Plenarprotokoll 17/186 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 186. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 27. Juni 2012 I n h a l t : Bestimmung der Abgeordneten Britta Haßelmann als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses und der Abgeordneten Renate Künast und Jürgen Trittin als stellvertretende Mitglieder des Vermittlungsausschusses Erweiterung der Tagesordnung Zusatztagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 28./29. Juni 2012 in Brüssel Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Rainer Brüderle (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Joachim Spatz (FDP) Joachim Poß (SPD) Michael Schlecht (DIE LINKE) Dr. Michael Meister (CDU/CSU) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Michael Stübgen (CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD) Norbert Brackmann (CDU/CSU) Michael Roth (Heringen) (SPD) Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: 9. Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland; sonstige Fragen zur Kabinettssitzung Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Ulla Jelpke (DIE LINKE) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Michael Frieser (CDU/CSU) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Ewa Klamt (CDU/CSU) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Rüdiger Veit (SPD) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Ulla Jelpke (DIE LINKE) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Michael Frieser (CDU/CSU) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Ulla Jelpke (DIE LINKE) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Dr. Sascha Raabe (SPD) Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Niema Movassat (DIE LINKE) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Heike Hänsel (DIE LINKE) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 17/10051) Mündliche Frage 3 Ute Vogt (SPD) Vorkommen von Formationswasser und Lösungszutritten im Endlager Konrad Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Ute Vogt (SPD) Mündliche Frage 4 Ute Vogt (SPD) Geplante Inbetriebnahme des Endlagers Konrad ab 2019 Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Ute Vogt (SPD) Dorothée Menzner (DIE LINKE) Mündliche Frage 7 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auflage eines Auenschutzprogramms und Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie an den Brandenburger Bundeswasserstraßen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 8 Dr. Matthias Miersch (SPD) Etwaige Außerkraftsetzung von Richt-linien und EU-Regeln zur Beschleunigung des Stromleitungsbaus Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Mündliche Frage 12 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schlussfolgerungen aus dem Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20 Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 13 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen zur Implementierung weltweiter, messbarer Nachhaltigkeitsziele Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 14 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Gefahren bei der stofflichen Verwertung von Klärschlamm Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Mündliche Frage 15 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Rücknahme von Altarzneimitteln zur Verhinderung des Übergangs von Schadstoffen in den Nahrungskreislauf Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Mündliche Frage 16 Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Weitere Themen des Bürgerdialogs Zukunftstechnologien des BMBF Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Mündliche Frage 19 Michael Gerdes (SPD) Ausgestaltung einer flächendeckenden Verbesserung der Lehrerausbildung Antwort Dr. Helge Braun (CDU/CSU) Zusatzfrage Michael Gerdes (SPD) Mündliche Frage 20 Michael Gerdes (SPD) Finanzierung der gemeinsamen Förderinitiative von Bund und Ländern zur Förderung der Lehrerausbildung Antwort Dr. Helge Braun (CDU/CSU) Mündliche Frage 17 Willi Brase (SPD) Gemeinsame Förderinitiative von Bund und Ländern zur Förderung der Lehrerausbildung Antwort Dr. Helge Braun (CDU/CSU) Zusatzfrage Willi Brase (SPD) Mündliche Frage 18 Willi Brase (SPD) Geplantes Auswahlverfahren zur Bestimmung von Projekten im Zusammenhang mit der gemeinsame Förderinitiative von Bund und Ländern zur Förderung der Lehrerausbildung Antwort Dr. Helge Braun (CDU/CSU) Mündliche Frage 28 Dr. Sascha Raabe (SPD) Herkunft des von Bundesminister Niebel in Kabul erworbenen afghanischen Teppichs Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Sascha Raabe (SPD) Mündliche Frage 29 Dr. Sascha Raabe (SPD) Regelung der Formalitäten bei der Aus- und Einfuhr des von Bundesminister Niebel in Kabul erworbenen afghanischen Teppichs Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Zusatzfragen Dr. Sascha Raabe (SPD) Mündliche Frage 37 Dr. Matthias Miersch (SPD) Verkürzung des Rechtswegs beim Leitungsausbau auf eine Instanz Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Forderung von SPD und Grünen zu Tempo 30 in Städten Gero Storjohann (CDU/CSU) Sören Bartol (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Kirsten Lühmann (SPD) Werner Simmling (FDP) Hans-Joachim Hacker (SPD) Daniela Ludwig (CDU/CSU) Peter Götz (CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Patrick Schnieder (CDU/CSU) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Neuabdruck einer zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der Lehrerausbildung (184. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Anlage 3 Mündliche Frage 1 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagungstermine der BMU-Beratungskommissionen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 4 Mündliche Frage 2 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Relevante tschechische Rechtsgrundlagen für das Verfahren Kernkraftwerk Temelin 3 und 4 Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 5 Mündliche Frage 5 Marco Bülow (SPD) Ziele und Inhalt des Masterplans zum Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 6 Mündliche Frage 6 Marco Bülow (SPD) Geplante Gesetzesvorhaben bezüglich des Rückbaus stillgelegter Atomkraftwerke Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 7 Mündliche Frage 9 Dirk Becker (SPD) Pläne des BMWi zur Überführung des -Erneuerbare-Energien-Gesetzes in ein Quotenmodell Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 8 Mündliche Frage 10 Dirk Becker (SPD) Von der EEG-Umlage befreite Strommenge durch Eigenverbrauch der Industrie-betriebe nach § 37 Abs. 3 Satz 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 9 Mündliche Frage 11 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stilllegung von Kraftwerken Ende 2012 aufgrund verschärfter Immissionsschutzanforderungen Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 10 Mündliche Frage 21 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Mehrbedarf und haushalterische Vorkehrungen zur Studienplatzfinanzierung im Rahmen des Hochschulpaktes 2020 für die Jahre 2013 bis 2015 Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 11 Mündliche Frage 22 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Auszahlung der vereinbarten Teilzahlungen für die Jahre 2013 und 2014 an die Länder im Rahmen des Hochschulpaktes 2020 zur Studienplatzfinanzierung Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 12 Mündliche Frage 23 Oliver Kaczmarek (SPD) Zuständigkeiten bei der Entwicklung der Bildungsinfrastruktur Antwort Dr. Helge Braun (CDU/CSU) Anlage 13 Mündliche Frage 24 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswirkungen des Betreuungsgeldes auf die Qualität der frühkindlichen Bildung Antwort Dr. Helge Braun (CDU/CSU) Anlage 14 Mündliche Frage 25 René Röspel (SPD) Bau des Großprojekts „Square Kilometre Array“ sowohl in Südafrika als auch in Australien Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 15 Mündliche Frage 26 René Röspel (SPD) Gesamtkosten der Beteiligung Deutschlands an Bau und Betrieb des Square Kilometre Array Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 16 Mündliche Frage 27 Klaus Hagemann (SPD) Konsequenzen aus den aktuellen Empfehlungen der Reaktor-Sicherheitskommission für den Betrieb der Forschungsreaktoren Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 17 Mündliche Frage 30 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Auswirkungen der Ergebnisse des G-20-Gipfels von Los Cabos und der 101. ILO-Konferenz Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 18 Mündliche Frage 31 Karin Roth (Esslingen) (SPD) Ergebnisse der Rio+20-Konferenz und Umsetzung der Sustainable Development Goals Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 19 Mündliche Frage 32 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Förderung erneuerbarer Energien durch das BMZ seit 2010 Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 20 Mündliche Fragen 35 und 36 Frank Schwabe (SPD) Beurteilung des Verpressens von Fracking-Abwässern in ehemalige Lagerstätten oder andere unterirdische Gesteinsformationen und alternative Handlungsmöglichkeiten Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 21 Mündliche Frage 38 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Instrumente zur Refinanzierung von Investitionen in der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 22 Mündliche Fragen 39 und 40 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anstieg des Strompreises für private Haushalte in den letzten zehn Jahren und Maßnahmen zur Minimierung des nicht EEG-bedingten Anstiegs des Strompreises Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 23 Mündliche Fragen 41 und 42 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Meldung neuinstallierter Photovoltaik-anlagen durch die Bundesnetzagentur als Basis von Vergütungssenkungen Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 24 Mündliche Frage 43 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zurückgezogene oder zurückgestellte Anträge oder Voranfragen des Unternehmens Krauss-Maffei Wegmann zur Genehmigung des Exports von Leopard-2-Kampfpanzern Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 25 Mündliche Frage 44 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorbehalt bezüglich der Genehmigung eines Reexports von in Spanien in Lizenz produzierten Kampfpanzern des Typs -Leopard 2 Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 26 Mündliche Frage 45 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Position der Bundesregierung zur Lieferung von Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 27 Mündliche Frage 47 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Besuch des in Almaty verhafteten Theaterregisseurs und Goethe-Preisträgers Bolat Atabajew im Gefängnis durch den deutschen Botschafter in Kasachstan Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 28 Mündliche Fragen 48 und 49 Niema Movassat (DIE LINKE) Mögliches Mandat des VN-Sicherheitsrats für eine militärische Intervention in Mali durch die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 29 Mündliche Frage 50 Andrej Hunko (DIE LINKE) Position der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat zu Cyberangriffen auf den Iran durch die Schadprogramme Stuxnet und Flame Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 30 Mündliche Frage 51 Andrej Hunko (DIE LINKE) Verhandlungen der EU-Kommission ins-besondere mit Libyen, Tunesien und -Marokko über polizeilichen Informationsaustausch, Grenzmanagement, Strafverfolgung und Einbeziehung der EU-Agenturen Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 31 Mündliche Frage 52 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Medienberichte über die Aktenvernichtung beim Bundesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der Überwachung von Rechtsextremisten des Thüringer Heimatschutzes Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 32 Mündliche Frage 53 Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Einführung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke im Urheberrecht Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 33 Mündliche Frage 54 Sevim Da?delen (DIE LINKE) Aktivitäten marokkanischer Geheimdienste gegen saharauische Oppositionelle in Deutschland Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 34 Mündliche Frage 55 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bewertung des jüngsten Presseberichts über die Beteiligung deutscher Neonazis an der Vorbereitung des Olympiaattentats von 1972 und Schlussfolgerungen in Bezug auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Aktenbestände und die Gedenkfeiern zum 40. Jahrestag Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 35 Mündliche Frage 56 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Aufhebung der Haushaltssperre der Verpflichtungsermächtigungen beim internationalen Klima- und Umweltschutz des Sondervermögens Energie- und Klimafonds Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 36 Mündliche Frage 57 Richard Pitterle (DIE LINKE) Steuerliche Berücksichtigung von laufenden Verlusten aufgrund einer atypischen stillen Beteiligung Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 37 Mündliche Frage 58 Richard Pitterle (DIE LINKE) Veranlagung der Erbschaftsteuer in Deutschland im Zusammenhang mit der Anwendung des Steuerabkommens mit der Schweiz Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 38 Mündliche Fragen 59 und 60 Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Teilselbstanzeige im Rahmen des Steuerabkommens mit der Schweiz und Rechtsfolgen hinsichtlich der Nachentrichtung der Steuer Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 39 Mündliche Frage 61 Klaus Hagemann (SPD) Fälligstellung von Studienkrediten ohne Ankündigung durch die Commerzbank und Rückzahlungsverhalten bei Studenten und Absolventen Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 40 Mündliche Frage 62 Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) Beteiligung der Bundesregierung und des Bundestages an der Vereinbarung zur Abwicklung der WestLB Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 41 Mündliche Frage 63 Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) Höhe des finanziellen Engagements zur Abwicklung der WestLB für den Bundeshaushalt Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 42 Mündliche Fragen 64 und 65 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Voraussetzungen für den Verlust der Steuerbefreiung nach § 51 Abs. 3 Satz 2 der Abgabenordnung für Organisationen bei einer Einstufung als extremistisch im Verfassungsschutzbericht und diesbezügliche Neuregelung durch das Jahressteuergesetz 2013 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 43 Mündliche Frage 66 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verlängerung der Rückzahlungsfrist für die an Irland gezahlten internationalen Hilfsgelder Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 44 Mündliche Frage 67 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erweiterung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion um eine Banken- bzw. Finanzmarktunion Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 45 Mündliche Frage 68 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Konsumausgaben des Staates in den Ländern der Europäischen Union seit 2009 und Auswirkungen der zurückgehenden konsumtiven Staatsausgaben auf die Volkswirtschaft der einzelnen Länder sowie der Euro-Zone insgesamt Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 46 Mündliche Frage 69 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Einfluss der Umsetzung des Fiskalpakts auf die Binnennachfrage in den Mitgliedsländern der Europäischen Union und prozentuale Entwicklung des preisbereinigten Einzelhandelsumsatzes seit 2008 Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 47 Mündliche Frage 70 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Bewertung der Arbeit und der Ergebnisse des Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit e. V. und Vorstellungen zur Fortführung der Arbeit Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 48 Mündliche Frage 71 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Bewertung der bisher erzielten Ergebnisse bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 49 Mündliche Frage 72 Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) In der Novellierung des Gentechnikgesetzes vorgesehene Mindestabstände zwischen Anbauflächen mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen und Anbauflächen mit nicht gentechnisch veränderten Pflanzen Antwort Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 50 Mündliche Frage 73 Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Regelungen im Hinblick auf die Nulltoleranz für nicht zugelassene gentechnische Verunreinigungen in Lebensmitteln sowie die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen Antwort Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 51 Mündliche Frage 74 Ulla Jelpke (DIE LINKE) Gründe für die Durchführung des Bundeswehrgelöbnisses am 20. Juli 2012 im Berliner Bendlerblock und Durchführungsort in den kommenden Jahren Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 52 Mündliche Fragen 75 und 76 Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anerkennung des in Deutschland geleisteten freiwilligen Wehrdienstes bzw. Zivildienstes bei doppelter Staatsbürgerschaft durch die Türkei Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 53 Mündliche Frage 77 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Steigerung der Attraktivität des freiwilligen Wehrdienstes für Migranten Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 54 Mündliche Frage 78 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einsatzszenarien für den geplanten Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark in Gardelegen Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 55 Mündliche Fragen 80 und 81 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Einsatz der an der UNIFIL-Mission beteiligten Schiffe auch für humanitäre Not-hilfeaktionen Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 56 Mündliche Frage 84 Sevim Da?delen (DIE LINKE) Umstände des Beschusses von Piratenlogistik auf somalischem Festland am 15. Mai 2012 Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 57 Mündliche Frage 85 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bewertung des nationalen Bildungsberichts 2012 in Bezug auf das Betreuungsgeld Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 58 Mündliche Fragen 86 und 87 Caren Marks (SPD) Schlussfolgerungen aus der Kritik des nationalen Bildungsberichts am Betreuungsgeld im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Bildungsangeboten für Kinder aus bildungsfernen Schichten Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 59 Mündliche Fragen 95 und 96 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beantragte bzw. derzeit laufende Linienbestimmungsverfahren für Bundesfernstraßen sowie Prüfung von Fernstraßenprojekten mit Linienvorschlägen der Länder durch das BMVBS Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 60 Mündliche Frage 97 Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) Haushaltspolitische Vorgaben bei der Finanzierung und Realisierung von Verkehrsprojekten sowie Finanzierung des Elbtunnels im Zuge der A 20 mithilfe privater Investitionen Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 61 Mündliche Fragen 98 und 99 Franz Thönnes (SPD) Geprüfte Varianten zur Finanzierung des Elbtunnels im Zuge der A 20 und recht-liche Hürden für eine Mischfinanzierung Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 62 Mündliche Fragen 100 und 101 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Vorlage der Zwischenergebnisse der Machbarkeitsstudie zur Finanzierung des Elbtunnels im Zuge der A 20 Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Inhaltsverzeichnis 186. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 27. Juni 2012 Beginn: 12.30 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich. Vor Aufrufen unseres Zusatzpunktes 1 habe ich Ihnen bekannt zu geben, dass die Fraktionen CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen mitgeteilt haben, dass die Kollegen Helmut Brandt und Wolfgang Bosbach als ordentliches Mitglied bzw. als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses ausscheiden. Die bisher als stellvertretendes Mitglied berufene Kollegin Britta Haßelmann soll als neues ordentliches Mitglied bestimmt werden. Ihre Stellvertretung soll die Kollegin Renate Künast übernehmen. Als neuer Stellvertreter des Kollegen Volker Beck ist der Kollege Jürgen Trittin benannt worden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist auch deshalb besonders zu begrüßen, weil damit eine lang schwebende Frage offensichtlich einvernehmlich gelöst ist. Damit sind die Kollegen Britta Haßelmann als ordentliches Mitglied und die Kollegen Renate Künast und Jürgen Trittin als stellvertretende Mitglieder im Vermittlungsausschuss bestimmt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am Donnerstag und Freitag dieser Woche zu erweitern. Dieser Tagesordnungspunkt soll jetzt sofort als Erstes aufgerufen werden. – Auch dazu darf ich Ihr Einverständnis feststellen. Dann ist das so beschlossen. Somit rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 28./29. Juni 2012 in Brüssel Zur Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat ist interfraktionell vereinbart, dass die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden betragen soll. – Das ist einvernehmlich. Dann darf ich hiermit das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundeskanzlerin erteilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise bestimmt seit mehr als zwei Jahren die Agenda der Europäischen Räte. Dies gilt auch für den morgen beginnenden Gipfel. Weil ich die Erwartungen und Hoffnungen kenne, die sich auch auf diesen Gipfel richten, wiederhole ich gleich zu Beginn noch einmal, was nicht oft genug gesagt werden kann: Es gibt keine schnellen, und es gibt keine einfachen Lösungen. Es gibt nicht die eine Zauberformel oder den einen Befreiungsschlag, mit dem die Staatsschuldenkrise ein für alle Mal überwunden werden kann. Nein, wenn es uns gelingen soll, die Krise dauerhaft zu überwinden, dann gibt es nur die Möglichkeit, diese Herausforderungen als einen Prozess aufeinanderfolgender Schritte und Maßnahmen zu verstehen, der das Problem im Übrigen an der Wurzel packt. Alles andere ist von vornherein zum Scheitern verurteilt; bestenfalls ist es Augenwischerei. Unser Wegweiser aus der Krise kann deshalb unverändert einzig die schonungslose Analyse ihrer Ursachen sein: Das ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Staaten, das sind grundlegende Fehler in der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion, und das ist natürlich die massive Staatsverschuldung. Diese Probleme sind hausgemacht, und diese hausgemachten Probleme müssen wir lösen, ohne Wenn und Aber. Dazu ist es unumgänglich, nichts zu versprechen, was wir nicht halten können, und konsequent das umzusetzen, was wir beschlossen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Ergebnis eines solchen Handelns ist Verlässlichkeit, und Verlässlichkeit ist die Voraussetzung für Vertrauen. Dieses hohe Gut „Vertrauen“ ist seit Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion nur zu oft mit Füßen getreten worden. Um dieses Vertrauen wiederzugewinnen oder überhaupt erst zu schaffen, hat die Bundesregierung von Anfang an dafür gearbeitet, die Wirtschafts- und Währungsunion stark und dauerhaft tragfähig zu machen. Erstens. Wir arbeiten dafür, den Teufelskreis aus Schuldenmachen und Regelverstößen zu durchbrechen und einen Rechtsrahmen zu schaffen, der die Mitgliedstaaten der Euro-Zone dauerhaft zu soliden Staatsfinanzen verpflichtet. Dazu wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt gestärkt. Der Fiskalvertrag wurde im März dieses Jahres unterzeichnet. Übermorgen steht er hier und im Bundesrat zur Abstimmung. Zweitens. Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, einen permanenten Krisenbewältigungsmechanismus zu schaffen, um zukünftige Gefahren für die Stabilität der Euro-Zone wirksam abwehren zu können. Auch über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, der so bald wie möglich an die Stelle des temporären Rettungsschirms treten soll, wird übermorgen im Bundestag und im Bundesrat abgestimmt. Drittens. Die Bundesregierung setzt sich für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ein. Die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, das ist die Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Diesem Ziel diente bereits der im März letzten Jahres beschlossene Euro-Plus-Pakt, und diesem Ziel dienten die Beratungen bei allen Europäischen Räten in diesem Jahr über die Frage, wie wir Wachstum und vor allen Dingen Arbeitsplätze schaffen können, ohne dass dies auf Pump geschieht. Konsolidierung und nachhaltiges Wachstum bedingen einander. Auf Dauer ist das eine nicht ohne das andere zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ging und es geht also nicht um Sparen um des Sparens willen, sondern darum, Spielräume für eine nachhaltige Haushaltspolitik zurückzugewinnen, für eine Haushaltspolitik, die nicht auf Kosten kommender Generationen gemacht wird. Darüber – das haben die intensiven und konstruktiven Gespräche der letzten Wochen gezeigt – besteht inzwischen auch breiter und fraktionsübergreifender Konsens in diesem Hause. Dafür danke ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutschland gibt sowohl mit einer am Ergebnis orientierten Diskussionskultur als auch mit dem Inhalt der Beschlüsse, die wir vorhin im Kabinett verabschiedet haben und die wir am Freitag im Bundestag und im Bundesrat beschließen werden, ein starkes Signal nach innen wie nach außen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist ein Signal der Entschlossenheit und der Geschlossenheit, die europäische Staatsschuldenkrise zu überwinden, und zwar nachhaltig. Genau darum, um Nachhaltigkeit, hat es zu gehen, nicht um Strohfeuer. Wenn wir morgen in Brüssel dem Fiskalvertrag einen kraftvollen Pakt für Wachstum und Beschäftigung an die Seite stellen, dann werden deshalb ganz oben auf der Wachstumsagenda auch weiterhin die Strukturreformen der Mitgliedstaaten für mehr Wettbewerbsfähigkeit stehen. Sie sind der Schlüssel zu nachhaltigem Wachstum. Vieles ist schon auf den Weg gebracht worden. Erste Erfolge sind in einer Reihe von Mitgliedstaaten zu verzeichnen. Dies gilt insbesondere für die Programmländer Irland und Portugal, die eindrucksvoll bestätigen, wie der Ansatz aus Konsolidierung und Strukturreformen, flankiert durch solidarische europäische Unterstützung, gelingen kann. Italien hat mit Mario Monti den Weg hin zu soliden öffentlichen Finanzen, Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit eingeschlagen. Spanien hat mit Mariano Rajoy und seiner Regierung im letzten halben Jahr wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Es ist richtig, dass er für die Herausforderungen im Bankensektor, die im Übrigen auf Fehlentwicklungen im Immobilienbereich in den letzten 10 bis 15 Jahren beruhen, jetzt auf die europäischen Hilfsinstrumente zurückgreift, die ja genau für diesen Zweck geschaffen wurden. Meine Damen und Herren, es steht völlig außer Zweifel: Alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, müssen ihre Hausaufgaben machen, die ihnen die Europäische Kommission – zum ersten Mal im Übrigen im Rahmen des neuen Stabilitätspakts – in ihren Länderberichten aufgegeben hat. Dies werden wir beim Europäischen Rat zusammen mit den Partnern noch einmal bekräftigen. Ich möchte der Kommission ausdrücklich für die sehr ehrlichen und sehr spezifischen Berichte danken. Auf dieser Grundlage kann die gezielte europäische Unterstützung und Förderung nationaler Maßnahmen erfolgen. Ein gutes Beispiel dafür, wie beides ineinandergreifen kann, ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Ich werde auf dem Rat dafür eintreten, dass sich alle Mitgliedstaaten verbindlich verpflichten, jedem Jugendlichen binnen weniger Monate nach Schulabschluss oder Jobverlust ein hochwertiges Angebot für eine neue Arbeitsstelle, eine Aus- oder Weiterbildung oder ein Praktikum zu machen. Zudem sollen befristete Einstellungszuschüsse aus dem Europäischen Sozialfonds finanziert werden können. Damit sollen für Unternehmen Anreize gesetzt werden, Jugendliche auszubilden oder einzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Darüber hinaus sollten wir junge Menschen bei der Arbeitsuche in anderen EU-Mitgliedstaaten unterstützen. „Dein erster EURES-Arbeitsplatz“ – so heißt die Initiative des Europäischen Portals für berufliche Mobilität, die genau das leisten will und die wir erweitern und finanziell aufstocken sollten. Die Bundesarbeitsministerin wird sich auf europäischer Ebene intensiv dafür einsetzen, dass wir neben dem Binnenmarkt auch mehr Mobilität auf den Arbeitsmärkten bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Außerdem werde ich mich beim Europäischen Rat weiterhin dafür starkmachen, EU-Finanzmittel insgesamt stärker zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum einzusetzen. Dazu gehört zum einen, noch nicht abgerufene Mittel aus den europäischen Strukturfonds – das könnten noch etwa 65 Milliarden Euro sein – rasch und gezielt für Investitionen einzusetzen, die ganz besonders Wachstum und Beschäftigung fördern. Laut Kommission konnten bis Mai bereits circa 7,3 Milliarden Euro für die Verbesserung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche und für einen verbesserten Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zu Finanzmitteln mobilisiert werden. Die Kommission schätzt, dass davon mindestens 460 000 Jugendliche und 56 000 kleine und mittlere Unternehmen profitieren würden. Um EU-Finanzmittel stärker zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum einzusetzen, gehört zum anderen auch, das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank um 10 Milliarden Euro aufzustocken. Damit könnten, so die Europäische Kommission, in den nächsten vier Jahren Kredite in Höhe von insgesamt 60 Milliarden Euro zusätzlich gewährt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schließlich gehört auch die Pilotphase zu der Projektanleiheninitiative dazu. Sie muss zügig begonnen werden. Wenn es geeignete Projekte gibt, können wir sie bis 2013 aufstocken. Mit einer Absicherung von 1 Milliarde Euro aus dem EU-Haushalt könnten, so die Kommission, Investitionen in Höhe von bis zu 5 Milliarden Euro mobilisiert werden. Insgesamt geht es bei den von mir dargestellten Maßnahmen um 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union oder, anders gesagt, um etwa 130 Milliarden Euro, die wir zusätzlich in Wachstum investieren können. Das ist ein starkes Signal. Der Gedanke von Wachstum und Beschäftigung muss uns darüber hinaus in den Verhandlungen über den nächsten EU-Finanzrahmen leiten; denn auch auf europäischer Ebene müssen wir dazu kommen, Wege zu finden, wie begrenzte Ressourcen am sinnvollsten eingesetzt werden können. Dazu hat Deutschland zusammen mit gleichgesinnten Mitgliedstaaten eine Debatte unter der Überschrift „Better spending“ eingefordert. Ziel ist es also, den EU-Haushalt 2014 bis 2020, der immerhin ein Volumen von rund 1 000 Milliarden Euro haben wird, eindeutig auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung auszurichten. Meine Damen und Herren, neben dem Pakt für Wachstum und Beschäftigung wird ein weiterer Schwerpunkt des Europäischen Rates die Finanzstabilität im Euro-Raum sein. Die Ratifikation des ESM-Vertrags in den Euro-Staaten ist weit fortgeschritten. Die Situation in Spanien zeigt, wie wichtig es ist, auch den Bankensektor verstärkt in den Blick zu nehmen und Ansteckungsgefahren zwischen Banken und Staatsfinanzen zu verringern. Zu diesem Zweck brauchen wir eine glaubwürdige europäische Bankenaufsicht, die objektiv agiert und auf nationale Belange keine Rücksicht nimmt. Zumindest die systemrelevanten Banken sollten künftig einer verstärkten gemeinsamen Aufsicht unterliegen. Hierzu müssen wir einen konkreten Fahrplan entwickeln und bald die ersten Schritte gehen. Die Verhandlungen über europäische Gesetzgebungsvorhaben, die bereits auf dem Tisch liegen, sollten beschleunigt werden. Diese betreffen die Sanierung und die geordnete Abwicklung von Kreditinstituten und die Verbesserung der nationalen Einlagensicherung zugunsten von Kleinanlegern und Sparern. Die Bundesregierung wird sich darüber hinaus für weitere Schritte der Finanzmarktregulierung einsetzen, unter anderem zur Reduzierung der Systemrelevanz großer Finanzmarktakteure und zur Regulierung der Schattenbanken; das war auch Thema auf dem G-20-Gipfel in Los Cabos. Wir sind uns darüber hinaus fraktionsübergreifend einig, die Einführung einer Finanztransaktionsteuer weiter voranzutreiben. Ich freue mich, dass beim Finanzministerrat in der letzten Woche die nötige Zahl von mindestens neun Mitgliedstaaten erreicht wurde (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP]) – der Beifall gilt dem Finanzminister; ich bedanke mich in seinem Namen –, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) um für dieses Anliegen eine sogenannte verstärkte Zusammenarbeit auf den Weg zu bringen. Heute haben wir im Kabinett beschlossen, den dazu erforderlichen Antrag zu stellen. Wir erwarten, dass die Europäische Kommission die erforderlichen Schritte einleitet, damit das europäische Gesetzgebungsverfahren möglichst bis Ende dieses Jahres abgeschlossen werden kann. Uns leitet die Überzeugung, dass der Finanzsektor einen angemessenen Anteil zur Bewältigung der Kosten der Finanzkrise leisten muss. Die Finanztransaktionsteuer wird genau zu diesem Zwecke erhoben werden. Meine Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt des Rates wird die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion sein. Die Staatsschuldenkrise zeigt uns täglich, dass Fehlentwicklungen in einem Land der Euro-Zone die Euro-Zone als Ganzes in Schwierigkeiten bringen können. Sie zeigt uns auch, dass nationale Antworten nicht ausreichen, um die Stabilität des Euro-Raums zu sichern. Länder eines gemeinsamen Währungsraums müssen fest entschlossen sein, gemeinsam vereinbarte Regeln einzuhalten und darauf hinzuarbeiten, ihre jeweilige Wettbewerbsfähigkeit schrittweise anzugleichen, und zwar nicht am Mittelmaß ausgerichtet, sondern an den jeweils Besten in Europa oder im weltweiten Maßstab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt: Es geht dabei um etwas sehr, sehr Grundsätzliches. Wir leben in sehr entscheidenden Monaten für die Zukunft Europas. In dieser Krise geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob wir auch in Zukunft in Europa in Wohlstand leben können – angesichts eines sich weltweit völlig verändernden Wettbewerbs. Die Schwellenländer sind motiviert. Wie wir diese Frage im Zusammenhang mit der Lösung der Staatsschuldenkrise beantworten, davon hängt das Leben künftiger Generationen in ganz entscheidendem Maße ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vor diesem Hintergrund müssen wir uns anschauen, was seit der Einführung des Euros geschehen ist. Die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten der Euro-Zone haben sich zum Teil über viele Jahre vergrößert, und die Kriterien, die wir uns mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt selbst gegeben haben, wurden immer wieder aufgeweicht. Es zeigte und zeigt sich immer wieder, dass es bislang keinerlei Möglichkeiten in der Währungsunion gibt, durch Eingriffe in nationales Handeln die Einhaltung der selbst gesetzten Maßstäbe durchzusetzen. Das genau sind die Fehler, die bei der Einführung des Euro gemacht wurden, weil die Wirtschafts- und Währungsunion nicht, wie ursprünglich geplant, mit einer politischen Union kombiniert wurde. Das hat uns inzwischen weltweit viel Vertrauen gekostet, Vertrauen von Investoren, die in europäische Staatsanleihen investieren sollten. Dieses Vertrauen muss jetzt mühsam wiedergewonnen werden, und dies geht nur, wenn wir die Versäumnisse der Vergangenheit beheben und so die Nachhaltigkeit und Funktionsfähigkeit der Währungsunion sichern. Die Wirtschafts- und Währungsunion muss eine Stabilitätsunion werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir werden beim Europäischen Rat einen Arbeitsplan aufstellen und eine Arbeitsmethode entwickeln, wie wir die Versäumnisse der Vergangenheit überwinden können. Ausgangspunkt unserer Diskussion wird ein Bericht sein, den der Präsident des Rates zusammen mit dem Präsidenten der Kommission, dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank den Staats- und Regierungschefs übersandt hat. Dem Parlament liegt dieser Bericht vor. Um es klar zu sagen: Ich teile die in diesem Bericht niedergelegte Auffassung, dass vier Bausteine für eine zukünftige Zusammenarbeit in einer stabilen Währungsunion wesentlich sind: erstens die integrierte Zusammenarbeit der systemrelevanten Finanzinstitute, zweitens eine integrierte Fiskalpolitik, drittens ein Rahmen für eine integrierte Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik und viertens die demokratische Legitimation einer solchen verstärkten Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Euro-Zone, was ja bekanntlich im Augenblick nur 17 von 27 sind. Ich sage auch: Diese vier Bausteine gehören eng zusammen. Sie entfalten nur gemeinsam ihre Wirkung. Aber ebenso klar sage ich: Ich widerspreche entschieden, dass im Bericht vorrangig der Vergemeinschaftung das Wort geredet wird und erst an zweiter Stelle – und das auch noch sehr unpräzise – mehr Kontrolle und einklagbare Verpflichtungen genannt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Somit stehen Haftung und Kontrolle in diesem Bericht in einem klaren Missverhältnis. Damit, so fürchte ich, wird auf dem Rat insgesamt wieder viel zu viel über alle möglichen Ideen für eine gemeinschaftliche Haftung und viel zu wenig über verbesserte Kontrollen und Strukturmaßnahmen gesprochen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ganz abgesehen davon, dass Instrumente wie Euro-Bonds, Euro-Bills, Schuldentilgungsfonds und vieles mehr in Deutschland schon verfassungsrechtlich nicht gehen, halte ich sie auch ökonomisch für falsch und kontraproduktiv. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kontrolle und Haftung dürfen nicht in einem Missverhältnis zueinander stehen. Kontrolle und Haftung müssen Hand in Hand gehen. Gemeinsame Haftung kann erst dann stattfinden, wenn ausreichende Kontrolle gesichert ist. Ich erinnere nur daran, dass weder Bund und Länder in Deutschland noch Staaten wie Amerika oder Kanada eine gesamtschuldnerische Haftung für ihre aufgenommenen Anleihen kennen. Vielmehr brauchen wir, um eine Stabilitätsunion zu entwickeln, mehr Durchgriffsrechte der europäischen Ebene, wenn Haushaltsregeln verletzt werden. Dazu verabschieden wir als ersten Schritt am Freitag den Fiskalpakt. Ich habe es hier schon früher gesagt und wiederhole es noch einmal: Ich hätte mir gewünscht, dass schon früher bei Nichteinhaltung des Stabilitätspakts ein Eingriff in nationale Haushalte möglich ist. Auch brauchen wir eine größere Verbindlichkeit in den Bereichen, die im Euro-Plus-Pakt und in der Agenda 2020 angesprochen sind, angefangen bei den schon oft versprochenen Ausgaben für Forschung und Innovation aller Mitgliedstaaten bis hin zu einer Angleichung der Lohnstückkosten. Ich werde deshalb in Brüssel ausloten, ob andere Mitgliedstaaten bereit sind, einen solchen Weg inklusive notwendiger Vertragsänderungen zu gehen. Ich werde aber auch deutlich machen: Die Zeit drängt. Die Welt wartet auf unsere Entscheidungen. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Wohl wahr!) Die Welt will verstehen – ich habe das in Los Cabos immer wieder gemerkt –: Wohin geht diese Europäische Union, insbesondere die Euro-Gruppe? Was ist die Struktur, in der sie verlässlich arbeiten kann? Dabei steht für mich im Übrigen außer Frage, dass es zur Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Raum über die bekannten Struktur- und Kohäsionsfonds der 27 Mitgliedstaaten hinaus sicher auch unter den 17 noch stärkerer Mittel der Solidarität bedarf. Zum Beispiel könnte man sich vorstellen, dass Einnahmen aus der Finanztransaktionsteuer genau dafür verwendet werden. Euro-Bonds oder, wie es im Bericht heißt, die Emission gemeinsamer Schuldtitel halte ich jedoch für den falschen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es bedarf anderer Mechanismen, die an die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit streng gekoppelt sein müssen. Eine Währungsunion wird den Menschen in Europa nur dann dienen, wenn wirklich alle Kräfte dafür eingesetzt werden, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Nur wenn wir die besten Produkte herstellen und die besten Dienstleistungen anbieten, werden wir auch dauerhafte Arbeitsplätze für die Menschen schaffen können. Davon bin ich zutiefst überzeugt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich mache mir keine Illusionen. Ich erwarte in Brüssel kontroverse Diskussionen. Einmal mehr werden sich dabei viele Augen auf Deutschland richten. Doch ich wiederhole hier und heute das, was ich in diesem Haus zuletzt am 14. Juni 2012 gesagt habe: … Deutschland ist Wirtschaftsmotor, und … Stabilitätsanker in Europa. … Auch Deutschlands Stärke ist nicht unendlich; auch Deutschlands Kräfte sind nicht unbegrenzt. Auch Deutschlands Kräfte dürfen wir nicht überschätzen. Wenn wir das beherzigen, dann können Deutschlands Kräfte für unser Land und für Europa ihre volle Wirkung entfalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Beherzigen wir das nicht, dann wäre alles, was wir planen, verabreden, umsetzen, am Ende nichts wert, weil klar wäre, dass es Deutschland überforderte, und das wiederum hätte unabsehbare Folgen für Deutschland und Europa. Das werden wir nicht zulassen. Ich werde mich deshalb dafür einsetzen, dass wir der Währungsunion ein stabiles Fundament geben. Die Fehler der Vergangenheit dürfen auf keinen Fall wiederholt werden. Gleiche Zinssätze durch Euro-Bonds politisch zu erzwingen, nachdem sie schon bei den Märkten nicht gut gewirkt haben, das wäre die Wiederholung eines alten Fehlers und nicht die richtige Lehre aus den Erfahrungen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stattdessen werde ich mich auf dem Rat dafür einsetzen, dass wir einen Zeitplan und eine Arbeitsmethode für die aufgeworfenen Fragestellungen verabschieden. Dies sollte angesichts der schwierigen Situation so anspruchsvoll wie glaubwürdig sein. Unsere Arbeiten müssen diejenigen überzeugen, die das Vertrauen in die Euro-Zone verloren haben – nicht durch Augenwischerei und Scheinlösungen, sondern indem wir die Ursachen der Krise bekämpfen. Das meine ich, wenn ich von mehr Europa spreche. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass mehr Europa, so verstanden, eine zwingende Voraussetzung ist, um unser europäisches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger im globalen Wettbewerb auf Dauer zu behaupten. Wir müssen uns jetzt aufmachen, das nachzuholen, was vor 20 Jahren bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion durch den Vertrag von Maastricht noch nicht möglich war: die Wirtschafts- und Währungsunion politisch zu vollenden. Dafür wird die ganze Bundesregierung, dafür werde ich aus Überzeugung arbeiten, auch auf dem morgigen Europäischen Rat. Ich lade Sie ein, dabei mitzutun. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen den nicht enden wollenden Beifall der Koalitionsfraktionen zu Protokoll. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Ich bedanke mich für die Bestätigung meiner Protokollnotiz. Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als Erstem dem Kollegen Franz-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, machen Sie sich ruhig Mut. Er könnte in den nächsten Monaten nötig sein. (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zwei Regierungserklärungen in einer Woche, Sitzungen und Sondersitzungen der Fraktionen, notwendige Zweidrittelmehrheiten, Sondersitzungen des Bundesrates, möglicherweise weitere Sondersitzungen des Deutschen Bundestages über den Sommer hinweg – Frau Merkel, es geht in Europa eben nicht nur um Wachstumsraten, sondern jeder spürt: Es geht in Europa ums Ganze. Diesem Ernst der Lage müssen Sie sich stellen und den Leuten in Deutschland reinen Wein einschenken. Das ist Aufgabe einer Kanzlerin. (Beifall bei der SPD) Ich habe Sie eben sagen hören, es gebe keinen wirklich zuverlässigen Weg aus der Krise. Vor sechs Monaten, am 14. Dezember 2011, haben Sie – das würde ich Ihnen gerne in Erinnerung rufen – sich an dieses Pult gestellt und mit großem Stolz verkündet – ich zitiere –: Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Wochen die Weichen für dieses neue Europa gestellt, für ein Europa der Stabilität, der Solidarität und des Vertrauens. Frau Merkel, ich weiß nicht, ob Sie das damals selbst geglaubt haben. Aber eines weiß ich ganz gewiss: Von einem Europa der Stabilität, der Solidarität und des Vertrauens sind wir heute weiter entfernt denn je. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach! Das ist jetzt aber peinlich!) Das hat auch mit Ihnen und Ihrer Regierung zu tun, Frau Merkel: mit der Mischung aus einer Fehldiagnose von Krisenursachen und darauf gegründeter Schulmeisterei. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum stimmen Sie denn dann zu? Sie haben immer zugestimmt!) Sie waren bisher nicht Teil der Lösung, sondern Sie -waren und sind Teil des Problems. Das ist die ganze Wahrheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die SPD hat immer zugestimmt!) Vielleicht haben Sie ja im Dezember letzten Jahres wirklich geglaubt, dass der Scheitelpunkt der Krise bereits überschritten ist. Vielleicht dachten Sie damals -tatsächlich: Wenn wir den Fiskalpakt auf den Weg bringen und alle gemeinsam sparen, dann kehren in Europa wieder Ruhe und Ordnung ein. – Das war damals blauäugig. Heute sind Sie durch die harte ökonomische Realität in Europa schlicht und einfach überholt worden. Griechenland, Irland und Portugal sind unter dem Rettungsschirm. Spanien und Zypern klopfen an. Griechenland wartet wieder vor der Tür. Die Krise schlägt doch in Wahrheit eine Schneise der Verwüstung durch ganz Europa, und es ist kein Ende in Sicht. Die Krise erreicht auch uns. Wir haben Ihnen nicht nur von diesem Pult aus, sondern immer wieder auch öffentlich gesagt: Konsolidierung ist ganz ohne Zweifel notwendig. Aber wir schaffen das nicht alleine durch Sparen. Wir müssen in Europa auch für Wachstum sorgen. Das ist unsere eigene deutsche Erfahrung. – Sie wollten das nicht hören. Aber ich sage Ihnen: Ihre Politik ist gescheitert, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weil das so ist, hätten wir von der SPD es uns leicht machen können. (Zurufe von der FDP: „Hätten“? – Was? Habt ihr doch! – Lachen bei Abgeordneten der FDP) – Ich würde an Ihrer Stelle nicht lachen. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das stimmt! Mir würde das Lachen im Halse stecken bleiben! – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: In der Tat!) Wir hätten es uns, wie gesagt, leicht machen und sagen können: Eine Regierung, die uns nach der Vereinbarung über den Fiskalpakt auf der europäischen Ebene zehn Wochen lang nicht zu Gesprächen einlädt, sondern erst das Ergebnis der nordrhein-westfälischen Landtagswahl abwartet, (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!) eine Regierung, mit der wir seit über zwei Jahren zuverlässig die Erfahrung machen, dass sie zunächst alles Mögliche verhindert, um es sechs oder acht Wochen später dann doch zu machen, hat kein Vertrauen und keine Unterstützung verdient. (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Richtig! Das hättet ihr sagen müssen!) Viele unserer Abgeordneten haben gesagt: Lasst sie doch zusehen, wie sie in der Regierung zurechtkommen. – Das kann ich dem einen oder anderen nicht einmal verdenken. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es geht jetzt doch nicht um uns!) – Es geht eben nicht um Sie; genau. Darum haben wir nicht nach diesem verständlichen Reflex gehandelt, sondern sind einen schwereren Weg gegangen. Wir sind – anders als die Linkspartei, die hier in einer solchen Situation fröhliche Zurufe macht – (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So fröhlich sind die aber nicht!) einen schweren Weg gegangen. Wir haben in harten -Verhandlungen Ton und Stoßrichtung der europäischen Debatte verändert. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was? Das ist nicht Ihr Ernst!) Die reine Austeritätspolitik ist vom Tisch. Konsolidierung und Wachstum, das ist der neue Zweiklang. Ihn gäbe es nicht ohne Sozialdemokraten, auch nicht in diesem Parlament. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach! Alles Luftblasen!) Ich sage noch einmal in Richtung der rechten Seite dieses Parlaments: Ein Fiskalpakt allein, wie Sie ihn ursprünglich verhandelt haben, hätte in diesem Parlament keine Chance auf eine Zweidrittelmehrheit. Machen Sie sich das immer wieder klar! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die ergänzenden Wachstumsimpulse, neue Instrumente wie Projektanleihen, die Stärkung der Europäischen -Investitionsbank und auch das Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit sowie die Transaktionsteuer -machen dieses Paket doch erst zustimmungsfähig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das waren unsere Forderungen, und wir haben uns damit durchgesetzt. Deshalb danke ich allen in meiner Fraktion, die geholfen haben, das zu verhandeln. (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Glauben Sie das eigentlich selbst?) Wir haben gestern in der Fraktionssitzung ausführlich über das Verhandlungsergebnis diskutiert. Eine große Mehrheit in meiner Fraktion steht hinter den erreichten Vereinbarungen. Wenn der Europäische Rat diesem Verhandlungsergebnis folgt, dann werde ich meiner Fraktion am Freitag empfehlen können, dem Fiskalpakt und dem ESM zuzustimmen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Vielen in meiner Fraktion fällt die Zustimmung zu diesem Gesetz--gebungspaket nicht leicht, vor allen Dingen wegen der nicht ganz leichten verfassungsrechtlichen Fragen, die sich stellen. Wir haben diese verfassungsrechtlichen Fragen in mehreren Fraktionssitzungen hintereinander ausführlich miteinander diskutiert, und wir haben versucht, so weit wie irgend möglich Antworten auf die Fragen zu geben. Vielleicht haben wir nicht jeden überzeugt; aber das ist eben auch eine Folge der Rechtskonstruktion für diesen Fiskalpakt, die ja ursächlich auf die Vorschläge dieser Regierung zurückgeht. Der Pakt ist nämlich als ein völkerrechtlicher Vertrag neben und außerhalb des europäischen Institutionensystems konzipiert, und das führt uns eben ganz ohne Zweifel auf schwieriges juristisches Terrain. Deshalb sage ich an dieser Stelle und mit Absicht heute: Das muss eine absolute Ausnahme bleiben. Halten Sie sich in Zukunft an geltendes europäisches Recht! Andernfalls entsteht ein Flickenteppich, mit dem wir in Zukunft umzugehen nicht mehr in der Lage sind. Das ist die schlichte Wahrheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – -Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann hätten Sie nie eine Transaktionsteuer gekriegt! Mannomann!) – Herr Kauder, ich darf kurz zur Aufklärung beitragen: Die verstärkte Zusammenarbeit gehört zu den anerkannten europäischen Instrumentarien. Das ist nichts Neues, sondern im europäischen Recht verankert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweiter Appell. Frau Merkel, es kann nicht sein, dass das Nachdenken über die Zukunft der Europäischen Union und über die weitere Ausgestaltung der europäischen Integration allein Exekutivvertretern obliegt. Das ist ein gefährlicher Weg für uns alle und durch den Deutschen Bundestag nicht hinzunehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist mein Appell: Wenn Arbeitsgruppen beauftragt werden, müssen Vertreter der Parlamente hinzugezogen werden. Der morgige Gipfel mag ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Lösung der Krise sein. Vielleicht ist er ein notwendiger Schritt, aber ich sage Ihnen voraus – und Sie sehen es ja nicht anders –: Ein Ausweg aus der Krise wird dort nicht gefunden. Die Turbulenzen auf den -Finanzmärkten werden nicht zu Ende sein. Das ist ja in der Tat auch der Grund, weshalb Sie schon jetzt weiterreichende Beschlüsse für die Zukunft ankündigen. Weil Sie eben die Verhandler und die Autoren solcher Papiere auf der Brüsseler Ebene gelobt haben, sage ich Ihnen: Auf den Brüsseler Fluren spricht sich etwas ganz anderes herum. Da wird eine ganz andere Geschichte erzählt. Es wird nämlich gesagt: Statt Van Rompuy dabei zu unterstützen, mutige Integrationsschritte nach vorne zu gehen, hat Berlin im Vorfeld schon den Rotstift angesetzt, und über die Hälfte des Textes, den Van Rompuy entworfen hat, ist dem schon zum Opfer gefallen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Deshalb ist es etwas heuchlerisch, wenn Sie sagen, die Reformkommission habe gute Arbeit geleistet. Das wird hier bei anderer Gelegenheit, wenn wir die Texte kennen, noch zur Sprache kommen. Heute und zum Schluss sage ich Ihnen: Unsere Erwartung an diese Regierung und an Sie, Frau Bundeskanzlerin, ist: Sorgen Sie dafür, dass das Verhandlungsergebnis verbindlich in die Ergebnisse des Europäischen Rates eingehen wird. Nur dann wird die Zweidrittelmehrheit hier im Deutschen Bundestag zu erreichen sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rainer Brüderle (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim bevorstehenden Europäischen Rat am 28./29. Juni werden Entscheidungen getroffen, um das wirtschaftliche Wachstum in Europa zu stimulieren. Die Maßnahmen sind mit Blick auf die Südländer der Europäischen Union richtig, um deren Abgleiten in eine Rezession zu verhindern oder abzumildern. Die Stärkung der Europäischen Investitionsbank, die Bündelung von Strukturfonds und die diskutierten Projektanleihen werden aber das grundlegende Problem nicht beheben: Die meisten europäischen Volkswirtschaften sind international nicht wettbewerbsfähig. Die Konjunkturprogramme werden nur zeitlich -begrenzt helfen, jedoch keines der strukturellen Probleme lösen. Die Bundeskanzlerin ist daher gut beraten, auf dem Gipfel im Gegenzug auf weitere Reformen in den Mitgliedstaaten zu bestehen. -Europa braucht eine mutige Reformagenda, um die Haushalte zu konsolidieren, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nachhaltiges Wachstum wird durch Strukturreformen erzielt. Ich habe eigentlich erwartet, dass jetzt die SPD in -Jubelstürme ausbricht. Es rührt sich jedoch keine Hand. Ich habe bisher ungekürzt und unverändert Ihren -Altkanzler Gerhard Schröder zitiert. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich hätte hier wohl den kompletten Text aus dem Handelsblatt vom letzten Freitag vortragen können, Sie hätten es nicht gemerkt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Doch, ich habe es gelesen!) Sie haben nicht einmal die Botschaft verstanden, (Manfred Zöllmer [SPD]: Wir haben Sie nicht verstanden!) die volkswirtschaftliche nicht und die politische nicht. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie haben die Pointe versaut!) Der Ratschlag an die Kanzlerin ist in Wahrheit ein Warnschuss an die eigenen Reihen: Der SPD würde gut zu Gesicht stehen, nicht den Job der französischen Sozialisten zu machen. Das ist Schröders Warnschuss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Müntefering hat vor ein paar Wochen den Anfang gemacht. Er fordert von der SPD-Führung quasi mehr Schröder und weniger Hollande. Uns müssen Schröder und Müntefering nicht von der Steigerung der Wett--bewerbsfähigkeit überzeugen. Wir sind Sachwalter in Fortsetzung der Agendapolitik, von der sich Herr -Gabriel verabschiedet hat. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Ihre Sachverwaltung lässt zu wünschen übrig!) Die christlich-liberale Koalition drängt auf Strukturreformen. Wir mahnen es bei unseren Partnern an. Wir haben viel durchgesetzt: Stichwort „Six-Pack“, Stichwort „Fiskalpakt“. Viele internationale Beobachter sagen: So viel deutsche soziale Marktwirtschaft war in der EU noch nie. (Lachen des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Da klingt auch ein wenig alte Befürchtung mit. Das sollten wir nicht vergessen. Aber es wird von uns Führung erwartet. Es ist gut und richtig, dass die deutsche Stabilitätskultur europäisiert wird. Jedes Wachstum braucht ein Fundament. Schulden sind kein Fundament für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Fundamente sind Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität. Herr Steinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen: Die Schuldenkrise ist eine Bewährungsprobe für unsere parlamentarische Demokratie in Deutschland. Im Moment haben viele Menschen den Eindruck, Italiener, Spanier, Franzosen wollen vor allem Deutsche anzapfen. Wir sollen für spanische Schrottimmobilien zahlen. Wir sollen den Franzosen die Rente mit 60 finanzieren. (Widerspruch bei der SPD) Wir sollen die Italiener im Allgemeinen finanzieren. Das ist das Stimmungsbild vieler in Deutschland. Das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Die Grünen führen eine ganz andere Debatte. Am Wochenende konnte man das fast greifen: Sie sind in der Europafrage tief gespalten. (Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Wir Liberale haben zu dieser Frage einen Mitgliederentscheid durchgeführt. Das war ein Kraftakt. Sie reden von Basisdemokratie, trauen sich so etwas selber aber nicht zu. Sie halten nur Sonntagsreden, wir haben es gemacht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Grünen haben den Schuldentilgungsfonds, der ihr Hauptanliegen war, in den Verhandlungen nicht durchsetzen können. Das schmerzt sie, aber jeder musste Kröten schlucken. In Deutschland und in Europa haben sich alle politischen Kräfte bewegen müssen. Ihre Idee, alte Schulden aus Griechenland, Spanien und Italien mit deutschen Steuergeldern zu tilgen, ist der Bevölkerung nicht vermittelbar, verfassungsrechtlich nicht konform und nicht zulässig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Unfug!) Ich verstehe nicht, weshalb die Grünen sich diese Idee auf die Fahnen geschrieben haben. Sonst reden die Grünen von Nachhaltigkeit und Verursacherprinzip. Bei der Vergemeinschaftung von Schulden ist davon nichts zu hören. Mit einem Schuldensozialismus ist niemandem gedient. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS  90/DIE GRÜNEN) Das Gleiche gilt für die sogenannte Bankenunion, ein schönes, aber gefährliches Wort. Wir haben noch eine einigermaßen funktionierende Einlagensicherung bei den Sparkassen, den Genossenschaftsbanken und den privaten Banken. Wenn andere Mitgliedstaaten sich anstrengen wollen, auf unser Niveau zu kommen, ist das in Ordnung. (Johannes Kahrs [SPD]: Auf Ihr Niveau?) Bislang versteht man das in Europa unter Harmonisierung. Aber Harmonisierung kann nicht heißen, andere für die eigenen Probleme zahlen zu lassen. Es ist nicht vermittelbar, dass die deutsche Oma mit ihrem Sparbuch für die Schulden von Investmentbankern in anderen Ländern haften soll. Das geht nicht an. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist ja ganz unfassbar!) Manchmal habe ich den Wunsch, dass unsere Partner vielleicht mehr Fantasie in Hinsicht auf die Struktur-reformen als bezüglich der Verteilung von Finanzgeld in Europa verwenden sollten. Gerhard Schröder hat vollkommen recht: Man kann in den Süden Geld hineinschütten, aber mehr als ein kleines Strohfeuer wird man damit nicht entfachen können. Die Mitgliedstaaten im Süden müssen wirkliche Strukturreformen anpacken. Da ist Schröder voll und ganz zuzustimmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht um drei Dinge: erstens Wettbewerbsfähigkeit, zweitens Wettbewerbsfähigkeit und drittens Wettbewerbsfähigkeit. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Was anderes können Sie nicht!) Wir Deutsche sind in hohem Maße solidarisch. Unsere direkten und indirekten Haftungsrisiken belaufen sich nach vielen Schätzungen auf die Größenordnung von 700 Milliarden Euro. Das ist zweimal die Größe des Bundeshaushaltes. Uns kann keiner vorwerfen, wir seien nicht solidarisch und wir würden nichts tun. Wir sind bereit, Spanien zu helfen. Auch Zypern erwartet von uns Solidarität. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße. Strukturreformen in diesen Ländern sind unabdingbar. Das gilt auch für unsere griechischen Freunde. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Weitere Unterstützung für Griechenland kann es nur geben, wenn sich die Hellenen an die Vorgaben der Troika halten. Von getroffenen Vereinbarungen darf man nicht abrücken. Jetzt haben Van Rompuy, Barroso, -Draghi und Juncker Vorschläge für eine politische Union gemacht. Ob darin die vier Muskeltiere die Zukunft Europas sehen, muss sich noch erweisen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Musketiere, nicht Muskeltiere!) Nur, mehr Europa darf nicht weniger Demokratie bedeuten. Eine Eurokratur ist nicht unser Ziel. Europa muss von den Bürgern getragen werden. Wir brauchen ein verständliches Recht. Wir brauchen ein gutes Recht. Wir müssen Defizite ausgleichen. Es ist nicht in Ordnung, dass Malta bei der Europäischen Zentralbank das gleiche Stimmgewicht hat wie die Bundesrepublik Deutschland. Es ist nicht in Ordnung, dass in Europa nicht gilt: One man oder one woman, one vote. Auch das muss sich ein Stück weit ändern, wenn Europa eine Erfolgsstory sein soll. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber entscheidend ist: Damit Europa eine Erfolgs-story wird, müssen wir es schaffen, die Herzen der Menschen zu erreichen. Davon sind wir noch ein Stück entfernt. Daran müssen wir alle arbeiten. Europa darf nicht das Projekt von einigen politischen Eliten sein, sondern es muss das Projekt der Menschen sein und in den Herzen der Menschen ankommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Setzen! Sechs! – Günter Gloser [SPD]: Reaktionär! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das Niveau war wirklich unterirdisch!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Griechenland ist im fünften Jahr der Rezession am wirtschaftlichen Abgrund, und der Bevölkerung droht Armut. Zypern stellt als fünftes Land einen Antrag an den Rettungsschirm. Es ist nämlich von der Krise in Griechenland mit betroffen. Portugal und Irland sind ebenfalls in der Rezession, und zwar dank der Spardiktate. Italien schlittert gerade in eine schlimme Krise. Spanien ist ebenfalls in der Rezession, und es droht ein Kollaps der Banken. Deshalb hat Spanien ebenfalls einen Antrag an den Rettungsschirm gestellt. Aber gestern – das will ich Ihnen erzählen – war der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Iveco, einer Firma in Ulm, bei mir. Er hat mir erzählt, dass diese Firma Lkw nach Italien und Spanien verkauft. Da Italien und Spanien immer weniger Geld haben, werden dort immer weniger Lkw gekauft. Deshalb hat Iveco mitgeteilt, sie müssten jetzt 670 Beschäftigte und 100 Azubis entlassen. Das ist ihr Plan. Nun hat der Betriebsrat Folgendes erfahren: Iveco will in seine Firma, die es in Spanien hat, investieren, und die spanische Regierung hat zugesagt, dass sie dafür 500 Millionen Euro bekommen. Jetzt müssen Sie den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern Folgendes erklären: Wir zahlen Geld, um den Rettungsschirm aufzustocken. Das sind Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger. Spanien sagt, es sei pleite. Darum braucht Spanien dringend Geld. Aber dann bezahlen sie 500 Millionen Euro, um hier 670 Arbeitsplätze und 100 Azubistellen abzubauen. Das ist doch wohl nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN) Wir dürfen uns von den Unternehmen in Europa nicht länger so vorführen und veralbern lassen. (Zuruf von der SPD: Gysi steigt ins Bett von Brüderle!) 80 Jahre nach der letzten großen Wirtschaftskrise wurden Lehren daraus nicht beherzigt. Ich sage auch Ihnen, Herr Brüderle: Schulden lassen sich weder mit Ausgabenkürzungen bei Renten, Gesundheit und Investitionen noch mit Lohnsenkungen und der Erhöhung von Verbrauchsteuern à la Reichskanzler Heinrich Brüning bekämpfen. Denn diese Politik beschleunigt den wirtschaftlichen Niedergang und erhöht die Verschuldung. (Beifall bei der LINKEN) EU-Kommissar Barnier hat gesagt, dass schon 4 500 Milliarden Euro für die Bankenrettung ausgegeben worden sind: eine unvorstellbare Summe. Deshalb bleibe ich dabei: Ihr Begriff „Staatsschuldenkrise“ ist falsch; es ist eine Bankenkrise. Die Staaten sind nur deshalb so hoch verschuldet, weil sie permanent die Banken und Hedgefonds retten. (Beifall bei der LINKEN) Aber es kommt noch eine neue Dimension der Krise auf uns zu. Bis 2014 braucht Spanien 350 Milliarden Euro und Italien 670 Milliarden Euro, nur um die alten Schulden abzulösen. Woher soll das Geld kommen? Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass die Europäische Zentralbank zu 27 Prozent von den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bezahlt wird. Ich bleibe bei meinem Beispiel – ich muss es wiederholen –: Die Europäische Zentralbank hat den großen privaten Banken in Europa 1 Billion Euro zur Verfügung gestellt: als Darlehen für drei Jahre zu 1 Prozent Zinsen. Die Staaten, die das Geld brauchen, bekommen es jetzt von diesen Banken. Das heißt, wir vergeben an die großen privaten Banken Staatsgeld zu 1 Prozent, und dann verlangen diese von Spanien und Italien 6 Prozent Zinsen für das Geld, das sie ihnen geben. Erklären Sie doch einmal der Bevölkerung, warum wir nicht direkt ein Darlehen an Spanien oder Italien vergeben! (Beifall bei der LINKEN) Warum müssen wir dazwischen noch die Großaktionäre der privaten Banken reich machen, und zwar zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die die Differenz bezahlen müssen? (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das kann man nicht erklären, weil das Beispiel falsch ist!) Die Mehrheit der anderen Staaten der Euro-Zone ist zu einer Politik, wie sie von der Bundesregierung und Frau Merkel vorgegeben wird, nicht mehr bereit: weder die französische noch die italienische noch die spanische Regierung. Jetzt habe ich eine Frage an die Bundeskanzlerin und an den Bundesfinanzminister. Es ist mir sehr ernst. Sie wollen doch, dass der Fiskalvertrag in diesem Jahr in Kraft tritt. Dann würde er ab 1. Januar 2013 gelten. Wenn Sie das wollen, dann erklären Sie mir Folgendes: Im Fiskalvertrag steht, dass die Schulden eines Staates auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt sind. Unsere Schulden liegen heute bei 81,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dann müssen wir – das besagt der Vertrag – 20 Jahre lang pro Jahr 5 Prozent der überschießenden Verschuldung abbauen. Das wären zurzeit etwa 25 Milliarden Euro. Ferner regelt der Vertrag, dass die Neuverschuldung nur bei 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen darf. Das wären zurzeit 12,5 Milliarden Euro. Nun erklären Sie doch einmal, Herr Bundesfinanzminister Schäuble, weshalb Sie dann für 2013 den Entwurf eines Haushaltsplans mit einer Neuverschuldung von 18,8 Milliarden Euro vorlegen. Glauben Sie nicht daran, dass der Vertrag in Kraft tritt? Hoffen Sie auf einen Erfolg der Linken beim Bundesverfassungsgericht? (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Oder wollen Sie ernsthaft, dass der Vertrag in Kraft tritt, und gleich mit einer Vertragsverletzung beginnen? Die Folgen wären dann übrigens verbindliche, von der EU-Kommission festzusetzende Sanktionen, die wir ebenfalls bezahlen müssten. Aber Deutschland kann doch nicht den Vertrag in Kraft setzen wollen und sich gleich von Beginn an mit einer Verletzung abfinden. Meine zweite Frage. Wenn wir dann jährlich etwa 25 Milliarden Euro an Schulden abbauen müssen: Nichts davon ist in Ihrem Haushaltsplan vorgesehen. Können Sie der Bevölkerung einmal erklären, wie Sie die 25 Milliarden Euro eigentlich einsparen wollen? Was wollen Sie denn kürzen: die Zuschläge zur Rente, Hartz IV? Was haben Sie vor? Oder wollen Sie Steuern erhöhen, vielleicht die Mehrwertsteuer? Ich finde, die Bundesregierung ist verpflichtet, vor Beschlussfassung am Freitag der Bevölkerung Auskunft zu geben, wie die 25 Milliarden Euro im nächsten Jahr eingespart werden sollen. (Beifall bei der LINKEN) Ich wundere mich – das sage ich ganz klar – über SPD und Grüne, dass sie diese Frage noch nie gestellt haben. Bevor Sie Ja zum Fiskalvertrag gesagt haben, hätten Sie doch fragen müssen: Wo und wie wollt ihr im nächsten Jahr die 25 Milliarden Euro einsparen? – Wir wissen es nicht. Kein Mensch weiß es. Das geht überhaupt nicht. Das ist ein Ja zu einer dunklen Zukunft ohne Auskunft. (Beifall bei der LINKEN) Übrigens gibt der Multimilliardär und König der Hedgefonds Soros dem Euro noch drei Monate (Widerspruch bei der FDP) – den lieben Sie doch –, Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, weniger als drei Monate. Wenn Griechenland aus dem Euro fällt, dann – das sage ich Ihnen – wird auch Portugal herausfallen. Dann ist der Euro bald tot. Das würde die deutsche Exportwirtschaft so schwer treffen, dass auch wir dann in eine schwere Krise gerieten. Nun sagen Sie, Herr Brüderle, dass Sie den Schuldensozialismus ablehnen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur den Schuldensozialismus, den Sozialismus überhaupt! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Kommunismus!) Jetzt muss ich Ihnen einmal etwas über den Sozialismus erklären. Passen Sie einmal auf! (Rainer Brüderle [FDP]: Nein!) – Doch, doch! – In Wirklichkeit haften wir längst für die Schulden. Das sind unsere Steuergelder in der EZB. Sie erzählen Unsinn. Es gibt schon längst eine Schuldenhaftung. Aber davon abgesehen werde ich Ihnen jetzt beweisen, dass Sie alle Sozialistinnen und Sozialisten sind, auch wenn Sie das nicht wissen, egal ob Sie der FDP, der Union, den Grünen oder der SPD angehören. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur ihr nicht!) – Zu uns komme ich noch. – Sie alle sind Sozialistinnen und Sozialisten. Wissen Sie auch, warum? Sozialismus heißt, man will vergemeinschaften. Was Sie vergemeinschaften, sind die Schulden der Banken und Hedgefonds. Diese Schulden dürfen immer alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zahlen. Wir sind die Einzigen, die zugeben, Sozialistinnen und Sozialisten zu sein. Aber wir wollen gerne die Banken vergesellschaften und damit den Profit vergemeinschaften. Das ist der gravierende Unterschied zwischen Ihren und unseren Sozialismusvorstellungen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gysi, die Banken haben doch keinen Profit mehr!) – Die Deutsche Bank hat gerade einen dicken Profit gemacht, nachdem Sie so viel Geld hineingesteckt haben. Das stimmt gar nicht, was Sie da erzählen. Was wir wirklich brauchen, wenn wir die Krise bewältigen wollen, ist natürlich eine einmalige Millionärsabgabe in ganz Europa. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) – Sie wollen, dass die Reichen nie etwas bezahlen müssen. Sie kürzen das Elterngeld der Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfänger oder – besser gesagt – streichen es. Führen Sie doch einmal eine Millionärsabgabe in Europa ein! Die haben von der Krise profitiert, nicht die anderen. (Beifall bei der LINKEN) Dann brauchen wir selbstverständlich eine jährliche Vermögensteuer in Deutschland. Darf ich Ihnen etwas sagen? Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben ein Geldvermögen von 3 Billionen Euro. Unsere gesamten Staatsschulden belaufen sich auf 2 Billionen Euro. Selbst wenn wir das direkt miteinander verrechneten, behielten die reichsten 10 Prozent noch immer 1 Billion Euro. Das fordern wir gar nicht. Aber dass die Betreffenden eine angemessene Steuer zahlen, ist so etwas von selbstverständlich, dass ich mich wirklich wundere, wie sehr Sie sich dagegen wehren, nur weil es sich hier um die Lobbyisten handelt, auf die Sie Wert legen. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen noch etwas. Zu Beginn der Krise gab es 720 000 Vermögensmillionäre in Deutschland. Jetzt gibt es 951 000. Deren Zahl nimmt also zu. Die Armut wächst, und auch der Reichtum wächst. Keinen zusätzlichen Euro Steuern verlangen Sie von ihnen. Das ist so ungerecht, dass Sie das nicht durchhalten werden. Nun haben aber SPD und Grüne zwei Bedingungen gestellt. Die eine Bedingung war die Einführung der Finanztransaktionsteuer, die zweite Bedingung war die Forderung nach Maßnahmen zur Steigerung des Wachstums. Ich komme zunächst zur Finanztransaktionsteuer. Wenn ich den Bundesfinanzminister richtig verstanden habe, dann sagt er, dass die Einführung nicht vor 2014 stattfinden wird. Das geht noch langsamer als die Fertigstellung des neuen Flughafens von Berlin, stelle ich nur fest. Aber – jetzt kommt der eigentliche Punkt – das ist doch gar keine Finanztransaktionsteuer, es ist höchstens eine Börsenumsatzsteuer; denn nach den bisherigen Vorgaben fehlen zwei Dinge: der Derivatehandel und der Hochfrequenzhandel. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Um das zu erklären: Dabei sitzt man an einem Computer und schiebt die Millionen hin und her. Nun hat der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister ausgerechnet, dass die kleine Börsenumsatzsteuer, wenn sie, so wie von der EU-Kommission geplant, kommt, in Deutschland 2 Milliarden Euro einbringt. Wenn aber der Derivatehandel und der Hochfrequenzhandel hinzukämen, hätten wir Mehreinnahmen von 27 Milliarden Euro. (Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!) Warum lassen Sie sich denn mit 2 Milliarden Euro abspeisen, wenn es auch 27 Milliarden Euro sein können? (Beifall bei der LINKEN) Zum Wachstumspaket sage ich Ihnen Folgendes: Es geht um 130 Milliarden Euro; das hat die Bundeskanzlerin gerade gesagt. Es wird aber kein Euro zusätzlich bereitgestellt, sondern es werden die von der EU schon eingeplanten Gelder nur umgewidmet. Im Kern haben Sie diesbezüglich nichts erreicht. Ich sage Ihnen eines: Der Zerfall des Euro gefährdet die europäische Integration. Wir brauchen einen völlig neuen Ansatz mit einer Angleichung von Steuern, Löhnen und Sozialleistungen auf hohem Niveau, mit einer Abkopplung von den privaten Finanzmärkten, mit einer Rückkehr zum Primat der Politik, mit mehr Sozialstaat statt seiner Demontage und mit mehr Demokratie. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. – Durch den Fiskalpakt gibt der Bundestag Befugnisse des Bundestages ab, aber nicht etwa an das Europäische Parlament, sondern an die EU-Kommission und damit an Regierungen. Schon das ist undemokratisch. Wir stehen vor einem Scheideweg: entweder ein Europa mit strammem Sparkorsett, also unsozial, mit Fiskaldiktatur und weniger Demokratie oder ein solidarisches Europa mit deutlich mehr demokratischen Mitwirkungs- und Entscheidungsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Am Freitag werden Sie es entscheiden. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in diesen Tagen und Wochen vor wirklich historischen Weichenstellungen in Europa. Wir werden am Freitag den dauerhaften Europäischen Stabilisierungsmechanismus, den dauerhaften Rettungsschirm ESM, und in Verbindung damit den Fiskalvertrag verabschieden. Wenn wir ein bisschen zurückdenken, dann wird uns, glaube ich, schon deutlich, dass niemand von uns zu Beginn dieser Diskussion gedacht hat, dass es gelingt, auf europäischer Ebene 25 Staaten dazu zu bewegen, in ihren nationalen Verfassungen Schuldenbremsen zu verankern und sich damit nach dem Beispiel Deutschlands stabilitätskonform zu verhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es geht nicht nur um die Verankerung dieser Schuldenbremsen, sondern es sind damit auch die automatischen Sanktionen, die Möglichkeit, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben, und vieles andere mehr verbunden. Das trägt die Handschrift Deutschlands, die Handschrift unserer Bundeskanzlerin und unseres Finanzministers. Dafür danke ich herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist die Grundlage für eine Stabilitätskultur in Europa. Ich weiß natürlich auch, dass solides Haushalten alleine nicht alles ist; aber ohne solides Haushalten, meine Damen und Herren, ist alles nichts. Denn das ist die Grundlage für das Vertrauen der Finanzmärkte. Das ist die Grundlage für ein dauerhaftes, nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft und für dauerhafte Stabilität. Ohne solides Haushalten ist das alles nichts. Ohne solides Haushalten stellt man die Glaubwürdigkeit des eigenen Landes infrage und verspielt damit auch die Glaubwürdigkeit auf den Märkten mit all den Konsequenzen, die wir kennen. Herr Steinmeier, Sie sagen, das alles sei nicht erfolgreich gewesen. Ich möchte daran erinnern, dass Ihr „solides Haushalten“ oder, besser gesagt, Ihr nicht solides Haushalten (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Was denn nun?) während der Zeit, in der Sie Verantwortung hatten, die Ursache dafür war, dass wir jetzt in Europa diese Schwierigkeiten haben. (Unruhe bei der SPD) Sie haben nämlich die Kriterien, die einmal vereinbart waren, nicht eingehalten und damit dafür gesorgt, dass sich auch andere Länder leichtfertig verhalten haben. Das war und ist eine nicht ganz unwesentliche Ursache für die Schwierigkeiten, die wir heute haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wir sagen, dass Solidarität nur in Verbindung mit Solidität gesehen werden kann. Deshalb haben wir uns bei all den Rettungsaktionen in den vergangenen Monaten immer an die Grundphilosophie gehalten: Unterstützung ja, Hilfe ja, Solidarität ja – aber nur in Verbindung mit Solidität, mit dem Einhalten der Bedingungen bzw. Auflagen, sparsam zu haushalten, und mit Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Das war und ist die Grundphilosophie, die auch weiterhin trägt und erfolgreich ist. Schauen Sie zum Beispiel auf die Länder Irland und Portugal. Da sehen Sie an der Haushaltssituation, der wirtschaftlichen Entwicklung, der Entwicklung der Lohnstückkosten und der Leistungsbilanzüberschüsse, dass diese Philosophie erfolgreich und richtig ist. Wir alle wissen, dass dies nicht von heute auf morgen geht, dass sich die Erfolge nicht von heute auf morgen einstellen können. Der Weg aber ist richtig. Das, was bisher erreicht wurde, macht deutlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wir wissen auch – das ist übrigens keine neue Erkenntnis –, dass zu solidem Haushalten bzw. zu einem Konsolidierungskurs der öffentlichen Haushalte natürlich auch Wachstumsimpulse gehören. Das ist nichts Neues. Diese Erkenntnis ist übrigens auch auf den vergangenen europäischen Gipfeltreffen immer Thema gewesen, und sie wird zu guter Letzt bei der Entscheidung des europäischen Gipfels morgen und übermorgen mit berücksichtigt werden. Wir haben uns darüber fraktionsübergreifend intensiv auseinandergesetzt. Ich finde, es ist richtig, dass mit den Maßnahmen zur Erhöhung des Kapitals der Europäischen Investitionsbank und mit den Maßnahmen bezüglich der Projektanleihen, aber auch mit denen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Stärkung der Strukturfonds Akzente gesetzt werden. Mindestens genauso wichtig ist aber das, was verhindert wurde. Es wurde nämlich eine schuldenfinanzierte Ausgabenprogrammatik verhindert. Es wurde verhindert, dass durch Schulden finanzierte Ausgabenprogramme – andere wollten das – getätigt werden. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist denn mit dem Betreuungsgeld?) Mindestens genauso wichtig ist die Erkenntnis, dass die eigentlichen Wachstumsimpulse nicht aus kurzfristigen Programmen erwachsen, sondern von grundlegenden Strukturreformen am Arbeitsmarkt, in der Steuerpolitik, in der Sozialpolitik und im Verwaltungsbereich herrühren. Dort werden die Grundlagen für nachhaltiges und dauerhaftes Wachstum geschaffen. Deshalb darf dabei nicht nachgelassen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt nach wie vor eine lebhafte Diskussion über eine Vergemeinschaftung von Haftung und von Schulden. Eigentlich hatte man gedacht, das sei schon erledigt. Diese Diskussion wurde nicht zuletzt durch den -Bericht von Van Rompuy angefacht, den die Bundeskanzlerin angesprochen hat. Alles, was mit Euro-Bonds, mit Euro-Bills, mit Schuldentilgungsfonds verbunden ist, führt uns aber nicht weiter, sondern führt uns in eine Sackgasse. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn über die notwendige Angleichung der Zinssätze – das ist ja meistens die Begründung dafür – diskutiert wird, dann muss man sich meines Erachtens zunächst einmal die Frage stellen: Warum sind die Zinssätze unterschiedlich? Sie sind doch deshalb unterschiedlich, weil die Bonität in den Ländern unterschiedlich ist und weil die Politik dort bei der Haushaltskonsolidierung, der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit versagt hat. Die Unterschiede sind die Konsequenzen aus einem Fehlverhalten im politischen Handeln – und dies muss korrigiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In dem Moment, wo man durch die Vergemeinschaftung von Schulden, durch die Angleichung der Zinssätze diese Unterschiede nivelliert, nimmt man den Ländern jeglichen Druck, sich haushaltspolitisch solide zu verhalten, Strukturen zu verändern, sich wieder wettbewerbsfähig aufzustellen, Reformen durchzuführen und zu sparen. All dies ist aber dringend notwendig, um dauerhaft und langfristig Stabilität und Wachstum zu generieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ganz abgesehen davon werden durch eine Vergemeinschaftung von Schulden – ich sage es einmal ganz platt – deutsche Interessen verraten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und zwar deshalb, weil dann wir, die deutschen Steuerzahler, höhere Zinsen bezahlen müssten, als wir sonst bezahlen, und das konterkariert die Leistung dieses Landes, die Leistung der Menschen in diesem Land. Deshalb werden wir aus diesen ökonomischen und politischen Gründen bei einer Vergemeinschaftung von Schulden nicht mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt eine Diskussion über eine weitere Vertiefung der Europäischen Union. Ich glaube, dass wir darüber ernsthaft, ausgiebig und verantwortungsvoll diskutieren müssen, weil wir alle Lehren aus der Krise der vergangenen Monate ziehen müssen. Das berührt auch die Frage: Müssen wir Strukturen verändern? Was müssen wir verändern? Ich sage Ja zu einer Vertiefung, die mehr Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik bedeutet. Ich sage Ja zu verbindlichen Vorgaben. Ich sage aber auch Ja zur Kontrolle der Einhaltung dieser Vorgaben. Ein ganz wesentlicher Fehler der letzten Jahre war nämlich, dass zwar Vorgaben gemacht und Vereinbarungen getroffen wurden, dass diese aber nicht eingehalten wurden. Es geht um die Einhaltung dieser Vorgaben, um ihre Kontrolle und die entsprechende Aufsicht, es geht um die Verbindlichkeit dieser Vorgaben sowie um die notwendigen Konsequenzen daraus. Das ist die erste Aufgabe, die wir zu erfüllen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage Ja zur Verbesserung und Stärkung des Fundaments unseres europäischen Hauses. Aber alles, was mit Vergemeinschaftung von Schulden, mit Vergemeinschaftung von Risiken, mit Vergemeinschaftung von Haftung zu tun hat, trägt nichts zur Lösung der aktuellen Probleme bei; das muss klar sein. Verantwortung für das eigene Handeln und damit auch Haftung für das eigene Handeln müssen gegeben sein. Es kann nicht sein, dass die deutschen Sparer mit ihren Einlagen für das Fehlverhalten von Banken in anderen Ländern haften müssen. Das werden wir nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch der Bericht, der vorhin angesprochen wurde, beinhaltet meines Erachtens ein Ungleichgewicht zwischen verbindlichen Vorgaben, zwischen Kontrolle und Aufsicht auf der einen Seite und Vergemeinschaftung von Haftung auf der anderen Seite. Meines Erachtens müsste es umgekehrt sein: Der Schwerpunkt müsste im Bereich der eigenen Verantwortung und im Bereich von verbindlichen Vorgaben, Kontrolle und Aufsicht sein. Noch etwas ist mir bei diesem Bericht aufgefallen, meine Damen und Herren. Das ist die Frage: Müssen wir zuerst bei Institutionen und Kompetenzverlagerungen ansetzen? Ist das die erste Priorität? (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Es wird großer Wert auf Kompetenzverlagerungen und auf Institutionen gelegt. Meine Vision von Europa ist nicht ein Europa der Institutionen, sondern ein Europa der Menschen, ein Europa, in dem die demokratische Legitimität erkennbar und immer auch Richtschnur unseres Handelns ist. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiß das Herr Friedrich schon?) Dafür haben wir noch viel zu tun. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Priska Hinz das Wort. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kanzlerin fährt zum Gipfel und muss für diesen Gipfel bei ihrer Politik eine Kurskorrektur vornehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ganz und gar nicht!) Der Weg der einseitigen Sparpolitik geht zu Ende. Zwei Jahre Ideologie, dass nämlich Wettbewerbsfähigkeit nur durch ein Spardiktat erreicht werden kann, gehen jetzt zu Ende, und das ist richtig so. Wir haben dazu beigetragen, dass dieser Weg endlich zu Ende geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Schulden sind nicht mit Schulden zu bekämpfen. Das ist völlig klar. (Zustimmung des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Ich bin Haushälterin; deswegen weiß ich, wovon ich spreche. (Joachim Spatz [FDP]: Das gilt auch für andere Leute!) Strukturreformen und Haushaltsdisziplin sind notwendig, aber die Konsolidierung von Haushalten und Staaten, die in der Krise sind, muss auch mit gezielten Investitionen begleitet werden, weil Arbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten zu sozialen Verwerfungen und nicht zu wirtschaftlicher Gesundung führen, meine -Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben es in den Verhandlungen zum Fiskalvertrag geschafft, ein Investitionsprogramm durchzusetzen, das schon lange auf der Tagesordnung hätte stehen müssen. Investitionen in nachhaltige Wachstumsbereiche, in den Netzbereich können jetzt endlich stattfinden, und das ist für die Krisenstaaten auch dringend notwendig, weil Sparen allein nicht hilft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben bei diesen Verhandlungen aber auch weitere Reformen durchgesetzt. So soll es im Wege der -verstärkten Zusammenarbeit endlich eine Finanztrans-aktionsteuer geben. Damit sollen jetzt Finanzprodukte besteuert werden und Finanzjongleure und Spekulanten endlich an den Kosten der Krise beteiligt werden. Herr Gysi, wenn Sie den Fortgang der Verhandlungen nicht richtig verfolgt haben (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er war nicht da!) und hier mit einem alten Dokument auftauchen, dann tut es mir leid. (Rainer Brüderle [FDP]: Er ist gar nicht mehr da!) Eigentlich müssten Sie diesem Verhandlungsergebnis zustimmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist gut, dass der Teil der Koalition, der seit mindestens drei Jahren nur eine politische Botschaft kennt, nämlich „Steuersenkung, Steuersenkung, Steuersenkung“, jetzt endlich eine Kehrtwende machen muss. Die Kanzlerin hat offenbar begriffen, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen und sich – gemeinsam mit uns – über ihren Koalitionspartner hinwegsetzen muss. (Lachen bei Abgeordneten der FDP) An dieser Stelle danke ich den grünen Verhandlungsleuten – der Kollege der SPD hat denen aufseiten der SPD seinen Dank ausgesprochen – dafür, dass sie dies durchgesetzt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Langsam wird nun ein Rahmen um den Fiskalvertrag gebaut, damit die Schlagseite der Krisenpolitik beseitigt wird und das Ganze endlich wieder ins Lot gerät, meine Damen und Herren. (Holger Krestel [FDP]: Wenn Ihre Kollegen dafür zustimmen, dürfen sie den bauen!) Aber welche Entscheidung brauchen wir jetzt eigentlich für Europa, neben den Anbauten an den Fiskalvertrag, über die wir verhandelt haben? Frau Bundeskanzlerin, wie viel Druck von der Opposition und anderen europäischen Staaten brauchen Sie eigentlich noch, um sich endlich auf weitere notwendige Reformen einzulassen? Den langen Beifall heute haben Sie doch nur bekommen, weil Sie wieder mantraartig gesagt haben: Euro-Bonds, Euro-Bills, gemeinschaftliche Anleihen wird es nicht geben. (Patrick Döring [FDP]: Was wollen Sie denn?) Dann haben Sie heute Morgen auch noch Ihre Lebenszeit damit verknüpft. Ich frage Sie: Was ist das denn für eine Art von Politik? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Bundeskanzlerin, wir wünschen Ihnen ein sehr langes Leben; (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aber Sie sollten es wirklich nicht an die Einführung von Euro-Bonds knüpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Angesichts der Tatsache, dass Sie Ihre roten Linien oft überschritten haben, wünschen wir Ihnen etwas Besseres als das, was Sie sich anscheinend selber wünschen. Schauen Sie sich doch jetzt den Vorschlag der sogenannten Big Four an, der auf dem Tisch liegt. Dazu gehört ein Altschuldentilgungsfonds, um den Zinsdruck zu senken. (Patrick Döring [FDP]: Das machen wir ja nicht!) Das ist jetzt notwendig. Jetzt kommen Spanien und Zypern unter den Rettungsschirm, Italien wankt, und wir brauchen einen Altschuldentilgungsfonds, um den Zinsdruck in diesen Staaten zu lindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Nein!) Das sind noch keine gemeinsamen Anleihen wie Euro-Bonds. Vielmehr bürgen die Staaten für ihren Teil der Schuldentilgung. Trotzdem müssen sie natürlich Strukturreformen vornehmen. Aber beides gehört zusammen, und das müssen Sie bitte endlich einmal verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie müssen diese Kurskorrektur vornehmen. Ein weiterer Vorschlag liegt auf dem Tisch: die sogenannte Bankenunion, die Sie nicht so nennen wollen, mit Bankenrestrukturierungsregelungen und einer integrierten Aufsicht. Wir brauchen auch einen Schuldenpakt für Europa, um einen Steuerwettbewerb zu verhindern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wir wissen: Europa funktioniert nur mit Solidität und Solidarität; das ist auch Ihr Credo. Aber neben der Solidität, die wir am Freitag einführen, muss es auch endlich die Solidarität geben. Deswegen werden wir Sie beim Altschuldentilgungsfonds weiter treiben; wir werden nicht nachlassen. Wir haben jetzt die Big Four an unserer Seite, und Sie werden sehen: Wir werden Sie auch noch zu dieser Kurskorrektur zwingen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Joachim Spatz das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Joachim Spatz (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hinz, Ihre Rede sei Ihnen nachgesehen. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie arrogant!) Wenn sie dazu dient, dass die Grünen am Freitag mit überwältigender Mehrheit zustimmen, dann hat sie ihren Zweck erfüllt. Meine Damen und Herren, es ist schon bezeichnend, dass diejenigen, die sonst immer die Grenzen des Wachstums wie ein Mantra vor sich hertragen, jetzt die Jünger nachhaltigen Wachstums sind. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Herzlich willkommen im Klub, meine Damen und Herren! Europa – das wird immer wieder gesagt – ist der -Garant für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand auf unserem Kontinent. Aber ich glaube, wir müssen dieser Erkenntnis, die auf die Bürgerinnen und Bürger wahrscheinlich keine besondere Anziehungskraft mehr ausübt, weil sie schon zu selbstverständlich geworden ist, auch noch hinzufügen, was die Zukunftsvision dieses Europas ist. Da reicht ein Blick auf die Landkarte, um zu sehen, dass jeder einzelne Mitgliedstaat – das gilt auch für Deutschland, das in absehbarer Zeit nur noch 1 Prozent der Weltbevölkerung stellen wird – diese Stabilitäts-, Sicherheits- und Wohlstandsleistung nicht alleine erbringen kann. Deshalb sind wir dazu verurteilt, gemeinsam Erfolg zu haben. Aber den gemeinsamen Erfolg erreichen wir sicher nicht mit falschen Rezepten. Deshalb ist der Weg der Solidität, den die Bundesregierung gegangen ist und für den sie in Europa einsteht, in Wirklichkeit ohne realistische Alternative. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie auf den Dreiklang von Wachstumsstimulation, Solidarität, die wir durch den ESM gewähren, und Solidität, die wir allen anderen abverlangen müssen, besteht. Dies ist der richtige Weg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, heute keine Schärfe in die Debatte zu bringen. Aber wenn derjenige, der beim Verletzen des alten Stabi-Pakts und bei der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone im Kanzleramt saß, heute auf die Kanzlerin zeigt und sie als Teil des Problems bezeichnet, dann muss ich sagen: Es zeigen mindestens drei Finger auf ihn zurück. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist schon sehr mutig, hier die Bemühungen der Bundesregierung im Hinblick auf den Dreiklang von Wachstum, Solidarität und Solidität, den wir gegen große Widerstände durchgesetzt haben, zu kritisieren. Es ist schon sehr mutig, einen solchen Vorwurf zu machen, wenn man dafür verantwortlich ist, dass der alte Stabilitätspakt gescheitert ist. (Zuruf von der FDP: So ist es!) Wir werden noch viel Gelegenheit haben – die Kanzlerin hat die Ausrichtung des europäischen Haushaltes angesprochen, der aktuell verhandelt wird –, diese Schwerpunkte im Hinblick auf nachhaltiges Wachstum zu unterstützen. Ich bin gespannt, wie mutig Deutschland vorangeht, bei gleichzeitiger Beschränkung der Einnahmen in der Europäischen Union. Diese neuen, mutigen Weichenstellungen führen zu einer größeren Unterstützung für transnationale Netze in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation, Elektrizität und Energieversorgung sowie zu mehr Förderung für Forschung, Wissenschaft und Bildung. Dies steht im Gegensatz zu den alten Haushalten. Ich bin gespannt, wie entschieden die Mitstreiter vorangehen. Wir sind auf jeden Fall an der Seite derer, die das tun, und das alles, ohne dass mehr Geld nach Europa fließt. Auch die europäische Ebene muss zur Konsolidierung unserer Haushalte beitragen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Es kann nicht funktionieren, wenn die Kommunen und Bundesländer sich anstrengen müssen, aber auf der europäischen Ebene Wunschkonzert gespielt wird. Das wird nicht funktionieren. Es muss hier ein Stück weit die Quadratur des Kreises gelingen: neue Prioritätensetzung in Richtung nachhaltiges Wachstum und mehr Beschäftigung bei gleichzeitiger Haushaltsdisziplin. Jeder ist aufgefordert, an dieser Stelle mitzuhelfen. In dieser Woche werden wir unserer historischen Verantwortung gerecht, an die wirklichen Ursachen der Krise heranzugehen und dem Dreiklang aus Solidarität, Solidität und Wachstumsstimulation -Geltung zu verschaffen, indem wir dem ESM und dem Fiskalpakt zustimmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege -Joachim Poß. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Merkel, Sie haben vorhin beim Verlesen Ihrer Erklärung vergessen, an einigen Stellen hinzuzufügen: Copyright SPD und Grüne. (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Viele Punkte, die Sie zum Thema Wachstum erwähnt haben, gehen eindeutig auf die Vorschläge von uns zurück, die in den Gesprächen, die wir mit Ihnen geführt haben, und im Schreiben unseres Fraktionsvorsitzenden Steinmeier und der Fraktionsvorsitzenden der Grünen Gegenstand waren. Für die deutsche Bevölkerung wäre es hilfreich gewesen, wenn Sie deutlich gemacht hätten, wie Sie sich auf uns zubewegt haben. Es ist doch so: Sie bewegen sich und sind flexibel, und zwar immer dann, wenn Sie unter Druck geraten, sehr geehrte Frau Merkel. Offenkundig sind Sie jetzt unter Druck geraten. Das war gut so, damit wir in Europa wie auch in Deutschland nicht im Nirwana der Austerität landen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben dafür gesorgt, dass wir eine realistische Perspektive zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer bekommen haben, nachdem zweieinhalb Jahre in dieser Frage von der schwarz-gelben Koalition nur -getrickst und getäuscht wurde. Jetzt gibt es endlich -Klarheit. Dies ist keine freiwillige Klarheit, sondern sie entstand durch den Druck, den wir hier im Parlament entfaltet haben. Das haben aber auch außerhalb des Parlaments viele kirchliche und andere Gruppen getan, die sich gesellschaftlich engagiert haben und die man hier nicht vergessen sollte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang, Frau Merkel, wäre es vielleicht gut, wenn Sie unter anderem mit Ihrer guten Bekannten Frau Lagarde die Punkte erörtern würden, die Sie bis jetzt immer noch tabuisieren. Es gibt neben Frau Lagarde vom Internationalen Währungsfonds kaum einen anerkannten Ökonomen auf der Welt, (Zuruf von der FDP: Dann müssen Sie Herrn Trittin fragen!) der nicht sagt: Wir brauchen in dieser Frage eine Lösung. Das heißt doch nicht, dass man unbedingt irgendwelchen Vorschlägen folgen müsste. Das Ganze darf aber nicht von vornherein tabuisiert werden. Man muss doch darüber diskutieren können, was denn wirklich im deutschen Interesse und im Interesse der deutschen Arbeitsplätze liegt, und darüber, welche Lösungen dabei helfen, unseren Standort zu stabilisieren. Ich glaube, Sie bewegen sich unter dem Druck von FDP und einigen anderen auf dem Holzpfad. Ihnen mangelt es an Mut, Frau Merkel. Anstatt die Dinge offensiv anzupacken, ducken Sie sich weg, weil es im Zuge dieser Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland unangenehm werden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Poß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Schlecht? Joachim Poß (SPD): Ja, gerne. (Zuruf von der SPD: Nicht schon wieder!) Michael Schlecht (DIE LINKE): Herr Kollege, Sie haben vorhin gesagt, mit dieser Regelung würde man das Nirwana der Austerität verlassen. Können Sie bitte einmal erklären, in welcher Weise europaweit aufgelegte Kürzungsprogramme in Höhe von 600 oder 700 Milliarden Euro – aus meiner Sicht ist das das Nirwana der Austerität – mit dem sogenannten Wachstumspakt zusammenpassen, der sich in einer Größenordnung von 120 oder 130 Milliarden Euro bewegt? Dieser Wachstumspakt an sich ist bereits kritikwürdig, darauf will ich jetzt aber gar nicht eingehen. Zweite Frage. In der Regelung zur Finanztransaktionsteuer steht die wunderbare Formulierung, es müsse „auf die Realwirtschaft Rücksicht genommen werden“. Können Sie mir bitte erklären, wie eine Finanztransaktionsteuer funktionieren soll, die die Realwirtschaft nicht berührt? Das ist für mich in der Tat ein Mysterium. Joachim Poß (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege, ich kann jetzt natürlich nicht all Ihre Mysterien bearbeiten. Das wäre bei Ihnen auch wirklich zeitraubend, wenn ich Ihre Äußerung richtig beurteile. (Heiterkeit bei der SPD) Ich gehe jedoch davon aus, dass wir das Ganze im Rahmen der Gesetzgebungsarbeit im wahrsten Sinne des Wortes bearbeiten werden. Ebenso haben wir gesagt, dass wir auch auf andere Dinge Rücksicht nehmen. Vieles wird in puncto negativer Effekte der Finanztransaktionsteuer falsch in die Welt gesetzt, wie beispielsweise im Zusammenhang mit den berühmten Riester-Sparern. Übrigens hat Herr Gysi heute Morgen erwähnt, dass beispielsweise Derivate der vereinbarten Transaktionsteuer gar nicht unterfallen würden. Das ist schlicht falsch. Ich fordere Herrn Gysi auf, diese falsche Behauptung nicht weiter zu verbreiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Derivate in unserem Text ausdrücklich erwähnt. Zum zweiten Aspekt Ihrer Frage, Herr Kollege Schlecht. Die Sache mit der Austerität ist doch offenkundig. Die Regierung, die wie Frau Merkel der Öffentlichkeit gegenüber bisher den Eindruck erweckt hat – jedenfalls hat die ganze Welt sie so verstanden; vielleicht wurde sie in den letzten Wochen aber auch immer missverstanden, und alle anderen waren dumm –, dass sie ausdrücklich und ausschließlich auf Haushaltskonsolidierung setzt, musste nun aufgrund der Gespräche mit der Opposition eine Reihe beachtlicher Wachstumsini-tiativen in ihr Papier aufnehmen. Das bedeutet eine Änderung der Philosophie. (Beifall bei der SPD) Dazu haben wir aus der Opposition heraus beigetragen. Ich denke, dass die Grünen und auch die SPD allen Anlass haben, das für den richtigen Weg zu halten. Wir wollen nicht, dass durch überzogene Austeritätsprogramme in Europa das Wachstum beeinträchtigt wird, so wie es passiert ist. Davon wollen wir weg; denn das ist der falsche Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zur Finanztransaktionsteuer habe ich mich bereits geäußert. Es ist Ihnen offenbar entgangen, was ich dazu gesagt habe. Aber Sie können ja noch eine Frage nachsetzen. Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin gut beraten wäre, sich den Rat ihrer Freundin Lagarde zu Herzen zu nehmen und mit ihr und anderen anerkannten Ökonomen in der ganzen Welt eine wichtige Frage zu erörtern, die es jetzt zu erörtern gilt: Wie kommen wir bei der Frage der „alten“ Verschuldung zu einer Lösung, und wie können wir das mit dem Gedanken der Schuldentilgung verknüpfen? Ich bitte Sie herzlich, das Thema nicht von vornherein von der Tagesordnung zu nehmen; denn damit würden Sie den Weg zu anderen Lösungen in der Europäischen Union und der Euro-Zone verbauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Meister für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn der Kollege Steinmeier schon gegangen ist, möchte ich ihm von dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön zurufen; denn er hat in dieser Woche, in der wesentliche Entscheidungen zum Fiskalvertrag und zum ESM anstehen, klar formuliert, dass auch die Opposition zu ihrer europapolitischen Verantwortung steht und die anstehenden Entscheidungen mittragen wird. Das ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass unser Parlament in einer so wichtigen Frage handlungsfähig ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lieber Herr Poß, Sie haben eben das Thema Wachstum angesprochen. Ich beschäftige mich mit diesem Thema schon seit 2004. Ich stelle fest, dass wir eine Diskussion über Stabilität und Wachstum schon einmal geführt haben. Damals ging es um die Frage, ob der Stabilitätsvertrag von Maastricht nicht durch eine Wachstumskom-ponente hätte ergänzt werden müssen. Wir haben 2004 heftigst über diese Frage gestritten. Das Resultat war, dass der Stabilitätsvertrag aufgeweicht wurde. Diese Aufweichung des Stabilitätsvertrages hat uns die Probleme beschert, über die wir heute diskutieren. Wir sollten nicht noch einmal denselben Fehler machen und unter dem Stichwort „Wachstum“ über eine Aufweichung des Stabilitätsvertrages diskutieren. (Beifall des Abg. Joachim Spatz [FDP]) Wir wollen Wachstum, aber nur auf dem Fundament einer klaren Stabilitätskultur. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sollten mit der Legendenbildung aufhören, dass wir erst seit heute, seit einigen Tagen oder Wochen über das Thema Wachstum in Europa diskutieren. Ich erinnere daran: Für die Jahre 2000 bis 2010 wurde die Lissabon-Strategie vereinbart. Sie ist krachend gescheitert. Europa sollte der dynamischste, wettbewerbsfähigste und wachstumsstärkste Kontinent der Erde werden. Was ist dabei herausgekommen? Nichts! Das Problem ist nicht etwa, dass wir nicht über Wachstum diskutieren oder wir uns nicht auf Maßnahmen verständigen, wie Wachstum erzeugt werden soll. Das Problem ist, dass wir mehr Verbindlichkeit in der Umsetzung brauchen. Das, was wir verabreden, muss auch umgesetzt werden. Wir wollen Wachstum, und jetzt geht es darum, zu organisieren, dass die Verantwortung, die wir tragen, auch wahrgenommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte an dieser Stelle unserer Bundeskanzlerin Danke sagen. Sie hat nicht nur betont, dass wir nachhaltiges Wachstum brauchen, sie hat auch unter dem Stichwort „Euro plus“ ausgeführt, dass wir Verfahren organisieren wollen, die gewährleisten, dass jeder seine Verantwortung wahrnimmt. Wir in Deutschland wissen aus Erfahrung, dass es nicht leicht ist, Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten, Sozialsysteme zu reformieren und Steuersysteme zu verändern. Deshalb ist es wichtig, dass wir für mehr Verbindlichkeit sorgen und nicht nur einfach nach Wachstum rufen. Wir als Union gehören nicht zum Fanclub des Club of Rome. Wir haben nie bezweifelt, dass wir unseren Wohlstand nur dann halten können, wenn wir auf dieser Welt Wachstum organisieren. Ich wundere mich manchmal über einzelne Redebeiträge. 30 bis 40 Jahre lang haben wir gehört, dass wir kein Wachstum mehr brauchen. Nun wird plötzlich so getan, als sei Wachstum die einzige Lösung für die großen Probleme, vor denen wir stehen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Genau! Richtig!) Liebe Freunde, wir führen eine Diskussion vor dem Hintergrund einer vergemeinschafteten Geldpolitik. Eine Antwort darauf muss sein, dass wir in Europa mehr gemeinsame Verantwortung in der Fiskalpolitik übernehmen. Es ist aus meiner Sicht vernünftig, mit dieser Diskussion jetzt zu beginnen. Ein Diskussionsvorschlag liegt vor. Nun kann über die richtige Agenda gesprochen werden. Es geht um die Frage: Was muss in diesem Kontext getan werden? Ich möchte mich dafür bedanken, dass auf der Agenda „Mehr Demokratie für Europa“ steht. Als Parlamentarier sage ich: Das ist auch richtig so. Bisher haben wir im Deutschen Bundestag bei allen zu ergreifenden Maßnahmen versucht, Legitimation und Kontrolle im Deutschen Bundestag zu verankern, aber das kann doch auf Dauer nicht tragen. Deshalb müssen wir dringend miteinander darüber sprechen, wie wir Legitimation und Kontrolle in Europa verankern können. Ich wünsche dabei viel Erfolg; denn diejenigen, die das Thema auf die Agenda gesetzt haben, sind keine Parlamentarier. Diese Aufgabe muss im Interesse der Demokratie in Europa angegangen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer Punkt. Alle rufen: Mehr Europa, mehr fiskalpolitische Union! – Ja, aber nun sind wir an einem kritischen Punkt angelangt. Es reicht nicht, zu sagen: Wir wollen mehr Europa. Vielmehr werden wir darüber diskutieren müssen, wie dieses Europa aussehen soll. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein demokratisches Europa!) An dieser Stelle halte ich einen konstruktiven Streit für sinnvoll. Wir müssen tatsächlich darüber diskutieren, wie dieses Europa aussehen soll. Dazu sagen wir erstens: Da wir gesagt haben, dass wir es uns in Zukunft aus ordnungspolitischen Gründen nicht erlauben können, dass systemrelevante Banken durch Steuergelder gerettet werden müssen, haben wir vor gut einem Jahr in Deutschland das Restrukturierungsgesetz beschlossen. Zu dem Vorschlag, dieses deutsche Modell nach Europa zu exportieren, sage ich ausdrücklich: Ja, das ist ein vernünftiger Vorschlag. Diesen Weg sollten wir so schnell wie möglich gemeinsam gehen. Zweitens sagen wir – das haben wir im Zusammenhang mit der Hypo Real Estate gelernt –: Wir brauchen mehr gemeinsame Aufsicht bei systemrelevanten Banken in Europa. Wir haben selbst erfahren, dass das ein vernünftiger Vorschlag ist. Die Lernkurve der EBA, die wir geschaffen haben, zeigt nach oben. Sie ist für die gesamte EU zuständig, nicht nur für die Euro-Zone. Deshalb ist aus meiner Sicht an dieser Stelle ein Hinweis auf die Europäische Zentralbank vernünftig. Ich traue dieser Instanz zu, eine vernünftige Finanzkontrolle in Europa aufzubauen. Wir müssen allerdings ähnlich wie bei der Bundesbank darauf achten, dass die geldpolitische Unabhängigkeit dieser Institution gewahrt bleibt. Wir dürfen diesen neuen Auftrag nicht dazu nutzen, die geldpolitische Unabhängigkeit der Zentralbank infrage zu stellen. Etwas ganz anderes ist es, wenn gefordert wird, die Einlagensicherung zusammenzuführen. Wenn wir die Einlagensicherung zusammenführen, dann ist das ein Stück weit die Einführung der Umlagefinanzierung durch die Hintertür, ohne dass die Kompetenzen in einer Hand liegen. Lediglich die Haftung würde vergemeinschaftet. Deshalb bin ich der Meinung: An dieser Stelle sollten wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein klares Nein formulieren. Keine gemeinsame Einlagensicherung! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Genau! Erklären Sie erst einmal wieder, was Sie alles nicht wollen!) Ich finde die Frage, über welche Banken wir eigentlich reden, sehr spannend. Darüber sollten wir einmal diskutieren. Reden wir über die systemrelevanten Banken? Reden wir über die grenzüberschreitend tätigen Banken? Reden wir über alle Banken? Reden wir über in Schieflage geratene Banken? Ich glaube, auch diese Frage müssen wir beantworten. Wir sollten vielleicht mit dem Punkt „systemrelevant“ starten, weil das der wirklich gefährliche Aspekt ist. Dann müssen wir uns überlegen, ob man irgendeinen Mechanismus etablieren kann, damit sich die europäische Aufsicht einschalten kann, wenn an anderer Stelle ein Problem auftaucht; siehe Spanien. Das wäre vielleicht ein vernünftiger Vorschlag. Ansonsten bin ich ein Anhänger des Subsidiaritätsgedankens. Nicht jede Sparkasse und nicht jede Volksbank in Deutschland muss von einer zentralen europäischen Aufsicht beaufsichtigt werden. Das kann auch der nationale Aufseher in vernünftiger Weise tun, wenn er seine Verantwortung wahrnimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Der Frau Kollegin Hinz, die unsere Verantwortung im Zusammenhang mit der Frage der gemeinsamen Haftung angesprochen hat, möchte ich sagen: Ich persönlich halte es am heutigen Tage für verantwortungslos, eine gemeinsame Haftung der europäischen Steuerbürger für die Schulden aller Euro-Staaten einzufordern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das hat keiner gemacht!) Auf dem Fundament, das wir heute haben, ist das verantwortungslos. Deshalb werden wir diesen Weg nicht mitgehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Am heutigen Tage“!) Wir lassen uns von Ihnen auch nicht in ein verantwortungsloses Handeln in dieser Frage treiben. Das wäre lediglich ein Anreiz, mehr zu konsumieren, weniger diszipliniert zu leben und in die falsche Richtung zu gehen. Ich verdeutliche Ihnen das am deutschen Länderfinanzausgleich. Dort haben wir ein Transfersystem ohne Anreize. Jetzt schauen Sie sich einmal die letzten 60 Jahre an: Nur ein Bundesland hat es geschafft, vom Empfänger zum Zahler zu werden. Alle anderen haben entweder den Status quo gehalten oder wurden vom Zahler zum Empfänger. Diese Geschichte zeigt, dass mit einem solchen System falsche Anreize gesetzt werden. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das fordert doch überhaupt niemand! – Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein solches System führt dazu, dass man sich in die Hängematte legt und nichts tut. Was wir in Europa brauchen, sind mehr gemeinsame Anstrengungen. Wir brauchen das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen, damit die Europäische Union, damit das Euro-Land vo-rankommt. Wir dürfen keine Anreize setzen, die dazu führen, dass sich jeder ausruht und gleichzeitig auf den Nachbarn schaut, hoffend, dass dieser im Zweifelsfall hilft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Zum Abschluss: Hier wird über Maßnahmen diskutiert. Aus meiner Sicht leidet die Debatte manchmal darunter, dass vergessen wird, dabei auf die Zeitschiene zu verweisen. Es gibt einige Dinge, die man kurzfristig tun kann, andere, die mittelfristig angelegt sind, und wieder andere, die langfristig angelegt sind. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn man sich jenseits der Frage, was auf der Agenda steht, darauf verständigt, in welchen Zeitabläufen die einzelnen Projekte angegangen und wie sie abgeschlossen werden sollen. Ich glaube, das, was wir erreichen müssen, ist nicht neues Recht in Europa – das ist nur ein kleiner Teil des Ganzen –, was wir vor allem benötigen, ist das Vertrauen der Menschen in Europa. Auch die Investoren jenseits Europas müssen darauf vertrauen können, dass wir diese Regeln auch leben. Ich möchte Herrn Poß an dieser Stelle sagen: Wir haben Anfang des vergangenen Jahrzehnts ein wirklich schlechtes Beispiel gegeben. Wir haben eine Rechtsgemeinschaft in der EU, und wir als Deutsche haben als Erste dazu aufgerufen, das Recht zu brechen. (Joachim Poß [SPD]: Das ist eine Legende! Ohne die Veränderung des Pakts hätten wir die Konjunkturpakete nicht auflegen können, Herr Meister!) Wenn wir das in dieser Weise leben, dann können wir noch so oft neue Vereinbarungen treffen – solange wir diese nicht verinnerlichen und leben, werden sie nicht funktionieren. Deshalb kann ich nur appellieren: Es reicht nicht, neue Vereinbarungen zu treffen, sondern wir müssen das Vereinbarte auch selbst vorbildhaft vorleben. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Manuel Sarrazin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, einen anderen Aspekt in die Debatte einzubringen. Die Kanzlerin hat gerade von einer schonungslosen Analyse der Krise gesprochen. Ich finde es bemerkenswert, Frau Bundeskanzlerin, dass in dieser schonungslosen Analyse die Herausforderungen, die bezüglich nationaler und europäischer Demokratie vor uns liegen, schlichtweg nicht vorgekommen sind. In der letzten Woche gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Im Feuilleton der FAZ trug ein Artikel zu dem Thema folgende Überschrift: „Anatomie einer Hintergehung“. Nicht diejenigen in diesem Haus, die am lautesten schreien – also die Linkspartei –, und auch nicht diejenigen, die am dicksten mit Stabilität auftragen – also die Koalition –, haben der Bundesregierung die Schranken aufgezeigt, sondern nur die Grünen haben sich gegen diese Hintergehung gewehrt, für die demokratischen Rechte des Bundestages gekämpft, und wir haben diesen Kampf gewonnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Bundeskanzlerin, vor diesem Hintergrund hätte ich zum einen erwartet, dass Sie darstellen, dass Sie uns dankbar sind, dass wir mögliche verfassungsrechtliche Probleme hinsichtlich der Rechte des Bundestages, die der Fiskalvertrag hätte aufwerfen können, durch unsere Klage abgebogen haben. Zum anderen hätte ich erwartet, dass Sie jetzt endlich deutlich machen, dass sich in Europa etwas verändert und dass jetzt die Zeit ist, darüber zu reden, wie wir diese Institutionen, die gerade an- und zugebaut werden, in das europäische Haus eingliedern und mit europäischer Demokratie in Verbindung bringen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich erwarte von Ihnen, dass Sie endlich für einen europäischen Konvent streiten und nicht nur fragen, ob sein Ergebnis am Ende – wir kennen es noch nicht – per Volksabstimmung oder anders legitimiert werden soll. Ich erwarte, dass Sie endlich dafür einstehen, dass die Debatte darüber, wie der nächste Integrationsschritt aussehen soll, öffentlich und transparent mit den Menschen, mit den Sozialpartnern und mit der Zivilgesellschaft geführt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Roth [Heringen] [SPD]) In dieser Frage ist die Form sehr wichtig. Der Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit, den das Verfassungsgericht zu einer der Grundlagen des Urteils gemacht hat, sollte uns auch bei dem Weg zu mehr Europa anleiten. Deswegen möchte ich Sie sehr bitten: Sie wissen, dass wir die Integrationsschritte meistens unterstützen. Aber wir wollen nicht plump einen Blankoscheck geben. Der europäischen Demokratie könnte nichts Schlechteres passieren, als dass diese nächsten Integra-tionsschritte genauso aufs Tapet kommen wie der Fiskalvertrag. Wir müssen jetzt den Stil ändern, weg von den Methoden Ihrer Politik der letzten zwei Jahre und zurück zur Gemeinschaftsmethode und zur öffentlichen Debatte von Anfang an über den nächsten Schritt. Dafür ist nur ein europäischer Konvent mit vorgelagerter öffentlicher Debatte geeignet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Frau Kanzlerin, zu dieser Debatte über Euro-Bonds und Haftung haben Sie angekündigt: Euro-Bonds wird es nicht geben, solange ich lebe. Ich habe heute im Haushaltsausschuss der Einführung des ESM zugestimmt. Auch in dessen Rahmen werden europäische Anleihen emittiert. Da habe ich Angst um Ihre Gesundheit bekommen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben vorhin die Projektanleihen von 1 Milliarde Euro genannt. Da dachte ich schon – ich möchte Ihnen persönlich wirklich nichts Böses –: (Rainer Brüderle [FDP]: Das ist sehr glaubwürdig!) Kann ich da mitgehen, oder muss ich mir Sorgen machen? (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Den Unterschied werden Sie nie verstehen!) – Kollege Fricke, wissen Sie, die Modelle von Euro-Bonds, die wir hier vertreten, sehen klar gemeinschaftliche Haftung vor, (Otto Fricke [FDP]: Ja, aber gemeinschaftlich!) aber sie sind mit so strengen Regeln durchsetzt, dass ich verstehe, warum Sie dagegen sind; denn Sie wollen im nationalen Haushalt mit Ihrem Gewurschtel weitermachen, siehe Betreuungsgeld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Sie werden es nie verstehen!) Mir ist Folgendes aufgefallen: Ich bin 1982 geboren. (Zuruf von der FDP: Sieht man gar nicht!) 1998 war ich 16 Jahre alt. Ich dachte mir, wenn Helmut noch einmal gewinnt, dann muss ich auswandern. Im Februar war ein Artikel von Helmut Kohl in der Bild-Zeitung. Ich muss sagen: Jeder Satz stimmte. Bei der Überschrift heute: „Keine Euro-Bonds, solange ich lebe“, habe ich wieder an den Bild-Zeitungsartikel von Helmut Kohl gedacht. Dort steht: Meine Vision für Europa war und bleibt die Vision der Gründerväter Europas: Es ist die Vision des geeinten Europas, das heißt eines immer engeren Miteinanders auf unserem Kontinent. (Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Wie in Deutschland!) Dagegen stellen Sie die Aussage: „Keine Euro-Bonds, solange ich lebe!“ Vielleicht ist das Problem der deutschen Europapolitik komplett beschrieben, (Patrick Döring [FDP]: Unser Grundgesetz gilt schon auch noch!) wenn man diese beiden Sätze nebeneinanderstellt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Nicht zu viel Helmut Kohl zitieren! Das ist schwierig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat der Kollege Michael Stübgen das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Rat tagt am Donnerstag und Freitag dieser Woche. Wie fast alle Europäischen Räte in den vergangenen zweieinhalb Jahren wird er sich im Schwerpunkt mit den Fragen der Stabilisierung der Euro-Zone beschäftigen. Aber es besteht auch das Vorhaben, Ideen für die Zukunft, wie die Europäische Union den Herausforderungen der Zukunft besser gewachsen sein kann, zu entwerfen und zu beschließen. Von den Big Four, den vier Präsidenten, ist – das ist vorhin schon genannt worden – die Losung ausgegeben worden: Wir brauchen mehr europäische Integration. Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diejenigen, die im Moment am lautesten nach mehr Integration rufen, am wenigsten Interesse daran haben, (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) die Ursachen der Verschuldungskrise in ihren Ländern an der Wurzel zu bekämpfen. Das ist menschlich nachvollziehbar. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, das ist menschlich nicht nachvollziehbar!) Die Flucht nach vorn ist auf jeden Fall ein bequemer Weg. Eines muss dabei aber klar sein: Mit der Flucht nach vorn bleiben die Probleme und deren Ursachen die gleichen. Das gilt für die Haushaltsdefizite, das gilt für die Staatsverschuldung, das gilt vor allem für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, und das gilt auch für zu geringes Wachstum in vielen Euro-Ländern. Ich will es noch deutlicher formulieren: Wer der Auffassung ist, dass man nur ausreichend Geld braucht, um Wachstum zu generieren, dass man nur Schulden vergemeinschaften muss, um niedrigere Zinsen zu haben, dass ein europäischer Schuldentilgungsfonds von der Rückzahlung der eigenen Schulden entbindet (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sagt das einer?) und dass eine europäische Einlagensicherung irgendwie alle Banken am Leben lässt, auch wenn sie kein Geschäftsmodell haben, das wettbewerbsfähig ist, auch wenn sie Opfer ihrer eigenen Spekulationen geworden sind, der begeht ökonomisch und politisch einen verhängnisvollen Fehler. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Am Dienstag haben wir im Bundestag die Vorschläge der vier Präsidenten zugestellt bekommen. Trotz Anerkennung der Tatsache, dass die Definition der vier Bausteine durch die Präsidenten richtig ist, muss ich aber feststellen, dass sich die Präsidenten mit ihren Vorschlägen leider weitgehend auf dem Holzweg befinden. (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) Ich will nur zwei Dinge ansprechen. Das erste ist der sogenannte integrierte Finanzrahmen. Die Europäische Union soll sich dafür einsetzen, eine wirkungsvolle europäische Bankenaufsicht mit Durchgriffsrechten umzusetzen – in der Tat absolut notwendig. Wir alle wissen, dass die bisherigen Strukturen nicht funktionieren. Gleichzeitig soll ein europäisches Einlagensicherungssystem geschaffen werden – mit dem Ergebnis, dass zum Beispiel die Sparkassen in Deutschland für waghalsige Finanzierungen ihrer spanischen Kollegen haften müssen, ohne sie verhindern zu können. Zweitens möchte ich den sogenannten integrierten Haushaltsrahmen ansprechen. Nach Auffassung der vier Präsidenten soll eine gesamtschuldnerische Haftung eingeführt werden, ein sogenannter europäischer Schuldentilgungsfonds. Wir wissen mittlerweile, wie er ausgestattet werden muss: Die gesamtschuldnerische Haftung soll einen Umfang von 2,3 Billionen Euro – ich sage es noch einmal: 2 300 Milliarden Euro – haben. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das wissen wir aber nicht erst seit jetzt, sondern das wissen wir schon ein bisschen länger!) Das Europäische Parlament ist in der vergangenen Woche noch einen Schritt weiter gegangen. Es forderte zusätzlich zu diesem europäischen Schuldentilgungsfonds die Einführung von Stabilitätsanleihen in Höhe von 1 Prozent des Bruttonationalproduktes der EU 27. Das macht im Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre mehr als 1 Billion Euro aus. Ich glaube, ich brauche hier nicht weiter zu vertiefen, was es im Hinblick auf die Bonität Deutschlands bedeuten würde, wenn Deutschland innerhalb kurzer Zeit – zusätzlich zu allen Bürgschaften, die wir übernommen haben, und zusätzlich zu den Staatsschulden, die wir haben – für einen Betrag von insgesamt mehr als 3 Billionen Euro gesamtschuldnerisch haften müsste. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was reden Sie denn da?) Wir würden damit keine Probleme lösen. Wir würden aber innerhalb kürzester Zeit Zinsen wie Spanien zahlen müssen. Innerhalb kürzester Zeit wäre Deutschland dann auch nicht mehr in der Lage, Ländern, die gerade Schwierigkeiten haben, zu helfen. (Otto Fricke [FDP]: Genau! Das verstehen die Grünen aber nicht!) Das ist das Problem in Bezug auf die konkreten Vorschläge der vier Präsidenten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa ist nicht reif für die Visionen der Präsidenten. Wenn wir noch einen Beleg dafür brauchen, dann müssen wir uns nur anschauen, wie sich verschiedene Länder und verschiedene Regierungen der Euro-Zone in den letzten Monaten aufgestellt haben. Wir wissen heute: Trotz des Griechenland-I-Pakets, trotz des Griechenland-II-Pakets, das über die EFSF finanziert wurde, und trotz einer massiven Schuldenentlastung in Höhe von über 100 Milliarden Euro hat Griechenland bis heute leider immer noch nicht den Willen und den Mut aufgebracht, die unbedingt notwendigen strukturellen Reformen im Land in ausreichendem Maße anzugehen. Die Regierungen von Spanien und Zypern haben sich in den letzten Wochen nahezu ausschließlich damit beschäftigt, für ihre Banken Geld aus den Sicherungsin-strumenten, dem ESM oder der EFSF, zu bekommen. Gleichzeitig haben sie aber alles versucht – ihre gesamte Energie haben sie hier hineingesteckt –, um dafür zu sorgen, dass damit möglichst keine Haftung und keine einzuhaltenden Konditionen verbunden sind. Der Ministerpräsident von Italien beschäftigt sich mehr damit, die Einführung von Euro-Bonds einzufordern und durchzusetzen als damit, das strukturelle Defizit in seinem Land zu bekämpfen. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Der hat Ihre Ratschläge gerade nötig!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind nicht reif für die Vergemeinschaftung von Schulden. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Um es mit einem Bild zu sagen: Wir müssen unser Fahrzeug erst reparieren, bevor wir auf die Autobahn fahren können. Die Reparaturarbeiten sind hier im Bundestag in vollem Gange. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sie reparieren gar nichts!) Ich freue mich, dass wir am Freitag mit Zustimmung von vier Fraktionen sehr wichtige Reparaturinstrumente für Europa beschließen werden; (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Na, na! Da wäre ich mir noch nicht so sicher!) dann geht es um den ESM und seine Begleitgesetze und um den Fiskalpakt. Darüber hinaus – auch das wird von vier Fraktionen unterstützt – setzt sich Deutschland dafür ein, dass die Europäische Investitionsbank rekapitalisiert wird. Außerdem werden 10 Milliarden Euro für Projektanleihen bereitgestellt – einige halten sie auch schon für Euro-Bonds; wir nennen sie aber Projektanleihen, weil sie klar definiert sind –, und im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit setzen wir uns für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer ein. Ich glaube, dies sind die richtigen Ansätze. Diese Ansätze sollte der Europäische Rat in den nächsten beiden Tagen beraten. Am Ende sollte er zu positiven Ergebnissen kommen, damit Europa wieder gesunden kann. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf für den Teil meiner Fraktion sprechen, der heute noch nicht so weit ist, zu sagen: Wir stimmen am Freitag bei der Abstimmung über ESM und Fiskalpakt mit Ja. – Unsere Bedenken und Einwände beziehen sich auf den Aspekt von Demokratie und Verfassung und auf die Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa. Sie wurden bisher leider weder in den Ausschüssen noch in dieser Plenardebatte wirklich entkräftet. Ich will deutlich machen: Was unsere Bedenken betrifft, geht es nicht in erster Linie darum, ob einzelne Personen so oder so abstimmen. Vielmehr gehen diese Bedenken quer durch alle Reihen. Sie plagen uns alle. Auch diejenigen, die heute noch nicht zustimmen können, halten Solidarität in Europa und gemeinsames Handeln für zwingend geboten. Auch diejenigen, die noch nicht dabei sind, sind der Meinung, dass wir, die Sozialdemokraten und die Grünen, mit dem Pakt für Wachstum und Beschäftigung viel erreicht haben, um die falsche Regierungspolitik zu korrigieren. Wir haben die Finanztransaktionsteuer eingebracht, für Wachstum geworben und über die Länder die Haushalte der Kommunen in den Blick genommen. Weder bei der Bundesregierung noch bei der EU sehen wir aber ein Abrücken von ihrer verheerenden Politik. Die Arbeitslosigkeit erreicht tagtäglich neue Höchststände und Rekorde in Europa, das Wachstum bricht ein. Das wird sich auch auf die Exporte Deutschlands und auf die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen in Deutschland auswirken. Wenn wir an unserer Südgrenze erst einmal mexikanische Verhältnisse haben, dann wird sich der Druck auf die Arbeits- und Sozialbedingungen in Deutschland verschärfen. Als Antwort darauf hören wir heute, dass die Dosis der gescheiterten Rezepte erhöht werden soll. Frau Merkel tut so, als ginge es ums Sparen. In Wirklichkeit reißt ihre Politik aber immer größere Löcher, weil das blinde Sparen die EU zu einer Rezessionsgemeinschaft macht. Hinsichtlich der Konsolidierung hebt der Fiskalpakt eben ausdrücklich nicht auf Haushaltskonsolidierung ab, sondern nur auf die Beschränkung der Ausgabenseite. Das kann man zum Beispiel in Art. 3 Abs. 1 des Fiskalpakts nachlesen. Deswegen wird die ganze Situation durch diese Politik verschärft. Frau Merkel tut so, als spreche Europa Deutsch. Das hat jedenfalls Herr Kauder so gesagt. Was war denn unser Weg hier in der Bundesrepublik Deutschland aus der Krise? Zusammen mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten wurde Kurzarbeit auf der Basis gesicherter Tarifautonomie vereinbart. Es gab zwei Konjunkturpakete in Höhe von insgesamt ungefähr 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einen Rettungsschirm, den Sie jetzt wieder aufgelegt haben, von rund einem Viertel des Bruttoinlandprodukts. Das hat Entschlossenheit gezeigt und dazu geführt, dass die Spekulation und die Arbeitslosigkeit bei uns nicht in die Höhe geschossen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das hat uns durch die Krise gebracht und Wachstum und Beschäftigung gesichert. Frau Merkel geht jetzt sogar so weit, hier Mindestlöhne zu fordern und die Tarifparteien zu höheren Lohnabschlüssen zu ermuntern. In der Europäischen Union setzen Sie aber genau das Gegenteil von dem durch, nämlich Lohnsenkungen allenthalben, Sozialabbau, ein Aufbrechen des Flächentarifvertrags, den Abbau von Arbeitnehmerrechten und massive Kürzungen von öffentlichen Investitionen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was uns hier den Erfolg gebracht hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, das ist die internationale Strategie des Neoliberalismus, die Strategie der Zocker und Umverteiler. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine Vergemeinschaftung gibt es schon längst – nur eben nicht bei der Haftung, sodass diejenigen, die das Geld haben und die an der Krise verdient haben, herangezogen werden könnten, sondern eine Vergemeinschaftung des Sozialabbaus. Die Lasten werden bei den Arbeitnehmern, bei den Rentnern und bei den Jugendlichen abgeladen. Sie bezahlen die Zeche gemeinschaftlich. Deswegen fehlt uns der Aspekt der Einnahmeseite, zum Beispiel die Bekämpfung der Kapitalflucht, wirksame Maßnahmen für Wachstum, die nicht durch die verschärften Regeln des Fiskalpakts aufgezehrt werden, und soziale Mindeststandards bei Löhnen und sozialen Leistungen, damit es nicht zu dem kommt, was wir jetzt in Griechenland so bitter erleben, dass nämlich die Menschen vor den Türen der Krankenhäuser und Apotheken stehen und keine Behandlungen und Medikamente mehr bekommen, weil Sie in die Regeln für Griechenland hi-neingeschrieben haben, dass die Gesundheitsausgaben höchstens 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen dürfen. Hier muss eine grundlegende Korrektur erfolgen! Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Barthel, achten Sie bitte auf die Zeit. Klaus Barthel (SPD): Ich bin beim letzten Satz, Frau Präsidentin. – Die falschen Regeln, die Sie jetzt schon durchgesetzt haben, dürfen nicht per Fiskalpakt völkerrechtlich in Beton gegossen und verewigt werden. Das können Sie in Ihren Unterlagen selber nachlesen. Ich bin sehr gespannt, wie Sie da einmal herauskommen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann für die Unionsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Norbert Brackmann (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte wurde so oft von Krise und Problemen gesprochen, dass ich zunächst einmal erwähnen möchte, welch ein Erfolgsmodell Europa nicht nur an sich, sondern auch für die Menschen ist. (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sehr gut!) 8 Prozent der Weltbevölkerung – so viele sind wir nämlich in Europa – erwirtschaften 25 Prozent des BIPs. 50 Prozent der Sozialleistungen auf der ganzen Welt stehen den Menschen in Europa zur Verfügung. Dies ist ein weltweites Erfolgsprojekt für die Menschen in Europa. Das ist wichtig zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD) Über dieses Erfolgsmodell diskutieren wir, weil es in Europa unterschiedliche Entwicklungen gibt. Einige Staaten haben das Problem einer besonders hohen Staatsverschuldung und gleichzeitig einer besonders -hohen Arbeitslosigkeit. Beispielsweise hat Spanien eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Daneben gibt es Staaten wie zum Beispiel Deutschland, die eine vergleichsweise geringe Verschuldung und eine extrem geringe Arbeitslosigkeit – im Mai waren noch 2,86 Millionen Menschen arbeitslos – haben. Das ist doch eindeutig ein Hinweis darauf, dass eine solide Politik mit wenig Schulden zu einer geringen Arbeitslosigkeit und eine unsolide Politik eben zu dem Gegenteil führt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe heute die Rezepte gehört, mit denen man die Sucht nach Geld – es ist ja eine süße Droge, Geld vom Kreditmarkt aufzunehmen –, die Nöte, die es in einigen Staaten Europas gibt, bekämpft. Das ist ja fast so, als würde man – vorhin wurde ja gefordert, die Zinsen zu senken –, weil Drogensüchtige Probleme haben, den Kauf der Drogen zu finanzieren, nun eine Sammelbestellung aufgeben, um Rabatte auf die Gemeinschaftsbestellung zu bekommen. Diese Rezepte führen nicht dazu, Drogensüchtige von ihrer Droge wegzubekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es muss auch anders gehen. Herr Barthel, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft betroffen sind. Sie reden hier immer sehr abstrakt von: „Wir müssen helfen!“ Aber wir leisten uns doch keine Bundesdruckerei, die im Keller ganz eifrig Geld druckt. Weshalb sind wir denn in dieser günstigen Lage? Vergleichen Sie doch einmal die Entwicklung der Lohnstückkosten von 2000 bis 2012 in Deutschland. In Deutschland sind die Lohnstückkosten in diesen Jahren um durchschnittlich 0,7 Prozent gestiegen, während die Steigerung in Europa in diesem Zeitraum bei durchschnittlich 1,7 Prozent lag. Dadurch haben die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Wohlstand erwirtschaftet, von dem wir heute alle gemeinsam profitieren, der Sicherheit für die Zukunft bietet. Es sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, mit deren erwirtschaftetem Geld Sie Gemeinschaftsanleihen finanzieren wollen. Das müssen Sie denen auch beibringen. Diese Ehrlichkeit muss man Ihnen abverlangen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen aber gar nicht so weit nach Europa gucken. Zu Beginn der Legislaturperiode im Jahre 2009 haben wir hier im Hause darüber diskutiert, wie wir mit den finanziellen Rahmendaten klarkommen. Sie haben uns vorgeworfen, als wir damals das Sparpaket aufgelegt haben, wir würden Deutschlands Zukunft kaputtsparen. Wir haben Ihnen schon damals gesagt, dass es darauf ankommt, durch intelligentes Sparen Wachstum zu schaffen und die Ausgaben zu begrenzen. (Zurufe von der SPD: Blödes Sparen!) Den Erfolg sehen Sie heute an den Ergebnissen, die ich Ihnen vorhin vorgetragen habe. Die politische Inkonsistenz, zum einen von einem „blöden“ Sparen zu sprechen und zum anderen uns vorzuwerfen, wir würden nicht genug sparen, kann man sich nur leisten, wenn man in der Opposition sitzt und hoffen kann, dass die Meinungs-äußerungen nicht über zwei Jahre verfolgt werden. Dies können und werden wir uns nicht leisten, weil wir eine geradlinige Politik für die Menschen in Deutschland machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Klar ist: Es ist ein schwieriger Weg, den wir in Deutschland einschlagen. Aber wenn wir die Entbehrungen, die wir den deutschen Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmern zugemutet haben, auch allen anderen in Europa zumuten, dann wird sich dieser Weg lohnen. Dann werden wir am Ende sehen, dass Stabilität und Wachstum unverzichtbare Bedingungen für Wohlstand sind. Ihn werden wir nur so sichern. Die real existierenden Menschen in Deutschland schauen auf unsere Bundeskanzlerin. Ich kann ihr von diesem Pult nur zurufen: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, viel Erfolg auf dem Europäischen Rat morgen und übermorgen. Dann werden wir am Freitag sehen, welche Ergebnisse wir haben. Sie werden gut sein. (Joachim Poß [SPD]: „Und ein langes Leben“, hätten Sie noch dazusagen müssen!) Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Michael Roth hat nun für die SPD Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Roth (Heringen) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute im Laufe der Debatte war viel vom Sparen die Rede: Sparen bei Sozialleistungen, Sparen bei den -Löhnen. Es gibt aber auch ein Sparprogramm für die Demokratie in Europa. Verantwortlich für dieses Sparprogramm sind diese Bundesregierung und diese Bundeskanzlerin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundeskanzlerin hat mit der viel gepriesenen Unionsmethode ein Europa der Regierungen, ein Europa der Hinterzimmer zusammengebastelt. Sie hat das Europäische Parlament geschwächt. Sie hat die Gemeinschaftsinstitutionen geschwächt. Sie hat damit der parlamentarischen Demokratie in der Europäischen Union einen Bärendienst erwiesen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hat abermals einen Verfassungsbruch vollzogen. Spätestens seit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wissen wir: Sie tritt nicht nur die Rechte der parlamentarischen Institutionen in Brüssel mit Füßen, sondern sie ignoriert auch die parlamentarischen Rechte des Deutschen Bundestages. Hier müssen wir uns auflehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Deshalb glaube ich Ihnen auch nicht, Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, dass Sie für ein demokratischeres und solidarischeres Europa eintreten. An den Taten wollen wir Sie messen. Ihre Taten sind aber derart mickrig und unglaubwürdig, dass Sie darüber lieber schweigen sollten. Was ist aber jetzt in dieser schwierigen Stunde zu tun? Ich sehe im Wesentlichen zwei große Aufgaben für uns gemeinsam: Erste Aufgabe. Wenn wir über neue Zuständigkeiten in Europa reden, sehe ich in den Augen vieler Kolleginnen und Kollegen Angst und Unsicherheit. Wir müssen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen: Mehr Europa ist kein Machtverlust für uns. Wir gewinnen neue politische Handlungsfähigkeiten. Wir gewinnen politische Gestaltungskraft in einer globalisierten Welt zurück, in der die Nationalstaaten alter Prägung dies nicht mehr zu leisten vermögen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht also nicht um weniger Demokratie. Es geht um mehr Handlungsfähigkeit. Zweite Aufgabe. Lassen Sie uns endlich ein Europa der Parlamente schaffen. Wir rennen doch den Urteilen aus Karlsruhe immer nur hinterher. Warum nutzen wir nicht endlich einmal diese Stunde und warten nicht da-rauf, was uns Gerichte mit auf den Weg geben? Warum überlegen wir nicht: Wie können wir eine parlamentarische Demokratie in Europa zukunftsfest machen? Da eröffnet uns beispielsweise der Fiskalvertrag mit Art. 13 eine Option. Wir dürfen uns nicht einbilden, dass parlamentarische Demokratie nur vom Europäischen Parlament oder von den nationalen Parlamenten jeweils alleine gesichert werden kann. Wir brauchen eine neue Partnerschaft der Parlamente in Europa. Wir müssen das gemeinsam erledigen, sonst schaffen wir das nicht. Insofern hoffe ich, dass wir in Europa nicht nur eine Wirtschaftsregierung, sondern auch ein Wirtschaftsparlament etablieren, das die Entscheidungen der Regierungen und der Staats- und Regierungschefs abzusichern versucht, auch im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb kämpft die deutsche Sozialdemokratie eben nicht nur für ein Wachstumsprogramm für Beschäftigung; wir kämpfen auch für ein Wachstumsprogramm für mehr Demokratie in Europa. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kämpfen Sie alle mit! Zum Schluss noch eine herzliche Bitte: Der Ton macht die Musik. Vor dem Hintergrund, dass heute ein Bundesverkehrsminister in der Presse erst einmal 1 Milliarde Euro mehr für die Verkehrsinfrastruktur fordert, statt den Griechen Geld hinterherzuwerfen, und Kolleginnen und Kollegen davon sprechen, dass Südeuropäer in der Hängematte liegen, oder Abgeordnete und Bürgerinnen und Bürger in Europa als Drogensüchtige bezeichnen, bitte ich uns alle um Mäßigung. So werden wir kein solidarisches Europa schaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insofern bitte ich Sie alle: Machen Sie es besser! Reden Sie verantwortungsbewusster, und bauen Sie keine Feindbilder auf! Wir müssen Feindbilder überwinden. Wir brauchen mehr Kooperation und Solidarität. Dazu fordere ich Sie auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: 9. Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Dr. Maria Böhmer, bitte. Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Vormittag wurde der Bericht der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland dem Bundeskabinett vorgelegt. Anschließend konnte ich ihn dem Bundestagspräsidenten übergeben. In guter Tradition wollen wir diesen Bericht im Plenum debattieren. Deshalb darf ich heute eine kleine Einstimmung darauf geben. Der Bericht hat eine Kernbotschaft: Die jungen Mi-grantinnen und Migranten, die Schülerinnen und Schüler, holen auf. Es hat sich im Berichtszeitraum vom Frühjahr 2010 bis zum Frühjahr 2012 in der Integration so viel bewegt wie noch nie zuvor. Das lässt sich anhand von etlichen Daten nachvollziehen. Es lässt sich aber auch daran nachvollziehen, dass wir durch wichtige gesetzliche Änderungen die Teilhabechancen verbessert haben. Ich nenne dafür stellvertretend das Gesetz zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche. Zu den Bereichen, in denen wir mit großen gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen und vielen Partnern im gesellschaftlichen Bereich vorangekommen sind, gehören Sprache, Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt. Wir wissen aber auch, dass Integration nicht statisch ist. Integration verändert sich ständig. Wir stehen vor neuen Herausforderungen. Wenn wir für diese Herausforderungen gut gerüstet sein wollen, dann müssen wir von der nachholenden Integration zu einer vorausschauenden Integrationspolitik kommen. In den vergangenen Jahren haben wir die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte aufholen müssen. Aus den Fehlern der Vergangenheit haben wir Schlussfolgerungen gezogen. In den letzten sieben Jahren haben wir mit Maßnahmen der nachholenden Integration gerade im Bereich der Sprachförderung bei Kindern angesetzt. Ich bin sehr froh, dass ich mit diesem Lagebericht zeigen kann, dass wir fast überall in Deutschland flächendeckende Angebote zur Sprachförderung im Kindergarten haben. Das wirkt sich auch im schulischen Bereich aus; die schulischen Ergebnisse verbessern sich. Was den Anteil der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher angeht, zeichnet sich bei Kindern aus Zuwanderungsfamilien ein deutlicher Rückgang ab. Es gibt Verbesserungen bei den mittleren Bildungsabschlüssen. Hier befinden sich Kinder aus Zuwanderungsfamilien in etwa im Gleichstand mit deutschen Kindern. Es gibt des Weiteren eine klare Verbesserung bei denjenigen, die einen Hochschulabschluss oder einen Fachhochschulabschluss anstreben. Das sind positive Botschaften. Ich will aber nicht unerwähnt lassen, dass der Abstand zwischen denjenigen, die aus Zuwanderungsfamilien kommen, und denjenigen, die aus urdeutschen Familien kommen, weiterhin gegeben ist. Das heißt, wir dürfen nicht nachlassen. Aber wir wissen, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Deshalb wollen wir alle Kräfte verstärkt anspannen. Dafür steht der Nationale Aktionsplan Integration, der unter Mitarbeit der Migranten selbst erarbeitet und im Januar gemeinsam von Bund, Ländern, Kommunen und gesellschaftlichen Gruppen verabschiedet wurde. Er enthält klare Zielvorstellungen und sieht überprüfbare Maßnahmen vor. Dieser Aktionsplan wird uns weiter voranbringen. Ich will einen Punkt ansprechen, der mich immer wieder besonders umtreibt und der von entscheidender Bedeutung für die Teilhabechancen von Menschen in unserem Land ist: die Ausbildung bzw. die berufliche Qualifizierung. Die Ausbildungsbeteiligungsquote ausländischer Jugendlicher liegt nach wie vor dramatisch unter der deutscher Jugendlicher. Zwar ist die Ausbildungsbeteiligungsquote ausländischer Jugendlicher von 31,4 Prozent auf 33,5 Prozent im Jahr 2010 gestiegen. Aber bei den deutschen Jugendlichen beträgt sie 65,4 Prozent. Angesichts der Arbeitsmarktsituation in Deutschland wissen wir, dass man nur mit einem guten Bildungsabschluss und einer guten beruflichen Qualifikation – ob eine Ausbildung im Rahmen des dualen Systems oder ein Hochschulabschluss – eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Deshalb müssen wir alles da-ransetzen, dass Jugendliche aus Zuwanderungsfamilien gut qualifiziert sind. Das ist Thema des Nationalen Ausbildungspaktes. Hier üben wir den Schulterschluss mit Wirtschaft und Gewerkschaften. Das muss auch ein Schwerpunktthema für die Zukunft sein. Ich will diese kurze Einstimmung auf das Thema mit dem Hinweis auf einen Ansatz schließen, den die Wirtschaft zunehmend verfolgt. Wir sind der Meinung: Vielfalt ist ein Gewinn. Das findet immer mehr Resonanz bei den Unternehmen. Die Unternehmen erkennen: Wenn sie international wettbewerbsfähig sein wollen, müssen sie Diversity praktizieren und Menschen unterschiedlicher Herkunft als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen. Somit können sie im Exportbereich besser punkten und sich im Inland eher neue Kundenkreise erschließen. Viele Unternehmen haben die Charta der Vielfalt unterzeichnet. Mehr als 6,5 Millionen Menschen sind von der Charta erfasst. Dazu gehört auch die Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes. Hier stellen wir die Weichen mit dem Nationalen Aktionsplan Integration. Wir haben die Kampagne „Meine Stadt. Mein Land. Meine Aufgabe.“ gestartet. Ich finde es richtungsweisend, dass das Bundesinnenministerium die Internetseite „wir sind bund“ geschaltet hat. Damit senden wir das klare Signal aus: Ihr seid willkommen; wir wollen euch; die Türen stehen offen; geht durch diese Türen. – Das heißt für mich, den Paradigmenwechsel hin zu einer Willkommenskultur in unserem Land zu vollziehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Herzlichen Dank. – Ich bitte nun, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Zur ersten Frage hat die Kollegin Ulla Jelpke das Wort. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Danke, Frau Böhmer. – Wir haben erst in der letzten Woche im Innenausschuss darüber diskutiert. Uns Abgeordneten liegt der Lagebericht erst seit heute Morgen vor. Das heißt, ich kann mich auf ihn nicht konkret beziehen. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Deutschen überall – ob es nun um die Schulabbrecherquote, die Ausbildungssituation, Armut oder prekäre Beschäftigung geht – doppelt so stark benachteiligt sind. Ich möchte mich besonders auf einen Bereich beziehen, den Sie ebenfalls angesprochen haben, nämlich die Integrationskurse. Ich weiß, dass sich seit 2010 durch die Einsparungen die Situation bei den Integrationskursen verschlechtert hat. Das betrifft zum Beispiel die Teilzeitkurse; aber auch die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist um 20 Prozent eingebrochen. Sie haben die Fortschritte bei der Integration positiv bewertet, sind aber an den Einsparungen mitbeteiligt gewesen. Meine Frage lautet: Was wollen Sie tun, um der negativen Entwicklung etwas entgegenzusetzen? Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Frau Kollegin Jelpke, zunächst möchte ich festhalten, dass das dunkle Bild, das Sie malen, nicht der Wirklichkeit entspricht. Wir haben erhebliche Fortschritte zu verzeichnen. Das ist nicht nur eine Aussage der Bundesregierung; sondern auch der Wissenschaftler, die den Zweiten Integrationsindikatorenbericht Anfang des Jahres präsentiert haben. Sie haben von maßgeblichen Fortschritten gesprochen, gerade im Bereich der Sprachförderung, der frühkindlichen Bildung, der Bildungssituation insgesamt, aber auch der Ausbildung. Gleichwohl habe ich hier gesagt, dass wir noch lange nicht zufrieden sein können. Der Trend ist positiv. Die Aufholjagd – so nenne ich es einmal – vollzieht sich momentan. Sie sagen, die Einsparungen gingen zulasten der Ausländer. Wir hatten die große Sorge, dass sich die Wirtschafts- und Finanzkrise sehr negativ auf die Beschäftigung von Ausländern auswirken würde. Wir haben aber einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei Ausländern von über 200 000 Personen. Ich finde, das ist eine deutliche Entwicklung, die sich sehen lassen kann. Die soll man auch nicht schlechtreden, sondern man soll den Menschen Mut machen und zeigen, dass sie in diesem Land vorankommen können. Jetzt zu den Integrationskursen, die ich übrigens nicht angesprochen habe. Ich greife aber dieses Thema natürlich gerne auf. Wir konnten gerade dem einmillionsten Teilnahmeberechtigten gratulieren. Mehr als 500 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben den Kurs mit Erfolg besucht. Das sind Erfolgszahlen! Ich war immer dankbar, dass dieses Hohe Haus, wenn es um die Finanzmittel für die Integrationskurse ging, die notwendigen Mittel bereitgestellt hat. Mein Vertrauen ist bei keiner Haushaltsberatung enttäuscht worden. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich dafür danken; denn dies waren gute Investitionen. Ich bin mir sicher, dass wir das auch in Zukunft gemeinsam so halten werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor ich dem Kollegen Frieser für die nächste Frage das Wort gebe, ein Hinweis sowohl an die Kolleginnen und Kollegen als auch an Frau Böhmer: Wir haben uns in den letzten Monaten neue Regeln für die Fragestunde und die Regierungsbefragung gegeben. Um die Fragen und Antworten auf jeweils eine Minute zu beschränken, haben wir ein technisches Hilfsmittel geschaffen. Wenn an den Anzeigetafeln die Farbe Rot aufleuchtet, dann ist die Minute abgelaufen. Ich bitte alle, diesen Hinweis zu beherzigen. Das gilt für die Fragenden, aber auch die Antwortenden haben die Möglichkeit, die Zeit einzuhalten. Kollege Frieser, Sie haben das Wort. Michael Frieser (CDU/CSU): Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank. – Ich hoffe, dass der Inhalt der Fragen und auch der Antworten immer so simplifizierbar ist, dass er in den Zeitrahmen von einer Minute passt. Frau Staatsministerin, herzlichen Dank für die Vorlage. – Dies ist ein wuchtig Ding, wie man in Deutschland sagt, mit sehr viel Inhalt. Ich danke Ihnen auch für den Hinweis, dass die Tendenzen, die der Integrationsindikatorenbericht angedeutet hat, bestätigt werden und wir uns auf allen messbaren Feldern in die richtige Richtung bewegen. Alle Zahlen deuten in die richtige Richtung, wobei man anmerken muss, dass nicht alles in der Integrationspolitik messbar ist. Es gibt natürlich noch viele Fragen, die uns alle miteinander besorgen. Wir sehen immer noch, dass die Politik Nachholbedarf hat, was die Ausbildungschancen von Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Land betrifft. Wir sollten in unseren Bemühungen nicht nachlassen. Meine Frage betrifft den Zugang zu den Ausbildungschancen. Inwieweit können wir in dieser Hinsicht noch eine Schippe drauflegen? Welche Erfahrungen gibt es in Bezug auf die Perspektive eines Berufsabschlusses und die notwendige Einbeziehung der Eltern? Es geht nämlich nicht nur um die Jugendlichen allein, sondern auch um die Eltern. Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege Frieser. – Ich glaube, dass die Frage, wie wir Eltern einbeziehen können, von entscheidender Bedeutung ist. Wir haben gemerkt, dass vielen Eltern, die nach Deutschland gekommen sind, das deutsche Schulsystem von seiner Struktur her fremd ist. Auch die Bedeutung der Schule und vor allen Dingen der beruflichen Qualifikation ist ihnen nicht vertraut. Deshalb ist es wichtig, dass die Eltern-arbeit in der Schule anders gestaltet wird. Ein Gedankenaustausch, den ich mit der Kultusministerkonferenz hatte, zeigte, dass diese Botschaft in den Schulen angekommen ist. Wir machen ein Zweites, um die Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen: Die Integrationskurse, von denen eben die Rede war, können jetzt verstärkt auch im schulischen Bereich stattfinden, sodass Eltern ihre Kenntnisse der deutschen Sprache verbessern, aber auch Informationen über unser Schulsystem erhalten können. Dieser Austausch ist für die Zukunft ganz entscheidend. Ich darf noch hinzufügen, dass jetzt im Rahmen des Nationalen Ausbildungspaktes Elternkonferenzen durchgeführt werden, die großen Zuspruch finden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Sascha Raabe. Dr. Sascha Raabe (SPD): Ich habe eine Frage an die Bundesregierung. – Minister Niebel war in Paraguay. – Wir sind jetzt bei „sonstigen Themen“, nicht? Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Nein. Dr. Sascha Raabe (SPD): Noch nicht? – Ich hatte mich für „sonstige Themen“ angemeldet. Dann ist das ein Missverständnis. (Serkan Tören [FDP]: Die Opposition schläft wieder mal! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Böhmer, was ist mit Paraguay? Raus damit! – Michael Frieser [CDU/CSU]: Migrationshintergrund in Paraguay! Das wäre was!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dann stellen wir das zurück. – Jetzt kommt die Kollegin Ewa Klamt von der CDU/CSU-Fraktion. Ewa Klamt (CDU/CSU): Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, Sie haben die positive Entwicklung geschildert, die wir – Gott sei Dank! – bei der frühkindlichen Bildung, aber auch bei Bildungsabschlüssen erleben. Sie haben aber auch gesagt, dass, wenn wir auf die Ausbildung schauen, doch noch eine Diskrepanz besteht. Gibt es, weil sich jetzt die Bildungsabschlüsse verbessert haben, da Hoffnung? Kann man das quantifizieren? Wir hatten ja bei den ausländischen Jugendlichen eine sehr hohe Zahl von Schulabbrechern. Können Sie sagen, um wie viel Prozent sich das verbessert hat? Denn das ließe die Hoffnung zu, dass immer mehr Jugendliche in Ausbildungsberufe kommen. Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Wir haben Daten vorlegen können, aus denen hervorgeht, dass der Anteil ausländischer Jugendlicher, die die Schule ohne Abschluss verlassen, deutlich zurückgegangen ist; und zwar um 39 Prozent. Bei den deutschen Jugendlichen sind es 38 Prozent. Es handelt sich also fast um einen Gleichklang. Es gibt aber immer noch einen Unterschied zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen. Ich fände es spannend, Zahlen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erhalten. Die können wir aber nur bedingt erlangen; denn die Schulstatistiken unterscheiden nur zwischen deutschen und ausländischen Schülerinnen und Schülern. Wenn wir erfassen könnten, wie es bei Jugendlichen bzw. Schülern mit Migrationshintergrund aussieht, wären diese Daten – das könnte ich mir vorstellen – wahrscheinlich noch wesentlich besser. Wir sehen nämlich, dass sich bei der zweiten Generation der Migranten die Bildungsergebnisse deutlich verbessern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage stellt der Kollege Mehmet Kilic von den Grünen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Vorsitzender, vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Staatsministerin, Bildung ist das Fundament aller gesellschaftlichen Entwicklungen. Deshalb legen wir gemeinsam – gerade auch im Hinblick auf Integration – großen Wert auf Bildung. Daher frage ich: Trifft es zu, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen durchgängig – wegen des Migra-tionshintergrunds oder auch wegen des sozialen Hintergrunds – beim Zugang zum jeweils nächsthöheren Bildungsabschnitt benachteiligt werden? Wenn ja, stellt dies aus Sicht der Bundesbeauftragten eine Form von Diskriminierung dar? Wie wird diese Form der Benachteiligung in Ihrem Lagebericht thematisiert? Was tut die Bundesregierung gegen diese Form der Diskriminierung? Auch zur Einbürgerung habe ich eine Frage. Dabei geht es um rechtliche und politische Integration, die eine Brücke baut. Ist es zutreffend, dass die Einbürgerungszahl seit Ihrem Amtsantritt um 20 Prozent gesunken ist? Wenn ja, was wollen Sie dagegen tun? Ich meine nicht nur Appelle. Möchten Sie auch strukturell – beispielsweise im Hinblick auf die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit oder die Erleichterung der Einbürgerung – etwas verbessern, damit sich mehr Migrantinnen und Migranten einbürgern lassen? Vielen Dank. Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident, das waren jetzt zwei Fragen. Soll ich sie zusammen beantworten oder in zwei Teilen? Ich frage das allein wegen des Zeitbudgets. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war immerhin eine Minute!) Ich gehe einmal davon aus, dass ich zur Beantwortung der beiden Fragen jeweils eine Minute Zeit habe. Benachteiligung von Kindern in der Schule: Ich kann das so nicht nachvollziehen. Es gibt sicherlich immer subjektive Eindrücke. Auch mir sind Einzelfälle bekannt, in denen Eltern zu mir kommen und sagen: Aber mein Junge, mein Mädchen ist benachteiligt worden. – Das wird dann auf die Zuwanderung der Eltern zurückgeführt. Wenn man nachfasst und mit der Schulleitung oder den Lehrkräften spricht, stellt sich meistens ein sehr differenziertes Bild heraus. Umso wichtiger ist es, unmittelbar mit den Eltern über die Elternarbeit Kontakt zu haben, sie mitzunehmen, wenn es um Schule geht, ihnen auch zu erklären, worauf es ankommt. Manches Mal haben wir den Eindruck, dass die Eltern, wenn keine schulischen Empfehlungen gegeben werden, sondern sie selbst entscheiden können, viel zögerlicher sind, ihr Kind auf eine weiterführende Schule zu schicken. Insofern stellt sich die Situation sogar umgekehrt dar. Aber ich finde, wenn es Einzelfälle gibt, dann muss man jedem von ihnen nachgehen. Das Zweite, was Sie angesprochen haben, ist die Einbürgerung. Lieber Herr Kilic, ich habe in diesem Lagebericht feststellen können, dass die Einbürgerungszahlen wieder nach oben gegangen sind. Wir verzeichnen weit über 100 000 Einbürgerungen. Dass die Zahlen schwanken, ist ganz normal. Wir hatten vor einiger Zeit einen großen Einbürgerungsschub. Jetzt sind wir wieder auf einem guten Niveau. Ich werbe immer auch für die Einbürgerung; denn ich meine: Wenn jemand einwandert, dann soll er bitte die vollen Rechte und Pflichten erwerben. Wir müssen auch deutlich machen, dass es bei der Einbürgerung, dem Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, mitnichten nur darum geht, dass man Visafreiheit hat und einfach in ein anderes Land reisen kann. Vielmehr ist der große Pluspunkt der deutschen Staatsbürgerschaft: Man kann wählen, und man kann gewählt werden. Ich möchte Ihnen hier eines sagen: Ich bin nicht für das kommunale Wahlrecht. Auch wenn Sie dieses Thema jetzt nicht angesprochen haben, will ich es von meiner Seite in dieser Deutlichkeit ansprechen, wie ich es heute auch der Presse gegenüber getan habe. Ich finde, man darf nicht auf halber Strecke stehen bleiben, sondern man muss den Einwanderern die vollen staatsbürgerlichen Rechte geben, und das heißt die deutsche Staatsbürgerschaft. Dafür werde ich mit großer Intensität weiterhin werben. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage hat jetzt der Kollege Rüdiger Veit. Rüdiger Veit (SPD): Verehrte Frau Staatsministerin, liebe Frau Kollegin Böhmer, zunächst einmal Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlichen Dank für dieses umfangreiche, immerhin 728 Seiten lange Werk, das in der Kürze der Zeit von mir nur punktuell hat zur Kenntnis genommen werden können. Ich möchte jetzt eigentlich gar nicht mit bohrenden Fragen in Sie dringen, sondern möchte Sie bitten, noch zu zwei Punkten ergänzend etwas zu sagen. Das eine sind die praktischen Probleme – vielleicht sind es auch keine Probleme – im Zusammenhang mit der Umsetzung der sogenannten Optionslösung bei den 18- bis 23-Jährigen. Vielleicht könnten Sie uns dazu noch ein wenig sagen, auch dazu, was Sie zu tun planen. Das Zweite ist die Frage der stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für Jugendliche, die überwiegend hier in Deutschland aufgewachsen sind. Da würde mich interessieren, welche Erfahrungen und Zahlen Sie uns hierzu liefern können und ob Sie mit mir der Auffassung sind, dass wir über diese gesetzliche Neuregelung hinaus weitere Maßnahmen brauchen, um zu einer stichtags-unabhängigen Altfallregelung zu kommen. Danke sehr. Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ganz herzlichen Dank. – Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: Ich glaube, es ist von allen hier als große Anerkennung von Integrationsleistungen empfunden und sehr unterstützt worden, dass wir im Hinblick auf Jugendliche, die sich gut integriert haben, die in Deutschland die Schule besucht haben und eine Ausbildung absolvieren, gesagt haben: Wir wollen ein von den Eltern unabhängiges, stichtagsunabhängiges Bleiberecht schaffen. Ich finde, das ist ein Signal gerade gegenüber diesen Jugendlichen, aber auch gegenüber den Mitschülerinnen und Mitschülern, den Freunden, die damit sehen: Integration und das Hier-Ankommen in Deutschland werden anerkannt. Ich wäre sehr erleichtert, wenn wir den nächsten Schritt vollziehen könnten. Ich sehe mich einig mit einem Beschluss der Integrationsministerkonferenz. Die Integrationsministerkonferenz hat sich für ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht ausgesprochen. Ich habe dies durchaus begrüßt. Zu dem, was Sie zu dem Optionsverfahren angesprochen haben: Ein Punkt ist höchst erfreulich: Bei der Evaluierung des Optionsverfahrens haben wir feststellen können, dass sich 98 Prozent derer, die optieren mussten, für die Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft entschieden haben. Ein besseres Ergebnis kann man sich kaum vorstellen: Nur noch 2 Prozentpunkte fehlen uns an 100 Prozent. Aber ich sehe, dass größere Zahlen auf uns zukommen und Informationsbedarf besteht. Sie sehen: Ich habe eine Informationsbroschüre in der Hand, die ich jetzt an die Jugendlichen, aber auch an die Eltern verteilen lasse, um über die Regelungen des Optionsrechts aufzuklären. An manchen Stellen können wir sicherlich etwas vereinfachen, damit es leichter gelingt, die Bürokratie gemindert wird, die Entscheidung aber für Deutschland ausfällt. (Rüdiger Veit [SPD]: Danke sehr!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Frau Staatsministerin, für diese ausführliche Antwort. – Das Fragerecht hat als Nächste die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Böhmer, ich möchte an die Frage zu den Integrationskursen anknüpfen, die ich vorhin gestellt habe. Sie haben mir hier Schwarzmalerei vorgeworfen. Was ich gesagt habe, wird aber beispielsweise von den Lehrkräften geteilt, die dort unterrichten. Soweit mir bekannt ist, haben Sie sich früher einmal dafür eingesetzt, dass die Lehrkräfte besser bezahlt werden. Ich frage: Was ist daraus geworden? Meinen Sie, dass es der Qualität von Integrationskursen dient, wenn Menschen unterrichten, die auf Hartz-IV-Niveau bezahlt werden? Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Frau Kollegin Jelpke, das ist völlig richtig: Wer gute Arbeit leisten soll, soll auch gut honoriert werden. Es geht uns um einen entsprechenden Qualitätsstandard bei den Kursen. Sie wissen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prüfen wird, ob Dumpinglöhne gezahlt werden, und dass man danach die Berechtigung für das Durchführen von Integrationskursen aussprechen wird oder eben nicht. Schwarze Schafe dürfen die Bildungsmaßnahme „Integrationskurse“ dann nicht durchführen. Das halte ich auch für richtig. Ich habe mit vielen Lehrkräften gesprochen. Es gibt Kursträger – jetzt nenne ich einmal die Volkshochschulen –, die ordentlich bezahlen und bei denen ich davon ausgehe, dass der Unterricht gut läuft. Das zeigen uns auch die Ergebnisse. Aber wenn der eine oder andere die Situation ausnutzt, muss man die Rote Karte zeigen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nächster Fragesteller ist der Kollege Josef Winkler. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Böhmer, eine Nachfrage zu der Antwort zum Optionsmodell, die Sie gerade gegeben haben. Sie haben gesagt, 98 Prozent derer, die sich zurückgemeldet hätten, hätten sich für die deutsche Staatsbürgerschaft ausgesprochen. Da würde mich noch interessieren, wie viele sich nicht zurückgemeldet haben, weil denen, die sich dauerhaft nicht zurückmelden, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden wird. – Das wäre der erste Teil. Der zweite Teil: In dem Zweiten Integrationsindikatorenbericht, den wir in der Sitzung des Innenausschusses am 13. Juni miteinander diskutiert haben, war an zwei Stellen die Rede davon, dass Forscher festgestellt haben: Es reicht erwiesenermaßen aus, einen ausländisch klingenden Namen zu haben, um beim Übergang von der Schule in die Ausbildung bei gleicher Qualifikation und gleich guter Benotung gegenüber denen benachteiligt zu werden, die einen deutsch klingenden Namen haben. Wie wird das in dem Lagebericht aufgegriffen? Welche Maßnahmen werden Sie dagegen ergreifen? Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ich beginne mit der Evaluierung des Optionsverfahrens. „Rückmeldung“ hieß in dem Fall: Es ist keine Gesamtschau, sondern es ist die Zahl der Rückmeldungen im Rahmen dieses Optionsverfahrens. Die Zahlen kann ich Ihnen aber gerne geben – ich habe sie jetzt nicht präsent –; das ist kein Problem. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ordnung!) Ich weiß sehr wohl, dass wir ab 2018 eine etwas andere Situation haben werden. Dann wird eine viel größere Zahl von Jugendlichen vor der Frage stehen, ob sie sich für die Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden. Ich hoffe, sie tun es. Aber das wird nicht ohne Information geschehen können. Es wird sich um weit über 40 000 Jugendliche im Jahr handeln. Jetzt sind es ungefähr 4 000 Jugendliche pro Jahr. Das macht schon einen Unterschied. Der Unterschied liegt auch darin begründet, dass jetzt Jugendliche und junge Menschen optieren, bei denen sich auch die Eltern dafür entschieden haben. Wir werden es zukünftig also mit einer etwas anders strukturierten Gruppe zu tun haben. Deshalb müssen wir uns jetzt überlegen: Wie erreichen wir diese Jugendlichen? Das zu beantworten, ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes, sondern selbstverständlich auch der Länder. Hier merke ich, dass die Länder bei der Information unterschiedlich vorgehen. Aber ich glaube, es ist wichtig, sehr frühzeitig zu informieren. Deshalb gibt es von unserer Seite eine Broschüre, in der wir die Regelungen in einfacher, klarer Sprache erläutern. Ich habe aber die Vorstellung, dass man die Beratung vor Ort verbessern und dort viel mehr anbieten muss. Zu Ihrer nächsten Frage: Benachteiligung von Jugendlichen bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle, vor -allen Dingen beim Erhalt eines Ausbildungsvertrags. Es stimmt leider, dass es an dieser Stelle immer noch Diskriminierungsfälle gibt, obwohl wir das Problem gemeinsam nach außen hin verdeutlicht haben. Wenn ich „gemeinsam“ sage, dann meine ich die Antidiskriminierungsstelle und viele andere, die in diesem Bereich engagiert sind. Hier muss man ganz klar sagen, dass eine solche Diskriminierung nicht sein darf. Wir haben die rechtliche Grundlage, um dagegen vorzugehen; aber Sie wissen genauso wie ich, dass manch einer zögert, seine Ansprüche rechtlich geltend zu machen. Deshalb halte ich einen anderen Ansatz für zielführend: über Diversitystrategien, über die Charta der Vielfalt, über den Nationalen Aktionsplan, bei dem wir die Unternehmen unmittelbar einbinden und sie dazu bewegen, diesen Jugendlichen eine Chance zu geben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Danke. – Jetzt haben wir wieder eine Frage des Kollegen Michael Frieser. Michael Frieser (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatsminister, der Diskurs zum Thema Integrationskurse – die Sprache ist eigentlich das wichtigste Element – gibt auch die Gelegenheit, nach den Erfahrungen mit vorintegrativen Maßnahmen zu fragen. Es geht um unseren Ansatz, der oftmals diskutiert und auch kritisiert wurde, zu fragen: An welcher Stelle können wir damit rechnen, Effekte damit zu erzielen, dass Menschen bereits in ihrem Heimatland an die deutsche Sprache herangeführt werden? – Gibt es Erkenntnisse, die auf einen Erfolg dieses Ansatzes hindeuten und zeigen, dass er in die richtige Richtung weist? Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ich habe eben gesagt: Um für die Zukunft gerüstet zu sein, brauchen wir einen Paradigmenwechsel, weg von der nachholenden, hin zur vorausschauenden Integrationspolitik. Hier ist das Element der vorbereitenden Integration von entscheidender Bedeutung. Die Erfahrungen, die wir mit dem Spracherwerb im Herkunftsland beim Ehegattennachzug sammeln konnten, sind sehr -positiv: Die Integration bei uns gelingt viel schneller und besser. Als ich bei meinem letzten Aufenthalt in der Türkei einen Vorintegrationskurs besucht habe, der über das Sprachangebot hinausging und auf freiwilliger Basis stattfand – mit Unterstützung von Organisationen für türkischstämmige Migranten hier in Deutschland –, habe ich an den Reaktionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aber auch an den Erfahrungen der Lehrkräfte gemerkt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind ganz anders darauf eingestellt, nach Deutschland zu kommen. Sie bereiten sich nicht nur sprachlich vor, sondern wissen dann auch etwas über unser Sozialsystem, unsere Demokratie und unsere politische Verfasstheit. Das ist eine ganz andere Ausgangssituation. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Frage der Kollegin Ulla Jelpke. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Böhmer, wir wissen seit zwei Jahren, seit dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig ist; die Bundesregierung hat es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage zugegeben. Ich würde gerne wissen, was Sie in diesen zwei Jahren getan haben, damit dieser Zustand aufgehoben wird. Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ich habe mich sehr intensiv mit dieser Frage befasst. Ich bin der Meinung, dass die Leistungen hier nicht auf dem Stand bleiben können, auf dem sie sind. Ich habe mich an die Bundesarbeitsministerin gewandt. Wir haben es zudem in der Integrationsministerkonferenz nicht nur einmal erörtert; auf Arbeitsebene geschieht das genauso. Ich bin der Meinung: Hier muss sich etwas ändern. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Und wann?) – Da müssen Sie die Bundesarbeitsministerin fragen. Wie Sie wissen, warten wir jetzt auf die Entscheidung des Gerichts. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. – Jetzt kommt die wohl letzte Frage, vom Kollegen Josef Winkler. – Herr Winkler, wollen Sie fragen? (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kilic hat sich noch gemeldet!) – Herr Kilic. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Vorsitzender. – Sehr geehrte Frau Staatsministerin, der diskriminierungsfreie Zugang zum Arbeitsmarkt gehört zum Schutzbereich des Art.  2 unseres Grundgesetzes, der lautet: Die Individuen sollen sich nach ihren Fähigkeiten entfalten können, und der Staat schützt dieses Recht der Individuen. – Deshalb die Frage: Ist es zutreffend, dass ausgerechnet höher qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt immer noch deutlich größere Probleme haben als vergleichbare Personen ohne Migrationshintergrund? Dies steht auf Seite 14 des Berichts. Wenn ja, stellt dies aus Sicht der Beauftragten eine Form der Diskriminierung dar? Wie wird diese Form der Benachteiligung in Ihrem Lagebericht thematisiert? Was tut die Bundes-regierung gegen diese Form der Diskriminierung? Dr. Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Wenn ich dieses Thema nicht für extrem wichtig gehalten hätte, dann hätten wir es nicht im Lagebericht aufgegriffen. Diskriminierung darf nicht sein. Darin sind wir uns absolut einig. Deshalb muss man es thematisieren, muss es in den Blick rücken, und nicht nur in Einzelfällen, sondern generell. In unserem Land haben wir dazu eine entsprechende Gesetzgebung. Wie ich bereits sagte: Das eine ist, gegen Diskriminierung vorzugehen. Dafür gibt es beim Bund eine Stelle. Frau Lüders und ich sowie meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten eng zusammen. Wir geben individuelle Unterstützung und Ratschläge. Dies gilt auch für die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Frau Lüders. Aber es ist auch wichtig, den Unternehmen deutlich zu machen: Jemanden als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter mit einem Zuwanderungshintergrund zu gewinnen, bedeutet für ein Unternehmen einen enormen Pluspunkt. Das muss sich in den Köpfen der Personalentscheider festsetzen. Sie müssen aber auch entsprechend handeln. Das bedeutet, dass wir Vorbilder brauchen. Die Mitglieder der Charta der Vielfalt und die vielen Menschen, die die Charta der Vielfalt unterschrieben haben, gehen in dieser Frage voran. Ich unterstütze das Projekt mit Preisen. Dies gilt auch für den Ausbildungsbereich. Ich habe mich bewusst dem öffentlichen Dienst zugewandt, weil wir natürlich auch dort die Chancen verbessern wollen. Ich sehe, dass wir mit Strategien der Werbung und Aufklärung vorankommen können. Sich gegen Diskriminierung zu wehren und Diversity voranzubringen – das sind die beiden Seiten einer Medaille, die an dieser Stelle meines Erachtens erfolgversprechend sind. Dies zeigt auch die Resonanz in der Öffentlichkeit. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt: Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? – Herr Raabe, haben Sie sich hierzu gemeldet? – Herr Raabe, bitte schön. Dr. Sascha Raabe (SPD): Danke, Herr Präsident, dass ich die Gelegenheit bekomme, nachdem unsere dringlichen Fragen zu dem Komplex Paraguay mit dem Argument abgelehnt wurden, es gebe nicht genug öffentliches Interesse bzw. Aufmerksamkeit der Medien. Das verwundert sehr, weil uns heute im Ausschuss die Kollegen der FDP gesagt haben, dass Minister Niebel sogar persönlich in den Fraktionen von CDU/CSU und FDP dazu Stellung genommen hat. Zumindest dort scheint es also Thema gewesen zu sein. Ich frage nach der Haltung der Bundesregierung in diesem Fall, weil es dazu Uneinigkeit gibt. Der Entwicklungsminister ist nach dem putschartigen Amtswechsel nach Paraguay gefahren und hat als erster Staatsgast die Hand des neuen Präsidenten geschüttelt und ihm finanzielle Unterstützung zugesichert und damit den Anschein einer Anerkennung des neuen Präsidenten durch Deutschland erweckt. Gleichzeitig haben alle anderen lateinamerikanischen Staaten ihre Botschafter abgezogen. Der neue Präsident wurde vom Mercosur-Treffen ausgeladen. In Lateinamerika herrscht Entsetzen über die Lage in Paraguay. Der Minister aber sagt, er glaubt und findet: Das ist alles rechtmäßig abgelaufen. – Einen Tag später hat sich das Auswärtige Amt von dieser Peinlichkeit des Ministers Niebel distanziert, aber auch nicht in eindeutigen Worten. Ich frage jetzt: Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu diesem Vorgang in Paraguay? Finden Sie nicht auch, wenn man gute Regierungsführung und Demokratie einfordert, dann sollte man einen solchen putschartigen Machtwechsel nicht vorschnell unterstützen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Staatsministerin Pieper wird antworten. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter, die Meinung der Bundesregierung zu den Vorgängen in Paraguay ist einheitlich; das will ich ausdrücklich betonen. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, dass die Bundesregierung in dieser Woche mit ihren Partnern in der Europäischen Union Informationen und Einschätzungen zur Situation in Paraguay austauschen wird. Diese ist für uns besorgniserregend. Wir werden in der Europäischen Union gemeinsam eine Bewertung der Ereignisse vornehmen und möglicherweise auch Konsequenzen zu ziehen haben. In der Tat ist es so, dass das Parlament in Paraguay Präsident Fernando Lugo mit großer Mehrheit seines Amtes enthoben hat. Dies lässt die Verfassung zu. An der Durchführung – das haben Sie bereits erwähnt – und dem eingeschlagenen Verfahren haben die Nachbarstaaten, insbesondere Paraguays Partner im Mercosur wie Argentinien, Brasilien und Uruguay, Kritik geübt. Dort wird von einer Verweigerung rechtlichen Gehörs und in diesem Zusammenhang von einem Bruch der demokratischen Ordnung gesprochen. Auch die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Lady Ashton hat die Entwicklung mit großer Sorge zur Kenntnis genommen und in dem Zusammenhang zu Respekt vor dem demokratischen Volkswillen aufgerufen. Wir sind angesichts dieser Ereignisse in der Tat besorgt. Ich will aber noch einmal darauf hinweisen, dass der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dirk Niebel den Besuch in Paraguay am 23. Juni seit langem geplant hatte. Er hat selbst zum Ausdruck gebracht, dass er aus Paraguay lediglich den ersten Eindruck mitgenommen hat, dass der Amtswechsel nach den Regeln der Verfassung abgelaufen sei. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir haben eine weitere Frage des Kollegen Niema Movassat von den Linken. Niema Movassat (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin Pieper hat gerade die Reaktion von Catherine Ashton sowie die der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten auf den Putsch in Paraguay dargestellt. Sie hat aber nicht gesagt, ob sie die Kritik, die seitens der lateinamerikanischen Staaten an diesem Putsch besteht, teilt. Wenn man diese Kritik teilt: Wäre es dann nicht vernünftig gewesen, wie die lateinamerikanischen Staaten zunächst die Botschafter zurückzubeordern und Konsultationen zu führen, bevor ein Minister der Bundesrepublik Deutschland nach Paraguay reist und die Hand des Putschisten schüttelt? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Danke schön, Herr Präsident. – Herr Movassat, wie die Kollegin Pieper gerade sagte: Minister Niebel hatte die Reise lange geplant; ebenso war der Gesprächstermin mit dem damaligen Vizepräsidenten Franco vereinbart. Der Minister sah es für wichtig an, diesen vorgesehenen Besuch durchzuführen, weil es darum ging, bereits begonnene Projekte der ländlichen Entwicklung, der Armutsbekämpfung und auch der Bildung mit neuen Zusagen in Höhe von etwa 8 Millionen Euro zu versehen. Dies ist für die Menschen vor Ort sehr wichtig. Der Minister hat in dem Gespräch mit Herrn Franco deutlich gemacht, dass er das Votum der jeweiligen Verfassungsorgane zur Kenntnis genommen hat. Es gab ja ein breites Votum für das Amtsenthebungsverfahren. In der Kritik stand wohl die Eile, mit der dieses Verfahren durchgezogen wurde. Das hat Herr Bundesminister Niebel in dem Gespräch mit Herrn Franco kritisiert. Er hat auch angemahnt, dass die jetzt im Amt befindliche Regierung alles tun müsse, um für Frieden und dafür zu sorgen, dass die Verhältnisse geklärt werden. Das geht aus seiner Pressemitteilung hervor. Es war also ein sehr konstruktives Gespräch. Es ging überhaupt nicht um die Anerkennung von Regierungen; denn eine solche Anerkennung erfolgt nur gegenüber Staaten. Wie gesagt: Es war ein sehr lange geplanter Besuch, der wichtig war gerade für die ärmsten Menschen vor Ort. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir haben noch eine Frage der Kollegin Heike Hänsel, ebenfalls von der Fraktion Die Linke. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön, Herr Präsident. – Meine Frage geht auch zum Thema Herr Niebel in Paraguay: Kann sich die Bundesregierung nicht vorstellen, dass das Ganze ein außenpolitischer Affront ist? Dieses Bild ging um die Welt: Herr Niebel schüttelt dem De-facto-Präsidenten kurz nach einem Staatsstreich als erster europäischer Staatsgast die Hand. Das war durchaus als Symbol zu verstehen. Wir wissen ganz genau, welches Signal man mit einem solchen Bild aussendet. Meine Frage: Gab es eine Rücksprache mit dem -Auswärtigen Amt, bevor Minister Niebel den De-facto-Präsidenten Franco getroffen hat, und was hat das Auswärtige Amt Herrn Niebel geraten, wie er sich verhalten soll? Hat Herr Niebel versucht, ein Treffen mit dem abgesetzten Präsidenten Lugo zu arrangieren, um sich ein Bild von der Lage machen zu können? Sie sagen, dass Sie Mittel für die ländliche Entwicklung zur Verfügung stellen wollen. Wie schätzen Sie die Situation ein, dass mit dem De-facto-Präsidenten Franco wieder jene Kräfte an die Macht kommen, nämlich die Großgrundbesitzer, die sich seit Jahren gegen Landreformen für die ländliche Entwicklung und gegen die Armut in Paraguay stemmen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Frau Staatssekretärin. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Kollegin, innerhalb der Bundesregierung gibt es hier keinerlei Dissens. Vielmehr gab es einen ständigen Austausch zwischen dem Außenministerium, dem BMZ und Minister Niebel, und zwar auch schon vor dem -Termin. Es ging nicht um Symbolpolitik. Es ging auch nicht darum, uns als Deutsche zu Richtern in diesem Verfahren aufzuschwingen. Ich betone noch einmal: Es gab einen Termin, den Minister Niebel seinerzeit mit dem Landwirtschaftsminister, der für wichtige laufende -Projekte zuständig war, vereinbart hatte. Er hat sich entschieden, diesen Besuch zu absolvieren, und hat intensive Gespräche geführt. Er hat keinesfalls irgendwelche Entscheidungen vorweggenommen. Wie gesagt: In der Pressemitteilung war von einem ersten Eindruck die Rede. Die Entscheidungen im Abgeordnetenhaus und auch im Senat – diese Entscheidungen sind mit großer Mehrheit zustande gekommen – hat Herr Niebel zur Kenntnis genommen. Das war der erste Eindruck. Alle weiteren Entwicklungen müssen wir beobachten; das hat Frau Staatsministerin Pieper eben ausgeführt. Wir werden uns als Bundesregierung auf EU-Ebene in Kürze im Detail abstimmen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es gibt noch eine Frage des Kollegen Josef Winkler. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Auch ich möchte noch einmal nachfragen: War der Bundesminister des Auswärtigen vor dem Termin des Bundesministers Niebel mit dem neu gewählten Staatspräsidenten in Paraguay über diesen Termin informiert? Ja oder Nein? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Staatsministerin Pieper, bitte. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Ich will klarstellen, dass dem Auswärtigen Amt die Termine auch der Auslandsreisen der einzelnen Bundesminister bekannt sind. Wir stellen unsere Kapazitäten für Auskünfte jederzeit zur Verfügung. Das gilt übrigens nicht nur für die Regierung, sondern selbstverständlich auch für den Deutschen Bundestag und seine Abgeordneten. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darf ich dazu eine Nachfrage stellen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Ich habe mir schon fast gedacht, dass die Terminplanung bekannt ist. Aber es hat sich doch eine Veränderung der dienstlichen Position von Herrn Franco ergeben. Der ursprünglich in der Terminliste vorgesehene Termin war, soweit ich weiß, mit Herrn Vizepräsidenten Franco vereinbart; der eigentliche Termin fand aber dann mit dem Präsidenten Franco statt. Ich frage noch einmal: War der Bundes--außenminister – und nicht das Amt – darüber informiert, dass der Termin stattfinden soll, obwohl eine Positionsveränderung von Vizepräsident zu Präsident stattgefunden hat? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Wir waren über die Reise von Bundesminister Niebel informiert. Sie können davon ausgehen, dass der Bundesregierung bewusst ist, dass in dieser Region, insbesondere in Paraguay, viel in Bewegung ist und wir das auch mit Sorge sehen. Dass wir – das hat Frau Kopp schon gesagt – nicht mit Präsidenten, sondern mit einzelnen Staaten Kontakt haben, dürfte Ihnen bekannt sein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir haben bereits das Doppelte der vorgesehenen Zeit in Anspruch genommen. Deswegen muss ich die Regierungsbefragung jetzt beenden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde – Drucksache 17/10051 – Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/10051, die mündlich beantwortet werden, in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser zur Verfügung. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Ute Vogt auf: Wie beurteilt die Bundesregierung das Vorkommen von Formationswasser und Lösungszutritten im Endlager Konrad im Hinblick auf mögliche Korrosionen der Atommüllfässer und die dadurch verursachte Freisetzung von Radionukliden in die Biosphäre, und wie soll ein weiterer Wasserzutritt, zum Beispiel über die darüber liegenden Tonschichten, langfristig verhindert werden? Bitte sehr, Frau Staatssekretärin. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin Ute Vogt, das Vorkommen von Formationswässern im Endlager Konrad wurde in Langzeitsicherheitsanalysen des Endlagers selbstverständlich berücksichtigt. Hierbei wurde angenommen, dass unmittelbar nach Verschluss des Endlagers Konrad Formationswässer an die endgelagerten radioaktiven Abfälle gelangen und Radionuklide aus den konditionierten Abfällen in die Formationswässer übertreten, sich zunächst im Bereich des Grubengebäudes ausbreiten und dann aus dem Bereich des Endlagers über die Geosphäre bis in die Biosphäre transportiert werden. Eine Zerstörung der Abfallgebinde wurde dabei unterstellt; von einer etwaigen Rückhaltewirkung der Abfallverpackungen bzw. Containerwandlungen für Radionuklide wurde kein Kredit genommen. Die Langzeitsicherheitsanalysen zeigen, dass Einträge in das oberflächennahe Grundwasser frühestens nach 300 000 Jahren auftreten können und dabei höchstens zu einer zusätzlichen Strahlenexposition führen können, die im Schwankungsbereich der natürlichen Strahlenexposition liegt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gibt es Nachfragen, Frau Vogt? Ute Vogt (SPD): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Ute Vogt (SPD): Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden, dass eine Korrosion dieser Behälter in Kauf genommen wird bzw. zwangsläufige Folge ist, und können Sie uns sagen, seit wann dieser Lösungsmittelzutritt und Wasserzutritt, über den jetzt auch öffentlich diskutiert worden ist, der Bundesregierung bekannt ist? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich sagen, dass wir bei der Langzeitsicherungsanalyse den Extremfall unterstellt haben. Das ist auch unsere Verpflichtung. Wir stellen Ihnen sehr gerne Informationen darüber zur Verfügung, wie das im Analyseverfahren ausgesehen hat. Auf die zweite Frage kann ich Ihnen jetzt keine Antwort geben. Die Information, seit wann uns das bekannt ist, reiche ich Ihnen nach. Ich kann Ihnen nur so viel sagen: Zurzeit werden etwa 16 Kubikmeter Wasser täglich aufgefangen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage, Frau Vogt? Ute Vogt (SPD): Ja. – Ich wüsste gerne, wo das Wasser entsorgt wird. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das Wasser wird kontinuierlich überwacht und in Wassertanks sowie in Pumpsümpfen unter Tage gesammelt. Einen Teil nutzen die Bergleute zur Staubbekämpfung und zur Fahrbahnpflege unter Tage. Der Rest wird über Tage abgeleitet. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Vogt auf: Hält die Bundesregierung weiterhin an der geplanten Inbetriebnahme des Endlagers Konrad ab 2019 fest, oder hält sie weitere Untersuchungen im Hinblick auf einen möglichen Wassereintritt und gegebenenfalls weitere Sicherungsmaßnahmen für erforderlich? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir halten weiter an der geplanten Inbetriebnahme des Endlagers Konrad fest. Zum zweiten Teil der Frage: Aufgrund der bereits als abdeckend betrachteten Berücksichtigung des Vorkommens von Formationswässern sind weitere Betrachtungen bzw. Sicherungsmaßnahmen nicht erforderlich. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Nachfrage, Frau Vogt? Ute Vogt (SPD): Ja. – Frau Staatssekretärin, gehen Sie nach wie vor davon aus, dass das Lager ab 2019 tatsächlich in Betrieb gehen kann, und sind Sie der Meinung, dass es ausreichend groß ist, um den vorhandenen schwach- und mittelradioaktiven Müll aufzunehmen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja und ja. Ute Vogt (SPD): Danke schön. Ich habe keine weiteren Fragen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Menzner. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Danke schön. – Ich habe an dieser Stelle noch eine Nachfrage. Wie wir alle wissen, Frau Staatssekretärin, befinden sich das Lager Asse und das geplante Lager Schacht Konrad in enger räumlicher Nähe zueinander. Die gleichen Bürgerinnen und Bürger, die von der Asse betroffen sind, werden auch von Konrad betroffen sein. Sie haben jetzt erfahren, dass es über Jahrzehnte mangelnde Transparenz bezüglich der Asse gegeben hat. Hat das Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung und die Handlungsoptionen der Bundesregierung? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das hat keine Auswirkungen. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es signifikante Unterschiede zwischen dem Endlager Konrad und der Asse gibt. Die beiden Standorte – das wissen Sie, Frau Menzner – weisen unterschiedliche Wirtsgesteine auf, die bergbauliche Ausgangssituation ist unterschiedlich, die geologischen und hydrogeologischen Gegebenheiten sind unterschiedlich. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden ist – ich habe dies im Zusammenhang mit der Frage bezüglich der Formationswässer eben ausgeführt –, dass für Konrad ein Langzeitsicherheitsnachweis vor Inbetriebnahme vorliegt, was bei der Asse definitiv nicht der Fall gewesen ist. Sie wissen, dass wir bei Konrad sehr lange Verfahren hinter uns haben, auch im Rahmen der Planfeststellung. Es gab gerichtliche Entscheidungen zu Konrad. Wir sind jetzt so weit, dass die Genehmigungen dafür vorliegen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. – Die Fragen 5 und 6 des Kollegen Marco Bülow sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen dann zur Frage 7 der Kollegin Cornelia Behm: Wird die Bundesregierung angesichts des enormen Handlungsbedarfs, den der Auenzustandsbericht des Bundesamtes für Naturschutz ausweist, ein Auenschutzprogramm auflegen, um die zu mehr als 80 Prozent zerstörten oder gefährdeten Auen zu schützen, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung an den Brandenburger Bundeswasserstraßen ergreifen, um die Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie voranzutreiben? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Kollegin Behm, mit dem Auenzustandsbericht hat die Bundesregierung die Datengrundlage für eine wirksame Auenentwicklung vorgelegt, für die alle Gebietskörperschaften, vor allem die Länder und -Gemeinden als Flächeneigentümer und Träger der Planungshoheit, verantwortlich sind. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist ein paralleles eigenständiges Auenschutzprogramm nicht vorgesehen. Die Bundesregierung fördert allerdings im Rahmen des Bundesprogramms „Biologische Vielfalt“ Modellprojekte, mit denen die Auenentwicklung in Deutschland vorangetrieben werden soll. Zur Umsetzung der -Europäischen Wasserrahmenrichtlinie haben die Bundesländer Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme erarbeitet, die sich in der Umsetzung befinden. Diese schließen – ich vermute, dies ist Ihr Hauptinte-resse – die Bundeswasserstraßen in Brandenburg mit ein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Frau Behm? Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Frage. – Ich muss sagen: Es war wirklich eine große Leistung, diesen Auenzustandsbericht zu erstellen. Man hat festgestellt, dass der Bund mit im Boot ist und gemeinsam mit den Ländern Maßnahmen zur Umsetzung formulieren muss. Bei diesem Thema kann man ja nicht an Landesgrenzen haltmachen. Da ein wesentliches Ziel im Zusammenhang mit dem Auenschutzprogramm die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015 ist, frage ich: Können Sie sagen, wann genau das Ziel, die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, erreicht wird? Welchen Stand der Umsetzung haben wir in Bezug auf die Auen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir haben Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Die Sachverständigen sollen sich den Zustand genau anschauen, und zwar auch im Hinblick auf die Wirksamkeit von Maßnahmen, die von den Bundesländern umgesetzt wurden. Wir erwarten die Ergebnisse Ende dieses Jahres. Wir haben sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht; aber wir werden Sie sehr zeitnah darüber unterrichten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage, Frau Behm? Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Im Fazit des Auenzustandsberichts wird darauf hingewiesen, dass Bund und Länder gemeinsam ein Planungs- und Finanzierungsinstrument erarbeiten sollen. Können Sie solch ein Instrument schon vorlegen? Gibt es schon etwas, mit dem man sich ein einheitliches Bild davon machen kann, wann die Defizite, die wir in Bezug auf den Zustand der Auen an deutschen Flüssen haben, aufgearbeitet sein werden? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir bereiten zurzeit die Fortschreibung des Auenzustandsberichtes vor. Wir hoffen, dass wir damit – zusammen mit dem Sachverständigengutachten – zum Jahresende fertig werden. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Kurth. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, meine Vorrednerin hat bereits gesagt, dass der Auenzustandsbericht eine große Leistung war, dass wichtige Daten darin enthalten sind. Im Ausblick wird klargemacht, dass dringender Handlungsbedarf besteht, und Sie haben eben gesagt, dass Sie an der Fertigstellung der Fortschreibung arbeiten. Meine Frage ist: Können wir von Ihnen mit dieser Fortschreibung eine Benennung der Schwerpunkträume erwarten, bzw. wann können wir sie erwarten? Wir wollen sie ja beispielhaft herausnehmen, um die notwendigen definierten Maßnahmen umzusetzen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zu den Beispielräumen kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen. Das werden wir zum Ende des Jahres, wenn die Fortschreibung und die Sachverständigengutachten vorliegen, besprechen. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Sie haben im Blick, dass die Schwerpunkträume benannt werden müssen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja. (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen jetzt zur Frage 8 des Kollegen Dr. Matthias Miersch: Wie beurteilt die Bundesregierung rechtlich und politisch den Vorstoß vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler, zur Beschleunigung des Stromleitungsbaus an die Flora-Fauna-Habitat- und die Vogelschutz-Richtlinie ranzugehen, sowie den Vorschlag, „beim Durchqueren von Schutzgebieten einen Teil der EU-Regeln auf Zeit außer Kraft setzen“ zu können, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni 2012? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Miersch, die Bundesregierung betont, dass die Energiewende und der Netzausbau in Deutschland mit dem Ziel und dem rechtlichen Rahmen, die Natur zu erhalten und zu schützen, vereinbar sind. Die Natura-2000-Richtlinie – das sind die von Ihnen erwähnte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union – sieht keine generellen Ausnahmemöglichkeiten für bestimmte Vorhabetypen wie zum Beispiel den Netzausbau vor. Auch für Vorhaben des Netzausbaus ist es obligatorisch, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, soweit europäische Schutzgebiete erheblich beeinträchtigt werden können. Ferner ist die Vereinbarkeit auch solcher Vorhaben mit den artenschutzrechtlichen Schutz- und Ausnahmeregelungen zu prüfen. Damit kommt allerdings dem Naturschutz kein absoluter Vorrang zu. Das europäische Naturschutzrecht sieht Instrumente vor, um Naturschutz und Infrastrukturplanung miteinander zu verbinden. Sind Vorhaben mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden, können diese bei vorliegenden zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ausnahmsweise zugelassen werden. Ausnahmegründe können die menschliche Gesundheit, die öffentliche Sicherheit und Gründe sozialer und wirtschaftlicher Art sein. Dementsprechend enthält das Netzausbaubeschleunigungsgesetz aus dem letzten Jahr in § 1 die ausdrückliche Regelung, dass die Realisierung der Stromleitungen, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallen, aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses erforderlich ist. Diese Ausnahmetatbestände lassen grundsätzlich einen Ausgleich der Belange der biologischen Vielfalt mit den Projektinteressen zu. Die praktische Anwendung der umweltrechtlichen Regelungen führte in der Vergangenheit jedoch mitunter zu Verzögerungen bei notwendigen Netzausbauvorhaben, insbesondere wenn naturschutzrechtliche Aspekte nicht rechtzeitig im Verfahren berücksichtigt wurden. Wir setzen uns dafür ein, dass in der praktischen Anwendung die Möglichkeiten der Natura-2000-Richtlinie zur Lösung von Interessenkonflikten zwischen Netzausbau und Naturschutz effektiv und pragmatisch genutzt und ausgebaut werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Kollege Miersch? Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die ausführliche Beantwortung meiner Frage. – Ich möchte noch eine, möglicherweise auch eine zweite Nachfrage stellen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass die Bundesregierung in Brüssel keine Bestrebungen unternimmt, an die Rechtsgrundlagen, die Herr Dr. Rösler in seinem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genannt hat, heranzugehen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe vorhin schon sehr ausführlich erläutert, dass wir der Auffassung sind, dass wir uns in dem geltenden Rechtsrahmen sehr gut bewegen können. Sie wissen, dass das Bundesamt für Naturschutz bereits bei der Erarbeitung der Bundesnetzplanung, die gerade vorgestellt wurde, mit im Boot gesessen hat und von Anfang an dabei gewesen ist, um auf Risiken im Bereich des Umwelt- und insbesondere des Naturschutzes hinzuweisen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Nachfrage, Kollege Miersch? Dr. Matthias Miersch (SPD): Eine letzte Nachfrage: Wäre es zu viel verlangt, wenn das Bundesumweltministerium dem Bundeswirtschaftsminister die Rechtslage erklärt, damit solche Interviews zukünftig möglicherweise in einem sachlichen Zusammenhang abgefasst werden? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium stehen, wie Sie wissen, in einem stetigen guten und konstruktiven Austausch über alle Fragen der Energiewende und des Netzausbaus. (Beifall der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU] – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das Ministerium oder der Minister? – Dr. Matthias Miersch [SPD]: Vielen Dank!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. Das musste ja noch einmal bestätigt werden. Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Dirk Becker und die Frage 11 des Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet. Nun rufe ich die Frage 12 der Kollegin Dr. Valerie Wilms auf: Wie bewertet die Bundesregierung den Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20, und welche Schlussfolgerungen leitet sie daraus für das eigene Handeln ab? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Dr. Wilms, ich werde mich bemühen, die Zeit einzuhalten. Ich sage das, weil Sie eine sehr umfassende Frage gestellt haben, die zu abendfüllenden Diskussionen führen könnte. Aus Sicht der Bundesregierung sind in Rio durchaus wichtige Weichenstellungen vorgenommen worden, auch wenn bei weitem nicht alle Zielsetzungen der EU durchgesetzt werden konnten. Wir begrüßen, dass die Staatengemeinschaft in Rio erstmals anerkannt hat, dass die Green Economy ein wichtiges Mittel zur Erreichung nachhaltiger Entwicklung ist, und beschlossen hat, universell gültige Nachhaltigkeitsziele ausarbeiten zu lassen. Bald 8 Milliarden Menschen werden nur dann ein menschenwürdiges Leben führen können, wenn der Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise weltweit vorangetrieben und mit den kostbaren und endlichen Ressourcen des Planeten wesentlich sorgsamer umgegangen wird als bisher. Auch die Vereinten Nationen müssen für diese Herausforderungen wesentlich besser aufgestellt werden. Die Bundesregierung begrüßt daher, dass in Rio beschlossen wurde, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen durch die Einführung der universellen Mitgliedschaft und eine Verbesserung der Finanzierung zu stärken und aufzuwerten und die seit einiger Zeit ineffizient arbeitende Nachhaltigkeitskommission der Vereinten Nationen durch ein höherrangiges UN-Nachhaltigkeitsforum zu ersetzen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat darüber hinaus, unseren Anregungen folgend, in Rio angekündigt, einen Special Representative for Future Generations einzusetzen. Damit wird diesem zentralen Politikfeld ein Gesicht gegeben. Es kommt jetzt darauf an, die Entscheidungen von Rio mit Leben zu füllen. Wir werden uns an der Konkretisierung der Beschlüsse der Rio-Konferenz maßgeblich beteiligen. Ein Kernbereich unserer nationalen Anstrengungen, was das Themenspektrum der Rio-Konferenz betrifft, ist im Übrigen die Umsetzung der Beschlüsse zur Energiewende. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Nachfrage, Frau Kollegin Wilms? Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja; herzlichen Dank. – Ich habe zwei Nachfragen, Frau Staatssekretärin. Sie haben eben sehr schön beschrieben, was auch Herr Altmaier in Rio betont hat. Er hat ja versucht, den deutschen Begriff „Energiewende“ in den englischen Sprachgebrauch einzuführen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja. Er sprach von der „Energy-Wende“. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben auch geschildert, wie die Situation global ist. Ich möchte ein bisschen präziser werden. Meine ganz harte Frage lautet: Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um nachhaltigkeitswidrige Subventionen in Deutschland abzubauen? Ich denke zum Beispiel an das Thema Dienstwagenbesteuerung. Wann ist hier mit Vorschlägen der Bundesregierung zu rechnen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das Thema Dienstwagenbesteuerung betrifft weniger mich als vielmehr den Kollegen, der zu meiner Linken sitzt (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja auch nur ein Beispiel!) und der gleich sicherlich noch das eine oder andere dazu sagen wird. Ich nenne Ihnen im Hinblick auf das Thema Dienstwagenbesteuerung einen kleinen Aspekt, der aus unserer Sicht wichtig ist: Wie Sie wissen, arbeiten wir gemeinsam mit dem Verkehrsministerium daran, bei der Dienstwagenbesteuerung eine Änderung vorzunehmen, die gewährleistet, dass Elektrofahrzeuge einen anderen Stellenwert bekommen bzw. in anderem Umfang berücksichtigt werden, als es bisher der Fall ist. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann?) Das ist vielleicht nicht das, was Sie sich heute wünschen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, Frau Dr. Wilms. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihre zweite Nachfrage. – Bitte schön. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Eben ging es mir um nachhaltigkeitswidrige Subventionen. Jetzt frage ich Sie nach dem Gegenteil: Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung im Hinblick auf nachhaltigkeitsfördernde Maßnahmen? Was haben Sie sich hier vorgenommen? Ich könnte mir da durchaus die eine oder andere Maßnahme vorstellen. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Dr. Wilms, entscheidend sind für uns alle Maßnahmen – sie stehen auch im Fokus unseres politischen Handelns –, die dazu beitragen, die Energiewende zu bewältigen, und uns helfen, unsere Ziele zügig zu erreichen. Wie Sie wissen, haben wir uns vorgenommen, den Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromversorgung bis 2050 auf 80 Prozent zu erhöhen. Das ist unser Ziel. Hierauf richten wir unser politisches Handeln aus. Wenn wir das schaffen, haben wir einen großen Schritt getan, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Eine andere Frage ist, wie wir es schaffen, strengere CO2-Minderungsziele auf europäischer Ebene zu erreichen. Darüber diskutieren wir im Umweltausschuss hinlänglich, und zwar zu Recht. Mit diesen zwei Punkten konnte ich vielleicht deutlich machen, woran wir in Deutschland ganz konkret arbeiten, um ein Stück weit mehr Nachhaltigkeit zu schaffen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Valerie Wilms auf: Was unternimmt die Bundesregierung, um weltweite, messbare Nachhaltigkeitsziele zu implementieren, und ab wann sollten diese Ziele ihrer Meinung nach gelten? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir haben uns verpflichtet und gesagt, dass wir den Prozess der Ausarbeitung der Nachhaltigkeitsziele aktiv mitgestalten wollen. Das hat Peter Altmaier schon mehrfach betont. Ziel ist, dass diese Nachhaltigkeitsziele ab dem Jahr 2015 gelten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihre Nachfrage, bitte schön. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich versuche, dazu etwas Präziseres bei Ihnen herauszulocken: Wie wird die Bundesregierung die kommende Generalversammlung der Vereinten Nationen im September nutzen, um da weiterzukommen und den Stein ins Rollen zu bringen? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wie Sie wissen, nutzen wir alle Formen von Veranstaltungen und Versammlungen – sei es auf europäischer Ebene, sei es auf globaler Ebene –, um die Nachhaltigkeitsthemen voranzubringen. Jetzt wird es in erster Linie darum gehen, bei dem, was in Rio in den Bereichen Energie, Wasser, Ressourceneffizienz, nachhaltige Landnutzung, Biodiversität und Meeresschutz vereinbart wurde, voranzukommen, wobei wir im Laufe des Jahres noch zwei weitere Konferenzen haben werden, nämlich speziell zur biologischen Vielfalt und zu weiteren CO2-Minderungen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage? Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Herzlichen Dank. – Ich habe noch eine Nachfrage. Schauen wir uns doch einmal die EU-Subventionspolitik an. Da gibt es so tolle Sachen wie künstliche Skipisten in Dänemark, auf Bornholm, und kaum befahrene Straßen in Portugal, die durch die EU-Subventionspolitik gefördert werden. Was unternimmt die Bundesregierung, um die EU-Subventionspolitik auf die Nachhaltigkeitsziele auszurichten? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Zurzeit wird der EU-Haushalt neu verhandelt, wie Sie wissen. Inwieweit das Teil der Diskussionen sein wird, wird man in den nächsten Wochen sehen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Waltraud Wolff auf: Wie steht die Bundesregierung zur stofflichen Verwertung von Klärschlamm angesichts der Tatsache, dass das Umweltbundesamt in seiner Broschüre „Klärschlammentsorgung in der Bundesrepublik Deutschland“ diese ablehnt, weil die Gefahr, dass Schadstoffe in den Nahrungskreislauf gelangen, nicht ausgeschlossen werden kann? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Liebe Kollegin Waltraud Wolff! Das Umweltbundesamt spricht sich in der Broschüre zur Klärschlammverwertung dafür aus, sukzessive auf die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung zu verzichten, Verfahren zur Rückgewinnung von Phosphaten aus Abwasser und Klärschlamm weiterzuentwickeln und diese Verfahren innerhalb von 20 Jahren flächendeckend einzuführen. Unbestritten ist derzeit, dass schadstoffarme kommunale Klärschlämme einen Beitrag zur Nährstoffversorgung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen leisten können. Die Bundesregierung hält die Verwertung von Klärschlämmen zu Düngezwecken daher für vertretbar, sofern diese nur gering mit Schadstoffen belastet sind. In diesem Sinne enthält das am 29. Februar 2012 durch das Bundeskabinett beschlossene Deutsche Ressourceneffizienzprogramm unter anderem den Prüfauftrag – ich darf zitieren –: Die landwirtschaftliche und landbauliche Verwertung unbedenklicher Klärschlämme sollte weiter genutzt und ausgebaut werden, da Phosphat so effektiv dem Kreislauf zugeführt werden kann. Voraussetzung für eine geringe Schadstoffbelastung kommunaler Klärschlämme ist die Einhaltung der qualitativen Anforderungen der Klärschlammverordnung. Im Zuge der in Vorbereitung befindlichen Novelle zur Klärschlammverordnung werden unter Vorsorgeaspekten die Anforderungen an die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung nochmals verschärft. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, bitte. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin, das Umweltbundesamt hat Bedenken geäußert, dass hier Schadstoffe in die Nahrungsmittel gelangen können. Sie und ich wissen, dass in der Landwirtschaft immer wieder darum gerungen wird, dass Klärschlämme zur Düngung auf die Felder ausgebracht werden. Deshalb meine Nachfrage: Wer kontrolliert die Klärschlämme? Und wie lautet die Definition von „unbedenklichen Klärschlämmen“? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, Sie haben völlig recht, wir diskutieren schon seit geraumer Zeit über dieses Thema. Unsere Definition der unbedenklichen Klärschlämme habe ich Ihnen gerade mitgeteilt. Derzeit bereiten wir eine Novelle der Klärschlammverordnung vor, die in Kürze in die Abstimmungsprozesse gehen soll. Da wird es eine Reihe weiterer Präzisierungen geben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Wenn wir davon ausgehen müssen, dass es zu möglichen Schadstoffen in Lebensmitteln kommt, dann stellt sich natürlich die Frage: Wie wollen Sie in der Zeit, bis Ihre Novelle greift – Sie haben vorhin von einem Zeitraum von 20 Jahren gesprochen, bis so etwas umgesetzt werden kann –, garantieren, dass keine solche Schadstoffe in Lebensmitteln sind? Denn die Bundesregierung hat sich ja Lebensmittelqualität in höchster Form auf die Fahnen geschrieben. Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich erwarte von denjenigen, die die Klärschlämme nutzen, auf die Felder bringen, eine Kontrolle der Klärschlämme, auch was den Schadstoffgehalt angeht. Die in der Klärschlammverordnung festgelegten Schadstoff- und Kontrollmechanismen verhindern, dass Klärschlämme mit hohen Belastungen auf die Felder ausgebracht werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dann kommen wir zur Frage 15 der Kollegin Waltraud Wolff, die sich mit der Rücknahme von Altarzneimitteln beschäftigt. Welche Maßnahmen zur Rücknahme von Altarzneimitteln wird die Bundesregierung ergreifen angesichts des vom Umweltbundesamt festgestellten Übergangs von Schadstoffen in den Nahrungskreislauf, besonders durch neue Abbauprodukte von Arzneimitteln? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit: Nach Auffassung der Bundesregierung sollten Altarzneimittel vorzugsweise über den Hausmüll und keinesfalls über die Toilette oder andere Abwasserpfade entsorgt werden. Bei der Entsorgung der Altarzneimittel ist, wie ohnehin bei der Aufbewahrung von Arznei, darauf zu achten, dass diese nicht in die Hände Unbefugter gelangen. Für die Umwelt bestehen aus Sicht der Bundesregierung hinsichtlich der Entsorgung mit den Restabfällen keine Bedenken, da Siedlungsabfälle seit dem 1. Juni 2005 nur noch nach thermischer oder mechanisch-biologischer Vorbehandlung abgelagert werden dürfen. Durch diese Vorbehandlung werden die gegebenenfalls in Rest-abfällen enthaltenen Reaktionspotenziale zerstört oder inaktiviert. Auch auf Deponien bestehen durch Ablagerung von Medikamentenresten im Blick auf das Grundwasser keine Gefahren. Aufwändige Deponieabdichtungssysteme und Sickerwassererfassung sorgen dafür, dass Schadstoffe aufgehalten werden, sollten sich diese trotz der Vorbehandlungsmaßnahmen noch in den abgelagerten Abfällen befinden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Nachfrage? Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ja, Herr Präsident, eine Nachfrage. – Frau Staats-sekretärin, wie kontrolliert die Bundesregierung an dieser Stelle Deponien? Wenn nicht über eine thermische Behandlung eine Vernichtung erfolgt, dann kann ja das Grundwasser betroffen sein. Bezüglich der Abdichtung von Deponien gibt es ja immer wieder Skandale. Wie können Sie die Kontrollen gewährleisten? Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe ja vorhin gesagt, dass die Schritte, wie verfahren werden soll, verpflichtend sind. Wenn böser Wille oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt, dann muss dies natürlich durch spezielle Kontrollen herausgefunden werden. Das erfolgt dann auch entsprechend. Aber es besteht natürlich die Verpflichtung, so zu verfahren, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Vielen Dank. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Frage 16 steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung. Ich rufe Frage 16 der Kollegin Marianne Schieder auf: Welches sind die nächsten Themen, die im Rahmen des Bürgerdialogs Zukunftstechnologien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, bearbeitet werden sollen, und aus welchen Gründen findet nach Ende der Dialoge zur Hightechmedizin und zu Energietechnologien aktuell kein Dialog statt? Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Frau Kollegin Schieder, ab Sommer 2011 wurden mit Bezug auf aktuelle Themen zwei Bürgerdialoge, dieses Mal sogar parallel, durchgeführt. Der nächste Bürgerdialog wird im Themenfeld des kommenden Wissenschaftsjahres beim Thema demografischer Wandel angesiedelt sein und im Herbst 2012 beginnen. Im Übrigen hat das BMBF im Februar 2012 mit der Initiative „ZukunftsWerkStadt“ eine weitere, auf den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zielende Maßnahme gestartet. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Nachfrage, Frau Schieder? – Nein. Gut, dann kommen wir zu weiteren Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Hier steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Helge Braun zur Beantwortung zur Verfügung. Weil Herr Brase nicht anwesend ist, werden die Fragen 17 und 18 gemäß unserer Geschäftsordnung behandelt. Wir kommen zur Frage 19 des Kollegen Michael Gerdes: Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung in der Ausgestaltung der gemeinsamen Förderinitiative von Bund und Ländern zur Förderung der Lehrerausbildung sicherstellen, dass eine möglichst allen Lehramtstudierenden zugutekommende flächendeckende Verbesserung der Ausbildung erreicht wird? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Gerdes, zu Ihrer Frage ist zu sagen, dass die Bundesministerin einen hohen Wert auf die hervorragende Ausbildung von Lehrern legt und deshalb in der Kultusministerkonferenz – die wesentliche Verantwortung für die Ausbildung von Lehrern und für die Schulbildung liegt bei den Ländern – eine solche Initiative vorgeschlagen hat. Die Länder waren von dieser Initiative begeistert. Wir haben jetzt einen Prozess organisiert, in dessen Rahmen die Kultusministerkonferenz am 8. März ein Eckpunktepapier beschlossen hat, wie eine solche Initiative grob aussehen könnte. Auf der Grundlage dieses Eckpunktepapiers ist jetzt eine Staatssekretärsarbeitsgruppe eingerichtet worden, die der GWK bis zum November 2012 den Entwurf einer Bund-Länder-Vereinbarung nach Art. 91 b Grundgesetz vorlegen soll. Da diese Staatssekretärsarbeitsgruppe noch kein Ergebnis vorgelegt hat, kann man über die Details, die alle noch in der Verhandlung sind, momentan wenig sagen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Nachfrage, bitte. Michael Gerdes (SPD): Ich gehe also recht in der Annahme: Die Verantwortung ist jetzt auf die Länder übertragen worden. Meine Frage ist jetzt: Welche Rolle spielt der Bund noch? Sie haben gerade gesagt, dass noch keine konkreten Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorliegen. Werden Sie uns darüber zeitnah unterrichten? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Immer wenn wir neue Erkenntnisse haben, werde ich Sie gerne darüber unterrichten, weil uns am Herzen liegt, dass diese Initiative breit getragen wird. Sie haben die Anhörung im Deutschen Bundestag zu diesem Thema gehört und dabei gemerkt, dass alle, die in Deutschland mit der Lehrerausbildung zu tun haben, diese von uns gestartete Qualitätsoffensive befürworten und sagen: Das darf jetzt nicht scheitern. – Der Bund arbeitet in dieser Staatssekretärsarbeitsgruppe mit den Ländern gemeinsam. Im Hinblick auf Ihre Frage, wie wir für eine flächendeckende Verteilung sorgen wollen, haben in der Anhörung alle sehr deutlich gesagt: Hier muss ein wettbewerbliches Verfahren zum Tragen kommen. Das heißt, es wird am Ende nichts nützen, wenn wir flächendeckend wie mit einer Gießkanne alle 120 Standorte bedienen, ohne dass profilierte Konzepte vorliegen. Das Gleiche gilt, wenn wir nicht alle fördern, sondern nur einen kleinen Teil. Ich glaube, es sind sich alle einig, dass wir einen erheblichen Anteil der Fachbereiche an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten fördern wollen. Es wird eine Ausstrahlungswirkung dahin gehend geben, dass wir mit diesen Best-Practice-Beispielen in der Lage sind, die Qualität der Lehrerbildung in Deutschland insgesamt zu verbessern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage? – Nein. Dann kommen wir zur nächsten Frage des Kollegen Gerdes. Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Brase, der zwischenzeitlich in den Saal gekommen ist, rufe ich anschließend auf. Ich rufe Frage 20 des Kollegen Michael Gerdes auf: An welcher Stelle hat die Bundesregierung in welcher Höhe im Bundeshaushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung bisher Vorsorge getroffen, um die geplante gemeinsame Förderinitiative von Bund und Ländern zur Förderung der Lehrerausbildung auszufinanzieren? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege, wir haben darüber gesprochen, welche Größenordnung für eine solche Initiative ungefähr sinnvoll sein könnte. Wir haben aber hinsichtlich der Finanzierung weder über die Bund-Länder-Verteilung noch abschließend über die Anzahl der beteiligten Hochschulen und die damit zusammenhängenden Summen gesprochen, sodass dieses Thema derzeit nicht etatreif ist. Sobald über die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern ein Einvernehmen gefunden worden ist, werden wir die Finanzierung für den Bundeshaushalt anmelden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? – Nein, keine. Herr Staatssekretär, wenn Sie nichts dagegen haben, rufe ich jetzt die Fragen des Kollegen Brase auf. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen jetzt zunächst zur Frage 17 des Kollegen Willi Brase: Welche konzeptionellen Ziele verfolgt die Bundesregierung in den Gesprächen mit den Ländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz über eine gemeinsame Förderinitiative zur Förderung der Lehrerausbildung auch im Hinblick auf die Verstärkung der Praxisorientierung, der Eignung der Studienbewerberinnen und -bewerber, der Berücksichtigung der Anforderungen einer inklusiven Bildung sowie der entsprechenden Beschlüsse der Kultusministerkonferenz vom 8. März 2012? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich verweise an dieser Stelle auch auf das, was ich eben gesagt habe, nämlich dass eine Staatssekretärsarbeitsgruppe im Einvernehmen mit den Ländern jetzt das Thema erarbeiten soll. Insofern stehen alle Überlegungen unter Vorbehalt. Aber schon der Eckwertebeschluss der KMK sieht vor, dass wir zum einen eine stärkere Einbindung der Lehrerbildung in die Universitäten erreichen wollen. Wir sind uns darüber einig, dass nicht nur gezielt entsprechende Fachbereiche, sondern Universitäten mit einem Gesamtkonzept gefördert werden sollen, wodurch wir eine verbesserte Verzahnung mit den Fachdidaktiken erreichen wollen. Ziel der Initiative soll zum anderen sein, dass wir Probleme lösen, die im länderübergreifenden Bereich liegen, und zwar durch die verbesserte wechselseitige -Anerkennung der Lehrerausbildung und die Vereinheitlichung von Prinzipien und Curricula. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Kollege Brase. Willi Brase (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich bin leider etwas zu spät gekommen. – Herr Staatssekretär, ist mit diesem Vorhaben auch ein flächendeckender Ansatz verbunden, sodass es nicht nur in Form von Einzelprojekten für einzelne Bundesländer erfolgt, sondern dass letztlich alle 16 Bundesländer etwas von der notwendigen Verbesserung der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer haben? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Lieber Herr Kollege Brase, am Ende wird das Konzept von der Arbeitsgruppe erarbeitet. Dem will ich nicht vorgreifen, aber Ihre Sorge vielleicht schon dahin gehend zerstreuen, dass wir uns heute schon relativ einig darüber sind, dass dies eine große Initiative werden soll, die in der Breite wirkt. Es geht also nicht nur darum, drei, vier oder acht Standorte zu fördern. Dabei war vielleicht die anfängliche Bezeichnung Exzellenzinitiative, die den Gedanken nahelegt, dass es sich vielleicht um wenige Leuchttürme handelt, etwas irreführend. Der Ansatz verfolgt vielmehr das Ziel, in der Breite etwas für die Lehrerbildung in Deutschland zu erreichen. Deshalb gehe ich davon aus, dass am Ende ein Drittel der Hochschulen oder mehr – wir haben insgesamt 120 pädagogische Hochschulen oder Fachbereiche in Deutschland – von einem solchen Programm profitiert und dass wir damit auch eine gute Flächendeckung in Deutschland erreichen können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage, Herr Brase? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zu Frage 18: Durch welches Auswahlverfahren sollen nach der Vorstellung der Bundesregierung die Projekte bestimmt werden, die durch die geplante gemeinsame Förderinitiative von Bund und Ländern zur Förderung der Lehrerausbildung gefördert werden sollen? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Auch darüber ist noch nicht befunden. Aber die Bundesregierung hat große Sympathie für das, was auch in der Anhörung gefordert worden ist, nämlich dass eine Expertenjury sich mit den Anträgen befasst, die von den einzelnen Hochschulen erarbeitet werden, sodass wir den Bottom-up-Ansatz haben, dass Hochschulen mit konkreten Plänen und Initiativen für sich die Exzellenz in der Lehrerbildung definieren und dann durch eine fachliche Bewertung daraus die entsprechende Anzahl erarbeitet wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Herr Brase? – Nein. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Swen Schulz, die Frage 23 des Kollegen Oliver Kaczmarek, die Frage 24 des Kollegen Kai Gehring, die Fragen 25 und 26 des Kollegen René Röspel und die Frage 27 des Kollegen Klaus Hagemann sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hier steht uns wiederum die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Dr. Sascha Raabe auf, die sich wiederum mit dem schon viel zitierten Teppich befasst: Wie ist der Name des Teppichherstellers und wie der des Händlers, bei dem Bundesminister Dirk Niebel den Teppich in der deutschen Botschaft in Kabul erworben hat, und kann er auch ohne offensichtlich nicht vorhandene Zertifikate und Siegel definitiv ausschließen, dass der Teppich mit Kinder-arbeit oder unter Verletzung internationaler Standards wie den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, hergestellt wurde? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident, herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Kollege Raabe, Sie sind im letzten Moment hereingehuscht und nicht auf dem Teppich angeflogen gekommen. Ich antworte Ihnen auf Ihre Frage, dass es sich bei diesem Kaufvorgang um einen ausschließlich privaten Kauf des Bundesministers Dirk Niebel handelt. Die Bundesregierung kann – das werden Sie sicherlich verstehen – keinen zwingenden parlamentarischen Auskunftsanspruch im Zusammenhang mit Ihrer Frage nach den beiden Namen erkennen. Im Übrigen verweise ich darauf, dass es hier um den Schutz der Persönlichkeit und möglicherweise auch um Sicherheitsaspekte geht. Auf den zweiten Teil Ihrer Frage antworte ich, dass sich Bundesminister Dirk Niebel von der deutschen Botschaft in Kabul einen als vertrauenswürdig und zuverlässig bekannten Händler hat empfehlen lassen. Bundesminister Niebel und der Bundesregierung insgesamt liegen keine Hinweise auf eine Verletzung von Sozial- und Umweltstandards oder von ILO-Arbeitsnormen vor. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihre erste Nachfrage, Kollege Raabe. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Staatssekretärin, Ihre Eingangsbemerkung haben Sie schon fast dadurch widerlegt, dass Sie in Ihrer Antwort auf den zweiten Teil meiner Frage gesagt haben, dass der Teppich in der Botschaft ausgewählt wurde. Sie sagten zuerst, es habe sich um einen privaten Kauf gehandelt. Wenn ich im Ausland einkaufe, dann gehe ich normalerweise nicht zur deutschen Botschaft, lasse mir dorthin 38 oder 40 Teppiche – ich glaube, um so viele hat es sich gehandelt – bringen und auslegen und dann den gekauften Teppich mit dem Bundesnachsendedienst auf Staatskosten und mit einem Staatsflugzeug bringen. Ich glaube, dass es sich um einen halboffiziellen Vorgang handelt hat, wenn ein Entwicklungsminister in einer deutschen Botschaft einen Teppich erwirbt und ihn dann auf Staatskosten transportieren lässt. Ich komme nun zu einer Nachfrage betreffend die Kinderarbeit, die Sie bereits versucht haben zu beantworten. Es ist schon etwas anderes, ob eine Privatperson oder der Entwicklungsminister, der auch für Entwicklungsprojekte zuständig ist, zum Beispiel für die Zertifizierung von Teppichen, dort einen Teppich kauft. Es gibt das GoodWeave-Siegel – als Nachfolgesiegel des Rugmark-Siegels –, das mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert wird. Es gibt in Afghanistan einen großen Händler, der zertifiziert arbeitet. Ich glaube, es wäre angebracht gewesen, wenn der Entwicklungsminister einen fair gehandelten und anständig hergestellten Teppich bei einem entsprechenden Händler oder Hersteller gekauft hätte. Ich hätte mir gewünscht, dass sich der Minister nicht auf die Worte irgendeines Botschaftsmitarbeiters verlassen hätte, sondern auf ein Zertifikat. Vor dem Hintergrund, dass wir solche Zertifikate fördern wollen, gibt der Minister den Bürgerinnen und Bürgern ein schlechtes Vorbild, wenn er einkauft, wie er gerade lustig ist, ohne daran zu denken, dass der Teppich vielleicht unter ganz brutalen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde. Kinderarbeit ist leider sehr oft untrennbar mit der Herstellung von Teppichen verbunden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zu Ihrer Frage. Dr. Sascha Raabe (SPD): Denn je kleiner die Knoten sind, desto besser können es Kinder machen. Deswegen frage ich Sie noch einmal, warum der Minister nicht bei dem besagten zertifizierten Händler in Afghanistan eingekauft hat. Er müsste als Entwicklungsminister doch wissen, dass es dort jemanden gibt, den wir unterstützen. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, es ist so, dass der Minister, wenn er unterwegs ist, auch einmal eine Besorgung machen können muss. Den privaten Kauf eines Teppichs würde man keinem Minister nach Abschluss seiner offiziellen Reise verwehren wollen. Aber es ist einem Minister nicht ohne Weiteres möglich, erst recht nicht in Afghanistan – wer vor Ort gewesen ist, weiß das –, einfach irgendwo einzukaufen. Das verbietet die Sicherheitslage. Deshalb ist der Minister diesen ungewöhnlichen Weg gegangen. Darüber haben wir, glaube ich, schon hinreichend diskutiert. Die Bundesregierung weiß gar nicht, ob der Teppich ein Siegel trägt oder nicht. Insofern führen wir hier eine hypothetische Debatte. Es ist aber davon auszugehen, dass sowohl beim Minister als auch in der deutschen Botschaft ausreichend Sensibilität vorhanden ist, wenn es um die Frage geht, was oder wen man empfehlen kann. Gehen Sie bitte davon aus, dass der Minister alles versucht hat, die erwähnten Standards anzulegen und nach diesen Kriterien einzukaufen. Ich finde, aus Sicht der Bundesregierung sollte es damit gut sein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Nachfrage. Aber bitte keinen Kommentar, sondern eine Frage. Dr. Sascha Raabe (SPD): Kein Kommentar. – Ich habe nur die Bitte, dass Sie den Minister fragen und mir die Antwort schriftlich geben; denn Sie sagten, die Bundesregierung wisse nicht, ob der Teppich ein Siegel getragen habe. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Raabe: Kann Bundesminister Dirk Niebel definitiv ausschließen, dass es sich bei dem von ihm in Kabul gekauften Teppich um afghanisches Kulturgut handelte, das nicht oder nur mit gesonderter Genehmigung hätte ausgeführt werden dürfen, und bleibt er angesichts der gegenteiligen Darstellungen des Bundesnachrichtendienstes, BND, bei seiner Aussage, es habe vor dem Transport keine Festlegungen zwischen dem BND und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, dahin gehend gegeben, dass alle Formalitäten der Einfuhr des Teppichs unmittelbar durch das BMZ zu regeln seien? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich antworte Ihnen auf Teil eins Ihrer Frage, dass nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei dem Teppich um afghanisches Kulturgut handelte. Deshalb musste dieser auch nicht mit einer gesonderten Genehmigung ausgeführt werden. Was Teil zwei Ihrer Frage betrifft: Der Bundesregierung liegen keine neuen Aussagen des Bundesministers vor. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? Dr. Sascha Raabe (SPD): Der zweite Teil meiner Frage bezieht sich sehr stark darauf, wer für die Formalitäten bei der Einfuhr zuständig war. Das hat vor dem Hintergrund Bedeutung, dass wir heute lesen konnten, dass die Staatsanwaltschaft kein Strafverfahren einleiten möchte. Der Kollege Döring hat neulich in der Aktuellen Stunde hier gesagt, dass sich streng genommen nicht Minister Niebel der Steuerhinterziehung strafbar gemacht habe, sondern der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, weil er den Teppich transportiert habe. Ich fand es sehr dreist, dass man das ausgerechnet dem armen Herr Schindler in die Schuhe schieben möchte. Deshalb ist die Frage zu den Absprachen schon wichtig. Sie sagten, es gebe keine neuen Erkenntnisse. Wir hatten letzten Freitag eine Gremiensitzung, in der Herr Schindler anwesend war, Herr Minister Niebel aber nicht. Jetzt ist er aus Brasilien zurück. Vielleicht hatten Sie Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Wer war denn nach Ansicht des Ministers für die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer zuständig, Herr Schindler oder er? Wer war für die Zollformalitäten zuständig? Welche Absprachen gab es? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege Raabe, ich bin ständig in sehr intensivem Austausch mit dem Minister. Bei der Frage, die Sie eben angesprochen haben, muss man zwischen der juristischen und der alltäglichen Auslegung unterscheiden. Was die alltägliche Auslegung betrifft, also wer die Einfuhrumsatzsteuer bezahlen muss und wie es mit der Verzollung aussieht, hat der Minister ganz klar gesagt, dass er es versäumt habe, diese Dinge in die Wege zu leiten. Dafür hat er sich während der Aktuellen Stunde hier im Deutschen Bundestag in aller Form entschuldigt. Ich glaube, dass an der Stelle Klarheit geschaffen worden ist. Noch einmal: Dazu, dass es Absprachen über den Transport zwischen Herrn Schindler und dem Minister Niebel gegeben haben soll, sagt der Minister nach wie vor, es habe keinerlei Kontaktaufnahme mit ihm im Vorfeld gegeben. Sie wissen, dass das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium am vergangenen Freitag diese Fragen mit Herrn Schindler erörtert hat. Ich nehme an, dass dies zur Zufriedenheit erörtert werden konnte und alle Fragen beantwortet wurden. Mir jedenfalls ist nichts anderes bekannt. Das zeigen auch die Presseverlautbarungen, die danach erfolgt sind. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat in der Tat heute mitgeteilt, dass sie nach einer einwöchigen Prüfung von Ermittlungen absieht. Sie hat mitgeteilt – ich zitiere das ausdrücklich, um nicht neue Verwirrungen zu stiften –: Die Vorprüfungen haben keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat ergeben. § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung. – Ich finde, das ist auch eine wichtige Klarstellung. Im Übrigen hat der Minister ganz klar gesagt, dass er niemandem irgendeine Schuld zuschiebt. Er hat gesagt, wie er die Dinge sieht, und dem ist nichts hinzuzufügen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gibt es eine weitere Nachfrage? Dr. Sascha Raabe (SPD): Ja, es stimmt. Das war Herr Döring, der das getan hat, und nicht der Minister. – Meine Nachfrage bezieht sich auf den zitierten Einstellungsbescheid. Der Minister hatte hier damals im Parlament gesagt, dass er die Steuer nachträglich entrichten möchte. Es hört sich jetzt in dem Zitat der Staatsanwaltschaft so ein bisschen an, als hätte er das nicht nachträglich zu machen. Ich gehe aber davon aus, Frau Staatssekretärin, dass er das noch nachträglich versteuern muss. Die Staatsanwaltschaft sagt, das sei kein Straftatbestand. Gedenkt die Bundesregierung für den Fall, dass Normalbürger, die bis zu einer gewissen Bagatellgrenze – das könnten ungefähr 1 000 Euro sein – Steuern hinterziehen, ein Gesetz zu erlassen, nach dem das kein Straftatbestand ist? Werden aus dem, was die Staatsanwaltschaft sagt, Konsequenzen gezogen? Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Sie sprechen von einer Straftat, die ich nicht erkennen kann, Herr Kollege Raabe. Wir befinden uns jetzt, finde ich, juristisch auf einem Feld, auf dem ich Sie bitte, in aller Vorsicht zu sprechen. Ich will noch einmal ausdrücklich betonen, dass der Minister erklärt hat, dass er allem nachkommt, was nötig ist. Meines Wissens hat er alle notwendigen Formalitäten eingeleitet bzw. erledigt, soweit es schon erledigt sein kann. Ich glaube, wir müssen uns da keine Sorgen machen. Die Bundesregierung hat meines Wissens keinerlei Gesetz in Vorbereitung, um irgendwelche Fälle abzuwenden. Ich glaube, dazu besteht kein Anlass. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Ich rufe die Fragen 30 bis 32 – dabei handelt es sich um zwei Fragen der Kollegin Karin Roth (Esslingen) von der SPD sowie um eine Frage der Kollegin Dr. Bärbel Kofler von der SPD – auf. Sie sollen schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 33 und 34 des Kollegen Bollmann, die aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie kommen, werden gemäß der Geschäftsordnung behandelt, da der Kollege nicht anwesend ist. Die Fragen 35 und 36 des Kollegen Frank Schwabe sollen wiederum schriftlich beantwortet werden. Wir kommen dann zur Frage 37 des Abgeordneten Dr. Matthias Miersch, der anwesend ist: Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler, den Rechtsweg beim Leitungsausbau auf eine Instanz (Bundesverwaltungsgericht) zu verkürzen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni 2012)? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung. Es geht um die Verkürzung des Rechtsweges zur Beschleunigung beim Stromleitungsbau. – Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrter Herr Kollege Dr. Miersch, die Bundesregierung hat bereits in dem Regierungsentwurf zum Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011 im Zusammenhang mit der Einführung des Verfahrens zur Annahme des Bundesbedarfsplans gemäß § 12 e Energiewirtschaftsgesetz in der diesbezüglichen Begründung auf die Möglichkeit einer erst- und letztinstanz-lichen Rechtswegzuweisung für konkrete Höchstspannungsleitungen an das Bundesverwaltungsgericht hingewiesen. Die Rechtswegverkürzung ist eine wesentliche Möglichkeit, die Genehmigungsverfahren für Netzausbauprojekte zu beschleunigen. Eine vergleichbare Regelung besteht bereits gemäß § 1 Abs. 3 des Gesetzes zum Ausbau von Energieleitungen, dem EnLAG, für die dort geregelten Prioritätenvorhaben. Das ist insofern nichts Neues, sondern die konsequente Fortsetzung des bisherigen Verfahrens. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Nachfrage, Herr Miersch? Dr. Matthias Miersch (SPD): Vielen Dank. – Plant die Bundesregierung, dann auch in dieser Form entsprechende Kapazitäten beim Bundesverwaltungsgericht vorzusehen? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Kollege Miersch, dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte. Wir befinden uns – das wissen Sie – in einem schwierigen Prozess, was den Netzausbau betrifft. Wir müssen jetzt jegliche Vorsorge treffen, und wir wollen das, von dem ich gerade sprach, jetzt umsetzen. Wir gehen nicht davon aus, dass da größere Kapazitäten notwendig sind. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Nachfrage? – Bitte. Dr. Matthias Miersch (SPD): Sie wissen, wie teilweise vor Ort debattiert wird und dass die Fragen der Transparenz, aber auch der möglichen Überprüfbarkeit für viele Bürgerinnen und Bürger sicherlich ein ganz wichtiges Signal des Vertrauens sein können. Können Sie sich vorstellen, dass diese Ankündigung des Bundeswirtschaftsministers eher das Gegenteil – nämlich Misstrauen – bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen hervorrufen wird? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Nein, das glaube ich überhaupt nicht; denn wir werden das Bürgerbeteiligungsverfahren stärken. Das ist völlig klar; das haben wir auch in allen Gesprächen gesagt. Wir wollen die Bürger nicht ausschließen. Aber, Herr Kollege Dr. Miersch, wir brauchen eine Beschleunigung des Prozesses; denn der Netzausbau ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass wir eines der drei ganz zentralen Ziele, nämlich Energiesicherheit, erreichen können. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern dieser Republik schuldig. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Hinsichtlich der restlichen Fragen wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, soweit die Fragesteller nicht anwesend sind.1 Ich beende damit die Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung. Sie wird um 17.05 Uhr zur Abhandlung der Aktuellen Stunde wiedereröffnet. Die Sitzung ist unterbrochen. (Unterbrechung von 16.30 bis 17.05 Uhr) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wie vereinbart – es ist 17.05 Uhr –, rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Forderung von SPD und Grünen zu Tempo 30 in Städten Erster Redner in der Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Gero Storjohann. Bitte schön, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gero Storjohann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Straßenverkehrs-Ordnung sollte Tempo 30 als neue zulässige Höchstgeschwindigkeit in Städten festgeschrieben werden. So Sören Bartol, der verkehrspolitische Sprecher der SPD, gegenüber der Welt am Sonntag. Seine Fraktionskollegin Kirstin Lühmann glaubt – so die Welt am Sonntag im Artikel weiter –, dass Tempo 30 für gleichmäßig fließenden Verkehr sorge, „der im Übrigen Aggressionen mindert und Aufmerksamkeit steigert“. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das sind die Fakten, Kollege!) Der Abgeordnete Hofreiter von den Grünen hat dem gleich seinen Stempel aufgedrückt und das als „moderne Verkehrspolitik“ bezeichnet. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Recht hat er!) Das war der Stand am Sonntag letzter Woche: Die SPD will Tempo 30 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit. Doch scheinbar hatten die Verkehrspolitiker ihre Ideen nicht mit der Fraktionsführung abgestimmt; denn Fraktionschef Gabriel brauchte nur zwei Tage, um auf Twitter festzustellen: … solche Fragen sollten Bundespolitiker lieber den Kommunalpolitikern überlassen. Die können das besser beurteilen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gabriel hat weiter ausgeführt, er sei „viele Jahre Kommunalpolitiker“ gewesen, und deshalb sei er „sicher, dass so etwas vor Ort besser entschieden werden kann als zentral von Berlin aus.“ – Ich verstehe gar nicht, warum er unbedingt Bundespolitiker werden wollte. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) War das nun eine Zurechtweisung oder eine Zustimmung von Herrn Gabriel? (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Na, na, nicht so scharf!) – Der Kollege Hacker hat es gerade erkannt: Es ist eher eine Zustimmung. Auch Fraktionschef Steinmeier meldete sich zu Wort. Er sagte gegenüber bild.de: Es bleibt dabei, Tempo 30 kommt nur da, wo es die Bürgerinnen und Bürger vor Ort für richtig halten. (Sören Bartol [SPD]: Kluger Mann!) Die SPD will kein generelles Tempo 30. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr weise!) Jetzt haben wir noch den Verkehrsminister aus dem Saarland. Heiko Maas führte aus: Ein generelles Tempolimit innerorts auf 30 kann keine Antwort sein, ein solcher Vorschlag findet nicht meine Unterstützung … Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass ein solcher Vorschlag am Ende im SPD-Wahlprogramm stehen wird. Tja, liebe SPD, was gilt nun? Das sollten Sie uns schon einmal genauer erklären. Deswegen findet heute auch die Aktuelle Stunde statt. Können sich Bürger wirklich darauf verlassen, dass eine Stimme für die SPD bei der nächsten Wahl gleichzeitig eine Stimme für Schneckentempo und Staugefahr ist? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch Unsinn! – Sören Bartol [SPD]: Bleiben Sie doch sachlich!) Die Haltung der CDU/CSU ist hier verhältnismäßig klar. Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer, heute auch bei dieser Debatte dabei – wunderbar! –, hat gleich gesagt, mit ihm sei Tempo 30 als innerörtliche Regel--geschwindigkeit nicht zu machen. Da hat er die volle Unterstützung der Koalition, insbesondere der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Sören Bartol [SPD]: Immerhin einmal!) Rot und Grün wollen also den Bürgerinnen und Bürgern das Autofahren verleiden; wir wollen eher Mobilität ermöglichen und nicht behindern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Gerade die Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, dass sie ihren Arbeitsplatz in kurzer Zeit erreichen und nicht behindert werden. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das wollen wir doch! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das wollen wir!) – Dann sind wir uns ja einmal einig; dann können Sie das nachher alles klarstellen. Dort, wo es sinnvoll ist, gibt es bereits Tempo-30--Zonen, aus besonders gutem Grund vor Schulen und Kindergärten und in reinen Wohnquartieren. Das ist Stand der Technik und allgemein anerkannt. Die CDU/CSU spricht sich aber für eine erhöhte Kontrolldichte aus, gerade im innerörtlichen Bereich, wo die Unfälle passieren. Wenn einige wenige die Geschwindigkeits--regeln nicht einhalten, müssen wir das Entsprechende tun, um sie zu fassen. Die Kollegen von Rot und Grün wissen ganz genau, dass Verkehrsregeln von Bürgerinnen und Bürgern dann besonders befolgt werden, wenn sie nachvollziehbar sind. Wenn diese Regeln nicht nachvollziehbar sind, dann werden sie eher übertreten; und dann sind die gefährdet, die glauben, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Für die willkürliche Verlangsamung des Innenstadtverkehrs und für Schneckentempo auf dem Weg zur Arbeit gibt es kein Verständnis in der Bevölkerung. (Zuruf von der SPD: Quatsch!) Sollte die SPD bei ihrer Idee, die Verpflichtung auf 30 km/h in allen Städten und Gemeinden in ihr Wahlprogramm zu schreiben, bleiben, dann – da bin ich mir ziemlich sicher – wird es ein eindeutiges Votum der Wähler in Deutschland geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Gero Storjohann. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist der -bereits erwähnte Kollege Sören Bartol. Bitte schön, -Kollege Sören Bartol. (Beifall bei der SPD) Sören Bartol (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir von der SPD wollen eine sachliche Diskussion darüber führen, wie wir Verkehrssicherheit erhöhen und wie wir unsere Straßen in den Innenstädten sicherer für Fußgänger, Radfahrer und auch für Autofahrer selber machen. Leider geht dieses Anliegen schon zu Beginn der Debatte in der Aufregung komplett unter, die von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der FDP, auch durch bewusste Missverständnisse noch geschürt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben uns eingehend mit dem Thema Verkehrs-sicherheit beschäftigt, haben mit Experten der Unfallversicherer, der Deutschen Verkehrswacht und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates gesprochen. Ein Ergebnis dieser Gespräche war es, den Vorschlag zu prüfen – ich betone noch einmal, damit auch Sie es verstehen: zu prüfen –, (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Hat Ihr Vorsitzender das auch schon verstanden?) ob auf dem nachgeordneten Straßennetz in geschlossenen Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 30 gesenkt werden sollte. Bei dieser Prüfung kann es sinnvollerweise nur um das nachgeordnete Straßennetz gehen, nicht um die Hauptverkehrsstraßen. Außerdem haben wir uns sehr intensiv mit den Vorschlägen des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesverkehrsministeriums auseinandergesetzt, einem Gremium, das von Bundesminister Peter Ramsauer eingesetzt wurde und damit eigentlich unverdächtig ist, ein Think Tank der SPD zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bisher von Ihnen – auch von Ihnen, Kollege Storjohann – kein einziges vorurteilsfreies Argument gehört. Sie verweigern sich doch alle einer sachlichen Diskussion. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: So wie Ihr Vorsitzender!) Sie schüren lediglich die Emotionen der Menschen, die das Auto für das tägliche Leben, für den täglichen Bedarf brauchen. Nehmen Sie bitte einmal folgende Fakten zur Kenntnis: Erstens. In den allermeisten Städten und Gemeinden ist Tempo 30 auf vielen Straßen längst Realität. In München gilt auf 80 Prozent der Straßen Tempo 30. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Warum wollen Sie das dann denn einführen?) In Nürnberg gab es im Rahmen der Kampagne „Nürnberg steigt auf“ die Debatte um Tempo 30. In Bremen betrifft es 70 Prozent aller Straßen. Der Aufwand für die Beschilderung ist immens, den Flickenteppich von Tempo-30-Zonen versteht niemand mehr. Zweitens. Tausende Eltern von kleinen Kindern, ältere Menschen, aber auch Menschen mit Behinderungen fordern in den Gemeinden eine Begrenzung der Geschwindigkeit für Autos: vor Schulen, vor Kindergärten, vor Altenheimen. Gemeindevertreter aller Parteien – ich betone: aller Parteien – wollen vor Ort das Tempo des Verkehrs verringern, um am Ende Menschenleben zu schützen. (Peter Götz [CDU/CSU]: Das lassen Sie doch vor Ort entscheiden!) Drittens. Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist die Zahl der Verkehrstoten im vergangenen Jahr wieder gestiegen. Auf unseren Straßen in Deutschland kamen 4 002 Menschen ums Leben. Das können wir doch in diesem Haus nicht ignorieren. Ich finde: Jeder Tote ist an dieser Stelle ein Toter zu viel. Das muss man einmal so deutlich sagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Der Bremsweg eines Autos mit 30 km/h ist ungefähr um die Hälfte kürzer als der Bremsweg eines Autos mit 50 km/h. Prallt ein Fahrzeug mit 50 km/h gegen einen Kinderwagen, dann ist das Kind tot, obwohl der Fahrer es vielleicht noch bemerkt hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Auch mit 20!) Fährt es nur 30 km/h, dann könnte es das vielleicht noch überleben, weil man es geschafft hat, vorher zu bremsen. Auch darüber sollte man nachdenken. Mit Blick auf diese Fakten sind meine Forderungen, sachlich und nüchtern gesprochen, sehr klar: Ich will erstens, dass in unseren Städten und Gemeinden in Zukunft weniger Menschen im Straßenverkehr sterben. Zweitens will ich eine einfache, verständliche Beschilderung in unseren Gemeinden und drittens, dass unsere Vertreter in den Stadt- und Gemeinderäten ordentlich entscheiden und den Verkehr vor Ort sicherer machen können. Dazu brauchen sie vernünftige Instrumente, die auch funktionieren. Welcher Weg der beste sein kann, müssen wir Verkehrspolitiker sachlich diskutieren; diese Aufgabe haben wir in unseren Fraktionen übernommen. Dieses Thema darf man nicht populistisch aufladen (Gero Storjohann [CDU/CSU]: Bild-Zeitung!) und am besten noch am Stammtisch diskutieren. Ich wiederhole: Es gilt das, was Frank-Walter Steinmeier bereits gesagt hat – danke übrigens dem Kollegen Storjohann, dass er so sauber zitiert hat –: … Tempo 30 kommt nur da, wo es die Bürgerinnen und Bürger vor Ort für richtig halten. Und das gilt! (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch jetzt schon so!) Danke. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Sören Bartol. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Petra Müller. Bitte schön, Frau Kollegin Petra Müller. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Gib Gummi!) Petra Müller (Aachen) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verkehrssicherheit ist für uns alle ein wichtiges Thema. Sie haben es richtig gesagt, Kollege Bartol: Verkehrs-sicherheit entscheidet über Menschenleben. Deswegen sind wir uns in diesem Hause und auch im Ausschuss bei entsprechenden Themen oftmals einig. Häufig werden Anträge sogar fraktionsübergreifend verabschiedet. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber lange her!) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn Sie generell und dogmatisch Tempo 30 in den Städten fordern, (Sören Bartol [SPD]: Das ist doch Quatsch! – Gustav Herzog [SPD]: Sie können nicht lesen, geschweige denn verstehen!) unabhängig von örtlichen Gegebenheiten, als Bundesgesetz übergestülpt, entgegen jahrzehntelanger Praxis, trotz Widerspruchs der Fachverbände – (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zählen Sie mal die Fachverbände auf! ADAC? Automobilindustrie? – Gustav Herzog [SPD]: Zählen Sie sie einmal auf!) dann ist es mit dem Konsens vorbei. Tut mir leid. Tempo 30 an sensiblen Stellen wie Kindergärten, Schulen oder Wohngebieten wird heute so oft wie möglich angewendet, und zwar dort, wo es nötig ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Entschieden wird dort, wo darüber entschieden werden sollte, nämlich in den Kommunen. Wenn Sie jetzt den Flickenteppich beklagen, dann sage ich Ihnen: Dieser Flickenteppich führt zur Aufmerksamkeit im Verkehr, jawohl! (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Entscheidung darüber, wo Tempo 30 angesagt ist, gehört jedenfalls in die Kommunen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das können sie aber im Moment nicht!) Das hält die FDP für ein bewährtes System. Wir sehen an dieser Stelle überhaupt keinen Handlungsbedarf und auch keinen Regulierungsbedarf. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Was Sie wollen, ist teuer, bürokratisch, ist eine zentralistische Regelung, die ohne jeden Mehrwert ist. Das machen wir nicht mit! Es wird uns nicht gelingen, einfach so den Verkehr in den Kommunen zu regeln. Außerdem würden sich die Kommunen massiv dagegen wehren. Vorhin haben wir all die Zitate von den Kollegen in der SPD gehört, die in puncto Verkehrssicherheit mit Ihnen nicht einer Meinung sind. Die Akzeptanz von Regelungen ist für uns ein wichtiger Punkt. Ich sage Ihnen eines: Die Autofahrer würden sich massiv dagegen wehren, wenn man ihnen eine solche Regelung überstülpte. Ein Autofahrer ist nämlich immer nur dann ein guter Autofahrer, wenn er die Regel akzeptiert und versteht. Darum geht es doch. In diesem Zusammenhang ist das Stichwort Eigenverantwortung zu nennen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft sagt: Autofahrer halten sich dann an Vorschriften, wenn sie für sie nachvollziehbar sind. (Ulrike Gottschalck [SPD]: Autofahrer sind auch manchmal Fußgänger!) Das stimmt, das ist richtig, und dem ist nichts mehr hinzuzufügen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie verbessern die Verkehrssicherheit nicht, wenn Sie die Akzeptanz von Verkehrsregeln schwächen. Sie verbessern die Verkehrssicherheit nicht, wenn Sie den Verkehrsfluss hemmen. Sie verbessern die Verkehrssicherheit nicht, wenn Sie Staus fördern, die Verkehrswege verlängern oder die Autofahrer behindern. So einfach ist das. Das wollen wir in der Koalition nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kollegin Lühmann sagt, Tempo 30 würde Aggressionen mindern. Da muss ich Sie wirklich fragen, liebe Kollegin, ob Sie sich vorstellen, dass sämtliche deutschen Straßen voller aggressiver Autofahrerinnen – das sage ich ganz bewusst – und Autofahrer sind? Sie zeichnen ein Bild von einem ständig wütenden, konstant aggressiv rasenden Menschen. Das ist doch nicht die Realität auf den deutschen Straßen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Müssen Sie nicht selber lachen? – Sören Bartol [SPD]: Niveaulos!) Das ist doch nicht das Leben. Sie stellen die Bürger unter Generalverdacht. Wir von der Koalition hingegen haben Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb werden wir Ihrem Vorhaben nicht zustimmen. Ich werde den Satz, den Herr Gabriel auf Twitter veröffentlicht hat, nicht noch einmal zitieren, sonst wird er noch zum Dauerbrenner in dieser Aktuellen Stunde. Aber Herr Steinmeier hat sich zu diesem Thema geäußert, und übrigens auch Heiko Maas kann sich nicht vorstellen, eine solche Forderung zukünftig im Wahlprogramm der SPD unterzubringen. (Zurufe von der SPD) Das kann ich nur unterschreiben, und ich hätte nie gedacht, dass ich einmal das unterschreiben würde, was Heiko Maas sagt. Der Städte- und Gemeindebund nennt Ihre Vorschläge „Gängelung“ und „Bevormundung“. Alles richtig, alles gut. Ich schlage Ihnen vor: Treffen Sie sich zu einer internen Besprechung am Runden Tisch. Unterhalten Sie sich darüber, wie Sie sich Ihre künftige Verkehrspolitik vorstellen. Ich hätte nichts dagegen, die FDP würde das begrüßen; wir brauchten uns dann über dieses Thema nicht mehr zu unterhalten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Herbert Behrens. Bitte schön, Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tempo 30 ist sicherer, leiser und sauberer. Was wollen wir uns als Bewohnerinnen und Bewohnern von Städten und Dörfern mehr wünschen? Darauf muss unser Umgang mit dem Verkehr abzielen. Wenn es ein Instrument gibt, durch das diese drei Kriterien erfüllt werden können, nämlich sicherer, sauberer und leiser zu sein, dann sollten wir es sofort nutzen. (Beifall bei der LINKEN) Herr Storjohann, wir wissen, dass Sie in Ihrer Fraktion für das Thema Verkehrssicherheit verantwortlich sind. Das Thema Verkehrssicherheit spielte bisher eine sehr ungeordnete Rolle, was ich bedauere; denn Tempo 30 spielt beim Thema Verkehrssicherheit eine entscheidende Rolle. Der Vorstoß der SPD und der Grünen deckt sich mit dem Vorstoß der Linken, den wir schon vor längerer Zeit gemacht haben. Wir wollen eben, dass die Lebensqualität in den Dörfern und Städten insgesamt besser wird. Was kann da besser sein als die Reduzierung der Geschwindigkeit? Wir wissen doch selber: Wenn wir als Fußgänger oder Radfahrer unterwegs sind, dann empfinden wir schnelle Autos als störend; denn wir sind sehr unsicher, wenn wir hohen Geschwindigkeiten ausgesetzt sind. Wir wissen aber auch, dass durchaus unterschiedliche Herzen in unserer Brust schlagen. Wären wir auf der gleichen Strecke als Autofahrer unterwegs, würden wir möglicherweise mit Ungeduld darauf warten, wieder schneller fahren zu können. Die eben genannten Zahlen belegen, dass Tempo-30-Zonen in großen Städten weit verbreitet sind; denn gerade dort, wo Menschen auf engem Raum wohnen, wollen sie möglichst ruhig leben. Deshalb sind sie an ihre kommunale Vertretung herangetreten, um anzufragen, ob sich die Geschwindigkeit nicht reduzieren lässt. Nun weiß ich als Kommunalpolitiker gut, wie unendlich schwierig es ist, Tempo-30-Zonen einzurichten. Lassen Sie mich als konkretes Beispiel eine Schule in Osterholz-Scharmbeck nennen, die an einer Kreisstraße liegt. Es ist sehr schwierig, sich mit der Kreisverwaltung ins Benehmen zu setzen, damit es dort zu einer Geschwindigkeitsbegrenzung kommt. In dieser Straße gibt es zwar merkwürdige Baumaßnahmen, um zwanghaft eine erhöhte Verkehrsaufmerksamkeit zu erzielen, aber ich empfinde diese baulichen Maßnahmen als eher störend. Sie machen den Verkehr eher unsicherer als sicherer. Wenn ich als Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger weiß, dass in meiner Stadt Tempo 30 herrscht, dann kann ich mich darauf einstellen, egal mit welchem Verkehrsträger ich unterwegs bin. Wir können auch von einer höheren Sicherheit ausgehen, wenn die Differenz zwischen Fußgängern und Autos nicht mehr 45 Kilometer pro Stunde beträgt, sondern nur noch 25 Kilometer pro Stunde. Es führt zu einem anderen Miteinander in den Städten und Dörfern, wenn es uns gelingt, eine erhöhte Verkehrssicherheit durch Temporeduzierung zu erreichen. Der Verkehr wird leiser werden. Verkehrsexperten haben ausgerechnet: Eine Reduzierung des Tempos von 50 km/h auf 30 km/h würde die Geräuschemission um 3 dB (A) verringern. Die Zahl klingt niedrig, aber das entspricht der Halbierung der akustischen Belastung durch Verkehrslärm. Das ist nicht zu unterschätzen. Wir wollen in den Städten neben der Sicherheit doch auch mehr Lebensqualität. Wir sollten darum den entsprechenden Vorschlag, der hier von Grünen und SPD noch einmal neu aufgegriffen worden ist, prüfen und ernst nehmen. Es ist doch nicht so, dass nun per Dekret vorgeschrieben werden soll, dass ab sofort flächendeckend innerorts nur noch 30 Kilometer pro Stunde gefahren werden darf. Das ist doch gar nicht Sinn und Zweck unserer Forderung. Unser Grundsatz lautet: Tempo 30 innerorts. Überall dort, wo wir feststellen, dass das Tempo zu gering ist, weil wir es zum Beispiel mit Ausfallstraßen zu tun haben, dann darf natürlich schneller gefahren werden. Es geht doch nicht darum, dass wir schnelle Straßen künstlich langsamer machen wollen, so wie wir im Moment Straßen langsamer machen, wenn wir eine Tempo-30-Zone einrichten. Insbesondere mit Blick auf die Kommunalpolitik, die hier schon erwähnt worden ist, kann ich nur sagen: Für die Kommunen ist es teuer, umständlich und oft nur mit großen Zeitverzögerungen möglich, eine Tempo-30-Zone einzurichten. Auch der Städtetag hat diesbezüglich leider hohe Hürden eingezogen. Tempo 30 ist auch sauberer. Wir werden es dann – dieser These stimme ich zu – mit einem flüssigeren Verkehrsfluss zu tun haben. Dann wissen wir nämlich, dass wir es mit großflächigen Tempo-30-Zonen zu tun haben, und durch entsprechende Maßnahmen können wir dafür sorgen, dass der Verkehr noch flüssiger läuft. Was ist an dem jetzigen Modell schneller? Wir dürfen zwar 50 km/h fahren, fahren laut Messungen in der Re-alität in Berlin aber nur 32 km/h im Durchschnitt. In München sind es nur 27 km/h, die ich im Durchschnitt fahre, obwohl ich 50 km/h fahren dürfte. Das hat mit Stausituationen zu tun, die dadurch entstehen, dass der Verkehr nicht flüssig läuft, weil man an Ampeln abbremsen und wieder beschleunigen muss. Ich denke, um die Wohnqualität zu verbessern, müssen wir zu einer Temporeduzierung kommen. Das werden wir nicht per Dekret verordnen, sondern wir werden darüber mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren haben; denn sie entscheiden letztendlich darüber, wie sicher und sauber die Stadt sein soll, in der sie leben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Herbert Behrens. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollege Stephan Kühn. Bitte schön, Kollege Stephan Kühn. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir fordern Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, weil dadurch die Verkehrssicherheit verbessert und Lärm und Abgase reduziert werden können. Frau Kollegin Müller, wenn man sich anschaut, was die Fachverbände dazu sagen, stellt man fest, dass sie ziemlich geschlossen dafür sind. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat sich dafür ausgesprochen. Auch Polizeivertreter und der Wissenschaftliche Beirat beim BMVBS sagen uns: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit ist richtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Absenkung der Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 30 reduziert – das ist schon gesagt worden – den Straßenlärm um 2 bis 3 Dezibel. Eine Verringerung um 3 Dezibel wird vom Menschen wie eine Halbierung der Verkehrsmenge wahrgenommen. Dementsprechend können wir die Lebensqualität der Menschen in unseren Städten durch eine Temporeduzierung verbessern, und nebenbei verringern wir den Ausstoß an Luftschadstoffen. Niedrigere Geschwindigkeiten innerhalb von Ortschaften verbessern die Situation für Fußgänger und Radfahrer, insbesondere für Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Es ist leider so, dass Unfälle von Fußgängern und Radfahrern mit motorisierten Verkehrsteilnehmern bei 50 km/h sehr oft tödlich enden. Tempo 30 könnte Leben retten; das ist schon gesagt worden. Im letzten Jahr sind im Stadtverkehr – das ist die traurige Wirklichkeit – 1 200 Menschen gestorben. Das ist eine Zunahme um 10 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010. Das sollte uns alles andere als zufriedenstellen. Wir sollten alles tun, um diese hohe Zahl getöteter Verkehrsteilnehmer deutlich zu reduzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) In diesem Zusammenhang ist eine Langzeitstudie aus London interessant. Sie kam zu dem Ergebnis, dass durch die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 32 km/h die Zahl der geschwindigkeitsbedingten Unfälle um 42 Prozent gesenkt werden konnte. Der stärkste Rückgang wurde bei den Unfällen mit Kindern verzeichnet. Eine sehr interessante Studie! Ich hätte mir gewünscht, dass Sie von der Koalition heute substanzielle Vorschläge einbringen, wie Sie die Verkehrssicherheit in unseren Städten verbessern wollen. Leider haben wir dazu gar nichts gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch im Nationalen Verkehrssicherheitsprogramm finden wir außer Appellen und Kampagnen wenig. Daran, dass Verkehrsminister Ramsauer Tempo 30 mit der Begründung ablehnt, dass er Mobilität ermöglichen und nicht verhindern will, wird deutlich, dass er unter Mobilität nur die Mobilität der Autofahrer versteht; denn Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit würde diejenigen stärken, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. Fahrradfahrer könnten wieder sicherer auf den Straßen unterwegs sein, weil sie vom Autofahrer früher wahrgenommen und aufgrund dessen zum Beispiel nicht mit einem zu geringen Abstand überholt würden. Die Verlängerung der Fahrtzeit bei Einführung einer Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 liegt im Sekundenbereich. Sie wissen alle, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit im Stadtverkehr bei ungefähr 20 km/h liegt. Das ist die Realität. Der Flickenteppich ist angesprochen worden. Aufgrund der jetzt gültigen Rechtslage haben wir im Hauptverkehrsnetz einen ständigen Wechsel zwischen Tempo 30 und Tempo 50: 200 Meter Tempo 30, weil dort eine Schule ist, dann wieder Tempo 50, und dann kommt wieder eine Geschwindigkeitsbeschränkung aus Gründen des Lärmschutzes. Dieser Flickenteppich trägt nicht zu einer Verbesserung des Verkehrsflusses bei; im Gegenteil. Er lässt beispielweise auch nicht die Optimierung von Ampelschaltungen zu. Mit der Einführung von Tempo 30 als Regel-geschwindigkeit könnten der beschriebene Wechsel vermieden und der Verkehrsfluss optimiert werden, weil die Ampelschaltungen verbessert werden könnten. Sie haben hier ein Schreckgespenst gezeichnet: Alle Autofahrer wären zum Schleichen verdammt, weil auf allen Straßen Tempo 30 gelten würde. Dies entbehrt jeglicher Grundlage. Wir haben klargemacht, dass es um Regelgeschwindigkeit und nicht um Höchstgeschwindigkeit geht. Es geht also um eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Die Beweislast wird umgekehrt: Heute muss das Vorschreiben von Tempo 30 begründet werden und das Vorschreiben von Tempo 50 nicht. Dies wollen wir ändern. Dadurch wäre es für die Kommunen leichter, Tempo 30 anzuordnen. Das würde Bürokratie abbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es würde übrigens auch dazu führen, dass die Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger transparenter wären. Es geht also nicht um die Verhinderung von Tempo 50, sondern um die Ermöglichung von Tempo 30. Trotz alledem würde auf den meisten Hauptverkehrsstraßen weiterhin Tempo 50 gelten. Ich kann nur darum bitten, dass wir die Diskussion versachlichen. Sie haben heute dazu leider keinen Beitrag geleistet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Stephan Kühn. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer. Bitte schön, Kollege Dr. Andreas Scheuer. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Bartol, das war ja ein wirklich toller Versuch, uns davon in Kenntnis zu setzen, dass Sie den Vorschlag, ein Tempolimit von 30 km/h in Städten einzuführen, gerade noch prüfen. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung prüft auch immer sehr viel!) – Herr Kollege Kühn, die Prüfung hatte schon in der Zeit von Rot-Grün im Jahr 2000 begonnen. – Herr Kollege Bartol, Sie prüfen mittlerweile sehr lange; Herr Kühn hat eine Steilvorlage geliefert. Damals war dieser Vorschlag von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen vorgebracht worden, und er wurde dann von der Spitze der SPD torpediert. Jetzt machen Sie diesen Vorschlag erneut. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Besser spät als nie!) Es ist eine alte Kamelle und nicht zeitgemäß. Die Argumente sind auch völlig an den Haaren herbeigezogen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich klar sein, dass die Union und die FDP für Freiheit und Eigenverantwortung stehen (Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Rot-Grün und Linkspartei für Gängelung, Limitierung und Verbote. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Sie haben das Beispiel München erwähnt, wo auf 80 Prozent der Straßen Tempo 30 gilt. Dort lebt ein SPD-Politiker als Oberbürgermeister vor, wie er die Bürgerinnen und Bürger gängelt. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Deshalb ist er auch gewählt worden!) Zum besseren Verkehrsfluss in München führt das definitiv nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wenn Sie die Städte als den Ort der meisten Unfälle hervorheben, möchte ich auf unsere Berichte zur Verkehrssicherheit verweisen. Landstraßen sind sehr unfallträchtig, dort sind die meisten Verkehrstoten zu beklagen. Deswegen hat der Bundesminister eine „Aktion Landstraße“ gestartet. Da wollen wir ansetzen. Ich danke Bundesminister Ramsauer dafür, dass er den Haushaltstitel für die Verkehrssicherheit erhöht hat; der Titel ist jetzt auf Rekordniveau. Damit sagen wir Ja zu einer verbesserten Verkehrssicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Wir haben eine Steigerung von 10 Prozent bei den Verkehrstoten!) Wenn Sie, Herr Kollege Kühn, das nationale Verkehrssicherheitsprogramm zitieren, sage ich: Ja, wir haben jetzt eine politische Leitung im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, die sich inhaltlich und konzeptionell mit der Verkehrssicherheit beschäftigt. Es geht dabei um die Aktionsfelder Mensch, Infrastruktur und Fahrzeugtechnik. Dort werden auch sehr gute Vorschläge für den Stadtverkehr gemacht. Lieber Kollege Bartol, die SPD muss ja sehr viel Vertrauen in ihre SPD-Kommunalpolitiker haben, wenn Sie von oben dirigistisch festlegen wollen, dass nur noch Tempo 30 in den Kommunen gelten soll. (Sören Bartol [SPD]: Wer sagt denn das?) Sie wollen Ihren Kommunalpolitikern befehlen, was sie im Bereich Stadtverkehr tun sollen. (Gustav Herzog [SPD]: Wie kann man nur so einen Unsinn reden?) Ich glaube, das ist der falsche Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Union schätzt die politische Eigenständigkeit der Kommunalpolitiker. Diese können situationsbedingt entscheiden, wo sie Tempo 30 vorschreiben, zum Beispiel vor Kindergärten, vor Spielplätzen und in beruhigten Zonen in Wohngebieten. Sie können das bestens selbst entscheiden. Dazu brauchen sie nicht den Deutschen Bundestag. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zu den Punkten Bürokratie oder finanzieller Aufwand kann ich nur sagen: Wenn Sie zwischen den Hauptstraßen – rechtlich muss zunächst einmal definiert werden, was Hauptstraßen sind – und den beruhigten Zonen, in denen nach Ihrem Modell generell Tempo 30 gelten soll, wechseln wollen, brauchen Sie neue Schilder und haben einen entsprechenden Aufwand für die Umschilderung. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sie beweisen gerade, warum der Wechsel in Bayern nötig ist!) Solch ein Schild kostet ungefähr 300 Euro. Multiplizieren Sie das einmal! Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir wollen die Kommunen mit Aktionen gegen den Schilderwald motivieren, die Schilder herunterzunehmen und Regelungen zu finden, die für die Bürgerinnen und Bürger transparenter sind. Dann ist es für die Verkehrsteilnehmer einfacher, nachzuvollziehen, welches Tempo sie fahren sollen. Außerdem werden durch die Entschilderung unserer Innenstädte Kosten eingespart. Wir gehen also einen ganz anderen Weg: Abbau des Schilderwaldes, und die Kommunalpolitik soll selbst entscheiden, wo eine Tempo-30-Zonen-Regelung gelten soll. Die SPD tut sich ja immer als die Kommunalpartei hervor. Sie möchte suggerieren, dass die Bürgerinnen und Bürger für die Tempo-30-Regelung sind. Ich nehme etwas anderes wahr. Ich glaube, dass eine mangelnde Akzeptanz durch die Verkehrsteilnehmer die Verkehrs-sicherheit in den Innenstädten sogar untergräbt, weil jeder für sich entscheidet, wie schnell er auf den Straßen fährt. Ich glaube, dieser Vorstoß geht ins Leere. Die SPD-Spitze hat schon in diese Richtung argumentiert. Der Regierende Bürgermeister von Berlin war heute zum Thema Berliner Flughafen im Deutschen Bundestag. Er fährt – es sei ihm vergönnt, weil unsere politischen Mandatsträger für die Automobilindustrie eine Werbebotschaft senden – ein großvolumiges Fahrzeug, einen BMW 750 Li. (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Reden und Handeln, meine Damen und Herren! 407 PS, das ist der Beitrag des Regierenden Bürgermeisters für den Vorschlag der Tempo-30-Zonen-Regelung. (Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der SPD: Was fahren Sie für ein Auto?) Aus den Vorlagen, die Sie uns im BMVBS hinterlassen haben, haben wir viel herausstreichen müssen. Ich glaube, aus der Debatte kommt heraus: Die Union und die FDP wollen nicht Verkehre verhindern, sondern sie wollen sie intelligent koordinieren. Dazu brauchen wir die Kommunalpolitik, die immer fähig ist, vor Ort die besten Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger zu finden. Damit sagen die Kommunalpolitiker Ja zu ihrer eigenen Verantwortung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten Frau Kollegin Kirsten Lühmann. Bitte schön, Frau Kollegin Lühmann. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Zuhörende! In meinem Wahlkreis in Celle haben wir gerade eine Diskussion darüber, ob in einem Straßenabschnitt in der Innenstadt Tempo 30 kommen soll. Die Bürger und Bürgerinnen sind dafür. Die Kommune ist dafür. Jetzt gibt es eine Vorlage, die sich an -geltendem Recht orientiert. Wie sieht diese Straße dann aus? Nach jetziger Rechtslage werden die ersten 500 Meter Tempo 30 nachts – aus Lärmschutzgründen – sein. Die nächste Strecke wird Tempo 50 sein. Danach wird – aus Verkehrssicherheitsgründen – eine Strecke Tempo 30 tagsüber folgen. Liebe Herren und Damen, wir sind uns wohl einig: So eine Situation ist sowohl für die Anwohnenden als auch für die Verkehrsteilnehmenden absolut indiskutabel. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Die Kommune kann das entscheiden, wenn sie das so will!) Ich wollte einmal genau wissen, wie die rechtlichen Voraussetzungen aussehen, und habe ein Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages in Auftrag gegeben. Das war nicht ganz einfach. Auch das BMVBS hat sich schwergetan. So viel zu der Aussage: Das ist doch ganz einfach, die Kommunen können das doch locker machen. Wie sieht es denn nun aus? In der Straßenverkehrs-Ordnung gibt es viele Möglichkeiten, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Ich habe unter anderem gefunden: Tempo 30 kann angeordnet werden, um die Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs zu fördern. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Das heißt, der Gesetzgeber geht nicht von Staus und Schneckentempo aus, sondern der Gesetzgeber geht davon aus, dass Tempo 30 die Flüssigkeit des Verkehrs sogar fördern kann. Ich denke, da können wir ihm zustimmen. (Judith Skudelny [FDP]: Ach! Wenn es nach Ihnen ginge, müssten wir wahrscheinlich auf jeder Autobahn Tempo 30 machen!) Aber: Wenn eine Kommune Tempo 30 einführen will, muss sie viele andere Rechtsgebiete beachten, zum Beispiel die Bundes-Immissionsschutzverordnungen, die Lärmminderungspläne der EU und die Luftreinhaltungspläne der EU. Ich will damit sagen: Das ist ein sehr komplexes Rechtsgebiet. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das alles trauen wir den Kommunen zu!) Das zeigen die vielen Urteile, in denen die Anordnung von Tempo 30 durch Kommunen zurückgenommen wurde. Insbesondere bei höherklassifizierten Straßen gibt es Probleme. Wer sieht, wie sich Kreisstraßen, Landesstraßen und Bundesstraßen teilweise durch enge Innenstädte schlängeln, und wer erlebt, wie lange der Bau von Ortsumgehungen dauert, der wird mir zustimmen: Unser Ziel muss es sein, dafür zu sorgen, dass die Kommunen schnell und frei entscheiden können: Wo kommt Tempo 30 und wo nicht? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Götz [CDU/CSU]: Ja! Das sollten sie sowieso generell können!) Auch im Aktionsplan „Verkehrssicherheit“ der EU wird in Punkt 54 vorgeschlagen: In Wohngebieten und auf einspurigen Straßen ohne Fahrradwege ist Tempo 30 vorzuschreiben. – Dem, meine Herren und Damen, haben sogar die Abgeordneten von Union und FDP im Europaparlament zugestimmt. (Sören Bartol [SPD]: Hört! Hört! – Martin Burkert [SPD]: Oh! Man glaubt es kaum! – Gustav Herzog [SPD]: Und hier sitzen die Kleingeister!) Aber so weit wollen wir von der SPD gar nicht gehen, liebe Koalition. In unserem Antrag zum Thema Verkehrssicherheit heißt es: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf … zu prüfen, ob innerhalb geschlossener Ortschaften – mit Ausnahme der Hauptverkehrsadern – die zulässige Höchstgeschwindigkeit grundsätzlich auf Tempo 30 gesenkt wird. Dieser Antrag wurde leider abgelehnt. Wer ihn lesen will – er enthält nämlich noch viele andere gute Vorschlä-ge –: Sie finden ihn auf Drucksache 17/5772. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Also, ich wäre ja generell für Schrittgeschwindigkeit!) Eines erstaunt mich – jetzt richte ich mich an die Abgeordneten der Koalition, die dem Verkehrsausschuss angehören; wenn die Kollegen und Kolleginnen, die unserem Ausschuss nicht angehören, nicht jeden Antrag, den wir dort behandeln, lesen, kann ich das verstehen –: Weil wir im Verkehrsausschuss erst vor wenigen Monaten über den eben von mir zitierten Antrag diskutiert haben, wissen alle Ausschussmitglieder, was die SPD zum Thema Tempo 30 fordert. Sie wissen auch, dass es sich um einen Prüfauftrag handelt und dass es in unserem Antrag heißt: „mit Ausnahme der Hauptverkehrsadern“. Trotzdem verbreiten Sie weiter ein sinnentstellend verkürztes Zitat; das haben Sie auch heute Morgen getan. (Sören Bartol [SPD]: Pfui! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: So wie Ihr Herr Gabriel!) Das, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist unanständig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Peter Götz [CDU/CSU]: Ach ja? Was sagt denn der Herr Gabriel dazu? – Petra Müller [Aachen] [FDP]: Wir sagen doch nur das, was Ihr Herr Gabriel und Ihr Herr Steinmeier auch gesagt haben!) Zusammenfassend stelle ich fest: Wir wollen, dass die Entscheidungsgewalt vor Ort ausgeübt wird. Die Situation stellt sich zurzeit allerdings schwierig dar. Es geht um die Fragen: Wie können wir die Situation optimieren? Wie können wir die Regelungen entbürokratisieren? Wie können wir den Kommunen die Handlungskompetenz geben? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder belässt man die Regelgeschwindigkeit bei 50 km/h, vereinfacht aber die Ausnahmen, oder man macht Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit; es ist sowieso einfacher, Ausnahmen nach oben vorzunehmen. Vielleicht gibt es ja auch eine dritte Möglichkeit, über die wir noch nicht diskutiert haben. Wir als Bundestag haben die Verantwortung, im Interesse der Kommunen zu handeln und die Entscheidungskompetenz vor Ort zu stärken. Lassen Sie uns diese Aufgabe endlich ernst nehmen! Lassen Sie uns vorurteilsfrei prüfen, welche Regelung die sinnvollste ist, und zwar für die Menschen in den Kraftfahrzeugen und für die Menschen außerhalb der Kraftfahrzeuge. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Lühmann. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Werner Simmling. Bitte schön, Kollege Werner Simmling. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Werner Simmling (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute geht es um das Thema Tempo 30 in Städten. Lassen Sie mich mit einem Zitat des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, beginnen: Das ist „eine Schlafmützenregelung“, sagte dieser zu den Vorschlägen rot-grüner Verkehrspolitiker, die Geschwindigkeit innerorts per Gesetz auf 30 km/h begrenzen zu wollen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder nicht verstanden! – Gegenruf der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]: Tja! Ich habe es versucht!) Eigentlich ist damit bereits alles gesagt. Aber im Ernst: Der Vorschlag, mit dem uns unsere Kollegen, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sören Bartol, und der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen – er ist leider nicht hier –, überraschten, hatte es in sich; denn dieser Gedanke war wohl zumindest innerhalb der Fraktion der SPD nicht abgestimmt. (Kirsten Lühmann [SPD]: Haben Sie mir eigentlich zugehört? – Gegenruf des Abg. Gustav Herzog [SPD]: Die Rede war schon geschrieben!) – Ja. Ich habe Ihnen gut zugehört. – Der Aufschrei von Sigmar Gabriel, von Frank-Walter Steinmeier und vom Präsidenten des Deutschen Städtetages und Münchener Oberbürgermeister, Christian Ude, um nur einige zu nennen, kam postwendend und war nicht zu überhören. Alle drei erinnerten sich wohl sofort an den fatalen Fehlstart unserer Kollegin Renate Künast als Bürgermeisterkandidatin in Berlin, die mit genau diesem Thema, Tempo 30, in Berlin punkten wollte, damit die halbe Stadt verschreckte und krachend einbrach. Der Wahlsieg war verspielt. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch 4 Prozent zugelegt!) Seit dem 1. September 1957, also seit bald 55 Jahren, gilt Tempo 50 in den Städten. Dieses Tempolimit gilt nicht nur für Autos – hier wird immer nur von Autos gesprochen –, sondern auch für Straßenbahnen und Busse. In vielen Wohngebieten und vor Schulen, Kindergärten und Kliniken gilt schon lange Tempo 30. Die Entscheidung, wo in Zukunft Tempo 30 zu gelten hat, sollte demnach dort gefällt werden, wo sie hingehört, nämlich in den Kommunen und nicht im Bundestag. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kirsten Lühmann [SPD]: Ja, genau!) – Ja, genau so ist es. (Kirsten Lühmann [SPD]: Dazu müssen wir aber auch die Regelungen schaffen! Dazu müssen wir ihnen die Möglichkeiten geben!) Uns ist es ein großes Anliegen, die Verkehrssicherheit in Deutschland weiter zu erhöhen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Na ja!) Die Erfolge der vergangenen 40 Jahre sind ermutigend. Hatten wir 1970 noch 19 193 Getötete im Straßenverkehr zu beklagen, so ist die Zahl bis 2010 auf 3 648 Getötete zurückgegangen. Innerorts ist die Zahl der Getöteten von 8 494 auf 1 261 in 2008 zurückgegangen. (Sören Bartol [SPD]: Und 2011, Herr Kollege? Die 2011er-Zahlen noch!) In beiden Straßenkategorien ist die Zahl der Verkehrstoten also um etwa 85 Prozent zurückgegangen – und das bei einer gleichzeitigen Verdreifachung der Zahl der Kraftfahrzeuge im genannten Zeitraum von rund 15 Millionen auf beinahe 50 Millionen. (Sören Bartol [SPD]: Aber nennen Sie doch einmal die 2011er-Zahlen!) – Mit einer kurzfristigen Betrachtung können Sie alles begründen. (Sören Bartol [SPD]: So reden Sie über zusätzliche Verkehrstote!) Trotz dieses Erfolgs ist die Anzahl der Getöteten im Straßenverkehr (Kirsten Lühmann [SPD]: Aktuelle Zahlen wären gut!) – hören Sie doch einmal zu – leider noch immer viel zu hoch. Umso wichtiger ist es, dass wir mit unseren Maßnahmen dort ansetzen, wo wir die Verkehrssicherheit tatsächlich weiter erhöhen können, und keine Scheinmaßnahmen verfügen, die im Zweifel sogar – auch das wurde schon gesagt – zu einer Verschlechterung der Verkehrssicherheit führen könnten, weil sie für die Verkehrsteilnehmer nicht nachzuvollziehen sind und damit zum Übertreten reizen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kirsten Lühmann [SPD]: Sagen Sie das mal Ihren Kollegen im Europäischen Parlament! Die sehen das anders!) Die Ausweisung von großflächigen innerstädtischen Fußgängerzonen, gut ausgebaute Gehwege, bessere und übersichtlichere Straßen, mehr Radwege, aber auch eine weitere Verbesserung der Kraftfahrzeugtechnik, zum Beispiel durch weitere Fahrerassistenzsysteme, und nicht zuletzt die Intensivierung der Verkehrsschulung und ein gesteigertes Verantwortungsbewusstsein aller Verkehrsteilnehmer sind die Stellschrauben, die eine weitere Erhöhung der Verkehrssicherheit bewirken. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das alles spricht aber nicht gegen Tempo 30!) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also dort gemeinsam tätig werden und nicht im Boulevard mit populistischer Regelungswut Menschen zu gängeln versuchen. Viele Umfragen auf regionaler Ebene haben gezeigt, dass die Bürger mit der derzeitigen Regelung sehr zufrieden sind – das Beispiel Berlin zeigt es –, die sich bereits über eine lange Zeit bewährt hat. Die Entscheidung über Tempo 30 soll auch in Zukunft dort getroffen werden, wo sie hingehört, nämlich auf regionaler Ebene; denn was vor Ort entschieden wird, findet auch die Akzeptanz der Betroffenen. Dafür braucht es keine gesetzliche Vorgabe vom Bund. Hier haben die Kollegen Gabriel und Steinmeier ausnahmsweise einmal recht gehabt. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Werner Simmling. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Hans-Joachim Hacker. Bitte schön, Kollege Hans-Joachim Hacker. (Beifall bei der SPD) Hans-Joachim Hacker (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren, die uns zuhören und zusehen! Was für eine Aufregung und was für eine abstruse Argumentation aus der Koalition zu diesem Thema! Das ist nicht nachzuvollziehen. Sie negieren völlig die Bedeutung der Straßenverkehrs-Ordnung als Regelinstrumentarium, das wir auszugestalten haben. Herr Bundesminister Ramsauer, die Bundesregierung verfolgt mit ihrem Verkehrssicherheitskonzept ein ambitioniertes Ziel. Sie haben sich vorgenommen – darin -bekommen Sie in der Gesellschaft ja große Unterstützung –, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Über die Statistik ist hier bereits viel gesagt worden. Das will ich nicht noch einmal wiederholen. Es ist auch schon erwähnt worden, dass wir im letzten Jahr trotz aller Maßnahmen – ich nenne auch die Ehrenamtler – wieder einen Anstieg zu verzeichnen hatten: auf 4 002 Getötete. Das sind genau 4 002 zu viel. Wir müssen schon die Frage stellen, wie wir darauf reagieren und welche Maßnahmen wir einleiten, um das ambitionierte Ziel, das hier alle vertreten, zu erreichen. Es gibt im Straßenverkehr unterschiedliche Risikogruppen. Dazu zählen insbesondere Jugendliche von 18 bis 24 Jahren. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Risikobereiche. Einer dieser Risikobereiche, der von vielen zum Teil ausgeblendet wird, sind innerstädtische Verkehre. In meinem Land Mecklenburg-Vorpommern haben sich im Jahre 2011 mehr als die Hälfte, nämlich 59 Prozent, der Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden und schwerwiegendem Sachschaden innerhalb von Ortschaften ereignet. 59 Prozent! Auf den Autobahnen sind es 7,5 Prozent. Hier müssen wir ansetzen. Jemand, der hier angesetzt hat, ist der Wissenschaftliche Beirat Ihres Ministeriums, Herr Ramsauer. Dieser Beirat hat einen Katalog von Maßnahmen vorgelegt. Eine Maßnahme ist die Einführung einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h. Ich finde, das sollten Sie ernsthaft prüfen und nicht einfach abtun. Ich will deutlich sagen: Eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h wäre doch kein Dogma, sondern nur die Umkehrung der Regelgeschwindigkeitsregelung in der Straßenverkehrs-Ordnung. Wo ist da das Problem, Frau Müller? Es gibt doch gar kein Problem. Ich frage Sie: Warum sollten wir, wenn uns 17 Professoren einen solchen Vorschlag vorlegen, diesen nicht ernsthaft prüfen, Herr Ramsauer? Was die Bewertung angeht, stehen wir, die Verkehrspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen und SPD, und die 17 Professoren nicht alleine da. Ich zitiere den Präsi-denten des Deutschen Verkehrssicherheitsrat, Walter -Eichendorf. Er hat vor wenigen Tagen erklärt, dass Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in den Städten eine sinnvolle Maßnahme wäre. Die Sicherheit der Radfahrer und Fußgänger würde sich erheblich erhöhen, so der DVR-Präsident. Als ehrenamtliches Mitglied der Deutschen Verkehrswacht sage ich: Viele Ehrenamtler sehen das genauso. Lieber Herr Storjohann, ich weiß, dass auch Sie Ehrenamtler in der Verkehrswacht sind. Fragen Sie doch einmal Ihre Ehrenamtler in Schleswig-Holstein, was die dazu sagen. (Gero Storjohann [CDU/CSU]: Haben wir schon!) Ich kenne deren Meinung. Ich lade Sie zu einer Diskussion nach Mecklenburg-Vorpommern ein. Da können Sie sich von diesen guten Argumenten überzeugen. Unverdächtig ist doch auch der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut. Dieser erklärte kürzlich, am 18. Juni, in einem Interview mit der Schweriner Volkszeitung: Schon seit Jahren empfehlen uns Verkehrssicherheitsexperten, dass 30 als Höchstgeschwindigkeit die Regel sein sollte und nicht 50. Viel spricht dafür. Wir sollten diesen Vorschlag weiterverfolgen. … Nicht angepasste Geschwindigkeit ist generell eine der Hauptursachen von Unfällen. Geringere Geschwindigkeit bedeutet kürzere Bremswege, weniger Unfälle und damit mehr Verkehrssicherheit für alle. Die seitens der Koalition hier vorgetragenen Zitate haben Sie sich, glaube ich, vom Mond geholt, oder Sie haben nur Halbzitate gebracht. (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Internet! – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Internet reicht! Bis zum Mond muss man da gar nicht!) Die Zitate, die ich aufgeführt habe, können Sie nachlesen. Ich lege Ihnen ans Herz, das zu tun. Ich möchte neben der Verkehrssicherheit noch einen zweiten Bereich ansprechen, die Lärmbelästigung. In der Stadt Ludwigslust in meinem Wahlkreis bemüht sich eine Bürgerinitiative seit Monaten darum, die Lärmbelästigung zu reduzieren. Die Stadt wird von mehreren Durchgangsstraßen durchzogen. Wegen der Regelung in der Straßenverkehrs-Ordnung gibt es die Notwendigkeit, dass jede einzelne Maßnahme im Detail begründet werden muss. Es fällt den dortigen Verkehrsbehörden schwer, eine solche Begründung für eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h zu finden. (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Der politische Wille!) Von daher müssen wir hier die Rahmenbedingungen schaffen. Ich spreche jetzt den Herrn Bundesbauminister an: Herr Ramsauer, wir warten noch auf eine Lieferung von Ihnen, nämlich die Baurechtsnovelle. Hiermit sind Sie schon ein Dreivierteljahr im Verzug. (Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: Das liegt im Kabinett!) – Ja, ja, aber die sollte ja schon im vergangenen Jahr im Plenum sein. Wir sind der Deutsche Bundestag und nicht das Kabinett. – Darin wollen Sie doch die Innenstädte stärken, Herr Ramsauer, mit unserem Zutun, Herr Götz. Wäre nicht eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h ein deutliches Zeichen für eine solche Innenstadtstärkung? (Peter Götz [CDU/CSU]: Das war aber nicht im Baugesetzbuch!) Bitte liefern Sie die Baurechtsnovelle. Wir diskutieren dann über diese Frage. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Hacker, als Verkehrspolitiker wissen Sie das Signal Rot zu deuten. (Heiterkeit) Hans-Joachim Hacker (SPD): Das Signal des Präsidenten kann ich sehr gut deuten. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich appelliere an die Koalition: Greifen Sie die Idee auf, diese Vorschläge ernsthaft zu prüfen. Ich glaube, wir haben einen guten Grund, diese Fragen in den nächsten Wochen weiter zu diskutieren. Vielen Dank, Herr Präsident. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Hans-Joachim Hacker. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Daniela Ludwig. Bitte schön, Frau Kollegin Ludwig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daniela Ludwig (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hacker, die Zitate Ihres Parteivorsitzenden müssen wir nicht vom Mond holen. Wenn Sie Ihren Vorsitzenden aber auf selbigen geschossen haben, nehmen wir das hiermit zur Kenntnis. So viel dazu. (Sören Bartol [SPD]: Sind Sie sein Facebook-Freund?) Wenn wir schon bei den Zitaten sind: Der Wissenschaftliche Beirat im nun von Peter Ramsauer geführten Haus hat die generelle Empfehlung für Tempo-30-Zonen schon unter dem Vorgänger Herrn Tiefensee ausgesprochen. Herr Tiefensee ist dann in eine intensive Prüfung mit sich selbst und vermutlich auch mit Ihnen zu diesem Thema gegangen. Das Ergebnis kennen wir, sonst hätten Sie diese Forderung nicht mehr stellen müssen: keine Übernahme der Empfehlung. Jetzt nehmen wir für uns genauso wie Herr Tiefensee in Anspruch, dass auch wir prüfen und auch wir zu einem anderen Ergebnis als der Wissenschaftliche Beirat in seiner Empfehlung kommen. Darüber können wir uns hier diskursartig austauschen. Damit habe ich kein Problem. Aber wenn man uns, nur weil wir zu einem anderen Ergebnis kommen – warum, sage ich gleich –, in dieser Sache unterstellt, wir hätten ein Problem mit der Verkehrssicherheit, wir seien gegen Verkehrssicherheit und wir wollten keine Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit einleiten, finde ich das der Sache, um es einmal vorsichtig auszudrücken, nicht zuträglich; denn wir haben in dieser Legislaturperiode unter Peter Ramsauer mit der Arbeitsgruppe Verkehr sowohl der FDP- wie auch der CDU/CSU-Fraktion eindrücklich das Gegenteil bewiesen. Zu den Themen Föderalismus und Subsidiarität und die Frage, wer über Tempo-30-Zonen entscheidet, ist viel gesagt worden. Das war sicherlich auch ein Grund, warum sich Ihr Kollege, der früher Oberbürgermeister war, gegen diese Empfehlung ausgesprochen hat; denn er weiß genauso gut wie wir alle hier, dass vor Ort am besten entschieden werden kann, auf welchen Straßen die Signalwirkung – das meine ich jetzt wirklich ganz ernst – einer Tempo-30-Zone dringend gebraucht wird. Das sind tatsächlich die Straßen, die Sie, Frau Kollegin Lühmann – da bin ich voll bei Ihnen –, beschrieben haben, also die Straßen, auf denen im Prinzip die gefährdeten Verkehrsteilnehmer unterwegs sind: kleine Kinder, Schüler, Kindergartenkinder, ältere Herrschaften. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das ist nicht nur vor Schulen, das ist beispielsweise auch der Schulweg!) Das sind aber auch die Straßen, in denen wir vor Lärm ganz besonders schützen wollen: Straßen in dichten Wohngebieten, vor Krankenhäusern und Seniorenheimen. An solchen Orten hat das Tempo-30-Schild eine -Signalwirkung; denn der Verkehrsteilnehmer merkt: Achtung, hier muss ich entweder aufpassen oder ich muss in dieser Gegend etwas leiser sein. – Diese Signalwirkung – sie ist mir sehr wichtig – würde durch eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses komplett verloren gehen. (Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sehr richtig!) Aus diesem Grunde wollen wir diese Umkehrung nicht. Nehmen Sie das einfach einmal als eines unserer Argumente an. Darüber können wir uns dann an anderer Stelle gerne auseinandersetzen. Aber das ist zunächst einmal unsere Meinung, und an der halten wir fest. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube tatsächlich, dass über die Einrichtung einer Tempo-30-Zone am besten vor Ort entschieden werden kann, weil es – das ist meine persönliche Empfindung; auch ich bin wie die meisten von uns kommunalpolitisch tätig – funktioniert: Wenn man eine Tempo-30-Zone einrichten will, kann man das gut begründen, und man bekommt sie dann auch da, wo man sie will. (Kirsten Lühmann [SPD]: Aber kein Streckenverbot!) Alles andere spricht nur für die Regelgeschwindigkeit von 50 km/h. Diese Regelgeschwindigkeit ist nicht per se verkehrsgefährdend, weil nicht jeder Autofahrer -aggressiv ist und es darauf anlegt, irgendjemanden in Gefahr zu bringen. Die meisten Autofahrer sind verantwortungsbewusst unterwegs und können ihre Geschwindigkeit einschätzen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das ist doch auch eine andere Verkehrskultur, die wir dann haben, wenn wir langsamer und rücksichtsvoller fahren!) Da, wo es gefährlicher ist, fahren sie langsamer, weil wir dort ein Tempo-30-Schild aufstellen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Wenn wir das dürfen! Aber das dürfen wir ja nicht!) So schwierig ist das nicht. Deswegen bleibe ich schlicht und ergreifend dabei: Die Regelung ist so, wie sie jetzt ist, gut. Sie hat sich bewährt. Ich werde jetzt keine Zitate anführen, weder von Ihrer Seite noch von unserer Seite. Die Kommunalpolitik hat in letzter Zeit deutlich signalisiert, was sie von diesem Vorschlag hält, nämlich nicht allzu viel. Deswegen wäre ich sehr froh, wenn wir es bei der jetzigen Regelung belassen könnten. Lassen Sie das die Kommunen entscheiden. Sie sind am nächsten dran. Es macht wenig Sinn, hier den Bundesgesetzgeber zu bemühen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Die Kommunen können es aber nicht!) – Sie können das sehr wohl; denn die Tatsache, dass es zu der Einrichtung von Tempo-30-Zonen gekommen ist, ist ein Beweis dafür, dass es funktioniert. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollegin Daniela Ludwig. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Peter Götz. Bitte schön, Kollege Peter Götz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Götz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht in dieser Debatte nicht um die Frage, ob Tempo 30 sinnvoll ist oder nicht. Es geht darum, wer die Entscheidung darüber zu treffen hat: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!) ob wir hier in Berlin oder ob die Kommunen dies zu entscheiden haben. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen, dass es der Bund ist!) Gegen Tempo-30-Zonen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber bitte nur dort, wo diese notwendig sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, in einer Erklärung gegenüber der Augsburger Allgemeinen, Herr Kollege Hacker. Die Erfahrung zeige – so Rainer Wendt weiter –, dass Autofahrer sich an Verkehrsvorschriften hielten, wenn diese für sie nachvollziehbar seien. Recht hat er. Genau deshalb lehnen wir die von Rot-Grün geplante bundesweite Gängelung der Autofahrer ab. Wir haben in Deutschland gut funktionierende Tempo-30-Zonen in Wohngebieten. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden von Strecken!) Mit einem bundesweiten Tempo 30 schwächen Sie diese massiv; denn Verkehr ist wie Wasser. Er sucht sich bei genereller Geschwindigkeitsbegrenzung den kürzesten Weg. (Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ja nicht um generelle Geschwindigkeitsbegrenzung!) Ob das dann ein Beitrag zur Verkehrssicherheit wird, Herr Kollege Bartol, wage ich zu bezweifeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber es gibt noch weitere Gründe, die gegen ein generelles Tempolimit in den Städten sprechen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Das fordert auch keiner!) Im Gegensatz zu Ihnen in der Opposition wollen wir, dass die Menschen vor Ort ihre Heimat selbst gestalten können. Dazu gehören auf der einen Seite die notwendigen finanziellen Spielräume der Kommunen, die wir -gerade in dieser Legislaturperiode mit der Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter, um nur ein Beispiel zu nennen, erheblich verbessert haben. Dazu gehört aber auch die kommunale Planungshoheit der Städte und Gemeinden. Die Verantwortlichen in den Kommunen wissen mit Sicherheit besser, was für ihre Stadt gut ist und was nicht. Sie setzen sich täglich mit den Bürgern auseinander und sollten deshalb selbst entscheiden können, wo sie eine Tempo-30-Zone für richtig halten und wo nicht. (Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig! Das wollen wir ja gerade! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Die dürfen das aber nicht!) Wir als Kommunalpartei halten die sachgerechten -Entscheidungen, die an Ort und Stelle getroffen werden, allemal für besser. (Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig!) Gerade beim innerörtlichen Verkehr lässt sich das sehr gut ablesen. Es gibt hervorragend funktionierende, von den Kommunen eingeführte Tempo-30-Zonen. Wir haben – das wurde vorhin bereits gesagt – Geschwindigkeitsbegrenzungen vor Schulen, Kindergärten und -Senioreneinrichtungen. In vielen Kommunen gibt es Spielstraßen mit Tempo 7, also Schrittgeschwindigkeit, sowie Fußgängerzonen, und das alles, ohne dass der Deutsche Bundestag irgendwann damit befasst wurde. Die ganze Palette der Verkehrsgestaltung ist ein wichtiger Bestandteil der kommunalen Planungshoheit, der in kommunaler Verantwortung bestens aufgehoben ist. (Kirsten Lühmann [SPD]: Und warum dürfen es die Celler dann nicht?) Nicht hierhin, sondern dorthin gehört das Thema. Wir nennen das Subsidiarität. Wir wollen, dass auf Bundesebene nur das geregelt wird, was vor Ort nicht eigenverantwortlich entschieden werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kirsten Lühmann [SPD]: Die wollen, aber können nicht!) Wir halten zentralistische Vorgaben des Deutschen Bundestages für die Gestaltung unserer Städte für falsch. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch, dass es falsch ist! Sie singen nicht das Hohelied der kommunalen Selbstverwaltung! Sie regeln auch Tempo 50 und geben es den Kommunen nicht frei!) Frau Lühmann, heute früh haben Sie im Unterausschuss Kommunalpolitik noch das Hohelied der kommunalen Selbstverwaltung gesungen. Aber dann, wenn es konkret wird, hat man das Gefühl, dass genau das Gegenteil passiert. Ich betrachte dies als scheinheilig. Die zusätzlichen sachlichen Gründe, die gegen eine generelle Einführung von Tempo 30 sprechen, (Kirsten Lühmann [SPD]: Die will gar keiner! – Sören Bartol [SPD]: Wer fordert denn das generelle Tempolimit? Niemand!) wie die Verdrängung des Verkehrs in Wohngebiete, höhere Umweltbelastung durch zusätzliche Stopps bei Rechts-vor-links-Verkehr oder die mit einer generellen Regelung verbundene Scheinsicherheit für Radfahrer und Fußgänger, wurden von den Vorrednern bereits angesprochen. Lassen Sie deshalb im Sinne von Bürgernähe und kommunaler Selbstverwaltung die Städte und Gemeinden selbst entscheiden, ob und wo sie in ihrem Stadt--gebiet Tempo 30 gut finden und wo nicht. Verschonen Sie die Menschen in unserem Land mit Ihren ideologisch geprägten zentralistischen Verwirrspielchen und populistischen Forderungen! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts verstanden!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Peter Götz. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU Kollege Volkmar Vogel. Bitte schön, Kollege Volkmar Vogel. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Kirsten Lühmann [SPD]: Reden Sie jetzt mal zu unseren Forderungen?) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen wir doch das ganze Geeiere, die Ausreden, die Erklärungen und die Dementis der Kollegen von SPD und Grünen einmal beiseite. Am Ende dieser Debatte wird eines klar: Rot-Grün will nicht nur Tempo 130 auf den Autobahnen. Rot-Grün will auch Tempo 30 in allen Städten unseres Landes. Damit das hier ganz klar gesagt wird: Für mich ist das ein Angriff auf die Mobilität in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Es wird auch klar: Am liebsten würde Rot-Grün den -Individualverkehr ganz abschaffen, aber nicht nur das. Es kommt noch dicker – Peter Götz hat es gerade ausführlich dargelegt –: Es wird die zentralistische Absicht verfolgt, die Selbstbestimmung der Kommunen auch in diesem Punkt einzuschränken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Mein Gott! Das ist die ganz große Keule!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, die Städte sind doch heute keine mittelalterlichen Bollwerke mehr, mit vier Stadttoren und von einer Stadtmauer umgeben. Moderne Städte von heute haben eine Dienstleistungsfunktion für ihr Umland. Große Städte haben eine Metropolfunktion auch überregional. Wenn uns das bewusst ist, dann muss uns auch klar sein, dass Städte nur dann eine Chance haben, wenn sie frequentiert werden können. Damit sie frequentiert werden können, brauchen wir zügig fließenden Verkehr und schnelle Verbindungen. Da hilft uns Tempo 30 mit dem dann zu erwartenden Schleichverkehr im gesamten Stadtgebiet überhaupt nicht. Das Thema Verkehrssicherheit berührt uns alle. Hier macht es sich keiner von uns leicht. Die Ergebnisse der letzten Jahre beweisen: Unsere Politik mit Gero Storjohann als unserem verkehrspolitischen Sprecher ist erfolgreich. Die Verkehrsstatistiken belegen das. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte deutlich sagen: Das Problem, vor dem wir in den Städten stehen, ist nicht Tempo 50, sondern es sind diejenigen, die sich nicht an Tempo 50 halten und durch die Städte rasen. Das bedarf hohen Kontrollaufwands sowie Aufklärung und Beratung der Verkehrsteilnehmer. Tempo 50 ist richtig. Aber es gibt durchaus -Zonen, in denen diese Geschwindigkeit gesenkt werden muss – darauf haben meine Vorredner schon hingewiesen –: vor Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist 50 nicht auch unzulässig zentralistisch?) Aber die Kommunen bestimmen selbst, wo Tempo-30-Zonen eingerichtet werden sollen. Sie haben schon jetzt die Instrumente dafür. (Kirsten Lühmann [SPD]: Nein, haben Sie nicht! Reden Sie einmal mit denen!) Aus unserer Sicht sind Tempo-30-Zonen in Wohnquartieren, wo es richtig und wichtig ist, den Verkehr zu -beruhigen, besonders geeignet. Zur Umwelt. Wir alle sind Autofahrer. Was passiert denn bei Tempo 30? Wir zuckeln hochtourig und im Schleichgang durch die Stadt. Das führt am Ende dazu, dass die Schadstoffbelastung nicht sinkt, sondern steigt. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines darlegen: Die Argumente von SPD und Grünen widersprechen sich auch in sich. Wenn Sie behaupten, dass Tempo 30 die Städte leiser, sauberer und für die Menschen sicherer macht, dann kann ich nicht verstehen, warum Sie, wenn es um Entlastungsprojekte – auch im Schienenbereich – geht, die dafür sorgen, dass der überregionale Schwerlastverkehr in den Städten verringert wird, Probleme sehen und der Meinung sind, dass wir keine Umgehungsstraßen brauchen. Ich will es ganz deutlich sagen: Umgehungsstraßen sind an erster Stelle für die Menschen gedacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Sören Bartol [SPD]: Wer hat denn etwas anderes gesagt?) Sie entlasten unsere Städte und sorgen für mehr Sicherheit, nicht nur auf der Umgehungsstraße selbst, sondern auch in den Innenstädten, sowohl für Fußgänger und Radfahrer als auch für andere Verkehrsteilnehmer. Sie sorgen außerdem dafür, dass der Schadstoffausstoß in vertretbaren Grenzen bleibt. Wir, CDU/CSU und FDP, wollen Mobilität. Mobilität ist ein wichtiger Wachstumsfaktor in unserem Land. Die Bürger wollen und die Bürger müssen heutzutage mobil sein. Unsere Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass den Bürgern das möglich ist. Verkehrssicherheit, Ökologie und Mobilität müssen keine Gegensätze sein. Die Kommunen gestalten in ihren Orten die notwendigen Regelungen dazu selbst. CDU, CSU und FDP sind die Bürgerparteien und die Kommunalparteien. Dabei bleibt es. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kirsten Lühmann [SPD]: Dann gebt den Kommunen doch endlich die Möglichkeit!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Volkmar Vogel. Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Patrick Schnieder. Bitte schön, Kollege Patrick Schnieder. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Debatte heute im Rahmen der Aktuellen Stunde offenbart doch einige besondere Befindlichkeiten und nötigt zu interessanten Feststellungen. Erstens. Ich bin erstaunt darüber, mit welchem Aufwand Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, versuchen, aus einem zunächst einmal ernstgemeinten Vorschlag jetzt nur noch einen Prüfungsauftrag zu machen. Sie tun so, als ob man das einfach einmal nebenbei überlegen und in die -Debatte werfen kann. (Sören Bartol [SPD]: Sie müssen unsere Anträge richtig lesen!) Sie, lieber Herr Bartol, zeihen uns des falschen -Verständnisses dessen, was Sie vorgeschlagen haben. Zugleich ist Ihr Vorschlag eine Anklage gegen Ihren eigenen Parteivorsitzenden und Ihren eigenen Fraktionschef hier im Bundestag; denn sie haben das genauso wie wir verstanden und Ihnen gesagt, dass das ein Vorschlag ist, der nicht machbar ist. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich stelle zugleich sehr interessiert fest, dass es doch eigentlich nicht darum geht, dass wir Tempo 30 dort anordnen, wo es die Sicherheit oder der Lärmschutz erfordern. Das können wir. Sie selbst haben die Zahlen -genannt. In einigen Städten, auch in Großstädten, ist auf 70 bis 80 Prozent der Verkehrswege Tempo 30 angeordnet. Interessant ist die Denke, die hier präsentiert wird. Es geht nämlich um das Verständnis von Verkehrspolitik und um das allgemeine Politikverständnis, das Sie mit diesem Vorschlag an den Tag gelegt haben. Zunächst einmal scheren Sie alles über einen Kamm. Vollkommen undifferenziert soll überall zunächst einmal Tempo 30 gelten. Wir wollen da, wo es möglich ist, flüssigen Verkehr garantieren. Wir wollen keine Schleichverkehre in den Städten. Wir wollen aber da, wo es die Sicherheit gebietet, die Einrichtung von Tempo-30--Zonen ermöglichen. Wenn Sie auf den Deutschen Städte- und Gemeindebund gehört hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass wir gar nicht in der Lage sind, Tempo 30 überall dort zu kontrollieren, wo Sie es gerne anordnen würden. Der Kollege Volkmar Vogel hat zu Recht gesagt, dass das tatsächlich gefahrene Tempo entscheidend ist, und nicht das, das angeordnet wird, aber nicht durchgesetzt werden kann. Zweitens. Sie offenbaren ein mittlerweile schon bekanntes Verständnis von Verkehrspolitik, vor allem was Straßenverkehr und Individualverkehr angeht. Sie behindern, Sie verhindern, Sie erschweren und Sie verzögern Projekte des Infrastrukturneubaus. (Widerspruch bei der SPD) Sie wollen jetzt über eine solche Regelung Verkehre erschweren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Sören Bartol [SPD]: Die Regierung ist der größte Verhinderer!) – Lieber Herr Bartol, überall dort, wo Sie mit den Grünen zusammen regieren, in Nordrhein-Westfalen, in -Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und jetzt auch in Schleswig-Holstein, verhindern Sie Verkehrsinfrastrukturinvestitionen. Sie wollen Verkehre auf den -Straßen verhindern. Der Vorschlag, den Sie hier gemacht haben, geht in dieselbe Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Sören Bartol [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Deshalb hat der Verkehrsminister vollkommen recht: Wir wollen Mobilität ermöglichen und Mobilität fördern – in den Städten und überall da, wo wir flüssige Verkehre wollen und brauchen. Drittens. Auf Ihr Politikverständnis ist schon eingegangen worden. Ich möchte das zusammenfassen. Sie stehen mit Ihrem Vorschlag für Zentralismus und Bevormundung. Wir wollen Subsidiarität. Wir wollen keine Bestrafung oder Erziehungsmaßnahmen für Autofahrer, sondern wir wollen, dass die Menschen vor Ort entscheiden, wie die Situation dort zu bewerten ist und welche Schlüsse zu ziehen sind. Unsere Gemeinden vor Ort -wissen am besten, wo sie Tempo-30-Zonen einzurichten haben und wo nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, mein Appell und meine Bitte: Wenden Sie sich doch bitte Themen zu, bei denen wir Mobilität und Verkehrspolitik voranbringen und nicht Mobilität verhindern. Wenden Sie sich doch nicht den Bremserthemen zu, sondern den Themen, mit denen wir die Zukunft für unser Land gut gestalten können und die uns voranbringen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Patrick Schnieder. Damit sind wir nicht nur am Schluss unserer Aktuellen Stunde, sondern auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Juni 2012, 9 Uhr, ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.15 Uhr) Berichtigung 184. Sitzung, Seite VI und 22010 C (Tagesordnungspunkt 22 a): Statt „Harald Weinberg“ ist „Marcus Weinberg (Hamburg)“ zu lesen. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 27.06.2012 Bahr (Münster), Daniel FDP 27.06.2012 Bockhahn, Steffen DIE LINKE 27.06.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 27.06.2012 Gabriel, Sigmar SPD 27.06.2012 Goldmann, Hans-Michael FDP 27.06.2012 Granold, Ute CDU/CSU 27.06.2012 Hempelmann, Rolf SPD 27.06.2012 Hunko, Andrej DIE LINKE 27.06.2012* Klose, Hans-Ulrich SPD 27.06.2012 Kolbe (Leipzig), Daniela SPD 27.06.2012 Kramme, Anette SPD 27.06.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 27.06.2012 Liebich, Stefan DIE LINKE 27.06.2012 Lindner, Christian FDP 27.06.2012 Luksic, Oliver FDP 27.06.2012 Röspel, René SPD 27.06.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 27.06.2012 Schummer, Uwe CDU/CSU 27.06.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 27.06.2012* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der Lehrerausbildung (184. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/SCSU): Die Qualität eines Bildungssystems hängt entscheidend von der Qualifikation der Lehrerschaft ab. Gute Schule und gute Lehrer bewirken guten Unterricht! Lehrer fungieren als Vermittler zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und der jungen Generation. Insbesondere sind sie es, die jungen Menschen neben den Eltern das Rüstzeug mitgeben, dass diese sich in die Gesellschaft einbringen und einen erfolgreichen Berufsweg beschreiten können. Und nicht zuletzt sollen sie Motivator sein, um die Lebensgestaltung junger Menschen positiv zu beeinflussen. Wir alle in diesem Hause haben hier unsere persönlichen Erfahrungen und könnten sofort eine Lehrerin bzw. einen Lehrer nennen, der uns im Leben motiviert hat. Wir haben gute bis sehr gute Lehrer. Sie sind zu einem großen Teil sehr engagiert und verstehen es, ihre Schülerinnen und Schüler zu motivieren. Aber das Anforderungsprofil an die Lehrerschaft hat sich besonders in den vergangenen Jahren gewandelt. Verschiedene internationale und nationale Vergleichsstudien haben die enormen Herausforderungen beschrieben, denen sich die deutschen Schulen und damit vor allem die Lehrerschaft gegenübersehen. Insbesondere die zunehmende Heterogenität der Lerngruppen in Verbindung mit den Herausforderungen der Integration sowie die verstärkt differenzierten Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft machen eine Anpassung der Lehrerausbildung erforderlich. Ebenso ist belegt, dass die Qualität des Unterrichts durch die Lehrkräfte ein entscheidender Faktor für das Kompetenzniveau und die Entwicklung von Schülern mit unterschiedlichen Voraussetzungen ist. Eine weitere Herausforderung liegt in der Zusammensetzung der Lehrerschaft: Über die Hälfte sind älter als 50 Jahre. Die unter 40-Jährigen bilden mit 27 Prozent hingegen eine relativ kleine Gruppe. Unter 30 Jahre sind lediglich 6 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer. Eine ältere Lehrerschaft bedeutet zwar nicht automatisch einen Verlust an Unterrichtsqualität, doch eine gut durchmischte Zusammensetzung in der Altersstruktur der Lehrer verstärkt auch einen größeren Erfahrungs- und Kompetenzaustausch. Es ist erstrebenswert, den Lehrerberuf attraktiver zu machen, um mehr Abiturienten für ein Lehramtsstudium zu gewinnen. Der Lehrerberuf muss für junge Menschen wieder erstrebenswerter werden! Eine weitere Herausforderung ist die begrenzte Mobilität von Lehramtsstudierenden und aktiv tätigen Lehrkräften zwischen den einzelnen Bundesländern. Durch die nach wie vor uneinheitliche Anerkennung von Stu-dienleistungen und Abschlüssen der verschiedenen Bundesländer existieren unnötige Hemmnisse, die einen konstruktiven bundesweiten Austausch didaktischer und fachlicher Expertise innerhalb der Lehrerschaft erschweren. Daher sollte es auch Ziel sein, die Mobilität angehender und aktiver Lehrer zu fördern. Dies im Einklang mit dem föderalen Bildungssystem zu gestalten, ist Herausforderung und Chance zugleich. Dem Wandel dieser Anforderungen und den aktuellen Herausforderungen muss die Bildungspolitik Rechnung tragen. Die kontinuierliche Verbesserung Deutschlands im PISA-Ranking spricht zwar dafür, dass in den Schulen vieles gut läuft, aber es gibt Verbesserungsbedarf. Daher müssen auch Strukturen und Inhalte der Lehrerbildung überprüft und verbessert werden, sei es im fachlichen, didaktischen oder auch im methodischen Bereich. Für eine Verbesserung der Lehrerbildung bedarf es eines Steins des Anstoßes, der die Öffentlichkeit und die Lehrer der Zukunft für die Notwendigkeit exzellenter Lehrerbildung sensibilisiert. Ein solcher erster Schritt und Impuls kann – wie bei den Hochschulen bereits bewiesen – in einer Exzellenzinitiative liegen. Die von uns auf den Weg gebrachte „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ hat zum Ziel, die Lehrerausbildung und -weiterbildung fortzuentwickeln. Ziel ist es, durch Förderung universitärer Initiativen, die in einem Wettbewerb bewertet und gefördert werden, nachhaltige Impulse zu setzen – Impulse dafür, die Bedeutung der Lehrerbildung an Hochschulen aufzuwerten und sie aus der „Nische“ ins Zentrum der universitären Profilbildung zu rücken. So soll ein Qualitätsschub in Forschung und Lehre erreicht werden. Damit soll die Lehrerbildung in ihrer ganzen Breite weiterentwickelt werden, und das Schulsystem soll ebenso profitieren. Die Exzellenzinitiative soll im Rahmen eines Wettbewerbs stattfinden. Dabei können einzelne Hochschulen oder Hochschulen im Verbund Zukunftskonzepte einreichen, die eine praxisorientierte und forschungs- bzw. evidenzbasierte Lehrerbildung zum Inhalt haben. Die Auswahl erfolgt anhand verschiedener Kriterien wie dem aktuellen Stand der Forschung oder klarer Berufsfeldorientierung. Ebenso soll das Konzept die Fach-didaktik stärken und, damit einhergehend, eine fundierte Wissensbasis für die angehenden Lehrer schaffen. Die Bewertung erfolgt durch eine externe Jury. Die ausgewählten Hochschulen können für fünf oder zehn Jahre gefördert werden und sollten sich dazu verpflichten, das Konzept nach Auslaufen der Förderphase institutionell zu sichern. Die ausgewählten Konzepte werden so zu Leuchttürmen der -Lehrerbildung und können als solche flächendeckend wahrgenommen werden. Gerade von einem Leuchtturmprojekt wie einer Exzellenzinitiative für die Lehrerbildung kann eine Strahlkraft für die gesamte Schullandschaft ausgehen, von der eine positive Wirkung für das gesamte Bildungswesen ausgehen kann. Wir wollen sehr gute Schüler, sehr gute Lehrer, sehr gute Bildung – mit der Exzellenzinitiative für Lehrerbildung kommen wir diesem Ziel wieder ein Stück näher. Die Bildungsrepublik Deutschland nimmt langsam Gestalt an. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 1): Wann tagen in dieser Wahlperiode noch die Beratungskommissionen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die Reaktor-Sicherheitskommission, die Strahlenschutzkommission und die Entsorgungskommission und ihre jeweiligen Fachausschüsse (bitte mit Angabe des genauen Datums und vollständiger Angabe aller bis dato geplanten Termine)? Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, übergibt eine Liste der Termine der BMU-Beratungskommissionen. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 2): Welche tschechischen Rechtsgrundlagen, wie zum Beispiel das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, sind für das – grenzüberschreitende – Verfahren Kernkraftwerk Temelin 3 und 4 nach Kenntnis der Bundesregierung relevant (bitte mit exakter Bezeichnung), und wo sind diese in der aktuellen Fassung in einer offiziellen deutschen Übersetzung verfügbar (zum Beispiel online, bitte gegebenenfalls mit genauer Internetadresse)? In Deutschland richtet sich das Beteiligungsverfahren bei ausländischen Kernkraftwerksprojekten nach § 9 b des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, UVPG, in Verbindung mit § 24 des Atomgesetzes, AtG. Daher sind bei dem Projekt Temelin 3 und 4 die Umweltministerien in Sachsen und Bayern zuständig. Beide Länderministerien haben vom Bundesumweltministerium in seiner Eigenschaft als „Espoo-Kontaktstelle“ die von der tschechischen Seite Mitte 2008 erfolgte Notifizierung weitergeleitet bekommen und sich für eine Beteiligung an dem tschechischen Verfahren entschieden. Laut dem Notifizierungsschreiben wird das Vorhaben einem Feststellungsverfahren gemäß § 7 des Gesetzes der Tschechischen Republik über die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Änderung einiger zusammenhängender Gesetze (UVP-Gesetz, Nr. 100/2001 GBl.) in der Fassung späterer Vorschriften unterzogen. Eine offizielle deutsche Übersetzung des tschechischen UVP-Gesetzes ist der Bundesregierung nicht bekannt. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 5): Welche konkreten Ziele verfolgt die Bundesregierung mit dem in Medienberichten vom 19. Juni 2012 (www.ftd.de/politik/deutschland/:energiewende-altmaier-bastelt-an-masterplan-fuer-akw-abriss/70051684.html) genannten „Masterplan“ zum Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke, und wie sieht dieser Masterplan inhaltlich aus? Für die Stilllegung der Anlagen sind die Betreiber zuständig. Diese müssen hierfür ein Stilllegungskonzept vorlegen und eine Genehmigung bei der zuständigen atomrechtlichen Landesbehörde beantragen. Aus Sicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, wäre es allerdings hilfreich, wenn dafür ein „Masterplan“ aufgestellt werden könnte. Auch hierfür wären die Betreiber zuständig. Bei der Errichtung der Kraftwerke wurden gute -Erfahrungen mit einem einheitlichen Verfahren gemacht. Auch beim Rückbau könnte ein einheitliches Vorgehen, natürlich in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Baulinien, sinnvoll sein. Dies könnte die technische -Prozedur ebenso erleichtern wie die Genehmigungs--verfahren. Da 2011 acht Kernkraftwerke gleichzeitig vom Netz genommen wurden, soll mit diesem Vorgehen eine Optimierung des Vorgehens auf der Basis des geltenden Rechts erreicht werden. Das BMU wird demnächst die Betreiber der betroffenen Anlagen zu einem Gespräch einladen. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 6): Welche Gesetzesvorhaben plant die Bundesregierung bezüglich des Rückbaus stillgelegter Atomkraftwerke, und welchen Zeitplan verfolgt sie dabei? Es gibt keine Pläne im Bundesumweltministerium für Gesetzesvorhaben bezüglich des Rückbaus. Die Zuständigkeiten bei der Stilllegung und beim Rückbau der 2011 abgeschalteten Kernkraftwerke sind klar gesetzlich geregelt. Das BMU sieht keinen Anlass, dies zu verändern. Für die Stilllegung der Anlagen bleiben die Betreiber zuständig. Diese müssen hierfür ein Stilllegungskonzept vorlegen und eine Genehmigung bei der zuständigen atomrechtlichen Landesbehörde beantragen. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Dirk Becker (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 9): Wie positioniert sich die Bundesregierung zu den Plänen des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Philipp Rösler, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG, in ein Quotenmodell zu überführen, und welche Vorhaben laufen diesbezüglich in den Ressorts? Die Bundesregierung hält, in Umsetzung des Koali-tionsvertrags zwischen CDU, CSU und FDP, an dem Fördersystem des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, fest. Ungeachtet dessen lässt die Bundesregierung jeweils im Zusammenhang mit den regelmäßigen Evaluierungen des EEG Perspektiven für die Fortentwicklung des Gesetzes wissenschaftlich untersuchen. Hierzu zählen insbesondere die Vorhaben zur wissenschaftlichen Begleitung des EEG-Erfahrungsberichts. Vorhaben zur Novellierung des EEG – außer der derzeit im Vermittlungsverfahren befindlichen Novellierung – liegen nicht vor. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Dirk Becker (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 10): Wie viele Industriebetriebe machen von der Regelung zum industriellen Eigenverbrauch nach § 37 Abs. 3 Satz 2 Buchstabe b EEG und der Übergangsregelung nach § 66 Abs. 15 Gebrauch, und welche Strommenge ist somit von der EEG-Umlage befreit? Gestützt auf wissenschaftliche Untersuchungen der Prognos AG (www.eeg-kwk.net/de/file/Letztverbrauch_ 2012_111012.pdf) haben die deutschen Übertragungsnetzbetreiber für die Kalkulation der EEG-Umlage 2011 und 2012 die von der EEG-Umlage befreite Eigenerzeugung auf 48,6 Terawattstunden – im Jahr 2011 – bzw. 50,3 Terawattstunden – im Jahr 2012 – geschätzt. Genaue Informationen zur Anzahl der dieser Abschätzung zugrundeliegenden Unternehmen liegen der Bundes-regierung nicht vor. Sie wird diese Frage im Zuge der gerade anlaufenden wissenschaftlichen Vorhaben im nächsten EEG-Erfahrungsbericht untersuchen lassen. Zur Inanspruchnahme der Übergangsregelung nach § 66 Abs. 15 EEG liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 11): Welche Kraftwerke mit einer elektrischen Leistung größer als 50 Megawatt, die aktuell noch in Betrieb sind, müssen spätestens Ende 2012 stillgelegt werden, weil die Betreiber auf Retrofit der Anlagen verzichtet haben, um die verschärften Anforderungen der Dreizehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, 13. BImSchV, aus dem Jahr 2004 nicht einhalten zu müssen (bitte Auflistung der einzelnen Kraftwerksblöcke einschließlich der elektrischen Leistung)? Die Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, 13. BImSchV, gilt für Anlagen mit einer Feuerungswärmeleistung von 50 Megawatt oder mehr. Nach § 20 Abs. 3 konnte sich ein Betreiber für eine begrenzte Restlaufzeit seiner unveränderten Anlage entscheiden. Die zur Anpassung technisch überholter Anlagen an verschärfte Anforderungen eingesparten Mittel standen damit für Investitionen in neue Anlagen zur Verfügung. Nach vorliegenden Informationen aus acht Bundesländern liegen Anträge für elf Anlagen mit insgesamt 4 800 Megawatt Feuerungswärmeleistung in 33 Kraftwerksblöcken vor. Davon stehen in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Schleswig-Holstein bis Ende 2012 noch 3 800 Megawatt zur endgültigen Stilllegung an; die übrigen 1 000 Megawatt sind bereits stillgelegt oder betreffen Anlagen, die keinen Strom produzieren. In den Bundesländern Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen liegen keine Absichtserklärungen von Betreibern vor. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 21): Wie schätzt die Bundesregierung den Mehrbedarf im Rahmen der Studienplatzfinanzierung des Hochschulpaktes 2020 in den Jahren 2013, 2014 und 2015 ein, und welche haushalterischen Vorkehrungen hat sie zu dessen Ausfinanzierung vorgesehen? Die Bundesregierung hat entsprechend ihrer rechtlichen Verpflichtung die erforderliche Vorsorge getroffen, um den steigenden Studierendenzahlen und den finanziellen Auswirkungen beim Hochschulpakt im Haushaltsjahr 2013 vollständig Rechnung zu tragen. Ausschlaggebend für eine weitere mögliche Entwicklung des Hochschulpaktes – Phase II – ist gemäß Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, GWK, von Bund und Ländern vom 20. April 2012 die Schnellmeldung des Statistischen Bundesamtes im Dezember 2012. Hier bleiben die weiteren Beratungen abzuwarten. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 22): Wird die Bundesregierung die vereinbarten Teilzahlungen für die Jahre 2013 und 2014 an die Länder im Rahmen des Hochschulpakts 2020 zur Studienplatzfinanzierung planungsgemäß auszahlen können, ohne die Ausgabenbegrenzung in § 2 der Verwaltungsvereinbarung zur zweiten Programmphase des Hochschulpakts 2020 ein weiteres Mal anheben zu müssen? Bund und Länder haben zuletzt in der GWK am 20. April 2012 die Laufzeit des Hochschulpakts bis 2020 bekräftigt und die steigenden Studienanfängerzahlen der letzten Jahre begrüßt. In Reaktion auf die Entwicklung der Studienanfängerzahlen bis 2010 und auf die Aussetzung der Wehrpflicht hat die Bundesregierung ihre Zusagen für die zweite Programmphase des Hochschulpakts 2011 bis 2015 massiv erhöht und stellt nun für diesen Zeitraum gut 4,8 Milliarden Euro bereit. Ausschlaggebend für eine weitere mögliche Entwicklung des Hochschulpakts – Phase II – ist gemäß Beschluss der GWK vom 20. April 2012 die Schnellmeldung des Statistischen Bundesamts im Dezember 2012. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Oliver Kaczmarek (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 23): Teilt das BMBF die in der Antwort des Bundesminis-teriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD auf Bundestagsdrucksache 17/9896 enthaltene Feststellung, dass die Entwicklung der Bildungsinfrastruktur nicht Bundeszuständigkeit sei und infolgedessen auch keine Forschungsaktivitäten eingeleitet würden, und welche eigenen Aktivitäten zur Forschung über Bildungsräume der Zukunft hat das BMBF bereits eingeleitet? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, teilt die Feststellung, dass die Entwicklung der Bildungsinfrastruktur aufgrund der föderalen Kompetenz-ordnung des Grundgesetzes bei den Ländern liegt. Zum Umfang der Forschungsaktivitäten wird in der genannten Antwort der Bundesregierung Stellung genommen. Weitergehende Aktivitäten zur Forschung über Bildungsräume der Zukunft sind vom BMBF nicht eingeleitet worden. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 24): Inwiefern teilt das BMBF die im nationalen Bildungsbericht formulierte These, dass durch Leistungen wie das Betreuungsgeld die im Bericht intendierten quantitativen und qualitativen Ziele insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung nicht zufriedenstellend realisiert werden können? Der aktuelle Bildungsbericht (http://www.bildungsbe richt.de/zeigen.html?seite=10203) belegt die hohe Priorität für Bildung in Deutschland und die deutlichen Verbesserungen, die in den vergangenen Jahren erreicht wurden. Der Bildungsbericht betont die wichtige Rolle sowohl der Familie als auch von Bildungseinrichtungen für den Verlauf von Bildungsbiografien. Das Betreuungsgeld ist eine familienpolitische Leistung, die eine Lücke in der derzeitigen Unterstützung für Familien füllt. Seine Finanzierung ist im Entwurf für den Bundeshaushalt gesichert. Es steht weder politisch noch finanziell in Konkurrenz zum Ausbau der Kinderbetreuung, im Gegenteil: Beide Initiativen ergänzen einander und bringen die Wertschätzung des Staates und der Gesellschaft für verschiedene Lebensentwürfe von Familien zum Ausdruck. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 25): Liegen der Bundesregierung Informationen dahin gehend vor, dass sich auch andere wissenschaftsstarke Nationen nach der Entscheidung von Bundesministerin Dr. Annette Schavan, dass Deutschland Vollmitglied im Kreis der Organisatoren des Square Kilometre Array wird, dazu entschließen werden, sich an diesem Großprojekt zu beteiligen, und wie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung, das Square Kilometre Array sowohl in Südafrika als auch in Australien zu bauen? Der Bundesregierung liegen keine Informationen über weitere Entscheidungen anderer Nationen vor. Die SKAO hat auf der Grundlage von Empfehlungen eines Expertengremiums entschieden, die Teleskopschüsseln und Antennenfelder für mittlere Radiofrequenzen in Südafrika und Nachbarstaaten sowie Antennenfelder für niedere Radiofrequenzen in Australien und Neuseeland zu installieren. Mit der beschlossenen Dual-site-Lösung sollen die hohen Anforderungen an den Standort der Teleskope, beispielsweise die Gewährleistung möglichst geringer Radiointerferenzen über die gesamte Betriebszeit, Anforderungen an das Terrain, Infrastruktur und Kosten, möglichst optimal berücksichtigt werden. Aus Sicht der Bundesregierung ist die beschlossene Dual-site-Lösung geeignet, die großen Herausforderungen und Chancen, die dieses Projekt mit seiner globalen Ausrichtung mit sich bringt, auf mehrere Schultern zu verteilen. Die Bundesregierung ist sich aber auch bewusst, dass diese Dual-site-Lösung einen sehr sorgfältigen Aufbau der zukünftigen Governance-Strukturen erfordert. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 26): Mit welchen Gesamtkosten für den Bundeshaushalt rechnet die Bundesregierung nach aktuellem Planungsstand für den Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland entscheidet, sich finanziell an Bau und Betrieb des Square Kilometre -Array zu beteiligen? Seit Anfang 2012 befindet sich der SKA in einer vierjährigen Konzeptionsphase, in der der SKA zur Baureife -geführt werden soll. Zur Durchführung dieser Konzep-tionsphase wurde am 23. November 2011 die SKAO gegründet. Das BMBF wird in Kürze gemeinsam mit der MPG der SKAO mit dem Mindestbeitrag in Höhe von insgesamt 1 Million Euro über vier Jahre beitreten. BMBF und MPG waren bereits zur Vorbereitung der Gründung der SKAO am SKA Founding Board beteiligt, der Beitrag zum Founding Board betrug 50 000 Euro und wurde ebenfalls gemeinsam aufgebracht. Der Beitritt zur SKAO ist kein Präjudiz für eine Beteiligung an Bau und Betrieb des SKA. Wegen des noch sehr frühen Planungsstands sind Kostenschätzungen noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Derzeit wird von Kosten für den Bau des SKA von rund 1,5 Milliarden Euro, Bezugsjahr 2007, und von Betriebskosten in Höhe von rund 150 Millionen Euro pro Jahr ausgegangen. Deutschland wird erst am Ende der Konzeptionsphase auf Grundlage einer genaueren Projektkonzeption und Kostenschätzung darüber entscheiden, ob und in welcher Höhe sich Deutschland gegebenenfalls an Bau und Betrieb von SKA beteiligt. Die Bundesregierung wird den Deutschen Bundestag in den üblichen Verfahren in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 27): Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den aktuellen Empfehlungen der Reaktor-Sicherheitskommission für den Betrieb der Forschungsreaktoren (Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung deutscher Forschungsreaktoren, RSK-SÜ, vom 3. Mai 2012) unter Angabe möglicher Nachrüstungen, Anpassungen und des vorgesehenen Zeitplans für aktualisierte Sicherheitskonzepte – sowie der Vorsorge im Regierungsentwurf 2013 für entsprechende Maßnahmen –, und wie hoch sind aktuell im Einzelnen die sogenannten Null-betriebskosten der stillgelegten früheren Forschungsreaktoren (nach Standorten) unter Angabe der in dieser Legislatur-periode erzielten Kostensenkungen? Die Reaktor-Sicherheitskommission, RSK, bescheinigt den drei betrachteten Forschungsreaktoren in ihrer Stellungnahme „Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung, RSK-SÜ, deutscher Forschungsreaktoren unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima-I (Japan)“ insbesondere bei Hochwasser und bei einem Ausfall der externen Stromversorgung aufgrund der Standortgegebenheiten und der Anlagenauslegung auch unter extremen Bedingungen eine hohe Robustheit. Für die übrigen Themen aus dieser Robustheitsüberprüfung der Forschungsreaktoren ergeben sich unter Berücksichtigung des unterschiedlichen und im Vergleich zu Leistungs-reaktoren wesentlich geringeren Risikopotenzials differenzierte Bewertungen mit anlagenspezifisch unterschiedlichen Empfehlungen. Die für die Aufsicht über diese Forschungsreaktoren zuständigen Behörden der Länder Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz sind nun aufgefordert, die erforderlichen Schritte zur Umsetzung der Empfehlungen der RSK für die jeweils ihrer Aufsicht unterstehende Anlage einzuleiten. Nur beim Berliner Reaktor können sich daraus gegebenenfalls Folgen für haushaltstechnische Vorsorge des Bundes ergeben; die Forschungsreaktoren an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und an der Technischen Universität München werden von den Ländern Rheinland-Pfalz und Bayern betrieben. Die Nullbetriebskosten früherer Forschungsreaktoren vor Beginn der Rückbauphase betragen für den im sicheren Einschluss befindlichen FR 2, WAK, circa 77 000 Euro in 2009, 76 000 Euro in 2010 und 235 000 Euro in 2011 sowie für den ebenfalls im sicheren Einschluss betriebenen THTR circa 1,4 Millionen Euro in 2009, 1,7 Millionen Euro in 2010 und 1,7 Millionen Euro in 2011. Der in 2010 abgeschaltete FRG 1, HZG, befindet sich in der Nachbetriebsphase; Nullbetriebskosten könnten erst nach Stilllegung angegeben werden. Anlage 17 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen) (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 30): Wie beurteilt das BMZ die Abschlusserklärung des G-20-Gipfels von Los Cabos und die von der 101. ILO-Konferenz beschlossene Empfehlung zum Social Protection Floor – vor allem hinsichtlich der Bedeutung nationaler Basisschutzsysteme als Instrument zur weltweiten Armutsbekämpfung sowie der besonderen Rolle internationaler und multilateraler Organisationen bei der Implementierung –, und beabsichtigt die Bundesregierung, vor allem das BMZ und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, diese von ihr auf internationaler Ebene mitgetragene Position auch durch eine aktive Politik, zum Beispiel durch die Wiedereinführung einer thematischen Zielgröße für den Bereich Soziale Sicherung und/oder die Erhöhung der freiwilligen Beiträge zur ILO bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2013, zu unterstützen? Das BMZ ist mit der G-20-Gipfelerklärung sehr zufrieden. Die Entwicklungspolitik nimmt einen signifikanten Teil des Kommuniqués ein, und deren Bedeutung für die G-20-Agenda wird in der Erklärung unterstrichen. Auch die Empfehlungen der 101. IAO-Konferenz zum sozialen Basisschutz, Social Protection Floor, begrüßen wir ausdrücklich. Deutschland hat von Beginn an die Bemühungen der Internationalen Arbeitsorganisation, IAO, für eine solche Empfehlung aktiv unterstützt und wird sich als Mitglied des Verwaltungsrats an dessen Umsetzung beteiligen. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung, Einzelplan 11 (BMAS), sind für die IAO freiwillige Beiträge zur Förderung des sozialen Basisschutzes für das Jahr 2013 vorgesehen und für 2014 geplant. Das BMZ setzt die Empfehlungen der IAO-Konferenz bereits in seiner bilateralen Zusammenarbeit um. Zurzeit fördern wir Projekte im Wert von circa 150 Millionen Euro, die unmittelbar soziale Sicherungssysteme in unseren Partnerländern stärken. Das Engagement des BMZ im Bereich der sozialen Sicherung ist damit so hoch wie nie zuvor. Anlage 18 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen) (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 31): In welcher Weise wird das BMZ auf die unzureichenden Ergebnisse der Rio+20-Konferenz (Zitat Bundesminister Dirk Niebel in der Süddeutschen Zeitung vom 21. Juni 2012: „Das Glas ist halbvoll; ich hätte mir natürlich ein volles Glas gewünscht“) politisch reagieren, und welche Schwerpunkte wird das BMZ bei der Umsetzung der künftigen Sustainable Development Goals, SDG, setzen? Wichtig ist, dass in Rio grundlegend wichtige Weichenstellungen erfolgten – insofern ist das Glas mehr als halbvoll. Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass wir in der Konkretisierung von Prozessgestaltung und Inhalten weiter vorangeschritten wären. Es kommt jetzt maßgeblich darauf an, die Entscheidungen von Rio mit -Leben zu füllen und konstruktiv zu begleiten. Für die SDG bedeutet das, dass wir sowohl den Prozess als auch die Inhalte konkretisieren und mitgestalten werden. Deutschland hat sich in Rio aktiv dafür eingesetzt, dass eine Vereinbarung zu globalen Nachhaltigkeits--zielen, Sustainable Development Goals, SDG, in das Abschlussdokument aufgenommen wird. Dies ist ein wichtiges Ergebnis der Konferenz und bietet die Grundlage für die Vereinbarung und Ausgestaltung konkreter Ziele. Wir werden uns in den in Rio vereinbarten Prozess zur Erarbeitung der SDG aktiv einbringen und uns dabei dafür einsetzen, dass die SDG zügig festgelegt werden und in eine übergreifende Post-2015-Agenda einfließen. Anlage 19 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 32): Welche zusätzlichen und neuen Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien hat das BMZ seit 2010 unternommen, und auf welche Partnerländer beziehen sich diese? Energie, vor allem erneuerbare Energien, ist ein zentrales Thema der deutschen Entwicklungszusammen-arbeit, EZ. Das BMZ fördert gegenwärtig mit einem -integrierten Instrumentenmix die Verbreitung der erneuerbaren Energien in mehr als 60 Partnerländern. Energie ist mittlerweile der größte Förderbereich des BMZ. Die deutsche EZ hat allein dafür im Jahr 2011 insgesamt 1,8 Milliarden Euro an ODA-fähigen Gesamtleistungen aufgebracht. Damit gehört das BMZ zu den drei größten bilateralen Gebern im Energiesektor. Die zusätzlichen und neuen Maßnahmen des BMZ im Bereich der erneuerbaren Energien seit 2010 sind vielfältig. Unter anderem unterstützt das BMZ die Umsetzung des marokkanischen Solarplans, die Stärkung der Qualitätsinfrastruktur in der Solarindustrie in Indien sowie den Aufbau einer dezentralen Stromversorgung durch erneuerbare Energien in Afghanistan, um nur drei Beispiele zu nennen. Neue und zusätzliche Maßnahmen auf bilateraler Ebene wurden seit 2010 mit 17 Partnerländern sowie einer Reihe regionaler und internationaler Organisationen im Bereich erneuerbarer Energien geschlossen. Außerdem unterstützt die Bundesregierung die „Initiative nachhaltige Energie für alle“ des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Fragen des Abgeordneten Frank Schwabe (SPD) (Drucksache 17/10015, Fragen 35 und 36): Wie beurteilt die Bundesregierung das Verpressen von Abwässern, die bei der unkonventionellen Förderung von Erdgas, Fracking. entstehen, in ehemalige Lagerstätten oder andere unterirdische Gesteinsformationen? Gibt es aus Sicht der Bundesregierung alternative Handlungsmöglichkeiten für den Umgang mit Fracking-Abwässern anstelle des Verpressens? Zu Frage 35: Die bei der Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten anfallenden Wässer bestehen aus einer Mischung von Lagerstättenwasser und Frackfluiden. Lagerstättenwässer enthalten je nach standortbezogenen Gegebenheiten verschiedene natürlich vorkommende Substanzen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um aus dem Gestein gelöste Salze und um verschiedene organische Stoffe, darunter auch potenziell gesundheitsgefährdende Verbindungen. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens werden die Bestandteile des Frackfluids der zuständigen Behörde offengelegt. Eine Verpressung der Abwässer darf nur in geeigneten Gesteinshorizonten des tieferen Untergrundes bzw. in ehemaligen Lagerstätten erfolgen. Die gesamte Genehmigung und Überwachung der Handhabe der Abwässer ist Aufgabe der zuständigen Behörden der Bundesländer. Einschlägig sind die Regelungen des Bundesberggesetzes, des Wasserhaushaltsgesetzes, der Tiefbohrverordnungen der Länder und der Länderwassergesetze. Derzeit ist unbekannt, ob, in welchem Umfang und mit welcher Technologie in Deutschland Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten wirtschaftlich gewinnbar ist. Jedoch müssen aus Sicht der Bundesregierung im Rahmen von Zulassungsentscheidungen bei der Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten die Umweltauswirkungen grundsätzlich berücksichtigt und der Trinkwasserschutz sichergestellt werden. Vor diesem Hintergrund wird der gesetzliche Änderungsbedarf bezüglich der Fracking-Technologie derzeit geprüft. Zu Frage 36: Nach Information der Bundesregierung werden aus dem unmittelbar nach einem Frack zurückgeförderten Wasser über Abscheider Feststoffe bzw. nichtflüssige Bestandteile abgetrennt und separat entsorgt. Außerdem sind international die Anstrengungen verstärkt worden, zukünftig möglichst ganz auf die Verwendung giftiger Chemikalien zu verzichten. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 38): Welche „Instrumente zur Erleichterung der zeitnahen und planbaren Refinanzierung von Investitionen“ plant die Bundesregierung bei der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes mit aufzunehmen (siehe Antwort der Bundesregierung auf meine Mündliche Frage 81, Plenarprotokoll 17/183, Anlage 51), und wie sollen diese konkret ausgestaltet sein? Die Diskussion im Ressortkreis ist noch nicht abgeschlossen. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Fragen der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Fragen 39 und 40): Um wie viel Cent ist der Strompreis für private Haushalte in den letzten zehn Jahren durchschnittlich angestiegen, und welcher Anteil am jeweiligen Preisanstieg war dabei nicht durch das EEG bedingt, aufgeschlüsselt nach Jahren? Welche Maßnahmen kartellrechtlicher oder anderer Art hat die Bundesregierung zur Minimierung des nicht EEG-bedingten Anstiegs der Verbraucherpreise für Strom ergriffen? Zu Frage 39: In den letzten zehn Jahren, 2003 bis 2012, ist der durchschnittliche Strompreis für Haushaltskunden in Deutschland von 17,17 Cent je Kilowattstunde um 8,58 Cent je Kilowattstunde auf 25,75 Cent je Kilowattstunde angestiegen. Dieser Strompreis für einen repräsentativen Haushalt mit einem jährlichen Stromverbrauch von 3 500 Kilowattstunden hat sich im Zeitraum 2003 bis 2012 in seine einzelnen Preisbestandteile wie folgt entwickelt: – Erzeugung, Transport und Vertrieb, inklusive Netz-entgelte: um 3,82 Cent je Kilowattstunde angestiegen – Konzessionsabgabe: keine Veränderung – KWK-Umlage: um 0,308 Cent je Kilowattstunde reduziert – EEG-Umlage: um 3,17 Cent je Kilowattstunde angestiegen – Ökosteuer/Stromsteuer: keine Veränderung – Umsatzsteuer: um 1,74 Cent je Kilowattstunde angestiegen – § 19-StromNEV-Umlage, seit 2012: 0,15 Cent je Kilowattstunde. Ein Überblick des jährlichen durchschnittlichen Strompreises für Haushalte und seiner einzelnen Bestandteile in dem Zeitraum von 2003 bis 2012 ist in der Ihnen übersandten Tabelle enthalten. Zu Frage 40: Das Bundeskabinett hat am 2. Mai 2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas verab-schiedet (vergleiche Bundesratsdrucksache 253/12). Die Markttransparenzstelle erleichtert es den zuständigen Behörden, Marktmanipulationen oder missbräuchliches Verhalten aufzudecken und zu ahnden. Funktionierender Wettbewerb auf den Großhandelsmärkten wiederum trägt naturgemäß zu wettbewerbskonformen Preisen für den Verbraucher bei. Das Bundeskabinett hat zudem am 28. März 2012 das Achte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschlossen (vergleiche Bundestagsdrucksache 17/9852). Damit soll die bislang bis zum 31. Dezember 2012 befristete Geltungsdauer der Regelung zur verschärften Preismissbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen im Bereich der leitungsgebundenen Elektrizitäts- und Gasversorgung, § 29 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, um fünf Jahre bis zum 31. Dezember 2017 verlängert werden. Die Vorschrift hatte eine Brückenfunktion, bis die vom Gesetzgeber im Übrigen ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen im Energiebereich ihre Wirkung entfaltet haben. Da im Energiebereich immer noch kein strukturell nachhaltig gesicherter Wettbewerb herrscht und die Regelung den Kartellbehörden die Wahrnehmung der Preismissbrauchsaufsicht erleichtert, wird sie um weitere fünf Jahre verlängert. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Fragen 41 und 42): Welche Gründe sieht die Bundesregierung für die unterschiedlichen Ergebnisse bei der Meldung von neuinstallierten Photovoltaikanlagen zwischen den Daten der Bundesnetzagentur und den Daten der Übertragungsnetzbetreiber, und hält die Bundesregierung angesichts dieser Unterschiede es für gerechtfertigt, die Daten der Bundesnetzagentur für die Vergütungssenkungen der Photovoltaik heranzuziehen? Aus welchen Gründen wird die Veröffentlichung der Datensätze zur Meldung von neuinstallierten Photovoltaikanlagen durch die Bundesnetzagentur nicht kurzfristig nach Ablauf eines Monats für den vorhergehenden Monat veröffentlicht, und hält die Bundesregierung diese verspätete Meldung für eine verlässliche Basis der vorgesehenen monatlichen Vergütungssenkung bei der Photovoltaik? Zu Frage 41: Die Differenz zwischen Angaben der Übertragungsnetzbetreiber zu den im Vorjahr in Betrieb genommenen Photovoltaikanlagen und den von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Daten liegt in der unterschiedlichen Aktualität der Daten wie auch in dem unterschiedlichen Anknüpfungspunkt der Zuordnung zu einer bestimmten Periode. Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass die Übertragungsnetzbetreiber noch nicht über das vollständige Datenmaterial für 2011 verfügen. Es ist der Bundesnetzagentur bekannt, dass die Erfassung der Photovoltaikdaten durch die Verteilnetzbetreiber und die Weitergabe der Informationen an die Übertragungsnetzbetreiber insbesondere in Zeiten eines starken Zubaus teils sehr zeitverzögert erfolgen. Dies hat bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass Datenmeldungen der Übertragungsnetzbetreiber an die Bundesnetzagentur zur installierten Leistung verschiedener EEG-Energieträger für ein bereits gemeldetes Jahr nachträglich noch bereinigt wurden. So wurde beispielsweise der Wert für das Jahr 2009 nach der Erstmeldung in 2010 im Jahr 2011 durch die Übertragungsnetzbetreiber erheblich nach oben korrigiert, von 3,8 Gigawatt auf 4,4 Gigawatt. Zu ergänzen ist, dass für die Bundesnetzagentur das Eingangsdatum der Photovoltaikdatenmeldungen maßgeblich ist, da § 20 a EEG auf in einem bestimmten Zeitraum eingegangene Meldungen für die Ermittlung des Degressionssatzes abstellt. Die Meldungen werden deshalb nach dem jeweiligen Eingangsdatum gegliedert. Für die Netzbetreiber hingegen ist der Zeitpunkt der Inbetriebnahme relevant, da dieser maßgeblich für die Bestimmung des für die einzelne Anlage geltenden Vergütungssatzes ist. Insoweit unterscheidet sich die Datenlage der Bundesnetzagentur von der der Netzbetreiber. Die Bundesregierung hält es aufgrund der höheren Aktualität der BNetzA-Daten für gerechtfertigt, diese Daten für die Vergütungsabsenkung heranzuziehen. Zu Frage 42: Die Bundesnetzagentur hat seit 2009 die gesetzliche Verpflichtung, die Degressions- und Vergütungssätze im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesumweltministerium im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Hierfür hatte die Bundesnetzagentur nach den letzten zu berücksichtigenden Daten regelmäßig nur einen Monat Zeit. Diese Frist konnte bislang immer eingehalten werden. Detailliertes Datenmaterial wurde zeitgleich oder kurz danach veröffentlicht. Eine Verpflichtung, über die Veröffentlichungen im Bundesanzeiger bzw. die im EEG genannten Fristen hinausgehend Daten zu veröffentlichen, besteht nach derzeitiger Rechtslage nicht, sodass von keiner verspäteten „Meldung“ der Bundesnetzagentur gesprochen werden kann. Die Veröffentlichung detaillierten Datenmaterials erfolgt, nachdem die der Bundesnetzagentur gemeldeten Daten einer Prüfung auf Auffälligkeiten unterzogen wurden. Im Fall möglicherweise doppelt erfolgter Meldungen wie auch bei Meldungen von sehr großen Anlagen erfolgt in der Regel eine persönliche Rückfrage beim Anlagenbetreiber. Diese Recherchen sind entsprechend zeitintensiv. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 43): Hat das Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG Anträge oder informelle Voranfragen zur Genehmigung des Exports von Leopard-2-Kampfpanzern -gegenüber der Bundesregierung zurückgezogen oder zurückgestellt, und wenn ja, warum? Wie unter anderem im „Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2010“, Seite 17, dargelegt, äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht zu Voranfragen über die Genehmigungsfähigkeit bestimmter Ausfuhrvorhaben. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über Voranfragen ist oft noch vollkommen ungewiss, ob das geplante -Vorhaben später realisiert werden soll und wird. Sie sind daher kein tauglicher Gradmesser zur Bewertung der Rüstungsexportpolitik. Zudem könnten mögliche Mit-bewerber aus der Veröffentlichung eines geplanten, aber noch nicht abgeschlossenen Vorhabens Wettbewerbsvorteile ziehen. Dies gilt insbesondere für informelle Voranfragen, jedoch auch für zurückgezogene Anträge. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 44): Hat sich die Bundesregierung die Genehmigung eines Reexports von in Spanien in Lizenz produzierten Kampfpanzern des Typs Leopard 2 vorbehalten, und liegt ihr inzwischen eine entsprechende Voranfrage vor? Die Bundesregierung verweist auf die Antwort auf Ihre schriftliche Frage im Monat Mai 2012 Nr. 353. -Darin wurde dargelegt, dass der Bundesregierung Angaben zu etwaigen Reexportvorbehalten aufgrund ihrer Verpflichtung zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen nicht möglich sind. Grundsätzlich gilt, dass für im Ausland mit deutscher Technologie hergestellte Rüstungsgüter Exportanträge bei der Bundesregierung zu stellen sind, soweit dies nach den zuvor im Zusammenhang mit der Lizenzvergabe erteilten Ausfuhrgenehmigungen für Technologie in Form von Know-how, Fertigungsunterlagen und -maschinen oder Komponenten vorgesehen ist. Zudem sind derartige Produktionen im Ausland regelmäßig dauerhaft auf genehmigungspflichtige Zulieferungen aus Deutschland angewiesen. Der Bundesregierung liegt keine Genehmigungsanfrage der spanischen Regierung oder eines spanischen Unternehmens für den Export in deutscher Lizenz in Spanien produzierter Kampfpanzer vor. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 45): Inwieweit bestätigt die Bundesregierung Medienberichte, unter anderem Bild vom 17. Juni 2012, wonach Saudi-Arabien 600 bis 800 fabrikneue deutsche Panzer Leopard 2 – wohl Modell 2 A7+ – für circa 10 Milliarden Euro kaufen wolle, davon 300 per unterschriftsreifem Vertrag bis 20. Juli 2012, deren Typ dort schon langzeitgetestet werde, welche die spanische Firma General Dynamics in Lizenz montieren solle, jedoch der Bundessicherheitsrat die für Anfang Juni 2012 vorgesehene Befassung damit kurzfristig bis zum 20. Juli 2012 verschoben habe, und – falls dies grundsätzlich zutrifft – teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass ein solcher Export in ein offensichtliches Spannungsgebiet mit der offensichtlichen Gefahr des Missbrauchs der Panzer gegen die -Zivilbevölkerung den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ eklatant widerspräche und daher vom Bundessicherheitsrat nicht genehmigt werden dürfe, wie von zwei Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt signalisiert worden sein soll? Der Bundesregierung sind Medienberichte über das angebliche Kaufinteresse von Saudi-Arabien bezüglich 600 bis 800 Panzer des Typs Leopard 2 bekannt. Die Bundesregierung nimmt zu diesen spekulativen Presseberichten nur insofern Stellung, als ihr kein Antrag auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung für die endgültige Ausfuhr von bis zu 800 Panzern des Typs Leopard 2 nach Saudi-Arabien vorliegt. Im Übrigen äußert sich die Bundesregierung nicht zu den Sitzungen des Bundessicherheitsrats, weder zu deren Zeitpunkt noch zu deren Inhalt. Diese unterliegen der Geheimhaltung. Zu hypothetischen Fragen nimmt die Bundesregierung keine Stellung. Sie wissen, dass die Bundesregierung bei allen Entscheidungen über die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen für den Export von Rüstungsgütern die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und den „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ beachtet. Dabei werden alle relevanten Umstände des einzelnen Falls berücksichtigt. Bewertungen von Ihnen vorgetragener hypothetischer Sachverhalte nimmt die Bundesregierung hingegen nicht vor. Im Übrigen wird auf die Antwort des Staatssekretärs Dr. Bernhard Heitzer vom 21. Juli 2011 auf die Frage der Kollegin Claudia Roth verwiesen (Bundestagsdruck-sache 17/6658 Seite 26). Anlage 27 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 47): Wird die Bundesregierung den deutschen Botschafter in Kasachstan beauftragen, den am 15. Juni 2012 in Almaty verhafteten Theaterregisseur und diesjährigen Goethe-Preisträger Bolat Atabajew baldmöglichst im Gefängnis zu besuchen? Die Bundesregierung ist besorgt über die Nachricht, dass Herr Bolat Atabajew am 15. Juni 2012 in Unter-suchungshaft genommen wurde. Bolat Atabajew hat sich durch seine langjährige Tätigkeit als künstlerischer Direktor des Deutschen Theaters in Almaty große Verdienste um die deutsch-kasachischen Kulturbeziehungen erworben. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass Bolat Atabajew am 28. August 2012 nach Weimar reisen kann, um dort die Goethe-Medaille persönlich entgegenzunehmen. Die Bundesregierung erwartet von dem OSZE-Mitglied Kasachstan ein Vorgehen, das rechtsstaatlichen Maßstäben entspricht. Die deutsche Botschaft in Kasachstan wird das Vorgehen der kasachischen Behörden weiterhin sorgfältig beobachten. In diesem Zusammenhang wird sie sich auch gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Union für einen Gefängnisbesuch einsetzen. Anlage 28 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des Abgeordneten Niema Movassat (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Fragen 48 und 49): Wie wahrscheinlich ist es aus Sicht und aufgrund der Informationslage der Bundesregierung, dass in naher Zukunft ein Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, VN, für eine militärische Intervention in Mali durch die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS zustande kommt, und welche Position hat die Bundesregierung diesbezüglich in den Treffen und Gesprächen zwischen dem Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union, AU, und dem VN-Sicherheitsrat vertreten bzw. beabsichtigt die Bundesregierung hierzu als Mitglied im VN-Sicherheitsrat künftig einzunehmen? Welche Kriterien müssen aus Sicht der Bundesregierung für ein Mandat durch den VN-Sicherheitsrat für eine militärische Intervention in Mali gegeben sein, zu der Presseberichten zufolge der VN-Sicherheitsrat grundsätzlich durch die ECOWAS-Staatengemeinschaft zum Schutz der malischen Übergangsregierung und/oder zur Bekämpfung der Rebellen im Norden Malis bereit ist, und würde sich die Bundesregierung an einer solchen Intervention in Mali militärisch, logistisch, beratend oder sonstwie beteiligen, falls es zu einem solchen VN-Mandat kommen sollte? Zu Frage 48: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner Presseerklärung vom 15. Juni 2012 die Bitte der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und der Afrikanischen Union, AU, zur Autorisierung einer Stabilisierungsmission zur Kenntnis genommen, welche die staatlichen Einrichtungen in der Republik Mali sichern sowie zur Wahrung der territorialen Integrität des Landes und zur Bekämpfung des Terrorismus beitragen soll. Der Rat hat sich bereit erklärt, die Anfrage zu prüfen, sobald zusätzliche Informationen vorliegen. Voraussetzung für die Mandatierung einer ECOWAS-Mission ist die Zustimmung der Übergangsregierung von Mali. Diese liegt bisher nicht vor. Eine Resolution des Rates zur Mandatierung einer Mission ist deshalb vorerst nicht zu erwarten. Dies schließt aber eine politische Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zur Unterstützung einer Verhandlungslösung nicht aus. Zu Frage 49: Die Bundesregierung sieht Verhandlungen als den vielversprechendsten Weg zur Lösung der derzeitigen Krise an. Eine Mission der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und der Afrikanischen Union, AU, könnte den politischen Prozess unter Umständen in einem späteren Stadium sinnvoll ergänzen. Zentrale Voraussetzung hierfür wäre das Einverständnis Malis. Nach Kenntnis der Bundesregierung liegt dieses derzeit nicht vor. Zudem müsste eine Mission über ein klares, sinnvolles und realistisch umsetzbares Mandat verfügen. All dies ist derzeit nicht absehbar. Insofern stellt sich die Frage nach einer deutschen Unterstützung entsprechender ECOWAS-Aktivitäten nicht. Anlage 29 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 50): Unter welchen Umständen bewertet die Bundesregierung einen Cyberangriff als eine Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit nach Art. 2 der UN-Charta, wie es die USA angekündigt haben und aus dem Pentagon mit „Wer die Stromnetze unseres Landes sabotiert, muss mit Raketen im Schornstein rechnen“ kommentieren, Spiegel Online, 1. Juni 2011, und warum wird die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat nicht tätig, damit dieser feststellt, dass Cyberangriffe auf den Iran durch die Schadprogramme Stuxnet und Flame, The Washington Post, 19. Juni 2012, einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung darstellen, bzw. Empfehlungen abgibt oder Maßnahmen trifft, um die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen (vergleiche Art. 39 der UN-Charta)? Bestimmte Erscheinungsformen eines Cyberangriffs können im Einzelfall eine gemäß Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen verbotene Gewalthandlung darstellen. Voraussetzung ist insbesondere, dass die völkerrechtlich zu definierende Schwelle der Gewaltanwendung bzw. Gewaltandrohung erreicht wird und dass ein Angriff nach völkerrechtlichen Maßstäben zurechenbar ist. Ebenso wie bei der Einordnung eines Cyberangriffs als bewaffneter Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts kommt es in jedem Fall auf die konkreten Auswirkungen einer solchen Cyberoperation an. Reaktionen betroffener Staaten bzw. der internationalen Gemeinschaft haben im Einklang mit den Vorgaben des Völkerrechts zu erfolgen. Sie können – abhängig von den gegebenen Voraussetzungen – von diplomatischen Mitteln über Maßnahmen der Vereinten Nationen bis hin zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung reichen. Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen wären gemäß Art. 39 der Charta der Vereinten Nationen bei einer Bedrohung oder einem Bruch des Friedens oder einer Angriffshandlung denkbar. Hinsichtlich der in der Frage angesprochenen Vorgänge besteht aus Sicht der Bundesregierung keine Begründung für eine auf Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen gestützte Initiative. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 51): Inwieweit verhandelt die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Dialoge über Migration, Mobilität und Sicherheit mit den entsprechenden Ländern, insbesondere Libyen, Tunesien, Marokko, auch über polizeilichen Informationsaustausch, Grenzmanagement, Strafverfolgung und die Einbeziehung der EU-Agenturen, und auf welche Weise sind hierzu in den oben aufgeführten Ländern auch andere zwischenstaatliche Institutionen der UNO, die Frontex oder das Global Counterterrorism Forum beteiligt, das sich beispielsweise mit Aspekten der Grenzkontrolle in der Sahelregion befasst? Die Dialoge zu Migration, Mobilität und Sicherheit haben konkrete Fortschritte erzielt. Mit Tunesien verhandelt die EU derzeit über eine gemeinsame Erklärung über eine Mobilitätspartnerschaft. Ein entsprechender Entwurf liegt auch für die Mobilitätspartnerschaft mit Marokko vor. Die Mobilitätspartnerschaften sehen unter anderem auch eine Zusammenarbeit im Bereich irregulärer Migration und bei integriertem Grenzmanagement vor. Ferner sind die Entwicklung von Informationsaustausch und operativer Zusammenarbeit zur Kriminalitätsbekämpfung vorgesehen. Den Dialog führen die Kommission, der EAD und die beteiligten EU-Mitgliedstaaten. Die EU-Agenturen Frontex, EASO und Europol werden dabei als Unterstützung im Rahmen ihrer Mandate eingebunden. Die Vereinten Nationen und das Global Counterterrorism Forum sind nicht beteiligt. Mit Libyen gab es noch keine offiziellen Gespräche zum Dialog über Migration, Mobilität und Sicherheit. Für weitere Details verweise ich auf die Beantwortung Ihrer schriftlichen Frage für den Monat April 2012 (Frage Nr. 4/89, vom 18. April 2012) und die Antwort auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 17/9894, vom 22. Juni 2012) der Fraktion Die Linke. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 52): Inwieweit bestätigt die Bundesregierung Medienberichte, unter anderem Berliner Zeitung vom 16. Juni 2012, wonach im Rahmen einer sogenannten Operation Rennsteig federführend das Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, nebst dem Militärischen Abschirmdienst, MAD, zusammen mit dem thüringischen Verfassungsschutz 1997 bis 2003 Rechtsextremisten des „Thüringer Heimatschutzes“ bzw. die mutmaßlichen NSU-Mörder, NSU: „Nationalsozialistischer Untergrund“, mit zeitweise bis zu zehn V-Leuten überwachten, jedoch das BfV Letztere nicht in seiner diesbezüglichen Datei registrierte, sowie im Jahr 2011 mindestens sieben diesbezügliche Fallakten als „dienstlich nicht mehr notwendig“ vernichtete, und wie ist diese Aktenvernichtung – falls dies grundsätzlich zutrifft – nach Auffassung der Bundesregierung zu beurteilen angesichts dessen, dass drei wegen Sprengstoffdelikten gesuchte ehemalige Angehörige des „Thüringer Heimatschutzes“ 1998 untergetaucht und bis zum 4. November 2011 nicht wieder aufgetaucht waren? Nach Abwägung des Aufklärungs- und Informationsinteresses des Abgeordneten mit dem Staatswohl, das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen gefährdet werden kann, ist eine offene Beantwortung im Rahmen des Verfahrens der Mündlichen Frage ausgeschlossen. Angaben zu V-Leuten und nachrichtendienstlichen Operationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, BfV, sind evident geheimhaltungsbedürftig, weil das Bekanntwerden von Einzelheiten zu Arbeitsweisen, Strategien, Methoden und Erkenntnissen der Nachrichtendienste die Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des Inlandsnachrichtendienstes gefährden könnte (vergleiche BVerfGE, 124, 124, 193f.). Die V-Mann-Führung ist eines der wichtigsten nachrichtendienstlichen Mittel des BfV. Alle Details hierzu unterliegen bereits intern der besonderen Geheimhaltung. Auch die Angaben von V-Mann-Zahlen sind gemäß den internen Vorschriften des BfV nur wenigen mit dieser Tätigkeit betrauten Personen bekannt. Dies dient dem Schutz der Zugänge sowie den dahinterstehenden Personen und der ihrer Natur nach geheimhaltungs--bedürftigen Arbeitsweise der V-Mann-Führung. Ein Bekanntwerden der Zahlen kann darüber hinaus auch nicht zutreffende Schlussfolgerungen über die Fähigkeit des BfV zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung nach sich ziehen. Der Militärische Abschirmdienst, MAD, hat mitgeteilt, dass ihm das Projekt „Operation Rennsteig“ bekannt ist. Es existiert jedoch keine Akte über das Projekt. Der MAD ist für die Beobachtung und Bearbeitung ex-tremistischer Organisationen nicht zuständig. Die im Rahmen der Aufgabenerfüllung des MAD anfallenden Informationen werden an die zuständigen Verfassungsschutzbehörden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen übermittelt. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 53): Strebt das BMBF die Einführung einer „einheitlichen Wissenschaftsschranke“ im Urheberrecht an, und hält die Bundesregierung die Einführung einer solchen Schranke für zielführend? Innerhalb der Bundesregierung ist das Bundesministerium der Justiz federführend für das Urheberrecht und seine Schrankenregelungen zuständig. Die Erörterungen über die Einführung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke im Urheberrecht innerhalb der Bundesregierung sind noch nicht abgeschlossen. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Sevim Da?delen (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 54): Wann erhielt die Bundesregierung erstmals Hinweise auf die Spionagetätigkeit eines 47 Jahre alten Deutsch-Marokkaners, der unter anderem Oppositionelle und Anhänger und Unterstützer der Befreiungsbewegung für die Westsahara Frente POLISARIO und die Berliner Projektgruppe West-sahara im Auftrag des marokkanischen Geheimdienstes ausgeforscht haben soll (vergleiche Zeit Online vom 15. Februar 2012), und welche weiteren Aktivitäten marokkanischer Geheimdienste gegen die saharauische Opposition sind der Bundesregierung in Deutschland bekannt? Gegenstand der Anfrage ist ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof gegen den deutschen und marokkanischen Staatsangehörigen Mohammed B. Die Bundesanwaltschaft hat gegen diesen am 2. Mai 2012 beim 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin Anklage wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit – § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB – sowie der Urkundenfälschung – § 267 StGB – erhoben. Mit der Anklageschrift wird dem Angeschuldigten im Wesentlichen zur Last gelegt, Informationen über in Deutschland lebende Marokkaner an den marokkanischen Geheimdienst weitergegeben zu haben. Insbesondere soll er Informationen über Anhänger der Widerstands-bewegung für die Westsahara Frente POLISARIO beschafft haben. Der Hinweis auf die Spionagetätigkeit des Angeschuldigten B. wurde im Mai 2011 von einer deutschen Sicherheitsbehörde erteilt. Aus den Ermittlungen zu B. resultiert ein weiteres Verfahren, welches ebenfalls beim Kammergericht angeklagt ist. Gegen einen weiteren Beschuldigten wird ebenfalls wegen desselben Vorwurfs ermittelt. Verfahren gegen zwei weitere Personen aus demselben Tatkomplex sind bereits rechtskräftig abgeschlossen. Gegen einen Angeklagten verhängte das Oberlandesgericht Celle am 20. April 2011 eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Das Verfahren gegen den anderen Angeklagten wurde vom Oberlandesgericht Celle am 12. Oktober 2011 gegen Zahlung einer Geldbuße wegen geringer Schuld gemäß § 153 a StPO eingestellt. Diese Verfahren wurden aufgrund von Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf aus einem dortigen Ermittlungsverfahren eingeleitet. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 55): Wie bewertet die Bundesregierung den jüngsten Presse-bericht über die Beteiligung deutscher Neonazis an der Vor-bereitung des Olympiaattentats von 1972 – „Braune Hilfe“, Der Spiegel, 18. Juni 2012 –, und welche Schlüsse zieht sie daraus in Bezug auf eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Aktenbestände deutscher Behörden zum Olympiaattentat und die Gedenkfeiern zum 40. Jahrestag, die im August und September 2012 in London, München und Fürstenfeldbruck stattfinden werden? Der GBA führt seit dem Jahr 1999 ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Mordes im Zusammenhang mit der Ermordung israelischer Staatsangehöriger und eines deutschen Polizeibeamten bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Das Verfahren wurde im Jahr 1999 von der Staatsanwaltschaft München I übernommen. Die Beteiligung des später als deutscher Neonazi identifizierten Willy Pohl an Vorbereitungshandlungen des mutmaßlichen Drahtziehers Mohamed Daoud -Mohamed Odeh, alias Abu Daoud, zum Olympiaattentat ergibt sich aus dem 1999 in Paris/Frankreich erschienenen autobiografischen Buch Palästina, von Jerusalem nach München des inzwischen verstorbenen Abu Daoud. So hat Abu Daoud in diesem Buch berichtet, dass er Ende Juni 1972 in Dortmund Willy Pohl kennengelernt habe, der angegeben habe, für die Organisation „Fatah“ gearbeitet zu haben. Pohl habe ihm Anfang Juli 1972 beim Kauf eines Gebrauchtwagens geholfen. Er, Abu Daoud selbst, habe erst 1974 festgestellt, dass Pohl in Wirklichkeit rechtsextrem war. Spätere Ermittlungen zu diesen Kontakten förderten jedoch strafrechtlich relevante Erkenntnisse nicht mehr zu Tage. Der im Pressebericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom 18. Juni 2012 erwähnte „Schlussbericht der Münchner Kriminalpolizei vom 23. Juli 1973“ ist bei den 1999 von der Staatsanwaltschaft München I über-gebenen Sachakten nicht auffindbar. In ihrem Vorlage-bericht vom 17. Juni 1999 hat die Staatsanwaltschaft München I aufgeführt, dass man die Akten – aus den Jahren 1972 und 1977 – nach Erscheinen des oben genannten Buchs im Mai 1999 „neu geordnet und angelegt“ habe. Im Rahmen einer offiziellen Berichtsanfrage bei der Generalstaatsanwaltschaft München soll geklärt werden, ob sich dieser Bericht noch bei der Staats-anwaltschaft München I oder bei der Kriminalpolizei München befindet. Bei dieser Sachlage lassen sich derzeit weder Schlüsse in Bezug auf eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung noch auf die Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Olympiaattentats von 1972 ziehen. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler (SPD) (Druck--sache 17/10015, Frage 56): Wie ist der derzeitige Verhandlungsstand der Gespräche innerhalb der Bundesregierung, bezogen auf die Antwort der Bundesregierung auf meine Mündliche Frage 72, Plenarprotokoll 17/177, Anlage 44, zur Aufhebung der Haushaltssperre der Verpflichtungsermächtigungen beim internationalen Klima- und Umweltschutz des Sondervermögens Energie- und Klimafonds und zur zukünftigen konkreten Mittelverteilung, und wann ist mit abschließenden Erkenntnissen für eine mögliche Entsperrungsvorlage an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu rechnen? Die Bundesregierung hat sich auf den in der Entsperrungsvorlage des Bundesministeriums der Finanzen (Ausschussdrucksache 17 (8) 4527) vorliegenden Vorschlag geeinigt. Hierin wird die Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zur Aufhebung der Sperre in Höhe von 380 Millionen Euro beantragt. Die Entsperrungsvorlage wird in der heutigen Sitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages beraten. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Richard Pitterle (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 57): Wie werden laufende Verluste aufgrund einer atypischen stillen Beteiligung unter dem Regime der Abgeltungsteuer einkommensteuerlich vor dem Hintergrund des Werbungs-kostenabzugsverbots behandelt, und wie ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf § 15 a des Einkommensteuergesetzes, EStG, in § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG zu verstehen, der eine mögliche steuerliche Berücksichtigung von Verlusten bis zur Einlage erlaubt? Einkünfte aus einer atypisch stillen Beteiligung sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz. Die im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer relevante Frage des pauschalierten Werbungskostenabzugs nach § 20 Abs. 9 Einkommensteuergesetz stellt sich nur bei Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Einkommensteuergesetz). Bei stillen Beteiligungen liegen Einkünfte aus Kapitalvermögen nur bei der Ausprägungsform der typisch stillen Beteiligung vor. Verluste aus einer atypisch stillen Beteiligung sind – soweit sie aus dem Gesamthandsbereich stammen – bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 15 Einkommensteuergesetz) nur bis zur Höhe des Kapitalkontos steuerlich zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung von Verlusten knüpft an die wirtschaftliche Betrachtungsweise an, in welcher Höhe eine tatsächliche Belastung besteht. Soweit bei einem atypisch stillen Gesellschafter ein negatives Kapitalkonto entsteht oder sich erhöht, sind Verluste nach § 15 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Nr. 1 Einkommensteuergesetz nur mit späteren Gewinnen aus der atypisch stillen Beteiligung verrechenbar. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Richard Pitterle (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 58): Bis zu welcher Frist kann nach dem im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommen mit der Schweiz nach Art. 31 Abs. 8 eine spätere Veranlagung der Erbschaftsteuer in Deutschland in den Fällen durchgeführt werden, in denen bereits an der Quelle ein Steuereinbehalt von 50 Prozent vorgenommen wurde, und muss in den Fällen des Art. 31 Abs. 9 mit einem Steuereinbehalt von 50 Prozent an der Quelle im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Erlöschenswirkung der deutschen Erbschaftsteuer in Deutschland noch eine zusätzliche Deklaration/Veranlagung vorgenommen werden? Art. 31 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens enthält eine Spezialregelung hinsichtlich der Erbschaftsteuer für in der Schweiz verbuchte Vermögenswerte. Liegt der schweizerischen Zahlstelle nach den in Art. 31 Abs. 2 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens geregelten Modalitäten keine schriftliche Ermächtigung vor, eine Meldung gegenüber der zuständigen deutschen Finanzbehörde abgeben zu dürfen, behält sie einen Betrag in Höhe von 50 Prozent der im Todeszeitpunkt der für die betroffene Person verbuchten Vermögenswerte ein. Dieser Betrag wird nach Deutschland überwiesen und dem steuerberechtigten Land gutgeschrieben. Der Erbe erhält von der schweizerischen Zahlstelle über diesen Einbehalt eine Bescheinigung. Mit der vollständigen Gutschrift der Steuer gilt die Erbschaftsteuer, die auf den in der Schweiz verbuchten Vermögenswerten lastet, als im Zeitpunkt ihres Entstehens als erloschen. Einer Erklärung über die zum Nachlass gehörenden schweizerischen Vermögenswerte bedarf es in diesem Fall nicht. Entscheidet sich der Erbe zu einem späteren Zeitpunkt für die Anrechnung des auf in der Schweiz verbuchte Vermögenswerte einbehaltenen Betrags, um seine Steuerbelastung zu reduzieren, muss er eine vollständige Steuererklärung gegenüber dem zuständigen deutschen Finanzamt abgeben, die auch die zum Nachlass gehörenden schweizerischen Vermögenswerte beinhaltet. Im Rahmen der Erbschaftsteuerveranlagung werden die einbehaltenen 50 Prozent angerechnet. Die Abgabe der Steuererklärung in Deutschland kann nur so lange zu einer Festsetzung von Erbschaftsteuer führen, solange noch keine Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung eingetreten ist. Der Beginn der Festsetzungsfrist im Erbschaftsfall richtet sich nach § 170 Abs. 1 der Abgabenordnung. Danach beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, also mit Ablauf des Jahres des Erbfalls. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist kann keine Steuerveranlagung mehr erfolgen. Eine Anrechnung ist dann nicht mehr möglich. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Axel Troost (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Fragen 59 und 60): Teilt die Bundesregierung rechtliche Bedenken gegen Art. 10 Abs. 1 des im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommens mit der Schweiz, da hier eine Teilselbstanzeige ermöglicht wird, die gerade mit den Änderungen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ausgeschlossen werden sollte, auch vor dem Hintergrund der erfolgten Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof hinsichtlich des Vollständigkeitsgebots, und folgt daraus, dass für weitere Einkünfte aus denselben Veranlagungszeiträumen, die neben jenen aus der Schweiz erwirtschaftet wurden, ebenfalls eine Teilselbstanzeige möglich ist? Welche Rechtsfolgen aus Art. 10 Abs. 1 des im September 2011 unterzeichneten und im April 2012 ergänzten Steuerabkommens mit der Schweiz ergeben sich für den Steuerpflichtigen hinsichtlich der Nachentrichtung der Steuer, auch vor dem Hintergrund der Fälligkeit und einer möglichen Verzinsung, und bezieht sich der Verweis auf § 398 a der Abgabenordnung, AO, im Hinblick auf den Hinterziehungsbetrag von 50 000 Euro auf die gesamten hinterzogenen Steuern für den Zeitraum ab 1. Januar 2003 oder auf jede einzelne Tat der Hinterziehung seit dem 1. Januar 2003, was dann im Regelfall für jede einzelne Steuerart und jeden Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten ist? Zu Frage 59: Im Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens hat die Bundesregierung keine rechtlichen Bedenken. Bei der Meldung nach Art. 9 und 10 Abs. 1 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens handelt es sich um eine Spezialregelung, lex specialis, die lediglich die Rechtsfolgen des § 371 der Abgabenordnung auslöst. Damit ergeben sich nur die Rechtsfolgen aus den §§ 371 und 398 a der Abgabenordnung. Die Tatbestandsvoraussetzungen ergeben sich allein aus dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen. Die Inanspruchnahme der Regelungen des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens stellt rechtlich daher keine Selbstanzeige im Sinne der Abgabenordnung dar. Eine vollständige Selbstanzeige über weitere Einkünfte (zum Beispiel aus Deutschland oder aus anderen Ländern) nach der Abgabenordnung stellt daher keine Teilselbstanzeige dar und bleibt möglich. Zu Frage 60: Art. 10 Abs. 1 Satz 2 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens stellt eine Rechtsfolgenverweisung dar. Daraus folgt, dass sich hinsichtlich der Rechtsfolgen keine Änderungen gegenüber einer nach der Abgabenordnung wirksamen Selbstanzeige ergeben. Dies gilt auch für Hinterziehungszinsen. Diese sind auch dann festzusetzen, wenn eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 der Abgabenordnung erstattet worden ist oder wenn in besonderen Fällen von einer Verfolgung nach § 398 a der Abgabenordnung abgesehen wird. Aus der dargestellten Systematik des Art. 10 Abs. 1 des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens folgt, dass lediglich die Wirksamkeit einer Selbstanzeige fingiert wird. Ihre Folgen sind jedoch dieselben, die sich aus einer Selbstanzeige nach den Regeln der Abgabenordnung ergeben. Dies bedeutet, dass für jede einzelne Steuerart und für jeden Veranlagungszeitraum zu ermitteln ist, ob der Betrag von 50 000 Euro je Tat überschritten ist. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Druck-sache 17/10015, Frage 61): In wie vielen Fällen hat die Commerzbank AG, an der die Bundesrepublik Deutschland eine Beteiligung von 25 Prozent plus einer Aktie hält, laut Pressemeldungen „junge Menschen mit Studienkrediten in eine Zinsfalle gelockt“, Spiegel Online vom 19. Juni 2012, und Kredite mit bis zu 18 Prozent Überziehungszinsen ohne Ankündigung fällig gestellt – unter Angabe der gegebenenfalls daraus resultierenden bankenaufsichtsrechtlichen Konsequenzen, der Anzahl noch strittiger Fälle, der Anzahl der von der Dresdner Bank AG übernommenen Studienkredite durch die Commerzbank AG sowie der Anzahl der von der Commerzbank AG vermittelten Studienkredite der KfW Bankengruppe jeweils pro Kalenderjahr seit dessen Einführung –, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu dem Rückzahlungsverhalten bzw. der Rückzahlungsfähigkeit von Studienkrediten durch Studierende und Absolventen? Die Vergabe von Krediten sowie die Gestaltung von Kreditkonditionen fallen unter die unternehmerische -Eigenverantwortung der Commerzbank AG und liegen außerhalb des Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiches der Bundesregierung. Der Bundesregierung liegen in diesem Zusammenhang keine Erkenntnisse zu dem Rückzahlungsverhalten bzw. der Rückzahlungsfähigkeit von Studienkrediten durch Studierende und Absolventen vor. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fragen des Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) (Drucksache 17/10015, Frage 62): War die Bundesregierung an der getroffenen Vereinbarung zur Abwicklung der WestLB AG beteiligt, und, wenn ja, in welcher Form werden der Deutsche Bundestag und seine Gremien an dieser Entscheidung beteiligt? Die Bundesregierung hat den Verhandlungsprozess begleitet und das nach § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes zuständige Gremium des Deutschen Bundestages laufend über alle wesentlichen Entwicklungen und Ergebnisse dieses Prozesses unterrichtet. Die damit verbundenen Restrukturierungsmaßnahmen und die Nachbefüllung der Ersten Abwicklungsanstalt, EAA, sind nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz durch den Lenkungsausschuss der Finanzmarktstabilisierungsanstalt, FMSA, zu genehmigen. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) (Drucksache 17/10015, Frage 63): Wie hoch berechnet die Bundesregierung das finanzielle Engagement zur Abwicklung der WestLB AG für den Bundeshaushalt? Die Bundesregierung kann die finanziellen Auswirkungen der Abwicklung der WestLB AG auf den Bundeshaushalt derzeit noch nicht abschließend beziffern. Die Bundesregierung geht jedoch auf Grundlage des Abwicklungsplans der WestLB AG und der getroffenen Vereinbarung davon aus, dass das finanzielle Engagement des Bundes 3 Milliarden Euro nicht übersteigt. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Fragen 64 und 65): Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO, Verlust der Steuerbefreiung, nur gegeben ist, wenn die Organisation explizit als „extremistische Organisation“ in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt wird (so zum Beispiel Bundesfinanzhof, BFH, vom 11. April 2012, I R 11/11), sodass die bloße Erwähnung einer Organisation in einem Verfassungsschutzbericht noch nicht zu einem Verlust der Steuerbefreiung führt, und welche konkreten Ausführungen/Bezeichnungen vor dem Hintergrund der geplanten Neuregelung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO durch das Jahressteuergesetz, JStG, 2013 müssen zu einer Organisation in den jeweiligen Verfassungsschutzberichten getroffen werden, damit diese die Steuerbefreiung verliert, auch vor dem Hintergrund der Definition des Begriffs „extremistische Organisation“ im Vergleich zu der in der -Gesetzesbegründung zu der geplanten Neuregelung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO durch das JStG 2013 verwendeten Bezeichnung „verfassungsfeindlich“? Wie kann sich nach der geplanten Neuregelung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO durch das JStG 2013 eine Organisation gerichtlich zur Wehr setzen, wenn sie ihrer Ansicht nach zu Unrecht in einem Verfassungsschutzbericht aufgeführt worden ist, und wie ist in diesem Zusammenhang die Anwendung des § 52 Abs. 3 Satz 2 AO nach der geplanten Neuregelung durch das JStG 2013 zu beurteilen, wenn in einem Verfassungsschutzbericht zum Beispiel von „zahlreichen Anhaltspunkten für extremistische Bestrebungen“ gesprochen wird, vor dem Hintergrund, inwieweit eine derartige Klassifikation einer Organisation bereits die Anwendung von § 51 Abs. 3 Satz 2 AO rechtfertigt, mit der Rechtsfolge Verlust der Steuerbefreiung? Zu Frage 64: Der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 3 Satz 2 Abgabenordnung, AO, beschränkt sich auf Organisationen, die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes oder eines Landes als extremistisch eingestuft werden und deshalb im Verfassungsschutzbericht ausdrücklich als „extremistisch“ aufgeführt sind. Verdachtsfälle werden von dieser Regelung nicht mit umfasst. Dies soll auch nicht geändert werden. Die Begriffe „extremistisch“ und „verfassungsfeindlich“ werden als Synonyme verwandt. Zu Frage 65: Ist eine Organisation ihrer Ansicht nach zu Unrecht in einen Verfassungsschutzbericht aufgenommen und als extremistisch bezeichnet worden, kann sie dagegen den Verwaltungsrechtsweg beschreiten. Die Voraussetzungen der in Ihrer Frage sicherlich -gemeinten Vorschrift des § 51 Abs. 3 Satz 2 Abgabenordnung, Versagung der Steuervergünstigung, werden durch die geplante Änderung im JStG 2013 nicht ver--ändert: Die Organisation muss ausdrücklich als extremistisch aufgeführt werden. Der bloße Verdacht einer extremistischen Ausrichtung in einem Verfassungsschutzbericht würde nach wie vor nicht genügen, um die zwingende Versagung der Steuerbegünstigung auszu--lösen. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 66): Sind Medienberichte zutreffend, wonach Irland doppelt so viel Zeit für die Rückzahlung erhaltener internationaler Hilfsgelder eingeräumt werden wird (vergleiche Handelsblatt vom 19. Juni 2012, „Irland erhält mehr Zeit für Rückzahlung der Hilfsgelder“), und wenn nicht, wie ist die Position der Bundesregierung in dieser Frage? Medienberichte, wonach Irland eine Verlängerung der Rückzahlungsfristen für internationale Hilfsgelder eingeräumt werden sollen, sind nicht zutreffend. Sie wurden umgehend von der Europäischen Kommission dementiert. Die Bundesregierung setzt sich weiterhin für eine Umsetzung des irischen Programms gemäß den vereinbarten Konditionen ein. Der jüngste erfolgreiche Abschluss der sechsten Quartalsüberprüfung zeigt den Willen und die Fähigkeit der irischen Regierung zur konsequenten Einhaltung des Programms. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 67): Unterstützt die Bundesregierung derzeit auf politischer Ebene die Forderungen der Europäischen Zentralbank, die Wirtschafts- und Währungsunion um eine Banken- bzw. -Finanzmarktunion zu erweitern (vergleiche beispielsweise www.sueddeutsche.de/wirtschaft/plaene-fuer-finanzmarktunion-eine-fuer-alle-1.1367348 oder www.ecb.int/press/key/date/2012/html/sp120420_2.en.html oder www.ecb.int/press/key/date/2012/html/sp120420.en.html#) und, wenn nein, -warum nicht? Die Bundesregierung unterstützt die Schaffung einer Banken- bzw. Finanzmarktunion auf europäischer Ebene. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 68): Wie haben sich prozentual seit 2009 bis heute die Kon--sumausgaben des Staates in den Ländern der Europäischen Union entwickelt, bitte insgesamt und nach einzelnen Ländern aufführen, auch mit vorläufigen bzw. geschätzten Daten, und wie wirken sich nach Ansicht der Bundesregierung die zurückgehenden konsumtiven Staatsausgaben auf die wirtschaftliche Entwicklung aus hinsichtlich der Volkswirtschaft der einzelnen Länder sowie der Euro-Zone insgesamt? Während die staatlichen Konsumausgaben in realer Rechnung in der EU in den Jahren 2009 und 2010, auch infolge der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, zum Teil deutlich gestiegen waren und im vergangenen Jahr stagnierten, dürfte es gemäß der Frühjahrsprojektion der Europäischen Kommission in diesem Jahr insgesamt zu einem leichten Rückgang kommen. Dabei dürften insbesondere Mitgliedstaaten mit sehr hohen Defiziten eine Verringerung ausweisen, während sich in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten die Anstiege fortsetzen. Eine detaillierte Zusammenstellung der Entwicklung der Staatsausgaben nach Ländern der Europäischen Union stelle ich Ihnen nach Bedarf gern zur Verfügung. Für diejenigen Länder, in denen der Staatskonsum preisbereinigt zurückgeht, lässt sich die entsprechende Wirkung auf das Wirtschaftswachstum mittels des fiskalischen Primärimpulses – als Erstrundeneffekt – für sich genommen grob quantifizieren. Für 2012 erwartet die Europäische Kommission in ihrer Frühjahrsprognose für die gesamte Europäische Union, EU 27, nur einen marginal negativen Impuls der öffentlichen Konsumaus--gaben auf das reale Wirtschaftswachstum. Eine isolierte Betrachtung des fiskalischen Primärimpulses greift allerdings zu kurz. Insbesondere stehen den kontraktiven Effekten eines rückläufigen Staatskonsums – als Element der Rückkehr zu einer soliden Haushaltsführung – positive Vertrauenseffekte gegenüber, die den kontraktiven Primäreffekt der fiskalischen Restriktion kompensieren können. Solche Vertrauenswirkungen zeigen sich gegenwärtig zum Beispiel auf den Finanzmärkten, die sehr sensibel auf Finanzierungsprobleme in den öffentlichen Haushalten der Mitgliedstaaten reagieren und über teils sehr hohe Risikoaufschläge die Finanzierungskonditionen des Staatssektors verschlechtern. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 69): Welchen Einfluss wird voraussichtlich die Umsetzung des Fiskalpakts auf die Entwicklung der Binnennachfrage in den Mitgliedsländern der Europäischen Union haben, und wie hat sich prozentual der preisbereinigte Einzelhandelsumsatz in den Ländern der Europäischen Union seit 2008 bis heute entwickelt, bitte insgesamt und nach einzelnen Ländern aufführen, auch mit vorläufigen bzw. geschätzten Daten? Der Fiskalpakt verlangt die Umsetzung der Vorgaben des bereits bestehenden europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts in nationale Fiskalregeln. Die damit verbundenen positiven Vertrauenseffekte dürften mittel- und längerfristig die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union begünstigen. Eine Quantifizierung solcher Vertrauenswirkungen – im Hinblick auf die Entwicklung der Binnennachfrage – ist jedoch empirisch nicht verlässlich möglich. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 70): Wie bewertet die Bundesregierung Arbeit und Ergebnisse des von ihr geförderten Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit e. V., BKB, und welche Vorstellungen gibt es zur Fortführung der Arbeit des BKB über das Jahr 2012 hinaus? Der Bundesregierung ist Barrierefreiheit ein wichtiges Anliegen. Sie schätzt die geleistete Arbeit des Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit e. V., BKB, sehr. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales seit 2009 geförderte Projekt „Förderung des Abschlusses von Zielvereinbarungen“, das das BKB durchführt, trägt zu konkreten Verbesserungen der Barrierefreiheit bei, stärkt die Nutzung des Instruments der Zielvereinbarung und sorgt für die Verbesserung der Wahrnehmung der Barrierefreiheit in der Öffentlichkeit. Bei der in der Frage angesprochenen Förderung handelt es sich jedoch nicht um die Finanzierung des BKB, also nicht um eine institutionelle oder unbefristete Förderung, sondern um die Förderung des Projekts „Förderung des Abschlusses von Zielvereinbarungen“ nach dem Behindertengleichstellungsgesetz, dessen Projektnehmer das BKB ist. Diese Unterstützung läuft planmäßig Ende 2012 aus. Eine Weiterförderung dieses Projekts des BKB über diesen Zeitraum hinaus ist nicht möglich. Dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales liegen seit dem 1. Juni 2012 zwei Anträge des BKB auf Förderung von zwei neuen Projekten vor. Diese Anträge werden derzeit geprüft. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 71): Wie bewertet die Bundesregierung die bisher erzielten -Ergebnisse bei der Umsetzung des von ihr vor einem Jahr -beschlossenen Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auch mit Blick auf die Kritik aus der Behindertenbewegung (siehe unter anderem www.kabinet-nachrichten.org vom 15. Juni 2012), und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für das weitere Regierungshandeln in diesem Jahr? Da der Nationale Aktionsplan für einen Wirkungszeitraum von zehn Jahren, 2011 bis 2020, angelegt ist, eine Vielzahl der Maßnahmen und Projekte des Aktionsplans aber bereits bis zum Ende der 17. Legislatur-periode begonnen bzw. teilweise auch schon abgeschlossen sein werden, wird die Bundesregierung eine erste Evaluation der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans bis Ende 2013 vorlegen. Zur Vorbereitung der Evaluation und zur Sicherstellung der erfolgreichen Umsetzung des Aktionsplans erfolgt bereits jetzt ein regelmäßiger Austausch zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, in seiner Rolle als Focal Point und den am Aktionsplan beteiligten Bundesressorts, der bereits gute Fortschritte bei der Umsetzung der Maßnahmen des Aktionsplans erkennen lässt. Außerdem werden im Ausschuss Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beim BMAS die Vertreter der Verbände von Menschen mit Behinderungen stetig über die Umsetzungsprozesse informiert. Dort sind beispielsweise die Fortschritte bei der Freifahrt für behinderte Menschen, die baldige Einführung eines Behindertenausweises in Scheckkartenformat – eine langjährige -Forderung der Behindertenbewegung –, aber auch die Anstrengungen zur Verbesserung der beruflichen Orientierung junger Menschen mit Behinderungen und die breit angelegte Öffentlichkeitskampagne „Behindern ist heilbar“ bekannt. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Fragen des Abgeordneten Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 72): Welche kulturpflanzenspezifischen Mindestabstände zwischen Anbauflächen mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen und Anbauflächen mit nicht gentechnisch veränderten Pflanzen, GVP, sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung für die Novelle des Gentechnikgesetzes auf Bundes- und Länderebene vor, und inwieweit berücksichtigen diese Abstandsregelungen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Pollen von gentechnisch veränderten Organismen in Honig vom 6. September 2011? Der Entwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes wird zurzeit zwischen den Bundesressorts abgestimmt. Ergänzende Regelungen zur Koexistenz und damit gegebenenfalls auch Abstandsregelungen wären allerdings nicht im Gentechnikgesetz, sondern in der Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung zu regeln. Um auch spezifische Vorgaben zu Abstandsregelungen zwischen Flächen mit dem Anbau von genetisch veränderten Organismen, GVO, und Bienenstöcken treffen zu können, wäre zudem zunächst das Gentechnikgesetz um eine entsprechende Verordnungsermächtigung zu ergänzen. Regelungen zur Koexistenz orientieren sich am Kennzeichnungsschwellenwert für GVO in Höhe von 0,9 Prozent. Auf EU-Ebene ist bisher nicht geklärt, auf welchen Wert sich die 0,9 Prozent beziehen. Ist dies die Pollenart, der gesamte Pollen oder der gesamte Honig? Die EU-Kommission hat daher die Mitgliedstaaten gebeten, von nationalen Maßgaben für die Koexistenz von Flächen mit Anbau von GVO und Bienenstöcken abzusehen, bis diese Frage entschieden ist. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage des Abgeordneten Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 73): Auf welche Weise und bis wann gedenkt die Bundesregierung den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit über ihre Positionierung zu informieren, bevor am 16./17. Juli 2012 im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit bzw. im Falle einer ergebnislosen Abstimmung in der Folge vom Berufungsausschuss oder im nächsten Schritt direkt von der Kommission möglicherweise während der parlamentarischen Sommerpause Fakten geschaffen werden, zum Beispiel im Hinblick auf die Nulltoleranz gegenüber Verunreinigungen mit nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Konstrukten in Lebensmitteln, die Zulassung neuer GVP und deren Pollen für den Import oder die Zulassung von GVP für den Anbau in der Europäischen Union? Bisher liegt der Bundesregierung kein Vorschlag der EU-Kommission für eine Kommissionsverordnung vor, welche bei Lebensmitteln einen Analyseschwellenwert von 0,1 Prozent für nicht in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Organismen, GVO, vorsieht. Ob die EU-Kommission einen solchen im Rahmen der nächsten Sitzung des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit, StALuT, am 16. Juli 2012 vorlegen wird, bleibt abzuwarten. Eine Tagesordnung hierfür liegt noch nicht vor. Eine Abstimmung über einen solchen Vorschlag ohne vorherige Diskussion ist nicht zu erwarten. Diese Diskussion könnte somit erst in der darauffolgenden Sitzung des StALuT im September 2012 erfolgen. Derzeit gibt es in der EU rund 45 „Importzulassungen“ für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel. Es ist damit zu rechnen, dass die Kommission hierzu weitere Vorschläge vorlegen wird. „Anbauzulassungen“ hat die Kommission seit geraumer Zeit nicht mehr vorgeschlagen. Da das Verfahren im StALuT mit Berufungsausschuss bzw. im StALuT mit Kontrolle durch den Rat und das Europäische Parlament mit einer Diskussion der Kommissionsvorschläge beginnt und danach einige Zeit in Anspruch nimmt, ist nicht damit zu rechnen, dass es während der parlamentarischen Sommerpause zu den aufgeführten Entscheidungen kommt. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Druck-sache 17/10015, Frage 74): Aus welchem Grund wird das Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli 2012 in Berlin in diesem Jahr nicht mehr vor dem Reichstagsgebäude, sondern wieder im Bendlerblock stattfinden, und soll der Bendlerblock auch in den kommenden Jahren der Durchführungsort des Gelöbnisses sein? Der Bundestagspräsident und der Bundesminister der Verteidigung haben sich im letzten Jahr darauf verständigt, das Feierliche Gelöbnis, beginnend ab 2012, -abwechselnd auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude bzw. auf dem Paradeplatz beim Bundesministerium der Verteidigung durchzuführen. Das Feierliche Gelöbnis 2013 wird wieder auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude stattfinden. Anlage 52 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fragen des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Fragen 75 und 76): Haben die Gespräche des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, mit seinem türkischen Amtskollegen Ismet Yilmaz im Hinblick auf die Anerkennung des freiwilligen Wehrdienstes in Deutschland für doppelte Staatsbürger durch die Türkische Republik (vergleiche Bundestagsdrucksache 17/9809, Seite 7 f.) zu konkreten Ergebnissen geführt und, wenn ja, zu welchen? Setzt sich der Bundesverteidigungsminister auch im Hinblick auf die Personen für eine vergleichbare Lösung ein, die – bis zur Aussetzung des Pflichtwehrdienstes 2011 – die Möglichkeit hatten, sich ihren in Deutschland geleisteten Zivildienst in der Türkei anrechnen zu lassen (zum Beispiel Anrechnung des Bundesfreiwilligendienstes), und, wenn nein, warum nicht? Zu Frage 75: Herr Bundesminister Dr. de Maizière hat diese Frage angesprochen und ausdrücklich für eine Anerkennung des freiwilligen Wehrdienstes geworben. Sein türkischer Amtskollege hat darauf verwiesen, dass gesetzlich bisher nur die Anerkennung eines Pflichtdienstes möglich sei, jedoch zugesagt, die Frage im Ministerrat prüfen zu lassen. Zu Frage 76: Der frühere Zivildienst und der jetzige Bundesfreiwilligendienst fallen in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Insoweit ist die Frage von dort aus zu klären. Anlage 53 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fragen des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 77): Welche konkreten Maßnahmen plant das Bundesministerium der Verteidigung, um den freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr für Migrantinnen und Migranten attraktiver zu machen? Vor dem Hintergrund einer Quote von 26 Prozent freiwillig Wehrdienstleistenden mit Migrationshintergrund sind keine konkreten Maßnahmen geplant, um den freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr speziell für diesen Personenkreis noch attraktiver zu machen. Anlage 54 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 78): Für welche konkreten Einsatzszenarien soll der Truppenübungsplatz Altmark in Gardelegen ausgebaut und künftig dazu genutzt werden, Soldatinnen und Soldaten in urbanem Kampf auszubilden, und wie sind in diesem Zusammenhang die Bemerkungen des Kommandeurs des Gefechtsübungszentrums des Heeres zu verstehen, nach welchen die Einsatz-gebiete der Bundeswehr künftig immer weiter in die Städte verlagert würden (vergleiche dpa-Meldung „Einsatz in Schnöggersburg“, 20. Juni 2012)? Der Ausbau des sogenannten Urbanen Ballungsraums Schnöggersburg im Gefechtsübungszentrum des Heeres dient weder der Vorbereitung eines konkreten Einsatzszenarios noch der Absicht, „… die Einsatzgebiete der Bundeswehr künftig immer weiter in die Städte zu verlagern …“. Anfang des 21. Jahrhunderts ist die Wachstumsrate der Stadtbevölkerung dreimal so hoch wie die der Weltbevölkerung. Bis 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Menschen in Städten leben. In den Entwicklungsländern wird bis 2030 eine Verdoppelung der Stadtbevölkerung erwartet. Die Anzahl der Menschen, die in sogenannten Megastädten (mehr als 10 Millionen Einwohner) leben, wird sich auf über 400 Millionen verdoppeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass Konflikte zunehmend auch in diesen urbanen Räumen stattfinden, ist dementsprechend. Mit dem Gefechtsübungszentrum Heer verfügt die Bundeswehr über eine moderne Ausbildungseinrichtung, deren Fähigkeitspotenzial aber noch stark auf die Erfordernisse des Gefechts der verbundenen Waffen während der Zeit des „Kalten Krieges“, also der Auseinandersetzung panzerstarker Verbände, ausgerichtet ist. Die Streitkräfte müssen sich vor dem dargestellten Hintergrund der heutigen und künftigen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen auf die Bewältigung von Aufgaben in Konfliktszenarien vorbereiten, die sich absehbar zunehmend in bebauten Räumen ereignen. In der Einsatzvorbereitung kommt der realistischen Abbildung heutiger Einsätze im Gefechtsübungszentrum Heer daher für das Herstellen der Einsatzbereitschaft der Einsatzkräfte eine herausragende Bedeutung zu. Das Fähigkeitspotenzial dieser Ausbildungseinrichtung muss so weiterentwickelt werden, dass verstärkte Einsatzverbände Operationen in urbanem Umfeld – teilstreitkraftübergreifend und multinational –, integriert in die Durchführung des jeweiligen Einsatzauftrags, realitätsnah üben können. Mit dem Infrastrukturvorhaben „Urbaner Ballungsraum“ soll die Ausbildungsinfrastruktur für die Ausbildung von Operationen in urbanem Umfeld auf Verbands-ebene geschaffen werden. Anlage 55 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fragen des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Fragen 80 und 81): Wie vereinbart der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, seine Aussage, dass die an der -UNIFIL-Mission beteiligten Schiffe „sicher auch eine Art Notreserve für eine humanitäre Katastrophe“ seien, mit der von der Bundesregierung beantragten Verlängerung des Mandates? Sind Ankündigungen für „Nothilfeaktionen“ für Syrien mit anderen an der UNIFIL-Mission beteiligten Staaten abgestimmt, oder handelt es sich um einen deutschen Alleingang? Zu Frage 80: Der Bundesminister der Verteidigung hat mit seiner Bemerkung eine allgemeine, im Hinblick auf vorstellbare Entwicklungen in der Region naheliegende Aussage gemacht. Mögliche künftige Entscheidungen werden dadurch nicht präjudiziert. Verbindungen zur Mandatsdebatte sind nicht gegeben. Zu Frage 81: Die Bundesregierung leistet humanitäre Hilfe mittels bewährter humanitärer Partner. Im UNIFIL-Rahmen hat es jedoch keine deutschen Ankündigungen für „Nothilfeaktionen“ gegeben. Anlage 56 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Sevim Da?delen (DIE LINKE) (Drucksache 17/10015, Frage 84): Unter welchen konkreten Umständen fand am 15. Mai 2012 – fünf Tage nach der Ausweitung des deutschen Mandates zur Beteiligung an der EU-Mission Atalanta – der -Beschuss von angeblicher Piratenlogistik auf somalischem Festland statt, www.eunavfor.eu/2012/05/eu-naval-force--delivers-blow-against-somali-pirates-on-shoreline/, und welche Informationen liegen der Bundesregierung vor, die belegen, dass im Zuge dieser Operation keine Menschen verletzt oder für die ansässige Zivilbevölkerung relevante Infrastrukturen zerstört wurden? Der im Rahmen der EU-geführten Operation Atalanta in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 2012 erfolgte Einsatz gegen Piraterielogistik am Strand war zeitlich und räumlich eng begrenzt und wurde unter Beachtung der Durchführungsvoraussetzungen aus der Luft durch--geführt. Es wurde zu keinem Zeitpunkt somalischer Boden betreten. Während des Einsatzes befand sich ständig ein Seefernaufklärungsflugzeug mit Nachtsichtfähigkeit über dem Einsatzgebiet, um die Gefährdung von Menschen und eigenen Kräften auszuschließen. Auswertungen aus der Luft während des Einsatzes und am Folgetag lieferten keine Hinweise auf Personen- oder Begleitschaden. Anlage 57 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Frage 85): Wie bewertet die Bundesregierung den vierten nationalen Bildungsbericht 2012 in Bezug auf das Betreuungsgeld, und wie begründet sie ihre Haltung? Das Betreuungsgeld ist eine familienpolitische Leistung, die eine Lücke in der derzeitigen Unterstützung für Familien füllt. Seine Finanzierung ist im Entwurf für den Bundeshaushalt gesichert. Es steht weder politisch noch finanziell in Konkurrenz zum Ausbau der Kinderbetreuung, im Gegenteil: Beide Initiativen ergänzen einander und bringen die Wertschätzung des Staates und der Gesellschaft für verschiedene Lebensentwürfe von Familien zum Ausdruck. Die Bundesregierung hat mit ihrem Zehn-Punkte-Programm zum Ausbau der Kinderbetreuung deutlich gemacht, dass sie die Herausforderung des Ausbaus weiterhin gemeinsam mit den Ländern und Kommunen in Angriff nimmt. Beispielsweise KfW--Kredite, die durch einen Zinszuschuss des Bundes günstiger werden, sowie eine effektive Erfassung und Umverteilung nicht benötigter Bundesmittel helfen Ländern und Kommunen, diese Herausforderung zu bewältigen. Anlage 58 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Druck-sache 17/10015, Fragen 86 und 87): Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der im vierten nationalen Bildungsbericht von Bund und Ländern formulierten Kritik, das Betreuungsgeld setze falsche Anreize, die besonders Eltern aus bildungsfernen Schichten davon abhalten könnten, ihr ein- oder zweijähriges Kleinkind in eine Kindertagesstätte, Kita, zu schicken, und welche Maßnahmen leitet die Bundesregierung daraus ab? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den ebenfalls im Bildungsbericht von Bund und Ländern dargelegten Ergebnissen, dass etwa ein Viertel der Drei- bis Sechsjährigen in Deutschland als „sprachförderbedürftig“ eingestuft werden und dass Kleinkinder, die diese Sprachförderung nicht erhielten und zugleich auch keine Kita besuchten, bei der Bildung doppelt benachteiligt seien, und welche Maßnahmen leitet die Bundesregierung aus diesen Schlussfolgerungen ab, um der Benachteiligung der Kinder entgegenzuwirken? Zu Frage 86: Der vierte Bildungsbericht formuliert diese Kritik an keiner Stelle; überdies stehen für die Bundesregierung die Gewährung von Betreuungsgeld und der Ausbau der Kinderbetreuung nicht in Konkurrenz zueinander. Zu Frage 87: Die Ergebnisse des Bildungsberichts unterstreichen erneut den besonderen Stellenwert der Sprach- und Leseförderung für gelingende Bildung. Handlungsbedarf besteht vor allem darin, eine frühzeitig beginnende -kontinuierliche Sprachförderung über die Grenzen der Bildungsetappen hinweg zu gewährleisten und die Effektivität und Wirksamkeit der bislang eingesetzten Maßnahmen der Sprachförderung und Sprachstandsfeststellung wissenschaftlich zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten diese Zielsetzung mit einer Reihe von Maßnahmen und Initiativen: An ein-, drei- und sechsjährige Kinder und ihre Eltern wendet sich das Programm des BMBF „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“, Laufzeit 2011 bis 2018. Sie werden früh mit dem Umgang mit Büchern vertraut gemacht und so in ihrer Sprachfähigkeit gestärkt. Zurzeit kann jede zweite Familie in Deutschland von diesem Programm profitieren, das das bisher umfassendste und nachhaltigste Programm zur frühkindlichen Leseförderung in Deutschland ist. Bis zum Jahr 2014 werden bis zu 4 000 Einrichtungen – insbesondere in sozialen Brennpunkten – zu sogenannten Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration ausgebaut. Jede der beteiligten Einrichtungen erhält pro Jahr 25 000 Euro aus Bundesmitteln, um damit eine Halbtagsstelle für zusätzliches, besonders qualifiziertes -Fachpersonal zur Sprachförderung speziell von unter Dreijährigen einzurichten. Von dieser Fördermaßnahme profitieren Kinder, unabhängig ab welchem Alter sie eine Kita besuchen. Vor dem Hintergrund des nach wie vor erheblichen Forschungs- und Entwicklungsbedarfs in diesem Bereich planen Bund und Länder derzeit eine gemeinsame Initiative zur Weiterentwicklung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung einschließlich unterstützender Forschung. Anlage 59 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10015, Fra-gen 95 und 96): Welche Linienbestimmungsverfahren für Fernstraßen des Bundes, die noch nicht im Verfahren sind, wurden beantragt, und welche Linienbestimmungsverfahren für Fernstraßen des Bundes befinden sich derzeit im Verfahren? Welche Fernstraßenprojekte, für die von Auftragsverwaltungen der Länder dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BMVBS, ein Linienvorschlag zur Bestätigung an Stelle eines Linienbestimmungsverfahrens übersandt wurde, werden derzeit durch das BMVBS geprüft? Zu Frage 95: Für nachfolgend genannte Bundesfernstraßenprojekte des aktuellen Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen wurde ein Linienbestimmungsverfahren nach § 16 Bundesfernstraßengesetz beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beantragt: – B 74, Ortsumgehung Ritterhude (auf Antrag des Landes Niedersachsen) – B 87n, Fulda–Meiningen, 3. Abschnitt (Thüringen, bestehend aus den Ortsumgehungen Melkers/Walldorf, Dörrensolz, Stepfershausen, Herpf und Oberkatz) – B 190n, Landesgrenze Sachsen-Anhalt/Branden-burg–B 102 (bestehend aus den Ortsumgehungen Breddin, Stüdenitz und der Netzergänzung Zernitz bis B 102) – B 477, Ortsumgehungen Rommerskirchen und Butzheim/Frixheim Für nachfolgend genannte Bundesfernstraßenprojekte des aktuellen Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen sind die Ressorts im Rahmen der Linienbestimmung nach § 16 Bundesfernstraßengesetz beteiligt worden: – A 33, B 51n (Ortsumgehung Belm)–A 1 (nördlich Osnabrück), Lückenschluss – B 87n, Fulda–Meiningen, 1. Abschnitt (Hessen) und 2. Abschnitt (Hessen und Thüringen, Rhönquerung) – B 189n, Wittstock (A 19)–Ortsumgehung Mirow (B 198), Abschnitte Netzergänzung L 15–Ortsumgehung Mirow – B 212, Harmenhausen (L 875)–Landesgrenze Niedersachsen/Bremen – B 246, B 112–Bundesgrenze Deutschland/Polen mit Grenzübergang Eisenhüttenstadt/Nord. Zu Frage 96: Für nachfolgend genannte Bundesfernstraßenprojekte werden derzeit die Unterlagen zur Linienabstimmung durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geprüft: – B 8, Ortsumgehung Limburg/Lindenholzhausen – B 64, Ortsumgehung Eschershausen, 2. Bauabschnitt (Westumgehung) – B 98, Ortsumgehung Wildenhain – B 98, Ortsumgehung Schönfeld – B 98, Ortsumgehung Thiendorf – B 213 (E 233), Ortsumgehung Löhningen – B 265, Ortsumgehung Weiler in der Ebene. Anlage 60 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) (Drucksache 17/10015, Frage 97): Welche haushaltspolitischen Vorgaben finden bei der -Finanzierung und Realisierung von Verkehrsprojekten Anwendung, und inwiefern sieht die Bundesregierung die Finanzierung von Bau und Betrieb des Elbtunnels im Zuge der A 20 mithilfe privater Investitionen, die für die Bundesregierung mit erheblichen Mehrkosten im Vergleich zur Realisierung mit Eigenmitteln verbunden ist, dennoch als machbar und möglich an? Vorbehaltlich der Nachweise der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit findet die Realisierung und Finan-zierung von Verkehrsprojekten im Rahmen der vom Deutschen Bundestag jährlich verabschiedeten Haushaltsgesetze und den hierin bereitgestellten Finanzierungsmitteln statt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat – in Abstimmung mit den betroffenen Ländern – die Untersuchung der ÖPP-Eignung der Elbquerung im Zuge der BAB A 20 beauftragt; erste Er-gebnisse liegen seit kurzem im Entwurf vor. Erst nach sorgfältiger Auswertung dieser Untersuchung und Abstimmung mit den betroffenen Ländern hierzu wird im Bedarfsfall ein weiterer Arbeitsschritt, nämlich die Erstellung einer vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, beauftragt. Nur wenn nach deren Ergebnis eine ÖPP-Realisierung mindestens genauso wirtschaftlich wie eine konventionelle Realisierung ist, darf – gemäß § 7 Bundeshaushaltsordnung – das Vergabeverfahren für eine ÖPP-Umsetzung der Elbquerung, das heißt die „Investorensuche“, gestartet werden. Neben dieser haushaltsrechtlichen Voraussetzung für den etwaigen Vergabestart eines ÖPP-Projekts Elbquerung ist weiterhin erforderlich, dass es eine konkrete Projektperspektive für die A 20 insgesamt gibt; das heißt, die Suche nach möglichen Investoren für die Elbquerung ist nur dann zielführend, wenn für die Gesamtmaßnahme Baurecht vorliegt und die Realisierung insgesamt zeitlich und finanziell hinreichend detailliert gesichert ist. Anlage 61 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Franz Thönnes (SPD) (Drucksache 17/10015, Fragen 98 und 99): Welche Varianten, bitte mit Informationen zu Mauthöhe, Verkehrsaufkommen, Zulaufstraßenlänge, Vertragslaufzeiten, hat die Bundesregierung innerhalb der Machbarkeitsstudie zur Finanzierung des Elbtunnels im Zuge der A 20 bis dato konkret prüfen lassen, und welche weiteren Varianten werden jetzt nach dem Vorliegen der ersten Zwischenergebnisse geprüft? Welche rechtlichen Hürden stehen einer Mischfinanzierung von Bau und Betrieb des Elbtunnels im Zuge der A 20 entgegen, und welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, diese gesetzlichen Vorgaben zu ändern? Zu Frage 98: In Abstimmung mit den betroffenen Landesverwaltungen Schleswig-Holstein und Niedersachsen wird derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine mehrstufige Untersuchung bis hin zu einer vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für eine mögliche Realisierung der Elbquerung bei Glückstadt im Zuge der A 20 als öffentlich-private Vertragspartnerschaft, ÖPP, durchgeführt. Die erste Stufe der Untersuchung ist eine sogenannte Eignungsabschätzung. Diese soll ergebnisoffen die Eignung als ÖPP-Projekt – zum Beispiel A-Modell, Mischmodell, Verfügbarkeitsmodell, F-Modell – unter Berücksichtigung verschiedener Randbedingungen – zum Beispiel Höhe der Anschubfinanzierung, Berücksichtigung vor- und nachgelagerter Strecken, Vertragslaufzeit – abschätzen. Ein erster Entwurf dieser Eignungsabschätzung liegt dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung seit November letzten Jahres vor und wird derzeit sorgfältig im BMVBS geprüft; auch die betroffenen Landesauftragsverwaltungen würdigen diesen Arbeitsstand; es ist gegebenenfalls eine Vertiefung einzelner Ansätze des ersten Entwurfsstandes vorgesehen. Die endgültige Fassung der Untersuchung wird noch erstellt. Erst nach Prüfung der endgültigen Eignungsabschätzung und nach Abstimmung mit den betroffenen Ländern wird der Bund voraussichtlich im Herbst 2012 über den Fortgang der Studie und ihre geeignete Kommunikation und vor allem über die weiteren Schritte zur Realisierung der Elbquerung entscheiden. Zu Frage 99: Rechtliche Hürden werden derzeit bezüglich der -Realisierung des Elbtunnels im Rahmen eines F-Modells nach dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz grundsätzlich nicht gesehen. Als mindestens gebührenrechtlich problematisch werden jedoch solche Finanzierungen eingestuft, bei denen zum Beispiel die Ein-nahmen aus einem F-Modell auf einer Zulaufstrecke zum A-Modell zur Finanzierung des A-Modells genutzt werden. Rechtlich gangbar erscheint allerdings eine Kombination von F- und A-Modell dann, wenn sichergestellt ist, dass Kostenanlastung und Refinanzierung des F- und des A-Modells klar voneinander getrennt sind. Eine Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes durch das Parlament ist grundsätzlich möglich, die Beseitigung der rechtlichen Bedenken ist jedoch selbst bei Anpassung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes voraussichtlich nicht gewährleistet. Anlage 62 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) (Drucksache 17/10015, Fragen 100 und 101): Wann genau lagen der Bundesregierung die Zwischen-ergebnisse der Machbarkeitsstudie zur Finanzierung des Elbtunnels im Zuge der A 20 vor, und aus welchen Gründen -wurden die betreffenden Informationen nicht zeitnah veröffentlicht (vergleiche Schleswig-Holsteinische Landeszeitung vom 7. Juni 2012)? Wie begründet die Bundesregierung den Zeitpunkt und die Tatsache der Weitergabe von Informationen aus der Machbarkeitsstudie zur Finanzierung des Elbtunnels im Zuge der A 20 an Journalisten, und wann wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag über die vorliegenden Zwischenergebnisse informieren? In Abstimmung mit den betroffenen Landesverwaltungen Schleswig-Holstein und Niedersachsen wird derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine mehrstufige Untersuchung bis hin zu einer vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für eine mögliche Realisierung der Elbquerung bei Glückstadt im Zuge der A 20 als öffentlich-private Vertragspartnerschaft, ÖPP, durchgeführt. Die erste Stufe der Untersuchung ist eine sogenannte Eignungsabschätzung. Diese soll ergebnisoffen die -Eignung als ÖPP-Projekt, zum Beispiel A-Modell, Mischmodell, Verfügbarkeitsmodell, F-Modell, unter Berücksichtigung verschiedener Randbedingungen, zum Beispiel Höhe der Anschubfinanzierung, Berücksichtigung vor- und nachgelagerter Strecken, Vertragslaufzeit, abschätzen. Ein erster Entwurf dieser Eignungsabschätzung liegt dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung seit November letzten Jahres vor und wird derzeit sorgfältig im BMVBS geprüft; auch die betroffenen Landesauftragsverwaltungen würdigen diesen Arbeitsstand. Die endgültige Fassung der Untersuchung wird erst noch erstellt. Erst nach Prüfung der endgültigen Eignungsabschätzung und nach Abstimmung mit den betroffenen Ländern wird der Bund voraussichtlich im Herbst 2012 über den Fortgang der Studie und ihre geeignete Kommunikation sowie über die weiteren Schritte zur Realisierung der Elbquerung entscheiden. Die Veröffentlichung eines Entwurfsstands ist unüblich und erfolgte daher auch nicht bei der Eignungsabschätzung durch das BMVBS zur A 20.Anlagen 1Das gilt für die Fragen 46, 79, 82, 83 und 88 bis 94. ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 22262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 186. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 27. Juni 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 186. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 27. Juni 2012 22261 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 22306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 186. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 27. Juni 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 186. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 27. Juni 2012 22307