiert: An welchen inhaltlichen Leitlinien wird sich die Verwaltungsanweisung orientieren? Denn die Problematik ist gar nicht so einfach zu lösen. Es geht mir nicht um die Regelung einzelner Details, aber es wäre schon sehr sinnvoll, zu wissen, welche Grundlinie Sie verfolgen, um die vorhandenen Schwierigkeiten zu lösen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, ich bitte Sie um Geduld, bis wir Ihnen die mit den Ländern ausverhandelte Verwaltungsanweisung zugänglich machen werden. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Bei der Bundesregierung muss man sehr viel Geduld haben!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Na ja. (Heiterkeit – Nicolette Kressl [SPD]: Die -haben wir ja auch!) Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Arndt-Brauer auf: Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Auffassung des Bundesrates, dass die im Rahmen des -Gesetzes zum Abbau der kalten Progression beabsichtigten Steuersenkungen der unbedingten Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung widersprechen und im Hinblick auf die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse unverantwortlich sind, an der Steuersenkung festzuhalten? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Arndt-Brauer, die Bundesregierung hat zu dem von Ihnen genannten Gesetz den Vermittlungsausschuss angerufen. Bei dem Gesetz geht es nicht, wie in Ihrer Frage insinuiert wird, um eine Steuersenkung, sondern es geht darum, ungerechtfertigte Steuererhöhungen aufgrund des progressiv wirkenden Steuertarifs zu vermeiden. Die Bundesregierung wird die Schuldenbremse durch eine solide Haushaltspolitik einhalten. Sie hält aber nicht gewollte, heimliche Steuererhöhungen für nicht gerechtfertigt. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Vielen Dank für die Antwort. Trotzdem wurde doch der ganze Vorgang als Steuersenkung initiiert und auch verkauft. Bei den Betroffenen kommt das auch so an. Vielleicht können Sie dazu etwas sagen? Auf alle Fälle kommt es zu einem Minus im Haushalt, und das ohne Not. Wir verlangen von ganz Europa, dass gespart wird, und selber machen wir genau das Gegenteil: Wir geben Menschen zusätzliches Geld – das könnte man schon als Steuersenkung bezeichnen – und schaffen damit im Haushalt Minusstellen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wir werden im Haushalt keine Minusstellen schaffen. Vielmehr werden es die wachstumsorientierte Politik und die Erfolge der Bundesregierung bei der Haushaltskonsolidierung möglich machen, auf ungewollte, heimliche Steuererhöhungen zu verzichten, den Menschen in unserem Land mehr Leistungsanreize zu geben und trotzdem den Konsolidierungspfad und die Vorgaben der nationalen Schuldenbremse einzuhalten. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Tatsache ist aber, dass Sie den Ansatz im Nachtragshaushalt verdoppeln müssen, weil das Geld anscheinend nicht da ist. Sie gehen also in eine Neuverschuldung hinein, um Ihr Vorhaben zu finanzieren. Ist das richtig? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wir sind fest davon überzeugt, dass es die laut jüngster Steuerschätzung zu erwartenden Steuermehreinnahmen möglich machen werden, auf ungewollte Steuereinnahmen zu verzichten und trotzdem die Vorgaben der nationalen Schuldenbremse auf Punkt und Komma einzuhalten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Höll. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund des eben von meiner Kollegin zur Frage der Verschuldung Dargelegten möchte ich Folgendes klarstellen: Ihr Gesetzentwurf enthält zwei Elemente, die Anhebung des steuerfreien Grundbetrags und die Verschiebung des Tarifs, um die sogenannte kalte Progression etwas auszugleichen. Stimmen Sie mit mir überein, dass diese Regelung bezogen auf die absoluten Zahlen eindeutig eine Begünstigung der sehr gut Verdienenden darstellt? Ich glaube nicht, dass man hier von einer Steuerentlastung sprechen kann. Diesbezüglich kann ich meiner Kollegin nicht ganz zustimmen. Ich glaube nicht, dass diejenigen, die ein Einkommen von etwa 2 000 Euro im Monat haben, die Tatsache, dass sie lediglich etwa 5 Euro weniger Steuern pro Monat zu zahlen haben, als Steuerentlastung wahrnehmen. Fakt ist: Sie entlasten im oberen Ein-kommensbereich – das machen die absoluten Zahlen deutlich – und nehmen dafür eine weitere Belastung des Bundeshaushalts in Kauf. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Diese Wirkung sehen wir nicht. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die ist gar nicht da!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Scheelen. Bernd Scheelen (SPD): Herr Staatssekretär, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie Mindereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden in Höhe von 6 Milliarden Euro nicht als Steuersenkung empfinden, sondern als Nichtrealisierung ungewollter Steuermehreinnahmen. Meine Frage an Sie lautet: Von diesem Steueränderungsgesetz ist nicht nur der Bund betroffen, sondern auch Länder und Gemeinden. Sehen Länder und Gemeinden das genauso wie Sie? Sind auch sie der Meinung, dass es sich nicht um eine Steuersenkung handelt, sondern um die Vermeidung ungewollter Steuermehreinnahmen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Davon wollen wir die Länder in dem von uns angerufenen Vermittlungsausschuss überzeugen. Wir bieten an – das ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen –, diejenigen Mindereinnahmen der Länder und Gemeinden zu kompensieren, die sich aus der von der Kollegin Höll gerade genannten prozentualen Verschiebung ergeben, die anstelle einer Verschiebung des Festbetrages, also der Tarifeckwerte, vorgenommen werden soll. Wir setzen auf die Dialogbereitschaft der Länder. Wir wollen – das möchte ich noch einmal deutlich machen – gerade mit Blick auf die gute konjunkturelle Entwicklung und auf die sich daraus ergebenden Steuermehreinnahmen auf ungewollte, leistungshemmende Steuermehreinnahmen verzichten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Arndt-Brauer auf: Will die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Steuerausfälle der Länder und Gemeinden in Höhe von jährlich circa 2,3 Milliarden Euro vollständig kompensieren und, wenn ja, wie? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nein, die Bundesregierung will keine vollständige Kompensation seitens des Bundes für Steuerausfälle der Länder und Gemeinden. Ich habe gerade gesagt, dass im vorliegenden Gesetzentwurf steht, dass wir zu einer Teilkompensation bereit sind. Wir sehen aber keine Notwendigkeit für eine Kompensation der Mindereinnahmen, die sich aus der verfassungsrechtlich gebotenen Erhöhung des Existenzminimums ergeben. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Da wir uns im Vermittlungsverfahren befinden, ist davon auszugehen, dass die Länder auf Ihren Vorschlag nicht freudig eingegangen sind, dass Länder und Kommunen das anders sehen als Sie. Ich denke, sie sehen das so: Wenn man das nicht gemacht hätte, hätte es keine Ausfälle in Höhe von 2,3 Milliarden Euro gegeben. Von daher sehen Länder und Kommunen wahrscheinlich die Notwendigkeit einer Komplettkompensation. Mit welchen guten oder schlechten Argumenten wollen Sie die Länder und die Kommunen von Ihrer Sicht überzeugen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das wird das Vermittlungsverfahren zeigen. Ich glaube, wir haben gute Argumente. Wir bieten eine Teilkompensation. Es ist doch so, verehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, dass die durch die kalte Progression bedingten Steuermehreinnahmen den Haushalten von Ländern und Kommunen zufließen. Wenn man mehr Steuergerechtigkeit herstellen will, muss man bereit sein, auf allen staatlichen Ebenen auf ungewollte Steuermehreinnahmen zu verzichten. Dann müssen auch Länder und Kommunen zu einer Teilkompensation bereit sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Sie, wenn die konjunkturelle Entwicklung wieder schlechter wird, wieder voll in die kalte Progression einsteigen und Länder und Kommunen auf diesem Weg mitnehmen würden? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wir haben im Gesetzentwurf vorgesehen, dass regelmäßig ein Bericht vorgelegt wird, in dem aufgezeigt wird, wie sich das Problem der kalten Progression entwickelt. Dann wird immer für den Einzelfall und für einen gewissen Zeitraum zu prüfen sein, wie wir mit den Ergebnissen dieses Berichts umgehen. Ein Automatismus ist jedenfalls nicht vorgesehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Scheelen. Bernd Scheelen (SPD): Herr Staatssekretär, halten Sie es für verantwortbar, Kommunen, die auf einem Schuldenberg von etwa 170 Milliarden Euro sitzen und Kassenkredite, also Überziehungskredite – diese kennt man aus dem Privatleben –, von 45 Milliarden Euro vor sich herschieben, durch dieses Steuersenkungsgesetz – ich bleibe bei dieser Bezeichnung; es hat nichts mit ungewollten Mehreinnahmen zu tun, sondern ist eine Steuersenkung – zuzumuten, auf eine weitere Milliarde Euro zu verzichten? Damit nehmen Sie in Kauf, dass in den Städten zum Beispiel weitere Schwimmbäder und Büchereien geschlossen werden, dass es zu einer ganzen Palette an Einschränkungen in den Kommunen kommt. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist absurd! Wegen dieser Steuersenkungen werden keine Schwimmbäder geschlossen!) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Scheelen, die Bundesregierung ist sich der Verantwortung des Bundes, obwohl es ja eine direkte Rechtsbeziehung zwischen dem Bund und den Kommunen nicht gibt, sondern die Länder für die Kommunen verantwortlich sind, sehr bewusst. Deshalb haben wir, Herr Kollege Scheelen, einen Zustand, der die Kommunen wirklich fast erdrückt hat, beseitigt. Man hatte sie mit den Kosten der Grundsicherung im Alter – diese sind auf die Kommunen entfallen – allein gelassen. Dies hatte Rot-Grün den Kommunen aufgebürdet. Wir haben das geändert. Bis zum Jahr 2014 wird der Bund diese Kosten vollständig übernehmen. Wir meinen, dass wir dadurch unserer Verantwortung für die Finanzsituation der Kommunen in hervorragender Weise gerecht geworden sind. Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Binding werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 18 des Kollegen Hunko auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den griechischen Anspruch auf Rückzahlung der von den deutschen und italienischen Besatzungsmächten aufgezwungenen Kredite, die im Unterschied zu Reparationsansprüchen und anderen Kompensationen nicht unter das Londoner Schuldenabkommen von 1953 fallen, und warum wird die Bundesregierung nicht aktiv, um, wie gegenüber Jugoslawien und Polen 1956 bzw. 1971, seine unter der Besatzung aufgezwungenen Kredite an Griechenland zurückzuzahlen, die mittlerweile auf mehrere Dutzend Milliarden angewachsen sind? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hunko, ich beantworte Ihre Frage zurückgreifend auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken zu Entschädigungs-, Schadensersatz- und Reparationsforderungen wegen NSUnrechts in Griechenland, Italien und anderen ehemals von Deutschland besetzten Staaten. Ich darf auf diese Beantwortung verweisen, um die mir zur Verfügung stehende Zeit jetzt nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich darf Ihnen aber auch mitteilen, Herr Kollege Hunko: Der Bundesregierung sind keine Bestrebungen der griechischen Regierung bekannt, derartige Forderungen geltend zu machen. Es hat in dieser Sache keine Gespräche mit der griechischen Regierung gegeben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zusatzfragen? Andrej Hunko (DIE LINKE): Wir waren ja als Delegation des Parlaments in Griechenland. Ich darf Ihnen sagen: Offiziell sind wir in der Tat nicht darauf angesprochen worden, aber inoffiziell sehr wohl. Es gibt wohl auch – wie soll ich sagen? – Druck auf griechische Abgeordnete, das Thema in offiziellen Gesprächen nicht anzusprechen. Das Thema ist aber bei allen Abgeordneten der unterschiedlichen Fraktionen und insbesondere auch in der griechischen Bevölkerung präsent. Ist Ihnen bekannt, dass, obwohl in Griechenland ganz offen darüber diskutiert wird – das kommt auch in den deutschen Medien an –, in irgendeiner Form Druck ausgeübt wird? Um es noch einmal klarzumachen: Ich spreche jetzt konkret von den Zwangsanleihen, die 1942 aufgelegt wurden, und nicht von Kriegsverbrechen und anderem. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, natürlich gibt es über diese und andere Fragen in Griechenland eine intensive Diskussion. Ich bitte um Verständnis dafür, dass die Bundesregierung zu Diskussionen über Sachverhalte, die unser bilaterales Verhältnis berühren, nicht Stellung nimmt. Aber Forderungen, wie Sie sie in Ihrer Frage artikuliert haben, sind von der griechischen Seite uns gegenüber nicht gestellt worden. Andrej Hunko (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat ja in der Vergangenheit, vor allen Dingen in den 60er-Jahren, oft gesagt, dass auf die Forderungen verzichtet worden wäre. Der griechische Premierminister Karamanlis hat dies dementiert. Am 31. März 1967 wurde dann eingeräumt, dass es einen solchen Verzicht nie gegeben hat. Ist Ihnen bekannt, dass jemals von griechischer Seite auf die Forderung nach Rückzahlung verzichtet wurde? Wie beurteilen Sie den Status dieses ungeklärten Problems im Augenblick? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich kann nur nochmals sagen – das ist ja der Ausgangspunkt Ihrer Frage –, dass im Hinblick auf Repara-tionsansprüche, welcher Art auch immer, oder hinsichtlich der Frage, die Sie angesprochen haben, nämlich der während der Besatzung aufgezwungenen Kredite, von griechischer Seite keine entsprechenden Forderungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht worden sind und dass es in dieser Sache keine Gespräche zwischen der griechischen Regierung und deutschen Regierungsstellen gegeben hat. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Hunko auf: Inwiefern ist eine „ungeordnete Staatspleite“, die vom Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel -Barroso, als einzige Alternative zum Kürzungs- und sogenannten Reformkurs beschrieben wurde, im Rahmen der EU-Verträge nicht erlaubt, und inwiefern könnte eine „ungeordnete Staatspleite“ zu einem unfreiwilligen Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone und somit auch aus der EU führen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Hunko, die Bundesregierung setzt sich für einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone ein. Dafür braucht Griechenland eine Regierung mit europäischer Grundausrichtung, die bereit ist, die Auflagen des vereinbarten Anpassungsprogramms umzusetzen. Wir sind unverändert bereit, Griechenland strukturell und organisatorisch zu helfen und den vom Internationalen Währungsfonds, von Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank mit Griechenland vereinbarten Weg fortzusetzen. Vor diesem Hintergrund wollen wir uns vonseiten der Bundesregierung an Spekulationen über einen wie auch immer gearteten Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone nicht beteiligen. Andrej Hunko (DIE LINKE): Sie haben gerade gesagt, Sie setzen darauf, dass die Memoranda in Griechenland umgesetzt werden. Sie wollen also, dass die Politik, die das Land nach unserer Auffassung und nach Auffassung vieler Griechinnen und Griechen in den letzten zwei Jahren in eine Katastrophe geführt hat, fortgesetzt wird; ich weiß, dass Sie das anders beurteilen, aber wir und viele Griechinnen und Griechen sehen es so. Wenn es nicht so kommen sollte, wie Sie wollen, wenn die griechische Bevölkerung also sagt: „Nein, wir wollen diesen Weg nicht weitergehen“, welche Möglichkeit sehen Sie dann, um Griechenland, wie oft angedeutet wird, letztlich aus der Euro-Zone und damit auch aus der EU auszuschließen? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wir wollen uns an der Diskussion über die Frage, welche Möglichkeiten wir sehen, um Griechenland aus der Euro-Zone auszuschließen – ich musste Ihre Frage wiederholen –, nicht beteiligen. Wir wollen das nämlich nicht. Wir sind für einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone. Wir glauben übrigens – gleich nenne ich Ihnen einen prominenten griechischen Zeitzeugen –, dass der mit der bis zu den griechischen Wahlen im Amt befindlichen Regierung ausverhandelte Weg der wirtschaftlichen und finanziellen Gesundung Griechenlands nicht die Ursache der gegenwärtigen auch für die Menschen bedrückenden Situation in Griechenland ist. Herr Kollege Hunko, ich habe seinerzeit, als zwischen der Regierung von Ministerpräsident Papandreou und den europäischen und IWF-Institutionen über diesen Weg verhandelt worden ist, die Rede des damaligen Ministerpräsidenten Papandreou in Übersetzung nachgelesen. Er hat gesagt, dass es vor allem die Versäumnisse wechselnder Regierungen in Griechenland waren, die Griechenland in diese katastrophale Überschuldungs-situation und weg von jedem Wachstumspfad geführt haben und dass der jetzt eingeschlagene und ausverhandelte Weg alternativlos ist. Natürlich ist es die Aufgabe der politischen Führung bzw. der verschiedenen Parteien in Griechenland, bei den jetzt anstehenden Wahlen die griechische Bevölkerung davon zu überzeugen. Ich muss Ihnen sagen: Es gibt in Europa Länder, die als sogenannte Programmländer ebenfalls europäische Solidarität erfahren. Ich darf nur auf Portugal und Irland hinweisen. Auch in diesen Ländern haben die Menschen Belastungen zu tragen, die durch die Anpassungsprogramme, die zur finanziellen Konsolidierung, aber auch zur Freisetzung von Wachstumskräften beitragen sollen, verursacht wurden. Ich glaube, den Menschen in Griechenland ist nichts anderes auferlegt worden als das, was auch den Menschen in Portugal und Irland zugemutet werden muss, um nach dem Fehlverhalten verschiedener Regierungen, an denen unterschiedliche Parteien beteiligt waren, für finanzielle Konsolidierung zu sorgen und die Länder wieder auf einen Wachstumspfad zu führen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage. Bitte. Andrej Hunko (DIE LINKE): Wir werden uns hier in der Bewertung der Programme natürlich nicht einig. Da können wir hin- und herdiskutieren. Wir haben bereits vor zwei Jahren, als das erste Griechenland-Paket beschlossen wurde, hier davor gewarnt, dass ein massives Kürzungsprogramm in der Krise diese Krise vertiefen wird und es dann auch zu einer gesellschaftlichen und einer politischen Krise kommen wird. Nun meine Frage: Sie sagen, das sei alternativlos. Es ist aber denkbar, dass die griechische Bevölkerung eine Alternative sieht. Habe ich Sie richtig verstanden, dass es trotzdem keinen Weg zum Ausschluss aus der Euro-Zone gibt? Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nach der Rechtslage kann man kein Land, das Mitglied der Euro-Zone ist, gegen seinen Willen aus der Euro-Zone ausschließen. Und wir setzen darauf – um es noch einmal zu wiederholen, Herr Kollege –, dass die griechischen Parteien, vor allem diejenigen, die in früherer Regierungsverantwortung diese Vereinbarungen mit IWF, EZB und Europäischer Kommission getroffen haben, jetzt bei der Bevölkerung um eine entsprechende Mehrheit für die Fortsetzung dieses Kurses werben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Enkelmann. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Wir wollen natürlich keinen Ausschluss Griechenlands, sondern wirklich Hilfe und Unterstützung. Könnte eine Form der Unterstützung für Griechenland nicht auch sein, dass man sich, statt massive Sozialkürzungen, Rentenkürzungen etc. von Griechenland zu fordern, zum Beispiel für ein sozial gerechtes Steuersystem einsetzt, unter anderem für die Einführung der Vermögensteuer? Da könnte man sich gegenseitig helfen. Die Vermögensteuer bräuchten wir zum Beispiel hier in Deutschland auch. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was ist denn das für eine Frage? Das geht uns doch gar nichts an!) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Verehrte Frau Kollegin Enkelmann, natürlich setzen wir uns dafür ein, dass es auch in Griechenland zu einer leistungsgerechten, ordentlichen Besteuerung kommt. Ich darf darauf hinweisen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland – sowohl der Bund als auch die Länder – an einem Programm von IWF und Europäischer Kommission beteiligt, in dessen Rahmen zum Beispiel Steuerfachleute aus dem Bund und aus den Ländern nach Griechenland entsandt werden. Ich habe selber – das habe ich im Finanzausschuss schon einmal berichtet, glaube ich – einen Abiturkollegen in der bayerischen Steuerverwaltung, der jetzt gerade einen Griechisch-Schnellkurs absolviert hat, um als ein solcher Berater nach Griechenland zu gehen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber die Gesetze müssen geändert werden! – Gegenruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist doch Sache der Griechen!) – Frau Kollegin Enkelmann, das ist wirklich Sache des griechischen Parlaments. Sie wollen doch nicht von Deutschland aus dem griechischen Parlament vorgeben, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach, in dem Fall nicht?) welche Gesetze es im Hinblick auf eine effizientere Steuerverwaltung und möglicherweise auch eine gerechtere Besteuerung zu erlassen hat. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber Sozialkürzungen und Rentenkürzungen werden vorgeschrieben!) Da können wir nur mit Rat und Tat zur Seite stehen, indem wir Experten schicken, aber doch nicht von hier aus Vorgaben machen. Im Übrigen erkennt man auch etwas an der Art und Weise, in der man in Deutschland mit dem Gast aus Griechenland umgeht, der sich zurzeit hier aufhält und der eine dieser Parteien vertritt, die jetzt einen nicht unerheblichen Wahlerfolg erzielt haben. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Guter Mann!) Sie als Linke haben den Vertreter dieser griechischen Partei aufgefordert, kräftig weiter Stimmung zu machen. Ich bin sehr dankbar, dass der SPD-Vorsitzende Gabriel ihn im Gegensatz zu Ihnen gemahnt hat, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund glaube ich schon, dass wir weit über Union und FDP hinaus bis hin zu SPD und Grünen gemeinsam der Auffassung sind, dass jeder – egal wer –, der in Griechenland regiert, die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen muss. Frau Kollegin Enkelmann, es ist im Übrigen nicht so, dass die Vereinbarungen zwischen dem IWF, der Europäischen Kommission und der EZB mit Griechenland „nur“ – in Anführungszeichen – harte Sparauflagen vorsehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Er ist in seinem Element!) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Vielmehr wird auch überlegt, Wachstumsimpulse zu setzen. Alle Programme enthalten Wachstumsimpulse. Diesen Weg wollen wir weiter fortsetzen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber Verpflichtung könnte auch gerechtes Steuersystem sein!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun wollen wir einmal gemeinsam zur Kenntnis nehmen, dass die Regierung sich besonders viel Mühe gibt, die Fragen der Kollegin Enkelmann zu beantworten, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das muss man zugeben! – Nicolette Kressl [SPD]: Wenn im Zeugnis steht, jemand habe sich immer Mühe gegeben, ist das ganz schlecht!) und der Präsident dem auch fast unbeschränkte Zeit eingeräumt hat. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. – Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf. Der Parlamen-tarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe steht zur -Beantwortung zur Verfügung. Da die Frage 20 der Abgeordneten Katrin Kunert, die Fragen 21 und 22 der Ab-geordneten Sabine Zimmermann sowie die Fragen 23 und 24 der Abgeordneten Anette Kramme schriftlich beantwortet werden, wird er trotz sicher perfekter Vorbereitung keine Gelegenheit haben, das hier vorzutragen. Wir kommen damit gleich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich bitte den Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Müller, die Fragen zu beantworten. Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Friedrich Ostendorff auf: Wie beurteilt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, den im Verhandlungsprozess um die zukünftige Gemeinsame Agrarpolitik eingebrachten Vorschlag von 15 Staaten – unter anderem Deutschland –, der vorsieht, dass jeder Mitgliedstaat drei Optionen – A, B, C – zur Ausgestaltung der Agrarzahlungen wählen kann, und wie bewertet das BMU jede einzelne dieser drei Optionen gerade auch angesichts der forsa-Umfrage (Mai 2012), nach der zwei Drittel der Bundesbürger die Agrarzahlungen der Europäischen Union an höhere Umwelt- und Tierschutzstandards binden wollen? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerne beantworte ich die Frage von Herrn Ostendorff. Herr Ostendorff, die Bundesregierung unterstützt natürlich mit Nachdruck das Ziel der Europäischen Kommission, bei der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik eine noch stärkere ökologische Ausrichtung zu erreichen – und dies möglichst europaweit mit nachvollziehbaren Standards. Diese Standards müssen nicht nur bei uns, sondern in allen 27 EU-Staaten gelten. Dass schon die derzeitige Agrarpolitik hohen Umweltstandards genügt und sie auch voraussetzt, zeigt die aktuelle Situation. Ich darf darauf hinweisen, dass die GAP in ihrer Gesamtheit bereits heute einen erheblichen Beitrag zur ressourcenschonenden und nachhaltigen Produktion – um das einmal auf Deutsch zu sagen: Das nennt man Greening – leistet: Die Landwirte müssen schon heute für den Erhalt der Direktzahlungen umfangreiche Auflagen des Umwelt- und Tierschutzes sowie der Lebensmittelsicherheit erfüllen, insbesondere in Deutschland gelten hohe und strenge Erosionsschutzauflagen, Grünlandstandorte werden differenziert gefördert, Landschaftselemente, zum Beispiel Hecken, dürfen nicht beseitigt werden usw. Rund 40 Prozent der Betriebe in Deutschland bringen schon heute etwa 25 Prozent der landwirtschaftlichen Gesamtflächen in Agrar-umweltmaßnahmen ein. Ich erwähne dies, damit auch den Zuhörerinnen und Zuhörern klar wird: Die Landwirtschaft ist schon heute der Nachhaltigkeit in der Produktion in höchstem Maße verpflichtet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Zusatzfrage, bitte schön. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, gestatten Sie, dass ich erst einmal -erstaunt darüber bin, dass meine Frage, die ich an das Bundesumweltministerium gerichtet habe, vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beantwortet wird. Nehmen wir es aber so hin. Anscheinend ist das Bundesumweltministerium nicht in der Lage, seine Vorstellungen zur GAP-Reform hier dem Parlament kundzutun. Das werden wir dann aber woanders noch einmal bewerten. Das führt aber natürlich zu der Frage – Herr Staats-sekretär Müller, Sie sind jetzt ja auch der Sprecher des Bundesumweltministeriums in dieser Frage –: Wie wollen Sie – so weit verstehen wir den Ablauf im Kabinett bisher – das Bundesumweltministerium in den GAP-Prozess einbinden? Was, denken Sie, wird das Bundesumweltministerium zum GAP-Prozess beitragen? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Herr Ostendorff! Meine Damen und Herren! Natürlich antworte ich für die Bundesregierung – und dies im Einvernehmen mit dem Bundesumweltministerium. Hier gibt es einen engen Schulterschluss und enge Abstimmungen. Das ist doch selbstverständlich. Wir haben in der Frage, wie wir die jetzt von der Kommission gemachten Vorschläge bewerten und wie wir in diesem Punkt gegenüber Brüssel auftreten und verhandeln, natürlich eine gemeinsame Linie. Dass es in beiden Häusern ausgewiesene Fachleute gibt und dass es da auch einmal zu differenzierten Diskussionen kommt, wissen Sie als praktizierender Landwirt sehr genau. Jeder Landwirt hat seine eigene Sicht der Dinge. Die Kommission hat deshalb auch verschiedene Modelle vorgeschlagen. Sie haben auch nach den Optionsmodellen und danach gefragt, wie dieser Greening-Prozess umzusetzen ist. Die drei Modelle werden jetzt in den Arbeitsgruppen auf Brüsseler Ebene diskutiert. Die Präsidentschaft wird im Juni einen Fortschrittsbericht dazu vorlegen. Der nächste Schritt wird dann der der Meinungsbildung in dieser Frage sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entschuldigung, aber heute muss ich die Fragestunde leider etwas dehnen; sonst rügen Sie mich sofort, Herr Präsident. So weit wir das im Parlament bisher mitgeteilt bekommen haben, hat nicht die Kommission drei Modelle vorgelegt, sondern 15 Staaten unter Führung Deutschlands haben diese drei Optionen vorgelegt. Ich glaube, es ist wichtig, das festzuhalten. Angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel der Bundesbürger bei Umfragen sagen, zukünftig seien Zahlungen in Europa an die Landwirtschaft, für die der europäische Steuerzahler aufkommt, nur noch verantwortbar, wenn sie an strenge Standards beim Umwelt- und Tierschutz gekoppelt sind, lautet meine Frage an das -Bundesumweltministerium: Wie will das Bundesumweltministerium aus seiner Sicht diese Anforderung der Gesellschaft im Greening-Prozess umsetzen? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Herr Ostendorff, Sie haben natürlich recht: Der Kommissionsvorschlag wurde durch den Vorschlag der 15 Staaten ein Stück weit erweitert. Darüber diskutiert man im Ministerrat mit der Kommission und in den Ländern. Dies ist sehr wichtig. Das Ergebnis der Umfrage ist nicht erstaunlich. Die Bürgerinnen und Bürger im Land erwarten, dass die Landwirte dann, wenn sie für die Bewirtschaftung ihrer Flächen Direktzahlungen erhalten, deren Mittel aus den Steuertöpfen stammen, bei der nachhaltigen Bewirtschaftung, beim Umweltschutz, aber auch beim Tierschutz hohe Standards einzuhalten haben. Ich habe darauf hingewiesen, dass bereits heute der Grundsatz der Nachhaltigkeit in Deutschland komplett umgesetzt ist und wir diese hohen Standards einfordern. Dies ist nicht in allen 27 EU-Staaten in derselben Weise der Fall, auch nicht in derselben Weise zu kontrollieren. Wir befinden uns jetzt an einem Punkt der Neukonzeption, einer neuen Förderperiode für die euro-päische Agrarpolitik ab 2014. Wir diskutieren in den 27 EU-Staaten, mit der Kommission und mit den Landwirten in ganz Europa: Wo macht es Sinn, weitere Kri-terien in der Frage des ökologischen und nachhaltigen Anbaus und der Landbewirtschaftung sowie des Tierschutzes einzufordern? Wie sollen wir die neuen Regeln für Zahlungen noch einmal an neue Auflagen koppeln? Dazu gibt es jetzt drei weitere Modelle, mit denen verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen werden. Dass das ein komplizierter Prozess ist, der die nächsten Monate weiterhin zur Diskussion Anlass gibt, ist selbstverständlich. Aber wir sehen das mit großer Gelassenheit. Ich glaube, wir werden nächstes Jahr zum Ziel kommen, um dann den Landwirten ab 2014 Verlässlichkeit in der europäischen Agrarpolitik zu bieten. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich sehe, dass die Fragen 26 und 27 der Kollegin Cornelia Behm sowie die Fragen 28 und 29 des Kollegen Harald Ebner schriftlich beantwortet werden. Der nächste Geschäftsbereich ist der des Bundesministeriums der Verteidigung. Auch hier entnehme ich den Unterlagen, dass die Fragen 30 und 31 der Kollegin Katja Keul und die Frage 32 des Kollegen Hans-Josef Fell schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier werden die Fragen 33 und 34 des Kollegen Steffen-Claudio Lemme, die Fragen 35 und 36 der Kollegin Katja Dörner sowie die Frage 37 des Kollegen Dr. Ilja Seifert schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 38 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-sekretär Jan Mücke zur Verfügung und freut sich, dass er schon dran ist. Die Fragen 39 und 40 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 41 unserer Kollegin Frau Dr. Dagmar Enkelmann auf: Mit welchen Mehrkosten im Zusammenhang mit der verspäteten Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg rechnet die Bundesregierung, und wer trägt diese Mehrkosten? Bitte schön, Herr Staatssekretär Mücke. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Dem Gesellschafter Bund liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine belastbare Mehrkostenschätzung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, FBB, als Vorhabenträgerin vor. Anfallende Mehrkosten wären von der FBB zu tragen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Enkelmann. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Diese Frage stelle ich hier nicht das erste Mal. Ich habe sie hier schon gestellt, und zwar kurz nach Bekanntwerden der Verschiebung der Eröffnung. So langsam müsste deutlich werden, welche Mehrkosten tatsächlich entstehen werden. Mehrkosten trägt die FBB, das heißt in der Konsequenz: Der Steuerzahler zahlt die Mehrkosten. Das sollte man so deutlich sagen. Die Frage ist, welchen Anteil dann der Bund übernimmt. Inzwischen ist aber bekannt geworden, dass die Gesamtkosten für das Flughafenprojekt ebenfalls deutlich steigen werden. Man geht jetzt davon aus, dass es nicht nur 2,5 Milliarden Euro, sondern mehr als 3 Milliarden Euro sind. Wer trägt diese Mehrkosten? Das ist die erste Frage. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin, die Zahlen, die Sie in den Raum stellen, sind pure Spekulation. Ich kann nur wiederholen, dass der Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine belastbaren Angaben als Gesellschafter seitens der FBB zur Verfügung gestellt worden sind. Es wird am 22. Juni eine Aufsichtsratssitzung stattfinden. Die Geschäftsführung der FBB wird zu diesem Zeitpunkt ein Konzept vorlegen, wie sich diese Mehrkosten gestalten und wie diese finanziert werden können. Ich kann ausdrücklich nicht bestätigen, dass der von Ihnen genannte Finanzrahmen überschritten oder gar 3 Milliarden Euro oder sonst was erreichen wird. Das sind zurzeit reine Spekulationen. Ich bitte Sie, sich zumindest bis zu der Aufsichtsratssitzung, bis die Geschäftsführung ein solches Konzept vorgelegt hat, zu gedulden. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Enkelmann, jetzt schauen wir mal, ob Sie sich gedulden. Bitte schön, Sie haben Ihre zweite Nachfrage. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Eigentlich nicht. Ich finde, wir sollten uns alle nicht gedulden. Das ist ein Skandal, der dort stattfindet. Es klingt ein bisschen wie „Niemand hat die Absicht …“, aber jeder weiß: Es wird Mehrkosten bedeuten. Das nur so weit, aber ich werde Sie nach dem 22. Juni erneut fragen. Es geht aber nicht nur um die Frage der Mehrkosten, sondern um das gesamte Projekt mitsamt seinen Pannen, die wir in den letzten Jahren verfolgen konnten. Gibt es schon Schlussfolgerungen, die die Bundesregierung gezogen hat, beispielsweise was die Frage betrifft, den Aufsichtsrat möglicherweise künftig nicht mit Staatssekretären, sondern zum Beispiel mit fachkompetenten Vertretern zu besetzen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat ihre Schlussfolgerungen schon gezogen. Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer hat eine Sonderkommission eingesetzt, die sicherstellen soll, dass der neue Flughafen Berlin Brandenburg am 17. März nächsten Jahres, wie jetzt im Aufsichtsrat beschlossen, den Betrieb aufnehmen kann. Dabei ist eine Vielzahl von wichtigen Aufgaben zu beachten. Es geht um Fragen der Flugsicherung, des Deutschen Wetterdienstes und um die Flughafenkoordinierung. Es ist ein außerordentlich kompliziertes Verfahren, eine solche Verschiebung zu bewältigen. Ich bin ganz bei Ihnen: Es ist ein außerordentlich misslicher Vorgang, über den die Bundesregierung außerordentlich betrübt ist. Darin sind wir, glaube ich, einer Meinung. Das ist kein Ruhmesblatt gewesen. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, dass die -beiden beamteten Staatssekretäre, die für den Bund im Aufsichtsrat die Vertretung übernommen haben, ihrer Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglieder pflichtgemäß nachgekommen sind. Wir haben keinen Anlass, darüber nachzudenken, eine personelle Veränderung vorzunehmen. Im Übrigen verweise ich darauf, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine klare Verantwortlichkeit zugewiesen werden kann, über die Tatsache hinaus, dass die Geschäftsführung des FBB heute entschieden hat, dem Generalplaner fristlos zu kündigen. Das ist eine Entscheidung von heute. Der PG BBI ist heute fristlos gekündigt worden. Das soll Ihnen vielleicht auch einen Hinweis darauf geben, wo möglicherweise die Verantwortlichkeit für dieses verzögerte Verfahren liegt. Vizepräsident Eduard Oswald: Es gibt noch eine weitere Nachfrage unserer Kollegin Frau Lisa Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass heute der PG BBI fristlos gekündigt worden ist. Inwieweit können Sie sicherstellen, dass der neue Termin gehalten werden kann, wenn Sie offensichtlich ab dem heutigen Tage kein Planungsbüro mehr haben, das den Flughafen planerisch begleitet? Sie haben auch die Verantwortlichkeiten angesprochen. Inwieweit sehen Sie auch Möglichkeiten der Regressforderungen gegenüber Dritten, zum Beispiel der PG BBI? Sehen Sie noch weitere Möglichkeiten der Regressforderungen, und haben Sie den Eindruck, dass das Management diesen Möglichkeiten derzeit in adäquater Art und Weise nachgeht? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Kollegin, die Regressmöglichkeiten werden selbstverständlich geprüft werden, und zwar nicht nur durch die Gesellschaft selber, sondern natürlich auch durch die Bundesregierung als Gesellschafter. Es ist ganz wichtig, der Frage nachzugehen, wer wofür Verantwortung trägt. Sie selbst haben die fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses zu PG BBI angesprochen. Das zeigt, in welche Richtung man möglicherweise nachdenken könnte. Es wird auf jeden Fall eine Überprüfung geben. Wenn sich hier Rechtsansprüche ergeben, werden diese durchgesetzt werden; das ist ganz klar. Die Flughafengesellschaft wird – das hat der Geschäftsführer heute im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung berichtet – ein eigenes Controllingverfahren aufbauen und mit über 100 Mitarbeitern dafür Sorge tragen, dass die Tätigkeit als Generalplaner durch die Gesellschaft selbst wahrgenommen wird und wir zum 17. März nächsten Jahres den Flughafen eröffnen können. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich rufe die Frage 42 unseres Kollegen Stephan Kühn auf: Welche Unterlagen wurden dem Vertreter des Bundes seit Juni 2011 in den Aufsichtsratssitzungen der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg vorgelegt – bitte einzeln auf-listen –, in denen auf mögliche Verzögerungen und technische Probleme bei der Fertigstellung des neuen Hauptstadtflughafens hingewiesen wurde? Herr Staatssekretär, bitte. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Geschäftsführung berichtete in den Sitzungen des Aufsichtsrates regelmäßig zum Projektfortschritt. Alle damit verbundenen Informationen flossen in den jeweiligen Controllingbericht ein, der in einer aktualisierten Fassung zu jeder Aufsichtsratssitzung präsentiert wurde. Von Juni 2011 bis April 2012 sind im Aufsichtsrat insgesamt vier Controllingberichte vorgelegt worden. Über den schriftlichen Bericht hinaus berichtete die Geschäftsführung in den Sitzungen des Aufsichtsrates mündlich zum aktuellen Sachstand. In diesem Zusammenhang erfolgten sachkritische Hinweise zum Brandschutz in der Sitzung des Aufsichtsrates am 20. April 2012. Diese Hinweise zeigten ausdrücklich keine Auswirkungen auf die vorgesehene Inbetriebnahme des BER am 3. Juni 2012 dergestalt an, dass zwingend eine Verschiebung vorgenommen werden müsste. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Stephan Kühn, Ihre erste Nachfrage. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Staatssekretär Mücke. – Sie waren bei den heutigen Beratungen des Verkehrsausschusses zugegen. Da haben wir seitens der Flughafengesellschaft und Professor Schwarz erfahren dürfen, dass bereits seit Dezember letzten Jahres, noch vor Weihnachten, bekannt ist, dass die vollautomatische Entrauchungsanlage nicht zum 3. Juni in Betrieb gehen kann. Deshalb hat man versucht, mit entsprechender behördlicher Genehmigung eine teilautomatische Lösung zu implementieren. Aber es war offen, ob eine solche überhaupt genehmigungsfähig ist. Mich interessiert, ob der Bundesregierung tatsächlich erst in der Aufsichtsratssitzung am 20. April dieses Jahres die Information zuteil wurde, dass die vollautomatische Entrauchungsanlage nicht rechtzeitig in Betrieb gehen kann. Oder wussten Sie bereits vorher von diesem Sachverhalt, und wenn ja, wie haben Sie ihn bewertet? Wir haben heute erfahren, dass die Dimension etwas unterschätzt wurde. Man hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass auch die O2-World-Veranstaltungshalle mit einer teilautomatischen Entrauchungsanlage betrieben wird. Aber der Vergleich zwischen einer Veranstaltungshalle und einem Flughafen mit mehreren Zehntausend oder Hundertausend Besuchern pro Tag – es handelt sich um eines der größten Gebäude in Europa – ist fragwürdig. Haben Sie eine Bewertung dieses Sachverhalts tatsächlich vorgenommen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Den beiden Mitgliedern des Bundes im Aufsichtsrat der FBB ist erstmals am 20. April – genau so, wie ich es ausgeführt habe – zum Thema Brandschutz berichtet worden. Zu möglichen Schwierigkeiten: Sie sehen, dass der entsprechende Controllingbericht eine gelbe Signalisierung aufweist; dazu ist in der Öffentlichkeit schon mehrfach berichtet worden. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob eine zügigere Information erfolgt ist. Wir gehen davon aus, dass sie am 20. April erfolgt ist. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre zweite Nachfrage, Kollege Stephan Kühn. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr Kollege, Herr Staatssekretär Bomba, hat auf den umfangreichen Briefwechsel zwischen dem BMVBS und dem Flughafenbetreiber hingewiesen, aus dem hervorgeht, dass man sich mit Fragen des Brandschutzes intensiv befasst hat. Hat dieser Briefwechsel tatsächlich erst nach dem 20. April, also nach Feststellung des Sachverhalts, eingesetzt, oder gab es bereits vorher einen intensiven Briefwechsel zu dieser Problematik? Schließlich haben wir erfahren, dass im Februar eine sogenannte Task Force Brandschutz eingerichtet wurde, an der der Bund zwar nicht unmittelbar beteiligt ist; ich gehe aber davon aus, dass in einem solchen Verfahren alle Anteilseigner des neuen Flughafens über relevante Sachstände seitens der Flughafengesellschaft oder über die Ergebnisse der Arbeit dieser Task Force Brandschutz informiert werden. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich muss Sie korrigieren. Die Bundesregierung unterliegt dem Geschäftsführungsverbot. Es gilt das Aktienrecht. Die Geschäftsführung ist zuständig für die opera-tiven Angelegenheiten dieser Gesellschaft. Deshalb ist es nicht die Aufgabe des Bundesverkehrsministeriums, auf mögliche Brandschutzfragen Antworten zu finden. Das ist vielmehr ausschließlich die Angelegenheit der Geschäftsführung der Gesellschaft und des jeweiligen Bauordnungsamtes, das auch glücklicherweise eingegriffen hat. Insofern kann sich der von Ihnen erwähnte Schriftwechsel zwischen dem BMVBS und der Flughafengesellschaft ausschließlich auf die Controllingberichte oder andere Aufsichtsratsangelegenheiten beziehen, jedoch nicht konkret auf ein wie auch immer geartetes Brandschutzkonzept. Mich verwundert Ihre Frage. Sie unterstellt einen Sachverhalt, der so nicht der Wahrheit -entspricht. Herr Staatssekretär Bomba als Mitglied des Aufsichtsrats hat Ihnen heute in der Ausschusssitzung zugesagt, dass Ihnen dieser Schriftwechsel zwischen dem BMVBS und der Flughafengesellschaft zugänglich gemacht wird. Ich darf Sie auch in diesem Fall bitten, die Geduld aufzubringen, bis Ihnen die Einsicht gewährt wird. Dann können Sie jedes einzelne Schriftstück selbst nachvollziehen. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin Lisa Paus, Sie haben eine Nachfrage. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie und ich haben heute erfahren, dass die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft bereits im Dezember und der Vorsitzende der Geschäftsführung Herr Schwarz nach seiner eigenen Aussage im Januar/Februar bereits wussten, dass die Planung zum vollautomatischen Brandschutz nicht mehr einzuhalten sein werde, sondern es eine teilautomatische Lösung geben müsse. Er hat den Aufsichtsrat über diese Information erst in der Aufsichtsratssitzung am 20. April informiert. Wie bewerten Sie diese späte Information des Aufsichtsrats? Außerdem würde mich interessieren, wie Sie die Einschätzung bewerten, dass es bei einem solchen Neubau – es handelt sich um einen Flughafen, der praktisch Tag und Nacht und 365 Tage im Jahr in Betrieb ist – überhaupt realistisch ist, eine Genehmigung für eine teilautomatische Brandschutzanlage zu bekommen. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Zu Ihrer zweiten Frage fehlt mir die Beurteilungskompetenz, weil das eine Aufgabe des Bauordnungs-amts ist. Die Bauordnungsbehörde im jeweiligen Landkreis trifft auf kommunaler Ebene die Entscheidung darüber und nicht die Bundesregierung. Deshalb entzieht sich diese Frage einer Beantwortung durch mich. Zu Ihrer ersten Frage kann ich Sie nur auf den Aufsichtsrat als Kollektivorgan verweisen. Der Aufsichtsrat muss sich mit der Frage befassen, ob das eine ausreichende Information gewesen ist. Das wird sicher noch ein Thema der nächsten Aufsichtsratssitzungen sein. Davon bin ich fest überzeugt. Vizepräsident Eduard Oswald: Die nächste Nachfrage kommt von unserer Kollegin Frau Bettina Herlitzius. Bitte schön. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, wir waren sehr überrascht, als wir vor zwei Wochen von diesen Verzögerungen gehört haben. Wir als Bau- und Verkehrsausschuss sind nicht informiert worden. Insofern sehen Sie uns nach, dass wir hier sehr viele Nachfragen haben. Es ist eigentlich keine Art, wie hier mit Bauvorhaben, an deren Kosten auch der Bund beteiligt ist, umgegangen wird. Ich gehe davon aus, dass Sie die Planungsleistungen und Bauleitungsaufgaben europaweit ausschreiben müssen. Meine Frage an Sie, Herr Staatssekretär, ist: Wann meinen Sie, dass Ihnen das neue Büro zur Verfügung steht? Müssen Sie jetzt die Baustelle so lange stilllegen? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Es wird kein neues Büro geben, und die Baustelle wird nicht stillstehen. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht dann die Projektleitung?) – Die Antwort habe ich vorhin schon gegeben. Vizepräsident Eduard Oswald: Es gibt immer nur eine Nachfrage. Aber ich darf einen Hinweis geben: Der Kollege Kühn hat noch eine Frage gestellt, sodass man möglicherweise darauf noch reagieren kann. Ich rufe die Frage 43 des Kollegen Stephan Kühn auf: Wie wurden diese Informationen seitens des Vertreters des Bundes bzw. der Bundesregierung jeweils bewertet, und wie flossen die entsprechenden Schlussfolgerungen in die Entscheidungsfindung des Aufsichtsratsgremiums ein? Bitte, Herr Staatssekretär. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Bewertung der Vorlagen der Geschäftsführung erfolgt im Aufsichtsrat als Kollegialorgan. Trotz kritischer Nachfragen der zwei Bundesvertreter im Aufsichtsrat bestätigte die Geschäftsführung am 20. April 2012 den vorstehenden Sachverhalt. Das heißt, sie erklärte, dass die Erkenntnisse zum Brandschutz keine Auswirkungen auf die vorgesehene Inbetriebnahme des BER am 3. Juni 2012 haben. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre erste Nachfrage, Kollege Stephan Kühn. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, wir haben von Herrn Staatssekretär Bomba erfahren, dass er sich nicht allein durch die Unterlagen im Aufsichtsrat kämpfen muss, sondern dass ihm in seiner Behörde, dem BMVBS, Fachleute zur Seite stehen, die diese Unterlagen bewerten können. Dies wird im Rahmen der Vorbereitung einer Aufsichtsratssitzung auch erfolgen, zumal die Berichte in der Regel vorher verschickt werden. Der Bericht zur Aufsichtsratssitzung vom 20. April ist einen Monat alt. Daher stelle ich noch einmal die Frage: Hat die Bundesregierung keine Probleme dabei gesehen, dass bei einem so komplexen Vorhaben mit einer solchen Dimension eine teilautomatische Entrauchungsanlage in jedem Fall genehmigungsfähig sei? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Kollege, ich wiederhole mich. Das ist eine Frage der zuständigen Fachbehörde, und die zuständige Fachbehörde ist das Bauordnungsamt im zuständigen Landkreis. Ich bitte Sie, die Frage an die zuständige Behörde zu richten und nicht an die Bundesregierung. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie haben eine weitere Nachfrage. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daran knüpft die Frage indirekt an: Es gibt mittlerweile den zweiten Verschiebungstermin. Ursprünglich sollte der Flughafen bereits am 31. Oktober 2011 eröffnet werden. Ich glaube, davor war ein Eröffnungstermin im Jahr 2010 Gegenstand der Debatte. Nach der erneuten Verschiebung im letzten Jahr haben Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat darauf hingewirkt, dass die Controllinginstrumente und die Risikobewertungsinstrumente ausgebaut werden, sodass der Aufsichtsrat -tatsächlich valide Ergebnisse, Bewertungen und Einschätzungen vorgelegt bekommt. Daher habe ich die Frage: Welche konkreten Controlling- und Risiko-managementvorschläge wurden seitens der Vertreter des Bundes zur Verbesserung eingereicht? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Aufsichtsratsmitglieder und insbesondere der Kollege Bomba, der Mitglied des Aufsichtsrates ist, haben mehrfach nachgefragt, ob die Risiken tatsächlich richtig bezeichnet worden sind. Herr Bomba hat heute im Ausschuss mitgeteilt, dass er die Geschäftsführung mehrfach gefragt hat, ob diese Einschätzungen so richtig seien. Die Geschäftsführung hat die Einstufung vorgenommen, die besagt, dass das Brandschutzthema kritisch sei, jedoch erfolgte diese Einstufung unter „gelb“, was in Bezug auf den Eröffnungstermin eine nicht kritische Einschätzung ist. Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung der Geschäftsführung. Deshalb habe ich vorhin ausgeführt, dass die Art und Weise, wie der Aufsichtsrat hier informiert wurde, sicher Gegenstand der weiteren Aufsichtsratsberatungen sein wird. Ich gehe davon aus, dass das Ganze sehr kritisch gesehen wurde. Das können Sie auch daraus ableiten, dass einer der zuständigen Geschäftsführer das Unternehmen verlassen wird. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zu den Einzelnachfragen. – Frau Kollegin Bettina Herlitzius. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Nachfrage lautet: Wer übernimmt jetzt die Projekt- und Bauleitung? Hat derjenige, der sie übernimmt, auch die Kompetenz dazu? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich hatte vorhin schon ausgeführt, dass die FBB nach der Kündigung von PG BBI jetzt selbst die Bauüberwachung übernimmt. Vizepräsident Eduard Oswald: Eine weitere Nachfrage unserer Kollegin Frau Lisa Paus. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind nach wie vor irritiert. Überwachung und Controlling sind nicht gleichzusetzen mit Planung. Vielleicht können Sie noch etwas dazu sagen. Zu meiner eigentlichen Frage: Ich hatte nicht die Aufsichtsratsmitglieder gefragt; denn diese sind hier in der Tat nicht zu befragen. Ich hatte Sie persönlich als Vertreter der Bundesregierung gefragt, inwieweit Ihnen persönlich bekannt ist, ob in Deutschland bei einer vergleichbaren Einrichtung jemals eine teilautomatische Brandschutzanlage genehmigt worden ist. Wie bewerten Sie den Vorgang, dass die Geschäftsführung den Aufsichtsrat offenbar erst drei bis vier Monate nachdem der Geschäftsführung bekannt geworden ist, dass die vollautomatische Brandschutzanlage nicht zum Eröffnungstermin fertig sein wird, sondern dass man eine Genehmigung für eine teilautomatische Brandschutzanlage brauchen wird, informiert hat? Wie bewerten Sie es, dass diese Informationsweiterleitung von der Geschäftsführung zum Aufsichtsrat drei bis vier Monate gedauert hat? Wie bewerten Sie das als Mitglied der Bundesregierung? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Meine persönliche Auffassung spielt hier gar keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass die zuständige Fachbehörde eine fachlich korrekte Beurteilung vornimmt. Die zuständige Fachbehörde ist das Bauordnungsamt des zuständigen Landkreises. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, Sie haben dazu keine Meinung!) – Ich habe dazu keine Meinung, weil wir nicht die Bauaufsicht sind. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Bauaufsicht vorzunehmen. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Teil des Bauherrn! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die Bauaufsicht hat verantwortungsvoll gehandelt!) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich vernehme jetzt Zurufe, die vom Antwortgeber aber wohl nicht als Zwischenfragen verstanden werden. – Damit sind wir fertig mit den Nachfragen zur Frage 43. Wir fahren fort im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fragen 44 und 45 der Abgeordneten Jutta Krellmann werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 46 unserer Kollegin Bettina Herlitzius auf: Aus welchem Grund wird der ursprünglich für die 21. Kalenderwoche geplante Kabinettsbeschluss über das Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – BauGB-Novelle – vertagt, und wann ist dieser nun zu erwarten? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und zur weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts bedarf nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung der Abstimmung zwischen den beteiligten Ressorts, bevor er dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt wird. Diese Abstimmung ist noch nicht abgeschlossen. Sobald diese Abstimmung abgeschlossen ist, wird der nächstmögliche Kabinettstermin angestrebt. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Herlitzius, Ihre erste Nachfrage. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, gibt es Überlegungen vonseiten der Regierung, den Ausbau von Kraftwerken im Außenbereich zur Beschleunigung der Energiewende – es handelt sich um eine Privilegierung – noch weiter auszuweiten? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich möchte Sie bitten, den Kabinettsbeschluss abzuwarten. Es macht keinen Sinn, über Zwischenstände zu berichten, solange die Kabinettsbefassung noch nicht erfolgt ist. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre zweite Nachfrage, bitte. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Woran hakt es? Bei welchem Ihrer verschiedenen Vorschläge – manche sind ja ganz sinnvoll; manche begrüßen wir; aber es gibt auch ein paar, die wir sehr kritisch sehen – hakt es in der Abstimmung mit welchem Ressort? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Bundesregierung tritt hier einheitlich auf. Deshalb darf ich Sie bitten, sich so lange zu gedulden, (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bis die Bundesregierung zu einer einheitlichen Auffassung gekommen ist und einen Kabinettsbeschluss über diesen Gesetzentwurf gefasst hat. Dann können Sie im Deutschen Bundestag darüber befinden und Ihre Position gerne einbringen. Zunächst einmal wird die Bundesregierung eine gemeinsame Position vorstellen. Danach können Sie noch in diesem Jahr darüber abstimmen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ich rufe die Frage 47 unserer Kollegin Bettina Herlitzius auf: In welcher Form hat die Bundesregierung die Zielerfüllung der Bebauungspläne der Innenentwicklung seit ihrer Einführung in das Baugesetzbuch evaluiert, und welche Erkenntnisse zieht die Bundesregierung daraus, insbesondere für Bürgerbeteiligung und Umweltschutz? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der aktuelle Gesetzentwurf wurde durch Experten im Rahmen der Berliner Gespräche zum Städtebaurecht fachlich begleitet. Hier wurde unter anderem festgestellt, dass sich das im Jahr 2007 mit dem Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte eingeführte Instrumentarium bewährt hat. Weitere Informationen können dem Bericht zu den „Berliner Gesprächen zum Städtebaurecht“ auf Seite 57 entnommen werden. Des Weiteren wurde die Beratung des Gesetzes seinerzeit durch ein Planspiel begleitet – so wie das bei Änderungen des Baugesetzbuches immer der Fall ist –, dessen Ergebnisse dem zuständigen Bundestagsausschuss vorlagen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre erste Nachfrage. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, nach unseren eigenen Recherchen werden mittlerweile fast 70 Prozent der Bebauungsplanverfahren nach dem vereinfachten §13-a-Baugesetzbuch-Verfahren durchgeführt. Das hat zur Folge, dass Umweltprüfungen oder auch Bürgerbeteiligungen marginalisiert werden. Das ist eigentlich nicht im Sinne der damaligen Erfinder, die diesen Paragrafen eingeführt haben. Dieser Paragraf ist eingeführt worden, um bestimmte Vorhaben zu beschleunigen; er ist nicht eingeführt worden, um beim Planungsrecht an dieser Stelle grundsätzlich die Bürgerbeteiligung auszuhebeln. Insofern ist schon interessant, hier weiter nachzufragen. Ich glaube, dass die Experten da nicht die richtige Adresse sind. Die Frage ist: Gibt es Unterlagen in Ihrem Ministerium dazu, wie der Paragraf vor Ort wirklich angewendet wird? Haben Sie evaluiert, welche Zahlen es gibt, wie viele Verfahren da durchgeführt worden sind? Ein reines Experteninterview hilft Ihnen an dieser Stelle nicht weiter. Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Grundsätzlich finde ich es nicht verkehrt, wenn sich die Experten mit diesen Dingen auseinandersetzen. Deshalb haben wir ja beispielsweise die Berliner Gespräche zum Städtebaurecht. Wir machen dieses Planspiel auch, um alle Auswirkungen einer Änderung im Städtebaurecht sehen zu können. Ich kann nichts Schlechtes daran finden, dass wir in den Bauplanungsverfahren eine gewisse Straffung vornehmen. Das war auch der Sinn dieser Änderung. Aus meiner Sicht ergeben sich daraus keine negativen Entwicklungen. Das haben auch alle Rückmeldungen, die wir bisher zu diesem Thema haben, bestätigt. Das BBSR kann Ihnen sicher Auskunft dazu geben, und zwar detaillierter, als ich das jetzt hier im Rahmen der Fragestunde könnte. Wir sehen grundsätzlich keine negativen Auswirkungen dieser Änderung des Städtebaurechts. Wir begrüßen es außerordentlich, wenn diese Änderung des Baugesetzbuchs dazu führt, dass Investitionsvorhaben schneller umgesetzt werden können. Wir sprechen auch bei der Verkehrsinfrastruktur immer davon, dass wir Planungsbeschleunigung haben wollen, sodass wir Investitionsentscheidungen schneller herbeiführen können. Das gilt natürlich ganz genauso auch für private Investitionen im Innenbereich. Deshalb können wir die von Ihnen konstatierten negativen Auswirkungen dieser Rechtsänderung nicht nachvollziehen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre weitere Nachfrage, Frau Kollegin. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das verwundert etwas, Herr Staatssekretär, weil Sie bei der Novellierung des Baugesetzbuchs extra den Passus aufgenommen haben, dass Mediationen im Bauleitplanungsverfahren eingeführt werden. Das heißt, Sie müssen schon erkannt haben, dass die Bürgerbeteiligung in dem Prozess gestärkt werden muss. Wieso führen Sie das an der einen Stelle ein, sehen aber nicht, dass hier ein eklatanter Missstand besteht? Jan Mücke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Es tut mir leid; ich kann Ihre Analyse nicht bestätigen. Wir gehen davon aus, dass diese Regelung sich bewährt hat. Gegen neue Instrumente der Bürgerbeteiligung wie auch gegen die Mediation ist überhaupt nichts einzuwenden. Eine vernünftige Stadtplanung ist nur möglich mit den Bürgern, nicht gegen die Bürger. Dem muss nicht zwingend entgegenstehen, dass wir zu zügigen Entscheidungen in diesem Bereich kommen. Deshalb vermag ich Ihre Kritik nicht nachzuvollziehen. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe keine Nachfrage mehr!) Vizepräsident Eduard Oswald: Ja, so ist die Geschäftsordnung. Damit ist auch der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung abgehandelt. Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – das sind die Frage 48 der Kollegin Bärbel Höhn und die Frage 49 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl – werden schriftlich beantwortet. Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Ich bedanke mich beim Staatssekretär Hans-Joachim Otto dafür, dass er die Antworten gibt. Die Frage 50 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl sowie die Fragen 51 und 52 des Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 53 unserer Kollegin Frau Dorothea Steiner auf: Welche Position vertritt die Bundesregierung derzeit in den Verhandlungen zur Energieeffizienzrichtlinie in Brüssel, und wie beabsichtigt die Bundesregierung in den kommenden Wochen die Verhandlungen zu beeinflussen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Kollegin Steiner stellt die Frage, welche Position die Bundesregierung derzeit in den Verhandlungen zur Energieeffizienzrichtlinie einnimmt (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine!) und wie sie diese Position dort vertritt. Die Antwort lautet, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen über die Energieeffizienzrichtlinie sich laufend positioniert hat. Viele Punkte sind unstreitig; da ist man auf der deutschen Linie. Ein zentraler Punkt ist streitig, nämlich die Frage der verpflichtenden Energieeinsparquote. Dort hat die deutsche Seite einen Vorschlag zur Formulierung von Art. 6 der Richtlinie gemacht. Das war in dieser Form auf europäischer Ebene leider nicht durchsetzbar. Die Diskussion darüber, wie sich Deutschland nunmehr zu Art. 6 und Art. 3 verhalten wird, ist noch nicht abgeschlossen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Steiner. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Herr Staatssekretär, genau dazu möchte ich nachfragen. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Das habe ich befürchtet. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Problem war ja, dass die Position der Bundesregierung an dieser Stelle windelweich und wenig präzise auf Ergebnisse orientiert war, was nicht nur nach unserer Auffassung vielleicht auch auf die etwas – möchte ich einmal polemisch sagen – verbohrte Einstellung im Wirtschaftsministerium zurückzuführen ist. Wenn Sie jetzt sagen, Sie sind in der Meinungsfindung dazu, wie Sie weiter vorgehen wollen, dann möchte ich wissen: Gibt es Anzeichen, dass Sie eher einen konsequenten Kurs betreiben und sich zu konkreten Einsparquoten bekennen, die Sie dann auch gegenüber anderen EU-Ländern vertreten werden? Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Liebe Frau Kollegin Steiner, Ihre Einschätzungen der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministeriums widersprechen sich ein bisschen. Auf der einen Seite sagen Sie, wir seien verbohrt, auf der anderen Seite, wir seien windelweich. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Beides ist nicht richtig!) Das passt nicht so recht zusammen. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei dieser Regierung schon!) Zum anderen möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Position des Bundeswirtschaftsministeriums, die Sie kritisiert haben, auch von Landesregierungen im Bundesrat gestützt wird, in denen die grüne Partei, Ihre Partei, vertreten ist, nämlich die Position hinsichtlich der Frage, ob es überhaupt mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist, dass auf europäischer Ebene verpflichtende Energieeinsparquoten festgelegt werden. Wir wissen hier also durchaus auch einige Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, hinter uns. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Steiner, Sie haben eine weitere Nachfrage? Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie werden verstehen, dass wir dem widersprechen müssen. Das würde ich jetzt eher unter politischer übler Nachrede verbuchen, was Sie über an Landesregierungen beteiligte Grüne gesagt haben. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Ich kann der Wahrheit nicht ausweichen. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich muss noch einmal darauf zurückkommen: Sie haben ja bisher die Ansicht vertreten, dass Sie bereits ausreichend für Energieeffizienz tun, auch in der Bundesrepublik selbst, und dass Sie es deswegen gar nicht nötig hätten, die Instrumente der Rahmenrichtlinie konsequent umzusetzen. Andere Mitgliedstaaten berufen sich jetzt natürlich auf das schlechte deutsche Beispiel und tun erst recht nichts bzw. verpflichten sich erst recht nicht zu irgendwelchen Maßnahmen der Energieeffizienz und zu Einsparquoten, die man überprüfen könnte. Besteht die Möglichkeit, dass die Bundesrepublik ihrer Vorbildfunktion in der EU, die sie zweifellos wahrnehmen muss, gerecht wird und auch andere Länder davon überzeugt, sich zu konkreten Einsparquoten zu verpflichten? Und wenn nein, warum nicht? Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Liebe Frau Kollegin Steiner, Sie suggerieren in Ihren Fragen immer Bewertungen, die ich nicht unwidersprochen stehen lassen möchte. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das denke ich mir schon!) Das mit der Vorbildfunktion will ich gerne stehen lassen; aber das ist ein Teil des Problems. Ich möchte erstens darauf hinweisen, dass der Bundeswirtschaftsminister die Ansicht vertritt – und er ist nicht alleine; auch die Fraktionen des Hauses sind zum großen Teil dieser Auffassung –, dass hier einem Dirigismus das Wort geredet wird, der nicht vorteilhaft ist. Zweitens zu der Vorbildfunktion Deutschlands, die Sie, Frau Kollegin Steiner, angesprochen haben. Gerade diejenigen Länder, die, wie Deutschland, in den vergangenen Jahren in der Tat große Fortschritte bei der Energieeffizienz erzielt haben, würden bestraft, wenn sie jetzt sozusagen unter ein ganz starres Regime fielen. Die ersten Prozente an Energieeinsparung sind sehr viel leichter zu bewerkstelligen, als es später der Fall ist, wenn schon ein hoher Grad an Energieeffizienz erreicht ist; dann ist jedes Prozent, das man weiter herunterkommt, mit großen ökonomischen Lasten verbunden. Deswegen werbe ich auch bei Ihnen, liebe Frau Kollegin – vermutlich erfolglos, aber trotzdem –, dafür, von einem starren Regime Abstand zu nehmen und stattdessen flexiblere Ziele zu formulieren. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Allgemeinplatz!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle anderen Fragen werden schriftlich beantwortet bzw. nach der Geschäftsordnung behandelt. Da noch Ausschüsse tagen und wir vereinbart haben, mit der Aktuellen Stunde um 15.45 Uhr pünktlich zu beginnen, unterbreche ich jetzt bis zu diesem Zeitpunkt die Sitzung. (Unterbrechung von 15.39 bis 15.45 Uhr) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen unsere Sitzung fort. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Keine Vergemeinschaftung europäischer Schulden – Euro-Bonds-Pläne der SPD: -Haftung für deutsche Steuerzahler? Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU -unser Kollege Norbert Barthle. Bitte schön, Kollege Norbert Barthle. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dieser Aktuellen Stunde haben wir die Gelegenheit, über Euro-Bonds zu sprechen. Lassen Sie mich zunächst einmal die Frage stellen: Was sind denn überhaupt Euro-Bonds? Euro-Bonds sind nichts anderes als gemeinsame Staatsanleihen innerhalb der Europäischen Union oder der Euro-Zone. Das heißt, Euro-Staaten würden gemeinsam Schulden am Finanzmarkt aufnehmen und gesamtschuldnerisch für die Rückzahlung und für die Zinsen dieser Schulden haften. Damit weiß man sogleich, worum es geht: Es geht nämlich um nichts anderes als um ein Instrumentarium, mit dem man sich neue Staatsschulden verschaffen kann. Das erweckt schon den allerersten Zweifel, den wir hinsichtlich dieses Instruments haben; denn wir sind der Auffassung: Euro-Bonds sind nicht dazu angetan, das Vertrauen an den Finanzmärkten wieder zurückzugewinnen und zu festigen, sondern im Gegenteil: Euro-Bonds würden sehr schnell dazu führen, dass das Vertrauen der Finanzmärkte in verschuldete Staaten wieder einbrechen würde, mit den zu besichtigenden Folgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen keine Euro-Bonds. Euro-Bonds würden letztendlich nichts anderes bedeuten als die Fortsetzung der Verschuldungspolitik. Wozu diese geführt hat, können wir derzeit ebenfalls in ganz Europa besichtigen. Die ganze Welt schaut auf uns. Wir haben eine große Verantwortung, Europa wieder in sichere Gefilde zu bringen, den Euro zu stabilisieren, die Verschuldung der Staaten zurückzuführen und damit für ein grundlegendes, dauerhaftes Vertrauen an den Finanzmärkten zu sorgen. Insofern bedeuten Euro-Bonds nichts anderes als eine Gefährdung dieses Kurses der europäischen Politik. Damit sind wir sehr schnell beim Thema Fiskalvertrag. Wir hatten heute früh eine Begegnung mit italienischen Kollegen aus Senat und Abgeordnetenhaus. Dabei kam klar zum Ausdruck, dass Italien von uns geradezu erwartet, dass wir möglichst rasch über Fiskalvertrag und ESM – und zwar gemeinsam – abstimmen und damit für zusätzliches neues Vertrauen in Europa sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schauen wir doch einmal, was die Sozialisten wollen, was der neue französische Staatspräsident François -Hollande will und was die SPD will. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Herr Juncker will! Was Herr Oettinger will! Was Herr Verhofstadt will!) Bei der SPD bin ich mir nicht mehr so sicher; denn man weiß nie genau, was sie eigentlich will. Noch vor Monaten sind Sie vehement für Euro-Bonds eingetreten – Herr Gabriel, Herr Steinmeier, Herr Steinbrück, alle –, dann begann eine vorsichtige Absetzbewegung, und inzwischen weiß ich gar nicht mehr, wofür Sie stehen. Der Kollege Schneider hat sich vor wenigen Tagen gegen Euro-Bonds ausgesprochen. Spricht er da für sich, für die Haushälter, für die SPD-Fraktion? Ich weiß es nicht. Eigentlich müsste man sich als starke Regierung auch eine starke Opposition wünschen. Aber da die -Opposition noch nicht einmal klar erkennen lässt, wofür sie ist, (Joachim Poß [SPD]: „Starke Regierung“! Bei dem Elend sagt er „stark“! – Lachen des Abg. Joachim Poß [SPD]) ist es schwierig, sich mit der Opposition auseinanderzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nur in einem bin ich mir sicher: Hätten wir eine rot-grüne Regierung – bei den Grünen höre ich ebenfalls Signale, dass man für Euro-Bonds ist –, dann hätten wir in Europa schon längst die Euro-Bonds. Man hätte schon vor einem Jahr dem Ansinnen der Parteifreunde nachgegeben und Euro-Bonds eingeführt. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wäre eine Katastrophe, nicht nur für Europa, sondern vor allem für uns in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wozu sollen Euro-Bonds denn dienen? Sollen sie einerseits dazu dienen, den insolvenzgefährdeten Ländern wieder leichteren Marktzugang zu verschaffen (Joachim Poß [SPD]: Zur Diffamierung der SPD sollen sie dienen!) und damit die Marktmechanismen außer Kraft zu setzen? Das wäre der falsche Weg. Oder geht es darum, mit Euro-Bonds neue Wachstumsprogramme zu finanzieren, und zwar durch Schulden, also auf Pump, wie die Opposition immer sagt? Das wäre ebenfalls der falsche Weg. Also: Wenn schon neue Wachstumsprogramme, dann nicht durch neue Schulden, sondern durch Einsparungen, durch Strukturreformen. Das wäre der richtige Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Euro-Bonds klingen zunächst verführerisch. Schaut man genauer hin, stellt man fest: Sie sind eine gefährliche Droge. Seien wir ehrlich: Bei der Einführung des Euro hat der Euro ein Stück weit wie Euro-Bonds gewirkt. Damals sind die Zinsdifferenzen zwischen den einzelnen Euro-Ländern auf nahezu null zusammengeschrumpft. Damit wurde keine Abbildung der Wett--bewerbsfähigkeit mehr gewährleistet. Das hat dazu -geführt, dass eine Fehlallokation von hohen Kapitalströmen stattgefunden hat, deren Auswirkungen wir jetzt beobachten können und bekämpfen müssen. Das war die Ursache der Staatsschuldenkrise. Wir dürfen nicht dazu beitragen, dass sich eine solche Schuldenkrise noch einmal wiederholt. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Die Einführung von Euro-Bonds wäre ein Weg zurück in die Vergangenheit. Alles wäre wieder auf Anfang. Das ist der falsche Weg. Ich hoffe, dass sich nicht nur Einzelne, sondern die gesamte SPD-Fraktion besinnt und ihrem Parteifreund in Frankreich erklärt, dass es der falsche Weg wäre, das zu machen. Wir sind dagegen. Wir lassen das nicht zu. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Norbert Barthle. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Carsten Schneider. Bitte schön, Kollege Carsten Schneider. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich ernsthaft gefragt, was die von der Koalition angesetzte Aktuelle Stunde bringen soll. Das Thema lautet: Euro-Bonds-Pläne der SPD. (Beifall bei der SPD – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Juncker zum Beispiel! – Nicolette Kressl [SPD]: Oder Herr Oettinger! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Herr Brüderle! Alles SPD!) Eigentlich könnte man das ganz schnell abschließen und sagen: Meine Damen und Herren, es gibt keine Euro-Bonds-Pläne der SPD; Punkt. (Beifall bei SPD) Herr Kollege Barthle, Sie haben eine ganze Reihe anderer Punkte angesprochen. Insbesondere angesichts der Vorbereitung des Gipfels heute Abend lohnt es sich, auf diese einzugehen. Lieber Kollege Barthle, lassen Sie mich eine klare, rechtliche Bewertung abgeben. Es gibt viele europäische Stimmen, die angesichts der schwierigen Kapitalmarktsituation dafür plädieren, gemeinsam garantierte europäische Staatsanleihen zu begeben, darunter sind viele Kollegen aus Ihren Reihen. Es gibt einen gemeinsamen Entschließungsantrag von Christlichen Demokraten, Liberalen und anderen Fraktionen im -Europäischen Parlament vom 17. Januar. Darin heißt es, dass das Europäische Parlament nachdrücklich fordert, dass in dem Abkommen – es geht um den Fiskalpakt – neben Vorschlägen zu einem Tilgungsfonds, … ein Fahrplan für Stabilitätsanleihen („Eurobonds“) … vorgesehen sein muss … Unterschrift: Elmar Brok, CDU/CSU-Fraktion. (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Sozi! – Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD] – Klaus Brandner [SPD]: Scheinheilig!) Ich hatte heute ein bisschen Zeit und habe im Handelsblatt geblättert. Ein EU-Kommissar – er heißt Oettinger, er ist übrigens von der CDU; zumindest ist er es noch; ich glaube, er ist noch nicht entlassen worden – äußert sich auf Seite 18: Ich rate allen Beteiligten, sich nicht grundsätzlich gegen Euro-Bonds zu positionieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) EU-Staatsanleihen seien eine „Frage des Timings“. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ein Sozi drin!) Eigentlich müsste man angesichts dieser Verlautbarungen das Thema dieser Aktuellen Stunde umbenennen in: Widersprüchliche Position der CDU (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – -Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen die „Men in Black“ ran!) auf europäischer und Bundesebene zu Plänen der Einführung von Euro-Bonds. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – -Joachim Poß [SPD]: Von der FDP auch!) Lesen Sie das deutsche Grundgesetz! Eines ist auch nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, die zu den verschiedenen Stabilisierungsmaßnahmen erlassen wurden, klar: Ohne eine neue Verfassung, über die die Deutschen höchstwahrscheinlich über eine Volksentscheidung befinden müssten, ohne ein neues Grund--gesetz, wird es keine gemeinsame Haftung für Anleihen anderer Länder geben. Das ist die Rechtslage in Deutschland; (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) wer das ändern will, muss das Grundgesetz ändern. Teilen Sie das Ihren Kollegen auf europäischer Ebene mit! Lassen Sie uns über die weiteren relevanten Punkte sprechen. Herr Kollege Barthle, Sie haben eben gesagt, das wäre wie Gift für neue Schulden. Wenn Sie sagen, dass Euro-Bonds eine gemeinsame Haftung bedeuten, dann frage ich mich, was mit den Schulden ist, die mit Ihrer Zustimmung aufgenommen wurden – das war Ihre -Vorlage –: Griechenland-I-Paket mit 15 Milliarden Euro, Griechenland-II-Paket mit 17 Milliarden Euro, und die Europäische Zentralbank hat für 55 Milliarden Euro -Anleihen Griechenlands gekauft. (Otto Fricke [FDP]: Nach Anteilen!) – 55 Milliarden Euro sind es insgesamt, 15 Milliarden Euro beträgt der deutsche Anteil, sehr geehrter Herr Kollege Fricke. (Otto Fricke [FDP]: Immer nach Anteilen!) Das sind neue Schulden, für die Sie jetzt gemeinschaftlich haften. Das ist mit Ihren Stimmen beschlossen worden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Nein, eben nicht! Nach Anteilen! Nicht gemeinschaftlich, Carsten! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Haltet den Dieb, oder was?) In Wirklichkeit tun Sie das Gegenteil von dem, was Sie hier behaupten. Ich finde, dass Sie mit dieser Aktuellen Stunde dem Problem Europas nicht gerecht werden. Ich denke dabei insbesondere an die schwierige Situation, die nach der Parlamentswahl am 17. Juni 2012 in Griechenland auf uns zukommt, wie auch immer sie ausgehen mag. Wir befinden uns in Europa in einer extrem schwierigen Situation. Es wäre gut gewesen, wenn die Bundeskanzlerin und Herr Sarkozy im Oktober des vergangenen Jahres nicht verhindert hätten, dass in Griechenland eine Volksabstimmung, ein Referendum, über den Verbleib in der Euro-Zone stattfindet. Das haben Sie verhindert. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Quatsch!) Dass das Referendum nicht stattfand, war Folge Ihrer -Intervention. Herr Papandreou wurde damals nach Cannes zitiert. Das war ein politischer Fehler. Heute wollen Sie das ändern, weil das demokratische Griechenland andere Entscheidungen getroffen hat. So wird das nicht gehen. Das ist Resultat Ihrer Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass die Welt schon in drei Wochen sehr viel anders aussehen wird und wir dann vor schwierigeren Entscheidungen stehen werden. Dann wird es nicht um die grundsätzliche Frage „Euro-Bonds, ja oder nein?“ gehen. Dann wird es um die Frage gehen, ob die Euro-Zone tatsächlich noch Bestand hat und welche Maßnahmen notwendig werden. Diese wären, hätte man früher und mit politischer Weitsicht agiert, so nicht notwendig geworden. Dass Sie nicht agiert haben, war ein deutliches Versäumnis und wahrscheinlich der größte Fehler in der Regierungszeit von Angela Merkel. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Carsten Schneider. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP: unser Kollege Dr. Hermann Otto Solms. Bitte schön, Kollege Dr. Solms. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herrn Schneider möchte ich in Erinnerung rufen, dass wir bei den Hilfen für Griechenland und bei anderen -Hilfen anteilig haften und nicht gesamtschuldnerisch. Das ist eben der große Unterschied. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn sich Abgeordnete im Europäischen Parlament für Euro-Bonds aussprechen, dann sollten Sie wissen, dass für die Kasse in Deutschland der Deutsche Bundestag zuständig ist und nicht das Europäische Parlament und auch nicht ein Landesparlament. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Das ist doch Grundwissen für einen Haushälter. Deswegen sollte man das in der Öffentlichkeit sauber darstellen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist eine schlechte Ausrede, ehrlich gesagt!) Da ist es wieder, das Ungeheuer von Loch Ness. Eigentlich dürfte es das gar nicht geben, aber es taucht dennoch überraschend immer wieder auf. Bezüglich Euro-Bonds war in diesem Haus eigentlich Ruhe eingekehrt. Die SPD hat ihre Äußerungen mehr oder weniger verrinnen lassen und sich nicht mehr dazu bekannt. Doch kaum wird ein sozialistischer Präsident in einem Schuldnerland gewählt, hängen sich viele von SPD und insbesondere den Grünen an ihn und fordern Euro-Bonds. (Joachim Poß [SPD]: Können Sie das denn auch belegen, Herr Kollege?) Was sind denn Euro-Bonds? Man muss einmal ganz klar sagen: Was wird damit gewollt, und was bedeutet es? Gewollt ist, dass die Haftung für die Schulden vergemeinschaftet wird, dass nicht länger das einzelne Land für seine Ausgaben haftet, sondern die Gemeinschaft der Mitglieder der Europäischen Union. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist jetzt total anders?) Das Zweite, was man damit erreichen will, ist eine Nivellierung der Zinssätze. Es soll nicht jeder einen dem jeweiligen Risiko entsprechenden Zinssatz zahlen, sondern alle sollen den gleichen Zinssatz zahlen. Das ist in etwa so wie in einer Schulklasse: Wenn da einige über die Stränge schlagen und die gesamte Klasse dafür bestraft wird, dann passiert das Gleiche: In Zukunft wird die gesamte Klasse über die Stränge schlagen, weil alle wissen: Wir werden ja sowieso mit in Haftung genommen. (Joachim Poß [SPD]: Es war von Konditionierung die Rede!) Was die Zinsen betrifft, ist es so: Wenn in der Schulklasse zwar unterschiedliche Leistungen erbracht werden, aber alle die gleiche Note bekommen, dann gibt es keinen Anreiz mehr, eine bessere Leistung zu erbringen. Das ist das Fatale an dem Instrument Euro-Bonds: Die Anreize führen, wie der Ökonom sagt, zu falschem Verhalten. Euro-Bonds führen dazu, dass man möglichst schnell in die Kasse greift, weil man sich sagt: Die anderen müssen es ja bezahlen. Das heißt, in Brüssel wird beschlossen: Die Südländer greifen in die Kasse, und Berlin trägt die Kosten. Das lassen wir nicht zu. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir können den deutschen Steuerzahler nicht für die Schulden von ganz Europa in Haftung nehmen. Das ist uns auch gar nicht erlaubt, weil es rechtlich nicht zulässig ist und verfassungsrechtlich schon gar nicht. Das hat uns das Verfassungsgericht mehrfach hinter die Ohren geschrieben. Wir haben die verfassungsrechtliche Ordnung einzuhalten. Wir haben auch unsere eigene Kasse in Ordnung zu bringen. Das haben wir noch nicht ganz geschafft; wir sind aber kurz davor. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Wir dürfen die Steuerzahler nicht für Risiken in Anspruch nehmen, die in anderen Staaten entstehen. (Joachim Poß [SPD]: Sie machen doch wieder mehr Schulden in diesem Jahr!) Den Staaten, die bis jetzt nicht die Kraft haben, ihr Haus in Ordnung zu bringen, muss man sagen: Nehmt euch doch einmal ein Beispiel an Lettland, an Estland, an der Slowakei und an Island. Diese Länder haben es geschafft, obwohl sie viel ärmer sind als Italien und Spanien. Sie haben schnell Anpassungsmaßnahmen getroffen. Die haben wehgetan, aber zwei Jahre später ging es bei ihnen schon wieder aufwärts. – Man kann den Franzosen, den Italienern und den Spaniern wirklich nur empfehlen – Griechenland ist ein Sonderfall –: Nehmt euch einmal ein Beispiel an diesen Staaten, wenn ihr euch schon kein Beispiel an Deutschland nehmen wollt. Sie haben gezeigt, dass es geht, dass es funktioniert. Wir haben das genauso vorgeführt. Verantwortlich für die Anpassungsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt und die Reformen, auch die Steuerreform, war die Regierung Schröder; das will ich noch einmal in Erinnerung rufen. Die SPD sollte sich das zum Vorbild nehmen und sagen: Das waren richtige Maßnahmen. Wir haben dazu beigetragen, dass es Deutschland wieder besser geht, (Thomas Oppermann [SPD]: Was haben Sie denn dazu beigetragen?) dass die Arbeitslosigkeit verschwindet, dass die Menschen wieder Lebenschancen haben. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Dann sind wir sofort auf dem Weg in die gleiche Richtung und können zusammen die Beschlüsse zum Fiskalpakt und zum ESM gleichzeitig und zügig treffen, und zwar ohne Euro-Bonds oder ähnliche Maßnahmen, bei denen die Haftung verschwimmt und sich niemand mehr verantwortlich fühlt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Solms. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Richard Pitterle. Bitte schön, Kollege Pitterle. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition hat eine Aktuelle Stunde zum Thema Euro-Bonds beantragt. Viele Menschen im Wahlkreis fragen mich: Worum geht es bei diesen Euro-Bonds? Es geht darum, dass die Länder der Europäischen Union gemeinsam Staatsanleihen ausgeben und die Euro-Zone dadurch gegen Spekulationen stabilisiert wird. Auch die schwachen Staaten könnten sich so zu vernünftigen Zinsen finanzieren. Das finden wir gut. (Beifall bei der LINKEN) Aber die Koalition ist, wie wir gehört haben, dagegen. Sie plustert sich wieder einmal auf und versucht, alle anderen in diesem Parlament als unverantwortliche Schuldenmacher hinzustellen. Das wird Ihnen nicht gelingen, weil dieser Versuch allzu durchsichtig ist. Wir haften ja bereits über die Europäische Zentralbank, die in erheblichem Umfang Staatsanleihen anderer Staaten aufgekauft hat. Was ist das Problem? Sie versuchen, Ihre Politik zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner, die Sie in Griechenland durchgesetzt haben, auf ganz Europa zu übertragen. Inzwischen erleben wir einen Abschwung in ganz Europa. Es geht um Spanien, Italien, Frankreich, Holland und Österreich. Die reine Sparpolitik ist gescheitert. Jeder weiß: Wenn die Investitionen ausbleiben, dann stottert die Wirtschaft und steigen – trotz des Sparens – die Schulden. Die Menschen merken das. Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl in Frankreich und der Parlamentswahlen in Griechenland waren eine Absage an die radikale und ökonomisch dumme Sparpolitik der Mächtigen in der EU. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich glaube, die Radikalen haben da gewonnen!) In den Niederlanden ist daran die Regierung zerbrochen; sie war bisher der wichtigste Verbündete der Bundes-regierung. Die Knebelstrategie der Bundesregierung wird inzwischen weltweit als Bedrohung wahrgenommen. Beim G-8-Gipfel am Wochenende stand die Bundesregierung wieder einmal isoliert da. Jeder Mensch weiß doch, dass, wenn sich etwas fortbewegen soll, es nicht ausreicht, auf die Bremse zu treten. Man muss auch Gas geben können, und das kommt Ihnen nicht in den Sinn. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Da seid ihr mit Lafontaine gerade gut dabei, mit Gasgeben!) Die Währungsunion war ein Projekt der politischen Eliten, unter anderem auch Ihres früheren Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Doktor!) Jeder Mensch mit ökonomischem Sachverstand weiß inzwischen, dass die Währungsunion in der jetzigen Form keine Zukunft hat. Jetzt kommt unter anderem aus -Bayern die Forderung, einzelne Staaten aus der Währungsunion zu schmeißen. Die Währungsunion kann daran zerbrechen, und dann stünden wir vor einem Scherbenhaufen. Das kann nicht die Lösung sein. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie waren doch immer schon gegen den Euro!) – Das stimmt gar nicht. Die PDS hat immer gesagt: „Euro, so nicht!“ (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und gegen den Vertrag von Lissabon waren Sie auch! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die Spaltung Ihrer Partei ist schon längst vollzogen worden! Das haben Sie wohl gar nicht mitgekriegt!) Stattdessen sollten wir die Währungsunion auf ein neues Gleis setzen und dafür sorgen, dass die Staaten der Währungsunion eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik betreiben. Dann müssten wir auch zu einer anderen Steuerpolitik kommen, etwa bei der Besteuerung von Unternehmen und von großen Vermögen, aber endlich auch zu einer Finanztransaktionsteuer. Wir sollten auch aufhören, andere Staaten durch Niedriglöhne niederzukonkurrieren. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Was für eine Lesung!) Zur Wahrheit gehört, dass wir bei den Nettolöhnen einen Rückgang um 4,5 Prozent zu verzeichnen hatten, was mitursächlich für diese Krise war. (Joachim Spatz [FDP]: Ach! Das kann doch echt nicht sein!) Wichtig sind aus unserer Sicht auch neue Instrumente wie Euro-Bonds. Zu diskutieren ist dabei darüber, wer die Bonds zu welchen Bedingungen bekommt, wie die Zinsvorteile aufgeteilt werden und wie hoch die Haftung ausfällt. Was aber nicht geht, ist, diese Debatte zu verweigern und zuzulassen, dass Finanzinvestoren die Staaten der Währungsunion gegeneinander ausspielen. (Beifall bei der LINKEN – Joachim Spatz [FDP]: Aha! Und was willst du dagegen machen?) Aus der jetzigen Situation kommen wir nur heraus, wenn wir die Staaten der Währungsunion vor dem Zugriff der Spekulanten und Hedgefonds abschirmen. Dafür brauchen wir entweder eine Form von Euro-Bonds oder Direktkredite der Europäischen Zentralbank. (Beifall bei der LINKEN) Genau hier fehlt der Koalition aber jedes Verständnis für pragmatische Politik. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Aha! -Interessant!) Wir hatten gestern in der Fraktion Besuch von Alexis Tsipras vom SYRIZA-Bündnis in Griechenland. Er hat es auf den Punkt gebracht: Es geht hier nicht um die Auseinandersetzung zwischen der Bevölkerung unserer Länder, sondern darum, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in allen Ländern Europas ein Interesse daran haben, die Spekulanten in die Schranken zu weisen und dafür zu sorgen, dass sie nicht selbst die Zeche für die Krise auf dem Finanzmarkt zahlen müssen. Noch ein Wort zur SPD. Wir begrüßen zwar, dass Sie jetzt neue Forderungen aufstellen, nur haben Sie das dermaßen ungeschickt und unentschlossen getan, dass es wohl ausgeht wie das Hornberger Schießen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Es wäre unhöflich, jetzt zu widersprechen!) Vielen in Ihren Reihen muss ich unterstellen, dass sie in Richtung Große Koalition schielen, statt dem Fiskalpakt die Zustimmung zu verweigern. (Joachim Poß [SPD]: Oh!) So kann man nicht glaubwürdig Politik betreiben. Der Fiskalpakt setzt nicht nur die Axt an die parlamentarische Demokratie, sondern schnürt auch die Kommunen im Hinblick auf ihre Investitionen ein und gefährdet die Sozialversicherungssysteme. Deswegen lehnt die Linke den Fiskalpakt ab. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Pitterle. – Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Manuel Sarrazin. Bitte schön, Kollege Sarrazin. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute früh um Viertel nach acht ist meine Mit-arbeiterin fast aus der Dusche gefallen, (Heiterkeit – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Woher wissen Sie das denn? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Oh! Waren Sie dabei?) weil sie im Radio Herrn Brüderle hörte. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Hat der etwa mitgeduscht? – Weiterer Zuruf von der FDP: Im Radio oder in der Dusche?) Auch sie kommt aus Rheinland-Pfalz; deswegen kann sie dekodieren, was er sagt. Sie hörte ihn sagen – Zitat –: Ich schließe auch nicht aus, wenn man den Fiskalpakt, also gleiche Regeln, wie man mit dem Haushalt umgeht, die Schuldenbremse umgesetzt hat, wenn man eine stärkere Kohärenz von Zusammenwirken und Gleichklang in der europäischen Wirtschaftspolitik erreicht hat, dass am Schluss einer Entwicklung so etwas – wie Euro-Bonds – stehen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da hier vom Hornberger Schießen geredet und Herr Oettinger erwähnt wurde, muss ich Sie fragen: Kennen Sie eigentlich Dr. Wolf Klinz? Dr. Wolf Klinz schreibt auf seiner Homepage: Meine praktische Berufserfahrung in der internationalen Wirtschaft hat mich mehr und mehr darin -bestärkt, dass sich die FDP rechtzeitig programmatisch der Probleme annimmt, die sich für unser Land und Europa als wichtig und drängend abzeichnen. Sie hat auch den Mut, Lösungen vorzuschlagen, die sachgerecht, aber nicht immer populär sind. Damit überlässt sie es anderen, den Bürgern Honig ums Maul zu schmieren. Er ist dort auch auf einem Foto mit Dr. Guido Westerwelle zu sehen. – Dr. Wolf Klinz hat vorletzten Montag im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments für den Antrag gestimmt, dass die Kommission innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten des Two-Pack einen konkreten Pfad zur Einführung von Euro-Bonds, von Stabilitätsbonds und eines Altschuldentilgungsfonds vorlegt. Das sind vernünftige Liberale, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Solms, ich kann ja nichts dafür, dass meine Tendenz, ob ich die Liberalen hier oder die Liberalen im -Europäischen Parlament besser finde, schon etwas mit ihrer Klugheit zu tun hat und nicht nur davon abhängt, wo sie auftreten. So einfach ist das bei uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Kollege Schneider hat schon darauf hingewiesen, dass Deutschland im Euro-Raum längst haftet: 1,1 Billionen Euro wurden an Banken gegeben, für 115 Milliarden Euro wurden Staatsanleihen aufgekauft. – Was ist eigentlich der Hintergrund? Wo versagen Sie gerade? Sie versündigen sich gerade am Erbe von Helmut Kohl und merken es noch nicht einmal. Was wollten Helmut Kohl und Theo Waigel damals in Maastricht? Damals stritten die Deutschen noch für die politische Union und haben – als Ersatz – den Stabilitäts- und Wachstumspakt bekommen. Es ist nicht so, dass die Opposition gegen deutsche Interessen in der Europäischen Union arbeitet. (Zuruf von der FDP: Doch!) Wir wollen mit Euro-Bonds starke Regeln durchsetzen. Wir wollen mit Euro-Bonds einen glaubwürdigen Schuldenabbauplan vorlegen. Das ist der Unterschied zwischen uns. Durch Ihre Blockadehaltung, nämlich jegliche Debatten zu diesem Thema auszuschließen, machen Sie es letztlich unmöglich, dass das, was Helmut Kohl in Maastricht leider nicht vorantreiben konnte, jetzt auf die Agenda kommt. Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben, Herr Solms. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sie sind mir ja ein komischer Nachlassverwalter!) Ich möchte das Zinsargument noch einmal aufgreifen, weil mich das besonders ärgert. Wir haben das Thema Euro-Bonds zum ersten Mal im Herbst 2010 in einem Antrag aufgegriffen. Es waren also nicht die Sozis; die Grünen haben sich das zum ersten Mal getraut. Aber da Herr Oettinger, Herr Rehn, Herr Juncker und Herr -Verhofstadt – alles Konservative und Liberale – auch dafür sind, sind wir wahrscheinlich alle Sozis. Aus Ihrer Sicht ist das dann eine Art Einheitspartei. Wir haben dabei immer gesagt: Preisstabilität und Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite sind die Grundlage jedes Euro-Bond-Konzepts, für das wir uns einsetzen. – Das negieren Sie einfach. Sie reden hier von irgendwelchen Konzepten, die Sie sich irgendwo – ich will jetzt nicht sagen: unter der Dusche – ausdenken, und tun so, als seien das unsere Konzepte. Beschäftigen Sie sich einmal ernsthaft mit unseren Konzepten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich gebe zu: Auch wir schreiben ab. Wir schreiben zum Beispiel beim Sachverständigenrat der Bundes-regierung ab, der in seinem Herbstgutachten vom -November 2011 die Auflegung eines Altschuldentilgungsfonds vorgeschlagen hat, ohne übrigens das Zins-argument außer Kraft zu setzen, Herr Solms. Art. 125 AEUV würde bei Umsetzung des Vorschlags des Sachverständigenrats der Bundesregierung in Kraft gelassen. Hören Sie auf, hier andere Sachen zu erzählen, die schlichtweg nicht stimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu Ihrem Schattenboxen und Ihrer Schimäre könnte man noch wahnsinnig viel sagen. Ich fürchte, das würde der Präsident stoppen. Am Schluss möchte ich aber doch noch eine Bemerkung machen. Wenn die Kanzlerin vor dem informellen Abendessen heute Abend erklärt, dieses Thema stehe gar nicht zur Debatte, frage ich mich: Welche Arroganz und welcher Stil von europäischer Politik kommt eigentlich zum Vorschein, wenn zwei der wichtigsten Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Chef der Euro-Gruppe, der Chef der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, Ihre eigenen -Wirtschaftsweisen und die Mehrheit der Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten über Themen sprechen, Sie hierüber eine Debatte anmelden und die Kanzlerin dann sagt: „Heute Abend brauchen wir gar nicht darüber zu reden; darauf habe ich gar keinen Bock; ich will nur Abendessen gehen“? Entschuldigung, so geht Europa nicht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Du solltest nicht so heiß duschen!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Sarrazin. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Dr. Michael Meister. Bitte schön, Kollege Dr. Michael Meister. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand die Rede von Herrn Sarrazin im Verhältnis zu der Rede von Herrn Schneider erfrischend. Herr Sarrazin hat sich hier eindeutig und klar bekannt: Er will Euro-Bonds. Herr Schneider hat in seiner Rede alles getan, um die Position der SPD-Fraktion zu verschleiern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wie immer!) Ich will einmal darauf hinweisen, dass es am 15. Dezember 2010 einen Gastbeitrag des ehemaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück und des Fraktionsvor-sitzenden der SPD, Frank-Walter Steinmeier, in der Financial Times gab, in dem sich beide für Euro-Bonds ausgesprochen haben. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!) Ich halte es deshalb für richtig, dass wir über die Frage, ob wir Euro-Bonds wollen oder nicht, auch einmal hier im Parlament diskutieren und nicht nur in Medien. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange war das noch mal her?) Was ist eigentlich unser Problem in Europa? Wir haben auf der einen Seite Volkswirtschaften, die nicht wettbewerbsfähig sind. Wir haben auf der anderen Seite Haushalte, die total überschuldet sind. Das sind die Ursachen. Meine Frage ist: Wie hilft ein Euro-Bond, an diesen beiden Ursachen etwas zu ändern? Der Euro-Bond hilft überhaupt nicht, die eigentlichen Probleme zu lösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das wäre ein Schmerzmittel, das die Schmerzen etwas linderte, aber die Probleme nicht löst; nebenbei nähmen die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die Überschuldung zu. Das heißt, wenn wir dieses Schmerzmittel nähmen, bekämen wir noch größere Probleme. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Ihr lauft doch ständig in größere Probleme hinein! Die Probleme werden doch nicht kleiner!) Lieber Herr Sarrazin, ja, die Väter des Euro haben gesagt: Wir wollen eine gemeinsame Währung. Sie haben aber gleichzeitig deutlich gesagt: Wir wollen keine gemeinsame Haftung. Das steht in den internationalen Vereinbarungen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und genau daran werden wir uns halten. Wir haften für das, was wir tun, weil wir es entscheiden; jeder, der -anderes entscheidet, muss für seine Entscheidungen einstehen und haften. Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Teilhaftungsgemeinschaft, aber keine Gesamthaftungsgemeinschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir haften schon für unsere Einlagen bei der EZB, oder?) Hier wird ja auch über Solidarität gesprochen. Ich möchte einmal fragen: Bedeutet Solidarität eigentlich, dass, wenn wir Euro-Bonds einfordern – was ja höhere Zinsen für uns und etwas niedrigere Zinsen für andere zur Folge hat –, in anderen Ländern Konsum gelebt wird, den der deutsche Steuerzahler, der Rentner, der Arbeitnehmer, der Sparer, bezahlen muss? Ist das Solidarität? Aus meiner Sicht nicht! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie doch Herrn Brüderle!) Das führte nämlich dazu, dass der deutsche Bürger, der kleine Mann, dazu verpflichtet wird, sozialistische Träumereien in anderen Ländern zu bezahlen, und das kann nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wahre Gesicht!) Herr Schneider hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Rechtslagen in Deutschland und Europa Euro-Bonds gegenwärtig nicht hergeben. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Das ist richtig, und das ist auch gut so. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Das hat nämlich etwas mit funktionierender Demokratie zu tun. Solange die Menschen in Deutschland überhaupt nicht abstimmen können in der Frage, was mit dem Geld in Europa geschieht, und solange sie keine Chance haben, über den Deutschen Bundestag oder ein anderes Parlament Einfluss darauf zu nehmen, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja keine Ahnung, Herr Meister!) so lange kann ich ihnen auch nicht zumuten, dass andere mit ihrem Geld irgendwelche Ausgaben tätigen. Entscheidung und Verantwortung gehören zusammen; deshalb sind die Rechtslage in Europa und die Rechtslage nach dem Grundgesetz sehr gut. Wir freuen uns darüber, dass dies das Bundesverfassungsgericht eindeutig bestätigt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie auch mal was zu dem, was die EZB macht!) Ich glaube, in dieser Debatte wäre es aktuell viel besser, nicht verantwortungslosem Umgang mit deutschem Geld das Wort zu reden, sondern über die notwendige Verantwortung zu sprechen. Die notwendige Verantwortung ist, dass wir uns gemeinsam zu Fiskaldisziplin verpflichten. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jawohl!) Das haben wir in Deutschland mit der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz gemeinschaftlich getan. Jetzt steht die verantwortliche Entscheidung an, den Fiskalpakt zu ratifizieren. Jeder, der an einer gemeinsamen Zukunft in Europa interessiert ist, sollte jetzt seinen konstruktiven Beitrag dazu leisten, den Fiskalpakt umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wer ein Interesse daran hat, dass dieses Europa funktioniert, und wer von Solidarität spricht, der sollte auf dem Fundament des Fiskalpakts auch zum ESM Ja sagen. Das ist die nächste Aufgabe, die ansteht, wenn dieses Europa funktionieren soll. Deshalb ist meine Bitte an Sie: Sagen Sie Ja zu dem, was auf der Agenda steht, und fordern Sie nicht Dinge, die in die falsche Richtung führen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würden wir nie tun!) Ein letztes Argument war die Isolation. Kann es denn sein, dass etwas Falsches dadurch, dass es viele wollen, plötzlich richtig wird? Ich bin der Meinung, wenn etwas falsch ist, dann ist es falsch. Das muss man dann auch sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Demokratie entscheidet aber schon die Mehrheit!) – Ja, es entscheidet die Mehrheit. Deshalb habe ich auch öffentlich den Vorschlag gemacht, niemanden in Europa daran zu hindern, Euro-Bonds einzuführen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Eben!) Wenn die Franzosen, die Italiener und andere sagen: „Wir wollen gemeinsame Anleihen ausgeben“, dann dürfen sie das gerne tun. Wir werden sie nicht daran hindern. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also nicht mehr mitmachen bei Europa?) Ich bin sehr auf das Ergebnis einer solchen Unternehmung gespannt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Meister. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Sozialdemokraten unsere Kollegin Nicolette Kressl. Bitte schön, Frau Kollegin Kressl. (Beifall bei der SPD) Nicolette Kressl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Meister, Sie haben gerade von der Verantwortung für Europa gesprochen. Ich finde, wer Verantwortung für Europa übernehmen will, hat hier nicht, innenpolitisch motiviert, mit Nebelkerzen zu werfen, sondern hat sich gefälligst mit den besten Möglichkeiten, wie wir die Euro-Zone stabilisieren, zu befassen. Das tun Sie hier nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Hellen Sie den Nebel auf, und sagen Sie, wofür Sie sind!) Ich will mit einem oft wiederholten Zitat des „Sozialisten“ Oettinger beginnen, Herr Meister, der gestern gesagt hat: Euro-Bonds sind eine Frage des Timings. Ich rate allen Beteiligten, sich nicht grundsätzlich dagegen zu positionieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So viel dazu, eine Debatte darüber seien sozialistische Blütenträume. Ich könnte noch weitere Zitate bringen. Auch der Titel dieser Aktuellen Stunde steht für das Werfen von Nebelkerzen. Herr Solms hat eben vom Ungeheuer von Loch Ness gesprochen, das es nicht gibt. Ich habe den Eindruck: Weil Sie innenpolitisch so viele Schwierigkeiten haben, haben Sie sich gedacht: „Suchen wir einmal das Ungeheuer im Teich“ und haben es mit diesem Thema gefunden. Das ist doch die Linie, die Sie in dieser Aktuellen Stunde vertreten. (Beifall bei der SPD) Um es klar zu sagen: Es gibt keinen Ruf der SPD nach völlig unkonditionierten Euro-Bonds und auch nicht nach Euro-Bonds im Moment. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie konditionieren ja schon wieder!) – Ich finde, Sie sind reichlich nervös. Das beweist, dass Sie mit dieser Aktuellen Stunde nichts anderes wollen, als von Ihren innenpolitischen Verdrehungen abzulenken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie es mich klar und deutlich sagen: Es ist richtig; es gibt äußerst enge verfassungsrechtliche Einschränkungen in der Frage der gemeinsamen Haftung. Diese gibt es auch im Europarecht. Ich finde, das ist in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist die Weigerung, sich gemeinsam Gedanken über bestmögliche Lösungen zu machen, wie wir die Euro-Zone stabilisieren können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Beweis dafür, dass Sie sich hier verweigern, ist, dass Sie die Vorschläge Ihres eigenen Sachverständigenrats ohne argumentative Debatte einfach zur Seite geschoben haben. Als führende Wirtschaftsnation in Europa sollten wir Verantwortung übernehmen und Leitideen auf den Weg bringen, anstatt sachlich gute Argumente, innenpolitisch motiviert, beiseitezuschieben. Das hat Europa nicht verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Womit Sie aufhören sollten, ist diese plumpe Ablehnungslinie, völlig verschweigend, dass bereits eine Gemeinschaftshaftung über den Ankauf von Staatsanleihen existiert, und zwar in einer Form, die es nicht einmal zulässt, über politische Konditionen zu reden. Das ist doch das Problem. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das entsteht, wenn man nicht bereit ist, sich fachlich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Wir haben es schon mehrfach gehört, aber es ist völlig klar: Diese Aktuelle Stunde ist ein Ablenkungsmanöver. Allerdings hat das Thema dieser Aktuellen Stunde einen kleinen Vorteil: (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sind Sie für oder gegen Euro-Bonds?) Ich kann mich auf diese Art und Weise verabschieden; denn dies wird meine letzte Rede im Bundestag sein. Bei allem Streit bedanke ich mich für die meistens gute Zusammenarbeit, die wir im finanzpolitischen Bereich im Bundestag hatten. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. Sie können sicher sein: Auch aus Baden-Württemberg werde ich immer schauen, was der Finanzausschuss so auf den Weg bringt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Nicolette Kressl. Auch wir wünschen Ihnen alles erdenklich Gute für die Zukunft. So, wie Sie zu uns in den Bundestag schauen, werden wir natürlich auch zu Ihnen und Ihrer neuen Aufgabe in Baden-Württemberg schauen. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit und im Namen des ganzen Hauses alles Gute und viel Erfolg bei der Arbeit für unser Land. (Beifall) Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Marco Buschmann. Bitte schön, Kollege Buschmann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marco Buschmann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kressl, auch ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand und viel Erfolg bei der neuen Aufgabe. Wenn man neue Aufgaben wahrnimmt, muss man viel dazulernen. Ich habe in dieser Aktuellen Stunde schon jetzt viel dazugelernt. Dafür hat sie sich gelohnt. Ich habe nämlich gelernt, dass sich die Grünen mit Stolz brüsten, die geistigen Urheber – ich könnte auch sagen: die geistigen Brandstifter – beim Euro-Bonds-Thema zu sein. Wer Euro-Bonds möchte, muss also Grün wählen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie was? Das übersetzen wir Ihrem Fraktionsvorsitzenden im EP! Das kriegt der Kollege Verhofstadt vorgelegt!) Ich habe auch etwas Bemerkenswertes über die Haltung der SPD-Fraktion gelernt. Der Kollege Carsten Schneider hat vorhin sehr schneidig und richtig gesagt: Mit unserer Verfassung ist das Konzept der Euro-Bonds nicht zu machen. Ich bin jetzt aber ein Stück weit verwirrt, weil die Kollegin Kressl genau diesen klaren und eindeutigen Satz sofort wieder aufgebohrt und gesagt hat: Vielleicht geht es jetzt aber doch. Wie immer in der Europapolitik der SPD gilt: Ob linksrum oder rechtsrum – man weiß nicht recht, wohin Sie gehen. So werden wir garantiert kein Vertrauen in Deutschland und die Euro-Zone zurückgewinnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber dem Kollegen Schneider glaube ich, weil er wahrscheinlich die bessere Einsicht gegenüber den Grünen hat. Ich glaube dem Kollegen Schneider, dass er gegen Euro-Bonds ist. Ich glaube, dass der Kollege Schneider verstanden hat, dass derjenige, der die Probleme, die sich aufgetürmt haben, mit Euro-Bonds bekämpfen will, auch mit Benzin Feuer löschen würde. Ich glaube, dass der Kollege Schneider das mittlerweile verstanden hat. Ich glaube auch, dass die Sozialdemokratie dieses Problem verstehen wird. Der Kollege Solms hat auf den Zinseffekt hingewiesen. Was bedeutet der Zinseffekt für die Kernbereiche sozialdemokratischer Politik? Der Zinseffekt wird bedeuten, dass die Zinsbelastung für Deutschland steigt. Wer dann trotzdem die Schuldenbremse unseres Grundgesetzes einhalten will – das kann man auf zweierlei Weise tun –, der muss entweder noch mehr sparen, als wir das tun, (Thomas Oppermann [SPD]: Ihr seid doch schuld! Ihr verdoppelt die Nettokreditaufnahme! – Joachim Poß [SPD]: Ihr erhöht die Schulden in diesem Jahr!) oder jegliches Wachstum durch zusätzliche Steuern abwürgen. Spätestens dann haben Sie Einnahmeausfälle und einen Spardruck auf den größten Einzeletat, nämlich den Sozialetat. Wie wollen Sie die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten, wenn Sie die Zinslasten systematisch erhöhen, ohne an den Sozialetat heranzugehen? Ich warne Neugierige in den Reihen der SPD: Wie wollen Sie Ihre Kernmarke bewahren und sozialdemokratische Politik machen? (Nicolette Kressl [SPD]: Aber Steuersenkungen könnt ihr schon machen?) Deshalb glaube ich Ihnen, dass es immer mehr Zweifler gibt. Deshalb glaube ich dem Kollegen Schneider, dass er mittlerweile gegen Euro-Bonds ist. Sie haben es nämlich verstanden. Auch die Grünen werden es noch verstehen. Sie haben nämlich viele kluge Kommunalpolitiker in Ihrer Partei. Ihre klugen Kommunalpolitiker wissen mittlerweile, dass dieser Zinseffekt nicht nur den Bund treffen wird, sondern auch die Kommunen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zur Krise! – Thomas Oppermann [SPD]: Gibt es denn auch kluge FDPler?) Reden Sie mit Ihren Kommunalpolitikern im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland darüber, wie dort Haushalte gemacht werden sollen, wenn sich das Zinsniveau um 2 oder 3 Prozentpunkte erhöht! So kann man keine Politik mehr machen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Europa bricht ausei-nander, und Sie erzählen hier einen vom Pferd!) Letztendlich bin ich auch ein Stück weit entsetzt, dass Sie sich trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die der Kollege Schneider völlig korrekt wiedergegeben hat, damit brüsten, das Bundesverfassungsgericht Lügen strafen zu wollen. Ich zitiere in Auszügen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011: Es ist insoweit auch dem Bundestag als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit ist dann ESM gemeint!) Wenn Sie die Entscheidung über die Schuldenlasten des deutschen Steuerzahlers den Trägern fremder hoheitlicher Gewalt überlassen wollen, wenn Sie die Frage, wofür der deutsche Steuerzahler haftet, den Parlamenten Spaniens, Italiens, Griechenlands oder wem auch immer überlassen wollen, dann verstoßen Sie gegen dieses Prinzip und dann verstoßen Sie auch gegen die Rechte des Deutschen Bundestages. Ich würde, wenn ich eine solche Position für richtig hielte, im Deutschen Bundestag die Backen nicht so weit aufblasen, stolz darauf zu sein, das Bundesverfassungsgericht Lügen strafen zu wollen. Das ist jedenfalls meine Auffassung von Rechtsstaatlichkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Buschmann. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter. Bitte schön. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa muss in diesen Monaten seine Hausaufgaben umfassend -machen. Ein umfassender Ansatz, wie ihn die Bundesregierung gegenüber unseren europäischen Partnern -vertritt, muss zuallererst auf nationaler Verantwortung, nationaler Politik und nationalen Mehrheiten beruhen. Unser europapolitischer Ansatz ist umfassend, weil er in den Mittelpunkt mehrere Politikfelder stellt, die nicht gegeneinander ausgespielt werden können, sondern im Zusammenhang betrachtet werden. Das erste Politikfeld ist die Haushaltskonsolidierung. Es verwundert mich schon, dass aufseiten der Sozial--demokratie sehr viel über neue Finanzierungsformen nachgedacht wird, aber weniger über die Senkung von Ausgaben und die Reduzierung von Defiziten. Im Kern der europapolitischen Debatte geht es darum, dass wir Fiskaldisziplin in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wollen. Deswegen ist es ein gutes Signal, dass 25 von 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Fiskalpakt unterzeichnet haben. Alle, die für Fiskaldisziplin hier in Deutschland sind, sollten für eine rasche -Ratifikation des Fiskalpakts im Bundestag und im Bundesrat sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das zweite Politikfeld ist die Steigerung der Wett--bewerbsfähigkeit, und das nicht erst seit wenigen Tagen. Wir Deutsche haben ganz gute Erfahrungen damit -gemacht. Das ist ein Teil der Politik, an den sich die So-zialdemokraten in diesem Haus nur ungern erinnern. Dass Deutschland, das einst als kranker Mann Europas bezeichnet wurde, nun ein Jobwunder erlebt, hat etwas damit zu tun, dass die Tarifvertragsparteien und die -deutsche Politik – Regierung und Opposition in weiten Teilen gemeinsam – unter dem Oberbegriff Agenda 2010 die nationalen Hausaufgaben erledigt haben. Unsere Aufforderung ist, dass auch die Staaten, die an einem Mangel an Wettbewerbsfähigkeit leiden, in nationaler Verantwortung Wettbewerbsstrategien entwickeln. Wir werden in den nächsten Jahren davon profitieren. Wir sind aber noch nicht am Reformende. Der zweite Politikbereich ist also eine nationale Strategie zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in allen Staaten Europas. Dazu rufen wir auf. Das ist unser politischer Beitrag zur europäischen Integration. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schließlich geht es um die Stabilisierung der Finanzmärkte. Wir haben darüber oft geredet. Ein Kernelement ist, dass wir Solidarität und Solidität miteinander in Verbindung bringen müssen. Die Bundesregierung steht zu einer solidarischen Absicherung von Risiken nicht nur im Inland, sondern auch im europäischen Kontext. Wir sind diejenigen, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern beispielsweise sagen: Wir haben gute Gründe, Solidarität mit Griechenland zu zeigen. Aber diese Solidarität bedarf einer Verhaltensänderung. – Solidarität bedarf Solidität. Beides muss zusammen gesehen werden. Das Konzept, über das wir heute unter dem Stichwort Euro-Bonds diskutieren, berücksichtigt nicht, dass eine gemeinschaftliche Haftung einen Fehlanreiz gibt, und führt nicht zu einer Politikänderung bei denjenigen, die von Euro-Bonds profitieren. Wer meint, niedrige Zinsen ohne Auflagen führten zu einer Änderung der Politik, der hat aus der Entwicklung in Griechenland in den letzten zehn Jahren überhaupt nichts gelernt. Zuerst Verhaltensänderung, dann Solidarität, das ist die klare Position der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe mit Interesse gehört, dass der Kollege Schneider erklärt hat, niemand in der SPD sei für Euro-Bonds. Das muss aber dann eine andere sozialdemokratische Partei sein als die, auf deren Homepage ich heute war. Unter der Überschrift „Direktkommunikation“ gibt es die Rubrik „Häufig gestellte Fragen zu Eurobonds und zu Rechtsextremismus“. Was das miteinander zu tun hat, will ich hier nicht weiter erörtern. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Auf die Frage „Warum ist die SPD für Eurobonds?“ wird die Antwort gegeben. Wir Sozialdemokraten sind der Überzeugung: Das „ewige Retten“ von finanziell unter Druck geratenen Staaten durch immer neue … Rettungspakete darf so nicht weitergehen. … Eurobonds könnten diese Abwärtsspirale beenden. Die Grundidee … ist, dass alle Euro-Staaten gemeinsame Staatsanleihen herausgeben und damit Euro-Staaten mit großen Finanzierungsproblemen eine Refinanzierung zu günstigeren Zinsen ermöglichen, weil alle Staaten gemeinsam für die Anleihen bürgen. Es ist schon interessant: Wir glauben dem Kollegen Schneider, dass er diesen Unsinn nicht will. Aber dann soll er bitte auf der Homepage seiner Partei der deutschen Bevölkerung nicht das Gegenteil von dem erklären, was er als Hauptredner der SPD in dieser Debatte für die SPD-Bundestagsfraktion erklärt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es in der Fraktionssitzung der SPD in dieser Woche offensichtlich dazu eine Debatte zwischen Herrn Müntefering und Herrn Gabriel gegeben hat. Herr Oppermann, Sie haben sich, wie ich lese, nicht nur die Krawatte gespart, sondern Sie haben sich auch eine eigene Meinung bewahrt, nämlich die, dass Sie gegen Euro-Bonds-Pläne der SPD sind. Nur: Wer mit so viel Verve die französischen Sozialisten unterstützt, die – so ist deren Wahrnehmung in Europa – die Welt mit Euro-Bonds verändern wollen, die weniger sparen und die an Verhaltensänderungen anderer Staaten, beispielsweise Griechenlands, nicht mehr so aktiv mitwirken wollen, wie es nach unserer Auffassung notwendig erscheint, der sollte den Deutschen auch sagen, dass das eine Rechnung zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist. Wenn Sie das wollen, dann sprechen Sie es klar und deutlich aus, so wie Herr Sarrazin es hier gemacht hat. Aber flüchten Sie nicht vor den Konsequenzen der Politik, die Sie auf Ihrer Homepage und in Ihrer Fraktion hoffentlich intensiv weiter diskutieren werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung freut sich, dass es auch in der SPD-Fraktion einige wenige gibt, die darauf hinweisen, dass man sich an das Grundgesetz halten muss, auch wenn sozialistische Parteitage in Europa anderer Auffassung waren. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der gemeinschaftlichen Übernahme von Schulden sind nicht nur nach dem EU-Vertrag, sondern auch nach den letzten Verfassungsgerichtsurteilen – ich empfehle die sorgfältige Lektüre – enge Grenzen gesetzt, die eine gemeinschaftliche Haftung durch Euro-Bonds ausschließen. Wenn der Kollege Schneider sagt, dann wolle er die Verfassung ändern, dann müssen wir klarstellen, dass die SPD zwar sagt, sie sei nicht für Euro-Bonds, aber sie sei für eine Verfassungsänderung ist, die die gemeinschaft-liche Schuldenübernahme zulasten des deutschen Steuerzahlers ohne Verhaltensänderung anderer Staaten möglich macht. (Thomas Oppermann [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf?) Wer gegen den Fiskalpakt ist, aber gleichzeitig das Grundgesetz ändern möchte, sodass eine gemeinschaft-liche Verschuldung möglich ist, wie Herr Kollege Schneider hier angekündigt hat, hat nicht nur die euro-päischen Interessen unscharf im Blick, sondern er hat auch die nationalen Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben im Augenblick eine schwierige Situation in Europa. Ich finde, wir müssen jetzt aufpassen, dass wir denjenigen, denen wir vieles abverlangen, beispielsweise den Griechen, jetzt nicht den Eindruck vermitteln, als würde Deutschland in dieser Debatte wieder auf den einfachen Weg zurückkehren. Staatsverschuldung ist nichts anderes als die geronnene politische Mutlosigkeit, in einem Land der Bevölkerung die notwendigen Politikwechsel zu erklären. Staatsverschuldung ist eine üble Last für die nachfolgende Generation. Wir müssen selbstkritisch über alle Fraktionsgrenzen hinweg sagen: Wir haben in den vergangenen Jahren gesündigt. Jetzt hat uns diese Krise eindrücklich vor Augen geführt, welche negativen Auswirkungen diese Politik hat, wenn das Vertrauen flöten geht, wenn ungeordnete Prozesse Politik und Parlament in eine Richtung drängen, in die sie sich ungern drängen lassen. Deswegen stehen wir jetzt an einer Weggabelung. Wir haben mit dem Fiskalvertrag die Chance, nicht nur in Deutschland die Schuldenbremse umzusetzen, sondern auch international Standards zu setzen. Dies ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir den Europäischen Stabilitätsmechanismus auch gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern tatsächlich begründen. Beides gehört zusammen. Wer wie die deutschen Sozialdemokraten hier auf Zeit spielt, wer eine Taktik zum Maßstab der Europapolitik macht, der versagt nicht nur vor der Herausforderung der Europapolitik, sondern auch gegenüber den nachfolgenden Generationen. Deswegen werbe ich für die Unterstützung der Politik der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Klaus Hagemann. Bitte schön, Kollege Klaus Hagemann. (Beifall bei der SPD) Klaus Hagemann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kampeter, Sie finden als Regierungsmitglied starke Worte. Ich sehe mir aber Ihre Taten zum Thema Nachtragshaushalt an, über den wir in wenigen Minuten im Haushaltsausschuss beraten. (Otto Fricke [FDP]: Ihr habt ihn doch gerade verhindert! Den habt ihr doch gerade gestoppt!) Lieber Kollege Kampeter, die Nettokreditaufnahme und die Neuverschuldung werden auf mehr als 35 Milliarden Euro verdoppelt, obwohl wir die höchsten Steuereinnahmen haben, die wir in dieser Republik je gehabt haben. (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?) Das ist der erste Punkt. Ein zweiter Punkt: Der Kollege Schneider hat nicht gefordert, das Grundgesetz zu ändern, sondern er hat gesagt: Wenn man Bonds einführen will, dann müsste man das Grundgesetz ändern. Das ist ein großer sprachlicher Unterschied. Darauf hat beispielsweise auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Professor Voßkuhle, hingewiesen. Ich habe bei dieser Debatte gut zugehört. Es scheint mir, dass sie so notwendig ist wie ein Kropf, denn es ging nur darum, hier einen Popanz aufzublasen, um von Schwierigkeiten in der Europapolitik abzulenken oder, wie ich mir auch vorstellen kann, Herr Buschmann und Herr Kampeter, von den Problemen, die Sie in der vergangenen Woche in NRW hatten. Das Thema der Debatte lautet: Euro-Bonds-Pläne der SPD. – Dazu ist aber wenig gesagt worden. Ich frage Sie: Welche Bonds meinen Sie? Meinen Sie die Merkel-Bonds, über die diskutiert wird? Meinen Sie die Bonds, die der Präsident der Kommission, Herr Barroso, der EVP-Mitglied ist, vorschlägt? Meinen Sie die Bonds, die Herr Rehn als Kommissionsmitglied vorschlägt? Auch er schlägt Euro-Bonds vor. Oder meinen Sie die Vorschläge von Jean-Claude Juncker, der auch ein christlich-demokratischer Politiker ist? Meinen Sie diese Bonds? Ich habe von Ihnen nichts dahin gehend gelernt, welche Bonds Sie meinen. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht sagen Sie, was Sie meinen!) Es wurde vom Kollegen Schneider auch auf die Entscheidung des Europäischen Parlaments hingewiesen. Dort wurde mit den Stimmen der Union und der Liberalen gefordert, Euro-Bonds einzuführen. Das wurde im Januar so beschlossen. Es gibt viele andere Vorschläge, die in diese Richtung gehen. Ein weiterer Punkt ist in der Debatte nicht klar geworden: Meinen Sie vielleicht Projekt-Bonds, über die man jetzt zur Finanzierung größerer europäischer Investitionen diskutiert? Dazu haben Sie nichts gesagt. Der -Kommissar Hahn aus Österreich hat in diesem Zusammenhang interessante Vorschläge zur Regionalpolitik gemacht. Es kam kein Wort von Ihnen darüber, wie man mit mehr Geld aus Europa, mit umgewidmetem Geld aus dem Europahaushalt, dringend notwendige Projekte -finanziert, um Wachstum zu generieren und Arbeitsplätze zu sichern. Dazu haben Sie nichts gesagt. Sie haben auch nichts darüber gesagt, dass man dies über die Europäische Investitionsbank finanziert. Sie haben dazu nichts gesagt, Sie haben sich nur aufgeregt. (Beifall bei der SPD) Herr Hahn hat darauf hingewiesen, die EU-Kommission habe bereits eine Liste mit 190 Projekten für Griechenland erstellt und man habe einige davon bereits umgesetzt oder eingeleitet. Man holt 11 Milliarden Euro heraus, um Maßnahmen in Griechenland zu finanzieren. Zu all dem haben Sie nichts gesagt. Wir sollten eher über die angeblichen Pläne der SPD zu Euro-Bonds reden. Wir sollten beispielsweise über das Gutachten der OECD reden. Gestern war zu lesen: Die OECD warnt vor einer schweren Rezession. Wo sind Ihre Konzepte, die Sie hierzu vorlegen wollen? Der frühere Chefökonom Stark sagt in einem Interview mit der Welt, schon seit Frühjahr 2010 habe man hier falsche Entscheidungen getroffen. Das hat Herr Stark gesagt; ein Mann, der Ihnen sicherlich nähersteht als mir. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft hat deutlich gemacht: Wenn die Länder zu hohe Einsparungen in kurzer Zeit stemmen müssen, bricht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Konjunktur ein. – Das ist richtig, das können wir in Spanien und in Griechenland beobachten. Meine Damen und Herren, wir sollten uns mit der Frage der Jugendarbeitslosigkeit näher beschäftigen und sie ernster nehmen; ich meine nicht die in unserem Land, obwohl wir auch sie im Blick haben sollten. Das wurde in der Diskussion im Haushaltsausschuss mit Herrn Weise von der Bundesagentur für Arbeit deutlich. In vielen Ländern gibt es eine galoppierende Jugendarbeits--losigkeit von 40, 50 oder 60 Prozent, und zwar nicht nur in Spanien, Griechenland oder Italien, sondern auch in der Slowakei. Wie ich gestern Abend gelernt habe, ist die Jugendarbeitslosigkeit auch in Luxemburg hoch: 18 Prozent. Viele junge Menschen in Europa werden in die Arbeitslosigkeit entlassen. Kann das unser Ziel sein? (Beifall bei der SPD) Bieten wir ihnen eine Zukunft? Nein! Gewinnen wir so junge Menschen für die Idee Europas? Nein! Der letzte Punkt, den ich noch ansprechen will: Im Januar 2012 hat die Bundesregierung auf europäischer Ebene, Kollege Kampeter, einen „Pakt für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum“ beschlossen. Im März habe ich mir einmal erlaubt, die mündliche Anfrage zu stellen, was vorgesehen sei und was umgesetzt werden soll. Die Antwort lautete – ich zitiere –: Der Bundesregierung liegen hierzu noch keine Informationen vor. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Das war die Antwort auf eine Frage zum Thema Pakt für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Das können wir so nicht hinnehmen. Wir sollten das achten, was der aus der Parteifamilie der Liberalen stammende britische Politiker Nick Clegg in einem Spiegel-Interview, das in dieser Woche erschienen ist, gesagt hat – ich darf das abschließend zitieren –: Wirtschaftliche Unsicherheit und politische Lähmung, das lehrt die Geschichte unseres Kontinents, sind der ideale Nährboden für Extremismus und Fremdenhass. Recht hat Herr Nick Clegg. Hier muss gehandelt werden, und es dürfen keine Scheindebatten geführt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Joachim Spatz. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Joachim Spatz (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade weil Nick Clegg recht hat, geht es um die wirklich besten Wege zur Lösung der Probleme, und es geht nicht um Scheindebatten. Ich habe in der heutigen Debatte etwas gelernt: Die Grünen sind eindeutig für Euro-Bonds, die Linken halten den Euro für gescheitert, und die SPD ist völlig unentschieden. Man hört doch aus jedem Wortbeitrag bei Ihnen, den Sozialdemokraten, das Bedauern heraus, dass das Grundgesetz diese Möglichkeit verbietet. Aus jeder Äußerung hört man das Bedauern, sie in dieser Verfassungslage nicht einführen zu können. Bekennen Sie sich doch zu dem, was Sie offensichtlich in aller Ehrlichkeit auf Ihrer Website verzeichnet haben! Angesichts dessen, Herr Kollege Schneider, ist diese Debatte nicht überflüssig. Sie hat deutlich gemacht: Hier, in diesem Deutschen Bundestag – egal was der eine oder andere Vertreter der Parteienfamilie woanders erzählt –, gibt es eine verlässliche Mehrheit gegen Euro-Bonds, und diese Mehrheit stellt Schwarz-Gelb. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Kollege Sarrazin, wir müssen uns doch erinnern: Wieso stehen wir denn hier und debattieren über diese europäische Herausforderung? (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir gar nicht! Wir reden über etwas anderes!) Weil die Finanzmärkte den alten Weg nicht mehr mitgegangen sind! Wir haben doch Rechnungen ohne den Wirt gemacht. Wir haben doch gedacht: Verschuldung ist gewissermaßen ein Naturrecht von Politik. Es gibt gewissermaßen die Erwartung, dass einem auf diesem Weg immer gefolgt wird. Die Märkte haben uns die Aufgabe gestellt, in die Gegenrichtung zu gehen. Da gilt der alte Satz: Schulden machen unfrei. Wir alle haben schmerzlich und nicht aus besserer Einsicht gelernt, dass der Weg des immer neuen Schuldenmachens schlicht nicht funktioniert. Wenn Sie Euro-Bonds als Lösungsansatz sehen, dann kann ich nur sagen: Beim Eintritt, gerade der Hellenischen Republik, in den Euro waren die Zinsabweichungen nahe null. Was ist passiert? Die griechische Nation hat den Vorschusskredit der Finanzmärkte offensichtlich nicht im Sinne einer an Gemeinsamkeit orientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik genutzt. Wollen Sie, dass es wieder so kommt, dann allerdings ohne Ausstiegsoption? Das ist doch überhaupt keine Lösung. Das heißt, Zinssozialismus ist wie weiße Salbe und nicht die Lösung der Probleme. So einfach ist das. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der einzige Weg, zu den bestmöglichen Lösungen zu kommen, Frau Kressl, ist erst einmal eine schonungslose Analyse. (Nicolette Kressl [SPD]: Die Analyse der Staatsanleihen fänden wir auch nicht schlecht!) Wer sich dem verweigert, wird die richtigen Lösungen nicht finden. Jetzt komme ich auf das Thema – es wird oft angesprochen – EZB-Anleihen-Aufkauf. Meine Damen und Herren, das mag als Notmaßnahme – als Notmaß-nahme! – mal hinzunehmen sein, aber Sie wollen aus dem Wahnsinn ja noch Methode machen, und das kann nicht funktionieren. Es muss dabei bleiben, dass diese Art von Maßnahmen Notmaßnahmen sind. Sie haben den Kollegen Brüderle zitiert. Dazu kann ich nur betonen: Der sagt auch nichts anderes als die Kanzlerin, (Lachen der Abg. Nicolette Kressl [SPD]) nämlich dass am Ende eines langen Weges, (Nicolette Kressl [SPD]: Euro-Bonds stehen können!) am Ende eines ganz langen Weges der Harmonisierung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitiken und bei solider Finanzierung, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fiskalpakt zum Beispiel!) dieses gemeinsame Instrument eingeführt werden kann. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Nur, da braucht man es nicht mehr. Herr Kollege, wenn wir so weit sind, dann brauchen wir es nicht mehr; wir werden das erleben. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denken Sie an den Fiskalpakt! Der soll in drei Wochen da sein!) Wenn der Fiskalpakt von allen Verantwortlichen hier in diesem Hause beschlossen wird und nach Jahren der Wirkung die Konvergenz der Politiken stattgefunden haben wird, wird keiner mehr nach Euro-Bonds rufen; denn dann sind die Spreads, die Zinsabweichungen, bei null, und dann braucht das keiner mehr. Für diese Politik der Solidität, bei der man über ein solches Instrument als Schlussstein nachdenken kann oder auch nicht, verbunden mit Solidarität und Wachstumsimpulsen, werben wir nachhaltig. Zum Thema Wachstumsimpulse. Herr Kollege Hagemann, ich verstehe gar nicht, dass Sie die Stellungnahme des Deutschen Bundestages zum mehrjährigen Finanzrahmen nicht kennen. Sie ist am 1. Dezember auf Vorschlag der Koalition verabschiedet worden. Darin stehen genau die neuen Schwerpunktsetzungen für den Haushalt, eben auch zulasten alter Schwerpunkte. Ich kann nur alle aufrufen, bei der Umgestaltung so viel Mut zu haben, wie wir das jetzt anderen Staaten abverlangen. Wenn wir so vorgehen, dann gibt es, verbunden mit der Finanzierung durch die Europäische Union, Möglichkeiten, Wachstumsstimulierung zu betreiben. Da kann ich nur jeden aufrufen, mitzumachen. Das ist der Weg von Solidarität, Solidität und Wachstumsimpulsen. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Frank Steffel. Bitte schön, Kollege Dr. Frank Steffel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass es Kollegen bei der FDP gibt, die heute etwas gelernt haben. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann Ihnen nicht passieren, nicht?) Ich muss für mich bekennen: Ich hatte gehofft, dass ich irgendein Argument für Euro-Bonds höre, auch von Ihnen, Herr Sarrazin. Sie haben sich bemüht, den Eindruck zu erwecken – das mag politisch geschickt sein –: Es gibt da einige abweichende Stimmen bei FDP und CDU/CSU, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Im -Europaparlament! Das ist völlig legitim! Aber hier ist der Bundestag!) die vielleicht unter gewissen Bedingungen irgendwann einmal sagen könnten, Euro-Bonds könnten ein Weg sein. Ich will Ihnen in aller Sachlichkeit sagen: Die Herausforderungen, vor denen Europa steht, sind so schwierig, dass es auch bei uns zu bestimmten Themen in der Tat sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Richtig ist: Man hat manchmal den Eindruck, die Brüsseler Lust vernebele einige Dinge, die wir hier im Bundestag sehr klar und präzise sehen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Helsinki! Luxemburg!) Nur – um das ganz klar zu sagen –: Hier im Deutschen Bundestag gibt es nach meiner Kenntnis weder in der Fraktion von CDU/CSU noch bei den Kolleginnen und Kollegen der FDP eine wirklich ernsthafte Stimme, die sagt, dass der Weg aus der heutigen Krise die Einführung von Euro-Bonds in Europa wäre, so wie Sie alle drei uns das seit zwei Jahren hier vortragen. Das ist die ganz klare Position. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn man hier als fünfter oder sechster Redner zu einem Thema spricht, muss man sich überlegen: Was könnte es Neues geben? Eben waren hier einige junge Menschen, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht in Ihren Reihen!) Schulklassen, die verpflichtet wurden, sich unsere Argumentation anzuhören, oder vielleicht sogar freiwillig aus Interesse hier waren. Jetzt stelle ich mir die Frage: Was haben die eigentlich eben gelernt? Die haben gelernt, dass die Linkspartei wieder von der PDS redet, aber immer noch die Positionen vertritt, die ich seit 20 Jahren kenne. Sie haben gelernt, dass Sie, Herr Sarrazin, der Meinung sind – ob das die Position der Grünen insgesamt ist, weiß ich nicht –, Euro-Bonds seien der richtige Weg für Europa. Bei den Sozialdemokraten gibt es offensichtlich einen Sinneswandel. Darüber freue ich mich, Herr Schneider, Frau Kressl. Das wundert mich übrigens nicht, weil ich Sie beide als sehr kompetente Kollegen kennengelernt habe. Es tut doch Deutschland gut, wenn in dieser Frage auch die große Sozialdemokratische Partei Deutschlands zur Vernunft kommt und mit uns gemeinsam die wichtigen europapolitischen Weichenstellungen für die nächsten Jahre vornimmt. (Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt müsst bloß noch ihr zur Vernunft kommen!) Es ist ein guter Tag, wenn Sie hier im Bundestag bereit sind, uns auf dem Weg der Vernunft für Europa zu folgen; das will ich ausdrücklich positiv unterstreichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Ich habe kein Argument für Euro-Bonds gehört. Deswegen bemühe ich mich, den Schülerinnen und Schülern und den Menschen einmal zu erklären, was die Konsequenzen sind. Meine Damen und Herren, ich mache es ganz einfach: Der eine hat eine schlechte Bonität und zahlt 10 Prozent Zinsen, der andere hat eine gute Bonität und zahlt 2 Prozent Zinsen. Nun nimmt jeder 100 Euro, und sie nehmen gemeinsam einen Kredit auf. Was ist die Konsequenz? Vermuten könnte man, sie zahlen im Durchschnitt 6 Prozent Zinsen. Jetzt werden Sie sagen: Nein, der mit der guten Bonität reißt das raus; deshalb zahlen sie nur 5 oder 4 Prozent Zinsen. Gemeinsam – das ist ja Ihre Argumentation – zahlen sie also möglicherweise weniger Zinsen, als wenn jeder für sich einen Kredit aufnehmen würde. Aber dazu gibt es eine klare Untersuchung für Deutschland: Deutschland würde mit einer hohen Wahrscheinlichkeit 2 bis 2,5 Prozent mehr Zinsen bezahlen als heute. Das bedeutet – wir haben alle einmal den Dreisatz gelernt, und wir kennen die Schuldenlast von Bund, Ländern und Gemeinden – für die Bundesrepublik Deutschland, dass wir roundabout 50 Milliarden Euro mehr Zinsen pro Jahr zahlen müssten, wenn der durchschnittliche Zins für deutsche Staatsanleihen durch die Vergemeinschaftung in Europa um 2 Prozent stiege. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass die Tribünen inzwischen leer sind!) Wie wollen Sie mit 50 Milliarden Euro mehr Zinslast jemals die Schuldenbremse einhalten? Damit können Sie 5 000 oder 6 000 Schulen bauen, und zwar jedes Jahr. Ich könnte als Berliner ein bisschen locker sagen: Davon kann man 15 Flughäfen bauen, pro Jahr. Aber wir – besser gesagt: der Aufsichtsratsvorsitzende – haben in den letzten zehn Jahren nicht einmal einen geschafft. (Joachim Spatz [FDP]: Nein, ihr schafft es nicht!) Aber nichtsdestotrotz ist die entscheidende Frage: Wo liegt ein denkbarer Nutzen der Euro-Bonds? Eines ist klar: Beim deutschen Steuerzahler, bei den Schülerinnen und Schülern, die eben auf der Tribüne saßen, liegt der Nutzen definitiv nicht. Herr Kollege von der Linksfraktion, Sie haben gesagt, wir müssten den Schwachen in Europa helfen. Damit meinten Sie insbesondere die schwachen Staaten, nehme ich an. Ich sage Ihnen eines: Mit Euro-Bonds mögen Sie schwachen Staaten in Europa helfen; aber die Zeche für Euro-Bonds zahlen die wirtschaftlich Schwachen in Deutschland. Den Banken und den Wohlhabenden sind die Schulden von morgen völlig egal. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Zeche zahlen Rentnerinnen und Rentner, Hartz-IV-Bezieher, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das wird es mit CDU und CSU weder heute noch in den nächsten Jahren geben; denn das sind die Menschen, die in Deutschland die Steuern bezahlen, mit denen wir in Europa helfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Frank Steffel. Lieber Herr Kollege Dr. Steffel, es sind nicht nur die hier anwesenden Schülerinnen und Schüler, die die Debatte verfolgen. Die Debatte wird von Phoenix übertragen, und sie wird zunehmend auch im Internet verfolgt. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Von -Millionen!) Auch dort sind die Beiträge also aufmerksam verfolgt worden. Nächster Redner ist Kollege Dr. Georg Nüßlein für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber sachlich, bitte!) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst freue ich mich, dass Kollege Carsten Schneider klar gesagt hat, dass er keine Euro-Bonds will. (Joachim Spatz [FDP]: Wenigstens einer, Gott sei Dank!) Ich hoffe, dass das eine tiefere Erkenntnis ist, die auf den Zusammenhängen beruht, die heute hier ausführlich diskutiert wurden, und nicht nur der Tatsache geschuldet ist, dass die verfassungsrechtliche Problematik so klar ist wie selten. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Ich gestehe Ihnen, Herr Schneider, zu, dass Sie sehr genau wissen, dass die gesamtschuldnerische Haftung, die sich ergebende gemeinsame Bonität, die gemeinsamen Zinsen am Ende, so wie gerade vom Kollegen Steffel anschaulich erläutert, dazu führen, dass ein disziplinierendes Element der Märkte, nämlich höhere Zinsen für diejenigen, die mehr Geld ausgeben und höhere Schulden machen, wegfällt und das der Anreiz für ein Weiter-so und für noch mehr Schulden wäre. Nun gebe ich zu, dass es auf den allerersten Blick so aussieht, dass durch die Euro-Bonds mehr Vertrauen in die Märkte kommt, weil jeder gesamtschuldnerisch in vollem Umfang haftet; deshalb muss der Markt im ersten Moment zufrieden sein. Aber es geht ja weiter: Wenn die Schulden so wachsen, wie es damit programmiert ist, dann wird irgendwann der Moment kommen, in dem das Vertrauen in die Märkte wieder zurückgeht, weil man sich nicht vorstellen kann, dass alles bedient wird. Dann haben Sie keine Möglichkeit mehr, irgendetwas zu machen. Denn letztendlich haben Sie dann alles aus der Hand gegeben, ohne Gegenleistungen zu fordern. Wie wollen Sie, wenn Sie alles aus der Hand gegeben haben, die dann noch einfordern? Die Diskussionen, die wir momentan nicht nur in Griechenland erleben, zeigen, wie schmerzlich es auf der einen Seite ist, auf den Pfad der Tugend zurückzukommen, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zum Konzept des Sachverständigenrats!) und wie dringend notwendig es auf der anderen Seite ist, das einzufordern und zu erzwingen; denn freiwillig wird dieser Schritt nicht vollzogen. Dass das Schuldenmachen dann wieder weitergeht, ist so offenkundig wie selten; denn die Diskussion über die Frage, wie man weitere Schulden finanzieren und wieder Wirtschaftsprogramme auflegen könnte, ist seit der Wahl Hollandes so virulent wie nie zuvor. Ich möchte deshalb auf das hinweisen, was jetzt in der Presse steht – das ist nämlich wichtig –: Franz Müntefering, ein Mitglied der SPD-Fraktion, hat gesagt, wir sollten nicht zu sehr die Nähe zu Hollande suchen, nicht zu sehr dessen Weg mitgehen, nicht zu sehr darauf setzen, dass es an dieser Stelle richtig ist, neue Schulden aufzunehmen, um Wirtschaftsprogramme aufzulegen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Guter Mann, der Müntefering!) Es ist doch offenkundig, dass diejenigen, die am meisten Geld ausgegeben haben, die die größten Haushalte und die höchsten Schulden haben, nicht die bestlaufende Wirtschaft haben. Das Gegenteil ist doch der Fall. Diese Vorgehensweise hat uns erst in die jetzigen Schwierigkeiten gebracht. Man tut so, als ob nur die eine Hälfte des Keynesianismus reichen würde, also Ausgeben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, während das Sparen in guten Zeiten unterbleiben könnte. In Demokratien sollte man mit diesem Thema kritischer umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich gehöre der Enquete-Kommission an, die sich mit dem Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigt. Ich finde es interessant, wie viele Politiker auf der linken und der grünen Seite dieses Hauses wachstumsskeptisch sind. Sie sagen: Man muss Wachstum begrenzen; das darf nicht mehr steigen usw. – Wenn es um die europäische Schuldenkrise geht, sagen dieselben Politiker: Jetzt brauchen wir schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie passt denn so etwas zusammen? Das ist doch unglaublich. Ich wünsche mir, dass wir sachlich über die Fragen diskutieren, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie Ursache und Wirkung zusammenhängen und was man letztlich tun kann, um Europa konjunkturell voranzubringen. Wir Deutschen hätten hier viel zu bieten. Was bei uns im Bereich der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes stattgefunden hat, ist beispielhaft. Dies könnte manches Problem der europäischen Partner lösen. Auch die Frage, wie die Rentenpolitik gestaltet wird, muss beantwortet werden. Sie können doch nicht verlangen, dass die Deutschen mit 67 Jahren in Rente gehen und gleichzeitig diejenigen mitfinanzieren sollen, die mit 60 Jahren oder früher in Rente gehen wollen. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer denn? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann es letztendlich nicht sein. Auch das Thema Jugendarbeitslosigkeit, das vorhin angesprochen wurde, muss man von einer anderen Seite angehen. Hier hilft kein Strohfeuer, da hilft kein Konjunkturprogramm. Hier hilft nur die Einführung einer dualen Ausbildung, so wie wir sie in Deutschland vorbildlich haben. Bildungspolitisch ist dies nämlich ein Alleinstellungsmerkmal unserer deutschen Wirtschaft. Ich empfehle dringend, über diese Themen zu reden. Das macht aus meiner Sicht mehr Sinn. Wir könnten auch darüber reden, wieso die Verwaltungen anderswo nicht funktionieren. Dann geht es nämlich gar nicht mehr darum, einfach nur mehr Steuern einzunehmen, sondern darum, sie überhaupt erst einmal einzunehmen. Abschließend: Mich ärgert es maßgeblich, dass beispielsweise Irland über Jahrzehnte Steuerzahler mit niedrigen Steuersätzen von uns abgeworben hat, man jetzt aber daherkommt und fordert, den Haushalt Irlands auszugleichen. Das muss man abstellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Konservative Regierung war das! Ihre Kollegen!) Darum sollten wir uns alle gemeinsam und insbesondere auch die Kommission kümmern. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Nüßlein. – Letzte Rednerin unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Bettina Kudla. Bitte schön, Frau Kollegin Bettina Kudla. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bettina Kudla (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich als letzte Rednerin dieser Debatte die wesentlichen Punkte zusammenfassen. Was sind Euro-Bonds? Euro-Bonds sind die Sozialisierung von nationalen Schulden und Risiken auf europäischer Ebene. Die Forderung, Euro-Bonds einzuführen, verwundert. Sie ist verantwortungslos. Sie zeigt auch, dass SPD und Grüne aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus wessen Fehlern? Aus euren? – Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Im Übrigen wurden mehrfach die unterschiedlichen Blickwinkel einzelner Abgeordneter der gleichen Partei aus dem Europäischen Parlament und aus dem Deutschen Bundestag angesprochen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die unterschiedlichen Parlamente die Dinge auch aus einem unterschiedlichen Blickwinkel betrachten. Insofern ist das nicht das zentrale Problem. Herr Hagemann, Sie hatten nachgefragt, warum unsere Redner nichts zu Projektbonds gesagt haben. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen: In dieser Debatte geht es um die Staatsschuldenfinanzierung. Der Vorschlag lautet, Staatsschulden mit Euro-Bonds zu -finanzieren. Das ist von Projektbonds zu unterscheiden; Projektbonds sind etwas ganz anderes. Hierbei handelt es sich um Finanzinstrumente, mit denen die EU Investitionen finanzieren kann. Dabei geht es um öffentliche und private Partnerschaften. In erster Linie geht es um Investitionen, die gegebenenfalls mit Hilfe von Projektbonds finanziert werden sollen. Man sollte die Menschen nicht verunsichern, indem man alles durcheinanderwirft. Mehrfach wurde heute nach der Position der SPD gefragt. In Vorbereitung meiner Rede habe ich mir die Internetseite der SPD angesehen. Unter der Rubrik „Aktuelles“ definieren Sie genau, was Euro-Bonds sind – ich zitiere –: Damit der Druck der Märkte erhalten bleibt und Staaten nicht, wie in der Vergangenheit, Konsum und Verschuldung über extrem niedrige Zinsen finanzieren, dürfen Euro-Bonds nur einen Teil der Verschuldung refinanzieren. Das zeigt: Sie relativieren Ihren Vorschlag zwar, aber Sie machen ihn dennoch. SPD und Grüne möchten generell und für die Zukunft deutsches Steuergeld für die Schulden anderer ausgeben, und dies völlig bedingungslos. (Thomas Oppermann [SPD]: Falsch zitiert! Ich überprüfe das gerade! – Zurufe der Abg. Joachim Poß [SPD] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie möchten die Marktsignale, die von Zinsspreads ausgehen, abschaffen. Zins ist die einzige automatische Sanktion des Finanzmarktes, die es gibt. Zins ist Risikoprämie. Wer einen niedrigen Zins zahlen will, der muss seine Bonität verbessern. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Finanzmarkt ist dazu da?) Der Mechanismus des Zinses ist ein Anreiz für gutes Wirtschaften. Setzt man diesen quasi natürlichen Mechanismus außer Kraft, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was hat die EZB gemacht?) tritt eine Störung im Wirtschaftssystem ein. Das sind Grundlagen der Betriebs- und der Volkswirtschaft. Diese Grundlagen scheinen Ihnen offenbar nicht mehr in Er-innerung zu sein. (Nicolette Kressl [SPD]: Und was ist mit den Staatsanleihen? – Klaus Hagemann [SPD]: Das ist ja Okkultismus!) Das zeigte Ihre Rede, Frau Kressl. Sie machen keinen Unterschied zwischen gesamtschuldnerischer Haftung und anteiliger Haftung. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung, Frau Kudla!) Ihre Argumentation lautet: Weil wir mit den Rettungsschirmen schon Risiken eingegangen sind, sollten wir doch gleich noch weitere Risiken eingehen, (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie einmal richtig wiedergeben könnten, was unsere Modelle sind!) indem wir gesamtschuldnerisch haften. Das ist eine abenteuerliche Argumentation. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Rede ist abenteuerlich!) Man kann nicht neue Finanzierungsinstrumente vorschlagen, wenn die notwendigen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Gerade das Beispiel Griechenland zeigt doch, welche fatalen Folgen eine solche Fehlentscheidung haben kann. SPD und Grüne senden mit dieser Forderung auch verheerende Signale an die europäischen Partner. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die europäischen Partner wollen doch Euro-Bonds!) Dabei scheinen Sie den Bürger völlig vergessen zu haben. Mit welchem Recht fordern Sie, dass die Bürger für Schulden anderer Länder haften sollen? (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir doch jetzt schon!) Mit welchem Recht? (Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie doch beschlossen! – Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie doch beschlossen! Rettungsschirme ohne Ende!) – Hören Sie bitte zu. – Sie regen sich auf, wenn Familien mit dem Betreuungsgeld zusätzliches Geld bekommen sollen. Gleichzeitig schlagen Sie vor, dass Bund, Länder und Kommunen höhere Zinsen im zweistelligen Milliardenbereich zahlen sollen. (Nicolette Kressl [SPD]: Was? – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?) Das ist völlig verrückt. Euro-Bonds bekämpfen nicht die Ursachen der Krise. Die Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas würde geschwächt. Euro-Bonds sind keine Lösung; denn Euro-Bonds ignorieren die Kernprobleme und sind daher abzulehnen. Vizepräsident Eduard Oswald: Das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen. Bettina Kudla (CDU/CSU): Handeln Sie im Interesse der Menschen, denen Sie verpflichtet sind, nämlich im Interesse unserer eigenen Bevölkerung! Arbeiten Sie mit an der Umsetzung des Fiskalpakts, und lassen Sie die Hände weg von Scheinlösungen, die Deutschland massiv schädigen könnten! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. Die Aktuelle Stunde ist hiermit beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Mai 2012, 9 Uhr, ein und freue mich darauf, Sie alle begrüßen zu können. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.10 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ahrendt, Christian FDP 23.05.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 23.05.2012 Becker, Dirk SPD 23.05.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 23.05.2012 Gabriel, Sigmar SPD 23.05.2012 Glos, Michael CDU/CSU 23.05.2012 Groschek, Michael SPD 23.05.2012 Hagedorn, Bettina SPD 23.05.2012 Henke, Rudolf CDU/CSU 23.05.2012 Kipping, Katja DIE LINKE 23.05.2012 Lay, Caren Nicole DIE LINKE 23.05.2012 Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.05.2012 Nahles, Andrea SPD 23.05.2012 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.05.2012 Nietan, Dietmar SPD 23.05.2012 Dr. von Notz, Konstantin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23.05.2012 Rix, Sönke SPD 23.05.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 23.05.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 23.05.2012 Thönnes, Franz SPD 23.05.2012 Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Carssten Sieling (SPD) (Drucksache 17/9677, Frage 4): Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den vom Aufsichtsrat der Commerzbank AG beschlossenen Gehaltserhöhungen für den Vorstand der Commerzbank AG, und wie wurde die Bundesregierung über entsprechende Pläne des Aufsichtsrates informiert und beteiligt? Die vom Finanzmarktstabilisierungsfonds eingegangenen Beteiligungen an Kreditinstituten dienen der Stabilisierung des Finanzmarktes. Die Bundesregierung hat stets betont, dass sie nicht auf das Geschäft stabilisierter Banken Einfluss nimmt. Das Bundesministerium der Finanzen kann daher auch keine Auskünfte und Stellungnahmen zu unternehmensinternen Entscheidungen dieser Institute, zum Beispiel der Commerzbank AG geben. Auch zu Inhalten der Tätigkeit von Aufsichtsräten kann die Bundesregierung nicht Stellung beziehen. Die durch das Restrukturierungsgesetz neu in das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz, FMStFG, eingefügte Vorschrift des § 10 Abs. 2 b FMStFG zur Begrenzung der Vorstandvergütungen wurde im Dezember 2010 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Diese beinhaltet auch die Öffnungsklausel, nach der Begrenzung bei mehr als hälftiger Rückführung der Stabilisierungsleistungen entfällt. Der Wegfall der Vergütungsbegrenzung war dabei vom Gesetzgeber ausdrücklich als Anreiz für eine zügige Rückführung der staatlichen Hilfen vorgesehen. Die Commerzbank AG im Frühjahr 2011 11,52 Milliarden Euro der ihr gewährten Rekapitalisierung von 18,2 Milliarden Euro zurückgezahlt. Die Entscheidungen des Aufsichtsrats stehen insoweit im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Die Gestaltung des Vergütungssystems für Geschäftsleiter von Unternehmen wird gemäß den gesetzlichen Vorgaben jährlich veröffentlicht, bei der Commerzbank AG im sogenannten Vergütungsbericht, und ist somit für jedermann einsehbar. Die aktuelle Struktur des Vergütungssystems für die Mitglieder des Vorstands (auch die regulär vereinbarte Festvergütung von 750 000 Euro) wurde im Geschäftsbericht für das Jahr 2010 im März 2011 veröffentlicht mit dem Hinweis auf die mögliche gesetzliche Kappungsgrenze. Soweit Beschäftigte der Bundesregierung – im Rahmen des rechtlich zulässigen Auskünfte von Gremienvertretern entgegennehmen, haben sie nach § 395 Ak-tiengesetz Stillschweigen zu bewahren und dürfen keine Auskünfte erteilen. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Carsten Sieling (SPD) (Drucksache 17/9677, Frage 5): Wird sich die Bundesregierung auf dem EU-Sondergipfel am 23. Mai 2012 für die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionsteuer einsetzen, und mit welchen inhaltlichen Vorstellungen geht die Bundesregierung an die Arbeiten der informellen Arbeitsgruppe, die bis Sommer 2012 einen Alternativansatz zur stufenweisen Einführung der Finanztrans-aktionsteuer erarbeiten soll? Deutschland setzt sich weiterhin auf jeder Ebene für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer in der EU-27 ein. Die informelle Arbeitsgruppe wurde auf Initiative Deutschlands eingerichtet. In dieser informellen Arbeitsgruppe wird die Einführung einer Finanztransaktionsteuer mit Zwischenschritten diskutiert. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Axel Troost (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 9): Welcher früheste Stichtag nach dem im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommen mit der Schweiz kann vor dem derzeit geplanten 1. Januar 2013 als relevanter Stichtag für die Bemessungsgrundlage der Einmalzahlung herangezogen werden, und auf welches Datum fällt der Tag der politischen Einigkeit hinsichtlich offener Steuerfragen mit der Schweiz? Die relevanten Stichtage sind im deutsch-schweizerischen Steuerabkommen in Art. 2 Buchstabe j festgelegt. Für die Bemessungsgrundlage der Einmalzahlung ist grundsätzlich als Stichtag der 31. Dezember 2010 gewählt worden, um eine manipulationssichere Bemessungsgrundlage sicherzustellen. Die Heranziehung anderer Stichtage ist nach dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen nicht möglich. Die politische Einigung findet ihren Ausdruck in der Fassung des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens, die den gesetzgebenden Körperschaften in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt ist. Dies ist das Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Richard Pitterle (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 10): Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass nach dem im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommen mit der Schweiz durch eine Schenkung von Vermögenswerten vor dem 1. Januar 2013 der Zuwendungsgeber sich der Nachversteuerung entziehen kann und somit im Ergebnis keine Möglichkeit für die deutschen Behörden besteht, entsprechende Vermögenswerte einer Nachversteuerung zu unterwerfen, und nach welchen Rechtsgrundlagen definiert sich die Ansässigkeit einer natürlichen Person gemäß Art. 2 Buchstabe h des Schweizer Steuer--abkommens? Gehen die gesamten Vermögenswerte nach dem Stichtag 2 (31. Dezember 2010) im Wege der Schenkung an eine andere Person über und beendet der Schenker die Geschäftsbeziehung zur schweizerischen Zahlstelle, können die Vermögenswerte nach dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen nicht nachversteuert werden. Beendet der Schenker hingegen nicht die Geschäftsbeziehung zur schweizerischen Zahlstelle, muss er allerdings den am Stichtag 2 (31. Dezember 2010) vorhandenen Betrag nachversteuern. Dies ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Anhang I des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens. Sofern keine Nachversteuerung erfolgt, unterliegen die Vermögenswerte weiterhin der deutschen Besteuerung und der deutschen Strafverfolgung. Sie können im Wege eines erweiterten Auskunftsersuchens nach Art. 32 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens oder im Wege einer Mitteilung im Erbschaftsfall nach Art. 31 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens entdeckt werden. Die Ansässigkeit einer natürlichen Person definiert sich nach Art. 3 des deutsch-schweizerischen Steuer--abkommens. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Richard Pitterle (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 11): Wie können nach Art. 7 Abs. 6 des im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommens mit der Schweiz Vermögenswerte identifiziert werden, die indirekt aus der Bundesrepublik Deutschland abgeflossen sind, und wie wird der hinsichtlich dieser Vermögenswerte erhobene Anteil der Einmalzahlung – bezogen auf den Gesamtbetrag der Einmalzahlung – rechnerisch ermittelt? Art. 7 Abs. 6 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens regelt, dass Vermögenswerte, die direkt oder indirekt aus der Bundesrepublik Deutschland in die Schweiz zwischen Stichtag 2 und dem Inkrafttreten fließen, nicht nachversteuert werden können. Die schweizerischen Zahlstellen haben im Rahmen ihrer Möglich-keiten damit die Pflicht, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass in diesen Fällen auch keine Nachversteuerung stattfindet. Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass gleichwohl eine Nachversteuerung erfolgt ist, ist diese rechtlich wirkungslos. Die -gezahlten Beträge gelten dann als Einkommensteuer-vorauszahlung für den Veranlagungszeitraum 2013. Im Übrigen gelten die allgemeinen Sorgfaltspflichten sowie die geldwäscherechtlichen Vorschriften. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) (Drucksache 17/9677, Frage 16): Für wie belastbar und verlässlich hält die Bundesregierung die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung angesichts der bestehenden Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere für die Jahre 2014 bis 2016? Die aktuelle Steuerschätzung erfolgte – wie üblich – im Arbeitskreis „Steuerschätzungen“, der als unabhängiges Expertengremium im Konsens die Steuereinnahmen für den gesamten Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung auf Basis des geltenden Steuerrechts prognostiziert. Die Steuerschätzer legten – wie üblich – die -aktuelle gesamtwirtschaftliche Projektion der Bundesregierung zugrunde, die zuletzt im April im Arbeitskreis „Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzungen“ unter Einschluss der Bundesressorts, der Deutschen Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes abschließend diskutiert und verabschiedet wurde. Grundsätzlich handelt es sich bei gesamtwirtschaftlichen Projektionen um Erwartungen, die von Annahmen zu nationalen und internationalen Rahmenbedingungen abhängen. Insofern sind alle Projektionen – auch diejenigen anderer nationaler und internationaler Institutionen – naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet. Die Frühjahrsprojektion der Bundesregierung, die aktuell den Zeitraum 2012 bis 2016 umfasst, ist als sehr vorsichtig einzustufen und trägt insofern bestehenden Risiken Rechnung. Die Erwartungen zum Wirtschaftswachstum liegen für den gesamten Vorausschätzungszeitraum deutlich unter denjenigen der führenden -Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer jüngsten Gemeinschaftsdiagnose. Während die Bundesregierung für den Zeitraum 2014 bis 2016 eine reale Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von 1,5 Prozent pro Jahr erwartet, gehen die Institute von einem um 0,5 Prozentpunkte höheren Prognosewert aus. Noch mehr liegen die Einschätzungen in nominaler Rechnung auseinander, die für die Steuerschätzung besonders relevant ist. So erwarten die Institute ein nominales Wirtschaftswachstum von 3,8 Prozent pro Jahr, während die Bundesregierung ein solches von 3,0 Prozent pro Jahr projiziert. Dies macht deutlich, dass in der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung im Vergleich zu anderen Prognosen mehr Chancen einer günstigeren als Risiken einer ungünstigeren Entwicklung bestehen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) (Drucksache 17/9677, Frage 17): Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen eine Kapitalanlagegesellschaft die Rücknahme von Anteilen an Immobilien-Sondervermögen gemäß § 81 des Investment--gesetzes ausgesetzt hat, auch wenn die Bankguthaben und die Erlöse aus dem Anlagevermögen angesichts des – zum Zeitpunkt der Schließung des Fonds – geringen Volumens an Mittelabflüssen zur Zahlung des Rücknahmepreises ausreichten? Nein, der Bundesregierung sind keine Fälle bekannt, in denen Immobilien-Sondervermögen die Rücknahme der Anteile ausgesetzt haben, obwohl sie über ausreichend Liquidität verfügt haben. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Katrin Kunert (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 20): Werden bezüglich der Personen, die an der von den Jobcentern durchgeführten freiwilligen Befragung zur Erhebung der Daten zu Merkmalen des Migrationshintergrundes ausdrücklich nicht teilnehmen wollen, dennoch Daten, die den jeweiligen Jobcentern bereits bekannt sind – zum Beispiel Staatsangehörigkeit –, an die Statistik der Bundesagentur für Arbeit übermittelt und, wenn ja, weshalb bzw. nach welcher Rechtsgrundlage, oder sind für Nichtteilnehmer tatsächlich keine Angaben zu übermitteln? Die Erhebung der Merkmale des Migrationshintergrundes ist getrennt von anderen Daten zu sehen, die in den Verwaltungsverfahren der Jobcenter erhoben werden. Das Merkmal Migrationshintergrund ist datenschutzrechtlich besonders geschützt und wird daher auf freiwilliger Basis erfasst. Im Gegensatz dazu werden alle Daten, die für die Leistungserbringung des Jobcenters erforderlich sind, im Zuge der Fallbearbeitung nach § 51 b Zweites Buch So-zialgesetzbuch, SGB II, von den Mitarbeitern der Jobcenter bei den betroffenen Personen erhoben. Dazu gehört nach der Verordnung zur Erhebung von Daten nach § 51 b SGB II unter anderem auch die Staatsangehörigkeit. Diese Daten, die im Verwaltungsverfahren ohnehin anfallen, werden standardmäßig von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur Erstellung von Statistiken verarbeitet. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 21): Wie hat sich der Abschluss von Altersteilzeitvereinbarungen gegenüber dem Stand 1. Januar 2009 seit dem 1. Januar 2010 bis heute entwickelt, und welche Art der Vereinbarungen ist gegen Insolvenzen der Arbeitgeber abgesichert? Nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit, BA, zur Altersteilzeit (Berichtsmonat Dezember 2011, veröffentlicht auf der Homepage der BA) lag die Zahl der Altersteilzeitförderfälle im Januar 2009 bei 95 833. Seitdem ist der Bestand der Altersteilzeitförderfälle kontinuierlich gesunken und betrug im Januar 2010 noch 92 341 und im Dezember 2011 noch 85 791. Auch der Gesamtbestand aller Altersteilzeitfälle (von der Bundesagentur für Arbeit geförderte und nicht geförderte -Altersteilzeit) ist von 2009 mit 681 362 auf 2010 mit 585 363 gesunken. Aktuellere Daten zum Gesamt--bestand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in -Altersteilzeit liegen wegen der mit den Erhebungen verbundenen Wartezeit derzeit nicht vor. Soweit nach den gegen Insolvenz gesicherten Vereinbarungen gefragt ist, gilt Folgendes: Der Arbeitgeber ist nach § 8 a Altersteilzeitgesetz bei Vereinbarung von -Altersteilzeit im Blockmodell zur geeigneten Insolvenzsicherung von Wertguthaben verpflichtet. Es muss ein geeigneter, das heißt insolvenzfester Sicherungsweg vereinbart werden. Um eine flexible und im Einzelfall passende Sicherung des Wertguthabens zu ermöglichen, steht es den Vertragsparteien frei, welche Art der Insolvenzsicherung sie wählen. Das Gesetz schließt jedoch bilanzielle Rückstellungen und konzerninterne Einstandvereinbarungen als ungeeignete Sicherungsmaßnahmen aus. In der -Praxis gelten als geeignete Insolvenzsicherungsmodelle beispielsweise treuhänderisch geführte Anlagemodelle, schuldrechtliche Verpfändungs- oder Bürgschafts- sowie Versicherungsmodelle. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 22): Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die tariflichen Grundlagen der seit dem 1. Januar 2010 abgeschlossenen Altersteilzeitvereinbarungen, und wie gliedern diese sich auf in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst? Im Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales sind derzeit rund 1 550 Altersteilzeittarifverträge registriert. Nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit, BA, zur Altersteilzeit (Berichtsmonat Dezember 2011, veröffentlicht auf der Homepage der BA) kann eine Unterscheidung nur nach Wirtschaftsabteilungen (WZ 2008) und für die von der BA geförderten Fälle vorgenommen werden. Der Bestand an Altersteilzeitförderfällen betrug im Dezember 2011 danach insgesamt 85 791 Personen; davon entfielen auf die Wirtschafts-abteilung 84 (Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, -Sozialversicherungen) 12 457 Personen. Die genaue Abgrenzung der Wirtschaftsabteilung kann der entsprechenden Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes zur Klassifikation der Wirtschaftszweige entnommen werden. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/9677, Frage 23): Sieht die Bundesregierung angesichts der Erfahrungen durch das Insolvenzverfahren der Firma Schlecker die Notwendigkeit, die gegenwärtigen Anforderungen an die Insolvenzsicherungspflicht für die in der Aktivphase erworbenen Wertguthaben nach § 8 a des Altersteilzeitgesetzes, die dazu führen, dass in der Freistellungsphase nur 50 Prozent des Entgelts insolvenzgesichert sind, nicht aber auch die Aufstockungsbeträge zu ändern, und wie bewertet die Bundesregierung die Situation, dass das sozialversicherungsrechtliche Altersteilzeitarbeitsverhältnis endet, wenn keine Aufstockungsbeträge oder zusätzlichen Rentenversicherungsbeiträge durch den Insolvenzverwalter gezahlt werden, sodass ein „Störfall“ vorliegt (vergleiche das Rundschreiben von GKV-Spitzenverband, Deutsche Rentenversicherung Bund und Bundesagentur für Arbeit vom 2. November 2010)? Die Insolvenzsicherungspflicht umfasst das bereits in der Arbeitsphase durch die Vorarbeit erarbeitete Wertguthaben. Ansprüche auf zukünftig zu zahlende Aufstockungsbeträge sind nicht erfasst, da die Insolvenzsicherung primär der Absicherung des erarbeiteten Wertguthabens und der Beitragsschuld dient. Es steht den Tarifvertragsparteien jedoch frei, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Tarifvertrag weitergehende Rechte einzuräumen. Weitergehende Rechte können auch auf betrieblicher Ebene durch Betriebsvereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat oder auf einzelvertraglicher Ebene direkt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden. Die Insolvenzsicherung ist auch für den Fall, dass im Blockmodell der Altersteilzeit der geschilderte Störfall eintritt, in § 8 a Altersteilzeitgesetz eingeführt worden. Auch im Störfall ist sichergestellt, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das in der Arbeitsphase der Altersteilzeit erarbeitete Wertguthaben erhalten bleibt und keine Beitragsschuld gegenüber den Sozialversicherungsträgern entsteht. In ihrem gemeinsamen Rundschreiben haben GKV-Spitzenverband, Deutsche Rentenversicherung Bund und Bundesagentur für Arbeit dies klargestellt. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/9677, Frage 24): Zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung anlässlich der Ressortabstimmung über den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegten Referententwurf eines Gesetzes zur Anerkennung der Lebensleistung in der Rentenversicherung gelangt, und plant die Bundesregierung, Ideen aus dem von einer Arbeitsgruppe der CSU entwickelten Alternativkonzept, das die „Zuschussrente“ verwirft, da es „als Einstieg in den Ausstieg aus der leistungsbezogenen Rente abzulehnen“ sei (Zitat nach Passauer Neue Presse vom 11. Mai 2011), und stattdessen Zeiten der Kindererziehung und Pflege besser bewerten möchte, in eine Umsetzung einzubeziehen? Die Ressortabstimmung zum Referentenentwurf ist noch nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse der Prüfung der sich aus der Abstimmung ergebenden Anregungen und Vorschläge werden in den Regierungsentwurf einfließen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Fragen 26 und 27): Wie bewertet die Bundesregierung die deutlichen Hinweise – zum Beispiel gibt es eine Schätzung, derzufolge im Jahr 2008 in Deutschland an den Kirrstellen insgesamt circa 125 000 Tonnen Mais bzw. 12,5 Kilogramm Mais pro Kilogramm dort erlegtem Wildbret ausgebracht wurden, massive Beschwerden von Schäfereien über Schwarzwildschäden auf Grünland infolge von durch Kirrungen angelocktes Schwarzwild, regelmäßige Berichte über große Mengen an Mais, die an Kirrstellen in Tonnen gelagert werden –, dass die Kirrung in einem so großen Maße zu regelmäßiger Wildtierfütterung genutzt bzw. missbraucht wird, dass die bei den Kirrmaßnahmen insgesamt ausgebrachten Energiemengen erheblich zu den stetig steigenden Populationsdichten beim Schwarzwild und damit zu den steigenden Schwarzwildschäden in der Landwirtschaft beitragen, und welche Maßnahmen sind aus Sicht der Bundesregierung dagegen zu ergreifen? Welche jagdrechtlichen Schlussfolgerungen sind aus dem hohen Ausmaß an zur Wildtierfütterung missbrauchter Kirrung aus Sicht der Bundesregierung zu ziehen, und wie -bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang -konkret die Forderung nach einer Beschränkung von Kirrmaßnahmen in Bezug auf Häufigkeit, Menge, Art des Futtermittels und Art der Kirreinrichtungen, wie es zum Beispiel die Länder Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umgesetzt haben, die Forderung nach effizienter Kontrolle und Sanktionierung von Zuwiderhandlungen sowie nach einem Kirrverbot für den Fall, dass sich erweist, dass diese Beschränkungen aufgrund kaum möglicher effektiver Kontrollen nicht die nötige Wirkung erzielen? Zu Frage 26: Der Bundesregierung sind Schätzungen bekannt, dass große Mengen Mais zu Kirrzwecken in Jagdbezirken ausgebracht werden. Abgesicherte Zahlen liegen ihr allerdings nicht vor. Die stark gestiegenen Schwarzwildbestände können jedoch nicht ohne Weiteres auf die Kirrungen zurückgeführt werden. Gestiegener Anbau von Mais und anderen Energiepflanzen, regelmäßigere Masten bei Buche und Eiche sowie durch mildere Winter geringere Sterblichkeit bei Frischlingen, aber auch frühere Geschlechtsreife bei Überläuferbachen sind wesentliche Faktoren, die zu einer Zunahme der Schwarzwildbestände führen. Eine erfolgreiche Senkung der Schwarzwildbestände ist nur möglich, wenn Grundbesitzer, Landbewirtschafter und Jagdausübungsberechtigte Lösungen absprechen und miteinander umsetzen. Die Bundesregierung fördert daher den Dialog zwischen Grundeigentümern, Landbewirtschaftern und Jagdausübungsberechtigten und ermuntert diese zu gemeinsamen Aktionen. Dem diente unter anderem ein vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gefördertes Modellvorhaben zur Bejagung von Schwarzwild in großen Maisschlägen, das gemeinsam vom Deutschen Bauernverband, Deutschen Jagdschutzverband und dem Bundesverband der Jagd-genossenschaften und Eigenjagdbesitzer durchgeführt wurde. Die Ergebnisse des Modellvorhabens sind in einem Leitfaden für Landwirte und Jäger veröffentlicht worden. Zu Frage 27: Die für diese Fragen zuständigen Bundesländer haben durchweg Regelungen zu Fütterung und Kirrung von Wild erlassen und es obliegt ihnen auch, ihre Vorgaben in Bezug auf das Ausbringen von Mais zu Kirrzwecken zu evaluieren. Ihnen obliegen gleichermaßen die Kontrolle und gegebenenfalls die Sanktionierung von Verstößen gegen diese Regelungen. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen des Abgeordneten Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Fragen 28 und 29): Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den Möglichkeiten für die Verhängung nationaler Anbauverbote für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei – auch im Hinblick auf das deutsche Anbauverbot für den gentechnisch veränderten Mais MON810 –, und inwieweit wird sich die Bundesregierung für entsprechende Vorschläge von Kommission oder Ratspräsidentschaft einsetzen? Inwieweit wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die in der Entschließung des Europaparlaments vom 6. Juli 2011 festgehaltenen Vorschläge zum Vorschlag der Kommission bezüglich nationaler Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen – einschließlich der aus Sicht des Europäischen Parlaments notwendigen Verbesserungen der Zulassungsverfahren – in den abschließenden Ratsverhandlungen auch umgesetzt werden? Zu Frage 28: Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen, wirft ebenso wie der Kompromissvorschlag der dänischen EU-Präsidentschaft Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf den EU-Binnenmarkt und die Regeln der WTO. Zudem stellt er einen Rückschritt in Richtung Renationalisierung dar. Die Bundesregierung lehnt daher den Vorschlag ab. Zu Frage 29: Die Bundesregierung lehnt den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit. Den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen und damit auch die hierzu gefasste Entschließung des Europäischen Parlament ab, Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 30): Wie ist die Familienbetreuungsorganisation für die Betreuung der Familien von Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz personell ausgestattet, und wie ist das Verhältnis von hauptamtlichem Personal, dessen Schwerpunkt die Familienbetreuung darstellt, zur Anzahl der betreuten Familien? Unter fachlicher Führung des Leit-Familienbetreuungszentrums beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr sind 31 Familienbetreuungszentren so disloziert, dass die Angehörigen der Soldatinnen und -Soldaten innerhalb einer Stunde Fahrzeit zu einem Familienbetreuungszentrum gelangen können. Ein Familienbetreuungszentrum verfügt als hauptamtliches Personal über fünf Dienstposten, das Kontinuität, Qualität und Professionalität der Betreuungsarbeit gewährleistet. Die Familienbetreuungszentren werden durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unterstützt. Die hauptamtliche Familienbetreuungsorganisation mit ihren Familienbetreuungszentren wird durch die zeitlich befristete Einrichtung von Familienbetreuungsstellen ergänzt und verdichtet. Diese werden durch die kontingentstellenden Truppenteile in den Standorten mit nebenamtlichem Personal für die Dauer des Einsatzes aufgestellt und fachlich einem Familienbetreuungszen-trum zugeordnet. Da die Familienbetreuungsorganisation dem Regionalprinzip folgt, ist das Verhältnis von hauptamtlichem Personal und der Anzahl der zu betreuenden Familienangehörigen maßgeblich vom Wohnort der Familien bestimmt. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 31): Geht die zur kindergerechten Vermittlung der Tätigkeiten von Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz entwickelte Figur „Karl, der Bärenreporter“ auf die Rolle von Soldatinnen im Einsatz ein, und inwiefern ist es nach Ansicht des Bundesministeriums der Verteidigung notwendig, dass auch Soldatinnen ihren Kindern ihre Tätigkeit im Einsatzland mithilfe der zur Verfügung gestellten Hilfsmittel vermitteln können? Die Kinderbücher „Karl, der Bärenreporter, geht in den Einsatz“ sowie „Karl, der Bärenreporter, bei der Marine“ wurden entwickelt, um auf kindgerechte Weise Fragen des Auslandseinsatzes zu transportieren sowie Kinder und Eltern zu dieser Thematik ins Gespräch zu bringen. Sie stehen sowohl Soldatinnen als auch Soldaten als Hilfsmittel zur Verfügung, ihren Kindern ihre Tätigkeit im Einsatz zu vermitteln. Ziel ist es, auch den Kleinsten eine Vorstellung von der Arbeitswelt ihrer Mütter und Väter zu geben. Die Kinderbücher wurden unter Mitwirkung weiblicher Psychologen erstellt. Die Tätigkeiten von Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz unterscheiden sich verwendungsbezogen grundsätzlich nicht voneinander. Die Kinderbücher gehen daher auf unterschiedliche Verwendungen und -Lebensumstände im Einsatz ein, jedoch nicht auf geschlechterspezifische Aspekte. Es wird dafür Sorge -getragen werden, dass bei nächster Gelegenheit der wichtige Beitrag von Soldatinnen in solchen Medien auch deutlicher einbezogen wird. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 32): Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wann die vom bayerischen Staatsminister für Umwelt und Gesundheit, Dr. Marcel Huber, in einem Schreiben vom 15. Mai 2012 zur „Gebietskulisse Windkraft als Umweltplanungshilfe für -Kommunen“ angekündigten Erleichterungen in der Frage von militärischen Tiefflügen und die in diesem Zusammenhang geplante Anpassung der Nachttiefflugsysteme, wodurch eine -Anhebung der Höhe von Bauwerken bis zu einer Höhe von 213 Metern über Grund – vorbehaltlich sonstiger militärischer Belange – ermöglicht wird, rechtskräftig werden und ob sich diese nur auf Bayern oder auf das ganze Bundesgebiet beziehen? Wo immer möglich unterstützt die Bundeswehr die Förderung regenerativer Energien und sucht nach Kompromissen, um die Genehmigungsverfahren für den Bau von Windenergieanlagen zu erleichtern. Diese Unterstützung hat sich jedoch am verfassungsmäßigen Auftrag der Streitkräfte zu orientieren. Sie darf nicht dazu -führen, dass die Streitkräfte im Einsatz und in der Ausbildung übermäßig eingeschränkt werden. Im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der -Bundeswehr wurde auch das Nachttiefflugsystem in Deutschland untersucht. In einem ersten Schritt konnte die Bundeswehr im bestehenden Nachttiefflugsystem bereits zahlreiche Streckenabschnitte identifizieren, unter denen Bauhöhen von Windenergieanlagen bis zu einer maximalen Höhe von 213 Metern über Grund zulässig sind. Eine dementsprechende Information erfolgte bundeswehrintern an die zuständigen Verwaltungen und über die Bund-Länder-Initiative an die Bundesländer. Auf Grund der Standortentscheidungen und der künftigen Luftfahrzeugflotten- und Fähigkeitsentwicklungen konnte nunmehr eine bedarfsabhängige Anhebung der Untergrenze des Nachttiefflugsystems um rund 100 Meter ermöglicht werden. Diese Anhebung ist ohne signifikante Einschränkungen für die militärische Aufgabenwahrnehmung mit sofortiger Wirkung gültig. Mit der Entscheidung der Anhebung der Untergrenze des Nachttiefflugsystems leistet die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der Windenergie. Damit entfallen bundesweit nahezu sämtliche Bauhöhen--beschränkungen für Windenergieanlagen aufgrund des Nachttiefflugsystems. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen des Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme (SPD) (Drucksache 17/9677, Fragen 33 und 34): Ist es im Rahmen der Regelungen des Bundesfreiwilligendienstes von der Bundesregierung beabsichtigt, dass Wohlfahrtsverbände in ihrer Funktion als Zentralstellen gegenüber den ihnen zugewiesenen Einsatzstellen Verwaltungsgebühren für die Zuweisung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Bundesfreiwilligendienst verlangen, welche zwischen den Verbänden variieren, und wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, dass die Zentralstellen auf dieser Grundlage zusätzliche Einkünfte erwirtschaften? Wie beurteilt die Bundesregierung die damit einher-gehende Gefahr einer Zweiklassengesellschaft im Bundesfreiwilligendienst zwischen Vereinen und Verbänden, welche die Bearbeitungsgebühren für die Beschäftigung von Dienst--leistenden aufbringen können, und solchen, die die notwendige Finanzkraft nicht besitzen, und wie beabsichtigt die Bundesregierung hier gleichwertige Ausgangsbedingungen für alle Vereine und Verbände zu schaffen? Zu Frage 33: Der Bundesfreiwilligendienst bietet den Einsatzstellen einen großen Handlungsspielraum. Nach § 6 Abs. 5 BFDG haben die Einsatzstellen deshalb auch die Möglichkeit der Aufgabenübertragung. So wird keine Einsatzstelle einer Zentralstelle „zugewiesen“, wie es in der Frage heißt, sondern jede Einsatzstelle ordnet sich nach eigenem Ermessen von sich aus einer Zentralstelle zu. Wenn eine Einsatzstelle von der Möglichkeit Gebrauch macht, Aufgaben zu übertragen und zum Beispiel eine Zentralstelle mit der Erfüllung eigener Aufgaben, die sie nicht selbst erledigen möchte, beauftragt, so ist es durchaus angemessen und allgemein üblich, dass dafür eine Gebühr zu zahlen ist. Aus Sicht der Bundesregierung handelt es sich dabei um eine innerverbandliche Angelegenheit, in die sie sich – auch mit Blick auf die von den Verbänden immer wieder und vehement eingeforderte Unabhängigkeit der Wohlfahrtsverbände und der Zivilgesellschaft – nicht einmischt und auch nicht einmischen will. Zu Frage 34: Da die Einsatzstellen diese Aufgaben selbst erledigen können, besteht für diejenigen Einsatzstellen, die dafür keine Gebühren bezahlen wollen oder können, die Möglichkeit der Kostensteuerung, indem sie die Aufgabe selbst übernehmen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die jahrzehntelange – und im Übrigen nie kritisierte – Praxis im FSJ, wonach Zentralstellen sich von den Trägern im Rahmen des Förderverfahrens Verwaltungskosten per Umlage erstatten lassen und diese je nach Zentralstelle unterschiedlich hoch sind. Die Erfahrung aus dem FSJ zeigt, dass dieses Vor--gehen die Vielfalt von Trägern und Einsatzstellen nicht behindert. Vielmehr wird das FSJ in der Praxis gestärkt, da über den Zentralstellenverbund beispielsweise ein Ausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Trägern und Einsatzstellen erfolgen kann. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 35): Auf welche Zahlen beruft sich die Bundesregierung mit ihrer Aussage, „es fehlen noch 130 000 Krippenplätze“ (vergleiche Die Welt vom 16. Mai 2012), um das Ausbauziel von 750 000 Plätzen bis August 2013 zu erreichen, wo doch die aktuellste Kinder- und Jugendhilfestatistik zu Kindern und tätigen Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege vom Statistischen Bundesamt vom November 2011 mit dem Stichtag 1. März 2011 stammt, und wie viele unter Dreijährige werden nach Erkenntnis der Bundesregierung derzeit in Tageseinrichtungen oder in öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut (bitte aufgelistet nach Ländern)? Im März 2011 befanden sich nach der amtlichen Statistik 517 000 Kinder unter drei Jahren bundesweit in Tagesbetreuung. Die Anzahl der im vergangenen Jahr nach dieser Statistik geschaffenen Betreuungsplätze für Kinder in den ersten drei Lebensjahren werden erst mit der neuen Kinder- und Jugendhilfestatistik des Statistischen Bundesamts im Herbst 2012 vorliegen. Nach einer Abfrage bei den Ländern, ergibt sich, dass nach Aussagen der Länder und entsprechend ihrer eigenen Erhebungsmethoden in diesem Zeitraum rund 100 000 Plätze geschaffen wurden. Berücksichtigt man diese Entwicklung des letzten Jahres, ergibt sich bis zu den 750 000 Plätzen noch eine Differenz von rund 130 000. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 36): Wie viele Finanzmittel plant die Bundesregierung für die Realisierung des angekündigten Zehn-Punkte-Programms für den Kitaausbau, zusätzlich zu dem Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ und der Umverteilung der Umsatzsteuerpunkte, für die kommenden Jahre als Ausgaben in den Bundeshaushalt einzustellen? Bundesministerin Schröder erarbeitet derzeit ein Zehn-Punkte-Programm um den weiteren Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kinder in den ersten drei Lebensjahren zu befördern. In diesem Kontext finden derzeit Gespräche innerhalb der Bundesregierung statt. Weitere Angaben können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gemacht werden. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 37): Wie viele Anträge auf Anerkennung als Conterganopfer sowie auch auf Neubewertung der Schadenseingruppierung sind seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes bei der Stiftung eingegangen, und wie viele wurden positiv oder negativ entschieden? Neuanträge seit 1. Juli 2009: Anzahl Anträge: 564 Entscheidungen: 386 Positiv: 61 Negativ: 322 Rücknahmen: 3 Anträge auf Neubewertung der Schadenseingruppierung seit 1. Juli 2009: Anzahl: 362 Entscheidungen: 229 Positiv: 143 Negativ: 85 Rücknahme: 1 Anlage 23 Antwort der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 38): Was hat die Bundesregierung – auch mit Blick auf das Schreiben des Staatssekretärs im Bundesministerium für Gesundheit, Dr. Klaus Theo Schröder, vom 15. Mai 2008 an die Spitzenverbände der Krankenkassen – in den letzten zwei Jahren unternommen, um die medizinische Versorgung der Contergangeschädigten inklusive der Bereitstellung und Kostenübernahme von Hilfs- und Heilmitteln spürbar zu verbessern? Die Bundesregierung nimmt die medizinische Versorgungssituation von contergangeschädigten Menschen sehr ernst. Entsprechend des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 22. Januar 2009 zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP „Angemessene und zukunftsorientierte Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“ (Bundestagsdrucksache 16/11223) setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Erschwernisse bei der Gewährung von Leistungen in den Bereichen Gesundheit/Pflege/Assistenz/Mobilität zu beseitigen und dabei die besonderen Belange von Contergangeschädigten in die Entscheidungen mit einfließen zu lassen. Mit dem von Ihnen genannten Schreiben vom 15. Mai 2008 hat der damalige Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Dr. Klaus Theo Schröder, Defizite bei der Rechtsanwendung im Bezug auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung angesprochen. Das Bundesministerium für Gesundheit hat seinerzeit die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, den Gemeinsamen Bundesausschuss sowie die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu gemeinsamen Fachgesprächen eingeladen, um die Problemlage fachlich aufzubereiten und nach Lösungen zu suchen, wie die Versorgung der Betroffenen verbessert werden kann. In den Gesprächen haben sich die Beteiligten seinerzeit auf konkrete Hinweise zur Verordnung und Bewilligung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung verständigt. Danach muss unter Ausnutzung der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten insbesondere auch den unterschiedlichen medizinischen Bedarfen der Contergangeschädigten Rechnung getragen werden. Dies gilt insbesondere für die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, die Übernahme von Fahrtkosten sowie die notwendigen Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen. Um die Versorgungssituation der Betroffenen zu verbessern, sind die Verordnungsmöglichkeiten und Ausnahmetatbestände auszuschöpfen und Genehmigungen – so weit möglich – zügig und unbürokratisch zu erteilen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die mit dem Schreiben vom 15. Mai 2008 beigefügten Hinweise zur Verordnung und Bewilligung von bedarfsgerechten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung von den Krankenkassen bei der Erfüllung ihres Versorgungsauftrages beachtet werden. Auch in den letzten zwei Jahren hat die Bundesregierung konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht, die contergangeschädigten Menschen zugutekommen. Dies betrifft insbesondere das GKV-Versorgungstrukturgesetz, das am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist. So weit in der Frage konkret die Heilmittelversorgung angesprochen wird: Mit dem Versorgungsstrukturgesetz wurde Versicherten, die langfristig Heilmittel benötigen, die Möglichkeit eingeräumt, sich die erforderlichen Heilmittel für einen geeigneten Zeitraum von ihrer Krankenkasse genehmigen zu lassen. Mit der gesetzlichen -Neuregelung wurde eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss in der Heilmittel-Richtlinie getroffene Regelung aufgegriffen und weiterentwickelt. Insbesondere unterliegen die entsprechenden Verordnungen nicht mehr den Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Auch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist für die Belange contergangeschädigter Menschen von großer Bedeutung. In Deutschland wird die UN-Behindertenrechtskonvention durch den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung vom 15. Juni 2011 umgesetzt. Darin ist beispielsweise vorgesehen, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern ein Programm „Barrierefreie Arztpraxen“ initiiert mit dem Ziel, die Anzahl barrierefreier Praxen in den nächsten zehn Jahren zu erhöhen. Auch das geplante Patientenrechtegesetz, das am 1. Januar 2013 in Kraft treten soll, wird contergangeschädigten Menschen zugutekommen. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung soll das Gesetz die Rechtspositionen der Versicherten stärken. Geplant ist beispielsweise, dass die Versicherten sich bei nicht rechtzeitiger Entscheidung ihrer Krankenkasse Leistungen selbst beschaffen können. Um die gesetzliche Krankenversicherung für die Problematik der Versorgung contergangeschädigter Menschen zu sensibilisieren, hat sich der Vorstand der Conterganstiftung mit einem Schreiben vom 24. Januar 2012 an die Vorstände der Krankenkassenverbände und an die Kassenärztliche Bundesvereinigung gewandt. Darüber hinaus fand am 16. Mai 2012 ein Gespräch zwischen dem Vorstand der Conterganstiftung und dem Staats--sekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Herrn Thomas Ilka, statt. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Fragen 39 und 40): Bis wann und nach welchen Kriterien werden voraussichtlich die Pilotstrecken für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, LuFV, Straße bzw. die entsprechende Alternative (vergleiche Antwort der Bundesregierung auf meine mündliche Frage 89, Plenarprotokoll 17/177, Anlage 59) benannt? Wie wird sichergestellt, dass die Kriterien im Rahmen dieser Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern vergleichbar und überprüfbar sind? Mögliche Dokumentationskriterien und Zielvereinbarungen befinden sich erst in der Entwicklung. Alle Bundesländer haben Vorschläge für Pilotstrecken gemeldet, an denen Vorschläge für die Dokumentation von Erhaltungsmaßnahmen sowie für mögliche Zielvereinbarungen erarbeitet werden sollen. Am 9. Mai 2012 wurden in einer ersten Dienstbesprechung mit Vertretern der Länder die Thematik auf Arbeitsebene erörtert. Es wurde vereinbart, dass bis Ende Mai vonseiten des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ein Katalog mit Vorschlägen bzw. Kriterien für eine einheitliche Darstellung der Erhaltungsmaßnahmen an den Pilotstrecken den Auftragsverwaltungen zur Verfügung gestellt wird. Auf Basis dieses Katalogs werden die Länder mit der Dokumentation ihrer Pilotstrecken beginnen bzw. ihre Streckenauswahl überprüfen und gegebenenfalls geeignetere Projekte auswählen. Bis spätestens Sommer 2012 werden alle Pilotstrecken dann endgültig benannt sein. Die Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit herzustellen und abzusichern ist ein wesentliches Ziel der Entwicklung und Erprobung geeigneter Kriterien anhand der Pilotstrecken. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 44): Trifft es zu, dass es durch die geplante Vergabe einer dritten Lizenz für die Bodendienste am neuen Flughafen Berlin Brandenburg, wie die Gewerkschaft Verdi befürchtet, zu einer Unterbietung der mit den bisherigen beiden Betreibern tarifvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen und Löhne kommen kann, und ist es das Ziel der Bundesregierung, als Anteilseigner der Betreibergesellschaft des Flughafens Berlin Brandenburg eine solche Ausschreibung zum Lohndumping zu verhindern (bitte begründen)? Für den ausgebauten Verkehrsflughafen BER ist eine dritte Lizenz für die Bodenabfertigungsdienste geplant und wird inzwischen vorbereitet. Bei der Größe, dem Verkehrsaufkommen und der Fläche des Flughafens erscheint diese Anzahl gerechtfertigt. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 45): Trifft es zu, dass die Verhandlungen zur Neuordnung der Bodendienste an europäischen Flughäfen durch die Europäische Union zu einer völligen Liberalisierung der Bodendienstleistungen und damit zu einem Verfall von Löhnen und Arbeitsbedingungen führen, wie von der Gewerkschaft Verdi befürchtet, unter anderem durch die Vorgabe, mehrere Dienstleistungsunternehmen konkurrieren zu lassen, und die Möglichkeit zur Unterauftragsvergabe und der rechtlichen Ausgliederung der Bodenverkehrsdienste aus den Flughafengesellschaften, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um dieses zu verhindern (bitte begründen)? Die EU-Kommission sieht in ihrem derzeitigen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 96/67/EG eine weitere Liberalisierung des Sektors Bodenabfertigungsdienste vor. Für die Selbstabfertigung durch die Fluggesellschaften ist eine völlige Markt-öffnung vorgesehen. Auf Flughäfen, die bestimmte Passagier-/Frachtmengen (5 Millionen Passagiere oder 100 000 Tonnen Fracht jährlich) überschreiten, müssen statt bisher zwei nun drei Dienstleister zugelassen werden (Drittabfertigung). Eine einmalige Unterauftragsvergabe soll Drittanbietern erlaubt, für Flughäfen jedoch nicht zulässig sein. Weiter sieht der EU-Verordnungsvorschlag für die Bodenabfertigungsdienste der Flughäfen eine rechtliche Trennung von den Flughafengesellschaften vor. Die Bundesregierung ist bestrebt, dass die Qualität der Dienstleistungen im Hinblick auf die Sicherheits-anforderungen an Flughäfen gewährleistet bleibt. Auch müssen die Belange der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick behalten werden. Im EU-Verkehrsministerrat hat sich jedoch gezeigt, dass eine vollständige Ablehnung des Vorschlags keine durchgreifende Erfolgsaussicht hatte, da es kaum Unterstützung von anderen Mitgliedstaaten hierzu gab. Deutschland hat sich im EU-Verkehrsministerrat enthalten. Der Vorschlag der EU-Kommission wird derzeit weiter im Europäischen Parlament behandelt. Danach werden die Vorstellungen erneut einer ausführlichen Bewertung im Hinblick auf die Folgen unterworfen. Anlage 27 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 48): Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den aktuellen Preisverfall bei den Emissionszertifikaten zu stoppen, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats zur Einführung einer Steuer auf CO2-Emissionen? Der europäische Kohlenstoffmarkt ist zurzeit aufgrund verschiedener Entwicklungen durch ein deutliches Nachlassen der Preise gekennzeichnet. Trotz dieses Preisabfalls ist gewährleistet, dass der Emissionshandel bis 2020 das festgelegte Emissionsminderungsziel erreicht. Die Funktionsfähigkeit des Emissionshandelssystems ist insofern nicht gefährdet. Derzeit wird in -verschiedenen Zusammenhängen über die Weiterentwicklung der EU-Klimaschutzpolitik diskutiert. Dabei stehen auch Fragen im Zusammenhang mit dem derzeitigen Preissignal für CO2-Zertifikate und der Erreichung der mittel- und langfristigen Klimaziele der EU auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung prüft derzeit verschiedene Optionen zur Weiterentwicklung der EU-Klimaschutzpolitik. Die Meinungsbildung hierzu ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, BMWi, beleuchtet in seinem Gutachten zum Thema „Wege zu einer wirksamen Klimapolitik“ die aktuelle Diskussion zur Klimapolitik und beschäftigt sich vor allem mit den Instrumenten zur Bewältigung des globalen Klimawandels. Der Beirat schlägt vor, auf internationaler Ebene von der Mengensteuerung abzugehen (Kioto-System) und stattdessen den Fokus der Verhandlungen auf eine international einheitliche Mindeststeuer auf CO2-Emissionen zu richten. Damit würden die Verteilungsfragen, die bislang eine Einigung auf internationaler Ebene erschweren, nach Auffassung des Beirats an Bedeutung verlieren. Die Bundesregierung steht diesem Vorschlag ablehnend gegenüber. Das gilt insbesondere dann, wenn eine solche Steuer mit einer Importabgabe verbunden würde. Damit wäre das Risiko eines verstärkten Protektionismus verbunden, zum Schaden des internationalen Handels und des Wachstums der Weltwirtschaft. Darüber -hinaus betrachtet die Bundesregierung den Emissionshandel als das vorrangige Klimaschutzinstrument. Anlage 28 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 49): Wie lauten die bislang geplanten wesentlichen Merkmale des in der Antwort auf meine schriftliche Frage 115 auf Bundestagsdrucksache 17/9615 genannten, zur Unterstützung der Arbeitsgruppe der Strahlenschutzkommission initiierten Forschungsvorhabens – bitte insbesondere mit Vorhabensbeschreibung und zu untersuchenden Fragestellungen im Wortlaut, Finanzvolumen und Laufzeit –, und wer soll nach bisheriger Planung daran beteiligt sein (bitte jeweils mit Erläuterung der konkreten Rolle)? Der Reaktorunfall von Fukushima hat zahlreiche neue Erkenntnisse hervorgebracht. Er ist mit dem Unfall von Tschernobyl, an dem sich die Notfallschutzplanungen bisher orientiert haben, nicht vergleichbar. Dies macht eine Überprüfung des gesamten deutschen Regelwerks für den Notfallschutz erforderlich. Das Forschungsvorhaben dient der fachlichen Unterstützung der Notfallschutzplanung bei der Aufarbeitung der Erfahrungsrückflüsse aus dem Reaktorunfall in Fukushima, auch durch die Auswertung internationaler Entwicklungen im Notfallschutz und der dort eingesetzten Hilfsmittel. Insbesondere sollen Einzelfragen beantwortet, spezielle Aspekte des Notfallschutzes untersucht und Beratungen der Strahlenschutzkommission unterstützt werden. Die im Rahmen dieses Vorhabens zusammenzutragenden und aufzubereitenden Erkenntnisse sowie die zu erstellenden Unterlagen dienen der Aktualisierung und somit der Verbesserung des Konzeptes zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland auf der Basis der vertieften Analyse des Verlaufs und der Folgen des Fukushima-Ereignisses. Es ist beabsichtigt, das Vorhaben in Kürze zu vergeben. Das Vorhaben ist in sechs Arbeitspakete untergliedert. Dabei geht es um: – die Zusammenstellung des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik auf dem Gebiet des radiologischen Notfallschutzes, – Grundsatzfragen, – Schnittstellen zwischen anlagenexternem und anlageninternem Notfallschutz, – die Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen, – Methoden der Quelltermentwicklung und – Fragen der Kommunikation und Information. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 50): Wie beziffert sich der deutsche finanzielle Anteil – bitte genauen Betrag in Euro – an den insgesamt 2,56 Milliarden Euro für das „Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2012-2013)“, und aus welchen Quellen – Haushaltstiteln oder Ähnlichem – kommen diese Mittel? Das „Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2012-2013)“ ist aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen integraler Teil des allgemeinen EU-Haushalts (Rubrik 1 a, Titel 08). Der Anteil der Bundesrepublik am EU-Haushalt beträgt rund 20 Prozent. Der EU-Haushalt wird gemäß Art. 311 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus den von den Mitgliedstaaten abzuführenden Eigenmitteln (nach geltendem Recht: Zölle und Agrar-abgaben, Mehrwertsteuereigenmittel, BNE-Eigenmittel) -finanziert. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fragen des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Fragen 51 und 52): Wie plant die Bundesregierung die angebliche Einigung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, und des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler, in Deutschland, bis zur Vorlage des bereits im Herbst 2011 vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Auftrag gegebenen Gutachtens zu den Umweltauswirkungen der Fracking-Technologie, keine Bohrungen nach Schiefergas unter Einsatz der Fracking-Technologie zuzulassen (siehe Der Spiegel vom 7. Mai 2012), konkret rechtlich umzusetzen, und wird die betroffene Regelung auch für Bohrungen nach Kohleflözgas gelten? Welche konkreten Initiativen plant die Bundesregierung bezüglich der Einrichtung von Kapazitätsmechanismen, nachdem das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in Auftrag gegebene Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln vorgelegt wurde, und wie sieht der weitere Zeitplan diesbezüglich aus? Zu Frage 51: Die Bundesregierung wird einen gesetzlichen Änderungsbedarf für Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten, insbesondere Schiefergas und Kohleflözgas, vor dem Hintergrund der von ihr in Auftrag gegebenen Studien prüfen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat Ende 2010 die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mit einem Forschungsprojekt zur Erfassung und Bewertung des Potenzials von Kohlenwasserstoffen aus nichtkonventionellen Lagerstätten in Deutschland beauftragt. Erste Ergebnisse werden in Kürze vorgelegt werden. Das Umweltbundesamt hat im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, -Naturschutz und Reaktorsicherheit eine Studie über -Umweltauswirkungen bei Fracking ausgeschrieben. Erste Ergebnisse werden im Juni 2012 erwartet. Im -Übrigen sind nach der im Grundgesetz festgelegten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für die Genehmigung oder Ablehnung von bergrechtlichen Erlaubnisanträgen die Länder ausschließlich zuständig. Insofern stellen sich die Fragen nach der Genehmigung oder Ablehnung von sogenannten Fracking-Anträgen nicht. Zu Frage 52 : Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf der vergangenen Sitzung des Kraftwerksforums am 20. April 2012 einen Dialog über die Zukunft unseres Strommarkts begonnen. Das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln, EWI, hat dort ein Gutachten zum Strommarktdesign vorgestellt. Alle im Kraftwerksforum vertretenen Länder und Verbände sind aufgefordert, bis zum August diesen Jahres zu diesem Thema im All--gemeinen und zu den Modellen, die das EWI-Gutachten diskutiert, im Einzelnen Stellung zu beziehen. Das -Bundeswirtschaftsministerium wird auf Grundlage auch dieser Stellungnahmen einen zusammenfassenden Bericht erstellen, der auf dem kommenden Kraftwerks--forum im Herbst vorgestellt und diskutiert werden soll. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 54): Wann beabsichtigt die Bundesregierung von der Ermäch-tigung nach § 49 Abs. 4 Nr. 8 des Energiewirtschaftsgesetzes, durch Rechtsverordnung Anforderungen an die technische und betriebliche Flexibilität neuer Anlagen zur Erzeugung von Energie zu treffen, Gebrauch zu machen? Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, inwiefern und inwieweit von der Ermächtigung nach § 49 Abs. 4 Nr. 8 des Energiewirtschaftsgesetzes Gebrauch gemacht werden soll. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 55): Plant oder führt die Bundesregierung Gespräche mit dem niederländischen Finanzministerium in seiner Eigenschaft als Eigentümer der TenneT TSO GmbH, um für eine adäquate und den gesetzlichen Anforderungen des Energiewirtschaftsgesetzes entsprechende Finanzausstattung der TenneT TSO GmbH zu werben, und, wenn nein, warum nicht? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie führt Gespräche mit der niederländischen Regierung, in denen die Finanzausstattung der TenneT TSO und die gesetzlichen Verpflichtungen des Unternehmens aus dem Energiewirtschaftsgesetz thematisiert werden. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fragen der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Fragen 56 und 57): Kann die Bundesregierung die Meldung der Financial Times Deutschland vom 14. Mai 2012 bestätigen, wonach der Energieversorger Eon AG plant, im kommenden Jahr Gaskraftwerke in Bayern und Hessen stillzulegen? Welche Folgen hätte eine Stilllegung dieser Gaskraftwerke für die Sicherheit der Stromversorgung in Süddeutschland? Zu Frage 56: Der Bundesregierung sind diesbezüglich keine endgültigen Pläne von Eon bekannt. Das Unternehmen ist in engem Kontakt mit der Bundesnetzagentur. Zu Frage 57: Wie die Bundesnetzagentur in ihrem „Bericht zur Notwendigkeit eines Reservekraftwerkes vom 31. August 2011“ sowie im „Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/2012“ vom 3. Mai 2012 dargelegt hat, ist die Versorgungslage insbesondere in Süddeutschland weiter angespannt. Viele geplante Stilllegungen sind der Bundesnetzagentur bereits seit längerem bekannt und wurden in den Kraftwerkslisten veröffentlicht. Darüber hinausgehende, bislang nicht bekannte Stilllegungen von für Versorgungs-sicherheit und Systemstabilität bedeutsamen Kraftwerken in Süddeutschland bedeuten einen erhöhten Bedarf an Reservekraftwerken. Bundeswirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur prüfen gegenwärtig gemeinsam auf Grundlage des Berichts der Bundesnetzagentur zur Versorgungslage im vergangenen Winter notwendige Maßnahmen. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 58): Wird die Bundesregierung eine gesonderte Umlage zur Haftungsübernahme bei fehlender bzw. verzögerter Netz-anbindung von Offshorewindparks und Leitungsschäden bei Offshorewindparkanbindungen einführen, wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 16. Mai 2012 berichtet wurde, und, wenn ja, wie wird diese Umlage ausgestaltet (gesonderte Ausweisung auf der Stromrechnung, besondere Ausgleichsregelungen für energieintensive Betriebe)? Die Bundesregierung plant im Sommer 2012 einen Kabinettsbeschluss zu einer Haftungsregelung für die Errichtung und den Betrieb von Anbindungsleitungen für Offshorewindparks herbeizuführen. Ein konkreter Regelungsvorschlag ist derzeit noch nicht ressortabgestimmt. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 59): Wie viele Verfahren hat das Bundeskartellamt seit 2005 bezüglich § 20 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durchgeführt und mit welchem Ergebnis? Das Verbot sogenannter Preis-Kosten-Scheren in § 20 Abs. 4 Nr. 3 GWB wurde erst durch das Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels, das am 22. Dezember 2007 in Kraft getreten ist, ausdrücklich kodifiziert. Infolgedessen können Auskünfte zur Fallpraxis des Bundeskartellamts erst ab diesem Zeitpunkt gemacht werden. Derzeit führt das Bundeskartellamt sechs Verfahren nach § 20 Abs. 4 Nr. 3 GWB. Davon wurde eines im Jahr 2009 und fünf weitere Verfahren im April 2012 eingeleitet. Die Verfahren betreffen den Verdacht der Behinderung freier Tankstellen (Preis-Kosten-Scheren) bei der Belieferung durch große, vertikal integrierte Mineralölunternehmen und sind noch nicht abgeschlossen. Anlage 36 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 60): Wie hoch waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Gesamtkosten Griechenlands für Rüstungsimporte in den Jahren 2009, 2010, 2011 (Ist) und 2012 (Soll) insbesondere aus Frankreich und – ausweislich deutscher Statistiken des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – aus Deutschland, einschließlich der Kosten für zweifelhafte Zahlungen wie Schmier- und Bestechungsgelder etwa im Zusammenhang mit sechs verkauften U-Booten 214 (vergleiche Handelsblatt vom 12. April 2012), und welche besonderen Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen, um im Rahmen von europäischen Sparauflagen und Sparappellen und des Internationalen Währungsfonds auf Einsparungen im Bereich des Rüstungsimports im griechischen Haushaltsplan 2012 zu dringen und so zu erreichen, dass der Sozialetat im Haushalt nicht um 9 Prozent, also 2 Milliarden Euro, gekürzt und die NATO-Beiträge nicht um 50 Prozent auf 60 Millionen Euro sowie der Wehretat nicht um 18,2 Prozent, also um 200 Millionen Euro, auf 1,3 Milliarden Euro, erhöht werden (vergleiche Die Zeit vom 12. Januar 2012)? Die Bundesregierung verfügt nicht über Informationen zu den Gesamtkosten Griechenlands für Rüstungsimporte in den Jahren 2009, 2010 und 2011. Auch zu den aus Deutschland und Frankreich nach Griechenland tatsächlich ausgeführten Rüstungsgütern liegen keine vollständigen Zahlen vor. Der Bundesregierung liegen keine Informationen zu den für griechische Kunden im Einzelfall zu beachtenden Zahlungsmodalitäten für Rüstungsgüterimporte aus Deutschland vor. Derartige Verpflichtungen sind in den Verträgen festgelegt, die von der deutschen Industrie mit ihren griechischen Kunden ausgehandelt worden sind. An derartigen Vertragsverhandlungen nimmt die Bundesregierung nicht teil. Nur im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu Exportanträgen wird die Bundes-regierung mit der Sache befasst. Der Bundesregierung ist nicht im Detail bekannt, in welcher Weise die Frage des Rüstungsimportvolumens in den Verhandlungen zwischen der Troika und der griechischen Regierung thematisiert wurde. Die Verhandlungen werden ausschließlich von der Troika und der griechischen Regierung geführt. Der Länderbericht Nr. 12/57 des Internationalen Währungsfonds, IWF, benennt eine Reduktion der Verteidigungsausgaben in einer Höhe von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Maßnahme der Regierung, das Einsparziel für 2012 zu erreichen. Mit der im Februar 2012 beschlossenen Kürzung des Verteidigungshaushalts um 400 Millionen Euro ist die griechische Regierung dem nachgekommen. Anlage 37 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 61): Inwieweit trifft es zu (vergleiche Sonntag Aktuell vom 13. Mai 2012), dass die Bundesregierung entgegen ihren bisherigen Erklärungen – Abzug bis Ende 2014 – auch nach dem Jahr 2014  800 bis 1 000 Bundeswehrsoldaten – circa 20 Prozent der heutigen Personalstärke –, einschließlich Spezialkräften, mit Kampfauftrag in Afghanistan belassen will, angeblich auch zum Schutz dort tätiger deutscher Unternehmen, wie die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 15. Mai 2012 mit Präsident Hamid Karzai vertraglich zu vereinbaren beabsichtigte, und teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass vor einer Befassung des Deutschen Bundestages kein solcher Verbleib von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan verbindlich zugesagt werden darf, auch nicht auf dem NATO-Gipfel am 20./21. Mai 2012? Die Operation der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan, ISAF, wird, wie vom Bündnis beschlossen, Ende 2014 auslaufen. Über die Ausgestaltung einer NATO-geführten Präsenz in Afghanistan nach 2014 ist noch nicht entschieden worden. Entsprechend gibt es derzeit keine Planungen in Bezug auf einen deutschen Anteil an einer möglichen Nachfolgeoperation. Damit stellt sich auch nicht die Frage diesbezüglicher konkreter Zusagen der Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel. Der Abzug deutscher Kampftruppen aus Afghanistan wird wie geplant bis Ende 2014 vollzogen. Das zwischen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und dem afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karsai am 16. Mai 2012 unterzeichnete Abkommen über die -bilaterale Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Afghanistan enthält keine Ausführungen über den Aufenthalt von Angehörigen der Bundeswehr in Zusammenhang mit dem Schutz von in Afghanistan tätigen deutschen Unternehmen. Anlage 38 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 62): Inwieweit setzt sich die Bundesregierung auf Ebene der Vereinten Nationen dafür ein, dass die Kosten für das gemeinsame Büro der beiden Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Schutzverantwortung, Edward Luck, und für die Verhinderung von Völkermord, Francis Deng, in den regulären Haushalt der Vereinten Nationen überführt werden, und wie unterstützt die Bundesregierung das Büro derzeit finanziell und politisch (bitte Maßnahmen jeweils erläutern)? Die Antwort der Bundesregierung auf den ersten Teil Ihrer Frage entspricht meiner Antwort auf Ihre in der Fragestunde am 14. Dezember 2011 gestellte gleichlautende Frage: Damit der zuständige Beratende Ausschuss für Verwaltungs- und Haushaltsfragen der Vereinten Nationen eine Stellungnahme zur Finanzierung des gemeinsamen Büros der beiden Sonderberater aus dem regulären Haushalt der Vereinten Nationen abgeben und anschließend die Generalversammlung darüber entscheiden kann, bedarf es eines Haushaltsvorschlags des VN-Generalsekretärs. Dieser hat bislang keinen solchen Vorschlag für den VN-Haushalt 2012/2013 vorgelegt. Der Generalsekretär dürfte bei seinen Überlegungen auch das Ausmaß der Unterstützung durch die VN-Mitgliedstaaten und die Mehrheitsverhältnisse im Haushaltsausschuss berücksichtigt haben. Sollte der Generalsekretär zu späterer Zeit und auch unter Berücksichtigung der Sparziele der Vereinten Nationen die Überführung der Kosten für das gemeinsame Büro in den regulären VN-Haushalt vorschlagen, dann würde die Bundesregierung dies unterstützen. Die Bundesregierung unterstützt das gemeinsame Büro des Sonderberaters des VN-Generalsekretärs für die Schutzverantwortung Professor Edward Luck und des Sonderberaters des VN-Generalsekretärs für die Verhinderung von Völkermord Professor Francis Deng im Haushaltsjahr 2012 mit 290 000 Euro aus dem Haushalt des Auswärtigen Amts. Mit diesen Mitteln wird die Arbeit zur Erstellung des diesjährigen Berichts des VN-Generalsekretärs zur Schutzverantwortung an die VN-Generalversammlung unterstützt. Anlage 39 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 63): Inwieweit erwägt die Bundesregierung, sich der Initiative des Global Centre for the Responsibility to Protect anzuschließen, nationale Kontaktstellen zur Koordination von Maßnahmen zur Umsetzung der Schutzverantwortung einzurichten, und wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, einen mit dem von der US-Administration initiierten vergleichbaren Beirat zur Verhütung von Massenverbrechen – Mass Atrocity Prevention Board – einzurichten? Seit der Annahme der Gipfelerklärung von 2005 mit ihren Aussagen zur Schutzverantwortung ist diese unter tatkräftiger Mitarbeit der Bundesregierung konzeptionell deutlich weiterentwickelt worden. Fragen ihrer operativen Umsetzung stehen immer mehr im Vordergrund. Das Auswärtige Amt prüft deshalb derzeit die Verlagerung der Zuständigkeit für die Schutzverantwortung von einer mit konzeptionellen Fragen befassten Arbeitseinheit in eine mit operativen Fragen befasste Arbeitseinheit. Das Auswärtige Amt prüft ebenfalls die Argumente für und wider die Einrichtung einer nationalen Kontaktstelle zur Koordinierung von Maßnahmen zur Umsetzung der Schutzverantwortung, wie sie vom Global Center for the Responsibility to Protect empfohlen wurde. Das Global Center entwickelt hierzu derzeit Richtlinien, die demnächst den VN-Mitgliedstaaten übermittelt werden sollen. Die Bundesregierung wird diese Richtlinien in ihre Prüfung einbeziehen. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, einen Beirat zur Verhütung von Massenverbrechen nach dem Vorbild des jüngst ins Leben gerufenen US-amerikanischen Mass Atrocity Prevention Board einzurichten. Aktuelle Konflikte werden je nach Anlass in unterschiedlichen interministeriellen Arbeitsgruppen oder Ressortkreisen behandelt, die gegebenenfalls Handlungsempfehlungen entwickeln. Selbstverständlich gehört zu den in diesem Rahmen verfolgten Entwicklungen auch das Risiko von Massenverbrechen. Anlage 40 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 64): Mit welchen Initiativen plant die Bundesregierung an die Kritik des Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen, Nassir Abdulaziz al-Nasser, vom 15. Mai 2012 anzuknüpfen, in der er den Stillstand der Arbeit der United -Nations Conference on Disarmament, CD, bemängelte und alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu stärkeren -Anstrengungen für Abrüstung und zur Stärkung der CD aufforderte? Die Bundesregierung teilt die kritisch-mahnende Einschätzung des Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass die Blockade der Genfer -Abrüstungskonferenz überwunden und das multilaterale Instrumentarium im Abrüstungsbereich revitalisiert -werden muss. Die Bundesregierung setzt sich hierfür mit ihren Partnern in der EU sowie insbesondere in der „Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative“, NPDI, intensiv ein. Für die Bundesregierung – wie auch für ihre Partner – sind Vertragsverhandlungen im Rahmen der Genfer -Abrüstungskonferenz über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke, den sogenannten „Fissile Material Cutoff Treaty“, FMCT, prioritär. Die Staaten der NPDI haben bei ihrem Berliner Außenministertreffen im April 2011 eine Initiative zur Befassung der VN-Generalversammlung ergriffen, um die Suche nach -Wegen zur Überwindung der Blockade der Abrüstungskonferenz und zur FMCT-Verhandlungsaufnahme voranzutreiben. Als eine Folgemaßnahme dieser Initiative organisiert die Bundesregierung am 29. und 30. Mai 2012 in Genf ein Treffen wissenschaftlicher Experten zum Thema FMCT. Mit den mitveranstaltenden Niederlanden ist für Ende August ein zweites Expertentreffen geplant. Die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme aus wissenschaftlich-technischer Perspektive werden im Anschluss durch die deutsche Delegation in das Plenum der Genfer Abrüstungskonferenz eingebracht. Als „vertrauens--bildende Maßnahme“ sollen sie die Auseinandersetzung mit der FMCT-Thematik trotz politischer Blockade -befördern. Die Bundesregierung bevorzugt FMCT-Verhandlungen innerhalb der Genfer Abrüstungskonferenz, da hierdurch die Einbeziehung aller relevanten Akteure gewährleistet wäre. Sie setzt sich deshalb kontinuierlich in bilateralen Gesprächen – unter anderem mit Pakistan – für die auch von Nassir Abdulaziz al-Nasser geforderte Flexibilität aller Beteiligten bei der Verabschiedung eines Arbeitsprogramms ein. Wie der Präsident der VN-Generalversammlung ist auch die Bundesregierung der Ansicht, dass eine Fortsetzung der langjährigen Blockade der Genfer Abrüstungskonferenz nicht hingenommen werden darf. Vor allem mit ihren Partnern der „Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative“ wird sie daher in der kommenden 67. VN-Generalversammlung auf eine realistische -Bestandsaufnahme hinwirken und Optionen für die praktische Beförderung von Abrüstungsverhandlungen, insbesondere einem Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke, FMCT, prüfen. Anlage 41 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Da?delen (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 65): Welche Maßnahmen erwägt bzw. plant die Bundesregierung, um „die Erwartungen auch an deutsche Beiträge zu gemeinsam bereitgestellten NATO-Fähigkeiten für den Fall -eines Einsatzes mit den Bestimmungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in Einklang zu bringen“, wie es die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung vom 10. Mai 2012 zum G-8-Gipfel am 18./19. Mai 2012 in Camp David und zum NATO-Gipfel am 20./21. Mai 2012 in Chicago (www.bundesregierung.de/Content/DE/Regierungserklaerung/2012/2012-05-10-merkel.html) ausdrückte, nachdem sie ausführte, dass „in den vergangenen 63 Jahren ... keine Organisation so klar und so zuverlässig für Frieden und Freiheit [stand] wie die Nordatlantische Allianz“, und darauf hinwies, dass man der „Erwartung unserer alliierten Partner ... sicher und verlässlich“ entsprechen müsse, und wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Botschafters -Wolfgang Ischinger, dass Beiträge zu multinational bereitgestellten Fähigkeiten, so sie von der NATO oder der EU angefragt werden, von nationalen Vetos ausgenommen sein sollten (www.europesworld.org/NewEnglish/Home_old/Article/tabid/191/ArticleType/ArticleView/ArticleID/21826/Libyacould beacatalystforEuropessecuritypolicy.aspx)? Aus Sicht der Bundesregierung ist es absehbar, dass bei zukünftig vermehrter Verwendung gemeinsamer Fähigkeiten im NATO-Rahmen die Erwartungshaltung auf Bündnisebene an die verlässliche Verfügbarkeit nationaler Elemente in diesen Fähigkeiten weiter steigen wird. Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat vor diesem Hintergrund in ihrer Regierungserklärung vom 10. Mai 2012 von einer perspektivisch zu erwartenden Diskussion im Deutschen Bundestag gesprochen. Wenn sich im Rahmen einer solchen Diskussion im Bundestag die Frage stellt, Erwartungen unserer Bündnispartner an die Verfügbarkeit nationaler Elemente in gemeinsamen, integrierten Fähigkeiten der NATO für den Fall eines Einsatzes mit den Bestimmungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes in Einklang zu bringen, so wären seitens des Deutschen Bundestages zu gegebener Zeit entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage der Abgeordneten Sevim Da?delen (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 66): Was folgt konkret daraus, dass die über die Richtlinienkompetenz in der Regierungspolitik verfügende Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Gegensatz zum Bundesminister des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, der Auffassung ist, dass der Islam – und nicht nur die Muslime – zu Deutschland -gehört, und damit explizit dem Bundesminister des Innern widerspricht (www.zeit.de/politik/deutschland/2012-05/merkel-islam-friedrich: „Zu sagen, der Islam gehört nicht zu Deutschland, finde ich, ist sicherlich falsch“), etwa in Bezug auf die koalitionsintern umstrittene Frage der künftigen Ressortzuständigkeit für die sogenannte Islamkonferenz, und welche der beiden Auffassungen gilt nun als offizielle Haltung der Bundesregierung? Die Bundesregierung verfolgt im Rahmen ihrer Integrationspolitik mit Blick auf den Islam in Deutschland gemeinsam das Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Teilhabe zu fördern. Mit der Deutschen Islam Konferenz hat das Bundesministerium des Innern dazu ein Forum für einen wirksamen Dialog zwischen staat--lichen Vertretern auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie Muslimen in Deutschland eingerichtet. Dass dieser Ansatz erfolgreich ist, zeigte sich erneut auf der Plenarsitzung der Deutschen Islam Konferenz am 19. April 2012. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Fragen des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Fragen 67 und 68): Beabsichtigt die Bundesregierung, die Gebühren für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zu senken angesichts des Urteils des Europäischen Gerichtshofs, EuGH, vom 26. April 2012 in der Sache Kommission/Niederlande (Rs. C-508/10), in welchem das Gericht die niederländischen Gebühren für Aufenthaltstitel von langfristig Aufenthaltsberechtigten für überhöht und unverhältnismäßig erklärt hat, und, wenn nein, bei welcher Gebührenhöhe liegt nach Ansicht der Bundesregierung die Schwelle der Verhältnismäßigkeit, bzw. wie begründet sie die Vereinbarkeit der Gebühren für die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG mit der Richtlinie 2003/109/EG des Rates – Daueraufenthaltsrichtlinie – vor dem Hintergrund, dass diese Gebühren fast fünfmal so hoch sind wie die Gebühren für einen Personalausweis? Beabsichtigt die Bundesregierung, angesichts diverser Urteile (EuGH, Urteil vom 17. September 2009, Rs. C-242/06, Sahin; EuGH, Urteil vom 29. April 2010, Rs. C-92/07, -Kommission/Niederlande; Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 14. März 2012, Az. 8 K 1159/10), die die Gebühren für Aufenthaltstitel von assoziationsrechtsberechtigten türkischen Staatsangehörigen für unvereinbar mit dem Verschlechterungsverbot nach Art. 13 ARB 1/80 und dem assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbot erklärt haben, diese Gebühren zu senken, und, wenn nein, wie reagiert die Bundesregierung auf die Feststellungen zum assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbot, dass erstens nicht nur die Einführung einer Gebühr als solche, sondern auch eine Gebührenerhöhung eine „neue Beschränkung“ im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 darstellt und zweitens die von der Bundesregierung als Rechtfertigungsgrund vorgetragene Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – wenn überhaupt – nur in Höhe der Herstellungskosten des elektronischen Aufenthaltstitels von etwa 30 Euro als Rechtfertigungsgrund gelten kann (vergleiche Antwort der Bundesregierung zu Frage 16 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke auf Bundestagsdrucksache 17/5884, Seite 12)? Zu Frage 67: Nach Auffassung der Bundesregierung sind die deutschen Gebührenregelungen europarechtskonform. Das zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs betrifft eine niederländische Gebührenregelung und ist auf die Rechtslage in Deutschland nicht übertragbar. Zum einen sind die Gebühren in Deutschland deutlich niedriger als dies offenbar in den Niederlanden der Fall ist. Während in Deutschland nach der Aufenthaltsverordnung, AufenthV, maximal 135 Euro für die Erteilung einer Daueraufenthaltserlaubnis-EG erhoben werden, reicht der Gebührenrahmen in den Niederlanden ausweislich der Urteilsgründe von 188 Euro bis 830 Euro. Zum anderen sieht das deutsche Gebührenrecht in §§ 52 und 53 AufenthV eine Reihe von Befreiungs- und Ermäßigungstatbeständen vor, durch die die Verhältnismäßigkeit der Gebührenerhebung im Einzelfall gewährleistet wird. Zu Frage 68: Die vom Fragesteller genannten Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen C-242/06, Sahin, und C-92/07, Kommission/Niederlande, stellen die deutsche Gebührenregelung nicht infrage, da die beiden Urteile die Rechtslage in den Niederlanden betreffen und die Urteilsgründe nicht auf die Rechtslage in Deutschland übertragbar sind. Die Umlage des durch die Neugestaltung des Aufenthaltstitels entstehenden Mehraufwands auf die Gebührenschuldner ist nach Auffassung der Bundesregierung lediglich eine neue Ausgestaltung einer bereits bestehenden Beschränkung und nicht eine „neue Beschränkung“ im Sinne von Art. 13 des Assoziationsratsbeschlusses Nummer 1/80. Das genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen wird derzeit geprüft. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/9677, Frage 69): Plant die Bundesregierung, in Deutschland lebende afghanische Hindus und Sikhs nach Afghanistan abzuschieben, und inwiefern hält sie hier einen Flüchtlingsschutz im Sinne eines Abschiebestopps durch die massive, religiös motivierte Diskriminierung und Verfolgung im Sinne der Bestimmungen von § 60 Abs. 1 sowie 7 des Aufenthaltsgesetzes für geboten? Auf der Grundlage des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 23./24. Juni 2005 werden zurzeit nur afghanische Staatsangehörige zurückgeführt, die nach Maßgabe der §§ 53, 54 oder 55 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes wegen einer im Bundesgebiet begangenen Straftat verurteilt worden sind oder als sogenannte Gefährder gelten sowie alleinstehende volljährige männliche Personen. Angehörige der Sikhs und Hindus, welche die vorstehenden Kriterien erfüllen, sind hiervon nicht ausgenommen. Hindus und Sikhs, denen Verfolgung in Afghanistan droht, wird im Rahmen des Asylverfahrens Schutz gewährt. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 des Asylverfahrensgesetzes i. V. m. § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) setzt -immer eine Einzelfallprüfung voraus. Gleiches gilt für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Danach können Sikhs und Hindus, denen wegen ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, als Flüchtlinge anerkannt werden. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt in Betracht, wenn ihnen unabhängig von ihrer Religion oder anderen flüchtlingsrechtlichen Kriterien erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen. Allein die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Sikhs und der Hindus führt jedoch noch nicht zu einer Gefährdung in diesem Sinne. Die Glaubenszugehörigkeit als solche reicht daher für eine Schutzgewährung noch nicht aus. In den ersten vier Monaten dieses Jahres haben rund die Hälfte der afghanischen Sikhs und Hindus, über deren Asylantrag entschieden wurde, den Flüchtlingsstatus oder einen subsidiären Schutzstatus erhalten. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Dr. Axel Troost (DIE LINKE) (Drucksache 17/9677, Frage 70): Haben Universitäten das Recht, im Landesreisekostenrecht neben der „Dienstreise“ und den in § 11 des Bundes--reisekostengesetzes genannten „Reisen in besonderen Fällen“ weitere Reisekostenarten wie zum Beispiel die „Zuschussreise“ zu definieren und deren Kostenerstattung eigenmächtig zu regeln? Soweit sich die Frage auf Universitäten nach Landesrecht bezieht, kann die Bundesregierung aufgrund der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung hierzu keine Stellung nehmen. Im Bundesbereich sind auch für Hochschulen die Regelungen des Bundesreisekostengesetzes abschließend. Neue Reisekostenarten neben den im Bundesreisekostengesetz geregelten Tatbeständen sind nicht erstattungsfähig. Im Falle von Dienstreisen sieht bei Leistungen Dritter § 3 Abs. 2 des Bundesreisekostengesetzes zwingend eine Anrechnung vor. Liegt keine Dienstreise vor, ist die Reise aber in dienstlichem Interesse, kann in den Fällen des § 11 Abs. 4 des Bundesreisekostengesetzes (zum -Beispiel Fortbildung) ein Zuschuss bis zur Höhe der Reisekostenvergütung gewährt werden. Insoweit wären „Zuschussreisen“ nach dem Bundesreisekostengesetz rechtlich zulässig. Die Universitäten der Bundeswehr haben aber nicht das Recht, neben der „Dienstreise“ und den in § 11 des Bundesreisekostengesetzes genannten „Reisen in besonderen Fällen“ weitere Reisekostenarten zu definieren und deren Kostenerstattung eigenmächtig zu regeln. 21444 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 180. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 23. Mai 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 180. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 23. Mai 2012 21445 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 21470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 180. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 23. Mai 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 180. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 23. Mai 2012 21471