Plenarprotokoll 17/181 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 181. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Wolfgang Gunkel und Dr. Egon Jüttner Entsendung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuss und im Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 3, 16 und 25 a und b Nachträgliche Ausschussüberweisung Zusatztagesordnungspunkt 2: Eidesleistung des Bundesministers für -Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Präsident Dr. Norbert Lammert Peter Altmaier, Bundesminister BMU Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93) (Drucksachen 17/9392, 17/9733) b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahl-sachen (Drucksachen 17/9391, 17/9733) c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes -zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht durch Einführung der -Sonneborn-Regelung (Drucksachen 17/7848, 17/9748) Dr. Günter Krings (CDU/CSU) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern (Drucksache 17/9725) Hubertus Heil (Peine) (SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Hubertus Heil (Peine) (SPD) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ulrich Lange (CDU/CSU) Sigmar Gabriel (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Heidrun Dittrich (DIE LINKE) Anette Kramme (SPD) Pascal Kober (FDP) Axel Knoerig (CDU/CSU) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (... StRÄndG) (Drucksache 17/9345) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksache 17/9667) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Dezember 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbelas-tung bei der Bankenabgabe (Drucksache 17/9688) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Oktober 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mauritius zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksache 17/9689) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 19. und 28. Dezember 2011 zwischen dem Deutschen Institut in Taipeh und der Taipeh-Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung hinsichtlich der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 17/9690) f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Markenrechtsvertrag von Singapur vom 27. März 2006 (Drucksache 17/9691) g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/9692) h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Dezember 2011 über den Internationalen Suchdienst (Drucksache 17/9693) i) Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Helga Daub, Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung – Grundsatz der deutschen Entwicklungspolitik (Drucksache 17/9730) j) Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Rolle des Sports in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (Drucksache 17/9731) k) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Eva Bulling-Schröter, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rio+20 – Globale Gerechtigkeit statt grüner Kapitalismus (Drucksache 17/9732) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. Oktober 2003 zur Gründung des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt (Drucksache 17/9696) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: EU-Bildungsprogramme modernisieren und ausbauen – Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern (Drucksache 17/9575) c) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Übersetzungserfordernisse der nationalen Parlamente in der mehrjährigen EU-Finanzplanung 2014–2020 berücksichtigen – Übersetzungen auch im intergouvernementalen Rahmen sicherstellen (Drucksache 17/9736) d) Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wohnungspolitische Verantwortung bei Übertragung der bundes-eigenen TLG-Wohnungen sichern (Drucksache 17/9737) e) Antrag der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz zum Bau der ICE-Neubaustrecke Wendlingen–Ulm herstellen (Drucksache 17/9741) Tagesordnungspunkt 37: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses: zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation KOM(2011) 654 endg.; Ratsdok. 16000/11 (Drucksachen 17/7918 Nr. A.3, 17/9770) b)–e) Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 433, 434, 435 und 436 zu Petitionen (Drucksachen 17/9588, 17/9589, 17/9590, 17/9591) Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entlassung des Bundesumweltministers und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Marie-Luise Dött (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bernhard Kaster (CDU/CSU) Ulrich Kelber (SPD) Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (Drucksachen 17/8801, 17/9617) Klaus Breil (FDP) Rolf Hempelmann (SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Franz Obermeier (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Iran: Sanktionsspirale beenden – Kriegsgefahr stoppen – Neuen Anlauf zum umfassenden Dialog wagen (Drucksache 17/9065) Jan van Aken (DIE LINKE) Joachim Hörster (CDU/CSU) Jan van Aken (DIE LINKE) Dr. Rolf Mützenich (SPD) Bijan Djir-Sarai (FDP) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps (EU-Leerverkaufs-Ausführungsgesetz) (Drucksache 17/9665) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes (Drucksachen 17/8684, 17/9645) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Dr. Carsten Sieling (SPD) Björn Sänger (FDP) Harald Koch (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD) Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rüstungsexporte kontrollieren – Frieden sichern und Menschenrechte wahren (Drucksache 17/9412) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus Barthel (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Jan van Aken (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) (Drucksache 17/9666) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Kirsten Lühmann (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Sabine Leidig (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Helmut Brandt (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für Fairness beim Berufseinstieg – Rechte der Praktikanten und Praktikantinnen stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Müller-Gemmeke, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Faire Bedingungen in allen Praktika garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Alpers, Dr. Petra Sitte, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Missbrauch von Praktika gesetzlich stoppen (Drucksachen 17/3482, 17/4044, 17/4186, 17/9720) Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Katja Mast (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) Michael Gerdes (SPD) Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Jürgen Klimke, Philipp Mißfelder, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Kurth (Kyffhäuser), Bijan Djir-Sarai, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Myanmar – Reformkräfte unterstützen, den Wandel beschleunigen, Perspektiven eröffnen (Drucksache 17/9735) b) Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Johannes Pflug, Karin Roth (Esslingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Myanmar auf dem Weg zur Demokratie begleiten und unterstützen (Drucksache 17/9727) c) Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Ute Koczy, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Myanmar – Den demokratischen Wandel unterstützen (Drucksache 17/9739) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Edelgard Bulmahn (SPD) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Annette Groth (DIE LINKE) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Manfred Grund (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Michael Groß, Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Öffentlich-Private Partnerschaften differenziert bewerten, mit mehr Transparenz weiterentwickeln und den Fokus auf die Wirtschaftlichkeit stärken (Drucksache 17/9726) Michael Groß (SPD) Reinhold Sendker (CDU/CSU) Ingrid Remmers (DIE LINKE) Werner Simmling (FDP) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Karl Holmeier (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wasser und Ernährung sichern (Drucksachen 17/9153, 17/9526) Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) Dr. Sascha Raabe (SPD) Helmut Heiderich (CDU/CSU) Niema Movassat (DIE LINKE) Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Überweisung des Goldstone-Berichtes an den Internationalen Strafgerichtshof durch den UN-Sicherheitsrat (Drucksachen 17/6339, 17/7532) Birgit Homburger (FDP) Günter Gloser (SPD) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Annette Groth (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr (Drucksache 17/9694) Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Cornelia Behm, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung für die entwicklungspolitische -Dimension der EU-Fischereipolitik übernehmen (Drucksachen 17/9399, 17/9714) Helmut Heiderich (CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 20: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Hahn, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der -Abgeordneten Dr. Martin Neumann -(Lausitz), Dr. Lutz Knopek, Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln (Drucksachen 17/7184, 17/9771) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wirksamen Verbraucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsatz von Nanosilber in verbrauchernahen Produkten zum Schutz von Mensch und Umwelt stoppen (Drucksachen 17/5917, 17/3689, 17/8821) Florian Hahn (CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Karin Binder (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geodatenzugangsgesetzes (Drucksache 17/9686) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Judith Skudelny (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Nachhaltige Entwicklung in Subsahara-Afrika durch die Stärkung der Menschenrechte fördern (Drucksachen 17/7370, 17/9711) Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göttingen), Philipp Mißfelder, Johannes Selle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Republiken Sudan und Südsudan stabilisieren (Drucksache 17/9747) Johannes Selle (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Marina Schuster (FDP) Christine Buchholz (DIE LINKE) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Hans-Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen (Drucksache 17/9728) Peter Beyer (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Hans-Ulrich Klose (SPD) Harald Leibrecht (FDP) Stefan Liebich (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten (Drucksache 17/9580) Dieter Stier (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Rainer Erdel (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 (Drucksache 17/9578) b) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gesine Lötzsch, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 (Drucksache 17/9579) Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport (Drucksachen 17/7955, 17/9721) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Dr. Lutz Knopek (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Gabriele Fograscher, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft (Drucksache 17/9577) Heike Brehmer (CDU/CSU) Rita Pawelski (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Kornelia Möller (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Hans-Joachim Hacker, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ausbau der Offshore-Windenergie erfordert moderne Hafeninfrastruktur (Drucksache 17/9573) Matthias Lietz (CDU/CSU) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) Uwe Beckmeyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Polarregionen schützen – Polarforschung stärken (Drucksachen 17/5228, 17/9722) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Ott, Dr. Valerie Wilms, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abkommen zum Schutz der Arktis unverzüglich auf den Weg bringen – Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Arktis (Drucksachen 17/6499, 17/7987) Ewa Klamt (CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Peter Röhlinger (FDP) Angelika Brunkhorst (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Wahl eines ordentlichen Mitgliedes im Vermittlungsausschuss Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für einen -Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Stephan Thomae (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Nachhaltige Entwicklung in Subsahara-Afrika durch die Stärkung der Menschenrechte fördern (Tagesordnungspunkt 19) Frank Heinrich (CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD) Marina Schuster (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 – Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Jan van Aken (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 181. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Bevor wir uns unserer Tagesordnung widmen, möchte ich gerne dem Kollegen Wolfgang Gunkel und dem Kollegen Dr. Egon Jüttner zu ihren Geburtstagen gratulieren, die sie in den letzten Tagen gefeiert haben. Der Kollege Wolfgang Gunkel feierte seinen 65. Geburtstag und der Kollege Dr. Egon Jüttner seinen 70. Geburtstag. Alle guten Wünsche im Namen des Hauses! (Beifall) Die CDU/CSU-Fraktion hat mitgeteilt, dass der Kollege Peter Altmaier aus bekannten Gründen aus dem Vermittlungsausschuss und dem Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidet. Sie schlägt als Nachfolger den Kollegen Michael Grosse-Brömer für beide Gremien als ordentliches Mitglied vor.1 – Ich stelle fest, dass niemand dagegen Einwände erhebt. Damit ist der Kollege Michael Grosse-Brömer als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuss wie im Gemeinsamen Ausschuss bestimmt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Keine Vergemeinschaftung europäischer Schulden – Euro-Bonds-Pläne der SPD: Haftung für deutsche Steuerzahler? (siehe 180. Sitzung) ZP 2 Eidesleistung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. Oktober 2003 zur Gründung des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt – Drucksache 17/9696 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD EU-Bildungsprogramme modernisieren und ausbauen – Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern – Drucksache 17/9575 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Übersetzungserfordernisse der nationalen Parlamente in der mehrjährigen EU-Finanzplanung 2014–2020 berücksichtigen – Übersetzungen auch im intergouvernementalen Rahmen sicherstellen – Drucksache 17/9736 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wohnungspolitische Verantwortung bei Übertragung der bundeseigenen TLG-Wohnungen sichern – Drucksache 17/9737 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Federführung offen e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz zum Bau der ICE-Neubaustrecke Wendlingen–Ulm herstellen – Drucksache 17/9741 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entlassung des Bundesumweltministers und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Cornelia Behm, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung für die entwicklungspolitische Dimension der EU-Fischereipolitik übernehmen – Drucksachen 17/9399, 17/9714 – Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Heiderich Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Niema Movassat Thilo Hoppe ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ursachen und Verantwortlichkeiten für das Berliner Flughafendebakel lückenlos aufklären – Chancen für besseren Lärmschutz nutzen – Drucksache 17/9740 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Demonstrationsfreiheit sichern – Occupy-Proteste nicht kriminalisieren Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, -soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 3, 16, 25 a und 25 b abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 26. April 2012 (175. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) – Drucksache 17/9369 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Sind sie hiermit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 unserer Tagesordnung auf: Eidesleistung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Der Herr Bundespräsident hat mir mitgeteilt, dass er am 22. Mai 2012 gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister für -Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Dr. Norbert Röttgen, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen und Herrn Peter Altmaier zum neuen Bundesminister ernannt hat. Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgesehenen Eid. Herr Altmaier, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten. (Die Anwesenden erheben sich) Ich darf Sie bitten, den im Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten. Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Bundesminister, Sie haben den in der Verfassung vorgesehenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen für die Übernahme dieses Amtes alles Gute, Erfolg, solide Nerven und Gottes Segen wünschen. Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das werde ich brauchen können. Vielen herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] überreicht Bundesminister Peter Altmaier einen Blumenstrauß – Abgeordnete aller Fraktionen gratulieren Bundesminister Peter Altmaier) Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde die Gratulationscour jetzt gerne einem vorläufigen Ende zuführen. Der Minister steht auch in den künftigen Wochen für die Entgegennahme guter Wünsche noch jederzeit zur Verfügung. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie kennen die -Halbwertszeit nicht!) Nachdem wir ihn jetzt mit den guten Wünschen des Hauses in sein neues Amt begleitet haben, möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem Kollegen Nobert Röttgen auch im Namen des ganzen Hauses herzlich für seine Tätigkeit in der Bundesregierung zu danken, (Beifall im ganzen Hause) verbunden mit der ausdrücklichen Hoffnung auf weitere Zusammenarbeit in anderen Aufgaben und Funktionen im Deutschen Bundestag. Da wir den Kollegen Peter Altmaier im Übrigen auch im Ältestenrat vermutlich nicht mehr sehen werden – denn alles gleichzeitig kann man nicht haben, jedenfalls nicht, solange wir ein gewisses Maß an Gewaltenteilung praktizieren –, will ich ihm gerne, sicher auch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen im Ältestenrat, herzlich für die gute, freundschaftliche und kollegiale Zusammenarbeit danken, die sehr dazu beigetragen hat, dass wir das, was die Funktionsweise des Parlaments betrifft, in den allermeisten Fällen in großem Einvernehmen regeln konnten. Vielen Dank und noch einmal alle guten Wünsche! (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Nun ist wieder Alltag. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 a bis c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93) – Drucksache 17/9392 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) – Drucksache 17/9733 – Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Dieter Wiefelspütz Jörg van Essen Dr. Dagmar Enkelmann Jerzy Montag b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen – Drucksache 17/9391 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) – Drucksache 17/9733 – Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Dieter Wiefelspütz Jörg van Essen Dr. Dagmar Enkelmann Jerzy Montag c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht durch Einführung der Sonneborn-Regelung – Drucksache 17/7848 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/9748 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Dr. Dieter Wiefelspütz Gisela Piltz Jan Korte Wolfgang Wieland Über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Krings, es ist alles gesagt!) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Aber nicht von mir, Herr Wiefelspütz. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ach so!) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für das Wahlrecht in Deutschland. Heute kommen wir nach mehreren Monaten zum Abschluss unserer Beratungen und sorgen für die Einführung – nicht für eine Verbesserung, sondern für die Einführung – eines subjektiven Rechtsschutzes in Wahlsachen. Heute ist also ein freudiger Tag. Ich möchte ganz zu Beginn allen danken, die das möglich gemacht haben. Wir haben in vier Fraktionen des Deutschen Bundestages sehr konstruktive Beratungen durchgeführt. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Na ja!) Das zeigt: Wenn es um das Wahlrecht geht, kann man gut zusammenarbeiten. Ich möchte mich, trotz mancher Bedenken, zuerst bei Herrn Wiefelspütz bedanken, aber natürlich auch beim Kollegen Ruppert von der FDP und beim Kollegen Montag von den Grünen. Ich will ausdrücklich anerkennen, dass auch die Linken einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der in die richtige Richtung geht. Wir sind allerdings in allen anderen vier Fraktionen übereinstimmend der Auffassung gewesen, dass er in einigen Punkten etwas unausgegoren war. Außerdem trägt er die, wie ich finde, sehr problematische Überschrift „Sonneborn-Regelung“. Ich finde es nicht gut, das wichtige Anliegen des Rechtsschutzes in Wahlsachen mit Herrn Sonneborn und der Partei „Die Partei“ zu flankieren, die auch im NRW-Wahlkampf wieder nichts anderes gemacht haben, als die Plakate anderer Parteien zu überkleben und Wahlveranstaltungen zu stören. Das ist nicht Demokratie, die konstruktiv ist und an guten Lösungen arbeitet. Wir sollten Herrn -Sonneborn zumindest nicht adeln, indem wir seinen Namen zum Titel eines Gesetzentwurfes erheben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen den subjektiven Rechtsschutz in Wahlsachen nicht verbessern, sondern ihn überhaupt erst einführen. Es gab ihn bisher nämlich nicht. Es gibt dazu ein Bonmot des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten -Voßkuhle, der einmal sagte: Der Wahlrechtsschutz ist bisher konsistent. Vor der Wahl gibt es ihn nicht, und nach der Wahl gibt es ihn im subjektiven Sinne auch nicht. – Diese „Konsistenz“ wollen wir durchbrechen. Wir wollen deshalb – das ist die am höchsten aufgehängte Regelung unseres Entwurfs – durch eine Grundgesetzänderung dafür sorgen, dass Parteien vor dem Bundesverfassungsgericht ein Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung zu einer Wahl anstrengen können. Meine Damen und Herren, man braucht, glaube ich, nicht groß zu erklären, dass für eine Partei die Nichtzulassung zu einer Wahl fast ebenso einschneidend ist wie ein Parteiverbot. Wenn man nicht an Wahlen teilnehmen kann, kann man nicht politisch agieren. Art. 21 des Grundgesetzes gebietet es, diesen Rechtsschutz einzuführen. Noch einmal ganz herzlichen Dank, dass wir das gemeinsam so hinbekommen haben! Wir gehen sogar ein Stück darüber hinaus. Es reicht nämlich nicht, die Rechtsschutzchancen nur für Parteien zu verbessern. „Das Wahlrecht ist das vornehmste Bürgerrecht.“ Das ist ein Zitat aus dem ersten Band der Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Im Kern unserer Demokratie, sozusagen an der Wiege der Demokratie in der Bundesrepublik, steht die Erkenntnis: Das Wahlrecht ist das entscheidende, vornehmste Bürgerrecht. Auch dieses Recht muss mit -einem subjektiven Rechtsschutz im Interesse des Wahlbürgers versehen sein. Genau diesen subjektiven Rechtsschutz führen wir ein. Wir haben lange überlegt, wie man das praktikabel machen kann. Zum Schluss haben wir auch sehr intensiv mit dem Wahlprüfungs- und Geschäftsordnungsausschuss darüber gesprochen. Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal bei den Kollegen dieses Ausschusses und bei dem Vorsitzenden, dem Kollegen Strobl, die uns dabei geholfen haben, das gemeinsam so hinzubekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir führen den subjektiven Wahlrechtsschutz ein, indem wir ihn harmonisch in das Wahlprüfungsverfahren integrieren, das schon gut funktioniert. Dieses Verfahren sollten wir auch nicht schlechtreden. Wir erweitern es jetzt aber um dieses subjektive Element. Das bedeutet, dass der Einzelne unabhängig von einer Mandatsrelevanz und einer Sitzverteilungsrelevanz eines Wahlfehlers sein Wahlrecht einfordern und einklagen kann. Wir schaffen daher beispielsweise das Erfordernis von 100 Unterschriften für eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ab. Das sind klare Signale in Richtung eines subjektiven Rechtsschutzes. Ich betone es noch einmal: Das Wahlrecht ist das Recht des Bürgers und des Wählers, aber es ist auch das Recht des Kandidaten, der sich bei einer Wahl aufstellen lassen möchte. Deshalb ist die heutige Reform ein Meilenstein und die Schließung der vielleicht letzten Rechtsschutzlücke, die in unserem Staat mit seinen ansonsten umfassenden Rechtswegen noch existiert. Es gibt einen weiteren Punkt, der nicht übersehen werden sollte. Wir ergänzen die Wahlausschüsse – den Bundeswahlausschuss und die Landeswahlausschüsse – um Richterpersonen. Bei den Landeswahlausschüssen geschieht dies durch Richter an Oberverwaltungsgerichten, beim Bundeswahlausschuss geschieht dies durch Richter am Bundesverwaltungsgericht. Bisher waren in diesen Wahlausschüssen ausschließlich Vertreter von Parteien. Hierfür gibt es sicherlich Argumente, zum Beispiel dass sie besondere Sachkenntnisse besitzen. Das brachte jedoch gelegentlich den Vorwurf ein, dass es eine Art „Closed Shop“ gebe und dass man kartellartig versuche, Konkurrenten zu verhindern. Ich habe nicht den Eindruck, dass dies in der Vergangenheit der Fall war, jedoch sollte schon allein diesem Eindruck entgegengewirkt werden. Dies geschieht durch die zusätzliche Kompetenz und Sachkunde, die durch diese Richter eingebracht werden. Ich glaube, das ist ein gutes Signal, was die Objektivierung und die weitere Verbesserung der Arbeit der Wahlausschüsse angeht. So kann ein Beitrag zu einem verbesserten Rechtsschutz und zu einer verbesserten Rechtsstellung der betroffenen Parteien, aber auch der Kandidaten geleistet werden. Ich möchte noch betonen: Insgesamt ist es uns in -Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und dem Justizministerium, deren Vertreter hier gut zugearbeitet haben, gelungen, zwei Ziele zu kombinieren. Zum einen führen wir den Rechtsschutz in Wahlsachen tatsächlich ein. Der Rechtsschutz existiert künftig vor dem Wahlprüfungsausschuss und vor dem Bundesverfassungsgericht. Ich frage: Vor welchem höheren Gericht könnte dieser Rechtsschutz wahrgenommen werden als vor dem Bundesverfassungsgericht? Zum anderen führen wir diesen Rechtsschutz ein, ohne die Durchführbarkeit von Wahlen zugleich unzumutbar zu beeinträchtigen. So wichtig der Rechtsschutz in Wahlsachen auch ist, ist es meines Erachtens noch wichtiger, dass Wahlen überhaupt fristgerecht stattfinden können. Wenn wir einen Rechtsschutz in der Art einführen würden, wie er teilweise vorgeschlagen wurde, dass nämlich alle Rechtsschutzmöglichkeiten schon vor der Wahl genutzt werden können, dann wäre das Chaos vorprogrammiert. Es ist auch keine Lösung, flächendeckend alle Verwaltungsgerichte vor oder nach der Wahl mit der Wahlprüfung zu beauftragen. Dies muss ein gebündeltes Verfahren bleiben. Wir haben die Kombination aus Rechtsschutz und Praktikabilität erreicht. Dafür sage ich noch einmal allen Beteiligten einen ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dieter Wiefelspütz ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Angelegenheit ist alles gesagt worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es war aber Nacht, als alles gesagt wurde. Herr Krings hat heute noch einmal in vollem Sonnenlicht das Nötige gesagt. Ich möchte mich sehr herzlich für die gute und faire Zusammenarbeit bedanken. Herr Ruppert, Herr Krings und Herr Montag, ich glaube, wir haben das ganz solide auf die Reihe bekommen. Herr Ruppert und Herr Krings, Sie kriegen zwar sonst nichts auf die Reihe. Aber an dieser Stelle hat alles gut funktioniert, auch deswegen, weil wir geholfen haben. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hätte jetzt nicht sein müssen! Der gute Einstieg ist -dahin!) Wir haben in Deutschland ein wunderbares Wahlrecht. Es ist geprägt von Subtilität und Perfektion. Das, was wir bei unseren Bundestagswahlen auf die Reihe kriegen, ist mit Blick sowohl auf die praktische Durchführung als auch auf den rechtlichen Bereich mehr als erstaunlich. Allerdings glaube ich, dass man an bestimmten Stellen ausgeprägte mathematische Kenntnisse haben muss, um die Fallstricke und Subtilitäten wirklich zu begreifen. Herr Krings, hier haben wir in der Tat einen Dissens in einer wichtigen Nuance, die zum Glück nie wahlentscheidend geworden ist, es jedoch werden kann. Daher werden wir um eine entsprechende Lösung an anderer Stelle ringen. Es gibt einen Dissens in Bezug auf das -negative Stimmgewicht und die Überhangmandate. Hier hat diese Konstruktivität leider gefehlt. Deswegen tragen wir diesen Streit vor dem Bundesverfassungsgericht aus. Herr Ruppert und Herr Krings, es ist aber wie so häufig im Leben: Sie werden eine zweite Chance bekommen. Sie werden die zweite Chance bekommen, nach der Entscheidung des Gerichts vernünftig mit uns über die Schaffung der letzten Perfektion im Bereich des Wahlrechts erneut zu reden. Das, was wir heute machen, hat mit negativem Stimmgewicht und mit Überhangmandaten nichts zu tun, sondern wir füllen jetzt eine kleine – man könnte fast „blamable“ sagen – Lücke in unserem Wahlrecht in der Tat mit Inhalt, nämlich bei der Parteienzulassung, worauf Herr Krings zu Recht hingewiesen hat. Es war eines entwickelten Verfassungsstaats im Grunde unwürdig, dass es, wenn es um die Zulassung einer Partei ging, keinen Rechtsschutz vor einer Bundestagswahl gab. Das betrifft sicherlich nicht die etablierten Parteien. Aber auch die neue Konkurrenz, neue und junge Parteien, muss eine faire Chance haben, zu reagieren, wenn über ihre Existenz gestritten wird, und das schaffen wir jetzt. Wir haben noch eine zweite Verbesserung eingeführt. Dabei geht es um den subjektiven Wahlrechtsschutz. Wir haben in Deutschland ein perfektes Wahlprüfungsverfahren. Ich will das einmal anmerken: Dinge, die in Florida vor einigen Jahren passiert sind, sind in Deutschland undenkbar, weil es bei uns an dieser Stelle perfekt funktioniert. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass im Wahlprüfungsrecht die Tatsache berücksichtigt wird, dass es das Königsrecht der Bürger ist, zu wählen. Von daher ist es eine gute Verbesserung, dass wir in Zukunft auch den subjektiven Wahlrechtsschutz im Wahlprüfungsverfahren wiederfinden. So gesehen haben wir hier eine vernünftige Reform auf die Reihe gebracht. Ich bedanke mich noch einmal sehr herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich wünsche alles Gute und hoffe auf ein genauso vernünftiges Wiedersehen, Herr Ruppert und Herr Krings, nach der Entscheidung von Karlsruhe zum negativen Stimmgewicht. Schönen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Stefan Ruppert von der FDP-Fraktion ist der nächste Redner. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wiefelspütz, ich sehe Sie immer gerne wieder, in der Sache Wahlrecht reicht die Zahl der Begegnungen jetzt allerdings. Ich glaube, wir haben an zwei Stellen -ordentliche Verbesserungen in Bezug auf das Wahlrecht erreicht: einmal beim eigentlichen Wahlverfahren und jetzt beim subjektiven Wahlrechtsschutz. Beide Teile dieser Reform werden Bestand haben. Wenn man dieser Tage die Bilder aus Ägypten sieht, wenn man sieht, wie sich die Menschen vor Wahllokalen anstellen, wie sie warten und geduldig ausharren, um ihr vornehmstes und neues Recht, das Wahlrecht, wahrnehmen zu können, wenn man sieht, welche Begeisterung sie für neue demokratische Strukturen und Möglichkeiten entwickeln, dann spürt man etwas vom Zauber, den Demokratie bei Menschen auslösen kann. Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg und auch am Ende der 60er- und in den 70er-Jahren ganz hohe Wahlbeteiligungen gehabt, die klar zeigten: Jeder wollte seine politische Überzeugung zum Ausdruck bringen und daher sein Wahlrecht ausüben. Mittlerweile, nach 60 Jahren gefestigter Demokratie in Deutschland, ist klar geworden, dass die Menschen diesen Institutionen und diesem Wahlsystem vertrauen und dass es sich bewährt hat. Es ist ein gutes Zeichen, dass man trotzdem weiter an der Befestigung eines so guten bestehenden Systems -arbeitet, die Missstände behebt und die Teile, die noch nicht gut gelungen sind, noch weiter verbessert. Das -haben wir mit dieser Reform zum subjektiven Wahlrechtsschutz heute getan. Ich glaube, alle Demokraten, und zwar von der Linkspartei über die SPD, die Grünen und die CDU/CSU bis hin zur FDP, können gemeinsam stolz darauf sein, dass wir ein solch gutes, funktionierendes Wahlsystem in Deutschland haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin über die Änderungen froh. In Deutschland kann man gegen die Anbringung einer Dachrinne und gegen Glühbirnen beim Nachbarn klagen. Gegen alles Mögliche ist Rechtsschutz möglich. Trotzdem war es bis heute nicht möglich, dass eine Partei, die am demokratischen Prozess teilnehmen und sich in dieses Gemeinwesen einbringen wollte, gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundeswahlausschusses Rechtsmittel einlegen konnte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist undenkbar. Dieser Missstand musste beseitigt werden. Dafür war es höchste Zeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzentwurf muss die notwendige Balance zwischen den Belangen von funktionierenden Institutionen unserer Demokratie, der Bestandsfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit des Bundestages auf der einen Seite und dem subjektiven Wahlrechtsschutz auf der anderen Seite finden. Deswegen haben wir gesagt: Es muss möglich sein, nach der Wahl die Feststellung treffen zu können, ob der Ausschluss von der Wahl, ob die Nichtzulassung einer Landesliste rechtmäßig oder rechtswidrig war, ohne dass wir andererseits den Bestand und die Arbeitsfähigkeit funktionierender demokratischer Gremien wie dieses Bundestages gefährden. Diese Balance haben wir in diesem Gesetzentwurf meiner Meinung nach gut -erreicht. Jetzt stellt sich mir als drittem Redner an einer solch prominenten Stelle – die Kollegin Wawzyniak und der Kollege Montag werden diese Erfahrung gleich nach mir machen – die Frage: Soll man bei dieser Gelegenheit so ausführlich über die Gemeinsamkeiten von Demokraten reden? Ich sage den Zuhörern und Zuschauern, aber auch allen hier im Saal: Ja, man soll, weil wir wieder einmal bewiesen haben, dass in der repräsentativen -Demokratie mittels einer Zusammenarbeit über Partei-grenzen hinweg ein Konsens gefunden werden kann und auch große praktische Probleme aus dem Weg geräumt werden können. Gespräche führen dazu, dass diese -Demokratie wunderbare und, wie ich finde, sehr sach-gerechte Kompromisse und Ergebnisse zeitigt. Darüber können wir als Demokraten alle sehr froh sein, und da-rauf können wir stolz sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin froh, dass jetzt nach zwei Jahren die Debatte mit Fachleuten und Wissenschaftlern zu einem Abschluss gekommen ist. Man muss auch einmal sagen: Ein wichtiger Impuls zur Reform des Wahlrechts kam aus der Wissenschaft. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie hatten oft die Gelegenheit dazu gehabt!) Der Kollege Heinrich Lang hat 1996 in seiner Dissertation einen Vorschlag gemacht, der dem, den wir heute verwirklichen, sehr ähnlich ist. Es ist doch einmal schön, zu sehen, wie wissenschaftliche Debatten Eingang in die Arbeit des Bundestages finden. Ich bin froh, dass wir diesen Gesetzentwurf weiterentwickelt haben. Ich danke auch Herrn Strobl, der uns zur rechten Zeit auf die notwendigen Erfordernisse der Praxis, auf die Arbeitsfähigkeit eines Wahlprüfungsausschusses und -darauf, dass wir auch in angemessener Zeit bei der Wahlprüfung zu Ergebnissen kommen müssen, hingewiesen hat. Insofern haben wir es auch an dieser Stelle -geschafft, die sehr wohlbegründeten Bedenken einzuarbeiten, und am Ende einen wunderbaren Gesetzentwurf vorgelegt. Ich empfehle Ihnen allen die Zustimmung. Ich habe auch mit der Fraktion Die Linke wiederholt Gespräche geführt. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das verdient besondere Anerkennung!) Auch ihr Gesetzentwurf enthält viele positive Elemente, denen ich zustimme. Aber beim Fristenregime und bei der Frage des Rechtsschutzes hinsichtlich der Parteienzulassung vor den Verwaltungsgerichten kommt unser ansonsten robustes Wahlsystem zu leicht ins Schwanken. Deswegen folge ich Ihnen aus fachlichen Gründen an dieser Stelle nicht. Aber ich erkenne an, dass meiner Meinung nach auch Sie in die richtige Richtung gedacht haben. Vielleicht schaffen wir es beim nächsten Mal, wenn wieder solche Fragen auftauchen, alle gemeinsam zusammenzuarbeiten. Darauf freue ich mich. Ich stimme unseren Gesetzentwürfen aus vollem Herzen zu. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin -Wawzyniak das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin außerordentlich erfreut, dass alle anderen Parteien der Linken folgen und eine Sonneborn-Regelung zum Rechtsschutz im Wahlrecht einführen wollen. Sie dürfen das natürlich nicht so nennen. Die Sonneborn-Regelung ist bei Ihnen außerdem nur eine halbe Sonneborn-Regelung. Das werde ich Ihnen jetzt anhand der Krings-Kriterien erläutern. Herr Krings hat in der Debatte zum Gesetzentwurf der Linken Kriterien an unseren Gesetzentwurf angelegt. Diese Kriterien legen wir jetzt einmal an Ihren Gesetzentwurf an. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr gern!) Da stellen wir zunächst fest: In Ihrem Gesetzentwurf beträgt die Frist zwischen der Entscheidung des Bundeswahlausschusses und des Bundesverfassungsgerichts im schlimmsten Falle 16 Tage, im Gesetzentwurf der Linken 18 Tage. Zudem enthält der Gesetzentwurf der anderen Fraktionen keinerlei Regelung, wie es in dem Falle zuzugehen hat, wenn eine vorgezogene Bundestagswahl stattfindet. Wir fanden das nicht schlimm und haben deshalb in unseren Gesetzentwurf keine Regelung dazu aufgenommen. Herr Krings fand das aber schlimm. Eine Regelung dazu ist jedoch auch in Ihrem Gesetzentwurf nicht enthalten. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach nee!) Wir müssen drittens feststellen, dass Sie allein den Rechtsschutz für die Nichtzulassung als Partei regeln. Was Sie nicht regeln, ist der Rechtsschutz vor der Wahl, wenn eine Landesliste oder ein Kreiswahlvorschlag nicht zugelassen wird. Damit haben Sie nur die halbe Sonneborn-Regelung vorgesehen. Herr Krings, man kann eine Landesliste und einen Kreiswahlvorschlag selbst dann nicht zulassen, wenn die Parteieigenschaft festgestellt worden ist. Insofern zieht Ihr Argument, dass es zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen könnte, in keinem Fall. (Beifall bei der LINKEN) Sie lösen das Problem der Wahlausschüsse aus meiner Sicht etwas unbefriedigend. Wir haben das Problem – das sehen Sie offensichtlich auch so –, dass die Konkurrenz, nämlich die Parteien, die im Bundestag ver-treten sind, über die Zulassung der anderen Parteien -entscheiden. Nun kommen Sie auf die Idee, die Wahlausschüsse auch mit Richterinnen und Richtern zu besetzen. Wir haben unsere Erfahrungen mit Richterinnen und Richtern, aber das ist ein Placebo. Denn es ändert nicht wirklich etwas an dem Problem, dass die Konkurrenz über die Zulassung entscheidet. Sie haben uns vorgeworfen, dass wir in unserem Gesetzentwurf keine Grundgesetzänderung vorsehen. Ja, wir hielten das nicht für nötig. Sie halten das für nötig. Deswegen stimmen wir auch nicht dagegen. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ui!) Sie sagen: Sie regeln in Ihrem Gesetzentwurf den subjektiven Rechtsschutz, nämlich dass sich Bürgerinnen und Bürger, die der Meinung sind, bei der Wahl in ihren Rechten eingeschränkt worden zu sein, dagegen wehren können. Sie alle haben verschwiegen, dass das, was Sie in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen haben, auf Anregung der Fraktion Die Linke geschehen ist. Das ist gut; es geht aber nicht weit genug. Denn am Ende bleibt es nur ein nachträglicher Rechtsschutz. Auch das geht nicht weit genug; es schadet aber auch nicht. Deswegen stimmen wir auch an dieser Stelle nicht dagegen. Besonders schwierig finde ich aber, dass Sie Fragen offengelassen haben. Was passiert eigentlich, wenn das Bundesverfassungsgericht die Parteieigenschaft bejaht? Wie lange gilt das? Für vier, drei oder zwei Jahre? Was passiert, wenn das Bundesverfassungsgericht in der von Ihnen gesetzten Frist nicht über die Parteieigenschaft entscheidet? Wir finden, dass im Zweifelsfall die Parteieigenschaft festgestellt werden sollte. Das heißt, Sie hätten klarstellen müssen: Wenn das Bundesverfassungsgericht nicht entscheidet, gilt eine Partei als zugelassen. Abschließend muss ich Ihnen sagen: Wir machen keine halben Sachen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Weil Sie nur halbe Sachen machen und nur die halbe Sonneborn-Regelung aufnehmen, werden wir uns bei Ihrem Gesetzentwurf enthalten. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Montag ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Aber kurz, Kollege Montag!) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede, die wir von der Kollegin Wawzyniak gehört haben, ist so ausgefallen, weil die Union sich der Linken gegenüber in einer bestimmten Art und Weise verhält. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir mit Frau -Wawzyniak verhandelt hätten, dann hätten wir gute Kompromisse gefunden. Dann hätte sie keinen Grund gehabt, eine solch mäkelige Rede zu unserem Gesetzentwurf zu halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn in der Sache sind die Kritikpunkte nicht berechtigt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die OSZE, hat 2009 die Bundestagswahlen beobachtet. Es ist nicht verwunderlich: Die Kommission, die die Rechtmäßigkeit und demokratische Durchführung der Wahlen in Deutschland beobachtet hat, hat uns beste Zeugnisse ausgestellt – bis auf einen Punkt: Parteien, die an Wahlen teilnehmen wollen, benötigen eine Zulassung. Eine solche Zulassung spricht nur der Bundeswahlausschuss aus. Wenn er eine Zulassung ablehnt, kann die Partei an den Wahlen nicht teilnehmen. Obwohl es die Grundrechtsgarantie des Rechtswegs vor die ordentliche Gerichten gibt, kann die Partei bisher ihr Recht auf Teilnahme an den Wahlen nicht einklagen. Das ist ein Missstand. Das ist in einer gewachsenen Demokratie ein Fehler. Das ist auch der zentrale Punkt unserer Reform. Wir benötigen eine Grundgesetzänderung, damit das Bundesverfassungsgericht in den besagten Fällen die Möglichkeit erhält, noch vor der Wahl den betroffenen Gruppierungen mitzuteilen, ob sie an den Wahlen teilnehmen dürfen oder nicht. Dies ist der entscheidende Punkt der Reform, die wir durchführen. Der zweite genauso wichtige Punkt ist, dass Bürgerinnen und Bürger manchmal an der Ausübung ihres Rechts, sich an Wahlen zu beteiligen – entweder aktiv, indem sie wählen gehen wollen, oder passiv, indem sie über Landeslisten oder als Direktkandidaten gewählt werden wollen –, in dem hochkomplexen Verfahren einer Bundestagswahl – ein Verfahren, das nicht fehlerlos ist – gehindert werden. Einige werden nicht zur Wahl zugelassen. Einigen wird verwehrt, zu wählen. Es ist ein Manko, dass sich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger – es handelt sich zum Glück nur um wenige – nur nach der Wahl beim Bundestag darüber beschweren können. Wir haben darüber nachgedacht, wie wir die Position dieser Menschen stärken können. Unsere Lösung ist: Wir stellen die Wahl als insgesamt funktionierendes Unternehmen nicht infrage, bieten den betroffenen Menschen aber ein Verfahren an, an dessen Ende ihnen gesagt wird, ob ihnen Unrecht geschehen ist oder nicht. Das ist subjektiver Rechtsschutz; den führen wir nun mithilfe von Wahlausschüssen, Beschwerdeinstanzen und der Entscheidung des Bundestages ein. Wir werden in Zukunft nicht nur feststellen, ob die Wahl insgesamt ordnungsgemäß durchgeführt wurde, sondern auch, ob dem Einzelnen Unrecht geschehen ist oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Alles in allem freue ich mich sehr darüber, dass ich mich an dieser Reform beteiligen konnte. Ich empfehle Ihnen allen, sowohl die Grundgesetzänderung als auch die Gesetzesänderungen anzunehmen. Ich wünsche mir, dass wir recht bald ein ähnlich hohes Maß der Zusammenarbeit bei der Reform des Wahlrechts, das für dieses Parlament notwendig ist, auch bei den strittigen Fragen des negativen Stimmgewichts erreichen werden. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele, die diese Debatte in diesem Hause als Abgeordneter, als Zuhörer oder außerhalb des Deutschen Bundstages verfolgen, sind vielleicht etwas erstaunt über die Abstraktheit des Themas. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das war doch gerade ein konkreter Redebeitrag!) Aber es geht um eine Materie, die die Wählerinnen und Wähler in Deutschland ganz konkret betrifft. Es geht darum, wann und wie kontrolliert wird, ob eine Bundestagswahl ordnungsgemäß abgelaufen ist und ob die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages tatsächlich dem Willen der Wählerinnen und Wähler entspricht. Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel aus der Praxis des Wahlprüfungsausschusses nennen, um das zu verdeutlichen. So beklagte etwa ein Einspruchsführer, dass sein Wahllokal in der Schalterhalle einer Sparkasse eingerichtet wurde, obwohl die Überwachungskameras aus versicherungstechnischen Gründen nicht abgeschaltet werden konnten. Er fühlte sich bei seiner Stimmabgabe unzulässig beobachtet. Sein Gefühl täuschte ihn nicht. Er hatte freilich recht. Das Grundgesetz besagt nun, dass die Wahlprüfung Sache des Bundestags bzw. des Wahlprüfungsausschusses ist. So erreichten uns bei der letzten Bundestagswahl 163 Einsprüche. Bei vorangegangenen Bundestagswahlen waren es zum Teil 500 bis 600 Einsprüche. Obwohl immer wieder zahlreiche Wahlfehler festgestellt werden, ist noch nie eine Bundestagswahl wiederholt worden. Dies lag daran, dass sich bei der Prüfung keiner der Wahlfehler als so umfassend herausgestellt hat, dass er Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestags gehabt hat oder auch nur in irgendeiner Art und Weise hätte haben können. Wir untersuchen also ganz konkrete Fälle. Wenn es nicht denkbar ist, dass man zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, selbst wenn alle Stimmen, die in unrechtmäßiger Art und Weise nicht gezählt worden sind, dem nicht gewählten Abgeordneten zugefallen wären, dann wird der Einspruch abgewiesen. Nun wollen wir die Tatsache, dass ein Wahlfehler passiert ist, auch wenn es eine Abweisung des Einspruchs aufgrund mangelnder Mandatsrelevanz gibt, in der Tenorierung des Beschlusses deutlich herausstellen. Wir wollen dies nicht nur deswegen tun, damit diejenigen, die Einspruch erheben, etwas zufriedener sind, sondern wir erhoffen uns dadurch eine stärkere Wirkung, dass sich solche Wahlfehler in Zukunft nicht wiederholen. Das Wahlrecht darf nicht nur auf dem Papier gelten, sondern es muss aufmerksam und sorgfältig kontrolliert und weiterentwickelt werden. Das Wahlrecht ist ein Essential, ein Grundrecht unserer Demokratie, auf dem letztlich alles andere aufbaut. Um es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sagen: Der permanente Prozess der Willensbildung des Volkes mündet ein in den entscheidenden Akt der Parlamentswahl. Hierdurch übt das Volk den ihm gebührenden Einfluss auf die Bildung des staatlichen Willens durch seine verfassten Organe aus. Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist der Schutz des Wahlrechts unserer Bürgerinnen und Bürger in jedem Fall eine der vornehmsten Pflichten des Parlaments selber. Dazu gehört auch der zweite Punkt, der heute beschlossen werden soll. Bisher hatten insbesondere kleine und neue Parteien, denen vor der Wahl die Zulassung als Partei versagt und damit die Chance genommen wurde, von den Wählerinnen und Wählern überhaupt gewählt werden zu können, nur die Möglichkeit, nach einer Wahl dagegen Einspruch einzulegen. Für mich persönlich war das eine Rechtsschutzlücke, die wir heute richtigerweise schließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Durch eine wirklich sehr konstruktive Zusammen-arbeit im Ausschuss ist es uns gelungen, den ursprünglichen Entwurfstext durch einige wenige Detailregelungen, die das Verfahren im Wahlprüfungsausschuss betreffen, zu konkretisieren. Wir haben Regelungen -gefunden, die den Wahlprüfungsausschuss und den Deutschen Bundestag nicht überfordern und den Ermittlungsaufwand in angemessenen Grenzen halten. Die Wahlprüfungsverfahren sollen, auch wenn es mehrere Hundert sind, nicht erst dann abgeschlossen werden können, wenn die nächste Bundestagswahl schon vor der Tür steht. Hier war ein sorgfältiger Abwägungsprozess vorzunehmen. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen herzlich dafür bedanken, dass wir Regelungen gefunden und Abwägungen in einer Art und Weise vorgenommen haben, die einerseits die nötige Schnelligkeit der Wahlprüfung mit einem vertretbaren Aufwand ermöglichen und andererseits auch dem Interesse des Einsprechenden gerecht werden, und dass wir Wahlfehler in der Tenorierung des Beschlusses explizit feststellen, auch wenn wir den Einspruch mangels Mandatsrelevanz abweisen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herzlichen Dank insbesondere den Kollegen Dr. Krings, Dr. Wiefelspütz, Dr. Ruppert und Herrn Kollegen Montag. Es ist immer wieder gut, dass die demokratischen Parteien in diesem Hause bei allem notwendigen und leidenschaftlich geführten Streit auch in der Lage sind, fraktionsübergreifend das zu gestalten, was gemeinsam gestaltet werden sollte. Zu dem, was gemeinsam gestaltet werden sollte, gehört meines Erachtens auch das Wahlrecht; denn das Wahlrecht gilt für alle. Insofern möchte ich mich insgesamt bei den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen dafür bedanken, dass wir nun ein gemeinsames Ergebnis zur Stärkung und zum Schutz unseres Wahlrechts gefunden haben. Ich möchte mich auch für die angekündigte Zustimmung bei der Schlussabstimmung zu diesen Gesetzesänderungen bedanken, die eine Weiterentwicklung des Wahlrechts, aber auch eine Weiterentwicklung unserer Verfassung, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, beinhalten. Ihnen allen danke ich herzlich für das Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für die letzte Rednerin, die Kollegin Steffen, (Beifall bei der SPD) bevor wir dann zu der namentlichen Abstimmung kommen. Nehmen Sie doch bitte noch einen Augenblick Platz, und sorgen Sie mindestens für die notwendige Aufmerksamkeit. (Beifall des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) Sonja Steffen (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Dr. Ruppert hat vorhin schon auf die Wahlen in Ägypten verwiesen, die dort mit viel Begeisterung wahrgenommen werden. Bei uns in Deutschland sieht die Situation etwas anders aus. Gerade in Zeiten der Politik- und Parteienverdrossenheit, wie wir sie hier erleben, können wir es uns meines Erachtens nicht leisten, im Wahlrechtsschutz Lücken zu lassen, die das subjektive Wahlrecht abwerten und neuen Parteien den Zugang zu Wahlen erschweren. Als Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung war ich erst gegen Ende der parlamentarischen Beratungen einbezogen. Auch ich möchte an dieser Stelle meinen Kollegen danken, die über viele Monate – wir haben vorhin gehört, dass es zwei Jahre waren – die Beratungen geführt und die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs vorangetrieben haben. Sie sind zu einem guten Ergebnis gekommen – auch durch die Erkenntnis, dass der Geschäftsordnungsausschuss hier mit einbezogen werden muss. Auf Vorschlag des 1. Ausschusses – der Kollege Strobl hat es bereits gesagt – sind nun noch einige Präzisierungen vorgenommen worden. Letztendlich wird sich erst in der Praxis zeigen, ob wir Regelungen gefunden haben, die einen ausgewogenen Kompromiss zwischen der Stärkung des subjektiven Wahlrechts einerseits und der Praktikabilität andererseits darstellen. (Unruhe) Es gibt unzählige Beispiele – einige davon sind schon genannt worden –, wie das Wahlrecht verletzt werden kann. Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie nun wirklich bitten, noch einen Augenblick zuzuhören und mit der gebotenen Aufmerksamkeit diese Debatte – wir ändern gleich das Grundgesetz – zu einem angemessenen Abschluss zu führen. (Beifall im ganzen Hause) Sonja Steffen (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. Es ist tatsächlich etwas schwierig, gegen die Geräuschkulisse anzureden. Um welche Beispiele geht es? Zu nennen sind unter anderem die fehlende Prüfung der Ausweispflicht im Wahllokal, nicht vorhandene Briefmarken für die Briefwahl, der verspätete Erhalt der Briefwahlunterlagen und Wahlwerbung unmittelbar vor dem Wahllokal. Es gibt unzählige Beispiele. Viele der Kolleginnen und Kollegen, die heute hier sitzen, dürften schon ähnliche Fälle erlebt haben oder während Bürgersprechstunden vorgetragen bekommen haben. Natürlich ist es nicht Sache des Wahlprüfungsausschusses, jede gefühlte Verletzung des Wahlrechts zukünftig kleinteilig zu prüfen. Hier muss der Ausschuss eine Möglichkeit haben, ein gewisses Ermittlungsermessen auszuüben. Das haben wir in dem Entwurf auch so vorgesehen. Schade ist – das hat der Kollege Montag vorhin schon gesagt –, dass bei dem wichtigen Thema Wahlrechtsschutz, das alle Parlamentarier betrifft und eigentlich überparteilich gelöst werden müsste, immer wieder Ausgrenzereien stattfinden. Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dass Sie zukünftig alle Fraktionen mit einbeziehen, also auch die der Linken – wobei ich mir nach Ihrer Rede, Frau Wawzyniak, allerdings nicht sicher bin, inwieweit Ihre Fraktion tatsächlich zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit gewesen wäre. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Na, na, na! Für unseren Ausschuss gilt das aber nicht!) Meine Damen und Herren, der Präsident hat schon darauf hingewiesen, dass wir heute das Grundgesetz ändern. Gerade meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechtsausschuss werden mir zustimmen, dass wir es uns mit Änderungen des Grundgesetzes nie einfach machen. Neben der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Parlament bedürfen Grundgesetzerweiterungen einer ganz besonderen Bedeutung. Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen stärken wir unsere parlamentarische Demokratie und das Wahlrecht als ihren fundamentalsten Bestandteil. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes kommen, möchte ich mich auch persönlich noch einmal bei allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen für die Regelung bedanken, die sie mit großer Übereinstimmung gefunden haben. Der eine oder andere mag sich daran erinnern, dass ich zu Beginn dieser Legislaturperiode an dieser Stelle ausdrücklich Regelungsbedarf angemeldet habe. Denn gerade mit Blick auf das auch international hochgeschätzte deutsche Wahlrecht war das Thema, das wir heute regeln, mehr als ein Schönheitsfehler. Sosehr uns diese Regelung abstrakt vorkommen mag, im konkreten Fall hätte sie handfeste Folgen für unser eigenes Verständnis von der Legitimität von Wahlen. Insofern findet heute eine scheinbar unauffällige, aber wesentliche Ausbesserung einer ärgerlichen Lücke statt. Deswegen noch einmal herzlichen Dank an alle, die diese einvernehmliche Regelung ermöglicht haben. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/9733, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 17/9392 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erforderlich ist; das sind mindestens 414 Stimmen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind von den Schriftführern alle Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das sieht so aus. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Dann empfehle ich den Schriftführerinnen und Schriftführern, ihre Stimmkarte einzuwerfen, schließe damit die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung teilen wir wie immer während der weiteren Sitzung mit.2 Wir setzen die Abstimmungen fort. Tagesordnungspunkt 9 b. Hier geht es um die Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der schon zitierten Drucksache 17/9733, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/9391 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit der großen Mehrheit des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen nun unter dem Tagesordnungspunkt 9 c zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Stärkung des Rechtsschutzes im Wahlrecht durch Einführung der sogenannten Sonneborn-Regelung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/9748, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf der Druck-sache 17/7848 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den vorhin genannten Mehrheiten abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern – Drucksache 17/9725 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Hubertus Heil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fachkräftesicherung wird zur zentralen ökonomischen, aber auch zur zentralen sozialen Frage des nächsten Jahrzehnts. Das weiß jeder, der sich mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt auskennt. Aber, meine Damen und Herren, es ist wie so oft: Diese Bundesregierung – ähnlich wie beim Thema Energiewende, ähnlich wie bei der Bewältigung der Krise in Europa – unterschätzt die Bedeutung dieses Themas. (Beifall bei der SPD) Worum geht es? Es geht darum, angesichts der Veränderungen in der Demografie, die sich am Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren auswirken werden, zu begreifen, dass wir an einer Weggabelung stehen. Entweder wir lassen zu, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland sich weiter spaltet, dass auf der einen Seite immer mehr Unternehmen händeringend qualifizierte Fachkräfte suchen und auf der anderen Seite viel zu viele Menschen durch Langzeitarbeitslosigkeit oder prekäre Arbeitsverhältnisse abgehängt werden, dass diese Spaltung sich also vertieft, oder wir nützen die Entwicklung dafür, dass der soziale Aufstieg in diesem Land wieder zum Thema wird, dass Menschen die Möglichkeit haben, teilzunehmen, dass wir uns einmal ein ambitioniertes Ziel vornehmen, nämlich dass Menschen in guter Arbeit sind und in 10 bis 15 Jahren in diesem Land wieder Vollbeschäftigung herrscht. Vor dieser Wahl stehen wir, wenn es um das Thema Fachkräftesicherung geht. Und was tun Sie, meine Damen und Herren von der Koalition? Schöne Reden halten. Es gab im letzten Jahr einen Gipfel mit den Sozialpartnern – wenn Sie sich mit Leuten treffen, nennen Sie das immer „Gipfel“ – in Meseberg. Dort ist unverbindlich über dieses Thema geredet worden. Dieser Gipfel gibt aber keine Antwort auf die Frage, wie man die gemeinsame Kraftanstrengung zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik gestaltet, um den Herausforderungen des Fachkräftebedarfs der Zukunft zu begegnen. Wir dagegen schlagen vor, dass wir uns auf den Weg machen, die Chancen, die diese Entwicklung bietet, zu nutzen, um die Spaltung am Arbeitsmarkt zu überwinden. Dazu muss man sich das Potenzial der Menschen in diesem Land vergegenwärtigen, die wir dringend brauchen und denen wir eine Chance geben müssen, damit sie in diesem Land am Arbeitsleben teilhaben können. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Die Bundesagentur für Arbeit hat uns das ins Stammbuch geschrieben. In erster Linie müssen wir die Frage beantworten, wie wir es schaffen, dass mehr junge Leute die Chance auf schulische Bildung, einen Schulabschluss und Ausbildung haben. (Beifall bei der SPD) In Deutschland verlassen Jahr für Jahr 65 000 Menschen die Schulen ohne schulischen Abschluss. Wenn wir nicht aufpassen, organisieren wir den Nachwuchs für Langzeitarbeitslosigkeit. Das können wir uns aber weder sozial noch ökonomisch leisten. Die Zahl der Ausbildungsabbrecher in diesem Land ist ein Problem. 1,5 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 20 und 30 Jahren haben keine berufliche Erstausbildung. Das Potenzial müssen wir heben. Dafür müssen wir die frühe und individuelle Förderung von Kindern und das längere gemeinsame Lernen in den Schulen durchsetzen. Das ist der Auftrag an die Bundesländer in Deutschland. (Beifall bei der SPD) Wir müssen uns aber auch um die kümmern, die schon einmal gescheitert sind. Wir brauchen eine Kultur der zweiten Chance. In diesem Zusammenhang ist es sträflich, dass die Bundeministerin von der Leyen, die jetzt nicht da ist, die Chancen der jungen Leute, die es von Haus aus schwer haben und den Einstieg bereits einmal verpasst haben, durch die Kürzungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik noch weiter verschlechtert. Das nenne ich fahrlässig. Das ist das Gegenteil von Fachkräftesicherung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die größte Ressource – auch das sagt die Bundesagentur für Arbeit – für die Fachkräftesicherung in unserem Land sind neben den jungen Menschen mit den Bereichen der schulischen Bildung, der Ausbildung und des Hochschulzugangs die Frauen in Deutschland. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) In diesem Land haben wir eine Generation von gut ausgebildeten jungen Frauen, besser denn je. Wenn man sich aber die Chancen für den beruflichen Einstieg und Aufstieg von Frauen ansieht, stellt man fest: Das ist unmöglich und nicht mehr zeitgemäß. Im Bereich der Erhöhung der Frauenerwerbsquote in diesem Land und des Arbeitsvolumens von Frauen, die unfreiwillig in der Teilzeitfalle stecken, liegt ein Riesenpotenzial. Und was macht diese Bundesregierung? Anstatt Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Interesse von Männern und Frauen zu verbessern, wollen Sie ein unsinniges Betreuungsgeld, eine Fernhalteprämie einführen, um Frauen vom Arbeitsmarkt und Kinder von der frühkindlichen Förderung fernzuhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das Gegenteil von Fachkräftesicherung. Sie haben nicht begriffen, dass man gerade in guten Zeiten – in Deutschland sind wir in wirtschaftlich guten Zeiten – in die Zukunft investieren, dass man säen muss, um ernten zu können. Sie haben das nicht begriffen. Das betrifft vor allem die Chancen der Jugendlichen und die Chancen von Frauen. Was ist das dritte große Potenzial? Es steckt in der Frage, ob wir es schaffen, dass die Menschen beschäftigungsfähig bleiben, dass Menschen über 55 Jahren nicht zum alten Eisen gehören und dass sie eine Chance zum Arbeiten haben. Wenn man das will, dann muss man gegen unwürdige, prekäre Arbeitsverhältnisse in diesem Land vorgehen, (Beifall bei der SPD) dann muss man den Gesundheitsschutz fördern und Weiterbildung betreiben. Auch da gibt es nur schöne Broschüren, warme Worte und keine konkreten Maßnahmen dieser Bundesregierung. Wir schlagen Ihnen vor, mit diesem Thema anders umzugehen. Wir wissen, dass es vor allen Dingen die Aufgabe der Wirtschaft und der Unternehmen selbst ist, sich diesem Thema zu widmen, weil sie dringend qualifizierte Fachkräfte suchen. Viele kluge Unternehmen haben das schon begriffen und stellen sich darauf ein. Einige Unternehmen müssen in diesem Bereich noch viel nachholen. Wir müssen uns aber auch als Staat zusammen mit der Wirtschaft, den Tarifparteien, der Bundesagentur für Arbeit, den Wohlfahrtsverbänden und den kommunalen Spitzenverbänden diesem Thema zuwenden. Nach meiner festen Überzeugung wird nach wie vor unterschätzt, was in den nächsten Jahren an Risiken und Chancen auf uns zukommt. Um die Chancen zu nutzen und den Risiken entgegenzuwirken reicht es jedoch nicht aus, unverbindliche Gipfeltreffen zu organisieren, auf denen man über dieses Thema nach dem Motto „Es ist wichtig, dass man darüber geredet hat“ spricht. Wir werden zu konkreten Vereinbarungen kommen müssen. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz hat im Jahr 2009 dazu die ersten Schritte getan. Die Allianz für Fachkräfte, die er auf den Weg gebracht hat, war der erste Schritt hin zu einer besseren Koordinierung zwischen den verschiedenen Akteuren. Wir schlagen vor, dass wir einen Schritt weiter gehen. Wir wollen mit Ihnen darüber diskutieren, ob es nicht sinnvoll ist, in diesem Land einen „Rat für Fachkräftesicherung“ einzuführen. Dieser sollte hochkarätig angesiedelt sein, damit die Kompetenzen in den Ministerien nicht weiter verstreut sind, sich diese nicht weiter wechselseitig blockieren, lediglich Broschüren produzieren und am Ende des Tages unverbindliche Gespräche führen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nur ein anderer Name für Arbeitskreis!) Damit können wir die Potenziale in diesem Land tatsächlich mobilisieren. Noch etwas: Wenn ich die Verlautbarungen der Bundesregierung zum Thema Fachkräftesicherung lese, dann fällt mir auf, dass – zu Recht, gar keine Frage – sehr viel davon die Rede ist, dass wir mehr hochqualifizierte Akademikerinnen und Akademiker in diesem Lande brauchen. Dazu braucht man übrigens erhebliche Anstrengungen zwischen Bund und Ländern, was den Ausbau von Studienplätzen betrifft. Es müssen auch mehr Möglichkeiten geschaffen werden, dass Menschen auch ohne allgemeine Hochschulreife die Chance haben, aufsteigen zu können. Ein Thema jedoch spielt bei Ihnen fast keine Rolle, nämlich die Notwendigkeit, in der Breite der Qualifikation, im Bereich der dualen Berufsausbildung voranzukommen. Sie unterschätzen diesen Standortvorteil. Auch hier gibt es keine Initiativen. Wir sagen Ihnen: Wir müssen umkehren und dafür sorgen, dass diese Fragen wieder zu einem großen Thema in der Politik werden, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Reden, sondern vor allem im Hinblick auf das Handeln. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ich will Ihnen abschließend sagen: Es sind die zentralen Fragen unserer Zeit, die sich beim Thema Fachkräftesicherung bündeln. Es geht um die Fragen, ob wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben, ob wir Vollbeschäftigung erreichen, ob wir es schaffen, dass die Generationen in diesem Lande, die sich im Altersaufbau verändern werden, gut zusammenleben, ob gleiche Bildungschancen für alle möglich sind, ob wir die Gleichstellung von Männern und Frauen durchsetzen und ob wir eine weltoffene, integrationsfähige Gesellschaft bleiben. Das sind die Fragen, die sich in diesem Thema wie in einem Brennglas bündeln. Ich kann nur sagen: Es ist sträflich, dass die Bundesregierung diese wichtigen Fragen – wie bei der Energiewende, wie bei der Krise in -Europa – derart vernachlässigt. (Zuruf von der FDP: Das ist abstrus!) Wir setzen Konzepte dagegen, wir machen Vorschläge. Bewegen Sie sich auf uns zu. Das wäre gut für Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen zur Änderung des Grundgesetzes mitteilen: abgegebene Stimmen 576. Für die Annahme ist nach den Regelungen unserer Verfassung die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erforderlich, das sind 414 Stimmen. Enthalten haben sich 66 Kolleginnen und -Kollegen, mit Ja gestimmt haben 510. Es hat keine Neinstimmen gegeben. Damit ist der Gesetzentwurf mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 510 enthalten: 66 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir setzen die Aussprache fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, dass die SPD-Fraktion sich des Problems des Fachkräftemangels annimmt. Die Bundesregierung hat das schon lange getan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Am 22. Juni 2011 wurde ein Konzept im Kabinett verabschiedet. Dieses Konzept sieht als notwendige Voraussetzung vor, auf allen Ebenen und in allen Bereichen zusammenzuarbeiten, weil man das Problem alleine nicht gelöst bekommt. Hier sind neben dem Bund auch die Länder, die Kommunen, die Innungen und die So-zialpartner gefordert. Außerdem sind diejenigen gefordert, die im dualen System aktiv tätig sind. Ich habe nicht den Eindruck, dass in der Industrie oder in der Wirtschaft das Problem des Fachkräftemangels nicht angekommen sei. Dort hat man das Problem sehr wohl erkannt, man ist zur Kooperation bereit. Die Bundesregierung koordiniert schon seit längerer Zeit sehr zielgerichtet Maßnahmen in diesen Bereichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Bei über 41 Millionen Erwerbstätigen und einer Arbeitslosenzahl von unter 3 Millionen rede ich bei einem dank der dualen Ausbildung niedrigen Stand der Jugendarbeitslosigkeit – mit die niedrigste in Europa – im Rahmen einer insgesamt guten wirtschaftlichen Entwicklung lieber über Fachkräftemangel als über 5 Millionen Arbeitslose. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In der Tat: Es kommen einige Entwicklungen zusammen, die man zusammen betrachten muss. Vor dem Hintergrund der guten konjunkturellen Entwicklung und der wirtschaftlichen Erfolge, die auf einer guten und weitsichtigen Wirtschaftspolitik sowie entsprechenden Rahmenbedingungen basieren, reden wir auch über die Problematik der demografischen Entwicklung. Wir reden über Fachkräfte, weil wir sie brauchen und weil wir wissen, dass wir im Jahr 2030 aufgrund der demografischen Entwicklung nur noch 79 Millionen Einwohner und 6,5 Millionen Arbeitskräfte weniger haben werden, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Es ist daher notwendig, die Problematik konsequent anzugehen. Der Jobmonitor des Bundesarbeitsministeriums liefert präzise Informationen darüber, in welchen Regionen wie viele Fachkräfte für welche Branchen gesucht werden. Das ist ein zentraler Punkt; denn wir dürfen nicht versuchen, diese Problematik von oben herab zu lösen, indem wir die Situation pauschal betrachten. Vielmehr ist es wichtig, sowohl die regionale Situation als auch die Situation in den entsprechenden Branchen differenziert zu betrachten, um differenzierte Lösungen finden zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das Bundesarbeitsministerium hat ein Innovationsbüro „Fachkräfte für die Region“ eingerichtet, um die unterschiedlich handelnden Partner vor Ort zu vernetzen, damit sie sich auf ein gemeinsames Vorgehen konzentrieren können. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie wir das inländische Arbeitskräftepotenzial heben und nutzen können. Unsere Aufgabe ist es, diejenigen, die arbeitslos sind, zu qualifizieren, sie an die Hand zu nehmen und ihnen Hilfestellung zu geben, damit sie den Weg in den ersten Arbeitsmarkt schaffen. Dass das sogar bei Langzeitarbeitslosen gelingt – zwar nicht in dem umfänglichen Maße, wie wir das gerne hätten, aber es gelingt –, sehen wir daran, dass die Zahl der Langzeit-arbeitslosen seit 2006 um 1 Million gesunken ist. (Beifall der Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] und Miriam Gruß [FDP]) Im Bereich der Aktivierung und Beschäftigungssicherung Älterer bleibt es spannend. Wir haben zurzeit 500 000 offene Stellen. Es kommt jetzt darauf an, durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen, auch einen Arbeitsplatz bekommen. Dem diente übrigens auch die Instrumentenreform, die wir im letzten Jahr auf den Weg gebracht haben. Es war unser erklärtes Ziel, für mehr Entscheidungsfreiheit vor Ort zu sorgen. Dazu ist es notwendig, den Markt und die Situation der einzelnen Menschen genau zu beobachten. Es stehen ausreichend Mittel zur Verfügung. Es bereitet mir große Sorge, dass jetzt im Mai die Mittel, die für entsprechende Maßnahmen vorgesehen waren, noch längst nicht ausgeschöpft sind. So viel steht fest: An den Mitteln liegt es nicht. Offensichtlich liegen die Probleme woanders. Wir müssen dafür sorgen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Instrumente ihre Wirkung entfalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es stimmt mich positiv, dass sich die Zahl der Arbeitslosen über 55 halbiert hat, dass sich die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 55 und 65 deutlich erhöht hat und dass sich die Erwerbsquote der 60- bis 65-Jährigen in den letzten Jahren verdoppelt hat und jetzt bei rund 40 Prozent liegt. Wir haben also die richtigen Entscheidungen getroffen, um dem Problem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Wir sind auf einem guten Weg. Die Bevölkerung spürt, dass die Menschen gebraucht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Herr Heil, Sie haben einen ausreichenden Gesundheitsschutz gefordert. Für den Bereich der über 55-Jährigen haben wir das längst angepackt und auf den Weg gebracht. Als Beispiel ist das wichtige Projekt INQA zu nennen, das vom Bundesarbeitsministerium auf den Weg gebracht wurde, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Franz Müntefering hat das auf den Weg gebracht! Schmücken Sie sich nicht mit fremden Federn! – Anette Kramme [SPD]: Ricola!) um in den Betrieben für gesundheitlichen Schutz zu sorgen und mehr Bewusstsein für das Thema „Gesundheit am Arbeitsplatz“ zu schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In den Bereichen, in denen wir gerade Älteren eine Perspektive aufzeigen, können wir eine gute Entwicklung beobachten. Aber ich gestehe zu, dass viele -Betriebe erst noch begreifen müssen, dass ältere Arbeitslose sehr wohl qualifiziert sind und auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Ich bin der Überzeugung: Je weniger Chancen für Betriebe bestehen, die von ihnen so sehnlichst gewünschten jüngeren Mitarbeiter zu bekommen – weil die einfach nicht mehr da sind –, desto mehr werden die Betriebe auf ältere Arbeitnehmer zurückgreifen. In Bezug auf die Erwerbstätigkeit von Frauen gibt es großes Potenzial, das ist gar keine Frage. 6,3 Millionen Frauen im erwerbsfähigen Alter sind nicht berufstätig. Ich glaube, dass hier alle Wege gegangen werden müssen, um denjenigen, die erwerbstätig sein wollen, den Weg entsprechend zu ebnen und ihnen die entsprechenden Perspektiven zu eröffnen. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen anderen Punkt einfügen, weil Sie, Herr Kollege Heil, auf das Betreuungsgeld eingegangen sind. Ich kann uns nur davor warnen, weiterhin gemeinsam so zu tun, als sei Familien-politik ein Anhängsel der Arbeitsmarktpolitik oder der Wirtschaftspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] – Katja Mast [SPD]: Wir machen Gesellschaftspolitik!) Meine Damen und Herren, es gibt zwei existenzielle Bereiche im Leben eines Menschen: den Bereich Familie, in dem Leben entsteht, und den Bereich Betrieb, wo die Wertschöpfung geschieht. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheuklappen! Das ist eine Scheuklappenantwort!) Beide Bereiche sind aufeinander angewiesen. Ich sage Ihnen aber in aller Klarheit: Art. 6 Abs. 2 der Verfassung regelt, dass die Eltern die Verantwortung für die Erziehung der Kinder tragen. Der Staat hat lediglich die Aufgabe, darauf zu achten, dass das Kindeswohl beachtet wird. Und ich sage Ihnen: Der Staat hat nicht vorzuschreiben, wie die Eltern die Kinder erziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Deswegen bin ich vom Grundsatz her anderer Auffassung und sage aus tiefer Überzeugung und mit großer Sorge: Wenn wir Familienpolitik weiterhin als Teil der Arbeitsmarktpolitik betrachten, wenn weiterhin von -bestimmten Kräften – auch aus dem Arbeitgeberlager – Familienpolitik als Baustein einer nachgelagerten Wirtschaftspolitik betrachtet wird, (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem, dass Sie aus Überzeugung reden!) werden wir den Menschen in diesem Land und der Erziehungsverantwortung, die die Familien tragen, nicht gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schiewerling, darf der Kollege Heil kurz vor dem Ende Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage stellen? Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ja, der Kollege Heil immer gern. – Hoffentlich. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Lieber Kollege Schiewerling, als Vertreter zweier Volksparteien und auch, weil wir beide Christen sind, teilen wir die Auffassung, dass man Familien nicht ökonomistisch oder ökonomisch betrachten darf. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat Frau Kraft aber schon gemacht!) Das gilt übrigens auch für Bildung. Bildung hat etwas mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Sie wissen aber auch, dass beides miteinander zu tun hat. Der Haupt--fokus von Familienpolitik muss darauf gelegt werden, dafür zu sorgen, dass Kinder – gar keine Frage – in dieser Gesellschaft gut aufwachsen können. Es gibt aber doch einen Zusammenhang zwischen Bildung, Erziehung, Familienpolitik, Gleichstellung und der Lage am Arbeitsmarkt. Das ist doch nicht zu leugnen. Deshalb habe ich eine Frage an Sie. Sie müssen nicht auf die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft hören, die allesamt dieses Betreuungsgeld ablehnen. Sie müssen nicht auf die Wissenschaft hören, die dieses Betreuungsgeld insgesamt ablehnt. Sie müssen nicht auf die Gewerkschaften hören, die dieses unsinnige Betreuungsgeld ablehnen. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder auch auf Frau von der Leyen!) Können Sie aber vielleicht einmal auf diejenigen hören, die sich gerade um Kinder kümmern, denen es nicht so gut geht? Das sind die Wohlfahrtsverbände in diesem Land. Die sagen: Nehmt das Geld besser in die Hand, um in die Bildung der Kinder zu investieren, aber nicht dafür, um aus ideologischen Gründen oder um Herrn Seehofer zu gefallen, die Kinder von der frühkindlichen Förderung und die Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Das ist das Argument gegen das Betreuungsgeld. Meine Bitte ist, uns nicht zu unterstellen, Kinder verstaatlichen zu wollen. Das ist albern. Es entspricht nicht der Lebensrealität der Menschen in diesem Land. Wir wollen gleiche Chancen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie auf Frau von der Leyen!) Meine Bitte ist, dass Sie da keinen Popanz aufbauen. Ich will Sie fragen: Wie bewerten Sie es, dass die frühere Familienministerin Ursula von der Leyen, die jetzt Arbeitsministerin ist und von Ihrer Seite so viel Lobhudelei erfährt, in diesem Punkt einmal recht hat? Sie hält dieses Betreuungsgeld eigentlich für Unsinn; aber sie traut sich nicht mehr, das öffentlich zu sagen. Ich kann mich aber gut an eine Fernsehsendung aus dem Jahr 2010 erinnern, wo sie diesen Unsinn abgelehnt hat. Sind Sie nicht der Meinung, dass Frau von der Leyen zumindest in diesem Punkt recht hat? (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Erstens. Frau von der Leyen hat in vielen Fragen recht. Wir haben eine äußerst tüchtige Familienministerin in ihr gehabt und haben jetzt eine äußerst tüchtige und erfolgreiche Arbeits- und Sozialministerin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin froh – das habe ich Ihnen schon einmal gesagt –, dass sie bei uns ist. Sie würden sich freuen, wenn sie bei Ihnen wäre. (Lachen der Abg. Anette Kramme [SPD]) Zweitens. Ich will auf die Inhalte zu sprechen kommen. In der Tat habe ich auf die anderen nicht gehört. Wissen Sie, auf wen ich gehört habe? Auf die Bürgerinnen und Bürger in meinem ländlichen Wahlkreis im Münsterland habe ich gehört. Ich habe junge Familien eingeladen und denen gesagt: Wir diskutieren im Augenblick das Betreuungsgeld. Was ist denn eure Meinung dazu? Es sind zahlreiche junge Familien aus unterschiedlichen Bereichen gekommen. Sie haben mir gesagt: „Wir freuen uns, wenn der Ausbau der U-3-Betreuung weiter voranschreitet; aber wir haben uns bewusst dafür entschieden, in den ersten drei Jahren zur Erziehung unserer Kinder zu Hause zu bleiben. Wir wollen, dass uns das niemand vorschreibt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das schreibt auch keiner vor!) Wir freuen uns, wenn wir dabei Unterstützung bekommen.“ – Sie haben das sehr differenziert beobachtet. Eines meiner großen Anliegen ist, dass wir aus dieser Debatte die Ideologisierung herausbekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, ich weiß, was ich da sage. Ich möchte, dass wir uns endlich auf den vorhin von mir zitierten Art. 6 Abs. 2 der Verfassung besinnen: Die Eltern tragen Verantwortung für die Erziehung der Kinder. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Man kann unterschiedlicher Meinung sein, wie man dieses Ziel am leichtesten erreicht, wie man das eine oder das andere am besten organisiert. Darüber kann man diskutieren. Wenn aber nur noch das eine als gut und das andere als schlecht beurteilt wird, dann entmündigt man die Eltern, die zum allergrößten Teil Ihrer Verantwortung gerecht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das tut doch kein Mensch! Das ist Ideologie! – Ekin -Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und arbeitende Eltern übernehmen keine Verantwortung, oder was?) Zum Schluss möchte ich noch auf drei Punkte hinweisen: Der erste Punkt: Wir werden dem Fachkräftemangel ohne eine Verbesserung in den Bereichen Qualifizierung und Bildung nicht erfolgreich begegnen können. Zweitens. Wir werden – das ist völlig klar – dem Fachkräftemangel nicht erfolgreich begegnen, wenn wir unser einheimisches Potenzial nicht wecken und fördern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Wir werden das Problem des Fachkräftemangels nicht lösen können, wenn wir den jungen Menschen aus Europa, die zu uns ziehen, keine gute Perspektive bei uns bieten. Das heißt, wir müssen darauf achten, dass sie bei uns gut leben können. Sie müssen bei uns willkommen sein und angenommen werden. Deswegen müssen wir Instrumente wie das Jugendwohnen, die wir geschaffen haben, offensiv und vernünftig nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Außerdem haben wir entschieden, dass wir mit der Bluecard die Möglichkeit eröffnen, dass man Topqualifizierte aus anderen Ländern der Welt unter bestimmten Bedingungen zu uns holen kann. Ich warne aber davor, die Frage des Fachkräftemangels auf die Universitäten zu reduzieren. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!) Ich bitte, die Augen zu öffnen, um zu sehen, an welchen Stellen uns gute Handwerker fehlen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) Gut ausgebildete Fachkräfte fehlen nicht nur im Bereich des Handwerks, sondern auch im Bereich der Industrie. Das hat etwas mit Wertschätzung der Menschen zu tun. (Anette Kramme [SPD]: Das ist an Flachheit nicht zu übertreffen!) In der Bildungspolitik haben wir manchmal einen Zungenschlag – ich sage das nicht bezogen auf eine Partei –, als sei nur die Bildung gut, die über Abitur zum Studium führt. (Zurufe von der SPD: Quatsch!) Es ist langsam an der Zeit, dass wir den Blick wieder den Menschen zuwenden, die eine Ausbildung im dualen System absolviert haben und dafür sorgen, dass unser tägliches Leben seinen geordneten Gang nimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Schiewerling! Karl Schiewerling (CDU/CSU): Wenn der Müll in Berlin fünf Tage nicht abgeholt wird, stinkt es zum Himmel. Wenn an der Humboldt-Universität drei Monate gestreikt wird, merkt das kein Mensch. Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Anette Kramme [SPD]: Das ist einfach alles nur platt! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Schavan, sagen Sie etwas! Tun Sie etwas! Das geht gar nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält die Kollegin Jutta Krellmann das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie Sie wissen, bin ich mit Leib und Seele Gewerkschafterin. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was ist mit Parlamentarierin?) Ich habe es bedauert, dass Sie unserem Antrag „Fachkräftepotenzial nutzen – Gute Arbeit schaffen“ im April des letzten Jahres nicht zugestimmt haben. Zum Glück ist es nie zu spät, das Richtige zu tun, und heute tun wir es. In dieser Woche ist ein neuer DIW-Wochenbericht mit dem Titel „Geringe Stundenlöhne, lange Arbeitszeiten“ erschienen. Über 900 000 Geringverdienerinnen und Geringverdiener schuften mehr als 50 Stunden pro Woche. Insgesamt erhielten 2010 rund 22 Prozent aller Beschäftigten einen Niedriglohn. Mehr als die Hälfte habe eine Tätigkeit ausgeübt, für die eine Lehre oder ein Hochschulabschluss nötig sei, so das DIW. Zu diesen Beschäftigten gehören zum Beispiel Verkäufer und Verkäuferinnen, Arzthelfer und -helferinnen, Bäcker und Bäckerinnen, Beschäftigte, die Berufen im Gastgewerbe nachgehen, Friseure und Friseusen und Angestellte in Pflegeberufen. Dies sind alles qualifizierte Berufe mit einer drei- oder dreieinhalbjährigen Berufsausbildung. Wer über Fachkräftemangel redet, kann das Thema „gute Arbeit“ nicht außen vor lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. -Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]) Niedriglohn heißt: weniger als 9,25 Euro pro Stunde. Bei einer 50-Stunden-Woche sind das 2 011 Euro brutto pro Monat und etwa 1 341 Euro netto für Alleinstehende. Damit macht man – trotz Ausbildung und trotz Fachkräftemangel – keine großen Sprünge. Das sind Zweit- oder Drittjobs. Diese hat man aber nicht, um sich zu bereichern, sondern um zu existieren. Auf die Dauer 50 Stunden und mehr pro Woche für diesen Lohn zu arbeiten, das ist Ausbeutung, macht krank und führt zu psychischen Belastungen. Gerade in den Pflegeberufen ist das dramatisch. Was nutzen der Blick auf die Demografie und das Wissen, dass alle älter werden – nach dem Motto „Schön, dass wir darüber geredet haben“ –, wenn sich nichts tut? Wenn wir möchten, dass sich mehr Menschen als bisher in diesen Bereichen qualifizieren, müssen wir dafür sorgen, dass Qualifizierungsangebote zur Verfügung stehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen müssen entsprechend ihrer Qualifikation entlohnt werden. Ich sage: Mit Niedriglohn bei normaler Vollzeit darf niemand nach Hause gehen. (Beifall bei der LINKEN) In meiner Region Hameln-Pyrmont gehören Zerspanungsmechaniker und Zerspanungsmechanikerinnen zu den Mangelberufen. Das ist eine dreieinhalbjährige -betriebliche Berufsausbildung im Maschinenbau. Die Arbeitgeber, die Fachkräftemangel beklagen, bieten nicht genügend Ausbildungsplätze an. Ich sage: Wer nicht ausbildet, muss zahlen. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen endlich ein entsprechendes Gesetz. Die Berufe in der Metallindustrie sind – anders als die im DIW-Bericht genannten – gut bezahlt. Ein gelernter Facharbeiter geht mit einem Stundenlohn nicht unter 18,10 Euro brutto nach Hause, und das bei einer Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche. Die Arbeitgeber, die Fachkräftemangel beklagen, müssen eigentlich ein Interesse daran haben, dafür zu sorgen, dass solche Leute an Bord gehalten werden. Das tun sie aber nicht freiwillig. Darum musste meine Gewerkschaft, die IG Metall, in der aktuellen Tarifrunde kämpfen. Sie hat es zum Glück geschafft. Die Übernahme der Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie ist gesichert. Solche Tarifverträge bekommt man aber nur in starken Branchen hin. Damit alle Auszubildenden ein Recht auf Übernahme haben, brauchen wir ein entsprechendes Gesetz. In der Vergangenheit gab es schon öfter Phasen mit Fachkräftemangel. Als ich meine Ausbildung als Chemielaborantin bei der Hoechst AG begonnen habe, hat man den jungen Leuten, die sich beworben haben, ein Moped geschenkt. Es gab zusätzliche Ausbilder und Werksunterricht. Auch damals schon gab es sogenannte lernschwache junge Menschen mit großen Problemen in Mathematik oder Rechtschreibung. Der Antrag der SPD heißt „Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern“. Das kann ich mir vorstellen, aber nicht ohne gute Arbeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Genau das wollen wir!) – Dann sagen und tun Sie es auch. Tausende junge Menschen haben keine Ausbildung oder sind arbeitslos. Tausende ältere Menschen sind -erwerbslos und ohne Qualifikation. Sie brauchen Sicherheit und eine Perspektive. Das Recht auf Arbeit und freie Wahl des Berufes steht in unserem Grundgesetz. Ich -zitiere Art. 12: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das eingehalten ist, wenn das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage um 12,5 Prozent übersteigt. Davon sind wir weit entfernt. Die Linke bleibt dabei: Alle Menschen brauchen ein Recht auf Ausbildung, ein Recht auf Arbeit, ein Recht auf Würde bei der Arbeit und ein Recht auf Gesundheitsschutz. Perspektivlosigkeit zerstört die Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Johannes Vogel ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt hinsichtlich Ihres Antrags, lieber Kollege Heil – er befindet sich offensichtlich gerade in einem Gespräch –, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sind wir uns ja einig: Der Fachkräftemangel ist in der Tat eine zentrale Herausforderung, nicht nur für die deutsche Wirtschaft, nicht nur für die deutschen Unternehmen, sondern auch für diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt erst noch eine Chance bekommen müssen und bekommen sollen. Denn wenn in einem Unternehmen eine Fachkräftestelle unbesetzt bleibt, zum Beispiel die Stelle eines Ingenieurs in einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, gefährdet das eben auch die Arbeitsplätze in der Produktion. Umgekehrt: Wenn die Stelle des Ingenieurs bzw. der Ingenieurin mit einem guten, klugen Kopf besetzt wird, dann werden zukünftig auch neue Arbeitsplätze geschaffen. Insofern ist der Fachkräftemangel eine zentrale Herausforderung. So weit haben Sie recht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Aber danach bröckelt es deutlich. Zu behaupten, die Bundesregierung, diese Koalition würde hier nichts tun, lieber Hubertus, ist einfach nur abstrus. Schauen wir uns einmal die Themenfelder an, die du selber genannt hast und die von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag aufgeführt werden. Da geht es um Chancen für Menschen, die arbeitslos sind, gerade für diejenigen, die langzeitarbeitslos sind. Der Kollege Schiewerling hat schon gesagt, in welcher Situation wir uns befinden: Unter dieser Koalition haben wir die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren, wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ja! Aber nicht wegen, sondern trotz dieser Regierung!) und wir haben neue Rekorde bei der Schaffung neuer Stellen und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse aufgestellt. Es geht natürlich nicht nur um den Einstieg. Als Liberaler sage ich ganz bewusst: Der Einstieg kann nicht -alles sein. Es muss am Arbeitsmarkt auch um eine Aufstiegsperspektive für diejenigen gehen, die den Einstieg geschafft haben. Hier sind wir beim Thema Qualifi-kation. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, schauen wir uns die Zahlen doch einmal an. Obwohl wir den Haushalt konsolidieren, (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Wann denn?) geben wir für Qualifikationsmaßnahmen nach dem So-zialgesetzbuch II und III 50 Prozent mehr aus, als Sie es 2005 getan haben. Ich wiederhole: Wir stellen dafür 50 Prozent mehr Geld zur Verfügung, und das, obwohl Sie damals eine um 40 Prozent höhere Arbeitslosenquote zu bewältigen hatten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Wer setzt denn hier einen Schwerpunkt bei der Qualifikation? Doch wohl diese Koalition und niemand sonst. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei der Instrumentenreform haben wir ein Umdenken eingeleitet. Dies war ein Vorhaben dieser Koalition im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, dem Sie leider nicht -zugestimmt haben. (Katja Mast [SPD]: Zu Recht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Aus guten Gründen!) – Nein, zu Unrecht. (Katja Mast [SPD]: Sie kürzen das Geld auf 26,5 Milliarden Euro!) Wir haben die Möglichkeiten ausgebaut, Qualifikationsmaßnahmen für Beschäftigte kozufinanzieren. Dies ist im Interesse der Menschen, die schon einen Arbeitsplatz haben, der Beschäftigten, die dann einen besseren -Arbeitsplatz bekommen, befördert werden, mehr verdienen und einen beruflichen Aufstieg schaffen wollen. Hier haben wir einen Systemwechsel eingeleitet und die entsprechenden Möglichkeiten ausgebaut. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was machen denn die Arbeitgeber an der Stelle? Haben die hier nicht auch eine Verantwortung?) Sie haben dem leider nicht zugestimmt. Also: Spielen Sie sich hier nicht als die Anwälte der Qualifikation auf! Ihre Taten sprechen dagegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Rebmann [SPD]: Ach! Bei euch gibt es nach der nächsten Bundestagswahl doch auch eine Transfergesellschaft!) Ich komme zu einem zweiten Themenfeld. Was bieten wir denjenigen, die sich derzeit auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland befinden? Hier geht es neben den genannten Themen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen, aber auch um die Situation von Älteren am Arbeitsmarkt. Ich sage Ihnen: Aber auch dann, wenn wir alle erforderlichen Maßnahmen einleiten – wir als Koalition sind da auf einem guten Weg –, wird das nicht reichen, um die Fachkräftelücke von 6,5 Mil-lionen Personen bis 2025 zu schließen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Vogel, darf der Kollege Seifert Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Ja, das darf er gern. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Lieber Herr Kollege Vogel, wir debattieren dieses Thema ja schon eine ganze Weile. Leider wird in dieser Debatte vermutlich niemand vonseiten der Bundesregierung das Wort ergreifen. Deswegen frage ich Sie als Vertreter der Koalitionsfraktionen: Wenn wir über den Fachkräftemangel sprechen und ihn immer wieder beklagen, wieso spricht niemand von Ihnen davon, dass es jede Menge Menschen mit Behinderungen gibt, die sehr gut ausgebildet sind, aber keine Chance haben, in die -Betriebe hineinzukommen? Wenn sie in Betrieben sind, ist das okay; dann gibt es ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Aber wenn Menschen mit Behinderungen, die eine hervorragende Ausbildung haben – sei sie beruflich, sei sie akademisch –, in die Betriebe hi-neinkommen wollen, haben sie keine Chance. Wieso kommt dieses Thema in Ihren Reden und in Ihrem Handeln in diesem Zusammenhang nicht einmal vor? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Lieber Kollege Seifert, ich bitte um Verständnis: Sie haben völlig recht. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ja, dann macht doch was!) Auch die Frage der Integration bzw. der Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt muss hier eine Rolle spielen. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Dann macht doch was!) Ich habe die fünf Minuten meiner Redezeit nutzen wollen, mich an den Themen abzuarbeiten, die der Kollege Heil in seiner Rede vorgegeben hat. Ich stimme Ihnen aber völlig zu: Das muss eine Rolle in unserem Handeln spielen. Es spielt auch eine Rolle in unserem Handeln. Wir können dieses Thema gerne in der nächsten Ausschusssitzung vertiefen, Herr Kollege. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich will jetzt auf einen Aspekt eingehen, dem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, meiner Meinung nach zu wenig Beachtung schenken. All das, was vorgetragen wurde – mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun, mehr für Ältere auf dem -Arbeitsmarkt zu tun, mehr für Menschen, die arbeitslos sind und Chancen auf Einstieg und Aufstieg brauchen, zu tun –, wird nicht reichen. Wir werden um mehr -Zuwanderung nicht herumkommen. Das Wort „Zuwanderung“, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, taucht in Ihrem Antrag aber nicht ein einziges Mal auf. Wahrscheinlich aus gutem Grund: Bei diesem Thema hätten Sie sich nämlich erst recht nicht getraut, zu -behaupten, diese Koalition würde nichts tun. Die Bluecard-Regelung wurde beispielsweise vom Kollegen Schulz explizit gelobt. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bürokratisches Monster ist das!) Lieber Kollege Hubertus Heil, vielleicht solltest du deinen Kollegen aus den anderen Fachbereichen einmal -zuhören. Dann könntest du an dieser Stelle etwas lernen. Wir haben einen wesentlichen Paradigmenwechsel geschafft. Diese Koalition gibt dem Einwanderungsland Deutschland endlich ein modernes Zuwanderungs-system, (Lachen bei der SPD) durch das sich das Einwanderungsland Deutschland auch dazu bekennt und erfolgreicher bei der Werbung um die klugen Köpfe auf dem globalen Arbeitsmarkt sein kann. (Abg. Gabriele Lösekrug-Möller [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Präsident, hier gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage der Kollegin, den ich gern aufnehme, wenn Sie es wollen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Interesse des Redners an einer Verlängerung seiner Redezeit ist nachvollziehbar. – Bitte schön, Frau Kollegin. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Herr Präsident! Herr Kollege Vogel, offenkundig kennen Sie unseren Antrag zu aufenthaltsrechtlicher Fortentwicklung nicht. Bevor Sie hier so dicke Backen -machen, sollten Sie sich fachkundig machen. Dieser -Antrag wurde mit sehr guten Vorschlägen zur konkreten Einwanderungsgestaltung eingebracht. Er beinhaltet zum Beispiel den Versuch, ein Punktesystem zu etablieren, das darauf abzielt, dass wir besser mit den Ausländern umgehen müssen, die einen unsicheren Status -haben. All das scheint Ihnen entgangen zu sein. Ich schicke Ihnen diesen Antrag noch einmal zu, damit Sie sich kundig machen können. Zu Ihrer Feststellung, dass dies in diesem Antrag nicht erwähnt werde, möchte ich Ihnen sagen: Auch das stimmt nicht. Sie werden eine Passage dazu finden. -Bevor Sie eine so massive Kritik äußern, rate ich Ihnen dringend, so gut zu sein, sich vorher kundig zu machen; denn Sie stehen hier für Ihre Fraktion insgesamt. (Beifall bei der SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Liebe Frau Kollegin, das habe ich getan. Wenn Sie für ein Punktesystem sind, dann sollten Sie in Ihrem Fachkräfteantrag, über den wir heute diskutieren, nicht nur von Integration reden, sondern auch über die Notwendigkeit von mehr Zuwanderung. Das tun Sie nicht, liebe Frau Kollegin. Wenn Sie – wie wir – für ein Punktesystem sind, dann hätten Sie die Anhörung zum Bluecard-Gesetz verfolgen sollen. Im Rahmen der Anhörung -haben Sachverständige gesagt, dass das, was wir neben realistischen Einkommensgrenzen bei der Zuwanderung, neben einem vernünftigen Umgang mit der Vorrangprüfung und neben besseren Möglichkeiten für Menschen, die aus dem Ausland kamen und hier studiert haben, -geschaffen haben, auch insofern ein Paradigmenwechsel ist, als dass Menschen erstmals zur Arbeitsuche nach Deutschland kommen können und nicht bereits vorher ein Arbeitsplatzangebot haben müssen. Bei der Anhörung zum Bluecard-Gesetz haben die Sachverständigen gesagt, dass sich dieses System vom Punktesystem nur noch graduell unterscheide. Wenn Sie für das Punktesystem sind, dann frage ich mich: Warum stimmen Sie unserer Bluecard-Regelung nicht zu, liebe Kollegin? (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Gute Frage!) Insofern führt Ihr Handeln Ihr Reden ein Stück weit ad absurdum. Wir widmen uns der Herausforderung des Fachkräftemangels auf allen vier Feldern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich freue mich, wenn Sie uns -dabei konstruktiv begleiten. Leider leisten Ihr Handeln und Ihr Antrag hierzu keinen Beitrag. In Ihrem Aufruf zum 1. Mai 2011 zur Frage der EU-Osterweiterung und der Möglichkeit, dass Arbeitnehmer aus östlichen EU-Mitgliedsländern nach Deutschland kommen können, wird das Thema Zuwanderung zum Beispiel in einem Atemzug mit dem Thema Lohndumping genannt. So schaffen wir keine Willkommenskultur, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, mit einem modernen Zuwanderungssystem konkret um die klugen Köpfe zu werben und ihnen zu signalisieren, dass sie in Deutschland willkommen sind. Hier würde ich mir auch von Ihnen mehr Unterstützung wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. (Beifall bei der FDP) In diesem Sinne freue ich mich darüber, dass Sie sich dieses Themas annehmen. Die Behauptung, die Koalition würde dies nicht tun, führt sich aber selbst ad absurdum. Rüsten Sie rhetorisch ein wenig ab, und begleiten Sie uns konstruktiv bei der Herausforderung, den Fachkräftemangel zu beseitigen, und somit auf dem Weg, den wir schon eingeschlagen haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Betreuungsgeld!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer vom Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schiewerling, während ich Ihnen zuhörte, beschlich mich das Gefühl, dass die Dimension des Problems in keiner Weise bei Ihnen angekommen ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Miriam Gruß [FDP]: Das ist absurd!) Ich sage Ihnen: Sie bekämpfen das Problem nicht nur nicht, Sie sorgen auch dafür, dass das Problem des Fachkräftemangels immer größer wird. Sie sind nicht Teil der Lösung, Sie sind Teil des Problems. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ach, Frau Pothmer!) Das will ich Ihnen an drei Beispielen zeigen: Erstes Beispiel: Die Frauen. Ich glaube, es ist unumstritten, dass die Frauen das höchste Potenzial zur -Bekämpfung des Fachkräftemangels bergen. Das betrifft sowohl den Zugang zum Arbeitsmarkt als auch die Ausweitung des Erwerbsarbeitsvolumens. Beides muss besser werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Statt dieses Potenzial zu heben, nehmen Sie 1,2 Milliarden Euro in die Hand, um diese Frauen in ihre vier Wände zu verbannen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Was haben Sie denn für ein Familienbild?) Lieber Herr Schiewerling, seien Sie jetzt doch einmal ehrlich! Beim Betreuungsgeld geht es doch gar nicht mehr um die Mütter und die Kinder, sondern beim -Betreuungsgeld geht es allein um die Frage, ob Herr Seehofer noch immer so viel Macht hat, auch etwas vollkommen Unsinniges ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) Nein, Herr Schiewerling, das Betreuungsgeld ist eine Wachstumsstrategie für den Fachkräftemangel. Es mangelt in Deutschland nun wahrlich nicht an -Anreizen dafür, dass Kinder zu Hause erzogen werden. Es mangelt an Betreuungsplätzen. Die Wahlfreiheit ist nicht gegeben. Es sind doch besonders die Mütter, die darunter leiden, die ihren Berufseinstieg verschieben und ihr Arbeitsvolumen reduzieren. Darin liegt doch das Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die erwerbstätigen Frauen in Deutschland sind die Teilzeitköniginnen von Europa, und zwar im doppelten Sinne: Sie sind überdurchschnittlich häufig teilzeitbeschäftigt, und die Teilzeit, die sie ausfüllen, hat das geringste Stundenvolumen in ganz Europa. Schade nur, dass sich diese Frauen nicht als Königinnen fühlen. Herr Schiewerling, diese Frauen arbeiten unfreiwillig so wenig. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das? Kennen Sie die alle persönlich?) – Dazu gibt es doch nun wirklich genug Befragungen. Ein anderes Problem sind die Minijobs, in denen die Frauen mit ihren Qualifikationen versauern. Statt aber diese vielen persönlichen kleinen Katastrophen und die große volkswirtschaftliche Fehlentwicklung miteinander zu verbinden und die Zahl der Minijobs zu reduzieren bzw. die Minijobs abzuschaffen, bauen Sie die Minijobs weiter aus. Das ist Anstiftung zur fortgesetzten Dequalifizierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der -LINKEN) Zweites Beispiel: Die Arbeitslosen. In einem Jahr soll der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr umgesetzt sein. Dieser Umsetzung mangelt es nicht nur an den fehlenden Kitaplätzen, sondern es mangelt auch an Fachkräften, die diese Kinder dann betreuen können. Herr Vogel, statt diesen Mangel an Fachkräften in Chancen für Arbeitslose umzumünzen, kürzen Sie bei Qualifizierung und Umschulung. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Das ist schlicht falsch!) Diese Kürzungspolitik ist eine Politik zur Fachkräfteverhinderung. Ich will Ihnen einmal sagen, was das zum Beispiel in meinem Bundesland Niedersachsen bedeutet: Von 2008 bis 2011 haben dort genau 44 Arbeitslose eine Qualifizierung im Bereich Betreuung und Erziehung gemacht – in Worten: vierundvierzig! In Niedersachsen fehlen aber 2 100 Erzieherinnen und Erzieher, und es gibt dort durchschnittlich 300 000 Arbeitslose. Es ist doch wirklich nicht vorstellbar, dass von dieser großen Zahl an -Arbeitslosen in vier Jahren lediglich 44 eine neue Per-spektive in diesem Bereich gesucht haben. Nein, das liegt allein daran, dass diese Qualifizierung nicht mehr finanziert wird. Mit dieser Kürzungspolitik verhindern Sie berufliche Perspektiven, neue Fachkräfte und neue Betreuungschancen für Kinder. Ich finde, das ist ein Desaster. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Drittes Beispiel: Zuwanderung. Herr Vogel, Sie haben ja so viel Wert darauf gelegt, dass diese Politik so erfolgreich ist. Ja, es stimmt, die Zuwanderung hat im letzten Jahr zugenommen. Das waren im Wesentlichen Griechen und Spanier. Sie tun jetzt so, als hätte das mit einer erfolgreichen Einwanderungspolitik zu tun, die Sie -gestalten. Das trifft nun wahrlich überhaupt nicht zu, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Frau Kollegin, sagen Sie doch einmal etwas zur Bluecard!) ganz abgesehen davon, dass die Dimension des Pro-blems und die Dimension der Zuwanderung überhaupt nicht zueinander passen. Wir brauchen in Deutschland ein klares und transparentes Zuwanderungsrecht. Wir brauchen eine Willkommenskultur in Deutschland. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Ja, dann helfen Sie doch mit!) Aber wir haben nur ein intransparentes und bürokratisches Monster, vor dem selbst die Experten die Waffen strecken. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Haben Sie die Anhörung verfolgt, Frau Kollegin?) – Ja, allerdings. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Offenbar nicht!) Genau das ist dabei herausgekommen. Das ist eine Zuwanderungsverhinderungspolitik auf einem hohen bürokratischen Niveau. Diese drei Beispiele – ich könnte noch weitere anführen – zeigen, dass Sie in Ihrer Bundesregierung viele Arbeitsgruppen und viele Ministerien haben, die sich mit Zuwanderung und Fachkräftepolitik beschäftigen. Was Sie nicht haben, ist ein Konzept! Was Sie nicht haben, ist eine Strategie! Das bestätigt mich in der Auffassung: Der Fachkräftemangel fängt vor allen Dingen in dieser Regierung an! Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Absurd!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Pothmer, ich möchte Ihre Rede mit der Überschrift abtun: Thema verfehlt! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wir diskutieren weder über das Betreuungsgeld noch über frauenpolitische Fragen, sondern wir sind uns in diesem Hause darüber einig – das zeigt auch der Antrag der SPD –, dass wir den Bedarf an Fachkräften, die unsere Wirtschaft so dringend braucht, sichern müssen, (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frauen sind keine Fachkräfte, oder was?) damit Deutschland weiterhin die Konjunkturlokomotive Europas bleibt. Eines haben wir in dieser Bundesregierung geschafft – Herr Heil, ich weiß, Sie hören es nicht gerne, aber ich möchte trotzdem kurz darauf eingehen –: Die Arbeitslosenquote von 12 Prozent bei Antritt der Regierung Merkel ist auf heute 7 Prozent gesunken. Das hat diese Regierung geschafft. Deswegen stehen wir erst vor dem Problem des Fachkräftemangels, über das wir uns unterhalten dürfen und müssen. Unser vordringliches Augenmerk liegt natürlich darauf, das Fachkräftepotenzial in Deutschland zu heben. Auch wenn ich nachher noch kurz auf die Bluecard eingehe, möchte ich schon jetzt eines klarstellen: Heimisches Potenzial geht immer vor Zuwanderung. Wir haben die Verantwortung, erst die Menschen hier, die eine Ausbildung benötigen, zu qualifizieren und dann über die Bluecard in einem zweiten wichtigen Schritt die Zuwanderung zu ermöglichen, die wir brauchen. Wir wissen, dass wir allein mit Qualifizierung das Problem nicht lösen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit der Bluecard haben wir die richtigen Akzente gesetzt. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Redet ihr doch über Zuwanderung?) – Das habe ich gesagt. Sie müssen mir eben genau zuhören, Herr Heil, und nicht nebenbei lesen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich bin multitaskingfähig!) – Das ist hervorragend, das bewundere ich. – Eine Daueraufenthaltserlaubnis für Hochqualifizierte, eine Erlaubnis zur Niederlassung für die Dauer von drei Jahren, für die Arbeitsplatzsuche gibt es einen neuen Aufenthaltstitel und vieles mehr – das haben wir diskutiert. Das sind die richtigen Schritte und die richtigen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Zuwanderung. Kollege Schiewerling hat eben das Handwerk so hoch gelobt, lassen Sie mich daher kurz auf die Hochschulen und die Wichtigkeit der hochqualifizierten Spitzenkräfte eingehen. Die SPD schreibt in ihrem Antrag so schön: Die Hochschulen sind zu öffnen. – Ich darf auf den Bundesbericht „Forschung und Innovation 2012“ mit beeindruckenden Zahlen verweisen. Seit 2005 haben wir hier die Ausgaben für Forschung und Wissenschaft von 9 Milliarden Euro auf fast 14 Milliarden Euro gesteigert. Das sind mehr als 50 Prozent. In Deutschland geben wir inzwischen 2,82 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aus. Der EU-Durchschnitt liegt bei 1,9 Prozent. Die Verantwortlichen für die Forschungs- und Hochschulflaute bis 2005 sitzen nicht bei uns, sondern links in diesem Haus. (Lachen bei der SPD und der LINKEN) Lassen Sie mich noch die drei Reforminitiativen von Bund und Ländern für den Wissenschaftsstandort nennen: Exzellenzinitiative, Hochschulpakt (Zuruf von der SPD: SPD-Initiative!) und außeruniversitäre Forschung. Circa 30 Prozent eines Altersjahrgangs erreichen derzeit in Deutschland den Hochschulabschluss. Ich glaube, dass wir sehr wohl auf einem richtigen Weg sind und dass wir die Herausforderung der Fachkräftesicherung rechtzeitig und zum richtigen Zeitpunkt angegangen sind. Lieber Kollege Heil, dafür brauchen wir keinen neuen Arbeitskreis. Wir brauchen auch keinen neuen Rat oder ein Grüppchen, das sich zusammensetzt, um Konzepte zu entwickeln. Unsere Arbeits- und Sozialministerin hat nämlich schon Konzepte vorgelegt. Wir haben Konzepte für lebenslanges Lernen, für die bessere Integration von Frauen – darin sind wir sehr wohl beisammen, Frau Pothmer –, für die Beschäftigungssicherung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und natürlich für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie dafür?) Selbstverständlich gehört auch die Aufgabe dazu, ausländische Studentinnen und Studenten, die bei uns studiert haben, in Deutschland zu halten. Ich glaube sehr wohl, dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, richtig ist. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir mit diesen Ansätzen eine Chance haben, die Herausforderung zu meistern. Weitere Punkte sind die Erhöhung der Erwerbstätigenquote älterer Beschäftigter. Was die alleinerziehenden SGB-II-Bezieherinnen angeht, brauchen wir natürlich auch deren Qualifikationen. Aber, lieber Kollege Heil und liebe Kollegin Pothmer, ich bin gerne zu einer Weiterbildungsveranstaltung zum Thema Betreuungsgeld bereit. Betreuungsgeld hält nicht davon ab, einen Beruf auszuüben. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich unterstreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Qualifikationsmangel ist eher auf der rechten Seite! Nicht einmal die FDP ist dabei!) Wir brauchen eine Erhöhung des Anteils der Frauen in MINT-Berufen. Wir sind natürlich gefordert, die hohe Quote der Schulabbrecher und derjenigen, die keinen Berufsschulabschluss schaffen, zu reduzieren. Ich glaube, dass auch die von uns gewählten Ansätze in diesem Bereich richtig sind. Ihr Lob im Antrag, lieber Kollege Heil, dass wir mit der BAföG-Novelle einen richtigen Weg eingeschlagen haben, habe ich gerne gelesen. All das zusammen sind richtige und wichtige Ansätze. Aber ich glaube, dass es vor allem um eines geht, nämlich um einen Wandel im Bewusstsein der Gesellschaft hin zu lebenslangem Lernen, zu einer Willkommens- und Akzeptanzkultur, aber auch dahin, dass wir jede Form der Arbeit anerkennen und wertschätzen. Es gibt heute leider viele Berufe gerade dort, wo es besondere Defizite an Arbeitskräften gibt, zum Beispiel im Pflegebereich, denen nicht immer Wertschätzung durch die Öffentlichkeit entgegengebracht wird. Deswegen glaube ich, dass wir alle in diesem Hause aufgefordert sind, allen Berufen und jeder Branche unsere Wertschätzung entgegenzubringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um ein existenzielles Thema für den Wirtschaftsstandort und unsere Gesellschaft. Aber ich bin sicher, dass wir, wenn wir gemeinsam um gute Ideen ringen, den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit unseren Wohlstand sichern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sigmar Gabriel (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich es unfassbar finde, mit welcher Leichtigkeit die Einwände der Kollegin Pothmer und des Kollegen Heil hier abgetan wurden. Ich sage Ihnen einmal, warum ich glaube, dass der Fachkräftemangel in unserem Land noch gar nicht groß genug sein kann. 60 000 Schülerinnen und Schüler ohne anständige Schulausbildung werden jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt entlassen. 1,5 Millionen jungen Leuten unter 30 Jahre, die arbeiten gehen könnten, bieten wir keine ausreichende Schulausbildung oder Weiterqualifikation an. Hunderttausende hochqualifizierte junge Frauen müssen sich für die Arbeitslosigkeit entscheiden, weil für ihre Kinder keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten da sind. Noch immer werden jedes Jahr ältere Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters entlassen, obwohl sie hochqualifiziert sind. Ein Drittel der Jugendlichen mit Migrationshintergrund absolviert keine Berufsausbildung in Deutschland. Nur 25 Prozent der deutschen Betriebe und Unternehmen bilden aus. Die Antwort, die Sie haben, lautet: Wir machen ein paar Büros auf und diskutieren über Zuwanderung. – Auch ich weiß, dass wir Zuwanderung brauchen, keine Frage. Aber es kann doch nicht wahr sein, dass wir in Deutschland nicht bereit sind, über die eben genannten Potenziale in unserem Land zu reden und diese Menschen weiterhin in die Arbeitslosigkeit schicken. Das darf nicht wahr sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen konkret: Sie müssen das Geld dort einsetzen, wo es am nötigsten gebraucht wird, das heißt für Kindertagesstätten, Familienbildungszentren und Ganztagsschulen und nicht für das Betreuungsgeld. So einfach ist das. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir reden doch gerade über die Tatsache, dass man den Euro nur einmal ausgeben kann. Da können Sie doch nicht Wolkenkuckucksheime für die Menschen bauen. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, dass die Potenziale in diesem Land gehoben werden. Es bedarf eines Programms der zweiten Chance für diejenigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sich deshalb nicht qualifizieren können und zu alt für das BAföG sind. Aber nichts von dem machen Sie! (Miriam Gruß [FDP]: Das haben wir doch -gemacht!) Nun zum Thema Pflege. Hier fehlen die meisten Fachkräfte. Worüber reden wir denn? Wir reden hier über harte Arbeit, Schichtarbeit und schlechte Bezahlung. Manche müssen sogar noch Geld für die Ausbildung zahlen. Wenn Sie wollen, dass in Zukunft eine ausreichende Zahl an Pflegekräften in den Krankenhäusern, der Altenhilfe und der Altenpflege zur Verfügung steht, dann müssen Sie für eine bessere Bezahlung, eine bessere Ausbildung und bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Geld statt Schulgeld, das ist die Antwort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Davor drücken Sie sich. Da machen Sie kein einziges Angebot, weil das ein bisschen schwieriger ist, als wie Frau von der Leyen zu sagen: Wer in Spanien arbeitslos ist, der kann zu uns kommen. – Sie wollen sozusagen Jugendliche importieren, anstatt dafür zu sorgen, dass in Spanien Wachstum entsteht. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) – Darüber verhandelt jetzt Ihre Kanzlerin mit dem spanischen Ministerpräsidenten. Aber darüber will ich gar nicht reden. Tun Sie etwas für die Menschen, die hier leben und arbeiten wollen und arbeiten können! Das bedeutet bessere Bildung, bessere Ausbildung, Abschaffung der Studiengebühren und der Kindertagesstättengebühren sowie den Ausbau der Ganztagsschulen. Das Geld darf nicht für das Betreuungsgeld verplempert werden. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das war es schon?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gabriel, Ihre Rede war ein beredtes Zeugnis für den Fachkräftemangel bei der SPD. Das will ich zunächst einmal sehr deutlich festhalten. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist ein Armutszeugnis, wenn der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion glaubt, sich mit einer derart schmalen und flachen Argumentation in die Diskussion einschalten zu müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dass es dem Kollegen Vogel gelungen ist, Sie zu dieser „Attacke“ zu verleiten, verbuche ich immerhin als Erfolg der FDP in dieser Debatte. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun zur Sache, Herr Kollege Gabriel. Es ist unglaublich, dass Sie sagen, der Fachkräftemangel in diesem Land sei noch nicht groß genug. Das letzte Mal, dass ich eine solche Sonthofen-Strategie der verbrannten Erde nach dem Motto „Es muss alles noch viel schlimmer kommen“ vernommen habe, liegt Jahrzehnte zurück. Ich dachte, wir wären weiter und würden uns in dieser Debatte konstruktiv auseinandersetzen. (Sigmar Gabriel [SPD]: 60 000 Schüler jedes Jahr!) Ich will Sie darauf hinweisen: Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland gehört zu den geringsten in -Europa. Sie liegt unter 7 Prozent. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Man kann doch nicht etwas Schlechtes mit etwas noch Schlechterem entschuldigen!) Das ist ein Riesenerfolg, und das ist das Ergebnis der Politik dieser schwarz-gelben Bundesregierung, (Zurufe von der SPD) die mit vielen Maßnahmen dafür sorgt, dass Jugendliche in diesem Land eine Chance haben. Sie beklagen, dass es zu viele Schulabbrecher gebe. Ich wage die Prognose: Die Schulabbrecherquote in einem Bundesland ist umso höher, je länger die SPD dort an der Regierung ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sigmar Gabriel [SPD]: Sie sind in keiner Regierung mehr! Das ist sicher!) Das hat auch etwas damit zu tun, wie man Schulpolitik gestaltet. Man muss nämlich dafür sorgen, dass junge Menschen von der ersten Klasse an ihre Chancen auf Bildung haben, damit sie später am Erwerbsleben teilhaben können. Der größte Teil der Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit wird für die Qualifikation von jungen Menschen aufgewendet. (Anette Kramme [SPD]: 26 Milliarden Euro weniger!) – Nein, das ist so. – Wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, dass das Nachholen eines Schulabschlusses eine Pflichtleistung werden müsse, dann will ich Sie auf den § 53 SGB III hinweisen, nach dem die Möglichkeit, einen solchen Hauptschulabschluss zu fördern, heute schon besteht. Es ist Rechtslage, was Sie, Herr Gabriel, in Ihrem Beitrag – aus meiner Sicht: unnötigerweise – einfordern. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich fasse zusammen. Dieses Land ist in einer wirtschaftlich sehr starken Position. Wir haben Riesenfortschritte bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gemacht. Wir haben deutliche Rückgänge bei der Arbeitslosigkeit in beiden Rechtskreisen, SGB II und SGB III. (Anette Kramme [SPD]: Aber jetzt neue Probleme angehen! Nicht in der Vergangenheit verharren!) Davon profitieren Langzeitarbeitslose, davon profitieren vor allen Dingen aber auch junge Menschen, die den Übergang von der Ausbildung in eine dauerhafte Beschäftigung schaffen wollen. Sie, Herr Gabriel, sind im vollkommen falschen Film. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass Sie zurzeit ein bisschen mehr in Europa unterwegs sind, weil Sie etwas in Sachen Euro-Bonds organisieren wollen. Es wäre besser, Sie würden sich informieren und in der Tagespolitik mitmischen und sich vor allen Dingen schlaumachen, wie gut wir in Deutschland aufgestellt sind, gerade was die Möglichkeiten junger Menschen anbelangt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Agnes Alpers für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Agnes Alpers (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Bundesinstitut für Berufsbildung stellt fest: Für Menschen in Deutschland ohne abgeschlossene Berufsausbildung werden sich die Beschäftigungschancen durch die demografische Entwicklung nicht verbessern. – Das betrifft in Deutschland 1,5 Millionen junge Leute zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Wenn wir noch die Menschen bis 35 Jahre hinzuzählen, sind es zusätzliche 750 000 Leute. Insgesamt hat in Deutschland etwa jeder siebte Erwerbstätige keinen Berufsabschluss. Vor all dem verschließt diese Bundesregierung die Augen. Das kann doch einfach nicht wahr sein. (Beifall bei der LINKEN) In meinem Heimatland Bremen sind es sogar insgesamt über 23 Prozent der Menschen, die keinen Berufsabschluss haben. Deshalb fordern wir die Regierung auf: Schaffen Sie Perspektiven für all diese Menschen! Garantieren Sie ihnen einen Berufsabschluss, und sichern Sie dadurch die Fachkräfte für morgen! Hierfür müssen wir endlich die Betriebe in die Verantwortung nehmen, und zwar durch gesetzliche Maßnahmen. Der Ausbildungspakt setzt nur auf die Selbstverpflichtung der Betriebe. Das hat dazu geführt, dass die Betriebe im Jahr 2011 120 000 Ausbildungsplätze weniger als 1992 angeboten haben. Insgesamt bilden nur 23 Prozent der Betriebe aus. Nicht die Menschen ohne Berufsabschluss, sondern die Betriebe sind nicht ausbildungswillig. (Beifall bei der LINKEN) Die Selbstverpflichtung der Betriebe hat versagt. Deshalb fordern wir Sie auf: Nehmen Sie die Betriebe endlich in die Pflicht, und führen Sie die Ausbildungsumlage ein! (Beifall bei der LINKEN) Nur so können wir uns auf den Weg machen, allen eine qualifizierte Ausbildung anzubieten und die Zukunft zu gestalten. Wir stehen heute aber nicht nur vor der Herausforderung, allen eine Ausbildung zu garantieren. Wir brauchen auch eine hohe Qualität in der Ausbildung. Wir haben im Land Bremen eine Untersuchung zur Qualität der Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe durchgeführt. Die Umfrageergebnisse haben gezeigt, dass Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten und die geringe Qualität der Ausbildung häufig zu Abbrüchen führen. Deutschlandweit brechen 48 Prozent der Restaurantfachkräfte ihre Ausbildung ab. Nicht die jungen Menschen, sondern die Betriebe sind hier nicht ausbildungsreif. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb gilt: Wer heute die Fachkräfte sichern will, der sorgt für eine gute Ausbildungsvergütung und eine hohe Qualität in der Ausbildung und sichert die Übernahme und eine gute Bezahlung der Fachkräfte. (Beifall bei der LINKEN) Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für den Pflegebereich. In den letzten Monaten habe ich mich mehrere Male in Bremen mit Frauen getroffen, die sich in der Ausbildung oder Umschulung zur Altenpflegerin oder in einer entsprechenden Qualifizierungsmaßnahme befanden. In den Klassen waren hauptsächlich Frauen, die nach Erziehungsjahren, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit oder auch nach mehreren Übergangsmaßnahmen diese Ausbildung zur Altenpflegerin machen wollten. Themen waren immer wieder die körperliche und psychische Belastung, die geringe gesellschaftliche Anerkennung und die schlechte Bezahlung der Altenpflegerinnen. (Sigmar Gabriel [SPD]: So ist es!) Bei den letzten Gesprächen stellten die Frauen immer wieder die Frage, warum denn die Bundesregierung die Förderung des dritten Jahres der Ausbildung nicht mehr finanzieren will. (Sigmar Gabriel [SPD]: Richtig!) Man könne doch den Fachkräftemangel nicht dadurch beseitigen, dass man die Mittel für die Qualifizierung zusammenstreicht bzw. die Kosten einfach auf andere verlagert. (Sigmar Gabriel [SPD]: Richtig! Jawohl!) Die Frauen sagten, sie selbst würden noch weniger Geld erhalten, wenn sie die Maßnahme nach zwei Jahren als Altenpflegehelferinnen verlassen müssten. Meine Damen und Herren, das Handeln dieser Regierung ist einfach nur unverschämt und verantwortungslos. (Beifall bei der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Das ist ja absurd!) Sie tragen die Kürzung der Mittel für arbeitsmarktpolitische Instrumente auf dem Rücken dieser Frauen aus. (Miriam Gruß [FDP]: So ein Schmarrn!) Sie entlassen die Frauen in prekäre Arbeit, und zur Krönung lassen Sie im Berufsbildungsbericht 2012 auch noch verlautbaren, dass Sie „eine neue Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive in der Altenpflege erarbeitet“ haben. Das ist doch der blanke Hohn. Meine Damen und Herren, wir haben keinen Mangel an Menschen, die sich fachlich qualifizieren und ihre Kenntnisse einbringen wollen; aber wir haben einen großen Bedarf an einer Regierung, die verantwortungsvoll und nachhaltig handelt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sichern Sie die Fachkräfte! Schaffen Sie eine voll qualifizierende Ausbildung für alle! Führen Sie die Ausbildungsumlage ein! Sichern Sie die Qualität von Aus- und Weiterbildung! Und nehmen Sie endlich die Kürzungen der Mittel für arbeitsmarktpolitische Instrumente zurück! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Herr Wunderlich. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn aus den eigenen Reihen keiner klatscht!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kolb, Sie mokieren sich darüber, dass Herr Gabriel sich in die Debatte einbringt. Wissen Sie, was das Problem ist? Immerhin machen Herr Gabriel und meine Partei dieses Thema zum Chefthema; aber Sie ignorieren das Thema schlicht und einfach. Das ist das Problem, das wir haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist gut, dass Herr Gabriel sich in der Debatte zu Wort meldet, das Thema aufwertet und ihm die notwendige Aufmerksamkeit verschafft. Wenn Sie sich entsprechend des Themas annehmen würden, würden wir solche Debatten hier nicht für notwendig halten. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Es geht nicht um Körpergewicht, sondern um Substanz!) Zu einem weiteren Punkt. Es kam immer wieder das Argument: Wir haben kaum Jugendarbeitslosigkeit; wir können uns damit rühmen. – (Otto Fricke [FDP]: Fanden Sie nicht, dass das eine starke Rede war?) Ich sage Ihnen einmal etwas zu meiner Region; ich komme aus dem Allgäu. Das, was die Arbeitslosigkeit in der jungen Generation betrifft, ist in der Tat richtig. Es ist aber nicht unbedingt Ihr Erfolg, sondern eine Folge des demografischen Wandels. Wir werden demnächst Schulen schließen oder zusammenlegen müssen, weil wir zu wenig Kinder haben, um alle Schulen behalten zu können. Ich habe von Ihnen noch keine einzige anständige Antwort auf die Frage gehört, wie wir mit diesem Problem umgehen sollen und was wir vor allem mit den Jugendlichen machen, die bis jetzt auf der Schattenseite des Lebens stehen, die von einer Maßnahme der Arbeitsagentur zur anderen geschickt werden. Diese Jugendlichen werden am Ende auf der Straße stehen. Sie haben darauf keine Antworten; Sie haben keine Lösung für dieses Problem. Aber genau das ist die Herausforderung: dass wir wirklich jedem Kind, unabhängig von der Herkunft, eine Chance geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Antworten, die wir geben müssen, müssen vielfältig sein: Ja, wir brauchen Migration von Arbeitskräften, wir brauchen gute Qualifikation, und wir brauchen Frauen auf dem Arbeitsmarkt – ob es Ihnen gefällt oder nicht. Für Ihr Nichtstun gebe ich Ihnen einmal ein Beispiel. Wir wissen seit Jahren, dass uns 40 000 Erzieherinnen im U-3-Bereich fehlen werden. Mit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kleinkinder wird dieses Problem noch deutlicher werden. Die Grünen bringen dieses Thema Woche für Woche, Monat für Monat in die Debatte, in die Ausschüsse, in die Öffentlichkeit. Wissen Sie, was die Antwort Ihrer Regierung ist? Sie lautet: Wir überlegen uns einmal, ob wir eine Onlineplattform hierzu schaffen. – Eine Onlineplattform! Dadurch wird keine einzige Person zur Erzieherin qualifiziert. Das ist also Ihre Antwort. Vielen Dank aber auch! Ich will auch auf die anderen Bereiche eingehen. Ja, wir brauchen die frühkindliche Bildung in Krippen, in Ganztagsschulen. Wir wissen, dass wir mit DualPlus echte Chancen schaffen können, auch für benachteiligte Jugendliche, die ohne einen Abschluss die Schule verlassen müssen. Was genau machen Sie denn in diesem Bereich? Wir wissen, dass wir mehr Studierende bekommen: 750 000 zusätzliche Erstsemester. Anstatt dafür zu sorgen, dass die KMK eine entsprechende Debatte führt, dass der Hochschulpakt ausgeweitet wird, hören wir von Ihnen wenig, wenn nicht gar nichts. Wir wissen: Wir brauchen ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz. Wir wissen: Wir müssen Erwachsene qualifizieren. Wir wissen noch mehr: Wir müssen endlich das Kooperationsverbot überwinden. Was ist Ihre Antwort? Bisher nichts! Kommen wir zu den Frauen. Lassen wir einmal die Ideologiedebatte hinter uns. Wir brauchen qualifizierte Frauen an den Universitäten, auf dem Arbeitsmarkt, in dieser Gesellschaft. Wo sind Ihre Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Ausbildung an den Universitäten? Was machen Sie da? Sie machen nichts! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da es gerade Mode ist, hier das Grundgesetz zu zitieren, zitiere auch ich einen Grundgesetzartikel, Art. 3 Abs. 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat  … wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Auch das ist unser Auftrag: Wir müssen endlich einmal etwas dagegen tun, dass Frauen in diesem Land im Schnitt immer noch 23 Prozent weniger verdienen. Was machen Sie dagegen? Wo sind Ihre Konzepte zur Entgeltgleichheit? Wo ist Ihr Gesetz zur Förderung der Gleichstellung in den Unternehmen? Wo sind Ihre Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt? (Miriam Gruß [FDP]: Wo waren denn die Maßnahmen von Rot-Grün?) Sie machen nichts, gar nichts! Stattdessen konzentrieren Sie sich auf eine Ideologiedebatte, Stichwort Betreuungsgeld. Sie blockieren diese Gesellschaft. Sie blockieren die Frauen. Sie blockieren den Fortschritt. Das ist Ihre bisherige Antwort, und das ist zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlass unserer heutigen Debatte ist ein Antrag der SPD mit dem Titel „Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern“. Herr Gabriel, der Anlass dieser Debatte ist nicht eine Entschuldigung für Ihren missglückten Auftritt auf der Bundeskonferenz des Arbeitskreises Sozialdemokratischer Frauen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Der Antrag der SPD ist von einer Sorge um die Auswirkung des demografischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt getrieben. Diese Sorge teilen wir. Davon zeugt eine Reihe von Gesetzesinitiativen, die wir umgesetzt haben. So hat diese Koalition die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse zu erleichtern. Das bietet vielen Menschen in Deutschland neue Chancen, in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten. Sie müssen nicht mehr als Ingenieure Taxi fahren oder als Ärzte in der Krankenpflege arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir haben vor wenigen Wochen durch die Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie die Chancen erheblich verbessert, dass ausländische Studierende an deutschen Hochschulen nach ihrem Abschluss in Deutschland eine Arbeitsstelle finden. Wir haben die Möglichkeiten für die Anwerbung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland deutlich verbessert, etwa durch die Senkung der Gehaltsschwelle oder durch den Wegfall der bürokratischen Vorrangprüfung in vielen Bereichen. Ich könnte viele weitere Punkte aufzählen – aus dem Bereich Arbeit und Soziales ebenso wie aus dem Ressort Bildung und Forschung. Wir sind also in dieser Koalition nicht erst heute dabei, Chancen zu eröffnen und Fachkräfte zu sichern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, umso gespannter war ich auf den Antrag der SPD, der am Dienstagnachmittag vorgelegt wurde. Ich will hier nur eine erste Bewertung vornehmen. Ich glaube, einiges Tiefergehende werden wir im Ausschuss erörtern. Ihr Antrag enthält einiges Bedenkenswerte, leider aber auch vieles, das sich mir überhaupt nicht erschließt. Ich will nur zwei Beispiele anführen, bei denen ich den Eindruck hatte, das Stricken mit heißer Nadel könnte dazu geführt haben, mit den Fakten etwas zu schludern. So wollen Sie das Aufstockungs- und Umgehungsverbot in § 16 f SGB II für Langzeitarbeitslose aufheben. Da habe ich mir ein wenig die Augen gerieben; denn in der Instrumentenreform im letzten Jahr haben wir genau das getan. Die Verbesserung der Freien Förderung und die Aufhebung des Aufstockungs- und Umgehungsverbots für Langzeitarbeitslose, das war einer der wichtigsten Bestandteile der Instrumentenreform. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freie Förderung macht aber keiner!) Es freut mich aber zumindest, dass wir in der Lage -waren, eine Forderung von Ihnen zu erfüllen, noch ehe sie bei Ihnen zum Gedanken geronnen und zu Papier -gebracht worden ist. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erstaunt hat mich auch die Forderung, dass Menschen, die neben ALG I zusätzlich ALG II beziehen, weiterhin von der Arbeitsagentur beraten werden sollten, eben solange sie ALG I beziehen. (Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP]: Das ist nämlich Status quo!) Das werden sie. Ich habe mich in diesem Punkt auch noch einmal rückversichert. Das steht im Übrigen auch in Form eines Verweises im Gesetz. Vielleicht haben Sie den Verweis nicht gelesen. Im Ergebnis zeigen Sie einen erheblichen Mangel an, der keiner ist. Aber vielleicht war das ja der Eile geschuldet, in der der Antrag -geschrieben wurde. Kann ja mal passieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Mein Haupteinwand gegen Ihren Antrag ist allerdings ein ordnungspolitischer. Über weite Strecken wird man bei Ihnen den Eindruck nicht los: Alles muss der Staat machen – durch Gesetze und durch mehr Geld. – Ich glaube dies nicht. Im Übrigen glaubt dies auch die Bundesagentur für Arbeit nicht, deren Bericht über den Fachkräftemangel Sie zustimmend zitieren. Die Bundesagentur sagt sehr deutlich, dass in der Mehrzahl der zehn zentralen Handlungsfelder zur Überwindung des Fachkräftemangels die Unternehmen gefordert sind. Das ist auch einleuchtend. Der Fachkräftemangel führt dazu, dass Firmen ein -gesundes Eigeninteresse bekommen, Fachkräfte heranzuziehen und auszubilden. Dort, wo sie das tun, sollte sich der Staat zurückziehen und nicht noch durch besondere Förderungen die Arbeitgeber subventionieren. Für mich ist das nicht nur ein Erfordernis einer sparsamen Haushaltsführung, sondern auch ein Erfordernis der Subsidiarität. Wenn andere wie etwa die Arbeitgeber Dinge genauso gut oder besser erledigen können, braucht man dafür keine Steuergelder einzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich würde eine Ausnahme machen. Ich fände es gut, wenn wir mehr Mittel für die steuerliche Förderung von Mitarbeiterbeteiligungen bereitstellen könnten. Gerade dieser Bereich ist noch entwicklungsfähig und für die dauerhafte Bindung der Mitarbeiter an die Firmen von besonderer Bedeutung. Die Mitarbeiterbeteiligung könnte auch ein zusätzlicher Anreiz sein, wenn es darum geht, qualifiziertes Personal aus dem Ausland nach Deutschland zu locken. Dazu findet sich in Ihrem Antrag aber kein Wort. Schade! Ihr Wunsch nach mehr Geld wird auch thematisiert bei den von uns vorgenommenen Anpassungen im Eingliederungstitel für Langzeitarbeitslose. Dieser Wunsch gewinnt durch ständige Wiederholung nicht an Plausibilität. Um nur einmal die Zahlen zu nennen: Der Eingliederungstitel enthielt 2007 4,8 Milliarden Euro, 2011, nach einem vorübergehenden Hoch, 4,66 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum ist allerdings die Anzahl der Langzeitarbeitslosen deutlich zurückgegangen: von 1,7 Millionen auf etwas mehr als 1 Million. Das bedeutet: Standen 2007 pro Langzeitarbeitslosen rechnerisch 2 438 Euro aus dem Eingliederungstitel zur Verfügung, waren es 2011 4 431 Euro. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wie man hier auf die Idee kommen kann, von Kürzungen zu sprechen, ist mir schleierhaft. Es ist doch ganz klar: Je weniger Arbeitslose ich habe, desto weniger Geld muss ich für deren Betreuung und Vermittlung aufwenden. Genau nach dieser Logik handeln wir. Bei -Ihnen habe ich manchmal den Eindruck: Egal, ob wir mehr oder weniger Arbeitslose haben, es wird immer mehr Geld gebraucht. Diese Logik kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unverständlich ist aus meiner Sicht auch Ihre Forderung, mehr Geld dafür auszugeben, die Kontaktdichte zwischen Arbeitsuchenden und Vermittlungsfachkräften zu verändern. Auch hier habe ich mir einmal die Zahlen der Betreuungsrelationen in der Grundsicherung an-geschaut. Diese liegen vielfach in der Nähe der selbst -gesetzten Ziele; in einigen Fällen sind sie deutlich besser. In Gesprächen erhalte ich häufig die Rückmeldung: Es liegt nicht daran, dass mehr Geld gebraucht wird; eher ist das Problem eine Fluktuation beim Personal, die eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitsuchenden und Vermittlungskräften erschwert. Es ärgert mich Ihr Vorschlag, das Recht auf die finanzielle Förderung beim Nachholen eines Schulabschlusses als Pflichtleistung auszugestalten. Es ärgert mich -weniger, dass Sie den Vorschlag gemacht haben – damit wir uns richtig verstehen –, vielmehr ärgert mich – der Kollege Gabriel hat das ja auch angesprochen –, dass den Versicherten ein Versagen der Schulpolitik vor die Füße gekehrt wird. Ich finde, wir sollten die Bundesländer für jeden, der keinen Schulabschluss erworben hat, finanziell mit einem Aussteuerungsbeitrag an die Bundesagentur zur Verantwortung ziehen. Ich vermute, dass sich die Länder dann ganz anders aufstellen würden, um sicherzustellen, dass alle einen Abschluss bekommen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Auf einen Aspekt, der die Differenz zwischen Ihrem Politikverständnis und unserem besonders markiert, will ich noch aufmerksam machen. Sie lehnen das Betreuungsgeld aus arbeitsmarktpolitischen Gründen ab. (Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Unter anderem!) Ich will einmal davon absehen, dass Sie mit uns in der Großen Koalition das Betreuungsgeld vereinbart haben. Es steht seither in § 16 des SGB VIII. (Anette Kramme [SPD]: Als Leerklausel! Als Leerformel!) Aber mir scheint doch, dass das dahinterliegende Konzept Frauen als industrielle Reservearmee sieht. (Katja Mast [SPD]: Was?) Warum aber sollten Frauen ebenso unbarmherzig wie Männer der Verwertungsrationalität unseres wirtschaft-lichen Systems unterworfen werden? (Anette Kramme [SPD]: Mannomann! Das ist eine Argumentation von Anfang des Jahrhunderts! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist voriges Jahrhundert! Frauen werden geschützt vor dem Verwertungsmechanismus des Kapitalismus!) Ist Wahlfreiheit nicht auch eine Möglichkeit, Frau Kramme, dies nicht tun zu müssen? Ich weiß, das ist nicht bei allen möglich. Karl Schiewerling hat ausgeführt, dass er in seinem Wahlkreis Menschen befragt hat, wie sie das mit dem Betreuungsgeld sehen. Das habe ich auch in meinem Wahlkreis getan. Ich komme aus Frankfurt, einem städtischen Wahlkreis. Dort ist die Situation vielleicht etwas anders. (Anette Kramme [SPD]: Wie gehen Sie denn mit den Wünschen von Frauen um, die ihre Arbeitszeit aufstocken möchten?) Ich muss doch zur Kenntnis nehmen, und zwar mit großem Bedauern, dass Frankfurt nicht der Nabel der Welt ist und dass es andere Betreuungsmodelle gibt, die auch interessant sind und die gelebt werden wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wollen Sie Ihre Redezeit verlängern und eine Zwischenfrage der Kollegin Dittrich zulassen? (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje! Bitte nicht! Gnade!) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Aber ja. Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Schönen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte fragen, ob Sie erkennen können, dass die Nichtbereitstellung von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren verhindert, dass Frauen die Funktion des Ernährers wahrnehmen können; denn sie können nur einige Stunden arbeiten. Zweitens. Den größten Fachkräftemangel – das haben Sie selbst gesagt; Sie sprachen davon, dass das nicht der Verwertungslogik der Industrie unterliegen soll; das kam von Ihnen – gibt es in den Dienstleistungsbereichen, bei den Erzieherinnen und den Altenpflegerinnen. Die Kommunen haben kein Geld, um die Erzieherinnen auszubilden. Erzieherinnen fehlen am meisten. Das, würde ich sagen, ist auf Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik zurückzuführen: Indem Sie die Banken finanzieren, machen Sie die Kommunen arm. Deshalb gibt es einen Fachkräftemangel vor Ort. Diesen Mangel gibt es auch bei den -Altenpflegerinnen. Kann Ihre Regierung ein Programm auflegen, um in diesen Frauenberufen erstens mehr und bessere Ausbildung zu ermöglichen und zweitens mehr Geld bereitzustellen? Dann haben Sie mehr Personal mit einer besseren Ausbildung vor Ort. Das nützt allen: Qualifizierten Frauen wird ein Ausbildungsplatz verschafft, sie werden besser bezahlt, die Kinder werden besser -betreut, die in der Kita etwas lernen sollen, und bei der Altenpflege werden die Älteren qualifiziert betreut. Das sind Tätigkeiten, die Frauen privat zu Hause erledigen, indem sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Dafür wurde ihnen von Ihnen ein unsinniges Pflegezeitgesetz angeboten. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Verehrte Frau Kollegin, es fällt mir ein bisschen schwer, dieser Argumentation intellektuell zu folgen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich halte es für ein ausgesprochen mutiges Unterfangen, unserer Wirtschaftspolitik ein Scheitern zu unterstellen angesichts dessen, dass wir nahezu Vollbeschäftigung haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Kollegin, andere Bundeskanzler hätten da den Kölner Dom tagelang läuten lassen, um das zu feiern. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, dass im Rahmen der Diskussion über Fachkräftemangel und über das Eröffnen von Chancen die heutige Debatte sicherlich nicht die letzte war. Die SPD hat mit ihrem Antrag einen Aufschlag gemacht. Über diesen Antrag werden wir im Ausschuss weiter -debattieren. Ohne ein Prophet zu sein, vermute ich, dass wir uns Ihrem Antrag nicht anschließen können. Das wird uns jedoch nicht daran hindern, Chancen zu eröffnen und Fachkräfte zu sichern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf damit anfangen, dass die Reden von Herrn Schiewerling, aber auch von Herrn Zimmer großes Entsetzen bei mir ausgelöst haben. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was?) Ist das der Umgang mit Fachkräftemangel in der Bundesrepublik Deutschland? Dann kann ich nur sagen: Diese Bundesregierung und diese Ministerin vernachlässigen das Thema brutal und gehen unverantwortlich mit den Menschen in diesem Lande um. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben doch keine Ahnung!) Aber schauen wir uns genauer an, was die Bundesregierung macht: ein bisschen Zuwanderung, ohne positive Rahmenbedingungen für die Zuwanderung zu setzen; ein bisschen Anerkennung von Berufsabschlüssen von Migranten, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch -lächerlich!) ohne entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, -damit Migranten tatsächlich neue Rechte effektiv in -Anspruch nehmen können – nicht einmal die Kostenfrage der Anerkennung von Abschlüssen ist geklärt –; ein bisschen Copy & Paste bei der Bundesagentur für Arbeit, die dankenswerterweise mögliche Handlungsansätze zur Systematisierung beim Fachkräftemangel formuliert hat. An dieser Stelle sei angemerkt: Wenn Sie nur das übernehmen würden, was die BA vorschlägt, wären wir in diesem Land ein ganzes Stück weiter. Tatsächlich ist es aber so, dass Sie jede Menge Optionen ungenutzt lassen. Bei der Bundesagentur für Arbeit streichen Sie den Haushalt zusammen, statt Mittel umzuschichten, hinein in die langfristige Qualifizierung von Arbeitslosen einerseits und von Erwerbstätigen andererseits. In der Demografiestrategie findet sich praktisch nichts zum Bereich Fachkräftesicherung. Zum Papier „Fachkräftesicherung“, auf das Sie so stolz sind, ich kann Ihnen nur -sagen: Das ist es wert, dass man es in den Mülleiner schmeißt, aber auch kein bisschen mehr. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich auf die heldenhaften Äußerungen von Herrn Schiewerling zum Betreuungsgeld eingehen. Das hat mich ja emotional richtig angerührt. Natürlich führt das Betreuungsgeld dazu, dass Frauen zu Hause bleiben; denn das Geld, das für diese Maßnahme zur Verfügung steht, wird nicht für den Ausbau der Kinderbetreuung verwendet. Mit diesem Geld könnten bis zu 220 000 Kinderbetreuungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden. (Manfred Grund [CDU/CSU]: 1 Milliarde Euro! Sie haben die Zahlen nicht beieinander!) Es gibt eine verdammt große Menge Frauen in diesem Land, die gerne arbeiten würden. Dabei geht es nicht um die „ökonomische Verwertung“ von Frauen, sondern es geht darum, dass Frauen ein eigenes Leben verwirk-lichen wollen, und darum, dass sie manchmal sogar arbeiten müssen, damit hinreichend Geld im Haushalt vorhanden ist. (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nichts anderes habe ich gesagt!) Die Folgen Ihrer Politik sind fatal. Stellen wir uns ein Land vor, in dem es viel zu wenig Ingenieure gibt. Wie soll in diesem Land noch Innovation stattfinden? Wie soll Produktivität stattfinden? Stellen wir uns ein Land vor, in dem es fast keine Altenpfleger mehr gibt. Wer soll die Menschen in den Altenheimen und sonstigen Einrichtungen betreuen? Und was ist mit dem erwähnten Handwerker? Wenn es den nicht mehr gibt, dann fehlt es an dem, was ich „volkswirtschaftliche Produktivität“ nenne. Wir werden in diesem Land auf Einnahmen verzichten müssen, weil Sie drei Regierungsjahre haben verstreichen lassen und in dieser Zeit nichts unternommen haben, obwohl wir alle wissen, dass sich Fachkräfte nicht in 14 Tagen ausbilden lassen. (Beifall bei der SPD) Wir Sozialdemokraten wollen das Thema Fachkräftesicherung ein wenig anders angehen als andere. Wir sind der Überzeugung: Das ist eine wunderbare Gelegenheit, den Menschen in unserem Land neue Qualifikationen und damit den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Wir möchten, dass der Gelernte zum Meister werden kann, indem er die Technikerschule oder auch die Universität besucht. (Miriam Gruß [FDP]: In Bayern geht das!) Das sind ganz neue Möglichkeiten. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das haben wir doch schon! Was reden Sie denn da? Es ist doch schon alles da!) – Ja, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, -natürlich!) aber die Frage ist doch: Welcher Berufstätige kann es sich finanziell leisten – gerade wenn Familie vorhanden ist –, aus dem Beruf auszusteigen, um sich weiterzubilden? Das wird in unserem Land nur funktionieren, wenn es ausreichend finanzielle Unterstützung gibt. Das zeigt, dass wir beispielsweise das Thema Arbeitsversicherung angehen müssen. (Beifall bei der SPD – Miriam Gruß [FDP]: Was macht denn Frau Kraft?) Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Fakt ist, dass für die Weiterbildung in unserem Land die Unternehmen zuständig sind. Hier müssen wir Umstrukturierungen vornehmen; wir können das nicht mehr so angehen wie in der Vergangenheit. Es ist wichtig, dass Unternehmen Sozialpläne finanzieren; aber es ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens genauso wichtig, dass sie sich ein Leben lang weiterbilden können. Wir wollen deshalb ein neues Mitbestimmungsrecht einführen, ein Initiativrecht, das Unternehmen im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten verpflichtet, Mittel für die Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Dadurch wird sich einiges ändern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ungedeckter Fachkräftebedarf ist eine Hypothek auf die Zukunft, ist ein Vergehen an der Zukunft unseres Landes. Drei Jahre Regierungshandeln in Untätigkeit – das ist eine Schande für unser Land. In dem Sinne: Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, bei aller Freude über die politische Debatte dürfen wir nicht vergessen – das muss man in dieser Debatte betonen –, dass der Fachkräftemangel eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt. Natürlich gibt es eine Verantwortung der Politik, aber auch viele andere Bereiche der Gesellschaft tragen Verantwortung. Ich denke beispielsweise an die Betriebe, die vor der Herausforderung stehen, gute Angebote zu unterbreiten, um Fachkräfte zu finden, aber gleichzeitig dafür sorgen müssen, ihre Belegschaften zu qualifizieren und auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Der Fachkräftemangel ist eine Herausforderung für die Verbände und für die Gewerkschaften, die bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen ihrer Verantwortung für die Zukunft gerecht werden müssen; denn nicht nur das gegenwärtige Interesse steht im Mittelpunkt, sondern auch die Interessen zukünftiger Generationen. Er ist eine Herausforderung für die Bundesagentur für Arbeit, die passgenau qualifizieren und vermitteln muss. Er ist eine Herausforderung für die Gesellschaft – darauf hat mein Kollege Johannes Vogel schon hingewiesen –, die eine Willkommenskultur leben muss, damit sich Menschen aus dem Ausland bei uns wohlfühlen. Er ist aber auch eine Herausforderung für den Einzelnen, der die Bereitschaft haben muss, seine eigenen Potenziale zu entdecken, um sie dann mit oder auch ohne Unterstützung zu entwickeln. Es gibt natürlich auch eine Verantwortung der Politik. Liebe Frau Kramme, Sie können das Fachkräftekonzept der Bundesregierung nicht einfach so abtun und behaupten, es sei nur für den Abfalleimer; denn in diesem Papier wird eine Fülle von Maßnahmen beschrieben, die die Bundesregierung mit großem finanziellen Aufwand auf den Weg bringt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Konzept der Bundesregierung zur Sicherung des Fachkräftebedarfs sieht fünf Schwerpunkte vor. Auf den Schwerpunkt „Integration und qualifizierte Zuwanderung“ ist mein Kollege Johannes Vogel bereits eingegangen. Ich möchte zwei weitere Schwerpunkte nennen. Wir müssen die Potenziale älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entdecken, erhalten und fördern. Es ist ein Glück, dass die Gesellschaft insgesamt – die einzelnen Menschen und die Betriebe – umdenkt und dass der Prozess in Gang gekommen ist, dass die Menschen länger arbeiten wollen und sollen. Die Zahl älterer Erwerbstätiger im Alter von 55 bis unter 65 Jahren ist in den Jahren 2005 bis 2009 um mehr als 1 Million angestiegen, und die Tendenz ist weiter steigend. Das ist ein gutes Signal. Die Zahl der Arbeitslosen im Alter von über 55 Jahren hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu halbiert. Weiter ist es gut, festzustellen, dass die Bundesregierung auch Initiativen fördert wie beispielsweise das Demografienetzwerk, in dem sich Unternehmen zusammenschließen, um den Know-how-Transfer zu leisten und um sich gegenseitig dabei zu unterstützen, dass die Erwerbstätigkeit auch im hohen Alter erhalten bleiben kann. Die Bundesregierung geht als Arbeitgeber mit gutem Beispiel voran. Ich erinnere an das Modell Falter, mit dem die Bundesregierung im Bereich des öffentlichen Dienstes ein innovatives Konzept mit flexiblen Arbeitszeiten für ältere Beschäftigte, die in der Verwaltung des Bundes arbeiten, vorgelegt hat. Dazu gehört aber auch, dass wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentnerinnen und Rentner verbessern und flexibilisieren. Weiter gehört dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass wir an der Rente mit 67 uneingeschränkt festhalten müssen. Darüber hinaus möchte ich daran erinnern, dass wir auch im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit nicht nur Erfolge zu verzeichnen haben, sondern dass wir da auch neue Maßnahmen in Gang gesetzt haben. Fachkräftemangel – der Kollege Gabriel ist gerade weg – ist offensichtlich auch ein Problem in der SPD-Fraktion; über die vielen Fehler hinaus, die meine Kollegen Kolb und Zimmer schon erwähnt haben, möchte ich Sie, was den Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit angeht, nur auf einen Punkt in Ihrem Antrag hinweisen. Sie fordern, dass wir das Aufstockungs- und Umgehungsverbot in § 16 SGB II – freie Förderung – abschaffen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir das schon im September des vergangenen Jahres beschlossen haben und dass das seit dem 1. April wirksam ist. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, bitte ich Sie, in Zukunft etwas mehr Mühe darauf zu verwenden, wenn Sie Anträge in den Bundestag einbringen. Sonst entsteht bei der Bevölkerung tatsächlich der Eindruck, dass Fachkräftemangel ein Problem Ihrer Fraktion ist. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die üben noch!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat einen Antrag mit dem Titel „Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern“ vorgelegt; das sind beachtliche zwölf Seiten. Darin sind umfangreiche Maßnahmen für alle Bereiche der Arbeits-, Sozial- und Bildungspolitik vorgeschlagen worden. Den Kollegen von der Opposition ist bisher anscheinend Folgendes nicht aufgefallen, Frau Kramme: Viele dieser Vorschläge hat die Regierungskoalition in den vergangenen Jahren bereits umgesetzt. Ich möchte hier heute als Vorstandsmitglied der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU und als Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung die neuesten Fakten zu diesem Thema zusammenfassen. Wir sind uns, denke ich, darin einig: Arbeitsmarkt-politische Programme können nur greifen, wenn die bildungspolitischen Voraussetzungen stimmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein erfolgreicher Schulabschluss, ein abgeschlossenes Hochschulstudium sowie berufliche Qualifikation und Praxis sind, denke ich, die Voraussetzungen für Beschäftigung in unserem Land. Im Rahmen der Fachkräftesicherung müssen deshalb Qualifikationen kontinuierlich verbessert werden. Weiterbildung und lebenslanges Lernen gehören heute zu den wichtigsten Erfahrungen im persönlichen Lebenslauf. In Deutschland arbeiten rund 60 Prozent der Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehmen. In meinem Bundesland Niedersachsen beispielsweise besteht die Branche der Automobilzulieferer zum Teil aus sehr kleinen Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern. Die Mitarbeiter dieser Kleinstbetriebe sind hochqualifiziert und spezialisiert, und das vor allem in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Wir konnten feststellen, dass gerade auch mit den Konjunkturprogrammen I und II während der Wirtschaftskrise ein entscheidender Beitrag geleistet wurde, um unser Fachkräftepotenzial zu sichern. Ohne diese Maßnahmen der Bundesregierung hätten viele Firmen ihr Fachpersonal nicht halten können. Ich denke, wir können heute sagen: Sie sind weiterhin in ihren Betrieben beschäftigt. Wenn man vor Ort konkret nachfragt, wo diese Fördermittel hingeflossen sind, erhält man immer dieselbe Antwort. Auch in meinem Wahlkreis wurde vorwiegend in die Bildungsinfrastruktur investiert, allem voran in die energetische Sanierung von Schulen und Turnhallen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ein Konzept zur Fachkräftesicherung entwickelt. Ein Bestandteil ist das neu eingerichtete Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung. Mittelständische Betriebe können sich dort kostenlos informieren und beraten lassen. Sie werden individuell unterstützt mit passend zugeschnittenen Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Dieses Kompetenzzentrum ist ein hervorragendes Beispiel für die verantwortungsvolle Politik der Bundesregierung zur Sicherung des Fachkräftebedarfs. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Blumenthal [FDP]) Grundsätzlich ist der Fachkräftemangel schwer zu quantifizieren. Es steht aber fest, dass er nicht flächendeckend ist. Er kann deshalb nur regional beurteilt werden. Wir müssen die Instrumente zur Fachkräftesicherung vor allem an den betroffenen Berufsgruppen, den Altersgruppen, den Branchen, den Arbeitsmarktstrukturen und der Bildungsinfrastruktur vor Ort ausrichten. An Ihrem überfrachteten Antrag fällt mir eines auf: Ihr Hauptanliegen, die Fachkräftesicherung, verschwindet an vielen Stellen völlig aus dem Blick. Ich denke, man kann es so formulieren: Der SPD-Antrag ist von einer wirtschaftsfernen Einstellung geprägt, die einige Arbeitsmarktexperten sprachlos macht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die SPD trennt zwischen Ausbildung und Arbeit. Für die Union gehört beides zusammen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Auszubildende soll nicht nur kosten, sondern sich auch lohnen: Der Auszubildende profitiert von seiner Lehrzeit, aber auch der Handwerksbetrieb profitiert von der Leistung des Lehrlings. Was die SPD hier im Einzelnen fordert, ist unverantwortlich, weil in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht nicht zu Ende gedacht wird. Es sollen neue staatlich-bürokratische Strukturen geschaffen werden, um eine Berufsausbildung zu garantieren. Aber die spätere Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt wird nicht berücksichtigt. An keiner Stelle des Antrags wird von Kooperationsstrukturen zwischen Schule, Berufsausbildung und Wirtschaft gesprochen. Können Sie Ihren Antrag nicht guten Gewissens mit berufsbegleitenden Maßnahmen in der Praxis, kommunaler Wirtschaftsförderung und einer vorausschauenden Ausbildungsplanung der Firmen in Abstimmung mit den Landkreisen anreichern? (René Röspel [SPD]: Möchten Sie ein Gesetz dafür machen?) Unser Erfolgsmodell der dualen Ausbildung zeichnet sich genau dadurch aus. Somit liegt diesem Antrag dasselbe Fehlverständnis zugrunde wie dem Antrag, den die Grünen vor zwei Jahren zu dem Programm „DualPlus“ eingebracht haben. Neben Berufsschule und Ausbildung sollte eine dritte Säule staatlicher Ausbildung etabliert werden. 240 Millionen Euro Haushaltsmittel wurden dafür eingefordert. Wir haben ganz klar Nein gesagt. Das war mit uns nicht zu machen. Können Sie mit Ihrer Wirtschaftsferne und einer Bildungsplanung jenseits der Erfordernisse des Arbeitsmarktes dieses Modell wirklich verantworten? Diesen Vorschlägen fehlen essenzielle Grundlagen wie Anreize, Verantwortung und Vertrauensbildung; darauf beruhen unsere erfolgreichen Konzepte. Es fehlt eine weitere entscheidende Komponente, die Förderung von Allianzen zwischen Sozialpartnern, Berufsverbänden, regionaler Wirtschaft und Politik, die zu einer vorausschauenden Qualifizierung und Beschäftigung immens viel beitragen können. In meinem Bundesland Niedersachsen ist der Fachkräftemangel bereits zunehmend spürbar. So ist die Zahl der Bewerber um Ausbildungsplätze schon um 25 Prozent zurückgegangen. Ich möchte Ihnen eine Initiative aus meinem Wahlkreis kurz vorstellen, die zeigt, wie man dieser Herausforderung begegnen kann. Die vorausschauende Kooperation zwischen kommunaler Wirtschaftsförderung, Berufsverbänden und Firmen wirkt dem Fachkräftemangel effektiv entgegen. Im Landkreis Diepholz zeichnet sich seit einiger Zeit ein Mangel an Berufskraftfahrern ab. Neun Unternehmen haben sich nun zusammengeschlossen und einen Ausbildungsverbund für Berufskraftfahrer gegründet. Ziel ist es, bei der Ausbildung zu kooperieren und den Auszubildenden durch die Arbeit in verschiedenen Speditionen ein umfassendes und flexibles Berufsbild zu vermitteln. Dadurch werden die Absolventen zukünftig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Die Komplexität und der Wandel dieses Berufsbildes werden berücksichtigt. In der dreijährigen Ausbildung wird umfangreiches Theoriewissen vermittelt, von der Lkw-Technik über Straßenverkehrs- und Zollvorschriften bis hin zu Elektrotechnik und Hydraulik. Das sind Verbünde, die wir vor Ort, in unseren Landkreisen benötigen. Warum werden in dem SPD-Antrag zur Fachkräftesicherung die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung in diesem Bereich ignoriert? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Weil sie die nicht kennen!) In Ergänzung zu den bereits genannten Maßnahmen aus dem Bereich Arbeit und Soziales möchte ich abschließend kurz einige Maßnahmen aus dem Bildungsbereich nennen. Der neue Ausbildungspakt weist erfolgreiche Ergebnisse auf: Trotz doppelter Abiturjahrgänge und Aussetzung der Wehrpflicht ist die Zahl der abgeschlossenen Verträge über eine betriebliche Ausbildung im vergangenen Jahr weiter gestiegen. 2011 sind 570 000 Ausbildungsverträge geschlossen worden. (Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Jetzt zu den zahlreichen Maßnahmen, die zu den neuen Vereinbarungen des Ausbildungspaktes gehören: Einen verbesserten Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung wird durch die BMBF-Initiative Bildungsketten gewährleistet, Herr Gabriel. Dafür wurden vom Bundesbildungsministerium 360 Millionen Euro bereitgestellt. Die Wirtschaft bietet im Rahmen des Programms EQ Plus pro Jahr 10 000 betrieblich durchgeführte Einstiegsqualifizierungen speziell für leistungsschwächere Jugendliche an. Mit dem Hochschulpakt 2020 und mit dem Qualitätspakt Lehre haben wir erreicht, dass jeder Bewerber in der Bundesrepublik einen Studienplatz erhalten hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Nur wenn es uns nicht gelingt – das ist ganz wichtig –, Fachkräfte auf dem hiesigen Arbeitsmarkt zu finden, wird für hochqualifizierte Ausländer der Zugang mit der sogenannten Bluecard erleichtert. Wir sind mit großem Ernst dabei, erfolgreiche Instrumente zur Fachkräftesicherung und damit zur Stärkung von Bildung und Beschäftigung in Deutschland zu positionieren. Mein Fazit lautet: Der SPD-Antrag ist überflüssig. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Kollege Knoerig, wenn man Sie so hört, dann wollte man meinen: Vielleicht ist nicht ganz Niedersachsen ein Paradies, aber der Landkreis Diepholz ist es auf jeden Fall. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Guter Landkreis!) Unterhalten Sie sich doch einmal mit Ihrem Kollegen Zimmer über den Vorschlag einer – ich nenne es einmal so – Vertragsstrafe für die Bundesländer, in denen es so viele Schulabbrecher gibt. Dieses Problem scheint es in Ihrem Landkreis ja nicht zu geben, bundesweit besteht dieses Problem jedoch. Leider hat Sigmar Gabriel recht: Es gibt jedes Jahr mehr als 50 000 Schulabbrecher. Dazu kommen diejenigen – über diese haben wir noch nicht gesprochen –, die ihre Ausbildung im dualen System hinschmeißen, und diejenigen, die mit dem Studium nicht zurechtkommen. (Miriam Gruß [FDP]: Eigenverantwortung!) Das heißt, es gibt viele junge Menschen ohne ausreichende Qualifikationen. Diese brauchen sie aber, wenn wir den Fachkräftebedarf für die Zukunft sichern wollen. Ich stelle fest, dass eine Hochglanzbroschüre, in der fünf Pfade beschrieben werden, nicht ausreicht. Unser Antrag ist deshalb bitter nötig. (Beifall bei der SPD) Kollege Kolb sagte, Herr Gabriel sei im falschen Film. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Ja, klatschen Sie ruhig weiter. – Das, was wir hier heute von Ihnen erlebt haben, ist schlechtes Theater. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pascal Kober [FDP]: Wo ist Herr Gabriel eigentlich?) Ich frage mich: Wie sehen das eigentlich die Altenpflegerinnen in Deutschland, die einen harten Job machen und alleingelassen werden? Wie sehen das diejenigen, die diese Ausbildung machen wollen, aber alleingelassen werden, weil das dritte Ausbildungsjahr nicht finanziert wird? Wie sehen das all die potenziellen Pflegekräfte, die wir so gerne hätten, die wir aber nicht bekommen, weil es nicht gelingt, die Ausbildung so zu gestalten, dass sie für junge Leute attraktiv ist? Warum gelingt es in Deutschland trotz dieser offenkundig blendenden Regierung immer noch nicht, jungen Leuten klarzumachen, dass der Beruf des Erziehers erstrebenswert ist? Schauen Sie doch einmal genauer hin, wenn Sie Krippen und Kitas besuchen. Diese klagen darüber, dass sie nicht genügend Fachpersonal haben. Nun kommen wir zu den Frauen. Herr Kollege -Zimmer, Frauen als industrielle Reservearmee? Ich bitte Sie! Ich glaube, Sie sollten sich diese Formulierung noch einmal überlegen. Ich kann in unserem Antrag keine Silbe finden, die diese Argumentation rechtfertigen würde. (Beifall bei der SPD) Die Frauen von heute sagen, dass das von vorgestern ist. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es ist die Rede von Frau Kramme gewesen, die genau diesen Schluss nahegelegt hat!) Das ist genauso von vorgestern wie diese Brandrede für das Betreuungsgeld. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt viele hochqualifizierte junge Frauen, die gerne -zeigen würden, was sie können. Wissen Sie was? Mangelnde Betreuungsangebote, mangelnde Kita- und Krippenplätze hindern sie daran. Sie sind unter ihrem Qualifizierungsniveau beschäftigt und in Teilzeit angestellt. Sie haben gar nicht die Chance, in Vollzeit unter Beweis zu stellen, was sie können. Das ist die Situation in Deutschland. Deshalb ist unser Antrag wichtig. Sie scheinen ja die eine oder andere Kleinigkeit gefunden zu haben, die Sie kritisieren können. Ich drehe das einmal um: Im Großen und Ganzen scheinen Sie unseren Antrag zu begrüßen. Wir würden uns freuen, wenn Sie darin viele Anregungen finden, die Sie dann endlich aufnehmen. Denn wir stellen fest, dass wir in den nächsten 15 Jahren einen Rückgang des Erwerbspersonen--potenzials um mehr als 3 Millionen Menschen haben werden. Sie liefern keine Antworten auf die Frage, mit welchen Strategien wir dann unsere Fachkräftebasis -sichern können. Dazu kommt gar nichts von Ihnen. Deshalb ist unser Antrag bitter nötig. Ich freue mich schon auf die Diskussionen im Ausschuss darüber. Später werden wir wie immer feststellen, dass Sie unsere Vorschläge übernehmen und sich mit fremden Federn schmücken; aber das kennen wir ja schon. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9725 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 a bis k sowie den Zusatzpunkt 3 a bis e auf: 36 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (… StRÄndG) – Drucksache 17/9345 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – Drucksache 17/9667 – Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem -Abkommen vom 7. Dezember 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbelas-tung bei der Bankenabgabe – Drucksache 17/9688 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem -Abkommen vom 7. Oktober 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Repu-blik Mauritius zur Vermeidung der Doppel--besteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen – Drucksache 17/9689 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 19. und 28. Dezember 2011 zwischen dem Deutschen Institut in Taipeh und der Taipeh-Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppel--besteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung hinsichtlich der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Drucksache 17/9690 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Markenrechtsvertrag von Singapur vom 27. März 2006 – Drucksache 17/9691 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/9692 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. Dezember 2011 über den Internationalen Suchdienst – Drucksache 17/9693 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Helga Daub, Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung – Grundsatz der deutschen Entwicklungspolitik – Drucksache 17/9730 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Sportausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing--Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Rolle des Sports in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik – Drucksache 17/9731 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Eva Bulling-Schröter, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rio+20 – Globale Gerechtigkeit statt grüner -Kapitalismus – Drucksache 17/9732 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. Oktober 2003 zur Gründung des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt – Drucksache 17/9696 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD EU-Bildungsprogramme modernisieren und ausbauen – Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern – Drucksache 17/9575 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Übersetzungserfordernisse der nationalen Parlamente in der mehrjährigen EU-Finanzplanung 2014–2020 berücksichtigen – Übersetzungen auch im intergouvernementalen Rahmen sicherstellen – Drucksache 17/9736 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans--Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wohnungspolitische Verantwortung bei Über--tragung der bundeseigenen TLG-Wohnungen -sichern – Drucksache 17/9737 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz zum Bau der ICE-Neubaustrecke Wendlingen–Ulm herstellen – Drucksache 17/9741 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 a bis e auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 37 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation KOM(2011) 654 endg.; Ratsdok. 16000/11 – Drucksachen 17/7918 Nr. A.3, 17/9770 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Burkhard Lischka Marco Buschmann Raju Sharma Jerzy Montag Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9770, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 37 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 433 zu Petitionen – Drucksache 17/9588 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 433 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 434 zu Petitionen – Drucksache 17/9589 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 434 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 435 zu Petitionen – Drucksache 17/9590 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 435 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 436 zu Petitionen – Drucksache 17/9591 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 436 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entlassung des Bundesumweltministers und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst an dieser Stelle noch einmal herzlichen Glückwunsch an Herrn Altmaier! Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand. Ich wünsche dem Bundesumweltministerium einen Minister, der die Umwelt zu seinem Herzensanliegen macht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist ja noch nicht mal da! Wo ist er -eigentlich?) Unabhängig vom Wettstreit der Parteien braucht dieses Land nämlich ein starkes Umweltministerium. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Ich sage das gerade vor dem Hintergrund der Entlassung von Herrn Röttgen. Er sollte – wir haben ja eben -einen Vorgeschmack auf den Parteitag der NRW-CDU erlebt – für Frau Merkels elfte Wahlniederlage in Serie geopfert werden. Man muss sich das vor Augen halten: Frau Merkel hat zum zweiten Mal innerhalb von 20 Monaten eine Wahl im bevölkerungsstärksten Land der Bundesrepublik Deutschland verloren. Mit dem Rauswurf Ihres vormals Klügsten wollten Sie eine Brandmauer ziehen. Aber genau dadurch haben Sie den Umstand, dass das Ihre Niederlage ist und dass Sie die Wahlverliererin sind, unübersehbar gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerd Bollmann [SPD]) Wir haben keine Begründung dafür gehört, warum Herr Röttgen gefeuert worden ist. Das macht die Kanzlerin nicht selbst. Herr Gröhe attestiert ihm lieber per FAZ fehlende Durchsetzungskraft, und Herr Strobl sagt, Herr Röttgen hätte nicht mehr die Autorität gehabt, um die Energiewende durchzusetzen. Meine Damen und Herren, ich frage: Autorität im Kabinett Merkel? Schauen Sie sich das Kabinett doch einmal an! Herr Westerwelle fliegt nach seinem Amtsantritt in die Türkei und sagt dort, er wolle den Beitrittsprozess fortsetzen. Das sage er nicht als seine eigene Meinung, sondern für die ganze Regierung, ansonsten käme er in kurzen Hosen daher. Daraufhin erklären Frau Merkel und Herr Seehofer: Das gibt es nicht. Es gibt nur eine privilegierte Partnerschaft. Herr Westerwelle erklärt die Bermudashorts wahrscheinlich zur Dienstbekleidung. Frau Schröder ist eine echte Autorität in Sachen Gleichstellungspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hat das so gut im Griff, dass die Frauen in der CDU/CSU beginnen, sich gegen sie zu organisieren. Frau Schröder hat es mittlerweile geschafft, dass Friede Springer sich mit Renate Künast gegen sie verbündet. So weit ist es mit der Autorität in der Frauenpolitik gekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zur Bildungsministerin, Frau Schavan: Sie ist, was die Exzellenzinitiative an unseren Universitäten angeht, mittlerweile eine echte Autorität. Ich glaube, dass Frau Schavan nicht mit Herrn zu Guttenberg gleichzusetzen ist. Davon bin ich persönlich überzeugt. Eines aber sage ich Ihnen: Je länger Sie diese Affäre schlurren lassen und dazu schweigen, umso schlechter ist das für den Wissenschaftsstandort Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zur industriepolitischen Autorität des Wirtschafts--ministers wollen wir hier kein Wort verlieren. Wir sind ja nicht bei Markus Lanz. Was bleibt als Fazit? Autorität ist im Kabinett Merkel keine Eignungsvoraussetzung. Nun kann man sagen, die Bundeskanzlerin habe dies gemacht, damit sie selbst stärker erscheine. Was ist aber mit ihrer Autorität? Was ist mit der Debatte zwischen Herrn Friedrich und Frau Leutheusser-Schnarrenberger zur Vorratsdatenspeicherung? Wann wird diese Regierung diesen Konflikt endlich lösen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie war das mit dem Plattmachen der Photovoltaik-industrie? 90 000 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Wo war die Autorität? – Ach, das war von Frau Merkel beabsichtigt. Sie wollte das. Wenn sie das gewollt hätte, dann frage ich: Wo bitte war ihre Autorität gegenüber den CDU--Ministerpräsidenten? Wann hat es das in den letzten -Jahrzehnten gegeben, dass der Bundesrat bei einem nicht zustimmungspflichtigen Gesetz mit einer Zweidrittelmehrheit eine Vorlage der Koalition in den Vermittlungsausschuss schickt? Frau Merkel, auf Sie und Ihre Regierung hören Ihre eigenen Leute schon lange nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Gestern in Brüssel waren Sie in der Frage der Finanz- und Wirtschaftspolitik wieder in der Minderheit. Was war heute eigentlich geplant? Heute sollte hier im Hause über den Europäischen Stabilitätsmechanismus abgestimmt werden. Für diesen gibt es hier im Haus eine Mehrheit. Wir hätten sofort darüber abstimmen können. Warum wird darüber nicht abgestimmt? Darüber wird nicht abgestimmt, weil Frau Merkel in den eigenen Reihen keine Mehrheit hat und weil ihr die Gauweilers und die Schäfflers auf der Nase herumtanzen. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der FDP: Lächerlich!) Deswegen wurde dieses Thema von der Tagesordnung abgesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ihnen fehlt die Autorität, um sich selbst gegen solche Leute durchzusetzen. Frau Merkel hat die Entlassung von Norbert Röttgen mit dem Satz begründet: Es geht um mich. – Deshalb wurde sie autoritär. Doch damit hat sie nur ihren Autoritätsverlust offenbart. „Jetzt geht es um mich“; man könnte sagen: Wie wahr. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, ich komme mit diesem Satz zum Schluss: Es geht nicht um Frau Merkel. Es geht um unser Land; und für unser Land ist es schlecht, eine Kanzlerin zu haben, die in den eigenen Reihen und in Europa über keinerlei Autorität mehr verfügt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der FDP: Das ist doch absurd!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Marie-Luise Dött für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um zunächst einmal zur Beruhigung der Opposition beizutragen: Ja, die Handlungsfähigkeit der Bundes-regierung ist gegeben, auch die der sie tragenden Koalitionsfraktionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jeder, der Peter Altmaier kennt, weiß, dass wir mit ihm nicht nur einen versierten Politikprofi als Umweltminister haben. (Marco Bülow [SPD]: Das haben Sie bei -Röttgen auch gesagt! – René Röspel [SPD]: Erst blasiert, dann rasiert!) Peter Altmaier ist insbesondere bekannt für seine Durchsetzungskraft, gepaart mit Integrität und Verlässlichkeit. (Ulrich Kelber [SPD]: Die Rede haben Sie vor zweieinhalb Jahren schon einmal gehalten, nur mit anderem Namen!) Meine Damen und Herren von der Opposition, keine Panik, der Wechsel im Amt des Umweltministers führt nicht zur Destabilisierung der Bundesrepublik Deutschland, wie Sie das mit dem Titel der Aktuellen Stunde suggerieren wollen. Es ist mir heute aber auch ein Anliegen, Norbert Röttgen für seine Arbeit als Umweltminister zu danken. Wir sind beim Umbau unserer Energiepolitik auf einem guten Weg. Daran hat er einen wesentlichen Anteil. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich werden wir hier weitermachen, (Ulrich Kelber [SPD]: Da muss aber gleich einer kommen und die Krokodilstränen aufwischen!) und zwar mit Kontinuität, Verantwortungsbewusstsein und Verlässlichkeit in allen Handlungsfeldern: Ausbau der erneuerbaren Energien, Netzausbau, Kraftwerksmodernisierung und -neubau, Energieeffizienz, verstärkte Forschung und Entwicklung. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das denn alles?) Wir werden die Energiepolitik so umsetzen, wie wir es im Energiekonzept festgelegt haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, seien Sie sich sicher: Wir haben für die Umsetzung unserer neuen Energiepolitik einen sehr konkreten Fahrplan für jedes der definierten Handlungsfelder. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der beginnt wohl 2013!) Hier ist auch die Opposition in besonderem Maße gefordert, verantwortlich und konstruktiv mitzugestalten; denn die Energiewende wird nur gelingen, wenn wir sie gemeinsam voranbringen, durchaus mit kontroversen Diskussionen und intensiven politischen Auseinandersetzungen. Aber am Ende werden wir alle am Erfolg gemessen. Die Rollenverteilung, dass die Regierung auf dem Spielfeld ist und die Opposition von der Tribüne aus meckert oder bestenfalls gute Ratschläge erteilt, funktioniert bei der Energiepolitik nicht. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen viel öfter den Düsseldorf-Fan machen und aufs Spielfeld, Frau Kollegin!) Um im Bild zu bleiben: Sie können nicht ständig im Bundesrat den Ball ins Aus schießen und sich anschließend über Spielverzögerungen beschweren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das sind doch auch Ihre Länder!) Sie als Opposition müssen bei der Energiewende endlich auch bereit sein, Verantwortung zu tragen. Da reicht es nicht, die Regierung nur zu kritisieren, ohne eigene Vorschläge auf den Tisch zu legen. (Ulrich Kelber [SPD]: Was? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zünden Sie noch einen Bengalo an!) Da reicht es nicht, mehr Energieeffizienz zu fordern und dann im Bundesrat die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung zu blockieren. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Da bricht Ihnen ja schon die Stimme!) Es ist auch nicht genug, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fordern und die Novelle des EEG im Bundesrat auflaufen zu lassen. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beides sind Beispiele dafür, dass Sie sich gerade nicht konstruktiv in die Energiewende einbringen wollen. (Ulrich Kelber [SPD]: Da müssen Sie sich anstrengen, nicht lachen zu müssen!) Beides sind Beispiele dafür, dass es Sie augenscheinlich eher interessiert, dass die dringend erforderlichen Projekte aufgehalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren von der SPD, hier stimmt doch etwas in Ihrer Politik nicht, jedenfalls deshalb nicht, weil man neuerdings ständig hört und liest, wie wichtig Ihnen der Wirtschaftsstandort und die Arbeitsplätze sind. (Ulrich Kelber [SPD]: Ja!) Mit Ihrer Blockadepolitik erreichen Sie genau das Gegenteil; denn was Sie mit Ihrer Politik erreichen, liegt auf der Hand: Zeitverzug beim Umbau der Energieversorgung, unnötig hohe Energiekosten für die Verbraucher, (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sind die Betriebe im Osten deswegen kaputtgegangen oder weil Sie die Solarförderung gekürzt haben? – Ulrich Kelber [SPD]: Keine Handlungsfähigkeit! Danke für die Bestätigung!) Investitionszurückhaltung und wirtschaftliche Unsicherheiten für Bürger und Unternehmen, Gefährdung von Arbeitsplätzen, vor allem bei Handwerkern und beim Mittelstand. (Ulrich Kelber [SPD]: Die Handlungsfähigkeit der Regierung wird durch die Opposition eingeschränkt!) Wenn wir die Energiewende wirklich gemeinsam als gesamtstaatliches Großprojekt verstehen, dann beenden Sie endlich diese Neinsagerei und diese Blockade um der Blockade willen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür ist eine sichere, klimafreundliche, für die Bürger bezahlbare Energieversorgung unseres Landes zu wichtig. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Bürger? Aha!) Die Energieversorgung eignet sich nicht als polittaktische Spielwiese. Hier geht es um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Hier geht es um Millionen Arbeitsplätze. Hier geht es vor allen Dingen um die Leistungsfähigkeit unserer Sozialsysteme: Ökonomie, Ökologie, Soziales. In diesem Zieldreieck müssen wir uns bewegen. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie bewegen sich nur im Bermudadreieck!) Es geht um die Zukunft unseres Landes. Die Energiewende gelingt nur, wenn alle politischen Kräfte gemeinsam und konstruktiv daran mitarbeiten. Es gilt, den Weg endlich frei zu machen für die dringend erforderlichen Investitionen beim Ausbau der erneuerbaren Energien, beim Bau von hocheffizienten Gas- und Kohlekraftwerken und beim Bau neuer Stromleitungen, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich da gestern etwas verpasst?) für klare und schnelle Entscheidungen für den erforder-lichen rechtlichen Rahmen, auch im Bundesrat, (Ulrich Kelber [SPD]: Die böse Opposition mit ihrer Mehrheit im Bundesrat!) für eine ehrliche, sachliche Argumentation gegenüber den Bürgern. Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ist gegeben. Zeigen Sie jetzt, dass auch bei der Opposition Verantwortungsbewusstsein und Handlungsbereitschaft vorhanden sind! (Horst Meierhofer [FDP]: Diese Hoffnung habe ich aufgegeben!) Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Kollegin Dött, das war ein starker Auftritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für die Handlungsfähigkeit heranzuziehen, dass die Opposition blockiert, ist eine Logik, die sich einem nur erschließt, wenn man in richtig schwierigem Fahrwasser ist. Das sind Sie. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Keine Sorge!) Wenn Sie beispielsweise die Gefährdung der Solarbranche in Deutschland ansprechen, dann frage ich Sie: Wer hat denn den Gesetzentwurf im Bundesrat mit SPD und Grünen blockiert? Das waren Ihre Ministerpräsidenten, weil sie das, was Sie hier machen, unverantwortlich finden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer setzt denn Tausende von Arbeitsplätzen in einer wachsenden Branche aufs Spiel? Wer hat denn die Energiewende von 2001 durch einen unverantwortlichen Schlingerkurs gefährdet? Das waren Sie, und das muss man an dieser Stelle immer wieder betonen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kanzlerin soll in einem Gespräch gesagt haben, bevor sie dann Herrn Röttgen geschasst hat: Jetzt geht es um mich! – Ich finde, sie hat recht; denn eigentlich geht es um sie. Sie hat nämlich die Richtlinienkompetenz. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, die Energiewende, die Rot-Grün eingeleitet hat, unter ihrer Kanzlerschaft tatsächlich fortzuführen. Aber was hat sie gemacht? Sie hat eine 180-Grad-Wende vollzogen und damit das Schiff in schwieriges Fahrwasser gebracht. Dafür hat sie die Verantwortung, nicht nur ein Minister. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe hier Herrn Röttgen an vielen Stellen kritisiert. Aber ich finde es unfair, dass nur er entlassen wird. Wer auch mit hätte entlassen werden müssen, ist mindestens Wirtschaftsminister Rösler, der nun wirklich alles blockiert hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Viel dringender!) Dass sich Frau Merkel von Innovationen in der Umweltpolitik und im Klimaschutz schon lange verabschiedet hat, ist auch heute wieder nachzulesen. Der ehemalige Umweltminister Töpfer fordert Frau Merkel auf, endlich Farbe zu bekennen und eine der wichtigsten Konferenzen, die wir im nächsten Monat erleben werden, nämlich die Konferenz in Rio, zu besuchen, um damit ein Zeichen zu setzen. Es muss Ihnen doch zu denken geben, wenn gute Leute der CDU an diese Kanzlerin schon öffentliche Appelle richten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, es ist Ihre Kanzlerin, die den Karren in den Dreck gefahren hat. Sie hat dafür die Verantwortung, kein anderer, kein einzelner Minister. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun ist es so, dass ein neuer Minister natürlich eine Chance verdient. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Herrn Altmaier. Ich freue mich auch auf die Einladung zu einem guten Glas Rotwein. Ich möchte ihm schon jetzt empfehlen: Lassen Sie es mit Herrn Rösler. Gehen Sie lieber auf die Opposition zu, weil wir die besseren Konzepte haben. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Horst Meierhofer [FDP]: Zeigen Sie diese mal her!) Weil Herr Altmaier bislang nicht als umweltpolitisches Schwergewicht aufgefallen ist, habe ich versucht, mich zumindest ein bisschen damit zu beschäftigen: Was hat er bislang eigentlich in Sachen Umweltpolitik getan? Herr Gauck hat bei der Übergabe der Ernennungsurkunde darauf hingewiesen, dass in Sachen Energiewende einige schon weiter gewesen sind. Er hat damit sicherlich Rot-Grün gemeint, möglicherweise auch Herrn Röttgen. Aber dann bin ich auf ein Zitat von Herrn -Altmaier gestoßen. Wir hatten angesichts der unverantwortlichen Laufzeitverlängerung, mit der Sie die rot-grüne Energiewende blockiert haben, eine Geschäftsordnungsdebatte. Am 28. Oktober 2010 hat Herr Altmaier an diesem Pult für die CDU/CSU erklärt – ich zitiere –: Wir werden heute das modernste, das umweltfreundlichste Gesetz zur Energiepolitik, über das in diesem Haus jemals diskutiert wurde, beraten und verabschieden. Das sagte Herr Altmaier am 28. Oktober 2010 zur Laufzeitverlängerung. Dieses Zitat ist ein Symbol für Ihr Dilemma. Denn Sie haben kein Konzept. Diese Kanzlerin hat Sie in die Laufzeitverlängerung geführt und damit den Schlingerkurs eingeleitet, und jetzt sind Sie eigentlich eine völlig heterogene Truppe. Ein Jahr Fukushima: Die Debatte können alle nachlesen. Die Abgeordneten Paul, Fuchs und wie sie alle heißen, haben gesagt: Das ist ein Betriebsunfall, der in Deutschland nicht passieren kann. – Das heißt, was Sie noch vor sich haben, ist eigentlich die Zerreißprobe in Ihren Reihen, weil Sie nicht von der Energiewende überzeugt sind, weil Sie darauf warten, dass es teilweise scheitert, (Horst Meierhofer [FDP]: Wir erwarten es im Gegensatz zu Ihnen!) und es nur wenige sind, die tatsächlich davon überzeugt gewesen sind. Die dürfen heute nicht reden, und die haben sich garantiert in den nächsten Monaten sehr vor dem zu fürchten, was kommt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was von den Grünen aufgeworfen worden ist, ist eine legitime Frage. In der zentralen Frage, in der es nicht nur um Ökologie, sondern um urökonomische und soziale Gesichtspunkte geht, nämlich der Energieversorgung, -haben Ihre Bundeskanzlerin und Schwarz-Gelb die Bundesrepublik Deutschland in schweres Fahrwasser gebracht. Ich behaupte: Sie sind nicht handlungsfähig. Sie haben keine Steuerung. Sie haben keinen Kompass. Deswegen ist die Debatte notwendig. Eigentlich wäre es an der Kanzlerin gewesen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Sie hat es auf einen Menschen abgewälzt, der vielleicht persönliche Defizite hatte. Aber das reicht nicht aus. Sie müssen die Energiewende richtig gestalten. Dabei werden Sie an das anknüpfen müssen, was Rot-Grün 2001 vorgelegt hat. Insofern freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit dem Umweltminister und hoffe, dass nicht allzu viel Zeit vergeht, bis wir tatsächlich die Energiewende so weitergestalten können, wie Rot-Grün es 2001 eingeleitet hat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Selbstbetrug!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Ulrich Kelber [SPD]: Diesmal Argumente statt Brüllen!) Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion freut sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Bundesumweltminister Altmaier. Er hat, glaube ich, auch in der Zusammenarbeit im Parlament gezeigt, dass er jemand ist, der Interessen zusammenführen, Meinungen bündeln und zu Ergebnissen kommen kann. Genau das brauchen wir jetzt auch für die Energiewende. Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch Norbert Röttgen sehr herzlich danken, insbesondere für zwei Dinge, die er in seiner Amtszeit geleistet hat. Das Erste ist, dass er sich in den Entscheidungen für die Energiewende immer hinter die erneuerbaren Energien gestellt hat, und zwar so, dass es um die erneuerbaren Energien geht, aber auch um ihre Integration in das Energiesystem. Das Zweite ist – das ist, glaube ich, ein sehr persönliches Verdienst –: Er hat in der internationalen Klima-politik Reputation für Deutschland erworben und weiterentwickelt. Mit seinem Verhandlungsgeschick haben wir es auf der UN-Konferenz in Durban geschafft, zwischen der EU und Afrika eine Allianz zu bilden, die letztendlich den Anstoß für den Erfolg der Konferenz in Durban gegeben hat. An dieser Stelle dafür noch einmal herz-lichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was hat diese Koalition in den letzten Jahren in der Umweltpolitik geschafft? Zunächst einmal – das hat bisher schon die Debatte bestimmt – waren wir es, die die Energiewende beschlossen haben. Wir haben nämlich das beschlossen, wovon Sie geredet haben, meine Damen und Herren von der Opposition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir sind es auch, die auf die Kosten der Energiewende achten. Genau deshalb haben wir bei der Novelle der Solarförderung gesagt: Wenn die Weltmarktpreise sinken, dann müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land davon profitieren. Das ist unsere Politik. Was ist Ihre Politik? Ihre Politik ist es, genau das nicht zu tun. Sie gerieren sich als Vertreter derjenigen, die sich aufgrund erhöhter Fördersätze die Taschen vollstopfen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Sie sind es, die letztlich die Interessen der chinesischen Solarindustrie vertreten, die am meisten davon profitiert, dass die Fördersätze in diesem Land überhöht sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Tun Sie doch nicht so, als würde es bei den Fördersätzen um Arbeitsplätze in Deutschland gehen! Die deutsche Solarindustrie wird nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn ihre Produkte – egal bei welchem Fördersatz – wettbewerbsfähig im Vergleich zu den asiatischen sind, entweder über Qualität, über den Preis oder – besser noch – über beides. Das erreichen Sie nicht durch überhöhte Fördersätze, sondern durch kluge Innovations- und Investitionspolitik hier am Standort Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – -Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Durch Arbeitsplatzabbau!) Wir achten nicht nur auf die Kosten, sondern auch auf die Versorgungssicherheit. Der entscheidende Punkt der Energiewende ist, zu jeder Sekunde die Verfügbarkeit von Energie sicherzustellen, selbst wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Wir sind es, die handeln, während Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende der SPD, vorgestern mit bebender Stimme und großem -Unschuldsblick dem deutschen Fernsehpublikum erklärt, statt zehn gebe es nun hundert Eingriffe in das Stromnetz pro Jahr; das sei ganz schlimm und gefährde den Industriestandort Deutschland. Meine Damen und Herren von der SPD, wollen Sie die Kernkraftwerke wieder anschalten? Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie dagegen gestimmt, dass die Kernkraftwerke abgeschaltet werden! (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Tun Sie doch nicht so, als hätte das eine nichts mit dem anderen zu tun! Wir schalten doch die Kernkraftwerke aus gutem Grund ab. Aber man sollte ehrlich sein und darf nicht so tun, als hätte man damit nichts zu tun. Wir müssen gemeinsam für Versorgungssicherheit sorgen. Das bedeutet, dass wir und Sie die Verantwortung für neue Gaskraftwerke und Kohlekraftwerke haben (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) und vor allen Dingen dafür, dass unsere Stromnetze endlich so ausgebaut werden, dass der Windstrom aus dem Norden zu den bayerischen Konsumenten transportiert werden kann. Die Anlagen dürfen nicht abgeschaltet werden, weil der Strom nicht transportiert werden kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern, insbesondere in Thüringen, sind hier ebenfalls gefordert. Da wir gerade bei den Ländern sind – das ist mein letzter Punkt, Herr Präsident –, sollten wir uns die Realität genau anschauen. Die Grünen fordern hier im Deutschen Bundestag – gestern erneut – die Erhöhung des Klimaschutzziels auf 30 Prozent. Aber in den Ländern, in -denen sie regieren – in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen –, haben die Grünen die Klimaschutz-ziele abgesenkt, und zwar in Baden-Württemberg von 30 auf 25 Prozent mit der Begründung, man steige ja aus der Kernkraft aus. Das ist die Lebenslüge der Grünen an dieser Stelle. Man kann im Bund nicht immer mehr fordern und gleichzeitig in den Ländern den Klimaschutz herunterfahren. Das ist die Realität in diesem Land. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! -Eigentlich hatten wir eine Aktuelle Stunde an prominenter Stelle zu dem unsäglichen Vorgehen der Frankfurter Behörden und Polizei gegen die Occupy-Proteste am letzten Wochenende beantragt. Leider hat die Koalition selbst eine Aktuelle Stunde beantragt. Deshalb findet -unsere am Freitag, um 16 Uhr, statt, und zwar außerhalb der Fernsehzeiten. (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Werbeblock?) Ob gut oder schlecht, jetzt wenden wir uns dem auf-regenden Thema eines Ministerwechsels zu. Er ist vollzogen. Wie man hört, soll Herr Röttgen am Dienstag in Schloss Bellevue sehr entspannt geschaut haben. Nun stellt sich die Frage: War er nicht vielleicht froh, dieser Knochenmühle entkommen zu sein, in der jeglicher -umweltpolitische Fortschritt gegen den Widerstand der Betonfraktion im Wirtschaftsministerium durchgesetzt werden muss? Da ist natürlich einiges stecken geblieben – wir haben es schon gehört –, was schon längst hätte -angegangen werden müssen. Oder war es eher die Überzeugung, dass der Rauswurf auch der Bundeskanzlerin schaden wird, die Norbert Röttgen als Umweltminister im Regen hat stehen lassen und bis heute das Mammutprojekt Energiewende eben nicht zur Chefsache gemacht hat? Wie dem auch sei, Frau Merkels Entscheidung könnte uns eigentlich egal sein, wenn sie nicht dokumentieren würde, welchen Stellenwert die Umwelt- und Energie-politik bei der Union gegenwärtig hat. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Den höchsten!) Denn klar ist doch, bei allem Respekt vor Herrn Altmaier: Jetzt wegen persönlicher Befindlichkeiten die Pferde zu wechseln, heißt zunächst nichts anderes als Stillstand bei der Energiewende. (Beifall bei der LINKEN) Der neue Umweltminister mag ja klug, offen und nett sein – überdies kocht er gut, wie ich gelesen habe –, aber um die Knackpunkte beim EEG, dem Emissionshandel, der Netzarchitektur oder dem Speicherausbau zu begreifen, bedarf es einer Anlaufzeit. Die muss man jedem -geben. Ansonsten beherrschen die Beamten oder das Wirtschaftsministerium den ganzen Ablauf. Das kennen wir. Beides halte ich für sehr hinderlich. (Beifall bei der LINKEN) Wir Linke sind allerdings auch skeptisch, wenn es um sogenannte Profis bei Union und FDP geht. Da kommt dann so etwas wie die AKW-Laufzeitverlängerung oder das Asse-Chaos heraus. Insofern macht es vielleicht gar keinen Unterschied, da am Ende die großen Energiekonzerne und die Industrie sowieso ihren Fuß in der Tür -haben. Das sieht man etwa an den großzügigen Befreiungen beider von den Kosten der Energiewende. Aber vielleicht setzt Peter Altmaier hier andere Zeichen. Sein einziges mir bekanntes umweltpolitisches Engagement war im Umweltausschuss ein leidenschaftliches Plädoyer für die AKW-Laufzeitverlängerung und am nächsten Tag seine Pressekonferenz. Das ist Geschichte. Jetzt ist meine Frage: Was erwarten wir denn von dem Umweltminister? Zunächst muss die letzte Novelle des EEG vom Tisch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Signal, dass der Ausbau gedeckelt und die Vergütungen zusammengestrichen werden, trägt nicht dazu bei, die Solarwirtschaft in Ostdeutschland weiterzuführen. Sie haben sie vielmehr plattgemacht. Im Gegenzug können einige Privilegien gestrichen werden, die die energieintensive Industrie beim EEG genießt. Dafür zahlen die anderen Stromkunden schließlich zusätzlich. Wenn sich die FDP einmal um die Hartz-IV-Empfänger kümmert, wird die Großindustrie von ihr bedient. Was wir brauchen, ist eine soziale Energiewende. Wir müssen Energiearmut verhindern, statt Stromfresser -dafür zu belohnen, dass sie viel Strom verbrauchen. Noch einmal die Zahlen: 900 000 Verbraucher bekommen keinen Strom mehr. Wir sollten uns dafür stark -machen, dass die Energiearmut endlich aufhört. (Beifall bei der LINKEN) Unterstützen Sie den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien auch im Süden Deutschlands! Dann brauchen wir weniger Netze. Verhindern Sie, dass die Gaskraftwerke vom Netz genommen werden, was die Unternehmen jetzt wollen! Wir brauchen eine Energie-effizienzpolitik. Die Blockade bei der EU muss endlich beendet werden. Wir brauchen mehr Geld, um über Speichertechnologien zu forschen und um sie in den Markt einzuführen. Zum Schluss noch: Klimapolitik muss einem zukünftigen Umweltminister am Herzen liegen. Das heißt, dass das EU-Klimaziel auf 30 Prozent festgelegt werden muss. Das ist dringend notwendig. Das erwarte ich von einem ambitionierten Umweltminister. Und: Lassen Sie sich nicht ununterbrochen, wie der frühere Umwelt-minister, vom Wirtschaftsministerium vorführen! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Trittin, Sie haben über Autoritäten gesprochen. Ich habe mich gefragt, wer denn die Autorität bei den Grünen ist. Nach Ihrer Rede muss ich sagen: Ich vermute sie nicht in der grünen Bundestagsfraktion, sondern schon eher in Baden-Württemberg beim Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der nach dem Bund-Länder-Gespräch zur Endlagersuche gesagt hat – ich zitiere –: Man muss nationale Verantwortung übernehmen und nicht in taktischen Spielchen verharren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit dieser Aktuellen Stunde haben Sie die Abteilung „taktische Spielchen“ bedient. Dieses kleine Karo wird der Größe der Herausforderung, um die es hier geht, nicht gerecht, Herr Kollege Trittin. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie wollten doch gar keine Endlagersuche! Sie wollten doch Gor-leben durchsetzen! Sie ändern alle zwei Tage Ihre Meinung! Sie fragen nach Handlungsfähigkeit. Die Vereinbarungen, die die Bundeskanzlerin gestern mit den Ministerpräsidenten getroffen hat, sind Ausdruck von Handlungsfähigkeit und der Größe der Herausforderung angemessen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis“ war das!) – Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Herr Kollege Trittin, ich glaube, dass Sie nach dem gestrigen Tag einfach nicht auf der Höhe der Zeit sind. Ich glaube, dass wir in diesem Haus – gerade bei -einem so wichtigen Projekt wie der Energiewende, bei der wir die Menschen, denen wir dabei einiges abverlangen, mitnehmen müssen – eines erkennen müssen: Gegenseitige Schuldzuweisungen, wie Sie sie heute wieder probiert haben, bringen keine politischen Gelände-gewinne, sondern werden dazu führen, dass die Menschen generell das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik, nicht nur einzelner Parteien, verlieren, weil wir alle irgendwo, im Bund und in den Ländern, Regierungsverantwortung tragen. Deswegen erwarten die Menschen, dass wir jetzt die Phase des Miesmachens verlassen und in die Phase des Mitmachens einsteigen, um die Energiewende kraftvoll weiter voranzutreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wissen Sie, Herr Kollege Trittin, ich finde den Stil der Auseinandersetzung schon problematisch. Peter Altmaier hatte als neuer Umweltminister noch nicht einmal seine Ernennungsurkunde in der Hand, geschweige denn Gelegenheit, erste Entscheidungen im Amt zu treffen, da haben ihm grüne Politiker auf Bundesebene oder auch in meinem Heimatland Niedersachsen schon wahlweise die Qualifikation oder den guten Willen abgesprochen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich nicht!) Ich sage Ihnen deutlich: Die Bürger wollen diese Form der Auseinandersetzung nicht. Sie haben überflüssigen Parteienstreit satt. Sie wollen, dass wir Probleme lösen. Deshalb bin ich ausdrücklich dem Kollegen -Ulrich Kelber dankbar, dass er gestern Peter Altmaier bescheinigt hat, er wolle die Energiewende wirklich. (Ulrich Kelber [SPD]: Bitte vollständig zitieren!) Zum Mindestmaß an politischer Kultur gehört, dass man einen neuen Minister erst einmal im Amt anfangen und erste Entscheidungen treffen lässt, bevor man alles -madig macht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundespräsident Joachim Gauck hat bei der Minister-ernennung am Dienstag gesagt: Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen gemeinsam handeln, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Die Energiewende ist das große Zukunftsprojekt, das nur gelingt, wenn endlich aufgehört wird, nur auf Einzelinteressen zu schauen und nicht das große Ganze in den Blick zu nehmen. Es gelingt nur, wenn jeder auf seiner Verantwortungsebene tatsächlich die Verantwortung wahrnimmt. Deswegen sage ich mit Blick auf die Grünen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben: Es darf eben nicht sein, dass der Netzausbau von den Grünen auf Bundesebene als zu schleppend kritisiert wird, aber die Mitglieder der gleichen Partei vor Ort, wo die Netzinfrastruktur entstehen soll, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) bei der Verhinderung des Netzausbaus populistisch an vorderster Front kämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das sind die „taktischen Spielchen“, vor denen Winfried Kretschmann zu Recht gewarnt hat und mit denen wir nicht weiterkommen. Es ist wahr: Rot-Grün hat zusätzliche Macht im Bundesrat bekommen. Macht hat aber etwas mit „Machen“ zu tun, nicht mit „Blockieren“. An Machtspielen im Bundesrat haben vielleicht einige Politikinsider Interesse. Aber die breite Masse der Bevölkerung will das nicht; sie will, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Wenn wir das nicht tun, dann werden sich die Menschen eben nicht von einzelnen Parteien, sondern von der Politik insgesamt abwenden. Das dürfen wir nicht zulassen. Deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass -Peter Altmaier jetzt gesagt hat, es gehe darum, Gesprächsblockaden zu durchbrechen und für einen neuen nationalen Konsens zu werben, damit die Energiewende gelinge. Das ist genau das, was die Menschen jetzt von uns erwarten. Beim Bundesumweltminister muss man nicht nur immer gut zuhören, was er sagt, sondern auch genau hin-sehen, was er twittert. Seine erste Botschaft im Amt -lautete: „Auf geht’s an die Arbeit!“ Dabei, Frau Staatssekretärin, wünschen wir dem neuen Minister viel Erfolg und alles Glück. Unsere Fraktion steht geschlossen hinter ihm. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anders als bei Röttgen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zur Entlassung von Bundesminister Röttgen fiel mir eine Geschichte ein. (Zurufe von der CDU/CSU) Ja. – Können Sie sich noch an die Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft aus dem Struwwelpeter-Buch erinnern? Können Sie sich auch noch an die Reden des Norbert Röttgen Guck-in-die-Luft dieses Jahres im Bundestag erinnern, als es um die Förderung der Solarenergie ging? (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Witzig!) Den Blick wirklich auf den Himmel gerichtet, lief Hans Guck-in-die-Luft zur Schule, hat überhaupt nicht mehr auf seine Umwelt geachtet und hat auch überhaupt nicht gesehen, dass da ein Hund kam, der ihm zwischen die Beine lief. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Röttgen, so muss man sagen, hat noch im März dieses Jahres hier im Bundestag darüber geredet und sich selbst dafür gelobt, dass er den Aufschwung der Solarindustrie in Deutschland organisiert habe. Keine zwei Monate später waren QCells und Sovello pleite, war First Solar in Frankfurt (Oder) so weit, dass es die Türen ganz und gar zugesperrt hat und aus Deutschland weggeht. (Horst Meierhofer [FDP]: Sie wollen es nicht verstehen! Vielleicht können Sie es auch nicht verstehen!) Meine Damen und Herren, Hans Guck-in-die-Luft, der hatte großes Pech, er ist nämlich ins Wasser gefallen; aber der Junge ist gerettet worden, er ist herausgezogen worden. Er hatte jemanden, der gerufen hat: Pass auf! Da kommt ein Hund. – Norbert Röttgen hatte viele Warner, nämlich nicht nur uns als Opposition, sondern auch CDU-Ministerpräsidenten. Doch sämtliche Warnungen waren vergeblich. Norbert Guck-in-die-Luft (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) – genau so ist es – richtete den Blick zum Himmel, träumend, und er träumte immer weiter. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was hat inzwischen der Bundesrat getan? Der Bundesrat hat inzwischen den Vermittlungsausschuss angerufen, weil er sich die Kürzungsorgie dieses Ministers nicht gefallen lassen wollte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, der Hund in unserer Geschichte hat den Hans umgerannt; aber der hat sich dann geschüttelt, ist aufgestanden und weitergelaufen. Aber ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bitterfeld oder in Frankfurt (Oder) sich so schnell schütteln, aufstehen und wieder eine Arbeit finden, das bezweifele ich zutiefst. Weder Hans Guck-in-die-Luft noch Norbert Guck-in-die-Luft haben Konsequenzen aus ihrem Handeln gezogen. Herr Röttgen hat das zu spüren bekommen. Er ist nämlich mit seiner Politik in Nordrhein-Westfalen baden gegangen. Aber warum hat ihm denn keiner aus dem Wasser geholfen? (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Weil der schwimmen kann!) Ganz einfach: Frau Merkel hatte Angst, ihm die Hand zu reichen, weil sie befürchtete, selber ins Wasser zu fallen. Dieser Bundesminister ist mit dem Stillstand seiner Politik doch zum Problem der ganzen Bundesregierung geworden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb konnte Frau Merkel ihm die Hand nicht reichen. Aber dass man in einem solch verzerrten Markt wie dem für Solarmodule etwas tun kann, das haben die USA gezeigt. Sie haben nämlich Schutzzölle eingeführt. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass auch mein Ministerpräsident, Herr Haseloff, auf dem Energiegipfel die Einführung von Schutzzöllen gefordert hat. Meine Damen und Herren, schließlich und endlich kommen auch Sie dazu, hier nachzudenken und etwas für die Energiewende zu tun. (Horst Meierhofer [FDP]: Das ist Ihre Antwort, Schutzzölle! Das ist unglaublich!) Herr Röttgen und Herr Rösler allein tragen die Verantwortung für den Abbau der Arbeitsplätze in Ostdeutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der SPD: Merkel auch!) Die beiden tragen allein die volle Verantwortung dafür, dass die Energiewende ausgebremst worden ist. Sie tragen auch die volle Verantwortung dafür, dass kaum Energie eingespart wird und dass wir zugleich mit steuerfinanzierten Heizkostenzuschüssen die Renditen von Öl- und Gasversorgern sichern. Auch das gehört zur Wahrheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Kauch [FDP]: Aha! Das wollen Sie also abschaffen! Das werden wir den Hartz-IV-Empfängern sagen! SPD für Energiearmut!) Aber wir brauchen eine Energiewende. Wir brauchen Energieeffizienz, und wir brauchen zum Beispiel ein Wohnungssanierungsprogramm, durch das zum einen Energie eingespart wird und durch das zum anderen Arbeitsplätze gesichert werden. Das nenne ich arbeitnehmerfreundlich. Das nenne ich klimafreundlich, und das nenne ich sozial. (Michael Kauch [FDP]: Und deshalb wird die Gebäudesanierung im Bundesrat blockiert!) Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die Bundesregierung endlich aus ihren Träumen gerissen. Sie hat erkannt, dass Norbert Guck-in-die-Luft nicht der Motor der Energiewende war, sondern die Bremse. Deshalb, meine Damen und Herren, ist nicht Herr Röttgen aus dem Wasser gezogen worden, sondern Herr Altmaier. (Horst Meierhofer [FDP]: Ach, wie schön! Jetzt ist die Geschichte ja doch gut ausgegangen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch McAllister!) Ich möchte enden mit einem Zitat vom ehemaligen Minister Norbert Röttgen: Wer nicht anpassungsfähig ist und wer den Strukturwandel nicht gestaltet, der wird sein Opfer. Wie wahr, Herr Röttgen! Wie wahr! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Horst Meierhofer (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sie sehen es mir bitte nach, wenn ich jetzt nicht noch ein Märchen erzähle, so wie es Frau Wolff eben getan hat, sondern versuche, ein paar Argumente zu bringen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Bisher sind Sie mit dem Versuch immer gescheitert!) Spannend fand ich zum einen, dass Sie den Stromkostenzuschuss für die Ärmsten der Armen abschaffen wollen. Das war schon einmal eine hochinteressante Information. Dieser ist übrigens nötig, weil wir der Photovoltaik zu hohe Renditen ermöglicht haben. Deswegen ist nämlich der Strompreis gestiegen, und deswegen können sich die Leute, die am wenigsten verdienen, den Strom nicht mehr leisten. Aber das scheint Sie nicht zu interessieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Vielleicht einfach zuhören!) Zum anderen fand ich es interessant, dass Sie gerne Schutzzölle einführen wollen. So würden auch die Module aus China deutlich teurer werden, und damit würde der Preis für die Photovoltaik in Deutschland noch einmal steigen. Das wäre dann schlussendlich wohl die soziale Politik, wie sie sich die SPD und die Märchentante Frau Wolff vorstellen. Herzlichen Dank! Ich glaube, darauf kann die deutsche Bevölkerung gut verzichten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sollte es wirklich so gewesen sein, dass allein die Ankündigung vom geschätzten Kollegen Röttgen dazu geführt hat, dass sofort, von einer Sekunde auf die nächste, die gesamte Branche in Ostdeutschland zusammengebrochen und pleitegegangen ist? Das kann ich mir nicht vorstellen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ich kann Sie ja mal einladen!) Ich glaube vielmehr, dass es daran liegt, dass diese Unternehmen einfach nicht so produziert haben, dass sie im internationalen Wettbewerb mithalten konnten. (Ulrich Kelber [SPD]: Haben Sie einmal eines besucht? – Zuruf der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) Könnte es unter Umständen sein, dass deswegen Firmen wie Solon oder Solar Millennium pleitegegangen sind, lange bevor man überhaupt daran gedacht hat, die Einspeisevergütungen zu senken? (Ulrich Kelber [SPD]: Warum haben wir eigentlich Schutzzölle auf Stahl? Warum wollen das die bayerischen Unternehmen?) Geben Sie zu, dass auch Ihre Kollegen im Umweltausschuss, Herr Kelber – gehen Sie einmal dahin! –, der Herr Becker und andere, darauf hingewiesen haben, dass eine Kürzung absolut gerechtfertigt ist! Auch ohne Kürzung wären die Firmen pleitegegangen. Hätten wir die Einspeisevergütung erhöhen sollen, sodass der Preis pro Kilowattstunde nicht von 3,5 auf 5 Cent, sondern vielleicht auf 7 Cent gestiegen wäre mit den entsprechenden Folgen für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen? Ich glaube nicht, dass das sozial gerecht ist. (Ulrich Kelber [SPD]: Wollen Sie alle Schutzzölle abschaffen?) Ich glaube auch nicht, dass so etwas eine deutsche Industrie nach vorn bringt, wenn sie nicht wettbewerbsfähig ist. Sie muss innovativer sein. Sie muss neue Ideen entwickeln. Sie muss sich über Speichertechnologien und Joint Ventures Gedanken machen. (Ulrich Kelber [SPD]: Wollen Sie alle Schutzzölle abschaffen, Herr Meierhofer?) – Ich will keine Schutzzölle. (Ulrich Kelber [SPD]: Wollen Sie bestehende Schutzzölle für die Stahlunternehmen in Bayern abschaffen?) Sie können in Bonn Ihre Unternehmer unterstützen, wenn Sie versuchen, mit Amerika Schutzzölle zu erreichen. (Ulrich Kelber [SPD]: Es gibt Schutzzölle in Deutschland, für bayerische Stahlunternehmen!) Sie können aber vergessen, dass Sie von der Bundesregierung zusätzliche Schutzzölle auf chinesische Produkte bekommen. Das ist doch lächerlich! Wir wollen ja auch Autos und Hightech nach China verkaufen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Für die einen gibt es Schutzzölle, für die anderen nicht!) Sollen uns die Chinesen dann etwa sagen: „Wir wollen keine Audis, BMWs und Mercedes mehr, weil wir mit unseren chinesischen Autos am Markt nicht mithalten können“? Wenn das Ihre Wirtschaftspolitik ist, wundert mich nicht, warum Sie in den letzten Jahren so erfolglos waren (Beifall bei der FDP) und warum Sie nichts dazu beigetragen haben, dass wir im Bereich der Erneuerbaren wirtschaftspolitisch nach vorn gekommen sind. Die größte Verlogenheit ist natürlich bei den Kollegen von den Grünen, die jetzt so tun, als hätten sie besonders viel gemacht. Ist es etwa so gewesen, dass von 1998 bis 2005 in der rot-grünen Bundesregierung alle Vorbereitungen für die Energiewende getroffen wurden und man dann 2005 oder 2009 auf einmal gebremst hat und das einfach nicht weiterverfolgt hat? Oder war es vielleicht so, dass nichts passiert ist? (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) War es vielleicht so, dass man sich keinerlei Gedanken über den Netzausbau gemacht hat, dass man sich keinerlei Gedanken über eine Beschleunigung des Netzausbaus gemacht hat, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dass man sich keinerlei Gedanken darüber gemacht hat, wie man eine Endlagersuche so hinbekommt, dass alle mitmachen, und dass man sich keine Gedanken darüber gemacht hat, wie man beispielsweise Gaskraftwerke in einer Phase ans Netz bekommt, wo der Anteil der Erneuerbaren steigt? Jetzt können Sie damit argumentieren, dass Ihre Politik in Sachen Erneuerbare nie so ambitioniert war wie unsere. Sie wollten bis zum Jahr 2020 ja nur einen Anteil der Erneuerbaren von 20 Prozent erreichen. (Beifall der Abg. Michael Kauch [FDP] und Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Wir haben das bereits im Jahr 2011 geschafft. Ich will Ihnen etwas zugutehalten: Wenn man so langsam voranschreitet wie Sie, braucht man sich nicht so viele Gedanken zu machen. Nachdem wir jetzt aber den Turbo angeworfen haben und wirklich extrem beschleunigt haben, nachdem wir extrem schnell den Anteil von 20 Prozent erreicht haben, übrigens auch noch sehr viel ambitioniertere Zielvorgaben für die Zukunft haben, müssen wir ernsthaft versuchen, endlich eine Lösung zu finden. Dazu gehört nicht nur, dass man sagt: „Ihr dürft die Photovoltaik-Vergütung nicht so stark reduzieren“, sondern dazu gehört auch die Antwort auf die Frage, wie man die Erneuerbaren integriert. Dazu gehört auch die Antwort auf die Fragen: Wie transportieren wir den Strom? Wie schaffen wir ein internationales Netz? Wie schaffen wir es, dass zu jeder Zeit Versorgungssicherheit besteht? (Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr habt doch zehn Jahre blockiert!) Ich hoffe und setze da eben auch auf den Kollegen Altmaier, dass die Zusammenarbeit zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium einen weiteren Schub bekommt und noch sonniger wird, als sie in der Ver-gangenheit war. Ich glaube, dass wir damit tatsächlich reüssieren können und das erreichen, was Sie in Ihrer Regierungszeit sieben Jahre lang vollkommen verschlafen haben. Nichts davon haben Sie nämlich umgesetzt! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Jahr 2003 gab es beispielsweise einen Antrag der FDP-Fraktion, dass man sich ernsthafte Gedanken über Speicherförderung für Energiespeicher machen solle. Kollegin Flach war hier federführend. Abgelehnt. Kein Euro ist hier investiert worden. (Zuruf von der SPD: Wie lang seid ihr denn an der Regierung? Macht es endlich mal! – Zuruf der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Wir wollten dafür 12 Millionen Euro im Haushalt einstellen. Das ist natürlich abgelehnt worden. Im Jahr 2011 haben wir 240 Millionen Euro für Speicher- und Forschungsprogramme zusätzlich zur Verfügung gestellt. Das ist das Entscheidende. Wenn man nichts investiert und nichts tut, sondern immer nur eine Blockadehaltung einnimmt, dann wird man nichts erreichen. Das müssten Sie langsam einsehen. Das sieht man auch hervorragend bei der Gebäude-sanierung. Hier zeigt man mit dem Finger auf andere, aber selbst ist man nicht bereit, einen Beitrag zu leisten. Wären Sie ehrlich genug, würden Sie zugeben, dass die Energiewende von der Bundespolitik nicht allein gelöst werden kann, sondern auch die Kommunen und die Länder mithelfen müssen. Es darf dann auch keine Rolle spielen, wer in einem Land Schutzzölle fordert oder nicht. Alle 16 Bundesländer müssen vielmehr bereit sein, hier anzufassen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Warum haben das denn dann Ihre Ministerpräsidenten auch mit blockiert?) Wir werden den CO2-Ausstoß nicht reduzieren, wenn wir die Gebäudesanierung nicht voranbringen. Auch Sie werden die Ziele der Gebäudesanierung nicht erreichen können, wenn Sie nicht bereit sind, dafür Geld in die Hand zu nehmen, Frau Höhn. Ich glaube, an diesem Punkt haben Sie viel verschlafen. Es geht Ihnen vor allem darum, uns keine Erfolge zu gönnen. Deshalb kommen wir nicht so vorwärts, wie wir es wollten. Wir haben einiges erreicht. Auch ich darf mich bei Herrn Röttgen bedanken. Ich hoffe, dass sich Herr Untersteller mit seiner Position, weniger ambitioniert voranzugehen, nicht durchsetzt, obwohl er sogar von den Umweltverbänden unterstützt wird. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Horst Meierhofer (FDP): Ich komme zum Schluss. – Sogar der BUND in Baden-Württemberg hat, als der Herr Untersteller die Zielvorgabe zur Reduzierung von Treibhausgasen von 30 auf 25 Prozent gesenkt hat, gesagt, dass das, was die grün-rote Landesregierung macht, absolut glaubwürdig sei. Das ist nicht unsere Art. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege. Horst Meierhofer (FDP): Ich wünsche Herrn Altmaier alles Gute. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Sie werden sich wundern, was wir in den nächsten eineinhalb Jahre noch alles erreichen werden. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je länger ich mir diese Debatte anhöre, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass es richtig war, dass wir diese Aktuelle Stunde aufgesetzt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Debatte macht nämlich deutlich, dass Sie mit allen Tricks versuchen, von dem Problem, das wir haben, abzulenken. Das Problem ist, dass die Energiewende, die vor knapp einem Jahr beschlossen worden ist, grandios an die Wand gefahren worden ist, Sie also ein Jahr lang nichts gemacht haben. (Horst Meierhofer [FDP]: Sie haben sieben Jahre nichts gemacht!) Das müssen wir hier problematisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Zu Beginn dieser Debatte hat Frau Dött gesprochen. Doch Frau Dött ist – das wissen alle – die personifizierte Blockade im Umweltausschuss. Diese Rednerin bringen Sie hier also als erste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Dann kommt Herr Kauch mit seiner Platte, die wir hier zum 748-ten Mal gehört haben. (Horst Meierhofer [FDP]: Wiederholen Sie es doch einfach, die umweltpolitischen Ziele der Grünen!) Und Sie, Herr Grindel, sagen erst, dass alles, was die Grünen machen, Ideologie sei, und dann, dass das eigentliche Problem, warum die Energiewende nicht zustande kommt, die Bürgerinitiativen seien, die sich gegen den Netzausbau wehren. Das, Herr Grindel, ist ebenfalls Ideologie, das ist kein konstruktiver Beitrag zu dieser Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Eine politische Verantwortung!) Wenn schon, dann messen Sie sich an dem, was Sie selber von den anderen fordern. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wenn das die einzige Kritik ist, dann akzeptiere ich das!) – Man merkt, wie aufgeregt Sie sind und dass wir mit unserem Antrag ins Wespennest gestochen haben. Herr Meierhofer, Sie werfen uns dann vor: Sie haben sieben Jahre nichts gemacht. – Erinnern wir uns einmal an die Zeit, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet wurde: Wer hat damals dagegen gestimmt? Das waren die FDP und die CDU/CSU. Sie haben alles getan, um den Aufbau der erneuerbaren Energien zu blockieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie sprachen außerdem von den Netzen. Herr Meierhofer, ich erinnere mich daran, dass der damalige Umweltminister Trittin ein Netzbeschleunigungsgesetz eingebracht hat. Wer hat es im Bundesrat verhindert? Die Mehrheit von CDU, CSU und FDP im Bundesrat. (Horst Meierhofer [FDP]: Im Bundesrat?) Das ist die Wahrheit, und darüber müssen wir reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Der eigentliche Punkt ist doch: Norbert Röttgen ist zwar weg, aber Sie stecken in einer Sackgasse und haben enorme Probleme. Wie ist es denn um die deutsche Solarwirtschaft bestellt? Durch rücksichtslose und übertriebene Kürzungen wird sie an den Rand des Ruins gedrängt. Das ist doch Ihre Verantwortung. Selbst Ministerpräsidenten von CDU und CSU sind auf unserer Seite, weil sie sehen, dass es so nicht geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Woran liegt es, dass die Errichtung neuer Windparks stockt? Das ist doch Ihre Verantwortung. Das Gleiche gilt, wenn der Ausbau von Netzen und Speichern nicht ausreichend vorankommt. Dann gab es gestern den Energiegipfel bei der Kanzlerin. Das war wirklich der Gipfel! Vor einem Jahr haben wir die Energiewende verabschiedet. Dann veranstaltet die Kanzlerin einen Gipfel. Was passiert dort? Es wird geredet. Da sagt der Ministerpräsident, den Sie eben zitiert -haben: (Michael Kauch [FDP]: Herr Kretschmann hat auch geredet?) Nach einem Jahr werden hier immer noch keine -Beschlüsse gefasst. Ich bin enttäuscht. – Das hat Herr Kretschmann gesagt, Herr Grindel, nicht mehr und nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn Sie nach einem Jahr nichts weiter vorweisen können, als miteinander geredet zu haben und weitere Gespräche vereinbart zu haben, dann ist das zu wenig. Denn irgendwann einmal muss man nach den ganzen Reden auch Entscheidungen treffen und die Sache vo-ranbringen. (Michael Kauch [FDP]: Genau! Im Bundesrat! Gebäudesanierung!) Das schaffen Sie nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Und dann noch etwas – darauf haben mich die Baden-Württemberger angesprochen –: Wissen Sie, Herr -Meierhofer, warum die Umweltverbände in Baden-Württemberg dem grünen Umweltminister sagen: „Es ist wichtig, dass Grün-Rot die Klimaschutzziele reduziert“? (Horst Meierhofer [FDP]: Die Klimaschutzziele senken?) Weil Ihr Vorgehen, nämlich nichts für den Klimaschutz zu tun, aber hehre Ziele zu verkünden, nicht in Ordnung ist. Das ist unehrlich. Deshalb hat die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg jetzt gesagt: (Otto Fricke [FDP]: Aber warum denn jetzt?) Wir sind realistischer; denn wir können die Fehler der Vergangenheit von Schwarz-Gelb nicht aufholen. (Horst Meierhofer [FDP]: Dies widerspricht Grün-Rot!) Darum sagt Grün-Rot: Wir haben eine kleine Delle, aber wir gehen das Problem jetzt mit Instrumenten und mit mehr Maßnahmen an, (Horst Meierhofer [FDP]: Nein!) und wir werden durch ehrgeizigere Ziele in der Zukunft die Delle kompensieren. (Horst Meierhofer [FDP]: Nein!) Das ist der Grund, warum die Umweltverbände diesem Weg zustimmen, und das ist der Grund, Herr Meierhofer, warum Sie falsch liegen, auch wenn Sie hier noch so -engagiert Papiere hochhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Horst Meierhofer [FDP]) Was geschah gestern? Wir waren da doch zusammen in der Anhörung. Und was haben die Experten da gesagt? Sie haben gesagt: Klimaziele soll man nur formulieren, wenn man die zur Durchsetzung notwendigen Maßnahmen wirklich installiert und verabschiedet. (Michael Kauch [FDP]: Genau! Das sagen Sie mal der NRW-Regierung!) Das macht Baden-Württemberg, und das haben Sie immer versäumt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Meierhofer [FDP]: Dann hätten die die Ziele auf Null setzen müssen!) Das ist der Unterschied zwischen dem, was wir machen und dem, was hier passiert. Meine Damen und Herren, wir wünschen dem neuen Umweltminister Altmaier viel Glück und viel Erfolg im Sinne der Sache, also im Sinne der Energiewende. Wir werden jedoch kritisch hinschauen. So hat der neue -Umweltminister beispielsweise gesagt: Wir müssen aufpassen, dass der Industriestandort Deutschland nicht in Gefahr gerät. – Das ist zwar richtig, aber das ist zugleich ein Argument, das immer wieder zu Unrecht gegen die Erneuerbaren gewendet wird. Denn wer ist von all den entsprechenden Abgaben ausgenommen, wer zahlt praktisch keine Ökosteuer und keine Umlage für das EEG, wer zahlt keine Netzentgelte, obwohl er den meisten Strom durchleitet? Das ist die Industrie, die gleichzeitig davon profitiert, dass die Erneuerbaren den Strompreis an der Leipziger Börse senken. Die Energiewende wird nicht von der Industrie bezahlt, sondern von den kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie von der -Bevölkerung und den Verbrauchern. Deshalb ist das -Argument, der Ausbau der Erneuerbaren schade der Industrie, falsch. (Horst Meierhofer [FDP]: Sagt doch keiner!) Denn tatsächlich nützt die Energiewende der Industrie. Gegenüber Frankreich und Großbritannien haben wir niedrigere Börsenstrompreise, und zwar deshalb, weil wir den Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben haben. (Horst Meierhofer [FDP]: Wird jeden Tag -billiger!) Das ist die Wahrheit, und die sollten auch Sie einmal verstehen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bernhard Kaster für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! An der Anzeigetafel ist es zu lesen: Sie möchten heute über die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung diskutieren. Da sage ich: gerne doch. Diese Bundesregierung ist handlungsfähig und erfolgreich. Das sollte Sie nicht ärgern, darüber sollten Sie sich im Interesse unseres Landes freuen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wachsende Beschäftigung, die mit Abstand niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa, stabiles und nachhaltiges Wachstum, sinkende Neuverschuldung – auch für alle anderen Ressorts könnte ich noch viele Beispiele nennen. Frau Höhn hat gerade die rot-grüne Zeit angesprochen. Was haben Sie uns 2005 hier hinterlassen? Ich denke mit Grausen an die damalige Zeit. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Es war der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit in Deutschland, es war der Tiefpunkt der Gemeindefinanzen in den Städten und Dörfern. Es war die sorgenvollste Zeit in der deutschen Landwirtschaft. Es war die Zeit, als wir Defizitsünder in Europa wurden, und – das lassen Sie mich auch sagen – es war die enttäuschendste Zeit ideologischer Umweltpolitik. Jetzt könnte man fragen: Warum rede ich von der Zeit von vor sieben Jahren? Wenn ich in die Reihen der Grünen hier vorne schaue, dann sehe ich immer noch die gleichen Gesichter. Da weiß man doch, was man zu erwarten hat. (Michael Kauch [FDP]: Genau, die werden -älter!) Was heißt Umweltpolitik heute? Grüne Umweltpolitik ist zwischenzeitlich zu einer ideologischen Solarpolitik verkümmert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausgerechnet die Grünen sorgen sich in dieser Aktuellen Stunde ums Handeln – Grüne sorgen sich ums Handeln! Dabei sind sie in Deutschland zu einer sich immer mehr verkrustenden Verhinderungspartei geworden. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele Bürger wenden sich wegen ihrer Technik- und -Investitionsfeindlichkeit von ihnen ab. Ich komme aus dem Bundesland Rheinland-Pfalz. Dort haben sie jetzt neu Regierungsverantwortung übernommen. Sie haben allerdings keinen Koalitionsvertrag, sondern einen Verhinderungsvertrag abgeschlossen. So sieht es aus, wenn Grüne Verantwortung in Deutschland übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon sind Sie immer noch betroffen! Sie sind doch nur neidisch!) Sie buhlen immer mehr um Menschen, die sich Ihre spezielle Politik im wahrsten Sinne des Wortes leisten können, aber wir, die bürgerlich christlich-liberale -Koalition, haben das Ganze im Blick. Wir müssen Verantwortung allen Menschen gegenüber wahrnehmen, (René Röspel [SPD]: Nicht für mich!) beispielsweise durch die Gestaltung einer Energiewende, die unseren mittelständischen Betrieben Versorgungs-sicherheit gewährt, und durch eine Energiepolitik, die dafür sorgt, dass Arbeitnehmer, Mieter und Rentner auch künftig ihre Stromrechnung bezahlen können. Unsere Energiepolitik besteht aus einem Dreiklang: ökologisch, ökonomisch und sozial, (Rolf Hempelmann [SPD]: Sprechblase! -Phrasen!) ökologische Zielsetzung, ökonomische Vernunft und soziale Sensibilität. (Frank Schwabe [SPD]: Ein bisschen -konkreter!) Sie fragen angesichts dessen nach der Handlungsfähigkeit? Wir könnten auch nach der Handlungsfähigkeit der Opposition fragen. (Lachen bei der SPD) Was erleben wir da im Moment? Die Linke sucht im Moment ein neues Fahrrad, ein Tandem, die SPD macht seit Monaten ein Casting für mögliche Vizekanzlerkandidaten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte diese überflüssige Aktuelle Stunde gerne wie folgt zusammenfassen: Dem Land geht es gut. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Die Bundes-kanzlerin genießt im Land, in Europa und in der Welt höchstes Ansehen, und unter ihrer Führung wird diese Koalition sich den wichtigen Herausforderungen und Aufgaben mit Verantwortungsbewusstsein und Vernunft stellen. Darauf ist Verlass. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrich Kelber (SPD): Vor ein paar Tagen (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Anrede? Höflichkeit!) bin ich im Internet auf einen Spontispruch gestoßen, (Horst Meierhofer [FDP]: Das war vor ein paar Jahren!) der mich sofort an die Politik der Bundesregierung, besonders an die Energiepolitik, erinnert hat: Ständiges Versagen ist auch eine Form von Zuverlässigkeit. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das hat er sich dann wohl hinter den Spiegel geklemmt!) Das ist kein Urteil der Opposition über die Energiepolitik der Koalition. Das schwingt mit, wenn sich der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU, also einer der drei Koalitionspartner, über die Energiepolitik der Bundesregierung und der eigenen Leute auslässt. Er sagt: Wenn die jetzt nicht vorwärtskommen, dann werden wir uns in Bayern von der deutschen Energiepolitik abkoppeln. Das ist die Einschätzung Ihrer eigenen Leute. (Beifall bei der SPD – Frank Schwabe [SPD], an Abg. Horst Meierhofer [FDP] gewandt: Herr Meierhofer, was ist denn damit?) Auch die knappen Begründungen der Bundeskanzlerin zur Entlassung ihres Bundesumweltministers sind zumindest ein Eingeständnis, dass es in der Energiepolitik nicht so läuft, wie man eigentlich will. Ich habe Norbert Röttgen von dieser Stelle aus oft kritisiert und auch scharf angegriffen, aber ich frage mich schon: Wenn die Energiepolitik zu 80 Prozent in der Verantwortung des Wirtschaftsministeriums liegt, warum ist dann Norbert Röttgen für die mangelnde Koordination in der Energiepolitik entlassen worden und nicht Wirtschaftsminister Rösler? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür gibt es zwei einfache Begründungen. Erstens. Die Bundeskanzlerin ist CDU-Vorsitzende. Sie hat überhaupt nicht die Möglichkeit, CSU- oder FDP-Minister zu entlassen! (Horst Meierhofer [FDP]: Oder SPD-Vorsitzende!) So brutal kann sie nur mit CDU-Mitgliedern umgehen. Zweitens. Es ging um ihren Selbstschutz. Sie wollte nicht, dass die Debatte in Nordrhein-Westfalen und das Chaos in der Energiepolitik mit ihr in Verbindung -gebracht werden. Wer die Behandlung der Entlassung in den Medien verfolgt hat, hat mitbekommen, dass das Gott sei Dank nicht funktioniert hat. Im Bonner General-Anzeiger, der nicht nur meinen Wahlkreis, sondern auch den von Norbert Röttgen abdeckt, wurde ein Leserbrief veröffentlicht, in dem argumentiert wurde – ich habe mich gleich gefragt, warum ich nicht selbst auf dieses Argument gekommen bin –: Die Kanzlerin hält einen Minister wie Guttenberg, der betrügt und lügt, für ministrabel, aber wenn ein Minister wie Norbert Röttgen eine Wahl in einem Bundesland verliert, dann verliert er seine Eignung als Minister und wird entlassen. Da stellt sich für mich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Kanzlerin. – Genau das ist richtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als unter Norbert Röttgen die Glaubwürdigkeit Deutschlands beim Klimaschutz verloren ging, hat das die Kanzlerin nicht interessiert. Als aus dem Umweltministerium Signale kamen, dass die Entmachtung der Fachgruppen bzw. der Fachabteilungen bei einer gleichzeitigen Aufblähung der Leitungsstäbe das Ministerium unfähig zur Arbeit mache, hat das die Kanzlerin nicht -interessiert. Wenn der Emissionshandel zusammenbricht, gibt es keinen Grund, einzugreifen. Wenn aber -einer eine Landtagswahl verliert, muss man den Minister entlassen, um sich selbst zu schützen. Das ist Personalpolitik und Führung à la Angela Merkel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn jetzt – bei aller Kritik an der Politik von -Norbert Röttgen – einige aus der CDU, die hier gerade Krokodilstränen vergossen haben, in Hintergrundgesprächen versuchen, Norbert Röttgen die alleinige Schuld am Chaos in der Energiepolitik der schwarz-gelben Koalition zu geben, sage ich an dieser Stelle: Das ist unfair, das ist unredlich, das ist unanständig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Zweieinhalb Jahre ertragen wir jetzt dieses Chaos in der Energiepolitik. Anderthalb Jahre lang gab es ein Hin und Her. Niemand war bereit, zu investieren: nicht in -Erneuerbare, nicht in Energieeffizienz, nicht in fossile Energien, in nichts. Seit einem Jahr wird jetzt zugeschaut. Netzprobleme? Es wird zugeschaut. Mangelnde Anreize für Kapazitätsschaffung, zum Beispiel für Gaskraftwerke in Bayern oder in Baden-Württemberg? Es wird zugeschaut. Norwegen bietet an, 25 000 Megawatt an zusätzlicher Speicherkapazität zu bilden. Wo gibt es Verhandlungen der Bundesregierung über ein Investitionsabkommen? Nichts! (Horst Meierhofer [FDP]: In Niedersachsen sind alle Vorbereitungen getroffen!) Es gab jetzt einen Gipfel als Politikersatz. Das Ergebnis ist: Wir treffen uns jetzt anstatt einmal zweimal im Jahr. Das ist zu wenig. Um einer Legendenbildung entgegenzutreten: Es stimmt übrigens nicht, dass Peter Altmaier – er muss wohl noch lernen, bei den Debatten aus den Reihen der Abgeordneten auf die Regierungsbank zu gehen – sich nie für die Umweltpolitik interessiert hat. Er war sogar schon einmal im Umweltausschuss, (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ach!) und zwar am 26. Oktober 2010, als dort die Laufzeitverlängerung in nur einer Stunde durchgeprügelt werden sollte und man nicht vorankam. Da eilte Peter Altmaier vorbei und half, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu brechen. Oppositionsabgeordnete durften keine Redebeiträge mehr halten, keine neuen Änderungsanträge mehr stellen und schon gestellte nicht mehr begründen. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Ich hoffe, Peter Altmaier, der nächste Besuch im Umweltausschuss ist etwas ökologischer als der erste. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes – Drucksache 17/8801 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/9617 – Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Klaus Breil für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Klaus Breil (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute die Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Diese Novelle ist notwendig, um unser Ziel zu erreichen, den Anteil der Stromerzeugung aus KWK auf 25 Prozent der Gesamtstrom-pro-duktion auszubauen. Ich weiß, dass im Evaluations-bericht steht, dieses Ziel sei mit dem KWK-Gesetz von 2009 nicht zu schaffen. Ich kenne die Kritik, das Ziel sei ebenso wenig mit der heute zu beschließenden Novelle zu schaffen. Das glaube ich nicht. Wir werden das schaffen. (Beifall bei der FDP) Ich erwarte, dass dabei sogar eine Dynamik entstehen wird, die den Anteil weit über die 25 Prozent wachsen lassen wird. Krankenhäuser, Schulen, Sporthallen und Schwimmbäder – all das sind Wärmesenken, und sie sind meistens in kommunaler Verantwortung. Es sind Wärmesenken, für die eine Versorgung mit ausgekoppelter Wärme häufig Sinn macht. Wir müssen nur intensiv suchen. Aus der mittelständischen Wirtschaft weiß ich, dass dort vielfach auch mit großem Interesse nach diesen Wärmesenken gesucht wird. Wir erhöhen für alle Anlageklassen die Vergütung um 0,3 Cent pro Kilowattstunde. Wir führen eine neue Anlagenklasse – von 50 bis 250 Kilowatt – ein. Dieses Seg-ment ist insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen gefragt, die auf eine eigene Stromversorgung bauen. Bei emissionshandelspflichtigen Anlagen erhält man ab dem Jahr 2013 noch einmal 0,3 Cent pro Kilowattstunde mehr. Davon erhoffen wir uns einen Ausbau der Erzeugungskapazitäten. Einen solchen Ausbau brauchen wir. Das haben auch die Gespräche gestern im Kanzleramt ergeben. Außerdem erwarten wir die Förderung von Wärmenetzen und Wärmespeichern, und wir führen eine Förderung von Kältenetzen und Kältespeichern ein. Entgegen allen Vorwürfen tun wir auch etwas für die kleinen Anlagen. Die neu eingeführte Zwischenkategorie habe ich schon genannt. Außerdem haben wir die Rahmenbedingungen für das Pooling kleinerer Anlagen, sogenannter Mini- und Mikro-KWK-Anlagen, und damit für die sogenannte Schwarmstromidee verbessert. Für Anlagen bis 50 Kilowatt haben wir die kostenpflichtige Einzelzulassung abgeschafft, ebenso die statistischen Mitteilungspflichten. Ein letzter Punkt: Käufer einer Anlage bis 2 Kilowatt können sich ihre Zuschläge pauschal auszahlen lassen. Das können je nach Anlagengröße bis zu 3 500 Euro sein. Mit dieser Novelle tun wir einiges für den Bereich Kraft-Wärme-Kopplung und für den Aufbau von Erzeugungskapazitäten. Hierfür wäre die Anerkennung der Opposition angebracht. Stattdessen fordern die Grünen in ihrem heutigen Entschließungsantrag – Zitat –: Die Förderung von KWK-Anlagen mit Braun- oder Steinkohle als Brennstoff wird aus dem KWKG gestrichen. Dass die Grünen de facto ein Verbot für den Neubau von Kohlekraftwerken wollen, ist bekannt. Niemand baut heute noch ein Kraftwerk ohne Wärmeauskopplung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo? NRW!) Aber dass alte Kohlekraftwerke dort, wo die Grünen Verantwortung tragen, beispielsweise in NRW, keinen Anreiz zur Modernisierung erhalten sollen, ist für mich untragbar. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Neue Kohlekraftwerke wollen Sie dort ja auch nicht haben. Somit sind Sie Effizienzverhinderer. Weit klüger wäre es, technologieoffen zu sein. Seien Sie bereit, Ihre Ideen in einen Wettbewerb zu anderen Ideen zu stellen, und versuchen Sie nicht, mit versteckten Verboten Ihre wahre Ideologie durchzusetzen! Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Klaus Breil. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Rolf Hempelmann. Bitte schön, Kollege Rolf Hempelmann. (Beifall bei der SPD) Rolf Hempelmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Klaus Breil, Sie haben eben gesagt, dass Sie für diesen Gesetzentwurf Anerkennung verdient haben. (Klaus Breil [FDP]: Ich bitte darum!) Ich möchte das gleich am Anfang feststellen: Für den Gesetzentwurf und – ich will das noch ausweiten – für die Änderungsanträge haben Sie Anerkennung verdient. In der Tat ist das, was hier vorgelegt worden ist, weit besser als das, was wir hätten erwarten können. Schließlich hat Schwarz-Gelb viele Jahre lang eine ausgesprochen KWK-feindliche bzw. KWK-kritische Politik vertreten. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Ach was!) Schwarz-Gelb hat genau die Position vertreten, die Ihnen von den vier großen Unternehmen jahrelang eingeflüstert worden ist. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Herr -Kollege!) Deswegen ist es auch kein Wunder, dass es zweieinhalb Jahre gedauert hat – eigentlich hat es sogar noch länger gedauert –, bis dieses Konzept vorgelegt wurde. Eingefordert hatten wir es schon von Wirtschaftsminister Glos in der Zeit der Großen Koalition. Er hat es nicht gebracht. Eingefordert hatten wir es auch von Wirtschaftsminister zu Guttenberg. Auch er hat es nicht gebracht. Anschließend haben wir es von Herrn Brüderle von der FDP gefordert. (Otto Fricke [FDP]: Guter Mann!) Auch er hat es nicht gebracht. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Wer hat es gemacht?) Jetzt endlich, nach Jahren, liegt es also vor. Herrn Rösler sei an dieser Stelle gedankt. Aber bleiben Sie ruhig; denn es kommt noch anders. Insofern sage ich: Ja, der Gesetzentwurf enthält viel Richtiges, aber natürlich kann und muss er weiter verbessert werden. Wir müssen uns klarmachen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung einen erheblichen Beitrag zur Energiewende leisten kann. Das muss uns klar sein, wenn wir das Ziel, dass bis zum Jahr 2020 25 Prozent der Stromerzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung gedeckt werden – dazu bekennt sich jeder –, erreichen wollen. Denn: Erstens ist dies die effizienteste Form der Erzeugung von Strom und Wärme; sie hat Wirkungsgrade bis zu 90 Prozent. Wir können den Brennstoff zu mehr als 80 Prozent ausnutzen. Das ist bei keiner anderen Form der Verbrennung so möglich. Zweitens sind die Anlagen grundsätzlich auf erneuerbare Energien umstellbar. Das heißt, zumindest Anteile dieser Kraftwerke können auf erneuerbare Energien, auf Bioenergien umgestellt werden. Auch das ist ein Vorteil dieser Technologie. Der dritte Punkt ist die flexible Fahrweise. Die Anlagen können stromgeführt oder wärmegeführt laufen, sie können sich an die Situation, je nachdem ob der Wind gerade stark oder weniger stark zum Stromangebot beiträgt, anpassen. Über Wärmespeicher können Überschussenergien gespeichert und später ins Netz zurückgeführt werden. Leider wird dieses Potenzial durch diesen Gesetzentwurf nicht voll ausgeschöpft. Die Anhörung hat das sehr deutlich ergeben. Deswegen haben wir Vorschläge gemacht, wie man dieses Gesetz so weiterentwickeln kann, dass die Ziele tatsächlich erreicht werden. Sie haben sich da bewegt – das muss man sagen –, Sie haben zum Beispiel die Zuschläge für die jeweiligen Anlagengruppen erhöht, aber wir befürchten, dass dies nicht ausreichen wird. Folgen Sie unseren Vorschlägen. In der Anhörung wurde ja deutlich, dass Sie dies tun sollten. Ich glaube, dass wir dann eine bessere Chance haben, die Ausbauziele tatsächlich zu erreichen. Der nächste Punkt – auch das wurde bei der Anhörung deutlich –: Wir müssen nicht nur an den Neubau denken, sondern auch an die Modernisierung vorhandener Anlagen und auch an die Umrüstung konventioneller Kraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Dazu haben wir Vorschläge gemacht. Dabei geht es insbesondere darum, die Schwellen, die Sie im Gesetz formuliert haben, abzusenken, um Umrüstungen oder Modernisierungen, die mit geringerem Aufwand erreicht werden können, zuzulassen und zu unterstützen. Wir gehen davon aus, dass wir gerade im Bereich der Speicher wesentlich mehr tun können, als dieser Gesetzentwurf vorsieht. Die Speicher bieten uns im Rahmen der Energiewende die Möglichkeit, flexibel auf die unterschiedlichen Netzsituationen zu reagieren. Deswegen ist es kontraproduktiv, wenn Sie hier einen Förderdeckel von 5 Millionen Euro pro Einzelprojekt einziehen. Denken Sie noch einmal darüber nach. Folgen Sie unserem Vorschlag, diesen Deckel aufzugeben oder zumindest substanziell anzuheben. Ansonsten werden Sie die Möglichkeiten, die die Speichertechnologien bieten, nicht nutzen. Die größeren Speicher haben besonders positive Effekte. Sie können sehr flexibel reagieren und vor -allem in größeren Einheiten, zum Beispiel in Fernwärmeversorgungssystemen, einen wesentlichen Beitrag leisten, um die volatile Windstrom- oder Solarstromeinspeisung auszugleichen. Wenn Sie unsere Vorschläge, auch die zum Ausbau der Wärmenetze, übernehmen, dann haben Sie tatsächlich flexible Instrumente, die Ihnen helfen, die Ziele der Energiewende zu erreichen. Bei Wärmenetzen haben Sie einen Förderdeckel von 10 Millionen Euro pro Projekt vorgesehen. Das wird nicht dazu führen, dass die Projekte aufgelegt werden, die wir tatsächlich brauchen. Heben Sie auch hier den Deckel auf, oder verdoppeln Sie zumindest den Betrag. Wir brauchen diese Investitionen. Die Investitionen kann man nicht nach Projektgröße bewerten. Vielmehr müssen sie danach bewertet werden, welchen Beitrag sie zum Erreichen der KWK-Ziele leisten. Insgesamt bietet der Gesetzentwurf gute Ansätze. Folgen Sie unseren Vorschlägen, insbesondere denen bezüglich der Modernisierung und Umrüstung der Anlagen und bezüglich der Netze und der Speicher. Wenn Sie das tun, dann haben wir, glaube ich, in der Tat die Chance, bei diesem Thema voranzukommen. Ein letzter Aspekt muss allerdings noch erwähnt werden. Auch wenn dieses Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz perfektioniert bzw. verbessert wird, wenn Sie also unseren Vorschlägen folgen, wird das allein nicht reichen, um die Kraft-Wärme-Kopplung hier in Deutschland zu einer Erfolgsstory zu machen. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ist sie doch schon!) Man hört von allen potenziellen Investoren, dass zurzeit nicht in die konventionelle Energieerzeugung in Deutschland investiert wird. Bis auf die laufenden Projekte wird nicht neu investiert. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Anlagen angesichts des Aufwuchses der erneuerbaren Energien künftig nur eine geringe Auslastungsperspektive haben. Deswegen gibt es eine Diskussion darüber, nicht nur die Arbeit, also den gelieferten Strom oder die gelieferte Wärme, sondern möglicherweise auch die Kapazität, also die Bereitstellung, zu honorieren. Ich weiß, dass das ein komplexes Thema ist, bei dem man auch Fehler machen kann. Aber es wäre auch ein Fehler, wenn wir uns zu viel Zeit ließen. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Aber wir müssen auch überlegen, wer es bezahlt!) Es ist mittlerweile ein Jahr vergangen. Dieses Thema ist inzwischen erstmals vonseiten der Kanzlerin auf einem Gipfel erörtert worden. Sorgen Sie dafür, dass jetzt zeitnah Entscheidungen fallen können! Das können auch gestufte Entscheidungen sein. Das Modell, das in den nächsten zehn Jahren gilt, kann ganz anders aussehen als das Modell, das in der Zeit danach angewendet wird; so etwas zeichnet sich ja ab. Aber wir brauchen Entscheidungen. Warum brauchen wir die Entscheidungen jetzt? Weil ansonsten der Attentismus weitergeht und die Projektplanungen nicht voranschreiten. Auch bei solchen Projekten, die vielleicht erst in sechs oder sieben Jahren realisiert werden sollen, braucht man jetzt Klarheit im Hinblick auf die künftige Perspektive. Insofern: Wir sind bereit, konstruktiv daran mitzuarbeiten, ein Marktdesign der Zukunft zu entwickeln, welches insbesondere für den Bau von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen interessant ist. Liefern Sie – nach einem hoffentlich noch verbesserten Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz – auch hier! Ich bin zuversichtlich, dass wir dann zumindest in diesem Bereich der Energiewende vorankommen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Rolf Hempelmann. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Thomas Bareiß. Bitte schön, Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Verehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, nach der heutigen Aktuellen Stunde und den Ereignissen der letzten Tage darauf hinzuweisen: Ich bin der Überzeugung, dass über unsere Energiepolitik sehr viel Unsinn gesagt wurde. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, von Ihnen!) Da musste ich lesen, die Energiewende werde nun gestoppt, die Energiewende komme nicht voran, und wir hätten nichts getan. Diese Debatte zeigt, dass wir mit der Energiewende Schritt für Schritt vorankommen. Lieber Rolf Hempelmann, die Kraft-Wärme-Kopplung ist schon heute eine Erfolgsstory. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: -Genau so ist es!) Der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an unserem Strommix beträgt schon heute 15 Prozent. Die Vorschläge, die wir jetzt vorgelegt haben, haben wir in Studien überprüfen lassen. Dabei kam ganz klar und deutlich zum Ausdruck: Würden wir die nächsten zehn Jahre überhaupt nichts unternehmen, würden wir unser gemeinsames Ziel, das die vorherige Koalition formuliert hat, bis 2020 zwar nicht ganz erreichen. Aber der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung am Strommix würde sich in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich auf 22 Prozent erhöhen. Durch die Vorschläge, die wir gemacht haben, und durch den Änderungsvorschlag, den wir als Koalitionsfraktionen noch einbringen werden, werden wir den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung am Strommix mit Sicherheit auf 25 Prozent erhöhen. Das wird von allen Verbänden und Unternehmen bestätigt. Ich weiß nicht, in welcher Anhörung Sie waren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Anhörung, in der ich war, war das nicht so!) Ich habe aus der Anhörung mitgenommen, dass die Verbände und Unternehmen mit dem, was jetzt vorgelegt worden ist, größtenteils zufrieden sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Kritikpunkte, die angeführt wurden, haben wir in unserem Änderungsantrag berücksichtigt. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie haben selektiv zugehört!) Wir haben sehr viele, eigentlich fast alle Kritikpunkte in unseren Änderungsanträgen aufgegriffen und sogar noch draufgesattelt. So haben wir dafür gesorgt, dass die Kraft-Wärme-Kopplung eine Erfolgsstory bleibt und eine tragende Säule unseres Energiemixes wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Breil [FDP]) Die Anhörung hat auch gezeigt, dass die Energiewende Schritt für Schritt vollzogen wird, dass es nicht nur im Deutschen Bundestag eine breite Unterstützung für dieses Vorhaben gibt, sondern dass wir auch bei den Verbänden und Unternehmen vorankommen. Der entsprechende Gesetzentwurf ist am 8. März dieses Jahres eingebracht worden. Darüber hinaus fand eine Anhörung statt, und es wurden viele Gespräche mit Verbänden geführt. Meiner Erfahrung nach gab es bisher noch kein Gesetz, das eine so große Zustimmung und eine so breite Unterstützung erfuhr. Ich muss, offen gestanden, sagen: Ich finde es etwas schade, dass sich die SPD bei der Abstimmung nur enthält. Sie weiß wohl noch nicht, was sie will: Will sie mitmachen, oder will sie nicht mitmachen? (Rolf Hempelmann [SPD]: Wollen Sie unseren Vorschlägen denn zustimmen? – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist selbst für Sie schwach, Herr Bareiß!) Ich glaube, die Verbände und die Unternehmen machen mit. (Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD hat -keinen Plan!) Das ist der richtige Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rolf Hempelmann hat zur Kraft-Wärme-Kopplung schon viel Richtiges gesagt. Sie wird ein wichtiger -Bestandteil unserer Energieversorgung sein. Sie ist -effizient. Es gibt wohl keine Art der Energiegewinnung, die so effizient ist wie die Kraft-Wärme-Kopplung. Konventionelle Kraftwerke haben einen Wirkungsgrad von 40 bis 45 Prozent. Mit der Kraft-Wärme-Kopplung schaffen wir einen Wirkungsgrad von bis zu 90 Prozent. Sie ist dezentral. Das heißt, dass die Wärme und der Strom dort erzeugt werden, wo sie gebraucht werden. Wir können somit vielleicht den Leitungsausbau etwas reduzieren und Wertschöpfung dort aufbauen, wo die Energie gebraucht wird. Die Kraft-Wärme-Kopplung wird sowohl im Kleinen als auch im Großen gefördert. Beispiele dafür sind Großanlagen wie Datteln 4, wobei Sie noch in der Verpflichtung stehen, das Kraftwerk ans Netz zu bringen, sowie kleine Minikraftwerksanlagen, die in Einfamilienhäusern für Wärme und Strom sorgen. Die Wärme ist bei dieser Form der Energiegewinnung speicherbar. Auch das ist eine Anforderung, die in den nächsten Jahren sicherlich eher mehr als weniger von Bedeutung sein wird. Vor allem ist sie jedoch in Kombination mit dem enormen Ausbau von Wind- und Sonnenenergieanlagen ein Element für den Ausgleich von Schwankungen. In Phasen, in denen Wind und Sonne nicht vorhanden sind, kann die Kraft-Wärme-Kopplung der Stromerzeugung zugeschaltet werden und somit einen Ausgleich bieten. (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Derzeit diskutieren wir intensiv über die Frage der Kapazitätsmärkte. Diese Frage wird ebenfalls aufgenommen. Denn im KWK-Bereich werden Kapazitäten aufgebaut, die in den nächsten Jahren unsere Energieversorgung mit sichern werden. Wir haben das Ziel, bis 2020 einen Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung von 25 Prozent an unserem Strommix zu verwirklichen. Ich habe es bereits gesagt, wir sind hier auf einem guten Weg. Die Erfolgsstory geht weiter. Besonders reizt mich an der Kraft-Wärme-Kopplung die Tatsache, dass sie zwar noch gefördert werden muss und in vielen Bereichen noch nicht ganz wettbewerbsfähig ist, dass sie jedoch durch einen Deckel von 750 Millionen Euro sehr kosteneffizient ist. Sie trägt so dazu bei, dass wir die Energiewende bezahlbar und sicher hinbekommen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der nicht nur für den normalen Verbraucher von Bedeutung ist, sondern auch für unsere Industrie und damit auch für unsere Arbeitsplätze. Wir kriegen den Dreiklang von Bezahlbarkeit, Umweltfreundlichkeit und Effizienz hin und schaffen so Versorgungssicherheit. Das ist ebenfalls ein wichtiges Argument für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Was machen wir im Einzelnen? Es gibt in diesem Zusammenhang viele Punkte, die ich nicht alle darstellen kann. Ich möchte in meinem Beitrag nur auf einige Punkte eingehen. Wir schaffen mehr Anreize, indem wir über alle Anlagenklassen hinweg einen höheren Vergütungszuschlag zahlen. Wir wollen die Vergütung mit dem jetzigen Vorschlag um 0,3 Cent je Kilowattstunde erhöhen. Dies sorgt dafür, dass die Kraft-Wärme-Kopplung vor Ort noch wirtschaftlicher zu betreiben ist und dass noch mehr Investitionen als bisher getätigt werden. Viele sagen, die Erhöhung hätte auch 0,4 Cent oder 0,5 Cent betragen können; darüber haben wir diskutiert. Doch ich warne davor; denn es werden schon Stimmen laut, die sagen, dass die EEG-Förderung von Biogas beispielsweise schon fast nicht mehr mit der KWK-Förderung mithalten kann und dass die Gefahr besteht, dass es einen Wettlauf der unterschiedlichen Fördersysteme gibt. An dieser Stelle muss ich sagen: Die Kraft-Wärme-Kopplung holt weiter auf, die Erhöhung um 0,3 Cent ist richtig, aber im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten ausgewogen. Der Kollege Breil hat es gesagt: Wir haben eine neue Förderklasse für 50- bis 250-kW-Anlagen eingeführt und dafür gesorgt, dass hier kein Förderknick entsteht. Auch das sorgt dafür, dass die Förderung in den unterschiedlichen Anlagenklassen Sinn macht. Wir schaffen Anreize für Investitionen in Wärmenetze, die derzeit – offen gestanden – ein Stück weit ins Stocken geraten sind. Von diesen Anreizen für Wärmenetze versprechen wir uns die Auslösung von höheren Investitionen. Wir haben hierzu 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ich glaube, wir werden in den nächsten Jahren erleben, dass dieses Angebot genutzt wird und dass ein weiterer Bereich immer mehr an Bedeutung gewinnt, nämlich der Bereich der Kältenetze. Auch hierzu haben wir einen neuen Fördertatbestand eingeführt. Wir ermöglichen Investitionskostenzuschüsse für Wärmespeicher. Das ist ein neues Element im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz. Wir wollen entsprechende Anlagen mit bis zu 5 Millionen Euro bzw. 30 Prozent der Investitionssumme fördern und damit Wärmespeicher sowohl im Großen als auch im Kleinen noch attraktiver machen und dafür sorgen, dass die Wärme auch vor Ort gespeichert und zu den Zeiten transportiert werden kann, zu denen sie gebraucht wird. Mir ist es wichtig, dass wir nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Anlagen fördern. Deshalb haben wir in den jetzigen Gesetzesberatungen innerhalb der Koalitionsfraktionen auch die Speichervolumina von Kleinspeichern, ab denen eine Förderung erfolgen kann, von 5 Kubikmeter auf 1 Kubikmeter gesenkt und damit auch die Förderung von Speichern für Ein- und Zweifamilienhäuser möglich gemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kraft-Wärme-Kopplung auch stromgeführt besser gefahren werden kann. Wir haben eine Wahlfreiheit zwischen einer an Volllaststunden orientierten Förderung und einer Förderdauer von zehn Jahren eingeführt. Das heißt, dass die Fördersumme für Kleinanlagen von unter 50 kW, die so betrieben werden, dass sie immer dann eingeschaltet werden, wenn zu wenig Wind- oder Sonnenstrom vorhanden ist, um über 50 Prozent erhöht wird. Auch das wird helfen, dass die Energiewende in den nächsten Jahren sinnvoll gelingt. Es gäbe noch viele Punkte anzubringen, die wir gemacht haben. Wir haben auch einiges für den Bürokratieabbau getan, gerade für kleine Anlagen. Ich glaube, dass wir mit dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz bewiesen haben, dass die Energiewende Schritt für Schritt vo-rangeht. Das ist kein 100-Meter-Sprint, sondern ein Marathonlauf, und wir sind bei diesem Marathonlauf ein Stück weitergekommen. Ich fordere Sie noch einmal auf: Reden Sie nicht, handeln Sie! (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Machen Sie mit bei der Kraft-Wärme-Kopplung, und sorgen Sie auch dafür, dass diese Energiewende gelingt! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Thomas Bareiß. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Eva Bulling-Schröter. Bitte schön, Frau Kollegin Bulling-Schröter. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Die Koalition ist lernfähig. Endlich gab es einmal eine Bundestagsanhörung, die Sinn gemacht hat. Im Ergebnis der Expertenanhörung wurden etliche Änderungen am Regierungsentwurf vorgenommen, die der KWK, also der Kraft-Wärme-Kopplung, sehr guttun. Die KWK-Zuschläge werden aufgrund der höheren Anlagenkosten auf ein akzeptables Maß erhöht, auch wenn wir uns noch ein bisschen mehr vorgestellt haben. Mit einem Zuschlag werden die Benachteiligungen ausgeglichen, die die Kraft-Wärme-Kopplung durch Belastungen aus dem Emissionshandel gegenüber herkömmlichen Anlagen hat. Die KWK-Zuschläge orientieren sich nun besser an der Größe und an der Kostenstruktur der jeweiligen Anlage. Zudem soll eine Förderung von kleinen Wärmespeichern ab 1 Kubikmeter eingeführt werden. Schließlich wird ein einmaliges Wahlrecht in Bezug auf die Förderdauer eingeführt: entweder nach Jahren oder nach Vollnutzungsstunden. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! Sehr gut! – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Weil wir gut sind!) – Wir können ja auch einmal sagen, dass etwas gut ist, Herr Obermeier. Die letzten beiden Punkte werden stromgeführte Anlagen unterstützen. Diese brauchen wir zur Integration der erneuerbaren Energien ins Stromnetz; denn dafür eignet sich die KWK hervorragend, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Anlagen können dann hochflexibel die naturgemäß schwankenden Einspeisungen von Wind- und Sonnenstrom abpuffern. Auf Deutsch gesagt: Wenn die anderen nicht Strom oder Wärme liefern können, dann brauchen wir die KWK. Das ist ja auch in Ordnung. Was im Gesetzentwurf allerdings weiterhin fehlt, ist eine Flexibilisierungsprämie für Blockheizkraftwerke – Stichwort Schwarmstromkonzept. Dazu hat die Linke im Ausschuss einen Antrag eingebracht. Die Sachverständigen aller Fraktionen haben sich positiv dazu geäußert und der Koalition dazu geraten. Es ist nämlich so: Die KWK-Zuschläge fließen entsprechend der Strommenge, also unabhängig vom Zeitpunkt der Erzeugung. Damit besteht für die KWK--Betreiber aber nur wenig Anreiz, ihre Anlagen zusammenzuschalten – dieses Zusammenschalten ist das Schwarmstromkonzept –, gemeinsam steuern zu lassen und in dem Augenblick bedarfsgerecht Strom zu produzieren, in dem er besonders knapp ist. Das ist der Fall, wenn Sonne und Wind nicht vorhanden sind und somit in einer Region zu wenig Strom aus Erzeugungsanlagen für regenerative Energien anfällt. In Zeiten mit viel Sonne und Wind müssten die KWK-Betreiber dagegen die Stromproduktion gemeinsam drosseln oder einstellen bzw. die Energie speichern. Auch das wäre wichtig. Darum sollte nach unserem Antrag, den Sie leider abgelehnt haben, künftig ein Flexibilitätsbonus in Höhe von 2 Cent pro Kilowattstunde für KWK-Anlagen gezahlt werden. Was fehlt, ist eine Vergütungsstufe für Mini-KWK-Anlagen bis 3 Kilowatt. Solche Anlagen auf Basis von Brennstoffzellen bzw. Stirling- oder Minimotoren sind innovativ, weil sie die erste praktikable KWK-Lösung für Einfamilienhäuser wären. Das wäre für diese Häuser dringend notwendig. Unter dem Strich bleibt fraglich, ob Sie mit der Gesetzesnovelle tatsächlich die Grundlage schaffen, bis zum Jahr 2020 auf einen KWK-Anteil von 25 Prozent an der Stromerzeugung zu kommen. Es ist schon viel Zeit ungenutzt verstrichen. Auch wenn wir Glück haben, landen wir mit den Regelungen des neuen Gesetzes nur bei einem Wert von 20 Prozent oder weniger. Herr Bareiß hat schon erklärt: Tolle Erfolgsstory! Ich möchte Ihnen zum Vergleich die Werte anderer Länder nennen: Dänemark 50 Prozent, die Niederlande 38 Prozent. Warum können die das und wir nicht? Die Antwort ist: Dort gibt es einen Mix aus Förderinstrumenten und strikten Vorgaben, zum Beispiel die Pflicht zum Anschluss an ein Wärmenetz. So etwas ist natürlich Gift für den Herrn Rösler. Er blockiert stattdessen lieber die EU-Energieeffizienzrichtlinie in Sachen KWK, wo im Entwurf entsprechende Pflichten vorgesehen sind. Hören wir einmal, was demnächst Herr Altmaier dazu zu sagen hat. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Zunächst wird für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Oliver Krischer sprechen. Bitte schön, Kollege Oliver Krischer. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt drei verschiedene Kategorien, nach denen die Koalition und die Bundesregierung beim Thema Energiewende handeln: Die erste und am häufigsten vorkommende Kategorie ist: Sie tun gar nichts. Das haben wir so beim Thema Speichertechnologien und Kapazitätsmärkte gesehen. Hier könnte man noch viele andere Themen aufzählen. Die zweite Kategorie ist: Sie tun genau das Falsche. Das haben wir bei der EEG-Novelle und bei der Kürzung der Förderung für Solaranlagen erlebt. Da werden Sie von Ihren eigenen Ministerpräsidenten aufgehalten. Es gibt noch die dritte Kategorie: (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Das Richtige tun!) Sie tun etwas Richtiges. Das Richtige tun Sie heute. Aber das tun Sie viel zu spät und viel zu wenig. Das ist leider die Botschaft Ihrer KWK-Novelle, die Sie hier vorlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Es bringt nichts, etwas dagegen zu sagen!) Das hat leider eine gewisse Tradition. In Ihrem Koalitionsvertrag findet man das Thema KWK überhaupt nicht, obwohl Sie vorher in der Großen Koalition einen Anteil von 25 Prozent erreichen wollten. In Ihrem Koalitionsvertrag wird das Thema totgeschwiegen. In Ihrem Energiekonzept von 2010 findet sich nur ein verwirrter Nebensatz zum Thema KWK. Das Thema kommt bei Ihnen also einfach nicht vor. Herr Bareiß, wenn Sie hier von einer Erfolgsgeschichte sprechen, dann ist das hinsichtlich der Technologie sowie der Unternehmen und der Firmen, die diese Technologie anwenden, richtig. Es ist aber eine Armutsgeschichte, was den Ausbau der letzten Jahre angeht. Er stagniert seit Jahren, weil Sie die Entwicklung verschlafen haben und weil Sie bei diesem Thema in der Vergangenheit nichts getan haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das liegt daran, dass Sie das Potenzial nicht erkannt haben. Langsam scheinen Sie zu merken, dass die KWK-Technik mit ihren Speichermöglichkeiten genau das ist, was wir brauchen, um die Schwankungen in der Stromerzeugung im Bereich der Erneuerbaren – Sonne und Wind – auszugleichen. Es ist völlig richtig, dass Sie unsere Vorschläge, die wir gemeinsam mit den Kollegen der SPD vor schon fast drei Jahren gemacht haben, jetzt endlich aufgreifen und zum Beispiel Wärmespeicher fördern. Aber nach dem Prinzip „Das Richtige tun, aber dann zu wenig“ deckeln Sie die Förderung und schränken Sie den Ausbau mit vielen bürokratischen Hemmnissen ein, sodass im Endeffekt wieder viel zu wenig passieren wird. Das Thema Flexibilisierung. Wenn wir die schwankende Stromerzeugung bei den Erneuerbaren ausgleichen wollen, dann muss das sehr flexibel und sehr schnell gehen. Dann brauchen wir einen Flexi-Bonus, um bestimmte Technologien voranzubringen. Sie machen aber wieder nichts. Sie haben es letztendlich wieder nicht verstanden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen offen: Das eigentliche Potenzial der Kraft-Wärme-Kopplung liegt bei den kleinen Anlagen. In diesem Bereich tun Sie gar nichts. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Das stimmt doch gar nicht! – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Haben Sie nicht zugehört?) In den nächsten Jahren müssen Millionen ineffiziente Heizungsanlagen in Deutschland ausgetauscht werden. Wir wollen, dass möglichst viele von denen auch Strom erzeugen. Aber mit Ihrem Gesetz und Ihren Vorschlägen wird genau das nicht passieren. Das ist viel zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen deutlich: Genau das bräuchten wir eigentlich. Das Einzige, was Sie beim Thema Kraftwerke schaffen, ist, dass das Wirtschaftsministerium im ganzen Land plakatiert: „Kraftwerke? Ja bitte!“ Überall sind solche Plakate zu sehen. Das präsentieren Sie uns. Aber da, wo Sie handeln könnten, wo Sie nicht nur ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung, sondern im Sinne der Energiewende richtig vorangehen könnten, da tun Sie das nicht und da liefern Sie nicht in der angemessenen Art und Weise. Deshalb ist aus unserer Sicht dieser Gesetzentwurf zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Erhöhung der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent gilt: Das kann nicht die Herausforderung sein; die Kollegen haben es eben schon gesagt. Andere Staaten, zum Beispiel Dänemark und Finnland im skandinavischen Raum und die Niederlande, zeigen, dass es ganz andere KWK-Potenziale gibt. Wir könnten uns manche Diskussion in Deutschland ersparen, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Diese Diskussion könnte man sich sparen!) wenn wir eine ambitionierte KWK-Politik machen würden. Aber das kriegen Sie nicht hin. Ich sage Ihnen auch, warum Sie es nicht hinkriegen: Sie hängen nach wie vor an dem Bild der alten 1 000-Megawatt-Blöcke, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Komm, hör auf!) die Sie auf dem Rübenacker in Betrieb nehmen wollen. (Klaus Breil [FDP]: So ein Unsinn! Das hat kein Mensch gesagt!) Das haben auch eben die Redebeiträge gezeigt. Sie haben es nicht begriffen. Sie wollen weder bei der Photovoltaik noch bei der Kraft-Wärme-Kopplung, dass die Menschen ihren Strom selber im Keller oder auf dem Dach erzeugen und das selber dezentral und autonom in die Hand nehmen. Sie folgen nach wie vor dem alten Bild der Energiekonzerne. Genau das ist das fundamentale Problem bei der Umsetzung der Energiewende, weshalb Sie sie auch vor die Wand fahren werden. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Oliver Krischer. – Als Nächster für die Bundesregierung der Parlamentarische Staats-sekretär Hans-Joachim Otto. Bitte schön, Herr Staats-sekretär. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Krischer, ich habe Ihrer Rede wie immer sehr aufmerksam zugehört. Ich habe ein intellektuelles Problem: Sie bescheinigen uns, dass wir das Richtige tun, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu wenig!) finden dann aber nur mäkelnde Worte, und am Ende des Weges lehnen Sie den Gesetzentwurf ab. (Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] hält ein Schriftstück hoch) – Ja, der Entschließungsantrag. Meine Damen und Herren, dies ist ein guter Tag für die Energieversorgung und die Energiepolitik in Deutschland. Mit der vorliegenden Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes wird ein sehr wichtiger Baustein der Energiewende vollzogen. Wir hatten eben eine Aktuelle Stunde. Sie alle erinnern sich sicherlich noch: Von allen Oppositionsfraktionen wurde die Behauptung aufgestellt, bei der Energiewende geschehe nichts. Hier liegt ein Gesetzentwurf vor, bei dem sogar Herr Krischer sagen muss – es muss ihm schwergefallen sein –, dass das Vorhaben richtig ist; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Schritt in die richtige Richtung!) es komme nur zu spät, und es gehe noch um Details. Wir sind uns alle einig: Kraft-Wärme-Kopplung ist eine Erfolgsstory. Kraft-Wärme-Kopplung hat den höchsten Effizienzgrad bei der Wärme- und Elektrizitätsversorgung. Sie brauchen uns davon nicht zu überzeugen. Diese Bundesregierung tut etwas. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Warum hat das so lange gedauert?) – Das mag ja sein, lieber Herr Kollege Hempelmann. Lieber spät als gar nicht. Ich darf daran erinnern: Auch die Opposition hat die Möglichkeit, Änderungsanträge vorzulegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch gestellt! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf ist vernünftig. Er ist in der Anhörung von der Branche und den Betreibern in einer Weise gelobt worden, dass ich es als kleinliches Manöver empfinde, dass Sie jetzt sagen, wir hätten dieses und jenes nicht berücksichtigt. Wenn sogar die Fraktion Die Linke uns zubilligt, dass dieser Schritt richtig und notwendig ist, um die Energiewende zu vollziehen, dann ist an dieser Stelle auch Anlass, auf Gemeinsamkeiten bei der Energiewende hinzuweisen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Alle Fraktionen dieses Hauses haben gesagt: Wir machen uns auf den ambitionierten Weg, die Energiewende zu vollziehen. Die Kraft-Wärme-Kopplung ist ein Beispiel dafür – ich bedanke mich für differenzierte Beiträge insbesondere des Kollegen Hempelmann –, welche notwendigen Schritte jetzt zu gehen sind, um die Energiewende zu vollziehen. Jedem von uns muss klar sein, dass es mit dem Abschalten der Kernkraftwerke nicht getan ist. Vielmehr müssen wir einen langen Weg gemeinsam beschreiten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen jetzt ein!) Wir haben nun einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Dieses Gesetz ist richtig und wird uns voranbringen. Es stellt zugleich eine Aufforderung und eine Einladung an die Oppositionsfraktionen dar, in der Energiepolitik eine nationale Herausforderung zu sehen und hier nicht herumzumäkeln. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen – ich erinnere nur an die Behandlung der EEG-Novelle im Bundesrat; das geht übrigens auch an die Adresse einiger CDU-Ministerpräsidenten –: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Es kann nicht angehen, dass wir alle die Energiewende als gut und richtig befürworten und bereit sind, den entsprechenden Weg zu beschreiten, dass aber dann, wenn die notwendigen Maßnahmen zur Verabschiedung anstehen, an der einen oder anderen Stelle kleinlich herumgemäkelt oder sogar blockiert wird. Ich fasse zusammen: Erstens. Die Novelle zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ist eine goldrichtige Maßnahme. Wir sind auf dem richtigen Weg. Alle fünf Fraktionen dieses Hauses haben zugebilligt, dass dieses Gesetz jedenfalls im Kern richtig ist. Zweitens. Der Geist der Zusammenarbeit bei der Energiewende, dieses enge Zusammenstehen, wird auch in den nächsten Monaten und Jahren erforderlich sein. Sonst werden wir das nicht schaffen. Dieser Appell geht nicht nur an die Fraktionen dieses Hauses, sondern auch an die verehrten Damen und Herren des Bundesrates. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Aber ihr wollt doch nur eine volle Zustimmung! Ihr wollt doch keine Zusammenarbeit! Ihr geht doch nicht auf uns zu!) Lieber Herr Hempelmann, abschließend will ich sagen: Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass wir – das müssen Sie doch zugeben, wenn Sie ehrlich sind –, wenn wir jetzt keine konsequente Regelung für die Solarvergütung finden – das ist dringend erforderlich –, keine Spielräume mehr haben. Dann werden die gesamten Kosten der Energiewende den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgebürdet. Deswegen appelliere ich anlässlich eines Gesetzes, das große Zustimmung des Hauses und vor allen Dingen außerhalb des Hauses erfährt, für mehr Gemeinsamkeit bei der Energiewende. Lassen Sie das kleinliche Gezänk! Sehen Sie in der Energiewende eine nationale Aufgabe, die wir zu erfüllen haben! Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Franz Obermeier. Bitte schön, Kollege Franz Obermeier. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Leider reichen meine acht Minuten Redezeit nicht, um alle Falschaussagen der Opposition in dieser kurzen Debatte zu korrigieren. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich werde mich trotzdem bemühen, ein paar Dinge wieder ins Lot zu bringen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ich habe schon gedacht, Sie wollten eine Zugabe des Präsidenten. (Heiterkeit) Franz Obermeier (CDU/CSU): Das wäre auch nicht schlecht. Mindestens eine Minute bräuchte ich dazu. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir mal acht Minuten hätten!) Ich glaube, dass die Entstehungsgeschichte des parlamentarischen Verfahrens der Novelle zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ein gutes Beispiel dafür ist, wie sich die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung die einzelnen Schritte in der Energiewende vorstellen. Ich stelle fest, dass wir im gesamten Verfahren die Kritik der Opposition sehr wohl aufgenommen und ihre Vorschläge teilweise realisiert haben. In den kommenden Monaten werden wir Schritt für Schritt die Gesetze beschließen, die wir brauchen, um die Energiewende zu einem Erfolg zu führen. Ironie des Schicksals ist, dass die Opposition in der Debatte über den vorangegangenen Tagesordnungspunkt noch die Regierung kritisiert und behauptet hat, es sei absoluter Stillstand eingetreten – es hat gerade noch die Forderung nach dem Rücktritt der Bundeskanzlerin gefehlt –, während wir nun im darauffolgenden Tagespunkt in zweiter und dritter Lesung ein enorm wichtiges Gesetz, nämlich die KWK-Gesetzesnovelle, verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Endlich, nach zweieinhalb Jahren!) – Auf den Einwand „endlich“ will ich nur Folgendes sagen: Zehn Monate ist es her, dass die Energiewende beschlossen wurde. (Zurufe von der SPD: Welche? – Welche meinen Sie? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben vor zwei Jahren genau das beantragt!) Jetzt kommt permanent der Vorwurf der Opposition, dass wir alles verschlafen und dass wir handlungsunfähig sind. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das sagt Seehofer auch!) Sie können sich darauf verlassen, dass diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen tagtäglich an Lösungsansätzen arbeiten. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Tag und Nacht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon merkt man aber nichts!) Wir werden in den nächsten Monaten Gesetz um Gesetz vorlegen. Wir werden mit Ihnen die Dinge entwickeln, weil die Energiewende tatsächlich eine Revolution ist und weil wir die Energiewende nur dann erfolgreich gestalten können, wenn wir über die Parteigrenzen hinweg die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will noch ganz kurz auf einige technische Dinge eingehen. Rolf Hempelmann hat schon herausgestellt, dass das besondere Merkmal der Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen die Flexibilität ist. Diese Flexibilität ist mit dem zunehmenden Ausbau der volatilen erneuerbaren Energien von eminenter Bedeutung. Dazu muss man aber der verehrten Öffentlichkeit auch erklären, dass diese Flexibilität durch den Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nicht umsonst zu haben ist. (Rolf Hempelmann [SPD]: Genau!) Die Investitionen, um diese Flexibilität zu erreichen, sind erheblich. Deswegen ist es sehr wohl gerechtfertigt, Aufschläge auf den produzierten Strom zu beschließen. Die Flexibilität muss die Kraftwerke in die Lage versetzen, dass sie zwischen Stromführung und Wärme-führung wechseln können. Sie müssen weiterhin eine -spezielle Förderung für die Schaffung von Speicherkapazitäten erhalten. (Rolf Hempelmann [SPD]: Deswegen machen wir ja Verbesserungsvorschläge! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen brauchen wir einen Flexi-Bonus!) Ich will auf den Kritikpunkt eingehen, dass die Förderung bei den Speicherkapazitäten, also den Behältern, zu gering sei. Ich kann das Ganze nicht so richtig nachvollziehen; denn wir haben eine Obergrenze bei der Investitionssumme von 5 Millionen Euro. Wenn ich die Summe durch die spezifische Förderung teile, dann komme ich auf eine Kapazität der Wärmebehälter von 20 000 Kubikmetern. Verehrte Opposition, der wesentliche Unterschied zwischen Ihnen und den Koalitionsfraktionen bei der Novelle zur Kraft-Wärme-Kopplung besteht darin, dass wir sehr wohl ein Augenmerk darauf richten, wie das Ganze bezahlt werden kann. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das interessiert uns auch sehr!) Es ist doch von entscheidender Bedeutung, dass die Bürgerschaft nicht durch die Mehrkosten überfordert wird. Das bitte ich in die Überlegungen einzubeziehen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Der größere Speicher ist aber tendenziell sogar billiger!) Die Zuschlagserhöhungen für die Zertifikate wurden nicht erwähnt. Die sind jetzt mit aufgenommen worden. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr Weg ist teurer!) Dann möchte ich auf Herrn Krischer eingehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werde ich lang gemacht!) Lieber Herr Kollege, Sie haben wortwörtlich gesagt, für die kleinen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen täten wir gar nichts. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Da bitte ich doch, einen Blick in das Gesetz zu werfen. Ich bitte, nachzusehen; (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er gemacht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auswendig gelernt!) dann wird sich herausstellen, dass Ihre Aussage total falsch ist. In der schwierigen Frage der Energiewende sollte auch die Opposition etwas genauer hinsehen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt erklären Sie es mir! Warum ist es falsch?) Sie halten uns vor, dass wir im Geiste noch immer an den 1 000-MW-Kraftwerksblöcken hängen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch, was Sie tun! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zitieren Sie doch mal die Passage! Das ist eine allgemeine Kritik! Das geht so nicht!) Lieber Herr Kollege Krischer, wenn ich Ihren Antrag anschaue, stelle ich fest, dass alle Maßnahmen, die Sie fordern, auf deutliche Mehrkosten für den Bürger hinauslaufen. Wir müssen der Öffentlichkeit sagen, dass die Politik der Grünen dazu führt, dass das Ganze enorm viel kostet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir bekommen das günstiger hin als Sie! Da sind wir sicher!) Kolleginnen und Kollegen, wir fördern nicht nur die Wärmespeicher stärker, sondern auch die Wärmenetze. Bei den Wärmenetzen erhöhen wir die Förderung auf 30 Prozent; der maximale Förderbetrag je Projekt wird auf 10 Millionen Euro angehoben und damit verdoppelt. Auch da kann man sagen: Warum vervierfachen wir das Ganze nicht? Oder: Warum hängen wir nicht noch ein paar Nullen dran? – Es ist schwierig, die Dinge herüberzubringen, wenn es so viel Geld kostet. Zum Schluss. Die Kraft-Wärme-Kopplung wird einen wesentlichen Beitrag zur effizienten Nutzung von Ressourcen leisten. Wir, CDU/CSU und FDP, werden unseren Beitrag dahin gehend leisten, dass wir eine gute Weiterentwicklung sowohl bei der Kraftwerkstechnologie als auch bei der Klein-KWK-Technologie ermöglichen. Ich stimme zu, dass die Klein-KWK eine ganz wesentliche Rolle spielen wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie tun trotzdem nichts!) Wenn ich das Gutachten, die Evaluation, richtig gelesen habe, würden wir ohnehin auf einen Anteil des KWK-Stroms von 20 Prozent kommen. Mit diesen Verbesserungen sind die Aussichten hervorragend, dass wir unser Ziel erreichen, den Anteil des KWK-Stroms in den Netzen bis 2020 auf 25 Prozent zu steigern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Franz Obermeier. Ich schließe nun die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9617, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/8801 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9618. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9749. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Iran: Sanktionsspirale beenden – Kriegsgefahr stoppen – Neuen Anlauf zum umfassenden Dialog wagen – Drucksache 17/9065 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat nun für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jan van Aken. – Bitte schön, Kollege Jan van Aken. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Genau in diesen Minuten finden in Bagdad die Gespräche mit dem Iran über das Atomprogramm statt. Ich glaube, man kann gar nicht überbetonen, wie wichtig ein Erfolg dieser Gespräche ist. Es geht hier im Moment um Krieg oder Frieden. Im Moment steht immer noch die Drohung im Raum, dass die iranischen Atomanlagen bombardiert werden. Wenn das passiert, dann kommt es ganz sicher zu einem Flächenbrand in der ganzen Region, den kein Mensch mehr kontrollieren kann. Diesen Krieg müssen wir unbedingt stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte vorab auf die Faktenlage eingehen. Es geht um den Vorwurf, dass der Iran im Moment an der Atombombe baut. Der Hintergrund dafür ist dieser Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation, IAEO, aus dem letzten November. Ich habe mir diesen Bericht genau angesehen. Ich muss dazusagen: Ich selbst habe früher bei den Vereinten Nationen als Biowaffeninspektor gearbeitet. Ich selbst habe solche Berichte geschrieben. Ich habe mir diesen Bericht von vorne bis hinten durchgelesen, jedes einzelne Wort, und ich kann Ihnen versichern: Er enthält kein einziges Wort über ein aktuelles Atomwaffenprogramm des Iran, nichts. Er enthält sehr viele Fakten – ich bezweifele sie nicht –, die sich alle auf ein Atomwaffenprogramm im Iran vor dem Jahr 2003 beziehen. Dieser Bericht selbst besagt: Dieses Programm wurde im Jahr 2003 eingestellt. Für die neun Jahre danach bis hin zur Gegenwart besagt dieser Bericht: Es gibt aktuell keinen Hinweis auf ein iranisches Atomwaffenprogramm. Der Leiter der IAEO war hier in Berlin. Als wir ihn nach einem solchen Programm gefragt haben, hat er gesagt: Nein, die IAEO hat keine eigenen Hinweise darauf, dass im Iran in den letzten neun Jahren versucht wurde, Atomwaffen herzustellen. Das deckt sich mit der Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste. Auch sie sagen: Wir glauben, das iranische Atomwaffenprogramm wurde 2003 eingestellt. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen sie nicht!) Das sind die Fakten. Ich weiß, Sie haben sämtliche Überschriften in der Weltpresse im November gelesen. Dort hieß es: Der Iran steht kurz davor, die Atombombe herzustellen. – Das stimmt alles nicht. Ich glaube, Sie sollten diesmal weniger der Presse, sondern mehr dem Bericht der IAEO glauben. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage ist natürlich: Was heißt das jetzt für die aktuelle Politik? Natürlich ist das Misstrauen gegenüber dem Iran berechtigt. Dieses Misstrauen habe ich auch. Andersherum gilt natürlich ebenfalls: Das Misstrauen des Iran gegenüber dem Westen ist berechtigt. Auch dafür gibt es viele Gründe. Wenn wir aus dieser Situation herauskommen wollen, wenn die Gespräche ein Erfolg sein sollen, dann brauchen wir eine Wiederherstellung des Vertrauens auf beiden Seiten. Das Falscheste, was man im Moment machen kann, was die Bundesregierung macht – wo ist eigentlich ein Vertreter des Außenministeriums? (Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär: Kommt! Ist unterwegs!) Offensichtlich ist die Bundesregierung bei dieser Iran-Debatte nicht vertreten –, ist, die Sanktionen immer weiter zu verschärfen. Ich verweise auf das für den Sommer geplante Ölembargo und darauf, dass alle Finanztransaktionen gegenüber dem Iran eingefroren werden sollen. Damit schrauben Sie die Sanktionen auf den höchstmöglichen Stand überhaupt. Glauben Sie, Sie können damit Vertrauen schaffen? Glauben Sie, Sie können damit Gespräche zum Erfolg führen? Wer jetzt das Argument äußert: „Na ja, ohne den Druck wäre der Iran überhaupt nicht gesprächsbereit“, der lügt sich komplett in die Tasche. Ein solcher Weg hat noch nie funktioniert, und er wird auch hier nicht funk-tionieren. Wenn man den Druck auf ein Land von außen extrem erhöht, dann wird dort – das ist doch immer so – die Wagenburg aufgebaut und setzen sich die Hardliner durch. Diejenigen im Iran, die Gespräche wollen, haben dann kaum noch eine Chance, sich durchzusetzen. Noch haben sie eine Chance. Im Moment setzen sich in Teheran wie in den USA diejenigen durch, die gesprächsbereit sind. Aber wenn Sie nicht bereit sind, die Sanktionen zurückzufahren, dann werden Sie keinen Erfolg bei den Gesprächen erzielen, dann wird es den Angriff auf den Iran geben, dann werden wir Krieg haben. Das können Sie nur verhindern, wenn Sie die Sanktionen zurücknehmen. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt ein zweites, für mich sehr starkes Argument gegen die Sanktionen. Ich würde hier heute eigentlich lieber über die Menschenrechtssituation und über den Demokratisierungsprozess im Iran reden. Vor zwei Jahren waren Millionen von Menschen in Teheran auf der Straße, um gegen Ahmadinedschad zu demonstrieren. Und jetzt? Im März waren wieder Wahlen in Teheran. Kein einziger Mensch traut sich mehr auf die Straße. Natürlich ist die Wagenburg aufgebaut. Natürlich ist der Druck nach innen jetzt so groß, dass jeder, der den Mund aufmacht, gleich ein Landesverräter ist, dem die Todesstrafe droht. Wenn Sie den Demokratisierungsprozess unterstützen wollen, auch dann müssen Sie diese Sank-tionen zurücknehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die einzige Chance, bei den Gesprächen in Bagdad in diesen Tagen sowie in den nächsten Wochen und Monaten zum Erfolg zu kommen, ist, dass sich auch die Bundesregierung bereit erklärt, Druck herauszunehmen und das vertrauensbildende Angebot zu machen: Wir nehmen die Sanktionen zurück; dafür lässt der Iran die In-spektoren in andere Anlagen hinein. – Das wäre der beste Weg zum Frieden. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Für den Iran gilt das schon jetzt. Deutschland sollte aber zum Beispiel auch nach Israel, das gerade damit droht, den Iran anzugreifen, keine Waffen mehr exportieren. Deutschland sollte auch nicht in irgendein anderes Land der Welt Waffen liefern. Ich bedanke mich bei Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege van Aken. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege -Joachim Hörster. Bitte schön, Kollege Joachim Hörster. Joachim Hörster (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Antrag der Fraktion Die Linke vom 21. März 2012 liest, der stößt auf das gesamte Friedensarsenal, das immer wieder heruntergebetet wird, ohne dass man auf die Situa-tion konkret Bezug nimmt, in der wir uns befinden. Der Iran hat 1968 den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben. Mit dieser Unterschrift hat sich der Iran verpflichtet, seine Atomanlagen im Hinblick auf friedliche Nutzung kontrollieren zu lassen. Der Iran hat in den -letzten Jahren kontinuierlich verweigert, dass diese -Kontrolle stattfindet. Er hat den Zugang zu Atomanlagen, bei denen vermutet wird, dass darin militärische Einrichtungen hergestellt werden, untersagt, hat ihn also nicht zugelassen. Die Inspektoren der IAEO sind im -Januar 2012 – das war das letzte Mal – erfolglos im Iran gewesen, weil der Iran wieder nicht zugelassen hat, dass die kritischen Anlagen besichtigt werden. Von daher liegt das Problem nicht darin, dass man mit dem Iran unbotmäßig umgeht, sondern darin, dass der Iran seine internationalen Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nicht einhält. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Das ist falsch!) Nicht mehr und nicht weniger wird verlangt, als dass der Iran diese Verpflichtungen einhält. Eine vertrauensbildende Maßnahme ist, wenn der Iran seine Anlagen öffnet, sie von den Inspektoren besichtigen lässt und nachprüfen lässt, was in diesen Anlagen geschieht. Dagegen hat sich der Iran immer gewehrt. Es ist auch nicht so, dass keine Gesprächsbereitschaft bestünde. Bereits am 14. Juni 2008 hat es einen Vorschlag von China, Deutschland, Frankreich, der Russischen Föderation, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union an die Islamische Republik gegeben, in dem in 31 Spiegelstrichen dem Iran auf unterschiedlichen Feldern Zusammenarbeit angeboten wurde, wenn man das Problem mit den Inspektionen in den Atomanlagen lösen kann. Es ist angesprochen worden eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie, in zahlreichen politischen Fragen, in wirtschaftlichen Fragen, bei der Energiepartnerschaft, in der Landwirtschaft und vieles andere mehr, was darauf ausgerichtet war, den Iran auch wirtschaftlich nach vorne zu bringen und Entwicklungsmöglichkeiten im wirtschaftlichen und industriellen Bereich zu schaffen. Auf diese Verhandlungsangebote ist der Iran nicht eingegangen; im Gegenteil: Er hat gedroht, die Straße von Hormus unpassierbar zu machen und damit den Erdöltransport durch die Straße von Hormus in die Abnehmerländer geradezu zu behindern. Wer das androht und sich jetzt beschwert, dass wegen der Nichtkontrollierbarkeit der Atomanlagen eine Sanktion kommt, argumentiert doppelbödig; denn wer dieses Mittel selbst in Anspruch nehmen will, um den Westen und die anderen Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags unter Druck zu setzen, darf sich nicht darüber beschweren, wenn ein Ölembargo zu einem ähnlichen Ergebnis führt, allerdings mit Rückwirkung vorwiegend auf die iranische Wirtschaft selbst. Niemand in dieser Region will einen Krieg haben. Niemand! Ich kenne keinen, der einen Krieg haben will. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir sind mit unserer Parlamentariergruppe in Oman, in Abu Dhabi und im Libanon gewesen und haben natürlich gefragt, wie man in den arabischen Ländern die Situation gegenüber dem Nachbarn Iran sieht. Natürlich haben sie alle Bedenken. Sie alle befürchten, dass der Iran versucht, eine Hegemonialmacht zu werden. Was sie auf alle Fälle nicht wollen, ist eine bewaffnete Aus-einandersetzung. Das ist auch die Überschrift, unter der die Bundesrepublik Deutschland seit Entstehen dieses Konflikts handelt. Die Bundesrepublik Deutschland ist einer der härtesten Verfechter einer friedlichen Lösung dieses Konflikts und ist gegen jeden Einsatz von Waffen in diesem Bereich. Das ist mehrfach verkündet worden. Deswegen gibt es auch keinen Anlass, die Bundesregierung aufzufordern, auf eine bewaffnete Auseinander-setzung zu verzichten. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sehr -richtig!) Wir wollen eine friedliche Lösung. Deswegen haben wir uns immer wieder bemüht, auch wenn es manchmal Konflikte mit Alliierten gab, mit dem Iran im Gespräch zu bleiben. Wir sind der Auffassung, dass dieser Weg fortgesetzt werden muss. Während wir hier diskutieren, finden in Bagdad Verhandlungen mit dem Iran über eine mögliche Lösung des Problems statt. Es sieht so aus, als ob man dort weiterkommt. Jedenfalls hat die IAEO ein Abkommen in Aussicht gestellt, weil man mit Teheran verhandelt habe und das entsprechend in Erwägung gezogen werde. Deswegen bin ich der Auffassung: Wir sollten jetzt, gerade in dieser Zeit, in der die Verhandlungen laufen, keine einseitigen Schritte unternehmen, die unsere Position schwächen oder den Eindruck erwecken, als sei das nicht ernst gemeint. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Jochen Hörster, es ist bekannt, dass Sie sehr schnell reden. Ich probiere es trotzdem: Der Kollege Jan van Aken möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. Sie haben Ihr Manuskript aber schon in der Hand. Wollen Sie die Frage noch ermöglichen? Joachim Hörster (CDU/CSU): Ich lasse sie natürlich zu. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Kollege Jan van Aken. Jan van Aken (DIE LINKE): Vielen Dank. – Noch einmal: Ich stimme Ihnen zu, dass das Misstrauen berechtigt ist. Aber für die heutige Debatte und die künftigen Debatten sind mir die Fakten ganz wichtig. Sie haben gesagt: Der Iran verstößt gegen seine Verpflichtung nach dem NPT, dem Nichtverbreitungsvertrag. Mich interessiert, ob Sie dafür ein einziges konkretes Beispiel haben. Sie haben gesagt, dass der Iran im Frühjahr die Besichtigung einer Anlage verweigert hat. Das ist allerdings keine Atomanlage. Nach dem NPT ist der Iran nicht verpflichtet, Parchin inspizieren zu lassen. Ich bin sehr dafür, dass Parchin inspiziert wird. Ich möchte aber bei den Fakten bleiben. Kennen Sie ein einziges Beispiel, wo die Verpflichtungen aus dem NPT nicht erfüllt worden sind? Ich muss dazu sagen: Der Iran hat das Zusatzprotokoll, das erweiterte Inspektionen zulässt, nicht ratifiziert. Daraus erwachsen dem Land keine Verpflichtungen. Es besteht nur die generelle Verpflichtung, Inspektionen von Atomanlagen zuzulassen. Die bezieht sich nicht auf Raketenanlagen. Wenn Sie das behaupten, nennen Sie mir ein Beispiel. Ansonsten bitte ich Sie, bei den Fakten zu bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Joachim Hörster (CDU/CSU): Herr Kollege van Aken, ich bemühe mich ernsthaft, bei den Fakten zu bleiben. Deswegen habe ich bei der Fülle der Einzelheiten ein bisschen Papier mitgenommen. Der Iran hat zum ersten Mal im Jahr 2006 die Inspektionen verweigert. Wenn Sie sagen, der Atomwaffensperrvertrag würde nur zulassen, dass die zivilen Einrichtungen kontrolliert werden dürfen und die militärischen Einrichtungen nicht, dann wäre genau das Gegenteil von dem erreicht, was erreicht werden soll; denn der Atomwaffensperrvertrag soll gerade verhindern, dass kerntechnische Anlagen missbraucht werden, um auch Kriegswaffen herstellen zu können. Deswegen gibt es die Kontrollen. Deswegen gibt es die Inspektionen. Der Iran muss sich fragen lassen, wenn er die Inspektionen in bestimmten Bereichen nicht zulässt, warum er das tut. Das ist eine Verletzung des Atomwaffensperrvertrages. Daran sollte man nicht vorbeireden. Herr Präsident, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Sie verzichten noch auf weitere Redezeit. Das ist angesichts des langen Tages sicher auch dankbar von allen vermerkt. Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Rolf Mützenich. Bitte schön, Kollege Rolf Mützenich. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In erster Linie schaden nicht internationale Sanktionen dem iranischen Volk, sondern eine inkompetente Regierung. Ich glaube, dass wir dies an erster Stelle sagen müssen. Herr Kollege van Aken, insbesondere Korruption, Gruppenegoismus und Repression schaden dem iranischen Volk. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde, eine solche Aussage sollte vom Deutschen Bundestag getroffen werden. Ein Land mit außergewöhnlichen Menschen und einer bedeutenden Kultur und Geschichte hat besseres verdient als diese Regierung und dieses Regime. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen will ich noch einmal sagen: Sanktionen sind kein Selbstzweck, wie Sie es hier behauptet haben. Sanktionen gehören aber immerhin zum diplomatischen Werkzeugkasten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mehrere Sicherheitsratsresolutionen auf der Grundlage von Berichten der Internationalen Atomenergiebehörde beschlossen. Diese spricht von offenen Fragen, die darauf hindeuten, dass das Atomprogramm offensichtlich keine friedliche Nutzung beinhaltet. Die Fragen beziehen sich einmal auf die Zeit bis zum Jahr 2003 – Herr Kollege van Aken, das gehört zur Redlichkeit –, aber auch darüber hinaus. Der jüngste Bericht nimmt die Entwicklung von Forschungen an einem Sprengkörper in den Fokus, fragt natürlich insbesondere – das sollten wir, die wir uns insbesondere mit Blick auf die Raketenabwehr Sorgen machen, auch tun –, warum der Iran möglicherweise weitreichende Raketen entwickelt. All das gehört zu einer redlichen Debatte. Deswegen sage ich zu den Sanktionen: Zu den Sanktionen gehören Verhandlungen und Anreize. Herr Kollege van Aken, ich hätte mich gefreut, wenn Sie gesagt hätten: Das ist der Konsens des gesamten Deutschen Bundestages. – Was tut die Bundesregierung seit 2001 denn anderes? In den Zeiten der rot-grünen Koalition ist erstmals eine solche Initiative mit den Regierungen anderer Länder entwickelt worden. Alle nachfolgenden Regierungen haben diese Vorgehensweise, das diplomatische Mittel in den Fokus zu stellen, aufgenommen, um eine notwendige Verhaltensänderung im Iran zu erreichen. Auch wir Sozialdemokraten – das haben wir von dieser Stelle aus immer gesagt, und die Zeit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder ist dafür ein gutes Beispiel – lehnen militärische Eingriffe ab. Die wirklich interessante Debatte findet derzeit in Israel statt. Sie verlieren kein Wort dazu, dass gerade israelische Wissenschaftler und Politiker sagen: Militärische Drohungen oder militärische Eingriffe führen möglicherweise genau zum Gegenteil. – Das sollten wir in dieser Debatte aber genauso betonen wie die Tatsache, dass wir diese Diplomatie benötigen. Ebenfalls übersehen haben Sie die Situation, die wir im März dieses Jahres erlebt haben. Es fand ein verbaler Schlagabtausch statt, der sich immer stärker aufgeschaukelt hatte und bei dem sich angesichts der militärischen Drohungen – nicht nur vonseiten der israelischen Regierung, sondern bis in die USA hinein – das Fenster der Diplomatie beinahe geschlossen hätte. Nach meinem Dafürhalten war es Präsident Obama, der es mit einem diplomatischen Meisterstück geschafft hat, dieses Fenster der Diplomatie für die nachfolgenden Wochen und Monate wieder für Gespräche zu öffnen. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie alles dafür unternimmt – sowohl in Istanbul, aber auch heute in Bagdad –, möglicherweise mit neuen Vorschlägen diejenigen Elemente in die Verhandlungen hineinzubringen, die wir brauchen. In diesem Zusammenhang sollten wir festhalten, dass der entscheidende Träger der sogenannten politischen Gewalt im Iran, der religiöse Führer, im März zumindest darauf hingewiesen hat, dass in diesen Verhandlungen möglicherweise ein neues Momentum liegt. Deswegen bitte ich Sie: Reden Sie nicht alles schwarz; man kann das Ganze ja in einem gewissen Sinne grauzeichnen. Nach meinem Dafürhalten haben wir zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall die Chance, uns mit friedlichen, diplomatischen Mitteln, die sich gegenseitig verstärken, aufeinander zuzubewegen. In diesem Zusammenhang ist die Bringschuld vonseiten des Iran unerlässlich, auf die offenen Fragen, die Herr Amano in dem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde angesprochen hat, entsprechende Antworten zu geben. Das habe ich eben wiederholt. Ein entscheidender Punkt ist jedoch – das ist unsere gemeinsame Haltung hier im Deutschen Bundestag –, dass wir den Iran auffordern, die Infragestellung Israels und die Leugnung des Holocaust ebenso zurückzunehmen, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denn das würde die Möglichkeit für friedliche und diplomatische Gespräche befördern. Es besteht ebenso wenig Dissens darüber, dass auch der Iran legitime Sicherheitsinteressen hat, die berücksichtigt werden müssen. Darauf deutet insbesondere die lange Geschichte hin, sowohl im Hinblick auf die Beziehungen zu den USA, aber auch innerhalb des regionalen Umfelds in den Beziehungen zu anderen, damals noch starken Ländern. Diese Hintergründe können eine Belastung für politische Gespräche bedeuten. Deswegen wäre es richtig, nicht immer wieder das Wort vom Regime Change im Munde zu führen – wie es derzeit auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf von einer Partei, die sich darum bemüht, ab November wieder den Präsidenten zu stellen, getan wird –, sondern davon abzulassen. Das würde den Weg zu konstruktiven Gesprächen ebenso frei machen wie die Idee, ein regionales Sicherheitssystem in diese Region mit einzubringen. Ich will zum Schluss meiner Rede noch auf einen aktuellen Fall in Deutschland hinweisen. Hier sollten wir uns gegenüber der iranischen Regierung, aber auch gegenüber dem Regime insgesamt positionieren: Die Bedrohung hier lebender Iraner ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Weder eine Fatwa noch eine „rechtliche Verfolgung“ gegenüber dem iranischen Musiker Shahin Najafi und die gestern stattgefundenen Demonstrationen vor der Deutschen Botschaft in Teheran sind hinnehmbar. Sie sind genauso zu verurteilen wie andere Dinge, die hier aufgekommen sind. Ich finde, dass die Bundesregierung zusammen mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen alles dafür unternehmen sollte, dass die Sicherheit des hier lebenden Iraners gewährleistet wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Rolf Mützenich. – Nun für die Fraktion der FDP unser Kollege Djir-Sarai. Bitte schön, lieber Herr Kollege. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Bijan Djir-Sarai (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, dass das wichtige Thema Iran gerade in dieser Woche auf der politischen Agenda steht und hier im Plenum behandelt wird. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Unser Verdienst!) – Ja, ja. – Damit wird deutlich, welche Bedeutung das Land in der internationalen Politik hat, nicht nur für die Stabilität in der Region, sondern auch für die Zukunft der gesamten globalen Sicherheitsarchitektur. Der vorliegende Antrag lautet „Iran: Sanktionsspirale beenden – Kriegsgefahr stoppen – Neuen Anlauf zum umfassenden Dialog wagen“. Ich habe mich sehr intensiv mit Ihrem Antrag beschäftigt. Ja, es ist sehr wichtig, einen kritischen Dialog mit dem Iran zu führen, ja, es ist sehr wichtig, die Kriegsgefahr, einen militärischen Konflikt, zu verhindern. Die Sanktionsspirale beenden – das hat der Iran selbst in der Hand. Die Sanktionen können aufgehoben werden, wenn der Iran die richtigen politischen Schritte macht (Zuruf von der FDP: So ist es!) und wenn er das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zurückgewinnt. (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) Machen Sie sich einmal klar, in welcher Lage wir uns zu Beginn des Jahres befanden. Noch nie war die Gefahr einer militärischen Eskalation am Persischen Golf so präsent. Der internationalen Gemeinschaft blieb keine andere Möglichkeit, als einen Militärkonflikt mit allen Mitteln zu verhindern. Ein Militärkonflikt zwischen -Israel und Iran wäre eine Katastrophe für den gesamten Nahen und Mittleren Osten. Ein Krieg dort hätte für die gesamte Region dramatische Konsequenzen und einen starken negativen Einfluss auf die Entwicklung in der arabischen Welt. Auch unser Engagement in Afghanistan wäre übrigens gefährdet. Wir müssen eines sehen: Die Sanktionen waren und sind Notwendigkeiten der Realpolitik. Sie dienen dazu, dem Iran die Ernsthaftigkeit der internationalen Bemühungen um größere Stabilität und Sicherheit in der Region vor Augen zu führen. (Beifall bei der FDP) Offenbar hat der harte Kurs Wirkung gezeigt. Der Iran scheint derzeit offener und verhandlungsbereiter zu sein denn je. Man kann natürlich immer über die Folgen von Sanktionen diskutieren. Es ist klar, dass die Sanktionen den Iran hart treffen, und es ist auch völlig klar, dass die Sanktionen das iranische Volk hart treffen. Dennoch hatten wir keine andere Wahl. Der Iran ist auf dem Weg in die völlige politische und wirtschaftliche Isolation, wenn er nicht kooperiert und beim Atomprogramm nicht für Transparenz sorgt. Eine Verminderung des wirtschaftlichen Drucks zum jetzigen Zeitpunkt könnte dazu führen, dass die neue Offenheit und Verhandlungsbereitschaft des Iran erneut abflachen würden. Machen wir uns nichts vor: Der diplomatische Druck ist derzeit die beste Möglichkeit, den Iran an konstruktive Lösungen des Konflikts zu binden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat immer betont, dass sich die Herausforderungen nicht allein auf die Atomfrage beschränken. Das haben wir in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht. Der Iran stellt uns in doppelter Hinsicht vor Herausforderungen. Die Menschenrechtslage im Land und das iranische Atomprogramm stehen im Fokus unserer Politik. Es ist anscheinend nötig, das immer wieder zu erklären. Als Vorsitzender der Deutsch-Iranischen Parlamentariergruppe komme ich gelegentlich mit iranischen Abgeordneten ins Gespräch. Eines mache ich dabei immer deutlich: Für uns sind Menschenrechte – das sage ich bei allen Gesprächen, das sage ich auch in Teheran ganz offen – universell und unteilbar. Wo immer Menschenrechtsverletzungen stattfinden, ist es unsere Aufgabe, nicht wegzuschauen, sondern diese zu kritisieren und auch die konkreten Probleme zu thematisieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Der Streit um das Atomprogramm und die Menschenrechtslage im Land hängen zusammen. Die internationale Gemeinschaft fordert zu Recht mehr Transparenz und Kooperation. Der Iran gefährdet nicht nur die Sicherheit in der Region, sondern auch die gesamte globale Sicherheitsstruktur. Ja, wir zweifeln an der rein zivilen Natur des iranischen Nuklearprogramms. Immer wieder verstößt der Iran gegen internationale Regeln und Normen. Die Führung des Landes sendet widersprüchliche Signale an die internationale Gemeinschaft. So eskaliert die Situation immer weiter. Das Regime muss unbedingt seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen, damit wir es als verlässlichen Partner behandeln können. Nur wenige politische Systeme der Welt sind so vielschichtig und komplex wie das politische System im Iran. Das macht es uns häufig schwer, einzuschätzen, nach welchen Prinzipien im Iran Entscheidungen getroffen werden und vor allem, wer die entscheidenden politischen Akteure sind, die dort die harten Entscheidungen treffen. Wir haben aber immer auf Verhandlungen mit dem Iran gesetzt. Das wurde bereits im Koalitionsvertrag so festgelegt. Kompromisslösungen wurden und werden immer angeboten. Sie wurden jedoch nicht angenommen. Auch der Bericht der IAEO vom November letzten Jahres hat dies, Herr Kollege, in aller Deutlichkeit gezeigt. Als Reaktion auf das Nichteinlenken des Iran folgten eben Sanktionsmaßnahmen. Selbst wenn alle Flüsse dieser Welt einmal zusammenkommen, wie der persische Dichter sagt: Solange der Iran eine vollständige Kooperation und Transparenz verweigert, können diese Sanktionen auch nicht beendet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan van Aken [DIE LINKE]: Nennen Sie das Verhandlungen?) Sobald der Iran weitere Kooperation signalisiert – das muss man genauso deutlich sagen –, können die Sanktionen jederzeit beendet werden. Wir hoffen weiterhin auf einen Dialog mit dem Iran und auf eine friedliche Klärung der Nuklearfrage. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung machen, Herr Kollege van Aken. Die Diskussion und der Konflikt der internationalen Gemeinschaft mit dem Iran sind hart. Es ist aber richtig, gegenüber der iranischen Regierung hart zu bleiben. Jedoch wäre es falsch, meine Damen und Herren, den Iran selbst und vor allem das iranische Volk zu dämonisieren. Im Iran leben heute Millionen gut ausgebildete und weltoffene junge Frauen und Männer. Es ist die Entscheidung der Iraner selbst, in welchem System sie leben wollen. Diese Entscheidung können und wollen wir nicht für sie treffen. Im Iran gibt es heute aber bereits eine Zivilgesellschaft, von der viele Länder in der arabischen Welt noch weit entfernt sind – übrigens auch viele Länder, die wir inzwischen als strategische Partner bezeichnen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Eine kluge Außenpolitik bedeutet daher, Instrumente zu entwickeln, damit diese große Kulturnation wieder in die Mitte der internationalen Gemeinschaft zurückkommt und sich nicht durch Isolation weiter radikalisiert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege Djir-Sarai. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Kerstin Müller. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin Müller. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie in den vergangenen zehn Jahren war im Hinblick auf den Iran – das muss man sicher sagen – die Gefahr einer militärischen Eskalation so groß. Wie andere hier verfolge ich das schon seit vielen Jahren. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass die aktuellen Gespräche zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates sowie Deutschland hoffnungsvoll stimmen, weil sie in substanzielle Verhandlungen münden können. Sie werden allerdings von den schärfsten Sanktionen durch die USA, Kanada und die EU begleitet, die jemals verhängt wurden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ausgerechnet in der jetzigen Situation, wo der Double-Track-Ansatz – also der zweigleisige Ansatz – der internationalen Gemeinschaft aus Sanktionen einerseits und Gesprächsangeboten andererseits doch ganz offensichtlich Wirkung zeigt, (Jan van Aken [DIE LINKE]: Sie träumen!) fordern Sie, die Sanktionen ohne Gegenleistung aufzuheben. Ich meine, dass das völlig kontraproduktiv wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Warum ist Ihrer Meinung nach der Iran an den Verhandlungstisch zurückgekehrt? Ich glaube – so hart das klingen mag –, weil die harten Finanz- und Ölsanktionen das Regime in Teheran ganz offensichtlich schwer unter Druck setzen. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Sie träumen, Frau Müller!) – Nein, ich träume nicht. – Sie sagen nicht, was der Iran denn für einen Grund hätte, an den Verhandlungstisch zu kommen, und machen keinen einzigen Vorschlag dazu. Welchen Grund gäbe es denn? Sie sind – so steht es in Ihrem Antrag, ich habe ihn sehr genau gelesen – ja sogar der Auffassung, dass es keinen Grund für Verhandlungen gibt, weil gar nichts passiert ist. Die IAEO habe seit 2003 gar keine Hinweise auf ein Atomwaffenprogramm des Iran mehr. Das alles sei Lug und Trug, eine Erfindung des Westens, um unter diesem Vorwand quasi militärisch einen Regime Change im Iran herbeiführen zu können. Sie haben das heute nicht gesagt, aber Sie schreiben (Zurufe von der LINKEN) – hören Sie doch einmal zu, das steht in Ihrem eigenen Antrag –, wir würden uns am Vorabend des Irakkrieges 2003 befinden. Dazu muss ich sagen: Man muss schon ideologisch auf beiden Augen blind sein, um einen derart absurden Vergleich in die Welt zu setzen. Damit hat die jetzige Situation nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Das ist die Argumentationslogik Ihres Antrags. Tatsache ist, dass die IAEO seit 2003 keine neuen Beweise, keine „smoking gun“ gefunden hat. Wie aber soll die IAEO auch Beweise für oder gegen ein mögliches Atomwaffenprogramm finden, wenn sie die brisanten Anlagen nicht kontrollieren darf? Deshalb – da widerspreche ich Ihrem Antrag auch – ist die IAEO nun einmal auf Informationen und Hinweise nationaler Geheimdienste angewiesen. Es ist völlig klar: Iran hat nach dem Atomwaffensperrvertrag das Recht – einer Grünen tut es weh, das zu sagen; aber das ist so – auf zivile Nutzung der Atomenergie; aber es hat auch die Pflicht, umfassende Kon-trollen der IAEO zuzulassen, (Inge Höger [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Atomwaffensperrvertrag!) und muss deshalb endlich das entsprechende Zusatzprotokoll des Vertrages ratifizieren und umsetzen. Das sollten wir, meine ich, hier doch alle gemeinsam fordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU – Jan van Aken [DIE LINKE]: Fordern wir doch auch, oder?) – Eben haben Sie herumgeeiert. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Gucken Sie rein!) Ich bin zuversichtlich, dass die Gespräche der IAEO am Montag in eine entsprechende Vereinbarung münden. Die letzten Berichte der IAEO – diesbezüglich widerspreche ich Ihnen ausdrücklich – geben sehr wohl Anlass zur Sorge. In ihnen werden erstmals sehr klare Hinweise für eine militärische Dimension des Atomprogramms aufgeführt. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Wo?) – Ich nenne sie: zum Beispiel die Einbunkerung sensitiver Bereiche und Anlagen sowie der Ausbau des Raketenprogramms, insbesondere entsprechender Trägersysteme. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Das ist keine Atombombe!) Vor allem verfügt Iran inzwischen – das wurde hier noch nicht angesprochen – über größere Vorräte an hochangereichertem Uran – auf 20 Prozent –, und zwar in einer Größenordnung, die weit über das hinausgeht, was der Iran für den Forschungsreaktor braucht, inklusive zwei Anreicherungsanlagen und mehr als 8 000 Zentrifugen. Das hat der Iran selbst verkündet. Ich frage – das fragt auch die internationale Gemeinschaft –: Wozu das alles, wenn es um die zivile Nutzung, wenn es um ein ziviles Nuklearprogramm geht? Hinzu kommt die antisemitische Rhetorik, die Sie ebenfalls völlig ausblenden. Obwohl die meisten Experten und Think Tanks und auch die Geheimdienste zu dem Schluss kommen, dass der Iran sich noch nicht entschieden hat, ob er tatsächlich die Bombe bauen wird, gehen alle davon aus – das sage ich sehr klar –, dass er alles dafür tut, diese Option zu haben. Daher meine ich: Gerade wenn wir verhindern wollen, dass es zu einer militärischen Eskalation kommt, ist der Weg der internationalen Gemeinschaft richtig. Es muss über Sanktionen Druck ausgeübt werden, und gleichzeitig muss es substanzielle Angebote geben. Zum Schluss will ich sehr deutlich sagen: Substanziell und realistisch bedeutet, dass der Iran das Recht auf eine zivile Nutzung hat, und dazu wiederum gehört – auch das tut mir weh – das Recht auf Anreicherung auf einer niedrigen Stufe, natürlich unter der Voraussetzung umfassender Kontrolle. Diesen Weg muss die internationale Gemeinschaft gehen. Das bedeutet auch, dass, falls Iran einer solchen Begrenzung zustimmt, Brennstoffe für den Forschungsreaktor möglicherweise von außen geliefert werden können. Im Zuge eines solchen substanziellen Verhandlungsprozesses müssen die Sanktionen dann schrittweise aufgehoben werden. Ich hoffe, dass die Gespräche in Bagdad weitergehen und erfolgreich verlaufen; denn das wäre ein echter Erfolg, und das würde dazu führen, dass ein Krieg verhindert wird, den wir alle nicht wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Müller. – Nächster und letzter Redner in dieser Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Wolfgang Götzer. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Götzer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren bestehen begründete Zweifel an der ausschließlich friedlichen Natur des iranischen Nuklearprogramms. Der Iran kooperiert in dieser Frage nach wie vor nur unzureichend mit der Internationalen Atomenergiebehörde, IAEO. Diese stellte bereits im November 2011 in einem Bericht fest, dass der Iran seine Aktivitäten zur Anreicherung von Uran ungeachtet internationaler Forderungen mit Nachdruck fortsetzt und dass Hinweise auf eine mögliche militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms Anlass zu besonderer Besorgnis geben. Auch der jüngste IAEO-Bericht vom 24. Februar dieses Jahres liefert Anhaltspunkte für eine Ausweitung des iranischen Nuklearprogramms. Die EU spricht in diesem Zusammenhang von ernsten und wachsenden Bedenken hinsichtlich des iranischen Nuklearprogramms. Die Fraktion Die Linke tut diese Erkenntnisse und Bedenken lapidar damit ab, dass „die Wiener Behörde Vermutungen über ein mögliches Atomwaffenprogramm des Iran“ anstelle. Überhaupt schwingt in dem Antrag der Linken mit, dass schließlich noch gar nicht bewiesen sei, dass der Iran eine militärische Dimension seines Nuklearprogramms anstrebe. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist richtig! Das ist auch so!) Das ist Verharmlosung und Schönfärberei, und das kann nicht Grundlage einer verantwortungsvollen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Zwar hat die IAEO bisher nicht explizit die Existenz eines iranischen Nuklearwaffenprogramms festgestellt, (Jan van Aken [DIE LINKE]: Auch nicht implizit!) allerdings stuft sie die Indizien als besorgniserregend ein. Ebenso macht es der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dementsprechend hat dieser im Juni 2010 die Resolution 1929 verabschiedet, die die Grundlage für eine Reihe von Ausweitungen von UN-Sanktionen gegen den Iran darstellt. Auch die Europäische Union hat zur Umsetzung dieser und weiterer UN-Resolutionen in den letzten zwei Jahren konkrete Sanktionen beschlossen und umgesetzt. Nach Meinung der Linken führen diese Sanktionen zu einer Verschärfung des Konflikts. Das Gegenteil ist der Fall: Es handelt sich dabei, wie der UN-Sicherheitsrat in allen relevanten Resolutionen betont, um ein Mittel zur Unterstützung des Dialogs mit dem Iran. Auch der amerikanische Präsident Obama unterstrich kürzlich, dass es gerade aufgrund der Sanktionen noch Chancen für eine diplomatische Lösung des Konflikts gibt. Die Erfahrungen bei den bisherigen Verhandlungen mit dem Iran zeigen, dass dieser nur durch Druck seine Hinhaltetaktik aufgibt. Dialog und Sanktionen sind somit der richtige Ansatz, um den Iran zu einem friedlichen Einlenken im Atomkonflikt zu bewegen. Der Iran hat wiederholt – das ist heute schon erwähnt worden – der IAEO den Zugang zu atomaren Anlagen verweigert. Damit verletzt der Iran völkerrechtlich verbindliche Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und des Gouverneursrats der IAEO. Zu Recht hat die internationale Staatengemeinschaft darauf mit einer Verschärfung der Sanktionen geantwortet, aber eben nicht nur damit, sondern auch mit einem neuen Engagement im Rahmen des E3+3-Dialogs mit dem Iran. Dieser konnte nach über einem Jahr Pause am 14. April dieses Jahres in Istanbul wieder aufgenommen werden. Dabei konnte Einigkeit darüber erzielt werden, dass der Nichtverbreitungsvertrag die Grundlage für das Engagement darstellt. Basierend auf einem reziproken stufenweisen Ansatz sollen vertrauensbildende Maßnahmen erfolgen und die Einhaltung aller internationalen Verpflichtungen des Irans erreicht werden. Gestern fand in Bagdad ein weiteres E3+3-Treffen statt, das heute fortgesetzt wird. Auch wenn nach den letzten Informationen, die mir vorliegen, ein Durchbruch noch weit entfernt zu sein scheint, wollen wir hoffen, dass diese Verhandlungen über kurz oder lang in ein Abkommen mit dem Iran münden, das uns dem Ziel unserer Politik näher bringt, nämlich einer friedlichen Lösung des Konflikts. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Wolfgang Götzer. – Wir sind am Ende dieser Debatte, die ich nun auch schließen werde. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9065 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 a und b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps (EU-Leerverkaufs-Ausführungsgesetz) – Drucksache 17/9665 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes – Drucksache 17/8684 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/9645 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Dr. Carsten Sieling Björn Sänger Dr. Gerhard Schick Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist das somit beschlossen. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär, unser Kollege Hartmut Koschyk. Bitte schön, Kollege Hartmut Koschyk. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zur EU-Leerverkaufsverordnung debattieren, ist dies in verschiedener Hinsicht ein gutes Zeichen. Erstens. Es zeigt, dass wir bei der notwendigen Regulierung der Finanzmärkte in Europa in den letzten Mo-naten erheblich vorangekommen sind. Denn mit In-krafttreten dieser Leerverkaufsverordnung werden ab 1. November 2012 in ganz Europa ungedeckte Leerverkäufe in Aktien und europäische Staatsanleihen verboten sein. Zweitens. Dieser Gesetzentwurf ist – das halte ich für entscheidend – ein Beleg dafür, wie gut und richtig es war, dass wir in Deutschland mit einem nationalen Leerverkaufsverbot vorangegangen sind. Damit haben wir die Debatte auf europäischer Ebene entscheidend vorangebracht, und zwar mit ausgesprochen gutem Erfolg. Die 2010 in Deutschland eingeführten national geltenden gesetzlichen Verbote können nun zugunsten der ab November 2012 europaweit geltenden Leerverkaufsverbote ersetzt werden. Dies wird von der Bundesregierung ausdrücklich und außerordentlich begrüßt. Warum sind Leerverkaufsverbote auf europäischer Ebene so wichtig? Die Entwicklungen im Verlauf der Finanzkrise haben deutlich gezeigt, dass Leerverkaufsverbote notwendig sind, um der Spekulation auf fallende Kurse und dadurch ausgelösten übermäßigen Schwankungen von Wertpapierkursen entgegenwirken zu -können. Denn insbesondere in Krisenzeiten können Leerverkaufsgeschäfte einen sich selbst verstärkenden Kursrutsch auslösen. Leerverkaufsverbote sind ein angemessenes Mittel, um derartigen gefährlichen Entwicklungen auf den Finanzmärkten entgegenzuwirken. Es ist allerdings sinnvoll und notwendig, solche Verbote auf europäischer Ebene auszusprechen, um einheitliche Bedingungen in der gesamten Europäischen Union zu gewährleisten. Dies schafft Stabilität für die Märkte. Dies stärkt das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Integrität der Märkte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Regelungen der jetzt umzusetzenden EU-Leerverkaufsverordnung entsprechen weitgehend dem im Sommer 2010 in Deutschland eingeführten Leerverkaufsverbot. Dies ist alles andere als selbstverständlich. Denn es gab auf europäischer Ebene erhebliche Widerstände gegen eine Regelung von Leerverkaufsverboten entsprechend der deutschen Gesetzeslage. Im Ergebnis konnte sich Deutschland im Zusammenwirken mit dem Europäischen Parlament durchsetzen, und zwar mit dem jetzt gefundenen Ansatz, ungedeckte Credit Default Swaps auf Staatanleihen, die keinen Absicherungszwecken dienen, in Europa grundsätzlich zu verbieten. Wir haben in ganz Europa erfolgreiche Überzeugungsarbeit geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dies ist ein großer Erfolg, vor allem von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, der diese deutsche Lösung gegen anfängliche Widerstände der europäischen Partner nunmehr für ganz Europa durchgesetzt hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme nun zu den Einzelheiten der Leerverkaufsverordnung, die ein wichtiger Baustein einer besseren Regulierung der Finanzmärkte in Europa ist. Sie -enthält unmittelbar geltende Verbote ungedeckter Leerverkäufe von Aktien, die zum Handel an europäischen Handelsplätzen zugelassen sind, sowie von Staatsanleihen der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. Es werden Credit Default Swaps auf Staatsanleihen der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Union verboten, die keinen Absicherungszwecken dienen. Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien und Staatsanleihen sowie Credit Default Swaps auf Staatsanleihen müssen bei Überschreiten bestimmter Schwellenwerte an Aufsichtsbehörden gemeldet werden. Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien müssen beim Überschreiten weiterer Schwellenwerte auch veröffentlicht werden. Die nationalen Aufsichtsbehörden und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, ESMA, haben das Recht, in Krisensituationen weitere zeitlich befristete Transparenzvorschriften und Verbote zu erlassen. Sofern veräußerte Aktien vom Verkäufer nicht innerhalb bestimmter Fristen geliefert werden, müssen Ersatzpapiere geliefert und Strafzahlungen geleistet werden. Der Gesetzentwurf, dessen Beratung wir heute einleiten, hat folgende Bestandteile: Mit dem Ausführungsgesetz wird das nationale Recht an die Regelungen der EU-Leerverkaufsverordnung -angepasst. Hieraus folgt, dass die nationalen Leerverkaufsverbote, die Transparenzpflichten für Inhaber von Netto-Leerverkaufspositionen und das Verbot bestimmter Kreditderivate aufzuheben sind. An ihre Stelle treten jetzt die Regelungen der EU-Leerverkaufsverordnung. Um den Vollzug der EU-Verordnung in Deutschland zu gewährleisten, werden die zuständigen Behörden bestimmt. Das sind die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Börsengeschäftsführung. Zudem werden Sanktionen bei Verstößen gegen die Vorgaben der EU-Leerverkaufsverordnung geregelt. Ich möchte bewusst zu Anfang der Beratungen hier im Parlament auf den Antrag des Bundesrates zu unserem Gesetzentwurf eingehen. Nach Meinung des Bundesrates soll die Zuständigkeit für den Erlass zeitlich befristeter Leerverkaufsverbote an Börsen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht liegen. Aus Sicht der Bundesregierung soll für temporäre Verbote an Börsen jedoch die jeweilige Börsengeschäftsführung zuständig sein. Sie verfügt über die notwendigen Daten für den Erlass eines vorübergehenden Verbots an ihrem Börsenplatz, und sie kann die Entscheidung ohne zeitliche Verzögerung bekannt geben. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die neuen Regeln über Leerverkaufsverbote werden deutlich machen, dass jetzt die Schwachstellen im bisherigen Ordnungsrahmen beseitigt werden, die sich im Zuge der Finanzkrise aufgetan -haben. Das Voranschreiten der Bundesregierung in Europa, das hier im Parlament und von nationalen Finanzakteuren belächelt worden ist und als unwirksam abgetan wurde, hat sich bewährt. Es war richtig. Wir sind in Europa vorangegangen, und wir haben durch unser na-tionales Leerverkaufsverbot Maßstäbe für ein europaweites Leerverkaufsverbot gesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden und wir müssen weiter daran arbeiten, die Finanzsysteme noch robuster und stabiler zu gestalten. Sie alle wissen, dass sich derzeit wichtige Regulierungsvorhaben auf der Zielgeraden befinden. Ich nenne hier die Umsetzung von Basel III und die Einführung zusätzlicher Kapitalzuschläge für systemrelevante Banken. Auf europäischer Ebene nahezu abgeschlossen ist die EU-Verordnung zur Verbesserung der Transparenz auf den OTC-Derivatemärkten. Mit all diesen Maßnahmen kommen wir mit großen Schritten dem Ziel näher, einen stabilen, modernen und zukunftsorientierten Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte zu schaffen. Dass Deutschland hier mutig voranschreitet und Maßstäbe setzt, zeigt die Umsetzung der EU-Verordnung, die wir heute mit dem Gesetzgebungsvorhaben einleiten. Ich bitte um eine zügige Beratung und um Zustimmung im Haus zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kollege Sieling. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie sind hier stolz aufgetreten. Das habe ich selten so erlebt. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Er kann auch stolz sein!) Sie erzählen uns die Geschichte, dass Sie in einem wichtigen Punkt vorangegangen sind. Es war sicherlich richtig, zu einem solch zentralen Punkt einen Vorschlag zu machen. Im Bereich der Finanzmarktregulierung hätten wir aber eigentlich mehr als diese Einzelaktion erwartet. Es gibt viele Situationen und Bereiche, in denen Deutschland mit Vorschlägen vorangehen muss. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Auch mit all Ihrem Stolz können Sie nicht verwischen, dass es Ihnen an diesen Vorschlägen mangelt. In der Sache will ich sagen: In der Frage des Leerverkaufsgesetzes, das Sie damals eingebracht haben, haben wir als Sozialdemokraten eine kritische Haltung eingenommen. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Es wird Zeit, dass Sie es einsehen!) Wir haben ihm damals nicht zugestimmt, weil wir fanden, dass dieses Gesetz ein zahnloser Tiger blieb. Auch das, was jetzt vorliegt, ist nicht hinreichend und muss deutlich nachgebessert werden. Mein Kollege Manfred Zöllmer wird unsere Position später ausführlich benennen. Wir stehen am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens, und ich hoffe, dass wir dazu kommen, dass es im Rahmen der Beratungen zu deutlichen Verbesserungen kommen wird, damit gerade die in der Tat gefährlichen Leerverkäufe wirksam ausgeschlossen werden. (Zuruf von der FDP: Weswegen lehnen Sie es ab? – Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind gegen alles und wollen mehr!) Das brauchen wir für die Stabilität in Europa und in Deutschland. (Beifall bei der SPD) Ich möchte mich auf den Gesetzentwurf konzentrieren, zu dem Sie nichts gesagt haben, Herr Staatssekretär. Das ist insofern verwunderlich, als dies der Vorschlag ist, der heute in diesem Parlament in zweiter und dritter Lesung abschließend behandelt wird. Er betrifft die Änderung des Börsengesetzes, in dem – insbesondere bezogen auf den Anlegerschutz, aber auch auf Neuregelungen bei der Bankenabgabe – unterschiedliche Elemente behandelt werden. Das ist ein Gesetz, bei dem es – das müssen wir als Sozialdemokraten feststellen – im Kern um eine Umsetzung der europäischen Vorgaben geht. Man darf der Regierung attestieren, dass sie dabei keine großen handwerklichen Fehler gemacht hat. Das freut uns; denn das ist nicht die Regel. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen und haben uns im Finanzausschuss auch so verhalten. Das liegt daran, dass es im Rahmen der Beratungen einige Veränderungen gegeben hat, die durchaus von Bedeutung sind, auch wenn es insgesamt ein eher verwaltungsbezogenes Vorhaben ist, das umgesetzt werden muss. Ich will auf zwei Punkte hinweisen: Erstens. Nach den EU-Vorgaben war es unklar, wie die kommunale Ebene, also die Städte und Gemeinden, bei Kreditvorgängen behandelt werden. Es bestand durchaus die Gefahr, dass sie wie professionelle Anleger behandelt werden, also genauso wie große Geschäftskunden und nicht so wie Privatanleger. Wir sind dafür eingetreten, dass die Kommunen wie Privatanleger behandelt werden, damit sie einen erweiterten Schutz erhalten. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das war keine Änderung, Herr Sieling! – Björn Sänger [FDP]: Das stand nie zur Diskussion!) Ich will ganz deutlich sagen, dass wir sehr zufrieden damit sind, dass wir hier einen Konsens hatten und dass im Rahmen dieses Gesetzesvorhabens ein entsprechender Vermerk gemacht wurde; denn wir wollen nicht, dass so etwas wie in Pforzheim noch einmal passiert. Diese Kommune hat Zinsswap-Geschäfte abgeschlossen, die zu einem gewaltigen Verlust in Höhe von 56 Millionen Euro geführt haben. Das ist eine Entgrenzung der Finanzmärkte, die eingeschränkt werden muss. Ein kleines Stück dafür wird mit diesem Gesetzentwurf geleistet. Darüber bin ich sehr froh. (Beifall bei der SPD) Zum zweiten Punkt, der sich positiv entwickeln wird. Dieser zweite Erfolg – jedenfalls gibt es dazu eine entsprechende Vereinbarung – geht auf eine Anregung des Bundesrates zurück, mit der eine problematische Situation geheilt werden soll. Ich will das hier auch in der -Öffentlichkeit sehr deutlich sagen: Die Koalition hat uns zugesagt, dass sie beim nächsten Änderungsverfahren – auch noch in diesem Jahr – mit dafür sorgen wird, dass die Haftung für ein Fehlverhalten der Börsen zukünftig nicht mehr bei den Ländern liegt – so ist es nämlich -bislang –, sondern die Börsen selbst haften. Das ist gerade für die Absicherung der Länder ein wichtiger Punkt. Diesen Wunsch des Bundesrates finden wir So-zialdemokraten sehr wichtig. Ich darf abschließend sagen, dass ich mir gewünscht hätte – ich glaube, in der Anhörung ist das sehr deutlich geworden –, dass auch unterschiedliche Hinweise gerade bezogen auf den Anlegerschutz Berücksichtigung gefunden hätten. Beispielsweise führt es einfach zu Schwierigkeiten, dass Börsenprospekte in allen möglichen Sprachen veröffentlicht werden können und immer nur eine kurze Frist für einen Widerruf gilt. Wir haben dafür plädiert, und wichtige und überzeugende Sachverständige haben uns darauf hingewiesen, dass es klüger wäre, nicht einen Wust an unterschiedlichen Möglichkeiten zuzulassen, sondern zu regeln, dass Börsenprospekte nur in deutscher und maximal auch noch in englischer Sprache verteilt werden dürfen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein -Sachverständiger!) Schade, dass das nicht geklappt hat. Genauso gut hätte man das Widerrufsrecht für Anleger erweitern und zeitlich verlängern können. Dazu war die Koalition nicht bereit. Diese Punkte sind bedauerlich, aber sie halten uns trotz dieser Schatten und Schwächen nicht davon ab, diesem Gesetzentwurf am Ende zuzustimmen. Das hängt auch damit zusammen – das will ich zum Schluss sagen –, dass wir froh sind, dass es eine wichtige Veränderung bei der Bankenabgabe gegeben hat. Wir sind immer dafür gewesen, mit der Bankenabgabe nicht diejenigen zu treffen, die wichtige Aufgaben für das Gemeinwesen erfüllen. In diesem Gesetzentwurf wird eine Veränderung vorgenommen, sodass sogenannte Förderkredite von der Berechnung der Bankenabgabe ausgenommen werden. Das ist eine richtige Änderung, aber sie heilt natürlich nicht das Zentralproblem, dass diese Bankenabgabe, die Sie als Regierung eingeführt haben, ein zahnloser Tiger ist und insbesondere im Bereich der Großbanken nicht hart genug zugreift. (Beifall bei der SPD) Wir haben in diese Richtung argumentiert. Sie waren an der Stelle taub und haben nichts gemacht. Das bestätigt leider die Grundlinie Ihrer Politik, auch wenn Sie uns hier einen Gesetzentwurf vorlegen, dem wir zustimmen werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Carsten Sieling. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Björn Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und -Herren! Vor zweiundzwanzigeinhalb Monaten haben wir die nationale Regelung zum Leerverkaufsverbot hier in diesem Hause debattiert. Lieber Kollege Sieling, die SPD hat uns damals eine mangelnde internationale Abstimmung vorgeworfen (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist -richtig!) und dann ihre Zustimmung verweigert, indem sie diese sehr gute Regelung abgelehnt hat. Ich fand das Geeiere hier an diesem Pult vor wenigen Minuten schon sehr bemerkenswert, weil wir heute eine EU-Regelung beraten, die fast eine Eins-zu-eins-Umsetzung des deutschen Rechts auf EU-Ebene ist. Ich finde, das ist ein ganz großartiger Erfolg dieser christlich-liberalen Koalition. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben in Deutschland weitere wegweisende Gesetze beschlossen, die kurz vor einer Übernahme durch die EU stehen. Ich nenne hier nur das Banken-Restrukturierungsgesetz, bei dem sich die EU-Kommission und das Parlament bei der Erarbeitung einer eigenen Regelung sehr eng an unseren sehr guten Vorschlag anlehnen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich auch die Regelung zum Selbstbehalt bei Verbriefungen der deutschen Regelung entsprechend annähern wird. Warum aber ist es so, dass die EU diese Regelung übernommen hat? Die Antwort ist relativ simpel: weil sie gut ist. Sie ist gut, weil sie es schafft, einen schwierigen Spagat hinzubekommen, nämlich den Spagat zwischen guten und bösen Geschäften. Das ist bei Finanzprodukten nicht ganz so einfach, weil es nicht auf das Produkt ankommt, was gut oder böse ist, sondern auf denjenigen, der es einsetzt. Das ist so ein bisschen – das habe ich hier schon ein paarmal gesagt – wie mit dem Unimog. Der Unimog in Orange mit einem Schneeschieber vorne ist ein sehr sinnvolles Kommunalfahrzeug und wird gerne verwendet. Es gibt ihn aber auch in Olivgrün mit anderen Gerätschaften. Dann ist die Wahrnehmung dieses Fahrzeugs durch die Öffentlichkeit, durch die Gesellschaft eine vollkommen andere. Selbst da kommt es noch darauf an, wer dieses Fahrzeug fährt. (Beifall des Abg. Holger Krestel [FDP] – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Es kommt darauf an, wie das Ding eingesetzt wird!) – Natürlich, Herr Kollege von Stetten. Ich sagte es schon: Es kommt darauf an, wer es fährt und wie es eingesetzt wird. Das ist die Geschichte. Wir haben bei den Leerverkäufen den Intradayhandel zugelassen. Um mit Leerverkäufen Spekulationshürden aufzubauen, braucht man mehr Zeit. Ein Tag reicht dafür im Prinzip nicht aus. Auf der anderen Seite nutzt man die positiven Wirkungen von Leerverkäufen hinsichtlich der Liquidität. Das heißt, die liquiditätsfördernde Wirkung bleibt an dieser Stelle erhalten. Das zieht sich wie ein roter Faden – soll ich vielleicht lieber „oranger Faden“ sagen? – durch dieses Gesetz, das wir damals beschlossen haben. Der orange Unimog darf fahren, der olivgrüne bekommt bei uns keine Zulassung. Interessant bei der EU-Regelung ist der Punkt, dass es einen Zwang zum Liefern von Aktien gibt, da sonst Strafzahlungen möglich sind oder Ersatzpapiere geliefert werden müssen. Über diesen Punkt sollte man außerordentlich intensiv nachdenken. Gleiches gilt für das Petitum des Bundesrates hinsichtlich der Frage, wer denn als zuständige Behörde für entsprechende Maßnahmen zuständig ist. Ich traue den Börsengeschäftsführungen eine Menge zu. Allerdings habe ich ein Problem damit, wenn an einem Handelsplatz plötzlich Leerverkäufe verboten werden und alle anderen Handelsplätze davon unberührt sind. Da sehe ich das Risiko, dass dadurch möglicherweise ein Flickenteppich entsteht. Darüber sollten wir dann im Beratungsverfahren nachdenken und auch diesen Punkt kritisch beleuchten. Ich will auf den zweiten Punkt dieser Debatte eingehen, nämlich die Umsetzung der Prospektrichtlinie, also der Änderung des Börsengesetzes. Auch hier ist eine gute Balance zwischen der Entbürokratisierung auf der einen Seite und den berechtigten Interessen des Anlegerschutzes auf der anderen Seite gelungen. Dazu haben wir die Schlüsselinformationen jetzt übersichtlich zusammengefasst. Wir haben einige Vereinfachungen bei kleinen und Daueremissionen vorgenommen. Insgesamt handelt es sich mehr um die technische Umsetzung einer sehr eng gefassten EU-Richtlinie und weniger um ein großes politisches Projekt. Im Übrigen, Kollege Sieling, die Frage, wie Kommunen an dieser Stelle behandelt werden sollen, also etwa als Privatanleger, war nie kritisch, sondern es ist im Rahmen eines Berichterstattergesprächs lediglich klargestellt worden, wie die Verwaltungspraxis der BaFin ist. Sie war nie anders. Demzufolge muss auch nichts geändert werden. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Genau so ist es!) Darüber hinaus nutzen wir dieses Gesetz, um das eine oder andere noch glatt zu ziehen, also noch die eine oder andere Schwierigkeit zu beseitigen, beispielsweise die Frage der Regulierung der Zweitmarktfonds. Das wird im Zuge der AIFM-Umsetzung Ende des Jahres/Anfang nächsten Jahres angegangen werden. Es ist unser fester Wunsch und Wille, auch diesen Markt entsprechend eng gefasst zu regulieren. Deswegen haben wir ausdrücklich nur eine Übergangsregelung eingeführt, um zusätzliche Belastungen für die Branche zu vermeiden. Des Weiteren haben wir – der Kollege Sieling hat es bereits angesprochen – einige wichtige Änderungen bei der Bankenabgabe vorgenommen. Ich will nur die Frage erwähnen, auf welcher Grundlage der Sonderbeitrag berechnet werden soll. Mir ist an dieser Stelle wichtig, zu sagen, dass wir bestimmten Petiten nicht gefolgt sind. Es gab aus der Branche durchaus den Wunsch, bestimmte Rechtskonstrukte bei der Bankenabgabe neu zu beleuchten. Es ging um Holdinglösungen. Der Wunsch kam sehr vereinzelt aus der Branche. Man könnte fast sagen: Es ist möglicherweise nur ein Institut betroffen. Aber solange es noch keine berechnete Bankenabgabe ohne Sondereffekte gibt – ich möchte gerne erleben, wie ein Bankenabgabenjahr ohne Sondereffekte aussieht –, brauchen wir über solche Vorschläge gar nicht nachzudenken. Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Wir erleben heute die Fortsetzung einer Erfolgsstory der Finanzmarktregulierung dieser christlich-liberalen Koalition. Unser Leerverkaufsverbot hat sich in der EU durchgesetzt. Ich finde, das ist ein guter Tag für Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Nun für die Fraktion Die Linke unser Kollege Harald Koch. Bitte schön, Kollege Harald Koch. (Beifall bei der LINKEN) Harald Koch (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich auf den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Prospekt- und Transparenzrichtlinie eingehen. Die Bundesregierung betonte während des ganzen Beratungsverfahrens, der Spielraum für die Umsetzung der EU-Richtlinie sei zu eng. So macht man es sich natürlich sehr leicht. Im Gegensatz zu allen anderen Fraktionen dieses Hauses nimmt die Linke nicht alles, was uns vorgesetzt wird, schulterzuckend hin. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das haben wir ja bei Ihrer Vorsitzendenauswahl gesehen! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Bei euch muss man ja auch eher den Kopf schütteln!) Wir sind ja durchaus erfreut, dass es einige sinnvolle Regelungen gibt, beispielsweise die Aufnahme der Schlüsselinformationen in die Prospektzusammenfassung, dass Anleger im Börsenrat vertreten sein müssen und dass Wertpapierprospekte nicht seit der Veröffentlichung, sondern zwölf Monate ab Zeitpunkt der Billigung durch die Aufsicht gültig sein sollen. Doch hier fangen die Probleme schon an: Eine prinzipielle jährliche Ak-tualisierung der Prospekte erhöht den Verwaltungsaufwand, der dann wieder auf Verbraucher bzw. Anleger abgewälzt werden könnte und auch wird. In der Anhörung des Finanzausschusses stellte der Sachverständige Mattil zu Recht fest, dass der Anlegerschutz an einigen wichtigen Stellen geopfert wird, um den vollendeten Binnenmarkt zu erreichen. Die Linke kritisiert ebenfalls, dass selbst in Zeiten der Finanzkrise primär die Arbeit der Wertpapierunternehmen erleichtert wird. Das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Folgende Punkte sind aus linker Sicht problematisch: Es gibt mittlerweile einen Prospekt- und Infoblätter-dschungel, den kein durchschnittlicher Anleger durchdringen kann: Produktinformationsblatt, Vermögensanlageninformationsblatt, wesentliche Anlegerinformationen usw. Nun kommt im Wertpapierbereich noch die neue Prospektzusammenfassung inklusive Schlüsselinformation hinzu. Wer blickt da noch durch? Die Linke fordert deshalb eine Standardisierung hinsichtlich Struktur und Inhalt. Die Anleger müssen alle relevanten Informationen inklusive Gesamtkosten einheitlich in übersichtlicher Darstellung vorliegen haben. Auch in den Schlüsselinformationen sollten die Kosten, anders als der Gesetzentwurf es vorsieht, nicht nur geschätzt werden dürfen. Bedenklich ist, dass offenbleibt – wie schon Kollege Dr. Sieling festgestellt hat –, in welcher Sprache ein zugelassener Prospekt verfasst sein muss. Die erschwert zum einen die Beratung und zum anderen das Verständnis des Anlegers. Mindestens alle zentralen Informationen, nicht nur die Zusammenfassung, müssen aus meiner Sicht auch in deutscher Sprache vorliegen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) Anleger sollen zudem die Kosten für die Übersetzung von Prospekten in nichtdeutscher Sprache tragen. Dies ist doch keine Aufgabe des Anlegers und stellt eine irrsinnige Regelung dar. (Beifall bei der LINKEN) Bei Nachträgen zu Prospektveröffentlichungen besteht das Problem, dass die Frist für das Widerrufsrecht bei einem Nachtrag zwei Tage ab Veröffentlichung abläuft, nicht ab der Entdeckung des Nachtrags, sondern ab der Veröffentlichung. Sollte der Anleger ihn doch rechtzeitig entdecken, so wird er sich in so knapper Zeit kaum fachkundig beraten lassen können. Hier höhlen Sie das Anlegerrecht auf Widerruf zugunsten der Wertpapierunternehmen aus. Das ist mit der Linken nicht zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Bei den Regelungen, die festlegen, wann Angebote von der Prospektpflicht befreit werden und wann nicht, müssen wir grundsätzlich aufpassen, dass das Spiel mit den Schwellenwerten nicht zu Deregulierungen zugunsten der Wertpapierwirtschaft führt. Im Zweifel bin ich immer für einen Prospekt, um Transparenz zu gewährleisten. Daher finde ich Ausnahmen von der Prospektpflicht wie bei Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen bedenklich. Wir sind auch für den Verbraucherschutz der Mitarbeiter. Die Linke will hier die Belegschaften schützen. Auch die EU-Leerverkaufsverordnung wird hier heute in erster Lesung mitberaten. Leider fällt diese Verordnung in Teilen hinter das deutsche Leerverkaufsgesetz zurück. Die EU regelt auf satten neun Seiten, was eine Pizza Napoletana auszeichnet. Die Finanzmärkte sind dagegen immer noch unterreguliert. Dort ist nach wie vor grundsätzlich alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Herr Sänger, um auf Ihren Vergleich mit dem Unimog einzugehen: Er ist völlig richtig, weil er genau in unsere Richtung geht. Der Unimog muss zum TÜV. Genau das wünschen wir uns auch für Finanzprodukte. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss. Die EU-Leerverkaufsverordnung ist also kein großer Wurf, genauso wenig wie der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Prospekt- und Tansparenzrichtlinie, den wir aus guten Gründen ablehnen; denn für uns ist Verbraucherschutz weiterhin wichtiger als Emittentenschutz und Deregulierung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Harald Koch. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser Kollege Dr. Gerhard Schick. Bitte schön, Kollege Dr. Gerhard Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von den zwei Punkten, die nun auf der Tagesordnung stehen, möchte ich mich auf die Umsetzung der Prospektrichtlinie konzentrieren; denn wir haben noch Gelegenheit, über die rechtlichen Regelungen zu den Leerverkäufen zu debattieren. Uns liegt ein Vorschlag von der europäischen Ebene vor, der im Wesentlichen eine Vollharmonisierung vorsieht. Das heißt, wir haben nicht viele Gestaltungsmöglichkeiten. Die technische Umsetzung finden wir im Wesentlichen richtig. Es gab einzelne Dissenspunkte. Ich nenne an dieser Stelle als Stichwort „Zweitmarktfonds“. Ich will zwei Punkte aufgreifen, die zusätzlich in das Gesetz aufgenommen werden. Dabei stellt sich die Frage: Wie stark wird eigentlich eingegriffen, bzw. warum wird das eigentlich nicht gemacht? Das eine ist die Bankenabgabe. Es ist richtig, Förderkredite auszunehmen. Aber gleichzeitig müssen wir uns, wenn hier eine Änderung vorgenommen wird, fragen, was das für das Gesamtaufkommen bedeutet. Als 2009/10 erstmalig über eine Bankenabgabe geredet wurde, war sie für die Koalitionsfraktionen eines der zentralen Instrumente. Es hieß: So beantworten wir die Finanzkrise und die Frage nach der Beteiligung des Finanzsektors. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sagte im März 2010: Es wird sicherlich ein Milliardenbetrag werden. – Später erwartete man Einnahmen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Nun stellen wir fest, dass es 589 Millionen Euro sind, also weniger als die Hälfte. Wenn man nun eine weitere Änderung vornimmt, die zur Folge hat, dass die Bemessungsgrundlage noch einmal reduziert wird, muss man die Frage stellen: Wann ist denn der Fonds endlich in der Lage, seine Arbeit zu leisten, wenn die Beträge so gering sind? Ursprünglich hatte man mit 70 Jahren gerechnet. Angesichts des niedrigen Aufkommens wird es wesentlich länger dauern. Deswegen halte ich es für richtig, sich noch einmal unsere Änderungsanträge von damals anzuschauen. Wir hatten damals vorgeschlagen – das bleibt auf der Tagesordnung –, gerade große Banken zusätzlich zu belasten und insbesondere den Derivatebereich zur Finanzierung dieses Fonds stärker heranzuziehen. Unsere Vorschläge bleiben richtig. Ich bitte Sie, sie endlich aufzugreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will einen zweiten Punkt ansprechen: das Prospektrecht für Wertpapiere. Da gibt es einen wichtigen Punkt. Ja, vielleicht nerven wir Grüne damit ein wenig, aber ich glaube, wir tun es zu Recht. 2006 – ich war gerade neu im Bundestag – habe ich angefangen, mich mit dem Markt für Zertifikate, also Inhaberschuldverschreibungen, für normale Anleger zu beschäftigen. Wir Grüne haben einen Antrag vorgelegt, in dem wir deutlich gemacht haben, dass vieles schiefläuft, es sich um intransparente Produkte handelt und Kunden über den Tisch gezogen werden, weil sie nicht verstehen, was sie kaufen. Damals gab es 80 000 Produkte dieser Art in Deutschland, inzwischen sind es 800 000 – ein Markt, den niemand mehr überblicken kann. Schon 2007 hatten die Koalitionsfraktionen – damals war es die Große Koalition – zugesagt, dass wir uns im Finanzausschuss mit diesem Markt beschäftigen, auf dem es so viele Fehlentwicklungen gibt. Bis heute ist nichts geschehen. Dieses Gesetz wäre ein guter Anlass gewesen, dieses Problem substanziell aufzugreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es reicht nicht, nur den Vertrieb zu regulieren, vielmehr muss man auch an die Produkte herangehen. Ich will dazu ein Beispiel nennen: Es gab das Produkt „Bayern Relax Express-Zertifikat“. „Relax“ hört sich nach Entspannung an. Die Werbung sagte: Entspannt anlegen und bis zu 12,5 Prozent Zinsen bekommen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das muss in der Solarförderung sein!) Es handelte sich um einen Mix aus vier Aktien; unter diesen war auch die Hypo Real Estate. Die Anleger, die hier investiert haben, haben 94 Prozent ihrer Einlage verloren. Wenn sie direkt in diese vier Aktien investiert hätten, hätten sie ein Plus gemacht. Das Produkt war intransparent. Man konnte gar nicht nachvollziehen, welche Risiken es barg. Solche Produkte werden Kleinanlegern in Deutschland verkauft. Ich halte das für falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gab einmal einen kleinen Hoffnungsschimmer im Jahre 2009 bei den Koalitionsverhandlungen. Da hat nämlich der damalige finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion gesagt: Wir diskutieren das Verbot des Verkaufs bestimmter Zertifikate an Private. – Aber die FDP, der parlamentarische Arm der Finanzbranche, war dagegen und sagte: Nein, das soll man nicht tun. – Wir meinen: Es ist richtig, intransparente Produkte zu verbieten. Die FDP muss sich jetzt endlich von der CDU/CSU überstimmen lassen. Oder suchen Sie sich andere Mehrheiten, damit wir an dieser Stelle im Finanzmarkt endlich aufräumen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ralph Brinkhaus hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir -beraten hier heute zwei Gesetzentwürfe, einmal den -Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes und zum anderen den Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung der Verordnung über Leerverkäufe. Zu dem Leerverkaufsverbot hat Herr Staatssekretär Koschyk ausreichend Stellung genommen. Bemerkenswert ist in der Tat, dass deutsches Recht nahezu eins zu eins in europäisches Recht umgesetzt wird. Die zweite und dritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes scheint auf nicht sonderlich viel Kritik zu stoßen. Wenn ich die Äußerungen der Opposition dazu höre, dann stelle ich fest: Das war eigentlich recht bemüht. Insofern ist es gut und richtig, dass das Gesetz heute verabschiedet wird. Was allerdings für dieses Haus ungewöhnlich ist, ist die Tatsache, dass man ein Gesetz in erster Lesung und ein zweites Gesetz in zweiter und dritter Lesung in einer Debatte behandelt. Das hat aber einen guten Grund. Wir als Finanzmarktregulierer erhalten nämlich kaum noch Plenarzeit, und zwar deswegen, weil wir in den letzten zwei bis zweieinhalb Jahren 50 Debatten zu diesem Thema geführt und mehr als 15 Gesetze verabschiedet haben. Ich sage ganz bewusst „wir“, meine Damen und Herren. Es ist natürlich so, dass die Koalitionsfraktionen die treibende Kraft waren, aber auch die Opposition hat sich in diesen Prozess durch Entschließungsanträge, Änderungsanträge und viele Diskussionsbeiträge eingebracht. Ich möchte Ihnen einfach noch einmal kurz erläutern, was wir da alles gemacht haben. Wir haben uns mit der Systemstabilität von Banken beschäftigt. Wir haben versucht, Regelungen auf den Weg zu bringen, damit Banken weniger Fehler machen, indem falsche Vergütungsstrukturen gestoppt worden sind, indem Missbrauch bei Ratings gestoppt worden ist, indem wir bei den Leerverkäufen eingegriffen haben – schon auf nationaler Ebene. Wir haben aber nicht nur gefordert, dass weniger Fehler im Bankenbereich gemacht werden sollen, sondern darüber hinaus auch berücksichtigt, dass diese Fehler weiterhin gemacht werden. Wie wir erst vor einigen Wochen bei J. P. Morgan gesehen haben, lässt sich das nicht vermeiden. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wieso lässt sich das nicht vermeiden?) Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen die Fehlertragfähigkeit erhöhen. Erhöhung der Fehlertragfähigkeit heißt mehr Eigenkapital und mehr Liquidität. Dazu haben wir den BaselIII-Prozess auf europäischer Ebene bzw. die Umsetzung von Basel III, die CRDIV-Richtlinie, in diesem Haus begleitet, einen Entschließungsantrag dazu verfasst und der Bundesregierung eine Verhandlungsposition mit auf den Weg gegeben. Damit weniger Fehler gemacht werden und man eine höhere Fehlertragfähigkeit hat, braucht man auch mehr Aufsicht. Auch diesen Prozess haben wir in diesem Haus nicht nur begleitet, sondern auch durch Gesetze gestützt. Ich denke da an die europäische Aufsicht, an das EIOPA-Sitz-Abkommen und an die Aufsicht über die Ratingagenturen. Meine Damen und Herren, nichtsdestotrotz haben wir eines erkannt: Trotz weniger Fehler in den Instituten, trotz höherer Fehlertragfähigkeit und trotz besserer Aufsicht ist es immer noch möglich, dass Finanzinstitute insolvent werden und in den Default gehen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das sollte Ihnen zu denken geben!) Das ist auch durchaus erwünscht und richtig; denn zu einer Marktwirtschaft gehört, dass Unternehmen auch scheitern können. Deswegen haben wir das Restrukturierungsgesetz verabschiedet. In diesem Gesetz haben wir eine Möglichkeit geschaffen, zumindest große, national agierende Banken so vom Markt zu nehmen, dass nicht der ganze Markt verwüstet wird. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir haben dort noch eine offene Flanke. Wir müssen das Ganze nämlich noch für multinationale Institute organisieren. Diese Aufgabe wird momentan auf europäischer Ebene angegangen. Auch sie wird in diesem Haus begleitet. Wir haben uns aber nicht nur mit der Systemstabilität von Banken beschäftigt, sondern auch im Verbraucherschutz einiges angepackt. Wir haben Anlegerrechte gestärkt; wir haben Informations- und Transparenzrechte gestärkt – beispielsweise durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz, durch das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagerechts und durch die Umsetzung der OGAWIV-Richtlinie. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Zahnloser Tiger!) Auch da ist mehr getan worden als in den zehn Jahren zuvor. Das muss man an dieser Stelle einfach auch einmal sehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Neben diesen beiden großen Projekten, Systemstabilität und Verbraucherschutz, sind noch viele andere Projekte angepackt worden – von der Umsetzung des Veränderungsprozesses beim Internationalen Währungsfonds über EGeld und Geldwäsche bis hin zu Stellungnahmen dieses Hauses, die sehr gut und richtig waren, zur betrieblichen Altersversorgung oder Entschließungsanträgen zu den Rohstoffderivaten. Auch da ist in den letzten zwei bis zweieinhalb Jahren viel gemacht worden. Einige Projekte sind auch noch in der Mache. Sie werden uns in den nächsten zwölf Monaten beschäftigen. Dazu gehört die Vollendung der CRDIV-Richtlinie zur Umsetzung von Basel III. Das wird uns in den nächsten Wochen sehr stark beschäftigen. Wir sind dort auf europäischer Ebene in der Endphase. Dazu gehört ebenfalls ein Mammutwerk, nämlich ein völliger Paradigmenwechsel im Versicherungsbereich. Wir werden auch die Stabilität und die Sicherheit von Versicherungsunternehmen verbessern – durch die Umsetzung von Solvency II, durch die Änderung des Ver-sicherungsaufsichtsgesetzes hier in Deutschland. Wir werden auch Bereiche anpacken, die bisher überhaupt nicht reguliert wurden. Durch die Umsetzung der AIFM-Richtlinie werden wir bei Hedgefonds und alternativen Investments etwas tun. Außerdem werden wir durch die Umsetzung der Aktivitäten auf europäischer Ebene im Derivatebereich dafür sorgen, dass der Wildwuchs in diesem Bereich auf dieser Welt zumindest weniger wird. Meine Damen und Herren, alle diese Maßnahmen machen wir in einem schwierigen Umfeld, weil wir das nicht allein national verwirklichen können. Wir haben also nicht die klassische Gemengelage: Einige dich mit dem Bundesrat, und die ganze Sache ist durch. – Nein, wir müssen ganz viele Gespräche auf europäischer Ebene führen. Wir wissen auch, dass Finanzmarktregulierung primär europäisch ist. Das ist eine ganz neue Situation für den Deutschen Bundestag. Auch diese Herausforderung haben wir angenommen und uns ihr gestellt. Wir versuchen, frühzeitig Initiativen zu ergreifen, und suchen das Gespräch mit unseren Partnern in Brüssel und in London. Das Ganze geht sogar noch weiter. Der Finanzausschuss wird sich in den nächsten Wochen in die USA begeben, weil wir auch erkannt haben, dass Europa selbst zu klein ist für Finanzmarktregulierung. Wir müssen die wichtigen, die großen Initiativen auf G20-Ebene, auf der Ebene der wichtigsten Industrieländer, voranbringen; sonst wird es uns nicht weiterhelfen. Finanzmarktregulierung ist aber auch Detailarbeit. Es gibt leider nicht den großen Knopf, auf den man drücken kann, und dann wird alles gut. Deswegen ärgere ich mich immer – ganz unabhängig von der Parteifarbe –, wenn Leute behaupten: Ich habe diesen Knopf gefunden; wir führen die Finanztransaktionsteuer ein, und alles wird gut; wir machen ein Trennbankensystem, und alles wird gut. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das sagt doch auch niemand! – Gegenruf von der CDU/CSU: Genau so ist das!) Denn das ist genau das, was nicht funktioniert. Ich glaube, zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass wir den Menschen sagen: Es ist Kleinarbeit; es ist Detailarbeit. Wir werden nie mit der Finanzmarktregulierung fertig werden. Wir werden immer irgendjemanden haben, den wir durch unsere Regulierung nicht erfasst haben. Wir werden auch weiterhin vor der Situation stehen, dass Dinge schiefgehen werden. Aber ich denke, es ist wichtig, dass wir uns dieser Aufgabe trotzdem stellen und trotzdem auch solche Gesetze, die jetzt vielleicht sehr langweilig klingen, verabschieden und uns ernsthaft mit ihnen beschäftigen; denn das sind alles kleine Mosaiksteine, die dazu beitragen, dass die Finanzmärkte besser und sicherer werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt könnte ich sagen: Alles ist gut. Die Koalitionsfraktionen machen einen vernünftigen Job, die Opposition auch, weil sie ihre kritischen Verbesserungsvorschläge einbringt. Der Bundestag beschäftigt sich mit dieser wirklich wichtigen Frage. – Wenn man sich hier so umschaut, denkt man: Angesichts der Bedeutung dieses Themas könnten im Plenarsaal mehr Abgeordnete sitzen. Auf der Besuchertribüne sitzt ja eine Menge Personen. Es ist aber nicht alles gut. Wir haben durchaus noch einige Probleme zu lösen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Einige?) Bei zwei Problemen bringen wir eine Lösung zustande, und bei der Lösung des dritten Problems ist noch eine große Frage offen. Erstes Problem. Wir haben festgestellt, dass bei all den Regulierungsmaßnahmen, die ich jetzt aufgezeigt habe, irgendwo die Abstimmung fehlt. Das heißt, es gibt eine Regulierungsmaßnahme A, die gegenläufig zu Regulierungsmaßnahme B ist. Beispielsweise ist die Regulierung bei den Versicherungen nicht passgenau zu den Regulierungen bei den Banken. Deswegen ist es zu begrüßen, dass sich das Bundesfinanzministerium jetzt dieses Themas annimmt und dass wir darauf mehr als in der Vergangenheit achten. Dieses Problem, das wir in der Vergangenheit nicht gelöst hatten, bekommen wir gelöst. Zweites Problem. Wir haben bisher zu wenig darüber nachgedacht, was diese Regulierung für die Finanzmärkte an sich bedeutet. Diese Märkte werden sich verändern. Beispielsweise Versicherungen werden nicht mehr so stark Banken finanzieren, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Aber noch viel wichtiger ist: Was bedeutet diese Regulierung für die Realwirtschaft? Das heißt: Was bedeutet sie für die Produkte und für deren Preise? Werden Kommunalkredite teurer? Werden Mittelstandskredite teurer? Ich denke, wir müssen genau Obacht geben. Regulierung ist nicht kostenlos zu haben; es wird teurer werden. Aber wenn es Auswüchse gibt, dann sollten wir dort einschreiten. Die damit verbundenen Probleme bekommen wir, glaube ich, auch gelöst. Das letzte Problem birgt eine Frage, die tatsächlich noch offen ist. Diese Frage ist: Too big to fail, too connected to fail? Auf dem Markt sind Akteure, die so groß und so vernetzt sind, dass sie letztlich immer vom Steuerzahler gerettet werden müssen, damit nicht der ganze Markt verwüstet wird. Ich möchte jetzt eine Abschlussfrage stellen, die ich Ihnen heute hier nicht beantworten kann, der wir uns aber wirklich sehr intensiv widmen sollten: Ist es selbst für gute Marktwirtschaftler erträglich, dass das Scheitern eines großen und vernetzten Marktteilnehmers dazu führen kann, dass der ganze Markt zusammenbricht, oder gehört es zur Marktwirtschaft, dass jeder Marktteilnehmer, etwa nach einer Insolvenz, vom Markt verschwinden kann, dass er also nicht vom Staat gerettet werden muss? Diese Frage haben wir noch nicht beantwortet. (Harald Koch [DIE LINKE]: Wir schon!) Sie müssen wir aber beantworten. Ich freue mich auf die Diskussionen dazu. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brinkhaus, das Gute an der freien Rede hier im Bundestag ist ja, dass man all das sagen kann, was man immer schon einmal loswerden wollte; das ist wirklich gut. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das muss immer wiederholt werden! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das liegt daran, Herr Kollege Zöllmer, dass Sie nur ablesen können!) Ich werde jetzt aber zur Tagesordnung sprechen; Stichwort „Leerverkäufe“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise wurden ungedeckte Leerverkäufe vom damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück – zu Recht – untersagt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Auf Zeit! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Vorübergehend!) – Ja, sie sind untersagt worden. (Dr. Carsten Sieling [SPD], an die CDU/CSU und FDP gewandt: Er hat es verlängert! Sie haben die Verlängerung ausgesetzt!) Ihr Problem war doch, dass Sie dieses Verbot nicht verlängern wollten. Dafür verantwortlich war doch die schwarz-gelbe Koalition. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir haben gleich ein ganzes Gesetz gemacht!) – Nein, Sie haben erst einmal dieses Verbot auslaufen lassen; so ist die Geschichte. Dann haben Sie erkannt: „Wir haben einen furchtbaren Fehler gemacht“, weil das Problem ja weiter existierte. Dann sind Sie darangegangen, ein Gesetz zu machen. In dieser Reihenfolge ist das Ganze abgelaufen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Warum haben Sie denn nicht zugestimmt, als wir es gemacht haben?) – Das will ich Ihnen gleich erklären, Herr Volk. Wir Sozialdemokraten haben an diesem Gesetzentwurf kritisiert, dass ein rein nationales Gesetz in dieser Frage keinen Beitrag zur Lösung des Problems darstellt und dass das, was vorgeschlagen wurde, viel zu wenig konkret war. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir waren Vorreiter! Die anderen sind nachgezogen!) Das war unsere Kritik, und diese Kritik teilten viele Sachverständige; sie haben das in der Anhörung ebenfalls so formuliert. Die Wirksamkeit eines nationalen Verbotes von ungedeckten Leerverkäufen bewegt sich nahe bei null, da die Spekulanten jederzeit auf andere Finanzmärkte in Europa oder in den USA ausweichen können. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber Steinbrück hat es doch auch nur national verboten!) Wir haben dann hier im Haus gesagt: Wir fordern eine europäische Lösung; (Björn Sänger [FDP]: Die haben wir doch jetzt, eine gute!) denn nur eine europäische Regelung kann Wirkung entfalten. (Beifall bei der SPD) Da können wir einfach einmal sagen: Unsere Kritik hat Früchte getragen. (Lachen des Abg. Björn Sänger [FDP]) Endlich geht es darum, eine solche einheitliche Regelung in Europa umzusetzen (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir -haben sie doch angestoßen!) – wir haben sie angestoßen; in der Tat, da haben Sie völlig recht –, (Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie haben es nicht -angestoßen!) und zwar mit der europäischen Leerverkaufsverordnung, die das Europäische Parlament und der Rat auf den Weg gebracht haben. Nun sollen die entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen stattfinden. Wir werden uns intensiv mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen. Es gibt einen ganz wichtigen Aspekt, den ich gleich ansprechen möchte – der Herr Staatssekretär ist darauf eingegangen, Herr Sänger auch schon; der Bundesrat hat das in seiner Stellungnahme ebenfalls angesprochen –, und das ist die Aufteilung der Zuständigkeit für den Erlass von zeitlich befristeten Leerverkaufsverboten und von Transaktionsbeschränkungen. Auf der einen Seite soll die BaFin zuständig sein, und auf der anderen Seite soll die jeweilige Börsengeschäftsführung an den einzelnen Börsen zuständig sein. Gegen diese Struktur bestehen aus unserer Sicht sachliche und rechtliche Bedenken. Der Bundesrat hat das auch entsprechend formuliert. Das Ziel einer bundeseinheitlichen Regelung wird damit nicht erreicht. Sie sehen eine Vielzahl beteiligter Behörden vor. Eine einheitliche Entscheidung ist so nicht gewährleistet. Sie können nicht sicherstellen, dass bei einem Leerverkaufsverbot an einer Börse nicht die Situation eintritt, dass diejenigen, die Leerverkäufe tätigen wollen, an eine andere Börse ausweichen. Damit würde der gesamte Ansatz unterlaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Kritikpunkt, den wir in einer Anhörung ganz präzise untersuchen sollten; denn der Zweck des Leerverkaufsverbots, die Unterbindung der Leerverkäufe, würde mit dieser Regelung ad absurdum geführt. Das werden wir jedenfalls nicht unterstützen können. (Beifall bei der SPD) Wir werden einem solchen Gesetzentwurf nur zustimmen können, wenn es ein wirklich effektives Instrument zur Unterbindung schädlicher Spekulationen gibt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zum Tagesordnungspunkt 11 a ist interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/9665 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 b. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9645, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 17/8684 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer dem Gesetzentwurf in der -Ausschussfassung zustimmen möchte, gebe bitte ein Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die SPD angenommen; die Linke war dagegen; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rüstungsexporte kontrollieren – Frieden -sichern und Menschenrechte wahren – Drucksache 17/9412 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Für Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort der Kollegin Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor knapp einem Jahr war die Aufregung groß über die angebliche Genehmigung von Panzerlieferungen an Saudi-Arabien. Bis heute haben wir keine Antwort der Bundesregierung auf die Frage, ob es diese Genehmigung gegeben hat oder nicht und, wenn ja, warum. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie haben leider noch nicht geliefert!) Ich weiß, dass nicht nur die Abgeordneten der Opposition mit dieser Situation unzufrieden waren. So mussten Sie von den Koalitionsfraktionen Ihre Regierung für etwas verteidigen, von dem Sie gar nicht wussten, ob es überhaupt existiert. (Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Aber das wissen wir bis heute nicht!) Schön war das nicht. Aber wir haben diesen Missstand selbst zu verantworten. Unsere Aufgabe ist es schließlich, die Regierung zu kontrollieren. Eine effektive Kontrolle aber benötigt eine solide Informationsgrundlage. Wir sind aufgefordert, uns diese Grundlage als Gesetzgeber selbst zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit dem heutigen Antrag legen wir Grüne Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollgesetz vor, damit die heutigen und künftigen Regierungen ihre Entscheidungen transparent machen und begründen müssen. Erste Kernforderung ist, die Rüstungsexportrichtlinie und den Gemeinsamen Standpunkt der EU in das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz zu integrieren. Es hat sich gezeigt, dass die Selbstverpflichtung der Regierung, sich an ihre eigenen Grundsätze zu halten, leider nicht ausreicht. Wenn wir es ernst meinen mit der Berücksichtigung der Menschenrechtslage und der Gefahr innerer Repression, dann können wir diese auch in den gesetzlichen Kriterienkatalog aufnehmen und im Bundestag beschließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was den Gemeinsamen Standpunkt der EU betrifft, haben es viele unserer Nachbarn bereits vorgemacht und die acht Kriterien in ihre Gesetze übernommen. Das können wir auch. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Können es auch bleiben lassen!) In diesem Zuge wollen wir auch die Berichtspflichten verbindlich regeln. Der Rüstungsexportbericht kommt immer viel zu spät und viel zu selten. Wir wollen künftig vierteljährlich mit aktuellen und aussagekräftigen Zahlen versorgt werden. Auch hier sind uns unsere europäischen Nachbarn weit voraus. In besonders brisanten Fällen sollte der Bundestag auch vorab informiert werden, um gegebenenfalls mit Anhörungen oder Stellungnahmen auf die Willensbildung der Regierung Einfluss nehmen zu können. Der Geheimhaltungskult ist völlig überzogen und muss auf das notwendige Maß zurückgeführt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei ist eines klar: Die Letztentscheidung über die einzelne Genehmigung bleibt immer bei der Exekutive. Wir wollen kontrollieren, nicht selber entscheiden. Zur parlamentarischen Beteiligung bei Rüstungs-exporten hat die SPD-Fraktion im letzten Monat einen Antrag eingebracht, über den wir gerne reden können. Was Sie dort fordern, ist gut, reicht uns Grünen aber noch nicht aus. Wir halten es für sachgerechter, die Ressortzuständigkeit für Rüstungsexporte in das Auswärtige Amt zu verlagern. Das Auswärtige Amt kann die Situation in den Empfängerstaaten am besten beurteilen. Interessanterweise werden jetzt schon die Voranfragen bei Kriegswaffenexporten direkt an das Auswärtige Amt gerichtet. Warum? Weil die Unternehmen rechtzeitig eine inhaltliche Einschätzung mit Aussagekraft haben wollen. Die wirtschaftlichen Aspekte spielen nach den Grundsätzen nur eine untergeordnete Rolle. Dann gibt es aber keinen Grund dafür, die abschließende Entscheidungskompetenz beim Wirtschaftsministerium zu belassen. Nicht zuletzt ist eine Rüstungsexportkontrolle nur so gut, wie sie auch faktisch überprüft wird. Eine tatsächliche Endverbleibskontrolle findet allerdings bis heute überhaupt nicht statt. Die Behörden verlassen sich auf eine sogenannte Endverbleibserklärung des Exportunternehmens. Auch hier zeigen uns unsere Bündnispartner, dass es effektivere Wege gibt. Solche Verfahren wollen wir gesetzlich regeln und uns auch auf europäischer Ebene dafür einsetzen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Werden Sie mal konkreter!) Im besten Fall schaffen wir es sogar, die Exportgenehmigungen einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, indem wir in diesem Bereich Verbandsklagen zulassen. (Lachen des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU] – Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Das habt ihr ja in anderen Bereichen erfolgreich praktiziert!) Bislang können die Unternehmen gegen ablehnende Entscheidungen klagen. Die Menschenrechte sind dagegen im Verfahren durch keine Lobby vertreten. Im Bereich des Umweltschutzes haben wir vorgemacht, wie so etwas gehen kann. Ich bitte Sie eindringlich, sich Ihrer Verantwortung als Parlamentarier bewusst zu werden. Wir dürfen es nicht länger dabei belassen, jeweils die eigene Regierung gegenüber der Opposition für Rüstungsexporte zu verteidigen und umgekehrt. Auch das Parlament ist nach Art. 26 des Grundgesetzes in der Pflicht, den Frieden zu sichern. Auch wir stehen in der Verantwortung für eine restriktive Rüstungsexportpolitik. Wenn wir nicht endlich transparente Verfahren schaffen, werden wir dieser unserer Verantwortung nicht gerecht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Andreas Lämmel hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Rüstungsexporte hat uns in den letzten Monaten ziemlich oft bewegt. Wir haben im Deutschen Bundestag schon mehrfach über dieses Thema diskutiert. Auch heute werden wir keinen Erkenntnisgewinn erzielen, weil das, was Sie vorschlagen, nicht neu ist. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Und das schon am Anfang Ihrer Rede! – Klaus Barthel [SPD]: Weil Sie auf Durchzug schalten!) – Herr Barthel, warten Sie nur; wir kommen noch zu Ihrer Rolle, die Sie dabei gespielt haben. Denn zum einen – das wissen Sie auch ganz genau – bringt Ihr Antrag, den Sie heute gestellt haben, überhaupt nichts Neues. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was!) Zum anderen ist schon der Beginn Ihres Antrages grundsätzlich falsch, wo Sie den Panzerdeal mit Saudi-Arabien als besonders empörend hinstellen. Sie selbst haben in Ihrer Rede gesagt: Wir wissen gar nicht, ob dieser Deal zustande gekommen ist. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wenn man schon „Deal“ sagt!) – So steht es im Antrag der Grünen: „Deal“; ich habe nur wörtlich zitiert. Die SPD hatte auch schon einen Antrag gestellt; darüber haben wir im April dieses Jahres diskutiert. Bereits im Oktober letzten Jahres hatten wir das gleiche Thema auf der Tagesordnung. Dass dieses Thema stark emotional überlagert ist, ist uns sicherlich allen klar. Auch in der Öffentlichkeit wird heftig darüber diskutiert. Ich kann aber immer nur sagen, meine Damen und Herren von den rot-grünen Fraktionen: Wenn man die Diskussion mit falschen Fakten anheizt und in der Öffentlichkeit Vermutungen zu Tatsachen verkehrt, muss man sich über den Verlauf der Diskussion nicht wundern. Man kann es gar nicht oft genug betonen: Deutschland hat das strengste Rüstungskontrollgesetz (Jan van Aken [DIE LINKE]: Oh, oh, oh!) und hat sich selbst eine sehr strenge Beschränkung auferlegt. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Sie wissen das ja gar nicht!) Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie richtet sich bei der Genehmigung von Rüstungsexporten nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen aus dem Jahr 2000. Jetzt wollen wir doch einmal schauen, wer im Jahr 2000 die Regierung stellte. Wenn ich mich richtig erinnere, waren das die Fraktionen der SPD und der Grünen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Frau Wieczorek-Zeul!) Sie kritisieren jetzt also das, was Sie selbst gemacht haben, und sagen, es sei unzureichend. Da frage ich Sie heute: Warum haben Sie es denn damals, als Sie an der Regierung waren, nicht so ausgestaltet, wie Sie es heute fordern? (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich möchte aus diesem Gesetz zitieren: Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden grundsätzlich aus. Auch bei einem schon hinreichenden Verdacht, dass deutsche Waffen zur Unterdrückung der Bevölkerung oder zu sonstigen fortdauernden Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland missbraucht werden könnten, gibt es grundsätzlich keine Exportgenehmigung. – Die Genehmigung von Rüstungsexporten unterliegt also der ständigen sicherheitspolitischen Abwägung und erfolgt in Reaktion auf politische Ereignisse. Diese Regelungen – ich hatte es gesagt – sind von Ihnen aufgestellt worden. Sie sind weder von der Großen Koalition noch von der christlich-liberalen Koalition in irgendeiner Form aufgeweicht worden, wie Sie das jetzt behaupten. Wir richten uns also nach den Grundsätzen, die Sie aufgestellt haben. Diese Regelungen – Geheimhaltung der Beschlüsse des Bundessicherheitsrats und jährliche Publikation des Rüstungsexportberichts – gehen auf die Entscheidungen Ihrer damaligen Regierung zurück. Man kann natürlich darüber diskutieren – das gebe ich gerne zu, weil wir das nicht anders sehen –: Der Rüstungsexportbericht muss schneller ins Parlament kommen, damit man die Chance hat, die Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundessicherheitsrates relativ zeitnah nachzuvollziehen. Warum Sie die Maßnahmen, die Sie jetzt fordern – darauf werde ich gleich noch eingehen –, im Jahr 2000 nicht selbst umgesetzt haben, bleibt mir ein Rätsel. Aber ich nehme an, dass der Redner der SPD vielleicht darauf antworten wird. Man muss auch auf Folgendes hinweisen: Sie suggerieren immer, dass Deutschland Waffen vor allen Dingen in fragile Staaten oder Konfliktgebiete exportiert. Ich möchte aber hervorheben, dass über 50 Prozent aller -Exporte in die europäischen Staaten bzw. in NATO-Staaten gehen. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Und die andere Hälfte? Wo geht die hin? – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: In Nicht-NATO-Staaten!) – Immer mit der Ruhe. Die geht nicht dahin, wohin Sie gleich wieder vermuten. Sie haben mich ja nicht ausreden lassen. Die andere Hälfte geht in Entwicklungsländer. In fragile Staaten gehen weniger als 10 Prozent des gesamten deutschen Exportes. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Immer noch zu viel! – Jan van Aken [DIE LINKE]: 690 Millionen Euro!) Sie müssen sich eingehender mit der Struktur beschäftigen, um zu erfahren, was tatsächlich exportiert wird. Das hat mit Kriegsgerät zunächst gar nichts zu tun. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Saudi-Arabien ist auch kein Entwicklungsland!) Das muss man zur Kenntnis nehmen, wenn man darüber diskutiert, welche Rolle deutsche Rüstungsexporte in der Welt spielen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Keul zulassen? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wollen Sie mich fragen, warum Sie damals das Gesetz nicht entsprechend gestaltet haben? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ihre Bemerkung deute ich als ein Ja. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wer so charmant seine Redezeit verlängert bekommt!) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, Sie haben gerade über die 50 Prozent der Rüstungsexporte gesprochen, die nicht an NATO- und EU-Staaten gehen. Ich frage Sie, wie Sie das einschätzen und ob Sie wissen, dass die größten Empfänger unter anderem die Vereinigten Arabischen Emirate, Pakistan und Indien sind. Sind das nicht Staaten, die in einer Konfliktregion liegen? Sind das Staaten, die die Menschenrechte beachten? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich staune über Ihre außenpolitischen Kenntnisse. Ich bin davon ausgegangen, dass Indien ein demokratisches Land mit einem gewählten Parlament ist (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konfliktregion!) und keine Konfliktregion als solche. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Wie bitte?) Auch die Vereinigten Arabischen Emirate sind aus meiner Sicht keine Konfliktregion. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Gratulation zum Bildungsnotstand! – Jan van Aken [DIE LINKE]: Das ist der Hammer!) Ich finde, Ihre Frage ging etwas am Thema vorbei. Sie fordern in Ihrem Antrag die Abschaffung der Geheimhaltung. Das ist schon erstaunlich. Wozu braucht man den Bundessicherheitsrat? Man braucht ihn, weil man bei den Entscheidungen über Rüstungsexporte sehr viele verschiedene Gründe abwägen muss. Bei einer solchen Abwägung geht es um wichtige Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem Zusammenhang kann man nicht alle Fakten, die eine Rolle spielen, auf den Tisch legen. Unsere Verbündeten innerhalb der NATO oder im weiteren Verbündetenkreis wären wenig erfreut, wenn wir alle Fakten öffentlich diskutieren würden. Deswegen ist der Bundessicherheitsrat eingerichtet worden, und zwar durch Ihr Gesetz; das möchte ich betonen. Wir halten das für eine vernünftige Regelung; denn bei den Entscheidungen sollen alle Aspekte berücksichtigt werden. Geheime Aspekte würden bei einer öffentlichen Diskussion sicherlich nicht auf den Tisch kommen. Die Einführung von Verbandsklagen ist das tollste Experiment, das Sie uns vorschlagen. Sie führen auch noch an, dass das im Umweltrecht eine gute Erfindung gewesen sei. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ist es ja auch! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das war schon der erste Irrtum!) Das bezweifle ich. In den neuen Bundesländern wurde das Verbandsklagerecht im Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz einige Zeit ausgesetzt. Nur deswegen konnten wir innerhalb kürzester Zeit die Infrastruktur in Ostdeutschland aufbauen. Betrachtet man gerade vor dem Hintergrund der Energiewende die Situation in den alten Bundesländern, dann stellt man fest: Viele In-frastrukturbauten sind gerade deshalb nicht vorangekommen, weil die Instanzen durch eine Verbandsklage, die Sie auch für diesen Bereich fordern, alles blockieren. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist jetzt aber wirklich abwegig!) Ich kann das nicht als positives Vorbild sehen. Das ist auch der Grund dafür, dass wir kein Verbandsklagerecht in diesem Gesetz wollen. Sie sprechen in Ihrem Antrag auch den Endverbleib von Rüstungsgütern an. Man muss deutlich sagen: Das Empfängerland von Rüstungsgütern verpflichtet sich, das gelieferte Gerät nicht weiter zu exportieren. Diese Zusage des Empfängerlandes ist die Voraussetzung dafür, dass in Deutschland überhaupt eine Entscheidung getroffen wird. Zum Thema Iran. Das ist ein Beispiel für den Anfang der Kette. Daraus hat man in Bezug auf die Rüstungsexportkontrolle schnell gelernt. Nehmen wir als Beispiel die Fabrik in Saudi-Arabien, in der G 35 hergestellt werden. (Jan van Aken [DIE LINKE]: G 36!) – G 36; Sie sind Rüstungsexperte allererster Güte. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Mehr als Sie auf jeden Fall!) – Das kann schon sein. (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der -LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan van Aken [DIE LINKE]: Es ist erbärmlich, was Sie da abliefern!) Wir betrachten das eben aus wirtschaftspolitischer Sicht, da muss man nicht jeden Typ kennen. Sie sind in diesem Bereich besser drauf; ich merke das schon. Jedenfalls ist es bei dieser Fabrik so, dass die Schlüsselteile bzw. die Schlüsseltechnologien, die man braucht, um das G 36 zu fertigen, nicht mehr exportiert werden; sie bleiben in deutschem Besitz. Damit wäre die Fabrik in Saudi-Arabien überhaupt nicht mehr in der Lage, diese Geräte herzustellen. Schließlich bleibt die Frage der Ressortzuständigkeit. Das Auswärtige Amt ist – das ist überhaupt keine Frage – heute schon eingebunden. Es ist bei den Vorabfragen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz federführend. Insofern wird die Expertise des Auswärtigen Amts voll einbezogen. Das Auswärtige Amt wird auch bei der Exportgenehmigung einbezogen. Nur wenn bei einer Anfrage kein Konsens zwischen den beteiligten Häusern hergestellt wird, muss letztendlich eine politische Entscheidung im Bundessicherheitsrat getroffen werden. Der Sachverstand des Auswärtigen Amts, gepaart mit der Expertise und der Erfahrung des Bundeswirtschaftsministeriums, ist genau die Mischung, die man braucht, um solche Anträge ordentlich bewerten zu können. Unsere Einschätzung ist: Hier liegt ein klassischer Oppositionsantrag vor. Sie kritisieren im Prinzip Ihre eigene Gesetzgebung aus der Vergangenheit. Vielleicht haben Sie die Chance – wenn Sie mal wieder regieren sollten; ich hoffe, zumindest nicht in Berlin –, den Antrag selbst wieder einzubringen. Ich bin sicher, dass er auch unter einer von Ihnen gestellten Regierung nicht beschlossen werden wird. Insofern, meine Damen und Herren, hätten wir uns die Zeit heute sparen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Klaus Barthel spricht jetzt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erst einmal einen Glückwunsch an die Grünen richten, dass sie das Thema heute nicht zu nächt-licher Stunde platziert haben. Wir merken ja an Ihrer Nervosität, Herr Dr. Pfeiffer, dass es Ihnen unangenehm ist, dass dieses Thema nicht bei Nacht und Nebel besprochen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und aus der Geheimdiplomatie, soweit man hier überhaupt von Diplomatie reden kann, herausgeholt wird. Ich glaube, es gibt genügend Gründe dafür, dass wir gemeinsam mehr Transparenz und Parlamentsbeteiligung fordern. Wir haben diese Gründe auch benannt, zuletzt in den Debatten über die Rüstungsexporte vom 26. April dieses Jahres und vom vergangenen Oktober, die Herr Lämmel gerade erwähnt hat. Die SPD hat auch einen Antrag unter dem Titel „Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen“ eingebracht. Ich glaube, dafür liegen viele Gründe auf der Hand; wir benennen sie gemeinsam. Ich will aber noch einen Aspekt ansprechen, über den ich neulich gestolpert bin, als ich in der Frankfurter -Allgemeinen Zeitung eine Buchbesprechung las. Dabei ging es um das Buch eines Kenners der Rüstungswirtschaft namens Andrew Feinstein. Er schreibt in seinem Buch – ich darf aus dieser Zeitung zitieren –: Waffenhandel erfolgt in geheimem Einverständnis von Staats- und Regierungschefs, Geheimdienst-leuten, führenden Industrieunternehmen mit ihrer Spitzentechnologie, Geldgebern und Banken, Lieferanten, Mittelsmännern, Geldwäschern und Kriminellen. Der Waffenhandel, sagt er, sei darüber hinaus für mehr als 40 Prozent der Korruption im gesamten Welthandel verantwortlich. Er ist einer, der es wissen muss. Sie können auf diese Analyse so oder so reagieren, meine Herren von der Koalition. Sie können sagen: Stimmt. – Uns in Deutschland fallen dazu ein paar Namen aus vergangenen Zeiten ein. In dem Zusammenhang finden Gerichtsverfahren, Haftgründe usw. bis heute öffentliche Beachtung. Man kann sagen: So ist nun einmal die Welt. Wir müssen da eben mitmischen; denn es geht um Wachstum und Arbeitsplätze, und schließlich machen es die anderen auch. Ich will jetzt nicht von den 231 Millionen Toten reden, die uns Herr Feinstein vorrechnet. Es ist ja das Bittere, dass das immer im Hintergrund steht. Wenn man das aber einmal ökonomisch betrachtet, Herr Lämmel, dann sollte man sich schon fragen, was dieser Waffenhandel auf der Welt auslöst, ob das, was er ökonomisch kaputtmacht, nicht mehr ausmacht als das, was er an Gewinnen ermöglicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten auch einmal über die ökonomischen Schäden der damit verbundenen Korruption reden. Die Bundesregierung müsste zum Beispiel die im Jahr 2012 anstehende Überprüfung des gemeinsamen Standpunkts der EU, die schon erwähnt worden ist, zum Anlass nehmen, nachzufragen – Stichwort Verbindlichkeit –, wie es um die Einhaltung des gemeinsamen Standpunkts steht. Es ist zu fragen: Wie funktionieren die Kontrollen? Ansonsten wird doch auch alles in der EU kontrolliert. Funktioniert das bei Rüstungsexporten auch, und wie wollen wir das in Zukunft gemeinsam gestalten? Die Bundesregierung müsste einmal auf den internationalen Konferenzen, zum Beispiel zum internationalen Waffenhandelsabkommen, ATT, Druck machen. Aber davon ist nichts zu hören und nichts zu sehen. Dabei wäre das doch konsequent. Wir sind gespannt, welche Antworten Sie geben werden. Demnächst werden wir eine Anfrage dazu einreichen. Sie könnten aber auch sagen: Das stimmt nicht. In Deutschland ist alles anders. Wir haben die Rüstungs-exportrichtlinie usw. – Dann müssten Sie aber einmal erklären, warum die Bundesregierung die Rüstungsexport-richtlinie, die von Rot-Grün beschlossen wurde, immer mehr aufweicht. Das ist doch die Frage. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Quatsch! Das ist doch ein Hirngespinst!) Wenn man sich vor Augen führt, dass der weltweite Rüstungshandel in den letzten fünf Jahren um 24 Prozent zugenommen hat, aber der deutsche Rüstungsexport überproportional um 37 Prozent gestiegen ist, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch -erfreulich!) also im Wesentlichen in der Zeit, in der Sie hier Verantwortung tragen, kann man doch nicht einfach sagen: -Ursache ist die von Rot-Grün beschlossene Rüstungs-exportrichtlinie. Dahinter steckt doch vielmehr eine Veränderung, ein klammheimliches Unterlaufen dieser Rüstungsexportrichtlinie. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein!) Genau deswegen müssen wir Mechanismen einbauen. Wir müssen das besser kontrollieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sagen: „Das stimmt nicht“, dann müssten Sie erklären, wovor Sie Angst haben, wenn SPD und Grüne mehr Kontrolle und Transparenz fordern. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Sie Angst haben, weil Sie in Ihrer zwölfminütigen Rede viele Füllbausteine einbauen mussten. Wenn Sie sagen: „Das stimmt nicht“, hätten Sie doch eigentlich nichts zu befürchten. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Hat ja auch kein Mensch! – Holger Krestel [FDP]: Wir haben keine Angst! Wir haben Langeweile!) Herr Lämmel, Sie müssten einmal Ihre Argumente überprüfen. Sie haben am 26. April 2012 in Ihrer zu Protokoll gegebenen Rede die politischen Grundsätze hinsichtlich der Menschenrechte zitiert und ihnen zugestimmt. Sie müssten einmal sagen, wie Panzerexporte nach Saudi-Arabien mit den Menschenrechten und den politischen Grundsätzen zusammenpassen. Sie sprachen von Vertraulichkeit. Sie sagten, wenn ich Sie zitieren darf: Nicht jede Debatte, die wir in der Außen- und Sicherheitspolitik mit und gerade über andere Länder führen, können wir öffentlich führen. Sie müssen einmal erklären, wie Sie damit umgehen wollen, wenn die Sache mit den Panzern herauskommt, und irgendwann kommt das doch raus. Heute können Sie nichts dazu sagen, aber irgendwann stehen die Panzer dort. Dann ist es zu spät; aber dann müssen Sie diese Debatte führen. Das heißt, Sie müssen sich diesen Fragen ohnehin stellen. Wir wollen, dass der Begründungszwang für eine Regierung bei Rüstungsexporten verschärft und erhöht wird. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich reden wir hier nicht über irgendetwas, sondern über Dinge mit großer Tragweite. Wenn es um Nordafrika, Saudi-Arabien oder U-Boote geht, die an Israel geliefert werden sollen, kann man so oder so dazu stehen. Helmut Schmidt hat gesagt, er hätte die U-Boote nicht nach Israel geliefert. Diesbezüglich gibt es auch bei uns Meinungsunterschiede. Aber gerade wenn es Meinungsunterschiede gibt, ist es doch notwendig, dass man zeitnah darüber diskutiert und nicht hinterher, wenn es zu spät ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden doch gemeinsam von der Öffentlichkeit vorgeführt – das gilt auch für die Regierung –, wenn so etwas in den Medien breitgetreten wird, aber das Parlament offiziell gar nichts darüber wissen und gar nichts dazu sagen darf. Als Abgeordneter einer Koalitionsfraktion wäre es mir ein Graus, mich zu Vorgängen äußern zu müssen, von denen ich überhaupt nichts wissen darf. Herr Lämmel, Sie mussten sich gerade zu Vorgängen -äußern – vielleicht muss Herr Lindner das auch noch machen –, von denen Sie überhaupt nichts wissen dürfen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das tun Sie doch jeden Tag, Herr Barthel!) – Es geht um Vorgänge, von denen man nichts wissen darf. Ob man alles zur Kenntnis nehmen muss, ist eine Frage, über die Sie einmal nachdenken müssten, Herr Lindner. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie -äußern sich doch jeden Tag zu Sachen, von -denen Sie nichts verstehen!) Ihren Reden, Ihren Äußerungen und Ihrem Verhalten haben wir immer wieder angemerkt, dass Sie eigentlich auch wollen, dass das Parlament mehr Kontroll- und Mitspracherechte hat, und dass auch Sie denken, dass sich an der jetzigen Situation etwas verändern muss. Herr Lämmel hat zum Beispiel letztes Mal gesagt, dass er manche Vorschläge von uns durchaus charmant finde und dass der Rüstungsexportbericht zeitnäher vorliegen müsse. Bei Ihnen ist also auch ein Problembewusstsein vorhanden. Nutzen Sie doch bitte die nächsten Wochen, wenn wir die Anträge von den Grünen und von der SPD in den Ausschüssen beraten, um sich näher damit zu beschäftigen. Wir sind auf Ihre Vorschläge, wie man die Situation, mit der auch Sie unzufrieden sind, verändern könnte, gespannt. Treten Sie mit uns in einen konstruktiven Dialog ein! Sonst wird es wieder so sein wie bei der Rüstungsexportrichtlinie von 2000, nämlich dass wir es unter Rot-Grün allein machen müssen. Das machen wir notfalls auch, aber lieber wäre es uns im Konsens, also wenn Sie mitmachen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Kollege Barthel, eines vorab: Wenn man immer wieder Anträge vorlegt, die sich inhaltlich wiederholen, kommt in der Koalition nicht Angst, sondern Langeweile auf. Langweile kommt natürlich erst recht auf, wenn man den Text liest. Sie wollen uns immer wieder weismachen, unter Rot-Grün wäre nichts exportiert worden. Auch jetzt steht wieder in dem Antrag, dass während der rot-grünen Regierungszeit alle Regelungen verschärft wurden. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie immer dieselbe Rede vorlesen, wird es nicht besser!) Ich habe ja schon einmal aufgezeigt – das mache ich jetzt erneut mit großer Freude –, wie sich in Ihrer Regierungszeit der Kriegswaffenexport entwickelt hat. 2002 hatten die Rüstungsexporte einen Umfang von 300 Millionen Euro. Dann haben Ihre wahnsinnig scharfen Regeln richtig gegriffen, und im Jahr 2003 wurden Rüstungsgüter im Wert von 1,3 Milliarden Euro exportiert. Das war eine satte Steigerung um 1 Milliarde Euro. 2005, liebe Frau Wieczorek-Zeul – da waren Sie Mitglied im Bundessicherheitsrat und haben sich tapfer wie eh und je gegen Rüstungsexporte ausgesprochen – wurden Rüstungsgüter im Wert von 1,6 Milliarden Euro exportiert. So sah Ihre Verschärfung aus. Sie alle zusammen sind heuchlerisch und sonst gar nichts. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich erspare Ihnen auch heute nicht, vorzulesen, was Sie in diesen Jahren exportiert haben. Schießanlagen, Schießsimulatoren, Revolver, Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre, Panzerfäuste und Munition für Haubitzen – all das wurde unter Ihrer Verantwortung nach Saudi-Arabien geliefert, und jetzt erzählen Sie uns etwas von Menschenrechten. Sie machen sich in dieser Frage einfach lächerlich. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU] – Klaus Barthel [SPD]: Dann müssen Sie doch auch mehr Kontrolle wollen, Herr Lindner!) Es geht doch gar nicht mehr um eine seriöse Behandlung dieses Themas, sondern um puren Populismus. Sie agieren heuchlerisch und populistisch. Was Sie uns heute vorlegen, ist Kokolores; anders kann man es nicht bezeichnen. Sie fordern ein Verbandsklagerecht bei Rüstungsexporten. Dadurch könnte jeder Export blockiert werden. Sie differenzieren ja nicht einmal zwischen Kriegswaffen, allgemeinen Rüstungs-gütern und Dual-Use-Waren. Selbst der Export einer Maschinenpresse könnte dann von irgendeinem Verband blockiert werden. Wir sind ein Exportland, und diese Koalition steht dazu. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daran hängen Arbeitsplätze. Die Gewerkschaften, die Sie sonst immer zitieren, zum Beispiel die IG Metall, fordern von uns, dass wir für die Erhaltung der Arbeitsplätze in den Rüstungsbetrieben kämpfen. Das nächste Mal schicke ich sie direkt in Ihr Büro. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser ist das!) Dann noch der ganze andere Kram: Sie fordern eine vierteljährliche Vorlage des Rüstungsexportberichts. Auf der einen Seite fordern Sie, dass er immer umfangreicher wird, und auf der anderen Seite soll er quartalsweise vorgelegt werden. Das kann überhaupt nicht funktionieren. Sie fordern Federführung im Auswärtigen Amt. Wollen Sie dort eine eigene Abteilung einrichten? Wollen Sie den gesamten Außenhandel vom Wirtschaftsministerium in das Auswärtige Amt verlagern? Wer soll das da prüfen? Wo sind da die Kompetenzen? Nichts als Populismus auch in dieser Hinsicht. Sie fordern stärkere Kontrollrechte des Parlaments. Sie schreiben in diesem Zusammenhang: „bei besonders sensiblen Exporten“. Was soll denn das sein? Frau Keul, was soll denn ein besonders sensibler Export sein? (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Exporte in Drittländer!) Sie wollen ein neues Gremium schaffen. All das ist Ihr übliches Geschwurbel. Ihr Antrag enthält nichts Konkretes, das man wirklich machen könnte. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen ja gar nichts machen!) Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie fordern, dass der Endverbleib tatsächlich kontrolliert wird. Wie soll denn das funktionieren? Welche Truppen, Frau Keul, wollen Sie denn in diese Länder schicken? Wollen Sie die deutsche Polizei oder das Bundeskriminalamt dorthin schicken? Erklären Sie einmal, wie Sie in den Ländern, in die wir exportieren, den Endverbleib kontrollieren wollen. Grundsatz „Neu für Alt“: Soll das auch für NATO-Staaten, für EU-Partner gelten? Sagen Sie doch einmal, was Sie konkret wollen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da alles drin!) Sie fordern, keine Hermesbürgschaften für Rüstungsgüter zu erteilen. Der Prüfungsmaßstab bei Hermesbürgschaften ist eindeutig. Das Ausfallrisiko wird ins Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen gestellt. Was da zusätzlich in Betracht gezogen werden soll, lassen Sie offen. Ihr Antrag beinhaltet nichts Substanzielles, nichts substanziell Neues. (Klaus Barthel [SPD]: Dann machen Sie doch was Substanzielles! Wir warten auf Ihre Vorschläge! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Ist das traurig! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja auch zustimmen!) Nun zu Ihrer Vorhaltung, Kollege Barthel. (Klaus Barthel [SPD]: Wir warten auf Ihre Vorschläge! Jetzt kommen sie, oder?) – Sie erwarten Vorschläge von uns? Wir brauchen gar keine Vorschläge zu machen. Wir finden es so, wie es im Moment läuft, richtig. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist mal ehrlich!) Daran ist gar nichts zu ändern. (Klaus Barthel [SPD]: Bravo! Das ist ein Wort!) Das ist nicht unser Problem. Vielmehr ist es so, dass Sie hier einen Popanz aufbauen. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Wenn Sie irgendwann wieder einmal regieren sollten, dann werden Sie sich genauso verhalten wie Ihre Vorgänger – wie Frau Wieczorek-Zeul, die nichts gemacht hat, wie Herr Joschka Fischer, der als Außenminister nichts gemacht hat, und wie all die anderen Helden –, die dann, wenn sie in Regierungsverantwortung waren, nichts unternommen haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Barthel [SPD]: Sie finden es doch richtig! Also, kritisieren Sie es jetzt, oder finden Sie es richtig?) Als sie in Regierungsverantwortung waren, haben auch sie sich für den Export ausgesprochen, weil sie sich dann den Realitäten zu stellen hatten und erkennen mussten, dass wir in einem großen Exportland leben. Wenn Sie die Rüstungsexporte einmal ins Verhältnis zu den Gesamtexporten setzen, (Klaus Barthel [SPD]: 0,2 Prozent!) dann müssten auch Sie mithilfe eines normalen Taschenrechners zu der Conclusio kommen, dass der Anteil der Rüstungsexporte im Verhältnis zu den Gesamtexporten nicht höher, sondern deutlich niedriger ist. Wir gehen sorgfältig mit diesen Exporten um. Deswegen haben wir auch kein schlechtes Gewissen, und deswegen müssen wir hier auch nichts ändern. Klar ist: Wir werden immer sorgfältig mit diesem Thema umgehen. Natürlich werden wir immer auch die Menschenrechtslage, die Sicherheitsinteressen Deutschlands und die Sicherheitsinteressen unserer Verbündeten beachten. Gemäß dem, was in Ihrer Exportrichtlinie steht, werden wir auch in Zukunft verantwortlich handeln. (Klaus Barthel [SPD]: Das tun Sie eben nicht!) Ihr Antrag ist umständlich. Sie hätten auch nur den Satz „Rüstungsexporte werden verboten“ hineinschreiben können. Das wäre viel einfacher gewesen. Das würde nämlich auf dasselbe hinauslaufen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) – Schauen Sie, von wem Sie Applaus bekommen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Barthel [SPD]: Sie kriegen den Applaus! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Applaus! – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können rechts und links auch nicht mehr unterscheiden, was?) Ihr Antrag ist redundant. Es handelt sich nämlich um seine fünfte Vorlage. Außerdem ist er heuchlerisch; das habe ich schon gesagt. Sie sollten sich mit Ihrer eigenen Regierungspolitik – dass Sie an der Regierung beteiligt waren, ist noch nicht so lange her – (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre dauert dafür schon viel zu lange! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre ist Gott sei Dank bald zu Ende!) auseinandersetzen, etwas demütiger auftreten und realistisch bleiben. Dann werden Sie auch für uns ein ernstzunehmender Partner. Wenn Sie solche Schaufensteranträge einbringen, werden Sie vielleicht von Ihren Klubs oder von dem einen oder anderen Verband wieder einmal zu einem Kaffee eingeladen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union tut mir echt leid!) Aber ein ernstzunehmender Partner für uns werden Sie damit nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Wieczorek-Zeul zu einer Kurzintervention, bitte. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mich Herr -Lindner zweimal angesprochen hat, will ich die entsprechenden Punkte aufgreifen. Erstens finde ich es unangemessen, wenn in einer Debatte, in der es um Waffenexporte und somit letztlich um Krieg und Frieden und um Tod und Vernichtung geht, Begriffe wie „heuchlerisch“ und dergleichen verwendet werden. (Holger Krestel [FDP]: Aber wenn es doch stimmt!) Ich will Ihnen sagen: Wir alle, die wir uns hier engagieren, tun dies deshalb, weil wir eine feste Überzeugung haben. Wir heucheln nicht, (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Doch!) sondern wir sind der Überzeugung, dass ein dringender Veränderungsbedarf besteht. (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Das hätten Sie ja alles machen können! – Holger Krestel [FDP]: Das scheint aber erst seit der letzten Wahl Ihre Wahrnehmung zu sein!) Das sage ich als eine Person, die im Bundessicherheitsrat in vielen Fällen anders gestimmt hat, als die Ergebnisse letztlich ausgefallen sind. Besonders schlimm finde ich, zu sagen – das haben Sie, Herr Lindner, gerade mehrfach getan –: Das, was die Grünen vorgeschlagen haben, ist Kokolores. Die Entscheidung über den Export von Waffen ist eine hochpolitische Entscheidung. Dies als „Kokolores“ zu bezeichnen, ist, wie ich finde, eine unerträgliche Bewertung Ihrerseits. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen noch etwas sagen. Ich werde im nächsten Jahr nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidieren. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Aber für eine Sache kämpfe ich – ich werde das auch durchsetzen –: Waffenexporte sind der einzige Bereich, in dem es keine parlamentarische Kontrolle gibt. Angesichts ihrer dramatischen Auswirkungen ist es einer Demokratie unwürdig, dass dem so ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass ein Gremium des Deutschen Bundestages eingesetzt wird, das die entsprechenden Entscheidungen überprüfen und beeinflussen kann. (Holger Krestel [FDP]: Sie wissen, wie man sich die Dinge zurechtbiegt!) Das ist eine Frage der Demokratie. Der letzte Punkt. Was hat sich denn verändert? In der Phase, in der die Stabilisierung von Despoten in Nordafrika mit Waffenexporten von verschiedenen europäischen Ländern erfolgte, haben wir alle gesagt, dass dies falsch sei. Jetzt wird weiter südlich, bezogen auf Staaten des Golfkooperationsrates, der Versuch unternommen, genau das Gleiche zu machen. Ich warne davor. Hier werden die gleichen Probleme auftauchen. Deshalb sollten wir uns das zu Herzen nehmen, was Amnesty International heute festgestellt hat. Saudi-Arabien ist ein Land, in dem die Menschenrechte massiv missachtet werden. Wir sollten alles tun, damit durch parlamentarische Kontrolle solche Entscheidungen keine Chance -haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Dr. Lindner zur Reaktion. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Frau Wieczorek-Zeul, es gibt kaum jemanden, der so wenig geeignet wäre, in dieser Frage eine Kurzintervention zu machen wie Sie. Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. (Klaus Barthel [SPD]: Sie weiß wenigstens, worüber sie redet, im Unterschied zu Ihnen! – Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ich weiß, wovon ich rede!) Sie wurden 1998 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In dieser Funktion waren Sie so lange wie kein anderes Regierungsmitglied, nämlich elf Jahre lang – selbst Bundeskanzler Schröder war 2005 weg –, Mitglied des Bundessicherheitsrates. Sie haben elf Jahre lang die Entscheidungen in diesem Kollegialorgan mitgetragen. Sie saßen da, und Sie haben sie mitgetragen. Sie können uns doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass Sie hinter Ihrem Rücken sozusagen ein Kreuz gemacht und es gar nicht so ernst gemeint hätten oder dagegen gestimmt hätten. Wenn das damals für Sie so eine furchtbare Sache war, dann hätten Sie doch zurücktreten müssen. Sie haben das mitgetragen. Sie sind an Ihrem Sessel kleben geblieben und haben Ihre Diäten kassiert. (Zuruf von der SPD: Das ist ja lächerlich!) Frau Wieczoreck-Zeul, Sie haben alles mitgemacht. Sie hängen mittendrin in den größten Kriegswaffenexportsteigerungen, die wir in der Nachkriegszeit hatten. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden Sie doch gut!) Ich habe es vorhin vorgetragen: Es gab in Ihrer Regierungszeit und unter Ihrer Verantwortung eine Steigerung dieser Exporte von 300 Millionen Euro auf 1,3 Milliarden Euro. Dann gab es noch einmal eine Steigerung auf 1,6 Milliarden Euro. Der Löwenanteil entfiel auf Entwicklungsländer, Länder, für die Sie zuständig waren. Ich habe Ihnen die Produkte, die nach Saudi-Arabien gingen, vorgelesen: Maschinengewehre, Maschinenpistolen und Patrouillenboote. All das lag in Ihrer Verantwortung. Jetzt stellen Sie sich hier hin und spielen die Jeanne d’Arc der Rüstungsgegner. Das ist Heuchelei; mir fällt kein anderer Ausdruck ein. Sie stellen sich hier hin und sagen auch noch, dass Sie sich mit diesem Thema auch nach dem nächsten Jahr beschäftigen werden. Sie machen sich doch lächerlich. Alle anderen können da mitreden, beispielsweise die Linken, die immer gegen alles waren. Bis 1989 war das natürlich anders. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jetzt laufen Sie aber Amok!) Da war Ihre Partei zum Beispiel in Bezug auf die Tschechische Republik auf einem ganz anderen Kurs. Den -haben Sie vor kurzem erst erfunden. Frau Wieczorek-Zeul, aber Sie doch nicht. Sie sind unglaubwürdig wie niemand anderer. Sich jetzt hier hinzustellen und dieser Regierung vorzuhalten, dass sie genau die Richtlinie anwendet, die in Ihrer Regierungszeit beschlossen wurde, ist unerträglich. Das kann ich gar nicht anders sagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] meldet sich zu einer weiteren Kurzintervention) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Wieczorek-Zeul, das funktioniert nicht. Eine Kurzintervention lässt die Antwort des Intervenierten zu, aber nicht die Antwort der Intervenierenden. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie sind lange genug im Parlament gewesen! – Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Haben Sie das gehört? Herr Lindner sagt: „Sie sind lange genug im Parlament gewesen!“ Sie entscheiden nicht über diese Frage! Das machen meine Wählerinnen und Wähler!) – Ich habe das nicht gehört. Ich gebe jetzt Jan van Aken für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Das, was die beiden Herren von der Regierungskoalition heute abgeliefert haben, ist für mich das Niveau--loseste, was ich hier in den letzten zwei Jahren gehört habe. Das ist unerträglich. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Lämmel, Sie haben Ihre Rede mit den Worten begonnen, das sei alles emotional überlagert. Ich will Ihnen einmal sagen, worum es bei Waffenexporten geht. Das sind keine Nähmaschinen oder Kühlschränke. Es geht hier um Krieg, um Gewalt und Tod. (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das erklären Sie einmal Frau Wieczorek-Zeul!) Das mögen Sie emotionslos sehen. Ich sehe das überhaupt nicht emotionslos. (Beifall bei der LINKEN) Zu Herrn Lindner muss ich sagen, dass ich das unerträglich finde: Jedes Mal, wenn hier eine Frau redet, dann macht dieser Macho arrogante Zwischenrufe und krault sich seine Eier. Das ist wenig zu ertragen. Das geht überhaupt nicht. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin. Ich entschuldige mich dafür. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für den „Macho“ oder für was jetzt? Jan van Aken (DIE LINKE): Für die „Eier“. Dazu, dass Sie jetzt sagen, Sie finden diese Debatte langweilig, will ich Ihnen einmal etwas sagen: (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Jetzt könnten Sie einmal etwas zur Debatte sagen! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihre Anträge finde ich langweilig!) Alle 60 Sekunden wird irgendwo auf dieser Welt ein Mensch erschossen. Das sind über 500 000 Männer, Frauen und Kinder jedes Jahr. Deutschland ist als drittgrößter Rüstungsexporteur der Welt für viele dieser Toten mitverantwortlich. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ach, das ist doch absurd! – Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Und wie war das unter Wieczorek-Zeul?) Ich finde das nicht langweilig. Ich finde, wir müssten darüber reden, wie wir das ändern können. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt zu den Fakten. Herr Lämmel, Sie sagen, wir müssten einmal mit den falschen Fakten aufräumen. Ich nenne Ihnen einmal die richtigen Fakten: Jedes Jahr genehmigt diese Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von durchschnittlich 6,9 Milliarden Euro. Jedes Jahr genehmigen Sie Exporte in über 130 Länder. Darunter sind auch Länder wie Pakistan, Indien, Griechenland, die Türkei und Katar. Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Was am Ende mit diesen Waffen passiert, haben wir alle letztes Jahr im arabischen Frühling gesehen. Dort wurde auch mit deutschen Waffen gekämpft. Bei Gaddafi im Lager wurden nagelneue deutsche Sturmgewehre gefunden. Mubaraks Polizisten in Ägypten waren mit deutschen Maschinenpistolen unterwegs. Die Leute, die in Kairo protestierten, wurden mit deutschen Wasserwerfern weggepustet. Das finden Sie langweilig? Ich finde das nicht langweilig. Ich finde, das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Wir wollen das ändern. Da stellt sich doch die Frage, was hier eigentlich falsch läuft. Ich glaube, zunächst einmal läuft falsch, dass Sie überhaupt gar nicht wissen, wovon Sie reden. Herr Lämmel redet hier von einem Gesetz und zitiert aus einem Text, der überhaupt kein Gesetz ist. Das sind nämlich sogenannte politische Grundsätze, die sich die Bundesregierung selber gegeben hat. Das erste große Problem ist, dass das kein Gesetz und nicht rechtsverbindlich ist. Sie können sich daran halten, müssen sich aber nicht daran halten. Das wissen Sie nicht einmal, wenn Sie hier reden. Das zeigt mir doch den Skandal, dass hier nicht einmal ein einziger Außenpolitiker sitzt, der ein bisschen davon versteht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Rechtsunverbindlichkeit ist aber nur der eine Teil des Problems. Der andere Teil des Problems ist, dass in diesen politischen Grundsätzen zwar ganz viel von Menschenrechten und Kriegsgebieten die Rede ist, dass aber auch das alles unverbindlich ist. Das alles wird am Ende abgewogen. Es wird aus außenpolitischen Gründen dann doch erlaubt, Waffen zu exportieren. In der Praxis sieht es dann so aus: Die Menschenrechte und die außenpolitischen Interessen werden gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen. Die Menschenrechte verlieren dabei ständig, die Waffen werden immer exportiert, so wie die Panzer nach Saudi-Arabien. Das muss wirklich aufhören. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, wir müssen beide Probleme lösen, und ich denke, die Grünen haben hier den ersten Schritt gemacht – den finde ich gut –, indem sie sagen: Wir müssen das endlich rechtsverbindlich machen und in ein Gesetz gießen. Ich finde aber, Sie bleiben auf halber Strecke stehen. Das zweite Problem gehen Sie gar nicht an. Sie müssen auch in einem solchen Waffenexportkontroll-gesetz verbieten, dass Waffen an Menschenrechtsverletzer geliefert werden. Sie belassen es bei dieser Abwägung. Ich sage Ihnen: Auch hier werden die Menschen-rechte immer verlieren. Es muss klipp und klar verboten werden, dass Menschenrechtsverletzer Waffen bekommen. Punkt! (Beifall bei der LINKEN) Mir ist sehr klar, dass es bei diesen Mehrheiten im Bundestag und bei dieser Inkompetenz auf dieser rechten Seite nicht möglich sein wird, in naher Zukunft viel an den Waffenexporten zu ändern. Das Mindeste, was Sie tun könnten, ist aber, wenigstens einen kleinen Schritt zu gehen und den Verkauf von Sturmgewehren und Maschinenpistolen zu verbieten. Das sind die Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts. Mit diesen Waffen werden weltweit mehr Menschen getötet als mit allen anderen Waffensystemen zusammen. Hier frage ich mich auch: Warum sind Sie von den Grünen und von der SPD nicht bereit, diesen winzigen Schritt zu gehen? Wenn Sie jetzt mit Arbeitsplätzen argumentieren, dann sage ich: Das stimmt nicht. Bei einem Verbot des Verkaufs von Sturmgewehren und Maschinenpistolen reden wir von 300 Arbeitsplätzen in Deutsch-land. Ich glaube, wenn wir an die vielen Toten denken, die diese Waffen zu verantworten haben, dann können wir das in Kauf nehmen. Während ich hier rede, sind irgendwo auf der Welt schon wieder vier Menschen erschossen worden, vielleicht auch mit deutschen Waffen. Ich bin der Meinung, dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte. Ich finde, einen kleinen Schritt dahin, einen kleinen Anfang haben Sie mit Ihrem Antrag gemacht. Er geht mir nicht weit genug. Zustimmen werden wir trotzdem. Ich bedanke mich. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Dass die Vorlage auf Drucksache 17/9412 überwiesen werden soll, ist unter den Fraktionen verabredet. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Auswärtiger Ausschuss – abstimmen. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Überweisungsvorschlag ist nicht angenommen. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Überweisungsvorschlag ist angenommen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren (PlVereinhG) – Drucksache 17/9666 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder hat das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Infrastrukturprojekte sind wichtig für unser Land, für unsere Zukunftsfähigkeit und vor allem auch für die Lebensqualität der Menschen. Ich denke hierbei an Straßen, an Bahnhöfe, aber auch an Flughäfen. Auch andere Großprojekte sind wichtig, wie Speicherkraftwerke oder Fertigungsanlagen. Sie sichern die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Sie sind wichtige Chancen für unsere Wirtschaft und sichern damit auch Beschäftigung. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte in Deutschland gibt es wohl kein großes Projekt, von dem nicht viele Menschen betroffen sind. Die betroffenen Menschen machen sich Sorgen um die Auswirkungen der Projekte, aber auch darum, wie es während der Bauphase aussieht. Sie machen sich Sorgen um Lärm, Schmutz und Verkehrsbehinderungen. Auch Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind, sorgen sich um die Umweltverträglichkeit. Die frühe Beteiligung und Information der Bürger ist daher von ganz entscheidender Bedeutung, um Fehler bei Planungen zu verhindern und den Rechtsfrieden zu erhalten. Es geht um Informationen über die Auswirkungen der fertigen Projekte. Es geht aber auch um Informationen über die Bauphasen und vor allem auch um Informationen darüber, warum ein solches Projekt überhaupt notwendig ist. Nach geltender Rechtslage ist die Öffentlichkeitsbeteiligung als wichtiges Verfahrensinstrument in den Genehmigungsverfahren verankert, allerdings erst dann, wenn die Planungen weitgehend abgeschlossen sind, das heißt, wenn wir bereits im rechtlichen Verfahren sind. Deshalb geht es bei der bisherigen Öffentlichkeitsbeteiligung lediglich um rechtliche Fragen. Sie richten sich zudem an die unmittelbar Betroffenen und an die Umweltschutzvereinigungen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir erstmals an zentraler Stelle eine gesetzliche Regelung für die „frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ schaffen, das heißt vor dem eigentlichen Genehmigungsverfahren. Wir wollen das Verfahren gegenüber allen Interessierten öffnen. Es soll darüber informiert werden, warum das Projekt überhaupt notwendig ist, wie es verwirklicht werden soll und welche voraussichtlichen Auswirkungen es hat. Die Bürger erhalten so die Möglichkeit, Anregungen zu äußern, Bedenken zu artikulieren. Das Ergebnis wird an die zuständige Behörde weitergeleitet und dann in die Planungen aufgenommen. Selbstverständlich kann eine solch frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nicht alle Konflikte lösen. Es wird auch zukünftig Streit geben. Es wird auch zukünftig Protest geben. Das ist in einer Demokratie selbstverständlich. Das muss es in einer pluralistischen Gesellschaft geben. Eine breite und frühzeitige Beteiligung kann aber dazu beitragen, dass Konflikte entschärft werden, dass es mehr Akzeptanz für beide Seiten gibt: für diejenigen, die ein Projekt befürworten, aber auch für die Gegner eines solchen Projekts. Dies hat dann positive Auswirkungen auf das Genehmigungsverfahren, auf das Planfeststellungsverfahren, aber natürlich auch auf mögliche gerichtliche Auseinandersetzungen, die dann vielleicht auch vermieden werden können. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den möglichen Einwänden ist jedenfalls besser als eine Generaldebatte, wenn das Verfahren mehr oder weniger abgeschlossen ist und man kurz vor Baubeginn steht. Des-wegen werden auch gerade private Vorhabenträger, die am Gelingen des gesamten Vorhabens ein großes Interesse haben, für eine solche frühe Öffentlichkeitsbeteiligung offen sein. Es ist Sache der Behörden, auch die Privaten dazu zu bewegen, eine solche frühe Öffentlich-keitsbeteiligung durchzuführen und sie als Chance zu begreifen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung halten wir nicht für hilfreich. Sie ist vielmehr kontraproduktiv, weil es gerade darum geht, vor dem eigentlichen rechtlichen Verfahren eine Kooperation mit den Bürgern einzugehen, um mit ihnen in die Diskussion einzutreten. Es soll nicht nur darum gehen, rechtliche Fragen zu diskutieren und das eigene Verfahren rechtssicher zu machen. Deshalb müssen wir die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung vor dem rechtlichen Genehmigungsverfahren durchführen. Dieser Gesetzentwurf ist außerdem ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Wir führen eine Rechtsbereinigung und eine Rechtsvereinheitlichung durch. Es geht darum, für mehr Klarheit und eine einfachere Anwendbarkeit der Gesetze zu sorgen. Die Beschleunigungsvorschriften, die mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz 2006 zum Planfeststellungsverfahren eingeführt wurden, sind in vielen unterschiedlichen Fachgesetzen verstreut. Wir führen sie jetzt zusammen. Die einzelnen Fachgesetze werden damit von den Beschleunigungsvorschriften entrümpelt. Somit kommen wir zu einer besseren und einfacheren Anwendung des Rechts, indem wir überflüssige Vorschriften in den jeweiligen Fachgesetzen streichen können. Die Länder wenden grundsätzlich ihre eigenen Verwaltungsverfahrensgesetze an. Für den Standort Deutschland ist aber ein einheitliches Verfahrensrecht notwendig. Die Anwendbarkeit des Rechts ist für unsere Planungsbehörden von großer Bedeutung. Deshalb ist eine einheitliche Fortentwicklung unseres Verwaltungsverfahrensrechts notwendig. Dies ist jetzt ein erster Schritt auf Bundesebene. Die Landesverwaltungsverfahrensgesetze werden dann hoffentlich auch entsprechend geändert. In Sachen Öffentlichkeitsbeteiligung ist das Gesetz ein erster Schritt, dem weitere folgen werden. Ich denke an das E-Government-Gesetz der Bundesregierung, das in Planung ist und dafür sorgen wird, dass auch der Zugang zu Informationen über Projekte erleichtert wird. Der Bürger kann dann auch online nachvollziehen, was in Planung ist. Zudem ist das Verkehrsministerium dabei, ein Handbuch für die Betroffenen einzuführen, wie Bürgerbeteiligung besser durchgeführt werden kann. Ich bitte Sie, uns auf diesem Weg zu einer besseren Bürgerbeteiligung zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kirsten Lühmann hat das Wort für die SPD-Fraktion. Kirsten Lühmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Verehrtes Publikum! Eine aufrichtige Beteiligung setzt eine entsprechende Haltung bei den Beteiligenden voraus; die Beteiligten spüren den Unterschied, ob die Beteiligenden authentisch sind und Beteiligung ernsthaft anbieten oder Beteiligung ausschließlich als Instrument zur Befriedung eingesetzt wird. Das ist ein Zitat aus einer 93-seitigen Broschüre des Verkehrsministeriums zum Thema „Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor“ und klingt sehr gut: Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe und mit Ernsthaftigkeit. Das sind schöne Worte, insbesondere angesichts der Formulierung „Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung“ im Titel des Gesetzesentwurfs, den wir heute beraten. Aber lassen Sie uns sehen, ob diesen Worten auch Taten der Regierung folgen. Zunächst einmal sind Übersichtlichkeit und Rechtsvereinheitlichung gute Ziele. Wir sehen auch, dass es in dem Gesetzentwurf einige Schritte gibt, die in diese Richtung weisen. Aber nochmals zur Formulierung „Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung“ im Titel. Wenn es darum geht, verpflichtende Beteiligungsrechte für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, dann kann ich nur feststellen: Dieser Titel kollidiert erheblich mit der Realität. Wunsch und Wirklichkeit – wie häufig bei den Gesetzentwürfen dieser Regierung – klaffen auseinander. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der SPD) An drei Beispielen möchte ich das deutlich machen, als Erstes an der Bürgerbeteiligung, die von Herrn Schröder so sehr gelobt wurde. „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ wird der Überschrift eines Kapitel hinzugefügt. Allerdings bleibt das Kapitel weit hinter den Erwartungen, die die Überschrift erweckt, zurück. Frühe Beteiligung soll dadurch hergestellt werden, dass die Behörden auf frühzeitige Information der Betroffenen „hinwirken“. Das heißt, keine Pflicht und keine Sanktionen. Zur Bewertung dieses Vorschlags zitiere ich die Stellungnahme des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen: Diese Hinwirkungspflicht ist wohl die denkbar schwächste Handlungsanweisung, die man sich für ein Behördenhandeln nur vorstellen kann. (Gustav Herzog [SPD]: So ist es!) Die Regierung weist zwar auf die Möglichkeit hin, dass man in den Fachgesetzen die verpflichtende Bürgerbeteiligung wählen kann. Aber ich frage Sie, Herr Schröder, als Vertreter dieser Regierung, was Sie wollen. Wollen Sie Vereinheitlichung, oder wollen Sie keine Vereinheitlichung? Sie müssen sich entscheiden. (Gustav Herzog [SPD]: Herr Schröder sollte einmal zuhören!) Ich zitiere wieder aus der eben erwähnten Stellungnahme: … insoweit verfehlt der Gesetzentwurf sein oben erwähntes primäres Ziel, Sonderrechte der Fachgesetze durch eine einheitliche Regelung im VwVfG möglichst obsolet zu machen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ziel verfehlt! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweiter Gedanke, das Plangenehmigungsverfahren. Man kann statt eines Planfeststellungsverfahrens, das sehr aufwendig ist, ein Plangenehmigungsverfahren durchführen. Es handelt sich um ein vereinfachtes Verfahren, das kürzer und überschaubarer ist. Aber dieses Verfahren bietet den Betroffenen weniger Rechte. Somit denkt der Lesende – erinnern wir uns an das Ziel der Bundesregierung, das sie mit diesem Gesetz erreichen will, nämlich eine Ausweitung der Bürgerbeteiligung –: Die Bundesregierung wird die Möglichkeiten des vereinfachten Plangenehmigungsverfahrens einschränken. – Aber weit gefehlt! Die Bundesregierung schreibt: Mit der Änderung … wird der Anwendungsbereich für eine Plangenehmigung maßvoll erweitert. Ich erinnere, wie es jetzt ist: Ein vereinfachtes Verfahren kann durchgeführt werden, wenn Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden. Wenn keiner beeinträchtigt wird, kann auch niemand klagen; das ist klar. Nach der neuen Regelung kann ein Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden, wenn die Rechte anderer „unwesentlich“ – unwesentlich! – beeinträchtigt werden. Wenn ich Sie frage, Herr Schröder, was für Sie „unwesentlich“ ist, dann wird sicherlich dabei herauskommen, dass schon unsere beiden Meinungen auseinandergehen. Sicherlich gibt es diverse unterschiedliche Auffassungen über das Wort „unwesentlich“ hier im Saal und auf der Zuschauertribüne. Die Regierung stellt also fest: Die Rechte der Betroffenen werden beeinträchtigt, aber die rechtlichen Möglichkeiten der Betroffenen werden eingeschränkt. – Unter Ausweitung der Bürgerbeteiligung verstehen wir etwas anderes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der dritte Gedanke betrifft die Gültigkeit von Planfeststellungsverfahren, also die Dauer, wie lange eine solche Genehmigung gültig ist. Die Bundesregierung stellt fest: Die verlängerte Plangeltung – das sind maximal 15 Jahre – … begünstigt … den Vorhabenträger – also die Baubehörde – … zulasten der Betroffenen und ist für diese – also die Betroffenen – häufig kaum zumutbar. Das, liebe Bundesregierung, sehen wir genauso. Nun stellt die Bundesregierung fest, dass zwar bei Großvorhaben möglicherweise – das heißt, sie ist sich nicht sicher – zehn Jahre gerechtfertigt sein könnten, dass aber bei Abwägung aller Vor- und Nachteile die Nachteile überwiegen. Nachdem ich das erfreut zur Kenntnis genommen habe, habe ich im Gesetzentwurf gesucht, wo die Bundesregierung das umsetzt. Sie vermuten richtig: Ich habe es nicht gefunden. Im Verwaltungsverfahrensgesetz steht zwar, dass eine solche Genehmigung nur 5 Jahre gilt. Aber in anderen Gesetzen, zum Beispiel im Bundesfernstraßengesetz, steht noch immer, dass eine Planfeststellung bis zu 15 Jahre gültig ist. Welche Probleme das in der Praxis birgt, sehen wir in unseren Wahlkreisen allenthalben. Das heißt, vor 15 Jahren gab es Bürger und Bürgerinnen, die ihre Rechte geltend machen konnten. Aber heute wohnen sie nicht mehr dort. Diejenigen, die heute da wohnen, haben überhaupt keine Möglichkeit mehr, ihre Rechte geltend zu machen. Der Witz ist, dass in diesem Gesetzentwurf sogar das Bundesfernstraßengesetz und auch dieser Paragraf geändert werden. Allerdings wird die Frist von 15 Jahren nicht angetastet. Warum haben Sie die nicht angetastet? Warum haben Sie die Frist nicht wenigstens auf 10 Jahre begrenzt? Nichts dergleichen. Das Problem wurde erkannt, aber es wurde nichts geändert. Meine Herren und Damen, das ist unlogisch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Fazit ist: Wir haben Optimierungsbedarf. Wie dieser Optimierungsbedarf aussehen könnte, hat die SPD-Fraktion in ihrem Antrag zur Bürgerbeteiligung schon angerissen. Neben Verfahrensvereinfachungen fordern wir echte, verpflichtende Bürgerbeteiligung. Das Ob und das Wie einer Bürgerbeteiligung darf nicht in das Belieben von Behörden gestellt werden. Wir fordern einen Bürgeranwalt zur Beratung der Betroffenen und verpflichtende Informationen im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens. Ich sage Ihnen: In Zeiten des Internets ist so etwas sehr leicht möglich. Das beste Beispiel bietet mein Heimatland Niedersachsen. Dort werden alle Planungsunterlagen, alle Diskussionen mit Betroffenen und alle Protokolle zeitnah im Internet eingestellt. Jeder interessierte Bürger und jede interessierte Bürgerin kann sich das anschauen. Wenn das in Niedersachsen geht, warum geht das nicht auch woanders? Wir haben also viel Arbeit in den Beratungen. Ich vertraue aber auch hier auf das Struck’sche Gesetz: Auch dieses Vorhaben wird das Parlament nicht so verlassen, wie es hereingekommen ist. Lassen Sie uns gemeinsam im Sinne des Titels dieses Gesetzes an mehr Bürgerbeteiligung und im Sinne der darin angesprochenen Bürger und Bürgerinnen an Verbesserungen arbeiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuel Höferlin (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben mit dem Gesetzentwurf zwei wesentliche Punkte unter einen Hut gebracht, nämlich die bessere Bürgerbeteiligung – Frau Lühmann, darauf komme ich gleich zurück – und eine Beschleunigung durch Vereinfachung und Vereinheitlichung von Verfahren. Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht, denn ein Bereich bei den Planfeststellungsverfahren ist im Moment in sehr vielen verschiedenen Gesetzen geregelt. Alle an Planfeststellungen Beteiligten müssen im Moment erheblichen Aufwand betreiben, um ein Planfeststellungsverfahren richtig und auch gerichtsfest von -Anfang bis Ende zu betreiben. Letztlich hilft es allen Beteiligten, wenn man gewisse Grundlagen an einer zentralen Stelle schafft, wenn man gleiche Voraussetzungen schafft, und zwar sowohl für denjenigen, der plant, als auch für denjenigen, der genehmigt, und für diejenigen, die an dem Verfahren zu beteiligen sind, weil auch diese auf der Grundlage des Gesetzes beurteilen müssen, welche Rechte sie haben und wie sie vielleicht weiter vorgehen können. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist eine Bringschuld, keine Frage. Frau Lühmann, Sie haben von der „Ausweitung“ der Beteiligung gesprochen. Eine ausgeweitete Beteiligung ist nicht unbedingt eine verbesserte Beteiligung. Ich glaube, dass der wesentliche Kern der Verbesserung in der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung steckt. Das kann man gar nicht stark genug betonen. Es wird zu einem viel früheren Zeitpunkt als bisher die Öffentlichkeitsbeteiligung hergestellt, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Antragstellung noch nicht so weit fortgeschritten ist, zu dem man noch viele Dinge ändern kann und zu dem die Bürger noch im Zusammenwirken mit den Verfahrensträgern und den Behörden agieren können. (Kirsten Lühmann [SPD]: Warum machen Sie es dann nicht verpflichtend?) Natürlich können Sie fragen, warum wir das nicht verpflichtend machen. Die Antwort ist: Die Behörden haben darauf hinzuwirken, dass es gemacht wird. Ich halte das für sachgerecht. Es gibt auch ein verfassungsrechtliches Problem, wenn Sie bei privaten Verfahrensträgern eine Pflicht installieren. Auch das muss man bedenken. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist eine -spannende Frage!) – Da sind wir ja vielleicht unterschiedlicher Meinung, Frau Lühmann. Aber so ist es. Das ist meine Meinung. Ich glaube, wir müssen dort darauf aufpassen, dass wir den Bogen nicht überspannen. Gerade der Weg der frühen Beteiligung birgt nun einmal eine Möglichkeit. Meines Erachtens wird ein Träger im Planungsverfahren nach den Erfahrungen der letzten Jahre gerade dann, wenn ihm gegenüber darauf hingewirkt wird, die Öffentlichkeitsbeteiligung herzustellen, dies selbstverständlich auch möglichst früh tun, und zwar wegen des Risikos, dass ein Projekt nicht akzeptiert wird. Wir wissen, wie hoch dieses Risiko heute ist. Dem entgegenzuwirken, wird ihm durch diese Möglichkeit eröffnet. Ich halte es für genau den richtigen Weg, Bürger, Planende und Behörden zusammenzukriegen und am Ende mit bedeutend mehr Akzeptanz aus dem Verfahren herauszukommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Neben diesen Wirkungen haben wir zur Beschleunigung der Verfahren vorgesehen, dass Verwaltungen Entscheidungen in angemessenen Zeiträumen zu treffen haben. (Kirsten Lühmann [SPD]: Ohne Sanktionspflicht! Wir können eine weitere Diskussion führen!) An dieser Stelle haben wir die Diskussion geführt – dazu können wir gerne eine weitere Diskussion führen –, ob Behörden vielleicht noch kürzere Zeiträume einhalten müssen oder nicht. Ich glaube, dass man auch Folgendes beachten muss: Nur weil eine Behörde eine Entscheidung im Planungsverfahren sehr schnell trifft, muss diese Entscheidung erstens nicht besser und zweitens – in Planungsverfahren in den Größenordnungen, über die wir sprechen – nicht unbedingt rechtssicherer sein. Was nutzt es uns am Ende, wenn wir die Behörden – vielleicht noch unter Sank-tionszwang – dazu bringen, Verfahren beschleunigt zu Ende zu führen, und die Entscheidungen nachher vor Gericht nicht standhalten? Dann ist weder dem Träger des Vorhabens noch den Behörden und schon gar nicht dem Bürger gedient, weil Gerichte ganze Verfahren anschließend wieder umwerfen können. Ich glaube, so können wir den Nutzen für den Bürger nicht vergrößern. (Kirsten Lühmann [SPD]: Warum haben Sie denn eine Änderung gemacht?) Deswegen ist es wichtig, hier einen Kompromiss zu finden und einen ausgewogenen Zeitraum zu definieren, um rechtssicher und trotzdem beschleunigt zu einer Entscheidung aufseiten der Behörden zu kommen. Ich glaube, dass der vorliegende Gesetzentwurf genau diesem Anspruch Rechnung trägt. Deshalb halte ich dies für einen ausgewogenen Punkt, der allen Seiten gerecht wird. Die Verbesserung der Bürgerbeteiligung ist für die meisten, die den Gesetzentwurf von außen betrachten, der wesentliche Punkt. Wir haben diese Bürgerbeteiligung auch schon selbst in Positionspapieren gefordert. Ich glaube, dass die Öffentlichkeit beim Bau von Großvorhaben dann, wenn ihre Beteiligung erst im förmlichen Verwaltungsverfahren erfolgt, meist zu spät beteiligt ist. Daher machen wir jetzt den ersten Schritt – das ist der wesentliche Punkt –, dass Bürger in einer frühen Phase der Projektplanung beteiligt werden können. Das ist ein erster Schritt, Öffentlichkeit in solchen Verfahren herzustellen. Es wird weitere Schritte geben – der Parlamentarische Staatssekretär Schröder hat es gesagt: mit den weiteren Vorhaben schaffen wir Grundlagen –, denn die Möglichkeiten der Digitalisierung erfordern auch den Zugang zu sowie die Kommunikation und die Inter-aktion mit Behörden. Deswegen werden weitere Gesetze folgen, die sich auch schon im Verfahren befinden. Damit eröffnen wir den Bürgern die Möglichkeit, sich besser zu beteiligen, weil sie sich früher und intensiver beteiligen können. Die Verfahren dazu werden wir in anderen Gesetzen weiterentwickeln. Das ist ein Teil eines Straußes von Möglichkeiten, die die Bürgerbeteiligung verbessern sowie Verfahren rechtssicherer machen und beschleunigen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Linke hat Sabine Leidig das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am 30. September 2010 hat der damalige Ministerpräsident Mappus im Stuttgarter Schlossgarten die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Tausende seiner Landeskinder eingesetzt. Dieser Versuch, die monatelangen Demonstrationen gegen das Großprojekt Stuttgart 21 zu beenden, ist gründlich gescheitert. Danach haben alle Verantwortlichen – bis hin zur Bundeskanzlerin, Frau Merkel – versprochen, dass künftig die Bürgerinnen und Bürger besser beteiligt werden sollen. Nun liegt dieser Gesetzentwurf vor. Wie Kollegin Lühmann schon gesagt hat, trägt er im Grunde einen Nebelkerzentitel, der „zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung“ lautet. Es geht um die Planung und Genehmigung von Autobahnen, Bundesstraßen, Bergbauvorhaben, Flussausbauten oder Bahntrassen. Solche Großprojekte haben in der Regel massive Auswirkungen auf die Umwelt und die Lebensbedingungen der Anwohnerinnen und Anwohner, und zwar jahrzehntelang. Es gibt außerdem immer mehr Diskussionsbedarf aus gesellschaftlicher Verantwortung. Die meisten sind ja nicht per se für oder gegen eine Baumaßnahme, sondern sie wollen, dass die Milliarden, die dafür ausgegeben werden, sinnvoll verwendet werden. Denn es geht um sehr viel Steuergeld, das nur einmal ausgegeben werden kann, zum Beispiel entweder für ein Prestigeprojekt wie den Stuttgarter Tiefbahnhof oder für sinnvolle Bahntrassen, die allen zugutekommen. (Beifall bei der LINKEN) Zurück zum Gesetzentwurf. Man könnte sagen: Er ist ein schlechter Scherz. – Aber es ist schlimmer: Sie nehmen die Anliegen und die konkreten Erfahrungen der Bürgerbeteiligung gar nicht ernst, sondern Sie wollen lediglich etwas früher um Akzeptanz werben, damit die Großprojekte, die Sie vorgeben, möglichst ungestört und beschleunigt umgesetzt werden können. (Manuel Höferlin [FDP]: Wenn die Bürger es akzeptieren, können sie nachher nicht auf die Straße gehen! Das stört Sie doch!) Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen, nämlich mehr echte Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) Außer dem Versprechen, dass eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung möglich sein soll, findet sich in dem Gesetz keinerlei konkrete Verbesserung. Das Gegenteil ist der Fall. In den vergangenen 20 Jahren sind Bürgerbeteiligungsverfahren immer wieder eingeschränkt worden, begründet damit, dass Planung beschleunigt werden soll. Diese verschiedenen Einschränkungen sollen jetzt zum bundesweiten Standard erhoben werden. Das ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Es ist nicht einmal vorgesehen, dass die Bevölkerung aktiv informiert wird – dabei wäre das doch das Mindeste, und so lautet auch eine wichtige Forderung aus den Verbänden. Wer nicht am richtigen Tag auf der richtigen Seite in die Zeitung schaut, erfährt vielleicht erst Monate oder Jahre später etwas von einem geplanten Vorhaben, nämlich dann, wenn der Bagger vorfährt oder der Bauzaun errichtet wird. Dann verweise ich auf die Neuregelung von § 75 Verwaltungsverfahrensgesetz in Ihrem Gesetzentwurf, der gewissermaßen ganz im Obrigkeitsdenken gefangen ist. Nach diesem Paragrafen soll die Behörde – auch das wurde schon angesprochen –, die für die Genehmigung zuständig ist, selbst entscheiden, ob die Mängel, auf die die Bürgerinnen und Bürger oder Verbände aufmerksam machen, überhaupt beachtlich sind. Das ist ein Freibrief für Behördenwillkür und eine der Verschlechterungen, die sich an vielen Stellen in diesem Gesetzentwurf finden. Besonders unfair ist und bleibt, dass Einwände gegen ein Großprojekt nur am Anfang des Verfahrens rechtswirksam eingebracht werden können. Das heißt, wenn sich später herausstellt, dass Recht und Gesetz verletzt worden sind, dass unrichtige Zahlen oder Fakten Grundlage der Entscheidungen waren, oder wenn die Pläne geändert werden, haben die Betroffenen überhaupt keine Handhabe mehr, etwas gegen ein Projekt einzuwenden. Die sogenannte Perklusionsklausel gibt es nirgendwo in Europa; es handelt sich um einen deutschen Sonderweg. Ich finde, dieser muss unbedingt beendet werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Anforderung, einen gesetzlichen Rahmen für faire, transparente und wahrhaftige Bürgerbeteiligung zu schaffen, steht weiterhin auf der Tagesordnung. Es sieht so aus, als wenn Sie das offenbar gar nicht wollten. Also werden die Betroffenen ihre demokratischen Anliegen und ihren Protest auch weiterhin auf die Straße tragen. Wir werden sie dabei auf jeden Fall unterstützen. (Beifall bei der LINKEN – Manuel Höferlin [FDP]: Das ist doch genau das, was Sie wollen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ingrid Hönlinger hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, was im Jahr 2010 der damalige Landes-gruppenvorsitzende der CSU in Bezug auf Stuttgart 21 geäußert hat? Ich zitiere aus einem Gespräch mit der -SUPERillu vom 14. Oktober 2010. (Florian Toncar [FDP]: Was Sie alles lesen!) Insofern ist es auf jeden Fall richtig, wenn man miteinander redet und Zweifel auszuräumen versucht. Eines ist aber völlig klar: Am Ende muss die Umsetzung dieses wichtigen Vorhabens stehen. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Richtig!) Dieser Satz verrät nicht nur das Demokratieverständnis des damaligen Landesgruppenchefs und heutigen Innenministers Hans-Peter Friedrich, sondern er steckt auch wie ein unsichtbarer Geist in Ihrem Gesetzentwurf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Als sichtbarer Geist!) Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nehmen die Bürgerinnen und Bürger als kompetente Gesprächspartner nicht ernst. Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger gnädig mitdiskutieren lassen; aber am Ergebnis soll nicht gerüttelt werden. Das zeigt: In Ihren Köpfen steckt noch viel Obrigkeitsdenken. Ihr Demokratie- und Rechtsverständnis ist im vorigen Jahrhundert stecken geblieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Warum sage ich das, und warum komme ich zu dieser Bewertung? (Florian Toncar [FDP]: Das ist Kabarett!) Mit diesem Gesetzentwurf schaffen Sie keine obligatorische Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir haben es hier mit einer dreifachen Sollvorschrift zu tun. Die Art und Weise der Öffentlichkeitsinformation ist in das Belieben des Vorhabenträgers gestellt. Es gibt keine Qualitätsstandards. Die Einbeziehung der Erkenntnisse aus der Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht sichergestellt. Es mangelt an der Einschaltung neutraler Dritter, obwohl diese häufig eine befriedende Wirkung erzielen könnten. Mit dem Gesetzentwurf werden Erörterungstermine nicht obligatorisch. Die Anhörungsbehörde kann den Bürgern Erörterungstermine sogar vorenthalten, etwa wenn ihr der Verwaltungsaufwand zu hoch erscheint. Und noch schlimmer: Mit dem Gesetzentwurf wird Öffentlichkeitsbeteiligung abgebaut; denn der Planfeststellungsbeschluss muss den „bekannten Betroffenen“ nicht mehr zugestellt werden. Und: Die Erörterung muss innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein. – Wenn es also darum geht, Bürgerbeteiligung zu verkürzen, dann wird Ihr Gesetzentwurf plötzlich verbindlich. Meine Damen und Herren, Sie verkaufen ein Gesetz zur Öffentlichkeitsbeteiligung und bauen mit demselben Gesetz genau diese Beteiligung ab. Das wollen und werden wir nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gehen Sie doch einmal hinaus und reden Sie mit den Menschen, mit den Gemeinderäten, den Bürgermeistern und Landräten! Die sagen Ihnen: Wir brauchen eine obligatorische Bürgerbeteiligung bei wichtigen Entscheidungen. Erhöhen Sie die Planungsqualität, indem Sie die einfachen Heilungsmöglichkeiten bei Verfahrens- und Formfehlern erschweren! Verkürzen Sie die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen! Verbessern Sie die Beteiligungs- und Klagerechte von Umwelt- und Naturschutzverbänden! (Manuel Höferlin [FDP]: Dann bauen wir nie wieder Infrastruktur in Deutschland! Das wäre genau in Ihrem Sinne!) Implementieren Sie auch alternative Konfliktlösungsmöglichkeiten wie die Mediation! Führen Sie Instrumente der direkten Demokratie ein! Und: Etablieren Sie eine neue beteiligungsfreundliche und transparente Verwaltungskultur! (Manuel Höferlin [FDP]: Dann bleibt Deutschland stehen! Das ist genau das, was Sie wollen!) Dies, meine Damen und Herren, sind die Mindest-anforderungen an eine moderne, bürgerfreundliche und zukunftsorientierte Beteiligungspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, Sie sprechen von Fortschritt, bewirken aber Rückschritt. Bekennen Sie sich endlich zu echter Bürgerbeteiligung! Unsere Demokratie, unsere Bürgerinnen und Bürger sind reif und bereit für mehr aktive Beteiligung. Sie alle wollen gehört und ernst genommen werden. Das Wissen und die Expertise der Bürgerinnen und Bürger müssen in die Entscheidungen einfließen. Es wird Zeit in diesem Land – für eine neue Beteiligungskultur, eine neue Rechts- und Mitsprachekultur. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Helmut Brandt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist als Industriestandort und Exportnation auf eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur angewiesen. Die dafür notwendigen Großvorhaben können nur dann gelingen, wenn sie auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen und von einem Planungsrecht begleitet werden, das eine möglichst zügige Umsetzung der Vorhaben ermöglicht. Aus den Redebeiträgen von Ihnen habe ich so ein bisschen den Eindruck gewonnen, dass Sie genau das nicht wollen. Aber das ist genau das, was für unser Land wichtig ist. Sie haben noch etwas, glaube ich, nicht zur Kenntnis genommen. Sie glauben, dass die Behörden aus den Ereignissen gerade auch um Stuttgart 21 keine Lehren gezogen haben. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Habe ich nicht gesagt!) Dann sagen Sie, dass die Bürgermeister und die Landräte eine Bürgerbeteiligung wünschen. Genau das bieten wir ihnen jetzt mit diesen Planungsrechtsänderungen. Nun geschieht diese Bürgerbeteiligung zum frühestmöglichen Zeitpunkt. (Manuel Höferlin [FDP]: Genau! Bessere -Beteiligung!) Ich glaube, dass man nicht alles nur mit Zwang bewirken soll, sondern dass (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Mit Rechts-sicherheit!) – genau – Rechtssicherheit hergestellt werden kann, wenn man unserem Gesetzesvorschlag folgt. Neben anderen Faktoren liegt nach meiner Auffassung eine der Ursachen für die Geschehnisse um Stuttgart 21 in der Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens selbst, insbesondere der Art, wie die Öffentlichkeit an dem Verfahren beteiligt wird. Die derzeit geltende Rechtslage sieht zwar eine Öffentlichkeitsbeteiligung als wichtiges Verfahrensinstrument bereits bei vielen Vorhaben vor. Allerdings werden die Bürgerinnen und Bürger oft erst in förmlichen Verwaltungsverfahren beteiligt, also erst dann, wenn der Vorhabenträger den fertigen Plan bei der Behörde eingereicht hat, die Planung des Vorhabens folglich bereits in wesentlichen Teilen abgeschlossen ist. Darüber hinaus sind die bisherigen Beteiligungsformen vor allem darauf ausgerichtet, die unmittelbar Betroffenen vor vermeidbaren Rechtsbeeinträchtigungen zu bewahren. Aspekte außerhalb dieser unmittelbaren Rechtsbetroffenheit spielen dagegen kaum eine Rolle. Vor allem bei Großvorhaben, deren Auswirkungen über die Einwirkungen auf ihre unmittelbare Umgebung hi-nausgehen und die oft Bedeutung über ihren Standort hinaus haben, werden die bestehenden Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungs- oder Planfest-stellungsverfahren als nicht mehr ausreichend empfunden. Hier ist ein zunehmendes Interesse der Bürgerinnen und Bürger an frühzeitiger Beteiligung und Mitsprache festzustellen. Genau diesen Mängeln trägt der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren Rechnung. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das sehen die Verwaltungsrichter anders!) Die neue „frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ soll künftig bereits vor dem eigentlichen Verwaltungsverfahren stattfinden und einem möglichst großen Personenkreis offenstehen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Muss aber nicht!) Das jeweilige Vorhaben wird durch diese neue Form der Beteiligung frühzeitig öffentlich bekannt gemacht, um einen Dialog zu ermöglichen. Der Vorhabenträger kann so bereits in einem frühen Planungsstadium auf mögliche Bedenken und Anregungen aufmerksam gemacht werden. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das kann man doch jetzt auch schon! Was hindert Sie denn jetzt daran?) – Frau Lühmann, wir geben der Behörde jetzt anheim, dies regelmäßig zu tun. (Kirsten Lühmann [SPD]: Aber das konnte sie früher auch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Ich denke, dass sie es aus den Erfahrungen, die ich eben geschildert habe, auch tun wird. (Zuruf von der SPD: Sie haben Angst vor den Bürgern!) Durch die vorgesehene Mitteilung des Ergebnisses der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung an die zuständige Behörde können wichtige Erkenntnisse in das anschließende formelle Verfahren einfließen und dort Berücksichtigung finden. Das nachfolgende Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren soll einfacher und schneller werden – das ist auch ein Effekt, der erzeugt werden soll  – sowie gleichzeitig dadurch entlastet werden, und – ein wesentlicher Gesichtspunkt – die gerichtliche Anfechtung von Behördenentscheidungen soll deutlich reduziert werden. Natürlich ist auch eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung noch keine Garantie für Akzeptanz und Verfahrensbeschleunigung. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit möglichen Einwänden bietet aber in jedem Fall bessere Chancen auf eine Konfliktbereinigung als eine Grundsatzdebatte in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium. Genau darauf zielen wir ab. Gelingt es, einen sachlichen und an einem vernünftigen Ergebnis orientierten Dialog – daran mangelt es, glaube ich, den Linken – zwischen Vorhabenträger, Kritikern und Befürwortern zu schaffen, wird ein Mehr an Öffentlichkeitsbeteiligung am Ende zu einer beschleunigten Umsetzung wichtiger Großvorhaben beitragen. In der Aktuellen Stunde heute wurde ja darüber gesprochen, was in Zukunft noch alles für die Energiewende umgesetzt werden muss. Ich glaube, dass in diesem Hause eine große Übereinstimmung erzielt werden muss, um die entsprechenden Großvorhaben letztlich auch unter Berücksichtigung der Interessen der Öffentlichkeit durchführen zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den geplanten Regelungen schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass Großvorhaben künftig zugleich zügiger und bei noch größerer Akzeptanz vonseiten unserer Bürgerinnen und Bürgern realisiert werden können. Um dieses wichtige Anliegen durchzusetzen, bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Ich bitte auch darum: Wenn einmal eine Entscheidung gefallen ist und sich die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich für ein Vorhaben entschieden haben, dann sollte das nicht weiter torpediert, sondern akzeptiert werden. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/9666 soll an die Ausschüsse überwiesen werden, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für Fairness beim Berufseinstieg – Rechte der Praktikanten und Praktikantinnen stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Beate Müller-Gemmeke, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Faire Bedingungen in allen Praktika garantieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Alpers, Dr. Petra Sitte, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Missbrauch von Praktika gesetzlich stoppen – Drucksachen 17/3482, 17/4044, 17/4186, 17/9720 – Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Swen Schulz (Spandau) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Agnes Alpers Kai Gehring Hierzu ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staats-sekretär Dr. Helge Braun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2005 hat Matthias Stolz einen Artikel in der Zeit geschrieben, dem er die Überschrift „Generation Praktikum“ gegeben hat. In diesem Artikel hat er darauf hingewiesen, dass es viele junge Menschen gibt, die im Anschluss an ihre Hochschulausbildung über längere Zeit in Praktika verweilen, bevor sie die Chance auf eine reguläre Beschäftigung erhalten. Im Jahr 2012 hat er erneut einen Artikel in der Zeit geschrieben, diesmal überschrieben mit „Praktikanten ade“. Darin hat er resümiert, dass alle zehn Praktikanten, die auf dem Foto zum ersten Artikel zu sehen waren, inzwischen einen Arbeitsplatz gefunden haben. Der Vergleich zwischen 2005 – die problematische Lage am Arbeitsmarkt, 612 000 junge Menschen ohne Arbeit, eine Jugendarbeitslosigkeit von 12,4 Prozent – und der Lage im April 2012 – 280 000 junge Menschen ohne Arbeit, also nur noch 5,7 Prozent – zeigt, dass wir uns in einer Situation befinden, in der sich die Jugendarbeitslosigkeit um mehr als die Hälfte reduziert hat. Das alles hat weit mehr für die Berufschancen junger Menschen gebracht als alle Anträge, die heute hier vorliegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit es keiner falsch versteht: Wer in Deutschland ein Hochschulstudium absolviert, ist hochqualifiziert und hat deshalb selbstverständlich einen Anspruch da-rauf, dass er in den regulären Arbeitsmarkt übernommen und entsprechend bezahlt wird. In einem Land, in dem wir Leuten in der beruflichen Ausbildung ab dem ersten Ausbildungstag eine Ausbildungsvergütung bezahlen, kann das Argument, dass jemand, der von einer Hochschule kommt, zu Beginn des Arbeitsverhältnisses über zu wenig praktische Erfahrungen verfügt und deshalb zunächst Praktika absolvieren muss, bevor er in reguläre Beschäftigung übernommen wird, nicht gelten. Dafür gibt es Probezeiten, befristete Arbeitsverträge, Trainee-Programme und vieles andere. Wenn man jedoch umgekehrt dieses Argument zum Anlass nähme, Praktikumsverhältnisse generell für schlecht zu halten, machte man aus meiner Sicht einen kapitalen Fehler. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katja Mast [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!) Im Gegensatz zu regulären Beschäftigungsverhältnissen steht bei Praktikumsverhältnissen der Bildungsaspekt im Mittelpunkt. Sie bieten die Chance, bei besonders -renommierten Institutionen noch etwas hinzuzulernen oder in der Übergangsphase zwischen Hochschule und Beschäftigung noch einmal zusätzliche Erfahrungen zu sammeln. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Praktika, die sehr nützlich sind. Seit 2005 sind unglaublich viele Studien durchgeführt worden, die alle zeigen: Die weit überwiegende Mehrzahl der jungen Menschen – in der Summe aller Studien weit über 80 Prozent – ist am Ende mit ihrem Praktikum sehr zufrieden. Das macht deutlich, dass Praktika im Interesse der jungen Menschen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie für die restlichen 20 Prozent?) – Sie fragen, was wir für die anderen 20 Prozent tun. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren zwei Maßnahmen ergriffen, die die vorherige Bundesregierung noch nicht durchgeführt hat: Zum einen haben wir unsere eigenen Regeln verändert. Seit dem 1. Dezember 2011 gibt es die neue „Praktikantenrichtlinie Bund“, wonach Hochschulabsolventenpraktika selbstverständlich bezahlt und selbst die Pflichtpraktika innerhalb eines Studiums, die im öffentlichen Dienst des Bundes absolviert werden, bezahlt werden können. Damit geht die Bundesregierung im Hinblick auf die Bezahlung von Praktika mit sehr gutem Beispiel voran. Darüber hinaus haben wir im Anschluss an die Petition zum Thema Praktika nach einer rund anderthalbjährigen Verhandlung mit den Arbeitgeberverbänden eine Vereinbarung getroffen, die Niederschlag in der Leitlinie für faire und gute Praktikumsverhältnisse gefunden hat. Demnach ist eine Vergütungspflicht vorgesehen, und es werden Musterverträge für die verschiedenen Arten von Praktika zur Verfügung gestellt. Inzwischen ist dieser Leitfaden über 40 000-mal heruntergeladen oder bestellt worden. Wir sehen also: Das, was Arbeitgeber und Bundesregierung vereinbart haben, hat in die Praxis der deutschen Unternehmen Einzug gefunden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Katja Mast [SPD]: Wie viel Prozent der Unternehmen sind das denn? – Weiterer Zuruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]) Wenn man über faire Chancen auf Praktika und über die Rechte von Praktikanten spricht, stellt sich natürlich die Frage – sie wird auch in den vorliegenden Anträgen thematisiert –, ob wir aufgrund der hervorragenden Entwicklung am Arbeitsmarkt und über die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft und die „Praktikantenrichtlinie Bund“ hinaus noch eine gesetzliche Regelung brauchen. (Katja Mast [SPD]: Ja!) Ich sage Ihnen: Eine gesetzliche Regelung nimmt Freiheit. (Katja Mast [SPD]: Für diejenigen, die sie ausnutzen wollen: Ja!) Sie wollen die Vergütungspflicht, die bereits im Berufsbildungsgesetz verankert ist, nun auch im BGB festschreiben. Damit nehmen Sie jungen Menschen die Chance, freiwillig ein Praktikum an einer Stelle zu absolvieren, an die sie sonst nicht kämen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben durch die drei eben skizierten Schritte die Situation von Praktikantinnen und Praktikanten in Deutschland deutlich verbessert. Es liegt eine sehr dezidierte, freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft vor. Die Bundesregierung hat versprochen, ein Jahr nach Inkrafttreten der Richtlinie eine Studie zu initiieren, um zu überprüfen, ob die Rechtsverhältnisse von Praktikantinnen und Praktikanten trotz der guten Arbeitsmarktentwicklung und der neu geschaffenen Regelung weiterhin ein Problem sind. Das glaube und hoffe ich nicht. Unterm Strich ist festzuhalten: Die gute wirtschaftliche Lage, die wir erreicht haben, ist die beste Prävention davor, dass jemand einer nicht adäquaten Beschäftigung nachgehen muss. Heute haben Jugendliche in Deutschland eine weitaus bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt als noch 2005. Das gilt auch für Praktikanten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Katja Mast hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Katja Mast (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Braun, Freiheit – das wollen wir alle, die hier sitzen. (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP: Na ja!) Aber die SPD will Freiheit und Gerechtigkeit. Hier unterscheidet sich Ihr Vorschlag deutlich von unserem. Es ist für uns nicht in Ordnung, dass Jugendlichen, die nach ihrem Ausbildungsabschluss oder nach ihrem Studienabschluss in den Beruf einsteigen wollen, ein unbezahltes Praktikum angeboten wird; wohlgemerkt, sie sind qualifizierte Fachkräfte oder Akademikerinnen und Akademiker. Wir brauchen nicht nur Freiheit für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diese prekäre Situation ausnutzen, sondern vor allen Dingen Gerechtigkeit für junge Berufseinsteiger. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Um für Gerechtigkeit für junge Menschen zu sorgen, brauchen wir nicht einfach nur freiwillige Vereinbarungen mit guten Unternehmen, sondern der Gesetzgeber, das deutsche Parlament, der Deutsche Bundestag, muss Gesetze so verändern, dass die Situation beim Einstieg in den Beruf nicht missbraucht werden kann. Heute liegen deshalb von drei Fraktionen Vorschläge zu Gesetzesänderungen auf dem Tisch. Wir als SPD sind der Meinung, dass die Jugendlichen ein Recht auf eine Mindestvergütung in Höhe von 350 Euro haben. Wir von der SPD sind der Meinung, dass sie einen Anspruch auf einen Vertrag und auf ein Zeugnis haben sollten; das müsste eigentlich selbstverständlich sein. Wir von der SPD sind der Meinung – hier geht es nur um den Missbrauch von Praktikumsverhältnissen –: Wenn Missbrauch stattgefunden hat, dann muss man den Praktikanten eine lange Frist einräumen, damit sie ihre Rechte auch später noch einfordern können. Während des Praktikums tun sie das nicht, weil sie hoffen, dass sie irgendwann einen Arbeitsvertrag bekommen. Das führt dazu, dass sie ihre Rechte nicht sogleich einfordern. Wir finden, dass die Bundesregierung nicht nur Studien in Auftrag geben sollte. Vielmehr sollte sie dem Parlament einen Bericht zur Situation von Praktikantinnen und Praktikanten vorlegen. Wir wollen auch, dass Praktikumsverhältnisse nicht nur im Bundesbildungsgesetz definiert, sondern auch im BGB gesetzlich festgeschrieben werden. Das sind die Vorschläge der SPD, alle relativ einfach nachzuvollziehen. Ich fordere Sie auf, diesen Vorschlägen zuzustimmen. 120 000 Petentinnen und Petenten haben den Deutschen Bundestag 2006 aufgefordert, nicht nur freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft einzugehen, sondern Gesetze und Rahmenbedingungen zu verändern. Wir sind dazu bereit und fordern Sie alle auf, im Sinne dieser jungen Menschen Licht ins Dunkel zu bringen und diesen Änderungen zuzustimmen. (Beifall bei der SPD) Der eigentliche Skandal in dieser Debatte heute ist aus meiner persönlichen Sicht nicht, dass Sie unsere Anträge ablehnen. Ich finde zwar, dass das, was ich skizziert habe, im Sinne der jungen Leute zustimmungswürdig ist. Der eigentliche Skandal ist, dass Sie keine eigenen gesetzlichen Initiativen ergreifen und dass Sie finden, es sei alles so in Ordnung, wie es ist. Das ist der eigentliche Skandal. Sie sagen: Bei Missbrauch von Praktikumsverhältnissen lassen wir die jungen Leute allein, machen uns einen schönen Lenz und veranstalten alle zwei Jahre eine nette Debatte im Bundestag, weil wir eine Studie in Auftrag gegeben haben. Ich sage Ihnen: Das reicht nicht; denn die jungen Leute, um die es hier geht, sind die Fachkräfte unserer Zukunft. Die haben mehr verdient als Angebote für unbezahlte Praktika beim Einstieg ins Berufsleben. Sie haben, wie ich finde, auch mehr von uns zu erwarten. Deshalb sage ich: Die Selbstverpflichtungen, Leitfäden und warmen Worte Ihrer Regierung reichen nicht aus. Wir wollen Taten statt Worte. Wir wollen, dass Gesetze zugunsten der jungen Menschen geändert werden. Stimmen Sie unserem Antrag zu! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Agnes -Alpers [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Martin Neumann hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschlands Arbeitsmarkt, insbesondere der Arbeitsmarkt für Akademiker, entwickelt sich zunehmend zu einem Arbeitnehmermarkt. Die Aussichten für junge Akademiker – das will ich an der Stelle voranstellen – sind rosig. Das sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Joachim Möller, am 21. Februar 2012. Beim Berufseinstieg für Ingenieure geht es relativ schnell. Bei den Geisteswissenschaftlern ist in der Regel eine kurze Zeit des Praktikums oftmals hilfreich für den Berufseinstieg. Nach spätestens zwei, drei Jahren aber – das ist jetzt auch von Staatssekretär Braun gesagt worden – sind fast alle Hochschulabsolventen untergekommen. Der zitierte Kollege Möller sagte: Schon heute sind nicht einmal drei Prozent der Akademiker arbeitslos. Und die Nachfrage nach Akademikern wird zweifellos in den nächsten Jahren enorm steigen. Im sonstigen Europa ist die Situation – man blicke nach Spanien, Portugal und Griechenland – im Alterssegment zwischen 18 und 25 Jahren im Gegensatz zu uns anders. Da liegt die Quote – das ist sehr erschreckend – bei 50 Prozent. Ich denke, dass wir hier tatsächlich etwas tun sollten, damit die Entwicklung, die sich bei uns auf gutem Wege befindet, nicht behindert wird. Das, was Sie hier eben gerade vorgetragen haben – mit all dem Verregeln und dergleichen –, schafft nämlich genau das Gegenteil von dem, was wir hier tatsächlich machen wollen und machen müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dieser Umstand, dass die Situation in unserem Land gut ist, passt nicht in die Gedankenwelt einiger hier im Parlament. Deshalb bemüht man die uralten Schauermärchen. Es gruselt einen tatsächlich immer so schön, wenn man hört, wie schlecht es doch dem einen oder anderen geht. Zwischen Theorie und Realität besteht aber tatsächlich ein großer Unterschied. (Patrick Meinhardt [FDP]: Wohl wahr!) Wenn man sich die Anträge der Oppositionsfraktionen anschaut, findet man Formulierungen wie „Ausbeutung junger Menschen“, „Missbrauch“, „Praktikanten werden ausgenutzt“ usw. Sie leiten daraus gesetzgeberischen Handlungsbedarf ab; doch diesen sehen wir eben nicht. Sie fordern per Gesetz Mindestvergütung, quasi Niedriglöhne per Gesetz. Sie fordern Regelungen hinsichtlich der Laufzeit usw., weil nach ihrer Auffassung in unserem Land an der Stelle offensichtlich zu wenig geregelt ist. Es gibt eine mittlerweile fünf Jahre alte HIS-Studie mit der Überschrift „Generation Praktikum – Mythos oder Massenphänomen“. Sie ist hier schon einmal zitiert worden. In ihr hat man auf wissenschaftlichem Weg nachgewiesen, dass sich die Situation der Praktikanten in unserem Land tatsächlich anders darstellt. Darin hat man den Begriff Generation Praktikum entlarvt. Es ist nachgewiesen worden, dass es in der Tat keinen Anlass für Beunruhigung gibt. Hochschulabsolventen haben in Deutschland – das sage ich, meine Damen und Herren, an dieser Stelle ganz deutlich – die besten Chancen. (Katja Mast [SPD]: Es geht nicht nur um Hochschulabsolventen!) Sie sind doppelt und dreifach gegen Arbeitslosigkeit und Armut gefeit. Kettenpraktika und/oder Praktikums-karrieren, die hier immer wieder zitiert werden, sind weniger verbreitet als Juchtenkäfer. Die Mehrheit der Praktikanten und Expraktikanten war laut HIS-Studie mit ihrem Praktikum höchst zufrieden. Die Gewerkschaften wollten das nicht glauben. Sie konnten aber noch nicht einmal mit einem eigens in Auftrag gegebenen Gutachten das Gegenteil beweisen. FDP und Union haben mit dem gut angelaufenen Deutschlandstipendium einen weiteren Ansatz geschaffen, um Hochschule und Wirtschaft enger zu verzahnen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was hat das jetzt mit Praktika zu tun?) Auf diesem Weg sollen die Berufseinstiegsmöglichkeiten für Hochschulabsolventen verbessert werden. Die Wirtschaft hat schon lange erkannt, dass es einen Fachkräftemangel geben wird. Man baut vor. Die Unternehmen werben schon heute um den Nachwuchs. Sie unternehmen beeindruckende Anstrengungen, um auch den Fachkräftebedarf von morgen decken zu können. Wir haben genügend Regelungen – das will ich an dieser Stelle nur ganz kurz ansprechen –, zum Beispiel das Berufsbildungsgesetz und das Arbeitszeitgesetz. Diese Gesetze geben jungen Menschen, die ein Praktikum absolvieren, eine Vielzahl rechtlicher Regelungen an die Hand, zum Beispiel hinsichtlich Vergütungs-ansprüchen, Arbeitszeit, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Die erst vor wenigen Tagen vom Deutschen Institut für Altersvorsorge veröffentlichte Studie „Die Kinder der Babyboomer“ macht deutlich, dass das Schauermärchen von der Generation Praktikum auch künftig nur in den Parteiprogrammen von Grün und Rot eine Heimat haben wird; denn Fachkräfte sind knapp und die Arbeitsmarktaussichten daher gut. Ein früher Berufsstart durch verkürzte Schul- und Studienzeiten sowie den Wegfall der Wehrpflicht bieten der „knappen Generation“ – so möchte ich sie einmal nennen – die Chance, schneller und länger gutes Geld zu verdienen. Der im vergangenen Jahr herausgegebene Leitfaden „Praktika – Nutzen für Praktikanten und Unternehmen“, der schon angesprochen wurde, ist eine hilfreiche Zusammenstellung der fairen Spielregeln. Meine Damen und Herren, Sie werden es ahnen: Die FDP-Fraktion lehnt aus den eben genannten Gründen Ihre Forderungen nach einer gesetzlichen Regulierung von Praktikumsverhältnissen ab. (Beifall bei der FDP – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überraschung!) Meine Ausführungen haben Ihnen einmal mehr deutlich gemacht, dass solche Regulierungen nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich sind. Auftretende Probleme betreffen nur eine Minderheit. (Katja Mast [SPD]: Was ist denn die Mindestvergütung?) In der Mehrzahl der Praktika läuft alles gut, und die Praktika sind zum gegenseitigen Vorteil. Die Erfüllung der Forderungen in den Oppositions-anträgen würde nicht nur keine Vorteile bringen; sie würde sogar – ich glaube, das ist das Entscheidende – nur Nachteile für Praktikumssuchende erzeugen. (Katja Mast [SPD]: Welche Nachteile?) Praktika waren und sind ein guter Weg für Hochschulabsolventen, um ins Berufsleben einzusteigen. Sie können der Orientierung dienen. Sie können Übergangszeiten im Vorfeld von bereits fest zugesicherten Anstellungen sinnvoll ausfüllen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warteschleifen, oder wie?) und sie dienen der beruflichen Qualifikation. Praktika – das sage ich jetzt zum Abschluss – sind aus unserer Sicht der i-Punkt einer guten akademischen Ausbildung. Sie sind zum beiderseitigen Nutzen. Von daher sind sie zu fördern, und man sollte sie nicht durch Verrechtlichung unattraktiv machen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Agnes Alpers das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Agnes Alpers (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade von Herrn Staatssekretär Braun wieder gehört, dass der Berufseinstieg über ein Praktikum gar kein Problem mehr sei. Aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und aufgrund des Fachkräftemangels gebe es nur noch in einzelnen Fällen Praktika; die Generation Praktikum sei ausgestorben. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Nein! Das hat keiner gesagt!) Herr Neumann, Sie schütteln mit dem Kopf – zu Recht. Sie haben gerade selbst eingeräumt, dass es doch noch eine Menge Praktika gibt. Sie sagten auch, die Akademiker seien schon nach zwei Jahren integriert. Nach zwei Jahren Praktikum, Herr Neumann! (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es muss in diesem Land viele Käfer geben!) Ich sage Ihnen: Mit dieser Ignoranz bin ich nicht einverstanden. Da kann man tatsächlich nur den Kopf schütteln. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte Ihnen nun von meinen Erfahrungen als Berufsschullehrerin von Paul und Lena, zwei jungen Menschen aus Bremen, berichten. Beide haben ihre Abschlüsse gemacht, ihre Ausbildung beendet. Sie waren hochmotiviert und wollten durchstarten, ein eigenständiges Leben beginnen. Paul hat dann aber keine Anstellung bekommen. Ihm als Tischler wurde gesagt, ihm fehle die Berufserfahrung. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Praktikum anzunehmen, in dem er als vollwertiger Tischler arbeitet. Lena ist Sozialwissenschaftlerin. Sie hat ihren Abschluss mit „sehr gut“ gemacht. Weil sie keine Berufspraxis vorweisen kann, macht sie jetzt schon das zweite unbezahlte Praktikum und muss weiterhin von ihren Eltern unterstützt werden. Ich frage Sie: Warum müssen vollqualifizierte Fachkräfte über ein Praktikum in den Arbeitsmarkt integriert werden? Das ist einfach unverschämt. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen auch einmal an die Folgen für diese jungen Menschen denken. Mittlerweile sind zwar weniger davon betroffen, aber es sind immer noch ganz viele. Statt als vollwertige Arbeitskraft in die Arbeitswelt richtig einzutauchen, werden sie als Praktikanten geparkt. Sie verlieren die Motivation, und ihr Selbstwertgefühl wird angegriffen, ganz zu schweigen davon, dass finanzielle Unabhängigkeit und eine langfristige Familienplanung nicht möglich sind. Ich sage Ihnen: Es ist ein Skandal, wie hier mit gut ausgebildeten jungen Menschen umgegangen wird. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb bleiben wir als Linke ganz eindeutig dabei: Wer eine Ausbildung hat, muss ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, und zwar ein vollwertiges, erhalten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Per Gesetz!) Praktikanten sind keine billigen Arbeitskräfte. Praktika als Lernverhältnisse müssen ganz klar von Arbeitsverhältnissen abgegrenzt werden. Wir brauchen auch Mindeststandards für Praktika. Statt nach diesen jahrelangen Diskussionen endlich gesetzliche Grundlagen und Regelungen zu schaffen, hat sich diese Regierung auf den Weg gemacht, einen Praktikantenleitfaden auszuarbeiten. Ich gebe zu: Sie haben wirklich begonnen, Kritikpunkte aufzugreifen, zum Beispiel die Dauer von Praktika, und Möglichkeiten der Vergütung aufzuzeigen. Außerdem haben Sie Musterverträge erstellt. Aber die zentrale Frage heute ist doch: Kann man sich auf diesen Praktikantenleitfaden tatsächlich verlassen? Ich sage Ihnen: Nein, das geht nicht. Es ist doch wieder nur eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber, frei nach dem Motto: Alles kann, nichts muss. Mit solchen freiwilligen Selbstverpflichtungen haben wir doch schon genügend Erfahrung gemacht. Die letzte hat gezeigt: Nur 1 500 von insgesamt 3,5 Millionen Betrieben, also nur etwa 0,05 Prozent aller Betriebe, haben sich daran beteiligt und tatsächlich faire Praktika angeboten. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das war 2010!) Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie ersetzen hier doch nur eine misslungene Selbstverpflichtung durch eine andere. Mehr machen Sie nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen abschließend: Wer Missbrauch tatsächlich verhindern will, muss gesetzliche Mindeststandards setzen – gesetzlich, Herr Neumann, ohne Wenn und Aber. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion der Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Kai Gehring. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Braun, lieber Herr Professor Neumann, niemand aus der Opposition redet Praktika schlecht, sondern Sie aus den Regierungsfraktionen reden Ausbeutung schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir kritisieren den bestehenden Missbrauch. Wir wollen keine Freiheit zur Ausnutzung, sondern wir wollen schlichtweg, dass allen Praktikantinnen und Praktikanten flächendeckende Fairnessstandards garantiert werden. Das ist keine Ideologie, wie Sie behauptet haben, sondern Sachlichkeit, und es bedeutet Gerechtigkeit für die junge Generation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Praktikantinnen und Praktikanten brauchen faire Bedingungen statt Ausbeutung. Wenn dieser Grundsatz befolgt wird, sind Praktika ein sinnvoller Bestandteil der Ausbildung oder des Studiums und können zur Orientierung für die zukünftige berufliche Laufbahn beitragen. Die Realität – wir haben es schon gehört – sieht in vielen Fällen anders aus. Anstelle eines guten Jobeinstiegs machen selbst gut ausgebildete junge Menschen die alltägliche Erfahrung, mit Praktika, Honorar- und Minijobs sowie mit befristeten Arbeitsverträgen abgespeist zu werden. Das betrifft in besonderer Weise die vielen und weitverbreiteten Absolventenpraktika. Trotz der mehrjährigen Debatte um gute Praktika hält die Bundesregierung es offensichtlich weiterhin für eine Bagatelle, Praktikantinnen und Praktikanten einen besseren gesetzlichen Schutz zu gewähren. Wir müssen ganz klar sagen, dass Ausnutzung durch schlechte Praktikabedingungen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Verwaltung nicht hinnehmbar ist und unterbunden werden muss. Darum wollen wir, dass es eine klare gesetzliche Definition eines Praktikums gibt. Praktika müssen deutlich von regulären Beschäftigungsverhältnissen abgegrenzt werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Uns geht es dabei um das Lernen; das muss im Vordergrund stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die neuesten Zahlen der EU belegen, dass derzeit viele junge Menschen aus anderen EU-Staaten nach Deutschland kommen, um der teilweise katastrophal hohen Jugendarbeitslosigkeit in ihren Heimatländern zu entgehen. Auch sie müssen vor Ausnutzung geschützt werden. Deutschland muss sich am laufenden EU-Konsultationsprozess zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten junger Menschen aktiv beteiligen. Das Europäische Jungendforum hat übrigens in diesem Zusammenhang bereits gute Vorschläge gemacht, um europaweite Mindeststandards für Praktika zu verankern. Auch die Bundesregierung muss faire Standards verankern, um eine Ausnutzung in den Ministerien zu verhindern. Es war längst überfällig, dass die entsprechende Richtlinie des Bundes überarbeitet worden ist. Es war ein klarer Erfolg von engagierten Praktikantinnen und Praktikanten und von der Opposition, dass eine neue Richtlinie auf den Weg gebracht wurde. Sie können sich darauf verlassen, dass wir genau hinsehen werden, ob sie eingehalten wird und ob die Bundesregierung künftig wirklich mit gutem Beispiel vorangeht. Genau das erwarten wir: Verwaltung und Bundesregierung müssen mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) In unserem Antrag haben wir klare Kriterien für faire Praktika formuliert: Alle Praktikantinnen und Praktikanten sollen einen Anspruch auf einen Vertrag, eine Bescheinigung und ein Zeugnis bekommen. Sie sollen während einer beruflichen bzw. vollzeitschulischen Ausbildung und während des Studiums eine Aufwandsentschädigung von mindestens 300 Euro monatlich erhalten. Praktika sollen zudem grundsätzlich auf eine Dauer von maximal drei bis sechs Monaten begrenzt werden. Denn wenn ein Praktikum länger als ein halbes Jahr dauert, ist das Risiko, dass dadurch reguläre Jobs ersetzt werden, sehr hoch. Das können wir nicht zulassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir teilen die Intention der beiden vorliegenden Anträge von SPD und Linken. Was die SPD betrifft, muss ich sagen: Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Sie schon zu Zeiten der Großen Koalition eine solche Initiative gegen CDU und CSU durchgesetzt hätten. (Lachen bei der SPD – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Kai, bitte!) – Das kann ich euch nicht ersparen. – Inhaltlich vermissen wir im SPD-Antrag übrigens eine Höchstdauer für Praktika. Offensichtlich seid ihr da zu kurz gesprungen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir wollten damals keinen Koalitionsbruch provozieren!) Auch der Antrag der Linksfraktion enthält richtige Punkte. Aber mit Ihrer Forderung nach einem Mindestlohn für Praktikantinnen und Praktikanten schießen Sie wirklich über das Ziel hinaus. Das würde bedeuten, dass wir einen Niedriglohnsektor für Absolventen schaffen. Hier darf man auch die Unternehmen nicht aus der Verantwortung entlassen, die unter dem Deckmantel von Praktika letztendlich Arbeitskräfte zu Billiglöhnen ausbeuten. Insofern ist das keine gute Idee. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Uns ist wichtig, dass die Politik angesichts der demografischen Entwicklung wirklich Ernst macht, den jungen Menschen einen fairen Berufseinstieg zu ermöglichen. Das ist auch im Interesse der vielen Unternehmen, die sich verantwortungsvoll verhalten und Praktikantinnen und Praktikanten nicht ausbeuten. Das muss künftig für alle Bereiche gelten. Also: Lassen Sie uns gemeinsam faire gesetzliche Standards verankern! Dagegen kann doch niemand etwas haben. Dann werden Praktika ein noch stärkerer Baustein im Rahmen von Ausbildung und Studium. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Stefan Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben in den vergangenen 20 Minuten viele Forderungen der Oppositionsfraktionen im Hinblick auf die Rechte von Praktikanten gehört. Einige dieser Forderungen mögen auf den ersten Blick sympathisch und nachvollziehbar erscheinen. Es ist natürlich richtig, dass jeder Praktikant vernünftig bezahlt werden soll. Außerdem sollte ein Praktikant nicht nur zum Kaffeekochen abgestellt werden, sondern auch die Möglichkeit bekommen, etwas mitzunehmen. (Katja Mast [SPD]: Ja! Zum Beispiel einen Arbeitsvertrag!) Das Problem ist, liebe Kollegen von den Oppositionsfraktionen, dass Sie die Funktion eines Praktikums mit der eines Arbeitsverhältnisses verwechseln. (Katja Mast [SPD]: Nein! Genau das wollen wir nämlich nicht! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Falsch! Genau das ist das Missverständnis!) Den besonderen Charakter eines Praktikums berücksichtigen Ihre Vorschläge nicht. Das Praktikum dient doch vor allem der Ausbildung und der Berufsfindung, und vor allem in Studiengängen, die nicht auf einen bestimmten Beruf hinführen, sind Praktika in verschiedenen Bereichen unerlässlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie geben den jungen Menschen die Möglichkeit, einfach einmal in einen Betrieb hineinzuschnuppern, und das ist wichtig. Wenn Sie nun die Praktikanten mit Arbeitnehmern gleichsetzen, dann haben diese nicht nur die Rechte der Arbeitnehmer, sondern auch die Pflichten der Arbeitnehmer. Diesen Aspekt sollten Sie bei Ihren Forderungen nicht vergessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist ein Arbeitnehmer – ich zitiere –, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Außerdem müssten Sie in Ihren Anträgen sagen, welche Art von Praktika Sie eigentlich meinen. Wollen Sie die Gleichstellung für Pflichtpraktika oder nur für freiwillige Praktika? (Katja Mast [SPD]: Haben wir alles im Antrag dargestellt!) Wie ist es mit Pflichtvor- und Pflichtnachpraktika? Wie sehen Sie Einführungspraktika, Blockpraktika, Schülerpraktika, Studienpraktika, Abschlusspraktika usw.? Wie ist es mit Famulaturen und Volontariaten? Dazu enthalten Ihre Vorschläge keine Aussagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vor dem ernsthaften Hintergrund Ihrer Vorschläge plädiere ich daher für eine rationale Betrachtung und möchte dazu vier Anmerkungen machen: Erstens. Selbstverständlich gibt es schwarze Schafe bei Unternehmen, aber auch bei NGOs oder anderen Organisationen, die Praktikanten ausnutzen und trotz eines Ausbildungs- oder Berufsabschlusses nicht ausreichend oder gar nicht bezahlen. Dies ist aber kein Massenphänomen, und darauf möchte ich hinaus. Das hat die HIS-Studie „Generation Praktikum – Mythos oder Massenphänomen?“ ganz deutlich gezeigt. Aus ihr wurde bereits zitiert. Herr Kollege Gehring, das ist keine Ausbeutung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Prozent laut HIS-Studie!) Es bedarf vielmehr einer differenzierten Betrachtung. Während gerade im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften häufiger ein oder mehrere Praktika an das Studium anschließen, gibt es dies in den natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern eher selten. Gleiches gilt für die Bezahlung. Während in den Branchen Gesundheit, öffentlicher Dienst und Bildung unbezahlte Praktika die Regel sind, werden Praktikantinnen und Praktikanten bei Unternehmensberatungen, in der Konsumgüterindustrie oder im Bereich Internet/Multimedia zu mehr als 90 Prozent bezahlt. Erhebungen zufolge bekommen einige sogar mehr als 1 000 Euro im Monat. Zweitens. Ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung mit ihrer Richtlinie und mit ihrem Leitfaden für Praktikanten einen großen Teil des Informationsdefizits abgebaut hat. Überhaupt gilt: Mit einer guten Informationspolitik kommen wir weiter als mit strengen gesetz-lichen Regeln; denn mit gut gemeinten gesetzlichen -Regelungen wie einer von Ihnen geforderten Mindestbezahlung werden wir im Zweifel nicht die Qualität der Praktika erhöhen, sondern Praktika verhindern. Das gilt besonders für Praktika in praxisfernen Bereichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade hier sind Praktika wichtig, um den jungen Menschen den Sprung auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Drittens. Wir müssen uns natürlich auch an die eigene Nase fassen. Das gilt ganz besonders für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den antragstellenden Fraktionen. Bezahlen Sie Ihre Praktikanten eigentlich mit einer Mindestvergütung? (Katja Mast [SPD]: Ja! – Agnes Alpers [DIE LINKE]: Selbstverständlich! Wir haben Vereinbarungen!) Wie sah es damit in Ihren Ministerien während Ihrer Regierungsverantwortung aus? – Ich habe mir die Zahlen einmal genauer angeschaut. Die Frau Kollegin Alpers hatte eine entsprechende schriftliche Anfrage gestellt. Für die Jahre 2008 und 2009 hat die Bundesregierung mitgeteilt: Auswärtiges Amt, Bundesminister Steinmeier, SPD, Gesamtzahl der Praktika 2009: 871. Davon vergütete Praktika: keine. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Bundesministerium der Finanzen, Bundesminister Steinbrück, SPD, Gesamtzahl der Praktika: 148, darunter zwölf Hochschulabsolventen. Davon vergütete Praktika: keine. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Zuruf von der FDP: Das ist aber unangenehm!) Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesminister Olaf Scholz, SPD, Gesamtzahl der Praktika 2009: 99, darunter drei Hochschulabsolventen. Davon vergütete Praktika: keine. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich! – Katja Mast [SPD]: Wie war das denn bei Ihnen? Zum Beispiel Kanzleramt?) Das ist kein gutes Zeugnis. Viertens. Auch vor dem Hintergrund der soeben genannten Zahlen möchte ich auf die Initiative „Fair Company“ des Wirtschaftsmagazins Karriere aufmerksam machen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,05 Prozent der Unternehmen! Das ist lächerlich!) Um das Gütesigel „Fair Company“ zu erhalten, müssen Unternehmen fünf Kriterien erfüllen. Dazu zählen unter anderem eine adäquate Aufwandsentschädigung für das Praktikum sowie der Verzicht auf das Ersetzen von Vollzeitstellen durch Praktikanten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Initiative ist beispielhaft. Ich hoffe, dass sich in Zukunft weit mehr als die erst 1 800 Unternehmen zu den Grundsätzen der „Fair Company“ bekennen. Lassen Sie uns nicht immer alles schlechtreden. Ja, es gibt Defizite bei einigen Praktikantenverhältnissen, aber insgesamt sind zwei Drittel aller Praktikanten mit ihrem Praktikum zufrieden. Herr Braun hat dies bereits erwähnt. Bei den Studierenden waren es sogar fast drei Viertel, wie wir dem Praktikantenreport 2012 entnehmen können. Vor diesem Hintergrund ziehen wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, eine konstruktive Vorgehensweise vor. Wir lehnen eine starre Reglementierung von Praktikantenverhältnissen, wie sie von der Opposition gefordert wird, ab. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, zu welchen Ergebnissen die Selbstverpflichtungen führen, die hier schon angesprochen wurden. Spätestens in zwei Jahren ziehen wir dann Bilanz (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Jahre wollen Sie denn noch warten?) und prüfen, ob die Ankündigungen umgesetzt wurden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja noch eineinhalb Jahre warten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Michael Gerdes von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Gerdes (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider habe ich nur vier Minuten Redezeit. Wären es mehr, könnte ich noch eine ganze Menge zu Herrn Kaufmann sagen. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Ich hätte auch noch mehr sagen können!) Ich will zum Thema kommen: Um die sogenannte Generation Praktikum ist es im Moment nur scheinbar etwas ruhiger geworden. Gibt es keine Generation Praktikum mehr? Herr Staatssekretär Braun hat gerade so ähnlich argumentiert. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die Sachverständigen bei der Anhörung auch!) Ist also alles gut? Gibt es keine jungen Menschen mehr, die ihr Berufsleben mit einem mäßig oder schlecht bezahlten Praktikum beginnen? Finden plötzlich alle Berufseinsteiger einen adäquaten, unbefristeten Job? Herr Kollege Neumann, ist wirklich alles so rosig? Es gruselt uns zwar nicht, aber wir sollten genauer hinschauen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Praktika spielen noch immer eine große Rolle, zumeist auch bei Hochschulabsolventen. Nicht wenige von ihnen absolvieren gleich mehrere Praktika. Ja, es gibt sie doch, diese Kettenpraktika. Genau hinschauen heißt auch handeln. Wir sollten uns nicht alleine darauf verlassen, dass der demografische Wandel die langfristigen Jobchancen junger Arbeitnehmer automatisch verbessern wird. Auf unserem heutigen Arbeitsmarkt gibt es Licht und Schatten. Ja, in Bezug auf die Jugendarbeitslosigkeit stehen wir in Europa gar nicht so schlecht da. Unsere Nachbarn wollen sogar von uns lernen, etwa wenn es um die duale Berufsausbildung geht. Das heißt aber nicht, dass es für uns nichts zu tun gibt. Die Jobs für junge Menschen in Deutschland werden laut Statistik mehr, aber sie sind schlecht bezahlt und häufig befristet. Der Arbeitsmarkt hat sich strukturell gewandelt – nicht nur für die junge Generation. Unsere Probleme sind atypische Beschäftigungsverhältnisse, also geringfügige Beschäftigungen, befristete Jobs und Leiharbeit. Die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse geht zurück, und insbesondere viele Neueinstellungen erfolgen befristet. Hiervon sind die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders betroffen. Erschreckend ist auch die Zahl der Befristungen in Wissenschaft und Forschung. Viele junge Wissenschaftler werden mit Vertragszeiten von weniger als einem Jahr konfrontiert. Ich finde, das ist unglaublich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) Die SPD kämpft entschlossen für faire und gut bezahlte Arbeitsplätze. Dazu gehört auch, dass wir uns für die junge Generation und ihren optimalen Start ins Berufsleben einsetzen. Wir fordern in unserem Antrag eine gesetzliche Klarstellung für Praktikantenverhältnisse. Junge Menschen mit Studienabschluss oder abgeschlossener Ausbildung dürfen eben nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Macht doch auch keiner!) Wer voll arbeitet und fest in den Betriebsablauf inte-griert ist – das sind etwa 81 Prozent der Betroffenen –, der muss auch wie ein vollwertiger Mitarbeiter bezahlt und behandelt werden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) Dazu gehört eine anständige Bezahlung. 40 Prozent der Praktika sind unbezahlt. Wir stellen den Sinn von Praktika ja gar nicht grundsätzlich infrage. Jeder Mensch soll und muss Praxis-erfahrungen sammeln können. Dafür bedarf es aber -eines vernünftigen Rahmens. Ein Praktikum muss Lernzeiten beinhalten, es muss vergütet werden. Wir fordern klare gesetzliche Regelungen für Rechte und Pflichten, Herr Kaufmann. Das gilt selbstverständlich auch für praktikumsähnliche Formen wie Hospitationen, Volontariate und Trainee-Stellen. Die Freiwilligkeit hat sich hier nicht bewährt. Es geht uns nicht um Mindestlöhne per Gesetz. Es geht uns darum, jungen Menschen eine Wertschätzung entgegenzubringen. Wie sollen sie ihren Platz in der Gesellschaft finden, wenn der Einstieg ins Berufsleben direkt mit Negativerfahrungen beginnt? Wie sollen junge Menschen die Zukunft planen, wenn ihre Ausbildung anscheinend keinen Wert hat und wenn ihre Arbeit nicht angemessen bezahlt wird? Tragen wir als Gesetzgeber hier nicht eine Verantwortung? Hier muss aber auch die Wirtschaft verantwortlich handeln. Wer morgen gute Fachkräfte haben will, der muss heute faire Arbeitsbedingungen schaffen und erlerntes Wissen anerkennen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) Arbeitnehmer verdienen insgesamt mehr Respekt. Von dieser Debatte sollte eine klare Botschaft ausgehen: Soziale Teilhabe ist eine Frage von stabilen Jobs. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/9720. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3482 mit dem Titel: „Für Fairness beim Berufseinstieg – Rechte der Praktikanten und Praktikantinnen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4044 mit dem Titel: „Faire Bedingungen in allen Praktika garantieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4186 mit dem Titel: „Missbrauch von Praktika gesetzlich stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a bis c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Klimke, Philipp Mißfelder, Michael Grosse-Brömer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Kurth (Kyffhäuser), Bijan Djir-Sarai, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Myanmar – Reformkräfte unterstützen, den Wandel beschleunigen, Perspektiven eröffnen – Drucksache 17/9735 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Johannes Pflug, Karin Roth (Esslingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Myanmar auf dem Weg zur Demokratie begleiten und unterstützen – Drucksache 17/9727 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Ute Koczy, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Myanmar – Den demokratischen Wandel unterstützen – Drucksache 17/9739 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Patrick Kurth von der FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Myanmar beobachten wir eine atemberaubende Entwicklung. Nach Jahrzehnten der Militärdiktatur vollzieht sich ein demokratischer Wandel. Das Bemerkenswerte: Es ist der äußerst seltene Fall, dass sich eine Diktatur aus sich heraus wandelt. Die Machthaber selbst haben Reformen auf den Weg gebracht. Das ist ziemlich einzigartig in der Welt und sollte alle ermutigen, diesen Wandel zu unterstützen. Dies haben wir im Antrag der Koalition am Anfang des Abschnitts II deutlich gemacht. Myanmar gelingt etwas, was uns Deutschen so nicht gelungen ist, dass nämlich Diktatoren selbst den Weg für Reformen freimachen und diese dann mitgestalten. Da können wir Deutsche von Myanmar lernen. Dabei war noch vor wenigen Monaten – das ist also gar nicht so lange her – Myanmar ein verloren geglaubtes Land. Die Militärjunta saß fest im Sattel. Erinnern wir uns: Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen oder Ähnliches bewirkten wenig. Es hieß – Kollege Bijan Djir-Sarai hat das heute schon an anderer Stelle gesagt – frei nach dem persischen Dichter: Selbst wenn alle Flüsse dieser Welt versiegen, solange die Militärs die Macht haben werden, wird es in Myanmar keine Demokratie geben. – Aber es kam anders. Der Weg ist frei in Richtung Demokratisierung ohne Blutvergießen. -Myanmar gibt ein Beispiel für viele andere Regionen in dieser Welt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Ganz besonders hervorheben muss man, dass wir jetzt allen Reformkräften in Myanmar Unterstützung leisten müssen. Diese gibt es sowohl in der Regierung und vor allem in den Regierungsparteien, aber eben auch in der Opposition. Die Reformen gingen gerade von den Regierenden aus, und diese übernehmen weiterhin den größten Teil der Reformverantwortung. Auch daran muss man die Bewertung der Vorgänge in Myanmar ausrichten. Dessen muss sich aus unserer Sicht auch die Opposition in Myanmar bewusst sein, insbesondere auch die NLD und Frau Aung Sang Suu Kyi. Wichtig ist, dass wir jetzt konstruktiv kooperieren, um den Weg gemeinsam zu gehen, auch mit der NLD. Auch sie darf sich dem nicht verschließen. Die Einteilung in Gut und Böse – das lehrt uns dieser neue Fall in der Weltgeschichte, wenn man das so sagen kann – kann man hier nicht vornehmen. Meine Damen und Herren von den Grünen, genau dieses Bild vermitteln Sie aber in Ihrem Antrag. Ich glaube, dass wir den Dialog zwischen Opposition und Regierung auch in -Myanmar stärker ins Bewusstsein rücken müssen. Dabei ist es natürlich richtig, dass wir trotz dieser Erfolge den Fortschritten in Myanmar auch weiterhin mit Skepsis begegnen. Nach wie vor gibt es – das ist ganz natürlich – viele Gegner des Reformprozesses, übrigens auch innerhalb der Regierung. Auch sie müssen davon überzeugt sein, dass der Weg, den sie eingeschlagen haben, richtig ist. Wenn man ein neues, demokratisches Staatssystem einrichten möchte, muss man nicht nur wissen, wogegen man ist, sondern auch, wofür man ist. Das ist, glaube ich, sehr wichtig. Deswegen gibt es die Aussetzung der Sanktionen, und deswegen bestehen einige Sanktionen, gerade im militärischen Bereich, weiter fort. Das zeugt auch davon, dass wir in der Lage sind, Myanmar den richtigen Weg mit zu weisen, den wir weiterhin kritisch, aber konstruktiv begleiten. Eine erste wichtige Bewährungsprobe waren die Nachwahlen am 1. April. Aus unserer Sicht ist diese Bewährungsprobe bestanden worden. Es waren im Grundsatz freie und faire Wahlen. Deshalb ist es auch falsch, meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie in Ihrem Antrag behaupten, dass die Wahlen nicht demokratisch und fair waren. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Drittel der Sitze sind vom Militär besetzt!) Wir sollten auch aufpassen, dass wir keine überheblichen westlichen Erwartungen an den Tag legen, sondern mit tatsächlicher Hilfe und wenig Besserwisserei Unterstützung leisten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Myanmar hat konkrete Unterstützung verdient. Das Wichtigste in einer Demokratie ist das Parlament. Für viele Parlamentarier dort ist es neu, Parlamentarier zu sein. Hier können wir durch Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch konkret helfen. Wir können uns – das haben wir im Deutschen Bundestag in den letzten Wochen mit mehreren Delegationen gemacht – mit den Partnern dort austauschen, um uns auch davon zu überzeugen, wie sie nicht nur in ihrem Land, sondern auch in unserem Land reden. Ich war nach diesen Gesprächen sehr von diesem Weg überzeugt. Ich finde es auch richtig, dass wir gerade den Machthabern, die jetzt dort Verantwortung tragen, zeigen, dass wir sie ernst nehmen. Insofern war es richtig und sehr gut, dass Bundesminister Niebel sehr frühzeitig nach Myanmar gereist ist und dass auch Außenminister Westerwelle als erster Außenminister der Bundesrepublik seit 25 Jahren dort war, übrigens auch mit konkreten Ergebnissen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das, was Bundesminister Niebel wie auch Bundesminister Westerwelle gemacht haben, ist ein Hinweis darauf, wie wichtig Transfers im Bildungsbereich sind. Myanmar muss für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung eine Bildungsoffensive durchführen. Wir wehren uns entschieden dagegen, dass eine so junge Demokratie, die Myanmar jetzt wahrscheinlich wird, eine Goldgräberstimmung bei anderen Staaten auslöst, die in diesem Land zwar vorrangig investieren wollen, aber vielleicht in erster Linie auch einiges aus dem Land herausholen wollen. Nein, wir sind dafür, nachhaltig zu wirtschaften. Diesen Weg wollen wir konstruktiv und kritisch begleiten. Wir wollen dabei alle politischen Kräfte in Myanmar berücksichtigen. Deutschland wird helfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort die Kollegin Edelgard Bulmahn. (Beifall bei der SPD) Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir uns heute in dieser Debatte mit insgesamt drei Anträgen zur politischen Situation in Myanmar beschäftigen, halte ich für ein gutes Zeichen. Alle Anträge unterstreichen die Bedeutung der Umbrüche in Myanmar und verdeutlichen die Verantwortung, die wir haben, den Reformprozess so zu unterstützen, dass er zum Erfolg führt. 1962 hat das Militär im ehemaligen Burma die Macht übernommen. Das einst reichste Land Südostasiens wurde zum Armenhaus der Region, obwohl es über enorme Bodenschätze verfügt. Vor gut zwölf Monaten hat nun ein Reformprozess in Myanmar begonnen, der so vor einigen Jahren, als protestierende Mönche noch gewaltsam niedergeschlagen wurden, nicht zu erwarten war. Viel zu sehr standen sich die politischen Gegensätze über viele Jahre unversöhnlich gegenüber. Doch die Militärjunta scheint eingesehen zu haben, dass die Bevölkerung eine Demokratisierung des politischen Systems will. Auch die Forderung der internationalen Staatengemeinschaft nach dem Schutz von Menschenrechten und grundlegenden demokratischen Rechten hat Wirkung gezeigt. Sicherlich spielte auch der Druck der Menschen für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen eine wichtige Rolle. Die meisten Menschen in Myanmar verbinden heute die Hoffnung auf -einen politischen Demokratisierungsprozess mit der Hoffnung auf Wohlstand. Ein ganz wichtiger Schritt im Reformprozess war und ist die Freilassung eines großen Teils der politischen Gefangenen. Die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, Fortschritte im Friedensprozess mit den ethnischen Minderheiten und die begonnene Liberalisierung anderer gesellschaftlicher Bereiche waren ebenfalls wichtige Schritte. Ich finde, es stimmt hoffnungsvoll, wenn Präsident Thein Sein, ein ehemaliger General der Militärjunta, selbst davon spricht, Myanmar zu einer „echten Demokratie“ führen zu wollen. Dennoch ist die Unterstützung des Wandels notwendig; denn es gibt noch immer einflussreiche Gegner vor allem im Militärapparat. Ein wichtiger Meilenstein waren die Nachwahlen zum Parlament am 1. April dieses Jahres. Die Mehrheitsverhältnisse im Land – da haben die Kollegen durchaus recht – haben sie zwar nicht grundlegend verändert. Aber sie waren ein ganz wichtiger Test für den Reformwillen der Regierenden und ein Barometer für die Stimmung in der Bevölkerung. Das finde ich entscheidend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Dass 43 von 45 Sitzen an die noch bis vor kurzem verbotene Nationale Liga für Demokratie gingen, ist ein eindrucksvolles Ergebnis. Das Militär hat noch immer eine herausgehobene Stellung, nicht zuletzt deshalb, weil die Verfassung ihm noch immer eine Sperrminorität von 25 Prozent der Sitze im Ober- und Unterhaus sowie in den Regionalparlamenten garantiert; das ist zutreffend. Ob der Reformprozess gelingt oder nicht, hängt in entscheidendem Maße davon ab, ob die Europäische Union, ob Deutschland und andere Länder alles dafür tun, die zivilen politischen Kräfte und Organisationen in diesem Land zu stärken und so die Macht des Militärs Schritt für Schritt zu verringern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen dazu beitragen, die Mitwirkungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft bei der weiteren Umsetzung des Reformprozesses zu stärken. Darüber hinaus – auch das wissen wir – bedarf es einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung und dem Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Die Bevölkerung braucht diese Entwicklungsperspektive, die eine spürbare Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen mit sich bringt. Wir wissen doch, dass Demokratie immer auch von einem Mindestmaß an Wohlstand abhängig ist; das zeigen alle Erfahrungen. Ansonsten ist die Gefahr der Radikalisierung von Bewegungen oder sogar des Scheiterns von friedlichen Transformationsprozessen sehr groß. Die Aussetzung der Sanktionen durch die EU und die USA hat die Voraussetzung dafür geschaffen, dass ausländische Investoren und Hilfsorganisationen nun die Chance haben, dabei zu helfen, eine zeitgemäße Infrastruktur in Myanmar aufzubauen und zielgerichtete Hilfestellung für die wirtschaftliche Entwicklung zu geben. Bislang hat sich hier vor allem China engagiert, das jedoch ganz eigene Zielsetzungen dort verfolgt. Die meisten Menschen in Myanmar sind trotz großer Ressourcen und Reichtümer nach wie vor arm. Gerade wir haben eine besondere Verantwortung, unsere neuen Handels- und Geschäftsbeziehungen so zu gestalten, dass sie langfristig eine nachhaltige soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Myanmar in Gang setzen und unterstützen. Dabei – lassen Sie mich das konkret sagen – wird es sehr entscheidend darauf ankommen, dass die Einnahmen aus den Rohstoffvorkommen als Grundlage für ein breitenwirksames wirtschaftliches Wachstum im Land selbst genutzt werden. Transparenz und die Verwendung der Einnahmen aus der Rohstoffförderung sind im Übrigen eine wesentliche Voraussetzung dafür, damit dies gelingt. Die Bundesregierung – das ist ein ganz dringlicher Appell – sollte sich daher gegenüber der Regierung von Myanmar nachdrücklich dafür einsetzen, dass sich Myanmar an internationalen Transparenzstrukturen – das sind die Organisationen, die auch von der Weltbank unterstützt werden – beteiligt und Initiativen für eine nachhaltige Nutzung von Rohstoffeinnahmen für das Gemeinwohl, zum Beispiel für die Verbesserung von Bildung und den Aufbau des Gesundheitswesens, entwickelt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nur durch eine umfassende und mit der internationalen Gemeinschaft abgestimmte Entwicklungszusammenarbeit können Deutschland und die EU einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der ländlichen Entwicklung, zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, zur Armutsbekämpfung und zur Modernisierung des Bildungssystems leisten. Ein wirklicher, dauerhafter demokratischer Wandel in Myanmar wird allerdings nur gelingen, wenn das, was ich eben gesagt habe, mit einer stärkeren Beteiligung möglichst vieler zivilgesellschaftlicher Akteure einhergeht. Dazu zählen aus unserer Sicht insbesondere Gewerkschaften, deren freie Betätigung durch die Militärjunta über viele Jahrzehnte völlig unterbunden war. Wir müssen heute sagen, dass es trotz neuer gesetzlicher Regelungen wie dem Verbot der Zwangsarbeit oder einem neuen Gewerkschaftsgesetz immer noch eine Vielzahl von Verletzungen der Arbeitnehmerrechte gibt. Deshalb muss sich die Bundesregierung mit Nachdruck dafür einsetzen, dass es zu besseren Rahmenbedingungen für die Arbeit von Gewerkschaften in Myanmar kommt und die in der Vergangenheit verbotenen Gewerkschaften wieder zugelassen werden, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass Myanmar die ILO-Konvention, das Verbot von Zwangsarbeit und die Ratifizierung aller ILO-Kernarbeitsnormen konsequent umsetzt. Es reicht nicht aus, ein Gesetz zu erlassen, sondern man muss es auch umsetzen. Die Bundesregierung muss – auch das ist ein Appell an Sie – den Ausbau des Büros der ILO in Myanmar unterstützen, wenn nötig auch finanziell. Wir wissen, dass aus einer klassischen Militärdiktatur nicht über Nacht eine klassische Demokratie wird. Dennoch sind die Entwicklungen insgesamt positiv zu bewerten. Damit das so bleibt, bedarf es der Unterstützung des Entwicklungsprozesses in Myanmar durch die Staatengemeinschaft. Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns im Parlament auch in den kommenden Monaten mit dieser Entwicklung sehr intensiv auseinandersetzen und sie kritisch begleiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Jürgen Klimke von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf den Antrag der Koalitionsfraktionen eingehe, möchte ich die Chance nutzen, einen Blick auf die Myanmar-Politik der letzten 20 Jahre, wie sie von der EU und vor allen Dingen von der Bundesregierung und auch dem Deutschen Bundestag mit wechselnden Mehrheiten betrieben worden ist, zu werfen. Rückblickend müssen wir feststellen, dass die Sanktionen gegen Myanmar schon immer ein fragwürdiges diplomatisches Mittel waren. Sie haben nichts erreicht, außer dass das Land jahrzehntelang isoliert wurde und verkümmerte, die Eliten immer reicher und die Menschen in dem Land jeglicher lebenswerter Grundlage beraubt wurden. Die Sanktionen haben nicht die Reformkräfte im Land gestärkt, was man eigentlich unterstellt hatte, sondern Myanmar einseitig in die Arme der Volksrepublik China, des Iran oder Nordkoreas getrieben. Oftmals wurde Myanmar sogar in die Achse des Bösen gruppiert. Das ist aus meiner Sicht falsch. Natürlich waren die Militärs in Myanmar ein Unrechtsregime, doch hat es die westliche Gemeinschaft nicht verstanden, einen diplomatischen Unterschied zwischen den xenophoben Militärs Myanmars und den ideologisch versteinerten Diktaturen Irans oder Nordkoreas herzustellen. Viele ernstzunehmende Dialogansätze wurden über die Jahrzehnte, besonders auch unter dem moralischen Druck der Myanmar-Diaspora, die wir hier haben, abgewürgt. Immer gab es eine einseitige Fokussierung auf die Oppositionspartei NLD, die in Wahrheit durchaus konzeptions- und führungsschwach ist und keine wirk-liche Alternative im Land aufgezeigt hat. Trotzdem schlägt die Grünen-Fraktion mit ihrer Forderung 3 in eine alte Kerbe. Ich finde das ideenlos. Es zeigt, welche schlechte Kenntnis des Landes man haben muss, wenn man ASSK, Aung San Suu Kyi, andauernd als den einzigen Referenzrahmen der Opposition in Myanmar anführt. Das ist sie nicht. Sie ist ein Gesicht und eine Ikone, aber nicht die politische Opposition an sich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Immer wieder haben aktive und ehemalige Kollegen – Detlef Dzembritzki, Hellmut Königshaus oder Karin Kortmann; ich habe das in den alten Debatten zu Myanmar noch einmal kurz nachgelesen – darauf hingewiesen, dass wir Myanmar eine Perspektive geben müssen. Hingegen konnten Kollegen wie Kerstin Müller von den Grünen in der Vergangenheit bei dem Versuch, gemeinsame Anträge zu Myanmar zu formulieren, den moralischen Zeigefinger nicht hoch genug heben. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ja, so ist das!) Noch im Oktober 2010 bin ich hier bei meiner Rede zu den geplanten Wahlen in Myanmar und meiner Aussage, dass diese Wahlen eine Chance für das Land sein können, nicht wirklich mit Applaus bedacht worden. Meine Damen und Herren, vielleicht sollte uns das Beispiel Myanmar auch etwas politische Demut lehren. Mehr Zuhören könnte vielleicht auch eine Lösung sein. Denn die damalige Militärregierung Myanmars hat schon vor fünf Jahren den Weg der gelenkten Demokratie eingeschlagen. Die überwältigende Mehrheit dieses Hauses hat dem nicht geglaubt und das Land auch weiterhin mit Sanktionen drangsaliert. Vielleicht ist die Entwicklung in Myanmar für die westliche Gemeinschaft sogar auf eine Weise auch schmerzhaft; denn nicht der Westen mit seinem manchmal moralischen Missionsdrang hat den Impuls zur Umsetzung von Reformen gegeben, sondern die von uns beschimpften destruktiven Kräfte haben sich von sich aus gewandelt. Wege zur Demokratie können auch ohne uns gelingen. Das zeigt das Beispiel Myanmar. Daher müssen wir unsere entwicklungspolitischen und außenpolitischen Konzepte auch für sich langsam wandelnde Gesellschaften wie Myanmar weiterentwickeln; denn der nächste von uns beschimpfte Kandidat entwickelt sich auch schon langsam positiv weiter – Sri Lanka. Viel schlimmer hat sich jedoch in den letzten Jahren die Doppelmoral jener Länder ausgewirkt, die die Sanktionen am vehementesten eingefordert und auch immer verschärft haben. Die Franzosen, die Engländer oder die Amerikaner – das muss man ehrlich sagen – haben immer wieder Härte gefordert und hintenherum Geschäfte wegen der Rohstoffe abgeschlossen. Nie war irgendetwas ehrlich im Umgang mit Myanmar. Heute müssen wir neidlos anerkennen, dass es die Militärregierung Myanmars doch vermag, sich demokratisch zu wandeln – langsam, aber stetig. Ehemalige Todfeinde des Militärs werden wieder eingebunden und dürfen an der Gestaltung des Landes mitwirken. Reformen in allen Bereichen werden sukzessiv umgesetzt. Weitere wichtige Maßnahmen wie die umfassende Freilassung aller restlichen politischen Gefangenen werden erfolgen. Die andauernden Ermahnungen des Westens sind zwar richtig. Es bedarf aber nicht immer der andauernden Ermahnungen. Trotzdem haben die westlichen Skeptiker weiterhin die Oberhand. Auch die Anträge der SPD und der Grünen strahlen ein bisschen Misstrauen aus – jedenfalls keinen Optimismus. Warum dauert es so lange, bis die westliche Gemeinschaft die Leistungen des Präsidenten Thein Sein anerkennt? Warum wird er von den internationalen Besuchern immer erst als zweiter Repräsentant Myanmars gewürdigt? Warum formuliert man immer neue Bedingungen und vertraut nicht einfach einmal auf die Kraft der Demokratie und auf die Kraft der Freiheit? Ich vertraue der neuen zivilen Regierung so wie alle außenpolitischen Experten aller anerkannten deutschen Stiftungen. Auch aus diesem Grund habe ich mich dafür starkgemacht, dass die Koalition diesen Antrag zügig vorgelegt hat, der die Anstrengungen der Regierung würdigt und Perspektiven für einen nachhaltigen Aufbau Myanmars anbietet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Myanmar wird das neue Hoffnungsland der ASEAN sein. Ich bin davon überzeugt, dass es in einem Jahrzehnt nicht viele Staaten in Südostasien geben wird, die einen derartigen demokratischen und wirtschaftlichen Stand haben werden. Klar ist: Dem Land steht ein langer, steiniger Weg bevor. Es besitzt aber die Chance auf Wachstum und den Aufbau einer funktionierenden Volkswirtschaft. Diese Chance müssen wir im Rahmen einer intelligenten Entwicklungszusammenarbeit nutzen, die sich auf die Sektoren Bildung, Gesundheit, Konfliktmanagement und Wirtschaft fokussiert. Außerdem müssen wir eine international nachhaltige Lösung der Schuldenfrage Myanmars sowie der dortigen Minderheitenproblematik finden. Wir müssen im Bereich der Privatbanken helfen. Wir müssen vor allen Dingen immer wieder sehen, was sich getan hat: Die Militärausgaben sind von 23,5 Prozent auf 14 Prozent des Gesamthaushaltes gesenkt worden. Die Sozialausgaben sollen auf 7,5 Prozent erhöht werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Können Sie bitte Ihre Rede beenden. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Optimismus, das ist das, was wir brauchen. Das Land braucht Hilfe, Unterstützung, damit es sich weiterentwickelt – im Interesse der Menschen, die 30 Jahre lang zu leiden hatten. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Annette Groth von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Trotz der vielen demokratischen Veränderungen in Myanmar – sie wurden schon von allen Rednerinnen und Rednern erwähnt – (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie können es aber auch noch mal sagen, bitte!) – genau, wir zollen dem ja Respekt – gibt es dort noch viele Probleme, wie ebenfalls schon erwähnt, zum Beispiel die Enteignung; ich nenne sie, weil sie noch nicht erwähnt worden ist. Die Regierung vertreibt Menschen von ihrem Land, um Infrastrukturprojekte durchzusetzen. Laut der Menschenrechtsorganisation ALTESAN haben in der Region Palaung etwa 65 Prozent aller Familien Land verloren. Die enteigneten Familien sind nahezu rechtlos, da sie bisher keine Möglichkeit haben, sich an ein Gericht zu wenden, um sich gegen die Enteignung zu wehren. Diese Praxis ist besonders im Tourismussektor zu beobachten. Viele Fischerfamilien müssen dem zunehmenden Bauboom der großen Hotelanlagen an der Küste weichen. Lonely Planet, einer der wichtigsten Reiseführer für Individualreisende, erklärte Myanmar nach Uganda zur Nummer zwei unter den Top-zehn-Reisezielen für dieses Jahr. Aber die Infrastruktur ist für diesen Touristenzuwachs nicht ausreichend, und insbesondere die Bevölkerung ist darauf keineswegs vorbereitet. Der Sextourismus mit seinen Begleiterscheinungen ist schon im Anmarsch, was ich bei der bereits erwähnten Delegationsreise mit Bundesminister Niebel selbst beobachtet habe. Ein weiteres Problem ist die Kriegsökonomie, die sich durch den jahrzehntelangen Konflikt mit der Kachin-Unabhängigkeitsarmee entwickelt hat. Eine Parlamentarierin, selbst eine Kachin, sagte mir neulich, dass man die Soldaten der Kachin-Armee nur zum Aufgeben motivieren kann, wenn sie andere Arbeits- und Einkommensperspektiven haben. Die Befehlshaber dieser Armee verdienen gut an dem illegalen Handel mit Rohstoffen sowie am Menschenhandel und bezahlen auch ihre Soldaten entsprechend. Diese Menschen brauchen eine echte Alternative zum Kriegsdienst. Da ist auch die Entwicklungspolitik gefragt. Wir erwarten von der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik, dass sie die Entwicklungsbedürfnisse sowie die Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt stellt. Die Bevölkerung muss selbst bei den Entwicklungshilfeprojekten mit entscheiden. Es geht um ihre Bedürfnisse und nicht um die Interessen der großen Konzerne. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) Klar ist, dass die Konzerne die burmesischen Rohstoffe ausbeuten wollen. Myanmar ist reich an Edelmetallen, Seltenen Erden, Edelhölzern und vielem mehr. Da ist echt viel Profit zu machen. Darüber hinaus gibt es einen großen Binnenmarkt mit 54 Millionen Menschen, das heißt mit vielen potenziellen Käuferinnen und Käufern von Konsumgütern. Derzeit herrscht in Myanmar – ich habe das so erlebt – eine regelrechte Goldgräberstimmung. Eine weitere Herausforderung für die Regierung sind die 450 000 Binnenflüchtlinge. Sie leiden vor allen Dingen unter Verarmung und Verelendung. Aber, Herr Klimke, da stimmt Ihre Zahl nicht: Der Militärhaushalt hat sich vom Haushaltsjahr 2011/12 auf das folgende Jahr fast verdoppelt. (Widerspruch des Abg. Jürgen Klimke [CDU/CSU]) – Diese Zahl hat mir vor ein paar Tagen eine Dame aus Burma genannt. Ich kann sie Ihnen belegen. Darüber hinaus ist es ein Skandal, liebe Kollegen von der SPD, dass es seit 1981 in Rangun eine Fabrik für G-3-Gewehre gibt, die mit Technik von Heckler & Koch aufgebaut wurde. Seither produziert diese Firma für das burmesische Regime Gewehre, die auch zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt wurden. Die damalige SPD-geführte Bundesregierung hatte diesen Waffentransfer genehmigt – eigentlich ein unglaublicher Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir hoffen, dass unsere Regierungen in Zukunft nicht mehr Waffenfabriken genehmigen, sondern sich für die friedliche Entwicklung der Region einsetzen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das Goethe-Institut wird eingerichtet!) – Jawohl, das alles ist schön. Wir hoffen, dass die Burmesen und Burmesinnen bei all diesen Programmen ein klares Mitspracherecht haben; (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Na klar!) denn sonst werden sie an die Seite gedrückt, und es wird eine von außen induzierte Entwicklung vorangetrieben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Dann muss der Außenminister erst zustimmen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt von der Fraktion der Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir alle hätten uns vor zwei Jahren den Wandel in Myanmar vermutlich kaum vorstellen können. Der Wandel ist gut. Trotzdem bleibt wahr, Herr Klimke: Dort herrscht eine brutale Militärjunta, immer noch. Sie hat die Macht noch nicht abgegeben. 2007 hat sie die Demokratiebewegung unter Führung der buddhistischen Mönche blutig niedergeschlagen. Sie können sich vielleicht noch an die schrecklichen Bilder erinnern. Tausende mussten ins Gefängnis. Sie haben gesagt, vor fünf Jahren sei man dort schon auf dem richtigen Weg gewesen. Im April 2008 haben die Generäle nach dem verheerenden Zyklon ihrem geschlagenen Volk jeden Zugang zu internationaler Hilfe verweigert. Das war ein ganz besonderes Menschheitsverbrechen. Sie haben die internationale Präsenz politisch gefürchtet. Der unermüdliche Druck einer unter der Oberfläche wachsenden Opposition hat die Friedhofsruhe der Junta beendet. Auch der internationale Druck seit 20 Jahren hat dabei geholfen. Sie haben eben gesagt, das alles sei doch nichts gewesen. Ich kann nur betonen: Ohne diesen Druck wäre der Erfolg heute, den ich überhaupt nicht bestreite, nicht möglich gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Wahlen im November 2010 waren weder frei noch fair. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zwei Drittel der Sitze im Parlament werden vom Militär kontrolliert. Herr Klimke, da gibt es nichts zu beschönigen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie machen doch die Reform!) Aber es stimmt auch: Die wenigen Sitze, über die es eine wirkliche Abstimmung gab, wurden fast alle von der Opposition erobert. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ja!) Aber deswegen die Augen davor zu verschließen – das haben Sie hier getan –, (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein, das macht keiner!) dass zwei Drittel des Parlaments sozusagen noch unter dem Einfluss der Diktatur sind, (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Aber sie schieben die Reformen an!) ist fatal. Das ist fatales Schönreden der Situation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein!) Dass der jahrzehntelange Hausarrest für die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aufgehoben wurde und sie bei der Nachwahl im April 2012 mit überwältigender Mehrheit ins Parlament gewählt wurde, ist eine wirkliche Wende, ja. Jetzt tritt das Land in eine entscheidende Übergangsphase. Der Weg zur Demokratie ist vielleicht möglich, aber entschieden ist noch nichts. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist richtig!) Die Junta hat auch noch nicht abgedankt. Die vielen politischen Gefangenen sitzen noch immer in den Gefängnissen. Im Norden des Landes finden trotz Waffenstillstandsgesprächen nach wie vor Kämpfe statt. In -weiten Teilen des Landes herrscht eine humanitäre Notsituation. Herr Klimke, Sie haben gesagt, Sie hätten den Eindruck, wir wüssten nicht, was da los ist. Ich muss Ihnen sagen: Nach Ihrer Rede habe ich eher den Eindruck: Sie haben sich mit all diesen Problemen nicht ernsthaft auseinandergesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD] – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das kann man so nicht sagen!) All dies überschattet die Freude über den politischen Wandel der vergangenen Monate und verdeutlicht, welch weiten Weg Myanmar noch gehen muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussetzung der Sanktionen durch die EU war in dieser Lage dennoch richtig und wichtig; auch das sagen wir ganz klar. Sie -signalisiert den Reformkräften in Myanmar Unterstützung. Doch bei der Aussetzung der Sanktionen muss ständig überprüft werden, ob die Junta auch politisch liefert. Da ist es nicht gut, wenn man die Lage so beschönigt, wie ich das hier gehört habe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Die internationale Gemeinschaft muss jetzt darauf achten, dass der Ressourcenreichtum des Landes nicht zu einem Ressourcenfluch wird. Die Erfahrungen von Kambodscha müssen hier ein sehr warnendes Beispiel sein. Die Einführung von bürgerlichen Freiheiten darf nicht mit einer marktradikalen Politik einhergehen, die der Abholzung der Wälder und dem Abbau der Bodenschätze keine Schranken setzt. Der Run auf die Lizenzen hat bereits eingesetzt. Die Hotels in Rangun sind voll mit Lobbyisten. Damit sich Myanmar langfristig stabilisieren kann, muss es einen Weg in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung einschlagen. Dafür muss sich die Bundesregierung aktiv einsetzen. Ich habe die Hoffnung, dass sie das tut. Ökologische, soziale und menschenrechtliche Standards müssen verankert werden und in das Zentrum der politischen Zusammenarbeit mit Myanmar gerückt werden. Das ist die politische Aufgabe, der sich die Bundesregierung jetzt hoffentlich aktiv zuwendet. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Manfred Grund von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anfang der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts vollzogen sich sowohl in Deutschland als auch in Myanmar, damals noch Burma oder Birma, gravierende politische Veränderungen. 1961 wurde in Deutschland, in Berlin, die Mauer gebaut, der Eiserne Vorhang ging nieder. 1962 übernahm in Burma das Militär die Herrschaft und blieb nahezu 50 Jahre an der Macht. 1988 kam es zu gewalttätigen Protesten gegen die Militärjunta, getragen von Hunderttausenden junger Leute, von Studenten. Es gab wahrscheinlich mehr als 1 000 Tote. Die Militärs blieben danach weiterhin an der Macht. In Deutschland, in Berlin, fiel die Mauer; der Eiserne Vorhang in Europa fiel. Es kam zu Demokratisierungsprozessen und zu Hoffnung in diesem Teil der Welt. Myanmar – Burma, Birma – blieb weiterhin unter Militärherrschaft. Im Jahr 2007 kam es erneut zu gewalttätigen Protesten gegen die Militärherrschaft; diesmal getragen von buddhistischen Mönchen, buddhistischen Nonnen und natürlich auch von der Zivilgesellschaft. Auch im Jahr 2007 wurden die Proteste gegen die Militärdiktatur wieder blutig niedergeschlagen. Vor wenigen Monaten haben die Militärs ihrerseits begonnen, das Land zu öffnen, zu demokratisieren, freie Wahlen zu ermöglichen, Gewerkschaften zuzulassen, das Streikrecht wieder einzuführen und Parteien zuzulassen. Ein bemerkenswerter Reformprozess. Wir erleben eine Revolution von oben, angestoßen und mitgetragen von unten. Alles kann ein gutes Ende nehmen. Herr Dr. Schmidt, im Gegensatz zu Ihnen freuen wir uns über diesen Prozess. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir erleben, wie eines der letzten Länder dieser Welt, welches mehr als 50 Jahre unter einer Militärdiktatur gelebt hat, sich mit viel Hoffnung aufseiten der Opposition und der Zivilgesellschaft bewegt. Wir sollten diesen Prozess unterstützen. Warum machen die Militärs das? Sie könnten, auf die Bajonette gestützt, weiterhin ihre Herrschaft ausüben. Ich denke, sie sehen, dass sie mit ihrer Form der Politik abgehängt bleiben. Das Land ist zurückgeblieben. Es hat sich wirtschaftlich und sozial nicht weiterentwickelt. Es ist stehengeblieben. Die anderen ASEAN-Staaten gehen voran. Als Zweites möchte ich gern das Thema Boykott aufgreifen. Die Europäische Union, die westliche Staatengemeinschaft haben das Land lange boykottiert. Wir -haben damit dieses Land – die Militärs und Teile der Wirtschaft – auch in Richtung China getrieben. China seinerseits stillt seinen Rohstoffhunger in Myanmar. Alle Schreckensszenarien, die man sich ausmalen kann – also die Abholzung der Wälder, gigantische Staudammprojekte, Herausholen der Bodenschätze –, haben bisher stattgefunden. Unter der Kontrolle der Weltöffentlichkeit könnten diese Prozesse einen besseren Ausgang nehmen. Dies sind gute Voraussetzungen, die im Ansatz vorhanden sind. Wie gesagt: Wir freuen uns über diesen Prozess. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich sind damit auch Gefahren verbunden. Dies ist mehrfach angesprochen worden. Es setzt ein unkontrollierter Run aus allen Ländern dieser Welt ein, die mit Infrastrukturprojekten und Investitionen das Land überfallen werden. Es können auch andere Entwicklungen eintreten, die wir von Kambodscha oder Thailand kennen. Hier tragen wir eine Verantwortung. Ich bitte die Bundesregierung und das Außenministerium, darauf hinzuwirken, dass das, was an Hilfen im wirtschaftlichen, sozialen und infrastrukturellen Bereich notwendig ist, wenigstens in der Europäischen Union einigermaßen strukturiert und abgestimmt verläuft. Der britische Premierminister war vor wenigen Wochen in Myanmar und hat schon einmal angekündigt, dass das Königreich ein eigenständiges Büro in Myanmar eröffnet, und das ohne Abstimmung mit den anderen Staaten der Europäischen Union. Das ist eine Entwicklung, die man so nicht fortsetzen sollte. Das Ganze muss vielmehr koordiniert ablaufen. Die Hilfen, die wir geben können, sollten wir nicht vorenthalten. Das Goethe-Institut wird wieder eröffnet, Sprachenschulen werden eingerichtet. Für den Bereich der dualen Berufsausbildung sind wir um Hilfestellung gebeten worden sowie um Fortbildung für diejenigen, die bereits eine Ausbildung als Techniker haben, um sie auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen. Auch bei infrastrukturellen Projekten können wir Hilfe leisten. Alles das ist möglich. Wir werden diesen Prozess kritisch, aber zugleich sehr freundlich und positiv begleiten. Diese Entwicklung macht Hoffnung auf eine gute Entwicklung für die Bevölkerung in Myanmar. Immerhin können so 50 Millionen Menschen in eine bessere Zukunft blicken. Sie brauchen und erhalten dabei unsere Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/9735 mit dem Titel „Myanmar – Reformkräfte unterstützen, den Wandel beschleunigen, Perspektiven eröffnen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/9727 und 17/9739 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Garrelt Duin, Michael Groß, Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen neuen Infrastrukturkonsens: Öffentlich-Private Partnerschaften differenziert bewerten, mit mehr Transparenz weiterentwickeln und den Fokus auf die Wirtschaftlichkeit stärken – Drucksache 17/9726 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Michael Groß von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Öffentlich-private Partnerschaften sind in den letzten Monaten vermehrt in die Kritik geraten. Der Bundesverkehrs-minister Herr Ramsauer hat mit Beginn der 17. Legislaturperiode – inzwischen immer häufiger – den Ausbau der Bundesautobahnen mithilfe von ÖPP als Lösung seiner Finanzprobleme bei den Verkehrsinvestitionen beschrieben. Für uns stellt sich jedoch die Frage, auf welcher Grundlage zunehmend mehr Projekte mithilfe von ÖPP umgesetzt werden sollen. Auch die SPD-Fraktion hat sich in den vergangenen Jahren für ÖPP ausgesprochen. Im Gegensatz zur Bundesregierung sehen wir jedoch unbedingten Handlungs- und Reformbedarf, und zwar hinsichtlich der Entscheidungsgrundlagen, der Transparenz, der Rahmenbedingungen und der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Zwingend erforderlich ist auch ein konstruktiver Dialog zwischen Befürwortern und Gegnern von ÖPP-Maßnahmen. Die SPD-Fraktion befindet sich gerade im Dialogprozess zum Infrastrukturkonsens. Es wird immer entscheidender, aufseiten der Bürgerinnen und Bürger eine Akzeptanz der Infrastrukturmaßnahmen zu erreichen. Das gilt allerdings auch für Projekte, die im Rahmen der öffentlich-privaten Partnerschaften durchgeführt werden. Verträge mit einem Umfang von 17 000 Seiten, die geheim und nicht einmal den zuständigen demokratisch gewählten Entscheidungsträgern in vollem Umfang zugänglich sind, haben absolut nichts mit Transparenz zu tun. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bei einer öffentlich-privaten Partnerschaft geht es, einfach ausgedrückt, darum, den Bau, Erhalt und Betrieb einer Einrichtung, zum Beispiel einer Schule oder einer Infrastruktur wie der Autobahn, an einen privaten Investor zu vergeben. Die privaten Unternehmen erbringen eine Dienstleistung im Auftrag der öffentlichen Hand. Die Verantwortung der politischen Entscheidungsträger bei ÖPP-Projekten ist enorm und setzt ein umfassendes Wissen und umfassende Kompetenz, auch von ehrenamtlichen Kommunalpolitikern, voraus. Zurzeit liegen unterschiedliche Bewertungen und Erfahrungen in Bezug auf ÖPP vor. Die erste Euphorie ist jedoch nicht mehr ohne Schrammen und Macken. Der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe haben sich in den vergangenen Monaten immer kritischer geäußert, aber es gibt auch positive Rückmeldungen, insbesondere von der kommunalen Ebene. Eine zentrale Voraussetzung für die Zukunft der ÖPP-Modelle wird sein, dass es gelingt, neben Transparenz klare Kriterien zu finden, warum eine Beschaffung durch die öffentliche Hand im Rahmen langfristiger Verträge mit privaten Wirtschaftsunternehmen sinnvoll ist. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sollten sich auf harte und nachvollziehbare Fakten stützen. Vergleiche zwischen konventioneller Beschaffung und ÖPP sollten plausibel und empirisch nachvollziehbar sein. Zurzeit gibt es kaum neutrale Dokumentationen über Erfolge und Misserfolge von ÖPP-Projekten. Nur selten sind Auswertungen in unabhängigen Studien erhältlich. Für genaue Evaluationen und Aussagen zur Bewertung der Projekte nach Abschluss mangelt es an einer umfassenden Datenbasis, oder diese Daten dürfen nicht zur Verfügung gestellt werden, auch nicht den demokratisch legitimierten Vertretern. Durch die geringe Nachvollziehbarkeit und Transparenz lassen sich derzeit keine klar anwendbaren Regeln und Kontrollmechanismen etablieren. Dabei erfordert gerade die Komplexität von ÖPP-Projekten in vielen Fällen besonderes Wissen. Das bedeutet auch, dass wir der öffentlichen Hand dieses Know-how sachlich und personell zur Verfügung stellen müssen. Leider sieht die Realität in den Kommunen vielerorts völlig anders aus. Knappe Kassen führen zu Personalabbau. Für die Umsetzung der ÖPP-Projekte werden in den öffentlichen Verwaltungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter notwendig sein, die hochkompetent und qualifiziert sind. Bewertungen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und der mehrere Aktenordner füllenden Verträge sowie Steuerung, Monitoring und Evaluierung sind nur einige Aufgaben, die von den Kommunen zu erfüllen sind. Die langen Laufzeiten von ÖPP-Verträgen, aber auch unvollständige Verträge bergen eine relativ große Gefahr für Nachverhandlungen. Die öffentliche Hand bindet sich auch finanziell über Zeiträume, die schwer überschaubar sind. Die Diskussion muss sich in Zukunft stärker an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten orientieren. Auf meine schriftliche Frage an die Bundesregierung, ob sie ihre Behauptung wissenschaftlich belegen könne, dass ÖPP-Projekte früher, schneller, effektiver und grundsätzlich mit volkswirtschaftlich positiven -Effekten gegenüber herkömmlichen Realisierungsarten durchgeführt werden … erhielt ich die Antwort: Die gesammelten praktischen Erfahrungen lassen oben genannte Effekte erwarten. (Gustav Herzog [SPD]: Erwarten!) Aber auf schlichte Erwartungen, gerade mit Blick auf die andauernde Finanzkrise, sollten wir unsere öffentlichen Haushalte nicht stützen. Die Beschaffung öffentlicher Güter im Rahmen von ÖPP löst nicht die Einnahme- und Ausgabenprobleme der öffentlichen Haushalte. Besonders für den Verkehrs- und Baubereich gilt: ÖPP ermöglicht kein Bauen ohne Geld. Es beseitigt nicht die Finanzierungsenge auf Bundes- und kommunaler Ebene. Wir beobachten eine wachsende Kluft zwischen armen und reichen Kommunen in Deutschland. Insgesamt lässt sich eine strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen feststellen. Der positiven Einnahmeseite in der Summe aller Kommunen stehen 45 Milliarden Euro Kassenkredite gegenüber. Die Sozialausgaben belasten die Städte und Gemeinden mit 45 Milliarden Euro. Wie sollen sich die Kommunen helfen? Sie müssen einen Investitionsstau bei Brücken, in Schulen, in Rathäusern und Jugendheimen im zweistelligen Milliardenbereich vor sich herschieben. Hier muss die Bundesregierung den Städten und Gemeinden endlich tatsächlich helfen, die strukturelle Unterfinanzierung zu beenden. Konnexität ist hier das Stichwort. Wer auf Bundesebene bestellt, muss die Musik vor Ort auch bezahlen. (Gisela Piltz [FDP]: Da hätte Ihre Fraktion aber schon lange mal etwas tun können!) Eine vermehrte Anwendung von ÖPP kann nach bisherigen Erfahrungen keinen nennenswerten Beitrag zur Reduzierung der strukturellen Verschuldung der öffentlichen Haushalte leisten. (Gisela Piltz [FDP]: Da haben Sie einmal in einer namentlichen Abstimmung dagegen gestimmt! Das ist allerdings schon lange her!) Vielmehr besteht die Gefahr einer versteckten Verschuldung. Deswegen fordern wir erstens die Vorlage eines umfassenden Berichts unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Landesrechnungshöfe und des Bundesrechnungshofes über den derzeitigen Stand der Entwicklung von öffentlich-privaten Partnerschaften in Deutschland auch unter Einbeziehung der jüngsten Erkenntnisse aus dem europäischen Ausland. Da kann man zurzeit einiges finden. Wir fordern zweitens, dass eine Beschaffung im Rahmen von ÖPP grundsätzlich nur zu prüfen ist, wenn in gleichem Maße auch die finanziellen Voraussetzungen für eine konventionelle Realisierung innerhalb der öffentlichen Haushalte vorhanden sind. Drittens. Wir fordern, eine von wirtschaftlichen Interessen unabhängige Fachkompetenz im Bereich von ÖPP in der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen. Viertens. Wir brauchen eine wissenschaftliche Untersuchung der bisherigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Sie muss unabhängig stattfinden. Wir werden nicht darum herumkommen, für den öffentlichen Bereich bzw. für die öffentliche Infrastruktur mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Vielen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat der Kollege Reinhold Sendker von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Reinhold Sendker (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut sich viel bei den öffentlich-privaten Partnerschaften in Deutschland. Damit meine ich nicht nur „ÖPP pur“ beim Hoch- und Straßenbau, sondern auch – wo wir es vor einigen Monaten noch gar nicht für möglich gehalten haben – „teilweise ÖPP“ in zahlreichen weiteren Bereichen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) angefangen bei der medizinischen Versorgung über die Verwaltungsmodernisierung bis hin zum Bereich der Sicherheit. Ich möchte meinen Vorredner ein wenig korrigieren. Das Fazit, das wir heute nach einigen Jahren ÖPP-Projekten in Deutschland ziehen können, lautet: Die mit ÖPP gemachten Erfahrungen – allen voran beim Bundesfernstraßenbau – sind einhellig positiv. Das wollen wir gerne fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daten und Fakten belegen das für den Straßenbau. (Gustav Herzog [SPD]: In welcher Welt leben Sie?) – Sie tun gut daran, wenn Sie zuhören, wenn ich diese nenne. – Es gab bisher 300 Kilometer sechsspurigen Autobahnausbau. 1,5 Milliarden Euro sind in sechs ÖPP-Verkehrsprojekte geflossen. Dabei sichern über die Dauer einer Maßnahme 1 Milliarde Euro an Investitionen 30 000 Arbeitsplätze. Schauen wir auf weitere positive Botschaften. Da gibt es vor allem die Sicherung und Verbesserung der Qualität in der Bauausführung. (Gustav Herzog [SPD]: Schauen Sie einmal in den Bundesrechnungshofbericht!) Gleiches gilt für einen qualitativ hochwertigen Betriebsdienst. Ein besonderes Prä – da sollten Sie ganz besonders zuhören – ist der schnellere und zeitnahe Ausbau, der volkswirtschaftlich von ganz besonderem Nutzen ist. Bei den ÖPP-Projekten der A 8 – das betrifft die Strecke München–Augsburg – und der A 4 bei Eisenach wurden die ohnehin engen Terminvorgaben sogar noch deutlich unterschritten. Bei den bisher vorgelegten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen – das belegen Sie auch in Ihrem Antrag – erblicken wir deutliche Effizienzvorteile. Das ist also, meine Damen und Herren, unterm Strich eine absolute Erfolgsgeschichte. Für die Fortsetzung dieser Politik stehen unser Minister und unsere christlich-liberale Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In Zeiten knapper Haushaltsmittel haben wir – angesichts des Szenarios eines zu erwartenden massiven Anstiegs im Bereich des Güterverkehrs – auch allen Grund, an der Option von ÖPP-Projekten festzuhalten. Dabei geht es vor allen Dingen darum, die gewonnenen Erfahrungen aus den Projekten zu nutzen und die Standards kontinuierlich weiterzuentwickeln. So ist es hocherfreulich, dass wir feststellen dürfen, dass ein beachtlicher Teil der Bauleistungen bereits regional erbracht wird, wovon die lokale mittelständische Wirtschaft profitiert. (Gustav Herzog [SPD]: Das passiert aber auch beim konventionellen Bau!) Ferner setzen wir weiterhin auf wirtschaftliche, nachhaltige und innovative Lösungen bei ÖPP-Projekten durch Wissensaufbau, Standards und Beratung. Hier können uns die VIFG und die ÖPP Deutschland AG wirkungsvoll unterstützen. So wurde Letztere vom BMF und vom BMVBS mit einer entsprechenden Grundlagenarbeit und einer Untersuchung zum Thema „Transparenz bei ÖPP-Projekten“ beauftragt. Mehr Transparenz schafft mehr Akzeptanz, und hier haben wir bei der In-frastrukturfinanzierung in den letzten Jahren einen guten Weg beschritten und viel Erfolg gehabt. Im Jahr 2011 hat die Koalition mit der Herstellung des Finanzkreislaufs Straße mehr Transparenz geschaffen und dafür viel Lob erhalten. Seit 2012 werden alle Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit der Erhebung, Kontrolle und Verwendung der Lkw-Maut in einem besonderen Kapitel des Bundeshaushalts abgebildet. Ferner freuen wir uns heute darüber, dass die deutsche Bauindustrie in einer bemerkenswerten Initiative ausdrücklich zu mehr Transparenz bei ÖPP-Projekten bereit ist. Es gibt im Ergebnis also mehr Information und mehr Kommunikation zwischen dem Auftragnehmer, der Öffentlichkeit und den Betroffenen vor Ort. Vor allem aber wird den Spekulationen über Vergabe und Vertragsinhalte der Wind aus den Segeln genommen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist zielführend. Weiterhin zeigt der Nachweis einer besseren Wirtschaftlichkeit bei ÖPP auf, dass es hier nicht um die Einhaltung einer Schuldenbremse geht, sondern um eine manches Mal bessere Option für einen schnelleren und effektiveren Fernstraßenausbau. Mehr Transparenz bedeutet also mehr Rückenwind für ÖPP. Die Transparenz wird allerdings dort enden – lassen Sie mich das einwenden –, wo es um schützenswerte Interessen von Projektbeteiligten und vor allem um die wirtschaftlichen Interessen des Staates geht. Der Wettbewerb um Preis und Kompetenz ist ein elementarer Bestandteil des Beschaffungsmodells; will heißen: Transparenz so weit wie möglich, sie darf dieses Erfolgsmodell aber nicht seiner Vorteile berauben. Wenn Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Bundestagsfraktion, in Ihrem Antrag formulieren, der Erfolg dieses Beschaffungsmodells lasse noch auf sich warten und dabei den Fokus auf die zweite Staffel der ÖPP-Projekte im Straßenbau legen – Sie sagen, zur Halbzeit der Legislatur seien lediglich bei zwei Projekten die Verträge unterschrieben worden –, dann frage ich Sie: Wie steht es denn mit Ihrer Verantwortung vor Ort? Beispiel eins: das vom Bund angebotene ÖPP-Projekt zum sechsspurigen Ausbau der A 1 zwischen Lotte/Osnabrück und Münster/Westfalen. Ihr Koalitionspartner in Düsseldorf hat uns und der interessierten Öffentlichkeit schon vor mehr als einem Jahr mitgeteilt – Zitat –, Sie seien keine Freunde dieses Modells. Das ist eine ideologische Absage. Gleichwohl bleibe das Vorhaben in der Prüfung, so hören wir und verharren in Hoffnung. Beispiel zwei: Noch eklatanter ist die Situation beim ÖPP-Projekt für die A 6 zwischen Weinsberg und Walldorf. Hier soll die Wirtschaftlichkeitsprüfung des Bundes noch eine gutachterliche Stellungnahme erfahren. So will es Winfried Hermann, heute Verkehrsminister im Lande Baden-Württemberg. Er will die Untersuchung einer Untersuchung. Für mich ist das ein Stück aus dem Tollhaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist notwendig! Guter Minister! – Gisela Piltz [FDP]: Ich hatte ihn schon vergessen!) Ich darf auf Ihre Einwände hin an dieser Stelle feststellen: Für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten haben wir leider – das sei an dieser Stelle beklagt – zu wenig Geld. Auf der anderen Seite haben wir leider zu viel Ideologie. Genau umgekehrt sollte es sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abschließend noch ein Satz zu dem SPD-Antrag. Wir begrüßen es, dass Sie sich hier überwiegend positiv zu öffentlich-privaten Partnerschaften geäußert haben. Zunächst einmal sollten Sie aber dort, wo Sie Verantwortung tragen – ich habe Stuttgart und Düsseldorf angesprochen –, für eine klare Linie in der Regierung sorgen. Nicht nur reden, sondern auch machen! Das würde Ihren Antrag deutlich glaubwürdiger machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Ingrid Remmers. (Beifall bei der LINKEN) Ingrid Remmers (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Worüber reden wir hier eigentlich? Eine der Hauptaufgaben des Staates ist es, Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen. Jahrelang hat das relativ gut funktioniert. Kommunen, Länder und der Bund bauen und betreiben Schulen, Straßen und vieles andere. Durch die öffentlich-private Partnerschaft, kurz: ÖPP, wird diese Herangehensweise jedoch infrage gestellt. Weil der Staat Geld sparen und keine neuen Schulden mehr machen wollte, holte man sich einfach private Betreiber an Bord, die die Leistungen gegen regelmäßige Zahlungen, meist Mieten, erbringen sollten. Dumm nur, dass die beteiligten privaten Unternehmen dabei möglichst viel Geld verdienen wollten. Negative Beispiele für misslungene ÖPP gibt es reihenweise – Stichwort „Elbphilharmonie“. Immer waren die Kosten höher als geplant und die Leistungen für die Städte nicht zufriedenstellend. So war es bisher zum Beispiel gar nicht möglich – wir haben das eben schon von dem Kollegen Groß gehört –, die Verträge auch nur einzusehen, um die Ursache für die Kostenexplosion zu ermitteln. Deswegen fordert die SPD in ihrem vorliegenden Antrag zunächst einmal die vollständige Transparentmachung der Verträge und der Wirtschaftlichkeitsberechnungen schon im Vorfeld. Außerdem soll die Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten von einer unabhängigen Stelle evaluiert werden. Nur, das geschah auch bisher, und zwar durch die Landesrechnungshöfe. Diese bemängeln, dass die erwarteten Kosteneinsparungen selten erreicht wurden und die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen häufig auf falschen Annahmen beruhten. Sie kritisieren, dass die langfristigen Zahlungsverpflichtungen der Kommunen gar nicht in den Haushaltsplänen vorkommen und so der demokratischen Kontrolle durch die Haushaltsausschüsse entzogen werden. (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Zyklus-betrachtung!) Die größte Gefahr besteht jedoch bei dem sogenannten Einredeverzicht. Das heißt, die Kommunen verpflichten sich zu fest vereinbarten Mietzahlungen unter allen Umständen. Das private Unternehmen darf diese Gelder dann als Sicherheit bei der Bank hinterlegen. Gibt es Probleme mit der Bereitstellung der Leistung oder geht das Unternehmen gar pleite, muss die Kommune trotzdem zahlen, nämlich an die Bank. Denn sie hat ja auf ihre Einrede verzichtet und kann daher keine Preisminderung geltend machen. Niemand hier in diesem Raum käme auf die Idee, einen Handwerker mit der Reparatur seiner Wohnung zu beauftragen und dann einen generellen Verzicht für Mängelansprüche zu erklären. In dem Antrag wird gefordert, erst nach Abnahme der Leistung einen Einredeverzicht zu erklären. Das ist doch Quatsch. Wie soll denn die Haltbarkeit eines Gebäudes oder einer Straße direkt nach der Fertigstellung ermittelt werden? Wenn die Kommune Pech hat, zahlt sie 30 Jahre lang, ohne die dafür vereinbarte Gegenleistung zu erhalten. (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Wie war das beim Flughafen Berlin Brandenburg?) Zurück zu den hinterlegten Krediten für ÖPP-Projekte. Die Banken bündeln die Kredite in sogenannten Infrastrukturfonds, die natürlich Rendite bringen sollen. Umso geringer die Bau- und Unterhaltungskosten sind, die die privaten Unternehmen aufbringen müssen, umso besser ist es für den Fonds, aber auf Kosten von Löhnen, Qualität und der kommunalen Haushalte. Wieso das ein Fortschritt sein soll, versteht kein Mensch. (Beifall bei der LINKEN) Die ÖPP Deutschland AG ist eine von Bund und Privaten betriebene Beratergesellschaft. Die SPD fordert in ihrem Antrag, den Sinn der Beteiligung Privater an der AG zu überprüfen. Das ist auch dringend nötig; denn 43 Prozent der Anteile dieser Beratungsagentur für Kommunen werden von einer Beteiligungsgesellschaft gehalten, die von Banken und großen Baukonzernen dominiert wird. Natürlich erfolgt diese Beratung völlig -unvoreingenommen. Abschließend kann man nur zu einem Fazit kommen: Wenn alle Forderungen des SPD-Antrags auf Schadensersatzforderungen, unabhängige Überprüfung der Verträge, Verhinderung von Lohndumping und Interessenkonflikten umgesetzt werden würden, würde sich keine einzige Firma mehr an ÖPP beteiligen wollen, und das wäre gut so. Es gibt einen Trost: Die Verantwortlichen in den Kommunen sind in dieser Diskussion schon viel weiter. Privatisierungen in Form von ÖPP kommen nach den negativen Erfahrungen immer mehr aus der Mode. Die Kommunen setzen inzwischen verstärkt auf die Rückgewinnung des Öffentlichen, und das mit Erfolg. Wir fordern deshalb als Linke: Weg von der Lobbyarbeit für ÖPP! Wir brauchen stattdessen eine konsequente Unterstützung der Kommunen bei der Rekommunalisierung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Mit der Idee habt ihr schon die DDR pleite gemacht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Werner Simmling von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Werner Simmling (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Effizienz wird unter dem Diktat knapper werdender Mittel immer wichtiger. Öffentlich-privaten Partnerschaften kommt daher als Finanzierungs- und Beschaffungsmaßnahme in der Infrastruktur eine immer größer werdende Bedeutung zu. Damit stehe ich in vollkommenem Widerspruch zu meiner Vorrednerin. Durch ÖPP können wir häufig effizienter, schneller und wirtschaftlicher agieren als bei konventioneller Vergabe und haushaltsfinanzierter Umsetzung. Sie haben recht, Herr Kollege Groß, man kann nicht ohne Geld bauen, aber der Auftraggeber zahlt in Raten zurück und erhöht damit seinen Spielraum. Dass dem so ist, sehen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ja auch so. Man erkennt an Ihrem Antrag, dass Sie eine differenzierte und bei aller Defensivität auch eine deutlich pro ÖPP eingestellte Politikrichtung vertreten. Das habe ich allerdings gerade nicht so herausgehört; vielleicht hat sich in der Kürze der Zeit einiges verändert. Mir missfallen jedoch Ihr populistischer Ansatz und der Tenor Ihres Antrags. Vielleicht liegt dort der Hund begraben. Sie wissen ganz genau, wie wichtig ÖPP ist und dass ÖPP in Zukunft eine deutlich größere Rolle bei der Finanzierung spielen muss. Aber anstatt dies deutlich zu sagen und Position zu beziehen, agieren Sie wie Unternehmen, wenn diese ihre PR-Abteilungen zu einer defensiven Krisenkommunikation aufstellen. Sie bedienen die kritischen Einstellungen Ihrer Stammklientel und drücken sich vor klaren Aussagen. Damit tun Sie dem notwendigen Ausbau der Infrastruktur in Deutschland keinen Gefallen, ja, damit laufen Sie sogar Gefahr, den weiteren Infrastrukturausbau zu behindern. (Sören Bartol [SPD]: Die größte Gefahr ist Ramsauer!) Ließen wir den Tenor Ihres Antrags außer Acht, könnten wir zu einer konstruktiven und differenzierten Auseinandersetzung kommen. Denn Sie beschreiben in Ihrem Antrag vieles von dem, was bei den Rahmenbedingungen und bei der Ausgestaltung von ÖPP berücksichtigt und verbessert werden muss. Das ist aber nichts Neues, und das wissen Sie. Natürlich – das ist auch unser liberales Fazit – müssen bei Infrastrukturinvestitionen vermehrt Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchgeführt werden. Denn Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen schärfen das Bewusstsein für ein Projekt und führen damit auch zu mehr Validität bei den Entscheidungen. Wir sind uns alle einig, dass ein konstruktiver Dialog mit allen Partnern notwendig ist, um das Instrument ÖPP weiterzuentwickeln, und dass hierbei klare und transparente Regeln förderlich sind. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Überziehen Sie doch nicht so! In Sachen Transparenz stellen Sie es so dar, als könne man alles offenlegen. Sie stellen sich selbst dar, als sei die SPD der Vorreiter transparenter Strukturen. Sie reden von vollständiger Transparenz. Aber was meinen Sie damit konkret? Erklären Sie doch lieber, wie es wirklich ist und warum es so ist. Transparenz ist bis zu einem bestimmten Punkt machbar. Aber nicht alles kann offengelegt werden. Private Unternehmen legen ihre internen Kalkulationen in der Regel nur so weit offen, wie dies nicht ihre Erfolgs- und Wettbewerbsposition beeinträchtigt. Da Sie von vollständiger Transparenz sprechen, fordere ich Sie auf: Seien Sie bitte ehrlich, und legen Sie diese Messlatte auch bei sich selbst an! Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur ist das größte Problem, eine ganzheitliche Strategie für das Verkehrssystem umzusetzen. Einer nachvollziehbaren Priorisierung stehen Sie aber im Wege. (Gustav Herzog [SPD]: Wir? Nein! Sie!) Als wir im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung den Länderproporz kritisiert haben, war es die SPD – und nur die SPD –, die ihre verkehrspolitischen Spielchen nicht aufgeben wollte. (Gustav Herzog [SPD]: Ach was! So ein Quatsch!) Fatal ist in diesem Zusammenhang auch, wenn Kosten von staatlicher Seite bewusst untertrieben werden, damit politisch gewünschte Projekte Eingang in den Bundesverkehrswegeplan finden. (Florian Pronold [SPD]: Wie peinlich, wenn man falsche Angriffe auch noch aufschreiben muss, um sie abzulesen!) Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur besteht das Hauptproblem – da bin ich wieder bei Ihnen – sicher nicht in der Ausgestaltung von ÖPP und in der Unsolidität bei Planung und Handling, sondern – neben der noch fehlenden Gesamtplanung und Priorisierung – darin, dass alternative Finanzierungs- und Beschaffungsinstrumente heute noch weitgehend vernachlässigt werden. Ich würde an dieser Stelle gerne Ihre Kritik bezüglich der zweiten Staffel beim Ausbau von Bundesautobahnen mit ÖPP ansprechen. Ich finde es im Gegensatz zu Ihnen richtig, dass man nach dem Abschluss der ersten Staffel der ÖPP-Projekte nicht übereilt weitermacht. Gerade Sie fordern ja mehr Transparenz und Wirtschaftlichkeits-untersuchungen. Insofern muss zuerst eine Auswertung der ersten Staffel erfolgen. (Florian Pronold [SPD]: Ach! Sie kriegen ja gar kein ÖPP-Projekt auf die Reihe! Nur Ankündigungen und nichts dahinter! – Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Geht es vielleicht auch etwas zurückhaltender, Herr Kollege?) Unser Ziel ist es, dieses Modell so weiterzuentwickeln, dass es einen noch größeren Beitrag zur Leistungsfähigkeit unseres Bundesfernstraßennetzes zu leisten vermag. Machen Sie – bei aller gerechtfertigter kritischer Betrachtung – bei dem Ansinnen, strukturelle Mängel zu beheben und haushalterische Integrität zu sichern, bitte deutlich, dass ÖPP zunehmende Chancen für den gesamten Infrastrukturausbau bietet. Worin wir uns einig sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist, dass man einigen der Probleme im Zusammenhang mit ÖPP begegnen kann, indem man die Planungs- und Finanzierungsverantwortung auf eine autonome Finanzierungsgesellschaft überträgt. Da ich gerade für den Bundesfernstraßenbau spreche, sage ich Ihnen: Unterstützen Sie uns doch bei unserem Anliegen, der VIFG mehr Kompetenzen zuzuschreiben! Das wäre im Gegensatz zu Ihrer defensiven Rhetorik ein konstruktiver Ansatz. Lassen Sie mich abschließend feststellen, dass man Ihrem Antrag leider anmerkt, dass die SPD wieder einmal in der programmatischen Zwickmühle steckt: Eigentlich wollen Sie wirtschaftsnah und industriepolitisch weitsichtig agieren, haben aber nicht den Mut, dies offen gegenüber Ihrer Stammklientel zu kommunizieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Das war eine falsche Analyse, Herr Kollege!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Simmling, was Sie gesagt haben, ist spannend – manchmal ist die Wortwahl nämlich extrem verräterisch –: Sie haben gesagt, wenn man ein Projekt hat, kann man das Geld nach und nach zurückzahlen, und die Handlungsspielräume bleiben erhalten. – Das ist genau das Gleiche wie bei der Verschuldung: Auf der einen Seite kämpfen Sie angeblich so sehr gegen die Verschuldung, auf der anderen Seite finden Sie PPP-Projekte ganz toll. Man muss sich aber genau mit der Frage befassen: Was ist denn ein PPP-Projekt? Ein PPP-Projekt ist nichts anderes, als Schulden aus dem Haushalt auszulagern und in einen Schattenhaushalt zu stecken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf von der FDP) Wie funktionieren PPP-Projekte? PPP-Projekte sind von ihrem Ursprungsgedanken her relativ klug angelegt. Man denkt sich: Wenn es einen öffentlichen Bauherren gibt, dann wird das immer extrem teuer. Deshalb lassen wir bei einem PPP-Projekt denjenigen, der baut, gleichzeitig den Unterhalt bestreiten. Da das kurzfristig auch nicht hilft, lässt man denjenigen, der baut, im Idealfall 30 Jahre den Unterhalt tragen, denn dann wird derjenige, der baut, es – so ist der Gedankengang – logischerweise von vornherein gut machen, da er selbst für den Unterhalt sorgen muss. Das klingt zunächst richtig und vernünftig. Warum stehen diese Projekte trotzdem so in der Kritik, und zwar nicht nur in der Kritik von Attac, sondern auch in der massiven Kritik sowohl vom Bundesrechnungshof als auch von den Landesrechnungshöfen? (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) Die erste Ursache ist die, dass die Verschuldung trotzdem stattfindet; denn das ist kein Finanzierungsmodell, sondern es ist ein Beschaffungsmodell. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die Verschuldung findet durchaus statt. Der Staat verschuldet sich allerdings nicht direkt bei Banken, wobei er seine niedrigen Refinanzierungskosten nutzen könnte, sondern für den Staat verschuldet sich in der Regel ein Baukonzern, und dieser muss höhere Zinsen zahlen. -Dadurch entsteht der erste Block, in dem leicht höhere Kosten auftreten. Der Unterschied ist nicht groß, weil es trotzdem eine Zahlungsgarantie des Staates über 30 Jahre gibt. Dennoch entsteht ein erster Kostenblock. Weiter ist auffallend, dass alles im Geheimen stattfindet. Es wurde davon gesprochen, dass nicht alle Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht werden können. Herr Sendker, Sie haben insbesondere die A-Modelle sehr gelobt. Woher wollen Sie jedoch wissen, dass die A-Modelle wirtschaftlicher sind? Das können wir gar nicht beurteilen. Alle Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind geheim. Wir dürfen hier gar nicht darüber reden. Diese Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen liegen in der Geheimschutzstelle. Wir können gar nicht beurteilen, ob die Projekte wirtschaftlicher oder nicht wirtschaftlicher sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Obwohl Projekte in Milliardenhöhe vergeben worden sind, können wir hier im Parlament nicht beurteilen, ob sie wirtschaftlicher sind oder nicht. Es gibt allerdings -gewisse Hinweise. Der Bundesrechnungshof hat die A-Modelle im Detail untersucht. Der Bundesrechnungshof empfiehlt, in Zukunft nur noch Projekte zu machen, die wirtschaftlich sind. Der Bundesrechnungshof hat die Zahlen gesehen. Wenn er schreibt, dass in Zukunft nur noch Projekte verwirklicht werden sollten, die wirtschaftlich sind, dann ist es eine logische Schlussfolgerung, davon auszugehen, dass die vergangenen Projekte unwirtschaftlich waren. Die einzige öffentlich zugängliche Information, von der wir wissen, ist die Aussage des Bundesrechnungshofs, dass diese Projekte unwirtschaftlich waren. (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Das ist völlig daneben, was Sie erklären!) Die erste klare Forderung lautet: Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, an denen kein Privater beteiligt ist, müssen öffentlich sein, damit wir darüber diskutieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die nächste eindeutige Forderung lautet: Das darf nicht zu einer Umgehung der Schuldenbremse genutzt werden. Sie reden immer von der Konsolidierung der Haushalte und weiten PPP-Projekte aus, um sozusagen über einen Schattenhaushalt erneut massiv Schulden zu machen. (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Sie scheinen Geld ohne Ende zu haben!) Hinzu kommt das grundsätzliche Problem, dass PPP-Projekte über 30 Jahre laufen. Wenn Sie einen Vertrag über 30 Jahre schließen müssen, dann ist er extrem dick. Für die A 1 umfasst er allein 40 Ordner. Sie müssen irre viele Risiken einpreisen. Dieses Problem prinzipiell zu lösen, ist nicht einfach. Das heißt, es muss mehr Transparenz geschaffen werden. Die Mittel dürfen nicht zur Vorfinanzierung missbraucht werden, und PPP-Projekte müssen dann, wenn sie überhaupt durchgeführt werden, so gestaltet werden, dass sie funktionieren. Das ist bis jetzt auf Bundesebene nicht der Fall. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Holmeier von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Ansatz, grundsätzlich für eine bessere Akzeptanz von ÖPP-Projekten zu sorgen, lobend hervorheben. Der vorliegende Antrag enthält viele richtige und wichtige Aussagen, vor allem im Hinblick auf die vielfach pauschale, sachlich falsche und damit unberechtigte Kritik an ÖPP-Projekten. Ich möchte an dieser Stelle gerne auf drei aus meiner Sicht wesentliche Punkte im Zusammenhang mit ÖPP hinweisen: Erstens. Ich denke, ÖPP darf man nicht als Allheilmittel und schon gar nicht als Alternative bei klammen öffentlichen Kassen ansehen; denn gerade für solche Fälle ist ÖPP eben nicht gedacht. ÖPP-Modelle sollten tatsächlich nur dort in Betracht gezogen werden, wo sie Sinn machen und einen echten Mehrwert bringen. Herr Hofreiter, Sie haben es angesprochen: Gerade beim Autobahnbau München–Augsburg – A-Modelle – ist es ein Mehrwert. Sie ärgert nur, dass wir mit den Maßnahmen einfach schneller vorangekommen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habt ihr die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung?) In allen anderen Fällen sollte man vorsichtig sein, um den Kritikern dieser Projekte nicht weiteren Nährboden für ihre Kritik zu bieten. Überall dort, wo ÖPP für sinnvolle Projekte angewandt wurde, hat es sich auch bewährt. Im Bereich des Hochbaus hat man besonders bei Bildungsprojekten – Schulen – sehr gute Erfahrungen mit ÖPP gemacht. Hier waren alle Beteiligten fast ausnahmslos der Meinung, dass die Zusammenarbeit hervorragend funktioniert hat, und auch die Qualität der Leistungen wurde sehr positiv bewertet. Mein zweiter Punkt, auf den ich hinweisen möchte, betrifft das Thema Transparenz. Grundsätzlich unterstützt die CDU/CSU-Fraktion mehr Transparenz im Bereich ÖPP. Eine möglichst hohe Transparenz erhöht -naturgemäß auch die Akzeptanz von ÖPP in der Öffentlichkeit; denn damit kann vielen Kritikern der Wind aus den Segeln genommen werden. Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiative der Deutschen Bauindustrie, die mit ihrer Transparenzinitiative vom Dezember des letzten Jahres aktiv auf die Kritiker zugegangen ist und ihrerseits eine begrenzte Öffnung von ÖPP-Verträgen angeboten hat. Allerdings – und hier setzt meine Kritik am vorliegenden Antrag ein – schießt die Opposition mit ihrer undifferenzierten Forderung nach vollständiger Transparenz weit über das Ziel hinaus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Werner Simmling [FDP]) Alle guten Ansätze des Antrags werden damit zunichte gemacht. Sie nehmen mit Ihrer Forderung nach uneingeschränkter Offenlegung aller Verträge keinerlei Rücksicht auf schutzwürdige Interessen und schon gar nicht auf rechtliche Rahmenbedingungen. Das Vergabeverfahren im deutschen Vergaberecht ist auf unbedingte Vertraulichkeit ausgelegt. Dies ist zum Schutz der Bieterangebote gesetzlich vorgeschrieben. Auf diese Weise werden Bieterabsprachen verhindert, und ein effizienter Wettbewerb wird ermöglicht. Ich denke, diese gesetzlich angelegte Vertraulichkeit ist auch richtig so. Eine uneingeschränkte Offenlegung der ÖPP-Verträge verletzt darüber hinaus auch Betriebs- und -Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen. Außerdem besteht die Gefahr, dass fiskalische Interessen der öffentlichen Auftraggeber beeinträchtigt werden, etwa durch Bieterabsprachen. Ich kann diese undifferenzierten Forderungen daher nur zurückweisen. Abgesehen davon, dass Sie die eben genannten schutzwürdigen Interessen verletzen, erweisen Sie mit Ihren Forderungen auch der Zukunft von ÖPP einen Bärendienst. Durch die von Ihnen geforderte vollständige Offenlegung käme der ÖPP-Markt zum Erliegen. Kein privates Unternehmen würde sich auf dieser Grundlage mehr als Partner zur Verfügung stellen; denn die Unternehmen würden ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Wenn Sie also mit der Weiterentwicklung von ÖPP eigentlich das Aus von ÖPP meinen, so sind Sie mit diesem Antrag auf einem guten Weg. Die CDU/CSU-Fraktion werden Sie dafür nicht gewinnen. Dritter Punkt. Ich möchte für eine weitgehende Gleichberechtigung von ÖPP und konventionellen Aufträgen plädieren. Bei allem Verständnis für mehr Transparenz und mehr Akzeptanz: Die Hürden für ÖPP-Projekte dürfen nicht zu hoch sein, vor allem nicht im Vergleich zu konventionellen Beschaffungsmethoden. ÖPP bietet hier schon heute mehr Transparenz. Das muss man anerkennen, und man muss sich im Grunde an gleichen Rahmenbedingungen orientieren. Wenn es gelingt, hier einen gesunden Mittelweg zu finden, dann sehe ich auch eine realistische Chance, die Akzeptanz von ÖPP zu erhöhen und die in der letzten Wahlperiode gestartete ÖPP-Initiative weiterzuentwickeln. Am Ende kommt es eben, wie so häufig, auf einen guten Mittelweg und das richtige Augenmaß an. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9726 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des -Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche -Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Harald Leibrecht, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wasser und Ernährung sichern – Drucksachen 17/9153, 17/9526 – Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Heiderich Dr. Sascha Raabe Dr. Christiane Ratjen-Damerau Niema Movassat Uwe Kekeritz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr. Christiane Ratjen-Damerau von der FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP) Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte Damen und Herren! In den letzten Tagen haben wir wunderbares Sommerwetter genossen: Temperaturen über 30 Grad und strahlend blauer Himmel. Im Radio wurden wir morgens schon ermahnt, ausreichend zu trinken – mindestens 2 bis 3 Liter am Tag –, das sei wichtig für die Gesundheit. Der Hinweis, das Trinken nicht zu vergessen, muss für Menschen in den Entwicklungsländern befremdlich, ja skurril sein. 2 bis 3 Liter Trinkwasser pro Person ist in vielen Regionen dieser Welt ein unerreichbares Ziel. 1,6 Milliarden Menschen leben in Gegenden, in denen das Wasser knapp ist. Für diese Menschen entscheidet es sich jeden Tag neu, ob sie genügend Wasser zum Trinken haben, ob sie genügend Wasser haben, ihre Pflanzen zu bewässern, oder ob sie ihre Tiere tränken können. Allerdings ist Wasser nicht nur für die direkte Nahrungsaufnahme unerlässlich, sondern es ist auch für die Landwirtschaft elementar. Ohne Wasser ist Landwirtschaft nicht möglich und damit auch keine Lebensmittelproduktion. Wir brauchen circa 2 000 bis 5 000 Liter Wasser, um die Nahrung eines Menschen pro Tag zu produzieren. In den letzten 50 Jahren wurde die landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche weltweit um 12 Prozent ausgeweitet. Die Agrarerzeugung von diesen Flächen wurde in dieser Zeit um das Dreifache gesteigert. Diese enorme Steigerung der Nahrungsmittelproduktion hat aber entscheidend mit der Bewässerung, also mit dem Wasser, zu tun. Sollte die Weltbevölkerung wie vo-rausgesagt weiter wachsen, muss die Agrarproduktion in den nächsten 50 Jahren um 50 bis 70 Prozent gesteigert werden und in Entwicklungsländern sogar um 100 Prozent. Dieses erforderliche Wachstum kann nur über eine nachhaltige Produktivitätssteigerung erreicht werden, in der die Bewässerung, eben das Wasser, eine zentrale, ja entscheidende Rolle spielt. Daher benötigen wir erstens verstärkte Investitionen in moderne Methoden der Landwirtschaft, um die vorhandenen Boden- und Wasserressourcen zu schonen, die Weiterentwicklung und Erforschung nachhaltiger Bewirtschaftungsmethoden, insbesondere die Entwicklung ganz moderner Methoden der Bewässerung, und die Weitergabe von Wissen über Bewässerungsmethoden an die Bevölkerung in Entwicklungsländern, um Wasser effizienter zu nutzen. Zweitens muss weltweit für eine effizientere Wassernutzung gesorgt werden. Hier sind Nutzungskonflikte zu lösen und faire Regeln für den Zugang und die Nutzung von Wasser und Land zu schaffen. Fehlen solche Rechte oder werden sie nicht durchgesetzt, werden Konflikte um Wasser und Land verschärft und eine effiziente Wassernutzung verhindert; denn dort, wo einzelne Nutzer einen privilegierten Zugang zu Wasser haben, spiegeln die Kosten des Wassers die Knappheit dieser Ressource nicht wider. Die Folge ist Wasserverschwendung. Das Gleiche passiert übrigens, wenn man Wasser kostenlos abgibt. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Armut und dem fehlenden Zugang zu Wasser und Land, der in einer fragilen Spirale enden kann: Gerade Kleinbauern bewirtschaften weniger ertragreiche Böden und haben einen schlechten Zugang zu Bewässerungsmöglichkeiten. Sie sind damit stärker als alle anderen von Wüstenbildung und Klimawandel betroffen und können somit auch weniger Nahrungsmittel produzieren. Die entscheidende Antwort auf die Frage, ob es uns gelingen wird, eine wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, ist eine produktive und gleichzeitig schonende Nutzung der knappen Wasser- und Bodenressourcen. Dies wird uns nur mit einer moderneren und besseren Technik, einer guten fachlichen Ausbildung und Beratung sowie verbesserten Rahmenbedingungen gelingen. Dazu ist eine faire Zuordnung von Zugangs- und Nutzungsrechten unabdingbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das siebte Millenniumsziel, den Anteil der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung haben, zwischen 1990 und 2015 um die Hälfte zu senken, haben wir vor einigen Wochen erreicht. Das ist ein großer Erfolg. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Doch noch immer haben fast 900 Millionen Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu adäquaten sanitären Einrichtungen. Sauberes Trinkwasser ist eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben. Viele, auch tödliche Krankheiten ließen sich durch sauberes Trinkwasser von vornherein verhindern. Denn Wasser ist die Quelle allen Lebens. Der Mensch kann fast 30 Tage ohne Nahrung leben, aber nur drei Tage ohne Wasser. Unser Antrag zeigt einen Weg auf, wie wir in Zukunft das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser weltweit umsetzen wollen. Ich bitte Sie daher sehr um Unterstützung unseres Antrages. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ist Ihnen vorhin, als Sie eine Tasse Kaffee getrunken haben, bewusst gewesen, dass Sie damit 140 Liter Wasser verbraucht haben? Das war vielleicht nur eine kleine Tasse, aber durch die Bewässerung der Plantagen und das Reinigen der Bohnen war der Verbrauch so hoch. Das geht bei anderen Lebensmitteln nahtlos weiter. Wenn Sie zum Beispiel 1 Kilo Brot essen, dann verbrauchen Sie 1 000 Liter Wasser. Für die Produktion von 1 Kilo Rindfleisch benötigt man 15 000 Liter Wasser. Diese Zahlen machen einen perplex, zeigen aber gleichzeitig die Dimension des Problems auf. Denn bei einer Weltbevölkerung von etwa 7 Milliarden Menschen – bis zur Mitte des Jahrtausends werden es vielleicht 9 Milliarden bis 10 Milliarden Menschen sein – müssen wir uns sehr bewusst sein, dass wir verantwortungsvoll und sparsam mit Wasser umgehen müssen. In Deutschland gibt es zwar klimatisch bedingt viel Regen und keine Wasserknappheit und -not, aber wir -tragen durch unsere Konsumgewohnheiten auch zur Wasserknappheit in anderen Ländern bei. Ich habe gerade das Beispiel Fleisch genannt. Ein großer Teil unserer Fleischproduktion erfolgt mit Futtermitteln, die in Entwicklungsländern angebaut werden, wo für die Bewässerung viel Wasser verbraucht wird. Ein schönes Produkt, das jedes weibliche Herz erfreut, sind Rosen. Bärbel Kofler hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall) Ich habe dir gestern Rosen geschenkt, Bärbel. Du kannst aber gleich ein schlechtes Gewissen bekommen. Denn Rosen verbrauchen unwahrscheinlich viel Wasser, nämlich täglich 60 Kubikmeter pro Hektar. Mehr als die Hälfte der nach Deutschland importierten Rosen stammt aus Kenia. Dort gibt es einen sehr großen Konflikt, weil das Wasser dort einem See entnommen wird, der für die dortige Bevölkerung wichtig ist. Das Grundwasser wird abgesenkt. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft kommt dort ins Hintertreffen. Insofern dürfen wir nicht losgelöst von diesen Problemen so weitermachen wie bisher. Deswegen ist es durchaus gut – das möchte ich loben –, dass die Koalition einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt hat und wir das Thema heute auf der Tagesordnung haben. Es ist richtig und gut, dass wir heute im Deutschen Bundestag zum Thema Wasser diskutieren. Wenn ich aber zu den einzelnen Punkten des Antrags komme, ist zwar in der Problemanalyse vieles richtig, aber im Forderungsteil werden nicht die Maßnahmen aufgeführt, die umgesetzt werden müssen, um das Pro-blem wirklich anzugehen. Zum Beispiel wird das Thema Land Grabbing, zu dem auch das Water Grabbing gehört, nur am Rande gestreift. Land Grabbing bedeutet, dass sich ausländische Konzerne große Ländereien unter den Nagel reißen und die Produkte dann in ihre Heimatländer exportieren; die Lebensmittel bleiben somit nicht vor Ort. Das geht auch mit einem hohen Wasserverbrauch einher. Eine wichtige Forderung wäre gewesen, die FAO-Leitlinien entsprechend umzusetzen. Es gibt auch keine konkreten Forderungen zum Bereich der industriellen Produktion. Es reicht nicht, wenn Sie das Zusammenspiel zwischen Politik und Wirtschaft fordern, um die Verantwortung auf freiwilliger Basis zu verankern. Nein, wir brauchen verbindliche Regeln, damit die Industrie und insbesondere die Agrarindustrie mit dem Wasser in den Entwicklungsländern verantwortungsvoll umgehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genauso ein Schwachpunkt ist, dass Sie sich in Ihrem Antrag in erster Linie auf die privaten Versorger beziehen. Wasser ist ein Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb kann es nicht sein, dass nur Private, wie Sie es wollen, die Wasserversorgung betreiben. Wir brauchen auch kommunale Versorger und genossenschaftliche Modelle; denn Wasser sollte nicht an der Börse gehandelt werden, sondern bei den Menschen ankommen. Dorthin gehört es nämlich. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So schön Ihr Antrag in der Beschreibung ist: Worte helfen nicht. Wir brauchen Taten. Wir sind dazu verpflichtet, entsprechend tätig zu werden; denn die Vereinten Nationen haben 2010 das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung als Menschenrecht anerkannt. Dieses Recht darf nicht nur auf dem Papier stehen. Es war meine Fraktion, die im November 2010 – lange vor Ihnen – einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht hat, der an einer entscheidenden Stelle sehr viel konkreter ist als Ihr heutiger Antrag. Denn in unserem Antrag wird gesagt, dass es, um die Ziele zu erreichen, notwendig ist, bis 2015 den Anteil der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationalprodukt, die sogenannte ODA-Quote, wie international vereinbart auf 0,7 Prozent zu erhöhen und in Deutschland den vereinbarten Stufenplan umzusetzen. Genau das machen Sie nicht. Sie beschreiben ein Problem und sagen, wir müssten etwas dagegen tun, stellen aber nicht das notwendige Geld zur Verfügung. Das ist heuchlerisch; das geht nicht. (Beifall bei der SPD) Wenn man die Koalition, die Bundesregierung und den zuständigen Minister dafür kritisiert, wird oft gesagt: Geld ist doch nicht alles. – Das ist gerade im Hinblick auf den Wassersektor eine sehr zynische Aussage. Ich war erst vor einem halben Jahr in Äthiopien und habe gesehen, dass die Welthungerhilfe dort eine Wasserversorgung für mehrere Dörfer eingerichtet hat. Nun gibt es sauberes Trinkwasser aus einem Waldbereich, das über eine entsprechende Leitung transportiert wird. Der dort eingerichtete sogenannte Wasserkiosk sorgt dafür, dass vor allem Frauen nicht mehr stundenlang Wasserkanister tragen müssen oder dass die Menschen – das ist oft noch viel schlimmer – nicht mehr das Wasser aus den Seen und Flüssen trinken müssen. Die Zähne der Menschen, die dieses Wasser trinken, sind sichtbar geschädigt und braun verfault. Es ist ein Dilemma, wenn Menschen nur die Wahl haben, verschmutztes Wasser, das Krankheiten verursacht, zu trinken oder privaten Anbietern, die Trinkwasser per Tanklastwagen anliefern, überhöhte Preise zu zahlen. Es ist daher wichtig, dass wir Geld in die Hand nehmen und solche Projekte wie das eben erwähnte der Welthungerhilfe finanziell unterstützen. Es kann nicht sein, dass Sie ein Problem richtig benennen, dass 380 Abgeordnete – darunter auch viele von Ihnen – einen Aufruf des Bundestages unterschreiben, der zum Ziel hat, dass 1,2 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden, und dass dann der Minister nur 100 Millionen Euro mehr zur Verfügung stellt. So geht das nicht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch hier muss man ganz klar sagen: Nicht Worte, sondern Taten helfen. Die Taten müssen auch finanziell unterfüttert werden. Ich möchte zum Schluss einen Ausblick auf die Konferenz Rio+20 geben. Diese Konferenz eröffnet eine neue Chance, das Thema Wasser und Ernährung international stärker zu verankern. Wir haben es mit parlamentarischem Druck und mithilfe der Zivilgesellschaft geschafft, dass der jüngste Entwurf zu dieser Konferenz auch das Menschenrecht auf Wasser beinhaltet. Hoffen wir, dass wir diesen umsetzen werden. Dazu wäre es vielleicht auch nötig, dass sich die Frau Kanzlerin bequemen würde, persönlich nach Rio zu fahren; denn dort geht es um die großen Menschheits- und Zukunfts--fragen. Ja, wir Sozialdemokraten sind für das Menschenrecht auf Wasser. Aber Ihren Antrag werden wir ablehnen, weil er nicht konkret ist, weil er nur die Privaten im Auge hat und weil vor allem nicht die Mittel bereit--gestellt werden, die notwendig sind, um das Wasserpro-blem auf der Welt zu lösen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Helmut Heiderich von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Frage, es gibt eine Trendwende in der globalen Agrar- und Ernährungspolitik. Für die gesamte Öffentlichkeit ist die globale Ernährungslage inzwischen wieder ein zentrales Thema. Gerade die aktuellen Beschlüsse von Camp -David zur Agrarpolitik, die ganz oben auf der Agenda standen, zeigen, wie wichtig das Thema ist. Auch die Beschlüsse von Cannes oder die neuen Aktivitäten der G 20 betonen die Bedeutung der damit zusammenhängenden Fragen. Wir als Koalition haben seit dem letzten Jahr deshalb intensiv auf die neuen Entwicklungen und Schwerpunkte reagiert. In insgesamt drei Anträgen haben wir uns mit diesem Bereich auseinandergesetzt. Es ging um die Eindämmung von Nahrungsmittelspekulation und Land Grabbing, es ging um Forschung zur Welternährung, es ging um Sicherung der Welternährung, und mit dem aktuellen Antrag „Wasser und Ernährung sichern“ betonen wir speziell die besondere Bedeutung der Ressource Wasser als Grundlage für die weltweite Ernährungs-sicherheit. Dass Wasserknappheit der häufigste Auslöser einer unsicheren Ernährungslage in vielen Ländern ist, wird immer noch oft ignoriert. Dabei sind die klima-tischen Herausforderungen, etwa Dürren, tagtäglich in der Praxis zu erleben. Ich freue mich – das muss ich sagen –, dass die Vertreter der Opposition uns dafür loben, dass wir dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt und dazu einen Antrag vorgelegt haben. Ich hatte mir als Resultat der bisherigen Diskussionen der ersten Runde aufgeschrieben, dass die Opposition nichts anderes als Nörgeleien zu diesem Antrag vorbringe; aber ich muss feststellen: Sie haben die Brisanz des Themas und die umfassende Darstellung des Problems in unserem Antrag erfasst. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Im November 2010 haben wir das schon erfasst!) Ich muss allerdings auch heute wieder sagen: Das letzte von Ihnen vorgebrachte Argument, warum Sie unseren Antrag ablehnen wollen, kann nicht überzeugen. Wenn Sie sagen, es werde nicht genug Geld zur Verfügung gestellt, liegen Sie gerade bei diesem Thema falsch. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Man kann noch mehr machen, wenn man mehr will!) Keine andere Regierung weltweit leistet so viel wie die deutsche Bundesregierung zur Sicherung von Wasserversorgung und Ernährung im internationalen Rahmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deswegen zieht Ihr Argument nicht so ganz. Warum kommt nun dieser Antrag in dieser Zeit? Sie haben eben schon darauf hingewiesen: Wasser und Ernährung gehören in den Rio-Prozess. Unsere Initiativen sollen dazu beitragen, dass Wasser auch Thema im -Rahmen des Rio+20-Prozesses wird. Die jüngsten Verhandlungen machen Hoffnung – um das vorsichtig zu formulieren –, dass Ernährung, Ernährungssicherung, Landwirtschaft und Wasserversorgung Toppunkte der Rio+20-Verhandlungen sein könnten. Ich sage das vorsichtig. Warum ist das von so großer Bedeutung? Die Folgen sind regional sehr unterschiedlich. In Bezug auf Wasserversorgung und Nahrungssicherung sind die Folgen in den ärmeren Regionen der Welt häufig verheerend. Wir meinen, dass wir deswegen alles unternehmen müssen, um Dürre und Hunger mit langfristigen Maßnahmen vorzubeugen; denn gerade jetzt, da sich das Klima verändert, ist die globale Ernährungssicherung verletzlicher denn je. Deswegen müssen wir aktiv werden und Maßnahmen ergreifen. Schon heute sind gut 40 Prozent der Erdoberfläche Trockengebiete. In diesen Regionen leben ungefähr 2 Milliarden Menschen. Wir wissen – auch das ist öfter thematisiert worden –, dass verändertes Konsumverhalten in den Schwellenländern, seien es China, Brasilien oder andere Staaten, dazu führt, dass verstärkt Fleisch als Grundnahrungsmittel nachgefragt wird. Eben ist da-rauf hingewiesen worden: Um 1 Kilo Fleisch zu erzeugen, brauche ich ungefähr 15 000 Liter Wasser, um 1 Kilo Reis zu erzeugen, brauche ich ungefähr 1 500 Liter Wasser. Das heißt, wir werden in Zukunft verstärkt mit der Knappheit der Ressource Wasser zu kämpfen haben. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da geht es um unsere Ernährungsgewohnheiten!) Deshalb ist auch im Rahmen des UN-Weltwassertags, der am 22. März stattgefunden hat, dieses Problem thematisiert worden, allerdings nicht in der Form, wie Sie es in Ihrem Zwischenruf getan haben, nämlich dass wir nichts mehr essen dürfen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein! Einfach mal darüber nachdenken, was wir essen!) Wir sollten uns vielmehr Gedanken machen, wie wir die Produktion vernünftiger gestalten können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will ferner darauf hinweisen, dass die Lage in der Bewässerungslandwirtschaft sehr problematisch ist. Etwa 70 Prozent des Wassers werden für die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen benötigt. Das Besondere dabei ist, dass es weniger in den Industriestaaten, aber viel stärker in den Ländern der noch unterentwickelten Welt zu diesen hohen Prozentsätzen kommt. Dort werden 70 bis 90 Prozent des Wassers benötigt, um Nahrungsmittel zu erzeugen. Auch hier muss heute schon über Wassermangel geklagt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal auf die Argumente der Opposition eingehen. Wir wollen mit unserem Antrag einen multi-dimensionalen Lösungsansatz bieten. Wir wollen mehr grenzübergreifende Zusammenarbeit initiieren, damit es auf Ebene der Regierungen und der weltweiten Organisationen zu stärkeren Abstimmungen untereinander kommt und die Versorgung besser wird. In der letzten Woche wurde der Bericht der EU über Entwicklungspolitik veröffentlicht. Herr Piebalgs hat ihn vorgestellt und gelobt. In diesem Bericht werden viele der Forderungen, die wir in unseren Antrag eingebaut haben, ebenfalls erhoben. Insofern sehen wir uns auch an dieser Stelle in guter Gesellschaft und glauben, dass wir mit unserem Antrag richtig und zielgerichtet vorgehen. In diesem EU-Bericht wird ein integriertes Vorgehen für die Zukunft gefordert. Ganz konkret heißt es, man brauche eine neue Wasser-Nexus-Initiative. Das ist zum Beispiel auch ein Teil dessen, was wir hier vortragen. Beim Weltwasserforum Mitte März dieses Jahres in Marseille wurde die Forderung erhoben, dass die Umweltorganisationen einen globalen und verbindlichen Aktionsplan zur Lösung der Wasserproblematik, der Wasserkrise und möglicher weiterer Konflikte vorlegen. Gerade in Anbetracht des Rio+20-Gipfels muss das Thema Wasser unseres Erachtens stärker in den internationalen Fokus rücken, als das bisher der Fall war. Ich will ein erfolgreiches Beispiel dazu aufführen: die schon 1999 gestartete Nilbecken-Initiative, deren Ziel es ist, die Wasserressourcen im Einzugsgebiet dieses großen Flusses gemeinsam zu entwickeln und zu nutzen. Diese Initiative hat bisher insbesondere auf vertrauensbildende Maßnahmen gesetzt und versucht, politische Dialoge und eine abgestimmte Entwicklung zu erreichen. Dazu hat es eine Reihe von politischen Fortschritten gegeben. Trotzdem ist es bis heute nicht gelungen, darüber ein völkerrechtliches Abkommen zwischen den Nil-Anrainern zu schließen. Das zeigt, wie die Dimensionen bei solchen Abkommen und solchen Entwicklungen sind. Deswegen müssen wir auch immer und verstärkt am Ball bleiben, um die Dinge voranzubringen. Ähnliche Initiativen sind inzwischen in Wasserkonflikten in Senegal, Mali und Mauretanien, in Libyen und Algerien sowie in Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gestartet – und wir alle wissen, dass es international noch wesentlich mehr Konflikte um das Wasser gibt. Auf lokaler Ebene – das ist die dritte Ebene dieses Antrags – muss den Kleinbauern in den Entwicklungsländern und den Kleinunternehmern ein besserer Zugang zur Bewässerung ermöglicht werden. Der Schlüssel dazu ist, wie eben bereits angedeutet wurde, eine effiziente, kostengünstige und einfache Technologie, die den klimatischen Veränderungen entgegenwirkt und den Kleinlandwirten die Möglichkeit gibt, Ernteausfällen entgegenzuwirken. Ebenso können ausländische Direktinvestitionen helfen, wenn sie genutzt werden, um neue und effiziente Technologien in diese Länder zu bringen. Insofern setzen wir ebenso wie die G 8 bei ihrem letzten Gipfel da-rauf, diese privaten Direktinvestitionen zu nutzen und sie zusammen mit den öffentlichen Investitionen einzubringen. Herr Kollege Raabe, die Bundeskanzlerin hat sich in ihrer Regierungserklärung am 10. Mai 2012 – das ist noch nicht so lange her – ebenfalls für verbesserte Rahmenbedingungen für private Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern ausgesprochen und insbesondere darauf verwiesen, dass die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent durch diese gemeinsame Vorgehensweise der G 8 besonders profitieren können. Insofern ist auch der Bundeskanzlerin dieses Thema nicht unbekannt. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aber sie gibt kein Geld dafür aus! – Gegenruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das wäre ja noch schöner!) – Deutschland hat so viel wie kein anderes Land – das habe ich eben schon einmal gesagt – Geld in die internationale Unterstützung von Wasser und Wasserwirtschaft investiert. Dass Sie immer wieder auf die ODA-Quote und den damit verbundenen allgemeinen Rahmen rekurrieren, ist diesem Thema nicht angemessen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist das Ziel unseres Antrags? Wir wollen konkrete Problem-lösungsansätze bieten. Sie haben eben zum Teil zu Recht gesagt, dass diese Ansätze in unserem Antrag erwähnt sind. Wir wollen einen stärkeren Aufbau internationaler Organisationen und Strategien. Wir wollen auch die Einbeziehung des Privatbereichs in diese Strategien, damit wir zu einem besseren Wassermanagement und zu einer besseren Grundlage für die Ernährungssicherung auf unserem Globus kommen. Wir sind uns sicher, dass dieser Antrag dazu einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Ich will mit Blick auf die Zukunft sagen: Die Weltwasserwoche in Stockholm, die im August dieses Jahres stattfinden wird, hat zum ersten Mal „Water and Food Security“ zum Thema. Ich glaube, da sind wir auf dem richtigen Weg. Ich würde mich freuen, wenn die Opposition, soweit es ihr möglich ist, die entsprechenden Initiativen mit unterstützt. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Helmut Heiderich. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Niema Movassat. Bitte schön, Kollege Movassat. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir morgens aufstehen, gehen wir ins Bad und drehen den Wasserhahn auf. Auf dem Land in Uganda dagegen laufen Frauen morgens stundenlang zum Brunnen, um Wasser zu holen. Während dort jeder Tropfen zum Überleben zählt, lassen wir den Wasserhahn hier schon mal laufen. Diese weltweite Ungerechtigkeit der Wasserverteilung gehört entschieden bekämpft. (Beifall bei der LINKEN) Über 1 Milliarde Menschen haben zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Jedes Jahr sterben an den Folgen 2 Millionen Menschen. Jeder weiß, dass die Weltbevölkerung weiter wachsen wird, und jeder weiß, dass wir für mehr Menschen mehr Lebensmittel und mehr Wasser brauchen. Das lebensnotwendige Nass wird in Zukunft noch knapper werden. Dabei ist Wasser ein Menschenrecht – ein Menschenrecht, das tagtäglich massiv verletzt wird. Entschiedenes Handeln ist nötig, um es endlich durchzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Aber Ihr Antrag, der der Koalition, ist dazu nicht geeignet. Sie kommen in Ihrem Antrag mit einer Idee, die hierzulande schon fulminant gescheitert ist: Wasser-privatisierung. Sie wollen, dass Entwicklungsländer die Wasserversorgung an Privatunternehmen abtreten, an Unternehmen, die anschließend auch die Ärmsten der Armen, die es sich gar nicht leisten können, zur Kasse bitten. Das ist Hohn auf jedes Menschenrecht. (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen doch, wo das hinführt: Die Privatisierung des Wassersektors in Großbritannien in den 1990er--Jahren hat zu Preissteigerungen von über 50 Prozent -geführt. In Bolivien, in Cochabamba, kam es bei der Wasserprivatisierung, die auch von der deutschen -Entwicklungsorganisation GTZ empfohlen wurde, zu Preissteigerungen von 150 Prozent. Dadurch kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen 35 Menschen starben. Trotz dieser schrecklichen Erfahrungen fordern Sie von der Koalition die Privatwirtschaft auch noch auf, in das Wassergeschäft einzusteigen, und Sie unterstützen das Ganze über öffentlich-private Partnerschaften mit Steuergeldern. Für die Privatunternehmen wird der Wassersektor mit zunehmender Wasserknappheit ja auch interessanter; denn was knapp ist, ist lukrativ. Sie sagen: Privatunternehmen sind prädestiniert, eine effiziente lokale Wasserversorgung zu gewährleisten. Ich sage: Sie machen sich damit zu Wasserträgern der Privatunternehmer. (Beifall bei der LINKEN) Zu einem zweiten Punkt Ihres Antrags. Um gegen die Wasserknappheit vorzugehen, möchten Sie verstärkt auf gentechnisch veränderte Pflanzen setzen. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Wo steht das denn? Kein Wort ist wahr!) Das ist ein großer Fehler; denn der Markt für gentechnisch veränderten Mais, Weizen, Reis und Soja wird von wenigen Unternehmen kontrolliert, allen voran Monsanto, -DuPont und Syngenta. Diese beherrschen drei Viertel des weltweiten Saatguthandels. Deren Technologie treibt Kleinbäuerinnen und -bauern in die Abhängigkeit. Die Bauern müssen jedes Jahr neues, teures Saatgut von Monsanto und Co kaufen; sie können es nicht, wie sonst üblich, selbst herstellen. Die Ernteerträge sind aber oft geringer, als ihnen versprochen wurde. Um das teure Saatgut bezahlen zu können, müssen die Bauern Kredite aufnehmen. Mangels ausreichender Erträge können sie diese aber nicht zurückzahlen. Über 200 000 indische Bauern haben in den letzten Jahren deswegen Selbstmord begangen. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, noch mehr Kleinbauern von einigen wenigen Multis abhängig zu machen! (Beifall bei der LINKEN) Was in Ihrem Antrag zudem ausgeblendet wird und was auch Sie, Herr Heiderich, in Ihrer Rede ausgeblendet haben, ist unsere Wirtschafts- und Lebensweise, die zu einem großen Teil für den Wassermangel im Süden verantwortlich ist. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Hören Sie zu! Das wäre ganz gut, Herr Heiderich!) Erdbeeren im Winter aus Marokko, ganzjährig Rosen aus Äthiopien – für unsere Lebensweise müssen viele Entwicklungsländer ihr weniges Wasser verschwenden. Die Ressource Wasser muss zuerst für die Menschen da sein, die in dem Land leben. Deshalb muss gegen diese Form von Wasserraub vorgegangen werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir als Linke sagen Ja zum Menschenrecht auf Wasser, Ja zu einer gerechten Verteilung der Wasserressourcen, Ja zu einer besseren Unterstützung von Kleinbauern, Nein zu Privatisierungen, Nein zu Gentechnik und deshalb auch Nein zu Ihrem Antrag. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Niema Movassat. – Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Uwe Kekeritz. Bitte schön, Herr Kollege Kekeritz. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich auf den Antrag der Koalition eingehen, den ich zunächst einmal sehr positiv finde. Sie greifen ein sehr zentrales, wichtiges Thema auf und tragen dazu bei, dass man darüber diskutiert. Ich hoffe, dass Sie in Zukunft dann auch für Anregungen offene Ohren haben und sich ihnen nicht verweigern. Ihr Antrag enthält partiell sehr richtige Analysen. Er zeigt sehr gut auf, wie bedrohlich die Situation ist. So schreiben Sie völlig zu Recht – das ist ein Beispiel; Sie geben viele an –: Gerade im Nahen Osten ist zu beobachten, dass die Frage der Ernährungssicherheit und der Wasserversorgung immer mehr eine Frage von Frieden und Sicherheit wird. Sie nennen in Ihrem Antrag auch sehr viele unterschiedliche Forschungsansätze, um zukünftig das Wassermanagement zu verbessern. Richtigerweise stellen Sie auch fest, dass die einzelnen Aufgabengebiete viel zu inkohärent bearbeitet werden. Das ist allerdings schon der positive Teil Ihres Antrags. In Ihrem Antrag verpassen Sie es leider, zentrale Fragen aufzugreifen. Der Kollege Raabe hat das schon erwähnt: Sie sprechen nicht das Thema Land Grabbing an. Sie sprechen nicht die großflächigen Rodungen und die verminderte Wasser- und CO2-Speicherfähigkeit von übernutzten Böden an. Mit keinem Wort wird das erwähnt. Welch gigantische Wassermengen in Staaten wie Niger, Tansania, Namibia für die Urangewinnung verlorengehen, wird nicht erwähnt. Das ist ganz wichtiges Wasser, das die Menschen für ihre Tiere und für ihre Pflanzen selbst brauchen. Aber dort wird es für unseren Atomstrom verwendet. Außerdem sehe ich in Ihrem Antrag sehr viele technische Lösungsmöglichkeiten. Man gewinnt leicht den Eindruck, dass Sie deutsches technisches Denken einfach auf afrikanische und asiatische Verhältnisse übertragen. Diese Lösungsvorschläge mögen viel moderne Technologie beinhalten, aber die dahintersteckende Denke basiert auf einer völlig veralteten Technologie-gläubigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Konsequenz, die Sie eigentlich ziehen müssten, aber nicht ziehen, wäre eine fortschrittliche, moderne Agrarproduktion, wie sie uns zum Beispiel im Weltagrarbericht 2008 aufgezeigt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Den haben Sie nicht gelesen, oder?) – Den haben sie schon gelesen; den ignorieren sie nur. – Auch das Institut für Technikfolgenabschätzung schlägt in seinem jüngsten Gutachten genau in die gleiche Kerbe. Wir haben zuhauf Beispiele dafür, wie es funk-tioniert. Ein Beispiel sei Ihnen genannt: SEKEM, ein 4 000 Hektar großes Projekt in der ägyptischen Wüste, 40 Kilometer südlich von Kairo. Diese 4 000 Hektar wurden in fruchtbares Land verwandelt. 2 000 Menschen haben dort Arbeit gefunden. Auch fehlt in Ihrem Antrag der Zusammenhang mit unserer Verantwortung. Wie schaut es denn aus mit unserer Wirtschafts- und Exportpolitik? Wir überschwemmen die Märkte mit hochsubventionierten Lebensmitteln – das geht von Getreide über Hähnchen bis hin zu Milchprodukten – und räumen Afrikas Fischbestände leer. Was bleibt den Menschen dort im ländlichen Raum? Sie verlassen den Raum, gehen in die Slums und vergrößern diese. Sie wissen, dass die Industriestaaten ihre landwirtschaftliche Produktion täglich mit 1 Milliarde Dollar subventionieren. Ich habe mich nicht versprochen: täglich mit 1 Milliarde Dollar. Die Entwicklungsländer haben überhaupt keine Chance, dagegenzuhalten. Wir machen sie damit kaputt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) In Ihrem Antrag versäumen Sie ferner, zu erwähnen, dass unsere Lebensweise Haupt- oder zumindest Mitverursacher vieler Probleme ist. Überall werden Wälder abgeholzt. Auf dem gewonnenen Land wird dann Futter für unsere Schweine, Rinder und Hühner produziert. Ich gehe nicht darauf ein – Sie haben es gesagt –: Für jedes Kilogramm Fleisch werden 15 000 Liter Wasser verbraucht; dieses Fleisch importieren wir zu einem großen Teil aus Argentinien. Ich frage mich – ich bin gleich fertig, Herr Präsident –: Warum überschreiben Sie Ihren Antrag mit „Wasser und Ernährung sichern“? Sie gehen auf das Thema „sichern“ mit keinem Wort ein. In diesem Zusammenhang wäre die Ernährungssouveränität ein zentrales Thema. Dann wäre der Antrag glaubwürdig. Ihre Politik geht nicht auf die Ernährungssouveränität dieser Länder ein. Deswegen ist Ihr Antrag lückenhaft. Sie lassen die zentralen Positionen aus. Daher müssen wir Ihren Antrag negativ bewerten. Einen Antrag, der nicht das Wesentliche sagt, kann man nicht unterstützen. Man müsste ihn als einen Schaufensterantrag bezeichnen. Wenn Sie sich den Forderungskatalog anschauen, dann sehen Sie – Vizepräsident Eduard Oswald: Sie haben etwas versprochen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich bin fertig –: 90 Prozent Ihrer Forderungen werden schon umgesetzt. Deswegen ist ihr Antrag ein Schaufensterantrag. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege Uwe Kekeritz. – Sie waren der letzte Redner in dieser Debatte. Somit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mit dem Titel „Wasser und Ernährung sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9526, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/9153 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Überweisung des Goldstone-Berichtes an den Internationalen Strafgerichtshof durch den UN-Sicherheitsrat – Drucksachen 17/6339, 17/7532 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler Günter Gloser Dr. Rainer Stinner Stefan Liebich Kerstin Müller (Köln) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es widerspricht niemand. Dann ist dies auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in dieser Aussprache ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Birgit Homburger. Bitte schön, Frau Kollegin Birgit Homburger. (Beifall bei der FDP) Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich es für schwer nachvollziehbar halte, dass dieser Antrag heute Abend im Deutschen Bundestag nochmals diskutiert wird; denn zwischenzeitlich ist allen Beteiligten klar, dass wesentliche Vorwürfe, wie sie im Goldstone-Bericht enthalten sind, so nicht zutreffen und so nicht erhoben werden können. Deswegen wäre die richtige Reaktion vonseiten der Linken gewesen, nicht auf einer Debatte zu bestehen, sondern den Antrag zurückzuziehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist ja nett! Das hat mit Demokratie erst mal nichts zu tun!) Die FDP hat sich im Zusammenhang mit der Aufklärung der Ereignisse um die Gaza-Flottille immer für eine vollständige und auch unparteiische Aufklärung der Vorwürfe durch die beteiligten Parteien eingesetzt. Diese Ereignisse waren mehrfach Thema im Deutschen Bundestag, sowohl im Plenum als auch in den zuständigen Ausschüssen. Diese Diskussion schließt die nötige Kritik an Israel, aber eben auch an der Hamas ein. Sie fordern, die Empfehlungen des Goldstone--Berichts dem Internationalen Strafgerichtshof vorzulegen. Unsere Haltung ist, dass der Menschenrechtsrat der UN der einzige Ort ist, an dem der Goldstone-Bericht behandelt werden sollte. An dieser Haltung hat sich seit der letzten Beratung nichts, aber auch gar nichts geändert. Es war der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, der am 3. April 2009 die Untersuchungskommission einsetzte. Er ist deshalb auch der richtige Ort, an dem dieser Bericht behandelt werden sollte. Deshalb sind wir nach wie vor entschieden dagegen, ihn an weitere Gremien zu überweisen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Antrag lässt die nötige Ausgewogenheit vermissen. Ich will das an einem einzigen Beispiel deutlich machen – man könnte viele Beispiele aus diesem Antrag herausziehen –: Sie sagen, dass mutmaßliche israelische Kriegsverbrechen nicht aufgeklärt worden seien. (Annette Groth [DIE LINKE]: Das stimmt!) Der Hamas ersparen Sie solche Vorwürfe. Fakt ist: Natürlich hat auch die israelische Regierung Fehler gemacht, aber sie hat immerhin Ermittlungen eingeleitet, sie hat Soldaten bestraft, die sich Verbrechen gegen Zivilisten schuldig gemacht haben. Die Hamas hingegen hat keinerlei Untersuchungen über den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen eingeleitet, der klar gegen Zivilisten gerichtet war. Diese Unausgewogenheit in Ihrem Antrag ist so nicht hinzunehmen. Deshalb werden wir diesem Antrag auf keinen Fall zustimmen können. Die Hamas hat von zivilen Einrichtungen, von Wohnhäusern aus operiert; sie hat auf von Menschen bewohnten Häusern Waffen platziert. Sie hat also nichts anderes getan – nicht mehr und nicht weniger –, als Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Eine solche Haltung ist menschenverachtend. Wenn Sie einen solchen Antrag stellen, dann müssen Sie auch diese Tatsachen berücksichtigen und können nicht nur eine Seite ins Visier nehmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Darüber hinaus ist die Asymmetrie des Konflikts nicht ausreichend gewürdigt. Sie können nicht Hamas und Israel auf eine Stufe stellen. In Ihrem Antrag findet sich kein Wort dazu, dass die Hamas keine normale Organisation ist. Aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion ist die Hamas nach wie vor eine Terrororganisation. Das muss an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gesagt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Antrag ist also unausgewogen; er hat mit der Aufklärung der Vorwürfe nichts zu tun. Aus meiner Sicht ist er rein politisch motiviert. Hinzu kommt, dass der Goldstone-Bericht fehlerhaft ist. Man findet darin beispielsweise kein Wort zum legitimen Sicherheitsinteresse Israels. (Annette Groth [DIE LINKE]: Das war nicht Gegenstand der Untersuchung!) Es ist für Deutschland schlicht und ergreifend undenkbar, einen solchen Bericht zu unterstützen. Inzwischen geben Sie selbst zu, dass Richard Goldstone den Bericht mit dem heutigen Wissen ganz anders verfassen würde. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat Goldstone gesagt!) Er hat sich zwischenzeitlich in mehreren Artikeln persönlich geäußert und deutlich gemacht, dass der Bericht fehlerhaft ist und dass er ihn mit dem heutigen Wissen so nicht mehr verfassen würde. Unter anderem hat er hervorgehoben, dass das israelische Militär im Gegensatz zur Hamas eben nicht absichtsvoll auf Zivilisten gezielt habe. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das ist ein erheblicher Unterschied. Deshalb halte ich abschließend fest: Erstens. Die Grundlage für Ihren Antrag, der Goldstone-Bericht, ist fehlerhaft. Zweitens. Ihr Antrag ist unausgewogen. Drittens. Darüber hinaus sind etliche Forderungen aus dem Antrag zwischenzeitlich erfüllt; beispielsweise hat sich die Generalversammlung der UN mit dem Thema befasst, ebenso wie der Menschenrechtsausschuss der UN. Israel hat einige der Empfehlungen umgesetzt. Allerdings wurde keine der Forderungen umgesetzt, die an die Hamas gerichtet waren. Vor diesem Hintergrund kann ich nur feststellen: Ihr Antrag ist überholt. Wir werden dem Antrag auch aus diesem Grunde nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollegin Birgit Homburger. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Günter Gloser. Bitte schön, Kollege Günter Gloser. (Beifall bei der SPD) Günter Gloser (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen hier und heute nicht zum ersten Mal über einen Antrag der Linken zum sogenannten Goldstone-Bericht. Schon 2010 nutzte die Linke den Bericht zu einer eingehenden Kritik an Israel. Schon damals wurden von der Linken die möglichen Menschenrechtsverletzungen Israels ausführlich besprochen, die offensichtlichen und eklatanten Verbrechen der Hamas und anderer Palästinensergruppen aber kaum erwähnt. Das Ungleichgewicht des ersten Antrags von 2010 bestand in der Anklage des einen Konfliktpartners, nämlich Israels, und im Verschweigen der Verantwortung des anderen, nämlich der De-facto-Regierung des Gazastreifens, der Hamas. Das setzt sich nun bei der Frage der juristischen Aufarbeitung fort. In Israel sind 400 juristische Verfahren in Gang gebracht worden. Viele davon sind bereits abgeschlossen. Der Kommissionsvorsitzende und Namengeber des Berichts, Richard Goldstone, hat festgestellt, dass die Kommission viele Einzelergebnisse im Lichte der Erkenntnisse aus diesen Verfahren anders bewertet hätte. In Gaza ist nicht ein einziges Verfahren gegen Raketenbauer, Folterer oder Entführer eröffnet worden. Diesen Unterschied muss man doch erkennen und auch klarstellen, wenn man vorgibt, über die Frage der Gerechtigkeit verhandeln zu wollen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]) Stattdessen ist im vorliegenden Antrag lapidar zu lesen: Auch gegen bewaffnete palästinensische Gruppen wird der Vorwurf der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Sonst steht darüber nichts. Auf diese Art und Weise helfen Sie mit, ein Bild Israels als alleiniger Aggressor zu zeichnen. Auf die Raketenangriffe auf das Territorium Israels, die der Militäraktion Israels in Gaza vorausgegangen waren, wird überhaupt nicht eingegangen. Wenn man Ihren Antrag liest, bekommt man den Eindruck, Israel hätte gar keinen Grund gehabt, in Gaza einzugreifen. Das hilft der Sache nicht. Im Gegenteil: Es diskreditiert in vielen Punkten berechtigte Kritik an Israel. Die Tendenz ist erkennbar: Sie überhöhen sich wieder einmal selbst und fühlen sich gut dabei, weil Sie glauben, die alleinige Wahrheit zu kennen und über andere urteilen zu können. Die Kritik an Israel hat für Sie von der Linken einen besonderen Reiz. Sie meinen, dass Sie sich gegen den Mainstream stellen, indem Sie endlich einmal die Wahrheit sagen. Solche Effekthascherei verurteile ich als Sozialdemokrat ausdrücklich; denn in der Tradition der historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels, aber auch in der Verantwortung für die Lebensperspektiven der Palästinenser wähle ich lieber den Weg des Differenzierens statt der einseitigen Anklage. Ich stelle fest: Die Politik der Hamas, Israel mit Raketen anzugreifen oder durch geduldete Terrorgruppen angreifen zu lassen, war purer Terrorismus und durch nichts zu rechtfertigen. Israel hat wie jedes andere Land der Erde das Recht, sich gegen eine solche Aggression zu wehren, egal ob sie von innen oder von außen kommt. Ich stelle aber ebenso fest: Bei der Erstürmung des Gazastreifens ist es zu einer inakzeptabel hohen Zahl von zivilen Opfern unter der palästinensischen Bevölkerung gekommen. Durch die Weigerung Israels, an der internationalen Aufarbeitung der Vorgänge mitzuwirken, blieb in der Tat lange Zeit der Eindruck bestehen, dass Israel bewusst nicht nur militärische Ziele angriff, sondern auch der Bevölkerung die wichtigste Infrastruktur und damit die Lebensgrundlage entziehen wollte, um die Bewohner Gazas für ihre Unterstützung der Hamas zu bestrafen. Dieser Vorwurf ist bis heute nicht bewiesen, aber auch nicht endgültig widerlegt worden. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Daran haben auch die erheblichen juristischen Anstrengungen in Israel zur Klärung der Verantwortung Einzelner für bestimmte Vorfälle nichts geändert. Das hat dem Ansehen Israels in der Welt in einer wirklich schwierigen Zeit nachhaltig geschadet. Die Regierung Israels hat den Interessen des Landes durch ihre Blockadehaltung einen schlechten Dienst erwiesen und damit unnötigerweise der Hamas zu weiteren Propagandaerfolgen verholfen. Die Stärke Israels ist die Stärke eines Rechtsstaats, ist die eines demokratischen, eines offenen Landes. Leider hat Israel im Fall des GazaKrieges diese Stärke weder während der Kampfhandlungen noch danach voll zur Geltung gebracht. Nun zur Kernforderung des Antrags, zur Überweisung des Goldstone-Berichts durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den Internationalen Strafgerichtshof. Ich spreche Ihnen nicht das Recht ab, so vorzugehen, aber man muss schon entgegenhalten, dass es aussichtslos ist, den Sicherheitsrat zu einem solchen Schritt aufzufordern. Mindestens die Vereinigten Staaten von Amerika würden sich dem mit einem Veto entgegenstellen. Es handelt sich also um einen Schaufensterantrag, der in dem Bewusstsein gestellt wird, dass sein Ziel unerreichbar ist. Zudem fällt es den Antragstellern erkennbar schwer, die schon erwähnten 400 Einzelverfahren, die es auf israelischer Seite gegeben hat, wegzudiskutieren. Die Ergebnisse dieser Verfahren stellen zwar auch mich nicht in jedem Punkt zufrieden, auch ich habe eine Menge Fragen an die israelische Regierung, was die Zielrichtung, die Strategie, die Wahl der militärischen Mittel und die politische Gesamtverantwortung für diese Militäraktion angeht. Doch ich kann nicht verstehen, wie man dieses erhebliche Maß juristischer Aufarbeitung im Rahmen eines Rechtsstaats auf eine Stufe stellen kann mit dem völligen Unrechtszustand, der im Gazastreifen unter der Kontrolle der Hamas besteht. Deshalb kann ich die Aufforderung an den Sicherheitsrat, Israel und die Hamas hier sozusagen gemeinsam auf die Anklagebank der Welt zu setzen, nicht mittragen. Dieser Antrag ist unausgewogen. Er trägt auch nicht zur Wahrheitsfindung bei und ist deshalb angreifbar. Deshalb findet er auch nicht die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Günter Gloser. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Johann Wadephul. Bitte schön, Kollege Dr. -Wadephul. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Kollegen Gloser ausdrücklich danken. Ich kann seine Aussagen hier nur unterschreiben. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass die sozialdemokratische Fraktion diesen Antrag heute ablehnen wird. Im Ausschuss sind Sie, wenn ich das richtig gesehen habe, bei einer Enthaltung stehen geblieben. Nach Ihren eindeutigen Aussagen heute ist, glaube ich, eine Ablehnung konsequent und richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In der Tat diskutieren wir zum wiederholten Male diesen Antrag der Linksfraktion. Der Sachverhalt muss in mehrerlei Hinsicht richtiggestellt werden. Das ist durch die Vorredner auch schon geschehen. Dennoch will ich nochmals darauf hinweisen, dass Israel mit militärischer Gewalt auf den zuvor länger andauernden Raketen- und Mörserbeschuss durch Hamas-Milizen auf israelische Zivilisten – das geschah zum Teil aus Zivilgebäuden – geantwortet hat. Der Einsatz forderte in der Tat zahlreiche Todesopfer und beklagenswerterweise auch eine hohe Zahl von zivilen Opfern. Das kann überhaupt nicht negiert werden. Wir fanden es auch richtig, dass der VN-Menschenrechtsrat am 3. April 2009 eine Kommission zur Untersuchung möglicher Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. von internationalen Bestimmungen zum Schutze der Menschenrechte eingesetzt hat. Am 15. September 2009 legte Richard Goldstone seinen Bericht vor, der zu Recht seinen Namen trägt. Er hat durch seine Tätigkeit in Südafrika, aber auch vor den Internationalen Strafgerichtshöfen für das frühere Jugoslawien und Ruanda eine hohe Reputation. Ich denke, sie besteht auch weiterhin. Er kam zu deutlichen Ergebnissen und forderte beide Konfliktseiten auf, innerhalb von sechs Monaten entsprechende eigene strafrechtliche Untersuchungen einzuleiten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält das Abstimmungsverhalten Deutschlands – wie das die Kollegin Homburger vorhin schon ausgeführt hat – in der UN nach wie vor für richtig. Wir sind mit der Bundesregierung, Herr Staatssekretär, der Auffassung, dass eine Verweisung an den Internationalen Strafgerichtshof nicht geboten ist. Die Bundesregierung hat zu Recht stets betont, dass der UN-Menschenrechtsrat als Auftraggeber das geeignete Gremium ist, welches sich mit der Aufarbeitung und den Folgen eines selbst beauftragten Berichts zu befassen hätte. Vorverurteilungen und Verweisungen an andere Gremien ist die Bundesregierung stets entgegengetreten. Dies ist und bleibt richtig. Deshalb stimmte Deutschland wie weitere EU-Staaten, die USA und, nicht ganz überraschend, auch Israel gegen diesen Bericht. Später hat es dann die Einsetzung eines Expertenkomitees, der sogenannten Davis-Kommission, gegeben. Dieses Expertenkomitee, auf Beschluss des Menschenrechtsrats von der Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen eingesetzt, hat dann einen Bericht vorgelegt. Der war aus unserer Sicht sehr inte-ressant und wird von Ihnen, sehr geehrte Kollegen von der Linksfraktion, in weiten Teilen übersehen. Zum einen ist festzuhalten, dass die israelische Armee immerhin 400 Untersuchungsverfahren eingeleitet hat, die auch in 52 Fällen zu strafrechtlichen Ermittlungen geführt haben. In der Tat sind – das soll nicht verschwiegen werden – eine langsame Durchführung dieser Verfahren, eine fehlende Unparteilichkeit und auch eine mangelnde Transparenz dieses Verfahrens kritisiert worden. Als Freunde Israels stehen wir nicht an, dieses auch anzusprechen. Insbesondere ist aber festgehalten worden – das fehlt in Ihrem Bericht völlig –, dass die Palästinenserseite, also die De-facto-Regierung der Hamas, überhaupt keine Untersuchungen durchgeführt hat. Ich fordere Sie ausdrücklich auf, da Sie auf diese Aussprache heute bestanden haben, diese Gelegenheit zu nutzen und Ihren Antrag in diesem wesentlichen Punkt klarzustellen. Stellen Sie klar, dass die Hamas überhaupt keine Untersuchung durchgeführt hat, und beheben Sie diesen klaren und deutlichen Mangel Ihres Antrags. Im Ausschuss haben Sie es nicht getan, und im Antragstext findet sich das nicht. Sie haben jetzt hier Gelegenheit, das nachzuholen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bitte nehmen Sie auch Stellung zu dem, was der ehemalige Leiter der Kommission in der Washington Post vom 2. April 2011 in einer bemerkenswerten Korrektur seiner Arbeit gesagt hat. Goldstone räumte nämlich ein, dass der Bericht ein anderer geworden wäre, wenn er bei Verfassung des Berichts all das gewusst hätte, was er nun wisse. Ich will ausdrücklich hinzufügen: Es wäre wünschenswert gewesen, wenn beide Seiten, auch Israel, der Goldstone-Kommission Gelegenheit gegeben hätten, die Erkenntnisse zu gewinnen, über die man später verfügte. Das kann hier durchaus auch einmal gesagt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linken, Sie konnten diese Aussage natürlich nicht vollkommen übersehen. Dennoch lassen Sie Wesentliches außer Betracht und werten diesen Artikel von Herrn Goldstone in der Washington Post einseitig aus. Das ist das Bemerkenswerte, was wir an dieser Stelle feststellen müssen: Sie – das gilt zumindest für die Teile der Linksfraktion, die diese Sache vorantreiben – wollen dieses VN-Verfahren ganz bewusst politisieren und gegen Israel einsetzen, und das ist nicht in Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Annette Groth [DIE LINKE]: Selbst Staatsminister Hoyer hat eine Untersuchung gefordert! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Pure Unterstellungen, was Sie hier machen! Unseriös!) Ich konnte feststellen, dass etwa Gregor Gysi den Versuch unternommen hat, in der Linkspartei, in der manches in Unordnung geraten ist, eine positive Einstellung zum Staat Israel, zum jüdischen Volk, zum Existenzrecht Israels zu finden. Das findet in Ihrer Fraktion offensichtlich keinen Rückhalt. (Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun!) Die Ressentiments gegen Israel sind in Ihrer Fraktion weit verbreitet, und sie finden ihren Ausdruck in einem derart parteiischen Antrag wie dem, der hier vorgelegt wurde. Das muss klar gesagt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie lenken ab!) Ihre Forderung, den Goldstone-Bericht an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen, lehnen wir ab. Fragen, die der Goldstone-Bericht aufwirft, müssen vom VN-Menschenrechtsrat behandelt werden, da dies das Gremium ist, welches den Bericht in Auftrag gegeben hat. Die ausschließliche Behandlung durch den Menschenrechtsrat hätte die Chance auf eine strafrechtliche Verfolgung möglicher Rechtsverletzungen im Übrigen nicht beeinträchtigt. Wir sind eindeutig dafür, dass Verletzungen des humanitären Völkerrechts geahndet werden. Wir sind aber auch eindeutig dafür, dass diese Verletzungen auf nationaler Ebene strafrechtlich aufge-arbeitet werden. Dazu fordern wir beide Seiten nach wie vor auf. Diesbezüglich gibt es überhaupt nichts zu relativieren. Eine Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof wäre in diesem Fall überhaupt keine Hilfe. Ich möchte abschließend feststellen, dass es in Israel positive Ansätze zur Aufarbeitung gegeben hat. Diese Aufarbeitung kann aus unserer Sicht fortgeführt werden. Wir können aber auch feststellen, dass die palästinensische Seite überhaupt nichts unternommen hat. Die palästinensische Seite ist dringend aufgefordert, wenn sie weiterhin ernst genommen werden will, endlich ihrerseits eine strafrechtliche Aufarbeitung in Angriff zu nehmen. Wenn sie ernsthaft den Anspruch erheben will, irgendeine Form der Staatlichkeit zu sein und zu begründen, dann muss sie offenkundige Verletzungen des Völkerrechts strafrechtlich ahnden. Deutschland wird sich mit seinen Partnern in der Europäischen Union weiterhin für einen konstruktiven Friedensprozess in Nahost, so schwierig er auch ist, einsetzen. Die Sicherheit und das Existenzrecht Israels sind Teil der deutschen Staatsräson. Wir treten aus Überzeugung für eine Zweistaatenlösung mit Israel als jüdischem demokratischem Staat und einem lebensfähigen Palästinenserstaat ein. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber was tut sich denn da? Gar nichts!) Dafür sind beiderseits schmerzhafte Kompromisse nötig. Am Ziel stehen aber sichere Grenzen und ein Leben in Frieden und Freiheit für die Menschen in dieser Region in Aussicht. Dafür lohnt es sich, Politik zu machen. Mit Ihrem Antrag leisten Sie nur einen Bärendienst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Wadephul. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin -Annette Groth. Bitte schön, Frau Kollegin Groth. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Verehrte Damen und Herren! Bevor ich jetzt auf diese ganzen Vorwürfe, die teilweise haltlos sind, eingehe, möchte ich betonen, dass ich immer und überall Menschenrechtsverletzungen verurteile, egal ob sie von der Hamas, in Israel, in Sri Lanka oder sonst wo auf der Welt begangen werden. Diejenigen von Ihnen, die mit mir im Menschenrechts- und im AwZ-Ausschuss sind, wissen das. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe hier den berühmten Artikel, auf den Sie sich stürzen. Goldstone hat nur wenige seiner Feststellungen zurückgenommen, verehrte Frau Kollegin Homburger. Sie müssen die Sachen richtig lesen. Zu einem kleinen Vorfall steht dort, dass nicht ganz klar ist, ob der verantwortliche Offizier, der den Befehl für die Attacke auf das Haus, in dem 21 Menschen umgekommen sind, gegeben hat, wirklich wusste, was er tat, oder ob dies ein Versehen war. Wortwörtlich heißt es hier – ich habe es übersetzt –: Ich bin zuversichtlich, dass Israel, falls der Offizier, der den Angriff anordnete, als fahrlässig befunden wird, entsprechend reagieren wird. – Das steht in dem besagten Artikel. (Birgit Homburger [FDP]: Lesen Sie doch einmal den Anfang von dem Artikel vor!) Die drei anderen Autorinnen und Autoren – es war ja nicht nur Goldstone allein – haben mehrmals bekräftigt, dass sie keine dieser Aussagen in dem Bericht – ich habe ihn dabei – zurücknehmen. Man darf auch nicht vergessen, dass bei diesem völkerrechtswidrigen Angriff über 850 Zivilisten und Zivilistinnen getötet worden sind, darunter 350 Kinder und 200 Frauen. Hina Jilani, eine der Autorinnen dieses Berichts – sie war vorher UN-Sonderberichterstatterin in Darfur –, hat gesagt, das sei das Schlimmste gewesen, von dem sie in Zeugenaussagen gehört hat. Sie hat mehrere Personen interviewt, die über das bewusste Zielen auf Kinder während dieses Krieges berichtet haben. Der Angriff hat zwar nur sehr kurz gedauert, aber es gab viele Tote. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass die Straflosigkeit nicht hinnehmbar ist. Diese Überzeugung teilen Sie; schade, dass Frau Kopp nicht mehr da ist. Ich lese sehr oft, dass man die Kultur der Straflosigkeit nicht weiter hinnehmen will. Frau Kopp hat nach einer Reise nach Nepal im März dieses Jahres kritisiert – das steht in der Zeitung –, dass Personen, die Kriegsverbrechen begangen haben, frei herumlaufen. Frau Homburger, auch Sie haben in einem SWR-Beitrag – ich habe mir diesen angesehen – die Straflosigkeit in anderen Ländern kritisiert. Dies kritisieren auch alle Mitglieder des Menschenrechtsausschusses; denn wir als Menschenrechtsaktivisten und -aktivistinnen dürfen so etwas nicht dulden. (Beifall bei der LINKEN) Der schlimmste Vorfall – das wurde von allen ge-sagt – war in der Tat der Überfall auf das Haus der Familie al-Samouni, bei dem 21 Menschen umgekommen sind. Ich war letzten November in Kapstadt. Dort hat der Direktor des Menschenrechtszentrums in Gaza diesen Vorfall sehr drastisch geschildert. Zwei Tage lang durfte keine Ambulanz in dieses Haus. Kinder haben dort zwei Tage lang in dem Blut ihrer Eltern gelegen. Das müssen Sie sich einmal vorstellen! Erst nach zwei Tagen wurden die Toten und Verletzten abtransportiert. Dieser Vorfall sollte untersucht werden. Am 1. Mai dieses Jahres hat die israelische Armee beschlossen, keine Untersuchung durchzuführen und den Vorfall ad acta zu legen. Diese schlimmen Vorfälle müssen wir genauso kritisieren wie Raketenangriffe der Hamas auf zivile Ziele in Israel. (Beifall bei der LINKEN) Man darf hier doch keine Doppelstandards anlegen. (Birgit Homburger [FDP]: Das machen Sie doch in Ihrem Antrag!) Vielmehr muss man die Sachen so benennen, wie sie sind. Dieser völkerrechtswidrige Angriff war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dabei bleibe ich. (Beifall bei der LINKEN) Diese Straflosigkeit muss ein Ende haben; sonst wird es immer wieder solche Vorfälle geben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Groth. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Jerzy Montag. Bitte schön, Kollege Montag. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der sogenannte Goldstone-Bericht war trotz mancher Unzulänglichkeiten und mancher Fehler ein erster Schritt in Richtung Wahrheitsfindung. Er war das Ergebnis einer Fact Finding Mission, um festzuhalten, was genau während des Gaza-Krieges passiert ist, ob die beiden kämpfenden Parteien Verstöße gegen das Völkerrecht begangen haben könnten und, wenn ja, welche. Wie die Linke in ihrem Antrag richtig feststellt, war die Goldstone-Kommission nicht mit strafrechtlichen Untersuchungen beauftragt. Sie sollte ausdrücklich nicht festzustellen versuchen, ob die israelische Armee oder die Kämpfer der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begangen haben. Der Goldstone-Bericht war in diesem Sinne – ich zitiere aus dem Antrag der Linken – „Teil eines Prozesses der Wahrheitssuche“. Dieser Prozess der Wahrheitssuche ist leider nur teilweise gelungen. Die Möglichkeiten der Zeugen-befragung und Faktensammlung waren erheblich ein-geschränkt. Bedauerlicherweise verweigerte Israel die Zusammenarbeit, (Annette Groth [DIE LINKE]: So ist es! Ja!) weil Israel nicht an die Objektivität der Untersuchungen glaubte. Beide Seiten, die im Gazastreifen herrschende Hamas und Israel, haben deshalb dazu beigetragen, dass dem Goldstone-Bericht Fehler und Falscheinschätzungen nachgesagt und zum Teil auch nachgewiesen werden konnten. Es wurde schon erwähnt, dass Goldstone selbst am 2. April 2011 erklärt hat, dass er heute viel mehr darüber weiß als zu dem Zeitpunkt, als er der Fact Finding Mission vorgesessen hat, und dass sein Bericht anders ausgefallen wäre, wenn er diese Fakten damals gekannt hätte. Insbesondere bezieht sich diese Aussage auf die Vorwürfe, die israelische Armee habe strategisch und absichtlich zivile Einrichtungen angegriffen und zerstört und Zivilisten getötet. Der palästinensische Bürgerrechtler Dr. Mustafa Barghuthi hat sich nach Goldstones Richtigstellung wie folgt geäußert: Ich glaube nicht, dass Goldstone seinen Bericht bedauert. Hamas hat Kriegsverbrechen begangen. Aber Israel hat unverhältnismäßige Gewalt angewandt. Israel hat, obwohl es den Goldstone-Bericht nie als ein objektives Dokument anerkannt hat, wenigstens teilweise und zögerlich Konsequenzen aus den glaubwürdigen Berichten und Zeugenaussagen über tödliche Angriffe auf Zivilisten und über Angriffe auf zivile Einrichtungen in Gaza gezogen. Inzwischen wurden – das ist bereits erwähnt worden – über 400 Vorfälle operativen Fehlverhaltens untersucht. In über 50 Fällen sind strafrechtliche Ermittlungen geführt worden. Militärische Dienstanweisungen zum Schutze von Zivilisten im Häuserkampf wurden verändert. Selbst die Linke gesteht in ihrem Antrag ein, dass zwei Drittel der im Goldstone-Bericht dokumentierten 36 Fälle mutmaßlicher Kriegsverbrechen aufgeklärt worden sind. Fast versteht es sich von selbst, dass es aufseiten der Hamas trotz auch auf ihrer Seite festgestellter gravierender Fälle von Menschenrechtsverletzungen – ich meine den Beschuss Israels mit über 8 000 Raketen – bisher keinerlei Untersuchungen und keinerlei Verfolgung der Täter gegeben hat. Meine Damen und Herren, manch Wahres und Richtiges steht im Antrag der Linken. Was wir aber nicht akzeptieren können, ist die Empfehlung, diesen Bericht nunmehr über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem Internationalen Strafgerichtshof vorzulegen. Dieses Ansinnen an die Bundesregierung ist offensichtlich lediglich als Schaufensterantrag gedacht. Sie wissen selber, dass der Sicherheitsrat einer solchen Empfehlung nicht folgen würde. Eine solche Empfehlung hätte verheerende Wirkungen für die Palästinenser, (Annette Groth [DIE LINKE]: Nein! Für Israel!) die gerade eine Versöhnung zwischen der Hamas und der Fatah vorantreiben. Es hätte auch eine verheerende Wirkung auf das Verhältnis Deutschlands zu Israel, das auch nach 65 Jahren noch verletzlich ist. Ich sage Ihnen: Sie sind nicht die Einzigen hier im Hause, die sich gegen ein allgemeines Klima der Straflosigkeit in internationalen Beziehungen wenden. Sie sind nicht die Einzigen hier im Hause, die sich einer Legitimierung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit widersetzen. Aber was wir nicht wollen, ist, dass Sie sich auf eine solch unverhältnismäßige Art dieses Goldstone-Berichts lediglich bedienen, um nach Möglichkeit eine völkerstrafrechtliche Anklage der israelischen Seite zu erreichen. Wir sehen einige gute Ansätze in Ihrem Antrag. Deswegen werden wir ihn auch nicht ablehnen. So, wie Sie ihn geschrieben haben, können und werden wir ihm aber auch nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege Montag. Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Überweisung des Goldstone-Berichtes an den Internationalen Strafgerichtshof durch den UN-Sicherheitsrat“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7532, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6339 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr – Drucksache 17/9694 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen mir vor.3 Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/9694 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Cornelia Behm, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortung für die entwicklungspolitische Dimension der EU-Fischereipolitik übernehmen – Drucksachen 17/9399, 17/9714 – Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Heiderich Dr. Sascha Raabe Harald Leibrecht Niema Movassat Thilo Hoppe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Helmut Heiderich. Bitte schön, Kollege Helmut Heiderich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag verweist zu Recht darauf, dass Ernährung nicht nur von der Bodenoberfläche, sondern auch aus dem Wasser kommend nachhaltig gesichert werden muss. Es wird häufig übersehen, dass die Menschen vor allem in Entwicklungsregionen, insbesondere auf der Südseite des Globus, elementar auf die Versorgung aus dem Meer angewiesen sind. Die Fischerei bildet somit einen zentralen Bestandteil der Ernährung der Bevölkerung in diesen Ländern. Aber auch in den Industriestaaten ist der Konsum von Fisch nicht nur sehr empfohlen, sondern unverzichtbar. Weltweit ist insofern seit Jahren ein steigender Fischkonsum zu verzeichnen. Die Folge ist, dass trotz aller Bemühungen immer noch mehr Fische gefangen werden, als nachwachsen können. Das heißt, die Fischbestände werden weiter dezimiert. In Zahlen gesprochen reden wir davon, dass drei Viertel der heute genutzten Fischbestände bis an ihre Grenzen ausgebeutet oder bereits überfischt sind. Die FAO hat nachgerechnet und geht davon aus, dass von den weltweiten Speisefischbeständen 52 Prozent bis an ihre Grenzen genutzt sind, 17 Prozent bereits überfischt sind und 7 Prozent bereits völlig erschöpft sind. Wir begrüßen deshalb, dass sowohl die Vereinten Nationen als auch die Europäische Union als auch die Bundesregierung seit Jahren neue Wege suchen, um die Überfischung zu begrenzen. Die Forderung der Antragsteller, die Festlegung von Fangmengen auf der Basis von soliden wissenschaftlichen Empfehlungen und unter Einhaltung des Überschussprinzips zu regeln, ist allerdings schon längst ein wichtiger Bestandteil aller Verhandlungen. Dies ist – darüber sind wir uns einig – ein richtiger Weg. Dieser muss weiter fortgesetzt werden, um die Fischerei auf einer nachhaltigen Basis betreiben zu können. Die im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU erlassenen Bestimmungen, an welche dieser Antrag der Grünen anknüpft, zielen gleichzeitig auf die Erhaltung der Fangmengen, auf die Förderung einer wettbewerbsfähigen Fischwirtschaft innerhalb der EU und auf die Stabilisierung der Märkte für die Verbraucher. Wenn man den umfangreichen und offensichtlich mit Fleiß gestalteten Antrag der Grünen liest, dann hat man allerdings den Eindruck, als wären sie die Ersten, die die Problematik der internationalen Fischerei verstanden haben. Der Antrag ist in vielen Teilen aber doch eine Wiederholung bereits formulierter Ziele und bisheriger Maßnahmen. Auf der anderen Seite – das macht es uns nicht möglich, dem Antrag zuzustimmen – stellt er einige falsche Behauptungen auf bzw. zieht er falsche Schlussfolgerungen. Zum Beispiel ist die Behauptung der Antragsteller, die EU-Fangflotte fische vor der Küste Afrikas ohne substanziell überprüfbare Fangbeschränkungen, nicht akzeptabel. Die EU selbst stellt fest und verweist auf Nachfrage deutlich darauf, dass die EU-Fangflotte vor der Küste Afrikas verpflichtet ist, sich ausschließlich an die im Rahmen der EU-Abkommen festgelegten Fangmengen zu halten, welche wiederum – auch das steht im Antrag – durch wissenschaftliche Analyse in Höhe und Menge festgelegt und vorgegeben seien. Auch die Behauptung der Antragsteller, durch finanzielle Förderung aus den EU-Kassen werde das Fang--potenzial der Fischereifahrzeuge erhöht, trifft so nicht zu. Die Förderung der EU, so wird versichert, dient nur der Selektivität des Fangs, das heißt der Verringerung des Gesamtfangs, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Bord, der Hygiene, der Erhöhung der Produktqualität und der Energieeffizienz der Fangfahrzeuge. Das alles sind förderbare Maßnahmen, die sinnvoll sind und deswegen vom Antragsteller auch nicht kritisiert werden sollten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ebenso sind die Forderungen nach Menschenrechten und Demokratiestrukturen bereits in der Kommissionsmitteilung enthalten und werden auch in den Ratsschlussfolgerungen entsprechend aufgeführt. Wenn wir die Dinge noch einmal insgesamt betrachten, so stellen wir fest, dass wir den Teufelskreis von Überfischung und effizientem Wirtschaften nur durchbrechen können, wenn wir mit internationaler Kooperation entsprechende Beschlüsse fassen und Veränderungen herbeiführen. Hierzu haben die Vereinten Nationen seit 2003 jährliche Resolutionen über nachhaltige Fischerei verabschiedet, und sie setzen sich insbesondere gegen die schädlichen Wirkungen der sogenannten – dieses Wort ist besonders interessant – Grundschleppnetzfischerei ein. Der Fischereiausschuss der Vereinten Nationen hat immer wieder fischereipolitische Empfehlungen an die Regierungen und an die NGOs gerichtet, um insbesondere dieser Thematik zu begegnen. Allerdings – das müssen wir konzedieren – sind innerhalb der Europäischen Union nach wie vor unterschiedliche Auffassungen der Mitgliedsländer erkennbar. Deswegen haben wir auch einige Probleme wegen der Geschwindigkeit der Veränderung und des Umfangs der zu treffenden Maßnahmen. Ich will nur noch zwei oder drei kurze Bemerkungen machen. Von besonderer Bedeutung sind die Fischereiabkommen mit den Nicht-EU-Ländern und die Verhandlungen innerhalb internationaler Fischereiorganisationen, damit wir auch über den Einzugsbereich der EU hinaus zu solchen Abkommen gelangen, die in die Richtung wirken, wie sie von mir eben genannt worden ist und wie sie auch von den Antragstellern gefordert wird. In dem Antrag der Grünen wird auch behauptet, die Hochseeflotte sei hoch subventioniert. Auch das trifft nicht zu. Insofern können wir den Antrag auch in diesem Punkt nicht unterstützen. Gleiches gilt für die Forderung, man solle eine zusätzliche Energiesteuer auf Schiffs--diesel einführen. Dies wäre eine Benachteiligung der gesamten Fischerei gegenüber anderen Wirtschaftszweigen. Es ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese Steuerbefreiung von Schiffsdiesel keine Regelung auf deutscher oder EU-Ebene ist, sondern dass das eine Regelung auf internationaler Ebene ist. Insofern wäre die EU-Fischerei benachteiligt, wenn man dem Antrag der Grünen folgen würde. Dass immer noch zu viele Schiffe unter falscher Flagge segeln, sehen auch wir als ein Problem. An diesen Fällen muss weiter intensiv gearbeitet werden. Letzter Punkt. Mit den Antragstellern stimmen wir darin überein, dass bei internationalen Verhandlungen wie jetzt bei Rio+20 die Auswirkungen der Überfischung auf die biologische Vielfalt des Meeres nicht nur diskutiert werden müssen, sondern dass man auch in diesen Bereichen endlich zu verbindlichen Richtlinien und Ergebnissen kommen muss. Es gibt eine Reihe guter Ansätze bei den genannten Punkten. Es wäre zu überlegen, ob man zur Beförderung dieser Thematik nicht einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen auf den Weg bringen sollte. Der vorliegende Antrag ist wegen der von mir genannten Punkte für uns nicht zustimmungsfähig, und wir müssen ihn deswegen ablehnen. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Holger Ortel [SPD]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Helmut Heiderich. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Sascha Raabe. Bitte schön, Kollege Dr. Sascha Raabe. (Beifall bei der SPD) Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Heiderich, Sie haben als Vorredner zum Schluss gesagt, dass wir hier einen gemeinsamen Antrag machen sollten. In Ihrer Rede haben Sie aber in einer unglaublichen Art und Weise die aktuellen Zustände schöngeredet und erklärt, im Antrag der Grünen sei doch alles überzogen und es sei doch alles nicht so schlimm. Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie einmal die Augen auf! Schauen Sie sich einmal an, in welcher Armut die Fischer mittlerweile leben und wie wir den Menschen dort die Meere leer fischen, was zu leeren Tellern führt! Daher können wir mit Ihnen bestimmt -keinen gemeinsamen Antrag machen, Herr Kollege Heiderich. Ich sage an die Adresse der Kollegen von den Grünen: Dies ist ein guter Antrag, und er kommt zum rechten Zeitpunkt; denn die Reform der Fischereipolitik steht jetzt an. Diese Politik muss dringend verändert werden. Wenn der Kollege Heiderich sagt, in dem Antrag der Grünen würde zum Beispiel nicht stimmen, dass die Fangflotten hoch subventioniert seien, und das sei alles nicht so, dann kann ich nur sagen: Herr Kollege von der CDU, wenn Sie der Opposition nicht glauben, dann führe ich einmal an, was der Europäische Rechnungshof zum Thema EU-Fischereipolitik sagt. Er kommt zu dem Schluss, dass die EU-Fischereipolitik – mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich – ihre Ziele komplett verfehlt habe. Die EU-Kommission stellt in ihrem Grünbuch dieser Politik eine Bankrotterklärung aus. Dort heißt es: Exzessive Subventionierung, ineffektive Kontrollen und unzureichender politischer Wille haben zu Überkapazitäten und einer dramatischen Überfischung geführt. (Stefan Rebmann [SPD]: Hört! Hört!) In dem aktuellen Papier der Kommission heißt es: Wenn wir – wohlgemerkt: die EU-Kommission – jetzt nicht handeln, wird der Teufelskreis weitergehen, der zu -dieser schlechten ökonomischen, sozialen und ökologischen Performance geführt hat. So sieht es die EUKommission. Das müsste doch auch die CDU/CSU zum Umdenken bewegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist höchste Zeit für so ein Umdenken. Die Veräußerung der Fangquoten an die großen Flotten ist für afrikanische Fischer ein Riesenproblem. Ein einziger dieser sogenannten Megatrawler kann bis zu 200 000 Kilogramm Fisch pro Tag fischen. Dafür müssten 50 einheimische Fischer in ihren kleinen Booten mehr als ein Jahr unterwegs sein. Das zeigt die Dimensionen, um die es geht. Wir haben die schlimmen Beispiele vor Augen. Natürlich ist die aktuelle Situation der Piraterie in Somalia nicht nur ein Problem leer gefischter Fischgründe; aber die Ursache liegt darin. Denn auch europäische Fangflotten haben dort die Meere leer gefischt, und dann haben die Fischer irgendwann gesagt: Wir wollen wenigstens eine Art Zoll dafür haben, wenn wir schon unsere Arbeit verlieren. Heute lebt die ganze Entführungsindustrie – die durch nichts zu rechtfertigen ist – auch davon, dass arbeitslose Fischer anders ihr Geld verdienen -müssen. Deswegen ist es Unsinn, wenn wir erst mit Steuergeldern die europäischen Fangflotten subventionieren und dann für viel Geld Militär dorthin schicken und das Leben unserer Soldaten riskieren. Wir müssen endlich zu fairen Bedingungen für die Fischer auf der ganzen Welt kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen, weil der Kollege Heiderich so tat, als wären es keine hohen Subventionen. Allein Mauretanien erhält jährlich 86 Millionen Euro aus Brüssel. Das ist mehr, als dieses Land an Entwicklungshilfe erhält. Dabei gibt es oft das Problem, dass das Geld nicht der Bevölkerung zugutekommt, sondern in dunklen Kanälen versickert. Da stinkt oft der Fisch buchstäblich vom Kopf her. Deswegen brauchen wir dort verbesserte Transparenzmechanismen. Es ist auch gut, dass sich die EU-Kommission jetzt auch für eine bessere Mittelverwendung in den Partnerländern einsetzt und der Antrag der Grünen das thematisiert. Denn wir dürfen nicht einfach dort mit Geld unser Gewissen freikaufen, nach dem Motto „Wenn wir der Regierung Geld geben, dann können wir hier alles leer fischen, und dann wird alles gut“. Nein, wir müssen an die Fischer statt an die Eliten denken. Wir sind es den Menschen vor Ort schuldig, zu handeln, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Mit der Veräußerung der Fischereirechte geht in der Regel auch ein Niedergang der fischverarbeitenden Industrie an Land einher. Denn der Fisch wird auf den Fangschiffen selbst verarbeitet. Dann findet vor Ort keine Wertschöpfung statt. Selbst wenn die europäischen Reedereien immer wieder behaupten, ein großer Teil der Fische würde dort wieder verkauft werden, muss man auch sehen, dass der Fisch, den die Megatrawler abfischen, zu Dumpingpreisen auf die lokalen Märkte kommt und der Kleinfischer, der noch irgendwo ein paar Fische findet, diese nicht mehr zu auskömmlichen Preisen loswird, sodass wir hier doppelt schädigend wirken. Deswegen ist es auch gut, dass in dem Antrag die Wertschöpfung an Land betont wird. Das sollten wir alle unterstützen, statt eine solche Schönfärberei wie die CDU/CSU zu betreiben. Wir haben die Hoffnung, dass die EU-Kommission bei der Reform der Abkommen in stärkerem Maße Menschenrechtsklauseln verankern will und dass durch eine Ausschließlichkeitsklausel geregelt wird, dass die EU-Schiffe nicht außerhalb der Abkommen, die sie mit den Ländern haben, noch in anderen Gewässern fischen. Wir wollen auch, dass der Fischereisektor in den Partnerländern von den Entwicklungsgeldern entkoppelt wird, sodass nicht gesagt werden kann: Wir zahlen euch Geld für die Fischereirechte, und wenn ihr uns die nicht einräumt, dann kriegt ihr keine Entwicklungsgelder. Das sind alles sehr wichtige Maßnahmen. Wenn man berücksichtigt, dass die Europäische Union dafür zuständig ist, dann ist es gut, dass wir heute als Entwicklungspolitikerinnen und -politiker darüber reden. Denn das ist Kohärenz. Wir müssen uns einmischen, auch in die Handelspolitik, die Landwirtschaftspolitik und die Fischereipolitik. Das ist der größte Vorwurf, den ich auch dem Ministerium mache. Wir haben es neulich im Ausschuss bei der FDP erlebt: Als es um die Frage des öffentlichen Beschaffungswesens ging, hat der Kollege von der FDP im Ausschuss gesagt: Das Thema hat uns nicht zu interessieren. Dafür ist der Wirtschaftsausschuss zuständig. So geht es eben nicht. Ich erwarte von unserem Entwicklungsminister, dass er sich in Fragen des Welthandels einmischt. Wo ist die Stimme des Entwicklungsministers zum Beispiel bei dem neuen Fischereiabkommen? Im Rahmen der Kohärenz muss man auch mit den Kollegen im Kabinett reden, die für die Ressorts Wirtschaft, Handel, Fischerei und Landwirtschaft zuständig sind. Das kann der Kollege Niebel aber nicht machen, weil er so gut wie nie bei den Kabinettssitzungen anwesend ist. Wir haben in einer der letzten Fragestunden danach gefragt, wie oft der Minister im Kabinett einen Tagesordnungspunkt aufgesetzt hat. Wissen Sie, wie oft Minister Niebel laut Statistik einen Tagesordnungspunkt im Kabinett in den ganzen Jahren aufgesetzt hat? Kein einziges Mal! Der Außenminister Westerwelle hat bisher 41 Tagesordnungspunkte aufgesetzt, Minister Niebel nie! Minister Niebel ist Minister „Nie da“. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Er kümmert sich vor Ort! Er hat zu tun! Er ist in der Welt! Was glauben Sie denn?) Auch im Parlament ist er so gut wie nie anwesend. Seine Staatssekretärin ist zurzeit auch nicht anwesend. Er nimmt auch so gut wie nie an den Kabinettssitzungen teil, setzt nie einen Tagesordnungspunkt auf und kümmert sich nicht um die Fragen der globalen Strukturpolitik, sondern rennt im Prinzip nur herum, um Außenwirtschaftsförderung zu betreiben. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben doch gerade Ihren Prozess verloren! Das reicht doch!) Er sollte sich lieber um gerechte Wirtschafts- und Handelsbedingungen kümmern und nicht nur um Außenwirtschaftsförderung. Er sollte vor allem einmal da sein, zuhören und am Kabinettstisch für die ärmsten Menschen streiten und nicht nur für die Interessen deutscher Unternehmen oder deutscher Reedereien. In diesem Sinne werden wir dem Antrag der Grünen zustimmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein einfältiges Geschwätz!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Sascha Raabe. – Nächste Rednerin für die Fraktion der FPD ist unsere Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist offensichtlich: Wenn man von Fischereipolitik keine Ahnung hat, dann reibt man sich an Herrn Minister Niebel auf. Das ist meines Erachtens ein billiges Spiel. (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, welch einen guten Job Minister Niebel macht, insbesondere wenn es um die Ernährungssicherung geht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schauen Sie sich doch einmal an, was er für die ländlichen Räume geleistet hat! Er hat die dort getätigten Investitionen auf 10 Millionen Euro angehoben und damit verdreifacht. Er macht einen guten Job, und das hilft den Menschen sehr viel mehr, als wenn er hier sitzen und beispielsweise Ihrer Rede zuhören würde, die erkennbar an der Sache vorbeigegangen ist; denn es geht um die Ernährungssicherung in wenig entwickelten Ländern. Wir brauchen uns gar nicht so viel zu streiten. Wir sind doch einer Meinung, dass die EU-Fischereipolitik ihr Ziel verfehlt hat. Deswegen wird sie novelliert; das ist richtig. Ich bezweifle allerdings sehr, dass der Rechnungshof der EU aus eigener Kraft wirklich in der Lage ist, zu beurteilen, in welchen Gewässern eine Überfischung vorliegt und in welchen nicht. Ich glaube, das kann der Rechnungshof nicht beurteilen. (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Den schaffen wir ab!) Er hat sich schlicht und ergreifend auf das berufen, was er irgendwo einmal gelesen hat. Damit kommen wir nicht weiter. Offensichtlich wissen Sie auch nicht, dass es zumindest unter den fischereipolitischen Sprechern eine gemeinsame Basis für die Reform der Fischereipolitik gibt. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass Ihre Kollegin Frau Rodust aus Schleswig-Holstein, meine ehemalige Landtagskollegin, bei der Erarbeitung des Vorschlags der Kommission einen ausgesprochen guten Job macht. Warum spucken Sie ihr in die Suppe? Was ist das denn für eine Solidarität unter Sozialdemokraten? Das ist doch Murks. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wissen, dass die Europäische Union als weltgrößter Importeur von Fischereierzeugnissen eine besondere Verantwortung für die nachhaltige Nutzung eigener wie drittstaatlicher Meeresressourcen hat; darin sind wir uns einig. Wir wissen aber auch, dass die Europäische Union nicht in der Lage ist, den Bedarf aus eigenen Gewässern zu decken. Wir importieren, gemessen am Wert, etwa 24 Prozent der weltweit produzierten Fischerzeugnisse. Bislang wurde nicht erwähnt, dass das auch Produkte aus der Aquakultur einschließt. Von der marinen Fischproduktion in Höhe von knapp 150 Millionen Tonnen stammen allein 20 Prozent aus der Aquakultur. Jegliche Steigerung der Produktion geht auf die Aquakultur zurück. Die EU hat mit 15 Drittstaaten sogenannte partnerschaftliche Fischereiabkommen geschlossen, um von diesen Staaten ungenutzte Fischbestände außerhalb der europäischen Gewässer bewirtschaften zu können. Die Vergütung erfolgt ausdrücklich mit dem Hinweis, dass die Mittel von den Ländern zur Entwicklung der eigenen regionalen Fischereiorganisationen und Küstengebieten genutzt werden sollen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Die EU ist sich also ihrer Verantwortung sehr wohl bewusst. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung über die externe Dimension der Gemeinsamen Fischereipolitik aus dem letzten Jahr bereits dargelegt, dass sie sich noch stärker für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der Fischbestände einsetzen will. Die Kommission hat eine Reihe von Themen genannt, die im Rahmen der zukünftigen GFP angemessen behandelt werden müssen. Das allgemeine Menschenrecht auf Nahrung muss in der europäischen Fischereipolitik ein wichtiger Schwerpunkt sein und verstärkt beachtet werden. Darin sind wir uns alle einig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aber ich muss Ihnen auch sagen: Die Darstellung der weltweiten Situation ist im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen trotz einiger richtiger Passagen insgesamt nicht gelungen. Ich sagte schon: Das Thema Aquakultur hat eine steigende Bedeutung. Es kommt im Antrag gar nicht vor. Dass in diesem Antrag ein direkter Zusammenhang zwischen europäischen Fischern und der Piraterie am Horn von Afrika hergestellt wird, ja europäischen Fischern Zusammenarbeit mit mafiösen Strukturen nachgesagt wird, entbehrt jeglicher Realität. Für die illegale Fischerei in dieser Region waren nicht europäische Fischfangunternehmen verantwortlich. Beschäftigen Sie sich doch bitte einmal damit, was beispielsweise Taiwan und China in dieser Region machen. (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!) Beschäftigen Sie sich mit deren Methoden. Dann wissen Sie, was dort wirklich los ist. Die Diffamierung europäischer Fischereibetriebe ist weder zielführend noch richtig. Der somalischen Bevölkerung kann nur durch den Aufbau einer handlungsfähigen Regierung und sicherer Lebensverhältnisse geholfen werden und nicht durch die EU-Fischereipolitik. Aus diesem Grund hat die deutsche Bundesregierung bei der Londoner Somalia-Konferenz im Februar 2012 weitere 6 Millionen Euro für den Wiederaufbau des Landes zugesagt. Das ist eine Politik, die den Menschen in Somalia tatsächlich hilft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die illegale Fischerei vor Somalia macht vielmehr zwei grundlegende Probleme deutlich. Diese hängen mit einer übertrieben regulierten und bevormundenden Fischereipolitik gegenüber weniger entwickelten Drittstaaten zusammen. Erstens führen überzogene Ansprüche von unserer Seite dazu, dass die entsprechenden Staaten Verträge über die Nutzung ihrer Ressourcen lieber mit Staaten abschließen, die mehr Geld und weniger Skrupel haben. Damit bremsen wir genau die Politik der Europäischen Kommission aus, dass die Entgelte für die Nutzung von Fischereigewässern auch für den Aufbau der eigenen Fischereiorganisation und für die Unterstützung der eigenen Bevölkerung genutzt werden. Das führt dazu, dass wir den Chinesen das Feld überlassen. Ich halte das für keine gute Sache. (Beifall bei der FDP) Wir müssen zweitens feststellen, dass diese Konkurrenz um so größer ist, je schwächer die Good Governance in der jeweiligen Region ist. Wir alle wissen aus allen entwicklungspolitischen Diskussionen, dass gute Regierungsführung der Schlüssel dafür ist, dass in diesen Ländern tatsächlich für die einheimische Bevölkerung mehr bewirkt wird, als es im Augenblick der Fall ist. Deswegen müssen wir darauf setzen. Wir sollten nicht glauben, dass wir mit der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union die Ernährungsprobleme dieser Erde lösen können. Das können wir tatsächlich nicht. Aus entwicklungs- und fischereipolitischer Perspektive werden durchaus einige sinnvolle Forderungen gestellt. Aber von diesen sind in den Vorschlägen der Kommission zur Reform der GFP bereits sehr viele Forderungen enthalten. Wir werden in unserem gemeinsamen Antrag alle die sinnvollen Forderungen aufnehmen, die zum Ziel führen und die das Instrument der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht überfordern; denn wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass wir mit dem Instrument der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht alle Probleme dieser Erde lösen können. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Kirsten Tackmann. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Kirsten Tackmann. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die EU-Hochseefischerei hat wirklich eine große Bedeutung. Nur etwa 30 Prozent der in der EU verkauften Fische werden tatsächlich auch in EU-Gewässern gefischt. 70 Prozent werden importiert. Die Hälfte dieser Importe stammt aus Fischgründen in Afrika, in der Karibik oder im Pazifik. Deshalb hat die EU eine große Verantwortung für die globalen Fischbestände genauso wie für die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Die Fangerlaubnis wird von Verträgen bestimmt, die zwischen der EU und den Ländern abgeschlossen werden, in denen die Fischgründe liegen. Es gibt in den partnerschaftlichen Fischereiabkommen einen Kerngedanken: Von der gesamten Fangmenge dürfen die EU-Schiffe nur die Menge Fisch fangen, die die betreffenden Staaten selbst nicht verbrauchen. Das Problem aber ist, dass die Gesamtmenge und auch der Überschuss nicht verifizierbar sind, dass die Daten nicht vorliegen oder nicht berücksichtigt werden. Die Folge ist logischerweise eine Überfischung. Nach Schätzung der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, FAO, gilt zum Beispiel für fast alle kommerziell genutzten Fischbestände in den Gewässern vor der westafrikanischen Küste diese Überfischung. Die Verlierer dieser Überfischung sind zuallererst die regionale Fischerei und die Bevölkerung vor Ort. Sie bezahlen den Raubbau der reichen Länder mit noch mehr Armut. Das hat wiederum für uns Folgen. Deswegen finde ich es gut, dass im Antrag der Grünen auch Bezug darauf genommen wird, dass die Piraterie natürlich etwas mit sinkenden Fischerträgen der lokalen Fischerei zu tun hat. Die Linke ist lange gescholten und attackiert worden, wenn sie darauf verwiesen hat. Dabei haben wir nie behauptet, dass die Überfischung allein oder gar zwangsläufig zur Armut führt. Aber sie trägt natürlich dazu bei. Sagen wir es doch einmal deutlich: Wenn die EU vor Afrika so viel Fisch fängt, dass die afrikanischen Fischerinnen und Fischer nicht mehr vom Fischfang leben können, dann haben wir etwas damit zu tun, dass sie in Armut leben; dann tragen wir dafür eine Mitverantwortung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sind Militäreinsätze wie Atalanta eben keine Lösung der Probleme, sondern verschärfen sie weiter. Daher sollten wir das Geld nicht für Militäreinsätze verwenden, sondern es nehmen, um die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern, und zwar wirklich spürbar. Ein weiterer Beitrag wäre es, wenigstens die Fischereiabkommen fair zu gestalten. Aus Sicht der Linken müssten dazu folgende Kriterien erfüllt werden: Erstens. Die EU-Fischerei darf nur die real existierenden Überschüsse abfischen. Zweitens. Die Verarbeitung der Fänge muss wenigstens zum Teil vor Ort passieren, damit dort auch Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden. Drittens. Die Abkommen müssen den Auf- und Ausbau der regionalen Fischerei und der küstennahen -Fischereiwirtschaft unterstützen. Viertens. Die finanzielle Nutzung der Fangrechte muss den Küstenregionen zugutekommen und darf nicht in Staatskassen oder in Taschen der Eliten versinken. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Da sind wir uns doch einig!) Fünftens. Die Abkommen müssen – das ist wichtig – menschenrechtlich und völkerrechtlich unbedenklich sein. Deswegen kommen aus unserer Sicht Fischereiabkommen mit Marokko zu westsahrauischen Fanggründen nicht infrage, weil die Westsahara widerrechtlich von Marokko besetzt ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Antrag der Grünen finden sich auch weitere -fischereipolitische Vorschläge, die uns wichtig sind: Erstens. Die entwicklungspolitische Unterstützung von Staaten darf selbstverständlich nicht an Bedingungen hinsichtlich der Abschließung von Abkommen mit der EU geknüpft sein. Zweitens. Die maritimen Wissenschaften müssen dringend unterstützt werden. Selbst die EU erklärt, sie habe zu wenig Daten, um einschätzen zu können, wie viel Fisch überhaupt vorhanden ist. Drittens. Die Abkommen mit Dritten sehen wir ebenfalls sehr kritisch. Es kann natürlich nicht sein, dass im gleichen Fischgrund sowohl von der EU als auch zum Beispiel von koreanischen Booten gefischt wird, die entsprechende Fischmenge in den Verträgen aber nicht berücksichtigt wird. Viertens. Die EU-Fangflotte nutzt die Fischereiabkommen, die zum großen Teil mit Steuergeldern finanziert sind. Wir sind der Meinung, dass das zukünftig -aufhören muss. Die EU-Fangflotte muss an der Finanzierung der Abkommen beteiligt werden. Ich denke, dass man dann auf einem richtigen Weg ist. Wir werden selbstverständlich dem Antrag der Grünen zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser Kollege Thilo Hoppe. Bitte schön, Kollege Thilo Hoppe. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mehr als 1 Milliarde Menschen in den Entwicklungsländern ist Fisch eine lebenswichtige Proteinquelle, auf die sie täglich angewiesen sind; für uns ist er nur eine gesunde Nahrungsergänzung. Schon heute bestreiten weltweit 500 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt -direkt oder indirekt von den Einnahmen aus dem Fischereisektor. Vor diesem Hintergrund sollte es eigentlich das Hauptanliegen der EU sein, den Aufbau einer nachhaltigen Fischerei in den Entwicklungsländern zu unterstützen und zu fördern, da hier auch ein erhebliches Potenzial liegt, um die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen. Umso grotesker ist es, dass europäische Fangflotten bereits seit Jahrzehnten die Fischgründe vor den Küsten Afrikas und im Pazifik ausplündern und dabei nach wie vor mit Steuergeldern kräftig unterstützt werden. Ich kann die Zahlen auch konkret nennen – sie sind recherchiert –: 120 Millionen Euro pro Jahr zahlt die EU allein für den Zugang zu den Fischgründen von Entwicklungsländern. Die davon profitierenden Reeder werden nur mit 10 Prozent daran beteiligt. Darüber hinaus profitieren die Reeder – wie alle; das stimmt – von der Steuerbefreiung für Schiffsdiesel. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie war das denn unter eurer Regierung?) Wie absurd und zerstörerisch die EU-Subventions-politik ist, zeigt sich daran, dass der größte Teil der vor Afrika gefangenen Fischmenge zwar in Europa verarbeitet wird, aber dann wieder zu Schleuderpreisen – EU-Subventionen machen es möglich – auf den afrikanischen Markt zurückgeht. Im Klartext: EU-Steuerzahler tragen 90 Prozent der Kosten dafür, dass europäische Privatunternehmen zur Überfischung der afrikanischen Gewässer beitragen. Den afrikanischen Kleinfischern wird der Fisch vor der Nase weggefischt. Sie können auch die wenigen Reste aufgrund der Dumpingkonkurrenz kaum noch verkaufen. Jetzt haben wir über die EU-Fischereiverträge gesprochen. Ich selber habe an einer Konferenz in Accra teilgenommen. Dort hat der damalige Bundespräsident Horst Köhler einige dieser Verträge öffentlich als Schandverträge gegeißelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen anerkennen, dass jetzt ein etwas neuer Wind in der EU weht. Zum ersten Mal hat die EU jetzt zugegeben, dass ihre bisherige Fischereipolitik zu schweren ökologischen und sozialen Verwerfungen beiträgt. Es liegen in der Tat Vorschläge auf dem Tisch, die erst einmal in die richtige Richtung weisen. Trotzdem fehlt eine ganze Menge, und das ist in der Diskussion zu kurz gekommen. Das Problem liegt darin, dass nur ein Teil der europäischen Fangschiffe im Rahmen dieser Fischereiverträge unterwegs ist. Viele Unternehmen haben längst private Verträge mit einigen Küstenländern abgeschlossen und werden nicht erfasst. Wiederum andere Schiffe sind unter fremden Flaggen unterwegs. Notwendig ist also im Prinzip nicht nur, dass die Fischereiverträge in Richtung mehr Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit reformiert werden, sondern auch – das fordern wir mit diesem Antrag –, dass die EU ernsthafte Anstrengungen unternimmt, alles zu kontrollieren, wo Europa mit im Spiel ist; denn nur mit neueren und besseren Fischereiverträgen ist nicht viel erreicht. Wir freuen uns, dass alle drei Oppositionsfraktionen diesem eigentlich sehr sachlich begründeten und differenzierten Antrag zustimmen. Ich habe in einigen Wortbeiträgen der Koalition durchaus Verständnis gehört. Ein Einvernehmen ist auch notwendig; denn momentan macht die Lobby noch kräftig Druck und versucht, die relativ guten Vorschläge der EU-Kommission zu verwässern. Daher wünsche ich mir von der Bundesregierung, dass sie diesem Druck der Lobby nicht nachgibt, (Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sondern eher die guten Vorschläge der EU unterstützt. Je stärker im allgemeinen fraktionsübergreifenden Antrag zur Fischereipolitik die entwicklungspolitische Dimension betont wird – dazu fordere ich Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen –, desto besser; dann können wir vielleicht doch noch ein gutes Signal aus dem Parlament senden. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Thilo Hoppe. – Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verantwortung für die entwicklungspolitische Dimension der EU-Fischereipolitik übernehmen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9714, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9399 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Hahn, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Lutz Knopek, Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln – Drucksachen 17/7184, 17/9771 – Berichterstattung: Abgeordnete Florian Hahn René Röspel Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Petra Sitte Krista Sager b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wirksamen Verbraucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsatz von Nanosilber in verbraucher-nahen Produkten zum Schutz von Mensch und Umwelt stoppen – Drucksachen 17/5917, 17/3689, 17/8821 – Berichterstattung: Abgeordnete Mechthild Heil Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Erik Schweickert Karin Binder Nicole Maisch Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen mir vor. Ich verzichte darauf, sie im Einzelnen vorzulesen. Florian Hahn (CDU/CSU): Vor dem Hintergrund unserer globalen Herausforderungen bietet die Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie viele neue Chancen in den Bereichen Klima, Energie, Gesundheit, Ernährung, Mobilität, Sicherheit und Kommunikation. Die Nanotechnologie hat unseren Alltag revolutioniert. Durch die speziellen Eigenschaften der Nanostrukturen ergeben sich neue funktionelle Eigenschaften für Industrie, Kosmetika, neue Diagnostika und Therapeutika. Nanotechnologie ermöglicht die Schaffung von neuen Werkstoffen für effiziente Energiespeicherung, neue innovative Speichersysteme, Klima- und Naturschutz. Auch im Bereich Medizin bietet Nanotechnologie neue Chancen. So können besser auf den Patienten zugeschnittene Implantate und Prothesen entwickelt werden, die eine bessere Funktionalität und Verträglichkeit aufweisen. Die Bundesregierung begleitet diese wichtigen technologischen Entwicklungen durch die gezielte Förderung von Studien, Verbraucherbefragungen und Dialogaktivitäten zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Wichtig ist dabei, eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erzielen. Dafür muss sie mit sachgerechten Informationen versorgt werden. Der Dialog mit den Bürgern hat nun auch schon Tradition. Das BMU führt zum Beispiel sehr erfolgreich die Plattform Nano-Dialog, und auch andere Projekte stoßen auf großes Interesse seitens der Bevölkerung. So haben wir die zentralen Punkte des Aktionsplans Nanotechnologie 2015 mit unserem Antrag noch einmal gestärkt. Für uns ist besonders wichtig, dass die Potenziale der Nanotechnologie bei Produktivitäts- und Wachstumssteigerungen ausgeschöpft werden und gleichzeitig der Nutzen für die Bevölkerung und der Verbraucherschutz betont werden. Es ist sehr wichtig, dass wir durch konstante Aufklärung ein breites Verständnis und auch Akzeptanz für das Thema schaffen. Dass für die Bundesregierung das hohe Schutzniveau von Mensch und Umwelt zentral ist, steht außer Frage. Wir müssen verantwortungsbewusst mit der Nanotechnologie umgehen und vorausschauend handeln. Auf vielen Gebieten, wie zum Beispiel in der Werkstoff- und Oberflächenverarbeitung, ist dies unbedenklicher und einfacher als auf anderen. So gibt es einige Unsicherheit im Bereich der Lebensmittel. Insgesamt befinden wir uns jedoch auf einem richtigen Weg, und auf EU-Ebene besteht bereits eine Vielzahl an Regelwerken zu Nanomaterialien. Horizon 2020 greift so auch in drei von fünf Unterpunkten die Sicherheit, den Arbeitsschutz sowie die Nachhaltigkeit von Nanotechnologie auf. Im Zusammenhang mit REACH wird derzeit in den entsprechenden Gremien geprüft, ob eine weitere Anpassung notwendig ist. Es ist ganz klar, dass sich die Bundesregierung hier maßgeblich engagiert. Für ein Moratorium, wie es in dem Antrag der Grünen verlangt wird, besteht momentan kein Anlass. Wir haben schon ausreichend Zulassungspflichten im Bereich der Lebensmittel wie auch bei den Lebensmittelkontaktmaterialien und bei Bedarfsgegenständen. Es gelten ganz einfach die allgemeinen lebensmittelrechtlichen Vorschriften. Auch Kosmetikhersteller sind verpflichtet, eine Bewertung der Sicherheit der Erzeugnisse vorzunehmen. In diesem Bereich wird nun sogar eine Notifizierungspflicht ab 2013 bestehen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Es dürfen – ob -Nanopartikel oder nicht – nur solche Produkte auf den Markt gebracht werden, die sicher sind. Das gilt ganz unabhängig von der Partikelgröße der eingesetzten Materialien oder Rohstoffe. „Nano“ bedeutet nicht automatisch eine Gefährdung, sondern weitere Parameter im Zusammenspiel mit „Nano“ spielen eine Rolle. Deshalb machen wir in unserem Antrag die sektorale Prüfung stark. Nanoprodukte müssen sich im Produktrecht, im Arzneimittelrecht oder auch im Chemikalienrecht bewähren. Eine spezielle Regelung für Nanomaterialien halte ich nicht für sinnvoll und auch nicht für rechtlich durchsetzbar. Dem Antrag der Grünen können wir deshalb auch nicht zustimmen. Daran schließt sich nun auch direkt das Thema der Erweiterung der Risikoforschung an. Die Bundesregierung hat im Rahmen des Aktionsplans einen Aufwuchs der Mittel vorgesehen. Dies befürworten wir auch in unserem Antrag. Die Höhe der Mittel hängt jedoch von der Exzellenz der eingereichten Projekte ab. Bei der Vergabe der Forschungsgelder ist die wissenschaftliche Qualität ausschlaggebendes Kriterium. Auch die Begleitforschung, die sich in Abgrenzung von der Risikoforschung eher um gesellschaftsrelevante Fragen wie die Akzeptanz in der Bevölkerung kümmert, hat unter dieser Regierung eine Steigerung um 150 Prozent erfahren. Im Jahr 2011 bedeutet dies einen Zuwachs auf 14 Millionen Euro. Ich möchte zum Schluss nochmals betonen, dass die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland von höchster Wichtigkeit für uns ist. In der Nanotechnologie sehen wir ein immenses wirtschaftliches Potenzial: Denn in Deutschland hängen schon heute mehr als 63 000 Arbeitsplätze von der Nanotechnologie ab. Nicht nur die großen Unternehmen, sondern vor allem die KMU spielen im Bereich der Nanotechnologie und der neuen Materialien inzwischen eine Schlüsselrolle im Innovationsprozess. Mit diversen Fördermaßnahmen verfolgt die Bundesregierung das Ziel, das -Innovationspotenzial der KMU im Bereich der Spitzenforschung zu stärken und sie für KMU attraktiver zu gestalten. Dies gelingt bisher auch schon sehr gut. So wurden in den letzten 20 Jahren zahlreiche kleine Unternehmen aus der Taufe gehoben. Als exportorientiertes, rohstoffarmes Land hängt Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit an Zukunftsmärkten wie der Nanotechnologie. Auf den Weltmärkten gibt es kaum noch ein Hightechprodukt, bei dem keine nanotechnologischen Verfahren eingesetzt werden. Diese Chance wollen wir wahrnehmen. Mechthild Heil (CDU/CSU): Zu Recht ist es parteiübergreifender Konsens, dass die Nanotechnologie eine der wichtigsten Zukunftstechnologien ist. Sie ist wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für den Wohlstand unseres Landes und nicht zuletzt für das Wohlergehen der Menschen. Die Nanotechnologie kann zu enormen Fortschritten bei Gesundheit und Landwirtschaft, bei Energie- und Rohstoffeffizienz, bei Umwelt- und Klimaschutz und bei ziviler Sicherheit beitragen. Trotz der rasanten Entwicklung steckt die Nanotechnologie gegenwärtig noch in den Anfängen. Daraus ergibt sich – auch das konstatieren die Grünen zu Recht –, dass es in diesem Bereich noch große Wissenslücken und Forschungsbedarf gibt, nicht zuletzt hinsichtlich der Risikoabschätzungen und Sicherheitsprüfungen. Die Oppositionsparteien stellen aber in ihren Anträgen die Risiken unverhältnismäßig in den Vordergrund. Für sie lauern überall Gefahren. Sie schüren die Angst der Verbraucher, und das nur aus einem einzigen Grund: Sie wollen sich politisch profilieren. Statt die Verbraucherinnen und Verbraucher mit dieser Gespensterdebatte zu verunsichern, sollten Sie sich erst einmal den Aktionsplan Nanotechnologie 2015 anschauen. Wir sind auf einem guten Weg, unsere Ziele zu erreichen. Die christlich-liberale Koalition setzt sich für einen nachhaltigen und verantwortungsbewussten Verbraucherschutz ein. Dazu gehört auch, dass wir Unsicherheiten und Ängste nicht unnötig schüren, nur um Schlagzeilen zu machen. Wir wissen um das enorme Potenzial der Nanotechnologie in vielen Bereichen. Die Anwendungsbereiche reichen von intelligenten Verpackungen über effizientere Energiespeicherungssysteme bis hin zur Krebstherapie. Grundlage unseres Handelns ist aber stets die Gesundheit und Sicherheit der Menschen und der Umwelt. Das steht selbstverständlich für uns an erster Stelle. Wir brauchen keinen Antrag der Opposition, um uns daran zu erinnern. Wir wissen auch: Wie bei jeder neuen Technologie, kann ein vorschneller Einsatz nanotechnologischer Verfahren mit Risiken für die Menschen und die Umwelt verbunden sein. Deshalb setzen wir uns auch im Bereich der Nanotechnologie für einen verantwortungsvollen Verbraucherschutz ein: Die Bundesregierung fördert die Forschung zur Bewertung und Reduktion möglicher Risiken. Im Jahr 2011 wurden circa 230 Millionen Euro für Forschungsförderung und Risikoanalyse sowie weitere circa 170 Millionen Euro für die Grundlagen- und Begleitforschung bereitgestellt. Am 15. Mai startete ein Kooperationsprojekt der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA, und der BASF mit einem Finanzvolumen von 5 Millio-nen Euro, in dem die Langzeitwirkungen von Nanomaterialen erforscht werden. Produkte mit Nanomaterialien, mit denen Verbraucher und Berufstätige täglich in Kontakt kommen, werden durch ein besonderes Forschungsschwerpunktprogramm begleitet. Studien und Analysen werden durch Einrichtungen des Bundes mit Ressortforschungsaufgaben sowie durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA, das Umweltbundeamt, UBA, das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, die Bundesanstalt für Mate-rialforschung und -prüfung, BAM, und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, PTB, durchgeführt und koordiniert. Noch mehr von dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern, haben wir bereits auf den Weg gebracht: Es gibt bereits auf EU-Ebene umfangreiche Regelwerke, die auch die Nanomaterialien mit umfassen. Es gibt bereits Kennzeichnungspflichten für Produkte mit Nanomaterialien für kosmetische Mittel, Lebensmittel und Biozide. Die Einführung eines branchenübergreifenden Nanoprodukteregisters befindet sich national wie auch auf euro-päischer Ebene schon seit längerem im Gespräch. Wir wollen hier jedoch einen EU-weiten Ansatz. Momentan werden die Grundlagen für eine europäische Nano-datenbank geprüft. Die EU-Kommission hat 2011 bereits eine Definition für Nanomaterialien vorgelegt, die im Jahr 2014 überprüft werden soll. Für das von den Grünen geforderte Moratorium in Bezug auf das erstmalige Inverkehrbringen von verbrauchernahen und umweltoffenen Anwendungen von Nanomaterialien besteht kein Anlass. Sie haben wohl an dieser Stelle Ihres Antrags bereits vergessen, dass Sie im ersten Satz die Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie bezeichnet haben. Daraus folgt nun trotzdem: im Zweifelsfall verbieten. Sie nennen das „Moratorium“, also „Verbot mit Zulassungsvorbehalt“. Das heißt doch, dass deutsche Unternehmen zunächst einmal die Forschungsergebnisse abwarten müssen, bis möglichst alle Wissenslücken geschlossen sind. Das würde für dieses Land schlicht den Ausstieg aus der Nanotechnologie bedeuten. Das können wir uns nicht leisten. Deshalb ist ein weiterer Schwerpunkt des Aktionsplans Nanotechnologie 2015 die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich, indem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die 80 Prozent der Nanotechnologieunternehmen ausmachen, beispielsweise mit dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand unterstützt werden. Die Linke fordert in ihrem Antrag „Wirksamen Verbraucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen“, die Förderstruktur des Bundes im Bereich der Nanotechnologien neu auszurichten. Die aktuellen Zahlen entkräften diese Forderung: Deutschland nimmt beim Fördervolumen im Nanotechnologiebereich im internationalen Vergleich den vierten Platz hinter den USA, Japan und Russland ein. Bei der Risiko- und Begleitforschung steht Deutschland sogar weltweit an erster Stelle. Deutschland ist also führend in der Risikoforschung im Bereich der Nanotechnologie. Es ist besonders wichtig, dass die Nanotechnologie von der Bevölkerung akzeptiert wird. Dafür benötigt sie sachgerechte Informationen, wie dies zum Beispiel durch den Nanodialog oder die Internetseite www.nano partikel.info gewährleistet wird. Durch gute und sachliche Informationen können Vorurteile abgebaut werden. Ihr Antrag, der die Risiken in den Vordergrund stellt, bewirkt das Gegenteil. Das Fazit lautet: Einmal mehr hinkt die Opposition mit ihren Anträgen der Realität hinterher. Einmal mehr verunsichern Anträge, die nicht um der Sache willen, sondern um des Effektes willen gestellt wurden, die Menschen. Wir wissen, dass die Nanotechnologie ein großes Potenzial für gesellschaftlichen Fortschritt, Gesundheit und Wohlstand bietet. Wir wissen, dass der Schutz von Mensch und Umwelt im Bereich der Nanotechnologie an erster Stelle steht. Ich kann Ihnen versichern: Wir sorgen für wirksamen und klugen Verbraucherschutz. René Röspel (SPD): Zum wiederholten Male diskutieren wir in diesem Hause über die Nanotechnologie. Welche großen Chancen und Möglichkeiten Nanotechnologie bietet, habe ich an dieser Stelle schon häufig genug betont. Erlauben Sie mir deshalb, mich heute schwerpunktmäßig mit den noch unklaren und teilweise auch problematischen Bereichen zu befassen. Anfang 2011 hat die Bundesregierung ihren Aktionsplan Nanotechnologie 2015 vorgestellt. Ende 2011 folgten die Koalitionsfraktionen mit dem Antrag „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln“. Man hätte annehmen können, die Koalition würde in ihrem Antrag die besonders wichtigen bzw. problematischen Bereiche herausgreifen und dazu Lösungsansätze vorschlagen. Aber leider weit gefehlt: Der uns hier zum Votum vorgelegte Antrag ist vielmehr ein „Plagiat“ des Aktionsplans der Bundesregierung. Er wiederholt in schönen Sätzen das, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums bereits im Aktionsplan niedergeschrieben haben, und das ist zum großen Teil eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation. Politische Leitlinien findet man weder dort noch im Antrag. Von „Weiterentwicklung“ des Aktionsplans gar, wie die Überschrift des Koalitionsantrags verheißt, kann man somit beim besten Willen nicht sprechen. Dabei wäre es für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU doch eigentlich so einfach gewesen, aus ihrem Antrag aus der letzten Legislativperiode abzuschreiben: In der Großen Koalition haben wir zusammen den Antrag mit der Drucksachennummer 16/12695 erarbeitet. Viele der dort aufgeführten Forderungen sind noch heute gültig. Diese hätten Sie nur in Ihren Antrag übernehmen und weiterführen müssen. So haben SPD und CDU/CSU in der Großen Koalition zum Beispiel gefordert, dass der Anteil der Mittel für die Risikoforschung bis 2012 auf 10 Prozent der für die Nanotechnologieforschung eingeplanten Mittel angehoben wird. Diese Forderung hätten Sie, wie ich gleich ausführe werde, aufgreifen und weiterentwickeln können. Die Bundesregierung hat die Nanotechnologie nach eigenen Angaben im letzten Jahr mit circa 400 Millionen Euro unterstützt. Laut Aussage des Bundesministeriums belaufen sich die Mittel für Begleit- und Risikoforschung aktuell auf 14 Millionen Euro. Das klingt erst einmal nach viel Geld. Aber es sind bei weitem nicht die vom Bundestag geforderten 10 Prozent. Darüber hinaus vermischt die Bundesregierung hier Risiko- und Begleitforschung. Diese sind aber nicht identisch. Bei der Begleitforschung sollen zum Beispiel solche Fragestellungen bearbeitet werden wie, welches Wissen innerhalb der Bevölkerung zum Thema Nanotechnologie vorhanden ist oder welche ethischen Aspekte im Bereich der Nanomedizin beachtet werden müssen. Unter der Risiko- oder Sicherheitsforschung verstehen wir hingegen zum Beispiel die toxikologische Untersuchung eines Nanopartikels und die möglichen Auswirkungen auf den menschlichen Organismus. Nach Angaben des Bundesministeriums hat diese Bundesregierung die Risikoforschung im Zeitraum von 2009 bis 2012 anteilig mit gerade einmal 6,2 Prozent gefördert. Das ist in Anbetracht der enormen Chancen, aber auch der immer noch vorherrschenden Wissenslücken einfach zu wenig. In diesem Bereich wäre deshalb eine klare Forderung der Regierungsfraktionen angebracht. Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, fordern in Ihrem Antrag aber stattdessen nur einen „kurzfristigen Förderschub“ für die Risikoforschung. Entschuldigen Sie, aber etwas Abstrakteres ist Ihnen nicht eingefallen? Wie genau dürfen oder sollen die Bundesministerien diese Formulierung denn auslegen? Warum können Sie keine konkreten Zielvorgaben formulieren? Unter politischer Führung erwarten die Ministerien und die Bürgerinnen und Bürger zu Recht etwas anderes. Bei der Nanotechnologie gibt es darüber hinaus genug weitere Themen, bei denen es einer politischen Positionierung bedürfte. Wie stehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, denn zum Produktregister oder zur Produktkennzeichnung? Welche Forschungsbereiche der Nanotechnologie sollten aus Ihrer Sicht verstärkt gefördert werden? Wie sollten die Ergebnisse der Nanokommission umgesetzt werden? In welchen Strukturen sollten Ihrer Meinung nach die Dialogaktivitäten ausgebaut werden? Wo sehen Sie gesetzlichen Regulierungsbedarf? Dies sind nur einige Fragen, bei denen eine Positionierung Ihrerseits angebracht gewesen wäre. Im Herbst werden wir im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ein Fachgespräch zum Thema Nanotechnologie veranstalten. Vielleicht hilft dies Ihnen bei der politischen Positionierung. Als Lektüre für die Sommerpause empfehle ich Ihnen ansonsten den SPD-Antrag zur Nanotechnologie. Bei korrekter Zitierweise dürfen Sie sich inhaltlich daraus gern bedienen. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Winzig sind Nanopartikel, riesig sind ihre Potenziale und Chancen, aber auch die Unsicherheit und Unklarheit über mögliche Auswirkungen und Risiken auf Mensch und Umwelt. Fast unbemerkt werden immer mehr verschiedene Nanoteilchen in unterschiedlichen Anwendungen eingesetzt. Wissen Sie, ob in dem neuen antibakteriellen Schuhdeo, im Regenmantel, im Nagellack oder in der neuen Nachtpflege Nanopartikel enthalten sind? Heute können Verbraucherinnen und Verbraucher kaum erkennen, ob sie Produkte kaufen, die mittels Nanotechnologie hergestellt wurden oder in denen Nanomaterialien stecken. Nicht ohne Grund hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Gutachten vom September 2011 einen „Anlass zur Besorgnis“ bei einigen Produkten und Verwendungen gesehen, wie das Beispiel Nanosilber in Socken zeigt. Viele dieser Produkte kommen -besonders dicht an die Verbraucherin und den Verbraucher heran. Bisher lässt aber die Datenlage eine abschließende gesundheitliche Risikobewertung nicht zu. Die vielen Unklarheiten führen dazu, dass die Verbraucherin und der Verbraucher in zunehmendem Maße verwirrt und ratlos bleiben und die vielen neuen Produkte, die mit den Vorteilen von Nanotechnologie werben, nicht einschätzen können. Doch genau in diesem Punkt bleibt der Aktionsplan Nanotechnologie 2015 der Bundesregierung hinter den Erwartungen an eine sinnvolle Risikovorsorge der -Verbraucher weit zurück. Denn außer reinen Lippen-bekenntnissen zu einer „wissenschaftlich fundierten Risikobewertung“ oder zur Sicherheitsforschung in Teilbereichen ist dort auffallend wenig über den direkten Verbraucherschutz und eine Verbraucheraufklärung in Erfahrung zu bringen. Denn nach wie vor ist es den Verbraucherinnen und Verbrauchern häufig schlicht nicht ersichtlich, ob es sich um ein Produkt mit Nanomaterialien handelt, welches sie gerade in den Händen halten. Weder über etwaige Wirkungen noch über spezifische Vorteile werden sie in der Regel aufgeklärt. Eine generelle Kennzeichnungspflicht für nanohaltige Produkte kann hier Abhilfe schaffen. Derzeit ist -lediglich in der im Sommer 2011 beschlossenen EU--Lebensmittelinformations-Verordnung eine Pflicht zur Kennzeichnung aufgenommen worden. Die verpflichtende Kennzeichnung für Kosmetika innerhalb der Europäischen Union wird 2013 umgesetzt. Andere verbrauchernahe Produkte können ohne jeglichen Hinweis auf Nanomaterial vertrieben werden. Wir fordern eine generelle und sichtbare Kennzeichnung von Nanostoffen in allen verbrauchernahen Produkten, um eine Abwägung von Vor- und Nachteilen dem Ermessensspielraum der Verbraucherin oder dem Verbraucher zu überlassen. Dazu müssen sowohl der versprochene Mehrwert als auch verlässliche Informationen über mögliche gesundheitliche Schäden benannt werden, um eine bewusste Kaufentscheidung zu ermöglichen. Eine weitere Form, um die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu wahren und Auskunft darüber geben zu können, welche Produkte mit Nanomaterialien in Deutschland hergestellt oder vertrieben werden, ist die baldmögliche Einführung eines öffentlichen Produktregisters. Eine solche Übersicht über Nanoprodukte und deren Spezifikationen ermöglicht es den Behörden, im Rahmen eines Risikomanagements schnell reagieren zu können. Aber auch im Sinne der Markttransparenz ist eine Übersicht über alle auf dem Markt befindlichen verbrauchernahen Produkte mit Nanomaterialien für die Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleistet. Eine EU-weite Einführung eines solchen Produktregisters würde sich anbieten, wobei eine nationale Zwischenlösung denkbar ist, sofern sie mit einem zukünftigen europäischen Produktregister vereinbar wäre. Die Bundesregierung ist gefordert, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass ein öffentliches Nano-produktregister und eine Kennzeichnungspflicht bei nanohaltigen Inhaltsstoffen EU-weit eingeführt werden. Parallel dazu ist die Erarbeitung eines nationalen Nanoproduktregisters als Übergang zu einer europäischen Lösung notwendig. Denn bereits 2009 hat die Große Koa-lition im Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, „eine Informationsquelle zu schaffen, die Bevölkerung, Politik und Wirtschaft über geltende Bestimmungen, Vorschriften und Empfehlungen informiert und durch die zuständigen Bundesbehörden laufend aktualisiert wird“. Wir halten daran fest. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Die Nanotechnologie ist eine Zukunftstechnologie mit großem wirtschaftlichen und gesellschaftlichem Innovationspotenzial, sei es in der Medizin, der Informa-tionstechnologie, der Umwelttechnik, der Energieerzeugung oder der Mobilität. Nanotechnologie verfügt über das Potenzial zur grundlegenden Durchdringung ganzer Technologiefelder. Deshalb ist die Nanotechnologie eine Querschnitttechnologie, mit enormer Bedeutung für Industrie und den Wissenschaftsstandort Deutschland. Diese Bedeutung wird weiter wachsen; denn Forschung und Entwicklung erschließen immer neue Anwendungsfelder. Aus diesem Potenzial schöpfend bedeutet -Nanotechnologie für uns Produktions- und Wirtschaftswachstum. Die Bedeutung der Nanotechnologie erschöpft sich aber nicht nur in Wirtschaftspolitik. Nano bedeutet auch einen geringeren Ressourcenverbrauch, eine Verbesserung von Produkten, Verfahren und Stoffen. Kurzum: Nanotechnologie hat gesellschaftliche Implikationen; denn die Gesellschaft wird in zahlreichen Lebensbereichen von Anwendungen der Nanotechnologie profitieren. Um die Potenziale für Wirtschaft und Gesellschaft zu nutzen, braucht es eine Gesamtforschungsstrategie zur Nanotechnologie. Als Koalition und Regierung haben wir diese mit dem Aktionsplan Nanotechnologie 2015 vorgelegt. Der Aktionsplan Nanotechnologie 2015 wurde von acht Bundesministerien übergreifend im Ressortkreis Nanotechnologie erarbeitet. Anliegen des Ak-tionsplans ist es, die Potenziale der Nanotechnologie zu nutzen und in strategischen Schwerpunkten zu fördern. Dabei wird die Förderung der Forschung und Entwicklung von dieser christlich-liberalen Koalition erstmals auf die gesellschaftlichen Herausforderungen ausgerichtet. Diese gesellschaftlichen Herausforderungen liegen in der Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft, in Fragen zu Umwelt, Klima und Energie sowie in der Mobilität, Sicherheit und Informationstechnologie. Daneben zielt der Aktionsplan Nanotechnologie 2015 auf die verantwortungsvolle, sichere und nachhaltige Nutzung der Nanotechnologie. Zentraler Bestandteil ist aus diesem Grund heraus die Sicherheits- und Risikoforschung. Denn Nanotoxizität ist ein sensibles Thema, das weder unterschätzt noch mit übertriebener Furcht angegangen werden darf. Aufgrund ihrer geringen Größe und neuen Wirkeigenschaften können einzelne Nanomaterialien eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen. Bislang aber liegen keine einheitlichen Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien vor, die die Toxizität einzelner Nanomaterialien eindeutig belegen. Vielmehr krankt eine Vergleichbarkeit der wissenschaftlichen -Untersuchungen und Ergebnisse an der fehlenden Einheitlichkeit von Messmethoden und Messtechnik. Diese zuallererst zu entwickeln, muss daher das Anliegen einer umfassenden Sicherheits- und Risikoforschung sein, um eine realistische und verantwortungsvolle Risiko--abschätzung zu gewährleisten. Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung legten SPD und Grüne dar, dass es über das Gefahrenpotenzial und die Toxizität einzelner Nanomaterialien gesicherte Kenntnisse gebe. Als argumentative Grundlage wurde der Sachverständigenrat für -Umweltfragen mit der im September 2011 veröffentlichten Studie „Vorsorgestrategien für Nanomaterialien“ herangezogen. Doch auch der überaus nanokritische Sachverständigenrat für Umweltfragen kommt in seiner Stellungnahme nicht umhin … festzustellen: „Pauschale Urteile über die Risiken von Nanomaterialien sind nicht möglich. Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Beweise dahin gehend, dass Nanomaterialien – wie sie heute hergestellt und verwendet werden – zu Schädigungen von Umwelt und Gesundheit führen“. Nanomaterialien sind nicht per se als risikobehaftet zu verurteilen. Deshalb besteht keinerlei Grundlage für gesetzliche Maßnahmen, nationale und europäische, wie es die Grünen im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung oder ihrem eigenen Antrag zur Nanotechnologie fordern. Vielmehr sollten nationales und europäisches Recht verantwortungsvoll angewendet werden. In guter Erinnerung ist mir in diesem Zusammenhang die EPTA-Konferenz im September 2011 hier im Deutschen Bundestag. Wissenschaftler und Vertreter der European Chemical Agency plädierten für die Anwendung bestehenden Rechts. Eine Anpassung oder Revision der REACH-Verordnung oder anderer Gesetze wird als nicht zielführend angesehen. Effektiven und größeren Schutz leistet die European Chemical Agency in ihrer Arbeit und Kontrolle auf Interpretation bestehender Gesetze. Zudem besteht das Problem, dass Nanomaterialien weder den Stoffen, den Produkten noch den Chemikalien eindeutig zuzuordnen sind. Selbst Nanomaterialien, die sich nach Merkmalen oder bestimmten Eigenschaften in Gruppen fassen lassen, wie Nanofasern, Nanostaub oder aktive Nanostrukturen, können nur selten direkt miteinander verglichen werden. Daher bedarf es vielmehr der Einzelprüfungen des jeweiligen Nanomate-rials. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat an diesem Punkt bereits mit dem Risikoforschungsprogramm NanoCare einen ersten wichtigen Schritt gemacht. Untersucht wird, wie einzelne synthetische Nanomaterialien auf Organismen wirken. In diesem Zuge wurden auch neue Messmethoden und Messtechniken erarbeitet, die nun die Sicherheitsforschung weiterbringen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass wir die Sicherheits- und Risikoforschung überaus ernst nehmen, anders als von den Oppositionsfraktionen unterstellt, zeigt die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und weiteren Ressortforschungseinrichtungen aufgelegte Forschungsstrategie. Innerhalb dieser Forschungsstrategie sind circa 60 Projekte angesetzt, die zwar vereinzelt Ergebnisse liefern, jedoch keine Grundlage für gesetzliches Handeln nahelegen. Der Aktionsplan Nanotechnologie 2015 setzt ein ausgewogenes Verhältnis von Förderung und Sicherheitsforschung. Um Akzeptanz in der Gesellschaft und bei den Verbrauchern zu schaffen, sind Transparenz und Kommunikation geboten. Eine fortwährende Stigmatisierung der Nanotechnologie, wie es die Grünen im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, mit Anträgen oder öffentlichen Erklärungen machen, fördert keinerlei Akzeptanz. Vielmehr ist der von dieser christlich-liberalen Koalition vorgebrachte Aktionsplan Nanotechnologie 2015 richtig, in dem der Dialog mit den Bürgern über die Chancen und Risiken der Nanotechnologie intensiviert wird. Bereits heute existieren eine Onlineplattform und andere Nanodiskussionsformate wie der Nanodialog, wo wir mit den Bürgern in einen ehrlichen Dialog treten. Karin Binder (DIE LINKE): Der Nanotechnologie wird ein erheblicher gesellschaftlicher und ein noch höherer wirtschaftlicher Nutzen zugeschrieben. Das Bundesministerium der Verteidigung erhofft sich, mit Nanotechnologie die „Leistungsfähigkeit zukünftiger militärischer Systeme erhöhen“ zu können; sie scheint kriegstauglich zu sein – ein großer Ansporn für die deutsche Rüstungsindustrie und ihre Rüstungsforschung. Nanotechnologie soll Herstellungsabläufe beschleunigen und Kosten senken. Auch Produkte des täglichen Bedarfs können ganz neue Eigenschaften aufweisen und langlebiger werden. Der Energie- und Ressourcenverbrauch kann gesenkt werden. Nanobasierte Verfahren können vor allem im medizinischen Bereich zur Therapie und Gesunderhaltung wie auch im Umwelt- und Klimaschutz eingesetzt werden. In der Praxis zeigt sich ein sehr viel schlichteres Bild. Nanostoffe werden vor allem in bestehenden Feldern der Industrie im Herstellungsprozess angewandt. Die Innovation besteht für die Unternehmen im Wesentlichen im Kostensenkungspotenzial. Wie die Mittelvergabe zur Förderung der Nanotechnologie zeigt, findet von staat-licher Seite keine Lenkung der Mittel statt. Eine Schwerpunktsetzung hin zu gesellschaftlich wichtigen Themenbereichen fehlt. Das ist nicht im Interesse unserer Gesellschaft und fördert ausschließlich die Gewinne der Unternehmen. Bund und Länder bezuschussten dies im vergangenen Jahr mit fast 400 Millionen Euro. Allein die Bundesregierung förderte Nanotechnologien mit etwa 200 Millionen Euro pro Jahr. Nur ein Bruchteil davon wird für gesellschaftlich relevante Bereiche aufgewendet. Für den Energiebereich wurden nur 2 Prozent der Förderung aufgewendet. Der bedeutenden Risikoforschung kamen aus Geldmitteln des Bundes bisher nur 4 Prozent der Förderung zu. Auf die Sicherheitsforschung und Risikobewertung im Rahmen der Vorsorge entfielen sogar nur 0,2 Prozent der Gelder. Als Linke sage ich: Eine verantwortungsvolle Entwicklung von Nanotechnologie sieht anders aus. Mit Blick auf die Umwelt- und Gesundheitsrisiken erweist sich das Programm der Bundesregierung sogar als wirkungslos. Mit Ausnahme von Nanosilber gibt es beim Einsatz von Nanopartikeln in Lebensmitteln oder von Nanotechnologie bei Bedarfsgegenständen keine erkennbaren Maßnahmen für eine wirksame Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung. Die Ergebnisse der Nano--Initiative der Bundesregierung lieferten hierfür noch keine verwertbare Grundlage. Dem Antrag der Grünen zum Verbot von Nanosilber in verbrauchernahen Produkten stimmen wir daher ausdrücklich zu. Klar ist: Solange die Pflicht zur umfassenden Risikoforschung nicht grundlegender Bestandteil der Forschungsstrategie des Bundes und der Länder ist, kann der Gesetzgeber technischen Fortschritt und gesundheitliche Vorsorge bei Nanostoffen nicht in Einklang bringen. Allerdings stimmt die bisherige Schwerpunktsetzung bei der Förderung mit den im nano.DE-Report 2011 der Bundesregierung formulierten Zielen überein: Mögliche Risiken der Nanotechnologie in den Bereichen Verbraucher-, Arbeits- und Umweltschutz werden als „Hemmnis bei der Vermarktung nanotechnologischer Produkte“ festgemacht. Deshalb gibt es auch keinerlei Bemühungen der Koalition um eine Kennzeichnungspflicht. Das trägt die Linke nicht mit. Verbraucherinnen und Verbraucher wägen Nutzen und Risiken verantwortungsvoll ab. Das zeigt der Fall des Bekleidungsherstellers Jack Wolfskin. Dieser erklärte im Februar 2010, künftig freiwillig auf Nano-Tex-Produkte verzichten zu wollen. Hintergrund war die -anhaltende öffentliche Diskussion über unerforschte -Risiken bei der Anwendung von Nanostoffen. Das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher hat in diesem Fall zu Absatzproblemen geführt, weil die Zielgruppe ebenso umweltbewusst wie gesundheitsorientiert ist. Hier zeigt sich: Die Vernachlässigung der Risikoforschung durch die Bundesregierung kann sogar wirtschaftliche Schäden verursachen. Tatsächlich hat die zunehmende Befassung der Öffentlichkeit mit den möglichen Risiken der Nanotechnologie zu einer gewissen Skepsis bei Verbraucherinnen und Verbrauchern geführt. Die Folge: Unternehmen verschleiern inzwischen Nanobestandteile in ihren Produkten. So findet sich die Kennzeichnung „Nano“ bei Lebensmitteln nur in einer 1,2 Millimeter kleinen Schrift in der Zutatenliste auf der Verpackungsrückseite wieder. Die Lebensmittelindustrie behauptet sogar, dass gar keine Nanopartikel auf dem Markt seien, obwohl -bereits nanoskalige Zutaten Verwendung finden. Der Gesetzgeber ist hier endlich gefordert, die Verschleierung zu verbieten. Nanobestandteile in Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen müssen klar und deutlich ausgewiesen werden. Ich fasse noch einmal zusammen: Nanotechnologie bietet Chancen für Unternehmen in Deutschland. Sie kann industrielle Prozesse und Verfahren verbessern. Produkte können weiterentwickelt und mit neuen -Eigenschaften versehen werden. Wichtige Nutzungsmöglichkeiten ergäben sich in der Medizin sowie im Umwelt- und Klimaschutz. Für Verbraucherinnen und Verbraucher hingegen ist der Mehrwert begrenzt. Ob ein Zusatznutzen bei Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen in einem vernünftigen Verhältnis zu möglichen Risiken und Mehrkosten stehen wird, ist derzeit offen. Die Förderpraxis der Bundesregierung geht an den eigenen Versprechungen vorbei. Wichtige Themen, wie erneuerbare Energien und Umweltschutz, machen einen verschwindend geringen Teil der Förderung aus. Die Erforschung und Bewertung von gesundheitlichen und umweltbezogenen Risiken wird vernachlässigt. Der Gesetzgeber ist derzeit nicht in der Lage, wirksame Vorsorgemaßnahmen für Gesundheit und Umwelt zu treffen, da die Datenbasis fehlt. Gleichwohl gibt es ernstzunehmende Befunde zu gesundheitsgefährdenden Wirkungen beim Menschen. Im Ökosystem sind Störungen durch Nanostoffe bereits nachgewiesen. Nanopartikel sind daher für die breite Verwendung bei Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen ungeeignet. Besonders bedenklich ist, dass die Industrie versucht, mögliche Risiken herunterzuspielen. Verbraucherschutz kommt im Bereich der Nanotechnologie praktisch nicht vor. Der Gesetzgeber muss eine Kenntlichmachung aller nanobehafteten Produkte sicherstellen. Dabei reicht ein Hinweis auf der Verpackungsrückseite nicht aus. Die Linke fordert deshalb die Einrichtung eines -öffentlichen Nanoproduktregisters. Jedes erfasste -Nanomaterial, das bewusst hergestellt wird, muss eine unabhängige gesundheits- und umweltbezogene Risikobewertung durchlaufen und behördlich zugelassen werden, bevor es als Rohstoff oder Produkt auf den Markt kommt. Gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern sollen Produkte, die Nanopartikel beinhalten, im Hauptblickfeld des Produktes auf der Verpackung kenntlich gemacht werden. Der Zusatznutzen und die Unbedenklichkeit müssen belegt und in allgemein verständlicher Weise erläutert werden. Die Hälfte der Fördergelder soll unmittelbar in die gesellschaftlich wichtigen Bereiche Energie, Umwelt, Klimaschutz, Ressourcenschonung sowie in die Medizin fließen. Zur unternehmensunabhängigen Erforschung und Bewertung von gesundheitlichen und umweltbezogenen Risiken, die von Nanostoffen und nanobehafteten Produkten ausgehen können, sind mindestens 10 Prozent oder insgesamt wenigstens 40 Mil-lionen Euro bereitzustellen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nanopartikel finden sich inzwischen in den unterschiedlichsten Produkten und Anwendungen und bergen unbestritten hohe Potenziale für innovative Produktentwicklungen. Auch die wirtschaftliche Bedeutung des industriellen Nanotechnologiesektors ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, und erfreulicherweise partizipieren gerade mittelständische Unternehmen an dieser Entwicklung. Allerdings bestehen große Defizite im Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzes und in der Risikoforschung. Nanopartikel schlüpfen in weiten Teilen durch die Kontroll- und Regulierungsregimes, die nicht auf die spezifischen Eigenschaften der Winzlinge hin ausgerichtet sind, die wegen ihrer geringen Größe deutlich andere physikalische und chemische Eigenschaften aufweisen als ihre jeweiligen Ausgangsstoffe. Insbesondere der Einsatz von ungebundenen Nanopartikeln in verbrauchernahen und umweltoffenen Anwendungen wie Kosmetika, Lebensmittelverpackungen und Reinigungsmitteln ist hinsichtlich der Risiken für Mensch und Umwelt zu wenig erforscht und unzureichend reguliert. Daher muss das Vorsorgeprinzip zum Leitsatz im Umgang mit der Nanotechnologie werden. Das hat auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Sondergutachten zu Nanomaterialien betont. Von Schwarz-Gelb kommt erwartungsgemäß nicht viel. Der wenig ambitionierte Aktionsplan der Bundes-regierung berücksichtigt weder die Empfehlungen der eigens eingesetzten Nanokommission, noch geht er auf aktuelle Gefahrenhinweise bezüglich bestimmter Stoffe wie etwa Nanosilber ein. Der Antrag der Regierungsfraktionen macht den Aktionsplan leider auch nicht besser oder konkreter. Das Vorsorgeprinzip oder konkrete Maßnahmen zum Umwelt- und Verbraucherschutz sucht man in dem Antrag vergebens; stattdessen geben sich FDP und Union mit dem Status quo zufrieden. Wir fordern, die Sicherheits- und Risikoforschung deutlich auszuweiten, um die vorhandenen Wissens-lücken zu schließen und die Unsicherheit in Bezug auf das Gefahrenpotenzial bestimmter Nanomaterialen zu verringern. 10 Prozent der insgesamt zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel für die Nanoforschung sollten diesem Zweck gewidmet sein. Wir bedauern, dass sich die Koalition in ihrem Antrag um eine konkrete Zahl -herumdrückt; offensichtlich steht die Union nicht mehr zu den 10 Prozent, die sie noch in der Großen Koalition mit beschlossen hatte. Wir brauchen nanospezifische Prüf- und Zulassungsverfahren und Regelungen hinsichtlich der Produkthaftung. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat hierzu gute Vorschläge gemacht, die die Bundesregierung aufgreifen sollte. Dazu gehören auch angepasste Novellen der Novel-Food-Verordnung und des euro-päischen Chemikalienrechts REACH. Auch die Regelungen zum Arbeitsschutz müssen um nanospezifische Regelungen ergänzt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Recht, zu wissen, was in den Produkten steckt, die sie kaufen, und wollen wissen, ob diese Inhaltsstoffe neben den beworbenen Vorteilen auch mögliche Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringen. Wir fordern deshalb eine verständliche Kennzeichnung für verbrauchernahe und umweltoffene Nanoprodukte, eine Meldepflicht für Nanoprodukte und ein öffentlich zugängliches Nanoprodukt-register, um Transparenz und Wahlfreiheit zu gewährleisten und den Regulierungsbehörden einen Überblick über den Markt zu ermöglichen. Außerdem müssen Behörden die Möglichkeit haben, im Besorgnisfall Maßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt zu ergreifen und gefährliche Produkte vom Markt zu nehmen bzw. Nanomaterialien, bei denen mögliche Risiken und Gefahren für die menschliche Gesundheit bestehen, den Marktzugang zu verweigern. Das trifft unter anderem für den Einsatz von Nanosilber in verbrauchernahen Produkten zu. Sowohl das Bundes-institut für Risikobewertung als auch das Umweltbundesamt haben vor den möglichen Gefahren beim Einsatz von ungebundenem Nanosilber in verbrauchernahen Produkten gewarnt. Nanosilber kann sich nicht nur -außen an menschliche Zellen anlagern, sondern auch biologische Grenzen überwinden und somit in Zellen eindringen. Wenn die Sicherheit von Menschen und Umwelt nicht oberste Priorität hat, wird es keine breite Akzeptanz für neue Technologien wie die Nanotechnologie geben. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum kann nie gegen die Interessen von Verbrauchern und Umwelt realisiert werden. Deshalb brauchen wir eine vernünftige Regulierung der Nanotechnologie, die Chancen nutzt und Risiken minimiert. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9771, den Antrag der Fraktionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/7184 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/8821. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5917 mit dem -Titel „Wirksamen Verbraucherschutz bei Nanostoffen durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3689 mit dem Titel „Einsatz von Nanosilber in verbrauchernahen Produkten zum Schutz von Mensch und Umwelt stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geodatenzugangsgesetzes – Drucksache 17/9686 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Geodatenzugangsgesetzes betrifft uns – obwohl wir dies auf den ersten Blick nicht annehmen – in vielen Bereichen. Digitale Geodaten werden – gerade in einer vernetzten Welt – zu unterschiedlichsten Zwecken benötigt. Räumliche Daten der Erde sind für die Klimaforschung, die Rohstoffgewinnung und die Erschließung von Ressourcen entscheidend. Sie können aufzeigen, wo Gletscher schmelzen oder Niederschlagsmengen steigen. Sie helfen erkennen, wo es Potenziale für die Nutzung erneuerbarer Energien gibt, weil sie beispielsweise aufzeigen können, wo in Deutschland die Hotspots für die Erzeugung von Strom aus Geothermie oder Windkraft zu finden sind. Geodaten weisen Gebiete aus, die für öko-logische Ausgleichsmaßnahmen genutzt werden können, oder bilden die Grundlage für politische Entscheidungen dort, wo Menschen von Zuglärm betroffen sind. Sie schaffen Mobilität, denn sie sind für GPS- oder Navigationssysteme in mobilen Endgeräten unerlässlich. Ich freue mich daher, dass der Bund mit dem Gesetz seinen Teil zur Bereitstellung dieser Daten beitragen wird. Mit der Änderung des Geodatenzugangsgesetzes schaffen wir die Grundlage dafür, dass Geodaten und Geodatendienste des Bundes künftig grundsätzlich geldleistungsfrei für die kommerzielle und nichtkommer-zielle Nutzung verfügbar sind. Dadurch können wir das in den Geodaten des Bundes liegende Wertschöpfungspotenzial umfänglich nutzen, weil sich unterschiedlichste Akteure in den genannten Bereichen neue Geschäftsfelder erschließen können. Nicht nur deshalb wird das Gesetzesvorhaben seitens der Wirtschaft ausdrücklich begrüßt und unterstützt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag spricht von einem richtungsweisenden Schritt, der auf Bundesebene mit der Bereitstellung der in der Hand des Bundes liegenden Geodaten vollzogen wird. Die Länder sind nun aufgefordert, nachzuziehen. Hintergrund der Regelungen über den Zugang zu Geodaten und Geodatendiensten ist die INSPIRE-Richtlinie. Mit ihr wurde auf europäischer Ebene ein umfassendes Regelwerk geschaffen, das die Nutzung von und den Zugang zu Geodaten für Bürgerinnen und Bürger, Verwaltung und Wirtschaft in der Europäischen Union vereinfachen soll. Bund und Länder arbeiten bei der fachlich-inhalt-lichen Umsetzung der Richtlinie und in Bezug auf die methodisch identische Erhebung von Geodaten und Geodatendiensten eng zusammen, wodurch die unterschiedlichen Belange umfassend berücksichtigt werden. Die Initiative zur Änderung des Geodatenzugangsgesetzes basiert auf einem Beschluss des Interministeriellen Ausschusses für Geoinformationswesen, IMAGI, vom 8. Februar 2011, in dem die beteiligten Gruppen engagiert sind. Mit dem Änderungsgesetz wird der Abbau von Bürokratie vorangetrieben, indem die Nutzungsbedingungen einheitlich verbindlich geregelt werden. In einer Rechtsverordnung werden die Bedingungen für die Nutzung der Geodaten und Geodatendienste, insbesondere mit Blick auf Nutzungsrechte sowie Gewährleistung und Haftungsausschluss, geregelt. Eine solche Regelung existierte bisher nicht. Behördenspezifisch zu formulierende Lizenzbedingungen fallen dadurch weg. Alles in allem ist das Änderungsgesetz zum Geo-datenzugangsgesetz eine begrüßenswerte Neuregelung. Vorhandene Daten werden für Nutzer zugänglich gemacht und neue Synergien dadurch erschlossen. Das Änderungsgesetz fügt sich in das von der Bundesregierung beschlossene Programm „Vernetzte und transparente Verwaltung“ ein und ist somit ein weiterer Beitrag zu einer effizienteren Verwaltung. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Dr. Matthias Miersch (SPD): Im Vergleich zum Geodatenzugangsgesetz, das der Deutsche Bundestag Ende 2008 verabschiedete, gibt es im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf eine wesentliche Änderung: Alle Geodaten und Geodatendienste werden grundsätzlich geldleistungsfrei für die kommerzielle und nichtkommerzielle Nutzung zur Verfügung gestellt. Wir als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen dies. Zu denken gibt uns aber die Begründung der Bundesregierung. Ihr geht es ausschließlich um Kostensenkung und Bürokratieabbau. Als wir uns mit dem Gesetzentwurf von 2008 befassten, wurden die Kosten dieses neuen Gesetzes mit 200 000 Euro jährlich, je zur Hälfte auf Bund und Länder verteilt, veranschlagt. Dazu kamen noch nicht quantifizierbare Kosten für den Bund bei der Anpassung vorhandener digitaler Geodaten an die durch die INSPIRE-Richtlinie geforderte Interoperabilität. Außerdem entstanden Kosten, um technische Einschränkungen der Darstellungsdienste zu entwickeln, mit dem Ziel, die kommerzielle Nutzung von über diesen Dienst bereitgestellten Geodaten zu verhindern. Die jetzt geplante geldleistungsfreie Bereitstellung der Geodaten und Geodatendienste wird durch die Aufhebung des § 13 GeoZG (a. F.) geregelt. Mit sieben Absätzen ist dieser Paragraf ziemlich umfangreich und regelt fast alles zu Lizenzen und Geldleistungen. Was dort noch nicht geregelt ist, soll im Anschluss durch eine neue Rechtsvorschrift geregelt werden. Auch wenn damals die große Koalition für diesen Paragrafen verantwortlich war, muss man heute selbstkritisch eingestehen, dass dieser Paragraf ein bürokratisches Monster ist. Es ist gut, dass er nun aufgehoben wird. Umso erschreckender ist, dass die Bundesregierung im Jahre 2012 immer noch mit Kostensenkung und Bürokratieabbau als Begründung für die Änderung des Geodatenzugangsgesetzes argumentiert. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Kosten reduziert und unnötige Bürokratie und Verwaltungsaufwand abgebaut werden sollen. Dass aber die Bürgerinnen und Bürger, die Verwaltung und die Wirtschaft nur als Nebenprodukt in den Genuss einer geldleistungsfreien Nutzung der Geodaten kommen, ist bezeichnend für das Verständnis der Bundesregierung von Teilhabe der gesellschaftlichen Gruppen. Das Umdenken vom Ver- oder Behindern der Weitergabe der Daten hin zum geldleistungsfreien Zugriff auf die Geodaten, weil sich der Staat als Dienstleister für seine Bürgerinnen und Bürger versteht, hat noch nicht stattgefunden, und das wundert mich bei dieser Bundesregierung auch nicht mehr. Ich möchte hier nicht der „Umsonstkultur“ das Wort reden; aber im digitalen Zeitalter muss sich die Bundesregierung schon auf einen anderen Umgang im Hinblick auf die Bereitstellung von Daten, die von der Verwaltung erhobenen wurden, einstellen. Die Gesellschaft erhebt Anspruch auf Teilhabe in vielerlei Hinsicht. Dies betrifft nicht nur den unkomplizierten Zugang zu öffentlichen Daten; es beinhaltet auch die Beteiligung an der Planung von Infrastruktur- und Bauprojekten. Die Bundesregierung ist gut beraten, dies bei ihren weiteren Gesetzgebungsvorhaben zu berücksichtigen. Dabei darf es aber keinesfalls dazu kommen, mit den Geodaten, gerade mit den aggregierten, aber doch personenbezogenen Daten wie den Gesundheitsdaten, zu freigiebig umzugehen. Hier auch bei freier Verfügung weiterhin durch eine Verordnungsermächtigung ohne Zustimmung des Bundestages oder Bundesrates eine -Behörde entscheiden zu lassen, halte ich für diskussionswürdig. Das Recht auf informationelle Selbstbe-stimmung muss gewahrt bleiben. In den folgenden Ausschussberatungen wird die SPD dieses Thema auf die Tagesordnung bringen und die Novelle hinsichtlich ihres möglichen Eingriffs in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern abklopfen. Judith Skudelny (FDP): Die Richtlinie 2007/2/EG bzw. das Geodatenzugangsgesetz, GeoZG, dient der Vereinfachung des Zugangs zu und der Nutzung von Geodaten für Bürger und Bürgerinnen, Verwaltung und Wirtschaft sowie der Harmonisierung von Geodaten und Geodatendiensten. Eine Änderung des GeoZG ist notwendig, da auf Bundesebene derzeit keine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage zur Festlegung von Nutzungsbedingungen für die Bereitstellung von Geodaten und Geodatendiensten existiert. Daher wird die Ermächtigungsgrundlage in § 14 GeoZG gemäß Art. 80 GG entsprechend konkretisiert, wodurch eine Verordnung des Bundes für die Nutzungsbedingungen von Geodaten und Geodatendiensten, einschließlich zugehöriger Metadaten, erlassen werden kann. Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des GeoZG wird die Grundlage dafür geschaffen, Geodaten und Geodatendienste, einschließlich zugehöriger Meta--daten, zukünftig grundsätzlich geldleistungsfrei für die kommerzielle und nichtkommerzielle Nutzung zur Verfügung zu stellen. Dies ist rechtlich dadurch abgesichert, dass Geodaten in der Regel Umweltinformationen sind, die nach dem Umweltinformationsgesetz, UIG, auch für die kommerzielle Nutzung in aller Regel geldleistungsfrei abgegeben werden können. Die vorliegende Gesetzesänderung bedeutet eine Ausweitung des Zugangs zu und der Nutzung von Geodaten. Bisher sah das Geodatenzugangsgesetz lediglich den Zugang und die Nutzung durch Organe und Einrichtungen der Europäischen Union vor. Die vorliegende Gesetzesänderung sieht die Erweiterung auf natürliche und juristische Personen des Privatrechts vor. Diese Änderung wirkt sich zudem positiv auf die Nutzung des in den Geodaten des Bundes liegenden Wertschöpfungspotenzials aus. So lag das Marktvolumen von Geodaten 2009 deutschlandweit bei 1,7 Milliarden Euro. Geodaten spielen in vielen Bereichen eine wichtige Rolle: in der Verwaltung, bei der Planung von Elektrizitäts-, Fernwärme-, Gas-, Wasser- oder Kommunika-tionsleitungen, in der Meteorologie sowie bei der Berechnung von Umweltbelastungen. Luftbilder und weitere räumliche Informationen sind bei vielen wirtschaft--lichen Entscheidungen von Bedeutung. Außerdem dient die Gesetzesänderung dem Abbau von Bürokratie, indem die Nutzungsbedingungen einheitlich und verbindlich geregelt werden. So macht die Änderung des GeoZG die Anwendung gegebenenfalls behördenspezifisch zu formulierender Lizenzbestimmungen und Lizenzverträge entbehrlich, indem die Nutzungsbedingungen einheitlich und verbindlich festgelegt werden. Ebenso entbindet die Geldleistungsfreiheit die geodatenhaltenden Stellen von der Verpflichtung, für die Abwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs entsprechende Programme einzusetzen oder verfügbare Plattformen zu nutzen. Die Gesetzesänderung ist ein wichtiger und richtiger Schritt hin zu mehr Transparenz. Sie ist in das Projekt Open Government der Bundesregierung eingebettet und Teil des Regierungsprogramms „Vernetzte und transparente Verwaltung“. Einen Schwerpunkt dieses Projekts bildet der Ausbau von Open Data, also von öffentlich verfügbaren Datenbeständen der öffentlichen Hand, insbesondere zur Weiterverwendung und Weiterverbreitung. Die grundsätzliche Erweiterung des Nutzerkreises und der Nutzungsmöglichkeiten bedeutet jedoch nicht, dass die Nutzung von Geodaten und Geodatendiensten zukünftig ohne Beschränkungen zulässig ist. Die Grenzen liegen beim Datenschutz und bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Es besteht die Notwendigkeit, Rechtssicherheit zu schaffen, indem die Nutzungsbedingungen für den -Umgang mit den Daten verbindlich formuliert werden. Dabei gilt es, ein ausgewogenes Maß zwischen den Persönlichkeitsrechten und Interessen der Betroffenen und dem potenziellen Nutzen für die Gesellschaft zu finden. Diesem Anliegen wird der vorliegende Gesetzentwurf gerecht. Verschiedenste Geschäfts- und Arbeitsprozesse in Unternehmen und Verwaltungen können durch Geo-datenanwendungen entscheidend unterstützt und verbessert werden. Geodaten und Geodatendienste leisten -dadurch einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Bereits vorhandene Internetportale wie Google Maps oder Open Street Map zeigen, dass die Nutzer und Entwickler in den letzten Jahren vielfältige Anwendungen aufgebaut haben, die vorher nicht denkbar waren. Diese positiven Entwicklungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland werden durch die vorliegende Gesetzesänderung weiter vorangetrieben. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Big Brother is watching you: Das ist die einzig erkennbare Zielsetzung der Änderung am Geodaten--zugangsgesetz. Die Richtlinie 2007/2/EG der Europäischen Union verlangt eine Vernetzung von Geodaten über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg. Die Behörden sollen die Daten untereinander austauschen können. Zugrunde liegen Datenformate, die eine maschinelle Verarbeitung ermöglichen und damit eine bessere gemeinsame Umweltpolitik und Abstimmung in anderen Bereichen ermöglichen. Aber um welche Daten handelt es sich, und wer soll darauf Zugriff haben? Klar, es geht, wie der Name es sagt, um geologische Daten: Wie ist der Boden? Welche Gesteine oder Rohstoffe sind bekannt? Welche Flora und Fauna ist vorhanden? Welche Bebauung, Straßen, Grundstücksgrenzen sind vorhanden? Es handelt sich aber auch um Adressen mit Straßen und Hausnummern. Als Geodaten werden auch Informationen zu Krankheiten, Allergien, Krebsfällen, sozialen Aspekten, Kriminalität erfasst. Dies alles erfolgt bereits mit dem jetzigen Gesetz. Wenn also Max Mustermann an einer meldepflichtigen Krankheit leidet, dann können dies sein Finanzamt, das Gesundheitsamt, aber auch die EU-Kommission in Brüssel mit wenigen Mausklicks erfahren. Datenschutz ist hier Fehlanzeige. Bei der Verabschiedung des Gesetzes hat die FDP, damals in der Opposition, folgerichtig einen Vorschlag zur Verbesserung des Datenschutzes, des Schutzes der persönlichen Daten, eingebracht, den die Linke unterstützte. Leider ignorierte die damalige Regierung den Vorschlag. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Geodatenzugangsgesetzes geht jetzt weit über die Richtlinie hinaus. Während im aktuellen Gesetz die Daten entsprechend der Richtlinie nur unter europäischen Behörden austauschbar und verfügbar sind, sollen die Daten nach der Novellierung zukünftig jedem -Interessenten ohne eine Angabe von Gründen zur Verfügung stehen. Das schafft einige Chancen; aber es ergeben sich aus dieser allgemeinen Verfügbarkeit der Daten auch massive Probleme. Zum einen wird das Auffinden von Bodenschätzen jetzt erheblich vereinfacht. Eine erste Suche kann am grünen Tisch erfolgen. Es wird einen Run auf Sucherlaubnisse geben, aber dafür ist das deutsche Bergrecht nicht ausgelegt. Es fehlen beispielsweise notwendige Bremsen wie der Nachweis der Abbaunotwendigkeiten, ein effektiver Umweltschutz und die Berücksichtigung der Bevölkerungsinteressen. Dieser Mangel ließe sich beheben, würde das von der Fraktion Die Linke vorgeschlagene neue Bergrecht eingeführt. Auch für Bauherren, Umweltschützer und Städte--planer zeichnen sich Vorteile ab. Aber wo bleibt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger? – Es wird weggewischt. Über Max Mustermanns Krankheit kann sich nun sein Versicherungsvertreter für die Kranken- oder -Lebensversicherung informieren; damit steigt seine -Prämie, oder er kriegt gar keinen Vertrag. Will er einen neuen Job antreten – oh, er ist krank! –, gewinnt ein anderer Bewerber. Auch Maxes Nachbar leidet; er wird das Haus nur mit Preisabschlägen los. Daten zu Kriminalität, Sozialstrukturen usw. kann sich jeder adressengenau besorgen. Damit wird jeder von uns, jede Bürgerin und jeder Bürger, zum Bestandteil einer „Truman-Show“. Das lehnt die Linke strikt ab. Wir fordern, dass alle persönlich zuordenbaren Daten, also Daten, die zur Stigmatisierung von Menschen beitragen können, nicht öffentlich bleiben. Damit die Bundesregierung die Zugriffsrechte zukünftig ohne Einsprüche aus dem Parlament und dem Bundesrat im Alleingang regeln kann, lässt sie sich noch eine Verordnungsermächtigung ins Gesetz schreiben. Damit wird jede Entscheidung zum Umgang mit all diesen Informationen der demokratischen Kontrolle ent--zogen. Das lehnt meine Fraktion entschieden ab, und ich hoffe, geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass Sie zumindest diese Selbstentmachtung des Bundestages, diesen Angriff auf unsere Demokratie ablehnen. Ansonsten bliebe mir nur eines zu sagen: Big Brother is watching us. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute beraten wir endlich wieder eine Gesetzesvorlage aus dem Bundesumweltministerium. Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft wieder mehr Gesetzentwürfe aus diesem Hause gibt. Das vorgelegte Geodatenzugangsgesetz ist wichtig und auch weitgehend unstrittig. Aber – das muss auch gesagt werden – es ist nicht der große Wurf eines aktiv arbeitenden Umweltministeriums, das Umweltpolitik gestalten will, sondern nur die reine Pflichterfüllung, das heißt die Umsetzung einer europäischen Anforderung. Aber immerhin wenigstens das. In anderen Bereichen – ich erwähne hier immer wieder gerne die notwendige Anpassung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes, die nun schon mehr als ein halbes Jahr in der Ressortabstimmung ist – versäumen Sie es, einfache und klare EU-Vorgaben in deutsches Recht umzusetzen. Von den wirklich bedeutenden Baustellen wie den einzelnen Bestandteilen der Energiewende will ich hier im Detail nicht sprechen. Zum Gesetzentwurf konkret möchte ich Folgendes sagen: Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung umfassend freien Zugang zu Geodaten gewährleisten will und sich damit in Sachen Open Government und Open Data konkret etwas traut, freilich wohl nur aufgrund des Druckes einer EU-Richtlinie im Nacken. Wenn Geo--daten kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, können zum Beispiel mögliche Doppelerhebungen von Daten vermieden werden, wenn es um ortsbezogene Informationen geht. Damit werden die Hürden zum freien Informationszugang für interessierte Bürgerinnen und -Bürger merklich niedriger; es wird leichter, mit zuverlässigem Umweltdatenmaterial zu arbeiten. Bürgerinnen und Bürger können so selbst kompetente Schlussfolgerungen ziehen. Eine wichtige Frage beim freien Zugang zu Daten für die Öffentlichkeit ist immer die Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem -berechtigten Interesse des Einzelnen am Schutz seiner -Privatheit und seiner Daten. Der vorgelegte Änderungsentwurf des Geodatenzugangsgesetzes hätte Anlass gegeben, ein wesentliches Manko der bestehenden Regelung zu beseitigen, nämlich das völlige Fehlen einer die Abwägung mit entgegenstehenden Datenschutzrechten steuernden Regelung. Denn es ist völlig unstreitig und wird insoweit auch in der zugrunde liegenden INSPIRE-Richtlinie vorausgesetzt, dass Geodaten für sich genommen und je nach Kontext bereits einen Personenbezug im Sinne der Datenschutzrichtlinie 95/46 bzw. der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder enthalten können. Für die besonderen, mit der massenhaften Auswertbarkeit bereitgestellter Geodaten verbundenen Risiken, zum Beispiel der systematischen Auswertung zu den unterschiedlichsten wirtschaftlichen Zwecken, bedarf es deshalb einer den Schutzbedarf angemessen berücksichtigenden grundlegenden Regelung bereits im Geodatenzugangsgesetz selbst. Damit wird gerade nicht ausgeschlossen, dass in weiteren Bereichen zusätzliche Bestimmungen für konkrete Rechtsgebiete geschaffen werden. Bedenklich erscheint weiterhin, dass mit dem vorliegenden Änderungsentwurf eine zumindest in Bezug auf Fragen des Datenschutzes nicht näher eingegrenzte -Verordnungsermächtigung für nähere Regelungen der Geodatennutzung geschaffen wird. Wir weisen deshalb darauf hin, dass nach unserer Auffassung mögliche, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betreffende Regelungen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig dem Gesetzesvorbehalt unterfallen und dementsprechend nicht allein in der Verordnung erfasst werden dürften. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Erhebung von Geobasisdaten Ländersache und mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist. Dieser Aspekt war auch Schwerpunkt der Diskussion im Bundesrat, da einige Bundesländer zu Recht befürchteten, hier könnten ihnen Mindereinnahmen aus der Abgabe von Geodaten entstehen. Die Landesvermessungsämter müssen weiter sicher sein können, dass ausreichend Finanzmittel für Satellitendatenakquise, Befliegungen zur Erstellung von Luftbildern, zur Nutzung von Satellitenpositionierungsdiensten und Ähnlichem zur Verfügung gestellt werden. Dazu muss auch weiterhin die Möglichkeit bestehen, -bestimmte Nutzergruppen, insbesondere in Bezug auf Spezialdaten, an den Kosten der Datengewinnung zu beteiligen. Hier konnte jedoch die notwendige Klarstellung erreicht werden. Wir unterstützen den Gesetzentwurf in den parlamentarischen Beratungen, was die Entfaltung des wichtigen Zieles von Open Government angeht. Aber wir möchten unterstreichen, dass wir zeitnah weitere Vorlagen zu den drängenden umweltpolitischen Fragen erwarten, wie zum Beispiel die Änderung des Umweltrechtsbehelfs--gesetzes. Das Verschieben von Vorlagen in die Warteschleife Ressortabstimmung, anstatt sie in die parlamentarische Beratung zu geben, muss endlich ein Ende haben. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/9686 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Nachhaltige Entwicklung in Subsahara-Afrika durch die Stärkung der Menschenrechte fördern – Drucksachen 17/7370, 17/9711 – Berichterstattung: Abgeordnete Frank Heinrich Christoph Strässer Marina Schuster Annette Groth Volker Beck (Köln) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden. Das ist so beschlossen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen mir vor.4 Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9711, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7370 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Linksfraktion. Gegenprobe! – Fraktion der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Keine. Somit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göttingen), Philipp Mißfelder, Johannes Selle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Republiken Sudan und Südsudan stabilisieren – Drucksache 17/9747 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen mir vor. Johannes Selle (CDU/CSU): Wir haben heute ein Thema von weltpolitischer Dimension auf der Tagesordnung, leider zu später Tageszeit. Ich begrüße es aber trotzdem, dass wir heute unseren Antrag und das Engagement Deutschlands zum Frieden im Sudan diskutieren können. Bereits 2009 haben wir an dieser Stelle mit unserem parteiübergreifenden Antrag zum Sudan – BT 17/1158 – mit die Grundlage zu einem intensiven Engagement Deutschlands für den Frieden, insbesondere die friedliche Trennung des Sudan gelegt. Der Republik Südsudan ist am 9. Juli 2011 als 193. Staat der Völkergemeinschaft beigetreten. Die Abtrennung von der Republik Sudan verlief weitgehend friedlich. Die friedliche Entwicklung aber geriet ins Stocken, und wir erleben wieder Krieg und Gewalt, Menschen müssen vor Bombenangriffen flüchten – gerade heute bekamen wir Bilder von den zerfetzten Menschenleibern zu sehen –, Menschen werden vertrieben, ihre Lebensgrundlagen, ihre wirtschaftliche Existenz werden zerstört. Sie leiden Hunger und jeden denkbaren Mangel, von Entwicklung und beginnender Prosperität kann überhaupt nicht die Rede sein. In den letzten Monaten war die Lage zwischen Sudan und Südsudan sehr angespannt. Immer wieder aufflammende Kämpfe zwischen Truppen beider Länder, Rebellen und Milizen belasten die ohnehin prekäre humanitäre Lage der Zivilbevölkerung. Die Grenzprobleme zwischen Nord- und Südsudan, die Aufteilung der Öleinnahmen und die Abyei-Frage sind ungelöst. In Südkordofan und Blue Nile wird nach wie vor gekämpft. Die Afrikanische Union mit Vermittler Thabo Mbeki sowie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben die Konfliktparteien ultimativ aufgerufen, sich ernsthaft und konstruktiv an Friedensgesprächen zu beteiligen, bisher jedoch ohne zählbaren Erfolg. Nach Informationen der Vereinten Nationen sind in der ersten Jahreshälfte 2012 über 3 000 Menschen im Sudan und Südsudan zu Tode gekommen. Der Deutsche Bundestag kann und darf hier nicht schweigen. Die schrecklichen Ereignisse rufen uns auf, unser Engagement für Frieden in diesem Land und den Schutz von -Zivilisten, insbesondere von Kindern und Frauen, deutlich zu intensivieren. Die Parlamentarier und die NGOs, die wir in dieser Woche sprachen, blicken uns ebenfalls erwartungsvoll an. Durch diesen Antrag kann der deutsche Bundestag ein klares Signal für seine Partnerschaft mit Afrika, für Menschenrechte, den Schutz von Zivilisten und Unterstützung für die Zivilbevölkerung im Südsudan geben. Dabei werden wir nicht die Augen vor der Realität verschließen: Beide Sudans steht vor schweren Herausforderungen, und beide müssen erfolgreich sein, soll es Frieden und Stabilität geben. Das alles verpflichtet eigentlich zum gemeinsamen Handeln. Sudan und Südsudan müssen deshalb bei allen auftauchenden Fragen den Frieden ganz obenan stellen und auf jedwede Gewaltanwendung verzichten. Wir setzen uns dabei für eine gerechten Ausgleich zwischen Khartoum und Juba ein: in der Frage der Produktion und der Aufteilung der Ölressourcen, beim Grenzverlauf zwischen Nord und Süd und in der Frage des Aufenthaltsrechts von Nord- und Südsudanesen im jeweilig anderen Staat. Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle auf die Situation in Südkordofan und Blue Nile aufmerksam machen. Dort wurden die Kämpfe immer noch nicht vollständig eingestellt. Noch immer sind Frauen und Kinder Schüssen und Bombardierungen ausgesetzt oder müssen in Flüchtlingslagern ohnmächtig der Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen zusehen. Lasst uns gemeinsam die Verantwortlichen der sudanesischen und der südsudanesischen Regierung sowie die Führer der SPLM in diesen Gebieten auffordern, die Waffen umgehend niederzulegen und die Vermittlung der Afrikanischen Union anzunehmen. In der umstrittenen Provinz Abyei ist es der Mission der Vereinten Nationen UNISFA gelungen, Kämpfe zwischen Nord und Südsudan zu verhindern. Khartoum und Juba haben ein Abkommen geschlossen, das den Truppenabzug, eine gemeinsame Verwaltung und einen Krisenlösungsmechanismus vorsieht. Diese Vereinbarung gilt es umzusetzen. Hier haben wir ein Beispiel, das auch für andere Krisenherde der Region als Lösungsansatz dienen kann. Am 28. Juni und 30. Juni 2011 haben die Konfliktparteien, die Regierung in Khartoum und die südsudanesische Regierung, Abkommen über die Einstellung der Feindseligkeiten in Südkordofan und über gemeinsame Überwachungsmechanismen der Grenze zwischen Nord- und Südsudan getroffen. Die Vereinten Nationen sollten diese durch Beobachter überwachen. In Darfur sollte die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens weiter vorangetrieben werden. Keiner Partei in diesem Konflikt darf es erlaubt werden, den Friedensprozess einseitig für eigene Zwecke zu torpedieren. Die deutsche Beteiligung an UNMISS und UNAMID ist ein wichtiges Zeichen, insbesondere an die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union, dass Deutschland das internationale Engagement im Sudan und Südsudan unterstützt. Sie kennen Art und Umfang des deutschen Engagements, das eng mit unseren internationalen Partnern abgestimmt wurde. Wir haben die Mandate hier im Bundestag mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Es ist gut, dass der Bundestag in dieser Frage geschlossen ist. Dadurch entsteht ein kraftvoller Impuls, den wir an die friedliche Entwicklung weitergeben können. An dieser Stelle möchte ich den Soldatinnen und Soldaten, den Polizistinnen und Polizisten, die dort unter extrem schwierigen Bedingungen ihre Aufgaben erfüllen, aufrichtigen Dank sagen und meine tiefe Anerkennung aussprechen. Dies gilt auch für die engagierten Mitarbeiter von Entwicklungshilfeorganisationen, humanitären und Nichtregierungsorganisationen, die unter schwierigsten Bedingungen vor Ort tätig sind. Am wirkungsvollsten wird unser politisches Engagement durch konkrete Aufbaumaßnahmen. Der Aufbau des Südsudan und die entwicklungspolitische Zusammenarbeit sowie der Stärkung der Zivilgesellschaft sollten die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung bekommen. Wir können helfen, die Lage der zivilen Bevölkerung zu verbessern. Dadurch entsteht die Ermutigung, den friedlichen Weg durchzuhalten. Der Aufbau einer Wasserversorgung auch in der Fläche im Südsudan, der Aufbau funktionierender Verwaltungsstrukturen und die Entwaffnung und Demobilisierung von Soldaten und Milizionären zählen nach wie vor zu den Schwerpunkten der Entwicklungshilfe der Bundesregierung. Wir dürfen aber bei unseren Bemühungen für Nachhaltigkeit den Wiederaufbau in Darfur und in den an-deren Landesteilen Sudans nicht vergessen. Das von -UNAMID erarbeitete Rahmenabkommen für den Friedensprozess in Darfur muss durch konkrete Hilfsmaßnahmen vor Ort unterstützt werden. In Darfur müssen wieder Bedingungen herrschen, die es den Menschen erlauben, die Flüchtlingslager zu verlassen und in ihre angestammten Siedlungsgebiete zurückzukehren. Dazu gehört die Überführung von humanitärer Hilfe in Wiederaufbaumaßnahmen, der Bau von Schulen, Straßen, Gesundheitseinrichtungen und die Förderung von Handel und Gewerbe. Wir stärken damit Menschenrechte, Gerechtigkeit, Partizipation und Freiheit. Wir dürfen nicht aufhören, uns für Frieden, Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Die fortgesetzte deutsche militärische Beteiligung an UNMISS und -UNAMID ist ein Zeichen des deutschen Engagements für nachhaltige Entwicklung. Wir müssen die Friedensprozesse im Sudan und Südsudan stärker unterstützen. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag als Zeichen unseres Einsatzes für Frieden und Ausgleich und den Schutz von Flüchtlingen, Zivilisten, Kindern und Frauen. Christoph Strässer (SPD): Wir debattieren heute auf der Grundlage eines Antrags der schwarz-gelben Koalition über die Lage im -Sudan. Ich will keinen Zweifel daran lassen: Gerade jetzt ist es richtig und wichtig, diese Region wieder in das Bewusstsein der Menschen und insbesondere der Politik zu rufen. Denn der Konflikt zwischen dem Sudan und dem Südsudan hat sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Die Situation ist äußerst explosiv und fragil. Am 10. April eskalierten die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten. Südsudanesische Truppen hatten das strategisch wichtige und ölreiche Gebiet von Heglig circa 50 Kilometer nördlich der Grenze zum Südsudan besetzt, einer Grenze allerdings, über deren konkreten Verlauf auch in diesem Gebiet noch immer keine endgültige Verständigung erzielt werden konnte. Südsudan hatte Aufforderungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, der AU, der USA, der EU und auch Deutschlands, sich wieder zurückzuziehen, anfangs abgelehnt bzw. unter den Vorbehalt der Entsendung von VN-Truppen gestellt. Viele Beobachter sprachen bereits von kriegerischen Verhältnissen und kamen der Realität damit wohl sehr nahe. Unser aller Hoffnung, dass sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern mit der Unabhängigkeit des Südsudan verbessern würde, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Situation wird immer prekärer. Die Gründe dafür sind komplex und können hier nur grob skizziert werden: Strittig zwischen Nord und Süd sind immer noch grundlegende Fragen, wie die Aufteilung der Einnahmen aus den Ölressourcen zwischen beiden Staaten und der genaue Grenzverlauf zwischen Nord und Süd. Auch Entscheidungen über den künftigen Status der sudanesischen Bundesstaaten Blauer Nil und Südkordofan sind weiterhin nicht in Sicht. Seit Juni 2011 finden aus diesem Grund andauernde Kämpfe in Südkordofan statt. Seit September 2011 gilt Gleiches für den Bundestaat Blauer Nil. Die humanitäre Lage spitzt sich deshalb besonders in Südsudan gefährlich zu. Durch den Stopp der Erdölproduktion in der Folge der gescheiterten Verhandlungen mit Sudan hat die südsudanesische Regierung das Problem noch weiter verschärft. Aus der Erdölproduktion bezieht sie schließlich 95 Prozent ihrer Staatseinnahmen. Die Versorgung der Bevölkerung, die Zahlung der Gehälter an die Armee, die Polizei und die Beamten sowie die Aufgaben des Staatsaufbaus sind damit nicht mehr zu bewältigen. Die Weltgemeinschaft befürchtet den Ausbruch einer Hungerkrise. In der Folge auf die VN-Resolution haben Südsudan am 1. Mai und Sudan am 2. Mai die von der AU entworfene Roadmap akzeptiert. Seit dem 5. Mai hält eine Waffenruhe. Aber wer weiß, wie lang noch? Auch die verbale Aufrüstung zwischen den Kontrahenten sowie die Luftangriffe der sudanesischen Armee auch auf zivile Ziele im Süden, die nach jetziger Erkenntnis zum Glück eingestellt wurden, haben zur Eskalation nicht unerheblich beigetragen. In dieser sehr schwierigen Situation ist die Initiative eines Antrages zur Verbesserung der Lage im Sudan sehr zu begrüßen. Die Zustandsbeschreibung im Antrag der Regierungskoalition ist weitestgehend zutreffend, viele Forderungen sind unterstützenswert. So ist es in diesem Zusammenhang richtig und wichtig, die Bundesregierung aufzurufen, die Resolution 2046 (2012) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 2. Mai 2012 und den Friedensfahrplan der Afrikanischen Union zur Lösung der Konflikte zwischen Sudan und Südsudan tatkräftig zu unterstützen. Auch fordert die SPD-Bundestagsfraktion seit jeher, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der VN weiterhin und vor allem verstärkt für eine ausreichende Ausstattung der VN-Friedensmissionen mit finanziellen, personellen und logistischen Ressourcen zur Ausführung der VN-Mandate einsetzen soll – eine Forderung, der die Bundesregierung auch nach jetzigem Stand völlig unzureichend nachkommt. Eine unserer Hauptforderungen an die Bundesregierung war es zudem bereits im interfraktionellen Antrag vom März 2010, die internationale Hilfe für die Repu-bliken Sudan und Südsudan stärker mit der Verpflichtung zur Einhaltung von Menschenrechten sowie zur Bekämpfung von Korruption zu verbinden und dabei auch Drittstaaten wie China stärker in den politischen Dialog mit einzubeziehen. So ließe sich die Reihe Ihrer Forderungen, die wir unterstützen, fortsetzen. Deshalb hätten wir sicher auch einen interfraktionellen Antrag zusammenbringen können. Doch warum ist es bei diesem Thema diesmal nicht zu einem solchen interfraktionellen Antrag gekommen? Warum sind Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungsfraktion, gar nicht auf uns zugegangen? Diese Frage haben mir in den vergangenen Tagen auch die Vertreter vieler NGOs gestellt, die sich ein gemeinsames Vorgehen aller Fraktionen vermutlich wieder sehr gewünscht hätten, als starkes Signal aus dem Deutschen Bundestag, wo doch gerade die jetzigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südsudan sowie die desaströse humanitäre und menschenrechtliche Lage ein gemeinsames Handeln erfordern. Denn auch ohne die Zuspitzung des Konfliktes war uns das Erfordernis eines gemeinsamen Handelns hier im Parlament bereits im März 2010 bewusst. Deshalb hatten wir seinerzeit einen vielbeachteten und von vielen Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützten gemeinsamen Antrag zum Sudan eingebracht. Kollege Johannes Selle von der CDU/CSU-Fraktion stellte damals bereits fest: „Ein gemeinsamer Antrag ist der sudanesischen Situation angemessen. Wir haben das gemeinsame Ziel eines dauerhaften Friedens im Blick, und das erwarten wir auch von den Konfliktparteien.“ Warum gilt dieser Aufruf zu einem gemeinsamen Handeln aller Fraktionen vor dem Hintergrund der aktuell absolut verschärften Konfliktsituation zwischen Süd- und Nordsudan nun nicht mehr? Warum gab es kein Gesprächsangebot? Unsere Türen wären offen gewesen, sie sind es übrigens immer noch. Von der Kollegin Schuster von der FDP-Fraktion hieß es im März 2010: „Mit dem interfraktionellen Antrag senden wir ein sehr starkes Signal …“ Weiter sagte sie: „Mit dem Antrag, der heute vorliegt, halten wir Wort. Wir haben bei der Podiumsdiskussion am 7. Januar das Versprechen gegeben, uns zu einem interfraktionellen Antrag zusammenzufinden, und wir haben unser Versprechen gehalten.“ Aber warum ist dieser Aufruf zur gemeinsamen politischen Initiative im Lichte der aktuellen desaströsen Lage im Sudan nun nicht mehr gewollt? Das will vor allem deswegen nicht einleuchten, weil viele Forderungen in Ihrem Antrag, wie bereits erwähnt, deckungsgleich mit den Forderungen im interfraktionellen Antrag von 2010 und mit den gemeinsam getragenen Anträgen zu UNAMID sind. Viele dieser Forderungen wurden also gemeinsam von uns allen bereits mehrfach auf die Tagesordnung gebracht. Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Denn es ist leider nicht so, wie es von Frau Schuster verständlicherweise im März 2010 gehofft wurde – ich zitiere –: „Ich freue mich noch mehr, wenn ich sehen kann, dass unsere Bundesregierung die Forderungen dieses Antrages Schritt für Schritt umsetzt. Da setze ich große Hoffnungen auf Staatsministerin Cornelia Pieper, Dirk Niebel und natürlich auch den Außenminister.“ Sehr geehrte Frau Schuster, nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ich schätze ihre Arbeit sehr und teile, wie die meisten anderen in diesem Hause, ihren damaligen Wunsch und die Hoffnung, dass die Bundesregierung unseren gemeinsamen Forderungen für eine Verbesserung der Lage im Sudan nachkommen möge. Ihr Antrag ist aber der schlagende Beweis dafür, dass Ihre Erwartungen an Ihre eigene Regierung bitter enttäuscht worden sind; denn diese Regierung, die von Ihnen genannten Personen, sind Ihren und unseren Forderungen gerade nicht nachgekommen. Sonst hätten sich weite Teile Ihres neuen Antrages nämlich bereits durch Regierungshandeln erledigt. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, in Ihrem Antrag auf diese Vorgeschichte aufmerksam gemacht und deshalb ihre eigene Regierung nachdrücklicher dazu aufgefordert hätten, endlich den nun schon mehrfach geäußerten Forderungen nachzukommen, würde das Ganze vielleicht noch einen Sinn ergeben. So aber entlarven Sie, vermutlich ungewollt, die Untätigkeit der Bundesregierung in weiten Bereichen der Sudan-Politik. Zudem enttäuschen sie viele NGOs und ehrenamtlich Engagierte, die auf ein gemeinsames Handeln aller Fraktionen gebaut haben. Dieses Signal können wir von der SPD-Fraktion deshalb heute nicht mittragen. Es unterschlägt die Tatenlosigkeit der Bundesregierung und beendet die so dringende gemeinsame politische Initiative für Stabilität im Sudan und Südsudan. Aber selbstverständlich sind wir für eine zukünftige Zusammenarbeit immer offen. Marina Schuster (FDP): Zehn Monate nach der friedlichen Teilung haben sich die Beziehungen zwischen Sudan und Südsudan dramatisch verschlechtert. Die beiden Länder befinden sich am Rande eines neuen Krieges. Die vergangenen Monate haben gar befürchten lassen, dass sich der Konflikt vollends entfesseln könnte. Wir fordern die Konfliktparteien daher auf, die Kämpfe unverzüglich einzustellen und auf Verhandlungen zu setzen, um die verbliebenen Fragen des umfassenden Friedensabkommens zu lösen. Das humanitäre Leid der Bevölkerung, insbesondere in den Bundesstaaten Blauer Nil und Südkordofan, ist unermesslich und nimmt zu. Nach Angaben von UNHCR sind circa 185 000 Flüchtlinge aus Südkordofan und Blauem Nil nach Südsudan und Äthiopien geflohen; mehr als 400 000 Personen sind vertrieben worden. Der Zugang zu den umkämpften Regionen ist internationalen humanitären Organisationen bisher durch die sudanesische Regierung untersagt. Aufrufen der Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga und des UN-Sicherheitsrats, den humanitären Zugang zu gewähren, ist die sudanesische Regierung bisher nicht nachgekommen. Vor diesem Hintergrund verdient die Lage im Sudan und in der Region dringend verstärkte Aufmerksamkeit. Dieser umfassende Antrag, für dessen Unterstützung ich bei der Opposition werbe, soll einen Beitrag hierzu leisten. Die am 10. Februar dieses Jahres von den Staatspräsidenten Salva Kiir und Umar al-Baschir unterzeichnete Vereinbarung über einen Nichtangriffspakt und verstärkte Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten markierte ein erstes positives Zeichen der bilateralen Verhandlungen. In der Vereinbarung verpflichten sich beide Republiken, die Souveränität und territoriale Integrität des anderen Staats zu respektieren. Doch wurde das für Anfang April geplante weiterführende bilaterale Gespräch beider Präsidenten aufgrund heftigster Zusammenstöße in Südkordofan, Blue Nile und im Grenzstaat Unity abgesagt. Mit der zunehmenden Eskalation der Situation um die Grenzregion Heglig stehen die Zeichen auf Verhärtung. So bleiben wichtige Fragen des umfassenden Friedensabkommens bis auf Weiteres ungelöst. Für die umstrittene Grenzregion Abyei ist bisher kein Abhalten eines Referendums vorgesehen, wie es das Abkommen vorsieht. Auch über den künftigen Status der sudanesischen Bundestaaten Blauer Nil und Südkordofan sind keine Entscheidungen in Sicht. Darüber hinaus ist die Bilanz des Entwaffnungsprogramms, kurz DDR, sowohl auf sudanesischer als auch auf südsudanesischer Seite ernüchternd. Es mangelt an politischem Willen, sich entwaffnen zu lassen. Der Widerstand der Bevölkerungen gegen die Entwaffnung ist groß. Leider hat die enge und wichtige Zusammenarbeit mit UNMISS und dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP bisher keine zufriedenstellenden Fortschritte erzielen können. Daher müssen unsere Anstrengungen in diesem wichtigen Bereich verstärkt werden. Deutschland unterstützt im Rahmen des Sudan-Konzepts die Vermittlungsbemühungen des African Union High-Level Implementation Panel, AUHIP, unter Leitung von Thabo Mbeki. Wir setzen uns für einen verstärkten politischen Dialog zwischen Sudan und Süd-sudan, die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit sowie die Durchführung von Sicherheitssektorreformen in beiden sudanesischen Staaten ein. Deutsche Soldaten in den VN-Friedensmissionen UNMISS und UNAMID leisten hier anerkannte Beiträge zur Stabilisierung der Lage in beiden Staaten. Im Südsudan liegt ein weiterer Fokus auf dem Aufbau staatlicher Strukturen und Institutionen. Hier ist es wichtig, die Führung im Südsudan an die Verantwortung gegenüber ihren Bürgern, egal welcher ethnischer Zugehörigkeit, zu erinnern. Denn nötige politische und administrative Strukturen, die für eine Bereitstellung öffentlicher Leistungen nötig wären, fehlen nach wie vor. So bleibt eine Friedensdividende auch für die Bevölkerung im Südsudan bisher aus. Der Schlüssel zur langfristigen Stabilisierung der Lage liegt im politischen Prozess. UNAMID, UNMISS und UNISFA sind wichtige, aber keine ausreichenden Beiträge der internationalen Gemeinschaft, um die Menschen zu schützen und dauerhaften Frieden zu fördern. Alle drei Missionen können nur erfolgreich sein, wenn sie auf einen tragfähigen Waffenstillstand sowie einen umfassenden Friedensprozess aufbauen können. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich innerhalb der EU und der VN, insbesondere im Dialog mit der AU für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie für Sudan und Südsudan einzusetzen, die Wege zur politischen Lösung der Darfur-Krise mit einschließt und die vollständige Umsetzung des umfassenden Friedensabkommens sicherstellt. Seit Jahren begleitet die Bundesregierung Sudan und seit dem vergangenen Jahr Südsudan. Das Engagement in den verschiedensten Bereichen findet sich auch im Sudan-Konzept wieder, auf dessen Basis wir den Weg der Zusammenarbeit fortsetzen wollen. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur Situation in Darfur sagen. Nach wie vor sind dort circa 2 Mil-lionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig. Im Mai 2012 gab es neue Auseinandersetzungen. Mit anderen Worten: Die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Darfur ist unverändert schlecht. Es ist daher wichtig, dass wir die Situation in Darfur aufgrund der Konfliktlage zwischen beiden Staaten nicht aus den Augen verlieren. Das mag aufgrund der komplexen Gemengelage und der trüben Aussichten in beiden Fällen nicht immer leichtfallen. Doch sind wir es den Menschen schuldig, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und unermüdlich nach neuen Lösungswegen zu suchen. Christine Buchholz (DIE LINKE): Ein Jahr nach der Sezession des Südsudan vom Sudan hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Während im Norden der Zentralstaat gegen eine Koalition aus verschiedenen vom Süden unterstützten Guerillabewegungen kämpft, hat der Süden im April mit Heglig das größte Ölfeld auf der anderen Seite der Grenze besetzt, bevor es Khartums Truppen unter Einsatz von Luftbombardements zurückgewonnen haben. Ein Waffenstillstand hat den Konflikt für den Moment beendet. Doch er kann jederzeit wieder in einen offenen Krieg ausbrechen. Niemand braucht diesen Krieg. Doch er liegt in der Logik einer vom Westen unterstützten Sezession, die keines der sozialen Probleme gelöst hat, aber einen zweiten, durch und durch militarisierten Staat geschaffen hat. Die Sezession fand statt, obgleich die Grenzziehung ungeklärt war, obgleich sich die Ölfelder unter der ungeklärten Grenze befinden. Sie fand statt, ohne dass Fragen der Staatsbürgerschaft geklärt waren. Nun werden wir Zeuge, wie Hunderttausende von Nord nach Süd und von Süd nach Nord fliehen. Nach wie vor werden die Konflikte um Weideland ethnisch aufgeladen und vermengen sich gefährlich mit dem Konflikt zwischen Nord und Süd. Der Sudan zeigt: Alle Versuche, Konflikte durch die Einwirkung der Großmächte von außen zu lösen, funktionieren nicht. Im Sudan sind derzeit beiderseits der heutigen Grenze seit Jahren mehrere UN-Missionen aktiv. Sie haben nicht dazu beigetragen, den Konflikt zu verhindern. Nun fordert der Antrag der Regierungsparteien die eigene Regierung auf, „sich im VN-Sicherheitsrat weiterhin für robuste und der jeweiligen Situation angemessene Mandate einzusetzen“. Sie umschreiben hier diplomatisch die Fortsetzung einer Politik, die vor allem auf Entsendung von Militär setzt. Das verbrennt Unmengen an Geld. Allein die im Darfur tätige UNAMID kostet jährlich 1,8 Milliarden Dollar. Doch genau da eskaliert nun ebenfalls der Konflikt. UNAMID ist, so äußerte sich mir gegenüber ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation vor Ort, eine große Geldfressmaschine ohne Auswirkung. Die Bilanz von UNMISS ist genauso erbärmlich. Die Bundeswehr hat unter diesem Mandat einige Offiziere im Südsudan, zwei davon sogar in der im April bombardierten Stadt Bentiu. Doch deren Anwesenheit trägt nichts zur Dämpfung des Konflikts bei. Sie half noch nicht einmal, die Berichterstattung gegenüber dem Bundestag zu verbessern. Als der Konflikt zwischen Nord und Süd eskalierte, lasen wir im März und April wochenlang in den regelmäßigen „Unterrichtungen“ durch das Bundesverteidigungsministerium zum Sudan und Südsudan: keine berichtenswerten Ereignisse. Während der heißen Phase des Konflikts wurde noch nicht einmal die offizielle Risikoeinschätzung verändert. Militär ist keine Lösung für die Probleme im sudanesischen Konflikt. Die Linke fordert deshalb den sofortigen Abzug aller deutschen Soldaten aus dem Sudan und aus Südsudan. Es gibt noch einen Punkt, der mich an dem Antrag wundert. Die Antragsteller tun so, als sei es die Politik der Bundesregierung, gegenüber beiden Staaten eine gleichgewichtige Politik zu betreiben. Dem ist nicht so. Während es im Süden neben der unseligen Unterstützung beim Aufbau eines inneren Repressionsapparates auch sinnvolle Entwicklungsprojekte gibt – ich nenne hier die Projekte in den Bereichen Trinkwasser, Abwasser und Abfallentsorgung –, findet mit dem Norden keine entwicklungspolitische technische Zusammenarbeit mehr statt. Mein Kollege Paul Schäfer war erst jüngst im Sudan und im Südsudan und musste ebenfalls feststellen, dass die einseitige Unterstützung des Südsudans durch den Westen kontraproduktiv ist, nicht nur, weil damit, wie die Antragsteller selber einräumen, eine durch und durch militarisierte und korrupte Führung im Süden unterstützt wird, sondern auch, weil das nordsudanesische Baschir-Regime den zivilen Widerstand im eigenen Land umso leichter als von außen gesteuert denunzieren kann. Denn wir dürfen nicht übersehen: Bei all dem Leid, das der Elendskapitalismus an der Nahtstelle zwischen Nord- und Südsudan nach sich zieht, haben wir im Norden, insbesondere in der Metropole Khartum, einen lebendigen Widerstand gegen das Regime. Der arabische Frühling hat auch hier neuen Hoffnungen Auftrieb gegeben. Es ist dieser Widerstand allein, der einen Ansatzpunkt für eine Verbesserung der politischen Lage bietet. Frieden wird es erst geben, wenn die Grenzen zwischen den Ethnien und zwischen Nord und Süd überwunden werden. Die Mächtigen im Sudan forcieren diese Grenzen, um für sich selbst einen möglichst großen Teil vom Ölreichtum abzugreifen. Wahrer Frieden kann nur von unten wachsen, im Widerstand gegen die Regierungen in Nord und Süd. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schon viel zu lange her, dass wir hier im Plenum auf die Lage im Sudan und Südsudan geblickt haben. Deshalb begrüße ich diese Debatte hier sehr. Sie war überfällig. Denn nach der friedlichen Abspaltung des Südsudans vom Nordsudan vor rund einem Jahr ist das Thema mal wieder von den Radarschirmen von Politik und Medien verschwunden. Ganz nach dem Motto, mit der Zweistaatenlösung wird schon alles gut. Doch wenig ist gut im Sudan. Beide Staaten taumeln im Streit ums Öl wie vor 20 Jahren wieder in einen Krieg, wetzen weiter die Kriegsmesser erst wegen der Ölfelder um Abyei und jetzt wegen der Ölfelder um Heglig. Der Kriegsfürst Harun, der Governeur in Süd-kordofan, der ohnehin schon lange wegen seiner Verbrechen in Darfur vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird, lässt in den Nubabergen weiter wehrlose Menschen massakrieren und vertreiben, und das mit der klaren Ansage, keine Gefangenen zu machen. Davon hat sich der UN-Menschenrechtsrat vor Ort selbst überzeugt und an den UN-Sicherheitsrat berichtet. Tausende fliehen nach Südsudan und in die Region und verschärfen die ohnehin dramatische Lage der an die 200 000 Flüchtlinge. Im Südsudan bekämpfen sich immer wieder verfeindete Stämme, weil die Regierung mehr damit beschäftigt ist, ihre Pfründe zu sichern, als wirklichen Pluralismus, Mitsprache und Rechtsstaatlichkeit umzusetzen. Und in Darfur weigert sich die Rebellengruppe für Gerechtigkeit und Gleichheit, JEM, noch immer, Frieden zu schließen, und kämpft verbissen weiter. Gleichzeitig nehmen die sozialen Spannungen in den großen Flüchtlingsstädten in Darfur weiter zu. Viele Frauen werden Opfer von Vergewaltigungen – und das alles vor den Augen von UNAMID, der größten Friedensmission weltweit. Dazu können und dürfen wir nicht wegschauen. Die internationale Gemeinschaft darf die alte krisenpräventive Weisheit nicht immer wieder ignorieren: Nach der Krise ist immer auch vor der Krise. Und jetzt rächt sich auch, dass die Lösung der Grenz- und Ölfrage, der Staatsangehörigkeit, der Entwaffnung und die Referenden in Abyei, Südkordofan und Blauer Nil, wie sie der Friedensvertrag zwischen Nord- und Südsudan, das CPA, noch vor der Unabhängigkeit des Südsudan vorsah, auf den Sanktnimmerleinstag vertagt wurde. Vor solchen Entwicklungen haben wir schon frühzeitig in unserem interfraktionellen Antrag vom 10. März 2010 und auch mehrfach im Unterausschuss Zivile Krisenprävention gewarnt. Jetzt sind die UNO und die AU wieder einmal damit beschäftigt, die Krise nur einzudämmen, anstatt nachhaltige Lösungen voranbringen zu können. Die Streitparteien Sudan und Südsudan müssen die Sicherheitsratsresolutionen 2026 und 2046 jetzt bedingungslos erfüllen. Sie müssen die Gewalt sofort beenden, die Roadmap der AU, den Mbeki-Plan zur Beendigung der Krise unverzüglich umsetzen, und zwar am gemeinsamen Dialogtisch. Dazu hatten sie sich längst mit ihrem Nichtangriffs- und Kooperationsmemorandum vom Februar 2012 verpflichtet. Doch auch die internationale Gemeinschaft steht in der Mitverantwortung. Nach Jahren intensiver Einmischung darf sie die Menschen im Sudan nicht im Stich lassen, nur weil alle gerade nach Syrien blicken. Wir dürfen nicht zulassen, dass jetzt sieben Jahre schwierigster Friedensprozess im Nichts enden. Und das gilt besonders auch für die Bundesregierung, die sich zwar engagiert, aber eben nicht genug. Sie müsste und könnte mehr machen. Noch immer warten wir auf eine gemeinsame Strategie des AA und BMZ für den Südsudan und auf Vorschläge für eine Verbesserung der Geberkoordination, damit sich nicht alle auf den Füßen herumtreten. Das hatte die Multi-Donor-Evaluierung der OECD/DAC der Bundesregierung schon im Dezember 2010 ins Stammbuch geschrieben. Und noch immer sehe ich auch keine konkreten Perspektiven für die entwaffneten, ehemaligen Kämpfer, damit sie nicht wieder zu den Waffen greifen, um sich und ihre Familien ernähren zu können. Auch habe ich nichts gehört zu konkreten weiteren personellen Beiträgen – insbesondere auch mehr zivilem Personal – für UNMISS. Das gilt im Übrigen auch für notwendige Anstrengungen, China und Ägypten mehr in eine Krisenlösung einzubinden. Und schließlich scheint es so, als sei die EU-Sonderbeauftragte für den Sudan, Rosalind Marsden, für die Bundesregierung schlicht bedeutungslos. Warum unterstützen sie Frau Marsden nicht intensiv? Leider greift auch der Antrag der Regierungskoalition an vielen Punkten entsprechend zu kurz. Es finden sich keinerlei Kritikpunkte an der Politik der Bundesregierung, was vonseiten der Regierungskoalition wenig verwundert. Nicht einmal neue Anregungen oder Schwerpunkte, welche Aufgaben besonders von der Bundesregierung unterstützt werden sollen, sind zu erkennen. Ich bedaure es sehr, dass die Regierungskoalition ohne Not die Chance hat verstreichen lassen, auf die anderen Fraktionen zuzugehen, um wie 2010 zu einem breit getragenen interfraktionellen Antrag zu kommen. Wir stehen dafür nach wie vor bereit. Denn das Thema Sudan ist nun wirklich kein parteipolitisches Profilierungsthema, dafür ist die Sache zu ernst. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9747 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen – Drucksache 17/9728 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor. Peter Beyer (CDU/CSU): „Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen“, so ist der Antrag der SPD überschrieben. Schon der Titel versucht den Leser allerdings auf eine falsche Fährte zu führen und Tatsachen zu -verdrehen: Der Bundesregierung wird nämlich unterstellt, dass sie sich nicht ausreichend um die Pflege und die Ausgestaltung der transatlantischen Beziehungen -bemühe. Es kommt hinzu, dass es sich bei diesem Antrag eher um ein Sammelsurium unterschiedlicher außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischer Themen denn um eine fokussierte Forderung zur Stärkung der transatlantischen Beziehungen handelt: ein bisschen Geschichte, ein bisschen EU, ein bisschen Deutschland, etwas NATO, ein paar geostrategische Allgemeinplätze und – natürlich – ein bisschen „Transatlantik“. Ich bin daher über dieses Papier sehr verwundert – zumal erfahrene Außenpolitiker der SPD, wie Herr Klose oder Herr Erler, diesen Antrag mit unterzeichnet haben. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich freue ich mich, dass auch die Sozialdemokraten die Bedeutung der Beziehungen zu unseren Freunden und Partnern auf der anderen Seite des Atlantiks erkannt haben. Dies sah unter ihrem Bundeskanzler Gerhard Schröder noch ganz anders aus. Ich erinnere insbesondere an die unsägliche Instrumentalisierung antiamerikanischer Ressentiments zu Wahlkampfzwecken. Es war dieses Verhalten der Regierung Schröder/Fischer, welches das transatlantische Verhältnis nachdrücklich beschädigt hat. Nur durch die Anstrengungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel haben wir wieder zu einem vertrauensvollen Umgang zurückgefunden. Es kommt daher auch nicht von ungefähr, dass die Bundeskanzlerin 2011 von -Präsident Barack Obama mit der Presidential Medal of Freedom, dem höchsten zivilen Orden der USA, ausgezeichnet wurde. Offen gestanden habe ich allerdings nicht verstanden, was der Bundesregierung mit diesem Antrag -eigentlich mitgeteilt oder was von dieser an Verhalten eingefordert werden soll. Ich habe daher versucht, anhand der von Ihnen unter Punkt 3 aufgeführten „Konsequenzen“ Ihre Intention zu verstehen. Allerdings finde ich dort keinen einzigen Punkt, der ein Defizit beschreibt, dessen sich die Bundesregierung nicht schon längst angenommen hätte. Besonders auffällig ist dabei Ihre sehr zaghafte Forderung nach einer transatlantischen Freihandelszone. Schön, dass Sie bei diesem Thema unsere Einschätzung teilen. Die Bedeutung des transatlantischen Handels ist kaum hoch genug einzuschätzen. Schließlich erwirtschaften die USA und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit nur 10 Prozent der Weltbevölkerung -gemeinsam mehr als 50 Prozent des globalen Brutto--inlandsprodukts. Im Jahre 2010 lag der Gesamtumsatz beider Wirtschaftsräume bei 5 Billionen US-Dollar. Der Bundesregierung ist diese Bedeutung schon länger bewusst, und daher handelt diese auch entsprechend: Ich darf Sie an den von Bundeskanzlerin Angela Merkel 2007 initiierten Transatlantischen Wirtschaftsrat, den sogenannten TEC, erinnern. Dieser wird in -Ihrem Papier an keiner Stelle erwähnt, obwohl es sich dabei um den Schritt hin zur weiteren Institutionalisierung transatlantischer Wirtschaftsbeziehungen handelt. Auch die zum TEC gehörende High-Level Working Group on Jobs and Growth, welche 2011 eingesetzt wurde, kann ich in Ihrem Papier nirgends finden. Diese Arbeitsgruppe wird bis Ende 2012 Schritte identifizieren, mit denen die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel und Investitionen vor allem dort gestärkt wird, wo der Austausch Wachstum und Arbeitsplätze fördert. Überlegungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA werden ebenfalls vorangetrieben. Zudem hat sich die Bundeskanzlerin Anfang 2012 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos eindeutig für eine transatlantische Freihandelszone ausgesprochen. Anfang Mai – Sie waren ebenfalls dazu eingeladen – hat die CDU/CSU-Fraktion einen vielbeachteten Kongress zur Zukunft der transatlantischen Wirtschafts-partnerschaft ausgerichtet. Im Vorfeld dieser sehr erfolgreichen Veranstaltung hat meine Fraktion ein Positionspapier verabschiedet, welches sich für die Weiterentwicklung der für uns so wichtigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Nachdruck ausspricht. Ich empfehle Ihnen dieses Papier nachdrücklich zur Lektüre. Sie sehen, mein fehlendes Verständnis für Ihren Antrag ergibt sich daraus, dass sich die Bundesregierung schon seit langem intensiv und mit Nachdruck um die Stärkung der transatlantischen Beziehungen bemüht. CDU und CSU sind die Parteien, welche sich seit Jahrzehnten kontinuierlich für die transatlantischen Beziehungen einsetzen. Für uns sind diese Beziehungen auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie auf dem Fundament gemeinsamer Werte und Interessen auf--gebaut sind. Auch dazu haben wir uns anlässlich des zehnten Jahrestages der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon mit einem Positionspapier klar bekannt. Der 25. Jahrestag der historischen Berliner Rede von Ronald Reagan, in welcher er sich unmissverständlich für die Überwindung der deutschen und europäischen Teilung aussprach, wird von uns ebenfalls durch einen entsprechenden Antrag gewürdigt werden. Die Bundesregierung zu einem – ich zitiere – „kraftvollen Impuls für eine dringend notwendige Stärkung der transatlantischen Partnerschaft“ aufzufordern, ist so notwendig, wie die berühmten Eulen nach Athen zu tragen. Wir sind uns der Bedeutung sämtlicher Facetten der transatlantischen Beziehungen bewusst und handeln entsprechend. Wenn Sie unsere Auffassungen teilen, freue ich mich schon heute auf Ihre entsprechende -Unterstützung. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Die transatlantische Partnerschaft ist eine tragende Säule der deutschen Außenpolitik. Es gibt wohl keine Beziehung in der internationalen Politik, die so umfassend angelegt ist und über einen derart gewachsenen Grundbestand an gemeinsamen Werten und Interessen verfügt. Enge transatlantische Zusammenarbeit ist die beste Gewähr dafür, dass Freiheit und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, für die sowohl die USA als auch Deutschland und die Europäische Union stehen, auch künftig über den Westen hinaus Anziehungskraft besitzen. Sie ist für die Bewältigung der drängendsten globalen Aufgaben wie der Bekämpfung des Terrorismus, der Nichtweiterverbreitung von -Massenvernichtungswaffen oder des Klimaschutzes eine zwar nicht immer hinreichende, aber in jedem Fall notwendige Voraussetzung. Deutsche Außenpolitik ist in ihrer Orientierung zugleich transatlantisch und europäisch. Dieser doppelte Handlungsrahmen ist kein Widerspruch. Vielmehr verfügt die transatlantische Partnerschaft über umso mehr Gewicht, je geeinter die Mitgliedstaaten der EU nach außen auftreten. Auf diesen Zusammenhang weist die SPD-Fraktion in ihrem Antrag zu Recht hin. Doch offenbar handelt es sich dabei nur um wohlfeile Worte. Denn während die SPD die EU-Mitgliedstaaten zu gemeinsamem Handeln in den EU-Außenbeziehungen auffordert, spricht ihr Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag eine ganz andere Sprache. Erst vor wenigen -Wochen hat die SPD den einstimmig gefassten Beschluss der EU zur Ausweitung des Einsatzgebiets im Rahmen der Mission Atalanta vor der Küste Somalias abgelehnt. Damit torpediert sie den einheitlichen europäischen Ansatz bei der Pirateriebekämpfung – derzeit eine der drängendsten außenpolitischen Herausforderungen für die EU. Es lag allein an den Koalitionsfraktionen, dass Deutschland den europäischen Konsens in dieser Frage nicht aufgekündigt hat. Die transatlantische Partnerschaft geht zurück auf die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und die massive Unterstützung, die Deutschland beim Wiederaufbau und der Reintegration in die Staatengemeinschaft vonseiten der USA erhalten hat. Im 21. Jahrhundert werden die globalen Rahmenbedingungen, denen sich die transatlantischen Partner gegenübersehen, fundamental andere sein: Das Welthandelsvolumen wird sich bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln, die Weltbevölkerung wird bis zum Jahr 2050 auf 8 bis 9 Milliarden Menschen ansteigen, der Energiebedarf wird bis 2030 um mehr als 50 Prozent zunehmen und die globale Durchschnittstemperatur wird sich spürbar erhöhen. Angesichts dieser Entwicklungen darf der Fokus des transatlantischen Dialogs nicht wie in der Vergangenheit nahezu ausschließlich auf die Sicherheitspolitik ausgerichtet sein, sondern muss insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen einschließen. Dies ist die richtige Antwort auf die Globalisierung, die nicht nur eine geografische Komponente mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Asien und Afrika hat, sondern auch eine materielle Komponente aufweist, wie das Beispiel der New Economy zeigt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat auf diese notwendige Neujustierung bereits vor einigen Jahren hingewirkt. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat das Projekt einer transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahre 2007 auf die Tagesordnung der EU gesetzt. Dieses Vorhaben gilt es nun mit neuem Elan voranzutreiben, solange die weltpolitischen Vorzeichen günstig dafür stehen. Die EU und die USA sind weiterhin die produktivsten und am engsten miteinander verbundenen Wirtschaftsregionen, deren Konsumenten 40 Prozent der globalen Kaufkraft ausmachen. Das Fenster für die Intensivierung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen wird nicht für immer so weit offen stehen. Die Vereinigten Staaten werden nach Prognosen nur noch bis etwa 2050 die stärkste Volkswirtschaft der Welt sein. Damit ist absehbar, dass Innovationen und Investitionen künftig in immer stärkerem Maße in Regionen außerhalb Europas und der USA stattfinden werden. Infolgedessen werden diese Wirtschaftsräume zunehmend in der Lage sein, weltweit gültige Normen und Standards zu setzen. Die Tatsache, dass dort die über den Atlantik hinweg geteilten Werte wie Freiheit, Demokratie und marktwirtschaftliche Ordnung oft nicht geteilt werden, verdeutlicht die Dimension der Herausforderung, vor der wir stehen. Die Antwort darauf kann nur sein, die transatlantischen Beziehungen zu stärken und sich diesem Wett--bewerb gemeinsam zu stellen. Weder für die USA noch für Deutschland gibt es dafür einen besseren und näherliegenden Partner. Die USA sind der größte Handelspartner Deutschlands außerhalb der Europäischen Union, Deutschland wiederum ist der wichtigste Handelspartner der USA innerhalb der Europäischen Union. Der -bilaterale Warenhandel hatte Ende des Jahres 2011 ein Volumen von rund 150 Milliarden Dollar. An den Investitionen im jeweils anderen Land hängen Hunderttausende Arbeitsplätze. Das zeigt: Arbeitsplätze und Wohlstand sind über den Atlantik hinweg engstens miteinander verbunden. Das im Ausbau der transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft schlummernde Potenzial gilt es gerade mit Blick auf die genannten globalen Herausforderungen zu realisieren. Das erfordert insbesondere den Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen sowie die Formulierung und Anerkennung gemeinsamer -Normen und Standards. In der EU wissen wir seit der Schaffung des Binnenmarkts aus eigener Erfahrung, welche Wachstumspotenziale durch offene Märkte freigesetzt werden können. Gerade im Gefolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise können wir es uns nicht länger leisten, diese Potenziale brachliegen zu lassen. CDU und CSU werden auch weiterhin Impulsgeber für die Anpassung der transatlantischen Partnerschaft an die neuen weltpolitischen Realitäten sein. Wir werden mit Nachdruck darauf drängen, die in den transatlantischen Beziehungen liegende dynamische und kreative Kraft für unsere gemeinsamen Werte und Interessen zur Geltung zu bringen. Hans-Ulrich Klose (SPD): Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des jüngsten NATO-Gipfels in Chicago lohnt es sich – mehr noch: ist es dringlich –, über die transatlantische Zusammen-arbeit nachzudenken und zu diskutieren. Diese Zusammenarbeit hat sich in der Zeit des Kalten Krieges militärisch in der NATO und durch sie konkretisiert. Nach der Zeitenwende von 1989/90 hat sich die Zusammenarbeit in der NATO aber verändert, ist die wirtschaftliche -Dimension der transatlantischen Beziehungen stärker ausgeprägt. Das wird auf absehbare Zeit so bleiben, könnte sogar durch die Einrichtung einer transatlantischen Freihandelszone noch verstärkt werden. Der vorliegende SPD-Antrag unterstreicht das zu Recht. Hingewiesen wird in dem Antrag aber auf die Notwendigkeit, die politische Zusammenarbeit nicht nur fortzusetzen, sondern in besonderer Weise zu pflegen. Für die Einzelheiten verweise ich auf den Antrag und beschränke mich für heute auf folgende Bemerkungen: Erstens. Die Welt verändert sich. Die Europäer müssen diese Veränderungen zur Kenntnis nehmen. Im Klartext: Wir erleben heute eine nicht mehr aufzuhaltende Verschiebung von Macht und Wohlstand in Richtung Pazifik. Amerika reagiert auf diese neue Lage; Präsident Obama nennt sich inzwischen selbst einen pazifischen Präsidenten. Europa dagegen hat auf diese Veränderungen bisher allenfalls ökonomisch, nicht aber politisch reagiert und droht eben deshalb an Einfluss und Relevanz zu verlieren. Einzelne EU-Mitgliedsländer mögen sich gegen diesen Trend stemmen. Beeinflussen können sie die neue Lage nur, wenn sie gemeinsam handeln. Von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sind wir aber noch immer weit entfernt. Zweitens. Amerika wird sich nicht von Europa abwenden. Es wird aber nicht mehr als gütiger Hegemon bereit sein, europäische Probleme zu lösen und Krisen in der EU-Peripherie zu entschärfen. Dies wird in Zukunft allein Sache der Europäer sein. Amerika bleibt der wichtigste Verbündete Europas, erwartet aber von den Europäern im Rahmen eines globalen Burden Sharing reale Taten statt guter Worte. Drittens. Gerade weil die transatlantische Zusammenarbeit sich verändert, müssen die zivilgesellschaftlichen Beiträge zur Pflege der transatlantischen Beziehungen der neuen Lage angepasst, will sagen: verstärkt werden. Für die Einzelheiten verweise ich nochmals auf den Antrag der SPD-Fraktion, und ich freue mich auf die Diskussion, die wir dazu im Auswärtigen Ausschuss führen werden. Als Vorsitzender der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag werde ich mich an dieser Diskussion mit Herzblut beteiligen. Harald Leibrecht (FDP): Die transatlantische Partnerschaft ist neben der europäischen Integration der zweite Pfeiler der deutschen Außenpolitik. Das gilt seit Gründung der Bundesrepu-blik, und daran wird sich auch künftig nichts ändern. Grundlage dafür sind gemeinsame Wertvorstellungen, historische Erfahrungen und eine traditionell enge wirtschaftliche und gesellschaftliche Verflechtung. Laut einer Mitte April 2012 veröffentlichten repräsentativen Umfrage des German Information Center USA sieht die Mehrheit der Amerikaner Deutschland und die Deutschen so positiv wie nie seit 2002. Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit. Die „Transatlantic Trends 2011“ des German Marshall Fund vom September des letzten Jahres ergaben, dass 72 Prozent der Deutschen die USA positiv sehen. Die Zeiten, damit auch die Themen auf der transatlantischen Agenda, haben sich während der letzten 60 Jahre verändert, und viele Herausforderungen sind hinzugekommen – um nur einige zu nennen –: die Verschuldungskrise, regionale Konflikte, Energiesicherheit, Cybersecurity, Bedrohung durch den Terrorismus, die Verteidigung unserer offenen Gesellschaften. Gemeinsam ist all diesen Themen, dass sie weder auf Deutschland noch auf Europa oder den transatlantischen Raum beschränkt sind. Sie sind global oder haben zumindest globale Bedeutung oder Auswirkungen. Kein Staat kann diese Herausforderungen alleine meistern. Nicht nur Deutschland, nicht nur Europa, sondern auch die USA benötigen Partner, um Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit zu finden und ihre legitimen Interessen gegenüber Dritten durchzusetzen. Darum haben die transatlantischen Beziehungen auch heute einen entscheidenden Stellenwert für die deutsche, aber auch für die amerikanische Außenpolitik. Liest man den Antrag der SPD, bekommt man allerdings den Eindruck, dass alleine auf unserer Seite des Atlantiks Interesse an einer transatlantischen Freundschaft besteht. Dabei sollten wir uns nicht unnötig kleinreden: Wir brauchen die Amerikaner, aber die Amerikaner brauchen auch uns. Wer heutzutage in Europa noch ein „Wiederaufbauprojekt“ sieht, wie die SPD es tut, denkt rückwärtsgewandt und hat die europäische Realität nicht verstanden. Es ist richtig, dass Europas wohl größte Errungenschaft der Frieden zwischen unseren Ländern ist. Doch Europa ist viel mehr als ein Friedensprojekt: Europa ist auch der größte Binnenmarkt der Welt, der Wohlstand und Arbeitsplätze schafft und grundlegende Normen für Innovation, Sicherheit und soziale Sicherungssysteme setzt. Das haben unsere transatlantischen Partner schon lange erkannt. Die nationale Sicherheitsstrategie der USA vom Mai 2010 bezeichnet die transatlantischen Beziehungen, vor allem auch die Beziehungen zu Deutschland, als Grundpfeiler der US-Außen- und -Sicherheitspolitik und „Katalysator“ der internationalen Beziehungen. Daran ändert auch das verstärkte US-Engagement im pazifischen Raum nichts, wie wiederholt von Vertretern der US--Administration betont wurde. Die USA nehmen Deutschland vorrangig als „Partner in Verantwortung“ bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen wahr. Sie messen uns an unserem konstruktiven Beitrag bei der Lösung von weltweiten Konflikten. Die feierliche Verleihung der „Presidential Medal of Freedom“ an Bundeskanzlerin Merkel im Juni 2011 hat die Wertschätzung der US--Administration für die deutsche Rolle nachdrücklich unterstrichen. Das transatlantische Verhältnis hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Das Ende des Kalten Krieges, die Globalisierung, der Aufstieg neuer Gestaltungsmächte, aber auch die gesellschaftliche und demografische Entwicklung auf beiden Seiten des Atlantiks führen dazu, dass die transatlantischen Beziehungen, um es mit den Worten des ehemaligen Verteidigungsministers -Robert Gates ausdrücken, „no longer in the genes of people“ sind. Die SPD behauptet in ihrem Antrag, dass die Europäer auf diese Veränderungen nur unzureichend vorbereitet sind. Als Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit kann ich Ihnen versichern, dass das zumindest für Deutschland nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Für die Bundesregierung hat der zukunftsgerichtete Ausbau der transatlantischen Partnerschaft nach dem Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 oberste Priorität. Das gilt nicht nur für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, sondern gerade auch für die Kooperation im wirtschaftlichen Bereich. Der transatlantische Wirtschaftsraum ist nicht nur durch die Handelsstränge, sondern vor allem durch -gegenseitige Investitionen auf das Engste miteinander vernetzt. Der nächste logische Schritt wäre jetzt eine transatlantische Freihandelszone. Auch hier die Nachricht in Richtung SPD: Die Bundesregierung strebt -einen wirklichen „transatlantischen Marktplatz“ an. Dafür setzen wir uns innerhalb der EU und im Dialog mit unseren transatlantischen Partnern ein. Wir sind zu einem umfassenden Abkommen bereit, das sowohl die Bereiche Zölle, technische Handelshemmnisse sowie -sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen als auch die -Bereiche Dienstleistungen, geistiges Eigentum und -öffentliche Beschaffungen einschließt. Auch jetzt schon können wir durch unsere enge -wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht nur unsere eigenen Beziehungen stärken, sondern gerade im asiatisch-pazifischen Raum gemeinsam viel mehr Einfluss ausüben als alleine oder gar in Konkurrenz zueinander. Mit dem Transatlantischen Wirtschaftsrat – Transatlantic Economic Council, kurz TEC – haben wir hier auf deutsche Initiative schon 2007 ein gutes Instrument geschaffen, dessen Potenzial wir nutzen und weiter ausbauen werden. Ziel ist es, durch frühzeitige Setzung von Normen und Industriestandards bei Zukunftstechnologien wie Elektromobilität unter anderem die Positionen von europäischen und amerikanischen Unternehmen im globalen Wettbewerb zu stärken bzw. diese Standards auch gegenüber Dritten durchsetzen zu können. Bei aller Bedeutung von Sicherheit und Wirtschaft sind es aber die Menschen, die das Fundament der transatlantischen Beziehungen formen. Deswegen sind zivilgesellschaftlicher Dialog, Kultur und Bildung für mich ganz besonders wichtige Elemente. Die Bundes--regierung fördert in vielfältigen Programmen den -Austausch zwischen Schülern, Studenten und Wissenschaftlern von beiden Seiten des Atlantiks. Die Begegnungen und der Aufenthalt im Gastland hinterlassen bleibende positive Eindrücke und verwandeln die jungen Menschen in Multiplikatoren. Als stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ weiß ich auch um den wichtigen Beitrag zu einem positiven Deutschlandbild, den Institutionen wie das Goethe-Institut oder die deutschen Schulen vor Ort leisten. Eins ist klar: Die transatlantischen Beziehungen sind kein Selbstläufer und stehen vor neuen Herausforderungen. Aber sie sind auch schon viel zu oft zu Grabe getragen worden. Sie benötigen keine „Neubelebung“, wie die SPD sie fordert, denn sie sind heute schon voller -Lebendigkeit und Vielfalt. Dass dies so bleibt, dafür wird sich die Bundesregierung auch weiterhin mit Herz und Verstand einsetzen, ohne dass ihr die SPD dabei zur Hand gehen muss. Stefan Liebich (DIE LINKE): Der Grundstein für das stabile Fundament transatlantischer Beziehungen der jüngeren Geschichte wurde 1945 gelegt. Gemeinsam mit den Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee und der anderen Alliierten befreiten die USA Deutschland von der Nazidiktatur. Die vormaligen US-amerikanischen und kanadischen Feinde wurden zu engen Partnern Europas und der Bundesrepublik Deutschland. Mit ihrer Hilfe wurde Westdeutschland zu einem demokratischen und wirtschaftlich erfolgreichen Land. Nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, der auch durch den aktiven Einsatz des damaligen Präsidenten George Bush bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen ermöglicht wurde, veränderten sich die Beziehungen. Der Kalte Krieg war vorbei. Die transatlantischen Beziehungen von heute basieren auf anderen Grundlagen. Bedauerlicherweise verfallen Sie im ersten Absatz Ihres Antrags zurück in die Rhetorik der 80er-Jahre. Mehr als 20 Jahre nach der Beendigung der Teilung Europas halten wir das wirklich für unnötig. Die Welt hat sich, nicht nur durch die Beendigung des Kalten Krieges, massiv verändert, und sie verändert sich auch weiterhin rasant. Mächteverhältnisse, Kriege, neue Bedrohungen, die soziale Lage der Menschen sind anders geworden. Gerade das Mächteverhältnis hat sich gewandelt. Zu den vormaligen Supermächten USA und UdSSR, heute Russland, haben sich andere gesellt. Das geeinte Europa ist deutlich stärker als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aber auch als am Ende der 80er-Jahre. Dazu kommen die neuen großen Global Player Brasilien, China, Indien, um nur die drei Größten zu nennen. Auch Afrika entwickelt sich – ungeachtet aller Konflikte – mit seinem Rohstoffreichtum, seinen vielen jungen Leuten, seinen Potenzialen zu einem wichtigen Mitspieler. Bei der Behandlung von weltpolitischen Fragen können diese Länder und der afrikanische Kontinent nicht mehr vernachlässigt werden. Auch deshalb ändern sich traditionelle Partnerschaften. Aber trotzdem verbindet Europa und Amerika viel mehr als die gemeinsame Geschichte. Daher sollten wir an unserer strategischen Partnerschaft weiter arbeiten. Gerade die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sind relevant. Die USA und Europa sind weiterhin füreinander die wichtigsten Investitionspartner. Und die Wirtschafts- und Finanzkrise sollte uns ermutigen, gemeinsam eine transatlantische Strategie zur Förderung des Wirtschaftswachstums zu entwickeln. Hier teilen wir Ihren Antrag auch. Fortschrittliche Regelungen hinsichtlich sozialer und ökologischer Standards zu treffen, dabei kann Deutschland sicherlich eine positive Wirkung auf beispielsweise die USA haben. Ebenso fordern auch wir eine Regulierung der Finanzmärkte und deren Transparenz. Auch bei den kulturellen Aspekten teilen wir Ihre Einschätzung, beispielsweise in dem Punkt, dass Sie die schon bestehende Zusammenarbeit auf Regierungs- und Parlamentsebene ergänzen wollen. Denn für uns gilt: Beziehungen kann man auf unterschiedliche Weise stärken. Ein Austausch zwischen den Menschen ist ebenso wichtig wie regelmäßige Treffen von Vertretern der Institutionen. Wir teilen auch Ihre Einschätzung, dass sich gesellschaftliche Organisationen wie Stiftungen hier bewährt haben und gute Dienste leisten. Ich freue mich daher sehr, dass auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung in diesem Jahr ihr Büro in New York City eröffnen wird. Auch die Forderung nach Sonderprogrammen zum transatlantischen Jugendaustausch finden wir richtig. Ihre Bedenken, dass es an einer verlässlichen außenpolitischen Zusammenarbeit mangelt, weil es an der Bereitschaft der Nationalstaaten mangelt, Verantwortung und Souveränität an die europäische Ebene abzugeben, sind auch unsere. Linke Politik ist immer internationalistisch – daher stehen wir für eine Stärkung der EU. Was wir aber nicht teilen, ist, dass die Stärkung der transatlantischen Beziehungen vor allem im Rahmen der NATO stattfinden sollte. Die NATO als Organisation hat sich überlebt. 1949 mag die Begründung der NATO für den Westen im Rahmen der Blockkonfrontation notwendig gewesen sein. Aber – das haben wir nun schon erläutert – der Kalte Krieg ist vorbei, und damit ist ein Militärbündnis, das sich auf ebendiese nicht mehr vorherrschenden Weltverhältnisse bezieht, überflüssig geworden. Mit dem Ende des Warschauer Vertrags wäre ein gemeinsamer Neustart sinnvoller gewesen. Sie selbst erkennen diese Veränderungen an, bauen dann aber auf Strukturen, die veraltet sind. Das finden wir falsch. Im Zuge der Neustrukturierung der Partnerschaften fänden wir eine Ersetzung der NATO durch ein alternatives internationales Sicherheitsbündnis, das Russland einbezieht, zeitgemäßer. Wir freuen uns gleichwohl auf die Beratung Ihres Antrags und danken Ihnen für die Initiative. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das transatlantische Bündnis ist für die deutsche und europäische Politik die mit Abstand wichtigste internationale Bezugsgröße. Sie hat tiefe historische Wurzeln und bleibt auch für die Zukunft unverzichtbar. Die Verfassung der Vereinigten Staaten gründet auf Ideen, die aus dem europäischen Denken entstanden sind. Die USA haben sich in der Historie gegen die europäischen Realitäten definiert, die oft von Unterdrückung und Unrecht gekennzeichnet waren. Aber sie wussten den europäischen Geist und viele Europäerinnen und Europäer in ihren Bemühungen um einen freien, toleranten und demokratischen Staat auf ihrer Seite. Ein Europäer, Alexis de Tocqueville, hat diesem Streben mit seinem Buch „De la démocratie en Amérique“ das vielleicht schönste Denkmal gesetzt. Diese Solidarität war nicht nur eine des Worts, sondern auch eine der Tat. Amerika bot zuerst Millionen europäischer Auswanderer eine neue Heimat und später Zehntausenden Verfolgten des Naziregimes und anderer europäischer Diktaturen und rettete ihre Leben. Seitdem Europa, nicht zuletzt durch die Hilfe der USA, aus dem deutschen Albtraum des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust aufgewacht ist, stehen die europäischen Demokratien und die USA in der Welt gemeinsam für Freiheit und Menschenrechte. Das gilt trotz aller Widersprüche, die die reale Politik beider Seiten immer wieder ausgezeichnet haben: Demokratien müssen zusammenhalten! Diese Feststellung allein ist aber kein Garant dafür, dass das transatlantische Bündnis in Zeiten einer multipolaren Weltordnung noch sein ganzes Potenzial entfalten kann. Beide Seiten müssen sich immer wieder darauf besinnen, wie sie dazu beitragen können. Die Europäer haben dabei die größeren Hausaufgaben zu erledigen. Wir müssen uns nur daran erinnern, dass vor kaum 20 Jahren auf unserem eigenen Kontinent, auf dem Balkan, ein blutiges Jahrzehnt ethnischer Konflikte und Massaker begann, das wir ohne das Eingreifen der USA kaum hätten beenden können. Auch die Amerikaner brauchen uns. Für viele Menschen, die heute überall auf der Welt nach Demokratie streben, sind wir Europäer ein glaubwürdiger Gesprächspartner. Wir müssen daher gemeinsam mit den USA an einer Außenpolitik arbeiten, in der die trans--atlantischen Partner als glaubwürdige Vertreter ihrer hehren Werte in der Welt auftreten können. Eine Voraussetzung dafür sind funktionsfähige europäische Institutionen und ein Bewusstsein für gemeinsame strategische Ziele in der Europäischen Union. Wir sind für den Erhalt und die Förderung von Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent selbst zuständig. Heute sollten wir unseren Nachbarn zur Hilfe kommen – wir, die wir dieselbe Hilfe von den USA bekommen haben. Ein zentraler Baustein dafür ist die Überwindung der nicht mehr haltbaren Aufgabenteilung in sogenannte Soft- und Hardpower. Ein selbstbewusstes Europa, das so erwächst, ist für die USA ein unverzichtbarer Partner und kann auch einer Polarisierung in einer neuen G 2 – USA und China – entgegenwirken, wie es das Gutachten der Friedensforschungsinstitute diese Woche skizziert hat. Wir begrüßen daher den Antrag der SPD-Fraktion grundsätzlich. Wir unterstützen das Ansinnen des -Burden Sharing und auch die Betonung des kulturellen, politischen und akademischen Austauschs. Aus dem Ansatz des Burden Sharing sollte aber gerade bei den teuren Aufgaben der Sicherheits- und -Verteidigungspolitik in Zeiten der dringend nötigen Haushaltsdisziplin eine gesteigerte Effizienz bei den Ausgaben folgen. Ein gemeinsames Raketenabwehrsystem passt nicht in diesen Rahmen. Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen kann nicht gegen, sondern nur mit Russland gestaltet werden. Aus der gemeinsamen Geschichte der USA und Europas als der ältesten Industrieländer der Erde folgt auch eine gesteigerte Verantwortung für die Folgen dieser wirtschaftlichen Vorreiterrolle. Gemeinsam müssen wir Vorreiter einer wirksamen Umwelt- und Klimapolitik sein. Das geht nur, indem wir gemeinsam die Initiative ergreifen und mit gutem Beispiel vorangehen. Dass dies auch für unsere vielerorts lahmende Wirtschaft ein Segen sein kann, bedarf keines Beweises mehr. Damit könnten wir gemeinsam gleich zwei grundlegende Pro-bleme in unseren Ländern wirksam angehen. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9728 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten – Drucksache 17/9580 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor. Dieter Stier (CDU/CSU): Kernforderung des vorliegenden Antrags der Fraktion Die Linke ist die Einrichtung eines Notfonds in Höhe von 10 Millionen Euro für die Tierhalter, deren Tierbestände von Tiererkrankungen betroffen sind und die nicht unter das Entschädigungsregime der Tierseuchenkassen der Länder fallen. Dazu gehören alle diejenigen Krankheiten, die noch nicht identifiziert sind und somit amtlich nicht als Tierseuchen anerkannt sind. Erst wenn eine Krankheit international als Tierseuche anerkannt ist, haben die Tierhalter in der Regel Ansprüche auf Entschädigungen gegen die Tierseuchenkasse. Diese 10 Millionen Euro sollen auf Wunsch der Linksfraktion bereits in den nächsten Bundeshaushalt 2013 eingestellt werden, und dieser Haushaltstitel soll in den Folgehaushalten bedarfsgerecht angepasst werden. Einem solchen Notfonds stehe ich gemeinsam mit meinen Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr kritisch gegenüber. Diese staatlich finanzierte Fondslösung kommt einer Sozialisierung von wirtschaftlichen Verlusten einzelner Tierhalter gleich. Natürlich ist es bedauerlich, wenn ein Betrieb Verluste erleidet, aber dieses unternehmerische Risiko tragen letztlich alle produzierenden Betriebe in Deutschland – nicht nur die Tierhalter. Es steht letztlich auch jedem Betrieb frei, sich gegen eventuell auftretende Schäden zu versichern. Somit haben bereits die Tierhalter in vielen Fällen die Möglichkeit, sich individuell gegen Tierverluste durch Krankheit oder Seuchen privatrechtlich zu versichern. Es ist nach unserer Meinung nicht einzusehen, warum die Allgemeinheit das unternehmerische Risiko dieser einzelnen Betriebssparte abdecken soll. Zudem stellt sich die Frage, ob der Notfonds vor der WTO – World Trade Organization – überhaupt rechtlich durchsetzbar wäre, denn grundsätzlich sind für die Entschädigungen von Tierseuchen die Länder zuständig. Ein entsprechender Fonds müsste deshalb bei den Tierseuchenkassen der Länder angesiedelt sein, nicht beim Bund. Natürlich gibt es immer Härtefälle, wie im Falle des Anfang dieses Jahres aufgetretenen Schmallenberg--Virus oder beim chronischen Botulismus. Bereits jetzt ist erkennbar, dass trotz der EU-weit koordinierten -Forschungsaktivitäten der Forschungsverbünde zum Schmallenberg-Virus in nächster Zeit noch kein fertig entwickelter, validierter und zugelassener Impfstoff verfügbar sein wird. Es ist erst jetzt gelungen, den Erreger sichtbar zu machen. An der Entwicklung des Impfstoffs arbeiten zusätzlich zu den Forschungsinstituten auch einige Pharmaunternehmen mit Hochdruck. Zwar ist der Ausbruch der Krankheit für die Betroffenen bedauerlich, dennoch sollte im Hinblick auf den von den Linken vorgeschlagenen Notfonds die Relation gewahrt bleiben. Wenn man bedenkt, dass die Rinderbestände in Deutschland in einer Größenordnung von 12,5 Millionen Tieren liegen und die Schafbestände bei 1,65 Millionen, so ist ein Verlust in Höhe von aktuell 1 474 Tieren durch das Auftreten des Schmallenberg--Virus sehr minimal und rechtfertigt nicht die Errichtung eines Notfonds in Millionenhöhe. Wir Agrarpolitiker der Union präferieren vielmehr eine individuelle Risikovorsorge der tierhaltenden Betriebe in Form einer steuerlich begünstigten Risikoausgleichsrücklage. Dies wäre ein steuerlicher Anreiz für die Tierhalter, eine betriebliche Rücklage für den Fall der Fälle zu bilden. Wir kennen es doch zur Genüge: Die Politiker der Linken rufen bei jeder Gelegenheit den Staat um Hilfe an und fordern großzügige staatliche Unterstützung. Der Bund wird es schon richten. – Wer soll es denn bezahlen? Diese Grundhaltung der Linken, wenn es ums Verteilen von Steuergeldern geht, lehne ich ab. Vielmehr setze ich auf die Eigenverantwortung der Tierhalter und auf eine vernünftige Risikokalkulation der Inhaber bei der Betriebsführung. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Der Antrag der Fraktion Die Linke greift ein wichtiges Anliegen unserer tierhaltenden Betriebe auf. Seit einigen Jahren beobachten wir die Ausbreitung von bisher in Europa unbekannten Tierseuchen. Diese haben zum Teil verheerende Folgen und bedrohen die Existenz der betroffenen Betriebe. Der Schmallenberg-Virus und die Blauzungenkrankheit stehen nach meiner Einschätzung beispielhaft für weitere Erkrankungen, mit denen wir uns in Zukunft auseinandersetzen müssen. Vor allem der globale Handel ist heute das Einfallstor für bisher noch unerkannte Tierseuchen. Der fortschreitende Klimawandel stellt ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. In den gemäßigten Zonen schafft er die Voraussetzung für die Verbreitung bisher unbekannter Insekten und Viren. Das Gefährdungspotenzial für die tierhaltenden Betriebe vergrößert sich dadurch erheblich. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Neben den Entschädigungszahlungen für die betroffenen Betriebe rückt auch der nicht unerhebliche Forschungsaufwand in den Fokus. Die Entwicklung und Umsetzung geeigneter Gegenmaßnahmen kann nur dann erfolgreich sein, wenn Überträger und Vektoren zweifelsfrei und schnell identifiziert werden. Hier müssen wir entsprechende Forschungskapazitäten in den dafür zuständigen Institutionen finanziell absichern. Nach meiner Auffassung hat sich das bisherige System unserer Tierseuchenkassen hervorragend bewährt. Jeder Tierhalter kann die nicht über Tierseuchenkassen abgesicherten Risiken individuell über Versicherungen abdecken. Aus heutiger Sicht ist dieses System aber nur bedingt für die zukünftige Herausforderung gewappnet. Wir müssen nun schauen, wie wir dieses System zukunftstauglich gestalten. Am Beispiel des Schmallenberg-Virus zeigt sich das gegenwärtige Dilemma der Betriebe: Diese Viruserkrankung ist nach der Tierseuchenkasse eine nicht anerkannte Tierseuche, da sie durch Vektoren und nicht von Tier zu Tier übertragen wird. Zwar hat der Bundesrat am 30. März 2012 einer Änderung der Verordnung über die meldepflichtigen Tierkrankheiten zugestimmt und die Meldepflicht für das Schmallenberg-Virus eingeführt; eine Rechtsgrundlage für Entschädigungen der betroffenen Tierhalter gibt es aber nicht. Das ist für die Tierhalter mehr als unbefriedigend. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir angesichts dieser neuen Herausforderung die Tierseuchenkasse und die Beihilfegewährung reformieren. Das bewährte Risikovorsorgesystem, das wir über Jahrzehnte aufgebaut haben, muss flexibler ausgestaltet werden. Wir sollten auch darüber diskutieren, wie wir das Verfahren zur Anerkennung von Tierseuchen verbessern können. Gleichzeitig müssen wir Regelungen finden, die kleine Betriebe entlasten, ohne große Betriebe zu benachteiligen. Wir sollten darauf achten, dass wir die finanzielle Leistungsfähigkeit der Tierseuchenkassen nicht überstrapazieren. Bei Seuchenzügen, die viele Tausend Betriebe betreffen, kommen schnell immense Schadenssummen zusammen. Diese kann das System der Tierseuchenkassen dann nicht mehr alleine aus eigenen Reserven tragen. Hier kommen die Kofinanzierungsoptionen der EU zum Tragen. Ich bin froh, dass EU-Agrarkommissar -Dacian Ciolos in seinem Vorschlag für eine neue -ELER-VO ab 2014 mehrere Optionen ausgearbeitet hat, anhand derer die EU-Mitgliedstaaten das betriebseigene Risikomanagement sowie Maßnahmen zur Krisenbewältigung im Seuchenfall mit Mitteln der EU kofinanzieren können. Diese Optionen prüfen wir gegenwärtig in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament. Wir werden EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos und dem Agrarausschuss des EP zeitnah eine entsprechende Stellungnahme zukommen lassen. Wenn wir es schaffen, das erprobte System der Tierseuchenkasse zu reformieren und dessen Handlungsrahmen für die neue Herausforderung auszuweiten, brauchen wir kein zusätzliches Instrument in Form eines Notfonds. Rainer Erdel (FDP): Ich freue mich über diesen Antrag, der die Chance bietet, über ein tatsächlich vorhandenes Problem zu diskutieren. Es ist richtig: Tierseuchen können Betriebe unverschuldet in existenzielle Notlagen bringen. Dies gilt besonders bei neuen Tierkrankheiten wie dem sogenannten Schmallenberg-Virus. Hier gibt es eine Absicherungslücke, da die Tierseuchenkassen nur bei anerkannten Tierseuchen entschädigen. Die Identifikation, Analyse und amtliche Anerkennung von neuen, bislang unbekannten Seuchen ist aber zeitaufwendig. Tierhalter haben also im schlimmsten Fall erhebliche Verluste und müssen lange auf Entschädigungszahlungen warten. Dies stellt für die Tierhalter ein Problem dar, und es ist grundsätzlich richtig, zu überlegen, wie man es lösen kann. Etwas überrascht hat mich allerdings doch, dass in dem Antrag der Linken die sogenannte Faktorenerkrankung bei Rindern wieder auftaucht, und dies sogar in einem völlig spekulativen Zusammenhang mit dem Clos-tridium botulinum. Dies ist schon deshalb falsch, weil diese Faktorenerkrankung eindeutig keine Tierseuche ist. Stattdessen handelt es sich um einzelbetriebliche Krankheitsfälle mit sehr diffusem Krankheitsbild. Wir haben dieses Thema im Ausschuss ausführlich behandelt. Die geladenen Sachverständigen haben sehr deutlich festgestellt, dass in auffällig vielen Fällen, in denen von dieser Krankheit berichtet wurde, mangelhafte -Management-, Haltungs- und Fütterungsbedingungen festzustellen waren. Die Tierseuchenkassen sollten auch künftig keine Tierkrankenkassen werden, und sie sind schon gar nicht dazu da, Tierverluste durch schlechtes Betriebsmanagement und Hygienedefizite auszugleichen. Für einen Zusammenhang zwischen den Verdachtsfällen auf eine multifaktorielle Erkrankung von Rindern und dem Clostridium botulinum fehlen auch weiterhin jegliche belastbaren Hinweise. Ich bitte daher doch sehr darum, keine haltlosen Spekulationen in Drucksachen des Deutschen Bundestages hinein--zuschreiben. Der Antrag der Linken möchte eine zusätzliche Institution schaffen, die mit Haushaltsmitteln in Höhe von 10 Millionen Euro bei akuten, aber noch nicht amtlich anerkannten Tierseuchen hilft. Ich weiß nicht, wie die Linke auf diese 10 Millionen Euro kommt; es ist aber auch nicht so wichtig, denn ich halte einen anderen Weg grundsätzlich für geeigneter. Ich hielte es für sinnvoll, dass die Tierseuchenkassen künftig in Fällen wie jetzt mit dem Schmallenberg-Virus Überbrückungskredite in Höhe der Entschädigung an die Tierhalter ausreichen können. Diese müssen nur dann zurückgezahlt werden, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass es sich um keine Tierseuche bzw. um Eigenverschulden der Tierhalter gehandelt hat. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass den Tierhaltern schnell geholfen werden kann und ein existenzielles -Risiko für die Tierhalter künftig abgesichert ist. Als positiver Nebeneffekt entsteht so außerdem ein wirksamer wirtschaftlicher Anreiz für die Tierhalter, Krankheitsfälle auch tatsächlich umgehend zu melden. Das Lagebild bei Tierseuchen wird so präziser und die Seuchenbekämpfung wirksamer. Gerade Tierseuchen zeigen uns übrigens, wie wichtig in Zeiten des freien Warenverkehrs in der EU und des Handels mit verschiedensten Regionen der Welt eine EU-weit koordinierte Seuchenprävention und ein Seuchenmonitoring sind. Dabei leisten die Tierseuchenkassen bereits jetzt einen entscheidenden Beitrag. Den Antrag der Linken sehen wir nicht als zustimmungsfähig an und lehnen ihn deshalb ab. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Dieses Jahr ist es das Schmallenberg-Virus. In den vergangenen Jahren sorgten die Blauzungenkrankheit oder das Blutschwitzen der Kälber für Aufregung. Erinnert sei auch an die Vogelgrippe oder an die ungeklärte Frage, ob es einen sogenannten chronischen Botulismus gibt oder nicht. Immer schneller sehen sich tierhaltende Betriebe unverschuldet und ungeschützt mit immer neuen Infektionsrisiken konfrontiert. Durch Klimawandel und globale Personen- und Handelsströme steigt das Risiko von neuen Tierseuchen und -erkrankungen, die existenzbedrohend für landwirtschaftliche Betriebe sind. In den Fällen, in denen diese bedrohliche Situation nicht selbst verschuldet oder vermeidbar ist, muss politisch gehandelt werden. Solche Betriebe müssen in diesen Notsituationen unterstützt werden, den Landwirtinnen und Landwirten muss unter die Arme gegriffen werden. Wir Linke bekennen uns zu einer nachhaltigen Tierhaltung, aus zwei Gründen: Erstens sichert die Tierhaltung die meisten landwirtschaftlichen Arbeitsplätze in den ländlichen Räumen. Zweitens erfüllen Nutztiere auch eine ökologische Funktion; sie nutzen Wiesen und Weiden und betätigen sich als ökologische Kulturlandschaftspfleger. Das ist gut so. Wir wollen, dass das so bleibt. Aber tierhaltenden Betrieben geht es oft nicht gut. Die Produktionskosten steigen, und die Erzeugerpreise sind nicht kostendeckend. Immer öfter können sich Betriebe die Tierhaltung nur noch leisten, wenn sie gleichzeitig Biogas oder Sonnenstrom produzieren. Zusätzliche Belastungen durch Tierseuchen und unbekannte Erkrankungen sind unter solchen Bedingungen kaum zu verkraften. Darum darf die Politik der existenziellen Bedrohung durch neue Tierseuchen und -erkrankungen nicht tatenlos zusehen. Die Linksfraktion schlägt daher erneut vor, einen Notfonds für solche Ausnahmesituationen einzurichten. Dieser soll ab dem Jahr 2013 mit 10 Millionen Euro jährlich ausgestattet sein. Entsprechend dem Bedarf sollte sein Budget jedes Jahr angepasst werden. Ich möchte betonen, dass es hierbei nicht um ein Rundum-sorglos-Paket für Landwirtschaftsbetriebe geht. Ein solcher Vorwurf wird schnell erhoben. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Notfonds soll dort ansetzen, wo die bisherigen Sicherungsinstrumente versagen oder noch nicht greifen. Wenn die Betriebe keine Chance haben, bisher unbekannte Infektionsrisiken in der Tierhaltung zu vermeiden, müssen neue Wege der Absicherung unkalkulierbarer Risiken gesucht werden. Aktuell ist es doch so, dass die Betriebe kein Geld bekommen, solange die Ursache einer Bestandserkrankung unbekannt oder nicht amtlich bestätigt ist. Selbst dann werden vor allem die Schäden erstattet, die unmittelbar durch staatlich angeordnete Bekämpfungsmaßnahmen entstehen. Der Notfonds kann auch die Existenzbedrohung durch Bestandserkrankungen entschärfen, die von einigen dem sogenannten chronischen Botulismus, der -wissenschaftlich immer noch höchst umstritten ist, zugeordnet werden. Ich finde, man kann einen jahrelangen wissenschaftlichen Streit nicht auf dem Rücken der Landwirtschaftsbetriebe und ihrer Beschäftigten austragen. Stellt sich nach Ursachenfeststellung und amtlicher Anerkennung heraus, dass zum Beispiel die Tierseuchenkasse zuständig ist, soll dieses Geld übrigens in den Notfonds zurückfließen. Stellt sich heraus, dass die -Ursache einer Bestandserkrankung mit den Haltungs-bedingungen oder mangelnder Hygiene im Stall zusammenhängt, müssen die Agrarbetriebe das Geld an den Notfonds zurückzahlen. Der Notfonds kann auch dann sinnvoll sein, wenn Hilfe erst verzögert möglich wird, weil leider auch staatliche Hilfen in Tierseuchensituationen als wettbewerbsverzerrend bewertet werden; nur in Ausnahmefällen werden sie von der EU oder der WTO genehmigt. Dieses Jahr war dies beim Schmallenberg-Virus der Fall, das bereits seit November 2011 zu missgebildeten Jungtieren bei Schafen, Ziegen und Rindern führt. Erst durch das Votum des Bundesrates Ende März wurde die Virusinfektion als Tierseuche anerkannt. Bis dahin waren jedoch schon Tausende Tiere gestorben bzw. erkrankt. Die Betriebe blieben zunächst mit ihrem Problem alleine. Das Budget des Notfonds ist eine sinnvolle Investition in die Zukunft der ländlichen Räume. Darum muss gelten: Finanzielle Unterstützung erhält ein Betrieb nur zur Fortführung seiner Tierhaltung. Wer die Tiere abschafft und das Personal entlässt, darf nicht mit Geld aus dem Notfonds rechnen. Unter diesen Voraussetzungen ist er eine sozial gerechtfertigte und gebotene, aber auch volkswirtschaftlich sinnvolle Lösung. Wer die Forderung der Linksfraktion für übertrieben hält, sollte sich nicht nur die Entwicklung der neuen oder zurückkehrenden Tierseuchen in den vergangenen Jahren anschauen, sondern auch einen realistischen Blick in die Zukunft wagen. Niemand kann genau vorhersagen, wie sich das Auftauchen neuer Tierseuchen in den kommenden Jahren weiter entwickeln wird. Allerdings wird seit langem in der Wissenschaft vor den steigenden Infektionsrisiken durch globale Personen- und Handelsströme gewarnt. Auch die Folgen des Klimawandels tragen zu neuen Risiken bei, insbesondere bei vektorübertragenen Infektionskrankheiten. Die Afrikanische Pferdepest – African Horse Sickness, AHS –, die Chikungunya-Infektion, die Afrikanische Schweinepest und das West-Nil-Virus, WNV, haben ähnliche Poten-ziale zur Gefährdung der europäischen Tierbestände. Darum ist nun die Zeit, zu handeln. Ich fordere die anderen Fraktionen auf, im wirtschaftlichen Interesse der tierhaltenden Betriebe und der dort Beschäftigten unseren Vorschlag sehr gewissenhaft zu prüfen und dem Antrag auf Errichtung des Notfonds zuzustimmen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Neue Seuchen wie das Schmallenberg-Virus führen uns eindringlich vor Augen, wie anfällig unsere Tierhaltungssysteme sind, wie schnell ein auftretender Erreger zu Tausenden toten Tieren oder, wie im Falle des Schmallenberg-Virus, zu extremen Missbildungen führen kann. Während noch im Januar 2012 nur 32 Betriebe vom Schmallenberg-Virus betroffen waren, waren es kaum einen Monat später schon über 700 Betriebe mit missgebildeten oder toten Lämmern und Kälbern. Bis heute sind allein in Deutschland fast 1 500 Betriebe betroffen. Die Furcht vor toten und missgebildeten Tieren hat die Betriebe durch das Frühjahr begleitet, auch meinen eigenen. Hohe Tierverluste können schnell das wirtschaftliche Aus bedeuten, umso mehr, als insbesondere Schäfer, Ziegenhalter und Milchbauern immer am finanziellen Limit wirtschaften. Wir in der Politik müssen uns fragen, wie wir mit Betrieben umgehen wollen, die so unverschuldet in finanzielle Notlagen kommen. Vieles deutet darauf hin, dass wir in Zukunft immer öfter neue Tierkrankheiten und Seuchen erleben werden. Längst ist die Globalisierung auch in der Tierhaltung angekommen. Lebende Tiere werden wie Gegenstände rund um den Globus gekarrt. Mit Lastwagen oder Schiff geht es von Australien nach Saudi-Arabien und von Deutschland bis hinter den Ural. Dadurch drohen uns nicht nur Tierseuchen. Weit gefährlicher sind Zoonosen, also die vom Tier auf den Menschen übertragbaren Erreger wie die Schweinegrippe. Trotzdem ignorieren, Sie, Frau Ministerin Aigner, dass Seuchen, wie das Schmallenberg-Virus oder die Blauzungenkrankheit, eben nicht ohne Grund in den viehdichtesten Gebieten Deutschlands auftreten, zum Beispiel in der Grenzregion zu den Niederlanden. Es ist doch längst hinreichend bekannt, dass mit der Tierdichte auch die Möglichkeiten zur Übertragung von Krankheitserregern steigen. Nehmen Sie das doch bitte endlich zur Kenntnis. Sie wissen doch auch, dass es in Niedersachsen inzwischen ebenso viele Schweine wie Menschen gibt. Im Landkreis Cloppenburg sind es sogar siebenmal so viele Schweine wie Menschen. Auf gerade einmal 157 000 Menschen kommen 1,1 Millionen Schweine. Masthühner, Legehennen, Puten und Rinder sind da noch nicht mal eingerechnet. Erkennen Sie endlich an, Frau Ministerin Aigner, dass die Menschen in diesen Regionen zu Recht um ihre Lebensqualität und Gesundheit fürchten. Diese Tierdichte – riesige Ställe mit mehreren Zehntausenden Schweinen oder einer halben Million Hühnern – bietet Seuchen optimale Ausbreitungsbedingungen. Der Klimawandel verstärkt das Ganze noch. Wissenschaftler gehen davon aus, dass durch steigende Temperaturen nicht nur die Anzahl der Mücken und Gnitzen zunimmt, sondern sich auch Viren schneller entwickeln. Nach Expertenmeinung würden Temperaturerhöhungen von 5 Grad zu einer Verdoppelung der Übertragbarkeitsraten führen. Das ist ein wichtiger Grund mehr, die Betriebskreisläufe des An- und Verkaufs von Tieren so geschlossen und regional wie möglich zu halten. Wenn es denn aber zu Erkrankungen wie dem Schmallenberg-Virus oder auch dem sogenannten chronischen Botulismus kommt, müssen wir uns fragen: Wollen wir Betriebe, die unverschuldet durch neue, bisher unbekannte Erkrankungen in Notlagen geraten, völlig alleinlassen, wie das derzeit der Fall ist? Betriebe, die vom Schmallenberg-Virus betroffen sind, erhalten bisher keinerlei Entschädigung. Der Grund: Damit Betriebe Entschädigungen aus der Tierseuchenkasse erhalten, muss die Krankheit als Tierseuche anerkannt sein und müssen Tiere auf Anordnung der Kreisveterinäre getötet worden sein. Ansonsten gehen die betroffenen Betriebe, die natürlich ebenfalls in die Tierseuchenkasse eingezahlt haben, völlig leer aus. Aus unserer Sicht ist klar: Diese Betriebe dürfen nicht im Stich gelassen werden. Für neue Krankheitsgeschehen brauchen wir neue Entschädigungsmechanismen. Der Antrag der Linken versucht, über einen nationalen Notfonds einen Ansatz zu finden. Doch aus unserer Sicht gehört die Entschädigung und Unterstützung dieser Betriebe in die Zuständigkeit der Tierseuchenkassen. Statt eines Fonds brauchen wir neue Bewertungskriterien, damit diese Krankheiten von den Tierseuchenkassen abgedeckt werden. Aus grüner Sicht muss das Ziel sein, den betroffenen Bauernfamilien unbürokratisch zu helfen. Es ist nun an Ihnen, Frau Ministerin Aigner, zu überprüfen, wie wir dies möglich machen können. Vor allem aber müssen wir versuchen, Seuchenrisiken so niedrig wie möglich zu halten. Industrielle Tierhaltungsanlagen mit Zigtausenden Tieren sind tickende Zeitbomben. Nur durch möglichst geschlossene Betriebskreisläufe können wir die Verbreitung neuer Krankheiten vermeiden. Das geht nur mit bäuerlichen Betrieben, die in der Region verankert sind. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9580 an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgeschlagen. – Sie sind alle damit einverstanden. Dann haben wir das auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 – Drucksache 17/9578 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gesine Lötzsch, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 – Drucksache 17/9579 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden. Ich verzichte auf die Verlesung der Namen der Kolleginnen und Kollegen. Die Namen liegen bei uns vor.5 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/9578 und 17/9579 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport – Drucksachen 17/7955, 17/9721 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen mir vor. Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Heute sprechen wir über den Antrag der SPD-Fraktion zur Förderung eines offenen Umgangs mit Homo-sexualität im Sport. Aufgrund der breiten gesellschaftlichen Bedeutung des Themas hat sich der Sportausschuss in einer Sitzung am 13. April 2011 mit dem Thema Homosexualität im Sport befasst. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich klar gegen jegliche Form von Diskriminierung und Homophobie im Sport und außerhalb des Sports aus. Dass einzelne Sportlerinnen und Sportler sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen und so als Vorbild für andere fungieren, wird von allen Seiten begrüßt. Insbesondere ehemalige Leistungssportler können hier ein Zeichen setzen und bis tief in die Gesellschaft hinein die Wirkung erzielen, Gleichgesinnte zu motivieren und sie in ihrem Mut, offen mit ihrer Homosexualität umzugehen, zu bestärken. Allerdings darf unter keinen Umständen seitens der Politik eingefordert werden, dass die Sportlerinnen und Sportler ihre sexuelle Orientierung zwecks ihrer Vorbildfunktion preisgeben müssen. Entgegen der Position der SPD-Fraktion betrifft die sexuelle Orientierung nämlich ausschließlich die Privatsphäre von Sportlerinnen und Sportlern. Diese gilt es in erster Linie bedingungslos zu respektieren und akzeptieren. Wir müssen den Sportlerinnen und Sportlern selbst überlassen, mit welchen privaten Dingen sie in welchem Umfang die Öffentlichkeit suchen. Natürlich haben wir auch den Eindruck gewonnen, dass im Bereich Sport das Thema Homosexualität eher als Tabu zu gelten scheint, als es in anderen gesellschaftlichen Bereichen heute der Fall ist. Jedoch kann und darf die richtige Antwort auf diese Problematik nicht sein, die sportlichen Akteure zu einem sexuellen Offenbarungseid über verschiedene öffentlichkeitswirksame Programme und Institutionen zu drängen. Wir müssen uns an dieser Stelle vordergründig mit der Fragestellung beschäftigen, wie wir den Sportlerinnen und Sportlern das Gefühl vermitteln, dass die Toleranz in der Gesellschaft für homosexuelle Sexualität viel größer ist, als es der Einzelne vermutet. Nur wenn wir uns mit solchen gesamtgesellschaftlichen Ansätzen über den Sportbereich hinaus auseinandersetzen, können wir zu maximaler gesellschaftlicher Toleranz und Akzeptanz aller sexuellen Orientierungen wirkungsvoll beitragen. Der Staat hat hier nur in begrenztem Maße Handlungsspielraum, um den gesellschaftlichen Umgang mit der Homosexualität zu steuern. Der 12. Sportbericht der Bundesregierung gibt einen umfassenden und lückenlosen Überblick über die zahlreichen Programme und Maßnahmen der Bundesregierung, um Projekte für Toleranz im Sport im Rahmen der Möglichkeiten ideell und finanziell zu fördern. Der Forderung im SPD-Antrag, die Mittel der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ADS, im Haushalt 2012 auf 5,6 Millionen Euro annähernd zu verdoppeln, steht außerhalb jeglicher Verhältnismäßigkeit und untergräbt die Einigung bezüglich des Gesamthaushaltes. Trotz der Konsolidierung des Bundeshaushalts wurde der jetzige Ansatz der ADS nur minimal verändert, um eine solide finanzielle Ausstattung und breite inhaltliche Arbeit zu gewährleisten. Der Deutsche Fußball-Bund setzt sich zusammen mit verschiedenen Sportvereinen und Organisationen bereits umfänglich für die Anliegen homosexueller Sport-lerinnen und Sportler ein. Für Programme und Initiativen im Breitensport sind aufgrund der Kompetenzverteilung grundsätzlich die Bundesländer zuständig. Nichtsdestotrotz macht sich die Bundesregierung zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund für Programme im Bereich Diversity stark und wird hier ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung über das erforderliche Maß hinaus gerecht. Eine breitangelegte Kampagne zusammen mit dem Deutschen Fußball-Bund und dem Deutschen Olympischen Sportbund gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Sport wird zurzeit als oberste Priorität – vor anderen zukünftig möglichen Initiativen – angesehen. Die einzelnen Landes- und Stadtsportbünde bilden bereits ein dezentrales Netzwerk zur Bekämpfung von Homophobie und Ausgrenzung. Die Unterstützung der Einrichtung entsprechender Beratungsstellen im Sport liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft ist entgegen der SPD-Forderung allein für die Spitzensportforschung zuständig. Der Antrag der SPD-Fraktion weist leider diverse inhaltliche sowie formale Schwächen auf. In der vorliegenden Form können wir die verfolgte Zielperspektive aus sportpolitischer Sicht nicht mittragen. Wir lehnen daher den Antrag ab. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Wir alle, die wir hier sitzen, kennen das: Man ist bei einer Veranstaltung im Wahlkreis und wird plötzlich rüde angegriffen, dass alle Politiker sich nur die Taschen vollmachen und korrupt und faul sind. Oder man erhält einen Brief oder eine E-Mail, worin mit grob ausfälligen Worten Kritik an unserer Arbeit – oder der Arbeit eines Kollegen – geübt wird, was dann auch gleich mit einem Werturteil über uns als Person verknüpft wird. Das kann wehtun. Aber in den beschriebenen Fällen handelt es sich – zumindest hoffe ich das – immer nur um Einzelfälle. In diesen Fällen werden wir angegangen, weil wir uns für eine bestimmte Tätigkeit entschieden haben. Damit kann man leben, denn wir haben es ja so gewollt. Diesen Vorteil haben aber nicht alle Menschen. Stellen Sie sich vor, wir säßen inmitten einer Arena, vor Zehntausenden Zuschauern, und würden für etwas angegangen, was wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Was wir nicht ändern können, selbst, wenn wir es wollten. Etwas, was Teil dessen ist, was uns selbst ausmacht. „Die schlimmste Armut ist Einsamkeit und das Gefühl, unbeachtet und unerwünscht zu sein“, wusste schon Mutter Teresa zu erzählen. Wir alle schätzen den Sport dafür, dass er Werte wie Teamgeist und Fair Play vermittelt. Trotzdem gilt im Sport das Wort „schwul“ in allen seinen Variationen häufig noch immer als Schimpfwort, als Bezeichnung von Schwäche und mangelnder Männlichkeit. Wenn solche Ignoranz sich großflächig auf Transparenten austobt, kann von einem offenen und toleranten Klima keine Rede sein. Dann bestehen wenig Anreize für homosexuelle Athleten, sich zu ihrer Orientierung zu bekennen. Nehmen wir einmal den Profifußball: An jedem Wochenende stehen in den beiden obersten Ligen 396 Spieler auf den Plätzen. Davon ist offiziell niemand schwul. Zum Vergleich: Von den 620 Abgeordneten des Bundestages sind zehn bekennend homosexuell. Rein statistisch kann da im Fußball etwas nicht stimmen. Es ist selbstverständlich allen Menschen frei überlassen, ob sie über ihre sexuelle Orientierung sprechen möchten. Aber die freie Entscheidung ist eben nicht frei, wenn ein Klima der Anfeindung herrscht. Wenn jemand Angst haben muss vor den Konsequenzen eines Coming-outs. Auch wenn Funktionäre wie der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, DFB, Theo Zwanziger, Sportler ermutigt hat, sich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen, gibt es kaum einen offenen Umgang mit dem Thema. Botschaften wie die des Kapitäns der deutschen Fußballnationalmannschaft, Philipp Lahm, der homosexuellen Fußballern von einem Outing abgeraten hatte, zeigen leider nach wie vor, wie homophob der Sport sich selbst wahrnimmt. Unsere Fußballer bereiten sich derzeit auf die Endrunde der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine vor. Es ist bereits viel über Menschenrechte in der Ukraine geredet worden. Es ist viel geredet worden über Julija Timoschenko und ihre Haftbedingungen, über Menschenrechtsverletzung. Worüber nicht gesprochen wurde, ist die Tatsache, dass am vergangenen Sonntag in Kiew die erste ukrainische Gay Pride stattfinden sollte. Sollte. In letzter Minute sagten die Veranstalter die Parade ab, weil die Angriffe und Anfeindungen durch rechtsextreme und religiöse Gruppen überhandgenommen hatten. Wieso haben wir darüber so gut wie nichts gehört? Es fällt mir schwer, zu glauben, dass Homosexuelle in der Ukraine eine kleinere Minderheit darstellen als blonde Ex-Ministerpräsidentinnen in Haft. Anscheinend werden die Anliegen von Menschen mit anderer sexueller Orientierung auch hier weniger deutlich wahrgenommen. In den USA sorgte vor einigen Wochen die Kampagne „It gets better“ für Aufsehen, in der Prominente sich an junge Menschen, insbesondere an homosexuelle Jugendliche, gewandt haben, um diesen zu versichern, dass Diskriminierung nicht ihr ganzes Leben bestimmen wird. Wegen ihrer Vorbildfunktion wünschen wir uns offen schwule und lesbische Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, um den Meinungswandel in der Gesellschaft zu befördern. Sie verdienen Rückendeckung aus Politik und Gesellschaft. Vor Ihnen liegt ein Antrag, mit dem wir genau diese Rückendeckung gewährleisten. Wir fordern ganz konkrete Maßnahmen für mehr Respekt und Toleranz von homosexuellen Sportlerinnen und Sportlern: Wir fordern, die Mittel für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ADS, im Haushalt 2012 und im kommenden Haushalt zu erhöhen. Zeigen Sie Flagge; die Haushaltsberatungen stehen vor der Tür. Die Fortbildung von Trainern sowie die Entwicklung von Ausbildungskonzepten zur Sensibilisierung für das Thema Homosexualität müssen mehr gefördert werden. Wir fordern ein Netz von Beratungsstellen der Sportverbände, an die sich von Diskriminierungen betroffene homosexuelle Sportler und Sportlerinnen wenden können. Die Frage, die wir uns im Zusammenhang mit diesem Antrag stellen müssen, lautet: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Akzeptieren wir, dass in Teilen unserer Gesellschaft Menschen Angst um ihre Karriere haben müssen, weil sie eine andere sexuelle Orientierung haben als die Mehrheit? In der sie sich nicht trauen, öffentlich zu sagen, wen sie lieben? Oder treten wir Intoleranz entschieden gegenüber und schaffen die Voraussetzungen dafür, dass auch im Spitzensport prominente Sportlerinnen und Sportler ohne Bedenken an die Öffentlichkeit gehen können und sich zu ihren jeweiligen Lebenspartnern bekennen können? Klar ist: Auch wenn alle Forderungen des Antrags erfüllt und umgesetzt werden, wird der erste Fußballprofi, der sich outet, die erste Athletin, die ihre Lebensgefährtin zum Wettkampf mitbringt, einen steinigen Weg vor sich haben. Es liegt heute hier an uns, ihnen diesen Weg zu ebnen. Unterstützen Sie diesen Antrag! Helfen Sie dabei, die Armut der Einsamkeit zu bekämpfen und durch den Reichtum der Vielfalt zu ersetzen! Dr. Lutz Knopek (FDP): Wir Liberalen unterstützen das Grundanliegen dieses Antrags, den offenen Umgang mit Homosexualität im Sport zu fördern, und begrüßen es sehr, dass dieses wichtige Thema kurz vor der Fußballeuropameisterschaft debattiert wird. Homophobie ist leider ein im Sport noch immer weit verbreitetes Phänomen, auch, aber nicht nur im Fußball. Der aktive Sport leistet aber gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von positiven Werten und Normen bei Jugendlichen. Da Homophobie aber nicht nur auf dem Sportplatz anzutreffen ist, sondern ein allgemeines gesellschaftliches Pro-blem darstellt, muss Toleranz in jeder Generation neu erarbeitet werden. Der Sport leistet auch hier einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Inklusion. Die vielfachen Aktivitäten der Sportverbände, der Homophobie entgegenzuwirken, begrüßen wir daher nachdrücklich. Gerade in der Heterogenität der Aktivitäten liegt eine große Stärke. Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle jedoch das große Engagement schwul-lesbischer Sportvereine und homosexueller Fanprojekte hervorheben, die zu Recht große öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Nun zu den Details des Antrags: Die SPD fordert eine generelle Erhöhung der Mittel der Antidiskriminierungsstelle. Aus Sicht der FDP ist dies nicht sachgerecht, da die ADS im vergangenen Jahr ihre bereitgestellten Mittel nicht vollständig abgerufen hat und nach unserer Ansicht auch ihren Beitrag zur allgemeinen Haushaltssanierung leisten sollte. Liberale setzen darauf, dass die gegebenen Mittel intelligenter eingesetzt werden. Dabei kann sehr wohl eine Schwerpunktsetzung auf Homophobie im Sport erfolgen. Hier ist die ADS gefordert, entsprechende Programme zu entwickeln. Den Antrag der SPD lehnen wir daher ab. Des Weiteren sehen wir den organisierten Sport, wie den DOSB, den DFB und die DFL, in der Pflicht, seine bereits erfolgreich eingeleiteten Projekte und Maßnahmen im Kampf gegen Homophobie im Sport konsequent fortzusetzen und zu verstärken. Die FDP ist der festen Überzeugung, dass die Diskriminierung Homosexueller in unserer Gesellschaft nur durch Aufklärung und -Bildung nachhaltig bekämpft werden kann. Daher ist auf unsere Initiative in diesem Jahr die Fördertätigkeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld aufgenommen -worden. Wir ermuntern Wissenschaftler und Sportvereine, Forschungsvorhaben zur Homophobie im Sport -sowie Projekte zur Bildung im Sport bei der Stiftung -einzureichen. Durch eine steigende Zahl von Projekten und Initiativen der verschiedenen im Sport Beteiligten wird es uns hoffentlich gelingen, so viele Menschen wie möglich zu erreichen und dadurch zunehmend und verstärkt der Diskriminierung Homosexueller im Sport und in der -Gesellschaft entgegenzuwirken. In einer freien und toleranten Gesellschaft darf die Diskriminierung homosexueller Mitbürger nicht hingenommen werden, denn am Ende bedroht die Diskriminierung von Minderheiten die Freiheit von uns allen. Katrin Kunert (DIE LINKE): 2004 haben lesbische Frauen in Südafrika die Fußballmannschaft „Chosen Few“ gegründet, die erste ihrer Art in Afrika. Die Spielerinnen finden durch den Sport zu neuem Selbstvertrauen. Viele von ihnen wurden wegen ihrer Homosexualität missbraucht oder von der Familie verstoßen. Der Sport gibt ihnen die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Homo-, Trans- und Intersexualität stoßen häufig auf Unverständnis und Ablehnung. In vielen Ländern ist -Homosexualität nach wie vor strafbar und in sieben Staaten unter Todesstrafe gestellt. Erst kürzlich wurden Presseberichten zufolge im Iran vier Männer wegen Homosexualität zum Tode verurteilt. Anfeindungen und Gewalt wegen sexueller Vielfalt gibt es jedoch nicht nur in Afrika oder arabischen Ländern. Auch in Deutschland ist Homophobie in der -Gesellschaft weit verbreitet. Die Bandbreite der Diskriminierungen reicht von verbalen Attacken bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Die Tatsache, dass homosexuelle Flüchtlinge in Europa und auch in Deutschland nur schwer Asyl bekommen, zeigt, dass das Problem-bewusstsein noch geschärft werden muss. Diese Thematik macht auch vor dem Sport nicht halt. Insbesondere im Fußball ist sexuelle Vielfalt ein Tabu. Es gibt derzeit keinen aktiven Fußballer in den oberen Ligen, der sich als homosexuell geoutet hat. Grund hierfür ist möglicherweise auch die tragische Geschichte des Justin Fashanu, der sich 1990 während seiner Zeit als aktiver Spieler geoutet hat. Acht Jahre später erhängte er sich in seiner Garage. Seit damals hat sich viel verändert, und der Umgang mit sexueller Vielfalt ist offener geworden. In Film, Fernsehen und sogar in der Politik sind homosexuelle Persönlichkeiten keine Besonderheit mehr. Im Sport sind diese positiven Veränderungen noch nicht angekommen. Sportler fürchten um ihr Image in der Öffentlichkeit, um Sponsoren und nicht zuletzt um die Position innerhalb der Mannschaft. Sie verheimlichen ihr Privatleben und bauen sich zum Teil eine Doppelidentität auf. Dieses Versteckspiel hat jedoch Auswirkungen auf die Gesundheit. Sie leiden unter der Situation, Depressionen können auftreten, und nicht zuletzt ist die sportliche Leistungsfähigkeit gefährdet. Die Tatsache, dass in der Nationalmannschaft der Frauen einige Spielerinnen offen zu ihrer Homo- oder Bisexualität stehen, heißt nicht, dass hier mehr Toleranz herrscht. Vielmehr ist das ein Ausdruck von ohnehin bestehenden Vorurteilen. Frauen, die Fußball spielen, sind in den Augen vieler Menschen Mannsweiber und Lesben. Außerdem geht es bei den Frauen nicht um Millionenbeträge bei Ablösesummen und Sponsorengeldern wie bei den männlichen Kollegen. Der Handlungsbedarf liegt also auf der Hand. Betroffen sind nicht nur die Sportlerinnen und Sportler, sondern auch Trainerinnen und Trainer und die Fans. Initiativen wie den Verein der „Hertha Junxx“ begrüße ich daher ausdrücklich. Nachdem dieser sich 2001 als erster schwul-lesbischer Fußballfanclub gegründet hat, gibt es heute schon etwa zwanzig solcher Fanclubs in Deutschland, Spanien und der Schweiz, die sich als „Queer Football Fanclubs“ zusammengeschlossen haben. Dieser Verein bietet auch eine Plattform für Fans im Rahmen der Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine. Die Ukraine als Austragungsort der Fußball-EM ist derzeit allgegenwärtig in den Medien. Die Zustände im Land werden kritisiert, und es wird zum Boykott der Veranstaltung aufgerufen. Ich bin gegen einen Boykott, denn damit ist niemandem geholfen. Man kann und sollte die Gelegenheit jedoch nutzen, um auf Missstände hinzuweisen und einen Dialog anzubieten. Wie sieht es aus mit der sexuellen Vielfalt und der Toleranz in der Ukraine? Im letzten Jahr wollten Abgeordnete des ukrainischen Parlaments die Propaganda von Homosexualität unter Strafe stellen. Erst vor wenigen Tagen gab es Angriffe auf Homosexuelle in Kiew und die erste Gay Parade musste abgesagt werden. Dennoch glaube ich, dass Warnungen an Homosexuelle, wie von einigen Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen aktuell ausgesprochen, nicht zielführend sind. Viel wichtiger ist es, dass die Fans füreinander einstehen und sich gemeinsam stark machen. Es kann nicht sein, dass eine Gruppe Fans aus Angst zu Hause bleiben muss. In Polen ist das Thema ebenfalls ein Tabu. Einige Studien besagen, dass etwa 94 Prozent der Polinnen und Polen Homosexualität ablehnen. Ich bin gespannt, wie die Stimmung in wenigen Wochen in diesen beiden Ländern sein wird und ob sexuelle Vielfalt beispielsweise durch entsprechende Transparente sichtbar wird und ein Dialog stattfindet. Ein weiterer sportlicher Höhepunkt dieses Jahres sind die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele in London. Ich habe mich sehr gefreut, dass es nach der Premiere bei den Winterspielen 2010 in Vancouver auch in diesem Jahr in London ein Pride House geben wird. Ich hoffe, dass viele Sportlerinnen und Sportler sowie Sportbegeisterte diese Begegnungsstätte für sexuelle Vielfalt auch besuchen werden. Wer nun jedoch denkt, das Ziel wäre erreicht, der liegt leider falsch. Für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2014 in Sotschi wurde die Organisation eines Pride House von den örtlichen Behörden verboten. Dieses Verbot wurde kürzlich durch ein Gericht bestätigt. Wir sehen, es gibt viel zu tun. Es reicht zum Beispiel nicht, dass der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, sich öffentlich für die gleichgeschlechtliche Ehe ausspricht. Es müssen umfangreiche Maßnahmen ergriffen und Aufklärungskampagnen gestartet werden, um aktiv für sexuelle Vielfalt zu werben. Der vorliegende Antrag ist ein guter Anfang. Die aufgestellten Forderungen unterstützen wir ausdrücklich. Bedauerlich ist allerdings, dass sich der Antrag nur auf Homosexualität bezieht. Trans- und intersexuelle Sportlerinnen und Sportler sind jedoch gleichermaßen Diskriminierungen ausgesetzt. Dies zeigt beispielsweise der Fall der Läuferin Caster Semenya, die aufgrund eines maskulinen Erscheinungsbilds medizinische Tests über sich ergehen lassen und ertragen musste, dass die ganze Welt über ihre Intimsphäre diskutiert. Es bestehen erhebliche moralische und rechtliche Bedenken gegen derartige Geschlechtertests und damit verbundene zwingende Hormonbehandlungen. Hier hätte man die Bundesregierung auch zu einer deutlichen Positionierung auffordern können. Dennoch stimmen wir dem Antrag wegen seines überwiegend positiven Inhalts zu, denn auch der längste Weg beginnt immer mit dem ersten Schritt. Am 17. Mai war der internationale Tag gegen Homophobie, und auch in diesem Jahr gab es viele gute Ak-tionen. Ich denke, es hat bereits einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft eingesetzt. Der Sport kann zwar nicht besser sein als die Gesellschaft, aber man muss diesen Bereich in den Wandel einbeziehen und hier ganz gezielt Toleranz schaffen und fördern. Sport steht für Fairplay, Teamfähigkeit und Integration. Gewalt und Diskriminierung haben da keinen Platz und verdienen die rote Karte. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir stimmen dem Antrag der SPD zu – auch, weil die Grünen bereits in der letzten Wahlperiode einen Antrag mit ähnliche Forderungen eingebracht haben. Dazu zählt zum Beispiel die Einrichtung eines Nationalen Aktionsplans gegen Homophobie. Die Schaffung dezentraler Anlaufstellen und eine Anhebung des Budgets für die Antidiskriminierungsstelle auf 5,6 Millionen Euro sind auch aus unserer Sicht gute und richtige Schritte, um das Outing junger Sportlerinnen und Sportler zu erleichtern und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu zählt auch, dass Übungsleiterinnen und Übungsleiter für das Thema Homosexualität sensibilisiert werden. Denn häufig scheitert es an der Kommunikation innerhalb des Vereins. Junge Menschen brauchen hier kompetente und vor allem niedrigschwellige Unterstützung. Vor einem Jahr haben wir gemeinsam in der Anhörung im Sportausschuss zum Thema „Homosexualität im Sport“ diskutiert. Im Juni letzten Jahres wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie zum Thema „Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball“ veröffentlicht. Aber immer noch ist der Umgang mit Homosexualität im Sport besonders im Fußball stark verbesserungswürdig. Das fängt bei den Vorbildern im Spitzensport an: Die Beispiele von sich outenden aktiven Sportlerinnen und Sportlern kann man an einer Hand abzählen. Zur Fußball-WM der Frauen im letzten Jahr wurde eine repräsentative Umfrage veröffentlicht mit dem Ergebnis: 86 Prozent wäre es egal, wenn sie erführen, dass eine Spielerin der deutschen Nationalmannschaft lesbisch sei. 10 Prozent fänden das sogar gut. Als die Torhüterin des deutschen Nationalteams sich 2011 zu ihrer Bisexualität bekannt hat, hofften alle auf einen entspannteren Umgang mit dem Thema. Das Gegenteil ist passiert: Philipp Lahm, den wir bald wieder bejubeln werden in Polen und der Ukraine, hat seinen schwulen Kollegen öffentlich von einem -Outing abgeraten. Zitat: „Es ist schade, aber Schwulsein ist im Fußball – anders als in Politik und Show-geschäft – immer noch ein Tabuthema.“ Apropos Polen und die Ukraine: Mein Kollege Volker Beck ist vor einigen Tagen zur Kiew-Pride gereist. Auf dem Fest sollte für einen offenen und toleranten Umgang mit Homosexualität in der Gesellschaft geworben werden. Am vergangenen Sonntag ist es kurzfristig abgesagt worden. Grund sind Angriffe von neonazistischen Kosaken und christlich-fundamentalistischen Gegendemonstranten auf die 700 friedlichen Lesben, Schwulen und Transgender in Kiew. Und jetzt fahren „unsere Jungs“ bald in die Ukraine und können sich wahrscheinlich nicht durchringen, mehr als ein paar Phrasen für Toleranz aufzusagen und wieder abzureisen – wenn sie das Thema überhaupt erwähnen werden und sich nicht doch besser zurückhalten vor dem Hintergrund der vieldiskutierten politischen Situation im Land. Das ist traurig und wirft kein gutes Licht auf den deutschen Sport und damit auch auf die Gesellschaft. Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein für die verschiedenen Formen von Diskriminierung, Rassismus und Homophobie. Denn wie kann die DFB-Elf offen für einen positiven Umgang mit Homosexualität in der Ukraine einstehen, wenn dies sogar im eigenen Land schwerfällt? Daher finde ich die Unterstützung der Fanprojekte, die sich für offenen und diskriminierungsfreien Sport einsetzen, eine der zentralen Aufgaben der Politik in diesem Bereich. Nur so kann der Kampf gegen Homophobie in Sport von der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber Lesben und Schwulen begleitet werden und es homosexuellen Sportlerinnen und Sportlern ermöglichen, offen mit ihrer Sexualität umzugehen. Aus meiner Sicht kann daher ein Antrag für einen Bewusstseinswandel im Sport nicht oft genug eingebracht werden. Gut, wenn sich die SPD auch von unserem Antrag zur Diskriminierung im Fußball Anregungen geholt hat. Wenn jetzt noch die Koalition lernfähig bei dem Thema ist, wäre es noch besser. Aber: Wir bleiben dran! Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9721, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7955 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Gabriele Fograscher, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft – Drucksache 17/9577 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen hier vor. Heike Brehmer (CDU/CSU): Der Tourismus in unserem Land steht für Gastfreundschaft und Toleranz. Ob Gaststätte, Weinschenke, Pension, Jugendherberge oder Hotel – das deutsche Gast-gewerbe ist ein Aushängeschild unserer Kultur. Allein im Jahr 2011 konnten deutsche Gaststätten und Hotel-betriebe rund 25 Millionen ausländische Gäste begrüßen; die Tendenz steigt. Kaum eine andere Branche ist so von internationaler und kultureller Vielfalt geprägt wie das Gastgewerbe. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA bringt es auf den Punkt: „Unsere Branche hat kein Problem mit Ausländern, sondern ohne.“ Aus diesem Grund positioniert sich der DEHOGA sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene klar gegen Rechtsextremismus, was wir als CDU/CSU ausdrücklich befürworten. Was aber, wenn rechtsextreme Gruppen die Räumlichkeiten der Gastronomie nutzen, um sie für ihre Zwecke wie rechte Konzerte oder Stammtische zu missbrauchen? Dieses Thema versucht die SPD-Fraktion mit ihrem Antrag „Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft“, Drucksache 17/9577, aufzugreifen. Ich betone noch einmal: versucht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir in der CDU/CSU sind der Meinung, dass sowohl der Staat als auch die Zivilgesellschaft gemeinsam in der Verantwortung stehen, wenn es darum geht, Extremismus einzudämmen. Nur durch das Engagement aller gesellschaftlichen Akteure können wir dem Extremismus den Boden entziehen und Demokratie und Toleranz stärken. Für diesen Demokratiegedanken setzen wir uns in der CDU/CSU seit jeher mit viel Herz und Verstand ein. Nach der gleichen Maxime positioniert sich die deutsche Gastronomie gegen Extremismus und gegen Gruppierungen, die dem Demokratiegedanken in unserem Land schaden wollen. Dieses Engagement gegen Rechts zeigt die deutsche Gastwirtschaft nicht erst seit gestern, sondern bereits seit Jahren. Kurz gesagt: Die Unterstützung von Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft, die Sie von der SPD in Ihrem Antrag fordern, ist längst gelebte Realität. Deshalb sind Ihre Forderungen nicht nachvollziehbar, verehrte Kollegen von der SPD. In Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, „…auf die Länder einzuwirken, Initiativen von Gast-wirten gegen Rechtsextremismus bekannt zu machen und zu unterstützen“. Keine Regierung hat so viel Geld für den Kampf gegen Rechtsextremismus ausgegeben wie unsere unionsgeführte Bundesregierung. Ich möchte Ihnen dazu gern einige Beispiele nennen: Das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ des Bundesfamilienministeriums führt seit Januar 2011 erfolgreich die Arbeit der beiden Vorgängerprogramme „Vielfalt tut gut“ und „kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ unter einem Dach fort. Dafür stehen bis 2013 jährlich 24 Millionen Euro zur Verfügung. Im Dezember 2011 hat unser Innenminister Dr. Hans-Peter-Friedrich das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, GAR, eröffnet. Das Zentrum soll die Bedrohungen durch Rechtsextremismus in unserem Land besser beurteilen und Maßnahmen wie zum Beispiel Festnahmen erleichtern. Die Länder werden sich ebenfalls an diesem Zentrum beteiligen. Damit extreme Tendenzen in unserer Gesellschaft gar nicht erst entstehen, müssen wir dem vorbeugen. Das Bundesprogramm des Innenministeriums „Zusammenhalt durch Teilhabe“ fördert Projekte zur demokra-tischen Teilhabe gegen Extremismus. Das Programm richtet sich besonders an strukturschwache Regionen in Ostdeutschland und setzt seine Förderschwerpunkte in Vereinen, Verbänden und Bürgerbündnissen. An ähnlicher Stelle setzt auch das von den Bundes-ministerien des Innern und der Justiz gegründete Bündnis für Demokratie und Toleranz an. Jährlich werden verschiedene Foren und Diskussionsveranstaltungen ausgerichtet und Initiativen durchgeführt, um Bürger zu ehren, die sich aktiv gegen Extremismus und für Toleranz engagieren. Aufklärungsarbeit durch geschultes Personal vor Ort ist und bleibt sehr wichtig. Das Beispiel des Hausverbots für den NPD-Vorsitzenden Udo Voigt durch einen Hotelier aus Brandenburg im Jahr 2010 hat uns gezeigt, dass gerade ländliche Gaststättenbetreiber mit dem -Problem von als harmlos getarnten „Geburtstagsfeiern“ oder „Sommerfesten“ konfrontiert werden, die sich als rechtsextreme Versammlungen entpuppen. Wie Sie sehen, sind unsere Gastwirte sehr aufmerksam bei diesem Thema. Um Gastwirte und Hotelbetreiber umfassend über dieses Thema zu informieren, hat unser unionsgeführtes Familienministerium in Zusammenarbeit mit dem -DEHOGA einen Ratgeber für die Gastronomie herausgegeben. Der Ratgeber beantwortet Fragen wie: Welche Rechte und Pflichten habe ich als Betreiber, wenn ich von rechtsextremen Gruppen Notiz nehme? Wie kann ich solche Gruppen im Vorfeld erkennen? Welche Vertragsklauseln im Mietvertrag sichern mich von vorneherein ab? Die Unterstützung, die Sie in Ihrem Antrag fordern, verehrte Kollegen von der SPD, findet bereits in den Landesverbänden der Gaststätten- und Hotelbetreiber statt. Die Informationen gegen Rechtsextremismus werden aktiv kommuniziert; sie werden publik gemacht und an die Gastwirte herangetragen. Als privatem Vermieter steht es jedem Hotelier frei, zu welchen Konditionen er einen Vertrag eingeht und seine Räumlichkeiten an Gäste vermietet. Der Fall des NPD-Vorsitzenden Voigt hat gezeigt, dass die Buchungsanfrage eines rechtsradikalen Gastes sofort vom Betreiber abgelehnt werden darf. Der Bundesgerichtshof hat in seinem jüngsten Urteil vom 9. März 2012 entschieden, dass ein Gastronom in seinem Lokal der Hausherr ist und sein Hausrecht frei ausüben kann. Im Ratgeber des Familienministeriums ist nachzu-lesen, dass Gastwirte einen eindeutigen Nutzungszweck im Mietvertrag festhalten sollen, für welche Veranstaltung der Gast die Räumlichkeit mieten will. Dafür werden im Ratgeber auch Mustermietverträge zur Ver-fügung gestellt, die im Internet abrufbar sind. Am Beispiel dieses Ratgebers zeigt sich, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Gastwirte selbst sehr verantwortungsbewusst und engagiert mit dem Thema „Initiativen gegen Rechts“ umgehen. Politik und Gastgewerbe setzen sich aktiv dafür ein, dass es in unseren Gaststätten und Hotels keinen Platz für rechtsradikales Denken und rechte Propaganda gibt. Die CDU/CSU unterstützt dieses Engagement sowohl im Bereich Tourismus als auch gesamtgesellschaftlich. Die genannten Bundesprogramme und Initiativen sind der Beweis. Die CDU/CSU hat vieles auf den Weg gebracht, und wir werden auch in Zukunft nicht nachlassen, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen und entsprechende Maßnahmen und Programme ins Leben zu rufen. Liebe Kollegen von der SPD, mit Ihrem Antrag hoppeln Sie der aktuellen Entwicklung und den Maßnahmen vor Ort hinterher. Aus diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag ab. Abschließend möchte ich Ihnen die Worte des -DEHOGA-Präsidenten Ernst Fischer mit auf den Weg geben, der zu diesem Thema treffend formulierte: „Unsere Berufung ist Gastfreundschaft und verträgt sich nicht mit ausländerfeindlichen Parolen rechter Gruppie-rungen. … Das Gastgewerbe steht für Weltoffenheit und Toleranz.“ Die CDU/CSU wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dass diese Prinzipien der Weltoffenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft nachhaltig gewahrt bleiben. Rita Pawelski (CDU/CSU): Wir debattieren heute den Antrag „Mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft“ der SPD-Fraktion. Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung wird durch Extremismus herausgefordert, von rechts und von links oder durch religiösen Extremismus. Extremismus ist kein Randthema in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns zusammen und aktiv für unsere Demokratie sowie für Toleranz und gegen jede Form des Extremismus starkmachen. Nur auf diese Weise verbannen wir ihn aus unserer Gesellschaft. Die Bundesregierung stellt für präventive Bundesprogramme im Kampf gegen den Extremismus so viele Mittel zur Verfügung wie keine andere Bundesregierung zuvor: seit 2008 jährlich 24 Millionen Euro. Die einseitige Fokussierung des Antrags auf rechten Extremismus ist nicht nachvollziehbar und gefährlich. Darüber hinaus ist die Situation im Gastgewerbe nicht derart, dass hier eine besondere Problematik bestehen würde. Ganz im Gegenteil: Hotellerie und Gastronomie sind für das Thema sensibilisiert. Kaum eine Branche steht derart für Gastfreundschaft und Toleranz wie das Gastgewerbe, und kaum eine andere Branche ist so international. Nicht nur die Gäste des Gewerbes kommen aus der ganzen Welt, sondern auch die Mitarbeiter. Im Gastgewerbe sind 22,4 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausländischer Herkunft. In der Gesamtwirtschaft liegt diese Zahl bei 7,4 Prozent. Diese Vielfalt ist ein wesentlicher Pfeiler des Branchenerfolgs. Seit vielen Jahren engagieren sich Hotellerie und Gastronomie sowie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, DEHOGA, aktiv gegen Extremismus. Bundesweit kennen wir zahlreiche couragierte Beispiele von Hotelbetreibern und Wirten gegen Rechts, zum Beispiel in Dresden, in Regensburg, in Bad Saarow und so vielen anderen Orten. Gaststättenbetreiber schließen sich zusammen und bedienen keine „Nazis und andere Rassisten“. Hotelbetreiber verweigern Gegnern unserer demokratischen Gesellschaft die Unterkunft oder initiieren Projekte gegen Extremismus. Diese „klare Kante“ ist enorm wichtig. Für Extremisten sind öffentliche Auftritte und Veranstaltungen maßgeblich. Dort haben sie Möglichkeiten, sich und ihre Ideologien zu präsentieren, neue Anhänger zu gewinnen und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Daher müssen engagierte Bürgerinnen und Bürger dieser extremistischen Öffentlichkeit entgegentreten. Hoteliers und Gastwirten ist es freigestellt, sich bei Reservierungsanfragen von extremistischen Gruppierungen eine Gewissenfrage zu stellen und diese auf Grundlage der im Bürgerlichen Gesetzbuch garantierten Vertragsfreiheit abzulehnen. Wir begrüßen sehr, dass der Bundesgerichtshof am 9. März diesen Jahres die Vertragsfreiheit und damit die Position von privaten Gastgebern weiter gestärkt hat. Grundsätzlich kann ein privater Hotelbetreiber „frei darüber entscheiden, wen er als Gast aufnimmt und wen nicht“. Das Urteil festigt das Hausrecht, und kein Gastgeber kann dazu gezwungen werden, Mitglieder extremistischer Gruppierungen zu beherbergen oder zu bewirten. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, -DEHOGA, hat sich auf Bundes- und Landesebene ebenfalls klar gegen Rechtsextremismus positioniert. Gemeinsam mit der Arbeitgebervereinigung sowie der -Gewerkschaft der Branche wurde die Initiative „Gemeinsam für Toleranz“ ins Leben gerufen. Sie bietet vielfältige Informationen und praktische Hilfestellungen. Zudem unterstützt der DEHOGA auch über seine Landesverbände zahlreiche weitere Initiativen, -Broschüren und Expertenrat gegen Extremismus. Vor Ort werden den Betroffenen individuelle Beratungen bis hin zur Vertragsgestaltung angeboten. Aufgrund der bereits bestehenden zahlreichen Initiativen und Hilfen für private Gastgeber in Hotellerie und Gaststätten sind die Forderungen des Antrags nicht nachvollziehbar. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss, denn unser gemeinsames Ziel ist das Engagement gegen Extremismus – und dabei ist es egal, ob die Gruppen politisch oder religiös motiviert sind. Allen Gegnern unserer freiheitlichen und offenen Gesellschaft müssen wir gemeinsam und entschlossen entgegentreten, um die Werte unserer demokratischen Grundordnung an kommende Generationen weitergeben zu können. Heinz Paula (SPD): Im Januar dieses Jahres kam ein Hotel unfreiwillig in die Schlagzeilen. Getarnt als Reisegruppe hielt eine 120-köpfige Nazireisegruppe ihren Neujahrsempfang im „Hotel Seegarten“ unweit von Berlin ab. Nach eigenen Angaben wurde der Geschäftsführer Opfer einer Täuschung: Die Rechtsextremisten seien nicht als solche zu erkennen gewesen. Sie hätten sich als „heiterer Betriebsausflug getarnt“, um überhaupt noch irgendwo einen Tagungsort zu finden. Heute kämpft das Hotel um seinen Ruf und hat mit den wirtschaftlichen Folgen dieses Januartags zu kämpfen. Denn die öffentlichen Reaktionen blieben nicht aus: Der Hotelier hätte rechtzeitig von seinem Hausrecht -Gebrauch machen können, sich früher konsequent distanzieren müssen. Doch darf man mit dieser Kritik nicht das eigentliche Thema aus den Augen verlieren. Das Problem ist nicht der Hotelier, sondern es sind die 120 Rechtsextremen unter dem Vorwand eines harmlosen Ausflugs. Es besteht zwar allerorts Entschlossenheit, diesem Schrecken ein Ende zu bereiten, doch eines ist klar: Wir brauchen mehr Unterstützung für Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft! Das fordern wir Sozialdemokraten in unserem Antrag. Der beschriebene Fall spiegelt vor allem eine Unsicherheit in der gesamten Branche wider, der wir begegnen müssen. Denn der Hotelier steht dabei für viele Menschen in unserer Gesellschaft. Es geht um die ganz praktischen Fragen: Wie verhalte ich mich gegenüber Rechtsextremen? Welche rechtliche Handhabe steht mir zur Verfügung? Wie kann ich mich mit anderen Menschen vernetzen, die sich aktiv gegen ausländerfeindliche Einstellungen einsetzen? Initiativen gegen Rechts in der Gastwirtschaft sind richtig und wichtig, doch dabei zugleich selbstverständlich nur ein Baustein von vielen. Rechtsextreme Gruppierungen benutzen die „Normalität“ des öffentlichen Raums, um ihre Ideologien zu verbreiten und neue Mitglieder zu rekrutieren. Diesen Raum müssen wir ihnen entziehen. Zwei Beispiele von herausragendem zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Rechts möchte ich nennen. Diese stehen zugleich für eine Vielzahl an Initiativen, Bildungseinrichtungen, losen Zusammenschlüssen und anderen Gruppen, die doch eines vereint: Zivilcourage und Mut, gegen Intoleranz und Diskriminierung Stellung zu beziehen. Da ist zum einen das Bündnis für Menschenwürde, das in enger Kooperation mit entsprechenden Vereinen und Organisationen das Engagement gegen Rechts-extremismus im Raum Augsburg und Bayerisch-Schwaben koordiniert. Wir haben das Thema der Gastwirte aufgenommen, schaffen Öffentlichkeit und Problembewusstsein und leisten Aufklärungsarbeit in Sachen Rechtsex-tremismus. So ist demnächst auch ein runder Tisch mit dem Hotel- und Gaststättenverband -DEHOGA, der -Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, NGG, den Hoteliers, den Gastwirten und der Stadt Augsburg geplant. Wir leisten ganz konkrete Unterstützung im Kampf gegen Rechts. Hinsichtlich unseres Antrags möchte ich außerdem die Regensburger Initiative „Keine Bedienung für Nazis“ erwähnen, die seit Mitte 2010 existiert. Nach einem brutalen rechtsradikalen Überfall, der sich in einem Café ereignet hatte, und jagdähnlichen Szenen in der Regensburger Innenstadt schlossen sich spontan rund 130 Gastronomiebetreiber zusammen. Unter dem gemeinsamen Motto „Keine Bedienung für Nazis“ lehnen sie Intoleranz und Rassismus ab. Zitat aus der gemeinsamen Erklärung: „Nazis und Rassisten haben in unseren Räumen nichts zu suchen. Wir dulden keine rassistischen, diskriminierenden Äußerungen in unserem Lokal.“ Diese Initiativen müssen unbedingt unterstützt werden. Die Regensburger Gastwirte und das Bündnis für Menschenwürde wissen, um was es geht: nicht nur um wirtschaftliche Interessen, die im Übrigen durch einen gewissen öffentlichen Werbeeffekt sogar unterstützt werden. Vielmehr geht es um konkrete Zeichen, Regensburg und Augsburg als weltoffene Städte zu zeigen, in der Menschen verschiedenster Herkunft friedlich und freundschaftlich zusammenleben und Intoleranz keinen Platz hat. Es geht um die kulturelle Offenheit einer Gesellschaft, die das Miteinander praktiziert, Toleranz akzeptiert und dem Hass mutig entgegentritt. Die Regensburger Gastwirte haben dabei das Recht auf ihrer Seite. Denn hinter ihnen steht das Hausrecht. Erst im März 2012 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass nicht nur Privatleute, sondern auch Unternehmer ihr Hausrecht grundsätzlich als Ausdruck der Privatautonomie frei ausüben können. Häufig ist es für Gastwirte jedoch nicht sofort ersichtlich, dass es sich um eine Veranstaltung von Personen oder Gruppierungen mit rechtsradikalem Hintergrund handelt. Immer wieder werden Räumlichkeiten unter falschen Angaben angemietet, beispielsweise für private Geburtstagsfeiern, Sommer- oder Weihnachtsfeste. Trotz des Hausrechts der Gastwirte herrscht unter ihnen häufig Unkenntnis und Unsicherheit darüber, wie man rechte Veranstaltungen in den eigenen Räumen verhindern kann. Um der betroffenen Branche eine Hilfestellung an die Hand zu geben, haben zum Beispiel die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, „pro aktiv gegen rechts – Mobile Beratung in Bremen und Bremerhaven“, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Hamburg Anfang Dezember 2011 einen Ratgeber veröffentlicht, der Merkmale für eine frühzeitige Erkennung und verschiedene Handlungsmöglichkeiten für Gastwirte, zum Beispiel bei der Gestaltung von Mietverträgen, aufzeigt. Derartige Initiativen gilt es zu fördern und bekannter zu machen. Gastwirte müssen sensibilisiert, bestmöglich beraten und unterstützt werden; denn so kann man den Rechtsextremisten Publikum und Versammlungsorte entziehen. Das kann zum Beispiel durch Informationsveranstaltungen, Verbreitung von Broschüren oder im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ erfolgen. Hier gibt es jedoch noch eheblichen Verbesserungsbedarf; denn die Extremistenklausel von Bundesfamilienministerin Schröder ist kon-traproduktiv und rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Dresden erst im April 2012 bestätigte. Diese Klausel verlangt von Personen, die Mittel aus dem Bundesprogramm beantragen, die Abgabe einer „Einverständniserklärung“ mit der demokratischen Grundordnung. Die Antragsteller werden außerdem aufgefordert, zu versichern, dass sich auch die Partner ihrer Projekte dem Grundgesetz verpflichtet sehen. Dies sät eine Kultur des Misstrauens, in der Engagement und Zivilcourage nicht gestärkt werden, sondern erlahmen. Unsere Demokratie bedarf jedoch dieses alltäglichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger. Daher muss die Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus von dem Gedanken des Vertrauens getragen werden. Dies gilt auch für uns. Jedes Mitglied des Bundestages ist dazu aufgerufen, seinen Beitrag zu leisten, unabhängig von Parteigrenzen und Fraktionen. Zahlreiche Forschungsarbeiten und Publikationen bestätigen, dass rechtsextreme Gruppierungen sich zunehmend unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit vernetzen; rechte Einstellungen zeigen sich im Alltag und rücken vor in die Mitte unserer Gesellschaft. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle die hervorragende Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung erwähnen, die mit vielen Mythen aufräumt. Es sind nicht allein die gewaltbereiten Schlägertrupps mit Springerstiefeln und Hakenkreuz, die uns Sorge bereiten müssten, sondern auch der alltägliche Rechtsextremismus und rechte Einstellungen um uns herum, rechte Milieus, die als solche erst auf den zweiten Blick erkennbar sind. Immer häufiger verdrängen rassistische und autoritäre Ideen den Gemeinwohlgedanken und den Glauben an die Demokratie – oft auf Kosten von Ausländern, Schwulen, Muslimen, Armen. Der Staat und dieses Hohe Haus sind damit direkt zum Handeln aufgefordert. Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages, als politische Vertreter der gesamten Bevölkerung in Deutschland, stehen in einer tiefen Verantwortung, die sich aus den Erfahrungen der deutschen Vergangenheit nährt, uns vor allem aber den Weg in eine gemeinsame Zukunft weist. Wir müssen die -Demokratie leben und stärken. Daher bitte ich die Fraktionen aller Parteien, an dieser Stelle zusammenzustehen, sich gegen Rechtsextreme und Rassisten einzusetzen und das Gaststätten- und Hotelgewerbe zu unterstützen. Unterstützen Sie unser gemeinsames Anliegen – machen Sie unseren Antrag zu einem gemeinsamen Antrag! Horst Meierhofer (FDP): Dass der Rechtextremismus eine nicht zu unterschätzende Bedrohung in Deutschland ist, zeigen die Ereignisse rund um die kürzlich aufgedeckte Vereinigung des Nationalsozialistischen Untergrunds. Hier konnten Rechtsextreme jahrelang, ohne dass die Öffentlichkeit, die Polizei oder der Verfassungsschutz etwas davon mitbekommen hätten, ihre brutalen Verbrechen ausüben. Wir müssen jetzt unbedingt alles in unserer Macht Stehende tun, um aufzuklären, wie es dazu kommen konnte. Zusätzlich sollten wir unseren Blick aber auch in die Zukunft richten. Die Aufklärung ist wichtig, keine Frage, aber mindestens ebenso wichtig ist es, dafür zu sorgen, dass in Zukunft so etwas nicht noch einmal passiert. Daher ist der Grundgedanke des Antrags der SPD durchaus richtig: Rechtsextreme und rechtsextremistische Gruppierungen müssen daran gehindert werden, ihre Ideologien zu verbreiten. Schade ist nur, dass in dem Antrag nicht wirklich etwas steht, was hierbei helfen kann. Die SPD will Gastwirten helfen, zu verhindern, dass ihre Räumlichkeiten von der rechten Szene missbraucht werden. So weit, so gut. Und jetzt kommt der enttäuschende Part: Erreicht werden soll dies laut Antrag durch eine bessere Aufklärung der Gastwirte, einen runden Tisch und eine Infobroschüre. Ich würde mir hier als Gastwirt ein wenig verschaukelt vorkommen. Die SPD tut ja gerade so, als würden Betreiber von Gaststätten alle hinterm Mond leben und vollkommen unselbstständig sein. Ich zitiere: „Trotz des Hausrechts der Gastwirte herrschen unter ihnen häufig Unkenntnis und Unsicherheit darüber, wie man rechte Veranstaltungen in den eigenen Räumen verhindern kann.“ Es wird die SPD vielleicht überraschen, aber das Bewusstsein der Bevölkerung und vor allem auch der Gastwirte ist bereits sehr hoch, was den Rechtsextremismus angeht. Stellen Sie sich vor, viele Wirte wissen um ihr Hausrecht und machen sogar Gebrauch davon. Die SPD weist sogar selbst auf eine Initiative aus meiner Heimatstadt Regensburg hin: Hier haben mehr als 100 Gastronomiebetreiber eine Erklärung unterschrieben, dass sie keine Rechtsextremen bedienen. Diese Aktion hat auch gleich in der Nachbarstadt mit dem Schwandorfer Bündnis gegen Rechtsextremismus einen Nachahmer gefunden. Geld für Informationsveranstaltungen auszugeben, bei denen den Gastwirten gesagt wird, was sie eh schon wissen – und vermutlich sogar besser als Beamte in Berlin –, halte ich für rausgeschmissenes Geld, das anderweitig weitaus effektiver eingesetzt werden kann, wie zum Beispiel für Aufklärungsmaßnahmen an Schulen und für Programme, die die Integration fördern. Die Bunderegierung investiert bereits in Maßnahmen und ist auch dabei, diese noch weiterzuentwickeln und auszubauen. Runde Tische sind an sich sehr sinnvoll, aber am effektivsten, wenn an diesen Tischen auch wirklich die Menschen sitzen, die vor Ort betroffen sind. Ein Alibi-Tisch mit Vertretern aus Bund und Ländern ist doch wieder nur ein riesiges, rein symbolisches Bürokratiemonster, das in der Praxis nichts ausrichtet. Und am „besten“ finde ich die Idee, eine weitere Informationsbroschüre mit Hinweisen dafür herauszugeben, wie man potenzielle rechtsextreme Gäste im Vorfeld besser erkennt. Es gibt bereits eine sehr hilfreiche Broschüre der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und der DEHOGA, die genau diese Hinweise enthält und zudem auch noch nützliche Tipps zum Gebrauch des Hausrechts und der Gestaltung von Mietverträgen gibt – auch diese erwähnt die SPD selber in ihrem Antrag. Aber anscheinend will die SPD auch hier Geld, das sinnvoller in andere Projekte gegen Rechts investiert werden kann, ausgeben, um noch eine zweite Broschüre herauszugeben. Aber als Opposition kann man es sich ja erlauben, sinnlos Geld aus dem Fenster zu werfen. Was soll nun dieser absolut überflüssige Antrag der SPD? Anstatt sich ernsthaft mit dem Problem, mit der Ursache des Rechtsextremismus zu beschäftigen und konstruktive Vorschläge zu machen, verschießt sie ihr Pulver, indem sie bereits erfolgreiche Maßnahmen, die zum Teil sogar aus der Bevölkerung selbst kommen, doppelt und Vorschläge macht, die nicht weiterführen. Ich muss zugeben, ich bin ein bisschen überrascht von diesem überflüssigen Antrag. Kornelia Möller (DIE LINKE): Es ist unbestritten, dass das Engagement und der Kampf gegen Rechts auf verschiedenen Ebenen verstärkt, weiterentwickelt und fortgeführt werden muss. Dazu zählt natürlich auch, dass Nazis kein Raum gegeben wird, in dem sie ihre menschenverachtende Propaganda darstellen und ausbreiten können. Weder auf öffentlichen Plätzen oder Straßen – als Kundgebungen oder Demonstrationen – noch in Gaststätten und Kneipen – als Informationsveranstaltungen, Liederabende und Konzerte – soll Platz für ewiggestriges Gedankengut und seine Verbreitung sein. Leider ist es rechtlich nicht in dem Maße möglich, wie es notwendig wäre, Nazis den öffentlichen Raum zu verbieten. Die Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ hat seinen Einzug in dieses Rechtssystem und teilweise auch in diese Gesellschaft leider noch nicht gefunden. Deshalb ist es umso wichtiger, im privatwirtschaftlichen Bereich wie zum Beispiel in der Gastwirtschaft Nazis geeignete Mittel entgegenzusetzen. Die Initiative der SPD mit ihrem heute hier debattierten Antrag und seinen Forderungen ist generell unterstützenswert und im Prinzip völlig richtig. Ihr Anliegen tragen wir gerne mit! Allerdings stellt sich schon die Frage, ob es tatsächlich bundesstaatliche Aufgabe ist, runde Tische zu organisieren, oder ob das nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft ist, die dabei durch den Bund gefördert und unterstützt werden sollte. Ein zu großer Protagonismus staatlicher Akteure birgt die Gefahr, dass das Engagement und der Protest gegen Nazis „gedeckelt“ werden. So könnte das wichtige und klare Zeichen der Bevölkerung verloren gehen, dass Nazis mit ihrer Ideologie auf breiter Ebene abgelehnt werden. Der doch etwas übereifrige und einem relativ staatszentrierten Verständnis folgende Antrag greift, obwohl er sich eines sehr spezifischen Themas annimmt, nicht alle in diesem Zusammenhang zu beachtenden Aspekte auf. Mit keinem Wort erwähnt die SPD, dass viel früher angesetzt werden muss, um effektiv gegen Rechtsextreme vorgehen und der Gesamtheit der Problematik gerecht werden zu können. Doch dazu später. Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, geht es im Grunde doch hoffentlich auch darum, dass Nazis kein Raum zur Verfügung steht, um ihre Ideologie zu verbreiten. Doch leider gehen Sie nicht im Geringsten darauf ein, wie mit Gastronomen und Wirten umgegangen werden soll, die sich selber der rechten Szene zugehörig fühlen und explizit rechte Veranstaltungen unterstützen bzw. ihre Räumlichkeiten für Veranstaltungen der extremen Rechten zur Verfügung stellen. In solchen Räumen finden von der Öffentlichkeit ungestört Veranstaltungen, Konzerte etc. statt, die den Rechten zur inneren Stärkung dienen. Hier müsste der Staat dringend aktiv werden. Solche Orte und Veranstaltungen müssen frühzeitig ausfindig gemacht und aufgelöst werden. So müsste einmal darüber nachgedacht werden, ob Gastronomen, die ihre Räumlichkeiten wiederholt für Veranstaltungen der extremen Rechten zur Verfügung stellen und bei denen es zu Straftaten kommt, die Lizenz entzogen werden kann. Ein Beispiel wäre die Kneipe „Zum Henker“ hier in Berlin-Schöneweide. Es ist offensichtlich, dass aus dieser Gaststätte heraus schon des Öfteren Straftaten begangen wurden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der leider keinen Eingang in Ihren Antrag gefunden hat, ist die Sensibilisierung der Gastronomen im Zusammenhang mit einem leider auch von Ihnen etwas stiefmütterlich behandelten Thema: dem Alltagsrassismus. Dieser tritt in nicht unerheblichem Maße auch in der Gastronomie zutage. Wichtig für eine offene, aufgeschlossene Gesellschaft ist eben nicht nur die Auseinandersetzung mit offensichtlich rechtem Gedankengut und klar erkennbaren Rechts-extremen, die ihr braunes Gedankengut zur Schau -stellen, sondern eine Auseinandersetzung mit in der Gesellschaft tief verwurzelten Rassismen und Fremdenfeindlichkeit. Diese spiegeln sich beispielsweise in der Sprache wider. So ist es etwa in Bayern leider noch immer ganz normal, auf der Getränkekarte einen „Neger“, ein Mischgetränk aus Weißbier und Cola, oder einen „Russen“, ein Mischgetränk aus Weißbier und Zitronenlimonade, zu finden. Leider kommt es auch nicht allzu selten vor, dass an manchen Stammtischen xenophobe Äußerungen fallen und dort zum „guten Ton“ gehören. Hier ist ein entschiedenes Eingreifen der Gastronomen und der Zivilgesellschaft notwendig. Denn dieser Alltagsrassismus bildet einen willkommenen Nährboden für die -extreme Rechte. Deshalb ist es notwendiger denn je, Aufklärungsarbeit zu betreiben und Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Ganz wesentlich hierfür ist – wie von uns schon lange gefordert –, die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus auszubauen, an den entscheidenden Stellen zu verbessern und ihre finanzielle Förderung auszuweiten und zu verstetigen. Das ist die Basis für die Unterstützung des Engagements vor Ort. Diese Programme haben in ihrer Gesamtheit viel Anerkennung gefunden und sind auch vonseiten der wissenschaftlichen Begleitforschung als wichtige und richtige Ansatzpunkte zur Auseinandersetzung mit der extremen Rechten gewertet worden. Es hat sich gezeigt, dass eine langfristige, auf die Stärkung engagierter Akteure vor Ort setzende Arbeit die beste Gewähr dafür ist, lokale Strukturen der -extremen Rechten abzuschwächen und auszubooten. An dieser Stelle muss die Bundesregierung unterstützend wirken, damit die erfolgreiche Arbeit vor Ort kontinuierlich weitergeführt werden kann. Geeignete Maßnahmen hierfür wären zum einen, den finanziellen Umfang des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut“ dem tatsächlichen Bedarf entsprechend zu erhöhen. Zum anderen müsste die Zahl der lokalen Aktionspläne entsprechend dem angemeldeten Bedarf ausgeweitet werden. Hierbei müssen die Förderkriterien dahin gehend geändert werden, dass nicht ausschließlich Kommunen und Landkreise Mittel beantragen können, sondern auch zivilgesellschaftliche Träger. Vor allem die über das Bundesprogramm „kompetent. für Demokratie“ geförderten mobilen Beratungen und Opferberatungen dürfen nicht länger als Modellprojekte laufen. Sie müssen als dauerhafte Aufgabe des Bundes gefördert werden und eine langfristige Perspektive erhalten. Erforderlich ist eine auf Dauer angelegte Beratungsarbeit vor Ort, die sich nicht in kurzfristiger Krisenintervention erschöpft. Engagement und Unterstützung von Initiativen gegen Rechtsextreme dürfen nicht erst dann zum Tragen kommen, wenn es bereits zu akuten Fällen von Gewalttätigkeiten und Straftaten gekommen ist. Es muss frühzeitig damit angefangen werden, die Bevölkerung und natürlich auch Gastwirte für das Thema Rechtsextremismus zu sensibilisieren und den Widerstand dagegen zu unterstützen. Wir verfolgen dabei einen zivilgesellschaftlichen Ansatz; das heißt, die Bürgergesellschaft wird aktiv gegen Nazis und setzt sich aktiv mit ihnen auseinander. Der Staat muss ein solches Engagement fördern und unterstützen; er sollte es aber nicht ersetzen. Das in dem Antrag aufgeführte Beispiel der Regensburger Initiative „Keine Bedienung für Neonazis“ ist wahrlich ein Vorzeigeprojekt, das Ausstrahlungskraft hat und auch für weitere Städte Modellcharakter besitzt. Die Initiatoren und Mitbegründer dieser Initiative haben sich aus zivilgesellschaftlichem Engagement heraus selbst ermächtigt, gegen Nazis vorzugehen, und haben diese Kampagne vorangebracht und zum Erfolg geführt. Mittlerweile gibt es Anfragen aus 15 weiteren Städten, um diese Kampagne andernorts zu etablieren. Wesentlich für eine erfolgreiche Anti-Naziarbeit sind eine auf Dauer angelegte Kampagne bzw. Projekte, die nicht nur kurzfristige Effekte haben. Hier muss die Politik ansetzen! Wir müssen das Übel bei der Wurzel packen und dürfen nicht nur Feuerwehrpolitik betreiben. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schon lange sind Neonazis nicht mehr sicher am äußeren Erscheinungsbild zu erkennen. Viele Rechtsextreme verfolgen die Strategie der schleichenden Unterwanderung gesellschaftlicher Bereiche. Um Kontakte zu knüpfen, in Vereinen Fuß zu fassen oder in Elternvertretungen gewählt zu werden, wollen sie sympathisch und unauffällig wirken. Diese Verschleierungstaktik führt auch in der Gastwirtschaft immer wieder zu Problemen. Häufig verhalten sich Neonazis bei Anmeldungen betont unauffällig und melden eine Veranstaltung unter einem privaten Anlass an. Gastwirte brauchen fundierte Aufklärung, um im Geschäftsalltag Neonazis rechtzeitig erkennen und böse Überraschungen vermeiden zu können. Auch juristisches Wissen ist erforderlich. Denn selbst wenn Gastwirte bemerken, dass sie Rechtsextremisten vor sich haben, herrscht vielfach Unsicherheit: Wie soll man mit ihnen umgehen? Ist man berechtigt, Menschen wegen ihrer Gesinnung des Hauses zu verweisen, oder verstößt man damit gegen das Gleichbehandlungsgebot und riskiert eine Klage? Angesichts solcher Fragen bin ich froh, dass der Bundesgerichtshof am 9. März 2012 klargestellt hat: Sowohl Privatleute als auch Unternehmerinnen und Unternehmer dürfen ihr Hausrecht grundsätzlich frei ausüben. Anlass für diese Entscheidung war der Wunsch des ehemaligen NDP-Chefs Udo Voigt, sich in einem Brandenburger Wellnesshotel einzubuchen, was der Hotelbesitzer abgelehnt hatte. Dass man auch mit Kreativität zum Ziel kommen kann, zeigte bereits 2007 ein Hotelier aus Dresden. Dort hatten sich die NPD-Funktionäre Holger Apfel und Alexander Delle online eingemietet. Die Buchung war vorab bezahlt und vom Hotel bestätigt worden. Insofern bot sich eine rechtliche Lösung nicht an. Der Hotelier schrieb stattdessen einen offenen Brief an die beiden. Darin bat er sie, nicht in seinem Hotel zu übernachten, da er seinen Mitarbeitern nicht zumuten wolle, sie begrüßen und bedienen zu müssen. Für den Fall, sie würden dennoch nicht von der Buchung zurücktreten, kündigte er an, alle durch sie erwirtschafteten Einkünfte sofort als Spende an die Dresdner Synagoge weiterzuleiten. Das wollten Apfel und Co. dann doch nicht und sagten den Aufenthalt ab. Mittlerweile haben Gastwirte eigene Initiativen gegen Rechts ins Leben gerufen. So schlossen sich unter dem Motto „Keine Bedienung für Neonazis“ in mehreren Städten engagierte Gastwirte zusammen. Unterstützung kommt auch von der DEHOGA, der Gewerkschaft NGG und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Ihr Ratgeber ist in der Praxis eine große Unterstützung. Ein aktueller Erfolg ist auch der ausgefallene NPD-Parteitag im sächsischen Plauen. Dort wollte die NPD den Mietvertrag nicht unterzeichnen, da dieser zwei für die NPD nicht einlösbare Klauseln enthielt. In einer Klausel wurde der NPD untersagt, in den gewünschten Räumen der Festhalle rassistisches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut zu äußern. Der NPD-Landesvorstand war empört und meinte, es werde für sie immer schwieriger, Veranstaltungsräume anzumieten. Das ist ein großer Erfolg des Engagements und der Sensibilisierung in den letzten Jahren. Auch öffentliche Zeichen gegen Rechts sind sehr wichtig, gerade dann, wenn Nazis aggressiv gegen Gastwirte vorgehen. Ein aktuelles Beispiel gab es kürzlich in Geithain in der Nähe von Leipzig. Dort wurde ein Sprengstoffanschlag auf die Pizzeria eines pakistanischen Betreibers verübt. Geithains Bürgermeisterin Romy Bauer, eine CDU-Politikerin, bekennt bei einer Gedenkveranstaltung: „Seit Herr Sayal eröffnet hat, gab es Bedrohungen und Anschläge. Für mich haben diese Taten ganz eindeutig einen rechtsextremen Hintergrund.“ Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen verschreckt, angegriffen und verjagt werden, weder in der Gastwirtschaft noch anderswo. Dabei geht es nicht nur um die unmittelbar betroffenen Opfer. Rechtsextremismus schädigt auch die regionale Tourismuswirtschaft. Studien ergaben Verluste in Milliardenhöhe, weil ausländisch Aussehende Reisen in „braune Angstzonen“ scheuen. Gerade dort brauchen wir bunte lokale Bündnisse, die gegensteuern. Publikationen und Aktionen, die Gastwirte in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus stärken, müssen bekannter gemacht werden. Hier sind Bund und Länder gleichermaßen gefragt. Die SPD fordert in ihrem Antrag eine Informations-offensive. Wir Grüne unterstützen diesen Antrag. Besonders einen runden Tisch mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Ländern, Kommunen, Gewerkschaften, Branchenverbänden, zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie betroffenen Gastwirten halten wir für eine gute Idee. Denn Bündnisse ermöglichen Solidarität mit bedrängten Gastwirten – und deren Gästen. Miteinander können wir ein Umfeld schaffen, das Neonazis in die Defensive drängt und Vielfalt vor Ort erleichtert. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9577 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Alle sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Hans-Joachim Hacker, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausbau der Offshore-Windenergie erfordert moderne Hafeninfrastruktur – Drucksache 17/9573 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen, auf deren Verlesung ich verzichte, liegen mir vor. Matthias Lietz (CDU/CSU): Wie immer hat sich die Bundestagsfraktion der SPD in dem vorliegenden Antrag „Ausbau der Offshore-Windenergie erfordert moderne Hafeninfrastruktur“ nicht mit realistischen Problemen auseinandergesetzt und fordert stattdessen Dinge ein, die wir von der CDU/CSU-Fraktion ohnehin unlängst ins Rollen gebracht haben. Denn wir haben uns erneuerbare Energien ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Wir wollen in Deutschland eine sichere und zuverlässige energetische Zukunft gestalten und haben schon einige Programme zur Unterstützung dieser Branchen initiiert. Mit der Photovoltaikförderung, der energetischen Gebäudesanierung und dem seit Juni 2011 in Kraft getretenen Offshore-KfW-Förderprogramm haben wir einiges in die deutsche Energiezukunft investiert. Dennoch müssen wir die regenerativen Energien und vor allem den Netzausbau weiter vorantreiben, um die Energiewende erfolgreich umzusetzen. Insbesondere im Offshorebereich gibt es derzeit noch einige Probleme. Anders als zuvor – klug auf dem Papier geplant und gedacht – stellen uns die Realität und der politische Alltag oftmals vor vielschichtige und ungeahnte Herausforderungen. Vor diesem aktuellen Hintergrund muss man sagen, dass der Antrag der SPD überzogen und an den Dringlichkeiten vorbei formuliert ist. Gern will ich das begründen: Vor allem im Offshorebereich gibt es noch viele Kapazitäten und wirtschaftliche Potenziale, die wir fördern wollen. Trotz bestehender Probleme beim Netzausbau und Netzanschluss -haben wir ein 5 Milliarden starkes KfW-Förderprogramm auferlegt, welches den Ausbau der Offshoreanlagen an unseren Küsten vorantreiben wird. Daher ist die im Antrag der SPD geforderte Öffnung dieses Kreditprogramms zugunsten der Hafen-infrastruktur falsch. Das Förderprogramm soll dazu dienen, den Ausbau der Windkraft und die Offshoretechnik voranzutreiben, und sollte keine weiteren Bereiche mit fördern. Das Volumen von 5 Milliarden wird schließlich vollumfänglich benötigt, wenn man bedenkt, was ein Offshorepark kostet – je nach Standort pro 1 installiertes Megawatt Leistung rund 2,5 Millionen Euro. Wir haben den Ausstieg aus der Atomenergie bis Ende 2020 beschlossen und benötigen zum Gelingen dieser Energiewende zweifelsohne einen großen Anteil Offshoreenergie. Diesbezüglich plant die Bundesregierung, bis 2020 eine Offshorewindkraftleistung von 10 000 Megawatt an der deutschen Küste installiert zu haben. Bis 2030 sollen es sogar zischen 20 000 bis 25 000 Megawatt sein. Für das Gelingen dieses ehrgeizigen Ziels benötigt der Offshoresektor politische Unterstützung, die er durch unser KfW-Programm erhält. Das zeitlich begrenzte Kreditprogramm wird vor allem dazu dienen, die Anschubfinanzierung in diesem Bereich erheblich zu unterstützen. Die von der SPD in ihrem Antrag geforderte Abzweigung von Geldern aus diesem -volumenmäßig begrenzten Programm halte ich daher für grundlegend falsch. Nichtsdestotrotz findet die Förderung der Hafen-infrastrukturen meine vollste Zustimmung. Häfen sind die Tore zur Welt und müssen sowohl über eine gut strukturierte Hinterlandanbindung verfügen als auch über optimale seewärtige Zufahrten. Aber deshalb haben wir ja auch das Nationale Hafenkonzept auf den Weg gebracht. Im Nationalen Hafenkonzept und in der Koalitionsvereinbarung sprechen wir uns für die vorrangige Bedeutung der Häfen aus und sehen den Ausbau der hafenrelevanten Verkehrsinfrastrukturen als ein Kernziel an. Zusätzlich muss man sagen, dass wir bereits mit Intensität daran arbeiten, die Probleme und Potenziale rund um den Offshore- und den maritimen Wirtschaftsbereich zu untersuchen. Auf Grund der Komplexität und der zahlreichen Komponenten, die bei der Errichtung eines Offshoreparks berücksichtigt werden müssen, geht so etwas allerdings nicht von jetzt auf gleich. Das Bundesumweltministerium hat bereits angekündigt, einen Fortschrittsbericht zu dieser Untersuchung Mitte des Jahres 2012 zu veröffentlichen. In diesem Bericht werden die Anforderungen für Häfen und Schiffe überhaupt erst einmal untersucht, und hier werden auch die angesprochenen Marktpotenziale zum Beispiel der Werften berücksichtigt. Der Antrag der SPD ist überflüssig, da die Bundesregierung bereits an einer Bedarfsanalyse im Bereich der Hemmnisse für die maritime Wirtschaft und den Offshoreausbau arbeitet. Diese Untersuchung wird die Ausbaupotenziale in diesen Bereichen aufzeigen und damit zusammenhängende Hindernisse identifizieren. Schließlich kann man sich erst mit hinreichenden Untersuchungen ein brauchbares Urteil bilden. Zusätzlich haben wir das bereits im Jahr 2009 verabschiedete Nationale Hafenkonzept, das ein strategischer Leitfaden für den Ausbau der See- und Binnenhäfen ist. Auch das angesprochene KfW-Programm sollte in diesem Umfang weiter bestehen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien als signifikanten Wirtschaftsfaktor weiter zu fördern. Vor allem die norddeutschen Länder spielen hier eine Schlüsselrolle, und daher begrüße ich die Zusammenarbeit der Bundesländer, des Bundes und der Branche. Die maritime Wirtschaft und die Offshorewindenergiebranche sind wichtige Partner unserer Energiewende und blicken gemeinsam mit uns für das selbe Ziel nach vorn. Allerdings bringen uns unbedachte Förderungen quer Beet, ohne zugrundeliegende Kenntnisse kein Stück weiter. Darum bitte ich Sie, liebe Kollegen der Sozial-demokratischen Partei, nicht zu vergessen, dass bei all den Förderungen und den stets von Ihnen geforderten Subventionen in diesen Bereichen auch immer über Steuergelder und Energiekosten der Bürger geredet wird. Wir wollen keinen Haushalt für unbedachte Versprechen überlasten. Daher ist der Antrag er SPD-Fraktion abzulehnen. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, dass die wirtschaftlichen Chancen, die der Ausbau der Offshorewindenergie für die deutsche Küste bringt, inzwischen auch von der SPD erkannt und sogar im Bundestag thematisiert werden. Für sozialdemokratische Verhältnisse ist das nämlich ziemlich zeitnah geschehen. Die CDU-geführte niedersächsische Landesregierung und die unionsgeführte Bundes-regierung schaffen auf diesem Gebiet durch eine hervorragende Zusammenarbeit und Abstimmung schon seit einigen Jahren Fakten – beeindruckende, überzeugende Fakten. Wie gut wir waren, zeigen die wirtschaftlichen Ergebnisse, die akribisch und bienenfleißig in dem Antrag aufgeführt werden. Uns von der Union überrascht ja nicht, dass wir eine hervorragende Wirtschaftspolitik machen. Für die Sozialdemokraten müssen diese Zahlen eine Offenbarung sein. So, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, geht es nämlich auch. Vieles, was in dem Antrag angesprochen wird, haben wir schon längst auf den Weg gebracht. Dabei waren wir in Niedersachsen viel besser als Landesregierungen mit SPD-Beteiligung. Und ich versichere Ihnen, dass das ganz sicher zuallerletzt an der Geografie lag. Niedersachsen hat nicht nur die Zeichen der Zeit erkannt, sondern entfaltet schon jetzt vielversprechende Aktivitäten für die Zukunft. Lassen Sie mich auf einige Aspekte ganz konkret eingehen, damit Sie sehen, dass sich im Norden etwas bewegt: Da der Seaports of Niedersachsen GmbH schon lange bewusst ist, dass umfangreiche Logistikdienstleistungen für die Windenergiebranche unvergleichliche wirtschaftliche Chancen für unsere Häfen eröffnen, geht sie offensiv und – wie ich meine – sehr strategisch vor. Ich kann die verdienstvollen Aktivitäten dieser Gesellschaft hier natürlich nicht alle aufzählen; das würde die Redezeit der CDU/CSU-Fraktion der nächsten Jahrzehnte aufbrauchen. Dennoch möchte ich auf einige Vorstöße aus den letzten Wochen hinweisen: Die Seaports of Niedersachsen GmbH war im April mit einem eigenen Messestand auf der Windenergiekonferenz EWEA in Kopenhagen vertreten. Vertreter von Unternehmen aus den Seehäfen Brake, Cuxhaven, Emden und Nordenham standen in der dänischen Hauptstadt potenziellen Kunden Rede und Antwort und präsentierten den Fachbesuchern ihre umfangreichen Logistikdienstleistungen. Diese beinhalten längst nicht mehr nur den klassischen Hafenumschlag und die Lagerung, sondern sind vielmehr komplexe Logistikprozesse geworden, die auch wertschöpfende Tätigkeiten am Produkt und das komplette Supply Chain Management mit einschließen. Unsere Unternehmen warten nicht auf irgendwelche Koordinationsprogramme mit SPD-Unterbezirken und Gewerkschaftsfunktionären, deren letzte praktische Tätigkeit in der Beladung von Stückgutfrachtern bestanden hat. Unsere Unternehmen legen los. Wie gut die Infrastruktur in unseren Häfen schon jetzt ist, zeigt die Professionalität, mit der eine 220 Tonnen schwere Kabelrolle mit einem Durchmesser von sieben Metern im Hafen von Emden von einem Coaster aus Norwegen mit einem Schwimmkran auf einen Spezialkabelleger verladen wurde. Dies hört sich zunächst vielleicht banal an. In Wirklichkeit aber haben hier die -Logistikspezialisten aus Emden einen sehr anspruchsvollen Auftrag perfekt abgewickelt. Wer dies einmal gesehen hat, weiß, wie gut unsere Häfen und Unternehmen aufgestellt sind. Auch anderswo geht es an der Küste voran: Das Terminal in Cuxhaven wird für Eon der Basishafen für die Installationsphase des Offshorewindparks Amrumbank. Deshalb hat Eon mit dem Betreiber des Cuxhavener Hafens eine Reservierungsvereinbarung für die Nutzung von Hafenflächen geschlossen. Eon will sich so Flächen im Hafengebiet und die exklusive Nutzung von einer der drei Kaianlagen in Cuxhaven für Montage, Transport und Lagerung von wichtigen Komponenten des Offshoreparks sichern. Unser Ministerpräsident David McAllister, der das Vorhaben sehr intensiv und in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit unserem Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Enak Ferlemann begleitet hat, hat die vorzüglichen Perspektiven Cuxhavens kurz und knapp zusammengefasst: „Die Unterzeichnung der Reservierungsvereinbarung von Hafenflächen für den Aufbau des Offshore-Windparks Amrumbank ist ein wichtiger Schritt, um Cuxhaven zunehmend als Hafen der Energiewende zu nutzen. Das stärkt die Rolle Cuxhavens als ein führender Offshore-Basishafen an der Nordsee.“ Besser kann man gar nicht sagen, dass es in Cuxhaven bald brummen wird. Selbstverständlich gehen durch die Offshorewindparks auch starke wirtschaftliche Impulse in die Stadt Wilhelmshaven und die benachbarten Kreise Wittmund und Friesland sowie die Wesermarsch. Das beeindruckendste Vorhaben hier ist das Engagement eines chinesischen Unternehmens, das in Wilhelmshaven rund 50 Millionen Euro investieren möchte. Es möchte am Nordhafen eine Montagebasis für schwere Stahlfundamente für Offshorewindkrafträder bauen. Im August soll mit dem Bau der 260 Meter langen und 45 Meter hohen Halle begonnen werden. Voraussichtlich werden hier mehr als 200 Arbeitsplätze entstehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass von dieser Investition eine erhebliche Ausstrahlung ausgehen wird. Man kann es auch anders formulieren: Die Region nimmt wirtschaftlich wieder Fahrt auf. Für uns von der Union ist aber auch klar, dass wir diese Entwicklung mit größter Aufmerksamkeit auch weiterhin verfolgen müssen, damit einzigartige Chancen für die Region nicht durch zögerliche und zu späte Entscheidungen vernichtet werden. Insofern passt es ganz gut, dass wir keine entsprechenden charakterlichen Neigungen haben. Ansonsten bietet der Antrag der Sozialdemokraten das, was diese Partei unter Wirtschaftspolitik versteht: Pläne, gesetzliche Vorschriften, Strategien, die mit diesem und jenem so lange diskutiert werden, bis die Zeit über sie hinweggegangen ist, und natürlich auch Selbstverständlichkeiten, die jeder normal denkende Mensch sowieso berücksichtigt. Manche glauben, dass solche Rezepte aus der sozialdemokratischen Mottenkiste kommen. Das ist aber ein gewaltiger Irrtum. So sieht die brandaktuelle Wirtschaftsvernichtungspolitik der Sozialdemokratie aus. Uwe Beckmeyer (SPD): Der Wechsel im Amt des Bundesumweltministers ist eine Chance – eine Chance für die Bundesregierung, zu zeigen, dass die Energiewende unter Schwarz-Gelb nicht komplett abgeschaltet wird. Seit Monaten streiten sechs Ministerien und drei Parteien mit viel Energie um den richtigen Kurs. Was fehlt, ist ein Konzept, das den Weg in die Stromversorgung der Zukunft weist. Dabei drängt die Zeit, und langfristige Projekte hätten längst angeschoben werden müssen. Das gilt für den Netzausbau, das betrifft aber auch den Aufbau des Zukunftsmarktes Offshorewindenergie. Der hektisch einberufene Energiegipfel im Kanzleramt nach dem unrühmlichen Ministerabgang ändert nichts daran, dass die Bundesregierung – allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel – beim Ausbau der Offshorestromerzeugung „offline“ ist. Und so war denn auch das Spitzentreffen in Berlin nur eine Showveranstaltung: große Worte, wenig Konkretes. Einziges Ergebnis: für die Energiewende braucht es mehr Tempo und mehr Abstimmung. Allein: Diese Erkenntnis ist nicht neu, und das Treffen kommt viel zu spät. „Nicht mehr als ein laues Lüftchen“ könnte die Überschrift über der Energiepolitik der Bundesregierung lauten. Der Ausbau der Offshorewindenergie wird aber nur gelingen, wenn die Netzanbindung der Windparks auf See endlich vorankommt und wenn ausreichende Hafenkapazitäten zur Verfügung stehen. Denn die Hafen-standorte in Deutschland sind bislang nicht genügend für Offshoreprojekte gerüstet. Dies droht die Entwicklung der gesamten Branche zu behindern. Dies gilt umso mehr, als der Neubau von Hafeninfrastruktur, abhängig vom Grad der Planungs- und Baureife, durchaus mehrere Jahre beanspruchen kann. Nach aktuellen Studien sind bis zum Jahr 2021 in Deutschland rund 33 000 Arbeitsplätze in der Offshorewindenergiebranche zu erwarten. Schon heute arbeiten rund 15 000 Menschen in diesem Segment. Das Wachstumspotenzial der Offshorewindenergie wird sich aber nur dann in Umsätzen und Jobs auszahlen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Doch die Bundesregierung hat beim Thema Offshoreanlagen den Anschluss verpasst. Weil die Energiewende zu schleppend vorangeht, sind Investitionen in die Offshorewindparks und die Infrastruktur gefährdet. Aufgrund der geringen Erfahrungen mit der neuen Technologie zögern viele Banken und Finanzinstitute derzeit, den Bau von Offshorewindparks zu finanzieren. Das Sonderprogramm „Offshore-Windenergie“ der KfW-Bankengruppe stehe ausschließlich zur Verfügung, um die ersten zehn Windparks vor der deutschen Nord- und Ostseeküste zu finanzieren. Um die Jahrhundertchance zu nutzen, die die Offshoretechnik für Norddeutschland bedeutet, ist aber eine breit angelegte Investitionsoffensive erforderlich. Die Bundesregierung muss sich endlich auf eine einheitliche Strategie zur Entwicklung der Offshore-Infrastruktur einigen und diese dann auch entschlossen umsetzen. Sie muss endlich den bereits für 2011 angekündigten Fortschrittsbericht „Offshore-Windenergie“ vorlegen und insbesondere im Hinblick auf die Hafenkapazitäten eine umfassende Bedarfsanalyse vornehmen. Vor allem aber muss sie dafür sorgen, dass das bestehende KfW-Programm für den Bereich der Hafen- und Schiffskapazitäten geöffnet wird. Die verfügbaren Mittel müssen bis zu einer Höhe von 10 Prozent des Gesamtvolumens vorrangig für Kreditvergaben in diesem Bereich verwendet werden, um damit den dringend erforderlichen Ausbau der Häfen zu finanzieren. Gemeinsam mit den Küstenländern und der maritimen Branche sollte die Bundesregierung zudem so bald wie möglich einen Expertenkreis einberufen, um weitere flankierende Maßnahmen zu erarbeiten. Dazu gehört es auch, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Anlagenteile der Offshorewindparks über schwerlast-fähige Verbindungswege an die Küste verschafft werden können. Die seewärtigen Zufahrten sind entsprechend dem sich entwickelnden Bedarf der Offshorewindbranche auszubauen. Notwendig sind aber auch einheitliche Standards beim Bau der Verkehrsinfrastruktur, um den Transport von großen Offshorekomponenten wie Turmsegmenten oder Rotorblättern über Land und auf Wasser schnell und ohne Komplikationen zu ermöglichen. Der Erfolg von Offshoreprojekten wird künftig wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, einen möglichst hohen Anteil der Arbeiten bereits an Land durchzuführen. Das kann helfen, die Bauzeit „offshore“ zu verringern und Kosten zu senken, was Investitionsentscheidungen positiv beeinflussen dürfte. Nur weil die schwarz-gelbe Bundesregierung das Thema Energiewende erst jetzt für sich entdeckt hat, heißt das nicht, dass wir die Zeit haben, wieder bei null anzufangen. Die Vorschläge für den Ausbau der Offshorewindenergie liegen längst auf dem Tisch. Die Bundeskanzlerin muss endlich aufhören, sie vom linken auf den rechten Stapel zu schieben. Deutschland kann es sich nicht leisten, beim Offshoreausbau abgehängt zu werden. Torsten Staffeldt (FDP): Die Energiewende ist beschlossen und auf dem Wege. Sie stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Um die aus dem beschlossenen Atomausstieg entstehende Versorgungslücke auszufüllen, müssen in den nächsten Jahren umfangreiche Investitionen in Energieeffizienz, neue Stromtrassen und die erneuerbaren Energien getätigt werden. Der Offshorewindenergie fällt beim zukünftigen Energiemix eine wichtige Rolle zu. Die verhältnismäßig starken und regelmäßigen Winde auf dem Meer versprechen ein immenses Energiepotenzial, das es zu heben gilt. Bis 2030 sind in Deutschland 25 Gigawatt an Offshorewindleistung geplant, was einer Leistung von 15 bis 20 Atomkraftwerken entspricht. Hierfür sind Investitionen von bis zu 75 Milliarden Euro notwendig. Die Offshoretechnologie ist eine große Chance für die vielerorts strukturschwachen Küstenregionen. Das erforderliche Know-how muss entwickelt und Produk-tionskapazitäten müssen geschaffen werden. Für den Bau und Betrieb sind Spezialschiffe nötig, die in Werften gebaut und an den Küstenstandorten bereedert werden müssen. Das führt vor Ort zu Beschäftigungseffekten und Steuereinnahmen. Die Küstenländer und ihre Bewohner können diese Aufgaben gut erfüllen, da sie seit Jahrhunderten den Blick seewärts gerichtet haben und mit dem Meer leben. Die Energiewende gibt es aber nicht zum Nulltarif. Neben den Stromkunden und den Energieversorgungsunternehmen sind auch Bund und Länder gefordert. Die Bundesregierung hat große Anstrengungen unternommen und ist ihrer Verantwortung gerecht geworden, indem sie Genehmigungsverfahren strafft und finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Das mit einem Kreditvolumen von 5 Milliarden Euro aufgelegte Sonderprogramm „Offshore-Windenergie“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau fördert die ersten zehn Offshorewindparks. Das Programm läuft bereits, und Auszahlungen sind auch schon getätigt. Damit können Erfahrungen bezüglich technischer Risiken gesammelt werden. Weitere Beispiele für die notwendige Unterstützung des Bundes ließen sich anführen. Das ist sehr beachtlich und keineswegs selbstverständlich, wenn davon ausgegangen wird, dass grundsätzlich Ertrag und Risiko in den Händen der Unternehmen liegen sollten. Von diesem ordnungspolitisch richtigen Prinzip weicht die Bundesregierung für die Realisierung der Energiewende aus guten Gründen bereits erheblich ab. Und natürlich ist eine angepasste Hafeninfrastruktur nötig, von der aus die Montage und Verschiffung der riesigen Komponenten durchgeführt werden kann. In diesem Punkt geht die Grundüberlegung des SPD-Antrags in die richtige Richtung. Sie müssen dabei aber auch immer im Auge behalten, dass Hafenpolitik und der Ausbau der Häfen in die Kompetenz der Länder fallen. Die entsprechenden Verantwortungen sollten nicht vermischt werden. Denn es ist zum Beispiel nicht in der Verantwortung des Bundes, dass es beispielsweise in meinem Bundesland Bremen dem rot-grünen Senat nicht gelingt, den notwenigen Offshorehafen in Bremerhaven zu bauen. Dabei geht es in Bremerhaven nicht nur um Geld. Für den Bau des Hafens sollen nämlich keine öffentlichen Mittel eingesetzt werden. Vielmehr soll ein privater -Investor gefunden werden. Offensichtlich besteht hier der Wunsch, die Risiken der privaten Investoren beim -Offshorehafenbau auf den Bund zu verlagern, vermutlich weil der rot-grüne Bremer Senat nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft ein attraktives Angebot zu realisieren. Leider zeigt uns der im Bau befindliche Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven zurzeit mehr als deutlich, welche Risiken bei einem Hafenausbau entstehen können. Ein weiteres Argument spricht gegen die Beteiligung des Bundes an Offshorehafenprojekten. Es muss doch jedem klar sein, dass derjenige, der zahlt, auch Einfluss auf den Hafen haben wird. Das ist eine logische Konsequenz. Wer glaubt, er kriege den Bund als Finanzier mit ins Boot, ohne dass dieser damit auch seinen Einfluss gelten macht, ist realitätsfremd. Die norddeutschen Bundesländer sollten sich sehr gut überlegen, ob ihr spezieller Status innerhalb des bundesrepublikanischen Gefüges, der nicht zuletzt auch aus der für Deutschland wichtigen Funktion der Häfen resultiert, leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte. Unter föderalen Gesichtspunkten sehe ich das kritisch. Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Bundeskanzlerin hat die Energiewende zu einem zentralen Projekt ihrer Regierung gemacht. Die Windenergie auf See mit sogenannten Offshoreanlagen bildet dessen Kern. Bis zum Jahr 2030 sollen 15 Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs auf See produziert werden. Doch diese Pläne der Bundesregierung stehen vor dem Scheitern. Ob das mit dem Austausch des Ministers abgewendet werden kann, weiß ich nicht. Für das Problem sind die großen Energiekonzerne verantwortlich. Sie haben viel versprochen, aber dann doch nicht geliefert. Seit Jahren gibt es einen Boom in der Offshorebranche. Aber es ist ein Planungsboom. Bauanträge wurden eingereicht und veraltete Genehmigungen immer wieder verlängert. Aktuell liegen für die deutsche Wirtschaftszone der Nord- und Ostsee 28 Genehmigungen von Offshorewindparks mit über 2 000 Anlagen vor. Anträge über weitere 93 Parks mit über 6 500 Anlagen befinden sich in der Bearbeitung. Wissen Sie, wie viele sich davon in Bau befinden? Grade einmal zwei Parks mit 160 Anlagen. Es gibt viele Fragen in Sachen Offshorewindenergie zu klären. Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD gehen aber schon davon aus, dass alles so kommt, wie es die großen Energiekonzerne planen. Das ist noch lange nicht ausgemacht. Aber egal. Es ist ja richtig, dass man sich mit der Frage beschäftigt, wie wir es eigentlich hinkriegen wollen, Tausende Windenergieanlagen aufs Meer zu transportieren und dort aufzubauen. Die Häfen und auch die Werften an den norddeutschen Küsten werden eine herausragende Rolle übernehmen, wenn die Offshorewindparks weiter wachsen. Es stimmt, dass die Hafenstandorte Deutschlands unzureichend auf die Offshoreprojekte eingestellt sind. Hier muss sich etwas tun. Hafenbau ist langwierig und schwierig. Der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven ist das Paradebeispiel. Viel, viel teurer als geplant, viel später fertig als vorgesehen und jetzt auch noch Pfusch am Bau. Darum ist es sinnvoll, sich rechtzeitig mit den Anpassungen der Häfen zu beschäftigen. Die SPD fordert deshalb zu Recht von der Bundesregierung, dass sie endlich den Fortschrittsbericht „Offshore-Windenergie“ vorlegt. Dieser war schließlich schon für 2011 angekündigt. Es ist richtig, wenn gefordert wird, dass der Bund sich in die Planung notwendiger Baumaßnahmen in Häfen stärker einmischt. Genauso richtig wäre es, wenn die Bundesregierung der Forderung nachkäme, das Nationale Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen weiterzuentwickeln. Die Vorlage von Fortschrittsberichten, die Unterstützung der Bundesländer bei ihren Planungen, die Vorlage von Markteinschätzungen und Treffen mit Branchenvertretern, das alles ist schön und gut. Aber es hilft am Ende nur, wenn auch das notwendige Geld für die wichtigen Aufgaben zur Verfügung steht. Mit Schuldenbremse und Milliardenausgaben für die Bankenrettung wird es das notwendige Geld nicht geben. Darum würden wir Ihren Antrag zur Schaffung einer modernen Hafeninfrastruktur gern mit einem Finanzierungskonzept unterlegen. Wir brauchen auch in der -Hafeninfrastruktur ein Investitionsprogramm zum Bau notwendiger Anlagen und zum Aufbau guter Arbeitsplätze in der Hafenwirtschaft. Gerade diese sind aktuell in der Offshoreindustrie nur selten zu finden. Der Bau von Hafeninfrastruktur ist häufig mit großen ökologischen Problemen verbunden. Herr Beckmeyer, Sie wissen um die Schwierigkeiten beim Projekt -Offshorehafen in Bremerhaven, mittendrin im FFH-Schutzgebiet. Das ist nicht akzeptabel und nicht notwendig. Ein weiterer Punkt: Sie wollen die seewärtigen Zufahrten ausbauen und meinen damit vermutlich die Vertiefung der Fahrrinnen von Weser und Elbe. Die Kosten dafür sind extrem hoch und die Risiken für die Menschen, die an den Flüssen leben, enorm. Das Ausbaggern der Flüsse ist nicht notwendig, wenn es eine vernünftige Kooperation zwischen den Häfen gibt. Moderne Infrastruktur in den Häfen? Ja, die wollen wir. Aber wir wollen eine Stromproduktion, die wir als Bürgerinnen und Bürger auch in der Hand behalten. Riesige Windparks auf dem Meer sind Geschäfte für Großinvestoren. Die öffentliche Hand soll die Infrastruktur bezahlen. und die Konzerne machen das Geschäft. Das ist nicht sinnvoll. Die Windenergiebranche ist nicht nur eine Offshore-branche. Windenergie an Land, betrieben von kommunalen Stadtwerken oder von Genossenschaften, ist ein vernünftiges Modell. Das erspart uns manche Groß-investition. Das stärkt den Mittelstand und bringt mehr Arbeitsplätze – auch an der Küste. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Offshorewindenergie ist eine wichtige Erneuerbare-Energien-Technologie und gewinnt weltweit an -Bedeutung. Etwa 40 Prozent der Menschheit lebt küstennah und benötigt dort viel Strom. Deshalb ist gerade für die an der Küste gelegenen Megacitys die Entwicklung der Offshorewindenergie zusammen mit anderen -Meeresenergietechniken von zentraler Bedeutung. Ein großer Teil der Atomkraftwerke liegt ebenfalls an den Küsten, was, wie in Fukushima zu sehen, fatale Folgen haben kann. Offshorewindenergie kann daher einen großen Beitrag leisten, die Bewohner der Küsten mit Strom zu versorgen und den Ausstieg aus der Atomenergie und den fossilen Energien zu ermöglichen. So hat die Entwicklung der Offshoretechniken nicht nur für die nationale Energiewende hohe Bedeutung, sondern auch als Exporttechnologie für die weltweit schnell wachsenden Windenergiemärkte. In Deutschland soll die Offshorewindenergie nach den Plänen der Bundesregierung eine tragende Säule der Energiewende werden. Bis 2020 sollen 10 Gigawatt Leistung installiert sein. Dass diese von Rot-Grün begründeten Planungen eingehalten werden können, glaubt jedoch niemand mehr. Zu viele Versäumnisse haben sich vor allem unter Schwarz-Gelb aufgetürmt. Da ist zum einen die Infrastruktur für den Ausbau der Offshore-Windenergie, bei der wir nur wenig Fortschritt sehen. Über die Probleme bei der Netzanbindung können wir seit Monaten in den Zeitungen lesen. Im November letzten Jahres hat der Netzbetreiber Tennet bekannt gegeben, dass sich die Anbindung der Windparks auf See über Jahre verzögern wird. Jedoch sind die notwendigen Aufgaben zur Offshorenetzanbindung nicht erst seit heute, sondern schon seit Jahren bekannt. Aber diese schwarz-gelbe Regierung handelte ähnlich wie die Flughafenbetreiber in Berlin nach dem Motto: Wenn sich keiner beschwert, wird es schon gut gehen. Bei der Netzanbindung kann man auch infrage stellen, ob es eine gute Idee war, die Verantwortung für die Netzanbindung der Windparks in der Nordsee einem -Unternehmen anzuvertrauen, welches die Anbindung aufgrund seiner Größe finanziell gar nicht stemmen kann. Vielleicht sollte man die Anbindungen neu ausschreiben. Auf jeden Fall müssen neue Wege der Finanzierung gefunden werden. Darüber hinaus muss, wie im Antrag der SPD gefordert, auch die weitere Infrastruktur koordiniert ausgebaut werden. Häfen, Werften und Spezialschiffe sind -nötig, um das Ausbautempo zu erhöhen. Neben der Infrastruktur müssen aber auch die weiteren Rahmenbedingungen stimmen. Das für die Offshoregenehmigungen zuständige Personal beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie wurde nach Jahren nun endlich aufgestockt. Aber die anderen Behörden, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, und ebenso die zuständigen Abteilungen in den Bundesministerien sind immer noch nicht mit ausreichend Personal aus--gestattet. Man könnte meinen, der Ausbau der Offshorewindenergie wurde für diese Regierung erst mit dem Atomausstieg ein echtes Ziel. Vorher galt die Devise: Verzögern durch Passivität. Jetzt läuft die Bundesregierung ihren Versäumnissen hinterher und die Zeit davon. Ganz zum Schaden von Unternehmen, wie Siemens, -wofür letztendlich die schwarz-gelbe Bundesregierung die Verantwortung trägt. Die Offshorewindenergie wird neben der Photovoltaik weltweit eine der wichtigsten Stützen im Gesamtkonzept der erneuerbaren Energien. Deutschland kann in der Offshorewindenergie, wie bei der Photovoltaik, eine technologische Vorreiterrolle einnehmen. Damit die Offshorewindenergie ihr enormes Potenzial verwirklichen kann, muss diese Regierung endlich die Zügel in die Hand nehmen und die Voraussetzungen schaffen. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9573 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Alle sind damit einverstanden. Dann ist es auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Polarregionen schützen – Polarforschung stärken – Drucksachen 17/5228, 17/9722 – Berichterstattung: Abgeordnete Ewa Klamt René Röspel Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Petra Sitte Krista Sager b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Dr. Valerie Wilms, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abkommen zum Schutz der Arktis unverzüglich auf den Weg bringen – Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Arktis – Drucksachen 17/6499, 17/7987 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Frank Schwabe Angelika Brunkhorst Sabine Stüber Dr. Hermann E. Ott Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen mir vor. Ewa Klamt (CDU/CSU): Bei der Entwicklung des Weltklimas spielen die Polarregionen eine entscheidende Rolle. Sie werden daher auch die Klimakammern der Erde genannt. Der Polarforschung kommt damit eine Bedeutung zu, die weit über das regionale Interesse hinaus wirkt. Nahezu täglich lesen wir neue beunruhigende Nachrichten über zunehmend schneller schmelzende und immer größere Eisflächen. Für das europäische Klima spielt insbesondere die Arktis eine entscheidende Rolle. Sie ist die Klima-küche Europas. Auch hier müssen wir feststellen, dass die -Temperaturen weiterhin ansteigen. Welche Folgen beispielsweise ein Auftauen des Permafrosts und die voraussichtlich damit einhergehende Freisetzung großer CO2-Mengen haben wird, muss erst noch erforscht -werden. Jüngste Erkenntnisse lassen befürchten, dass größere Methanmengen auch aus Seen, Fjorden und Moränen austreten, die die schrumpfenden Gletscher freigegeben haben. Die schonende und nachhaltige Nutzung der arktischen Ressourcen muss ebenfalls Gegenstand künftiger Forschung sein. Deutschland betreibt mit seiner Polarforschung sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis Unter-suchungen. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, AWI, koordiniert die deutsche Polarforschung mit großem international anerkanntem Erfolg. Als zentrales Forschungsinstitut für die Polar-regionen leistet es in der Helmholtz-Gemeinschaft im Rahmen der programmorientierten Forschung interdisziplinäre Arbeiten von hohem internationalem Stellenwert in den Polarregionen. 2011 hat das BMBF allein die Arktis-Forschung mit 32 Millionen Euro gefördert. Davon erhielt das AWI im Rahmen der institutionellen Förderung 25 Millionen Euro. 94 Millionen Euro erhielt das AWI insgesamt vom Bundesforschungsministerium. Zusätzlich standen 7 Millionen Euro im Rahmen der Projektförderung des BMBF für Vorhaben der Arktis-Forschung verschiedener Institutionen zur Verfügung. Dass dieser Betrag im laufenden Jahr um 5 Millionen geringer ist, liegt lediglich an einer einmaligen Anschaffung des Polarflugzeugs im Jahr 2011. Die Anzahl der geförderten Projekte hat sich nicht verringert. Diese Zahlen belegen, dass das AWI gut finanziert ist. Vor wenigen Tagen hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages den Weg für die neue maritime Forschungsflotte frei gemacht. Dafür wird die Bundesregierung in den kommenden acht Jahren rund 850 Millionen Euro bereitstellen. Besonders relevant für den Bereich der Polarforschung ist der Bau des Nachfolgers der in die Jahre gekommenen „Polarstern“, der bis zum Jahr 2017 mit einem Budget von 450 Millionen Euro realisiert werden soll. Bedauerlicherweise konnten internationale Kooperationspartner für die Finanzierung eines – wie vom Wissenschaftsrat vorgeschlagen – parallelen Einsatzes der alten und neuen „Polarstern“ nicht gefunden werden, sodass die parallele Erforschung von Arktis und Antarktis nicht umsetzbar ist. Nach Übergabe der neuen „Polarstern“ an die Wissenschaft wird daher der Verkauf der jetzigen „Polarstern“ angestrebt. Das AWI profitiert auch vom Pakt für Forschung und Innovation, der außeruniversitären Forschungseinrichtungen einen jährlichen Mittelzuwachs von 5 Prozent garantiert. Im Hinblick auf die Nachwuchsförderung hat sich insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Polarforschung verdient gemacht. Sie ist ein wichtiges Instrument interdisziplinärer Koordination und Zusammenarbeit. Entsprechend finden Kapazität und Expertise deutscher Polarforschung heute internationale Anerkennung. Festzuhalten ist, dass die Bundesregierung der he-rausragenden Bedeutung der Polarforschung bereits heute mit einer Vielzahl von Projekten, Programmen und Initiativen Rechnung trägt. Innerhalb des Rahmenprogramms „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Polarforschung mit circa 10 Millionen Euro je Projektförderung an außer-universitären Institutionen und Universitäten. Sie ist -Bestandteil der Erdsystemforschung. Eine Aufteilung in Einzelprogramme halten wir hier nicht für angezeigt. Zudem fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Polarforschung zusätzlich mit einem eigenen Schwerpunktprogramm „Antarktisforschung mit vergleichenden Untersuchungen in arktischen Eisgebieten“. Weiterhin finden Kooperationen auf europäischer Ebene unter anderem im Rahmen des Polar-Climate-Programms statt, die das Forschungsministerium derzeit mit 2,3 Millionen Euro fördert. International arbeitet Deutschland im Bereich der Arktis-Forschung insbesondere mit Russland zusammen. Ziel sind die effizientere Nutzung vorhandener In-frastruktur einerseits sowie die Sicherstellung des Zugangs deutscher Meeresforscher zu den relevanten Gebieten andererseits. Gemeinsam betreiben die beiden Partner das Otto-Schmidt-Labor für Polar- und Meeresforschung in St. Petersburg. In der von Ihnen geforderten internationalen Vernetzung, insbesondere auf europäischer Ebene, sind wir also bereits sehr gut aufgestellt. Die Kooperation und Koordination funktionieren. Ich bin überzeugt: Auch in Zukunft wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass internationale Vereinbarungen getroffen werden, die – analog zum Antarktis-Vertrag – die Freiheit der Forschung in der Arktis-Region garantieren. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Die Arktis ist ein Lebensraum, der genauso einzigartig wie sensibel ist. Hier macht sich der Klimawandel besonders drastisch und stark bemerkbar. Die Durchschnittstemperatur in dieser Region der Erde steigt, die Eisberge schmelzen, die Meereisbedeckung sinkt. Wechselwirkungen mit dem globalen Klima sind nicht ausgeschlossen. Mit den klimatischen Veränderungen einher geht der freiwerdende Zugang zu Schifffahrtsrouten und Ressourcen. Die Arktis verfügt über gewaltige Öl- und Gasvor-kommen, die ihrerseits wiederum den Klimawandel beschleunigen. Kurzum: Die Arktis ist zur Zielscheibe wirtschaftlicher und verkehrspolitischer Interessen geworden. Die menschlichen Aktivitäten in der Arktis nehmen zu. Ihr Schutz erscheint dringender denn je. Dem vorliegenden Antrag der Grünen halte ich zugute, dass er diese Grundproblematik und die damit verbundenen Probleme weitestgehend korrekt beschreibt. Die Ausschussberatungen haben deutlich gemacht: Wir sind uns darin einig, dass nichts getan werden darf, was das ökologische Gleichgewicht und die Ökologie der Arktis gefährdet. Dies gilt im Übrigen für alle Meere. Deutschland ist bereit, seinen Beitrag für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Arktis zu leisten. Da der Schutz der Arktis jedoch über Umweltschutzinteressen hinausgeht, ist ein abgestimmtes Handeln innerhalb Deutschlands erforderlich – eingebettet in die Aktivitäten der EU. Gerne möchte ich an dieser Stelle die Bundesregierung in ihren Bemühungen bestärken, eine übergreifende, eigene Arktis-Strategie zu entwickeln. Neben den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit soll hier insbesondere die Forschung im Vordergrund stehen. An dieser Stelle möchte ich das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung als eines der weltweit anerkannten Polarforschungsinstitute hervorheben. Die deutsche Polarforschung wird durch eine Vielzahl von Projekten gefördert. Sie ist auf ihrem Gebiet international führend. Darüber hinaus nimmt Deutschland an den Beratungen des Arktischen Rats teil, des gemeinsamen Konsultationsgremiums der acht Staaten mit Gebieten – Land und Wasser – nördlich des Polarkreises. Hier verfügen wir nur über einen Beobachterstatus, denn wir reden bei der Arktis nicht über eigenes Territorium. Es gibt fünf Anrainerstaaten – Dänemark/Grönland, Russische Föderation, Kanada, Norwegen, USA –, die über ihr arktisches Territorium souverän entscheiden. Diese Staaten lassen sich ihr Handeln auf eigenem Territorium nicht diktieren. Dies beschränkt auf natürliche Weise unsere Einflussmöglichkeiten; das müssen wir anerkennen. Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis, wenn wir glauben, andere Staaten zu einem bestimmten Handeln auf ihrem eigenen Territorium zwingen zu können. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei. Dieser Umstand wirkt sich auch auf die Kernforderung des Antrags nach einem Arktis-Vertrag aus, eine überaus schwierige Forderung. Ein Arktis-Vertrag soll, so fordern die Grünen, nach dem Vorbild des Antarktis-Vertrags von 1959 ausgehandelt werden und die wirtschaftliche Ausbeutung durch die Anrainerstaaten verhindern. Der Vergleich hinkt: Im Gegensatz zur Arktis hat in der Antarktis kein Staat direkte Ansprüche angemeldet; hier gibt es keine nennenswerten Rohstoffe oder Verkehrswege. Solange also der Abschluss eines solchen Arktis-Vertrags durch die Anrainerstaaten, über deren Hoheitsgebiet wir reden, nicht realistisch ist, werden auch Beschlüsse des Deutschen Bundestages dieses Ziel nicht erreichen können. Wichtig ist und bleibt, dass Deutschland weiterhin mit Nachdruck seine Interessenlage in die Gespräche mit den Anrainerstaaten einbringt und die Arktis als gemeinsames Erbe der Menschheit erhalten bleibt. Hier ist die Bundesregierung aktiv und bestrebt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein Optimum an Schutz für die Arktis sicherzustellen. Hier kann sie auf unsere volle Unterstützung zählen. Den Eindruck, den der Antrag der Grünen erwecken will, die Bundesregierung würde ausschließlich die wirtschaftliche Ausbeutung der Meere verfolgen und den Schutz der Arktis vernachlässigen, verkennt eindeutig die Realität. Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung der Arktis aufmerksam und verantwortungsbewusst: mit Blick auf die ökonomischen Chancen und auf den Schutz des sensiblen Ökosystems. Konkret wirkt Deutschland beispielsweise aktuell an der Ausarbeitung internationaler Sicherheitsstandards mit. Das Ziel ist ein verbindlicher Polar Code im Rahmen der International Maritime Organization, IMO. Dessen Fertigstellung scheint bis 2014 möglich zu sein. Bei der Gestaltung des Umweltkapitels des Polar Codes hat sich das Umweltbundesamt, UBA, bereits aktiv einbringen können. Der Schutz der Arktis ist ein wichtiges Thema. Deutschland nimmt Einfluss – im Interesse der Arktis und im Rahmen seiner Möglichkeiten. Den uns vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir ab. Obwohl dieser in Teilen über gute Ansätze verfügt, zeugt er schlussendlich von Unkenntnis der rechtlichen Situation und ist aus diesem Grund nicht hilfreich. Hingegen danken wir der Bundesregierung und dem Bundesumweltministerium für ihre Bemühungen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Arktis und sichern weiterhin unsere umfassende Unterstützung zu. René Röspel (SPD): Nach unseren Diskussionen im Plenum und Ausschuss kann man wohl sagen, dass alle hier vertretenen Fraktionen die Überzeugung eint, dass die Polarforschung einen wichtigen und notwendigen Forschungszweig darstellt. Mit Freude habe ich darüber hinaus wahrgenommen, dass alle Fraktionen ebenfalls das Ziel unseres Antrages, die Polarforschung weiter zu stärken, unterstützen. Bei der Entscheidung über die notwen-digen Instrumente zur Stärkung der Polarforschung verabschiedet sich hingegen die Regierungskoalition aus der Einigkeit der Fraktionen. Für das Jahr 2012 hat die Bundesregierung circa 12 Millionen Euro als Projektförderung für die Meeres- und Polarforschung eingeplant. Das begrüßen wir als SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich. Doch angesichts der zu stemmenden Herausforderungen, insbesondere im Bereich des Klimawandels, wird diese Summe nicht ausreichen. Als SPD-Bundestagsfraktion fordern wir in unserem Antrag deshalb eine Verstärkung der nationalen Mittel. Eine zentrale Rolle spielen wie so häufig die Menschen. Ich weiß, dass viele junge Menschen gerne engagiert und begeistert in diesem Bereich arbeiten und forschen würden. Aber es fehlt an Stellen und damit an Perspektiven. Deshalb fordern wir eine verstärkte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auch in diesem Bereich. Da kann doch ernsthaft auch die Regierungskoalition nichts dagegen haben. In meiner letzten Rede zum Thema habe ich bereits auf die wissenschaftliche Notwendigkeit einer ganzjährigen Polarforschung in der Arktis und Antarktis hingewiesen. Möglich würde dies zum Beispiel durch die zeitlich begrenzte Parallelnutzung der Forschungsschiffe „Polarstern I“ und der neu zu bauenden „Polarstern II“. Der Wissenschaftsrat hat diese Parallelnutzung ebenfalls vorgeschlagen. Arktis-Forschungsfahrten im Herbst, Winter und frühen Frühjahr würden helfen, die dringend notwendigen Klima- und Meereismodelle zur Ermittlung zukünftiger Entwicklung zu optimieren. Diese notwen-digen Messungen können aktuell nicht erhoben werden, da die „Polarstern I“ in diesem Zeitraum normalerweise in der Antarktis unterwegs ist und andere Forschungsschiffe für den ganzjährigen Arktis-Einsatz nicht einsetzbar sind. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, hat sich nun in der aktuellen Gesamtschiffsstrategie gegen die parallele Nutzung zweier Schiffe ausgesprochen. Als SPD-Bundestagsfraktion halten wir diese Entscheidung für falsch. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass fast alle europäischen Staaten eigene Polarforschungsprogramme haben, gleichzeitig aktuell aber nur die Schweden einen eigenen Forschungseisbrecher besitzen, hätte Deutschland somit durch die Bereitstellung von Forschungsschiffszeiten eine koordinierende Rolle in Europa -einnehmen können. Diese Chance für den Forschungs-standort Deutschland nutzt das BMBF leider nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, warum steuern Sie bei diesem Thema nicht gegen? In der Gesamtschiffsstrategie schreibt das BMBF, dass die Regierung plant, die „Polarstern I“ zu verkaufen. Ein Käufer wird sich sicherlich finden. Denn nicht ohne Grund beneiden uns viele Staaten um die „Polarstern I“. Aber wir sollten hier nichts überstürzen. Ein Verkauf sollte erst vonstatten gehen, wenn klar ist, dass die „Polarstern II“ ein ebenso gelungenes Forschungsschiff ist wie ihre Vorgängerin. Schiffbauliche Nach-besserungen können wir uns nicht leisten. Deshalb ist die enge und gute Zusammenarbeit des Alfred-Wegener-Instituts, des BMBF, der noch zu beauftragenden Reederei und Werft so wichtig. Nur so wird gewährleistet, dass die neue „Polarstern II“ auch wirklich wie angekündigt 2017 in See stechen kann. Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir diesen Prozess weiter positiv-kritisch begleiten. In unserem Antrag sprechen wir uns als SPD-Bundestagsfraktion für ein fokussiertes europäisches Polarforschungsprogramm innerhalb „Horizon 2020“ aus. Die Koalition lehnt diese Forderung ab. Wieso, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. In der Wissenschaftscommunity wird nach einem europäischen Arktis-Forschungsprogramm und damit nach einer politischen Aufwertung der europäischen Polarforschung gerufen. Um die Chancen dafür zu erhöhen, benötigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber die politische Unterstützung insbesondere der Bundesregierung. Leider warten sie auf diese bisher vergebens. Das muss sich ändern! Am Ende meiner Rede möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, der mich in der Diskussion über die Polarforschung erschreckt hat. Bei der ersten Lesung spekulierte ein Kollege aus der CDU/CSU ganz offen über die Chancen der unerschlossenen natürlichen Ressourcen der Arktis. Dabei müssten doch eigentlich alle wissen, wie sensibel dieses Ökosystem ist. Wollen wir dies wirklich für kurzfristige wirtschaftliche Interessen aufs Spiel setzen? Die Forderungen nach einem stärkeren Schutz der Arktis, die sich unter anderem in dem uns hier vorliegenden Grünen-Antrag wiederfindet, können wir als SPD-Bundestagsfraktion deshalb nur voll unterstützen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der -Regierungsfraktionen, kann ich für beide hier vorliegenden Anträge aus diesen Gründen nur ans Herz legen: Stimmen Sie zu! Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Wie der Kollege Röspel schon deutlich gemacht hat, hat der Antrag „Polarregion schützen – Polarforschung stärken“ in der Grundbewertung in der ersten Lesung und im Ausschuss auch bei den übrigen Fraktionen des Bundestages eine positive Beurteilung und Unterstützung bekommen. Wir sind uns auch darin einig, dass die Polarforschung in Deutschland traditionell eine starke Position und eine sehr hohe Leistungsfähigkeit hat. Dies bezieht sich nicht nur auf die langjährigen Forschungen, bei denen Deutschland echte Pionierleistungen erbracht hat, sondern auch auf das europa- und weltweite Ansehen exponierter deutscher Forschungsinstitutionen wie zum Beispiel das Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung in Bremerhaven oder auch das Institut für Meereswissenschaften/GEOMAR in Kiel, auf die ich als norddeutscher Abgeordneter und häufiger Besucher dieser Einrichtungen besonders stolz bin. Wenn wir seinerzeit, jetzt schon vor einem Jahr, mit diesem Antrag eine zusätzliche Initiative ergriffen haben, so will ich hierzu noch einmal vier Punkte deutlich und konzentriert -zuspitzen: Erstens. Zu den schriftlichen Debattenbeiträgen der ersten Runde hier im Parlament wurde von den Regierungsfraktionen vielfach darauf hingewiesen, dass Deutschland ja gar nicht unmittelbarer Anlieger von Arktis und Antarktis sei. Das ist natürlich richtig, ändert aber doch nichts an der Bedeutung dieser Aufgabe und den Chancen, die gerade auch für die deutsche Mitwirkung an der Polarforschung und dem Polarschutz liegen, in der Rolle als beobachtende und beratende Teilhaber an den Forschungsanstrengungen, aber genauso an den ökonomischen Perspektiven, die sich auftun und die bereits jetzt zu intensiven Kooperationen, aber auch Konkurrenzen zwischen den verschiedenen Anliegerstaaten speziell bei der Arktis geführt haben. Die -Aussicht auf ganz andere Verkehrsverbindungen und Transportwege wie auf Rohstoffe zur Energieversorgung oder auch auf seltene Metalle etc. lässt diese Konkurrenz absehbar noch stärker anwachsen. Umso wichtiger ist uns – und hierauf wollten wir auch mit unser Initiative und den darin enthaltenen Forderungen noch einmal deutlich hinweisen –, dass Europa im Forschungsbereich die Möglichkeiten nutzt, sich hier seinerseits in Verantwortung für Verständnis, Erklärung und Projektion ganz wichtiger klimatischer und ökologischer -Zusammenhänge zu positionieren, dieses aber auch einzubringen in die Forschungsarbeit, die von unmittel--baren Anliegerregionen und -nationen – speziell wie Russland und den USA – an vorderster Interessenlage mit geleistet wird. Europa kann damit auch seinen Teil dazu beizutragen, über Forschung nicht nur Problembewusstsein, sondern auch Kooperationsbereitschaft zu stärken. Dieses ist das eigentliche politische Anliegen, das wir mit der Forderung verbinden, die Polarforschung mit einer sehr prominenten Perspektive im 8. Europäischen Forschungsrahmenprogramm, dem sogenannten Horizon 2020, zu verankern. Wenn Sie allerdings in die wichtigsten Dokumente, die hierzu bisher vorgelegt worden sind, hineinschauen, dann sehen Sie, dass, wie die Kolleginnen und Kollegen in der bisherigen Debatte richtig angesprochen haben, es dort einen Schwerpunkt Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Rohstoffe unter den sechs genannten gesellschaftlichen Herausforderungen für die Kommission gibt, aber in den einschlägigen Dokumenten der Europäischen Kommission vom 2. Dezember 2011 eben die Polarforschung und die Konzentration auch auf die -Probleme, die sich gerade um die Pole und speziell die Arktis ergeben, nicht herausgestellt werden. Deshalb geht die Forderung auch nicht dahin, an erster Stelle ein eigenes Polarforschungsprogramm zu machen, sondern wir haben bewusst vom fokussierenden Polarforschungsprogramm gesprochen, und das heißt hier, sich in der allgemeinen Klimaforschung eben besonders auch auf die Polarforschung zu konzentrieren. Dass dieses notwendig ist, zeigt sich nicht nur in den Dokumenten der Kommission vom 2. Dezember 2011, sondern auch in einem Beschluss des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation, bei dem weder in dem Teil, der die internationale Zusammenarbeit anführt, speziell Projekte der Polarforschung benannt worden sind, wohl aber solche der Raumfahrt, der seltenen Krankheiten oder der Biowirtschaft, noch in dem Teil des Dokumentes, der vor allem die führende Rolle der Industrie mit herausarbeitet und dort allerdings die maritimen Industrien leider nicht mit benennt. Allein aus diesem Grund werben wir noch einmal -dafür, dass sich auch die Bundesregierung in ihren Beratungen gegenüber der Europäischen Kommission und auch in den Ministerräten sehr nachdrücklich dafür einsetzt, die Polarforschung als ein Fokusthema stärker -herauszuarbeiten. Zweitens. Einigkeit herrschte in der ersten Debattenrunde zu unserem Antrag im Juni letzten Jahres auch -darüber, wie wichtig die Verfügbarkeit von guten eisbrechenden Forschungsschiffen ist. Es war unser Kollege René Röspel, der daran erinnerte, dass nicht zuletzt in so renommierten Organen wie der US-amerikanischen Zeitschrift „Nature“ zu lesen war, dass das Polar Research Board der US-amerikanischen National Academy of -Science in einem Bericht dazu aufgefordert hatte, die Forschung an beiden Polen stärker zu verzahnen. Durch mehr bipolare Forschung besteht die Chance auf schnellere Ergebnisse über die Auswirkungen des Klimawandels. Dass sich diese schnelleren Ergebnisse gerade an den Polen gewinnen lassen, ist ja auch dadurch evident, dass die Pole nicht nur Treiber des Klimawandels sind, sondern auch in besonders drastischer Weise aufzeigen, was sich im Umfeld des Klimawandels an Veränderungen vollzieht und welche Rückwirkungen auf andere Ökosysteme, auf den Zustand der Ozeane, auf die Belastungen der Ökosphären und maritimen Küstenzonen zu erwarten sind. „Polarforschung first“ ist deshalb vielleicht für eine wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Argumentation zu sehr verkürzt, trifft aber unseres Erachtens e-inen entscheidenden Punkt, nämlich die zeitliche Priorität, die Polarforschung im Gesamtkonzept von Polar-, Meeres- und Küstenforschung im engeren Sinne und Klimaforschung im weiteren Sinne auch haben sollte. Ganz konkret hat deshalb auch der deutsche Wissenschaftsrat in seiner Stellungnahme vom Jahresanfang 2011 zu den deutschen Forschungsschiffen darauf hingewiesen, dass zwei eisbrechende Forschungsschiffe, die beide Polargebiete ganzjährig erforschen könnten, sehr sinnvoll seien. Denn aktuell wird die „Polarstern“, dieses unverwüstliche und hochleistungsfähige deutsche eisbrechende Forschungsschiff, für die gesamte Bandbreite der Meeresforschung in der Arktis und Antarktis eingesetzt. Sie diente sowohl der Antarktis-Station Neumeyer III wie der Koldewey-Station auf Spitzbergen als Versorgungsschiff und nähert sich damit allmählich der Grenze für ihre schiffbaulich und wirtschaftlich sinnvolle Nutzung, auch wenn sie von 1998 bis 2002 noch einmal eine gute Generalüberholung erfahren hat. Nun hat die Ministerin kürzlich verkündet und der Haushaltsausschuss des Bundestages hat es entsprechend beschlossen, dass noch in diesem Jahrzehnt drei neue Forschungsschiffe auf Kiel gelegt und fertiggestellt werden sollen. So soll die „Sonne“ für Wilhelmshaven 2015 fertig sein, das Ersatzschiff für die „Polarstern“ in -Bremerhaven 2017 und eine Nachfolgerin für die Hamburger „Meteor“ 2020. Dieses ist sicherlich ein ambitioniertes, aber auch notwendiges Programm für dieses Jahrzehnt. Mit unserem Antrag wollen wir seitens der SPD-Fraktion dennoch einmal mehr darauf drängen, für eine begrenzte Zeit zwei eisbrechende Forschungsschiffe zur Verfügung zu stellen und damit neben der neuen „Polarstern“, die in 2017 fertiggestellt sein soll, eben auch die alte „Polarstern“ für eine tragfähige Zeit weiter zu betreiben, um damit mindestens für ein vier- bis fünfjähriges Zeitfenster eine ganzjährige Forschung an beiden Polen möglich zu machen. Dieses wäre eine sehr große Chance und fast eine Verpflichtung, angesichts der rasanten Veränderung in der Sphäre den Polen die entsprechenden Forschungskapazitäten und Gerätschaften gleichzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen. Drittens. Kritiker der letzten Debatte, so unter anderem die Kollegin Sitte von der Fraktion Die Linke, haben gegenüber dem SPD-Antrag eingewandt, dass dort zwar von der Stärkung der Polarforschung, aber nicht ausreichend vom Schutz der Polarregion die Rede war. Nun meinen wir allerdings, dass unter Forschungsgesichtspunkten die Stärkung der Polarforschung eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, um dann politisch die -Polarregionen besser zu schützen, zumal wenn der Forschungsansatz die ganze Breite mit einschließt und entwickelt, die jetzt schon von vielen Forschungsmissionen mit ausgefüllt wird. Wir unterstützen auch nachdrücklich, wenn der Bundesaußenminister bei verschiedenen geeigneten Gelegenheiten, so unter anderem bei der Zweiten Internationalen Arktiskonferenz des Auswärtigen Amts im Jahr 2011, deutlich gemacht hat, dass der arktische Ozean als gemeinsames Erbe der Menschheit zu erhalten ist und die Forschung nicht durch künftige wirtschaftliche Nutzung der Arktis eingeschränkt werden darf. Gleichzeitig wissen wir, dass das ressourcenökonomische Erfordernis wie der wirtschaftliche Druck auf die Nutzung von Energiequellen und Bodenschätzen wachsen wird und deshalb höchste Anforderung nicht nur an die rechtliche und politische Klärung von Umweltschutzerfordernissen zu stellen sind, sondern es auch eine höchste technologische Qualität geben muss, damit in der Exploration von Bodenschätzen und Energieressourcen nicht eine unwiederbringliche Zerstörung in der Arktis stattfindet. Wir brauchen ganz hohe Umweltschutzauflagen, wir brauchen umfassende Schutzzonen, und wir brauchen höchsten technologischen Standard dort, wo ökonomische Interessen befriedigt werden. Aus diesem Grunde muss zumindest in dieser Debatte darauf hingewiesen werden, dass über die Verstärkung der Polarforschung und den Schutz der Polarregionen durch entsprechende Forschung auch die Seite der maritimen Technologien mit im Auge zu behalten sein wird. Schaut man in einschlägige Organe von Unternehmen und Initiativen aus der maritimen Industrie, wird schnell sichtbar, dass hier ein großer, auch ökonomisch relevanter Sektor an industriellen Ausrüstungsgütern aufgebaut wird, der noch viel mehr politische und öffentliche Aufmerksamkeit verdient. Ein Beispiel hierfür ist die Technologieplattform „Polar“ aus Mecklenburg Vorpommern in Rostock, wo in einem umfassenden Konsortium von Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft unter dem Stichwort „Polar“ ein Baukasten von zentralen Systemkomponenten für Transport, Lagerung und Verarbeitung von Energieträgern und Rohstoffen entwickelt wird, dessen Fokus gerade auf Regionen mit extremen Umweltbedingungen gelegt wird, wie sie typischerweise im Nordatlantik, im Nordpolarmeer und in der Antarktis vorkommen. Wenn wir aber die Polarregionen bei den sich zwangsläufig abzeichnenden Formen der wirtschaftlichen Erschließung und Ausbeutung weiterhin schützen wollen, so müssen gerade an die Technologieträger im maritimen Bereich die größten Umweltstandards und -Sicherheitsstandards angelegt werden. Auch dieses ist forschungsrelevant, und hier müssen die klassische -Polarforschung und die maritime Technologie noch enger zusammenarbeiten. Die SPD wird dieses Engagement für höchste Qualität bei den maritimen Technologien noch in weiteren Initiativen und Anträgen untermauern. Viertens. Als die SPD-Bundestagsfraktion vor einiger Zeit einen Workshop mit Fachleuten aus dem Bereich der Meeres- und Polarforschung veranstaltete, kamen nicht nur die große Attraktivität diese Forschungsgebietes zur Sprache, sondern auch die hohen Anforderungen, die an das wissenschaftliche und technische Personal im Bereich von Polar- und Meeresforschung gerichtet sind. Weil Forschung nur so gut sein kann, wie die Forscherinnen und Forscher Exzellenz haben, möchten wir an dieser Stelle noch einmal eine koordinierte und gezielte Nachwuchsförderung für dieses zukunftsträchtige Forschungsgebiet ansprechen. Dazu gehören dann allerdings nicht nur die internationale Öffnung und der Ausbau von Mobilität junger Forscherinnen und Forscher, sondern auch die Unterstützung dieser ambitionierten jungen Wissenschaftler bei einer verlässlichen Lebensplanung, die durch lange Forschungsaufenthalte ohnehin schon stärker belastet ist, als dies bei anderer, stärker ortsgebundener Forschung der Fall ist. Dies darf sich dann nicht nur auf die Spitzenkräfte beziehen, sondern muss genauso den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Doktoranden mit einbeziehen. Hier sind wir dann bei vermeintlich banalen Themen wie den Wissenschaftszeitvertragsregelungen oder dem sogenannten Wissenschaftsfreiheitsgesetz, bei der Frage von Verträgen, Laufzeiten und Finanzierungen. Dieses Anliegen wird uns über die Polarforschung hinaus auch beschäftigen, wenn es demnächst zur Debatte über Aufgaben und Schwerpunkte der Meeresforschung kommen wird, für die wir auch einen Antrag in dieses Parlament eingebracht haben, und wenn wir die Hardwaregesetze zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses diskutieren werden. Gerade weil die Zukunft der Pole und der Meere von existenzieller Bedeutung für das Klima und damit das Leben der Menschheit auf diesem Planeten ist, bringen wir von der SPD-Fraktion diese Forschungsfragen immer wieder in das Parlament ein. Dass unsere Anträge diesmal noch nicht die Zustimmung der Regierung finden konnten, bedauern wir. Es wird uns nicht daran hindern, konstruktiv-kritisch das zu begleiten, was die Bundesregierung unserer Auffassung nach mit noch größerer Anstrengung und klareren Perspektiven zum Schutz von Polen, von Meeren und des Klimas betreiben muss. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Die Polarregionen sind außerordentlich wichtige Gebiete; das ist in diesem Antrag durchaus eindrucksvoll beschrieben. Ihre Bedeutung hat in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit dem Klimawandel und aufgrund geopolitischer Entwicklungen noch zugenommen. Dass es sinnvoll ist, die Polarregionen weiterhin zu erforschen, ist unbestritten. Die Frage ist aber, ob Deutschland jetzt wirklich ein eigenes Polarforschungsprogramm braucht. Aus unserer Sicht ist ein eigenständiges Polarforschungsprogramm, wie es die SPD in ihrem Antrag fordert, nicht zielführend. Denn einerseits haben wir bereits mit dem Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklungen“, FONA, des BMBF ein Programm, mit dem die Polarforschung stark gefördert wird. Im Rahmen dieses Programms fließen etwa 10 Millionen Euro pro Jahr in Projekte zur Erforschung beider Polarregionen, der Arktis und der Antarktis. Andererseits existiert mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung eine bundesfinanzierte Institution mit hervorragender technischer Ausstattung und wissenschaftlicher Kompetenz. Neben der nationalen Förderung gibt es außerdem eine europäische Förderung. Aus dem Umweltteil des laufenden europäischen Forschungsrahmenprogramms werden auch Polarforschungsprojekte gefördert, an denen deutsche Forschungseinrichtungen ebenfalls partizipieren. Der Wissenschaftsrat hat in seinem Gutachten „Empfehlungen zur zukünftigen Entwicklung der deutschen marinen Forschungsflotte“ bestätigt, dass Deutschland in der Polarforschung international eine führende Rolle einnimmt. Deutschland verfügt wie nur wenige andere Staaten über ein modernes Forschungsschiff, das die Arktis befährt – das Forschungsschiff „Polarstern“. Es ist Teil der deutschen Forschungsschiffflotte, die im europäischen und internationalen Vergleich als sehr stark und leistungsfähig gilt. Das Gutachten des Wissenschaftsrats, das dem SPD-Antrag offensichtlich zugrunde liegt, empfiehlt aber keineswegs eine bevorzugte Förderung der Polarforschung. Vielmehr weist der Wissenschaftsrat darauf hin, dass die maritime Forschung und die ihr dienende Forschungsschiffflotte auf die langfristigen Forschungsfragen ausgerichtet sein sollten. Der Wissenschaftsrat stellt fest, dass zwar momentan die Polarforschung sehr aktuell ist, dass aber nicht absehbar ist, welche Forschungsfragen sich mittel- und langfristig als besonders wichtig erweisen werden. Deshalb soll die maritime Forschung auch in anderen Bereichen auf hohem -Niveau gehalten werden, zum Beispiel die Meeresbodenforschung, die Tiefseeforschung oder die Küstenforschung. Auch diese Bereiche sind für Deutschland von großem Interesse. Die Küstenforschung spielt eine wichtige Rolle bei der Errichtung von Offshorewindparks. Die Tiefseeforschung erschließt neue Potenziale durch die Erkundung und Erforschung mariner Ressourcen wie zum Beispiel Mangan, Edelmetalle oder Gashy-drate. Eine weitere Priorisierung der Polarforschung ist deshalb aus unserer Sicht nicht angebracht; vielmehr geht es um eine Gesamtstrategie für die deutsche Meeresforschung. Abschließend weise ich darauf hin, dass die deutsche Polarforschung in die europäische und internationale Forschungslandschaft eingebettet ist. Deutschland ist Mitglied im 1995 gegründeten European Polar Board, EPB. Hier werden gemeinsam die strategischen Prioritäten für die Forschung in Arktis und Antarktis festgelegt. Diese internationale Zusammenarbeit halten wir für richtig und zukunftsweisend. Die Zusammenführung von nationalen Projekten, die Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern in internationalen Projekten und einen verstärkten Informationsaustausch über Projekte, Programme und Ergebnisse halten wir für wichtiger als das Auflegen neuer Polarforschungsprogramme – sei es in Deutschland oder in der EU. Die SPD geht in ihrem Antrag nur im Ansatz auf die Synergieeffekte einer europäischen und internationalen Kooperation und Koordination ein. Darin liegt aber das Potenzial für eine intensivere und verbesserte Polarforschung. Hier müssen und wollen wir das Potenzial auch abrufen. Der Antrag wird diesem Anspruch nicht gerecht. Deshalb lehnen wir ihn ab. Angelika Brunkhorst (FDP): Die Arktis zählt zu den letzten nahezu unberührten Regionen der Erde, ein sensibles Ökosystem, das stark vom Klimawandel bedroht wird. Die Eismassen des Nordpols schmelzen immer schneller. Unter dem gewaltigen Eispanzer der Arktis ruhen beträchtliche Ressourcen, die bei den Anrainerstaaten Begehrlichkeiten -wecken: Edelmetalle, Seltene Erden, Erdöl- und Erdgasreserven, die weltweit knapp werden. Zudem eröffnen die schmelzenden Eisflächen neue Perspektiven für Schiffspassagen durch bisher unzugängliche Regionen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Abkommen zum Schutz der Arktis unverzüglich auf den Weg bringen – Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der -Arktis“ hat eine gute Intention. Er zielt darauf ab, die Arktis zu schützen. So weit sind wir einer Meinung; denn wir müssen uns auf die zukünftige Nutzung der Arktis vorbereiten. Viele Forderungen sind gut gemeint, jedoch jenseits des Umsetzbaren. Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Rohstoffe werden sich die USA, Kanada, Norwegen, Russland und Dänemark/Grönland von Deutschland keine vertraglichen Fesseln anlegen lassen. Wir Liberale setzen uns für einen Schutz der Arktis ein. Wir wollen keinen Raubbau am Ökosystem Arktis. Wir setzen uns dafür ein, dass die Nutzung der Ressourcen im Einklang mit der Natur stattfindet. Es liegt ins-besondere in den Händen der Anrainerstaaten, eine umweltverträgliche Nutzung der Region zu regeln. Wir sollten über unsere wissenschaftliche Kompetenz diesen Prozess begleiten. Mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung bietet Deutschland ein -international anerkanntes Zentrum der Polarforschung. Wir wollen diese Expertise einfließen lassen und beratend beim Schutz der Arktis zur Seite stehen. Unrealistische Forderungen, wie sie im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen erhoben werden, können wir jedoch nicht mittragen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Der Haushaltsausschuss hat in der vergangenen Woche die vier bedeutenden Nachfolgebauten für die jetzige Forschungsflotte der Bundesrepublik gebilligt, da-runter auch den Neubau eines Forschungseisbrechers. Dieser soll ab 2017 die „Polarstern“ ersetzen und wird nach den derzeitigen Planungen etwa 450 Millionen Euro kosten. Fast 1 Milliarde Euro wird überwiegend der Bund für die neue Flotte insgesamt ausgeben. Damit könnte man den hier vorliegenden Antrag der SPD fast für erledigt erklären, denn auch weitere Forderungen der Kolleginnen und Kollegen an die Bundesregierung können als erfüllt angesehen werden. So wird es im 8. Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ eine Förderlinie zur Polarforschung geben, auch Preise für besondere Leistungen auf diesem Gebiet existieren. Was jedoch fehlt, sowohl bei der Bundesregierung als auch im Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, sind konkrete Forschungsfragen für den Schutz der bedrohten Regionen. Vor etwa zwei Wochen schreckten mehrere Studien die Wissenschaftsszene auf: Deutsche und britische Forscher hatten bestätigt, was auch früher nur gemutmaßt wurde: Auch der Eisdecke der Antarktis, die man bisher eher unbeeindruckt von der Erderwärmung geglaubt hatte, droht eine umfangreiche Schmelze. Die Forscher vermuten, dass dieser Prozess von warmen Strömungen ausgelöst werden könnte, die das Schelfeis von unten angreifen. Die genaue Erforschung solcher Prozesse ist ohne eine entsprechende Infrastruktur, zu der auch die Forschungsschiffe gehören, nicht möglich. Sollten sich die Aussagen verifizieren lassen, dürfte das eine ganz neue Dynamik in die Debatte um den Klimawandel bringen. Denn für den schlimmsten Fall kann die beschleunigte Schmelze dieser Eismassen den Meerespegel bereits in den kommenden 100 Jahren um etwa 40 Zentimeter steigen lassen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung berechtigt, zeitweise zwei eisbrechende Forschungsschiffe parallel zu betreiben, um in beiden Polarregionen arbeiten zu können. Denn auch der Arktis, bereits seit Jahrzehnten vom Klimawandel betroffen, drohen weitere zerstörerische Eingriffe durch den Menschen. Die Umweltorganisation Greenpeace blockierte vor wenigen Wochen das Auslaufen eines gemieteten Eisbrechers in Dänemark. Mieter war der Konzern Shell, der im Arktisraum neue Förderstätten für die am Meeresboden vermuteten riesigen Öl- und Gasvorkommen erkunden will. Greenpeace verweist hingegen darauf, dass die Risiken einer dortigen Förderung von Öl und Gas unkalkulierbar seien. Niemand könne derzeit sagen, was im Falle einer Havarie an Schutzmechanismen funktioniere und wie groß das ökologische und ökonomische Risiko eines solchen Unfalls wie etwa der der als sicher geltenden Plattform „Deepwater Horizon“ sei. Der Hunger auf die nach Schätzungen der amerikanischen Rohstoffbehörde etwa 22 Prozent der weltweiten unentdeckten Ölvorkommen und auf die weiteren Basismetalle unter der arktischen Landschaft erzeugt einen starken ökonomischen Druck. Von der Bundesregierung war in der Ausschussberatung ebenfalls zu hören, dass natürlich die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes in der Arktis gewahrt werden müssten. Auch im SPD-Antrag findet sich zur Verpflichtung der Forschungstätigkeit auf den Schutz von Umwelt und Klima nichts Konkretes. Wir unterstützen hingegen den Vorschlag der Grünen, dem Arktischen Rat mehr Kompetenzen für den Schutz dieser Region einzuräumen und in der deutschen Politik Schutzbedarfen Vorrang vor ökonomischen Zielen einzuräumen. Für die Forschung heißt das: Eine staatliche Unterstützung risikoreicher Explorationsvorhaben oder zur Sicherung eines irgendwie gearteten geopolitischen Interesses kann nicht infrage kommen. Wenn wir der Bereitstellung großer Summen für Forschungsinfrastruktur zustimmen, dann unter der Voraussetzung, dass diese ausschließlich für Erhaltung und Rettung dieser für unser Klima und die Diversität unserer Umwelt so wichtigen Regionen eingesetzt werden. Wir erinnern uns alle noch an das umstrittene Eisendüngungsexperiment LOHAFEX in südatlantischen Gewässern. Dieses hat uns hier im Bundestag eine kontroverse Debatte beschert, für deren Laufzeit das Experiment vor Ort sogar gestoppt wurde. Dieser Fall zeigt, wie schmal der Grat zwischen Grundlagenforschung und risikoreichen menschlichen Eingriffen in ein hochkomplexes Ökosystem ist. Wir brauchen auch und gerade für die Polarforschung eine transparente Mission für mehr Nachhaltigkeit und eine fundierte Folgen- und Risikoabschätzung. Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Grönland wird wieder grün. Und ausnahmsweise ist dies kein Grund zur Freude. In der Arktis lässt sich das Fortschreiten des Klimawandels deutlicher als anderswo erkennen. Die Eisbedeckung der Arktis-Region ist seit Anfang der 1970er-Jahre um die Hälfte geschrumpft. Der Verlust des Eises verstärkt wiederum den Klimawandel; denn das Eis bestimmt den Grad der -Reflektion des Sonnenlichtes, regelt den Austausch von Wärme und Feuchtigkeit zwischen Meeresoberfläche und Atmosphäre und beeinflusst die Verdunstung. Auch weitere Effekte wirken sich auf den Klimawandel aus. So wird durch das Freilegen von Seen, Fjorden und Moränen Methan frei, das seit Jahrtausenden eingeschlossen war und jetzt seine klimaschädliche Wirkung entfalten kann. Das Abtauen des Eises führt nicht nur zu Besorgnis, sondern weckt auch Begehrlichkeiten. Neue Schifffahrtsrouten werden möglich, neue Zugänge zum Festland werfen auch sicherheitspolitische Fragen auf. Ressourcen, die überhaupt erst durch den Klimawandel verfügbar werden, sollen ausgebeutet werden, was wiederum den Klimawandel verstärkt. Das kann man getrost als Wahnsinn bezeichnen. Will man die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad Celsius begrenzen, so kann dies nur durch eine Abkehr der fossilen Wirtschaft geschehen und ganz sicherlich nicht dadurch, dass die gewaltigen fossilen Ressourcen, die in der Arktis vermutet werden, nun auch noch ausgebeutet werden. Ein Arktis-Vertrag, der diese wirtschaftliche Ausbeutung verhindert, ist für eine erfolgreiche Klimapolitik absolut notwendig und auch zum Schutz der arktischen Biodiversität unabdingbar. Die Bundesregierung muss sich hier klar positionieren. Das gehört auch zu einer glaubwürdigen internationalen Klimapolitik. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal an die Bilder der Bundeskanzlerin erinnern, die sich mit roter Rettungsweste vor den Eisbergen Grönlands als „Klimakanzlerin“ fotografieren lassen hat. Von Rettung bisher keine Spur. Es ist endlich an der Zeit, konkret -etwas für die Polarregion zu tun. Wir brauchen eine -Arktis-Politik, die sich nicht von Handels- und Ressourceninteressen leiten lässt, sondern den Umwelt- und -Klimaschutz in den Mittelpunkt stellt. Wir brauchen einen Arktis-Vertrag, der den Herausforderungen des fortschreitenden Klimawandels und des Schwundes der -Biodiversität Rechnung trägt. Dabei kommt auch der -indigenen Bevölkerung eine tragende Rolle zu, und die Wahrung ihrer Rechte muss ein zentraler Bestandteil der Arktis-Politik sein. Retten und schützen kann man nur, was man auch kennt. Unser Wissen über die Arktis verdanken wir der Polarforschung, die besonders in Deutschland einen -guten Ruf hat. Es gilt, diesen zu bewahren und die Forscherinnen und Forscher in ihren Bemühungen um ein besseres Verständnis dieses Lebensraumes und seiner Bedeutung bei den Abläufen des Klimawandels zu unterstützen. Insbesondere auch die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit muss noch verstärkt werden. Doch Forschung und Verständnis der Region und ihrer Prozesse alleine können die Arktis nicht retten. Die Politik muss die Forschungsergebnisse ernst nehmen und konkrete Maßnahmen treffen, damit der Club of Rome mit seiner wahrhaft düsteren Prognose für das Jahr 2052 nicht recht behält: eine eisfreie Arktis und ein zerstörtes Ökosystem mit schwerwiegenden Konsequenzen für den ganzen Planeten. Vizepräsident Eduard Oswald: Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9722, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5228 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 30 b: Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7987, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6499 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe? – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht glauben, aber es ist so: Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich darf Sie auch überraschen: Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 25. Mai 2012, bereits um 8.30 Uhr, ein. Wir sehen uns in alter Frische. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 20.44 Uhr) Berichtigung 180. Sitzung, Seite 21451 A, Anlage 1: Der Name Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist durch den Namen Christian Lindner (FDP) zu ersetzen. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ahrendt, Christian FDP 24.05.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 24.05.2012 Becker, Dirk SPD 24.05.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 24.05.2012 Dött, Marie-Luise CDU/CSU 24.05.2012 Ernst, Klaus DIE LINKE 24.05.2012 Ferner, Elke SPD 24.05.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 24.05.2012 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.05.2012 Groschek, Michael SPD 24.05.2012 Hagedorn, Bettina SPD 24.05.2012 Henke, Rudolf CDU/CSU 24.05.2012 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.05.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.05.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 24.05.2012 Lindner, Christian FDP 24.05.2012 Nietan, Dietmar SPD 24.05.2012 Dr. von Notz, Konstantin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.05.2012 Rix, Sönke SPD 24.05.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 24.05.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 24.05.2012 Süßmair, Alexander DIE LINKE 24.05.2012 Thönnes, Franz SPD 24.05.2012 Dr. Wilms, Valerie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.05.2012 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 24.05.2012 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Entsendung eines ordentlichen Mitglieds in den Vermittlungsausschuss Namens meiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erkläre ich zur heutigen Wahl des Kollegen Michael Grosse-Brömer als Mitglied des Vermittlungsausschusses Folgendes: Meine Fraktion wird keinen Widerspruch gegen die Wahl des Kollegen Michael Grosse-Brömer als Mitglied des Vermittlungsausschusses erheben. Gleichwohl gilt das von mir in meiner Erklärung nach § 31 GO in der 119. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6. Juli 2011 Ausgeführte zur bundestagsseitigen Besetzung des Vermittlungsausschusses unverändert fort. An der darin vertretenen Rechtsauffassung hält meine Fraktion uneingeschränkt fest. Meine Fraktion geht davon aus, dass die mit Schreiben des damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion vom 5. Juli 2011 erteilte Zusage, wonach sich der Geschäftsordnungsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Problematik befassen und eine Lösung vorschlagen soll und wonach des Weiteren ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Vermittlungsausschuss zunächst an Abstimmungen im Ausschuss nicht teilnehmen wird, auch weiterhin uneingeschränkt gilt . Nach dem heute erfolgten erneuten Wechsel bei der Besetzung des Vermittlungsausschusses muss sich der Geschäftsordnungsausschuss nunmehr unverzüglich mit der Frage der Besetzung beschäftigen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Das Ziel des Gesetzentwurfs für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr ist es, die Zuständigkeit für Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Soldaten der Bundeswehr zu konzentrieren. Unsere Soldatinnen und Soldaten bewahren und sichern im Ausland tagtäglich unter Einsatz ihres Lebens den Frieden. Wenn sie in ein Gefecht geraten und es Verletzte oder Tote gibt, ermittelt in der Regel die Staatsanwaltschaft gegen sie. Dies belastet viele Soldaten, aber eine Klärung des Sachverhaltes muss sein; im Ergebnis ist es auch gut für die Soldaten, denn sie bekommen am Ende der Ermittlungen bescheinigt, dass sie rechtmäßig gehandelt haben. Was es jedoch in diesem Zusammenhang nicht geben darf, sind Unklarheiten hinsichtlich des zuständigen Gerichts; eine effiziente Prüfung mit besonderer Sachkompetenz muss gewährleistet werden. Dies schulden wir unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Das Gesetz fügt sich in eine Reihe von Gesetzen ein, die der Verbesserung der Situation der Soldatinnen und Soldaten dienen. In dieser Woche wurde bereits das Gesetz zur Begleitung der Reform der Bundeswehr in den Ausschüssen beraten. Dieses Gesetz sorgt dafür, dass Berufssoldaten frühzeitig in den Ruhestand gehen können, und enthält weitere Erleichterungen im Bereich der Hinzuverdienstgrenzen und Ruhestandsaltersregelungen. CDU/CSU und FDP halten unseren Soldatinnen und Soldaten den Rücken frei. Dem heute zu beratenen Gesetz liegt unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten Folgendes zugrunde: Bei der besonderen Auslandsverwendung der Bundeswehr kann es im Einsatzgebiet zu Handlungen kommen, die die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach sich ziehen. Bei Straftaten im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gilt das Tatortprinzip. Wenn somit zwei Personen aus unterschiedlichen Orten an einem dritten Ort eine Straftat begehen, wird die Verhandlung über die Tat an dem Gericht des Ortes geführt, an dem die Tat begangen wurde. Anders ist dies bei Soldaten. Hier gilt, dass eine Verhandlung an dem Ort stattfindet, an dem der Soldat zuletzt stationiert war. Wenn nun aus ganz Deutschland Soldaten zusammengezogen werden und im Ausland ihren Dienst ausüben, führt dies zu unterschiedlichen Gerichtsständen. Das bedeutet, dass zwei Soldaten, die am gleichen Ort im Ausland in ein Gefecht geraten, später in Deutschland vor zwei Gerichten stehen, nämlich den -jeweiligen Gerichten ihrer letzten Stationierung. Dies könnten Hamburg und München sein, obwohl beide Soldaten in Afghanistan nebeneinander gesessen haben. -Daraus folgt aber auch, dass die beiden Soldaten vor unterschiedlichen Richtern mit völlig unterschiedlichen Spezialkompetenzen im Umgang mit Soldaten im Ausland stehen. Dieser Missstand kann nun endlich behoben werden, indem mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf für diese Fälle ein einheitlicher Gerichtsstand geschaffen wird. Weiter wird mit dem besonderen Gerichtsstand eine Sachkompetenz aufgebaut. Die Kenntnisse der militärischen Abläufe und Strukturen, der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der Auslandsverwendung, die für die Bearbeitung der Verfahren notwendig sind, können durch die Zuständigkeitskonzentration besser gewährleistet werden. Diese Spezialkenntnisse tragen zudem zu einer zügigen Bearbeitung bei. Bei der besonderen Auslandsverwendung der Bundeswehr ist nicht nur das deutsche Strafrecht zu beachten. Zugleich finden auch Regelungen im Einsatz Anwendung. Diese Rules of Engagement müssen bei der Verhandlung genauso beachtet werden wie viele andere völkerrechtliche und einsatzbezogene Voraussetzungen. Ein Gericht, dem diese Besonderheiten nicht bekannt sind, kann nicht kompetent entscheiden. Durch die Schaffung des besonderen Gerichtsstandes wird diese Sachkompetenz aufgebaut. Bei den jetzt bundesweit zuständigen Richtern und Staatsanwälten wird Erfahrung gebündelt. In Zukunft werden bei Straftaten von Soldatinnen und Soldaten nur noch besonders mit den speziellen Abläufen von Auslandseinsätzen und Auslandsermittlungen vertraute Juristinnen und Juristen entscheiden. Durch die neue Regelung werden langwierige Zuständigkeitsprobleme beendet. Der besondere Gerichtsstand wird in Kempten sein. Hierbei handelt es sich ausschließlich um ein Sondergericht bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr, nicht um eine Wehrstrafgerichtsbarkeit. Hieraus leitet sich auch die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Kempten aus § 143 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes ab. Grund für die örtliche Wahl des Gerichtsstandes Kempten ist, dass die Staatsanwaltschaft Kempten als Schwerpunktstaatsanwaltschaft für den Bereich des Freistaates Bayern bereits jetzt für die Verfolgung solcher Straftaten zuständig ist. Bei der Justiz in Kempten sind die erforderlichen Erfahrungen bereits vorhanden. Diese Erfahrungen wird sie bei der nun vorgesehenen Ausdehnung der örtlichen Zuständigkeit auf das gesamte Bundesgebiet nützen können. Mein Dank gilt hier besonders Frau Staatsministerin Dr. Merk von der CSU, die sich für den vorliegenden Gesetzentwurf eingesetzt hat und in Bayern entschlossen vorangegangen ist. Die Konzentration gilt für alle Straftaten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes von Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung, § 62 Abs. 1 des Soldatengesetzes, begangen werden. Es wurde dabei darauf verzichtet, die Konzentration auch für Straftaten vorzusehen, die zum Nachteil deutscher Bundeswehrsoldaten im Ausland begangen wurden. Mit der Schaffung einer besonderen Zuständigkeit und der damit einhergehenden Konzentration bei Verfahren zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird kein gemäß Art. 101 Abs. 1 GG unzulässiges Ausnahmegericht geschaffen. Ein Ausnahmegericht liegt dann vor, wenn der gesetzliche Richter nicht im Voraus bestimmt ist, sondern das Gericht im Einzelfall gebildet wird. Im Gegensatz hierzu sind Sondergerichte zulässig. Diese haben zwar eine Spezialzuständigkeit, sind aber generell und abstrakt für bestimmte Fälle zuständig und im Vorhinein bestimmt. Sondergerichte regelt Art. 101 Abs. 2 GG. Solche Sondergerichte haben wir in vielen Rechtsgebieten. Auch im vorliegenden Gesetzentwurf ist dies der Fall: Es handelt sich hier um eine Konzentration von Zuständigkeiten zur Vereinfachung und besseren Verhandlung der entsprechenden Sachverhalte. Dies stellt ein Gericht für ein besonderes Sachgebiet nach Art. 101 Abs. 2 GG dar und ist mithin zulässig. Zudem begrüße ich, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Einführung des § 143 Abs. 1 Satz 2 (neu) GVG vorliegt. Mit dieser Änderung wird die Stellung des Opfers im Strafverfahren verbessert. Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr wird ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten geleistet. Durch dieses Gesetz wird verhindert, dass Soldatinnen und Soldaten weiterhin unter Bedingungen einer Rechtsunsicherheit handeln, die über die altbekannte Unschärfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinausgeht. Wir setzen alles daran, unseren Soldatinnen und Soldaten klare rechtliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen, damit sie ihre Konzentration auf die militärischen Aufgaben richten können. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Kempten im Allgäu ist künftig der Gerichtsstand bei Straftaten, die Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz begangen haben. Diese Konzentration der örtlichen Zuständigkeit ist eine gute Nachricht für unsere Soldatinnen und Soldaten, die in unserem Auftrag in vielen Krisenregionen der Welt im Einsatz sind. Die besondere Auslandsverwendung, wie sie im Soldatengesetz definiert und nun in der Strafprozessordnung in Bezug genommen wird, ist stets mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Soldatinnen und Soldaten müssen oft in Bruchteilen von Sekunden Einschätzungen treffen, die über Leben und Tod entscheiden können. Der Vorwurf eines strafbaren Fehlverhaltens steht schnell im Raum. Doch auch abseits von Fällen, die in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit finden, werden bei Auslandseinsätzen kleinere und größere Straftaten begangen. Hier unterscheidet sich die Bundeswehr nicht von der zivilen Gesellschaft. Nach der bisherigen Rechtslage kann die Zuständigkeit verschiedener Staatsanwaltschaften und Gerichte begründet werden. Insbesondere wenn mehrere Soldatinnen und Soldaten verschiedener Stammeinheiten der Bundeswehr beteiligt sind, kommt es zu unübersicht-lichen Zuständigkeitsverteilungen. Der besondere Gerichtsstand Kempten ermöglicht hier effizientere und zügigere Verfahren – nicht zuletzt, um die ohnehin hohe psychische Belastung der Soldatinnen und Soldaten nicht unnötig zu verstärken. Darüber hinaus erfordert die Verfolgung von Straftaten, die im Ausland während eines Bundeswehreinsatzes begangen wurden, nicht nur Erfahrung mit Auslandsbezügen, sondern auch spezifische Kenntnisse über militärische Belange in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht. Die neuen Zuständigkeitsregeln gewährleisten, dass die mit der Aufklärung bzw. Ahndung von Bundeswehrstraftaten im Ausland betrauten Staatsanwäl te und Richter in die Lage versetzt werden, die hierfür notwendige besondere Sachkompetenz und Erfahrung zu erwerben und zu vertiefen. Die Staatsanwaltschaft in Kempten hat bereits wichtiges Know-how auf diesem komplexen Gebiet in Kontakt mit den Rechtsberatern beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam und durch entsprechende Fortbildungen aufbauen können. So hat der Freistaat Bayern bereits im März 2010 eine Zuständigkeitskonzentration beim Leitenden Oberstaatsanwalt in Kempten für alle in Bayern anhängig werdenden Verfahren betreffend Straftaten von Soldaten in Ausübung ihres Dienstes im Ausland veranlasst. Seit Juli 2011 ist die Einschränkung auf Taten in Ausübung des Dienstes entfallen. Die hier gewonnenen Erfahrungen als bayerische Schwerpunktstaatsanwaltschaft können nun bundesweit zum Tragen kommen. Vereinzelt geäußerte Kritik, eine Zentralisierung des Gerichtsstands könne zu einer „Sonderrechtsprechung“ für Bundeswehrsoldaten führen und die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, kann ich nicht nachvollziehen. Bei der Beurteilung der Strafbarkeit einer Tat gilt selbstverständlich weiterhin unser Strafgesetzbuch. In Kempten wird es also keine Sonderrechtsprechung geben, weil auch gar keine Sondergerichtsbarkeit eingerichtet wird. Besondere Zuständigkeiten kennen wir dagegen schon in anderen Bereichen wie etwa der Wirtschaftskriminalität. So wie dort ist es auch hier gerade unser Anliegen, dass die Justiz auf besondere Umstände eines Sachverhalts – nämlich eines Bundeswehreinsatzes im Ausland – organisatorisch angemessen vorbereitet ist. Mit dem vorliegenden Gesetz stärken wir schließlich die Rechte der Opfer im Strafverfahren und sorgen für mehr Rechtssicherheit. So ist nach dem neuen § 143 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes dann, wenn ein deutsches Gericht nicht zuständig oder nicht ermittelbar ist, künftig diejenige Staatsanwaltschaft zuständig, die zuerst – etwa aufgrund einer Strafanzeige – mit der -Sache befasst wurde. Damit werden bisher vorhandene Lücken geschlossen, die zu Unsicherheiten bei der Bestimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft und damit auch zu Kompetenzkonflikten und Verfahrensverzögerungen geführt haben. Dies ist besonders wichtig, da mit einer klaren Zuweisung der Zuständigkeit die betreffende Staatsanwaltschaft eilige Ermittlungshandlungen unverzüglich vornehmen kann. In besonderer Auslandsverwendung sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stets aufgrund eines Mandats des Deutschen Bundestages. Aus diesem Grund verdient unser Vorhaben eine breite parlamenta-rische Unterstützung. Ich bin überzeugt, dass die Konzentration der Zuständigkeit bei Straftaten von Bundeswehrsoldaten in besonderer Auslandsverwendung im Interesse einer effektiven und sachgerechten Strafverfolgung liegt. Christoph Strässer (SPD): Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unterliegen auch bei besonderer Auslandsverwendung dem deutschen Strafrecht – und das ist richtig so. Für entsprechende Fälle besteht derzeit kein beson-derer Gerichtsstand. Dies führt dazu, dass nach den -allgemeinen Gerichtsstandsregelungen der Strafprozessordnung Gerichte und Staatsanwaltschaften an verschiedenen Orten für solche Strafverfahren zuständig sein können. Das kann zur Zuständigkeit mehrerer Staats--anwaltschaften führen, etwa wenn Soldatinnen und Soldaten verschiedener Stammeinheiten beteiligt sind. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Einsätze der Bundeswehr erhöht. Und so nimmt statistisch auch die Zahl der Strafbarkeitsvorwürfe zu. Die Bundesregierung sieht deshalb Handlungsbedarf für eine Konzentration der Zuständigkeiten. Soldaten, die deutsche Interessen im Auslandseinsatz verteidigen, verdienen die Unterstützung des deutschen Staats. Sie haben auch ein Recht auf ein faires und zügiges Verfahren. Der Gesetzentwurf stellt die Rechts--sicherheit der Soldaten in den Mittelpunkt. Zeitliche Verzögerungen könnten den Soldaten nicht zugemutet werden – so die Bundesregierung – und sie unnötig psychisch belasten. Gleichwohl geht es nicht nur um den -beschuldigten Soldaten. Es geht auch um die mutmaßlich Geschädigten, deren Belastungen berücksichtigt werden müssen. Es gibt also ein Spannungsverhältnis unterschiedlicher berechtigter Interessen. Außerdem darf natürlich auch nicht der Eindruck entstehen, dass im Interesse einer schnellen Bearbeitung die Sorgfalt zu kurz kommt. Auch aus historischer Sicht muss man sensibel mit dieser Rechtsfrage umgehen. Zum Teil wird befürchtet, dass durch die Hintertür eine militärische Sonderjustiz geschaffen werde. Die Beseitigung der Militärjustiz war ein Kernelement der Militärreform der Nachkriegszeit und der Einführung der Inneren Führung. Es wurde im Parlament darum gerungen, dass das Militär ohne Sonderrechte dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz unterliegt. Es wurde das Bild vom „Staatsbürger in Uniform“ geprägt. Soldaten und Zivilisten werden vor den verbundenen Augen Justitias absolut gleich behandelt. Bei dem geplanten Gesetzentwurf geht es deshalb nicht um die Einrichtung einer „Sondergerichtsbarkeit“ oder einer „Militärgerichtsbarkeit“ für Soldaten der Bundeswehr. Geplant ist vielmehr, eine zentrale Staatsanwaltschaft einzurichten. Diese Staatsanwaltschaft wird sich – wie jede andere – aus zivilen Staatsanwälten -zusammensetzen. Das sehen auch die Verteidigungspolitiker der SPD-Fraktion so. Man erhofft sich jedoch durch die besondere Expertise kürzere Verfahrensdauern und eine entsprechende Kompetenz für die Sondersituationen im Einsatz. Die Ermittlungen bei Straftaten im Auslandseinsatz seien mit Ermittlungen bei Straftaten in Deutschland kaum zu vergleichen und erforderten besondere Kenntnisse der völker-, verfassungs- und einsatzrechtlichen Grundlagen sowie der militärischen Strukturen und Abläufe. Auch in anderen Bereichen wie der Wirtschafts- und Korruptionskriminalität gibt es -bereits Staatsanwaltschaften mit speziellen Zuständigkeiten. Dagegen werden einige verfassungs- und rechtspolitische Bedenken vorgebracht. Durch die Einführung des § 11 a StPO-E werde in die Kompetenzen der Länder eingegriffen, deren Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht mehr zuständig wären. Außerdem drohe eine Umgehung des Art. 96 Abs. 2 GG, der das Recht des Bundes zur Errichtung von Wehrstrafgerichten begründet. Im Jahr 2011 gab es 26 Ermittlungsverfahren. Davon wurden in 15 Fällen Strafverfahren eingeleitet. Seit den 1990er-Jahren gab es circa 150 Vorfälle. Die bisherigen StPO-Regelungen sollen deshalb ausreichen, so die Kritiker des Gesetzentwurfs. Die bisher in Deutschland anhängigen Ermittlungsverfahren hätten bereits unter den derzeitigen Regelungen der StPO sachgerecht bewältigt werden können. Auch wenn die Fallzahlen ansteigen, sei eine Bearbeitung weiter möglich. Spezialkenntnisse in rechtlicher und tatsachlicher -Hinsicht würden allen Gerichten in den unterschiedlichsten Verfahren zugemutet. Außerdem wird der Vorwurf erhoben, eine zentralisierte Staatsanwaltschaft schaffe eine zu große Nähe zwischen Justiz und Bundeswehr. Eine Zentralisierung berge auch die Gefahr der Einseitigkeit und Sonderrechtsprechung. Ich nenne Ihnen Argumente, die von außen herangetragen werden. Ob der Deutsche Richterbund, die Neue Richtervereinigung oder der Deutsche Anwaltverein, sie alle haben Kritik in diese Richtung geäußert und sehen keinen nachgewiesenen Bedarf für eine gerichtliche Sonderzuständigkeit. Diese Argumente muss man zumindest ernst nehmen, ohne sie sich zwingend zu eigen machen zu müssen. Ich möchte im Ausschuss gerne über die Notwendigkeit dieser Regelung diskutieren. Es gibt gute Argumente für beide Positionen. Stephan Thomae (FDP): Ich freue mich sehr, dass ich heute zu einem Tagesordnungspunkt sprechen darf, der mich nicht nur als Rechtspolitiker betrifft, sondern auch als Abgeordneter des Wahlkreises Oberallgäu: Die Justizbehörden meiner Heimatstadt Kempten bekommen in Zukunft die Verantwortung, wenn es darum geht, dass Straftaten von Soldaten im Auslandseinsatz vor Gericht verhandelt werden sollen. Soldatinnen und Soldaten unterliegen dann dem deutschen Strafrecht, wenn sie im Ausland eingesetzt werden. Für solche Fälle werden das Amts- und Landgericht Kempten nun besonderer Gerichtsstand, die Staatsanwaltschaft in Kempten wird Schwerpunktstaatsanwalt. Für die Stadt und die ansässigen Justizbehörden ist das eine Bestätigung ihrer bisherigen Arbeit und ein Imagegewinn, worüber ich mich als Kemptener natürlich sehr freue. Die Entscheidung fiel letztendlich aus verschiedenen Gründen auf Kempten. Als die Frage aufkam, welcher Standort bundesweit die Sonderzuständigkeit für Soldaten im Auslandseinsatz erhalten sollte, habe ich Bayern und innerhalb Bayerns Kempten ins Gespräch gebracht. Ich hatte erfahren, dass die Landesregierung von Sachsen die Sonderzuständigkeit für Leipzig nicht haben wollte, weil man fürchtete, auch Straftaten an Bundeswehrsoldaten verfolgen zu müssen. Mir kam zu Ohren, dass man weiter an Potsdam als geeigneten Standort dachte, weil sich dort das Einsatzkommando für die Auslandseinsätze befindet. Es gab zuerst kleinere Bedenken, was den Standort Kempten angeht, aber ich konnte diese erfreulicherweise in zahlreichen Einzelgesprächen zerstreuen, vor allem weil auch fachlich vieles für Kempten gesprochen hat. Die Kemptener Justiz hat in den letzten Jahren sehr wichtige Erfahrungen auf diesem Gebiet des Strafrechts gesammelt, weil die Staatsanwaltschaft Kempten bereits als Schwerpunktstaatsanwaltschaft für den gesamten Bereich des Freistaates Bayern zuständig ist. Wenn also Soldaten, die in Bayern stationiert waren, Straftaten während eines Auslandsaufenthalts begangen haben, dann hat bisher die Kemptener Justiz ihr Urteil über diese Straftaten gefällt. Durch die Entscheidung für Kempten nutzen wir das Wissen und die bereits vorhandenen Ressourcen optimal. Ich freue mich sehr, dass ich einen Beitrag leisten konnte, diesen besonderen Gerichtsstand in meine Heimatstadt zu holen. Ich begrüße den Gesetzentwurf sehr; denn die Entscheidung für eine bundesweite Zuständigkeit ist sehr wichtig. Im Ausland stationierte Soldaten leben und arbeiten unter Extrembedingungen. Staatsanwälte und Richter müssen mit diesen besonderen Umständen der Soldaten vertraut sein, um richtig urteilen zu können. Ich konnte mir vor zwei Jahren selber ein Bild von den schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in -Afghanistan machen. Gerade auch wegen diesen schwierigen Bedingungen bei Auslandseinsätzen müssen Verzögerungen bei Strafverfahren in Zukunft verhindert werden. Solche Verzögerungen bedeuten für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung. Dem wollen wir durch eine Zuständigkeitskonzentration entgegenwirken. Dies war schon im Jahr 2010 die Meinung der Justizministerinnen und Justizminister der Länder. Diese haben die Forderung erhoben, eine zentrale Zuständigkeit aufseiten der Gerichte und der Staatsanwaltschaften zu schaffen, um eine qualifizierte, effiziente und zügige Bearbeitung der Ermittlungs- und Strafverfahren zu gewährleisten. Diesen Wunsch aus den Ländern greifen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf auf. Der neue Gerichtsstand tritt neben die bereits bestehenden Gerichtsstände, wie zum Beispiel den Gerichtsstand des Wohnorts, die weiterhin ihre Geltung behalten. Für etwaige Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch besteht die erstinstanzliche gerichtliche Zuständigkeit des für Kempten zuständigen Oberlandesgerichts München. Zuständige Strafverfolgungsbehörde bleibt in diesen Fällen der Generalbundesanwalt. Der Entwurf stellt überdies die bisher bereits gängige Praxis, dass bei unklarer Zuständigkeit die zuerst mit einer Sache befasste Staatsanwaltschaft die erforderlichen Maßnahmen ergreift, auf eine gesetzliche Grundlage. Dies ist insbesondere von Relevanz, wenn ein Deutscher oder eine Deutsche Opfer einer Straftat im Ausland wurde und diese im Inland anzeigen möchte. In solchen Fällen fehlt es meist an einer inländischen Zuständigkeit, weil weder der Tatort noch der Wohn- oder Aufenthaltsort des potenziellen Täters sich in Deutschland befinden. Die Neuregelung schließt diese Lücke und dient somit der Stärkung der Rechtssicherheit sowie der Opferrechte im Strafverfahren. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Der von der -Regierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Bündelung der Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen taugt nichts, und er sollte wieder in der Versenkung verschwinden. Der Bedarf für ein solches Gesetz ist nicht gegeben, das Gesetz ist ungeeignet, vorhandene Probleme zu lösen, und es ist rechtspolitisch und politisch mehr als fragwürdig. Das sehen im Übrigen auch der Deutsche Richterbund, die Neue Richtervereinigung und der Deutsche Anwaltverein so. Ich darf aus der Stellungnahme des Richterbundes zitieren: „Der nachgewiesene Bedarf für einen weiteren Gerichtsstand für die Verfolgung von Straftaten von Soldatinnen und Soldaten bei besonderer Auslandsverwendung besteht nicht. Die bisher in Deutschland anhängigen Ermittlungsverfahren konnten bereits unter den derzeit geltenden Regelungen zu den Gerichtsständen sachgerecht bewältigt werden.“ Ich hatte das Verteidigungsministerium bereits 2009 gefragt, um wie viele Verfahren es eigentlich geht. Ihre Antwort: zwischen 2004 und 2009 gerade einmal 167 strafrechtliche Ermittlungsverfahren; in 36 Fällen ging es dabei um Straftaten in Ausübung des Dienstes. Das ist überschaubar. Im Februar dieses Jahres haben Sie meinem Kollegen Nouripour bestätigt, dass ein starker Anstieg von Ermittlungsverfahren gegen Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten im Auslandseinsatz nicht festgestellt werden kann. Und was die Dauer der Verfahren angeht: Wir haben die Eilzuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft Potsdam; die Festlegung des zuständigen Gerichtsstands ist heutzutage ohne Verzögerung bestimmbar. Auch dass mit diesen Fällen beauftragte Staatsanwaltschaften und Gerichte schlampig gearbeitet hätten oder unfähig gewesen wären, sich mit den verfassungsrechtlichen oder völkerrechtlichen Grundlagen vertraut zu machen, ist nicht überliefert. Wenn es um die zu lange Dauer der Verfahren geht, dann liegt das Problem doch in der Ermittlungsarbeit im Ausland; aber daran ändert Ihr Gesetzentwurf keinen Deut. Und Ihre Hoffnung, dass sich die Richterinnen und Richter in Kempten jetzt auf diese Militärfragen spezialisieren, ist doch trügerisch. Schon weil es vor Ort um verschiedene Gerichte geht und wegen der geringen Fallzahlen, ist das nicht zu erwarten. Die Frage ist also: Wozu die ganze Aufregung? Wozu ein neues Gesetz? Die Antwort lautet klipp und klar: Der neue Gerichtsstand ist ein weiterer Versuch, die Sonderrolle der Bundeswehr symbolisch zu unterstreichen und eine Sonderbehandlung rechtlich festzuschreiben. Diese Versuche, eine besondere Wehrgerichtsbarkeit einzuführen, gibt es seit der Aufstellung der Bundeswehr. Immer wurden diese Versuche auch damit begründet, dass man in der Rechtsprechung ein besonderes Einfühlungsvermögen für die Soldaten benötige. Richter und Staatsanwälte sollten besonders vertraut sein mit den Bedürfnissen und Situationen der Soldaten. Aber dieses besondere Vertrautsein kann auch zu einer Nähe zwischen Bundeswehr und Justiz führen, die die Unabhängigkeit des Gerichts untergräbt. Eine solche gefährliche Nähe wollen wir unter keinen Umständen – gerade im Interesse des Rechtsstaats. Ich führe sehr viele Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten, auch in den Einsatzgebieten. Und ich habe großes Verständnis für deren Anliegen, dass solche strafrechtliche Ermittlungen und Verfahren möglichst rasch abgeschlossen werden. Aber es gibt auch das Interesse der Opfer bzw. deren Angehörigen an einer gründlichen, unabhängigen und unvoreingenommenen Ermittlung. Das dürfen wir nie aus dem Auge verlieren. Hier geht es um elementare rechtsstaatliche Grundsätze. Es geht auch um unser Grundverständnis von den Soldatinnen und Soldaten als „Staatsbürgern in Uniform“. Das heißt, sie sind vor allem Staatsbürgerinnen und Staatbürger und müssen als solche behandelt werden, nicht als Sondergruppe. Unter dem Strich ist dies auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten. Das Prinzip bedeutet eben auch: gleiches Recht für alle und gleiche Bedingungen vor Gericht für alle. Außerdem: Die zivile Perspektive und die Vielfalt der Perspektive auch auf Straftaten von Soldatinnen und Soldaten im Ausland ist kein Manko, sondern ein Plus für den Rechtsstaat. Genau das aber wollen Sie weghaben. Soldatinnen und Soldaten sollen auf ihre Bedürfnisse und Situationen eingestellte Richterinnen, Richter und Staatsanwälte, die ja bekanntlich den Weisungen des Landesjustizministers unterliegen, bekommen. Das ist nicht nachvollziehbar und nicht akzeptabel. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des Deutschen Anwaltvereins von Bedeutung. Ich darf zitieren: „Eine Zuständigkeitskonzentration führt nicht nur leicht zu einseitiger Rechtsprechung, die auf Kritik und Diskussion durch andere (gleichrangige) Gerichte verzichten muss.“ Auch das sollten wir beachten. Und was die behauptete Notwendigkeit betrifft, die Richter und Staatsanwälte müssten über besondere Kenntnisse militärischer Abläufe und Strukturen und die rechtlichen Bedingungen der Auslandseinsätze verfügen, so hat auch hier die Vereinigung der Rechtsanwälte recht, wenn sie sagt: „Spezialkenntnisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht werden allen Gerichten in den unterschiedlichsten Verfahren zugemutet. Warum Soldaten eine Sonderbehandlung erfahren sollen, ist deshalb nicht ganz nachvollziehbar.“ Wir sollten auf das hören, was die Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten sagen; das ist allemal besser, als macht- und militärpolitischen Sonderinteressen zu folgen. Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück! Dieses Gesetz darf von diesem Hause, das ja auch dem Rechtsstaat verpflichtet ist, nicht angenommen werden. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen das AG Kempten, das LG Kempten und das OLG München zu Gerichten werden, an denen Soldatinnen und Soldaten in besonderer Auslandsverwendung bei Begehung aller möglichen Straftaten außerhalb Deutschlands anzuklagen sein werden. Diese Konzentration macht diese Gerichte zu Wehrstrafgerichten, zumindest soweit es um die Aburteilungen von Straftaten geht, die von erwachsenen Soldaten im Ausland begangen werden. Zweifelhaft ist bereits, ob dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz insoweit zusteht. Denn Art. 96 Abs. 2 GG bestimmt, dass der Bund Wehrstrafgerichte nur als Bundesgerichte errichten darf, was weder das AG Kempten noch das LG Kempten oder das OLG München sind. Der Bedarf nach der vorgeschlagenen Regelung wird damit begründet, dass bei Beteiligung mehrerer Soldaten aus verschiedenen Stammeinheiten an einer Straftat mehrere Staatsanwaltschaften zuständig würden, was zu nicht hinnehmbaren verfahrensverzögernden Zuständigkeitsproblemen führen würde. Diese Behauptung wird weder durch Fakten untermauert, noch ist sie nachvollziehbar. Für deutsche Staatsanwaltschaften sind Ermittlungsverfahren mit mehreren Tätern und unterschiedlichen Wohnsitzen ein Alltagsproblem. Dieses wird nach den seit Jahrzehnten geltenden Regeln in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren ohne jegliche Verfahrensverzögerung gelöst. Verständigungen darüber, welche Staatsanwaltschaft im konkreten Fall die Ermittlungen führt, erfolgen telefonisch oder per Mail, notfalls unter Einschaltung der jederzeit ansprechbaren Generalstaatsanwälte. Es wäre ein Armutszeugnis für die deutschen Staatsanwaltschaften, wenn sie bereits an verschiedenen Wohnsitzen möglicher Mittäter scheitern würden. Ernster zu nehmen ist das Argument, dass für die Ermittlungen möglicherweise Kenntnisse konkreter militärischer Abläufe und Strukturen, besondere Kenntnisse der völkerrechtlichen und einsatzrechtlichen Grundlagen, dienstrechtliche Besonderheiten und Fähigkeiten und Kenntnisse hinsichtlich Ermittlungen mit Auslandsbezug nötig sind. Vergleichbare Spezialkenntnisse werden auch in anderen Kriminalitätsbereichen benötigt. Diese werden seit vielen Jahren dadurch gebündelt, dass zum Beispiel für Bereiche der Wirtschafts- oder Korruptionskriminalität Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet werden. Solche gibt es auch für Bereiche der Drogen-, Doping- und Internetkriminalität. Der Gesetzentwurf bezieht sich zwar in seiner Begründung ausdrücklich auf schon bestehende Schwerpunktstaatsanwaltschaften, geht jedoch im Ergebnis weit darüber hinaus. Vorgeschlagen wird nämlich etwas anderes: die Errichtung einer Sonderjustiz und von Sondergerichten in der Stadt Kempten. Dies ist der falsche Weg. Er ist zwar bereits vor über vier Jahren von der FDP vorgeschlagen worden – Drucksache 16/673 –, aber damals wurde er noch von der CDU/CSU, der SPD, den Linken und auch von uns Grünen einmütig abgelehnt. Ich sage den Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Legen Sie einen vernünftigen Vorschlag zur Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft – oder auch mehrerer – für Straftaten von Soldaten im Auslandseinsatz vor, und wir werden uns dem nicht verschließen. Aber den Vorschlag eines Wehrstrafjustizzentrums in Kempten lehnen wir ab. Ohne jeden Vorwurf gegen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Kempten: Ein solches Zentrum fördert Fraternisierungen und einen falschen Corpsgeist und passt nicht zum Leitbild des Soldaten als Bürger in Uniform. Der Umbau der Bundeswehr zu einer Berufsarmee fordert zu einer solchen Wachsamkeit geradezu auf. Im Übrigen: Warum gerade Kempten? Uns liegt ein zum jetzigen Gesetzentwurf textidentischer Referentenentwurf aus dem BMJ vom Frühjahr 2010 vor. Dort wird ein Wehrstrafjustizzentrum Leipzig vorgeschlagen. Leipzig wird als kompetentes Zentrum hervorgehoben und gelobt. Den Abschnitt der damaligen Begründung des Vorschlags Leipzig hat die Bundesregierung fallen gelassen und durch Kempten in Bayern ersetzt. Allein ein solches Vorgehen stimmt schon bedenklich, weil es eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Argumenten für ein bestimmtes Zentrum vermissen lässt. Und was soll jetzt für Kempten sprechen? Die dortige Ermittlungsbehörde ist seit zwei Jahren in Bayern eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Straftaten von Soldaten im Auslandseinsatz. Entsprechende notwendige Kenntnisse sollen dort vorhanden sein. So jedenfalls die Begründung des jetzigen Gesetzentwurfs. Aber stimmt diese Behauptung? Die Staatsanwaltschaft Kempten bearbeitet jährlich mit circa 20 Staatsanwälten 16 000 bis 17 000 Ermittlungsverfahren. Die Schwerpunkttätigkeit gegen Soldaten, die Straftaten im Auslandseinsatz begehen, erledigt bisher ein einziger Staatsanwalt nebenbei – er hat eigentlich ein ganz normales Referat. Von den von ihm zu bearbeitenden circa 850 Fällen sind ziemlich genau 0,5 Prozent Verfahren gegen Soldaten aufgrund der in Bayern bestehenden Sonderzuweisung. Bisher sind sage und schreibe in zwei Jahren neun Verfahren angefallen. Drei davon wurden bald abgegeben, zwei gehörten sowieso zum Bereich der Kemptener Justiz. Auslandsermittlungen wurden überhaupt noch nie geführt; von Spezialkenntnissen konkreter militärischer Abläufe und Strukturen, besonderen Kenntnissen der völkerrechtlichen und einsatzrechtlichen Grundlagen und dienstrechtlichen Besonderheiten keine Spur. Sie wurden übrigens bei den aufgelaufenen Fällen gar nicht benötigt. Es sieht so aus, als sträube sich die Justiz in Leipzig mit Händen und Füßen gegen die neue Aufgabe, während das bayerische Justizministerium gerne zugriffe. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich vermisse jeden Versuch einer sachlichen und nachvollziehbaren Begründung für den vorgelegten Gesetzentwurf. Ohne den Nachweis eines substanziierten Bedarfs einer gerichtlichen Zuständigkeitskonzentration und gerade auch einer sachlichen Begründung für Kempten können wir Ihren Vorschlag nur ablehnen. Im Übrigen: Dem angehängten Vorschlag einer Änderung des § 143 Abs. 1 GVG werden wir zustimmen. Er regelt im Sinne der Rechtssicherheit die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei Anzeige bestimmter Straftaten, die im Ausland gegen deutsche Opfer begangen wurden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Nachhaltige Entwicklung in Subsahara-Afrika durch die Stärkung der Menschenrechte fördern (Tagesordnungspunkt 19) Frank Heinrich (CDU/CSU): Wir sind uns einig: Die Problemlagen im Afrika unterhalb der Sahara sind vielfältig und alarmierend. Der Antrag formuliert: „Afrika südlich der Sahara ist politisch, wirtschaftlich und sozial eine Region der Gegensätze und des rasanten Wandels.“ In diesem Wandel gibt es „Gewinner“ und Musterbeispiele sich entwickelnder Staaten, wie etwa das westafrikanische Ghana im Bereich der Korruptionsbekämpfung und der guten Haushaltsführung, wie Südafrika in der HIV-Prävention oder Kenia im Wassersektor; viele -andere Länder und Bereiche wären zu nennen. Diese Entwicklungen sind beispielhaft und machen anderen Staaten in der Region Mut; sie weisen der Entwicklungszusammenarbeit die Richtung. In ihrem Afrika-Konzept listet die Bundesregierung aber auch weitreichende Probleme auf, von denen Sie in Ihrem Antrag viele ebenfalls benennen. Ich zähle etliches davon an dieser Stelle noch einmal auf, um uns den Umfang und die Wucht der Problematik noch einmal deutlich vor Augen zu führen: Jeder zweite Mensch in Afrika lebt in absoluter Armut, also von weniger als 1 Euro pro Tag. Nach Angaben der DSW kommen auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter 84 Menschen, die auf Unterstützung ange-wiesen sind. 30 Prozent der Menschen in Subsahara-Afrika hungern. Viele Menschen leiden an Aids, Malaria oder Typhus. In einzelnen Staaten des südlichen Afrikas ist mehr als jeder fünfte Erwachsene mit dem HI-Virus infiziert. In vielen Ländern brodeln innerstaatliche Konflikte, ausgelöst durch ethnische Spannungen und fragile Staatlichkeit. Die Gefahr von zerfallenden Staaten, wie wir sie vor kurzem im Sudan erlebt haben, ist allgegenwärtig und wird häufig von bürgerkriegsähnlichen Zuständen begleitet. Es kommt zu Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen, die durch mangelnde Rechts-staatlichkeit oder willkürliche Rechts- und Justizsysteme forciert, gedeckt oder ignoriert werden. Die organisierte Kriminalität ist stark ausgeprägt. Insbesondere mit dem Handel von Frauen und Kindern werden weithin rege Geschäfte gemacht. Schlecht funktionierende Verwaltungen, die von Korruption zersetzt sind, begünstigen dies. Eine Presse- und Meinungsfreiheit wird oftmals nur eingeschränkt gewährleistet. Weite Regionen sind von Landflucht betroffen. Die daraus resultierende rasante Urbanisierung führt zu Mangel an Arbeit und elementarsten Dingen wie Kleidung, Nahrung und Wasserversorgung. Hohe Geburtenraten bei mangelnder wirtschaftlicher und infrastruktureller Versorgung verstärken diese Pro-bleme zusätzlich. Nehmen wir nur die Nachrichten, die UNESCO und WHO anlässlich des Weltwassertags am 22. März 2012 veröffentlicht haben. Die Zeit berichtete an diesem Tag: „Elf Prozent der Weltbevölkerung, 783 Millionen Menschen, leben immer noch ohne verbesserten Zugang zu sauberem Trinkwasser, die meisten in den ländlichen Gebieten Subsahara-Afrikas. Diese Regionen sind schwer zu erreichen. Es wird teuer, sie zu versorgen. In 25 Ländern, so die Vereinten Nationen, wenden Frauen täglich 16 Millionen, Männer 6 Millionen und Kinder 4 Millionen Stunden für die tägliche Versorgung mit Trinkwasser auf.“ Hier sind Menschenrechte in ihrer elementarsten Form eingeschränkt. Die Weltöffentlichkeit, auch wir, die bundesdeutsche Politik, dürfen dazu nicht schweigen. Darum begrüße ich den Antrag der SPD und die heutige Debatte. Wir schaffen Öffentlichkeit, und das ist eine der vornehmsten Aufgaben von Politik. Allerdings zeigt die zitierte Nachricht zugleich, in welche Richtung die Förderung und Stärkung der Menschenrechte in Subsahara-Afrika gehen muss. Da geht die Politik der Bundesregierung, wie sie im Afrika-Konzept beschrieben ist, in manchen Teilen über den Antrag der SPD hinaus, und an manchen Punkten setzt sie andere Schwerpunkte. Ich möchte heute auf drei Punkte eingehen: Erstens. Menschenrechte zu sichern, ist Teil der Entwicklungszusammenarbeit, der wirtschaftlichen Kooperation und der Bündnispolitik. Die Bundesregierung hat die Menschenrechtspolitik im Koalitionsvertrag deutlich aufgewertet und zum Querschnittsthema aller Politikfelder gemacht. Dieser zentrale Ansatz fordert ganzheitliches Denken über die Ressorts hinaus. Die Entwicklungszusammenarbeit etwa ist viel mehr als die klassische Entwicklungshilfe: Sie ist Wirtschaftszusammenarbeit und setzt auf Themen mit nachhaltiger Bedeutung. Sie sieht sich im Kontext internationaler Geber und agiert im Rahmen bestehender Verträge und Bündnisse. So stehen, anders als der Antrag suggeriert, eben nicht nur einzelne Projekte und Länder im Mittelpunkt der deutschen sowie der europäischen Unterstützung, sondern Bündnisse und Institutionen wie die Afrikanische Union, AU, das Panafrikanische Parlament, PAP, der Afrikanische Menschenrechtsgerichtshof und die Afrikanische Konferenz der Dezentralisierungsminister, AMCOD. Die Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen, REC, und Fachnetzwerken ergänzt diesen Ansatz. Parallel beteiligt sich Deutschland an politischen Prozessen, die Afrika als geeinten Akteur mit afrikanischen Positionen im Außenverhältnis wahrnehmen und stärken. Beispiele sind der G-8-/G-20-Kontext sowie die Gemeinsame Afrika-EU-Strategie, Joint Africa-EU Strategy, JAES. Auch die Abstimmung mit der UNO, der Weltgesundheitsbehörde, WHO, und der Weltbank gehört dazu. Zweitens. Um die Menschenrechte zu sichern, bedarf es sektoraler Unterstützung, mit einem Schwerpunkt beim Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung. Entwicklungszusammenarbeit muss Schwerpunkte setzen. Daher hat das BMZ ein Sektorkonzept entwickelt, das in intensiver Zusammenarbeit mit der KfW – finanzielle Zusammenarbeit –, der GIZ – technische Zusammenarbeit – und vielen NGOs umgesetzt wird. Drei Profilbereiche der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit den Staaten südlich der Sahara wurden definiert: Erstens: Gute Regierungsführung bzw. Good Governance. Zweitens: Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Drittens: Wasser. Prioritär ist dabei das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung. Beginnen wir auch hier noch einmal mit der Problemlage, wie sie im Afrika-Konzept der Bundesregierung ausgeführt wird: 40 Prozent der Menschen in dieser Region haben keine ausreichende Versorgung mit Trinkwasser und 70 Prozent keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen. Was tut die Bundesregierung dagegen? Deutschland ist der größte bilaterale Entwicklungspartner für Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Afrika. Seit 2003 hat die Bundesregierung durchschnittlich 90 bis 100 Millionen Euro pro Jahr für den Wassersektor in Afrika zur Verfügung gestellt. Davon fielen 70 Millionen Euro auf die Trinkwasser- und Sanitärversorgung. In Ländern wie Ägypten, Benin, Burkina Faso, Burundi, der Demokratischen Republik Kongo, Mali, Marokko, Sambia, Südsudan, Tansania, Tunesien oder Uganda sind Wasserversorgung und Abwasserentsorgung Schwer-punkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Es wurden beachtliche Erfolge erzielt: In Afrika südlich der Sahara stieg die Zahl der Menschen, die eine bessere Trinkwasserquelle nutzen, zwischen 1990 und 2008 von 252 Millionen auf 492 Millionen und damit auf fast das Doppelte – so der Millenniums-Entwicklungsziele-Bericht 2011 der Vereinten Nationen. Beispielhaft ist die Entwicklung in Kenia. So heißt es auf der Webseite der GIZ: „Die deutsche Unterstützung für den Wassersektor Kenias durch die GIZ durchläuft nunmehr die vierte Phase, die im Januar 2011 begonnen hat und drei Jahre dauern wird. Sie umfasst fünf Komponenten. 1. Reform des Wassersektors (MWI) 2. Regulierungsbehörde (WASREB) 3. Armutsfonds – Water Services Trust Fund (WSTF) 4. Wasserbewirtschaftung (WRMA, WRUAS) 5. Ausweitung der Einzelhausentsorgung (WSTF)“ Der vorliegende Antrag übersieht die Wasserproblematik nahezu gänzlich. Hier gehen die realen Erfordernisse, aber auch die reale Politik über den Antrag hinaus. Drittens. Subsahara-Afrika ist eine sehr heterogene Region, daher braucht es punktgenaue und länderspezifische Ansätze. Ich wiederhole: „Afrika südlich der Sahara ist politisch, wirtschaftlich und sozial eine Region der Gegensätze und des rasanten Wandels.“ Entsprechend differenziert und punktgenau muss die Zusammenarbeit erfolgen, damit die Menschenrechte tatsächlich gestärkt werden. Nehmen wir die positive Entwicklung der sogenannten Löwenstaaten im westlichen Afrika. Sie weisen neben ökonomischer Stärke viele Beispiele für Good Governance und menschenrechtliche Fortschritte auf. Der Ansatz der Regierungskoalition einer differenzierten EZ bzw. der menschenrechtlichen Länderstrategien sieht sich hier bestätigt. In Ghana leistet das BMZ sogenannte Budgethilfe, flankiert mit dem Aufbau eines Rechnungshofes. So konnte Transparenz geschaffen und Korruption abgebaut werden. Das beispielhafte Wasserprojekt in Kenia hatte ich bereits genannt. So ließen sich andere Beispiele finden. Doch ist es natürlich nicht mein Anliegen, die Probleme schönzureden. Ein Blick nach Mali reicht, ein zweiter nach Nigeria, ein dritter nach Somalia, und wir sehen, wie fragil die Lage in vielen Ländern des südlichen Afrika ist. Das Afrika-Konzept der Bundesregierung ist hier der richtige Weg. Christoph Strässer (SPD): In der bisherigen Debatte über unseren Antrag hier bei der Einbringung im Plenum und im federführenden Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat es überwiegend positive Stellungnahmen gegeben, sowohl bezüglich der Zielrichtung, nämlich der Förderung nachhaltiger Entwicklung durch Stärkung der Menschenrechte, als auch bei vielen einzelnen Forderungen. Damit wäre der Antrag eigentlich zustimmungsfähig – auch für die Koali-tionsfraktionen. Hauptmotiv für die angekündigte Ablehnung war dann immer wieder das erstaunliche Argument, die Bundesregierung tue ja all das schon, was im Antrag gefordert werde. Dies ergebe sich schon aus dem vor etwa einem Jahr vorgelegten Afrika-Konzept. Ja, es stimmt, es gibt ein Afrika-Konzept, wunderschön layoutet, auf mehr als 60 Seiten Hochglanzpapier mit vielen schönen Bildern. Aber: Gibt es denn auch eine Afrika-Politik der Bundesregierung, die diesen Namen verdient, abgeleitet aus diesem Konzept? Reicht die Vorlage einer Hochglanzbroschüre denn wirklich schon aus, um Sie zufriedenzustellen? Ist die Bundesregierung beim Thema Afrika wirklich international intensiv aktiv, insbesondere als Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zeitweise gar im Vorsitz dieser Institution? Wie werden eigentlich die Organisationen der Zivilgesellschaft – deutsche, internationale und in den afrikanischen Ländern – eingebunden, wie wird ihre unschätzbare Expertise eingebunden? Das sind doch die Fragen, die sich mit der Realitätstauglichkeit eines solchen Papiers befassen. Der Kollege Klaus Riegert, CDU/CSU, meinte dazu in der letzten Debatte zu unserem Antrag Folgendes: „Wir alle wissen, dass in dieser Region nach wie vor Missstände existieren. Wir wissen aber auch: Die Bundesregierung unternimmt alles Erdenkliche, um die Lage in Subsahara-Afrika zu verbessern!“ Das ist dann in der Tat eine sehr selektive Wahrnehmung der tatsächlichen Situation. Ja, es stimmt, es ist nicht alles schlecht und falsch. Es gab und gibt beträchtliche und schwerwiegende Unterstützung bei den Katastrophen in den letzten Monaten, am Horn von Afrika, in der Sahelzone in Westafrika. Aber wo blieb die entschlossene Unterstützung des Wahlprozesses in der Demokratischen Repu-blik Kongo, wo eine entschlossene und kluge Reaktion auf die verheerenden Wahlfälschungen und deren Auswirkungen auf die zivilgesellschaftlichen Entwicklungen, gerade bei der herausgehobenen Stellung der Bundesrepublik im Weltsicherheitsrat? Welche Rolle hat die Bundesregierung gespielt bei der Unterstützung demokratischer Transformationsprozesse wie in Sambia oder Guinea? Man muss es leider sagen: Es tendiert gegen null. Wir debattieren hier über den Antrag meiner Fraktion mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung in Subsahara-Afrika durch die Stärkung der Menschenrechte fördern“. Diese Diskussion würde wieder einmal zu so später Stunde stattfinden, dass es kaum Sinn macht, die Beiträge nicht zu Protokoll zu geben. Bereits die erste Befassung im November 2011 ging zu Protokoll – übrigens auch ein Signal dafür, welch hohen Stellenwert die Afri-ka-Politik bei der Koalition hat, ist doch auch deren eigener Sudan-Antrag zu noch späterer Stunde angesetzt, nach jetzigem Stand übrigens auch in der zweiten Lesung. Der Kollege Frank Heinrich, CDU/CSU, bemerkte seinerzeit: „Afrika ist ein weites Feld. Daher ist die heutige Debatte – und mögen die Reden auch „nur“ zu Protokoll gehen – mehr als eine Randnotiz im Deutschen Bundestag. Wir brauchen solche Debatten, um die humanitäre und menschenrechtliche Lage im Afrika der Subsahara zu betonen und zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Politik muss Öffentlichkeit schaffen. Das ist eine ihrer vornehmsten Aufgaben. Wir tun dies heute. Darum gilt mein Dank den Kollegen von der SPD-Fraktion, die mit ihrem Antrag diese Debatte ermöglicht haben.“ Sehr geehrte Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, wir bedanken uns für dieses Lob. Aber Ihre Aussage, Öffentlichkeit für Afrika schaffen zu wollen, indem man Reden zu einem Antrag zu Protokoll gibt, ist doch einigermaßen absurd. Wenn die Befassung eines Themas dadurch besondere Aufmerksamkeit bekommen soll, dass man das Thema so spät behandeln lässt, dass es keine wirkliche dialogische öffentliche Auseinandersetzung mehr gibt, dann bin ich dafür, dass in Zukunft auch die Regierungserklärungen der Kanzlerin zu Protokoll gehen und wir ihnen dadurch die dafür sicher eher angemessene Aufmerksamkeit widmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, Sie lehnen unseren Antrag ab. Die FDP schreibt dazu, in dem Antrag seien viele wichtige Dinge drin, aber einiges fehle noch; insofern werde man dem Antrag nicht zustimmen. Was denn Ihrer Meinung nach noch fehlt, wird nicht gesagt. Hätten Sie es während der Beratungen getan, hätten wir uns vielleicht einigen können, wie bei so manchem Afrika-Antrag in der Vergangenheit – das wäre ein gutes Signal gewesen! Eine so nichtssagende Ablehnung für einen Antrag, den Sie selbst als grundsätzlich richtig anerkennen, leuchtet vermutlich nicht einmal Ihnen selber ein. Die CDU/CSU lehnt unseren Antrag unter anderem mit der Begründung ab, dass bereits im Afrika-Konzept und in der EU-Afrika-Strategie vieles von dem, was die SPD fordere, enthalten sei und dass Unterstützung generell mit dem Gedanken der Menschenrechte zu verbinden, Teil des Menschenrechtsansatzes der Bundesregierung sei. Das stimmt. Und genau das ist ja das Problem, das wir in unserem Antrag ansprechen. Viele Ideen und Konzepte gibt es bereits, auch aufseiten der Bundesregierung. Nochmals: Es ist nicht alles falsch, was darin steht. Aber – und hier kommen wir wieder zu unseren Ausgangsfragen zurück – die Bundesregierung setzt solche Ideen eben gerade nicht durch politisches Handeln in die Realität um. Das ist doch der eigentliche Skandal, und das ist für uns auch aus der Opposition heraus immer die große Herausforderung, Sie immer und immer wieder auf diesen Missstand hinzuweisen und eigene Initiativen zu ergreifen, auch wenn diese durch fehlende Mehrheiten letztendlich nicht umgesetzt werden können. Wo ist denn im politischen Agieren der Bundesregierung tatsächlich nachzuvollziehen, dass sie vorrangig die menschenrechtlichen Ziele ihres Afrika-Konzepts und auch den wahrlich nicht schlechten oder falschen Menschenrechtsansatz des BMZ konkret durch politisches Handeln umsetzt, damit die Menschenrechte als Basis für Rechtsstaatlichkeit, gute Staatsführung und nachhaltige Entwicklung dienen können? Wo sind aus der Vielzahl von menschenrechtlich relevanten Strategien und Konzepten die Kernpunkte einer kohärenten Menschenrechtspolitik der Regierung erkennbar? Wo ist zu erkennen, dass sie die Umsetzung des zweiten Aktionsplans der EU-Afrika-Strategie aktiv begleitet und einen besonderen Stellenwert auf die menschenrechtlich relevanten Bereiche der Partnerschaft legt? In welcher Form und mit welchen konkreten politischen Instrumenten unterstützt die Bundesregierung die zivilgesellschaftlichen Akteure zum Beispiel im Kongo oder im Sudan als gezielte Alternative zur Förderung von fragilen staatlichen Strukturen und autoritären, willkürlichen Regimen? Darüber hinaus stellt sich die Frage, welchen Wert die Bundesregierung wirklich auf Konfliktprävention legt und inwiefern sie hierfür die Partnerschaft „Frieden und Sicherheit“ der EU-Afrika-Strategie aktiv unterstützt und die im Haushalt 2012 veranschlagten Mittel für Konfliktprävention aktiv und voll ausschöpft. Was wird wo politisch konkret getan, um die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken, insbesondere was ihre Bildung und Gesundheit anbelangt? Was tut Deutschland bilateral und im internationalen Rahmen, um Kinder in Afrika vor bewaffneten Konflikten zu schützen und die Umsetzung der aktuell verabschiedeten Resolution 1998 in allen Punkten voranzutreiben? Wie setzt sich die Bundesregierung konkret dafür ein, dass die Einhaltung der Menschenrechte Bestandteil aller EU-Handelsabkommen und Beziehungen mit den afrikanischen Partnerländern wird? Ich frage dies auch vor dem Hintergrund, dass ich Bundeskanzlerin Merkel auf ihrer Reise nach Kenia, Angola und Nigeria mit anderen Kolleginnen und Kollegen begleiten durfte. Ich habe dabei sehr genau hingehört, was bei den Empfängen, Wirtschaftsforen und Handelsabschlüssen gesagt wurde. In den Reden der Kanzlerin jedenfalls ist das Wort „Menschenrechte“ nicht ein einziges Mal vorgekommen, nicht einmal in Angola, einem Land, in dem die Korruption fröhliche Urstände feiert, wo sich „normale“ Menschen in der Hauptstadt Luanda keine Wohnungen mehr leisten können und sich jenseits der Stadtgrenzen schiere Armut ausbreitet, weil all das Geld aus den ökonomischen Beziehungen in die Taschen der herrschenden Klasse fließt. Nichts gegen gute wirtschaftliche Beziehungen und private Initiativen mit all diesen Ländern; die müssen sein, und es ist gut, dass es sie gibt und dass sie ausgebaut werden. Aber mit wertegebundener Außenpolitik hat all dies dann nichts zu tun, wenn der Aspekt der Menschenrechte, der bürgerlichen und politischen, aber in diesem Zusammenhang ganz besonders der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen noch nicht einmal am Rande eine Rolle spielt. Alle diese Punkte sind Teil unseres Antrags, und zwar nicht, wie die Ablehnung der Unionsfraktion weismachen will, weil wir behaupten, es gebe solche Ideen nicht bereits auf Papier, sondern weil wir die Umsetzung dieser richtigen Ideen im politischen Alltag der Bundesregierung nicht erkennen können. Es gibt also kein Wissensdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. Auch wenn die FDP von ihrem Primat der wirtschaftlichen Dimension nicht recht herunterkommen mag oder kann. Aber auch das kriegen wir noch hin. Der Grund für Ihre Ablehnung ist insofern zugleich die Antwort auf unsere Ausgangsfragen. Es gibt keine in Taten nachweisbare Afrika-Politik der Bundesregierung. Es ist alles nur Papier. Die Bundesregierung ist zum Thema Afrika international kaum aktiv. Deshalb sind auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen der Überzeugung, dass hier viel mehr und viel Besseres kommen muss. Auch viele Afrikaner sind der Meinung, dass die Bundeskanzlerin sich bei ihren ohnehin seltenen Besuchen auf dem Kontinent nicht intensiv genug auch um die Verbesserung ihrer Lebenssituation kümmert – im Zweifel sind Wirtschaftsinteressen dann doch wichtiger. Beides gleichwertig nebeneinander wäre die richtige Strategie, auch im wohlverstandenen Interesse unserer deutschen und europäischen Wirtschaft. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Ihre Begründung für die Ablehnung unseres Antrags ist mager. Denn im Grunde sehen Sie es als engagierte Außen-, Menschenrechts- und Entwicklungspolitiker genauso wie wir, zumindest in wichtigen Teilen. Nur leider ist es Ihre Regierung, die schläft. Wir laden Sie deshalb in jedem Fall ein, durch Zustimmung, aber auch durch die Möglichkeit der Zusammenarbeit diesen Schlaf zu beenden – Afrika hat größere Aufmerksamkeit verdient. Marina Schuster (FDP): Lassen Sie mich zunächst betonen, dass der uns vorliegende Antrag der SPD-Fraktion wichtige Punkte aufgreift, denen wir uns als FDP-Fraktion anschließen können und die darüber hinaus im Zentrum der Arbeit dieser Bundesregierung stehen. Zu einigen Sachverhaltsdarstellungen und Forderungen gibt es daher auch keinen Dissens. Andere Punkte teilen wir aber nicht; darauf komme ich noch später zu sprechen. Zunächst möchte ich kurz auf das eingehen, was die Bundesregierung und die schwarz-gelbe Koalition bisher erreicht haben. Wir haben im Koalitionsvertrag ein eigenes Menschenrechtskapitel verankert und wesentliche Teile eins zu eins umgesetzt. Hervorzuheben ist die Verbesserung der Menschenrechtsschutzsysteme, die wir entscheidend voranbringen konnten. Neben der Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte meine ich im Bezug auf Afrika vor allem das Schließen von Strafbarkeitslücken im Römischen Statut. Es war der deutsche Verhandlungserfolg unter der Leitung des Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning bei der Überprüfungskonferenz in Kampala vor zwei Jahren, der zur Definition des Crime of Aggression führte. Das ist ein Meilenstein. Und natürlich setzen wir uns dafür ein, dass mehr Staaten dem Römischen Statut beitreten, nicht nur in Afrika. Darüber hinaus haben wir nun erstmals ein ressortübergreifendes Afrika-Konzept, in dem wir uns auf sechs Schlüsselbereiche konzentrieren: Frieden und Sicherheit; gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte; Wirtschaft; Klima und Umwelt; Energie und Rohstoffe; Entwicklung, Bildung und Forschung. Es stimmt damit einfach nicht, dass sich das Afrika-Konzept auf Wirtschaftsinteressen fokussieren würde. Das ressortübergreifende Afrika-Konzept ist eingebettet in die Joint Africa-EU Strategy. Kurzum: Ja, wir setzen uns für die menschenrechtlichen Aspekte des zweiten Aktionsplans der EU-Afrika-Strategie ein. Außerdem haben wir mit dem Menschenrechtskonzept des BMZ erstmals einen verbindlichen Ansatz, der finanzielle Zusagen quasi an einem Menschenrechts-TÜV koppelt. Sie übersehen zudem, dass es beim Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“ und beim Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“ ja gerade darum geht, politische Ansätze zur Stabi-lisierung staatlicher Strukturen in fragilen Staaten und nach Konflikten zu finden und umzusetzen, gerade weil in dieser Situation der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, der Zivilgesellschaft und der lokalen Demokratie von besonderer Bedeutung sind. Natürlich unterstützen wir die Rechte von Frauen und Mädchen. Gerade in diesem Bereich begleitet die Bundesregierung wichtige Projekte, die Frauen und Mädchen den Rechtszugang bei sexueller Gewalt, die Stärkung sexueller Gesundheit und die politische Teilhabe ermöglichen. Hervorheben möchte ich insbesondere Projekte in Kenia, Nordnigeria und Burkina Faso. Ja, gerade Kinder sind die Hauptleidtragenden in Konflikten und Kriegen. Deswegen freut es mich sehr, dass es Außenminister Westerwelle gelungen ist, im vergangenen Jahr die von Ihnen angesprochene Resolution 1998 (2011) zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten bei den Vereinten Nationen durchzubringen. Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser werden seitdem international geächtet, und wir unterstützen die Bundesregierung bei der Umsetzung dieser wichtigen Resolution. Die FDP-Bundestagsfraktion kann diesem Antrag jedoch nicht zustimmen, weil er aus unserer Sicht den vor uns liegenden Herausforderungen nicht gerecht wird. Insbesondere die Kritik am privatwirtschaftlichen Engagement in Afrika zeigt, dass es sich dieser Antrag ideologisch bequem macht und dabei die afrikanische Realität verkennt. Es ist eben nicht „bedauerlich“, wie Sie es formulieren, dass sich diese Bundesregierung für gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen vor Ort einsetzt. Ihre Haltung zu wirtschaftlichem Wachstum ist mir, offen gesagt, ein Rätsel. SPD, Grüne und Linke reden seit Jahren davon, wie schädlich Wachstum eigentlich sei und dass unsere gesellschaftliche Vorstellung von Wohlstand umgedeutet werden müsse. Doch wenn es hart auf hart kommt, so wie beispielsweise in Griechenland derzeit, erinnern auch Sie sich wieder daran, dass wirtschaftliches Wachstum und Prosperität Voraussetzungen dafür sind, dass Gesellschaften florieren, dass sich ein Mittelstand entwickelt, aus dem heraus sich wehrhafte Zivilgesellschaften entwickeln können. Dies ist umso bedeutender für die Entwicklung in -Afrika. Sie wissen doch so gut wie ich, dass sich die im Umbruch befindlichen Länder Nordafrikas private Investoren herbeisehnen, weil die Arbeitslosigkeit, gerade in der jungen Generation, besonders hoch ist. Wie oft haben wir alle hier im Hohen Haus erwähnt, dass es für das Gelingen des arabischen Frühlings eben auch eines sozioökonomischen Erfolgs – sprich: Arbeitsplätze – bedarf! Das gilt auch für Subsahara-Afrika. In Liberia herrscht beispielsweise eine Arbeitslosigkeit von rund 80 Prozent. Dort wünschen sich die jungen Menschen nicht Almosen, sondern Zukunftsperspektiven, das heißt Arbeitsplätze, geschaffen von Unternehmern. Sie möchten nicht Bittsteller sein, sondern ein selbstbestimmtes Leben führen. Lassen Sie mich noch auf den Vorwurf eingehen, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verfehle die Ziele öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit. Es ist richtig, dass die Quote noch nicht bei 0,7 Prozent des Bundeshaushalts liegt. Das erwähnt die SPD gebetsmühlenartig. Doch wissen Sie auch, dass eben jene Zahl nach elf Jahren -Heidemarie Wieczorek-Zeul bei lediglich 0,36 Prozent lag? Das gehört zur Ehrlichkeit dazu, aber das verschweigen Sie natürlich in Ihrem Antrag, ebenso wie die Tatsache, dass die Quote im Jahr 2011 bei vorläufig 0,4 Prozent lag und somit die höchste seit 1990 ist. Außerdem – natürlich erwähnen Sie auch das nicht – hat sich diese Bundesregierung auf den Weg gemacht, den größten BMZ-Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik zu erreichen. Der Antrag der SPD-Fraktion spricht wichtige, unstreitige Punkte an, die wir unterstützen. Doch während einige Länder oder Sachverhalte nur schlaglichtartig genannt werden, bleibt anderes im Vagen und ist wenig konkret. Die FDP-Fraktion kann diesem Antrag aus den dargelegten Gründen nicht zustimmen. Annette Groth (DIE LINKE): Die aktuelle Situation der Menschenrechte in den Staaten des südlichen Afrika ist in vielfacher Hinsicht problematisch. Auf der einen Seite verhindern autoritäre Regierungen die Durchsetzung der Menschenrechte. Auf der anderen Seite ist es auch die Politik der westlichen Industriestaaten, die für die Verletzung der Menschenrechte in Subsahara-Afrika verantwortlich ist. Durch die Freihandelspolitik der westlichen Staaten werden das Recht auf Nahrung, das Recht auf Wasser und das Recht auf Gesundheit eklatant verletzt. Die westliche Staatengemeinschaft nimmt für ihre eigenen Interessen billigend in Kauf, dass für die Interessen der internationalen Agrarmultis immer mehr Bauern von ihrem Land vertrieben werden und ganze Regionen durch systematisches Land Grabbing in die Hände von internationalen Konzernen geraten. Durch die Afrika-Politik der westlichen Industrieländer wird diese Region vor allem zu einem Rohstofflieferanten und Absatzmarkt degradiert. Die Entwicklungsperspektiven für die Bevölkerung sind zweitrangig. Postkoloniale Strukturen werden durch diese Form der wirtschaftlichen Ausbeutung weiter gefestigt. Die Menschenrechte der Menschen aus Subsahara-Afrika werden mit Füßen getreten, wenn durch die massive Durchsetzung von Freihandelsabkommen eine eigenständige Entwicklung dieser Region bewusst untergraben wird. Nur eine echte regionale Integration in Subsahara-Afrika könnte eine eigenständige wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region ermöglichen. Wir wissen aber, dass ein solcher Prozess sehr schwierig ist und viel Zeit braucht. Die neoliberalen Heilsbeter vergessen, dass die sechs Gründungsstaaten der EU elf Jahre gebraucht haben, um nach der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Zollunion zu verwirklichen. Den Staaten Subsahara-Afrikas wird diese Zeit jedoch nicht eingeräumt. Diese Fragen werden im SPD-Antrag nicht thematisiert. Die Einschätzung im SPD-Antrag, dass bei einer Reihe von afrikanischen Staaten südlich der Subsahara die Chance besteht, die „Löwenstaaten“ der Zukunft zu werden, halten wir für zumindest fragwürdig. Für die Interessen der internationalen Investoren werden überall in den Ländern Subsahara-Afrikas Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen. Laut Amnesty sind seit dem Jahr 2000 in Nigeria über 2 Mil-lionen Menschen unrechtmäßig aus ihren Häusern vertrieben worden. Von diesen Zwangsräumungen sind vor allem die ärmsten Bevölkerungsgruppen betroffen. Diese Vertreibungen gehen auch aktuell weiter. So sollen in der nigerianischen Hafenstadt Port Harcourt 200 000 Menschen vertrieben werden, damit ein neues Geschäfts- und Freizeitzentrum für Unternehmen und die kleine Oberschicht errichtet werden kann. Insgesamt ist der Antrag der SPD von einem verkürzten Menschenrechtsbegriff geprägt. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte werden nur unzureichend angesprochen. Die SPD verkürzt in ihrem Antrag die Menschenrechte einseitig auf die bürgerlichen Menschenrechte. Die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen durch die Wirtschaftsinteressen der großen Konzerne werden leider nicht thematisiert. Problematisch ist auch das Verständnis von Menschenrechtspolitik für die Staaten Subsahara-Afrikas. Die SPD setzt vor allem auf Selbstverpflichtungen der afrikanischen Staaten, etwa im Rahmen der Gründungsakte der Afrikanischen Union, des African Peer Review Mechanism, der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und internationaler Menschenrechtskonventionen. Immer wieder wird die afrikanische Eigenverantwortung betont, nie aber die Verantwortung der Industriestaaten. Die Linke erwartet von einer emanzipatorischen Menschenrechtspolitik, dass die Politik der EU grundsätzlich geändert wird. Solange mithilfe von Frontex eine „Festung Europa“ aufgebaut wird und die europäische Flüchtlingspolitik billigend in Kauf nimmt, dass fast täglich Menschen an den EU-Außengrenzen sterben müssen, sind auch die Staaten der EU weit von einer Einhaltung der Menschenrechte entfernt. Das ist der eigentliche Skandal. Auch die unkritische Bezugnahme des Antrags auf die Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur und AU-Friedensmissionen ist problematisch. In keiner Weise werden die Verletzungen der Menschenrechte, meist an Frauen und Kindern, durch Angehörige von Armeen thematisiert. Auch die militärischen Interventionen des Westens in Libyen und Côte d’Ivoire, die Tausenden von Zivilisten das Leben gekostet hat und mit massiven Menschenrechtsverletzungen verbunden waren, spielen in dem Antrag keine Rolle. Auch wenn in dem Antrag einige richtige Forderungen aufgegriffen werden, ist er insgesamt unzureichend. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Staaten in Afrika verändern sich, differenzieren sich aus, erleben dynamische Entwicklungen. Immer mehr dieser Staaten sind bedeutende strategische Partner. Aber natürlich sind die Probleme deshalb noch nicht überwunden. 50 Prozent der 750 Millionen Menschen in Afrika südlich der Sahara leben in Armut. Knapp zwei Drittel der am wenigsten entwickelten Länder liegen in Afrika, viele sind von gewalttätigen Konflikten durchzogen. Der SPD-Antrag, den wir heute diskutieren, setzt sich auch mit dem Afrika-Konzept der Bundesregierung auseinander. Wir Grünen stellen fest, dass sich nach der Vorlage des Konzepts enttäuschend wenig getan hat. Schaut man etwa auf die Homepage des BMZ, so entsteht der Eindruck, die Seite zu „Afrika südlich der Sahara“ sei seit 2009 nicht mehr aktualisiert worden. Und auch sonst haben wir den Eindruck: Die Führung im BMZ hält sich lieber an Schwellenländer als an Länder in Afrika. Als Entwicklungspolitikerin ist es mir ein Anliegen, dass die Einhaltung der Menschenrechte eine praktizierte Leitlinie der internationalen entwicklungsorientierten Politik ist, zum Schutz der Bevölkerung, zum Nutzen von Frauen und Kindern, zugunsten derjenigen, die wenig Rechte haben. Gleichzeitig will Entwicklungspolitik mit ihren Instrumenten auch in solchen Ländern Angebote machen, wo die Situation schwierig und keineswegs perfekt ist. Wie ernst aber nimmt die Bundesregierung ihre Menschenrechtspolitik? Sowohl im Afrika-Konzept als auch im Entwicklungspolitischen Konzept der Bundesregierung wird darüber gesprochen. Aber gehen diese Erklärungen über Lippenbekenntnisse hinaus? So hat Minister Dirk Niebel im April 2011 bei der Mitgliederversammlung des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft deutlich gemacht, dass das vorrangige Ziel deutscher Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas die Steigerung der deutschen Exporte nach Afrika sei. Der Text der Rede lässt sich auf der Homepage des BMZ nachlesen. Tenor: Exporte will die Bundesregierung mit entwicklungspolitischen Instrumenten kräftig fördern. Verschiedentlich hört man die Bundesregierung sagen: „Jeder einzelne Euro an bilateraler staatlicher Entwicklungszusammenarbeit generiert einen Euro und achtzig Cent an zusätzlichem deutschen Exportvolumen in das betreffende Partnerland.“ Gute Entwicklungszusammenarbeit ist also, was Exporte schafft. Das ist gewiss ein interessanter Nebeneffekt. Aber in der Entwicklungspolitik geht es mehr um eine Welt, in der die Menschen in Frieden und frei von Not leben können. Es geht um die Organisation globaler Gerechtigkeit und damit um die Reduzierung von Armut. Minister Niebel und seine FDP verstehen unter Entwicklungspolitik vorrangig die optimale Exportförderung, im Sinne der deutschen Wirtschaft. Ich meine, es ist richtig, Afrika und die wirtschaftlichen Chancen des Kontinents auch für die deutsche Wirtschaft zu entdecken und zu fördern. Aber es ist falsch, dafür die sozialen und werteorientierten Ansätze der deutschen Politik gegenüber diesen Staaten an den Rand zu drängen. Wer vor allem auf die Kooperation mit deutschen Wirtschaftsverbänden, Public Private Partnerships, PPP, und die Schaffung eines besseren Geschäfts- und Investitionsklimas in den Partnerländern setzt, fragt nicht mehr, ob die Profitinteressen der Wirtschaft auch den Ärmsten zugutekommen, und fragt auch nicht mehr, ob Gruppen wie Landlose, Slumbewohnerinnen und -bewohner oder Frauen und Kinder auch tatsächlich erreicht werden. Durchsickereffekte, bei denen am Ende auch die Ärmsten von einer Wirtschaftsförderung profitieren, ergeben sich nicht ohne eine kluge staatliche Umverteilungspolitik. Der Weltentwicklungsbericht 2012 weist eine weitere Schwachstelle der internationalen Politik auf: bei der Geschlechtergerechtigkeit. In diesem Bericht korrigiert sich die Weltbank. Zum einen wird Gleichberechtigung der Geschlechter als ein Wert an sich anerkannt. Und man erkennt, dass Wirtschaftswachstum nicht per se gut für die Chancengleichheit ist, sondern man bestehende Gesellschaftshierarchien und Diskriminierungsmuster angehen muss, will man Frauen wirklich stärken, „empowern“. Das kann ich nur unterstreichen. Beispiel Rohstoffe. Perspektivisch sollen die bilateralen Rohstoffpartnerschaften ausgeweitet und auch mit afrikanischen Staaten abgeschlossen werden. Doch die bisherige Rohstoffpolitik von Schwarz-Gelb setzt vor allem auf Versorgungssicherheit. Menschenrechte kommen zu kurz. Rohstoffe wirken sich für die Bevölkerung in Afrika unter dem Strich eher negativ aus. Zwar ist die afrikanische Wirtschaft dank hoher Rohstoffpreise über Jahre gewachsen, vor der Wirtschafts- und Finanzkrise um durchschnittlich 6 Prozent jährlich. Andererseits gelingt es jedoch fast nie, Rohstoffreichtum in politische und sozioökonomische Entwicklungsprozesse für alle umzuwandeln. Menschenrechte, Demokratie oder die Umweltverträglichkeit von Großprojekten spielen so gut wie nie eine Rolle. Im Gegenteil: Ressourcenreichtum schürt in vielen Staaten Bürgerkriege und Korruption. Die Einnahmen aus dem Rohstoffsektor fließen in die Taschen Weniger, notwendige Investitionen in Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Infrastruktur bleiben aus, so dass sich soziale Spannungen sogar noch verschärfen. Die ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Folgen der Rohstoffgewinnung sind immens. Probleme der Landnahme, Enteignung, Umsiedlung und Zerstörung des Lebensraums stehen vielfach am Anfang der Rohstoffförderung. Einschüchterungen sind häufig Reaktionen auf Proteste, bis hin zu Verfolgung und Ermordung. Arbeitsschutzrechte werden nicht eingehalten, Gewerkschaften ignoriert bzw. verboten. Der Abbau selbst ist begleitet von massiven Umweltproblemen wie der Verschlechterung der Wasserqualität und der Bodenzerstörung und -vergiftung. Ein besonderes Problem des Bergbausektors sind die zerstörten Regionen, die nach Stilllegung des Minenbetriebs zurückbleiben. Für deren Wiederherstellung übernimmt meist niemand die Verantwortung. Ich finde es gut, dass die SPD die menschenrechtlichen Aspekte des Afrika-Konzepts stärken möchte. Die von mir genannten Beispiele zeigen, wie weit die Bundesregierung von ihren menschenrechtlichen Versprechen entfernt ist. Da hätten einige Punkte im Antrag der SPD kritischer ausfallen können. Wichtig ist mir jedoch die Botschaft: Ändern wir unser Bild von Afrika; es ist vielfältig und progressiv. Die Menschen in Afrika fordern ihren eigenen Weg, und diesen müssen wir begleiten, auf Augenhöhe und auch mit Anforderungen dieser Staaten an uns. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge – Keine Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 – Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 (Tagesordnungspunkt 26 a und b ) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Mit den vorliegenden Anträgen beweist die Opposition wieder einmal ihre Kurzsichtigkeit im Bereich der Energiepolitik. Für das Ziel einer kernkraftfreien Welt fordern Sie die Rücknahme deutscher Bürgschaften für den Export von -Nukleartechnologie ins brasilianische Angra dos Reis. Das geht wieder einmal an der Realität vorbei. Leider müssen auch Sie anerkennen, dass wir eben genau durch die Gewährung von Garantien für Nukleartechnologie Einfluss nehmen auf die Umsetzung hoher Umwelt- und Sicherheitsstandards am Standort Angra 3. Der sichere Betrieb von Kernkraftwerken macht eben nicht vor Grenzen halt. Deshalb ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Technologie- und Sicherheitsfragen so wichtig. Ein Rückzug in ideologisches Inseldenken, wie Sie ihn in Ihren Anträgen einschlagen, ist garantiert der falsche Weg. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich bin der Meinung, dass deutsche Exportkreditgarantien für die Fertigstellung von Angra 3 ein Beitrag zu mehr Sicherheit sind. Lassen Sie mich zuerst auf die grundsätzlichen und historischen Aspekte eingehen: Die deutsche Bundes--regierung unterstützt deutsche Unternehmen, die im -Exportgeschäft tätig sind, schon seit über 60 Jahren. Dadurch hilft sie bei der Erschließung neuer Märkte, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern. Aus diesen Verpflichtungen kann man nicht einfach so – ad hoc – aussteigen. Das entspräche nicht unserer Verantwortung. Denn gerade weil die Sicherheit von Kernkraftwerken nicht vor Grenzen haltmacht, ist ein Engagement deutscher Unternehmen bei der Fertigstellung von Angra 3 sinnvoll. Die Bundesregierung hat im Februar 2010 die Übernahme einer Exportkreditgarantie für Lieferungen und Leistungen im Interministeriellen Ausschuss für Exportkreditgarantien nach Unterrichtung des Haushaltsausschusses im Januar 2010 grundsätzlich gebilligt. Nach der erneuten Unterrichtung des Haushaltsausschusses im September 2011 wurde diese grundsätzliche Zusage weiter verlängert, ein letztes Mal im März 2012. Klar ist, dass eine endgültige Zusage erst nach -Berücksichtigung der Ergebnisse eines unabhängigen Gutachtens getroffen werden kann. Dieses Gutachten liegt aktuell der Bundesregierung zur Prüfung vor. Darin soll unter anderem auch festgehalten werden, ob und wie die Erkenntnisse aus den Ereignissen von Fukushima beim Bau des Kernkraftwerks Angra 3 berücksichtigt werden. Wir haben uns letztes Jahr für ein Auslaufen der Nutzung der Kernenergie entschieden. Andere Länder treffen andere Entscheidungen. Wir dürfen nicht glauben, in der Frage „Kernenergienutzung ja oder nein?“ andere missionieren zu können. Wir können mit unserem Ausstieg aber ein Beispiel sein für die anderen Länder und dafür werben, dass es geht. Und solange andere Länder auf Kernenergie setzen, ist es eben unsere Verantwortung, uns für weltweit höchste Sicherheitsstandards stark zu machen. Ich rate Ihnen: Schauen Sie sich einmal bei unseren Nachbarn um. Wir Deutsche sollten nicht immer glauben, dass wir die Weisheit für uns gepachtet haben. Großbritannien setzt auf den Ausbau der Kernenergie, im Übrigen in Kombination mit dem Ausbau der Windenergie. US-Präsident Obama setzt verstärkt auf Kernenergie und hat erst in diesem Frühjahr den Bau weiterer Kernkraftwerke mit einem Investitionsvolumen von rund 10 Milliarden Euro genehmigt. Die Franzosen, die Niederlande, die Skandinavier und insbesondere auch die von den Grünen und Sozialdemokraten mitgetragene finnische Regierung setzen alle auf die Kernenergie. Und sie tun es, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie sich in dem Thema verrannt haben und keinen richtigen Ausstieg finden. Sie sehen: Auch wenn wir Deutschen uns letztes Jahr für einen Ausstieg aus der Kernenergie entschieden -haben, hat diese Entscheidung keine Auswirkung auf die Entscheidung anderer Staaten, Nukleartechnologie zu nutzen. Jedes Land entscheidet selbst, welchen Energiemix es wählt. Im vorliegenden Fall hat eben Brasilien entschieden, ein weiteres Kernkraftwerk, Angra 3, zu errichten. Daran werden auch Ihre Anträge nichts ändern. Dennoch sind wir uns der Sensibilität von Nuklearprojekten sehr bewusst. Das Thema Sicherheit nehmen wir sehr ernst. Es ist deshalb falsch, dass Sie einen Rückzug aus deutschen Bürgschaften fordern! Wie Sie an unserer Entscheidung zum beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland erkennen können, hat für uns die Sicherheit von Nuklearprojekten höchste Priorität. Auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in Fukushima setzen wir uns sowohl in der EU als auch in der Gemeinschaft der G-20-Staaten für einheitliche Sicherheitsstandards auf hohem Niveau ein. Beispielsweise werden in der EU derzeit sogenannte Stresstests für Kernkraftwerke ausgewertet. Außerdem sollen im Rahmen der Internationalen Atomenergie--organisation, IAEO, die internationalen Sicherheitsstandards für Nuklearanlagen überprüft und dynamisch fortentwickelt werden, um dem grenzüberschreitenden Charakter der Nukleartechnologie gerecht zu werden. Soweit Exportkreditgarantien für Lieferungen und Leistungen für Kernkraftwerke beantragt werden, legt die Bundesregierung besonders strenge Prüfungsanforderungen an. Bei der Prüfung des Antrags auf Übernahme einer Exportkreditgarantie für Angra 3 hat die Bundesregierung neben der Umweltverträglichkeitsprüfung auch das nukleare Sicherheitskonzept, den nuklearen Brennstoffkreislauf und die Betriebsführung durch einen externen Experten prüfen lassen. Zudem ist Brasilien Mitglied der Internationalen Atomenergieorganisation mit einer entsprechenden aufsichtsrechtlichen Behörde. Diese Beispiele zeigen, dass die Einflussnahme auf Sicherheitsstandards und die Gewährung von Bürgschaften für Angra 3 eng miteinander verknüpft sind. Mit einer Übernahme von Exportkreditgarantien können wir mit dafür sorgen, dass hohe Standards bei Bau und -Betriebsführung gelten. Exportkreditgarantien fördern aber auch deutsche -Exporte und Wertschöpfung. Sie haben eine wichtige -beschäftigungspolitische Bedeutung. So sichern das deutsche Unternehmen Areva NP GmbH und seine direkten Unterlieferanten rund 2 500 Arbeitsplätze. Dabei fallen circa 1 000 Stellen auf kleine und mittlere Zulieferer. Aber Sie haben in einem Punkt recht: Die Sicherheit von Kernkraftwerken hat höchste Priorität. Genau aus diesem Grund machen die Exportkreditgarantien Sinn. Indem die deutsche Regierung grundsätzlich bereit ist, auch für den Bau von Kernkraftwerken im Ausland Exportkreditgarantien auszustellen, können wir Einfluss auf die Realisierung hoher Sicherheits- und Umweltanforderungen nehmen. Wir können den Bau von Kernkraftwerken in anderen Ländern nicht verhindern. Aber wir können mit unseren Forderungen und Unterstützungen im Bereich von Nu-kleartechnologien einen hohen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit von Kernkraftwerken weltweit leisten. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Vroni-Plag hätte beim Durchschauen der beiden Oppositionsanträge seine wahre Freude: Ganze Absätze sind hier wortgleich. Wer von wem abgeschrieben hat, ist bei dem Inhalt, den Sie mit Ihren Anträgen hier vorlegen, auch egal. Im Gegensatz zum noch nicht abgeschlossenen Stresstest im brasi-lianischen Kernkraftwerk Angra 3 haben Sie mich, meine Kollegen aus der Koalition und die Bundesregierung einem völlig überflüssigen Stresstest unterzogen. Aber auch den werden wir, denke ich, ohne Makel überstehen. Aber nun zur Sache: Sie glauben, uns mit der grundsätzlichen Zusage einer Hermesbürgschaft für Lieferungen und Leistungen des deutschen Unternehmens Areva NP GmbH durch die Bundesregierung „ertappt“ zu haben: Hier Energiewende und Kernkraftausstieg – dort Förderung von Kernkraftwerksneubauten. Ganz so einfach, wie Sie das in Ihren Anträgen darstellen, ist es aber nicht, werte Kollegen von der Opposition. Gerade Sie, werte Sozial-demokraten, werte Grüne, sollten sich nicht so heuch-lerisch hier hinstellen und den unschuldigen Empörten mimen: Im Jahr 1999 hatten Sie zu Ihrer Regierungszeit eine Hermesbürgschaft über 36 Millionen D-Mark für die Nachrüstung des nicht unumstrittenen slowenischen Kernkraftwerks Krsko – deutsch: Gurkfeld – übernommen. Eine Bürgschaftszusicherung von ganzen 300 Millionen D-Mark hat die rot-grüne Bundesregierung für die Lieferung von Leittechnik für den Bau des Kernkraftwerks Lianyungang/Shanghai in China im Jahr 2000 genehmigt, weitere 34 Millionen D-Mark für die Nachrüstung der Atommeiler Atucha I in Argentinien und Ignalina in Litauen, auch im Jahr 2000. Also: Halten Sie mal schön den Ball flach! Sie können mir glauben, dass sich die Koalition und die Bundesregierung der besonderen Sensibilität von Nuklearprojekten bewusst sind – nicht erst seit Fukushima. Natürlich hat die Bundesregierung auch schon diverse Gespräche mit der brasilianischen Regierung zum Thema Angra 3 geführt. Mit Unterstützung unserer Fraktion setzt sich die Bundesregierung sowohl in der EU als auch im Rahmen der G 20, zu der ja auch Brasilien gehört, für einheitliche Standards auf hohem Niveau ein. Erfolg hatte sie schon bei den OECD-Umweltleit-linien: Für staatlich abgesicherte Lieferungen an Kernkraftwerke müssen zukünftig die Standards der Interna-tionalen Atomenergie-Agentur – International Atomic Energy Agency – als Prüfmaßstab herangezogen werden. So viel zu Erfolgen der unionsgeführten Bundesregierung auf internationaler Ebene. Jetzt aber zum Kern Ihres Antrags: Die von der Bundesregierung im Februar 2010 ausgesprochene grundsätzliche Zusage – wohlgemerkt grundsätzliche – für eine Hermesdeckung für den Bau des Kernkraftwerks Angra 3 in Brasilien wurde nach den Ereignissen von Fukushima am 21. September 2011 mit zusätzlichen Auflagen verlängert. Die letzte Verlängerung erfolgte am 22. März dieses Jahres und ist bis zum 2. September 2012 gültig, natürlich auch die Auflagen. Die wichtigste Auflage war und ist die Vorlage eines weiteren unabhängigen Gutachtens durch das Institut für Sicherheitstechnologie, die ISTec GmbH. In diesem Gutachten soll zum einen festgestellt werden, ob die Auflagen aus dem brasilianischen Genehmigungsverfahren erfüllt sind, und zum anderen, ob und wie die Erkenntnisse aus der Havarie von Fukushima beim Bau des Kernkraftwerks Angra 3 berücksichtigt werden. Dabei müssen insbesondere Erdbebensicherheit, Hochwassergefahr, Stromversorgung und Kühlung, Notfallpläne, Evakuierungsmöglichkeiten und Berg- bzw. Erdrutsch geprüft und bewertet werden. Eine endgültige Entscheidung über die Deckung einer Hermesbürgschaft kann und wird die Bundesregierung erst dann treffen, wenn sie – also die am Interministeriellen Ausschuss für Exportkreditgarantien beteiligten Ressorts, Bundeswirtschaftsministerium als Federführer, Bundesfinanzministerium, Auswärtiges Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – alle Überprüfungen und Abwägungen getroffen hat, die für diese Entscheidung zu Recht notwendig sind. Dazu gehört vor allem der vom Betreiber des Kraftwerks Eletronuclear geplante Stresstest, der wohl erst Ende Juni dieses Jahres abgeschlossen sein wird. Erst dann können die Kriterien Erdbeben, Hochwasser, Ausfall der Stromversorgung und Wärmesenke sowie anlageninterner Notfallschutz bewertet werden. Wahrscheinlich ist Ihnen das entgangen, aber der ja schon 1984 begonnene und zwischenzeitlich lange unterbrochene Bau des Kernkraftwerks Angra 3 geht zurück auf das 1975 geschlossene deutsch-brasilianische Abkommen zur Energiepartnerschaft. Auf die Frage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einer Kleinen Anfrage an die rot-grüne Bundesregierung, wie die Schröder--Regierung ihren vertraglichen Verpflichtungen aus diesem Abkommen nachkommen will, antwortete das Trittin-grüne Bundesumweltministerium am 17. Mai 2000 auf Bundestagsdrucksache 14/3410: „Verbindliche vertragliche Verpflichtungen werden durch die Bundesregierung erfüllt. Dies gilt selbstverständlich auch im deutsch-brasilianischen Verhältnis.“ Pacta sunt servanda – das sehe ich auch so. Sie heute offenbar nicht mehr. In Ihren Anträgen fordern Sie lapidar, „ab sofort keine Hermesbürgschaften für Nukleartechnologien oder andere Technologien, die für den Bau von AKW bestimmt sind, zu vergeben“. Was wäre dann die Konsequenz? Das möchte ich als Wirtschaftspolitiker an dieser Stelle schon einmal beleuchten: Es geht hier um deutsche Lieferungen, deutsche Produkte, deutsches Know-how, deutsche Wertschöpfung. Schauen wir uns das Vorhaben zunächst einmal aus beschäftigungspolitischer Sicht an: Der Beschäftigungseffekt für das deutsche Unternehmen Areva NP GmbH und für die direkt beteiligten Unterlieferanten beträgt insgesamt circa 2 500 Mannjahre. Dabei fallen bei den direkt betroffenen Unterlieferanten circa 1 000 Mannjahre auf kleine und mittlere Zulieferer. Wir dürfen auch nicht die Bedeutung des Projekts für die Auslastung der nachgelagerten Unterlieferanten vergessen: Hier wird ein zusätzlicher Beschäftigungseffekt von ungefähr 2 500 Mannjahren erzielt. Würden wir die seinerzeit von Rot-Grün aufgestellten, rein auf nationaler Ebene geltenden Hermes--Umweltleitlinien heute anwenden, hätte Deutschland gegenüber anderen OECD-Staaten einen klaren Wettbewerbsnachteil. Wie Sie wissen sollten, gelten heute für die Länder der OECD, also auch für Deutschland, die „Common Approaches“ der OECD: „Recommondation on Common Approaches on Environment and Officially Supported Export Credits“. Hier sind im Übrigen bislang keine spezifischen Rahmenbedingungen für Exporte zu ausländischen nukleartechnischen Anlagen vorgegeben. Wenn wir so handeln, wie sich das unsere rot-rot-grünen Träumer in ihren damaligen Leitlinien so ausgemalt hatten, hätten wir früher oder später ein gewaltiges Standortproblem, wenn die Firmen, die Produkte und Know-how im Bereich der Nukleartechnik erzeugen, aber auch die zahlreichen Zulieferer ihre Standorte ins Ausland verlagern. Durch die von uns eingeleitete Energiewende ist diese Gefahr sowieso schon nicht gerade geringer geworden; aber das ist wohlabgewogen angesichts der nicht wegzudiskutierenden Gefahren durch die Kernkraft. In der Folge gehen nicht nur Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, sondern auch Fachwissen und Erfahrung in Deutschland für immer verloren. Das wäre ein herber Rückschlag für den Technologiestandort Deutschland, den auch Sie immer gerne propagieren. Ich dachte, das hätte Rot-Grün auch verstanden, wenn die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder auf die Kleine Anfrage von CDU/CSU auf die Frage, ob die Regierung die Absicht habe, die Überprüfungskriterien bei der Vergabe von Hermesbürgschaften zu ändern, am 17. Mai 2000 auf der schon zitierten Bundestagsdrucksache 14/3410 geantwortet hat: „Sie“ – also die rot-grüne Bundesregierung – „stimmt sich mit ihren internationalen Partnern im Rahmen der G 7, der Euro-päischen Union und der OECD mit dem Ziel ab, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen nicht beeinträchtigt wird.“ Da habe ich mich wohl getäuscht. Auf Dauer besonders schädlich für unser Land wäre in meinen Augen, dass uns dann die Fachkräfte fehlen: Physiker, Ingenieure, spezialisierte Metallwarenhersteller und andere Berufsgruppen, die daran hängen. Wenn sie nicht ins Ausland gehen, müssen sie sich eine neue Beschäftigung suchen. Die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich wäre obsolet und könnte nicht mehr angeboten werden. Das beträfe nicht nur die Beteiligten an den Projekten selbst, sondern auch die, die solche ex-port-orientierten Projekte überprüfen müssen. Ich denke da vor allem an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das schlicht nicht mehr das Fachpersonal kriegen könnte, das die Ausfuhren im Nuklearbereich fachgerecht überprüft und bewertet. Schon heute, nach unserem Beschluss zur Energiewende, haben die deutschen Mitarbeiter in den entsprechenden Ministerien und Behörden auf internationalem Parkett nicht gerade einen leichten Stand, wenn sie in den Fachdebatten ernst genommen werden wollen. Nach dem Motto: „Was wollt ihr denn?!“ müssen sich die deutschen Vertreter schon heute besonders gut behaupten, wollen sie von ihren Kollegen aus Frankreich, den USA oder aus England ernst genommen werden. Würden wir uns aus diesem Geschäftsfeld international gänzlich zurückziehen, wäre Deutschland als Hightechland um ein weiteres Stück abgeschaltet. Wollen Sie das? Brasilien hat die souveräne Entscheidung getroffen, an dem Standort Angra dos Reis neben den bestehenden Kernkraftwerken ein drittes Kernkraftwerk – Angra 3 – zu errichten. Das müssen wir akzeptieren. Unser Entschluss, die zivile Nutzung der Kernenergie mit kurzen Restlaufzeiten zeitnah zu beenden und in ein Zeitalter der erneuerbaren und sichereren Energien einzutreten, betrifft die Energieversorgung im Inland. Für die souveräne Entscheidung anderer Staaten, Nukleartechnologie zu nutzen, hat diese Entscheidung keine Bindungswirkung. Beruhigend ist sicherlich, dass nach den uns vor-liegenden Informationen der für Angra 3 vorgesehene Reaktor dem aktuellen Stand der Technik der in West-europa eingesetzten Druckwasserreaktoren beruht. Warum sollte aber Deutschland mit seiner Hochtechnologie made in Germany nicht zu einem Mehr an Sicherheit in Ländern beitragen, die sich für eine Weiternutzung der Kernkraft entschieden haben? All die von Ihnen angesprochenen geologischen, geografischen, technischen und sicherheitspolitischen Schwachpunkte werden mit Waren und Know-how aus Deutschland nach meiner Überzeugung deutlich verbessert, wenn nicht ausgemerzt. Wollen Sie lieber die Augen zumachen, damit Technologie aus Russland oder China zum Zuge kommt? Ich jedenfalls fühle mich – nicht nur als Wirtschaftspolitiker – deutlich wohler, wenn ich weiß, dass bei dem Kraftwerksneubau in Brasilien deutsche Wertschöpfung einen zentralen Anteil hat. Rolf Hempelmann (SPD): Wir reden heute hier über eine Hermesbürgschaft für den Bau eines Atomkraftwerkes in Brasilien. Letztes Jahr ist Deutschland mit breiter parlamentarischer Mehrheit aus der Nutzung der Atomenergie ausgestiegen. Der deutsche Atomausstieg fußt auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Während wir in Deutschland auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzen, sollen die Nutzung und der Ausbau der Atomtechnologie in anderen Ländern gefördert werden, und wir unterstützen den Bau eines Atomkraftwerkes in Brasilien? Das ist ein falsches Zeichen und kein Ausdruck einer stringenten Energiepolitik. Es geht aber nicht nur darum: Es geht auch um die Nutzung unserer Exportförderinstrumente. Exportkreditversicherungen sind wichtige Instrumente der deutschen Exportförderung. Sie sollen deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb unterstützen, decken Ausfallrisiken von Exporteuren ab und schaffen damit -Anreize, sich auch auf Märkten mit Risiken zu engagieren. Der finanzielle Einsatz ist hoch. Die Hermesbürgschaft für Angra 3 soll schließlich 1,3 Milliarden Euro betragen. Mit diesem Betrag will die Bundesregierung ein Projekt fördern, an dem kein deutsches Unternehmen mehr beteiligt ist. Siemens ist im März 2011 aus dem ehemals deutsch-französischen Joint Venture ausgestiegen. Neben diesen Aspekten fehlen der SPD-Bundestagsfraktion jegliche tatsächliche, politische und ökonomische Risikoabschätzung und die Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten. Ich fange mal mit Letzterem an. Nicht ohne Grund haben wir unter Rot-Grün Hermes-Umweltleitlinien entwickelt. Wir wollen im Ausland keine Projekte unterstützen, die wir bei uns nicht zulassen würden. Nach diesen Umweltleitlinien war die Exportförderung von Nukleartechnologien zum Neubau bzw. zur Umrüstung von Atomanlagen ausgeschlossen. Kurz nach der Bundestagswahl 2009 setzte die jetzige Bundesregierung diese Hermes-Umweltleitlinien außer Kraft. Spätestens seit dem Atomausstieg im letzten Jahr müssen die Leitlinien wieder gelten. Wir fordern die Bundesregierung auf, sie wieder in Kraft zu setzen. Aber was spricht noch gegen eine Hermesbürgschaft für Angra 3? Das Atomkraftwerk soll in einem Gebiet gebaut werden, das durch instabile Böden und eine hohe Erdrutschgefahr geprägt ist. Das AKW soll am Meer und in unmittelbarer Nähe eines dichtbevölkerten Gebietes liegen. Schon allein dies muss gegen den Bau von Angra 3, aber auf alle Fälle gegen eine deutsche Unterstützung sprechen. Zum Atomkraftwerk führt nur eine -schmale Straße. Die Evakuierungsmöglichkeiten und die Zufahrt von Hilfskräften wären eingeschränkt. Spätestens nach Fukushima verbietet sich der Bau eines AKW in einem geologisch und geografisch so ungeeigneten Gebiet. Hinzu kommt, dass es sich bei Angra 3 um einen Reaktortyp auf dem Stand der Technik der 70er-Jahre handelt. Angra 3 verfügt über ein veraltetes Sicherheitsdesign, welches wir in Deutschland nicht mehr zulassen würden. Ein solcher Reaktor würde heute in Deutschland keine Bau- und Betriebsgenehmigung erhalten. Vielmehr wird in Deutschland das vergleichbare AKW Grafenrheinfeld 2014 abgeschaltet. Die Gutachten von Professor Dr. Célio Bermann und Dr. Francisco Correa, in Auftrag gegeben von den Nichtregierungsorganisationen urgewald und Greenpeace, kommen zu dem Ergebnis, dass sich der Standort für Angra 3 weder geologisch noch geografisch oder technisch eignet. Diese Gutachten will die Bundesregierung jedoch nicht in ihre Abwägung einbeziehen. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages verlangte gerade mit Blick auf Fukushima eine Neubewertung des Baus von Angra 3. Dazu sollte der Kraftwerksbauer Areva ein Gutachten vorlegen. Darin sollte nicht nur der Bau des Kraftwerkes, sondern auch die Situation nach Fukushima, insbesondere zu den Problemen wie Erdbeben, Erdrutschen, Hochwasser, Notfallstromversorgung und Evakuierungsplänen, neu bewertet werden. Dieses Gutachten liegt nun vor: Es hat 34 Seiten und fast 600 Seiten Anlagen. Das Gutachten lässt sich kurz zusammenfassen: Es erfolgte keine eigene umfassende Prüfung der Standortfaktoren. Es erfolgte keine inhaltliche Prüfung der in den Unterlagen enthaltenen fachlichen Aussagen. Und von einer eigenen Neubewertung nach Fukushima kann keine Rede sein. Die Gutachter beschränkten sich darauf, zu überprüfen, ob der brasilianische Betreiber tätig geworden ist und der Genehmigungsbehörde Unterlagen geschickt hat. Die zur Verfügung gestellten Unterlagen wurden rein formell bearbeitet; fehlende Unterlagen wurden nicht nachgefordert. Dieses Gutachten kann keine Grundlage für eine Entscheidung zu einer Hermesbürgschaft für Angra 3 sein. Außerdem: Gegen den Bau von Angra 3 hat sich am 5. Juli 2011 die brasilianische Anwaltskammer an den brasilianischen Obersten Gerichtshof gewandt. Die Anwaltskammer sieht im Bau von Angra 3 einen Verstoß gegen die brasilianische Verfassung, da bisher keine spezifische Genehmigung des aktuellen Projektes durch den brasilianischen Kongress vorliegt. Die Anwaltskammer möchte daher den Bau von Angra 3 stoppen. Darüber hinaus ist die Gesamtfinanzierung von Angra 3 noch ungewiss. Trotz eines Beitrags der brasi-lianischen Entwicklungsbank BNDES über etwa 2,7 Milliarden Euro und den möglicherweise hermesgedeckten Beitrag von 1,3 Milliarden Euro ist die Gesamtfinanzierung von mindestens 4,5 Milliarden Euro noch nicht geklärt. Die französischen Banken wollen nur dann Kredite vergeben, wenn diese über eine Bürgschaft abgesichert sind. Zwei Banken haben angekündigt, ein weiteres Gutachten mit einer kompletten Due-diligence-Prüfung in Auftrag geben zu wollen. Die Bundesregierung hat keine umfassende Risikoabschätzung vorgenommen. Weder tatsächlich noch politisch oder ökonomisch sind die Risiken kalkulierbar. Die ungeklärte Rechts- und Finanzierungslage erhöht die Risiken des Projekts weiter. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland als Steuerzahler für ein gescheitertes Atomprojekt einstehen müssten, bei dem noch nicht einmal die Interessen eines deutschen Exporteurs als Entscheidungsgrund geltend gemacht werden können. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Tatsächlich haben wir im Jahr 2011 den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Eine Bindungswirkung für andere souveräne Staaten ist daraus aber keinesfalls abzuleiten. Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung Deutschlands über unsere Stromversorgung im Inland, nicht über die Stromversorgung anderer souveräner Staaten. Sie fordern hier wie üblich eine Bevormundung, nur dass diesmal sogar ein demokratischer Staat betroffen ist. Natürlich sind wir nach den Ereignissen in Fukushima bezüglich der Vergabe von Exportkreditgarantien für den Bau von Kernkraftwerken besonders sensibel. Gerade deshalb bestehen wir vor abschließender Bewertung der Bürgschaftsvergabe auf Abschluss des angeforderten Gutachtens. In diesem werden neben dem brasi-lianischen Genehmigungsverfahren auch die Erkenntnisse aus der Havarie von Fukushima geprüft. Sobald die bisher noch fehlenden Unterlagen zur Bewertung der Sicherheitsaspekte erbracht sind und der Stresstest fertiggestellt ist, kann der zuständige Interministerielle Ausschuss über eine Zusage entscheiden. Die angeblich unabhängigen Gutachten im Auftrag von urgewald und Greenpeace wurden hierbei schon zur Kenntnis genommen. Wir setzen uns weiterhin innerhalb der Europäischen Union und der Staatengemeinschaft G 20 für einheitliche Standards zum Bau und Betrieb von Kernkraftwerken ein. Hiervon sind auch Brasilien und Angra 3 betroffen. Ihr Vorwurf der Unverantwortlichkeit ist dementsprechend völlig verfehlt. Für die deutsche Wirtschaft hat die Hermesbürgschaft eine hohe beschäftigungspolitische Bedeutung: Der -Beschäftigungseffekt für die beteiligten deutschen Unternehmen, Zulieferer und Lieferanten beträgt circa 3 500 Mannjahre. Bei den nachgelagerten Unterlieferanten wird ein zusätzlicher Beschäftigungseffekt von circa 2 500 Mannjahren generiert. Auch in Zeiten einer florierenden Wirtschaft ist es für unser Land wichtig, dass die Industrie unterstützt und nicht behindert wird. Ihre Forderung nach Ablehnung aller Bürgschaften für Nukleartechnologien weisen wir zurück. Bei Ihrer generellen Ablehnung berücksichtigen Sie weder den Einzelfall noch die Interessen der deutschen Industrie. Wir lehnen daher die Anträge der SPD-Fraktion und der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ab. Jan van Aken (DIE LINKE): Ich bin froh, dass sich die Oppositionsparteien vehement gegen das Vorhaben der Bundesregierung wehren, die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit einer 1,3 Milliarden Euro teuren Hermesbürgschaft für ein unsicheres, ja gefährliches Atomkraftwerk in Brasilien zu belasten. Auch wenn mir ein Oppositionsantrag – und das geht jetzt in Richtung der SPD – „mit vereinten Kräften“ noch deutlich lieber gewesen wäre. Der von den Grünen und uns vorgelegte Antrag zeigt die wichtigsten Gefahren, die der AKW-Neubau mit sich bringen würde. Zu den ohnehin bekannten Risiken von Atomkraftwerken kommen die folgenden Probleme: Das Atomkraftwerk liegt direkt am Meer und birgt damit die gleichen Risiken wie etwa in Fukushima. Gutachter sind zu dem Schluss gekommen, dass bei einer Überschwemmung ähnlich katastrophale Folgen zu befürchten sind, wie wir sie letztes Jahr in Japan erleben mussten. Der Standort liegt in unmittelbarer Nähe zur 170 000-Einwohner-Stadt Angra dos Reis und nur 150 Kilometer von der 12-Millionen-Metropole Rio de Janeiro entfernt. Der geplante Reaktor entspricht noch nicht einmal dem schon völlig veralteten Sicherheitsdesign des AKW Grafenrheinfeld, das vor über 30 Jahren ans Netz ging und laut letztjährigem Atomkompromiss im Jahr 2015 endlich abgeschaltet werden soll. So weit, so ungut. Was die Bundesregierung hier jedoch tut, ist mehr als die Hinnahme eines etwas riskanten, aber sonst lukrativen Geschäfts. Jetzt zeigt sich, was hinter dem vermeintlichen Atomausstieg der Regierung Merkel steckt: Hier im eigenen Land tut sie um der Wählergunst willen so, als wäre Fukushima die Zäsur gewesen, nach der Deutschland sich gegen die nukleare Energieerzeugung entschieden hat. Dabei wird weiterhin noch die gefährlichste Atomtechnologie einfach woanders hin exportiert. Die Bundesregierung hat weitere Bürgschaften für Atomanlagen und Zubehör erteilt. Zulieferungen für Atomkraftwerke in China, Japan, Südkorea, Litauen, Slowenien und Russland wurden verbürgt, alle mindestens in zweistelliger Millionenhöhe. Auch die Urananreicherungsanlage in Gronau produziert weiter Kernbrennstoffe für AKW weltweit. Da kann man wirklich nur noch fragen: Sieht so Ihr Atomausstieg aus, Frau Merkel? Dabei wissen wir allerspätestens seit Tschernobyl: Radioaktive Strahlung kennt keine Grenzen. Da nützt es gar nichts, sie außer Landes zu schaffen. Sehen wir uns aber doch einmal den Konzern Areva an, der hinter dem Bau von Angra 3 steckt. Dieser hat nicht nur mit der Firma Tepco zusammengearbeitet und damit an dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima mitgearbeitet. Areva baut auch in Mali, Südafrika, Niger, Namibia und anderen Ländern Uran und andere Rohstoffe ab. Vor Ort bedeutet dies katastrophale ökologische Folgen, gegen die sich zum Glück zunehmend Widerstand formiert. Areva organisiert zudem die Atommülltransporte aus La Hague nach Gorleben. Sogar am kleinen Standort Erlangen, der das Atomkraftwerk Angra 3 umsetzen soll, regt sich Protest. Die Bürgerinnen und Bürger dort sammelten selbst Geld, um das Sponsoring einer Kulturveranstaltung durch Areva zu vermeiden. Wer die Energiewende will, lässt sich nicht auf ein heikles Geschäft mit dem größten Atomkonzern der Welt ein, der überall – von Japan über Afrika, Deutschland und Brasilien – die Bevölkerungen auf die Barrikaden bringt. Der Umgang mit der Hermesbürgschaft für Angra 3 zeigt deutlich: Das Manöver der Bundesregierung ist kein wirklicher Ausstieg aus der Atomkraft. Der Protest muss deswegen weitergehen. Wir, die Linke im Bundestag, haben uns von Beginn an gegen den Vorschlag ausgesprochen, den die Bundesregierung als Atomausstieg präsentiert hat. Denn er ist weder unverzüglich und unumkehrbar, noch bedeutet er einen umfassenden Abschied von der Atomwirtschaft. Wir wollen den Atomausstieg, und zwar ganz. Wenn auch Sie ihn wollen, Frau Merkel, vergeben Sie keine Hermesbürgschaft für Angra 3. Vergeben Sie gar keine Bürgschaften für Atomtechnologien mehr. Noch kann gehandelt werden. Neben dieser extrem gefährlichen Technologie unterstützt die Bundesregierung aber auch den Export von anderen tödlichen Waren. Daher bin ich im Übrigen der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist unverantwortlich, inkonsequent, empörend und in keinster Weise vermittelbar – doch Schwarz-Gelb hält an der Hermesbürgschaft für Angra 3 fest. In Deutschland ist der Atomausstieg beschlossen – mit breiter parlamentarischer Mehrheit und in einem -gesamtgesellschaftlichen Konsens. Wie kann es dann angehen, dass die Bundesrepublik die Nutzung und den Ausbau von Atomtechnologie in anderen Ländern weiter fördert?! „Wenn die Atomrisiken inakzeptabel für Deutsche sind, wie kann es dann für Deutschland akzeptabel sein, diese Gefahren in anderen Länder und zu deren Bürgerinnen und Bürgern zu exportieren?“ Diese Frage haben Trägerinnen und Träger des Alternativen Nobelpreises im Februar in einem offenen Brief an die Bundesregierung gerichtet. Eine Antwort auf diese Frage erwarte auch ich von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der Koalition; eine Antwort sind Sie vielen hier im Parlament und in der Zivilgesellschaft, bei uns in Deutschland und in Brasilien, schuldig. Wir entlassen Sie hier nicht aus der Verantwortung. Denn wir wissen: Die deutsche Bürgschaft über 1,3 Milliarden Euro ist entscheidend für die Finanzierung von Angra 3. Die französischen Banken wollen nur dann Kredite vergeben, wenn diese Kredite über eine Bürgschaft abgesichert sind. Das heißt: Die Bundesregierung hat es in der Hand, ob die nötige Finanzierung für dieses höchstriskante, veraltete AKW zustande kommt. Was sagen Sie zu den Risiken und Gefahren von -Angra 3? Was sagen Sie zu den Ergebnissen der Studien, die Greenpeace und urgewald in Auftrag gegeben -haben? Gestehen Sie endlich ein, dass die Grundsatzzusage für die Hermesbürgschaft eine gravierende Fehleinschätzung war! Denn die Fakten liegen auf dem Tisch und lassen sich nicht zerreden: Die Betriebsgenehmigung für Angra 3 wurde auf Basis ungeeigneter Daten und einer unvollständigen Konsequenzanalyse erteilt. Evakuierungen vor Ort wären im Katastrophenfall -wegen der zu engen Küstenstraße und häufiger Erdrutsche im Prinzip unmöglich. Angra 3 entspricht nicht den internationalen Anforderungen und würde in der EU oder den USA an diesem Standort keine Genehmigung erhalten, weil grundlegende Sicherheitsstandards nicht erfüllt werden. In unserem gemeinsamen Antrag mit der Linken gehen wir auch auf das von der Bundesregierung angeforderte neue Gutachten ein. Das wurde in der Zwischenzeit von Areva freigegeben. Wer das Gutachten gelesen hat, weiß: Die Hermesbürgschaft muss sofort gestoppt werden. Denn auch das neue Gutachten ignoriert den -aktuellen Stand der Sicherheitsanforderungen. Selbst zu den bekannten Risiken am Standort Angra 3 – etwa Erdrutsche – werden keine Informationen geliefert, sondern es wird auf noch ausstehende Prüfungen verwiesen. Wir aber lassen uns nicht ein auf dieses Spiel auf Zeit. Die Bundesregierung verweist auf den geplanten Stresstest für das AKW. Aber ein Stresstest, der vom AKW-Betreiber selbst durchgeführt und von der nicht unabhängigen brasilianischen Atombehörde bewertet wird, ist nichts-sagend und bedeutungslos. Deshalb fordere ich Sie auf: Ziehen Sie die Konsequenzen und stoppen Sie die Bürgschaft! Die endgültige Entscheidung über die Bürgschaft für Angra 3 wird zeigen, wie ernst es Schwarz-Gelb mit dem Atomausstieg ist. Denn in Deutschland aus der Atomkraft auszusteigen und gleichzeitig Atomexporte ins Ausland zu fördern, ist schizophren und atompolitische Heuchelei. Mit der Atomkatastrophe von Fukushima ist die Unbeherrschbarkeit dieser Technologie selbst in einem Land wie Japan offenkundig geworden. Fukushima ist eine welthistorische Zäsur in der Energiepolitik. Die Konsequenz kann nur eine sein: der schnellstmögliche Ausstieg aus der Atomenergie, und zwar auf der ganzen Welt. Anlagen 1Anlage 2 2Ergebnis Seite 21479 D 3Anlage 3 4Anlage 4 5Anlage 5 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 21488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 181. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 181. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2012 21489 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 21688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 181. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 181. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2012 21689