Plenarprotokoll 17/197 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 197. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2012 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus – Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze (Drucksache 17/7700) Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Petra Pau (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Serkan Tören (FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen -Vaters Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Sonja Steffen (SPD) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Mechthild Dyckmans (FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Ute Granold (CDU/CSU) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Ewa Klamt (CDU/CSU) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Stephan Thomae (FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Sonja Steffen (SPD) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde (Drucksache 17/10967) Mündliche Frage 1 Dr. Bärbel Kofler (SPD) Nationales und europäisches Verbot mehrerer als fortpflanzungsgefährdend und reprotoxisch eingestufter Phthalate Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Dr. Bärbel Kofler (SPD) Mündliche Frage 3 Frank Schwabe (SPD) Vertretbarkeit des Fracking-Verfahrens nach den Ergebnissen der Studien des BMU und des Landes NRW; geplante gesetzliche Änderung des Rechtsrahmens Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Frank Schwabe (SPD) Mündliche Frage 2 Frank Schwabe (SPD) Entscheidungen der EU zum Umgang mit Öl aus Teersanden und deutsche Position Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Frank Schwabe (SPD) Mündliche Frage 11 Marco Bülow (SPD) Konsequenzen aus dem europäischen AKW-Stresstestbericht für die europäische Sicherheit von Atomkraftwerken Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Marco Bülow (SPD) Mündliche Frage 12 Marco Bülow (SPD) Folgen aus der im Rahmen der europaweiten AKW-Stresstests erfolgten Feststellung einer Häufung von Schwächen bei Atomkraftwerken in Frankreich Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Marco Bülow (SPD) Ute Vogt (SPD) Mündliche Frage 13 Manfred Nink (SPD) Auswirkungen von Erkenntnissen im Rahmen des europäischen Stresstests für Atomkraftwerke auf die deutsche Risikobewertung für das französische Atomkraftwerk Cattenom Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Manfred Nink (SPD) Mündliche Frage 14 Manfred Nink (SPD) Initiierung eines Clubs der Energiewendestaaten Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Manfred Nink (SPD) Mündliche Frage 15 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Überlegungen der Bundesregierung betreffend die Möglichkeit einer europäischen Lösung zur Endlagerung radioaktiver Abfälle anstatt einer nationalen Einlagerung Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Ute Vogt (SPD) Mündliche Frage 16 Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Stand der Diskussion über eine europäische Lösung für radioaktive Abfälle Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Mündliche Frage 17 Dr. Matthias Miersch (SPD) Vorlage eines Gesetzentwurfs zur bundesweiten Suche nach einem Atommüllend-lager Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Mündliche Frage 18 Dr. Matthias Miersch (SPD) Frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und des Deutschen Bundestages an der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Endlagersuche für radioaktive Abfälle Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Dr. Matthias Miersch (SPD) Ute Vogt (SPD) Mündliche Frage 19 Ute Vogt (SPD) Aussage von Bundeskanzlerin Merkel vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Erkundung des Standorts Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfälle Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfragen Ute Vogt (SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) Mündliche Frage 20 Ute Vogt (SPD) Für das Jahr 2013 vorgesehene Ausgaben zur Erkundung alternativer Standorte im Vergleich zu Gorleben Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Zusatzfrage Ute Vogt (SPD) Mündliche Frage 34 Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gewalt und Arbeitsrechtsverletzungen gegen Minenarbeiter im südafrikanischen Marikana Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Zusatzfragen Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frank Schwabe (SPD) Mündliche Frage 46 Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Haltung der Landesregierungen in den neuen Ländern in der Frage der Angleichung des Rentensystems Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Zusatzfragen Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Iris Gleicke (SPD) Steffen-Claudio Lemme (SPD) Mündliche Frage 58 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorschläge zur Priorisierung der Fördergrundsätze der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 60 Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ausnahmegenehmigung für den Einsatz des Rodentizids Ratron in Thüringen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Zusatzfragen Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 61 Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Konsequenzen aus einer US-Studie zum Anstieg des Herbizidverbrauchs durch den Anbau herbizidtoleranter gentechnisch veränderter Organismen Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Zusatzfragen Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 67 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erwarteter Güterschiffsverkehr auf der Havel angesichts modifizierter Ausbaupläne Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Zusatzfrage Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Finanzielle -Belastungen der Geringverdienerhaushalte durch die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Ökostromsubventionen Marie-Luise Dött (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peter Altmaier, Bundesminister BMU Dr. Matthias Miersch (SPD) Patrick Döring (FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Gabriele Groneberg (SPD) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) Manfred Grund (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 30 GO) Franz Obermeier (CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Mündliche Frage 4 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Konkrete Schritte der Bundesregierung bezüglich des Stromsparens Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 3 Mündliche Frage 5 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gesetzliche Untersagung des Einsatzes der Fracking-Technologie in Trinkwasserschutzgebieten Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 4 Mündliche Frage 6 Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kontakte von Lobbyisten zum BMU zum Thema Energiewende in den letzten drei Monaten; Einführung eines Lobbyistenregisters Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 5 Mündliche Frage 7 Ulrich Kelber (SPD) Zusammensetzung der Kostenpositionen der auf knapp 5,3 Cent steigenden EEG-Umlage Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 6 Mündliche Frage 8 Ulrich Kelber (SPD) Kriterien und Zeitplan für die Prüfung der Ausnahmeregelungen für die Industrie zur Befreiung von der EEG-Umlage Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 7 Mündliche Frage 9 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umrechnung des Anteils der erneuerbaren Energien von 40 Prozent in Terawattstunden für das Jahr 2020 im Verfahrensvorschlag von Bundesminister Peter Altmaier zum Erneuerbare-Energien-Gesetz Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 8 Mündliche Frage 10 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beseitigung rechtlicher Hindernisse für die Versorgung von Mietern mit in räumlicher Nähe zum bewohnten Gebäude erzeugtem EEG-/KWK-Strom Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 9 Mündliche Frage 21 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unterbrechung der Arbeiten an der vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben (VSG) zur Erarbeitung eines Endlagersuchgesetzes; etwaiges Glaubwürdigkeitsproblem aufgrund nicht dokumentierter Vorgespräche Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 10 Mündliche Frage 22 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiter-ebene zwischen dem BMU und den Atomaufsichtsbehörden im Jahr 2010 Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU Anlage 11 Mündliche Frage 23 Willi Brase (SPD) Schaffung von Ausbildungsbausteinen in weiteren Ausbildungsberufen Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 12 Mündliche Frage 24 Klaus Hagemann (SPD) Auswirkungen der Finanzierungslücken beim Studierendenaustauschprogramm Erasmus, dem EU-Forschungsprogramm und dem Europäischen Sozialfonds Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 13 Mündliche Frage 25 Swen Schulz (Spandau) (SPD) Termin für die Nationale Bologna-Konferenz; Korrekturbedarf der Bologna-Reform Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF Anlage 14 Mündliche Frage 26 Dr. Sascha Raabe (SPD) Entsendebedingungen und Regelung der Aufgabenübernahme des fusionierten Deutschen Entwicklungsdienstes durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 15 Mündliche Frage 27 Dr. Sascha Raabe (SPD) Entwicklung der Anzahl der vom Deutschen Entwicklungsdienst entsandten Mitarbeiter und Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 16 Mündliche Frage 28 Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Weitere Finanzierung der Vorhaben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Dadaab und Kakuma Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMZ Anlage 17 Mündliche Frage 29 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Widerruf oder Rücknahme von Export-genehmigungen für Rüstungsgüter und Kriegswaffen nach dem Antrag Portugals auf Hilfen aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 18 Mündliche Fragen 30 und 31 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Veröffentlichung der von der Markttransparenzstelle gesammelten Daten für den Benzinmarkt Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 19 Mündliche Frage 32 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Senkung des Strompreises über eine Drosselung der Stromsteuer und Forderung nach Einführung eines Stromsteuerfreibetrages Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 20 Mündliche Frage 33 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Finanzierung von Projekten zur Verbesserung des Gesundheitswesens und zur Modernisierung der regionalen Verwaltung in Griechenland Antwort Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 21 Mündliche Frage 35 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Unterstützung eines vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Einsatzes in Mali Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 22 Mündliche Frage 36 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haftbedingungen in Griechenland Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 23 Mündliche Frage 37 Inge Höger (DIE LINKE) Entsorgung ausrangierter Munition in Russland vor dem Hintergrund einer Explosion an Militäranlagen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 24 Mündliche Frage 38 Inge Höger (DIE LINKE) Militärische Verstärkung Deutschlands durch die NATO im Norden des Kosovo und damit verbundene politische Strategie Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 25 Mündliche Frage 39 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vertraulichkeitsbestimmung im deutsch-usbekischen Vertrag über die Nutzung des Militärflughafens Termes Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 26 Mündliche Frage 40 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bereitstellung finanzieller Mittel für das Passieren von Checkpoints im Rahmen des Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 27 Mündliche Frage 41 Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Informationen über Verbleib und Zustand des ägyptischen Bloggers A. S. Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Anlage 28 Mündliche Frage 42 Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Transparenzinitiative zur Zurückdrängung des Einflusses wirtschaftlicher Interessen auf Entscheidungen von Exekutive und Legislative Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 29 Mündliche Frage 43 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tonaufzeichnungen bei öffentlichen Veranstaltungen durch Bundesbehörden seit 2007 und mithilfe unbemannter Luftfahrzeuge Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 30 Mündliche Frage 44 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erkenntnisse über Tätigkeiten der US-Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Kiesewetter am 25. April 2007 Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 31 Mündliche Frage 45 Andrej Hunko (DIE LINKE) Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von sogenannten Massendaten zur Aufklärung der Mordfälle des Nationalsozialistischen Untergrunds Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 32 Mündliche Frage 47 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Genehmigungspflicht für Anschlusstätigkeiten ausgeschiedener Regierungsmitglieder; Vorschläge für ein verbindliches Lobbyistenregister und für mehr Transparenz im Parteiengesetz Antwort Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 33 Mündliche Frage 48 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 34 Mündliche Frage 49 Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswirkungen des geplanten Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr auf die Rechtsposition der Auftragnehmer Antwort Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 35 Mündliche Frage 50 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Etwaige Senkung des Mehrjährigen Finanzrahmens auf Kosten der mittelosteuropäischen Staaten als Folge der möglichen Einrichtung eines eigenen Budgets für die Euro-Zone Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 36 Mündliche Frage 51 Andrej Hunko (DIE LINKE) Analyse des Internationalen Währungsfonds zu den Auswirkungen der Kapitalflucht aus der Peripherie der Euro-Zone Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 37 Mündliche Frage 52 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einsparung staatlicher Ausgaben als Ursache für die Verschlimmerung der Rezession in den Krisenstaaten der Euro-Zone Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 38 Mündliche Frage 53 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Unterschiede bei der Steuerrückvergütung von Agrardiesel für private Fahrzeuge und geplante Änderungen Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF Anlage 39 Mündliche Frage 54 Willi Brase (SPD) Evaluierung der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 40 Mündliche Fragen 55 und 56 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stand der Umschulung von 5 000 Arbeitslosen zu Erziehern Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 41 Mündliche Frage 57 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zwangsarbeit von Kindern und Erwachsenen bei der Baumwollernte in Usbekistan Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS Anlage 42 Mündliche Frage 59 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Autorinnen und Autoren der Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung zu einer französischen Studie über Fütterungsversuche mit dem gentechnisch veränderten Mais NK 603 Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV Anlage 43 Mündliche Frage 62 Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Teilnahme des Generalinspekteurs der Bundeswehr an einem ISAF-Targeting-Prozess Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 44 Mündliche Frage 63 Veronika Bellmann (CDU/CSU) In den Aktionsprogrammen I und II geförderte Mehrgenerationenhäuser Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ Anlage 45 Mündliche Frage 64 Veronika Bellmann (CDU/CSU) Von ausländischen Behörden eingeforderte Bußgelder wegen unterschiedlicher Verwendung des Trennstrichs im Fahrzeugschein und am Kennzeichen Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 46 Mündliche Frage 65 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kostenschätzungen des Gesamtvolumens für aktuelle Bauprojekte des Vordringlichen und Weiteren Bedarfs Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 47 Mündliche Frage 66 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auflösung des Missverhältnisses zwischen zur Verfügung stehenden Mitteln und angemeldeten Vorhaben im Bundesprogramm des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes; erforderliche Finanzausstattung des öffentlichen Personennahverkehrs zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrsbereich Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 48 Mündliche Frage 68 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Weigerung der Fluggesellschaft Air Berlin zur Mitnahme von Menschen mit Behinderungen Antwort Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS Inhaltsverzeichnis 197. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2012 Beginn: 13.00 Uhr Vizepräsident Eduard Oswald: Ich grüße Sie sehr herzlich. Schönen Nachmittag! Bitte nehmen Sie Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze – Drucksache 17/7700 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Somit eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat als Erster der Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat in der 16. Wahlperiode die Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert, den Kampf gegen Antisemitismus weiter und verstärkt zu führen und jüdisches Leben in Deutschland zu fördern. Im Zuge der Umsetzung dieses Antrags des Deutschen Bundestages ist ein Expertengremium 2009 ins Leben gerufen worden, das, wie ich meine, einen sehr fundierten, einen sehr facettenreichen und sehr gründlichen Bericht in zweijähriger Arbeit erstellt hat. Dieser Bericht ist eine gute Diskussionsgrundlage und ergänzt die eigenen Erkenntnisse, die die Bundesregierung anhand von vielen Programmen, die standardmäßig wissenschaftlich begleitet werden, gewonnen hat. Insofern hat sich dies gelohnt und sollte in Zukunft fortgeschrieben werden. Antisemitismus ist ein Thema, das nicht nur die jüdische Gemeinde in Deutschland angeht. Es berührt die Grundfesten unserer Demokratie, unserer Freiheit, unseres Zusammenlebens. Der Kampf gegen Extremismus, egal woher er kommt, ist eine Aufgabe, bei der dieser Staat und diese Gesellschaft gemeinsam zusammenwirken. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Tatsache, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten in den letzten Jahren stabil geblieben bzw. sogar leicht gesunken ist, beruhigt uns nicht; denn das Niveau ist nach wie vor sehr hoch. Allein die Tatsache, dass es solche Straftaten gibt, zeigt, dass das Problem vorhanden ist und dass wir das Problem gemeinsam lösen müssen. Es gab erst vor wenigen Monaten hier in Berlin einen Überfall auf den Rabbiner Daniel Alter. Ich glaube, dass dieser Überfall ein Handlungsauftrag an alle war, nämlich sicherzustellen, dass es kein Stadtviertel in irgendeiner Stadt dieses Landes geben darf, in dem Menschen um ihre Sicherheit oder gar um ihr Leben fürchten müssen, nur weil sie sich zu einer bestimmten Religion bekennen, weil sie eine bestimmte Hautfarbe haben oder weil sie als anders erkennbar sind. Wir schulden es unserem Staat und unserer Demokratie, sicherzustellen, dass Freiheit, dass Recht und Toleranz überall im Lande, in jedem Stadtviertel durchgesetzt werden. (Beifall im ganzen Hause) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bericht spricht davon, dass circa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland antisemitisches Gedankengut in irgendeiner Weise haben. Nun ist ein Streit darüber ausgebrochen, wie man auf diese 20 Prozent kommt. Die einen sagen, es seien viel mehr, die anderen sagen, so viel könnten es gar nicht sein. Natürlich kommt es immer darauf an, wie man die Fragen formuliert. Entscheidend ist jedoch nicht, welche Zahlenstatistiken vorliegen. Entscheidend ist vielmehr, dass es immer noch oder schon wieder Ressentiments, Klischees und Verschwörungstheorien gibt, die mit unserer Demokratie und der freiheitlichen Grundordnung nicht vereinbar sind und gegen die wir mit aller Konsequenz vorgehen müssen. Das Thema Antisemitismus wird aber auch von außen an unser Land herangetragen. Für islamistische Aktivisten und Organisationen weltweit sind Antisemitismus und Ressentiments gegen Juden ein nahezu selbstverständlicher Bestandteil ihrer Propaganda und ihrer Ideologie. Das gilt auch für die Gruppierungen, die in Deutschland tätig sind und die von unserem Verfassungsschutz beobachtet werden. Das Lagebild, das der Verfassungsschutz zeichnet, zeigt, dass auch für die Neonazis und die rechtsextremistischen Gruppen in Deutschland Antisemitismus ein verbindender und fester Bestandteil ihrer Propaganda und ihrer Ideologie ist. Es ist wichtig, dass man die Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz gewonnen hat, einarbeitet in die politische Bildung und in die Aufklärungsak-tionen, die wir jetzt und in der Zukunft gemeinsam auf den Weg bringen müssen. Das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass heutzutage 90 Prozent der antisemitischen Straf- und Gewalttaten von den Neonazis begangen werden. Schauen wir einmal, wie das konkret abläuft: Die Neonazis nehmen jedes tagespolitische Ereignis sofort zum Anlass, um Verschwörungstheorien über die Juden in Deutschland, aber auch weltweit, zu verbreiten. Das alles zeigt, dass wir gegen diese Volksverhetzung durch die Neonazis mit aller Konsequenz vorgehen müssen. 50 Prozent aller rechtsextremistischen Straftaten sind Volksverhetzungsstraftaten. Das macht deutlich, dass unser Staat und jeder Demokrat gefordert ist, den Antisemitismus entschlossen zu bekämpfen – egal in welcher Maske er daherkommt – und ihm entgegenzutreten. (Beifall im ganzen Hause) Es gibt zahlreiche Bundesprogramme, die aufzeigen sollen, mit welchen Mechanismen die antisemitische Propaganda der Neonazis vorgeht, um junge Leute auf ihre Seite zu ziehen und sie für sich zu gewinnen. Wir stellen fest, dass das Internet inzwischen zu einer bevorzugten Plattform für diese Propagandisten geworden ist; denn es eröffnet – allen Propagandisten übrigens – weltweit völlig neue Möglichkeiten, an junge Menschen, die in bestimmten Lebensphasen ein wenig anfällig sein können, heranzukommen. Im Dezember 2011 haben wir das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus gegründet. Ein Schwerpunkt der Arbeit dieses Zentrums besteht in der Auseinandersetzung mit der Frage, welche Erscheinungsformen des Antisemitismus und des Rechtsextremismus es im Internet gibt und welche Gegenmaßnahmen man im Rahmen der politischen Bildung auch im Internet auf den Weg bringen kann, um diesen Propagandamustern und -strukturen etwas entgegenzusetzen. Etwas entgegensetzen – das bedeutet auch, dass wir die Zivilgesellschaft stärken müssen. Ein Programm aus dem Bundesinnenministerium, das sich „Zusammenhalt durch Teilhabe“ nennt, setzt genau an dieser Stelle an. Es geht dabei darum, Vereine und Organisationen zu stärken, Demokratietrainer auszubilden, die die Propagandastrukturen und die Argumentationsmuster der Antisemiten ausfindig machen, entlarven und dann entsprechend dagegen argumentieren können. In der Deutschen Islamkonferenz steht das Thema Antisemitismus ebenfalls auf der Tagesordnung. Seit 2010 gibt es die Arbeitsgruppe „Präventionsarbeit mit Jugendlichen“, die sich mit Extremismus und Gewalt phänomenübergreifend beschäftigt und die insbesondere den religiös begründeten und begleiteten Extremismus zum Gegenstand hat. Wir haben vor, bei der nächsten Islamkonferenz im März/April nächsten Jahres konkrete Handlungsempfehlungen auf den Tisch zu legen, wie diese Präventionsarbeit mit Jugendlichen in Zukunft verstärkt und weiter verbessert werden kann. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland – das ist die positive Botschaft – wächst, und sie wächst stärker als sonst wo in Europa. Die Bundesregierung unterstützt mit finanziellen Mitteln, aber auch ideell die Entwicklung insbesondere der überregionalen Einrichtungen, die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und den Aufbau des jüdischen Lebens in Deutschland. Ich glaube, wir beobachten da seit vielen Jahren eine sehr positive Entwicklung, und sie ist es wert, dass alle Ebenen des Staates sie unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Der Bericht der Experten enthält viele Empfehlungen, die wir sorgfältig prüfen und die wir, soweit sie sinnvoll, notwendig, finanzierbar und nicht schon durchgeführt sind, unmittelbar umsetzen werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche sind das denn?) Entscheidend ist, dass wir diesen Bericht aktualisieren; ich würde vorschlagen, dass wir ihn mindestens einmal pro Wahlperiode auf den neuesten Stand bringen. Der vorliegende gründliche Bericht bildet hierfür ein gutes Fundament. Ich bedanke mich bei den Professoren, den Wissenschaftlern und den Experten, die mitgemacht haben, für ihre Arbeit. Ich bedanke mich bei allen im Land, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, aktiv und leidenschaftlich dem Antisemitismus entgegenzutreten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Wolfgang Thierse. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Thierse. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Serkan Tören [FDP]) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit November 2011 liegt nun der erste Antisemitismusbericht dem Bundestag vor. Am 23. Januar 2012 habe ich ihn mit Kollegen aller Fraktionen und Mitgliedern des Expertenkreises der Öffentlichkeit vorgestellt. Heute erst debattieren wir darüber im Bundestag; das ist wahrlich etwas spät. Der Bericht hat größere Aufmerksamkeit als bisher verdient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn es gibt schlechten, bedrückenden aktuellen Anlass: In den letzten Wochen wurde in Berlin ein Rabbiner überfallen. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde bedroht. Das sind nur zwei Beispiele für den alltäglichen Antisemitismus in Deutschland. Auch im Zusammenhang mit der Beschneidungsdebatte sind antisemitische Untertöne unüberhörbar. Ich zitiere nur einen Satz aus vielen polemischen, ja hass-erfüllten Zuschriften an mich wörtlich: Ich bin kein Rechtsradikaler, aber irgendwann muss mal Schluss sein mit dem ewigen Ducken vor den Juden. – Ein geradezu prototypischer antisemitischer Satz. Wie viele in Deutschland mögen genau so denken? Seitdem der Bericht vorliegt, wissen wir es: bis zu einem Fünftel der Bevölkerung; ein erschreckender Befund. Der Bericht macht auf beunruhigende Weise deutlich, dass antisemitische Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen. Erscheinungsformen, Wirkungsweisen und Ausbreitung dieser Menschenfeindlichkeit genau zu kennen und zu beobachten, ist die Vorbedingung für ein energisches und nachhaltiges Handeln. Das macht den Bericht so wichtig. Wir sollten gemeinsam Konsequenzen aus ihm ziehen; denn – auch das will ich, so wie der Herr Minister, betonen – der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht zuvörderst und schon gar nicht allein eine Sache der Juden in Deutschland, sondern unsere Sache, die Sache aller Demokraten, aller Anständigen im Lande. (Beifall im ganzen Hause) Die Konsequenzen: Erstens. Wir brauchen Kontinuität und Stetigkeit in Analyse und Berichterstattung; hier besteht, denke ich, Konsens. Der Bundestag hat schon in seiner Entschließung vom 4. November 2008 zum Ausdruck gebracht, dass er sich seiner Verantwortung bewusst ist, jeder Form von Antisemitismus in Deutschland entgegenzuwirken. Regelmäßige Berichte über Antisemitismus in Deutschland erstellen zu lassen, wurde interfraktionell beschlossen. Alle Beteiligten waren sich einig: Eine intensive und vor allem kontinuierliche Berichterstattung ist notwendig. Deshalb sollte das deutsche Parlament in jeder Legislaturperiode über einen solchen Bericht und die Konsequenzen daraus debattieren. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Antisemitismus ist kein gänzlich isolierbares Problem. Er ist eingebettet in und Teil von Rechtsextremismus, Rassismus, Islamismus, Israelfeindschaft, Minderheitenfeindlichkeit. Diesen Zusammenhang gilt es mehr denn je zu beachten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie kennen die Zahlen: 90 Prozent aller antisemitischen Straf- und Gewalttaten werden von Rechtsextremisten begangen. Gerade weil wir das Phänomen, das Problem nicht isolieren können und dürfen, halte ich eine Ausweitung des Fokus auf weitere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – diesen Begriff verwendet Wilhelm Heitmeyer, um die unterschiedlichen Formen von Menschenfeindlichkeit zu erfassen – für dringend erforderlich; denn unterschiedliche Vorurteile und Feindbilder greifen eben ineinander und bilden ein gefährliches Konglomerat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass genau dies lange nicht erkannt wurde, zeigen auf dramatische Weise auch die Taten des NSU. Wer über Antisemitismus angemessen und folgenreich sprechen und wer handeln will, der darf über die anderen Erscheinungsweisen menschenfeindlichen Verhaltens nicht schweigen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drittens. Erkenntnisse allein reichen nicht aus. Sie müssen in Strategien und Aktivitäten zur Überwindung von Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit übersetzt werden. Der wissenschaftlichen Beobachtung müssen aktive Schritte folgen. Erforderlich ist, wie auch von den Experten empfohlen, eine Verstetigung der Bundesprogramme. Momentan sind dies vor allem Modellprojekte. Da aber gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus keine punktuellen, sondern andauernde Probleme und Herausforderungen sind, bedarf es auch keiner nur punktuellen, sondern eben einer dauerhaften Bekämpfung. Nur wenn dauerhafte Programme gefördert werden, kann die Arbeit ohne effi-zienzmindernde Förderlücken gesichert werden. Aus dem Nebeneinander und der zeitlichen Begrenztheit verschiedener Aktionen und Programme, die stets neu initiiert und aufgestellt werden, müssen Institutionen und Initiativen werden, die tatkräftig und verlässlich arbeiten, damit sie nachhaltige Wirkung entfalten können. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, es ist ein bedauernswerter Zustand, dass nach einer Schreckensmeldung in den Medien die öffentliche Erschütterung zwar groß ist, aber selten lange anhält. Es ist ein bedauernswerter Zustand, dass engagierte Menschen Projekte aufbauen, Netzwerke installieren und dass, kaum haben diese begonnen, zu arbeiten und zu funktionieren, die Förderung ausläuft und die Projekte enden. Diese Zyklen medialer Konjunktur und kurzfristigen staatlichen Engagements gilt es zu durchbrechen. Über die genaue Form der Unterstützung und auch der Finanzierung der Bundesprogramme – ich persönlich plädiere dafür, dass wir endlich eine Bundesstiftung einrichten – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wird man trefflich streiten können. Wichtig aber ist ein Konsens über deren Notwendigkeit. Eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe Antisemitismus hat bereits gut zusammenarbeitet und sollte sich jetzt daranmachen, einen gemeinsamen Antrag in dieser Richtung zu erarbeiten. Der Beschluss von 2008 hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt, wie wir immer wieder neu auf erschreckende Weise sehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Er ist zu erneuern und mit den Erkenntnissen dieses Berichts anzureichern und umzusetzen. Wie 2008 ist es auch heute wünschenswert und dringend erforderlich, dass der Bundestag geschlossen Gesicht zeigt, dass gemeinsam eine regelmäßige Berichterstattung über antisemitische und andere Formen der Menschenfeindlichkeit etabliert wird, dass eine Verstetigung der Bundesprogramme festgelegt wird und wir allen Menschen in Deutschland zeigen: Wir nehmen diese moralische und politische Herausforderung ernst. Wir tolerieren antisemitische Menschenfeindlichkeit nicht, und wir stehen dafür nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten ein – nicht punktuell, nicht zeitlich begrenzt, sondern fortwährend. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Wolfgang Thierse. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Stefan Ruppert. Bitte schön, Kollege Dr. Ruppert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass uns eine wissenschaftlich begleitete Erfassung des Phänomens des Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland vorliegt. Wir haben in diesem Hause schon häufiger über dieses Phänomen diskutiert. Ich finde, die Vielschichtigkeit, die dieser Bericht offenbart, hilft uns, unseren analytischen Blick nochmals zu schärfen. Ich will drei Aspekte hervorheben: Lange Zeit vertraten Wissenschaftler und große Teile der Zivilgesellschaft in Deutschland die Vorstellung, dass die Bekämpfung des Antisemitismus gelingt, wenn man die Gräuel der deutschen Geschichte aufarbeitet, wenn man, um es mit Norbert Frei zu sagen, eine Vergangenheitspolitik betreibt. Man glaubte, das Phänomen so überwinden zu können. Diese Schritte waren richtig und notwendig, aber wir stellen fest: Das allein reicht nicht aus. Der Antisemitismus stirbt nicht biologisch aus, sondern er kommt, wie es in dem Bericht ausgedrückt wird, in Wellenbewegungen wieder. Das hat mich, offen gesagt, schon beunruhigt, weil ich eigentlich stolz auf die Art und Weise bin, wie sich dieses Land seiner Vergangenheit, insbesondere den begangenen Gräueltaten und dem Holocaust, gestellt hat, wie es diese Vergangenheit aufgearbeitet hat. Aber das allein reicht, wie gesagt, nicht aus. Wir müssen uns dem Phänomen auf leider unabsehbare Zeit jeden Tag neu stellen. Wir stellen auch fest, dass es nicht ausreicht, zu sagen, dass dieses Phänomen ein Aspekt des Rechtsextremismus ist. Leider – auch das wird in diesem Bericht aufgezeigt – ist das Phänomen des Antisemitismus tief in der Gesellschaft verwurzelt, auch in bürgerlichen Gruppen, wahrscheinlich auch bei Wählergruppen unserer Parteien. Auch auf dieser Ebene müssen wir uns diesem Phänomen stellen und es wirksam bekämpfen. Der Bericht ist gut, allein es ist nicht einfach, die Handlungsoptionen, die sich daraus ergeben, zu definieren. Ich bin ein Anhänger von Extremismusbekämpfungsprogrammen. Ich bin dafür, dass wir Ausstiegsprogramme bewusst finanzieren. Das ist aber ein sehr punktueller Ansatz, und am Ende ist das Problem nur durch die Gesamtheit der Bürger, durch die Zivilgesellschaft zu lösen und nicht durch einzelne Programme, so wichtig sie auch sind. Die Lösung dieses Problems ist und bleibt also unser aller Aufgabe. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich gebe meinem Vorredner durchaus recht: Wir sollen uns zu diesen Programmen bekennen. Das Konzept muss aber breiter angelegt sein, und deswegen sollten wir nicht, wie in so mancher Extremismusdebatte, in ein Links-Rechts-Schema verfallen und irgendwelche Dinge gegeneinander aufrechnen. Ich finde, in der heutigen Debatte findet dies erfreulicherweise nicht statt. Nein, diese Debatte führt uns Demokraten über Parteigrenzen hinweg zusammen, bis weit in die Partei der Linken hinein. Es ist gut, dass wir das zusammen machen, dass wir als Demokraten die Gemeinsamkeiten betonen und sagen, was wir hier gemeinsam verteidigen wollen. Ich glaube, für solche Debatten sollten wir uns öfter Zeit nehmen, auch wenn sie keinen Raum für parteipolitische Reflexe bieten, den Gesetzmäßigkeiten der Parteipolitik nicht folgen und auf den ersten Blick keine politische Attraktivität entfalten. Ich glaube, wir tun gut daran, häufiger eine solche breiter angelegte Debatte zu führen, in der wir die Gemeinsamkeiten betonen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ohne konkret auf die Beschneidungsdebatte einzugehen, möchte ich einen Punkt nennen, der mir in diesem Zusammenhang besonders aufgefallen ist: In der Bevölkerung in Deutschland geht die Sensibilität für die identitätsstiftende Funktion von Religion leider mehr und mehr verloren. Religion, nicht nur jüdischer Glaube, wird häufig als etwas wahrgenommen, das in einem Spannungsverhältnis zur Moderne steht. Ich glaube, diese Betrachtung ist zutiefst falsch, weil Religion für viele Menschen ein ganz wichtiger Teil ihrer Identität ist. Es gilt, dies im Sinne von Art. 4 unseres Grundgesetzes gemeinsam zu schützen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es ist eben nicht so, dass die Moderne sozusagen den Glauben überwindet. Ich glaube auch, dass die rigide Trennung von Staat und Kirche oder von Staat und Religionsgemeinschaften, die von manchen gefordert wird, dem Problem nicht gerecht wird. Warum zahlen wir denn an den Zentralrat der Juden? Wir zahlen, weil wir über jüdisches Leben in Deutschland glücklich sind, weil wir froh sind, dass dieses Leben wieder erstarkt und präsenter wird. Alle laizistischen Konzepte würden einer solchen Konstruktion sicherlich eher zuwiderlaufen. Deswegen bin ich ein großer Anhänger des Koopera-tionsverhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften. Dieser Bericht ist ein guter Auftakt. Er darf nicht das Ende, sondern er muss ein erneuter Aufbruch zur Bekämpfung des Antisemitismus sein. Er muss fortgeschrieben werden. Wir alle müssen uns fragen, auf welchen Ebenen wir dem Phänomen, das leider tiefer in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, als wir alle es uns wünschen, begegnen können. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Ruppert. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Frau Petra Pau. Bitte schön, Frau Kollegin Petra Pau. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern wir uns: Ignatz Bubis war lange Jahre Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er starb 1999. Sein Resümee war bitter – ich zitiere –: Ich wollte diese Ausgrenzerei, hier Deutsche, dort Juden, weghaben. Ich habe gedacht, vielleicht schaffst du es, daß die Menschen anders über einander denken, anders miteinander umgehen. Aber, nein, ich habe fast nichts bewegt. Ignatz Bubis ließ sich in Israel beerdigen – aus Angst, sein Grab werde in Deutschland geschändet wie das von Heinz Galinski, weil er Jude war. Diese Geschichte fiel mir jüngst wieder ein. Ein Rabbiner wurde im Beisein seiner Tochter krankenhausreif geschlagen, weil er Jude ist. Ein Taxifahrer verweigert einer Familie die Fahrt zur Synagoge. Beides geschah im Jahr 2012 in Berlin. In Göppingen skandierten Nazis: „Ein Baum, ein Strick, ein Judengenick.“ Die Polizei griff nicht ein. Ich könnte noch mehr Beispiele nennen. Der Deutsche Bundestag hat im November 2008 einen Beschluss gefasst: „Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern“. Auch ich hatte damals dafür geworben. Wir beschlossen einmütig sieben konkrete Aufträge an die Bundesregierung. Über einen davon reden wir heute: über die Analyse einer Expertenkommission zum Antisemitismus in Deutschland. Ich bedauere ebenso wie der Kollege Thierse, dass wir das nicht dringlich auf die Tagesordnung gesetzt haben, sondern fast ein Jahr danach. Eine zentrale Aussage der Expertise ist: Nazis und Judenhass gehören zusammen. Dies ist kein Verweis auf vorgestern, sondern auf heute. Kurzum: Gegen Antisemitismus heißt primär gegen Rechtsextremismus. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Aber der Bericht belegt auch: Judenfeindlichkeit gibt es quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Lager. Deshalb mahne auch ich – da haben Sie, Kollege Ruppert, recht –: Wir sollten uns hüten, das parteipolitisch auszuschlachten; denn das hilft letztendlich nur Antisemiten. Wir müssen Antisemitismus parteiübergreifend ächten und viel mehr zur Prävention tun. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Im vorliegenden Bericht werden ausführlich Quellen und Formen von altem und neuem Antisemitismus beschrieben. Er grassiert beim Sport, in Medien, auf Schulhöfen, unter Deutschen und Migranten, in Ost und West. Dass er anderswo stärker ausgeprägt ist – ich verweise zum Beispiel auf Ungarn –, sollte uns endlich gemeinsam beunruhigen. Antisemitismus ist ein drängendes EU-Problem. Aber er bleibt ein nicht delegierbares deutsches Problem. Es gibt engagierte gesellschaftliche Initiativen gegen Antisemitismus; die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiative „Gesicht Zeigen!“ und das Internetportal haGalil gehören zu den bekannteren. Die Schwarzkopf-Stiftung bringt Jugendlichen den europäischen Gedanken und -zugleich den Kampf gegen Antisemitismus nahe. Anwärterinnen und Anwärter der Berliner Polizei pflegen Patenschaften zum Denkmal für die Kindertransporte 1938/39 und zu noch Lebenden unter den damals so geretteten Jüdinnen und Juden. So weit, so beispielhaft. Zugleich gibt es aber immer mehr Initiativen gegen Antisemitismus, die finanziell ausbluten, weil sie bundespolitisch alleingelassen werden. Wir kennen das aus Berlin-Kreuzberg. Ähnliche Beispiele gibt es vielerorts: hehre Beschlüsse hier und verheerendes Versagen da. Das muss sich ändern. Das müssen wir, auch wir im Bundestag, ändern. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das mahnende Fazit im Expertenbericht lautet: Es gibt kein schlüssiges Gesamtkonzept gegen Antisemitismus. Gemeint ist hier die Bundespolitik. Ich finde, dasselbe trifft auf den Kampf gegen Rechtsextremismus zu. Es ist also höchste Zeit, dass wir heute über den Bericht reden. Aber es hilft nichts, wenn es folgenlos bleibt. Deshalb schließe ich mich den Vorschlägen, die hier schon gemacht wurden, an und schlage vor: Erstens. Das Mandat für die unabhängige Expertenkommission ist zu verlängern, verbunden mit hinreichenden Arbeitsbedingungen. Zweitens. Das gesellschaftliche, wissenschaftliche und staatliche Engagement gegen Antisemitismus muss endlich koordiniert werden. Drittens. Das Thema Antisemitismus sollte in der Ausbildung von Pädagogen, Journalisten, Polizisten und Juristen viel präsenter sein. Viertens. Die europäische Dimension des Antisemitismus muss stärker eingeblendet und als gemeinsames Problem angenommen werden. Fünftens. Gesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind endlich verlässlich zu fördern. Drei Schlusssätze, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich weiß, dass ob der jüngsten Vorkommnisse Jüdinnen und Juden erwägen, Deutschland zu verlassen. Ihre Flucht wäre für uns alle ein Armutszeugnis. (Beifall im ganzen Hause) Umso mehr werde ich weiter gegen Antisemitismus kämpfen und jüdisches Leben fördern. Wir sollten uns in der hier schon angeregten weiteren Debatte bzw. den bereits angeregten weiteren Debatten auch den anderen sechs Beschlusspunkten aus dem Jahre 2008 zum Thema „Förderung jüdischen Lebens“ zuwenden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollegin Petra Pau. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Volker Beck. Bitte schön, Kollege Volker Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Mitglieder der Expertenkommission auf der Tribüne begrüßen. Da niemand daran gedacht hat, haben wir dafür gesorgt, dass sie der Debatte heute beiwohnen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab-geordneten der CDU/CSU) Ich begrüße auch die Vertreterinnen und Vertreter der Amadeu-Antonio-Stiftung, des American Jewish -Committee, des Zentralrates der Juden in Deutschland und der jüdischen Gemeinde von Berlin. Ich glaube, die Wertschätzung derjenigen, die sich tagein, tagaus – und nicht nur einmal im Jahr in einer Debatte über einen -Bericht – im Kampf gegen den Antisemitismus engagieren, ist ein wichtiger Punkt bei der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2011 gab es in Deutschland laut Bundesinnenministerium 1 239 antisemitische Straftaten und 29 Gewalttaten, davon allein 10 Gewalttaten in Nordrhein-Westfalen. Alle sieben Stunden eine antisemitische Straftat, an jedem zwölften Tag eine antisemitische Gewalttat. Das heißt, Antisemitismus – da muss ich Ihnen widersprechen, obwohl ich sonst mit vielem einverstanden bin, Herr Ruppert – kommt nicht in Wellen. Antisemitismus in Deutschland ist Teil des Alltags. An diesen Alltag dürfen wir uns nicht gewöhnen. Wir müssen offensiv etwas dagegensetzen. Wir dürfen die Situation in dieser Debatte nicht nur beklagen, sondern wir müssen klare Handlungsempfehlungen geben und Konsequenzen ziehen; sonst sind diese Debatten ein Stück weit wertlos. Wir sind uns einig: Wir finden Antisemitismus in allen Fraktionen gleichermaßen verurteilenswert. Entscheidend ist, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, normalerweise sucht sich der Antisemitismus einen Vorwand, um sich politisch zu entladen. Häufig sind es politische und militärische Konflikte im Nahen Osten, die von Antisemiten auch innenpolitisch instrumentalisiert werden. In diesem Jahr gab es die Beschneidungsdebatte. Es gibt viele Menschen in diesem Land und auch hier im Hohen Haus, die sagen: Der Weg, den das Justizministerium oder die Mehrheit des Bundestages beschritten haben, ist der falsche Weg; den kann ich nicht mitgehen. – Diese Menschen tragen dafür aber respektable Gründe vor. Allerdings was für Mails ich in diesem Zusammenhang als Reaktion auf meine öffentlichen Interventionen bekommen habe – nicht nur von Rechtsextremisten –, das hat mich wirklich erschüttert. Ich muss sagen: Zum ersten Mal habe ich viele jüdische Freunde verstanden, die manchmal darüber nachdenken, ob sie in diesem Land weiterhin leben wollen und weiterhin leben können. Ich zitiere nur einige dieser Zuschriften: Das sei das schlimmste Verbrechen seit Auschwitz. – Juden seien Babymetzler. – Der Zentralrat der Juden lenke die deutsche Politik, und ich sei ein Judenknecht. – Es gibt Vergleiche der Beschneidungen mit den Medizinversuchen des Naziarztes Mengele. Solche Dinge lehnen wir alle hier im Hause gemeinsam ab; das ist klar. Aber wir müssen uns dem stellen; denn das kommt aus der Mitte der Gesellschaft, das kommt nicht nur von politisch organisierten Rechts-extremisten. Das ist das Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Da reicht es nicht – obwohl es -absolut notwendig ist –, dass wir auf die Straße gehen, dahin, wo die NPD und andere Organisationen hetzen, sondern wir müssen nachhaltig auch etwas für den Einstellungswandel mitten in unserer Gesellschaft tun. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Das ist die offene Frage, die hier auf dem Tisch liegt. Die Expertenkommission hat ja nicht nur einen Sachstandsbericht verfasst, sondern sie hat auch viele Empfehlungen erarbeitet. Da muss ich schon sagen: Schade, dass wir so spät darüber diskutieren; denn der Bericht war schon im November 2011 fertig. Aber wenn wir schon so spät darüber diskutieren, hätte ich von Ihnen, Herr Bundesinnenminister, schon erwartet, dass die Bundesregierung uns in dieser Debatte eine Antwort auf die Empfehlungen gibt, aus der hervorgeht, was sie davon wann und wie umsetzen will. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Ich hätte mir nicht gewünscht, dass sie nur sagt: Das werden wir alles prüfen. Wir schauen einmal; vielleicht ist manches auch finanzierbar. – Nein, Herr Bundesinnenminister, wir, Fraktionen und Bundesregierung, müssen uns nach dieser Debatte zusammensetzen und schauen, wie wir diese Dinge auf den Weg bringen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Wir haben hier schon nach den NSU-Morden eine -Resolution verabschiedet. Darin haben wir die Bundesregierung aufgefordert, zu überprüfen, wie wir die -Hürden, die es gegenwärtig bei den unterschiedlichen Programmen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus gibt – diese Programme machen eine gute Arbeit –, stabilisieren können und wie wir dafür sorgen können, dass die Arbeit auch in den Regionen stattfinden kann, wo sie am nötigsten ist. Ich habe von der Familienministerin bis heute nichts dazu gehört, was aus der Überprüfung geworden ist. Kein Punkt hat sich geändert. Der Bericht kritisiert ausdrücklich das Problem der Kofinanzierungen. In den -Regionen, in denen wir ein besonders starkes Problem mit Rechtsextremismus und Antisemitismus haben, sind leider auch bei den kommunalen Akteuren die Sensibilität und das Problembewusstsein für die Problemlage -zuweilen entsprechend schlecht ausgeprägt. Das heißt, die Bereitschaft der Kommunen, in die Kofinanzierung einzusteigen, ist gerade dort oftmals nicht vorhanden, wo die Projekte am notwendigsten sind. Deshalb muss die Kofinanzierungspflicht weg, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) und wir müssen das ganze Verfahren auch entbürokratisieren. Wir müssen in dieser Debatte auch zum Ausdruck bringen, dass wir, was ich eingangs gesagt habe, die Leute, die diese Arbeit tun – das sind Menschen, die viel freie Zeit, viel private Energie, oftmals auch viel Geld in diese Arbeit stecken – – Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Volker Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reinhard Grindel? Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, im Lichte der Diskussion, die wir jetzt geführt haben: Sind Sie wirklich der Auffassung, dass es diesem Thema und dieser Debatte angemessen ist, einen derartig parteipolitisch-kleinteiligen Redebeitrag zu halten? Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe überhaupt nicht über Parteien geredet; insofern erstaunt es mich, wenn Sie hier von Parteipolitik -reden. Ich habe dazu aufgefordert, dass wir uns fraktionsübergreifend gemeinsam an einen Tisch setzen, um die Empfehlungen abzuarbeiten. Wenn wir in den Debatten zu den NSU-Morden, zur Frage der Bekämpfung von Rechtsextremismus und -Antisemitismus im Hohen Hause übereinstimmend zu Aufforderungen an die Bundesregierung kommen, erwarte ich schon, dass das nicht leere Worte sind, sondern dass das Konsequenzen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese stehen aus. Es geht nicht darum, Herr Grindel – darauf antworte ich Ihnen wirklich sehr gerne –, dass wir eine Debatte nach der anderen über Antisemitismus führen und uns am Holocaust-Gedenktag unserer Geschichte erinnern, aber für die Zukunft daraus keine Konsequenzen im Sinne von Prävention ziehen. (Beifall der Abg. Christine Lambrecht [SPD]) Wir sollen uns hier nicht als Demokraten selbst beweihräuchern, sondern wir müssen die Demokratinnen und Demokraten, die sich draußen in der Gesellschaft den Rechten entgegenstellen, ihnen widersprechen, mit den Jugendlichen arbeiten, damit der Einfluss der Rechtsextremen auf die Köpfe abnimmt, tatkräftig unterstützen. Daran sind wir zu messen und nicht daran, wer im Deutschen Bundestag die schönste Rede zu diesem Thema gehalten hat. Am Ende geht es um das, was wir gemeinsam zustande bringen, um die Welt und unser Land in die richtige Richtung zu verändern. 20 Prozent Antisemiten in Deutschland, das kann uns doch nicht ruhen lassen. (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Überlegen Sie, wie viele das hier im Haus wären, wenn wir uns einrechnen würden. Daran sieht man: Das ist eine gewaltige Quantität in der Anhängerschaft aller Parteien, aller gesellschaftlichen Organisationen. Dem müssen wir uns stellen. Mit Verlaub, Herr Kollege: Wenn wir uns über diese Sachen nicht ernsthaft unterhalten – gegebenenfalls auch streiten –, kommen wir keinen Schritt voran. (Zuruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]) Ich will dazu beitragen, dass wir hier die entsprechenden Dinge auf den Weg bringen. Dazu gehört für mich die Beseitigung der Extremismusklausel. Dazu gehört für mich, dass die Projekte, die vor Ort arbeiten, nicht immer nur eine Finanzierung auf drei Jahre bekommen, und danach ist Schluss, dann muss man sich ein neues Projekt ausdenken, oder das Geld geht in eine andere Stadt, zu einem anderen Träger. Wenn wir verstanden haben, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus ein kontinuierliches und dauerhaftes Problem in unserem Land sind, dann muss unsere Gegenstrategie doch -genauso nachhaltig sein. Wir können nicht davon aus-gehen, dass nach drei Jahren Projektarbeit das Problem gelöst ist und wir uns dem nächsten Thema zuwenden können. Ich glaube, das sind wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte unserem Land und den Menschen in unserem Land schuldig. Meines Erachtens ist die Arbeit gegen Antisemitismus nicht vordringlich die Aufgabe der Juden. Nein, es ist die Aufgabe aller Nichtjuden. Wir können dankbar sein, dass sich die jüdischen Gemeinden und Organisationen trotzdem – obwohl es nicht ihre Aufgabe ist – so engagiert um dieses Thema kümmern, und wir müssen sie dabei unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Hans-Peter Uhl. Bitte schön, Kollege Dr. Hans-Peter Uhl. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Beck, ich habe das Gefühl, dass Sie der Erste sind, der in die Debatte einen etwas anderen Zungenschlag hereingebracht hat, in diese doch sehr einvernehmliche Struktur des Umgangs mit diesem hochkomplexen Thema. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein sakraler Raum und keine heilige Debatte! Das ist ein gesellschaftliches Problem!) Wenn Sie hier der Bundesregierung Vorwürfe machen, auf Bundesebene werde zu wenig getan, darf ich mir wenigstens formal den Hinweis erlauben, dass es noch keine Bundesregierung gegeben hat, die so viel Geld zumindest für dieses Thema ausgegeben hat wie die jetzige Bundesregierung. Auch dies muss in diesem Zusammenhang gesagt werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es parteipolitisch!) Man hat die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung für den Kampf gegen Antisemitismus um 1,4 Millionen Euro erhöht, und man hat die Mittel für die Arbeit des Zentralrats der Juden in Deutschland von 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro erhöht. Wenn wir also diese formale Diskussion führen – das will ich aber nicht tun –, dann kann man dieser Bundesregierung wirklich keinen Vorwurf machen. Meine Damen und Herren, Charlotte Knobloch fragte anlässlich des sogenannten Beschneidungsurteils des Kölner Landgerichts in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung: „Wollt ihr uns Juden noch?“ Wenn Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zen-tralrats der Juden in Deutschland und langjährige Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, eine solche Frage stellt – wollt ihr uns Juden noch? –, dann muss uns das aufschrecken. Wir haben in München jüdische Nachbarn. Gleich nach seiner Verkündung haben sie mir dieses Urteil zur Lektüre herübergereicht. Ich muss ehrlicherweise zugeben: Ich habe dieses Urteil gelesen und hatte als Jurist am Anfang auch fast Sympathie für die Gedankenabfolge, weil wir in der Juristerei ja gelernt haben, dass selbst der lebensrettende Einsatz des Skalpells durch den Arzt formalrechtlich zunächst einmal eine Körperverletzung ist, die dann aber ihren Rechtfertigungsgrund findet usw. usf. Das heißt, die rechtstechnische Art des Umgangs mit dem Thema Beschneidung ist für die Juristen zunächst einmal nichts Außergewöhnliches. Kurze Zeit später wurde ich von unseren Nachbarn zu einer Bar-Mizwa, einer großen Familienfeier, eingeladen, die in etwa der Firmung im Katholizismus entspricht. Dort habe ich Charlotte Knobloch wieder getroffen, und ich habe dabei eine ganz außergewöhnlich aufgeregte Frau erlebt, die in ihrer Rede gesagt hat: Die Beschneidung gibt es bei uns seit Tausenden von Jahren. Sie gab es immer, sie gibt es heute, und sie wird es immer geben, solange es Juden gibt. Ich habe erst dann, nachdem ich auch mit ihr darüber geredet und sie mir von den E-Mails und Hinweisen aus der Bevölkerung berichtet hatte, die sie bekommen hatte – Herr Thierse hat recht: in der sich daran anschließenden Debatte in Deutschland gab es subkutane antisemitische Untertöne –, langsam verstanden und die nötige Sensibilität im Umgang mit diesem Urteil bekommen. Ich glaube, das sollte jeder von uns sehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch der Kollege Ruppert hat ja angesprochen, dass wir vielleicht nicht mehr das Feingefühl für die identitätsstiftende Bedeutung eines solchen Rituals für eine Religion wie das Judentum haben. Es fehlt uns dieses Bewusstsein; sonst könnten wir mit diesen Dingen nicht so rechtstechnisch umgehen. Ich meine, wir sollten solch irritierende Botschaften an die bei uns lebenden Juden vermeiden. Insofern ist es gut, dass wir alles tun, um das jüdische Leben in Deutschland zu stärken. Wir haben damals sofort einen Antrag gestellt, und ich hoffe, dass es hier eine große Einigkeit geben wird, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der im Kabinett ja schon verabschiedet wurde, im Parlament beschlossen werden wird. Hier darf es keine Rechtsunsicherheit geben. Das ist sehr, sehr wichtig. Wir alle sollten Frau Charlotte Knobloch auf ihre Frage „Wollt ihr uns Juden noch?“ auch von dieser Stelle aus gemeinsam zurufen: Jawohl, wir wollen jüdisches Leben in Deutschland! (Beifall im ganzen Hause) Nun zu der sehr schwierigen Frage: Wie geht man mit dem subkutan vorhandenen Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft um? Was ist das probateste Mittel? Was kann der Bund, was können die Länder, was können die Kommunen tun? Was kann oder muss die gesamte Gesellschaft tun? Wir haben ein Expertengremium einberufen. Dessen Bericht, ein sehr umfangreiches Kompendium mit einem sehr großen analytischen Teil, liegt vor. Seien wir aber ehrlich: In dem Teil – im Fazit –, in dem es um ganz konkrete Projekte und ganz konkrete Vorschläge dafür geht, was wir auf Bundesebene jetzt tun können, um dieses Problem einigermaßen in den Griff zu bekommen, sind die Vorschläge des Expertenkreises etwas dünn. Das ist auch der Grund, warum man dem Innenminister keinen Vorwurf machen kann, irgendetwas aus dem Expertenkreis nicht umgesetzt zu haben. Das ist nicht das Thema. Vielmehr sind wir alle etwas zögerlich, wenn es darum geht, konkrete Projekte auf Bundesebene zu starten. Ich glaube, es ist ohnehin viel mehr Aufgabe der Kommunen, den Antisemitismus zu bekämpfen. Wir sollten assistieren – natürlich! – und alles dazu beitragen, was man tun kann. Trotz des Angriffs auf den Rabbiner Daniel Alter und seine Tochter, der entsetzlich und scheußlich ist – der Rabbiner muss selbstverständlich von allen bestärkt werden –, haben wir in der Kriminalitätsstatistik in Deutschland, die wir alle kennen, im ersten Halbjahr 2012 glücklicherweise nur 13 Fälle von Gewalttaten gegen Juden zu verzeichnen. Zu diesen 13 Fällen zähle ich nicht die Schmierereien usw., die wir von Nazihand kennen. Ich meine nur wirkliche Gewalttaten gegen jüdische Menschen. Es ist gut so, dass es nur 13 Fälle sind, auch wenn natürlich jeder einzelne Fall einer zu viel ist. Ich möchte Wert darauf legen, dass wir in den Kommunen, dort, wo am Stammtisch immer wieder Antisemitismus aufflackert, sofort zivilgesellschaftlich tätig werden müssen, dass wir in den Schulen für Aufklärung sorgen müssen und dass wir in den Ländern vielleicht auch die Lehrerausbildung verbessern müssen, um ein waches Gespür für Antisemitismus zu bekommen. Ich komme aus München. München hat auf dem Gebiet des Antisemitismus eine ganz besonders unrühmliche Rolle als ehemalige sogenannte Hauptstadt der Bewegung gespielt. Ich bin immer wieder glücklich, wenn ich in der Synagoge in München bin; übrigens ein ganz außergewöhnlicher, architektonisch bedeutender Sakralbau, der wirklich sehenswert ist. Ich bin auch glücklich über den Umstand, dass nur einen Steinwurf weit entfernt vom Alten Rathaussaal, wo zur Reichskristallnacht aufgerufen wurde, mit dieser Synagoge wieder jüdisches Leben entstanden ist. Genau dahin gehört es. Inmitten der Stadt muss der Treffpunkt für jüdisches Leben sein. So ist es in München, und so sollte es in jeder größeren Stadt sein. Das heißt gut gelebte Nachbarschaft zwischen uns und den Juden. In der Adventszeit und in der Weihnachtszeit ist es vielleicht gut, einmal jüdische Nachbarn und Freunde zu sich einzuladen. Wir haben das letztes Jahr getan. Es war sehr bereichernd, was das Verständnis für jüdisches Leben anlangt, diese Nachbarschaft gerade an einem solchen Tag zu erleben. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Hans-Peter Uhl. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Gabriele Fograscher. Bitte schön, Frau Kollegin Gabriele Fograscher. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sollten uns hüten, in dieser Debatte alles Mögliche miteinander zu vermengen und zu vermischen. Herr Uhl, die Zuwendungen an den Zentralrat der Juden sind keine Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Diskussion um die Beschneidung muss an anderer Stelle geführt werden. (Beifall der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD] – Serkan Tören [FDP]: Warum?) Wir sprechen leider erst heute, fast ein Jahr nach seinem Erscheinen, über den ersten Bericht der unabhängigen Expertenkommission. Ich möchte diesem Gremium für seine umfangreiche, fundierte Vorarbeit und für diesen differenzierten Bericht sehr herzlich danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mein Dank geht auch an den Vizepräsidenten Wolfgang Thierse, der zu einer Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung dieses Berichts geladen hatte. Damit wurde der Blick der Öffentlichkeit nochmals verstärkt auf das Problem des Antisemitismus in Deutschland und die damit verbundenen Herausforderungen an Politik und Gesellschaft gelenkt. Der vorliegende Bericht fasst unterschiedliche, bereits vorhandene Studien zusammen und kommt zu dem besorgniserregenden Fazit – ich zitiere –: Was die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung anbelangt, so geben die durch den Expertenkreis ausgewerteten demoskopischen Untersuchungen übereinstimmend eine Größenordnung von etwa 20 Prozent latentem Antisemitismus an. In dem Bericht wird auch festgestellt, dass es eine weitverbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken in der Mitte der Gesellschaft gibt. Dieses Ergebnis ist erschreckend; denn es zeigt: Antisemitische Einstellungen gibt es nicht nur an den Rändern, in der rechtsextremistischen und in der islamistischen Szene, sondern eben auch in der Mitte unserer Gesellschaft. Allein im zweiten Quartal 2012 gab es in Deutschland 197 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund, darunter sechs Gewalttaten und 39 Propaganda-delikte. Dies zeigt, dass es mehr als an der Zeit ist, entschlossen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Dass etwa ein Fünftel der Bevölkerung antisemitische Einstellungen hat, ist nicht nur eine Zahl, sondern es beschreibt auch, dass dies der Nährboden für Pöbeleien, Schmierereien, Drohungen und Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens auf offener Straße ist. Besonders in Berlin hat es in letzter Zeit brutale Angriffe auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens gegeben. Am 28. August 2012 wurde der Rabbiner Daniel -Alter, der mit seiner kleinen Tochter in Berlin-Schöneberg unterwegs war, brutal angegriffen. Er wurde gepeinigt und geschlagen. Sein Jochbein wurde zertrümmert. Laut Polizei sollen die Täter Jugendliche, vermutlich arabischer Herkunft, sein. Daniel Alter wurde angegriffen, weil er eine Kippa trug und dadurch als Jude zu erkennen war. Kurz darauf, am 25. September, kam Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden, in Berlin-Charlottenburg mit seinen Kindern aus der Synagoge und wurde bedroht, weil er sein Gebetsbuch sichtbar trug. Er zeigte seine Waffe, die er als besonders gefährdete Person tragen darf. Nun wird auch gegen ihn wegen wechselseitiger Bedrohung ermittelt. Das sind nur die Fälle, die in die Medien gelangen. Doch das alltägliche Leben sieht noch anders aus. Viele Vorfälle werden nicht erfasst, nicht angezeigt und nicht als antisemitisch motiviert eingestuft. Die Dunkelziffer ist hoch. Wir nehmen diese Übergriffe nicht hin. Es sind Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es sind Angriffe auf die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit. Es sind Angriffe gegen jeden Einzelnen von uns. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]) Es kann nicht sein, dass in Deutschland jeder anziehen kann, was er will, aber eine Kippa nicht. Es kann nicht sein, dass in Deutschland jeder ein Buch bei sich tragen kann, aber ein jüdisches Gebetsbuch nicht. Das wollen und das können und das werden wir als Demokratinnen und Demokraten nicht zulassen. Deshalb ist es notwendig, dass wir über alle Fraktionsgrenzen hinweg das Thema Antisemitismus und Judenfeindlichkeit weiter im Blick behalten, weiter hier im Deutschen Bundestag diskutieren und uns auf präventive Maßnahmen einigen, um den Antisemitismus in Deutschland wirksam einzudämmen. Das Expertengremium selbst gibt schon Hinweise, was zu tun ist. Wir brauchen weiter gehende, tiefer gehende Untersuchungen, Forschungen und Studien auch zu Teilaspekten, zum Beispiel zu Fragen: Wie tradiert sich Antisemitismus? Welche Rolle spielt Antisemitismus im Internet? Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders anfällig? Wie kann man diese erreichen? Deshalb braucht der Deutsche Bundestag weiterhin die Unterstützung und Zuarbeit von externen Experten. Diese Experten brauchen dann für ihre Arbeit eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung. Wir wollen, dass dem Bundestag auch in Zukunft regelmäßig Berichte vorgelegt werden, die wir dann zeitnah diskutieren können. Wir brauchen eine nachhaltige und verstetigte Finanzierung der erfolgreichen Projekte gegen Antisemitismus und gegen Rechtsextremismus. Nur mit befristeten Modellprojekten werden wir des Problems nicht Herr werden. Was wir nicht brauchen, ist eine Demokratieerklärung der zivilgesellschaftlichen Projektträger als Voraussetzung für Förderung. Das schafft Misstrauen statt Vertrauen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unser Ziel ist es, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses zu erarbeiten, der unser aller Anliegen bestärkt und auch weiterentwickelt. Im Anschluss an diese Debatte werden wir das erste Gespräch dazu führen. Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam einen kräftigen Schritt weiterkommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Gabi Fograscher. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Serkan Tören. Bitte schön, Kollege Serkan Tören. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Serkan Tören (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, diese Debatte ist wirklich nicht geeignet, hier einen Parteienstreit anzufangen. Aber lassen Sie mich trotzdem etwas dazu sagen, Herr Beck. Wer hier in schönen Reden und auch in Aufsätzen in überregionalen Zeitungen immer vom jüdischen Leben in Deutschland spricht und die Bundesregierung auffordert, so schnell wie möglich einen Gesetzentwurf zur Beschneidung vorzulegen, gleichzeitig aber keinen Rückhalt von der eigenen Fraktion bekommt und im Entschließungsantrag nicht einmal namentlich erscheint – das Abstimmungsverhalten zu dem Entschließungsantrag, den wir gemeinsam verfasst haben, zeigt, dass die Grünen da durchaus gespalten waren –, (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nichts damit zu tun!) der hat, glaube ich, nicht das Recht, sich in irgendeinem Parteienstreit zu verfangen. Ich bin gespannt, ob Ihre Fraktion gemeinsam den Antrag dann auch fraktionsübergreifend unterstützen wird. Bei der Gelegenheit möchte ich mich auch bei der Justizministerin für den Gesetzentwurf bedanken. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege Tören, Sie haben sicherlich geahnt, dass der Kollege Volker Beck jetzt eine Zwischenfrage an Sie richten möchte. Gestatten Sie sie? Serkan Tören (FDP): Das gestatte ich, ja. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. Eigentlich will ich, wie es die Geschäftsordnung auch ermöglicht, an diesem Punkt eine Zwischenbemerkung machen. Ich habe diese Entschließung des Bundestages mit unterstützt, und ich habe auch begrüßt, dass es den Gesetzentwurf aus dem Justizministerium gibt. Aber ich weise ausdrücklich für alle Mitglieder meiner Fraktion, die diesen Gesetzentwurf nicht unterstützen wollen, weil sie entweder meinen, es wäre besser, das der Rechtsprechung zu überlassen, oder in der Grundrechtsabwägung zu einem anderen Ergebnis kommen, den Vorwurf zurück. Dass man sie aus diesem Grund in die Nähe des Antisemitismus rückt, finde ich eine Ungeheuerlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe eine dezidiert andere Auffassung als viele bei uns, die im Namen des Kinderschutzes zu einer anderen Abwägung kommen. Aber ich habe großen Re-spekt vor ihren Argumenten, und ich möchte mich im parlamentarischen Verfahren auch darum bemühen, dass wir möglichst viel von dieser Motivlage noch im Gesetzgebungsverfahren klären und in den Gesetzestext oder in die Begründung aufnehmen können. Ich finde es ungeheuerlich, wenn wir diese Debatte mit solchen Argumenten führen und Leute in eine Ecke stellen, in die gewiss niemand aus meiner Fraktion und den Fraktionen der SPD und der Linken gehört, obwohl es in diesen Fraktionen andere Meinungen gibt. Wie ich vernommen habe, gibt es auch aus Ihrer Fraktion den Ruf, die Abstimmung freizugeben, weil es auch bei Ihnen Menschen gibt, die aus respektablen Gründen zu einem anderen Ergebnis kommen als ich, die Mehrheit des Hauses und die Justizministerin. Ich kämpfe für meine Überzeugung, und ich glaube, dass es richtig ist, jüdisches und muslimisches Leben in dem Punkt Beschneidung nicht zu bestrafen. Aber man kann doch nicht Menschen die Ehre abschneiden und sie zu Antisemiten machen, wenn sie aus Kinderschutzgründen und Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit zu einem anderen Ergebnis kommen. (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist doch gar nicht geschehen!) Ich bitte Sie, sich bei den Leuten, die Sie gerade beleidigt haben, zu entschuldigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Serkan Tören (FDP): Herr Beck, wenn Sie richtig zugehört hätten, dann hätten Sie feststellen können, dass ich Sie und Ihre Fraktion nicht mit Antisemitismus in Verbindung gebracht habe, sondern ich habe festgestellt, dass Sie zu einem Parteienstreit Ausführungen gemacht und uns angegriffen haben, aber selbst in Ihrer Fraktion anscheinend die Reihen nicht halten können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Was ist mit dem Thema?) Ich möchte mich bei den Mitgliedern des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus ganz herzlich für die von ihnen geleistete Arbeit bedanken. Es ist schade, dass wir auch heute, mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Naziregimes, über Antisemitismus sprechen müssen. Aber es ist wichtig, richtig und erfreulich, dass wir uns dieser gesellschaftlichen Herausforderung nach wie vor entschieden stellen. Der Bericht des unabhängigen Expertenkreises leistet dazu einen bedeutenden Beitrag. Eine besondere Bedeutung nimmt er in meinen Augen ein, da er sich nicht nur mit den alten Formen des Antisemitismus – dem rechtsextremen und linksextremen – beschäftigt. Er setzt sich darüber hinaus auch mit einer in Deutschland neuen Form auseinander: dem islamistischen Antisemitismus. Die Experten haben darauf verwiesen, dass in diesem Bereich des Antisemitismus noch sehr vieles unklar ist. Wir brauchen noch viele weitere Studien, um zu verstehen, wie ausgeprägt der islamistische Antisemitismus in Deutschland tatsächlich ist. Dabei gilt es, mit Vernunft und Redlichkeit vorzugehen. Der islamistische Antisemitismus als neue und damit für die Öffentlichkeit besonders interessante Form des Antisemitismus darf den Fokus nicht vom rechten und linken Antisemitismus ablenken. Gerade im rechtsextremen Bereich werden weit mehr antisemitische Gewalttaten verübt als im islamistischen. Nichtsdestotrotz darf aber auch keine falsch verstandene Toleranz gegenüber Muslimen im Allgemeinen dazu führen, dass der islamistische Antisemitismus ausgeblendet wird. Zur Lage in Deutschland. Es gibt islamistischen Antisemitismus in Deutschland, und er hat auch ein Potenzial, zu wachsen; denn mit einer Radikalisierung von Muslimen geht in der Regel eine stärkere Abneigung gegenüber Juden einher. Auch wenn der Islamismus in Deutschland weit weniger verbreitet ist als in der Öffentlichkeit angenommen, so bietet er doch Anknüpfungspunkte für antisemitische Einstellungen und Gewalt. Dem gilt es vorzubeugen und, wo vorhanden, entschieden entgegenzutreten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Muslime sind nicht wegen ihrer Religion, sondern häufig wegen ihres Migrationshintergrunds eine Herausforderung für die Antisemitismusarbeit in Deutschland. Anders als viele andere Deutsche und genauso wie andere Einwanderer haben sie in der Regel keine Vorfahren, die die Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland als Täter oder Opfer erlebt haben. Es stellt sich daher die Frage: Wie gehen wir mit Deutschen und anderen Einwohnern in unserem Land um, die diese Erfahrung nicht teilen? Ich möchte kurz auf meine persönliche Erfahrung und meinen Umgang mit diesem Thema im Geschichtsunterricht in der Schule eingehen. Für mich als Einwandererkind war es natürlich nicht einfach, die Geschichte Deutschlands als eigene Geschichte anzunehmen und die daraus resultierende Verantwortung zu sehen. Es hat aber geklappt, weil ich später ein Zugehörigkeitsgefühl beispielsweise in Vereinen oder in der Nachbarschaft entwickelt habe. So bin ich zu der Erkenntnis gekommen: Die Geschichte Deutschlands und die Geschichte des Naziregimes sind auch Teil meiner eigenen Geschichte und Identität. – Ich konnte daraus die richtigen Lehren ziehen. Aber das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daran müssen sich die Schulen, aber auch viele andere beteiligen, damit das funktioniert. Ich freue mich, dass sich bereits zahlreiche Vereine von Migranten und Muslimen für die Überwindung und Vorbeugung antisemitischer Einstellungen engagieren. Sie schützen und respektieren damit nicht nur das jüdische Leben in Deutschland. Nein, sie bekennen sich dadurch zu unserer vielfältigen Gesellschaft und unterstützen aktiv ihren Erhalt. Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns den Bericht des unabhängigen Expertenkreises zum Anlass nehmen, über die alten und die neuen Herausforderungen in der Antisemitismusarbeit zu diskutieren. Lassen Sie uns gemeinsam Lösungen entwickeln, die ein friedliches und respektvolles Miteinander in Deutschland auf Dauer ermöglichen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Serkan Tören. – Letzte Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Dr. Maria Flachsbarth. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Es ist schon gesagt worden: Die heutige Debatte hat eine schockierende Aktualität bekommen durch die Angriffe auf Herrn Rabbiner Alter und seine kleine Tochter sowie auf Sie, sehr verehrter Herr Generalsekretär Kramer. Das zeigt das hohe Erfordernis, entschieden gegen Antisemitismus einzutreten. Aber auch die Debatte über die Beschneidung muslimischer und jüdischer Söhne zeigt dieses hohe Erfordernis. Ich bekomme im Moment viele Zuschriften zu dieser Problematik. Die Form der verbalen Auseinandersetzung verletzt zum Teil die Gefühle der jüdischen und in diesem Fall auch die der muslimischen Bürgerinnen und Bürger. Manchmal wird billigend in Kauf genommen, dass jüdische Menschen sich fragen, ob sie mit ihrem Glauben hier in Deutschland wirklich zu Hause sein können. Es handelt sich oft um Stereotype, Klischees, Vorurteile und ein großes Maß an Unkenntnis. Hier gibt es wieder diese unselige und ungute Mischung, die der Expertenbericht zu Recht anprangert. Erfreulicherweise gab es jedoch nach diesen negativen Ereignissen eine Welle der Solidarität gerade von Vertretern der Religionen, aber auch aus der Politik. Es gab einen Schulterschluss mit der jüdischen Gemeinde. Ich möchte diesen Menschen zurufen: Selbstverständlich sind Sie hier willkommen, und selbstverständlich sind Sie hier in Deutschland zu Hause! – Ich hoffe, dass Demokraten und gläubige Menschen verschiedener Konfessionen nicht nur in dieser Ausnahmesituation zuei-nanderstehen, sondern dass sie auch weiterhin beherzt für den Dialog, die Rechte und die Freiheiten anderer eintreten. Antisemitismus muss überall da, wo er auftritt, klar erkannt werden. Er muss klar benannt werden, und er muss deutlich bekämpft werden. Dazu hat der Antisemitismusbericht mit seiner erweiterten Definition des Antisemitismus, seinen Ausarbeitungen zu den verschiedenen Erscheinungsformen und Begründungsmustern wichtige Erkenntnismerkmale an die Hand gegeben. Der Bericht hat wachgerüttelt, weil er zeigt, dass es Antisemitismus nicht nur im rechtsextremen Milieu gibt, sondern auch in der Breite der Gesellschaft. Er hat uns allen den alarmierenden Auftrag gegeben, alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen zu fördern, wenn es darum geht, sich dagegen einzusetzen, aber auch die Forderung nach mehr Zivilcourage erhoben; denn es gilt – das will ich hier auch ganz deutlich sagen –, ein großes und unverdientes und unerwartetes Geschenk der jüdischen Gemeinden an unser Land zu verteidigen, nämlich dass nach dem Grauen der Schoah jüdische Menschen wieder hier in Deutschland leben möchten, dass es wieder jüdisches Leben in all seinen Strömungen hier in Deutschland gibt. Es bereichert unsere Gesellschaft, dass jüdische Gemeinden ihre Bräuche, ihre Traditionen sichtbar leben und mit ihrer Religion hier präsent sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Es ist gut, dass Jüdinnen und Juden als Bürgerinnen und Bürger die Zukunft Deutschlands mitgestalten möchten, wobei ich mir persönlich wünschen würde, dass dies noch mehr als bislang auch im Rahmen zum Beispiel von politischen Mandaten auf allen Ebenen geschieht. Dieses Bekenntnis, Antisemitismus zu bekämpfen und jüdisches Leben zu fördern, ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern es ist auch Anlass, in dieser Debatte zu bilanzieren, was denn seit der letzten Legislaturperiode geschehen ist. Die Einsetzung des Expertenkreises und die Aufstockung der jährlichen Mittel für die Arbeit des Zentralrats sind hier schon mehrfach genannt worden. Um Antisemitismus aber wirksam entgegentreten zu können, muss das Wissen um das Judentum an die Stelle von stupiden Vorurteilen treten. Deshalb ist es richtig und gut, dass erst vor wenigen Monaten in Anwesenheit von Ministerin Annette Schavan das Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg eröffnet wurde, mit dem die drei Universitäten Berlins, die Universität -Potsdam, das Moses-Mendelssohn-Zentrum und das -Abraham-Geiger-Kolleg gemeinsam die Forschung und Lehre in diesem Bereich verstärken. Der Bund gibt dafür eine Anschubfinanzierung von fast 7 Millionen Euro. Ebenso werden die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam weiter gefördert. Es ist ein großer Gewinn für unser Land, dass die Ordination von 14 Rabbinerinnen und Rabbinern, die in Potsdam ausgebildet worden sind, gefeiert werden konnte. Mit ganz besonders großer Freude verfolge ich persönlich die Entwicklung des noch recht jungen Ernst- Ludwig-Ehrlich-Studienwerks, in dem derzeit 200 junge Studierende und Promovierende materiell und ideell gefördert werden, die als aktive Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens an wissenschaftlich relevanten Positionen die Geschicke unseres Landes mitgestalten werden. Wir sind uns einig: Dieser Bericht hilft, dem Antisemitismus wirksam entgegenzutreten, indem er eine Bestandsaufnahme vorlegt. Deshalb sollte in jeder Legislaturperiode ein solcher Bericht erstellt werden, der ausweist: Wo treten antisemitische Ressentiments vorrangig auf? Was können wir dagegen tun? Wo zeigen Präventionsmodelle Erfolg, wo nicht? Wo haben wir Zielgruppen noch zu wenig erreicht? Wie können Präventionsprogramme effektiv weiterentwickelt werden? Es geht meiner Meinung nach aber nicht darum, ein weiteres Gremium zu verstetigen. Was wir brauchen, sind eine kontinuierliche Überprüfung der Befunde und praxisorientierte Empfehlungen. Daher plädiere ich dafür, dass künftig durch die Bundesregierung eine solche Berichterstattung erfolgt, zu der die Evaluation der Bundesprogramme zur Extremismusprävention herangezogen werden und bei Bedarf auch weitere wissenschaftliche Expertise von externen Gutachtern angefordert wird. Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch einmal auf die vielen kleinen und lokalen Initiativen hinweisen; denn oft sind es gerade diese ehrenamtlich getragenen Initiativen, die vor Ort Großartiges leisten, zum Beispiel der Verein „Begegnung – Christen und Juden“ in Niedersachsen oder auch die bundesweit tätigen Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die an vielen Orten mit wenigen Menschen, aber mit viel Herzblut ganz wichtige Ergebnisse erzielen, weil sie es nämlich sind, die die Begegnung in der Nachbarschaft ermöglichen, die Unkenntnis, Fremdheit und Vorurteile überwinden und persönliche Freundschaften entstehen lassen. Dafür möchte ich ihnen sehr herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich danke Ihnen. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir haben eine wichtige und wertvolle Debatte geführt. Danke für all Ihre Beiträge und Ihre Teilnahme. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/7700 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin der Justiz, unsere Kollegin Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Bitte schön, Frau Bundesministerin. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Recht herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2010 und 2011 festgestellt, dass es mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar ist, den leiblichen, also den biologischen Vater, der keine enge Bezugsperson des Kindes ist, kategorisch vom Recht auf Umgang mit dem Kind und vom Recht auf Auskunft über dessen persönliche Verhältnisse auszuschließen, dies also ohne Rücksicht auf die individuellen Kindesinteressen und ohne Rücksicht darauf zu tun, ob ihm das Fehlen einer sozial-familiären Beziehung zugerechnet werden muss oder nicht. Mit dem heute vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf wird das Umgangs- und Auskunftsrecht des biologischen Vaters konventionskonform ausgestaltet und in einen angemessenen Ausgleich mit den Interessen der sozialen Familie gebracht. Im Zentrum steht dabei das Wohl des Kindes. Der Entwurf stärkt in einer eigenen Bestimmung die Rechte des biologischen Vaters in zweierlei Hinsicht: Erstens soll es für das Umgangsrecht des leiblichen Vaters künftig nicht mehr darauf ankommen, ob bereits eine enge Beziehung zum Kind besteht, also ob der Vater über längere Zeit mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, ob er einmal Verantwortung übernommen hat oder sich sonst um das Kind gekümmert hat. Entscheidend wird vielmehr sein, ob der leibliche Vater ein nachhaltiges Interesse an seinem Kind zeigt und ob der Kontakt auch dem Wohl des Kindes dient. Das Kriterium eines nachhaltigen Interesses, das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seinen Entscheidungen entwickelt wurde, stellt darauf ab, ob die Bereitschaft des leiblichen Vaters zur Zuwendung zum Kind im Einzelfall tatsächlich manifest geworden ist. Da gibt es unterschiedlichste tatsächliche Situationen, die man gar nicht alle im Einzelnen aufzählen kann. Dazu gehören die räumliche Nähe zum Kind, überhaupt der Versuch der Kontaktaufnahme, eine frühere enge Beziehung – vielleicht auch in Vorbereitung der Geburt – zum Kind und zur Mutter. Dieses bewusst offen gewählte Tatbestandsmerkmal soll den Gerichten die Möglichkeit geben, im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob hinter dem gestellten Antrag auf Umgang mit dem Kind wirklich ein echtes nachhaltiges Interesse des leiblichen Vaters am Kind steht. Anders als nach bisheriger Rechtslage hat der leibliche Vater zukünftig auch dann die Möglichkeit, Kontakt zu seinem Kind aufzubauen, wenn die rechtlichen Eltern – das ist ja die Ausgangskonstellation für diese neue gesetzliche Bestimmung – ohne Rücksicht auf das Kindeswohl jeglichen Kontakt verweigern. Zweitens erhält der leibliche Vater, wenn er tatsächlich Interesse an seinem Kind zeigt, das Recht, von den rechtlichen Eltern Auskunft über die persönlichen Verhältnisse und die Entwicklung des Kindes zu erhalten. Aber auch hier gilt, dass das dem Wohl des Kindes dienen muss. Bisher haben nur die rechtlichen Eltern ein gegenseitiges Auskunftsrecht. Die rechtliche Stärkung des leiblichen Vaters durch Umgangs- und Auskunftsrecht ist an die Bedingung geknüpft, dass der Antragsteller wirklich der leibliche Vater ist. Steht die biologische Vaterschaft nicht fest, weil sie zum Beispiel von den rechtlichen Eltern, von der Mutter oder auch vom rechtlichen Vater, bestritten wird, muss sie im gerichtlichen Verfahren geklärt werden, möglicherweise auch im Rahmen einer Beweiserhebung. Deshalb sehen wir auch noch eine entsprechende verfahrensrechtliche Regelung vor. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir also das verständliche Anliegen des leiblichen Vaters hinsichtlich des Umgangs mit seinem Kind, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, in Einklang bringen mit den schützenswerten Interessen der sozialen Familie, die daraus erwachsen, dass die rechtlichen Eltern mit dem Kind oder den Kindern lange zusammenleben und den Kindern damit Rückhalt und Geborgenheit geben. Das alles ist sehr schwierig in solchen persönlichen, emotional behafteten Beziehungen. Ich denke, wir tragen hiermit den Interessen des leiblichen Vaters in vorsichtiger, zurückhaltender Form Rechnung. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Wir kommen zunächst zu den Fragen, die zu diesem Themenbereich gehören. Eine erste Wortmeldung habe ich schon. Die Frage stellt Frau Kollegin Sonja Steffen. Sonja Steffen (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Zunächst einmal vorweg: Ich denke, wir alle hier begrüßen die Stärkung der Rechte des leiblichen Vaters. Sie haben vorhin aber auch dargestellt, worin die Probleme liegen, nämlich die Interessen der möglicherweise gewachsenen Familie angemessen zu berücksichtigen und dabei das Kindeswohl nicht außer Acht zu lassen. Wir haben, wenn es um das Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters geht, schon eine Regelung im Gesetz. Das ist § 1600 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 1600 Abs. 4 BGB. Dort heißt es, dass das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater, der Mutter und dem Kind das Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters ausschließt. Diese Bestimmung kommt mitunter zum Tragen. In Ihrem bisherigen Entwurf habe ich sie nicht gefunden. Deshalb meine Frage: Ist beabsichtigt, der sozial-familiären Beziehung eine größere Bedeutung beizumessen? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir gehen in unserem Gesetzentwurf einen anderen Weg, indem wir im Zusammenhang mit dem jetzt geschaffenen Recht auf Umgang und Auskunft inzidenter die Möglichkeit bei Streitigkeiten eröffnen, die Abstammung zu klären. Wir gehen nicht den Weg, dem leiblichen Vater generell ein eigenes, neues Anfechtungsrecht zu geben, wenn es rechtliche Eltern gibt. Ein solches selbstständiges Anfechtungsrecht hieße, in die sozial intakte Familie hineinzuregieren. Deshalb stellen wir das Anfechtungsrecht nicht neben die Möglichkeiten, die wir dem leiblichen Vater eröffnen – wovon er bisher, wenn die rechtlichen Eltern es so wollen, komplett ausgeschlossen ist, wenn er keine enge Bezugsperson des Kindes werden will –; denn wir wollen keine Aufweichung oder Erweiterung von Anfechtungsrechten. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Ich habe jetzt eine ganze Fülle von Wortmeldungen. Ich bitte um Nachsicht, wenn mein Versuch, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen, misslingt; dafür entschuldige ich mich gleich von vornherein. Die nächste Fragestellerin, die ich gesehen habe, ist Frau Kollegin Mechthild Dyckmans. Mechthild Dyckmans (FDP): Frau Minister, Sie hatten es schon erwähnt, aber ich möchte es etwas genauer wissen. Wenn die leibliche Vaterschaft des Antragstellers nicht feststeht, können dann die rechtlichen Eltern verhindern, dass diese festgestellt wird? Das ist ja oftmals ein Problem. Sie haben es zwar schon erwähnt, aber vielleicht können Sie darauf noch einmal genauer eingehen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Diese Konstellation ist sicherlich häufig anzutreffen: Eine dritte Person kommt hinzu und sagt, sie sei der leibliche Vater. Diese Person hat vielleicht längere Zeit überhaupt keinen Kontakt zum Kind oder zur Mutter gehabt und beansprucht nun Rechte, in diesem Fall – darauf konzentrieren wir uns – Umgangsrecht und Auskunftsrecht. Wenn dann die Mutter bestreitet, dass diese Person der leibliche Vater ist, muss er, wenn er Rechte erhalten möchte, in jedem Fall durch eine eidesstattliche Erklärung zum Ausdruck bringen – das ist eine neue Bestimmung im FamFG –, dass er der Mutter in der fraglichen Zeit beigewohnt hat. Dies ist immer Grundlage für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Umgang. Es ist bekannt, dass die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung Konsequenzen nach sich zieht. Wenn das Gericht für den Fall, dass diese Erklärung seitens der Mutter bestritten wird, die Notwendigkeit der Klärung der Abstammung sieht, kann dies im gleichen Verfahren vorrangig – bevor man zur Frage des Kindeswohls kommt – geprüft werden. Dann entsteht die Verpflichtung – das regeln wir in dieser Verfahrensbestimmung im FamFG –, dass entsprechende Untersuchungen angestellt werden, um die Abstammungsfrage zu klären. Sowohl das Kind als auch die Mutter müssen dann diese Untersuchung über sich ergehen lassen. Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Ingrid Hönlinger. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Ministerin, vielen Dank für die Einführung in diesen Gesetzentwurf. Es freut mich sehr, dass wir mit diesem Gesetz die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Umgangs- und Auskunftsrecht des leiblichen Vaters umsetzen wollen. Ich habe eine Frage zu den unbestimmten Rechtsbegriffen, die sich in der Vorschrift befinden. Zum einen wird gesagt, der Vater müsse durch sein Verhalten gezeigt haben, dass er Verantwortung übernehmen will, zum anderen muss ein „berechtigtes Interesse“ vorliegen. Könnten Sie bitte Beispielmaterial liefern, was Sie darunter verstehen? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Es geht um ein nachhaltiges Interesse, das in § 1686 a BGB, der neuen Vorschrift, geregelt ist. In der Begründung haben wir einige Beispielfälle angeführt, die Anhaltspunkte liefern können, ohne eine abschließende Aufzählung darzustellen. Dieses Interesse kann beispielsweise darin liegen, dass sich der Vater über längere Zeit intensiv um Kontakt zum Kind und Informationen bemüht, sich vielleicht auch zum Zeitpunkt der Geburt bemüht hat, indem er beispielsweise in der Nähe der Mutter und des Kindes wohnte oder Hilfestellungen angeboten hat, also im Grunde sein gesamtes Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er wirklich ein Interesse am Kind hat. Es geht darum, dass er eben nicht – das hat uns auch sehr beschäftigt – vielleicht aufgrund rein emotionaler Verfasstheit die rechtliche Elternschaft und die Beziehung innerhalb der Familie stören möchte, und zwar aus ganz anderen Gründen, die nichts mit dem Interesse am Kind und dem Kindeswohl zu tun haben. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Ute Granold. Ute Granold (CDU/CSU): Im Anschluss an die Frage der Kollegin Dyckmans habe ich eine Frage zum Verfahren: Wäre es, weil ja das Umgangsrecht dem Wohle des Kindes dienen soll, nicht sinnvoll, dass zunächst die Vaterschaft verbindlich festgestellt wird, bevor gegebenenfalls ein gerichtliches Verfahren auf Umgangsregelung eingeleitet wird? Wäre es dem Vater nicht zumutbar, zunächst in einem separaten Verfahren auf eigenes Risiko die Vaterschaft feststellen zu lassen und erst danach gegebenenfalls sein Umgangsrecht gerichtlich klären zu lassen? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden, und zwar aufgrund folgender Überlegungen: Wenn seitens des Vaters gar nicht erst nachhaltig vorgetragen wird, dass ein wirkliches Interesse vorliegt, oder wenn aufgrund der Gesamtumstände das Umgangsrecht mit einer dritten Person – neben den rechtlichen Eltern – nicht dem Kindeswohl entspricht, dann wollen wir gar nicht, dass losgelöst von diesen Voraussetzungen ein Prozess zur Feststellung der tatsächlichen Abstammung geführt wird. Vielmehr soll gerade mit Blick auf das Kind und das Kindeswohl nicht die ausschließliche Klärung der Abstammung ermöglicht werden; dies soll immer nur mit Bezug auf das Interesse am Kind und auf das Kindeswohl möglich sein. Alles andere sehen wir als eine zusätzliche Belastung an. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir wollen auch Männern die Chance der Fragestellung geben. Kollege Jörn Wunderlich. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Justizministerin, Sie sagten, Sie gingen einen anderen Weg. Der Gesetzentwurf betrifft nur die Fälle der leiblichen Väter, die nicht rechtliche Väter sind, also nach geltender Rechtslage die Fälle jener leiblichen Väter, die weder Ehemann noch durch Vaterschaftsanerkennungsurkunde anerkannte Väter sind. Das FamFG wollen Sie dahin gehend ändern, dass letztendlich eine eidesstattliche Erklärung ausreicht, um eine Prüfung durchführen zu lassen, inwieweit ein Umgang gewährt werden muss. Nach der UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind das Recht, seine Herkunft, seine Abstammung zu erfahren. In Ihrem Gesetzentwurf sind aber viele unbestimmte Begriffe enthalten – es ist schon gesagt worden –, zum Beispiel „nachhaltiges Interesse“, „berechtigtes Interesse“. Erst in der zweiten oder gar dritten Stufe folgt das Kindeswohl. Es kann sogar zu Blutentnahmen bei Mutter und Kind und beim erklärten leiblichen Vater kommen. Da frage ich: Muss die Kindeswohlfrage nicht in den Vordergrund gerückt werden, gerade bei sozial intakten Familien, bei denen plötzlich von außen – ich sage es einmal so, ohne dass ich irgendwelchen leiblichen Vätern zu nahe treten will – ein „Eindringling“ kommt? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir sagen ja gerade, dass es dem Gericht bei dieser Prüfung überlassen ist, zu sagen: Es ist offenkundig, dass es nicht dem Kindeswohl dient. – Dann wird das Gericht nicht in andere Prüfungen einsteigen. Wir wollen eine losgelöste, vorangestellte Feststellung der Abstammung generell nicht vorsehen. Das war ein Aspekt im Zusammenhang mit der Beteiligung der Länder; ein entsprechender Vorschlag ist in verschiedenen Formulierungen eingebracht worden. Gerade mit Blick auf das Kindeswohl sehen wir eine losgelöste Feststellung nicht vor. Wir geben dem Gericht Möglichkeiten, zu prüfen und zu entscheiden, wie prioritär das Kindeswohl bei der Frage einer weiteren Beweiserhebung zu beurteilen ist; denn das Kindeswohl spielt für uns eine entscheidende Rolle. Dass ein Antrag nur dann zulässig ist – das besagt der neue § 167 a –, wenn der Antragsteller an Eides statt erklärt, er habe beigewohnt, soll von vornherein vermeiden helfen, dass Umgangsanträge einfach ins Blaue gestellt werden, und diese unzulässig machen. In einem entsprechenden Fall braucht man in andere Prüfungen nicht mehr einzusteigen. Ich glaube, auch das wird dem Kindeswohl wirklich gerecht. Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Katja Dörner. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen. Sie haben schon einiges zur durchaus heiklen Angelegenheit der Feststellung der leiblichen Vaterschaft gesagt, die unter bestimmten Voraussetzungen – auch das haben Sie ausgeführt – sehr wohl verlangt werden kann. Ich würde Sie bitten, auszuführen, wie sich das aus Ihrer Sicht in Relation dazu verhält, dass die bestehenden -sozial-familiären Beziehungen im Interesse des Kindeswohls durchaus schützenswert sind; das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausdrücklich festgestellt. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Gerade der Aspekt, dass hier die intakte sozial-familiäre Beziehung nicht gefährdet werden soll, hat uns bei der Formulierung des Gesetzes geleitet. Auf der anderen Seite können wir nicht an der geltenden Rechtslage -festhalten, die den leiblichen Vater sehr grundsätzlich weitestgehend von jeglicher Form des Umgangsrechts ausgeschlossen hat, es sei denn, er ist schon enge Bezugsperson. Das können die rechtlichen Eltern nach geltendem Recht verhindern, indem sie sagen: Nein, wir lassen es nicht zu, dass ein Kontakt besteht. Wir machen einen, wie ich finde, sehr vorsichtigen Schritt, weil wir es auch im Interesse des Kindeswohls für sehr wichtig halten, dass die intakte Familienbeziehung bestehen bleibt. Deshalb stellen wir Anforderungen an die Zulässigkeit des Antrages, Stichwort Beiwohnung. Wir schaffen mit dem Gesetz aber nicht ein neues, losgelöstes Anfechtungsrecht. Das ist in vielen Zusammenhängen immer wieder erörtert worden. Denn dann würde dem Kind in einem gerichtlichen Anfechtungsverfahren vielleicht der rechtliche Vater genommen, und das hätte zur Folge, dass die über Jahre bestehende sozial intakte Familie dahin wäre. Das Kind hätte den rechtlichen Vater verloren, und der leibliche Vater hätte möglicherweise gar kein nachhaltiges Interesse, Rechte und Pflichten zu übernehmen. Ich denke, deshalb ist es gut, dass wir die zurückhaltende Herangehensweise gewählt haben, nur das Umgangs- und Auskunftsrecht zu gewähren – darauf bezog sich auch die EGMR-Entscheidung; wir gehen also nicht darüber hinaus –, dies an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen und dem Gericht im Verfahren die Möglichkeit zu eröffnen, eine Beweiserhebung hinsichtlich der Abstammung vorzunehmen. Schonender geht es meiner Ansicht nach eigentlich nicht bei der Abwägung zwischen den Gesichtspunkten der sozial intakten Familie einerseits und gewissen Rechten des leiblichen Vaters andererseits. Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Danke schön für die Möglichkeit zur Fragestellung. – Frau Ministerin, sowohl beim Recht auf Umgang als auch beim Recht auf Auskunft ist das Kindeswohl das maßgebliche Kriterium. Sie haben hier allerdings unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Beim Recht auf Umgang muss der Umgang dem Kindeswohl dienen. Beim Recht auf Auskunft hingegen ist eine negative Kindeswohl-prüfung erforderlich; die Ausübung des Rechts auf -Auskunft darf dem Wohl des Kindes also nicht widersprechen. Vielleicht können Sie noch einmal erklären, welche Aspekte zu diesen unterschiedlichen Maßstäben geführt haben. Inwiefern ist an diesen beiden Stellen ein mögliches Schutzinteresse der sozial intakten Familie mit zu berücksichtigen, da dies ja kein eigenständiges Prüfkriterium ist? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir haben das Umgangsrecht und das Auskunftsrecht an unterschiedliche Anforderungen geknüpft. Beim Recht auf Umgang geht es unmittelbar darum, dass direkter Kontakt zum Kind bestehen soll. Insofern muss das Kindeswohl bei einer Endabwägung des Gerichts das ausschlaggebende Kriterium sein. Bei dem Anspruch auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse geht es darum, von den rechtlichen Eltern Einzelheiten zur Entwicklung des Kindes zu erfahren, ohne dass damit bereits der Anspruch auf Umgang begründet wird. Der Antragsteller muss hieran ein berechtigtes Interesse haben und kann nicht einfach ins Blaue hinein sagen: Jetzt will ich alles Mögliche wissen. Wir haben hier eine etwas schwächere Formulierung gewählt. Es heißt nicht: „muss dem Kindeswohl dienen“, sondern: „dem Kindeswohl nicht widerspricht“. Es sollen keinerlei Auskünfte gegeben werden, die aus Sicht der rechtlichen Eltern dem Kindeswohl widersprechen würden. Aus diesen Gründen haben wir uns für eine etwas unterschiedliche Gewichtung entschieden. Aber beide Fälle haben wir mit Anforderungen versehen, die zwar ziemlich große Hürden darstellen, die ich aber für richtig halte. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Marlene Rupprecht. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Das Kindeswohl wurde jetzt mehrmals erwähnt. Normalerweise sind die Eltern für das Kindeswohl zuständig, und ich finde, da ist es auch gut aufgehoben. Ich frage mich allerdings, ob es in einer Situation, in der sich oftmals zwei oder drei Parteien streiten – ob leiblicher Vater, rechtlicher Vater oder leibliche Mutter –, dort wirklich gut aufgehoben ist. Schließlich können die Interessen der genannten Parteien mit denen des Kindes -kollidieren, und möglicherweise treffen die Parteien untereinander eine Regelung, die nicht unbedingt dem Kindesinteresse – ich sage jetzt bewusst nicht „Kindeswohl“, sondern „Kindesinteresse“ – entspricht. Für mich stellt sich daher folgende Frage: Wäre es nicht sinnvoll, dem Kind von Anfang an einen Interessenvertreter zur Seite zu stellen? Ich glaube nämlich, dass – ich will es vorsichtig formulieren – die anwaltschaftliche Vertretung des Kindes vor den Familien--gerichten nicht immer so sehr im Mittelpunkt steht, wie es eigentlich notwendig wäre, um die Interessen des Kindes zu vertreten. Meine Frage lautet: Gibt es in diesem Fall eine Vertretung, zum Beispiel in Form eines Rechtsbeistandes? Die Wahlfreiheit, die wir schenken – Auskunft geben oder nicht –, führt gegebenenfalls zu Pflichten. Wenn wir die Biologie hoch einstufen – das tun wir mit dem Begriff des biologischen Vaters –, dann darf es auch keine Wahlfreiheit geben, wenn es darum geht, ob ich meinen Pflichten nachkomme oder nicht. Vielleicht habe ich Sie falsch verstanden. Ich möchte Sie bitten, das zu erklären. – Danke. Vizepräsident Eduard Oswald: Die Frage ist, glaube ich, angekommen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Vielleicht zuerst zu Ihrem letzten Punkt, Frau Rupprecht: Wir wollen auf keinen Fall eine Pflicht zum Umgang. Auch bezogen auf andere Personen – wir -haben eine Personengruppe aufgeführt, für die ein Umgangsrecht möglich ist – haben wir keine Verpflichtung zum Umgang vorgesehen. Beim biologischen Vater wollen wir eine solche Verpflichtung schon gar nicht. Wir wollen nur prüfen, ob es aufgrund bestimmter Voraussetzungen vertretbar ist – das geht nicht voraussetzungslos –, dass der biologische Vater Umgang mit dem Kind hat. Wir wollen auf keinen Fall eine Verpflichtung zum Umgang. Das würde auch eine ganz andere Art der Prüfung bedeuten. Das haben wir ganz bewusst nicht gemacht. Das ist auch ansonsten nicht im Familienrecht verankert. Zu Ihrer anderen Frage. Im Gegensatz zu anders gelagerten Familienrechtsstreitigkeiten haben wir hier die Situation, dass es rechtliche Eltern bzw. eine sozial intakte Familie gibt. Das Kind, das möglicherweise nicht vom rechtlichen Vater gezeugt wurde, lebt also, vielleicht zusammen mit Geschwistern, in dieser Familie. So war der Sachverhalt in dem einen Fall, der dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugrunde lag. Ich denke, in diesem Fall haben zuallererst die recht-lichen Eltern die Entscheidungskompetenz, so sage ich es einmal. Ich glaube nicht, dass man dieser besonderen Interessenlage und insbesondere dem Interesse des -Kindes Rechnung trägt, wenn man eine gesetzliche -Verpflichtung vorsieht, nach der dem Kind immer ein Anwalt zur Seite gestellt werden muss. Im Verfahren haben wir viele andere Möglichkeiten, da dann die allgemeinen Regelungen für das familiengerichtliche Verfahren, FamFG, gelten. Wir schaffen hier ja nur eine zusätzliche Möglichkeit im Hinblick auf diese besondere Konstellation. Dabei geht es um die Feststellung der leiblichen Vaterschaft, also der Abstammung. Ansonsten bietet das FamFG Möglichkeiten, wenn sich das Kind selbst einbringen will bzw. soll. Dabei geht es immer um das Kindeswohl: Dient das dem Kindeswohl? Wir haben inzwischen, nach langem Kampf, in gewissem Umfang Ausgestaltungsmöglichkeiten verankert – Stichwort Anwalt des Kindes –, die diesem Anliegen Rechnung tragen. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Ewa Klamt. Ewa Klamt (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Ministerin, auch ich möchte auf das Umgangsrecht eingehen, nicht auf die Pflicht zum Umgang, sondern auf das Recht auf Umgang. Wie muss ich mir das vorstellen? Wie regle ich das für ein relativ kleines Kind? Wie hat das auszusehen? Wird das angelehnt an das, was Familiengerichte zum Beispiel nach einer Scheidung entscheiden? Kann das in diesem Fall ein begleitetes Umgangsrecht sein, da das Kind bei sogenannten rechtlichen Eltern lebt? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Dazu machen wir bewusst keinerlei weitere Ausführungen im Gesetz selbst. Es kommt auf die konkrete Situation an. Zu berücksichtigen ist aber auch, was bereits jetzt im Rahmen des Umgangsrechts möglich ist. Es gibt vielfältige Möglichkeiten zur Ausgestaltung des -Umgangsrechts in der konkreten Situation. Wenn die -Voraussetzungen zur Gewährung des Umgangsrechts vorliegen, wenn dies kindesgerecht und altersgerecht ist, dann kann man es anordnen. Dabei geht es auch um die Frage – Sie haben das angesprochen –, inwieweit jemand dabei sein soll oder nicht. In diesem Zusammenhang gilt all das, was auch ansonsten hinsichtlich der Ausgestaltung des Umgangsrechts gilt. Das ist Sache des zuständigen Gerichts. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt unsere Kollegin Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe nach Ihren Ausführungen jetzt durchaus den Eindruck, dass Sie das Kindeswohl tatsächlich bestmöglich berücksichtigen wollen. Mich treibt aber noch eine andere Sache um. Sie haben gesagt, dass die biologische Vaterschaft in diesem Verfahren gegebenenfalls inzident überprüft und festgestellt werden muss. Das würde zu einer völlig neuen Situation führen. Wenn die biologische Vaterschaft eines Mannes festgestellt würde, ohne dass die Vaterschaft des rechtlichen Vaters angefochten wird, würde das dazu führen, dass es in Zukunft zwei gerichtlich festgestellte Väter für ein Kind geben kann. Dies galt bisher als ausgeschlossen. Es würde also einen gerichtlich festgestellten Vater geben, der rechtlicher Vater ist, und dann würde es – das wäre systemwidrig – einen weiteren gerichtlich festgestellten Vater geben, der nicht rechtlicher Vater sein soll. Das wäre etwas völlig Neues. Habe ich das richtig verstanden? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir begehen Neuland, indem wir den biologischen Vater ein Stück weit in eine Beziehung zum Kind und zu den rechtlichen Eltern bringen. Nehmen wir an, dass rechtliche Elternschaft gegeben ist und es Streit um die biologische Vaterschaft gibt, dass die Mutter die leibliche Vaterschaft des Mannes zum Beispiel vehement bestreitet und sagt, das stimme nicht, dieser Mann könne nicht der biologische Vater sein. Es kann ja nicht sein, dass wir das ungeprüft lassen und auf der Grundlage dieses ungelösten Streits sagen: Ob er nun der biologische Vater ist oder nicht, er bekommt kein Umgangsrecht. Das würde dann auch nicht im Einklang mit dem Konventionsrecht der EMRK stehen. Daher sehen wir in § 163 a Abs. 2 vor, dass zur Klärung der leiblichen Vaterschaft die entsprechenden Untersuchungen, wie wir sie an anderen Stellen im geltenden Recht schon geregelt haben, vorzunehmen sind. In anderen Fällen kann die biologische Vaterschaft auch unstreitig sein. Es kann natürlich auch sein, dass die Mutter sagt: Jawohl, das ist der leibliche Vater. Auch dann gibt es einen leiblichen Vater und einen rechtlichen Vater. Im Falle des Streits um den leiblichen Vater erfolgt im Rahmen dieses neu geschaffenen Umgangsrechtes die Feststellung, ob er es ist oder nicht. Natürlich haben wir damit eine neue Situation, aber dadurch kommt es nicht zur Anfechtung des rechtlichen Vaters. Es wäre etwas anderes, wenn ich generell ein Anfechtungsrecht schaffen würde. Gerade das machen wir ganz bewusst nicht; denn die neue Regelung soll nicht dazu führen, dass das Kind seinen rechtlichen Vater verliert. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Nächster Fragesteller – wieder aus dem männlichen Bereich – ist der Kollege Stephan Thomae. Stephan Thomae (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, eine Frage zum Verfahren: Was gilt während der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes? Müssen oder können nationale Gerichte die Rechtsprechung des EGMR in solchen Verfahren bereits jetzt anwenden, bevor das neue Gesetz in Kraft tritt? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Es gibt einen Grundsatz: Die nationale Justiz muss prüfen, inwieweit eine Entscheidung des EGMR Eingang finden kann in nationales Recht, ohne dass es bisher eine gesetzliche Umsetzung gibt. Wir haben uns das genau angesehen; sonst hätten wir vielleicht gar keine Regelung schaffen müssen. In § 1684 BGB, also im geltenden Recht, ist festgelegt, wann es ein Umgangsrecht Dritter geben kann, nämlich dann, wenn der Betreffende eine enge Bezugsperson ist. Hier kann man das Gesetz also nicht entsprechend der Entscheidung des EGMR auslegen. Die bisherige Regelung im BGB steht dem entgegen, was wir jetzt hier schaffen. Deshalb brauchen wir diese neue Regelung. Bis wir sie verabschiedet haben, wird es real keinen Weg geben, dass ein leiblicher Vater ein Umgangs- oder Auskunftsrecht bekommt. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Sonja Steffen. Sonja Steffen (SPD): Vielen Dank. – Wir haben jetzt viel über das Kindeswohl geredet und auch viel über die soziofamiliären Zusammenhänge, die man beachten muss. Ich will jetzt noch einmal den Blick auf den leiblichen Kindesvater wenden. In dem Gesetzentwurf heißt es: Das Recht auf Umgang und das Auskunftsrecht können dann ausgeübt werden, wenn – jetzt kommt die Tatbestandsvoraussetzung – der Vater „durch sein Verhalten gezeigt hat, dass er für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen will“. Jetzt stellen wir uns einmal den Normalfall vor. Dieser könnte so aussehen: Es gibt eine Familie – zumindest nach außen hin intakt – mit ein, zwei oder drei Kindern. Eines dieser Kinder ist nicht das biologische Kind des rechtlichen Vaters; davon weiß der rechtliche Vater möglicherweise gar nichts. Wenn der leibliche Vater dann früher oder später sein Recht einfordert – es kann ja eine ganze Weile dauern, bis er auf diese Idee kommt –, muss er durch sein Verhalten zeigen, dass er tatsächlich Verantwortung für das Kind übernehmen will. Es besteht keine Unterhaltspflicht, und er kann kein Anfechtungsverfahren durchführen. Sie haben in Ihren Erläuterungen vorhin, glaube ich, gesagt, dass solch ein verantwortungsbewusstes Verhalten möglicherweise nur durch räumliche Nähe oder eine Kontaktaufnahme unter Beweis gestellt werden kann. Ich stelle mir das in der Praxis sehr schwierig vor. In diesen Fällen ist oft sogar von Stalking die Rede, und es wird gesagt: Da kommt jemand, der in unsere Familie eindringt. – Könnten Sie vielleicht ein paar Beispiele nennen, um deutlich zu machen, was der leibliche Vater tun muss, damit er sein Verantwortungsbewusstsein unter Beweis stellen kann? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Vielleicht darf ich noch einmal kurz auf den Gesetzestext eingehen. In § 1686 a Abs. 1 wurde die Formulierung gewählt, dass, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, der leibliche Vater nachhaltiges Interesse an dem Kind gezeigt hat. Es heißt nicht, dass der leibliche Vater bereits Verantwortung übernommen hat. Auch diese Überlegung hatten wir ursprünglich einmal angestellt; aber das wäre ja eine noch größere Hürde, als nachhaltiges Interesse zu zeigen. Wenn ein Vater, der sein Kind zehn Jahre lang nicht gesehen hat, anruft und sagt: „Ich bin zwar in Nigeria, stelle aber einen Umgangsantrag“, wird dies nicht Ausdruck eines nachhaltigen Interesses am Kind sein. Aber es gibt natürlich auch andere Situationen. Im Falle von Stalking und Ähnlichem kann von einem nachhaltigen Interesse natürlich keine Rede sein. Das hatte ich vorhin so umschrieben: wenn eher Rache und andere emotionale Gründe eine Rolle spielen, die sich gegen die Mutter richten, aber gar nichts mit wirklichem Interesse am Kind zu tun haben. Von daher kann dieses Verhalten nur durch den ernsthaften Versuch einer Kontaktaufnahme unter Beweis gestellt werden. Der Vater darf natürlich nicht versuchen, den Kontakt zum Kind heimlich in einem Hinterhof aufzunehmen, sondern er muss bei den rechtlichen Eltern um Gespräche ersuchen; ich meine, da ist die Realität vielfältiger, als man es sich als Gesetzgeber jemals vorstellen kann. Das wäre dann ein Anhaltspunkt, den das Gericht zu bewerten hat. Wir haben uns, nachdem wir auch Stellungnahmen vom Bundesrat und von den Ländern bekommen haben, bewusst für die Formulierung „nachhaltiges Interesse gezeigt hat“ und gegen die Formulierung „Verantwortung übernommen hat“ entschieden. Denn Verantwortung kann der leibliche Vater nicht übernehmen, weil er in die rechtliche Familie – so nenne ich das einmal – nicht eindringen kann. Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Sie damit einverstanden, dass wir diese wichtige Befragung der Bundesregierung verlängern? – Das ist der Fall. Die letzte Frage stellt unsere Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Gibt es noch weitere Fragen? – Nein. Bitte, Frau Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Vielen Dank für die weitere Fragemöglichkeit. – In der Tat haben wir jetzt zum ersten Mal die Situation, dass es einen rechtlichen Vater und einen biologischen Vater geben kann; das war in der Vergangenheit ausgeschlossen. Bisher gab es in allen Rechtszusammenhängen immer nur einen Vater, auch was den Unterhalt und das Erbrecht angeht. Welche Konsequenzen hat die neue Situation, dass es zukünftig zusätzlich einen biologischen Vater geben kann, für andere zu regelnde Bereiche? Kann er in irgendeinem Zusammenhang selber -unterhaltspflichtig werden? Gibt es in diesem Zusammenhang eventuell auch ein Erbrecht des Kindes oder irgendwelche Rechtsansprüche des Kindes gegenüber dem biologischen Vater? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Nein. Wenn der biologische Vater nicht auch der rechtliche Vater wird – dafür gäbe es das Anfechtungsverfahren –, gibt es über das hinaus, was wir geregelt haben, keine weiteren Konsequenzen. Wir schaffen also nicht etwa, verbunden mit weiteren Folgerungen, ein Rechtsinstitut des biologischen Vaters neben dem des rechtlichen Vaters. Da dies komplizierteste Auswirkungen hätte, wurde eine ganz beschränkte Regelung getroffen. Wir haben abgewartet, bis der EGMR seine beiden Entscheidungen getroffen hat; die zweite Entscheidung im September 2011 war ja absehbar. Wir haben dann natürlich überlegt, ob wir vor diesem Hintergrund den Auftrag haben, dem leiblichen Vater generell eine ganz andere Stellung einzuräumen. Ich hielte das insgesamt für sehr problematisch und schwierig. Wir haben bewusst den Weg gewählt, uns sehr eng an dem, was sich aus den Entscheidungen ergeben hat, zu orientieren. Es muss eine Abwägung getroffen werden, um entscheiden zu können: Soll der leibliche Vater neben dem rechtlichen Vater ein Umgangsrecht und ein Auskunftsrecht bekommen oder nicht? Das ist die Möglichkeit, die wir schaffen – mehr nicht. Vielleicht werden wir in ein paar Jahren ganz anders darüber debattieren. Aber ich halte das in der jetzigen Situation und Lage so für absolut ausreichend. Wir müssen nicht mehr machen, wir handeln konventionskonform. Aber ich halte es auch für richtig, wenn wir nicht mehr machen. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Das war dieser wichtige Themenbereich. Jetzt stelle ich die Frage: Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? – Das ist nicht der Fall. – Doch, Entschuldigung, ich bitte um Nachsicht. Bitte schön, Frau Kollegin Ingrid Hönlinger. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Wir haben uns sehr eng im Bereich des Familienrechts bewegt. Es gibt beim Familienrecht aber noch einen weiteren Punkt, bei dem aus meiner Sicht dringender Handlungsbedarf besteht, und zwar ist das das Betreuungsrecht. Insoweit gibt es eine Rechtsprechung dazu, dass eine Behandlung, die möglicherweise im Interesse des Betreuten ist, gegen dessen Willen aber nicht durchgesetzt werden kann. Hierfür müssen wir dringend eine Regelung schaffen. Ich möchte jetzt gerne wissen, ob es Gegenstand der Kabinettsbesprechung war bzw. welche Schritte Sie hier in welchem Zeitraum planen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Ich würde gern, Herr Präsident, darauf antworten. – Das war nicht Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung. Ich möchte Sie an dieser Stelle aber gerne kurz -informieren. Wir sehen da ganz dringenden Handlungsbedarf; denn durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die bisher als ausreichend angesehene Rechtsgrundlage in § 1906 ff. BGB nicht mehr ausreichend. Sie wurde als zu unbestimmt für Zwangsmaßnahmen psychisch Kranker angesehen, sodass weder durch Betreute noch durch Gerichtsersetzung diese Behandlungen vorgenommen werden können. Die müssen in einem bestimmten Umfang vorgenommen werden, weil das für die psychisch Erkrankten teilweise von ganz gravierender gesundheitlicher Auswirkung sein kann, wenn sie nicht behandelt werden. Im Moment können sie verwahrt werden, sediert werden. Man wird in die Gefahr von Fixierung und anderen Dingen kommen, die wir lange überwunden hatten mit dem neuen Betreuungsrecht, das jetzt 20 Jahre gilt. Deshalb haben wir im Ministerium Formulierungen erarbeitet, die den Rechtszustand bis zu diesen beiden BGH-Entscheidungen wieder herstellt und die auf dieser rechtsstaatlichen Ebene, immer auch mit Zuständigkeit des Gerichts, dann wieder auch die entsprechenden Behandlungen psychisch Erkrankter, die selbst nicht einwilligen können, ermöglichen. Wir haben nicht besondere Regelungen für Gefahr im Verzuge vorgesehen, sondern wir wollen das Gericht entscheiden lassen auf dem Niveau, das wir hatten, solange diese Bestimmungen als ausreichend angesehen wurden. Wir wollen dann auch gerne mit den Abgeordneten nach Wegen suchen, wie wir das in das bestehende anhängige Gesetzgebungsverfahren einbringen können. Es ist ein dringendes Anliegen auch der Länder, hier zügig zu einer Regelung auf Bundesebene zu kommen, zumal teilweise auch die Unterbringungsmöglichkeiten in psychiatrischen Einrichtungen nach Landesgesetz für verfassungswidrig erklärt wurden, zum Beispiel in Baden-Württemberg im Jahre 2011. Wir haben also aufgrund dieser Dringlichkeit eine Regelung erarbeitet, und wir versuchen jetzt, Wege zu finden, über die wir uns dann auch im Einzelnen intensiv werden unterhalten können, um das in das anhängige Gesetzgebungsverfahren mit einzubringen, und zwar ausnahmsweise mal, weil wir das für absolut eilbedürftig halten. Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Mit Ihrem Einverständnis beende ich nun die Themenbereiche der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es darüber hinaus noch Fragen an die Bundesregierung? – Das ist nicht der Fall, sodass ich die Befragung beende. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde – Drucksache 17/10967 – Ich rufe auf die mündlichen Fragen aus Drucksache 17/10967 in der üblichen Reihenfolge. Der erste Geschäftsbereich ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns unsere Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung. Die erste Frage stellt unsere Kollegin Dr. Bärbel Kofler: Plant die Bundesregierung ebenso wie die dänische Regierung ein nationales Verbot für das Inverkehrbringen von vier als fortpflanzungsgefährdend oder reprotoxisch eingestuften Phthalaten, und wird sich die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass wie geplant im Frühjahr 2013 über eine entsprechende EU-weit geltende Regelung entschieden wird? Bitte schön, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Frau Kollegin Kofler! Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der zuständige Ausschuss für Risikobeurteilung, RAC, der Europäischen Chemikalienagentur ECHA hat die von Dänemark eingereichten REACH-Beschränkungsvorschläge für vier Phthalate geprüft und die vorgeschlagene Beschränkung einstimmig als nicht berechtigt beurteilt. Deshalb und weil eine Zulassungspflicht für diese Phthalate ab dem Jahr 2015 bereits feststeht, erwägt die Bundesregierung derzeit keine zusätzlichen nationalen Verbotsmaßnahmen. Sie geht ferner davon aus, dass die EU-Kommission keinen Beschränkungsvorschlag vorlegen wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Herzlichen Dank. – Ich habe eine generelle Nachfrage zu diesem Themenkomplex. Sie sagen, für die Phthalate seien vonseiten der Regierung keine weiteren Maßnahmen geplant. Wie sehen Sie das denn generell? Das UNO-Umweltprogramm UNEP hat vor gut einem Monat einen Bericht Global Chemicals Outlook vorgelegt, in dem die internationale Gemeinschaft noch einmal aufgefordert wurde, mehr für den Schutz der Bevölkerung vor negativen Auswirkungen chemischer Produkte zu tun. UNEP mahnt rasches Handeln an – es geht schließlich um die Auswirkungen auf das Leben von Menschen –, auch vor dem Hintergrund, dass oft die Produktion von Industrieländern in Entwicklungsländer verlagert wird, wo der Schutzgedanke vielleicht nicht immer so zum Tragen kommt, wie wir uns das wünschen würden. Ich frage Sie nun: Wie bewertet die Bundesregierung diesen UNEP-Bericht über die Auswirkungen von chemischer Produktion und den Schutz der Bevölkerung, und welche Maßnahmen würden Sie gegebenenfalls ergreifen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, der Gegenstand ist jetzt nicht der UNEP-Bericht, sondern das Verfahren selbst. Das Verfahren bei REACH ist zweistufig: Da ist zum einen der ECHA-Ausschuss für Risikobeurteilung und zum anderen der ECHA-Ausschuss für sozioökonomische Analyse. Darin sitzen unabhängige Experten. Der RAC-Ausschuss hat ganz klar festgestellt, dass gegenwärtig kein Risiko abgeleitet werden kann. Deshalb sehen wir hier keinen Handlungsbedarf – im Gegensatz zu Dänemark, wo ein eigenes, länderspezifisches Verfahren eingeleitet wurde. Für Deutschland und die gesamte EU gilt ab 2015 ohnehin, dass Phthalate in das Zulassungsverfahren müssen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie verzichten auf die zweite Nachfrage? – Dann rufe ich die Frage 3 des Kollegen Frank Schwabe auf: Hält die Bundesregierung nach den Ergebnissen der Fracking-Studien des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Landes Nordrhein-Westfalen eine derzeitige Anwendung des Fracking-Verfahrens für vertretbar, und bis wann will die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Rechtsrahmens vorlegen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Schwabe, die Ergebnisse der beiden Gutachten sowie der Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe werden derzeit ausgewertet. Nach Abschluss dieser Prüfung, die auch den Änderungsbedarf wasserrechtlicher und bergrechtlicher Vorschriften betrifft, werden die weiteren Schritte mit den Betroffenen zu erörtern sein. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage. Frank Schwabe (SPD): Frau Staatssekretärin, ich darf noch einmal nachfragen. Heißt das, dass es einen Zeitplan dafür nicht gibt? Wir sind ja in der Situation, dass bald die nächste Bundestagswahl stattfindet, und wir wissen, irgendwann wird es schwierig mit bestimmten Gesetzgebungsvorhaben. Es ist allerdings so, dass sich in vielen Teilen des Landes die Menschen Sorgen machen und im Moment nicht klar ist, auf welcher Grundlage Untersuchungen stattfinden, ob Fracking durchgeführt werden kann oder nicht. Sehe ich es richtig, dass Sie heute nicht in der Lage sind, einen Zeitplan zu nennen, wann wir allerspätestens mit einem neuen Gesetzgebungsrahmen rechnen können? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das sehen Sie falsch. Die beiden Gutachten dienen dazu, zunächst einmal eine Fakten- und Datenbasis aufzustellen. Zweitens findet am 5. Dezember ein großer Workshop mit allen Beteiligten statt, auch mit internationaler Beteiligung, auf dem Erfahrungen und Ergebnisse ausgewertet werden. Der Minister hat klargemacht, dass Transparenz bei solchen Vorhaben, auch bei Bohrungen und Probebohrungen, wichtig ist. Er hat ebenfalls klargemacht, dass es in Bezug auf Trinkwasserschutzgebiete einen Handlungsbedarf gibt. Diesen besprechen wir gerade innerhalb der Regierung. Frank Schwabe (SPD): Frau Staatssekretärin, es ist schön, dass wir das Thema besprechen – das Thema ist ja auch nicht ganz neu, sondern zwei Jahre alt – und dass der Minister Dinge erkannt hat. Das habe ich ja alles gelesen, aber am Ende sind wir hier, der Deutsche Bundestag, der Gesetzgeber. Erst dann, wenn wir hier gehandelt haben, kann man auf dieser Grundlage in Deutschland entsprechend agieren. Wir haben jetzt eine große Rechtsunsicherheit und eine Unsicherheit in der Bevölkerung. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Sind Sie in der Lage, ein Datum zu benennen, bis zu dem allerspätestens ein Gesetzentwurf vorgelegt wird? Ist zumindest davon auszugehen, dass das noch in dieser Legislaturperiode geschieht? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: In zwei Bundesländern gibt es ein De-facto-Moratorium, andere Bundesländer gehen damit anders um. Es ist eine Reihe von Fragen zu beantworten. Zu nennen sind zum Beispiel die Frage der Beteiligungsrechte der Umwelt- und Wasserverbände und die Frage, ob es richtig ist, eine UVP-Pflicht für Fracking-Bohrungen einzuführen. Die Ausgestaltung muss sorgfältig geprüft werden, und es ist guter Brauch, zunächst anzuhören und Expertenmeinungen einzuholen. Dazu dient dieser Workshop. Da unter anderem das Bergrecht tangiert ist, das nicht im BMU ressortiert, sind Abstimmungen mit anderen Häusern notwendig. Wie lange die dauern, kann ich Ihnen nicht sagen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen nun zur Frage 2 des Kollegen Schwabe: Wann stehen Entscheidungen der Europäischen Union im Umgang mit Öl aus Teersanden an, und hat die Bundesregierung dazu mittlerweile eine klare Haltung entwickelt? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Schwabe, Deutschland hat sich am 23. Februar 2012 bei der Abstimmung im Ausschuss für Kraftstoffqualität über den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Konkretisierung der Anforderungen von Art. 7 a der Kraftstoffqualitätsrichtlinie enthalten. Die Europäische Kommission hat angekündigt, dass vor der Übersendung des Vorschlags an den Rat eine Folgenabschätzung durchgeführt werden soll. Mit einer Vorlage der Folgenabschätzung und Übersendung des Vorschlags an den Rat ist nicht vor Anfang 2013 zu rechnen. Die Bundesregierung wird diesen Vorschlag dann im Lichte der Ergebnisse der Folgenabschätzung prüfen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage. Frank Schwabe (SPD): Frau Staatssekretärin, es ist ja schön, dass Sie etwas Zeit für Ihre Positionsfindung in der Regierung gewonnen haben, aber es ist hier leider so wie bei allen energiepolitischen Themen. Mir fällt keines ein, bei dem die Bundesregierung eine klare Position hat, die sie in Brüssel vertritt. Die Frage ist schlichtweg, ob wir in Brüssel eigentlich in irgendeiner Richtung eine Rolle spielen wollen. Wir sind ja nicht das kleinste Land der Europäischen Union. Man wartet darauf, dass Deutschland seine Position vertritt. Alle Fakten beim Thema Teersande liegen auf dem Tisch. Ich darf auch hier noch einmal feststellen, dass es bisher keine Positionierung der Bundesregierung gibt und Sie uns auch nicht ein Datum nennen können, bis wann die Bundesregierung eine Position entwickelt hat, und dazu nachfragen. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wie ich Ihnen das eben und auch schon auf viele Fragen hin bereits mitgeteilt habe, haben wir uns zum damaligen Zeitpunkt enthalten. Wir warten jetzt die Folgenabschätzung ab und werden uns dann positionieren. Vizepräsidentin Petra Pau: Damit das richtig zugeordnet werden kann, halten wir für das Protokoll fest, dass im Einvernehmen zwischen Staatssekretärin und fragendem Abgeordneten die Frage 3 als Erstes und dann die Frage 2 beantwortet wurde. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet. Auch die Frage 6 der Kollegin Britta Haßelmann, die Fragen 7 und 8 des Kollegen Ulrich Kelber und die Fragen 9 und 10 des Kollegen Hans-Josef Fell sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Marco Bülow auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung für ihr Handeln bezüglich der Sicherheit von Atomkraftwerken, AKW, auf europäischer Ebene aus dem vom EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, vorgestellten abschließenden AKW-Stresstestbericht, und plant die Bundesregierung, sich für mehr AKW-Sicherheit in Europa zu engagieren? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Danke schön. Damit sind wir wieder in der richtigen Reihenfolge. – Der eigentliche Stresstest, Herr Kollege Bülow, der europäischen Kraftwerke ist bereits im April 2011 abgeschlossen worden und hat Einblicke in wichtige sicherheitstechnische Merkmale der europäischen Kraftwerke und in die Notfallschutzmaßnahmen gebracht. Die kontinuierliche Verbesserung der Sicherheit ist ein gemeinsames Ziel aller europäischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörden. Das ist in der europäischen Richtlinie zur nuklearen Sicherheit als Ziel für alle Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung vorgegeben. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, dass die Ergebnisse zu einem Aktionsplan der atomrechtlichen Behörden geführt haben. Nach diesem Aktionsplan sind bis zum -Jahresende nationale Aktionspläne für Verbesserungsmaßnahmen aufzustellen. Die Bundesregierung wird diesen Plan zusammen mit den zuständigen atomrechtlichen Behörden der Länder aufstellen. Alle nationalen Aktionspläne werden im Frühjahr des kommenden Jahres in einem erneuten Prozess der gegenseitigen Überprüfung gemeinsam diskutiert werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Marco Bülow (SPD): Erst einmal vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Einige Mängel wurden schon offenbar. Gibt es daher bereits konkrete Pläne? Zum Beispiel ist die Erdbeben-sicherheit kein unwichtiger Faktor. Planen Sie, darauf zumindest in Norddeutschland und in Nordeuropa ein besonderes Augenmerk zu legen? Ich gehe davon aus, dass man zunächst auswertet und dann irgendwann zu nationalen Plänen kommt. Aber richten Sie jetzt bei diesem Test oder bei den nationalen Plänen ein besonderes Augenmerk auf diesen Faktor oder auf andere? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Vielleicht eine Vorbemerkung zu Ihrer konkreten Frage, auf die ich natürlich noch komme. – Deutschland hat diesen EU-weiten Stresstest von Anfang an unterstützt, weil wir es notwendig fanden, ein Gesamtbild aller Kraftwerke in der Europäischen Union zu bekommen. Es ist aber am Ende so gewesen, dass der Bericht von der Kommission ohne Rückabstimmung mit den nationalen Atomaufsichtsbehörden erarbeitet wurde. Es wurden auch nicht alle Ergebnisse mit einbezogen. Dadurch kam es an manchen Stellen – lassen Sie es mich so formulieren – zu einigen Verzerrungen. Eine Verzerrung betrifft unter anderem die Auslegung deutscher Kernkraftwerke in Bezug auf seismische Gefährdungen. In einer Ad-hoc-Untersuchung unmittelbar nach den Ereignissen in Fukushima haben wir seitens der Bundesregierung die Länderbehörden aufgefordert, noch einmal unmittelbar festzustellen, ob es in den deutschen Anlagen Risiken gibt. Es gibt standortspezifische Bemessungsgrundlagen. Diese liegen über den üblichen Anforderungen. Auch was die Erdbebeninstrumentierung betrifft, haben wir das längst erledigt. Insofern sind wir ein bisschen traurig, dass das die Kommission so nicht aufgenommen hat. Gleichwohl werden wir jetzt in Abstimmung mit den Länderbehörden noch einmal die Dinge zusammentragen, den Aktionsplan entwickeln. Aber genau diese beiden Punkte, die auch von der Presse aufgegriffen worden sind – das ist das Notfallhandbuch, das es seit den 90er-Jahren gibt, und das ist die seismische Auslegung – sind in Deutschland erfüllt. Das werden wir sicherlich auch in dem Bericht schreiben. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Nachfrage? – Sie verzichten. Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Marco Bülow auf: Hat die Erkenntnis, dass bei den Überprüfungen im Rahmen der europaweiten AKW-Stresstests im direkt angrenzenden Frankreich, dem Land mit den meisten Atomkraftwerken in Europa, besonders viele Schwächen bei den dortigen Atomkraftwerken und ihrer Aufsicht festgestellt wurden, Konsequenzen für das Handeln der Bundesregierung und, wenn ja, welche? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Bundesregierung engagiert sich in den europäischen Gremien und Gruppierungen, insbesondere in ENSREG, der Gruppe der für nukleare Sicherheit zuständigen Behördenchefs aller europäischen Staaten, und wirkt daraufhin, dass in allen Ländern hohe Standards der nuklearen Sicherheit verwirklicht werden. In bilateralen Gremien mit den Nachbarländern Frankreich, Schweiz, Tschechien, den Niederlanden und mit Österreich, in denen auch die jeweils angrenzenden Bundesländer vertreten sind, führt das Umweltministerium eine gegenseitige Information und Diskussion über alle anstehenden Fragen zur kerntechnischen Sicherheit der grenznahen Anlagen durch. Dabei bleibt die Verantwortung für den sicheren Betrieb der Anlagen in der Zuständigkeit der jeweiligen Staaten. Die Bundesregierung überzeugt sich durch ihre Mitwirkung in den Gremien und Kommissionen vom jeweiligen Stand der Sicherheit und wirkt auch auf Verbesserungen hin. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Marco Bülow (SPD): Frau Staatssekretärin, können Sie den letzten Satz ein bisschen konkretisieren, weil gerade in Bezug auf Frankreich die Sorgen nicht unberechtigt sind? Gerade dort stehen Atomkraftwerke nahe der Grenze, die nun wirklich erhebliche Sicherheitsmängel aufweisen, die schon ziemlich alt sind und über die wir wenig Informationen haben. Sie werden sicher zugeben, dass bei einem Unfall in diesen Atomkraftwerken Deutschland wahrscheinlich stärker betroffen sein wird als Frankreich, weil der Wind häufig aus dem Westen kommt und weil sie an Ländergrenzen stehen. Deswegen gibt es, glaube ich, auch in Deutschland in Bezug darauf ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis und ein sehr hohes Informationsbedürfnis. Daher noch einmal die Fragen: Können Sie konkretisieren, in welchem Kontakt Sie stehen und welche Informationen Sie bekommen? Können Sie sicherstellen, dass der Dialog mit den Franzosen das Ziel verfolgt, genau über diese Atomkraftwerke, die an der deutschen Grenze stehen, noch einmal speziell zu sprechen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: In dieser Fragestellung gibt es zwei Ebenen. Zur ersten Ebene: Selbstverständlich hat auch Frankreich seinen Bericht durch die Kommission bekommen, wertet diesen aber für sich aus und zieht auch eigene Schlüsse daraus. Zur zweiten Ebene: Ich kann sehr wohl die Sorgen verstehen, wenn es Nachrichten aus Frankreich gibt, die in der Region zu Besorgnis Anlass geben. Wir haben eine regelmäßig tagende deutsch-französische Konsultationsgruppe, in die wir unsere Expertise einfließen lassen. Es gibt aber keine Möglichkeit bzw. keine rechtliche Handhabe, Frankreich zu bestimmten Maßnahmen aufzufordern. Ziel des Stresstests war es aber, zum Beispiel durch Offenlegung unserer Standards und durch einen möglichst objektiven Vergleich, andere Länder, die möglicherweise Nachrüstbedarf haben, nicht nur zu animieren, sondern auch auf sie Druck auszuüben, diesem nachzukommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. – Sie verzichten, aber die Kollegin Ute Vogt hat noch eine Nachfrage. Ute Vogt (SPD): Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, wann die französische Regierung beabsichtigt, das Atomkraftwerk Fessenheim vom Netz zu nehmen? Ist es im Interesse der Bundesregierung, das Vom-Netz-Nehmen dieses alten Kraftwerks zu beschleunigen? Wenn ja, was tun Sie dafür? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin, diese Frage hinsichtlich des Zeitpunktes kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber noch einmal: Die unmittelbare Aufsicht und Verantwortung für die Kernkraftwerke in Frankreich liegen bei der französischen Regierung. Die regelmäßigen Konsultationen des deutsch-französischen Gremiums sind auch ein Mittel, um Informationen auszutauschen und zum Beispiel auf unsere Standards und auf das hinzuweisen, was wir nach dem Unfall in Fukushima noch einmal zusätzlich gemacht haben. Darüber hinaus gibt es die regelmäßig tagende ENSREG. Auch das ist ein Gremium des Austausches. Sie wissen aber so gut wie ich: Die französischen Kernkraftwerke stehen nun einmal in Frankreich unter unmittelbarer Aufsicht, und dort muss gehandelt werden. (Abg. Ute Vogt [SPD] meldet sich zu einer weiteren Nachfrage) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Fragerecht ist leider nicht übertragbar, Kollegin Vogt. Insofern hatten Sie nur eine Nachfrage. Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Manfred Nink auf: Welche Erkenntnisse zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen des europäischen Stresstests für Atomkraftwerke in Bezug auf das französische Atomkraftwerk Cattenom, und welche Auswirkungen haben die Erkenntnisse auf die Bewertung der Risiken für die deutsche Bevölkerung in der grenznahen Region und auf Szenarien zur Gefahrenabwehr? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Nink, der Stresstest der europäischen Kernkraftwerke hat Einblick in wichtige sicherheitstechnische Merkmale der europäischen Kraftwerke und in die Notfallschutzmaßnahmen erbracht. Die kontinuier-liche Verbesserung der Sicherheit – das hatte ich auch gerade eben in der Antwort ausgeführt – ist ein gemeinsames Ziel aller europäischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörden. Es ist in der Europäischen Richtlinie zur nuklearen Sicherheit als Ziel für alle Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung vorgegeben. Die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen ist danach von der zuständigen französischen Aufsichtsbehörde zu überwachen. Das Bundesumweltministerium – auch das hatte ich erwähnt – wird im Rahmen der Deutsch-Französischen Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, in der auch die grenzanliegenden Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland vertreten sind, die in beiden Staaten aufgezeigten Verbesserungsmöglichkeiten fachlich diskutieren und auf ihre zügige Umsetzung hinwirken. Das ist in etwa das, was ich auch schon gerade Herrn Kollegen Bülow und Frau Vogt gesagt habe. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Manfred Nink (SPD): Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. – Das ist nichts Neues. Sie haben uns das auch schon vor etwa einem halben Jahr in gleicher Weise gesagt. Das heißt, dass ich davon ausgehen muss, dass die Bundesregierung ignoriert, dass das Atomkraftwerk Cattenom mittlerweile regelmäßig mit Störfällen behaftet ist, zum Beispiel noch vergangene Woche Montag. Da Sie immer wieder darauf hinweisen, dass das eine nationale Angelegenheit Frankreichs ist, interessiert mich Ihre Meinung, warum das -luxemburgische Parlament fraktionsübergreifend einen Protestbrief an die Nationalversammlung Frankreichs geschrieben hat. Dort scheint mir der Schutz der Bevölkerung eine wesentlich größere Rolle zu spielen als in der deutschen Bundesregierung. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Bundesregierung kann nicht für Parlamentsaktivitäten sprechen. Ich habe bereits ausgeführt, was die Bundesregierung ihrerseits macht, um mit Frankreich im Gespräch zu bleiben und sich bei der Erstellung der Nationalen Aktionspläne möglichst eng abzustimmen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. Manfred Nink (SPD): Sie haben vorhin bei der Beantwortung einer Frage des Kollegen Schwabe zu einem anderen Thema ausgeführt, dass sich die Bundesregierung zuerst über eine Expertenrunde sachkundig macht und dann handelt. Wir haben jetzt eine Expertenmeinung zu den Kraftwerken. Jetzt haben Sie hier ausgeführt, dass Sie lediglich darüber beraten werden und Verbesserungen ins Auge fassen. Diese wollen Sie allerdings im Gegensatz zu Ihrer vorigen Aussage auch den anderen nationalen Parlamenten oder Regierungen nahelegen. Sind Sie der Ansicht, dass man nur durch Verbesserungen die derzeitige Sicherheitssituation am AKW Cattenom verbessern und damit die Bevölkerung schützen kann, oder sind Sie der Ansicht, dass man wie hier in Deutschland auch die anderen Nationen im europäischen Verbund dazu animieren müsste, einen Ausstieg aus der Atomkraft voranzutreiben? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, jetzt reicht leider die Zeit nicht, die verschiedenen Ebenen und vor allem Fachbereiche vom Fracking bis zur Kernkraft, die Sie angesprochen haben, als eine Frage zu beantworten. Deshalb antworte ich wie folgt: Sie wissen, dass die Zusammensetzung des Energiemixes in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt wird. So, wie wir uns dazu entschieden haben, aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie auszusteigen und auf deutlich mehr erneuerbare Energien zu setzen, tun dies andere europäische Staaten auch. Andere entscheiden sich für andere Wege oder setzen sich längerfristige Ziele. Europäische Räte und die Europäische Kommission dienen dazu, sich in diesem Punkt auszutauschen. Wir haben eine große Zahl von Gemeinsamkeiten, wenn es zum Beispiel um EU-weite Ziele zur Erreichung von Klimaschutzzielen, CO2-Reduktionsziele und den Ausbau der erneuerbaren Energien geht, aber die indivi-duelle Energiestrategie bestimmt jedes Mitgliedsland für sich. Wir haben für unsere Kernkraftwerke hohe Sicherheitsstandards festgelegt und überprüfen sie auch per-manent. Wir sind bei der Erstellung des Nationalen Aktionsplans auf eine enge Zusammenarbeit mit den atomrechtlichen Aufsichtsbehörden nicht nur angewiesen, sondern suchen diese. Wir haben bilaterale Kommissionen und treffen uns auch auf EU-Ebene, um über Sicherheits- und Risikofragen zu sprechen. Das ist eine Menge Informationsaustausch, aber am Ende steht die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten in ihren individuellen Energiestrategien. Vizepräsidentin Petra Pau: Auch die Frage 14 wird vom Abgeordneten Manfred Nink gestellt: Welche konkreten Ziele verfolgt die Bundesregierung mit der Initiierung eines Klubs von Ländern, „der sich der Durchsetzung der erneuerbaren Energien verschreibt“, wie es der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, verkündet hat (siehe Spiegel Online vom 2. Oktober 2012, 11.09 Uhr, „AKW-Nachrüstung abhängig von der Laufzeit“), und verfolgt die Bundesregierung dabei insbesondere auch das Ziel, Frankreich von einem schnellen Ausstieg aus der Atomenergie zu überzeugen und das AKW Cattenom möglichst bald endgültig vom Netz zu nehmen? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Nink, die erneuerbaren Energien haben in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet, begleitet von großem technologischem Fortschritt und verbunden mit drastischen Kostensenkungen. Deutschland war eines der Vorreiterländer bei dieser Entwicklung. Gegenwärtig greifen immer mehr Staaten erneuerbare Energien auf und diskutieren die Neuausrichtung ihrer Energiepolitik. Das ist ein idealer Zeitpunkt für Deutschland, um mit weiteren Vorreiterstaaten den Schulterschluss zu suchen, politisches Momentum für den weiteren Ausbau zu erzeugen und in einem Renewables Club – das ist sozusagen der Arbeitstitel – die Fragen zu thematisieren, die für eine moderne Energieversorgung von zentraler Bedeutung sind. Die Bundesregierung möchte mit einem solchen Klub auf internationaler Ebene neue politische Akzente setzen und die Chancen, aber auch die Herausforderungen einer zukünftigen modernen und klimaverträglichen Energieversorgung, die zu einem wachsenden Anteil auf erneuerbaren Energien beruht, aufzeigen und international diskutieren. Der Renewables Club kann andere weltweit davon überzeugen, dass verstärkte Investitionen in erneuerbare Energien wirtschaftliches Wachstum und damit gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringen. Die Initiative kann außerdem Wege aufzeigen, wie ein kosteneffizienter Ausbau erfolgen kann und die Herausforderungen der System- und Marktintegration der Erneuerbaren bewältigt werden können. Die Nutzung der Kernenergie ist nicht Gegenstand des Renewables Club. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage. Manfred Nink (SPD): Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. – Könnten Sie bitte etwas mehr konkretisieren, wie bei der Initiierung dieses Klubs der Länder beispielweise das Europäische Parlament, der Bundestag oder der Ausschuss der Regionen eingebunden sind, oder wird das eine reine Regierungsangelegenheit? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Um es vorweg zu sagen: In der Tat ist dieser Klub nicht als Konkurrenzveranstaltung zu bestehenden international sehr erfolgreichen Institutionen wie der IRENA gedacht. Er ist vielmehr als ein Ort des Austauschs gedacht und soll politische Impulse setzen und politisches Agenda-Setting betreiben. Die Grundidee ist das Zusammenbringen von Regierungen, die eine positive Haltung gegenüber den erneuerbaren Energien haben und diese voranbringen wollen. Es handelt sich also um eine Ergänzung zu bestehenden internationalen Organisationen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wie ich sehe, Herr Nink, verzichten Sie auf Ihre zweite Nachfrage. Dann kommen wir zur Frage 15 der Kollegin Waltraud Wolff: Welche Rolle spielt in den Überlegungen der Bundesregierung zur Endlagerung radioaktiver Abfälle die Möglichkeit, eine europäische Lösung zu finden und von einer nationalen Einlagerung Abstand zu nehmen? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Wolff, es entspricht der nationalen Verantwortung, dass die in kerntechnischen Anlagen in Deutschland angefallenen radioaktiven Abfälle auch in Deutschland entsorgt werden. Diese klare Positionierung wurde beim Beginn des Konsultationsprozesses betreffend die Entwicklung eines Auswahlverfahrens für einen Endlagerstandort für insbesondere wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle im Dezember 2011 zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern getroffen. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Wolff, wie ich sehe, verzichten Sie auf eine Nachfrage. – Frau Kollegin Ute Vogt hat eine Nachfrage. Ute Vogt (SPD): Frau Staatssekretärin, streben andere europäische Länder eine europäische Lösung des Problems der Endlagerung bzw. der Lagerung von hoch radioaktiven Abfällen an? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja, solche Länder gibt es. Ich habe es so verstanden, dass es eine Arbeitsgruppe der Europäischen Endlager-Entwicklungs-Organisation gibt. Daran sind wir aber nicht beteiligt, weil wir uns verpflichtet haben, selbst für die Verbringung und die Lagerung kerntechnischen Abfalls zu sorgen. Vizepräsidentin Petra Pau: Damit kommen wir zur Frage 16 der Kollegin Waltraud Wolff: Wie ist der Stand der Diskussion über eine europäische Lösung für radioaktive Abfälle derzeit in Brüssel, und welche Vorschläge wurden bisher konkret unterbreitet? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Wolff, im Rahmen der Entsorgungsrichtlinie 2011/70/Euratom hat der Rat der Europäischen Union die nationale Verantwortung für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle bekräftigt und die Mitgliedstaaten verpflichtet, nationale Lösungen für die Entsorgung dieser Abfälle voranzutreiben. Die Richtlinie geht aber auch davon aus, dass Mitgliedstaaten eine gemeinsame Nutzung von Endlagern vorsehen können, wenn sie sich auf eine Vereinbarung zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten stützt. Ein gemeinsames Endlager kann insbesondere für Mitgliedstaaten mit wenig Abfall oder ungeeigneten geologischen Formationen zweckmäßig sein. Konkret wurde die ERDOArbeitsgruppe – danach hat Frau Vogt eben gefragt – gegründet, die die Option eines gemeinsamen Endlagers untersucht. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind Österreich, Irland, die Niederlande, Polen, Slowakei, Bulgarien, Italien, Litauen, Rumänien und Slowenien, aber nicht Deutschland. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung. – Sie haben ausgeführt, welche Länder sich an dieser Arbeitsgruppe beteiligen. Wie wir wissen, sind mit dem Atomausstieg in Deutschland die Probleme nicht gelöst. Die Bundesregierung hat erneut verlauten lassen, sich um die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu kümmern. Ein Atomendlagersuchgesetz ist auf dem Weg. Sie suchen also nach einem geeigneten Endlager. Frau Staatssekretärin, radioaktiver Abfall macht ja nicht vor Grenzen halt. Wenn man mit dem Atomausstieg in Deutschland auf europäischer Ebene verantwortlich umgehen will, dann würde mich schon interessieren, wie die Bundesregierung, wenn sie auf europäischer Ebene in den Arbeitsgruppen außen vor ist, diese Verantwortung in Europa wahrnehmen möchte. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Frage finde ich in mehrfacher Hinsicht interessant. Wir haben uns verpflichtet, unseren Abfall selbst zu entsorgen. Leider ist es nicht so, dass das Gesetz auf dem Weg wäre; denn Rot-Grün sperrt sich gegen eine Lösung bzw. erhebt immer neue Forderungen. Wir haben gesagt: Wir als Land, das die Kernenergie über lange Zeit genutzt hat, müssen Verantwortung für eine sichere Endlagerung dieses Abfalls übernehmen. Würde Deutschland jetzt in eine solche Arbeitsgruppe eintreten – es ist übrigens keine EU-Arbeitsgruppe, sondern ein Zusammenschluss von Vertretern aus EU-Ländern; diese Gruppe ist nicht von einer EU-Ebene, etwa der Europäischen Kommission oder dem Parlament, eingesetzt –, würde wahrscheinlich sofort, postwendend, der Vorwurf kommen: Aha, jetzt will sich Deutschland elegant seines Abfallproblems entledigen. Es gibt hinreichend Arbeitsgruppen zur Entsorgung, zum Beispiel die ENSREG. Das ist die Ebene, auf der wir über Sicherheit sprechen. Sicherlich werden auch Fragen der Endlagerung diskutiert. Aber wir wollen unsere Probleme tatsächlich selbst anpacken und sehen uns auch in der Verpflichtung, dies zu tun, was nicht heißt, dass wir uns aus Diskussionen ausklinken. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ja, ich habe noch eine zweite Nachfrage. – Wenn Sie an diesen Arbeitsgruppen auch nicht beteiligt sind: Ist der Bundesregierung bekannt, ob in den Arbeitsgruppen nach einem Endlager auf europäischem Gebiet gesucht wird oder ob es auch Diskussionen gibt, europäischen radioaktiven Müll in anderen Teilen der Welt zu lagern? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Solche Überlegungen sind mir nicht bekannt. Noch einmal: Momentan werden die Mitglieder von interessierten staatlichen Stellen dorthin delegiert. Es ist keine EU-Arbeitsgruppe. Die IAEA und die Kommission haben lediglich Beobachter geschickt. Vermutungen, wie Sie sie jetzt anstellen, kann ich nicht bestätigen; sie sind mir nicht bekannt. Vizepräsidentin Petra Pau: Damit kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Dr. Matthias Miersch: Wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag vor dem 20. Januar 2013 einen Gesetzentwurf zur bundesweiten Suche nach einem Atommüllendlager in Deutschland vorlegen und, wenn nein, warum nicht? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Miersch, die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode einen Konsultationsprozess mit den Ländern und den politischen Parteien in Gang gesetzt, um einen Konsens über das weitere Vorgehen bei der Suche und der Festlegung eines Endlagerstandorts für insbesondere wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle zu erzielen. Dieser Prozess ist noch nicht beendet. Eine Aussage dazu, ob und, wenn ja, wann ein Gesetzentwurf eingebracht werden wird, ist daher derzeit nicht möglich. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, es gab in der letzten Woche mehrere Pressemeldungen – sie sind durch das Bundesumweltministerium nicht dementiert worden; jedenfalls ist mir das nicht bekannt –, wonach der Bundesminister Altmaier gesagt habe, er bringe ein Gesetz ein, sodass eine Gesetzesberatung und Beschlussfassung des Deutschen Bundestages bis zum 20. Januar 2013, dem Tag der niedersächsischen Landtagswahl, möglich sei. Wie sehen Sie diese Verlautbarungen in der Presse? Gibt es eine solche Verlautbarung durch das Ministerium? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Presseverlautbarungen kommentiere ich hier schon mal gar nicht. Aber so viel: Das, was ich aus dem Prozess beobachte, stimmt mich eher pessimistisch in der Frage, ob seitens der SPD und der Grünen noch ein ernsthaftes Interesse an einem solchen Konsens besteht. Acht Termine haben stattgefunden. Ein grüner Ministerpräsident sagt, er sei bereit, diesen Weg jetzt zu gehen, wird dann vom Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin gestoppt. Auf unserer Seite – das ist meine persönliche Beobachtung – stellt sich eher die Frage, ob Rot-Grün an einem solchen Konsens interessiert ist. Es war ja nicht Ziel, einfach nur einen Gesetzentwurf einzubringen; Ziel war ja, einen nationalen Konsens nicht nur über den Ausstieg aus der Kernenergie, sondern auch über das Lösen der Endlagerfrage zu erzielen. Unser Angebot liegt auf dem Tisch. Es ist jetzt an Ihnen, der Opposition sowie den von SPD bzw. von den Grünen geführten Ländern, zu sagen, ob Sie diesen Weg mitgehen wollen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Nun geht es ja um einen Gesetzentwurf und nicht um ein Konsultationspapier. Es wäre ja möglich, wenn ein Gesetzentwurf seitens der Bundesregierung vorliegt, dass der Bundesumweltminister diesen Gesetzentwurf nun einbringt. Habe ich Sie richtig verstanden, dass der Bundesumweltminister nicht an die Einbringung eines Gesetzentwurfs denkt, sondern nach wie vor den Konsultationsprozess als Voraussetzung für die Einbringung dieses Gesetzentwurfs ansieht? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Der Minister denkt sehr wohl an einen konkreten Gesetzesvorschlag; das war ja auch verabredet. Es ging ja nicht um Konsultationspapiere, sondern es ging am Ende des Tages darum, ein Gesetz zu verabschieden, nämlich ein Standortauswahlgesetz, bei dem jeder einzelne Schritt mit parlamentarischer Abstimmung und der Beteiligung von Bundestag und Bundesrat erfolgt. Es wurden sogar konkrete Angebote an Herrn Trittin und Herrn Gabriel geschickt. Das Endergebnis war, dass neue Forderungen gestellt wurden. Insofern sage ich noch einmal: Es liegt nicht an uns. Gehen Sie davon aus, dass wir unsere Verantwortung kennen. Die Bundesregierung hofft allerdings auch, dass andere Beteiligte – wie die Länder – ihre Verantwortung ebenfalls kennen. Vizepräsidentin Petra Pau: Damit kommen wir zur Frage 18 des Kollegen Dr. Matthias Miersch: Wie sieht die weitere Planung der Bundesregierung – sowohl zeitlich als auch verfahrenstechnisch – in Bezug auf die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und des Deutschen Bundestages an der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Endlagersuche für radioaktive Abfälle aus? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Miersch, die Antwort ist relativ kurz; denn die Beantwortung dieser Frage hängt von weiteren, in der Antwort zu Frage 17 genannten Fragestellungen ab. Vizepräsidentin Petra Pau: Damit haben Sie das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Deswegen würde ich da gern nachfragen. Es gibt ein verfassungsrechtlich sauberes Verfahren: Man kann das aus dem Parlament heraus machen; man kann das von der Bundesregierung aus machen. Es geht um einen Gesetzentwurf. Die Frage, die sich einfach stellt, ist: Inwieweit gedenkt die Bundesregierung, nun den Bundestag zu befassen? Setzt der Bundesumweltminister sozusagen auf ein Küchengespräch, oder setzt er auf einen Gesetzentwurf, und können wir mit diesem Gesetzentwurf in diesem Jahr noch rechnen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Miersch, Ziel war es, einen möglichst breiten Konsens hinzubekommen, um Bundestag und Bundesrat gleichermaßen einzubinden. Noch hat der Bundesumweltminister die Hoffnung, dass dies möglich sein wird, nicht aufgegeben. Sollte sich zeigen, dass die Opposition diesen Weg nicht mitgeht, werden wir einen völlig normalen parlamentarischen Prozess beginnen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Können Sie dies noch einmal zeitlich – darum ging es mir in meiner Frage – einordnen? Wann beginnen Sie mit dem parlamentarischen Verfahren? Wie lange will der Bundesumweltminister ausloten, ob es Ergebnisse von Küchengesprächen bei einem guten Essen – oder wie auch immer – gibt? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Miersch, gutes Essen hat noch niemanden daran gehindert, zu guten Ergebnissen zu kommen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Im Gegenteil!) Fakt ist, wir loten aus, ob ein Konsens möglich ist und, wenn ja, welcher. Dann gehen wir ins Verfahren. Sie haben allerdings vorhin ein Datum genannt, das bei mir den Verdacht aufkommen lässt, Ihnen als Opposition ginge es tatsächlich nur um die niedersächsische Landtagswahl und nicht um das Erreichen eines nationalen Konsenses. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass eine Wahlauseinandersetzung in einem Bundesland von Ihnen dazu instrumentalisiert werden könnte, diesen Konsens zu torpedieren. Ich hoffe und setze immer noch darauf, dass wir gemeinsam zu einer Lösung kommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Vogt hat das Wort zu einer Nachfrage. Ute Vogt (SPD): Frau Staatssekretärin, ich möchte gerne konkret wissen, wann der Bundesumweltminister in der Lage ist, einen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einzubringen; denn ich denke, über die wesentlichen Eckpunkte besteht in der Tat schon an vielen Stellen Einigkeit. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Vogt, der Eindruck ist eben nicht, dass Einigkeit besteht. Die Einigkeit bestand, bis sie Jürgen Trittin aufgekündigt hat. Insofern laufen jetzt noch Gespräche, um festzustellen, ob die Zustimmung auch seitens der Länder und der Oppositionsparteien möglich ist. Ist dies nicht möglich, gehen wir in das von mir skizzierte Verfahren. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Frage 19 stellt die Kollegin Ute Vogt: Wie bewertet die Bundesregierung die Zeugenaussagen der ehemaligen Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, vor dem 1. Untersuchungsausschuss „Gorleben“ des Deutschen Bundestages am 27. September 2012: „Ich kann nach wie vor nicht einsehen, warum man einen Standort, den man so weit erkundet hat, nicht mal auf seine Eignung erkunden will“ und: „Ich sage noch mal, dass ich zum damaligen Zeitpunkt und auch heute sagen würde …, … warum nicht mal gucken, ob Gorleben geeignet oder nicht geeignet ist“, vor dem Hintergrund der öffentlichen Aussagen des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, neben Gorleben auch alternative Standorte in einem ergebnisoffenen Verfahren untersuchen zu wollen? Bitte, Frau Staatssekretärin. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Ankündigung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Peter Altmaier, alternative Standorte für die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in einem ergebnisoffenen Verfahren untersuchen zu wollen, bedeutet, dass sich alle potenziellen Standorte der Prüfung und dem Vergleich anhand festgelegter wissenschaftlicher Kriterien zu unterziehen haben. Werden die noch festzulegenden Kriterien von einem Standort – das schließt Gorleben ein – nicht erfüllt, scheidet dieser aus dem weiteren Auswahlverfahren aus. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Ute Vogt (SPD): Frau Staatssekretärin, die Bundeskanzlerin hat unter anderem erklärt – ich zitiere –: … warum nicht mal gucken, ob Gorleben geeignet oder nicht geeignet ist. Sie sagte: Ich kann nach wie vor nicht einsehen, warum man einen Standort, den man so weit erkundet hat, nicht mal auf seine Eignung erkunden will. Sehen Sie darin nicht ein Prä der Bundeskanzlerin, zuerst Gorleben zu untersuchen, bevor man andere Standorte untersucht? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Nein, das sehe ich nicht. Im Übrigen hat die Bundeskanzlerin recht. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Bundeskanzlerin hat immer recht!) Ute Vogt (SPD): Ich habe noch eine Nachfrage: Ist die Strategie des Bundesumweltministers mit der Bundeskanzlerin abgestimmt? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir stimmen solch wichtige Fragen selbstverständlich ab. Im Übrigen haben sowohl der Bundesumwelt-minister als auch die Kanzlerin darauf hingewiesen, dass nicht festgestellt ist, dass Gorleben nicht geeignet ist. Das steht nicht fest. Insofern muss man zunächst Kriterien festlegen, und dann kann man ausschließen oder einschließen. Das ist der Weg, den wir jetzt miteinander gehen wollen. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Miersch zu einer Nachfrage. Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Staatssekretärin, die Regierungschefin behauptete vor 14 Tagen in einem Ausschuss des Deutschen Bundestages, sie sehe nicht ein, warum man einen Standort nicht erst einmal zu Ende erkundet. Ist das nicht genau das, was augenblicklich gerade von den Menschen in Niedersachsen befürchtet wird, dass Gorleben nämlich Referenzstandort bleibt, und zwar bis zum Schluss? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Den Begriff „Referenzstandort“ haben Sie gerade verwandt. Wir haben gesagt, wir wollen ein Gesetz vorlegen – das haben wir gerade miteinander besprochen –, das zunächst wissenschaftliche Kriterien festlegt. Wenn diese wissenschaftlichen Kriterien feststehen, wird man sehen, welche Standorte geeignet oder nicht geeignet sind. Die Bundeskanzlerin hat völlig zutreffend festgestellt, dass nicht festgestellt worden ist, dass Gorleben nicht geeignet ist. Insofern Gorleben aus politischen Gründen – das versuchen Sie gerade – herauszunehmen, widerspricht unserem wissenschaftsbasierten Ansatz. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Flachsbarth hat auch eine Nachfrage. Bitte. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, können Sie mir zustimmen, dass der damalige Bundesumweltminister Gabriel Gorleben als Referenzstandort definieren wollte? Können Sie meiner Auffassung zustimmen, dass die derzeitige Bundesregierung auf das Ersuchen der Opposition sehr weit zugegangen ist, Gorleben als einen von anderen Standorten zu definieren und nach den Kriterien zu bewerten, die gemeinsam erarbeitet werden müssen? Und: Geben Sie mir recht, dass es nur noch kleiner Anstrengungen bedürfen würde – wenn man es denn wollte –, einen Konsens herzustellen? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich gebe Ihnen recht, Frau Kollegin – das besprechen wir schon seit gut einer Viertelstunde miteinander –: Es ist die Auffassung von Herrn Gabriel gewesen. Ob er sie jetzt noch teilt, kann ich nicht mehr erkennen, zumindest nicht bei der Art und Weise, wie er sich auf unsere Vorschläge nicht eingelassen hat. Deshalb kann ich hier nur noch einmal unser Angebot wiederholen, in ein gemeinsames Verfahren zu gehen und zu einem Konsens zu kommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die letzte Nachfrage dazu stellt die Kollegin Wolff. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Frau Staatssekretärin, Sie haben den Begriff „Referenzstandort“ nicht in den Mund genommen. Dennoch ist Gorleben von Anbeginn in diesem Verfahren. Können Sie ausschließen, dass Gorleben als Referenzstandort Gegenstand der Beratung ist? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Wolff, wir wollen eine ergebnisoffene Suche. Gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag wollen wir Schritt für Schritt Kriterien dafür festlegen, wie gesucht wird und was geeignet erscheint. Gorleben kommt als einer von mehreren möglichen Standorten infrage. Solange nicht festgestellt ist, dass Gorleben nicht geeignet ist, kann Gorleben im Verfahren bleiben und sollte nicht aus politischen Gründen – es sind ausschließlich politische Gründe, die hier angeführt werden – herausgenommen werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Frage 20 der Kollegin Ute Vogt: Wie bewertet die Bundesregierung diese Aussagen – siehe Frage 19 – der ehemaligen Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, vor dem Hintergrund des Haushaltsentwurfs der Bundesregierung, der 76 Millionen Euro zur Erkundung des Projekts Gorleben für das Jahr 2013 vorsieht (Bundestagsdrucksache 17/10200 – Einzelplan 16, Seite 70) und in dem für die „Erkundung weiterer Standorte für die Endlagerung radioaktiver Abfälle“ hingegen nur 3,5 Millionen Euro bereitgestellt werden (Bundestagsdrucksache 17/10200 – Einzelplan 16, Seite 71)? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Vogt, die Bundesregierung strebt einen parteiübergreifenden Konsens zur Auswahl des End-lagerstandortes an. Die Konsultationen sind noch nicht abgeschlossen. Insofern berücksichtigt der Haushaltsentwurf für das Jahr 2013 die bisherigen Planungen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Ute Vogt (SPD): Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass „Referenzstandort“ bedeuten würde, dass man alle neuen Standorte mit Gorleben vergleicht, während „ergebnis-offene Erkundung“ bedeuten würde, dass alle Standorte inklusive Gorleben sich einer Prüfung nach den gleichen Kriterien unterziehen müssten? Würden Sie in Kenntnis dieses Unterschieds bestätigen, dass für eine Untersuchung unter gleichen Kriterien ein Erkundungsstopp in Gorleben notwendig wäre und damit das Geld nicht erforderlich sein würde? Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Kollegin Vogt, auch ein erneuter Versuch macht die ganze Sache nicht besser. Ute Vogt (SPD): Ich wollte es Ihnen erklären. Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Man kann es ja noch einmal versuchen. – Der Haushaltsentwurf ist so aufgestellt worden, dass er die derzeitige gesetzliche Grundlage abbildet. Sollte sich der -gordische Knoten tatsächlich durchschlagen lassen, muss man verschiedene Aspekte berücksichtigen. Hierzu gehört nicht nur die Frage, wie das Verfahren hinsichtlich seiner Abläufe gestaltet wird, sondern sicherlich auch die Frage einer finanziellen Beteiligung derer, die kerntechnischen Abfall produzieren. Es gibt viele Fragen, die noch zu klären wären. Diese Fragen brauchen wir momentan aber nicht zu klären, weil es noch keine gesetzliche Grundlage gibt. Hieran versuchen wir, wie gesagt, weiterhin konsensual zu arbeiten. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. Ute Vogt (SPD): Ich habe keine weiteren Fragen mehr. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie verzichten. Da die Fragen 21 und 22 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl schriftlich beantwortet werden sollen, sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 23 des Kollegen Willi Brase, die Frage 24 des Kollegen Klaus Hagemann und die Frage 25 des Kollegen Swen Schulz sollen schriftlich beantwortet werden. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auch hier sollen die Fragen schriftlich beantwortet werden. Es geht um die Fragen 26 und 27 des Kollegen Dr. Sascha Raabe und um die Frage 28 des Kollegen Thilo Hoppe. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Frage 29 der Kollegin Katja Keul und die Fragen 30 und 31 der Kollegin Bärbel Höhn sollen schriftlich beantwortet werden, wie auch die Frage 32 der Kollegin Lisa Paus und die Frage 33 des Kollegen Manuel Sarrazin. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen -Amtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Staatsministerin Cornelia Pieper zur Verfügung. Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Uwe Kekeritz auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Gewalt und Arbeitsrechtsverletzungen gegen Minenarbeiter in -Marikana, Südafrika, und inwieweit sind nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung deutsche Unternehmen und deren Zulieferer- und Tochterunternehmen in die aktuellen Vorkommnisse involviert? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Kekeritz wie folgt: Im Rahmen eines Polizeieinsatzes gegen illegal streikende Berg-arbeiter am 16. August dieses Jahres wurden im südafrikanischen Marikana mindestens 34 Menschen getötet und mehrere Dutzend zum Teil schwer verletzt. Bereits im Vorfeld waren bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zehn Menschen umgekommen, darunter zwei Polizisten. Staatspräsident Zuma hat am 23. August 2012 eine unabhängige Untersuchungskommission mit richterlichen Befugnissen eingesetzt. Diese verfügt über ein umfassendes Mandat einschließlich der Untersuchung von Rechtsverletzungen. Die Ergebnisse der Kommission werden für Anfang nächsten Jahres erwartet. Ein interministerieller Ausschuss kümmert sich um die Belange der Betroffenen bzw. ihrer Hinterbliebenen. Herr Abgeordneter, ich will auch noch erwähnen, dass deutsche Unternehmen nach Kenntnis der Bundesregierung nicht in die Vorgänge in Marikana involviert waren. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön für die Beantwortung. – Sie sagten eben: „illegal Streikende“. Sind Sie sich sicher, dass es sich hier um einen illegalen Streik handelte? Wenn Sie sich dessen sicher sind: Woran machen Sie das eigentlich fest? Was ist die Rechtsvoraussetzung, um es als „illegalen Streik“ zu bezeichnen? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, kämpft Südafrika noch mit dem sozioökonomischen Erbe der Apartheid. Die hohe Arbeitslosigkeit und die soziale Ungleichheit in dem Land bilden eine schwere Hypothek. In Südafrika wird über Strategien zur Lösung dieser Herausforderungen kontrovers diskutiert. Deutschland ist bestrebt, im Rahmen einer umfassenden bilateralen Partnerschaft zur friedlichen, stabilen Entwicklung des Landes beizutragen. Sie haben gehört, dass die südafrikanische Regierung gewillt ist, an einer lückenlosen Aufklärung der Geschehnisse zu arbeiten. Ich habe Ihnen den Sachstand wiedergegeben, der uns von der südafrikanischen Regierung so bekannt ist. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre zweite Nachfrage? Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Vorfälle wurden weltweit diskutiert. Da stellt sich schon die Frage, ob von Deutschland oder – besser noch – auf europäischer Ebene Initiativen ergriffen werden, um soziale Standards bei der Beschaffung von Rohstoffen durchzusetzen. Inwieweit denken Sie in diese Richtung? Verfolgen Sie vielleicht schon konkrete Ansätze, um demnächst soziale Standards beim Bezug von Rohstoffen oder Lebensmitteln einzuführen? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Abgeordneter, Sie haben genau wie ich verfolgt, dass Staatspräsident Zuma dieses Thema anlässlich des fünften EU-Südafrika-Gipfels am 18. September dieses Jahres von sich aus in sehr offener Weise angesprochen hat. Ähnliche Erfahrungen machte der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Rösler, anlässlich seiner Reise nach Südafrika am 4. und 5. Oktober dieses Jahres. Natürlich begrüßen wir den Willen zur Aufklärung. Wir sind dabei, Südafrika mit entsprechenden Maßnahmen und Projekten zu unterstützen. Ich denke, es wird auch auf EU-Ebene weiterhin darüber diskutiert. Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Schwabe hat eine Nachfrage. Frank Schwabe (SPD): Darf ich einmal nachfragen? Ich habe es einfach nicht verstanden; Sie haben da etwas vorgelesen. Die Frage war, ob die Bundesregierung über soziale Standards bei der Rohstoffbeschaffung nachdenkt. Ich war vor kurzem in Kolumbien und habe mir angeschaut, woher zum Beispiel die Steinkohle kommt, die in deutschen Steinkohlekraftwerken verbraucht wird; ich habe mich mit den -Arbeitsbedingungen beschäftigt. Es wäre für die Menschen vor Ort sehr hilfreich, wenn es Kriterien zum Beispiel beim Import von Steinkohle gäbe. Es wäre gut, wenn es zumindest Transparenzrichtlinien gäbe, damit klar wird, woher die Rohstoffe eigentlich kommen. Gibt es solche Überlegungen in der Bundesregierung? Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: In erster Linie ist es die Aufgabe der südafrikanischen Regierung – Herr Abgeordneter, das wissen Sie –, für Normalität, soziale Stabilität, aber auch soziale Standards in diesem Bereich zu sorgen. Natürlich sind wir, auch die Bundesminister, die Südafrika besuchen, mit der dortigen Regierung im Gespräch – das habe ich gerade gesagt –, damit Grundlagen für bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden können, gerade auch in den Minen, in denen solche schrecklichen Dinge passieren. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Fragen 35 und 36 des Kollegen Tom Koenigs sollen schriftlich beantwortet werden, wie auch die Fragen 37 und 38 der Kollegin Inge Höger. Auch die Frage 39 der Kollegin Viola von Cramon-Taubadel soll schriftlich beantwortet werden. Die Fragen 40 und 41 des Kollegen Omid Nouripour werden ebenfalls schriftlich beantwortet. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Welche Fragen werden eigentlich mündlich beantwortet?) Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amts. Danke, Frau Staatsministerin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner zur Verfügung. Die Frage 42 der Kollegin Haßelmann und die Fragen 43 und 44 des Kollegen Ströbele werden schriftlich beantwortet. Auch die Frage 45 des Kollegen Hunko soll schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 46 der Kollegin Dr. Martina Bunge auf: Welche Positionen aus welchen Landesregierungen in den neuen Bundesländern lagen der Aussage des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, am 26. September 2012 bei der Befragung der Bundesregierung zugrunde, es gebe „bisher keine einheitliche Haltung der Landesregierungen in den neuen Ländern in der Frage der Angleichung des Rentensystems“ (vergleiche Plenarprotokoll 17/194)? Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Bunge, ich beantworte Ihre Frage, -welche Positionen aus welchen Landesregierungen bezüglich der Rentenangleichung der Bundesregierung vorlagen, wie folgt: Bei der Befragung der Bundesregierung zum Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit hat der Bundesminister des Innern dem Wunsch der Bundesregierung Ausdruck verliehen, dass in der Frage der Vereinheitlichung der Rentensysteme Ost und West ein Konsens auch mit den Ländern herbeigeführt wird. Die bislang diskutierten Modelle sind derzeit nicht geeignet, eine Lösung im Sinne aller Beteiligten herbeizuführen. Das heißt, eine entsprechende Konsenslösung lag nicht vor, und dies war die Grundlage der Aussage des Ministers in der Fragestunde. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Danke, Herr Bergner. – In Reaktion auf diese Antwort des Bundesinnenministers in der letzten Sitzungswoche hat sich auch die Ministerpräsidentin von Thüringen – in Klammern: CDU –, die zugleich Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz ist, zu Wort gemeldet und gesagt, sie sehe hier die Bundesregierung in der Pflicht. Laut Pressemeldung hat sie ihr sogar Arbeitsverweigerung vorgeworfen. Sehen Sie in einer solchen rentenrechtlichen Frage nicht auch die Bundesregierung bzw. generell die Bundesebene in der Verantwortung, einen Vorschlag vorzulegen, den die Länder zunächst diskutieren? Erst danach kann entschieden werden: Gibt es eine einheitliche Meinung? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Bunge, ich gebe Ihnen unumwunden recht, dass die Verantwortung – auch die gesetzgeberische Verantwortung – beim Bund liegt. Gleichwohl hat auch der Amtsvorgänger von Minister Friedrich schon sehr früh zu Anfang dieser Wahlperiode im Gespräch mit der Ministerpräsidentin und den Ministerpräsidenten der neuen Länder keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich bei dieser sensiblen Frage einen Konsens mit den Ministerpräsidenten als gewissermaßen politischen Repräsentanten der neuen Bundesländer wünscht, und genau das ist der Hintergrund der Diskussion. Es gibt verschiedene Modelle: Sie selbst haben im Deutschen Bundestag ein Modell eingebracht; der Sachverständigenrat hat ein Modell eingebracht, dem sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weitgehend angeschlossen hat. Wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt feststellen, dass keines dieser Modelle zu einem Konsens mit den neuen Bundesländern – übrigens auch nicht mit dem Beauftragten für die neuen Bundesländer – führen könnte. Dies ist der Grund dafür – das haben wir im Bericht zum Stand der Deutschen Einheit zum Ausdruck gebracht –, dass wir gesagt haben: Unter diesen Umständen sollte am bewährten System festgehalten werden. Dieses verhindert ja, dass das jetzt in den neuen Bundesländern herrschende niedrigere durchschnittliche Lohnniveau den heutigen Beitragszahlern, wenn sie in 10 oder 20 Jahren in Rente gehen, bei der Ermittlung der Entgeltpunkte nachträglich zum Nachteil gereicht. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Diesbezüglich vertreten wir unterschiedliche Standpunkte. Ich meine Folgendes: Auch wenn das Einkommen vergleichbar ist, werden unterschiedliche Rentenwerte berechnet. Der Bundesinnenminister spricht von einem regionalen Unterschied, da das Lohnniveau im Osten niedriger ist. Diese Begründung findet sich auch in anderen Publikationen der Bundesregierung. Würden Sie als Ostbeauftragter mir zustimmen, dass das niedrigere Lohnniveau in Ostdeutschland auch mit dem Verlauf des Einigungsprozesses in wirtschaftspolitischer Hinsicht – Stichworte: verlängerte Werkbank, kaum Forschung und Entwicklung, weniger Wertschöpfung – zusammenhängt? Würden Sie mir zustimmen, dass die Tatsache, dass wir in Ostdeutschland im Durchschnitt ein niedrigeres Lohnniveau und damit einhergehend auch ein niedrigeres Rentenniveau haben, Folge eines strukturellen Problems ist? Würden Sie mir zustimmen, dass Ostdeutschland insofern nicht mit Ostfriesland zu vergleichen ist, wie der Bundesminister es getan hat? Würden Sie mir zustimmen, dass die Bundesregierung in der Verantwortung steht, wenn es Verwerfungen sozialer Art gibt? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Bunge, Ihre Analyse, der ich durchaus zustimme, ist doch gerade ein Plädoyer für das bestehende System. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Nein! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie wollen gar keinen Konsens! Sie wollen ihn gar nicht!) Wenn wir davon ausgehen – diesbezüglich stimme ich Ihnen ja durchaus zu –, dass die Ursache für das im Vergleich zum durchschnittlichen Lohnniveau im Westen niedrige Lohnniveau in den neuen Bundesländern teilungsbedingt ist – dabei geht es auch um die wirtschaftliche Ausgangslage der DDR –, dann sind wir gewissermaßen auch verpflichtet, ein selbstständiges Erfassungssystem zu nutzen, das sich nach dem jeweiligen Lohnniveau richtet. Wenn wir durch politische Entscheidungen den Rentenwert angleichen, dann sind die Aufwertungen der Beitragsleistungen in den neuen Bundesländern erklärungsbedürftig. Das würde nämlich sofort zu einem Vergleich mit Regionen in den alten Bundesländern führen, in denen das Lohnniveau ebenfalls niedrig ist. Dieser Aspekt führt im Ergebnis dazu, dass man sagt: Wenn man kein besseres Konsensmodell findet, bleibt man bei dem bestehenden, weil es unter diesen Umständen das gerechteste ist. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie wollen keine Angleichung!) – Ich wäre dankbar, wenn Frau Enkelmann diese Behauptung in eine Frage kleiden würde. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das war eine Feststellung, Herr Kollege Bergner!) Ich würde sie nämlich gerne zurückweisen. Vizepräsidentin Petra Pau: Es sieht im Moment nicht so aus, als würde sie Ihnen diesen Wunsch erfüllen. Vielleicht stellt Ihnen aber die Kollegin Behm eine Frage, die Ihnen die Möglichkeit gibt, das, was Sie noch loswerden wollten, zu sagen, Herr Bergner. – Bitte. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß nicht, was die Kollegin Dagmar Enkelmann fragen wollte. Ich habe zu diesem Komplex eine Fülle von Fragen. Was mich beschäftigt, ist Folgendes: Die Kanzlerin hat zu Beginn der Legislaturperiode versprochen, in dieser Legislaturperiode eine Rentenangleichung zwischen Ost und West hinzubekommen. Das hat ihr natürlich eine ganze Menge Zuspruch von Ostdeutschen eingebracht. Jetzt sagt sie bzw. die Bundesregierung: Nein, wir haben kein Modell. Wir können uns mit den Bundesländern nicht einigen. Deswegen bleibt alles beim Alten. – Dies führt zu einem großen Vertrauensverlust. Gleichzeitig zeigt das eine gewisse Unfähigkeit der Bundesregierung, sich dem Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu widmen; denn es gibt Modelle, zum Beispiel das Modell der Grünen. Unser Modell zur Rentenangleichung würde für sozialen Frieden sorgen – in dieser Frage steht der soziale Friede in Ostdeutschland wirklich auf der Kippe – und helfen, Altersarmut zu verhindern, und zwar -sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland. Ich würde Sie gerne fragen, warum die Bundesregierung es nicht schafft, sich mit den Oppositionsfraktionen, die gut durchgerechnete und sehr sinnvolle Modelle vorgelegt haben, an einen Tisch zu setzen, um diese Sache noch im Laufe dieser Legislaturperiode zu einem guten Ende zu bringen. (Iris Gleicke [SPD]: Unsere Vorschläge sind zu gut!) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich habe meine Argumente bereits in meiner Antwort auf die Frage der Kollegin Bunge vorgetragen. Ich habe gesagt, warum ich das Modell, das die Linke vorgeschlagen hat, für nicht konsensfähig halte. Möglicherweise ist es auch verfassungsrechtlich nicht tragfähig. Ich sage Ihnen auch gerne, weshalb ich das Modell, das Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagen haben und das auf dem Votum des Sachverständigenrats beruht, für nicht konsensfähig halte. Ich selbst als Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer müsste -Ihnen schon allein deshalb den Konsens verweigern, weil es zu einer maßlosen Enttäuschung der jetzigen Bestandsrentner in den neuen Bundesländern führen würde. (Iris Gleicke [SPD]: Krokodilstränen! Das ist ja unglaublich!) Ich weiß nicht, wie genau Sie sich mit Ihrem eigenen Modell auseinandergesetzt haben. Sie wollen gewissermaßen die Angleichung des Rentenwertes durch eine Gegenrechnung bei den Entgeltpunkten kompensieren. Unter dem Strich blieben die Renten in den neuen Bundesländern praktisch gleich, wobei zumindest ein Bezug zur allgemeinen Lohnentwicklung hergestellt wird. Ich will darauf aufmerksam machen, dass die Erwartungshaltung der allermeisten Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern dem diametral entgegensteht. Dort erwartet man von einer wie auch immer begründeten Anhebung des Rentenwerts auch eine vergleichbare Anhebung der Rentenleistung. Insofern kann ich mich mit Blick auf diese Erwartungshaltung Ihrem Vorschlag nicht anschließen. (Iris Gleicke [SPD]: Dann machen Sie doch selber etwas, Herr Bergner! Tun Sie doch etwas!) Vizepräsidentin Petra Pau: Es gibt jetzt eine weitere Meldung zu einer Nachfrage, nämlich durch den Kollegen Wunderlich. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, sehen Sie vielleicht eine Möglichkeit, einen Konsens herbeizuführen, darin, dass man als Grundlage für die Rentenwertberechnung, für die Rentenpunkte nicht das Bundesdurchschnittseinkommen, sondern nach Ost und West differenzierte Durchschnittseinkommen nimmt? Denn die Höherpunktung durch das Bundesdurchschnittseinkommen, durch diese verfälschten Einkommenswerte führt ja letztlich zu diesem Gefälle. Könnte man da einen Schnitt machen und das ostdeutsche Durchschnittseinkommen als Grundlage für die Berechnung der Rentenwerte nehmen? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Sie meinen, dass man das ostdeutsche Durchschnittseinkommen auch für die Berechnung des Rentenwerts West als Grundlage nehmen sollte? Ich würde sagen, dass ein solcher Beschluss rentenrechtlich und möglicherweise auch verfassungsrechtlich vollkommen angreifbar ist. Ich wüsste im Übrigen auch nicht, worin der Wert dieser Entscheidung läge. Ich habe diesen Vorschlag noch nicht geprüft, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ging mir auch nur gerade durch den Kopf!) aber ich habe große Zweifel, dass dies renten- und verfassungsrechtlich möglich ist; denn das bedeutete einen Eingriff in die Leistungen der Bestandsrentner in den alten Bundesländern. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein!) Vizepräsidentin Petra Pau: Es haben sich noch die Kollegin Haßelmann und die Kollegin Gleicke gemeldet. Diese zwei Fragen lasse ich noch zu. – Bitte, Frau Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihre Aussage zu den Bestandsrenten stimmt doch so überhaupt nicht; das haben Sie nicht richtig dargestellt. Sie haben durch meine Frage die Gelegenheit, diese Aussage in Ihrer Antwort zu korrigieren. Die von Ihnen hier vertretene Auffassung ist jedenfalls nicht zutreffend; aber bei meiner Frage an Sie geht es um etwas anderes. Es ging meiner Kollegin Cornelia Behm nicht darum, dass Sie die Vorschläge der Grünen oder die Vorschläge der SPD bewerten. Ich möchte Sie fragen, wann CDU/CSU und FDP und die von ihnen getragene Bundesregierung endlich einen Vorschlag für die Lösung dieses Problems vorlegen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unser Vorschlag liegt schon vor!) Sie haben in dieser Legislaturperiode hier im Haus immer wieder betont, dass es ein Problem gibt, das man lösen muss. Wir nähern uns jetzt dem Ende der Legislaturperiode und sind bisher mit keinem Vorschlag von CDU/CSU und FDP konfrontiert worden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben ihn in der letzten Legislaturperiode vorgelegt, Frau Haßelmann!) Wann gedenken Sie, etwas vorzulegen? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, ich habe in meiner Position als Beauftragter für die neuen Bundesländer nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich nach Prüfung aller mir bekannten und auch in der Bundesregierung erörterten Modelle (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch gar keinen Vorschlag!) unter dem Gesichtspunkt, dass ich in den neuen Bundesländern keine Verlierer haben möchte bzw. keine zusätzliche Enttäuschung verursachen möchte, bei der Beibehaltung des bestehenden Modells bleibe. Es kommt noch ein zweiter Gesichtspunkt hinzu, den ich als Beauftragter für die neuen Bundesländer nicht unerwähnt lassen möchte. Das bisherige Modell geht davon aus, dass sich im Zuge einer Entwicklung die Löhne in den neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern weitgehend angleichen werden. Ich gebe zu, dass die Entwicklung der letzten Jahre in dieser Hinsicht nicht sehr ermutigend war. Aber wenn wir gewissermaßen aus dem System aussteigen und einen einheitlichen Rentenwert schaffen, ist das meiner Auffassung nach das Signal, dass wir die Hoffnung auf eine Angleichung der Lohnverhältnisse aufgegeben haben. Das möchte ich als Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer nicht tun. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie legen also nichts vor?) – Für mich ist das bestehende System nach Prüfung aller Umstände noch immer das gerechteste, das wir gegenwärtig anbieten können. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na dann! Okay!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Gleicke. Iris Gleicke (SPD): Herr Kollege Bergner, gerade Ihr letzter Satz veranlasst mich zunächst einmal zu der Feststellung, dass auch im neuen Bericht zum Stand der Deutschen Einheit, den wir demnächst debattieren wollen, darauf hingewiesen wird, dass die Einkommensunterschiede in Ost und West wieder weiter auseinanderklaffen. Das heißt, die Situation ist noch dramatischer geworden. Das Niveau der Einkommen im Osten lag schon einmal bei 83 Prozent des Westdurchschnitts; unterdessen sind es nur noch 80 Prozent. Sie haben die ganzen Jahre zusammen mit Ihren Parteifreunden die Auffassung vertreten, dass es ganz toll ist, dass die Löhne in Ostdeutschland niedriger sind. Insofern frage ich Sie erstens, was Sie tun werden, um die Tarifbindung und die Zahlung von Tariflöhnen in Ostdeutschland voranzutreiben, damit sich diese Lücke schließt. Zweitens. Zu diesem Thema liegen ja mehrere Vorschläge auf dem Tisch. Alle drei Oppositionsfraktionen haben dazu unterschiedliche Vorschläge gemacht. Wir haben einen Härtefallfonds für bestimmte Berufsgruppen und Betroffene gefordert. Im Rahmen eines Härtefallfonds könnte man zum Beispiel für in der DDR Geschiedene eine sozialverträgliche Lösung finden. Wir haben gesagt: Was man sofort machen könnte, ist, die pauschal bewerteten Versicherungszeiten für Kindererziehung und Pflege von Angehörigen oder für Wehr- und Zivildienstzeiten anzurechnen. Wir machen uns zu diesem Thema Gedanken; denn wir alle wissen, dass ein geteiltes Rentenrecht 22 Jahre nach der deutschen Einheit keine Akzeptanz mehr hat. Man muss sich Folgendes vor Augen halten: Jemand, der im September dieses Jahres zu arbeiten angefangen hat, dessen Arbeitsbiografie also gerade erst begonnen hat, wird, wenn er im Jahre 2057 in Rente geht, in seiner Rentenbiografie noch immer DDR-Rentenbezüge finden. Das ist doch wirklich nicht mehr hinzunehmen. Wann tun Sie hier endlich etwas? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Aber das ist doch gar nicht so. Iris Gleicke (SPD): Natürlich ist es so. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, Sie nannten gerade das Beispiel eines jungen Mannes, der im Osten zu arbeiten beginnt. (Iris Gleicke [SPD]: Ich meinte junge Leute, nicht nur junge Männer!) – Oder das Beispiel einer jungen Frau. – Sie unterstellten, der Umstand, dass man zu niedrigeren Löhnen im Osten zu arbeiten begonnen hat, werde noch im Jahre 2057 in der Rentenbiografie abgebildet. Wenn Sie diese Behauptung aufstellen, haben Sie das gegenwärtige System nicht verstanden. (Iris Gleicke [SPD]: Oh! Da bin ich aber sehr gespannt!) Das gegenwärtige System beruht gerade darauf, dass sich das im Osten gegenwärtig niedrigere Lohnniveau in 30 oder 40 Jahren, wenn man in Rente geht, nicht in den Entgeltpunkten niederschlägt. Das ist der große Vorteil des gegenwärtigen Systems, der in der Öffentlichkeit leider nicht hinreichend bekannt ist. (Iris Gleicke [SPD]: Dann wäre der Umwertungsfaktor ja absurd! Das ist falsch, was Sie sagen!) Was Ihre zweite Bemerkung angeht, will ich darauf hinweisen, dass der Härtefallfonds, den Sie vorgeschlagen haben, jedenfalls nach meiner Kenntnis an eine andere Problematik anknüpft, nämlich an die offenen Fragen im Bereich der Sonderversorgungssysteme. Die Frage von Frau Bunge betraf allerdings die allgemeine Angleichung. (Iris Gleicke [SPD]: Aber das gehört doch -zusammen!) Insofern müsste man darüber in einem anderen Zusammenhang diskutieren. Die Antwort auf die Frage, ob es eine isolierte Anrechnung bzw. Angleichung der unterschiedlichen Erziehungszeiten gibt, wird einer weiteren Prüfung vorbehalten sein. Das ist ein Vorschlag, für den ich durchaus ein gewisses Verständnis habe, weil er nicht in die Systematik insgesamt eingreift. Was die niedrigeren Löhne im Osten betrifft, haben Sie zu Recht darauf hingewiesen, dass sie darauf zurückzuführen sind, dass in den neuen Bundesländern niedrigere Tarife herrschen. Die meisten Tarife sind allerdings angeglichen. Für mich ist jedoch nicht immer erklärlich, warum die Tarifpartner für den Mindestlohnbereich noch immer unterschiedliche Regelungen für Ost und West treffen; aber das ist Sache der Tarifpartner. Hier handelt es sich tatsächlich um strukturelle Nachteile, die aus meiner Sicht, technisch ausgedrückt, einigungsbedingt sind, die also noch immer den Strukturwandel in den neuen Bundesländern im Einzelnen abbilden. Diese Schwierigkeiten sind zu überwinden. Der Ansatzpunkt, um die Voraussetzungen für ein gleiches Lohnniveau in Ost und West zu schaffen, sind strukturelle Maßnahmen, die sich auch im Rentenniveau niederschlagen sollten. Ich weiß nicht, wen Sie zitieren, wenn Sie sagen, meine Parteifreunde oder ich hätten gesagt, es sei toll, dass die Löhne im Osten niedriger seien. (Iris Gleicke [SPD]: Dieter Althaus und viele andere!) Wir haben immer darauf hingewiesen, dass im Strukturwandel die Lohnstückkosten eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit spielen. Aber toll haben wir das nie gefunden. Vizepräsidentin Petra Pau: Ohne Zweifel ist das eine Debatte, die fortgesetzt werden muss. Herr Staatssekretär, ich muss Ihnen mitteilen, dass es noch eine weitere Nachfrage gibt, und zwar vom Kollegen Lemme. Steffen-Claudio Lemme (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär Bergner, ich frage Sie noch einmal nach der Anrechnung der pauschal bewerteten Versicherungszeiten für Kindererziehung, Pflege, aber natürlich auch für den Wehr- und Zivildienst. Sie hatten ja eben angekündigt, das zu prüfen. Um konkret zu sein: Wie lange dauert denn Ihre Prüfung? Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe gesagt, dass dies prüfenswert ist. Ich persönlich habe auch ein gewisses Verständnis für diesen Ansatzpunkt. Ich möchte aber auf Folgendes aufmerksam machen: Politisch befinden wir uns hier in der Schwierigkeit, dass mit einer Entscheidung unter der Überschrift „Angleichung“ ganz andere Erwartungen geweckt werden und dass die Personengruppe, die von dem von Ihnen angesprochenen Problem berührt ist, vergleichsweise klein ist, gemessen an den allgemeinen Erwartungen, die mit dem Begriff „Angleichung“ verbunden werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Frage 47 des Kollegen Volker Beck wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Innern. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 48 des Kollegen Volker Beck und die Frage 49 der Kollegin Walter-Rosenheimer werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 50 des Kollegen Sarrazin, die Frage 51 des Kollegen Hunko, die Frage 52 der Kollegin Paus und die Frage 53 der Kollegin Tackmann sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 54 des Kollegen Brase wird schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 55 des Kollegen Gehring. Auch die Frage 56 des Kollegen Gehring soll schriftlich beantwortet werden. Die Frage 57 der Kollegin von Cramon-Taubadel wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 58 der Kollegin Cornelia Behm auf: Welche Vorschläge zur Priorisierung der Fördergrundsätze der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK, hat die Bundesregierung den Ländern vorgelegt, und wann ist die Beschlussfassung im -Planungsausschuss für Agrarstruktur und Küstenschutz, PLANAK, vorgesehen? Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Damit sind wir beim Lebensministerium. Wir kommen zu Fragen des ländlichen Raumes und der Feldmäuse. Wir sind ganz nah – das sage ich auch den Zuhörerinnen und Zuhörern – an den Themen, die Mensch, Tier und Umwelt berühren. Die Kollegin Behm hat eine Frage gestellt, die ich wie folgt beantworte: Das Bundesministerium hat einen Priorisierungsvorschlag für den Rahmenplan ab 2014 erarbeitet, der mit den Ressorts und den Ländern abgestimmt wird. Danach sollen von den insgesamt 87 Fördertatbeständen etwa ein Viertel gestrichen, die Hälfte modifiziert und ein Viertel beibehalten werden. Die Priorisierung erfolgte anhand eines mit den Ländern abgestimmten Kriterienkatalogs. Gründe für die Streichungsvorschläge sind insbesondere eine geringe Inanspruchnahme, vergleichsweise geringe Zielbeiträge zur Agrarstrukturverbesserung usw. Diese Priorisierungsvorschläge sind in zwei Anhörungen mit den Verbänden diskutiert worden. Zurzeit werden insbesondere die zu modifizierenden Maßnahmen fachlich beraten mit dem Ziel, Ende November/Anfang Dezember den überarbeiteten Rahmenplan dem PLANAK zur Beschlussfassung vorzulegen. Soweit es die Beratungen der Legislativvorschläge für die ELER-Verordnung zulassen, ist die Beschlussfassung des Rahmenplans 2014 durch den PLANAK für den 12. Dezember 2012 geplant. Frau Kollegin Behm wird sicher nachfragen. Dann kann man das eine oder andere vielleicht noch so darstellen, dass es auch verstanden wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Dann hat die Kollegin Behm das Wort zur ersten Nachfrage. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da hat Ihnen wohl jemand Antworten aufgeschrieben, mit denen Sie selber nicht so zufrieden sind. Wir haben in der Tat wahrgenommen, dass Verbändeanhörungen durchgeführt worden sind. Sie haben gesagt, es habe sogar zwei gegeben. Ich frage Sie, warum die Fraktionen nicht auf den gleichen Wissensstand gebracht worden sind, warum sie die Vorlage zur Priorisierung der Fördergrundsätze nicht in die Hand bekommen haben, und ob Sie bereit sind, uns diese Vorlage jetzt auszuhändigen. Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Frau Kollegin, mit „dass es auch verstanden wird“ habe ich im Zusammenhang mit PLANAK gemeint, dass wir uns angesichts der dankenswerterweise vielen Zuhörerinnen und Zuhörer einmal nicht in Beamtendeutsch ausdrücken, sondern so, dass es auch für jemanden von außen verständlich ist. Sie sind eine hochinteressierte Kollegin; natürlich kann Ihnen die Vorlage zugeleitet werden. Es handelt sich hierbei allerdings um Regierungshandeln im Verhältnis zu den Ländern; dies muss selbstverständlich zunächst einmal auf Beamtenebene abgestimmt werden. Sie können aber kompletten Einblick bekommen. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie die Priorisierungsvorschläge aussehen, dann antworte ich darauf. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Behm hat das Wort zu ihrer zweiten Nachfrage. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön. – Dieses Regierungshandeln hat in der Tat Auswirkungen auf die Agrarpolitik. Da das Parlament die Regierung und damit das Regierungshandeln zu kontrollieren hat – und nicht umgekehrt –, wäre es wohl angemessen, dass wir entsprechend informiert werden. Wenn Sie gerne konkret werden wollen, möchte ich wissen, wie mit den priorisierten Fördergrundsätzen Herausforderungen wie dem Erhalt der Biodiversität – ich erinnere daran, dass die Agrarvogelwelt auf 50 Prozent zurückgegangen ist –, dem Klimawandel und der wachsenden Nachfrage nach Bioprodukten Rechnung getragen wird. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Frau Kollegin Behm, ich unterstreiche Ihre Aussage: Das Regierungshandeln hat Auswirkungen. Da wir eine gute Regierung haben, haben wir eine gute Agrarpolitik. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal was Neues!) Biodiversität ist eines der zentralen Ziele. Wir haben eine Biodiversitätsstrategie, über die wir schon verschiedentlich miteinander diskutiert haben und die natürlich auch im Rahmen des PLANAK weiterhin ein zentraler Punkt ist. Im Unterschied zu der Regierung, die unter Einbeziehung Ihrer Fraktion gebildet wurde, haben wir die Mittel für die GAK nicht gekürzt, sondern wieder aufgebaut. Wir geben damit das klare Signal, dass wir Ja sagen zur zukunftsorientierten Landwirtschaft und zur Entwicklung der ländlichen Räume. Jetzt ist es an der Zeit, neue Schwerpunkte zu setzen. Der Ökolandbau bzw. die Biobetriebe sind ein wichtiger Bereich. Im Unterschied zu Ihren Planungen haben wir das Bundesprogramm Ökologischer Landbau vollinhaltlich und in voller Höhe weiterfinanziert. Wir würden uns freuen, wenn wir im nächsten Jahr in Deutschland mindestens 10 000 neue Ökobetriebe bekämen; denn die Nachfrage ist groß, und wir wollen nicht unbedingt, dass die Nachfrage aus ausländischen Quellen gedeckt wird. Heimische Produktion ist das Beste. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Frage 59 der Kollegin Dr. Tackmann wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 60 des Kollegen Harald Ebner auf: Auf der Basis welcher Risikobewertungen durch welche Fachbehörden hat die Bundesregierung eine Ausnahmegenehmigung für den breitflächigen Einsatz des Rodentizids Ratron (Wirkstoff Chlorphacinon) in Thüringen erteilt, obwohl die erhebliche Toxizität dieses Wirkstoffes für zahlreiche Nichtzielorganismen und für einheimische Beutegreifer oder Zugvögel, die an Chlorphacinon verendete Nagetiere verzehren, wissenschaftlich belegt ist und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit deshalb 2010 verschiedenen Pestiziden mit dem Wirkstoff Chlorphacinon die Zulassung entzogen hatte? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Jetzt sind wir bei den Feldmäusen. Wir haben eine große Feldmausplage in Thüringen, mit 30 bis 70 Prozent Ernteausfall. Jetzt ist die Frage: Wie kann man das wirksam bekämpfen? Das BVL hat nach Prüfung eine Notfallzulassung für den Einsatz des Rodentizids Ratron für 120 Tage ausgesprochen. Die Alternative wäre, wie der Naturschutzbund und vielleicht auch Sie, Herr Ebner, vorschlagen, eine gezielte Bekämpfung in den Mäusebauen. Ich erinnere mich hier an meine Kindheit; ich könnte fast als Fachexperte dazu angehört werden. Wir haben als Kinder Feldmäuse gefangen und dafür 1 D-Mark bekommen. – Wenn Sie sich freiwillig zur Verfügung stellen, das per Hand zu machen, dann können wir vielleicht auf den Einsatz von Ratron verzichten. (Ute Vogt [SPD]: Bei dem Job hätten Sie bleiben sollen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich teile natürlich Ihre Auffassung hinsichtlich der Bedeutung des Ministeriums, das Sie als „Lebensministerium“ beschrieben haben. Es geht dort sehr stark um Ökologie und Artenvielfalt; die Bedeutung ist enorm. Gerade aufgrund dieser hohen Verantwortung möchte ich noch einmal nachfragen. Sie sind in Ihrer Antwort nicht auf meine Frage eingegangen, auf Basis welcher Risikobewertungen die Bundesregierung die Ausnahmegenehmigung für den breitflächigen Einsatz erteilt hat. Die Risikobewertung ist wichtig, weil das BVL die Zulassung für Pestizide mit diesem Wirkstoff 2010 widerrufen hat, und zwar aus gutem Grund. Deshalb frage ich Sie noch einmal nach den Risikobewertungen. Ich füge hinzu: Trifft es zu, dass das zuständige BVL die Ausnahmegenehmigung aus fachlichen Gründen nicht erteilen wollte, und, wenn ja, inwieweit hat die Bundesregierung auf eine Erteilung hingewirkt oder gedrängt? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Herr Ebner, das Bundesamt hat diese Notfallzulassung nach Prüfung und Risikoeinschätzung für 120 Tage erteilt. Ich kann Ihnen das Gutachten dazu zuleiten; ich habe es im Augenblick nicht vorliegen. Ich glaube aber, das können wir unter vier Augen mit den zuständigen Wissenschaftlern diskutieren. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, jetzt hier, öffentlich!) Darüber hinaus wurde die Frage, welche alternativen Methoden es gibt, in einem Expertenworkshop in Sachsen-Anhalt diskutiert. Auch die Agrarministerkonferenz hat sich mit der Feldmausplage in Thüringen auseinandergesetzt. Länderübergreifend wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die klären soll, ob und welche anderen Methoden es gibt. Faktum ist aber – ich habe mir das noch einmal angeschaut –: Im Augenblick sind über 300 Betriebe mit Tausenden von Hektar durch Ernteausfälle von 30 bis 70 Prozent betroffen. Deshalb ist in diesem Fall die Notfallzulassung der Mäuseköder zur Bekämpfung erteilt worden. Ansonsten könnten wir mit Fallen über die Felder gehen. Das wäre eine Alternative. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur nächsten Nachfrage. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke schön für die Wiederholung Ihrer Antwort. – Ich muss trotzdem noch einmal nachfragen: Wie bewerten Sie das Risiko einer breitflächigen Streuausbringung von Ratron für Haustiere und für spielende Kinder, und wie wird die Bevölkerung über den Einsatz dieses Köders informiert? Wie will die Bundesregierung verhindern, dass stark bedrohte Rote-Liste-Arten in Thüringen wie die Wiesenweihe, der Steinkauz oder der Feldhamster durch den Einsatz von Ratron in ihrer Existenz gefährdet werden? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Die Abwägung des Einsatzes müssen wir den Wissenschaftlern und den Experten vor Ort überlassen. Auf der einen Seite steht die Mäuseplage, auf der anderen Seite in der Tat natürlich eine mögliche Gefährdung. Wir sind ja so weit gegangen, Erhebungen darüber durchzuführen, ob der Tod von sieben Feldhasen – Sie hören richtig – mit dem Mittel „Ratron Feldmausköder“ in Verbindung zu bringen ist. Wir können das Monitoring auch noch ausweiten, aber es gibt natürlich Grenzen. Man muss auch Vertrauen in unter Abwägung der Wissenschaftler und Behörden getroffene Entscheidungen haben und eine vor-Ort-bezogene Einzelfallentscheidung dann auch einmal akzeptieren. Wir sollten uns nicht die Arroganz erlauben, zu meinen, dass wir im Plenum des Deutschen Bundestages besser beurteilen können, wie man eine Feldmausplage in einem Landkreis in Thüringen bekämpft. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Frage 61 des Kollegen Harald Ebner: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der aktuellen Studie des US-Agrarökonomen Charles -Benbrook („Impacts of Genetically Engineered Crops on Pesticide Use in the U. S. – The First Sixteen Years“), basierend auf Daten des US-Agrarministeriums, wonach in den USA durch den Anbau von herbizidtoleranten gentechnisch veränderten Organismen ein Anstieg des Herbizidverbrauchs um 239 Millionen Kilogramm im Zeitraum 1996 bis 2011 erfolgt ist, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass einige in der Europäischen Union bald zu erwartende Anbauzulassungen gentechnisch veränderter Pflanzen ebenfalls eine Herbizidtoleranz gegen Glyphosat (Soja) oder Glufosinat (Mais) besitzen? Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Frage 61: Schade, dass Loriot nicht mehr lebt. – (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Sie machen den Ersatz!) Herr Ebner, in der Frage 61 geht es, wenn ich kurz einführen darf, um das Thema, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung aus der aktuellen Studie des US-Agrarökonomen Charles Benbrook, basierend auf bestimmten Daten, zieht. Ich komme zur Antwort, sonst sind meine 60 Sekunden für die Antwort schon vorbei: Bei der Zulassung gentechnisch veränderter Organismen sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene muss sichergestellt sein, dass auch langfristig negative Folgen für die Gesundheit von Mensch, Tier oder Umwelt durch den Einsatz solcher GVO mit Sicherheit ausgeschlossen werden können. Deshalb wird die Haltung der Bundesregierung zu eventuellen Anträgen auf Anbauzulassungen unter Einbeziehung aller vorliegenden wissenschaftlichen Gutachten und Stellungnahmen für den Einzelfall erarbeitet. Hierbei werden alle verfügbaren Erkenntnisse berücksichtigt. Aus diesem Grund werden auch die mit der Studie vorgelegten Hinweise auf einen Anstieg des Herbizidverbrauchs nach mehrjährigem Anbau nach entsprechender Prüfung in das weitere Verfahren bei der Festlegung einer Position zu Anbauzulassungen herbizidtoleranter Pflanzen selbstverständlich einfließen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das freut mich zu hören, Herr Staatssekretär; denn bislang wurde diese Verbindung von der Bundesregierung immer wegdiskutiert. Man hat gesagt: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich frage angesichts dessen nach, dass Sie gesagt haben, Sie machten eine gute Agrarpolitik. – Heute Morgen im Agrarausschuss hat die Ministerin zum Thema gute Agrarpolitik gesagt, was den Antibiotikaeinsatz angeht, halte sie eine Reduktion des Mengeneinsatzes als Ziel für nicht sinnvoll. – So viel zum Thema gute Agrarpolitik. Ich halte eine Reduktion des Pestizideinsatzes für ein gutes, notwendiges und sinnvolles Ziel. Deshalb meine Frage: Wie gedenkt die Bundesregierung dann mit diesen Erkenntnissen umzugehen, sobald die Abstimmung im StALuT über die Roundup-Ready-Sojabohne, nämlich eine glyphosatresistente Sojabohne, ansteht, angesichts dessen, dass 70 Prozent des erwähnten Anstiegs des Herbizidverbrauchs in den USA allein auf diese herbizidresistente Sojabohne zurückzuführen ist? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Auch an dieser Stelle ist ganz klar: Die Politik muss sich auf die Wissenschaft verlassen und wissenschaftsbasierte Entscheidungen treffen, unabhängig von politischer Couleur, ob nun links oder rechts, vorne oder hinten. Das sind die wissenschaftlichen Vorgaben. So erfolgt das Zulassungsverfahren im europäischen und nationalen Rahmen. Das heißt, im Augenblick werden mehrere Anträge bearbeitet. Die EFSA hat ihre Stellungnahme noch nicht abgegeben. Es werden alle auch von Ihnen genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse einfließen. Dann gibt es eine Empfehlung. Anschließend gibt es eine Bewertung durch unsere Wissenschaftler und leitenden Beamten, eine politische Vorgabe und dann die Abstimmung im StALuT. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir die Frage des Pestizideinsatzes im Zusammenhang mit GVO ernst nehmen und auch hier eine langfristige Reduktion erreichen wollen, dann müssen wir uns auch vor Augen führen, dass in den letzten Jahren zunehmend Schädlingspopulationen aufgetreten sind und sich ausbreiten, die gegen die gentechnisch veränderten Bt-Pflanzen, also welche, die einen Bacillus-thuringensis-Toxin produzieren, resistent sind und in diesen Fällen eben auch zusätzliche Pestizide über das in den Pflanzen gebildete Toxin hinaus eingesetzt werden. Wie bewerten Sie denn diese Tatsache? Wie bewerten Sie das insbesondere im Zusammenhang mit der Tatsache, dass damit das Bacillus-thuringensis-Präparat für den ökologischen Landbau völlig wirkungslos wird? Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Sollten Ihnen neue wissenschaftliche Untersuchungen oder Erkenntnisse vorliegen, die ich jetzt nicht habe – so viel Wissenschaftlichkeit muss sein, dass man sich das erst anschaut, bevor man Ja oder Nein sagt –, dann berücksichtigen wir dieses gerne. Sie bekommen dann eine Stellungnahme unserer Bundesämter. Wir haben im Bundesinstitut für Risikovorsorge und im BVL die besten Wissenschaftler. Darauf sind wir stolz. Diese Wissenschaftler sind unabhängig. Wir stützen uns bei politischen Entscheidungen auf diese unabhängigen Gutachten. Das ist die absolut wichtige Grundlage. Die Vorgabe in der Agrarpolitik ist klar; dieses Ziel erreichen wir auch. Zur nachhaltigen Produktion gehört auch eine Reduzierung des Pestizideinsatzes in der Fläche, in der Breite und in der Quantität. Auch dies konnten wir in den letzten Jahren Zug um Zug bzw. Schritt für Schritt, aber sehr effektiv umsetzen. Ich lade Sie ein. In einer Stunde bin ich bei der FNR. Dort geht es um nachhaltige Entwicklung und Produktion. Wir behandeln da genau dieses Thema. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Danke, Herr Staatssekretär. Die Frage 62 der Kollegin Keul zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung wird, wie auch die Frage 63 der Kollegin Bellmann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung. Allerdings werden die Fragen 64 der Kollegin Bellmann, 65 des Kollegen Hofreiter und 66 ebenfalls des Kollegen Hofreiter schriftlich beantwortet. Ich rufe auf die Frage 67 der Kollegin Cornelia Behm: Welchen Güterschiffsverkehr (aufgeschlüsselt nach Schiffsklassen und transportierten Mengen) erwartet die Bundesregierung auf der Havel angesichts der durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angekündigten modifizierten Ausbauplanungen, und welche konkreten Baumaßnahmen stehen im Rahmen der Ausbaupläne noch an? Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Staatssekretär Müller wird mir verzeihen, wenn ich sage: Auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist ein bedeutendes Lebensministerium der Bundesregierung, weil 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger fahren, wohnen und/oder bauen. Frau Behm möchte eine Frage zum Thema Güterschiffsverkehr – aufgeschlüsselt nach Schiffsklassen und auf der Havel transportierte Mengen – beantwortet haben. Da werden modifizierte Ausbauplanungen gemacht. Darauf jetzt die Antwort: Infolge der modifizierten Ausbauplanungen werden keine signifikanten Auswirkungen auf die künftige Flottenstruktur und die Transportmengen erwartet. Aktuell wird die Verkehrsprognose 2025 zugrunde gelegt. Ich möchte Sie, Frau Kollegin Behm, mit Rücksicht auf unsere Kolleginnen und Kollegen bitten, dass ich Ihnen die beiden Tabellen zu Flottenstrukturen und Mengen schriftlich geben kann. Denn ob uns die Kolleginnen und Kollegen richtig zuhören, wenn es bei der Flottenstruktur darum geht, zu Berg zu fahren, zu Tal zu fahren und die Anteile der Motorschiffe und der Schubleichter aufgeschlüsselt zu bekommen, ist fraglich. Sie verzeihen mir, dass ich Ihnen diese Tabellen gebe. Dann sind wir ein bisschen zeitökonomischer unterwegs. Gleiches gilt für die Güterstruktur der Ladungsmengen für 2025. Das geht von landwirtschaftlichen Erzeugnissen über Futtermittel bis hin zu mineralischen Brennstoffen, Erdöl, Mineralölerze, Metalle etc. Auch diese Aufstellung möchte ich Ihnen gerne geben. Ich komme zum Schlusssatz. Um das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 zu vollenden, werden die Flusshavel, der Sacrow-Paretzer-Kanal und die Berliner Nordtrasse ausgebaut. Der Umfang der Baumaßnahmen hat sich – das wird Sie interessieren – durch die bedarfsgerechte Überarbeitung der Pläne erheblich reduziert. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich nehme an, dass die Kollegin Behm einerseits dieses Angebot akzeptiert, aber sicherlich jetzt ihre erste Nachfrage stellt. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe nur eine Nachfrage. – Vielen Dank. Natürlich ist es sinnvoll, die Leute hier nicht mit so vielen Zahlen, Daten und Fakten zu belasten, wenn wir zeitökonomisch sein wollen. Wir haben die Informationen, auf deren Basis ich jetzt nachgefragt habe, nur aus der Zeitung. Deswegen würde ich gerne folgende Fragen beantwortet haben: Wann und wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen? In welcher Form werden die veränderten Planungen verbindlich? Also, wann kann man da etwas in die Hand nehmen oder vor die Augen gehalten bekommen? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Natürlich sind wir anhand dieser Flottenstruktur und der Güterstruktur auch gerade von Ihrer Fraktion aufgerufen, das anzupassen, wenn Optimierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wir sparen damit auch Geld. Wir reduzieren gerade die Investitionskosten an dieser Stelle durch verschiedene bauliche Veränderungen von 45 Millionen Euro auf 27 Millionen Euro. Es geht dabei auch um die Reduzierung der Ausbautiefe und der Baggermengen und die entsprechenden Kostenreduktionen. Die Öffentlichkeit wird über die konkreten Planungen rechtzeitig informiert. Die Planungen der WSV sind so weit fortgeschritten, dass erste Abstimmungen mit den Landesbehörden, den Verbänden und den Betroffenen in Brandenburg bereits begonnen haben bzw. unmittelbar bevorstehen. Mitte 2013 soll für die Fahrrinnenanpassung das erforderliche Planfeststellungsverfahren eingeleitet werden. Wie Sie wissen, werden bei den Planungen und Planfeststellungsverfahren alle Belange abgefragt und verschiedene Erörterungstermine durchgeführt. Dann liegen die konkreten Planungen vor. Jetzt über nicht vollständige oder lückenhafte Planungen zu reden, wäre verfrüht. Wir sind deshalb gerade im Abstimmungsprozess. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bedanke mich!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Frage 68 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 69 und 70 des Kollegen Michael Groß. Der Kollege ist offensichtlich nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis 16.45 Uhr. Dann fahren wir fort mit der Aktuellen Stunde. Ich bekomme gerade einen Hinweis. Damit jeder weiß, woran er ist: Für vier Minuten ist die Sitzung des Bundestages unterbrochen. (Unterbrechung von 16.41 bis 16.46 Uhr) Vizepräsidentin Petra Pau: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Finanzielle Belastungen der Geringverdienerhaushalte durch die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Ökostromsubventionen Ich eröffnet die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bislang war ich der Auffassung, dass wir hier im Parlament einen weitgehenden Konsens haben, dass wir unsere Energieversorgung schrittweise auf erneuerbare Energien umstellen. Wenn ich mir allerdings die vielfältigen Wortbeiträge in der Presse der letzten Tage ansehe, dann gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass die Opposition diesen Konsens entweder nie ernst genommen hat oder ihn jetzt aufkündigen will. Vielleicht wollen Sie aber nur von Fehlern und Fehlsteuerungen, die Sie wesentlich mitverursacht haben, -ablenken. Wer hat denn die erneuerbaren Energien mit völlig überzogenen Vergütungssätzen gefördert? Ich erinnere: Das war Rot-Grün. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, haben dafür gesorgt, dass Strom aus Photovoltaik mit über 50 Cent pro Kilowattstunde gefördert wurde. Wir haben dafür gesorgt, dass dieser Strom die Bürger heute nur noch 19 Cent kostet. Damit sich -einige die Taschen füllen konnten, haben Sie dafür gesorgt, dass diese überteuerten Anlagen die Stromrechnungen der Bürger auch noch die nächsten Jahre belasten werden. Sie, Frau Höhn und Herr Trittin, und Sie, Herr Gabriel und Herr Kelber, haben den Bürgern damit einen Kostenrucksack hinterlassen. (Gustav Herzog [SPD]: Ich auch!) Heute tun Sie so, als hätten Sie damit nichts zu tun, als wären alle Anlagen erst in den letzten drei Jahren gebaut worden. Das ist unredlich. (Gustav Herzog [SPD]: Der Abgeordnete Herzog auch!) Was aber noch schlimmer ist: Sie bringen mit Ihrer Polemik die Förderung der erneuerbaren Energien bei den Bürgern zunehmend in Misskredit. (Rolf Hempelmann [SPD]: Gut, dass Sie sachlich sind!) Sie laufen herum und stellen das EEG als Subventionsmaschine für Golfplätze und Imbissketten dar. Es ist ja richtig, dass wir dafür sorgen, dass energieintensive Unternehmen von hohen Strompreisen entlastet werden; dazu stehen wir. Wir wollen Tausende Arbeitsplätze in der Chemieindustrie, der Metallverarbeitung oder der Glasindustrie schützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Molkerei! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Futtermittelhersteller, Schlachthöfe!) Wir stehen dazu, weil wir auch künftig die gesamte Wertschöpfungskette in Deutschland behalten wollen, weil wir Deutschland als Industriestandort erhalten und ausbauen wollen. Es ist wirklich unlauter, dass Sie verschweigen, dass wir es waren, die dafür gesorgt haben, dass gerade Golfplätze, Imbissketten oder Rechenzen-tren seit dem 1. Januar dieses Jahres nicht mehr von der Umlage befreit werden, dass wir es waren, die gesetzlich festgelegt haben, dass nur noch Unternehmen des produzierenden Gewerbes (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) berechtigt sind, die Umlagebefreiung zu beantragen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechenzentren, vom Netzentgelt befreit!) und dass wir damit die von Ihnen eingeführten unbegründeten Ausnahmen für Unternehmen abgeschafft haben. (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD] – Ulrich Kelber [SPD]: Der Kauch muss sogar lachen!) Sie werfen uns einen Fehler vor, den Sie gemacht und den wir korrigiert haben. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, stimmen dem zu. Dabei waren Sie es, die in der Zeit der Großen Koalition unsere Vorschläge für die Einführung der Marktprämie blockiert haben. (Ulrich Kelber [SPD]: Lesen Sie mal nach, was die kostet! Eine halbe Milliarde für nix!) Das ist ein Instrument, das jetzt erfolgreich dafür sorgt, dass die erneuerbaren Energien endlich aus der Subventionierung in den Markt gebracht werden können. (Rolf Hempelmann [SPD]: Deshalb fördert ihr jetzt auch Offshore!) Die Kosten für die Bürger spielten für Sie in der Diskussion niemals eine Rolle. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Lachen bei der SPD) Meine Damen und Herren, unser Anliegen war es von Beginn an, die erneuerbaren Energien mit möglichst hoher Effizienz, also möglichst geringen Kosten für die Bürger, zu fördern. Deshalb haben wir die Förderung immer nachjustiert. Wir haben zum Beispiel bei der Förderung von Photovoltaikanlagen in mehreren Schritten erhebliche Vergütungsreduzierungen vorgenommen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die Kosten sind auch inzwischen geringer!) Aber immer dann, wenn wir das getan haben, gerade um die Kosten für die Bürger zu reduzieren, waren Sie es, die sich vehement dagegen gewehrt haben; (Rolf Hempelmann [SPD]: Nicht mit dem -Finger auf Leute zeigen!) da waren Ihnen die Kosten für die Bürger, die Sie jetzt mit Krokodilstränen beklagen, egal; da haben Sie jedes noch so absurde Argument bemüht, um die Förderung möglichst hoch zu halten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben Sie immer schön die Industrie befreit! – Ulrich Kelber [SPD]: Die Gülletrocknung! Da waren Sie persönlich dabei, als das gemacht wurde!) Was war von Ihnen nicht alles ins Feld geführt worden, um die hohen Vergütungssätze zu retten, Herr Kelber? Sie haben den Zusammenbruch der gesamten Photovoltaikbranche vorhergesagt. Sie haben einen Ausbaustopp bei PV-Anlagen prognostiziert. Nichts davon ist eingetreten. Wenn Sie sich durchgesetzt hätten, dann würden wir heute über ganz andere Größenordnungen bei der EEG-Umlage reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vielleicht sollten Sie sich einmal mehr Zeit zum Nachdenken über Ihre Politik lassen, bevor Sie die Förderung der Erneuerbaren kritisieren. Meine Damen und Herren, wo wir gerade beim Nachdenken sind: Schön wäre es, wenn Sie statt Polemik konstruktive Vorschläge für die Weiterentwicklung der Förderung der erneuerbaren Energien machen würden. (Rolf Hempelmann [SPD]: Genau wie Sie, nicht?) Dazu habe ich von Ihnen noch nichts gehört. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo waren denn jetzt die Vorschläge, Frau Dött? – Gegenruf von der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon aufgegeben, oder wie? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn? – Gegenrufe von der CDU/CSU: Wir!) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion das Wort. Rolf Hempelmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als ich gehört habe, dass Schwarz-Gelb diese Aktuelle Stunde mit dem Titel „Finanzielle Belastungen der Geringverdienerhaushalte durch die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Ökostromsubventionen“ auf die Tagesordnung gebracht haben, habe ich gedacht: Da muss sich jemand verschrieben haben. Als ich dann hörte: „Nein, da hat sich niemand verschrieben; die meinen das ernst“, wollte ich es immer noch nicht glauben. Ich habe jetzt wirklich den Eindruck: Sie haben da sozusagen einen Anfall von Masochismus. Sie wollen offenbar leiden (Gabriele Groneberg [SPD]: Wohl wahr! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Warten Sie mal ab!) und diese Aktuelle Stunde heute über sich ergehen lassen. Meine Damen und Herren, wie sieht es denn wirklich aus mit Ihren Ambitionen für die Geringverdienerhaushalte? Schauen wir uns doch einmal Ihren „record“ an: Das Bundesverfassungsgericht musste Sie zwingen, die Hartz-IV-Sätze nach oben hin anzupassen. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Inklusive der Kosten für Strom, Herr Kollege!) Das haben Sie nicht von sich aus getan, weil Sie ein Herz für die Geringverdiener haben; (Patrick Döring [FDP]: Das sind doch keine Geringverdiener!) Sie mussten dazu genötigt werden. Heizkostenzuschüsse für Geringverdiener haben Sie abgeschafft. (Zurufe von der SPD: Pfui!) Mindestlöhne lehnen Sie nach wie vor ab. (Zuruf von der SPD: Doppelt Pfui!) Reichensteuer – wenn wir einmal auf das andere Ende schauen – lehnen Sie auch ab. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Thema! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir haben sowohl Mindestlöhne als auch Reichensteuer!) Also, Ihre neue Ambition für die Geringverdiener ist so glaubhaft wie Sie, Frau Dött, als Sie gerade versucht haben, in machiavellistischer Weise Ihre Position darzustellen. Das Zweite. Es war die Rede von „Beschlüssen der rot-grünen Bundesregierung, die Belastungen produzieren“. Ja, mein lieber Freund! Jetzt müssen wir doch einmal nachrechnen: Wann war denn Rot-Grün zu Ende? War das nicht 2005? Danach gab es – wenn ich mich richtig erinnere – vier Jahre lang Schwarz-Rot. Da hätte der Partner der Sozialdemokraten, die Union, vier Jahre lang Gelegenheit gehabt, die Dinge zu ändern. Das haben die aber nicht gemacht. Anscheinend war man ganz zufrieden mit dem Fördersystem. Anschließend gab es drei Jahre lang Schwarz-Gelb. Auch da stellt sich die Frage: Was ist denn geschehen? (Patrick Döring [FDP]: Sagen Sie einmal, was geschehen ist!) Es ist also völlig klar: Sie versuchen heute von Ihrem eigenen Versagen abzulenken. Sie haben die Anhebung der Erneuerbare-Energien-Umlage auf 5,3 Cent zu verantworten. Daran führt nun wirklich kein Weg vorbei. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wenn Sie von Ökostromsubventionen sprechen, dann sprechen Sie ja auch ganz gerne davon, was in diesem Zusammenhang für die Industrieunternehmen so passiert. Da muss ich Ihnen sagen: Wir, Rot-Grün, haben in der Tat, beginnend im Jahre 2000, Ausnahmetatbestände für besonders energieintensive Unternehmen geschaffen, und das aus gutem Grund. Wir wollten nämlich verhindern, dass die ihre Produktionsstätten in Länder mit weniger strengen Auflagen verlagern, in Länder ohne Emissionshandel beispielsweise, ohne EEG und anderes. Das hatte also einen guten Grund. Dieses Instrument hatte zehn Jahre lang eine hohe Akzeptanz. Warum? Weil wir das gezielt und sehr begründet für wenige Unternehmen gemacht haben, die wirklich im internationalen Wettbewerb standen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo war der Mittelstand? Der Mittelstand hat gefehlt!) Was haben Sie gemacht? Sie haben dieses Instrument klientelpolitisch ausgeweitet. (Patrick Döring [FDP]: Haben Sie etwas gegen industriellen Mittelstand?) Wenn man sich einmal anschaut, wer da heute alles drin ist – Kartoffelverarbeiter, Futtermittelhersteller, Schlachtbetriebe, Erfrischungsgetränkehersteller, Milchverarbeiter, Obstverarbeiter, Gemüseverarbeiter –, (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser! Bleiben Sie redlich!) dann muss ich sagen: Ich kann nicht so richtig erkennen, wo denn da eigentlich die im internationalen Wettbewerb befindlichen energieintensiven Unternehmen sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich sehe, dass Sie bei den Netzentgelten durch die Senkung der Schwelle ohne weitere Konditionierungen mittlerweile auch Hotels – wieder einmal Hotels –, aber auch Rechenzentren und Golfplätze befreien, dann frage ich mich wirklich: Wo ist hier eigentlich die Abwanderungsgefahr? Haben Sie Sorge, dass Ihr heimischer Golfplatz nach Asien abwandert, oder warum machen Sie solche Sachen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Es gibt nicht einen befreiten Golfplatz! Das ist schlicht gelogen! – Weiterer Zuruf von der FDP: Das ist Märchenerzählen!) Das führt dazu, dass vernünftige Instrumente an Akzeptanz in der Öffentlichkeit verlieren. Das ist in Ihrer Verantwortung. Deswegen sage ich: Seien Sie vorsichtig mit einer solchen Aktuellen Stunde. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Welchen Golfplatz meinen Sie denn? Nennen Sie doch einmal einen Golfplatz!) Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Kündigen Sie nicht nur ständig Maßnahmen an, zum Beispiel zur System-integration der erneuerbaren Energien, sondern tun Sie etwas. Darauf mache ich Sie aufmerksam, weil Sie eben so gegen die Photovoltaik vorgegangen sind, bei der wir übrigens durchaus Angebote gemacht haben, auch zur Absenkung der Förderung. Schauen Sie einmal sehr genau hin, was Sie gerade bei der Offshorewindenergie machen. Was Sie da zurzeit machen, bringt Kosten für alle Verbrauchergruppen, die unüberschaubar sind; Sie wissen es auch selbst. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hempelmann, achten Sie bitte auf die Zeit. Rolf Hempelmann (SPD): Bei Ihnen gibt es im Moment hektischste Reaktionen. Sie versuchen gerade, Lasten auf die Endverbraucher zu verteilen, Haftungstatbestände zu den Verbrauchern zu verschieben, weil Sie nicht mehr wissen, wie Sie weitermachen sollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seien Sie also ehrlich und geben Sie zu, dass Sie keinen Plan haben. Dann sind wir auch bereit, Ihnen zu helfen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael Kauch das Wort. (Beifall bei der FDP) Michael Kauch (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hempelmann hat gefragt, was diese Koalition für die Geringverdiener getan hat. Die Geringverdiener – das verwechseln Sie offensichtlich einmal wieder – sind nicht identisch mit den Hartz-IV-Empfängern. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das habe ich auch nicht behauptet!) Bei diesen wird nämlich ein Teil der steigenden Energiekosten kompensiert. Die Geringverdiener sind diejenigen, die in diesem Land hart arbeiten, sich anstrengen und trotzdem nicht viel verdienen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ja! Mindestlohn!) Wir setzen uns für diese Menschen ein. Seit diese Koalition regiert, haben wir so viele Beschäftigte wie seit der deutschen Einheit nicht mehr. (Rolf Hempelmann [SPD]: Aber zu welchen Bedingungen? – Weitere Zurufe von der SPD) Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist die beste Sozialpolitik für die Menschen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Geringverdiener sind in der Tat davon betroffen, dass Strompreise steigen, und zwar durch ein Gesetz, das nicht Schwarz-Gelb eingeführt hat. Wir haben es reformiert. (Rolf Hempelmann [SPD]: Deformiert!) Eingeführt wurde es von Rot-Grün. Deshalb entlassen wir Sie, meine Damen und Herren, nicht aus der Verantwortung. Die Grenze ist für viele Menschen erreicht. Es ist nicht wieder nur eine Erhöhung von 1,5 Cent pro -Kilowattstunde, sondern wir haben nahezu eine Verdoppelung der Haushaltsstrompreise seit zehn Jahren. Herr Trittin hat damals gesagt, das EEG koste nicht so viel. Es koste einen Cappuccino im Monat. Diese Erhöhung kostet schon zwei Cappuccino im Monat. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist Ihre Erhöhung!) Das ist der Latte-Macchiato-Fraktion der Grünen vielleicht egal, aber für die normalen Menschen in diesem Land sind auch das Beträge. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Senken Sie sie doch! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind die Preistreiber!) Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat die Vergütungssätze gesenkt. Seit unserem Regierungsantritt sind die Vergütungssätze für die Solaranlage auf dem Eigenheimdach von 43 Cent auf 19 Cent gesunken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie werden weiter fallen, und zwar nicht, weil Sie uns gedrängt haben; denn die Entscheidung wurde gegen Ihren erbitterten Widerstand, gegen Ihre Verzögerungstaktik im Bundesrat getroffen. (Beifall bei der FDP) Ihre Verzögerungstaktik ist der Grund dafür, dass die Solarförderung und der Solarausbau explodiert sind. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben doch im -Verhandlungsraum gesessen!) Immer mehr Leute haben den Schlussverkauf genutzt. Das ist der Grund, warum die Umlage in diesem Maße steigt. Das ist Ihre Verantwortung. Das ist Ihre Verzögerungstaktik, meine Damen und Herren von Rot-Grün. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde, Herr Kauch! – Rolf Hempelmann [SPD]: Hauptsache, man glaubt selber daran! – Ulrich Kelber [SPD]: Was ist verzögert worden? Konkret!) Sie haben die Ausnahmebestimmungen angesprochen. Diese Ausnahmebestimmungen sind in der zweiten Wahlperiode von Rot-Grün eingeführt worden. (Rolf Hempelmann [SPD]: Zu Recht!) Sie haben energieintensive Unternehmen von der Umlage befreit, und zwar aus gutem Grund. (Beifall des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Man wollte nämlich die Arbeitsplätze erhalten und Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, nicht außer Landes treiben. (Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) Wir haben an diesen Kriterien der Energieintensität nichts, aber auch gar nichts geändert. (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Wir haben die Schwellenwerte für die Unternehmensgröße gesenkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, Sie können johlen, wie Sie wollen, das ist eine richtige Maßnahme; (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) denn Sie sind die Genossen der Bosse. Sie sind diejenigen, die nur an die Großunternehmen denken. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP denkt an den Mittelstand, an den industriellen Mittelstand und an die Menschen, die dort arbeiten. Darauf sind wir stolz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Sie denken an alle, nur nicht an die Geringverdiener!) Sie können hier so viel lügen, wie Sie wollen. (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) Wenn Sie sagen, es seien Golfplätze von der Ökoumlage befreit, dann sage ich Ihnen: Kein einziger Golfplatz in Deutschland ist davon befreit. Es gibt einen Golfplatz, der einen Antrag gestellt hat. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei!) Es gibt aber keine Genehmigung. Diese Genehmigung wird auch nicht erteilt werden. Das ist die Wahrheit zu den Golfplätzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Nach Ihren Kriterien würde sie erteilt werden!) Die Hähnchen, von denen Sie reden und die hier gegessen werden, kommen nicht alle nur aus Deutschland, die kommen auch aus Polen, aus Frankreich. Auch die kann man nämlich über die Grenze schicken. Deshalb sind auch diese Unternehmen natürlich im internationalen Wettbewerb, auch wenn die Hähnchen hier in Deutschland gegessen werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der deutsche Wetterdienst auch noch!) Ihre Ausflüchte sollten darüber hinwegtäuschen, dass Sie am Erneuerbare-Energien-Gesetz nichts ändern wollen. Deshalb sage ich Ihnen, was wir tun wollen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ankündigungsweltmeister!) Wir wollen das EEG reformieren, und zwar so, dass die Bürgerinnen und Bürger für jeden Euro, den sie für die erneuerbaren Energien bezahlen, möglichst viel Strom bekommen, (Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr seid doch schon drei Jahre dran! Macht doch mal!) dass nicht nur die teuersten Technologien eine Marktchance haben, sondern auch die billigen Technologien. Deshalb setzen wir uns stärker für die Direktvermarktung ein. Im Übrigen hält es die FDP-Bundestagsfraktion für nötig, dass wir als Sofortmaßnahme die zusätzlichen Mittel, die der Bund aus der Mehrwertsteuer auf die erhöhte Umlage erzielt, an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben. Der Staat darf sich nicht dadurch bereichern, dass die EEG-Umlage steigt. Deshalb sind wir dafür, über die Stromsteuer eine Absenkung herbeizuführen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Da muss ja demnächst der Sparkommissar auch nach Deutschland kommen!) Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege, das Wort „Lüge“ ist unparlamentarisch. Hier im Hause findet dies ohnehin nicht statt, weil jeder, der hier Aussagen trifft, immer davon ausgeht, dass seine Argumente die richtigen sind und diese nach bestem Wissen und Gewissen vorgebracht werden. Auch bei größter Leidenschaft in der Debatte kann ich die Verwendung dieses Wortes nicht akzeptieren. Ich rüge deshalb Ihre Aussage. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als Nächste hat aus der Fraktion Die Linke unsere Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte die ganze Debatte für ein Medienspektakel. Ausgerechnet Union und FDP machen sich Sorgen um den Strompreis. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Wer denn sonst?) Ausgerechnet Sie wollen sozial sein. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Wir sind sozial!) Da kann ich eigentlich nur lachen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Lachen Sie doch mal!) Senkung der Rente, Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, Dumpinglöhne überall, auch bei mir in Bayern, wo ja angeblich alles so toll ist. Diese Parteien haben nichts mit sozialem Bewusstsein am Hut. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Aber Sie! Aber Sie!) Aber sie haben den Strompreis in die Höhe getrieben. Dieser Preisanstieg stellt ein großes Problem dar. Auch Rot-Grün hat seinerzeit kräftig daran gearbeitet, die Lasten der Energiewende bei den Geringverdienern und kleinen Unternehmen abzuladen. Dieser Hinweis ist richtig. Aber die Koalition plagt nicht das soziale Gewissen; vielmehr macht sie sich Sorgen um die fossil-atomare Wirtschaft, um die „großen Vier“. Diese Unternehmen verlieren nämlich jeden Tag Marktanteile an die Produzenten der erneuerbaren Energien. Das findet die Koalition Mist, das soll ausgebremst werden. So schaut es nämlich aus. Fakt ist: Der Haushaltsstrompreis ist seit dem Jahr 2000 viermal so schnell gestiegen wie der Verbraucherpreisindex. Eine vierköpfige Familie zahlt heute jährlich inflationsbereinigt rund 260 Euro mehr als damals. Fakt ist aber auch, dass die Umlage für die erneuerbaren Energien daran nur einen Anteil von etwa 30 Prozent hat. 30 Prozent – und selbst davon hat ein Viertel nichts mit Ökostrom zu tun. Das muss man immer wieder betonen. Der übrige Strompreisanstieg resultiert vielmehr aus einer Mischung aus Marktmacht, großzügigen Privilegien für die Industrie sowie Steuern. Diese Schieflage begann tatsächlich bereits unter Rot-Grün. Die Ökosteuer wurde seinerzeit mit der Absenkung der Rentenbeiträge verbunden, was vor allem den Beziehern hoher Einkommen nutzte. Parallel wurde die energieintensive Industrie vollständig von der Steuer befreit, der Rest der größeren Unternehmen wurde über den Spitzenausgleich privilegiert. Mit beiden Maßnahmen wurde eine einflussreiche Lobby ruhiggestellt: Die Sozialdemokraten konnten bei der großen Industrie punkten, die Grünen bei gut verdienenden Akademikern. Arme Familien dagegen zahlen bis heute drauf. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als die PDS damals den sozialen Ausgleich forderte, welchen SPD und Grüne versprochen hatten – ich war damals hier im Bundestag –, wurde sie von beiden als „Ökobremser“ beschimpft. Daran kann ich mich noch erinnern. Die Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage sind nun einmal ein Werk von Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel. Auch die kostenlose Vergabe der CO2-Emis-sionsrechte wurde damals eingefädelt. Dadurch gehen den Haushalten Milliarden Euro verloren – die Kosten werden nämlich eingepreist, obwohl die Unternehmen noch gar nichts bezahlen –, während sich die Energieversorger dumm und dämlich verdienen. Und wer bezahlt? Natürlich die Haushaltskunden. Schwarz-Gelb hat nun die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage weiter vorangetrieben. Heute gab es wieder eine Anhörung zur Ökosteuer. Sie können es doch nicht leugnen: Sie machen mit den Befreiungen weiter. Hinzu kommen Ermäßigungen bei Netzentgelten. Zudem wird die Industrie noch bis 2020 beim Emissionshandel beschenkt. Auch das können Sie nicht leugnen. Ich sage: Das alles muss ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Es kann nicht sein, dass vor allem jene die Energiewende bezahlen, die jeden Monat neu rechnen müssen, wie sie über die Runden kommen. Fragen Sie doch endlich einmal die Leute! Wir Linken wollen die Energiewende mit einem Sieben-Punkte-Programm sozial gestalten. Wir haben dazu Vorschläge: Die Privilegien sollen abgebaut werden. Zudem fordern wir eine effektive Strompreisaufsicht, eine wirkliche Aufsicht, die auch einmal Nein sagt, und die Reduzierung der wirkungslosen Stromsteuern; denn das EEG ist das Lenkungsinstrument für die Energiewende, und dieses gilt es zu schützen und zu bewahren. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping hat schon im Sommer eine Abwrackprämie für Energiefresser vorgeschlagen; wir freuen uns, dass die Grünen sie jetzt auch vorschlagen. Daneben müssen Stromsperren verboten werden. 600 000 bis 900 000 Haushalten wird einfach der Strom abgestellt. Dies betrifft auch Mütter mit kleinen Kindern. Das ist absolut asozial. Da muss etwas passieren. (Beifall bei der LINKEN) Nicht zuletzt wollen wir mit unserem Sockelmodell beim Strompreis den Energieverbrauch nicht nur sozial gerechter, sondern auch ökologischer gestalten. Es muss endlich etwas getan werden. Das ist sozial, und nicht das, was Sie wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Eva Bulling-Schröter. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Bärbel Höhn. Bitte schön, Frau Kollegin Bärbel Höhn. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte heute Mittag eine Diskussion bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zum Thema „Rettet die Energiewende“. Dieselbe Initiative – diejenigen, die ab und zu S- und U-Bahn fahren, haben es wahrscheinlich schon mitbekommen – startet momentan für viel Geld eine große Kampagne und klebt Plakate zum Stopp des EEG, also zum Stopp des Herzstücks der Energiewende. Da gibt es viel Heuchelei. Das, was wir heute vonseiten der Koalition erleben, ist auch nicht viel besser. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Auch CDU/CSU und FDP haben in ihrer Mehrheit die Energiewende nicht gewollt. Sie wollten Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke und haben sie auch durchgesetzt. Erst die Katastrophe von Fukushima hat Sie zum Kurswechsel gezwungen. Jetzt bekennen Sie sich zur Energiewende; aber den Ausbau der erneuerbaren Energien wollen Sie abbremsen. Das geht nicht zusammen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Johanna Voß [DIE LINKE]) Sie sagen, der Ausbau sei zu teuer; aber die Kosten haben Sie selbst durch Ihre Politik systematisch in die Höhe getrieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das, was Sie hier treiben, ist ein doppeltes Spiel, und damit kommen Sie nicht durch. (Patrick Döring [FDP]: Sie haben sich doch gegen die Absenkung der EEG-Sätze gewehrt!) Fakt ist: 2009, als die schwarz-gelbe Koalition ins Amt kam, lag die EEG-Umlage knapp über 1 Cent; heute ist sie fünfmal so hoch und beträgt 5,3 Cent. (Rolf Hempelmann [SPD]: Und wir sollen es gewesen sein!) Die Verantwortung dafür können Sie nicht auf andere schieben, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU) Natürlich hat der Anstieg der EEG-Umlage auch eine Menge mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu tun; Investitionen in die Zukunft kosten Geld. Aber die Bundesregierung hat den Ausbau unnötig teurer gemacht: 1 Cent der EEG-Umlage und der Netzdurchleitungsgebühren geht auf Geschenke an die Industrie zurück, die in der Regierungszeit von Angela Merkel verteilt wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist falsch! Nein!) – Ich komme dazu. – Verbraucher und Mittelstand zahlen deshalb fast 4 Milliarden Euro mehr als nötig. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Das ist der Merkel-Mehrpreis der Energiewende, und diesen Merkel-Zuschlag wollen wir abschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie uns das einmal durchgehen. Wie ist denn dieser Merkel-Zuschlag zustande gekommen? Angefangen hat es mit Wirtschaftsminister Glos, der in der Großen Koalition die Aufnahme neuer Industriesubventionen in das EEG durchdrückte. Seine Klientelpolitik kostet die Verbraucher heute 1 Milliarde Euro im Jahr. Philipp Rösler war da nicht besser: Er setzte im EEG 2012 eine weitere Ausweitung der Ausnahmen für die Industrie durch. Das Ergebnis ist: Statt der 250 privilegierten Unternehmen, die es 2005, am Ende der Regierungszeit von Rot-Grün, gab, haben wir mittlerweile über 700, (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Nicht nur Konzerne, sondern auch der Mittelstand!) darunter sind Schlachthöfe, Zuckerbäcker, Futtermittelhersteller und der Flughafen von Stuttgart. Für das nächste Jahr, für 2013, gibt es mehr als 2 000 Anträge. (Klaus Breil [FDP]: Das sind Anträge!) Das ist ein ungerechtes Ergebnis Ihrer Politik, nicht der Politik von Rot-Grün. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Fast alle dieser Anträge entsprechen den Kriterien und werden deshalb genehmigt werden müssen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!) Das gilt auch für die Anträge zu Netzentgelten der beiden Golfplätze, die Sie hier herunterzuspielen versuchen. Diese Anträge erfüllen die Kriterien, die Sie selber aufgestellt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Herr zu Guttenberg hat die Netzentgelte für die Großindustrie 2009 abgesenkt, und Herr Brüderle hat sie 2011 ganz abgeschafft. Mehrkosten für die Verbraucher: 500 Millionen Euro. Herr Röttgen hat das EEG mit der teuren und ineffizienten Marktprämie befrachtet. Auch Herr Altmaier ist nicht besser; denn die weitere Verteuerung aufgrund der Liquiditätsreserve im Rahmen der EEG-Umlage wird von den Verbrauchern gezahlt werden. Die ganze schwarz-gelbe Bundesregierung hat mitgemacht, die Kosten für Verbraucher und gerade für den Mittelstand, für die kleinen und mittelständischen Betriebe, (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die wir entlasten!) in die Höhe zu treiben. Jetzt vergießen Sie Krokodilstränen wegen der steigenden EEG-Umlage. Das glaubt -Ihnen niemand, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fairen Kosten fortführen. Deshalb wollen wir erstens den Merkel-Zuschlag abschaffen und die Indus-trieprivilegien auf schutzbedürftige Unternehmen beschränken, also auf diejenigen, die im internationalen Wettbewerb stehen und bei denen Arbeitsplätze wegfallen könnten. Zweitens gehören alle Vergütungssätze und Boni im EEG auf den Prüfstand, und drittens brauchen wir ein neues Marktdesign für den Strommarkt, damit immer mehr erneuerbare Energien auch außerhalb des EEG ihren Platz finden. „Rettet die Energiewende“ ist eigentlich ein gutes Motto. Aber dafür müssen wir das EEG weiterent-wickeln und dürfen es nicht abschaffen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür müssen wir die erneuerbaren Energien kostengünstig ausbauen und dürfen sie nicht ausbremsen. Und wir müssen die Energiewende fair und nicht einseitig zulasten der Verbraucher und zulasten der kleinen und mittelständischen Betriebe finanzieren. Deswegen werden wir auch an diesem Punkt nachhaken. Wir werden Sie treiben, damit Sie das tun, was -Angela Merkel schon gestern verkündet hat: Sie will diese ungerechten Ausnahmen überprüfen, weil wir sie aufgedeckt haben und Sie letzten Endes damit getrieben haben. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Meierhofer [FDP]: Gut, dass wir Sie haben, Frau Höhn!) Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: So was Aufgeblasenes!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Bärbel Höhn. – Nächster Redner ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister Peter Altmaier. Bitte schön, Herr Bundesminister Peter Altmaier. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Frau Kollegin Bärbel Höhn, ich habe den Eindruck, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sie recht hat, hat sie recht!) dass Sie mit Ihrer Rede die Energiewende nicht verteidigen, sondern schlechtreden wollten. Bei allen Fehlern und Schwächen, die es gibt: Das hat die Energiewende nicht verdient. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir uns gemeinsam daran erinnern, dass wir diese Energiewende hier an dieser Stelle vor anderthalb Jahren (Rolf Hempelmann [SPD]: Vor zwölf Jahren!) gemeinsam beschlossen haben. (Zuruf von der SPD: Gegen Ihre Stimme, Herr Altmaier!) Es stimmt, dass wir damals bei der Frage der Laufzeiten für Kernkraftwerke unterschiedliche Auffassungen hatten, aber es stimmt auch, dass wir gemeinsam für den Ausbau und die Förderung von erneuerbaren Energien eingetreten sind. Das war seit den Zeiten von Peter Harry Carstensen und Dietrich Austermann ein parteiübergreifender Konsens in diesem Haus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben das Erneuerbare-Energien-Konzept im Jahre 2010 beschlossen. Wir haben es die ganzen Jahre gemeinsam getragen. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Frau Höhn, wir sollten das, was wir gemeinsam erreicht haben, nicht schlechtreden. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr widersprüchlich!) Ich komme viel herum im Land, und ich rede mit den Menschen. Das, was insbesondere Ihr Fraktionsvorsitzender Trittin, aber auch andere Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen und auch – es tut mir leid, es zu sagen – von der SPD in den letzten Tagen zum Thema „Ausnahmeregelungen für die Industrie“ an falschen, an unrichtigen Behauptungen, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht falsch!) an Unterstellungen verbreitet haben, hat der Akzeptanz dieser Energiewende mehr geschadet als alle Kampagnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will Ihnen eines sagen: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, an welcher Stelle das falsch war!) Man kann doch möglicherweise jenseits Ihrer unzutreffenden Behauptungen etwa im Hinblick auf Golfplätze und anderes über einzelne Anträge, die vielleicht abgelehnt werden, und über einzelne Anträge, die vielleicht sogar genehmigt werden, durchaus mit Argumenten streiten. Aber Sie wissen doch selbst: Wenn man die möglichen Missbrauchsfälle tatsächlich identifiziert und abstellt – und ich habe gesagt, dass ich das prüfen werde –, dann wird die EEG-Umlage weder wesentlich sinken noch wesentlich steigen. (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) Sie wird im Wesentlichen gleich bleiben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um 1 Cent sinken!) Das ist die Situation. Das müssen Sie den Menschen -sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie wissen doch ganz genau: Auch wenn wir sämtliche Ausnahmeregelungen für energieintensive Unternehmen streichen würden, würde die EEG-Umlage zum 1. Januar 2013 steigen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das fordert keiner!) Daran zeigt sich doch der Erfolg des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Energien. Das zeigt doch, was erreicht worden ist. Wir sollten uns auch darüber klar werden, dass wir ein Interesse daran haben, den Konsens aufrechtzuerhalten, der seit dem Jahr 2000 zwischen uns allen herrscht: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? 2000? Sie waren doch immer dagegen!) Wir sollten die Energiewende so gestalten, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch nicht schwächer, sondern stärker wird und wir die Grundstoffindus-trien in Deutschland halten können. Dieser Konsens muss Bestand haben und darf in diesem Hohen Hause nicht infrage gestellt werden, von niemandem. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Liebe Frau Höhn, ich hätte mir gewünscht, dass in dieser Debatte ein Stück weit Gemeinsamkeiten deutlich geworden wären. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Überschrift? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Überschrift? Da müssen Sie ja selber lachen!) Sie haben uns vorgeworfen, wir würden den Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien bremsen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie ja auch!) Was für ein Unsinn! Liebe Frau Höhn, wir haben im Sommer eine deutliche und regelmäßige Absenkung, eine Degression der Einspeisevergütung für Photovoltaikanlagen beschlossen, um das Ausbautempo wieder zu dem ursprünglich vorgesehenen Korridor zurückzubringen. Wir haben auch beschlossen, dass die Einspeisevergütung generell ausläuft, wenn eine Gesamtleistung von 52 Gigawatt erreicht ist. Diesen Beschluss haben wir gemeinsam mit den Stimmen aller Vertreter der Grünen in Bundesrat und Bundestag gefasst. Wenn Sie uns jetzt vorwerfen, dass wir den Ausbau im Bereich der Photovoltaik bremsen, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Vielleicht hören Sie einmal zu, was ich sage!) obwohl Sie diese Beschlüsse mitgetragen haben, weil Sie wussten, dass sie richtig sind, dann ist das intellektuell unredlich. Das lassen wir Ihnen in dieser Debatte nicht durchgehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Seit der Zeit der schwarz-grünen Pizza-Connection habe ich ein sehr großes Herz für meine grünen Freunde. Vieles von dem, worüber wir damals gemeinsam diskutiert haben, haben wir erreicht. Peter Harry Carstensen war einer der Ersten, die erkannt haben, welches Potenzial in den erneuerbaren Energien steckt. Bei Ihnen und uns gab es einige, die das erkannt haben, aber wir waren in der Minderheit. Wir haben zwar viel erreicht, aber wir müssen uns die Frage stellen, ob wir unsere Argumente wirklich alle paar Wochen ändern wollen. Lieber Herr Kollege Hempelmann, das, was Sie zum Thema Offshorewindenergie gesagt haben, hat mich sehr betroffen gemacht. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das war ja auch beabsichtigt!) Wissen Sie, alle Regierungen seit der rot-grünen Koalition haben gesagt – das gilt für die Große Koalition und die jetzige Koalition –, dass wir den Bereich Offshorewindenergie entwickeln wollen. Das haben wir alle miteinander gesagt. In Norddeutschland sind mit Blick auf den Ausbau des Bereichs der Offshorewindenergie inzwischen Tausende von Arbeitsplätzen in Küstennähe entstanden. Ein neuer Hafen wurde gebaut. Es wurden Firmen gegründet, die sich dort angesiedelt haben. Zehntausende Menschen arbeiten in diesem Bereich. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die gefährden Sie!) Darf ich Ihre Aussagen so verstehen, dass Sie uns ein--laden, gegen die Nutzung der Offshorewindenergie zu arbeiten, und Sie diese Arbeitsplätze aufs Spiel setzen wollen? (Rolf Hempelmann [SPD]: Ich möchte, dass Sie das vernünftig machen!) Denken Sie daran, dass der Erfolg dieser Initiativen davon abhängt, dass der Konsens Bestand hat. Das, was wir gemacht haben, ist im Prinzip richtig. (Beifall bei der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, aber nicht, wie Sie das machen! Sie provozieren Haftungstatbestände!) – Lieber Herr Hempelmann, ich kann es doch nicht ändern. Im Sommer befand sich dieses Projekt in keiner guten Verfassung. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ja!) Dafür ist nicht irgendeine Regierung verantwortlich, sondern das ist Folge der Tatsache, dass viele die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die mit diesem Projekt in finanzieller, technologischer und anderer Hinsicht verbunden sind, unterschätzt haben. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie haben es unterschätzt! Seien Sie doch ehrlich! Beziehen Sie doch nicht alle anderen ein!) In so einer Situation muss die Regierung handeln. Jetzt komme ich zu dem entscheidenden Punkt: Wir haben im Jahre 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wir“? Sie waren dagegen!) – Dieser Bundestag hat es verabschiedet. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit rot-grüner Mehrheit!) Dieses Gesetz ist inzwischen seit rund zwölf Jahren in Kraft. Alle Probleme, mit denen wir heute zu kämpfen haben, das Problem, dass der Netzausbau nicht nachkommt, alle Probleme im Hinblick auf die Frage, wie man die erneuerbaren Energien speicherungsfähig machen kann, alle Probleme, die damit zusammenhängen, dass wir für ein vernünftiges Ausbautempo sorgen müssen, und die Probleme zwischen Nord und Süd und Ost und West, die gelöst werden müssen, all diese Probleme hätten Sie in den neun Jahren, in denen Herr Trittin und Herr Gabriel Umweltminister waren, klären können. (Rolf Hempelmann [SPD]: Nein!) Ich habe in meinem Ministerium die Aktenschränke durchwühlt. Ich habe kein einziges Konzept aus der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung gefunden, das aufzeigt, wie man diese Energiewende vernünftig umsetzt und zu einem Erfolg macht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Ihre Laufzeitverlängerung hat das unmöglich gemacht!) Ich glaube, in den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass alle in diesem Haus die Energiewende wollen und für ihren Erfolg arbeiten. Ich halte daran fest: Wir können gemeinsam einen Konsens erreichen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Den haben wir vor anderthalb Jahren schon vorgeschlagen!) Dazu gehört, dass die Energiewende in einem vernünftigen Tempo vorangetrieben wird, dass sie mit dem Ausbau der Netze abgestimmt wird, dass wir neue technologische Möglichkeiten entwickeln und dass wir dafür sorgen, dass es öffentliche Akzeptanz gibt. Ich möchte Sie herzlich einladen, daran mitzuwirken. Mäßigen Sie sich etwas in Ihrer Rhetorik, (Rolf Hempelmann [SPD]: Die Aktuelle Stunde war von Ihnen aufgesetzt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie nicht solche Überschriften!) und verstärken Sie Ihre Anstrengungen in der Sache. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Matthias Miersch. Bitte schön, Kollege Matthias Miersch. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, man fragt sich, wer sich hier mäßigen muss. Wenn im Jahr 2012 von der Regierungs-koalition eine Aktuelle Stunde mit einem solchen Titel beantragt wird, dann, glaube ich, ist das angesichts der seit Monaten bekannten Problematik eine Bankrotterklärung der Regierung und der Koalition. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Herr Minister Altmaier, Sie sind es, der hier und heute einmal hätte sagen können, was Sie vorhaben. Sie sind für vier Jahre gewählt worden, um unter anderem die Energiepolitik zu gestalten. Was hören wir? Nichts, nichts und wieder nichts. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Hören Sie doch mal zu!) Frau Dött fleht uns in dieser Aktuellen Stunde an, Vorschläge zu machen. Ich frage Sie: Wo sind Ihre Vorschläge als Regierung der Bundesrepublik Deutschland? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Probleme sind seit Monaten bekannt. Das, was Sie bei der Befreiung energieintensiver Unternehmen von der EEG-Umlage angerichtet haben, war keine -Reform des Gesetzes, sondern die Deformierung einer guten Absicht von Rot-Grün. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist nicht der rote, sondern der schwarz-gelbe Faden, der sich durch diese Legislaturperiode zieht. Sie haben keine Linie in der Energiepolitik. Sie haben keinen Plan in der Energiepolitik. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die wollen ganz etwas anderes!) Sie wissen gar nicht, wohin Sie wollen, und ich unterstelle sogar einem Teil dieses Hauses, dass insgeheim gehofft wird, dass die Energiewende scheitert, damit sich das alte Denken, das sich noch in einigen Köpfen hier befindet, wieder durchsetzt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Energiepolitik war immer eine Frage der politischen Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland. Die Energieerzeugung mit Kohle, Gas und Atom war nie billig, war nie sozial adäquat, sondern sie wurde sozial adäquat und ökonomisch sinnvoll gestaltet. Wir könnten auch die Energiewende ökonomisch und sozial gerecht gestalten. Aber dazu muss man handeln, und da haben Sie nichts zu bieten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rolf Hempelmann [SPD]: Aber ankündigen können sie gut!) Wir sind nun in der Situation – die Vorlagen sind da; Sie kennen sie –, dass durch Ihre Gesetzesänderung eine exorbitante, inflationäre Befreiung der energieintensiven Unternehmen und auch solcher Unternehmen, die es nicht sind, stattgefunden hat. (Patrick Döring [FDP]: Abwegig!) Herr Kauch, dafür zahlen müssen die Mittelständler, von denen Sie sprechen, und die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie leiden unter Ihren Fehlschüssen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie das feststellen – das können wir, glaube ich, alle unisono feststellen –, dann frage ich Sie: Wann ändern wir diesen Zustand? Herr Döring, beantworten Sie mir einmal diese Frage. Wann machen Sie diesen kolossalen Fehler – er ist nachlesbar – rückgängig? Wann -beenden Sie diese Privilegierung von Unternehmen, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen und die -eigentlich nicht in diesen Topf gehören? Herr Döring, Sie haben gleich die Möglichkeit, darauf zu antworten; Sie reden ja nach mir. Ich hoffe, dass Sie nicht in irgendwelche Prüfungsrunden verfallen. Sie hatten Monate Zeit, sich mit diesem Tatbestand zu beschäftigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Wie bereit Sie dazu sind, werden wir dann sehen!) Es geht um politische Gestaltung, Herr Minister. Da bitte ich Sie doch sehr, nicht bei RWE anzuklopfen und zu fragen: Könntet ihr mal? Das ist, wie gesagt, eine Frage der politischen Gestaltung. Vor dem Hintergrund der Strompreisgestaltung – ich wende mich jetzt von den Privilegierungstatbeständen ab – frage ich Sie: Warum geben die Stromkonzerne die gesunkenen Großhandelspreise momentan wohl nicht an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter? Wäre es nicht an der Zeit, damit aufzuhören, „Bitte, bitte!“ zu machen? Sollte man nicht endlich Pflöcke einschlagen, politisch steuern, wie die Energiepreise entstehen, und Fehlentwicklungen entgegentreten? Das ist Ihre Aufgabe als Bundesumweltminister. Es ist aber nicht Ihre Aufgabe, bei den Stromkonzernen „Bitte, bitte!“ zu machen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zu einem weiteren Gesichtspunkt, den ich in die Diskussion einbringen will. Frau Dött, Sie haben Vorschläge verlangt. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja! Machen Sie mal!) Wie ist das eigentlich? Ist es gerechtfertigt, dass Stromkonzerne Zertifikate, die sie frei zugeteilt bekommen haben, bei der Strompreisbildung so behandeln, als hätten sie dafür bezahlen müssen? (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber das hat doch Herr Trittin eingeführt! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sie wissen doch, warum das so ist!) – Verweisen Sie nicht auf Trittin, auf Helmut Schmidt oder auf Helmut Kohl! Sie sind diejenigen, die jetzt steuern können, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Auch wenn man Rechtsanwalt ist, sollte man die Wahrheit sagen, Herr Kollege!) Warum setzen wir uns nicht heute oder morgen zusammen und beraten, wie diese Dinge geändert werden können und wie politisch gesteuert werden kann? Das wäre jetzt angebracht. Dann könnten wir die Energiewende sozial gerecht und ökonomisch sinnvoll gestalten. Aber dazu sind Sie nicht in der Lage. Insofern hoffe ich, dass Ihre Regierungszeit bald vorbei ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Matthias Miersch. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring. Bitte schön, Kollege Patrick Döring. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Oh! Jetzt kommt die geballte Fachkenntnis!) Patrick Döring (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! All denjenigen in diesem Haus, die von Rot und Grün gesprochen haben, sage ich: Geldverbrennung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine Form der regenerativen Energieerzeugung; das nur zur Erinnerung. (Heiterkeit bei der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ha! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja witzig! – Rolf Hempelmann [SPD]: Da sprüht ja einer vor Fachkenntnissen!) Zu den Steigerungen bei der EEG-Umlage kommt es, weil Sie vor zwölf Jahren (Lachen bei Abgeordneten der SPD) eine Fördersystematik etabliert haben, die da lautet: Wir versprechen den Menschen, die in diese Erzeugungsformen investieren, für 20 Jahre feste Vergütungssätze. – Das ist die Lizenz zum Gelddrucken, (Rolf Hempelmann [SPD]: Nee, nee, nee!) die brutalste Umverteilung von unten nach oben, die es unter rot-grünen Regierungen je gegeben hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Ach! Das glauben Sie doch nicht mal selbst!) Im vergangenen Jahr – das führe ich einmal aus – sind allein die Zusagen für den Bereich der Photovoltaik um 5 Milliarden Euro gestiegen, und dies sogar garantiert für eine Dauer von 20 Jahren. Diese 100 Milliarden Euro, die zulasten der deutschen Stromkunden gehen, verdanken wir Ihrer Systematik und Ihrer Verweigerungshaltung, wenn es darum geht, diese Systematik infrage zu stellen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Der größte Teil davon fällt doch in Ihre Regierungszeit! Lächerlich, was Sie da sagen! – Rolf Hempelmann [SPD]: Sie haben hier seit drei Jahren Mehrheiten!) Sie haben bei der Frage, wie wir das EEG reformieren können, verzögert und blockiert. (Ulrich Kelber [SPD]: Wann?) Sie waren nicht bereit, die Vergütungssätze abzusenken, als es nötig war. (Ulrich Kelber [SPD]: Wann?) Sie haben bei der letzten Novelle viel, viel Zeit ins Land gehen lassen. (Ulrich Kelber [SPD]: Welcher Punkt hat sich denn verzögert?) Sie haben viel Zeit ins Land gehen lassen, um so dafür zu sorgen, dass in Deutschland ein unkontrollierter Zubau stattfindet – zulasten der normalen Stromkunden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Davon wollen Sie jetzt ablenken. Das lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sagen bewusst die Unwahrheit!) Interessant sind die Vorschläge, die man dieser Tage hört. Da sagt die Energie- und Umweltministerin des Landes Rheinland-Pfalz, Frau Lemke – in Klammern: Bündnis 90/Die Grünen –: Wenn die Leute mit dieser Strompreissteigerung nicht zurechtkommen, sollten sie seltener Licht anmachen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat eigentlich Ihr Umweltminister Herr Altmaier dazu gesagt? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was sagt Herr Altmaier dazu? – Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist Ihre Strompreissteigerung! Ihre Steigerung!) Man kann sich das sehr schnell ausrechnen: Will ein normaler Haushalt diese Strompreissteigerung kompensieren, indem er weniger elektrische Energie verbraucht, darf er acht handelsübliche Glühbirnen fünf Stunden am Tag nicht anknipsen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist Ihre Strompreissteigerung!) Wenn man Ihren Ratschlägen folgt, dann sitzt man im Dunkeln, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist die Politik, die Sie machen wollen. Wir wollen sie aber nicht, weil wir an die Menschen in Deutschland denken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde es spannend, wie der Kollege Miersch gerade argumentiert hat. Dazu kann ich nur sagen: Ich würde gerne wissen, ob Sie sich an den Werkstoren der 87 Unternehmen der chemischen Industrie, die derzeit von der EEG-Umlage befreit sind, dafür einsetzen würden, die Arbeitsplätze in diesen Unternehmen zu gefährden. Dann will ich einmal sehen, welche Papierfabriken bald von Sozialdemokraten aufgesucht werden, um den Arbeitnehmern zu sagen, dass deren Arbeitsplatz in Gefahr ist. (Rolf Hempelmann [SPD]: Von Papierfabriken haben wir nicht gesprochen!) Das ist ein Punkt, der einfach unredlich ist. Von den 734 derzeit von der EEG-Umlage befreiten Unternehmen betreibt kein einziges einen Golfplatz, betreibt kein einziges einen Flughafen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Reden Sie mal über die anderen Unternehmen! Reden Sie mal über Ihre Hotels!) Dies hier zu behaupten, ist ein starkes Stück. Sie wollen diese Ausnahmen in Wahrheit nicht. Mit Ihrer Politik gefährden Sie bis zu 900 000 Arbeitsplätze. Wenn man so wie Sie argumentiert, dann muss man auch den nötigen Mut haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dann will ich einmal den Kollegen Miersch sehen. Wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sollte die Sozialdemokratie in 51 Großstädten Deutschlands sofort die Befreiung der Straßenbahn- und Schienenbahnunternehmen von der EEG-Umlage einfordern, weil natürlich keines dieser Unternehmen dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist. (Beifall bei der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Das haben Sie immerhin gemerkt!) Trotzdem ist es richtig, diese Unternehmen von dieser Umlage zu befreien, damit auch die einfachen Leute weiterhin den Nahverkehr nutzen können. Wenn Sie den Nahverkehr in Deutschland flächendeckend teuer machen wollen, dann müssen Sie es hier auch sagen und nicht immer mit Exotenbeispielen kommen. Sie stellen die Energiewende infrage, nicht wir. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Insofern ist es schon bemerkenswert, wenn immer wieder der Eindruck erweckt wird, diejenigen, die sich redlich dafür einsetzen, (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES  90/DIE GRÜNEN – Rolf Hempelmann [SPD]: „Redlich“? Dass ich nicht lache!) Marktwirtschaft in dieses System zu bringen – Marktwirtschaft heißt keine festen Preise; Marktwirtschaft heißt, das Geld am Markt zu verdienen –, diejenigen, die wie wir das EEG mit degressiven Fördersätzen, mit realistischen Ausbauzielen schnell reformieren wollen, seien die Bremser der Energiewende. Ihre Politik führt dazu, dass Strom unbezahlbar wird. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Darum werden wir für eine schnelle Reform des EEG sorgen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Ach, da bin ich aber gespannt! Die einen sagen so, und die anderen sagen so!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Thomas Bareiß. Bitte schön, Kollege Thomas Bareiß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meines Beitrags in Erinnerung rufen, auf welchem fachlichen Niveau sich die Grünen in den letzten Tagen wieder einmal in die Energiewende eingeschaltet haben. Herr Fell – er ist heute ebenfalls hier – schrieb auf seiner Homepage: „Erneuerbare Energien weisen weniger externe Kosten auf als fossile und nukleare Energien.“ (Lachen bei der CDU/CSU – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kretschmann, mein neuer Ministerpräsident in Baden-Württemberg, sagt: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung …“ (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Genau!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie versuchen, bei den Menschen den Eindruck zu erwecken, dass erneuerbare Energien keine Mehrkosten verursachen. Sie zerstören in dieser Energiedebatte unglaublich viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Wenn einmal über höhere Kosten gesprochen wird, dann führen Sie hier in Deutschland eine Verteilungsdebatte. So schaffen Sie kein Vertrauen in die Energiewende, keine Glaubwürdigkeit. Wenn Sie so weitermachen, werden wir Stück für Stück die Akzeptanz und die Bereitschaft für die Energiewende in Deutschland verlieren. Das ist Ihre Schuld, nicht unsere. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen doch die Auflagen! Deshalb wird es teurer!) Wir versuchen, die Energiewende engagiert voranzutreiben. Wir haben im Sommer 2011 den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Aber im Gegensatz zu dem, was Sie vor zehn Jahren gemacht haben, haben wir den Einstieg in das regenerative Zeitalter vollführt. (Rolf Hempelmann [SPD]: Dann haben Sie zehn Jahre verhindert durch Ihre Ankündigung einer Laufzeitverlängerung!) Wir haben beschlossen, dass wir in die Energieeffizienz einsteigen. Wir haben sieben Energiepakete auf den Weg gebracht, und wir sagen, wo wir einsteigen – was Sie nicht geschafft haben. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind noch besser!) Wir haben Gesetze zum Ausbau von Netzen in Deutschland verabschiedet. Wir haben die Speicherkapazität ausgebaut und werden sie im nächsten Jahr weiter ausbauen. Wir haben die Speicherförderung mit ins Leben gerufen. Wir haben Energieforschung betrieben, und zwar in einem Maße, wie es keine Bundesregierung vor uns gemacht hat. Wir haben Intensivierungen im Bereich der Energieeffizienz vorgenommen. Wir haben den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung vorangetrieben. Wir haben die nachhaltige Finanzierung durch den Klima- und Energiefonds auf den Weg gebracht, und wir haben den Einstieg in die Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energien ebenfalls mit auf den Weg gebracht. Das sind alles Punkte, die wir in den letzten zwölf Monaten gemeinsam bewältigt haben. Sie haben in sieben Jahren Rot-Grün nichts getan für den Einstieg. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: EEG war der Einstieg!) Sie haben die Energiewende verschleppt und sie damit auch ein Stück weit verteuert. Das ist ein Problem, an dem wir heute zu schleppen haben. Jetzt müssen wir die Energiewende umso schneller gestalten. Ich möchte ganz klar sagen, wo die Gründe dafür liegen, dass die erneuerbaren Energien so teuer geworden sind, warum der Umbau so teuer wird: Die Grünen machen die erneuerbaren Energien immer teurer. Beispiel Netzausbau. Sie fordern vor Ort immer nur die Erdverkabelung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind Ihre Bürgermeister, die das überall fordern! Kommen Sie mal nach Nordrhein-Westfalen! Es sind die ganzen Schwarzen, die das immer wieder fordern!) Das kostet vier- bis sechsmal mehr als Überlandleitungen. Sie fordern immer größere Abstände zu Siedlungsflächen. Auch das würde ein Mehrfaches kosten. Beispiel Offshorewindparks. Alle Anträge der letzten Monate zum Bereich Offshore gehen in Richtung Verteuerung; ein Thema ist beispielsweise die Schweinswalpopulation, die Sie immer ansprechen, die Ihnen ja so enorm wichtig ist. Jede Windfarm wird 6 bis 8 Millionen Euro teurer werden, wenn es nach den Anträgen geht, die Sie die letzten Monate gestellt haben. (Rolf Hempelmann [SPD]: Zum Beispiel wurde die Verbraucherhaftung beschlossen! Das ist doch lächerlich!) Beispiel Biogas. Wir brauchen den Energieträger Biogas. Jetzt wird über Flächenkonkurrenz diskutiert. Sie sollten mit uns gemeinsam dafür sorgen, dass mehr Biogasanlagen entstehen, dass für die Energiewende verstärkt Biomasse eingesetzt wird. Stattdessen gehen Sie nach Brüssel und versuchen, die Flächenstilllegung voranzubringen und in Deutschland 700 000 Hektar stillzulegen. Auch damit machen Sie die Energiewende teurer. Beispiel Wasserkraft. Die Wasserkraft kann einen kostbaren Beitrag zur Energiewende leisten. Wo immer Sie vor Ort Verantwortung übernehmen, wird eine Nutzung der Wasserkraft verhindert. Wasserschutzgesetze, Fischschutzgesetze, Fischtreppen: alles Punkte, durch die die Wasserkraft teurer und teurer gemacht wird. Bei Kohle- und Gaskraftwerken ist es ebenso: Vor Ort treiben Sie die Kosten in die Höhe. Dadurch wird die Energiewende Stück für Stück teurer. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das sind eure Kosten, die jetzt zu Buche schlagen, nicht unsere! Das ist eure Erhöhung!) Wenn wir all diese Kosten aufsummieren würden, würden wir sehen, dass die Energiewende ohne Probleme ein Stück weit bezahlbarer gemacht werden könnte. Dadurch ließe sich mehr einsparen als durch eine stärkere Belastung energieintensiver Industrien. Wir sollten sehen, dass wir vorankommen. Wir gehen die Energiewende engagiert an. Ich kann Sie nur immer wieder auffordern: Machen Sie mit bei diesem Projekt, anstatt immer wieder auf die Bremse zu treten. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie nicht eine Aktuelle Stunde mit so einer Überschrift!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Gabriele Groneberg. Bitte schön, Frau Kollegin Gabriele Groneberg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gabriele Groneberg (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte, die die Kollegen der Regierungsfraktionen hier heute organisieren, gleicht schon einer Posse. Das ist, als wenn jemand, der stiehlt, ganz laut schreit: Haltet den Dieb! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihre chaotische Politik, Ihr abstruses Hin und Her, Ihre Unfähigkeit, die Energiewende zu gestalten, muss der Verbraucher jetzt ausbaden. Sie versuchen, zu suggerieren, wir seien es gewesen. Herr Döring, irgendwie habe ich das Gefühl, Sie haben die letzten Jahre verpasst oder durch einen Nebel wahrgenommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat noch nie etwas mit Energiepolitik zu tun gehabt! – Gegenruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit Nebentätigkeiten! – Gegenruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er macht viele Nebentätigkeiten!) Die dramatische Steigerung der EEG-Umlage in Höhe von 4 Cent pro Kilowattstunde, über die wir heute diskutieren, haben Sie in den letzten Jahren verursacht, nicht wir. Herr Bareiß, zehn Jahre lang haben Sie den Umbau des Energiesystems erfolgreich verhindert. Sie haben die Unternehmen durch Ihre atomfreundliche Politik auf eine falsche Fährte geführt. Damit haben Sie den Umbau in Richtung erneuerbare Energien letztendlich verhindert. (Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Es besteht doch keine Konkurrenz zu den erneuerbaren Energien!) Das gilt genauso für den Netzausbau. Das gilt genauso für den Ausbau von Speichersystemen und alles andere auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Altmaier, wenn Sie heute meinen, Sie seien im verkehrten Film, (Rolf Hempelmann [SPD]: Der ist im Moment im verkehrten Saal!) dann sollten Sie einen Blick auf die Tagesordnung werfen: Die Aktuelle Stunde ist nicht von uns aufgesetzt worden, sondern von Ihren Kollegen. Machen Sie sich einmal klar, was hier heute so verzapft wird. Der Verbraucher ist mündig, und er weiß, dass er die Energiewende nicht zum Nulltarif bekommt. Aber dass die Strompreise geradezu davonlaufen, das kann er und will er sicher auch nicht verstehen. Noch weniger Verständnis hat er für das, was Sie mit den Ausnahmeregelungen veranstalten. Die Ausnahmeregelungen sind heute schon viel zitiert worden; ich will sie gar nicht beschreiben. Für diejenigen, die diese Debatte verfolgen, kann man aber sagen, dass man sich diese Liste ganz legal aus dem Internet – von der Homepage des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – herunterladen kann. Tut man das, dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Grünen dürfen wir im Übrigen entnehmen, dass im Antragsjahr 2006 bis zum Stichtag 30. Juni 406 Unternehmen mit 543 Abnahmestellen Anträge auf Vergünstigungen beim Strompreis gestellt haben. Man höre und staune: 2012 haben bis zum Stichtag 30. Juni 2012 gar 2 023 Unternehmen mit 3 172 Abnahmestellen Anträge gestellt. Was sagen Sie denn dazu, Herr Döring? Das haben Sie offensichtlich wohl nicht mitbekommen. (Patrick Döring [FDP]: Wir befreien nicht nur die Großen, sondern auch den Mittelstand! Das ist richtig, ja!) Sie toppen die ganze Geschichte aber noch: Sie haben die Investitionen in die Stromspeicher verschleppt – das wurde gerade schon gesagt –, Sie haben den Netzausbau verschleppt und damit die Netzanbindung von Offshoreanlagen gefährdet. (Patrick Döring [FDP]: Mit dem Netzausbau haben Sie gerade erst angefangen!) Das Ungeheuerliche ist: Die Haftung für dieses Risiko wollen Sie jetzt auch noch durch eine neue Umlage auf die Verbraucher umwälzen. Das ist nun wirklich abstrus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es überhaupt nicht gerecht, dass der Verbraucher die Zeche für das zahlen soll, was Sie hier die ganzen Jahre versäumt haben. Warum geben Sie nicht offen zu, dass Ihnen das Ganze entglitten ist, Sie hier einfach gepennt haben und hier dringend eine Umkehr erforderlich ist? Der letzte Satz von Herrn Döring war in dieser Beziehung schon interessant: dass das EEG jetzt reformiert werden muss. Ich bin einmal gespannt, welche Deformationen Sie sich hier wieder einfallen lassen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Da will er sogar ganz schnell sein, hat er gesagt!) Rund 60 Euro Mehrkosten für einen normalen Haushalt: Das hört sich im Moment vielleicht gar nicht einmal so viel an. Aber das summiert sich ja. Ich denke an die Haushalte der Arbeitnehmer, die wenig verdienen, die stagnierende Lohneinkommen haben und die prekäre Beschäftigungsverhältnisse hinnehmen müssen. Da fasse ich mir natürlich schon an den Kopf, wenn Sie auf einmal Ihr Herz für die Geringverdiener entdecken. Das glaubt Ihnen irgendwie keiner. Herr Hempelmann hat dazu umfangreiche Ausführungen gemacht. Was er gesagt hat, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Fakt ist, dass die Ausgleichsregelungen für energieintensive Betriebe durch die letzte EEG-Novelle, die Sie letztendlich zu verantworten haben, ein enormes Ausmaß angenommen haben – ich habe die Zahlen genannt – und dass Sie die Last nun fast allein auf den Normalverbraucher und auf die kleinen Unternehmen umlegen. Herr Kauch, ich schätze Sie zwar sehr, aber dass ausgerechnet Sie den Bürgerinnen und Bürgern die Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuer als Entlastung zukommen lassen wollen, mögen Sie für sich vielleicht kalkuliert haben; allerdings haben Sie hier die Rechnung vollkommen ohne Ihre Kollegen aus der Regierungskoalition gemacht. Sie werden Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Fast könnte man meinen, dass Ihnen die Erhöhung der Umlage ganz gelegen kommt. Ich denke einmal daran, dass Sie vielleicht vorhaben, damit die Finanzierung des unseligen Betreuungsgeldes sicherzustellen. Das ist nämlich eine ganz andere Nummer. (Heiterkeit des Abg. Rolf Hempelmann [SPD] – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Hä? Das ist ja nun wirklich ganz schwierig!) Selbst Kanzlerin Merkel – Ihre Parteikollegin – zweifelt daran, ob es richtig ist, dass so viele Unternehmen diese Vergünstigungen erhalten. Gut, dem kann man nichts hinzufügen. Sie können das selber nachlesen, wenn Sie mir nicht glauben. Das hat sie auf dem Deutschen Arbeitgebertag gesagt. Die Energiewende kostet Geld; das ist richtig. Die Investitionen zahlen sich auf Dauer aber sicherlich aus. Wir wollen bezahlbare Energie, nicht zu verwechseln mit billiger Energie. Wir wollen einen Umbau des Energiesystems. Sie haben aber offensichtlich nicht den Mut dazu, die dringend notwendige Änderung des EEG so durchzuführen, dass wir in Deutschland vernünftig damit leben können. Deshalb versuchen Sie mit dieser Aktuellen Stunde, uns als Sündenbock zu benutzen. Ich sage Ihnen: Diese Rechnung wird nicht aufgehen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Groneberg. – Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Haßelmann, ich gebe Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir das Wort in der Aktuellen Stunde geben. – Ich möchte gerne darum bitten, dass meine Kollegin Bärbel Höhn am Ende der Debatte das Wort für eine persönliche Erklärung bekommt, da sie von Herrn Altmaier in dieser Aktuellen Stunde mehrfach angesprochen worden ist und sie vor ihm, dem Vertreter der Bundesregierung, gesprochen hat. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, zur Geschäftsordnung, Herr Manfred Grund. Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Präsident, ich weise darauf hin, dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Geschäftsordnung weder durch die Geschäftsordnung noch durch den Verlauf der heutigen Debatte gedeckt ist. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen. (Iris Gleicke [SPD]: Selbstverständlich ist das durch die Geschäftsordnung gedeckt! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich ist das durch die Geschäftsordnung gedeckt!) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich hatte gehofft, dass es hier zu einer einvernehmlichen Regelung kommt. Die Mehrheit widerspricht Frau Haßelmann, sodass ich jetzt in der Debatte fortfahre. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, da müssen wir jetzt abstimmen! Das war ein Antrag! – Gabriele Groneberg [SPD]: Machen wir doch einen Hammelsprung!) – Nein. Ich habe das nicht so verstanden, dass das ein Antrag ist. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, das war ein Antrag! – Iris Gleicke [SPD]: Das war ein Geschäftsordnungsantrag!) – Dann unterbreche ich kurz, bis wir das hier geklärt haben. – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Persönliche Erklärung ist eindeutig! Dafür braucht man keine Abstimmung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich entscheide, um den Frieden dieses Hauses insgesamt sicherzustellen, dass diese persönliche Erklärung jetzt abgegeben wird. Frau Kollegin Bärbel Höhn, Sie können Ihre persönliche Erklärung jetzt bitte abgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Herrn Altmaier leider nicht mehr sehen. Er ist sonst nicht zu übersehen; aber gerade jetzt sehe ich ihn nicht. Vizepräsident Eduard Oswald: Er ist entschuldigt. Das ist geregelt. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Okay. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie können ruhig einen Brief schreiben!) Ich will trotzdem sagen: Ich finde die Rede von Herrn Altmaier nicht in Ordnung, und zwar deshalb, weil er speziell zu uns gesagt hat, wir hätten den einen oder anderen konstruktiven Vorschlag machen sollen. (Michael Kauch [FDP]: Wo ist jetzt die persönliche Erklärung?) Gleichzeitig wurde aber von der Regierungskoalition eine Aktuelle Stunde beantragt, in der die Koalition sämtliche Belastungen Rot-Grün und mir zusammen mit Herrn Trittin anrechnet. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es entspricht genau dieser Heuchelei, die wir hier mehrfach erlebt haben: (Zurufe von der CDU/CSU: Heuchelei?) Auf der einen Seite wird versucht, so zu tun, als würde man die Energiewende vorantreiben, und auf der anderen Seite wird sie konterkariert. (Patrick Döring [FDP]: Man darf hier doch nicht sagen, was man will!) – Herr Döring, Sie sollten sich erst einmal um Ihre Nebentätigkeiten kümmern, bevor Sie hier den Mund aufmachen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Angesichts dessen sage ich Ihnen hier sehr deutlich: (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Jetzt ist es gut!) Das, was Sie hier vorgeführt haben, ist ein Widerspruch, der nicht hinnehmbar ist. (Patrick Döring [FDP]: Herr Präsident, das geht nicht!) Die einen sagen, Herr Bareiß: Nichts ist verändert worden. Die anderen sagen, sie hätten schon 2000 zugestimmt. Meine Damen und Herren, so lassen wir mit uns nicht verfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Das geht wirklich nicht!) Vizepräsident Eduard Oswald: Zunächst einmal haben wir jetzt diese persönliche Erklärung gehört. Ich weise darauf hin, dass das Wort „Heuchelei“ unparlamentarisch ist. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht verwendet! – Gegenrufe von der CDU/CSU: Doch!) – Gut. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das verwendet? Das hätten Sie mir vielleicht vorher sagen können! – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Patrick Döring [FDP]: Sie missbrauchen hier die Geschäftsordnung!) Ein Zweites, Frau Kollegin: Wir sollten verschiedene Tatbestände nicht vermischen. Ich glaube, es war falsch, dass wir so verfahren sind. Sie haben in Ihre persönliche Erklärung auch noch einen anderen Tatbestand, bezogen auf Herrn Döring, aufgenommen. Auch das sollte man nicht tun, wenn es nur um die Sache gehen soll. Die Geschäftsordnung ist damit ausgeschöpft. Ich möchte jetzt gerne sachlich in der Debatte fortfahren. Ich gebe dem Herrn Kollegen Franz Obermeier das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, jetzt nehmen wir ein bisschen Dampf aus dem Kessel und kommen zu dem, worum es eigentlich geht: Diese Aktuelle Stunde wurde beantragt, um der Opposition ein bisschen mehr Gründlichkeit beizubringen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Der Opposition? Ihr habt doch die Aktuelle Stunde beantragt!) Herr Präsident, Sie haben vorhin die Frage gestellt, ob wir hier im Plenum das Wort „Lüge“ verwenden dürfen. Selbstverständlich hat hier vor diesem Rednerpult noch nie ein Abgeordneter gelogen. Unabhängig davon tische ich Ihnen jetzt folgenden wahren Sachverhalt auf. Am 2. Oktober dieses Jahres gab es in einer Berliner Zeitung einen Namensartikel, geschrieben von Staatssekretär a. D. Rainer Baake, Grüne, seinerzeit Staatssekretär unter Bundesminister Jürgen Trittin. In diesem Namensartikel sind all die Vorwürfe, die die Opposition erhoben hat – der Herr Krischer war besonders laut –, enthalten: dass diese Bundesregierung Kinobetreiber, Geflügelhöfe, Spielbanken, Bekleidungsketten, Hotels, Golfplätze und Pflegeheime von der EEG-Umlage ausnimmt. Das stand in dem Namensartikel des Herrn Baake. Daraufhin hat sich der Herr Bundesminister a. D. Trittin erdreistet, öffentlich zu behaupten, dass wir Hähnchenmastanlagen von der EEG-Umlage ausnehmen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht im Internet! – Zuruf des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]: Internet gucken!) – Lieber Rolf Hempelmann, Vorsicht, Vorsicht! (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie erfüllen alle diese Kriterien!) – Nein, nein. Sie müssen abwarten. Schreien Sie nicht zu früh. Heute hat der Staatssekretär a. D. Baake alles schriftlich zurückgenommen. (Lachen bei der FPD) Er bittet die Presse, das Ganze richtigzustellen. Er entschuldigt sich für all das, was ich hier vorgelesen habe. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten ein bisschen herunterfahren. Auch Sie, Frau Höhn, sollten ein bisschen herunterfahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Denn das, was der Bundesminister zu den Ausnahmen vorgetragen hat, ist richtig und wahr. Frau Groneberg, diese Liste steht im Internet; aber Sie müssten sie auch lesen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dann würden Sie wissen, dass an den Behauptungen, die hier von Ihnen vorgetragen wurden, nichts dran ist. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch nicht!) – Haben Sie den Geflügelhof gefunden? Haben Sie die Hähnchenmast gefunden? (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Schlachthöfe sind dabei!) Nein, die haben Sie nicht gefunden. Ich habe diese Liste dabei. Sie können es mir dann zeigen. Also, liebe Opposition, kehren wir zurück. Wenn wir die Energiewende in unserem Land zum Erfolg führen wollen, dann hören Sie mit der Krakeelerei auf. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Diese Aktuelle Stunde habt ihr aufgesetzt, nicht wir!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der Kollege Ingbert Liebing. Bitte schön, Kollege Ingbert Liebing. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir seitens der Opposition in der aktuellen Energiedebatte und auch heute Nachmittag in dieser Aktuellen Stunde erlebt haben, ist widersprüchlich und doppelzüngig, um nicht zu sagen: verlogen. Ich will Ihnen dies auch gerne konkret belegen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr seid zuständig für Wahrheit und Klarheit! Ihr seid die Energiewender!) Ich fange mit Ihnen, Frau Höhn, an, da Sie sich so aufgeblasen haben. Sie wissen doch selber gar nicht, wie Sie argumentieren wollen. Auf der einen Seite sagen Sie: Das ist eine hysterische Strompreisdebatte und alles halb so wild. Macht ein bisschen früher das Licht aus, dann könnt ihr das alles bezahlen. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sage ich doch gar nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Altmaier sagt das!) – Das sagen Sie selber. Ihre Ministerin in Rheinland-Pfalz argumentiert genau so. – (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mich eben angesprochen, oder?) Wir haben das alles heute schon gehört. Ich komme noch zu anderen Zitaten. Auf der anderen Seite kritisieren Sie bestimmte Steigerungen. Ich schaue aber auch auf das, was im Energiesektor noch passiert. Die Steigerungen des Benzinpreises an der Tankstelle – das ist das Dreifache dessen, worüber wir hier reden – sind Ihnen recht. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch kritisiert!) Sie wollten noch viel höhere Preissteigerungen des Benzinpreises. 5 D-Mark, das war Ihr Ziel; 2,50 Euro, das ist Ihr Ziel. Sie freuen sich über steigende Spritpreise, weil Sie noch viel höhere Preise wollen. Das ist alles widersprüchlich. Einerseits beklagt die Opposition die hysterische Kostendebatte. Dazu gibt es ein Zitat von Herrn Heil, dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden, vom 6. Oktober auf Zeit Online, der die hysterische Kostendebatte kritisiert. Andererseits beteiligen Sie sich selber an dieser Debatte, indem Sie die Befreiungen, die wir vorgenommen haben, um den Standort zu sichern, kritisieren. Sie fordern doch Sozialtarife und Ähnliches. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Wir fordern Spartarife! Herr Liebing, erkundigen Sie sich doch mal!) Außerdem fordern Sie einen Masterplan für die Energiewende. Sie kritisieren das Nebeneinander von 16 Bundesländern. Wiederum Herr Heil fordert eine Koordination der Ausbaupläne. (Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, dann macht mal! Ihr müsst nicht wollen, ihr sollt machen! Nicht nur ankündigen!) Wir wollen das. Der Umweltminister hat genau das jetzt zum Thema gemacht, (Ulrich Kelber [SPD]: Ihr sollt nicht wollen, sondern machen als Regierung!) und Sie sind diejenigen, die es kritisieren, und es sind die SPD-Ministerpräsidenten, die jetzt dagegen sind, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Albig in Kiel vorneweg, dem ich vielleicht noch zugutehalten kann, dass er von dem ganzen Thema keine Ahnung hat. Aber trotzdem: Das passt nicht zusammen, und das ist widersprüchlich. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie wollen also eine Reduktion der Schleswig-Holsteiner Windziele? Soll Schleswig-Holstein weniger Wind machen? Ja oder nein? In einem Wort!) Sie kritisieren die Härtefallklausel im EEG. Das ist, mit Verlaub, eine Regelung, die wir gemeinsam in der Großen Koalition beschlossen haben. Jetzt aber kritisieren Sie sie. Wir suchen nach Lösungen, auch beim Thema Offshore, und dann kritisieren Sie das wieder, Herr Hempelmann. Das alles passt nicht zusammen. (Rolf Hempelmann [SPD]: Sie suchen nach Lösungen? Das sind Panikreaktionen! Sie haben sich vergaloppiert! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben vor sechs Jahren Lösungen vorgeschlagen!) Sie fordern eine stärkere Synchronisation des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit dem Netzausbau – wiederum Herr Heil auf Zeit Online am 6. Oktober. Das ist genau das gleiche Thema, das der Minister angesprochen hat. Er hat nämlich gesagt: Mit dieser Thematik müssen wir uns auseinandersetzen. – Dann tut er es, und wiederum sind Sie diejenigen, die es kritisieren und dann zusammen mit den Ministerpräsidenten Ihrer Partei blockieren. (Rolf Hempelmann [SPD]: Wir können überhaupt nichts blockieren! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben doch kein Eckpunktepapier blockiert als Opposition! Jetzt labern Sie doch nicht!) Dies alles passt vorne und hinten nicht zusammen. Deswegen ist das, was Sie heute Nachmittag geboten haben und was Sie in den letzten Tagen und Wochen in dieser Energiedebatte geleistet haben, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das trifft Sie! Sie sind schwer getroffen!) widersprüchlich, doppelzüngig und passt vorne und hinten nicht zusammen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gabriele Groneberg [SPD]: Das war ein Schuss nach hinten! – Rolf Hempelmann [SPD]: Die Republik ist ja auch so aufgeregt, weil Sie so gut sind!) Es gibt zwei mögliche Interpretationen, meine Damen und Herren, warum Sie dies alles machen. Entweder wissen Sie gar nicht oder ist Ihnen nicht bewusst, wie widersprüchlich Sie argumentieren – (Gabriele Groneberg [SPD]: Wir doch nicht! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie argumentieren widersprüchlich!) das wäre schlimm genug –, oder Sie tun es bewusst, um das eine und das andere und auf allen Feldern alles abzudecken, egal wie diskutiert wird. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch gerade!) Das eine ist so schlimm wie das andere. Verantwortungsvolle Politik ist weder das eine noch das andere. (Rolf Hempelmann [SPD]: Verabschieden Sie sich erst einmal ehrlich von der Atomenergie!) Deswegen ist es von vorne bis hinten nicht verantwortungsvoll, was Sie in dieser Energiedebatte leisten und was Sie heute Nachmittag in dieser Debatte geleistet haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Schön, dass Sie so gut Zensuren verteilen können! – Gegenruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat aber schon besser geredet!) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kaum zu glauben, aber wir haben nur noch eine Rednerin, und der hören wir jetzt auch gemeinschaftlich zu. Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Maria Flachsbarth. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wieder einmal eine Energiedebatte im Deutschen Bundestag, und ich wundere mich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wundern sich immer!) Wir haben vor nicht allzu langer Zeit eine Debatte geführt, in der wir gemeinsam erklärt haben: Das EEG ist eine Erfolgsstory, und sie gehört ganz selbstverständlich dem ganzen Haus. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie denn eine Aktuelle Stunde gemacht?) – Nun mal ganz vorsichtig. Ich versuche gerade, etwas Nettes zu sagen. Kann ich das vielleicht auch tun? Heute ist der Ausdruck Erfolgsstory noch nicht gefallen, (Rolf Hempelmann [SPD]: Nein! Das ist auch nicht in eurer Überschrift!) und tatsächlich schauen wir heute ein wenig mehr als sonst auf die Kosten. Das EEG hat den Ausbau der Erneuerbaren effektiv vorangetrieben – das ist richtig –, aber möglicherweise nicht an jeder Stelle effizient. Darum streiten wir, und es ist richtig, dass wir darüber streiten, dass wir über den besten Weg streiten. Allerdings sollten wir dabei freundlicherweise redlich bleiben. (Gabriele Groneberg [SPD]: Wo war denn Ihre Redlichkeit die ganze Zeit?) Die Redlichkeit hat mir in der heutigen Debatte an der einen oder anderen Stelle gefehlt. (Rolf Hempelmann [SPD]: Das richtet sich aber an Schwarz-Gelb, oder? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer redlich ist, beantragt nicht solche Aktuellen Stunden! – Gegenruf der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]: Genau!) Wenn man zum Beispiel über die Privilegierung redet, dann ist das sicherlich richtig. Sie ist 2003/2004 unter Rot-Grün eingeführt worden – das stimmt –, inklusive des Schienenbonus, einer verkehrspolitischen Maßnahme, die mal eben mit ins EEG aufgenommen wurde. Alles prima, wir haben das weitergeführt. Von daher kann man nichts dagegen sagen. Auch dagegen, dass wir dann diese Privilegierung auf mittelständische Betriebe ausgedehnt haben (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Zu Recht!) – wir haben doch selber in unserem Wahlkreis einen solchen Betrieb, Herr Miersch –, ist nichts zu sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Matthias Miersch [SPD]: Es ist nur die Frage, wie man es macht, Frau Flachsbarth!) Dass man aber dann in dieser Debatte Äpfel mit Birnen vergleicht, indem man sagt, bislang seien um die 700 Betriebe privilegiert gewesen und demnächst würden es über 2 000 sein, ist nicht richtig; das stimmt so nicht. Zwar sind die 700 Betriebe tatsächlich privilegiert, aber bei den über 2 000 gibt es bisher nur die Anträge der Betriebe, von denen man noch nicht weiß, ob sie privilegiert werden. Das stellt sich am Ende des Jahres heraus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Zahl der Anträge ist doch rasant gestiegen! – Gabriele Groneberg [SPD]: Allein wegen der Steigerung der Anträge müssen auch positive Bescheide herauskommen!) Der nächste Punkt: Ihr Kollege Trittin spricht beim Thema Golfplätze von einer großen Schweinerei und sagt: Dass sie privilegiert sind, geht gar nicht. – Ehrlich gesagt, finde auch ich das ausgesprochen unverständlich. (Gabriele Groneberg [SPD]: Ach, nee!) Unser Kollege Thomas Gebhart hat im Büro von Herrn Trittin angerufen und gefragt – wir sind immer bereit, etwas zu lernen –: Wie verhält es sich nun mit den Golfplätzen? Um welchen Golfplatz handelt es sich denn um Gottes willen? – Darauf hat er die Antwort bekommen: Es gibt keinen Golfplatz, der von der EEG-Umlage befreit ist. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, Sonthofen und Johannesthaler Hof haben beantragt!) – Dann muss sich allerdings Ihr Fraktionsvorsitzender geirrt haben; denn das ist die Antwort, die unser Kollege Thomas Gebhart aus dem Büro des Fraktionsvorsitzenden Trittin bekommen hat. Wir sollten versuchen, das Ganze in einen gemeinsamen Kontext zu stellen und die Energiepolitik im Zusammenhang zu sehen, anstatt über solche Punkte zu streiten und die Menschen im Land, die hier zuschauen und sich wundern, durch eine solche Debatte wie die heutige völlig zu verunsichern. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind verunsichert, weil so viele Energie-unternehmen ausgenommen sind!) Wir sollten die Erhöhungen, die sich nun aus der EEGUmlage ergeben, ins Verhältnis setzen. Die Stromkosten machen in einem durchschnittlichen Haushalt maximal 20 Prozent der Energiekosten aus. 40 Prozent sind Mobilitätskosten – ich erinnere an die gestiegenen Preise an den Tankstellen –, weitere 40 Prozent sind Heiz- und Wärmekosten. Von 2002 bis 2011 sind der Rohölpreis um 210 Prozent, der Erdgaspreis um 123 Prozent und der Strompreis um insgesamt 56 Prozent gestiegen. Dabei ist nicht zu vergessen: Die Wertschöpfung findet bei Rohöl und Erdgas in erster Linie nicht in Deutschland, sondern in Saudi-Arabien, Russland und anderen Ländern statt. Bei den erneuerbaren Energien findet die Wertschöpfung hingegen sehr wohl bei uns in Deutschland statt. (Gabriele Groneberg [SPD]: Genau richtig -erkannt!) Dabei geht es auch um Importunabhängigkeit. Vor diesem Hintergrund wundere ich mich über die eine oder andere Facette in dieser Debatte (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie die dann beantragt, wenn Sie so reden, wie Sie reden?) und auch darüber, dass dies nicht stärker in den Mittelpunkt gestellt wird. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Ihrem Herrn Minister!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, worauf es jetzt ankommt und woran wir gemeinsam arbeiten sollten, ist der Ausbau der Netze. Die Netze müssen intelligent gemacht werden. Die Erneuerbaren brauchen mehr Marktnähe und müssen sich ihre Kunden suchen. Da hilft keine Verweigerungshaltung, wie wir sie über lange Jahre in der Großen Koalition leider erleben mussten. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn „Verweigerungshaltung“? Sie haben doch verweigert! Ihre Fraktion!) Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Akzeptanz erneuerbarer Energien in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Seien wir doch gemeinsam verliebt ins Gelingen, und seien wir nicht nur verliebt in den eigenen partei-politischen Vorteil! (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann beantragen Sie nicht solche Aktuellen Stunden, Frau Flachsbarth!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht glauben, aber die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Oktober 2012, 9 Uhr, ein. Damit ist die heutige Sitzung geschlossen. Vielen herzlichen Dank. (Schluss: 18.08 Uhr) Berichtigung 195. Sitzung, Seite XI und 23600 B, bei Tagesordnungspunkt 39 ist statt „Harald Weinberg“ „Marcus Weinberg (Hamburg)“ zu lesen. Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 17.10.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 17.10.2012 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.10.2012 Becker, Dirk SPD 17.10.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.10.2012 Dr. Brauksiepe, Ralf CDU/CSU 17.10.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 17.10.2012 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 17.10.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 17.10.2012 Gabriel, Sigmar SPD 17.10.2012 Hahn, Florian CDU/CSU 17.10.2012 Dr. Heider, Matthias CDU/CSU 17.10.2012 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 17.10.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 17.10.2012 Hintze, Peter CDU/CSU 17.10.2012 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 17.10.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.10.2012 Lanfermann, Heinz FDP 17.10.2012 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 17.10.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 17.10.2012 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 17.10.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.10.2012 Pflug, Johannes SPD 17.10.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 17.10.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.10.2012 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 17.10.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 17.10.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 17.10.2012 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 17.10.2012 Simmling, Werner FDP 17.10.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 17.10.2012 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.10.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 17.10.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.10.2012 Ziegler, Dagmar SPD 17.10.2012 Anlage 2 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 4): Welche konkreten Schritte will die Bundesregierung nach den Ankündigungen des Bundesministers für -Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter -Altmaier, zum Stromsparen unternehmen, und wie sieht der Zeitplan zur Umsetzung diesbezüglich aus? Herr Bundesminister Peter Altmaier hat im Rahmen eines Runden Tisches mit Vertretern von Bundes- und Länderressorts, von Wirtschafts-, Umwelt-, Verbraucherschutz-, Sozial- und Kommunalen Spitzenverbänden sowie Religionsgemeinschaften am 9. Oktober 2012 eine Stromsparinitiative angekündigt. Zielgruppe sind die 40 Millionen privaten Haushalte. Auf sie entfällt knapp ein Drittel des gesamten Stromverbrauchs. Ziele der Stromsparinitiative sind, einen signifikanten Beitrag zum Erreichen des Ziels der Bundesregierung, 10 Prozent Strom bis 2020 gegenüber 2008 einzusparen, zu leisten, die Energiekosten der Haushalte zu senken und Haushalten mit geringem Einkommen zusätzliche Hilfestellung beim Sparen von Strom zu geben. Dazu sollen spätestens bis zum Jahr 2020 alle -Haushalte mit spezifischen Angeboten erreicht werden. Ihnen soll ein auf ihre Situation zugeschnittener, leicht handhabbarer Zugang zu geeigneter Information und -Beratung ermöglicht werden. Er soll gegebenenfalls insbesondere für Haushalte mit geringem Einkommen ergänzt werden um spezifische Investitionsanreize. Die Stromsparinitiative soll baukastenförmig gestaltet sein und drei Säulen beinhalten: ein integriertes web--basiertes Konzept, die Fortentwicklung des BMU--Projekts „Stromspar-Checks für Haushalte mit geringem Einkommen“, zum Beispiel durch Ausweitung von 25 000 auf 50 000 Checks pro Jahr und eine Förderung des Ersatzes ineffizienter durch hoch energieeffiziente Kühlgeräte und Stromeinsparberatung für alle Haushalte. Ende November 2012 ist ein zweiter Runder Tisch vorgesehen. Danach soll das Konzept schrittweise um-gesetzt werden. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 5): Wann wird die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen, um den Einsatz der Fracking-Techno-logie in Trinkwasserschutzgebieten rechtlich zu untersagen, wie von dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, und dem Präsidenten des Umweltbundesamtes, UBA, Jochen Flasbarth, bei der Vorstellung des UBA-Gutachtens „Umweltauswirkungen von -Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten – Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Evaluierung bestehender rechtlicher Regelungen und Verwaltungsstrukturen“ am 6. September 2012 angekündigt (siehe auch dpa-Meldung vom 6. September 2012 „Fracking-Gasförderung nur unter strengen Auf-lagen“), und welche weiteren konkreten rechtlichen Schritte plant die Bundesregierung als Konsequenz aus dem Gutachten zu unternehmen? Zurzeit prüft die Bundesregierung auf der Grundlage aller vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere aus dem Gutachten des Umweltbundesamtes und der Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, den Änderungsbedarf bundesrechtlicher Regelungen des Wasser- und des Bergrechts. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 6): Welche Lobbyisten haben in den letzten drei Monaten Kontakte zum Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum Thema Energiewende aufgenommen, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Forderung nach einem Lobbyistenregister im Hinblick auf eine umfassende Transparenzinitiative? Das BMU steht bei der Umsetzung der Energiewende regelmäßig in einem fachlichen Austausch mit zahlreichen Personen, die unmittelbar oder mittelbar mit der Energiewende befasst sind. Darüber hinaus bindet das BMU besonders betroffene Verbände und Unternehmen zum Beispiel im Rahmen der Gespräche der „Plattform Erneuerbare Energien“ ein. Mit den Umwelt- und Naturschutzverbänden haben Workshops und Gespräche zur Energiewende stattgefunden. Die Zentral- und Gesamtverbände werden nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, GGO, außerdem bei Entwürfen von Gesetzesvorlagen und Rechtsverordnungen beteiligt. Eine solche Beteiligung hat das BMU in den letzten drei Monaten insbesondere bei dem Entwurf der Managementprämienverordnung durchgeführt. Die Einrichtung eines Lobbyistenregisters beim Deutschen Bundestag ist eine eigene Angelegenheit des Parlaments, bei der die Bundesregierung entsprechend langjähriger Staatspraxis Zurückhaltung übt. Anlage 5 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Ulrich Kelber (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 7): Wie hoch sind die Anteile (in Cent und Prozent) der Teilaspekte Ausweitung der Industrieprivilegien, gesunkene Börsenstrompreise – Merit-Order-Effekt –, gesunkene CO2-Zertifikatepreise, Marktprämie, Liquiditätsreserve, Ausgleich der Defizite im EEG-Umlagekonto 2012 (EEG: Erneuerbare-Energien-Gesetz) und Energiesteuern auf erneuerbare Energien an der auf knapp 5,3 Cent steigenden EEG-Umlage? Bei der Ermittlung der Anteile einzelner Aspekte an der EEG-Umlage können verschiedene Methoden angewandt werden, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. So können zum Beispiel die Kosten der Marktprämie gesondert berechnet oder den davon profitierenden Technologien zugeordnet werden. Ebenso kann der Effekt eines sinkenden Börsenpreises gesondert berechnet oder den einzelnen Technologien zugeordnet werden. Zu den angesprochenen Faktoren im Einzelnen: Ausweitung der Besonderen Ausgleichsregelung: Nach Angaben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sind durch die Ausweitung der Besonderen Ausgleichsregelung knapp 10 Terawattstunden mehr angemeldet worden. Dadurch ergibt sich eine zusätzliche Belastung der Umlage von etwa 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Börsenpreis: Der gesunkene Börsenstrompreis ist nicht nur von den steigenden Strommengen erneuerbarer Energien, sondern zum Beispiel auch von Stromangebot und -nachfrage im benachbarten Ausland und der Entwicklung der CO2-Zertifikatspreise abhängig. Daher lässt sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Merit-Order-Effekt oder der Entwicklung der CO2-Zertifikatspreise und dem Strompreisniveau angeben. Die Übertragungsnetzbetreiber haben bei der Festlegung der EEG-Umlage einen Börsenpreis von 55,22 Euro pro Megawattstunde, 2012, bzw. 51,15 Euro pro Megawattstunde, 2013, angesetzt. Wäre der Börsenpreis konstant geblieben, so ergäbe sich 2013 rechnerisch eine um etwa 0,12 Cent pro Kilowattstunde geringere EEG-Umlage. Marktprämie: Die Kosten für die Managementprämie im Rahmen der Marktprämie wurden von den Übertragungsnetzbetreibern für 2013 mit 428 Millionen Euro angesetzt. Zu berücksichtigen sind aber auch die sinkenden Vermarktungskosten bei den Übertragungsnetzbetreibern aufgrund der wachsenden Strommengen in der Marktprämie; die sogenannten Profilservicekosten wurden für 2013 mit 25 Millionen Euro angesetzt, 2011 waren es noch über 400 Millionen Euro. Auch wenn man diese gesunkenen Kosten nicht in vollem Umfang der Marktprämie zuordnen kann, ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die Nettokosten der 2013 anfallenden Managementprämie unter 380 Millionen Euro liegen, sodass die Marktprämie einen Anteil von weniger als 0,1 Cent pro Kilowattstunde an der EEG-Umlage ausmacht. Liquiditätsreserve: Der Umlagenanteil aus der Liquiditätsreserve beträgt 0,418 Cent pro Kilowattstunde. Ausgleich des EEG-Kontos: Der Umlagenanteil aus dem Ausgleich des EEG-Kontos zum 30. September 2012 beträgt 0,671 Cent pro Kilowattstunde. Energiesteuern fallen bei den Verbrauchern an und haben deshalb keinen Einfluss auf die Höhe der EEG-Umlage. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Ulrich Kelber (SPD) (Drucksa-che 17/10967, Frage 8): Bis wann genau will der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, die Ausnahmeregelungen für die Industrie zur Befreiung von der EEG-Umlage prüfen, und welche Kriterien will er bei der Prüfung anlegen? Das Bundesumweltministerium hat hierzu ein Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben. Das Vorhaben wurde zum 1. Juni 2012 begonnen und wird bis zum 31. Juli 2014 abgeschlossen sein. Die wichtigsten Kriterien sind die Bedeutung der Stromkosten für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie die Administrierbarkeit der Regelungen. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 9): Wie vielen Terawattstunden würden die 40 Prozent Erneuerbare-Energien-Anteil, die der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, in seinem Verfahrensvorschlag zum Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgeschlagen hat, aus Sicht der Bundesregierung für das Jahr 2020 entsprechen, und wie hoch wäre dann eine gleichmäßige jährliche Zunahme in Terawattstunden im Vergleich zu der aktuellen Zunahme pro Jahr, bitte vorliegende Werte für 2011 und Schätzung für 2012 getrennt aufführen? Die Bundesregierung strebt gemäß dem Energiekonzept das Ziel an, den Stromverbrauch gegenüber dem Jahr 2008 in einer Größenordnung von 10 Prozent zu vermindern. Ausgehend von einem Stromverbrauch im Jahr 2008 von 614 Terawattstunden bedeutet dies bis zum Jahr 2020 einen Rückgang auf circa 553 Terawattstunden. Ein Anteil von 40 Prozent erneuerbare Energien -entspricht somit rund 221 Terawattstunden. Geht man alternativ von einem weitgehend stagnierenden Stromverbrauch aus, also von rund 600 Terawattstunden im Jahr 2020, so entsprechen 40 Prozent erneuerbare Energien rund 240 Terawattstunden. Daraus ergibt sich ausgehend von 123 Terawattstunden Erneuerbaren-Einspeisung in 2011 insgesamt ein Ausbaukorridor für erneuerbare Energien von rund 11 bis 13 Terawattstunden pro Jahr bis zum Jahr 2020. Der Zubau im Jahr 2011 lag bei 14 Terawattstunden; hätte die Photovoltaik im Zielkorridor des EEG gelegen, so wären es 9 bis 10 Terawattstunden gewesen. Die Bundesregierung nimmt keine Schätzung für 2012 vor. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 10): Wann will die Bundesregierung rechtliche Hindernisse für die Versorgung von Mietern mit EEG-/KWK-Strom, KWK: Kraft-Wärme-Kopplung, der in räumlicher Nähe zum bewohnten Gebäude erzeugt wird, beseitigen, wie es im Vermittlungsausschuss zur Photovoltaikvergütung im Juni 2012 angekündigt wurde, und wie will die Bundesregierung diese Hindernisse beseitigen? Ein großes Hindernis für die Versorgung von Mietern mit EEG/KWK-Strom aus dem bewohnten Gebäude wurde bereits mit der PV-Novelle beseitigt: Durch die Einführung eines sogenannten solaren Grünstromprivilegs, § 39 Abs. 3 EEG, wurde klargestellt, dass Solarstrom, der durch Dritte in unmittelbarer räumlicher Nähe ohne Nutzung des öffentlichen Netzes verbraucht wird, zum Beispiel in den Fällen der Direktlieferung von Solarstrom vom Vermieter an den Mieter, dem Grünstromprivileg unterfällt. Dies war bis zum Inkrafttreten der PV-Novelle 2012 umstritten und hatte zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt. Weitere Hemmnisse für die Versorgung von Mietern mit EEG/KWK-Strom durch entsprechende Anlagen des Vermieters können im Bereich des Steuerrechts, des Mietrechts und des Energiewirtschaftsrechts bestehen. Hierbei handelt es sich um zum Teil komplexe Fragen. Die Bundesregierung prüft diese Fragen derzeit. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 21): Ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, bereit, als vertrauensbildende Maßnahmen die noch ausstehenden Arbeiten an der vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben, VSG, vorerst auszusetzen bzw. vorübergehend zu unterbrechen, um die Chancen für erfolgreiche Verhandlungen für ein Endlagersuchgesetz zu erhöhen, bitte mit Begründung, und sieht die Bundesregierung die VSG aufgrund der nicht dokumentierten Vorgespräche des für Gorleben zuständigen Referatsleiters und BMU-Abteilungsleiters Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung, RS, mit dem späteren VSG-Unterauftragsnehmer Dr. Bruno Thomauske mit einem Glaubwürdigkeitsproblem behaftet, bitte ebenfalls mit Begründung? Durch die vorläufige Sicherheitsanalyse werden die bisher erzielten Untersuchungs- und Erkundungsergebnisse von Gorleben transparent gemacht. Die Transparenz von Ergebnissen ist standortunabhängig eine zen-trale Voraussetzung für ein Auswahlverfahren. Eine Beendigung der vorläufigen Sicherheitsanalyse ist Gegenstand der Bemühungen um einen Endlagerkonsens und kann nicht davon losgelöst behandelt werden. Anlage 10 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 22): Wann genau gab es im Jahr 2010 außer am 8. September 2010 noch Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiterebene zwischen dem BMU-Abteilungsleiter RS und den zuständigen Abteilungsleitern der Atomaufsichtsbehörden (bzw. gegebenenfalls deren Vertretern) der damals noch fünf Bundesländer mit in Leistungsbetrieb befindlichen Atomkraftwerken zu Sicherheits-, Nachrüstfragen, Laufzeiten oder Ähnlichem, und an jeweils welcher dieser Telefonkonferenzen waren neben dem BMU-Abteilungsleiter RS noch ein oder mehrere BMU-Beamte als Zuhörer beteiligt? Telefonkonferenzen mit den Abteilungsleitern der Länder finden anlassbezogen zu unterschiedlichen Themen mit jeweils unterschiedlichem Personenkreis statt. Eine systematische Erfassung solcher Telefonkonferenzen erfolgt nicht. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Willi Brase (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 23): Nach welchen Kriterien prüft die Bundesregierung laut dem Berufsbildungsbericht 2012, ob in 12 bis 15 weiteren Ausbildungsberufen Ausbildungsbausteine geschaffen werden, und wann wird dazu eine Entscheidung vorliegen? Das Bundesinstitut für Berufsbildung, BIBB, hat eine Liste von Ausbildungsberufen nach folgenden Kriterien vorgeschlagen: – Ausbildungsordnung nach 1996 erarbeitet – Es wurden insbesondere auch Ausbildungsberufe berücksichtigt, die in ihrer Struktur Schwerpunkte, Fachrichtungen und Wahlqualifikationen aufweisen. – Berücksichtigung von Branchenbezügen und von MINT-Berufen – Berücksichtigung der Anzahl der Ausbildungsverträge (2010) – -Berücksichtigung des Berufswahlverhaltens von männlichen und weiblichen Jugendlichen – es wurden die -Bedarfsmeldungen aus den Ländern aufgenommen, die im Rahmen ihrer Landeskonzep-tionen im Bereich der beruflichen Bildung Ausbildungsbausteine berücksichtigen bzw. Überlegungen haben, selbst Ausbildungsbausteine zu entwickeln. Die Liste der Berufe wurde zudem mit den Sozialpartnern BDA, DIHK, ZDH, DGB besprochen. Dabei wurden Anregungen und Wünsche der Beteiligten berücksichtigt. Die Gewerkschaftsseite hat angekündigt, sich wie bisher nicht am Erarbeitungsprozess zu beteiligen. In einem weiteren Schritt wird die Bundesregierung auf die Fachverbände zugehen und die Liste der Berufe mit ihnen erörtern. Im Nachgang zu der Besprechung ist vorgesehen, dass das BIBB analog zu regulären Ordnungsverfahren die Sachverständigen der Sozialpartner und der KMK zur Erarbeitung einladen wird. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 24): Welche konkreten Auswirkungen haben die vom Kommissar für Finanzplanung und Haushalt der Europäischen Kommission, Janusz Lewandowski, bekannt gegebenen Finanzierungslücken bei dem Studierendenaustauschprogramm Erasmus, dem EU-Forschungsprogramm und dem Europäischen Sozialfonds („Dem Studentenprogramm Erasmus geht das Geld aus“, Die Welt vom 3. Oktober 2012) jeweils im Einzelnen in Deutschland – unter Angabe der gegebenenfalls aus den genannten Programmen noch ausstehenden Zahlungen –, und welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich des vorgesehenen EU-Nachtragshaushalts 2012 unter Angabe des Zeitplans der Beratung und der beabsichtigten Veranschlagung im Bundesetat? Auswirkungen der Finanzierungslücken in Deutschland : Im Bereich des Europäischen Sozialfonds sind derzeit fünf Operationelle Programme vom Liquiditätsengpass der Europäischen Kommission betroffen. Die Gesamtsumme der fälligen Zahlungsanträge beläuft sich hier gegenwärtig auf 387 872 364,26 Euro. Rechtlich ist diese Situation allerdings nicht zu beanstanden, da es sich bei den ausstehenden Mitteln um Zwischenzahlungen handelt, deren Auszahlung nach der einschlägigen Rechtsgrundlage unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln steht. Für das Programm Erasmus hat Deutschland bereits 80 Prozent der insgesamt veranschlagten Mittel – rund 57 Millionen Euro – erhalten. Für das derzeitige Wintersemester sind keine Zahlungsengpässe aufgetreten. Der noch ausstehende Betrag von 11,4 Millionen Euro ist erst zu Beginn des nächsten Jahres fällig. Für den Bereich Forschung hat die Bundesregierung aufgrund der zentralen Vergabe der Mittel aus Brüssel keinen Einblick hinsichtlich der Frage, ob die fälligen Beträge an die Empfänger in Deutschland ausgezahlt werden. Deutsche Position zum angekündigten EU-Nachtragshaushalt 2012 : Der von EU-Kommissar Lewandowski in einer Mitteilung angekündigte EU-Nachtragshaushalt 2012 wird voraussichtlich am 23. Oktober 2012 vorgelegt werden. Die Bundesregierung wird sich erst bei Vorliegen des Nachtragshaushalts eine abschließende Meinung dazu bilden. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 25): Zu welchem Termin wird die mehrmals verschobene Nationale Bologna-Konferenz stattfinden, und welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung für Korrekturen und Qualitätsverbesserungen im Rahmen der Bologna-Reform? Die Bundesregierung führt derzeit über Konzept und Termin einer Konferenz Gespräche mit Vertretern der Hochschulen und den Ländern. Anlage 14 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage des Abgeordneten Dr. Sascha Raabe (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 26): Zu welchen Entsendebedingungen und durch wen werden nach der Fusion zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, GmbH die Aufgaben des fusionierten Deutschen Entwicklungsdienstes, DED, übernommen? Die Entsendung von Entwicklungshelfern erfolgt weiterhin auf der Grundlage des Entwicklungshelfergesetzes. Die Bedingungen haben sich im Vergleich zu der Zeit vor der Fusion nicht verändert. Innerhalb der GIZ übernimmt die dafür gegründete Spezialisierte Geschäftseinheit „Entwicklungshelfer/-innen“ die Entsendung. Anlage 15 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage des Abgeordneten Dr. Sascha Raabe (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 27): Wie hat sich die Zahl der vom DED nach dem Entwicklungshelfergesetz entsandten Mitarbeiter und deren Einsatz vor Ort entwickelt, und welche langfristigen Beschäftigungsmöglichkeiten haben diese nunmehr in der GIZ? Die Verträge von Entwicklungshelfern sind grundsätzlich befristet, da es sich vom Verständnis her um ein temporäres freiwilliges Engagement handelt. Wechsel in ein anderes langfristiges Beschäftigungsverhältnis in der GIZ sind zunächst nicht vorgesehen, finden aber statt. Der politisch gesetzte Zielwert für die Zahl der operativ tätigen Entwicklungshelfer liegt bei 863 zum Stichtag 31. Dezember 2012. Die Anzahl beträgt derzeit, Stichtag 30. September 2012, 724. Der Wert schwankt bedingt durch Vertragsbeendigungen und Neueinstellungen. Anlage 16 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage des Abgeordneten Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 28): Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die weitere Finanzierung von Vorhaben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH in Dadaab und Kakuma, die bisher aus dem Titel „Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe“ finanziert wurden, und wie bewertet die Bundesregierung aus entwicklungspolitischer Sicht ein mögliches Auslaufen der Aktivitäten bzw. eine Übergabe an das UN-Flüchtlingshilfswerk? Aus dem genannten Haushaltstitel des BMZ werden derzeit zwei Vorhaben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, finanziert. Das erste Vorhaben im Auftragswert von 4,1 Millionen Euro wird noch bis Ende August 2014 fortgeführt und dient der Stabilisierung der Lebensgrundlagen der ortsansässigen Bevölkerung und der Stärkung friedlicher Konfliktbearbeitung um das Flüchtlingslager Dadaab. Das zweite Vorhaben erfolgt in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und dient im Rahmen der Übergangshilfe der Unterstützung von Flüchtlingen und einheimischer Bevölkerung in Dadaab, Kakuma und dem Großraum Nairobi. Die Finanzierung dieses Vorhabens durch die Bundesregierung wird zum 31. Dezember 2012 beendet. Allerdings bedeutet das nicht das Ende der Unterstützung für die Flüchtlinge in Dadaab. Der UNHCR sucht derzeit eine andere Durchführungsorganisation für den Betrieb des Krankenhauses, das das Kernstück des Projektes darstellt. UNHCR erwartet keine negativen Auswirkungen für die Versorgung der Flüchtlinge aus dem Rückzug der GIZ aus dieser Komponente. Darüber hinaus wird die Bundesregierung auch in der Zukunft ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in Dadaab und der Region gerecht; sie unterstützt dort weiterhin verschiedene Projekte mit unterschiedlichen Partnerorganisationen von BMZ und AA. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 29): Wie viele der 2010 genehmigten Exporte für Rüstungsgüter und Kriegswaffen nach Portugal hat die Bundesregierung widerrufen oder zurückgenommen, nachdem Portugal im April 2011 Hilfen aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF, beantragen musste? Es wurden keine Genehmigungen widerrufen. Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern und Kriegswaffen richten sich nach den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und dem „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“. Nach den Politischen Grundsätzen hat sich der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in NATO-Länder an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses und der EU zu orientieren. Er ist grundsätzlich nicht zu beschränken, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fragen der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Fragen 30 und 31): Wie genau plant die Bundesregierung den Verbraucherinnen und Verbrauchern die von der Markttransparenzstelle gesammelten Daten für den Benzinmarkt zur Verfügung zu stellen, und wird dies für die Verbraucherinnen und Verbraucher kostenfrei sein? Wird die Markttransparenzstelle selbst die Daten zu den Benzinpreisen jeweils aktuell im Internet veröffentlichen und, wenn nein, warum nicht? Der vom Kabinett am 2. Mai 2012 verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas wird derzeit im Deutschen Bundestag beraten, Bundestagsdrucksache 17/10060. Voraussichtlich wird es noch Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen zu dem Regierungsentwurf geben. Diese betreffen insbesondere auch die Weitergabe der zum Zweck der Marktbeobachtung im Kraftstoffbereich in Echtzeit erhobenen Preisdaten der Tankstellen (Benzin und Diesel) von der Markttransparenzstelle an private Verbraucherinformationsdienste. Hier sollte die Markttransparenzstelle nicht in Konkurrenz zu privaten Anbietern treten. Grundsätzlich soll es den Verbraucherinformationsdiensten überlassen bleiben, auf welchem Wege – zum Beispiel Internetportal, Applikationen für Smartphones, Navigationsgeräte – und zu welchen Konditionen sie die aktuellen Preisdaten den Verbrauchern zur Verfügung stellen. Dies sollte der Markt regeln. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 32): Teilt die Bundesregierung die Überlegungen des Bundesministers Dr. Philipp Rösler, die Stromkosten über eine Drosselung der Stromsteuer zu senken, und welche Position bezieht die Bundesregierung zu der Forderung des Verbraucherzentrale Bundesverbandes nach einem Stromsteuerfreibetrag? Bundesminister Dr. Philipp Rösler hat im Rahmen der Diskussion um bezahlbare Energiepreise eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gefordert und – als kurzfristige Maßnahme – eine Senkung der Stromsteuer vorgeschlagen, um die Verbraucher zu entlasten. Die Vorschläge werden innerhalb der Bundesregierung diskutiert; eine abgestimmte Position gibt es derzeit noch nicht. Der Vorschlag des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen nach einem Stromsteuerfreibetrag für Privathaushalte ist innerhalb der Bundesregierung bislang nicht diskutiert worden. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 33): Stammt die von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel angekündigte Finanzierung für Projekte zur Verbesserung des Gesundheitswesens und zur Modernisierung der regionalen Verwaltung in Griechenland in Höhe von 30 Millionen Euro aus dem Haushalt der EU oder aus dem Haushalt der Bundesrepublik Deutschland, und handelt es sich um zusätzliche Mittel zu den Mitteln, die für Griechenland im aktuellen Finanzrahmen der Europäischen Union vorgesehen sind (sofern es sich um Mittel aus dem EU-Haushalt handelt; vergleiche Pressekonferenz von Dr. Angela Merkel und Antonis Samaras am 9. Oktober 2012)? In der EU-Task-Force für Griechenland unter der Leitung von Horst Reichenbach wird die bilaterale technische Hilfe für Griechenland organisiert. Die Arbeit der EU-Task-Force ist aus Sicht der Bundesregierung ein wichtiger Beitrag dafür, in Griechenland wieder nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Deutschland engagiert sich daher in Schlüsselbereichen der EU-Task-Force und leistet gegenüber Griechenland bilaterale Hilfe durch Unterstützung bei der Reform der regionalen Verwaltung, des Gesundheitswesens und im Bereich der erneuerbaren Energien. Zurzeit werden gemeinsam mit den griechischen Partnern Projekte ausgearbeitet. Der Finanzbedarf ist dabei abhängig von konkreten Projekten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Finanzierung der Projekte zur Durchführung dieser Reformen unter Nutzung der Griechenland zustehenden EUStrukturfondsmittel von Griechenland selbst sicherzustellen ist. Dies ist auch die Auffassung der EU-Task-Force. Im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland sind für die genannten Reformprojekte keine Mittel vorgesehen. Auch im Rahmen des aktuellen Finanzrahmens der Europäischen Union sind insoweit keine zusätzlichen Mittel vorgesehen. Anlage 21 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 35): Wie positioniert sich die Bundesregierung im Hinblick auf einen vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Einsatz in Mali zur Unterstützung malischer Sicherheitskräfte im Norden des Landes, und inwiefern plant sie, einen solchen finanziell, logistisch und personell zu unterstützen? Die Bundesregierung ist weiterhin besorgt über die Lage in der Republik Mali – hinsichtlich der sicherheitspolitischen Aspekte wie auch der Wahrung der Menschenrechte und der humanitären Situation. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, plant, Anfang November 2012 in die Region zu reisen. Der Fortbestand bzw. die Vergrößerung rechtsfreier Räume im Norden Malis und angrenzender Gebiete stellt eine über Mali und den Sahel hinausgehende Bedrohung dar. Mali braucht daher umfassende und koordinierte internationale Unterstützung, um sich zu stabilisieren. Aus Sicht der Bundesregierung können dabei die Vereinten Nationen als Koordinator fungieren. Wir begrüßen diesbezüglich die Ernennung von Romano Prodi zum Sonderbeauftragten für Sahel durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, VN. Die Bundesregierung begrüßt in diesem Zusammenhang auch die Befassung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen mit der Lage im Mali. Konkrete Planungen zur Unterstützung der Regierung und Sicherheitskräfte Malis können erst dann vorgenommen werden, wenn Entscheidungen des VN-Sicherheitsrats erfolgt sind. Am 12. Oktober 2012 hat der VN-Sicherheitsrat -Resolution 2071 angenommen, die einen glaubwürdigen Verhandlungsprozess zwischen der malischen Übergangsregierung und malischen Rebellengruppen im -Norden fordert. Gleichzeitig hat der Sicherheitsrat auch seine Bereitschaft erklärt, auf die Bitte der Übergangs-regierung Malis bezüglich einer International Military Force zur Unterstützung der Streitkräfte Malis zur Rückgewinnung der besetzten Regionen im Norden zu reagieren. Es ist vorgesehen, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen innerhalb von 45 Tagen einen Bericht vorlegt. Erst auf dieser Grundlage kann über operative Schritte entschieden werden. Anlage 22 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 36): Inwieweit treffen nach dem Kenntnisstand der Bundes-regierung die Vorwürfe griechischer Demonstranten zu, in der Haft von Polizisten unmenschlich und erniedrigend behandelt und gefoltert worden zu sein, und wie bezieht die Bundes-regierung diesbezüglich gegenüber der griechischen Regierung Stellung? Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse in Bezug auf Ereignisse der in Ihrer Frage beschriebenen Art. Allerdings ist der Bundesregierung bekannt, dass die im griechischen Parlament vertretene Partei SYRIZA öffentlich Vorwürfe gegen die griechische Polizei -erhoben hat, diese habe nach einer Demonstration im Zentrum Athens fünfzehn Demonstranten festgenommen und misshandelt. In einer Pressemitteilung vom 10. Oktober 2012 hat das zuständige griechische Bürgerschutzministerium diese Vorwürfe zurückgewiesen. In der Presseerklärung wird auch auf andauernde Ermittlungen der griechischen Justiz hingewiesen. Die Bundesregierung kommentiert laufende Ermittlungsverfahren der griechischen Justiz nicht. Anlage 23 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksa-che 17/10967, Frage 37): Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zustände an russischen Militäranlagen, in denen ausrangierte Munition entsorgt wird, vor dem Hintergrund der jüngsten -Explosion (Neue Zürcher Zeitung vom 11. Oktober 2012, Seite 16), auch im Zusammenhang mit dem deutschen Engagement in der Abrüstungshilfe im Rahmen der G-8-Initiative der Globalen Partnerschaft? Der Bundesregierung liegen zum Zustand der entsprechenden russischen Militäranlagen die allgemein zugänglichen Informationen aus der Presse und von spezialisierten Forschungsinstituten vor. Demnach hat es in russischen Munitionsdepots in den vergangenen Jahren immer wieder Unfälle gegeben. Der spezialisierte Think Tank „Small Arms Survey“ spricht für die Russische -Föderation von 48 Unfällen und unbeabsichtigten Explo-sionen im Zusammenhang mit der Handhabung von -Munition im Zeitraum zwischen 1998 und 2012. Laut diesen Informationen gibt es in keinem Land der Welt mehr vergleichbare Vorfälle. Im Rahmen der Globalen Partnerschaft der G 8 unterstützt die Bundesregierung Russland unter anderem bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Chemiewaffenübereinkommen durch die Hilfe beim Bau entsprechender Chemiewaffenvernichtungseinrichtungen. Eine Unterstützung bei der Vernichtung konventioneller Munition ist von der „Globalen Partnerschaft zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“ nicht vorgesehen. Die sichere Lagerung von Munition gehört aber zu den wichtigsten Themen der konventionellen Rüstungskontrolle. Deutschland ist Initiator der zweijährlichen Resolution der Generalversammlung der Vereinten -Nationen, VN, zu Überschussmunition. In diesem Zusammenhang hat Deutschland die Erarbeitung der „Inter-national Ammunition Technical Guidelines“, IATGs, angestoßen, mitfinanziert und an der Ausarbeitung mitgewirkt. Dabei handelt es sich um ein umfassendes VN-Kompendium zum richtigen Umgang mit Munition für Staaten. Wir haben uns für die Einbeziehung von Munition im Rahmen der Verhandlungen zum globalen Waffenhandelsvertrag, ATT, ebenso nachdrücklich eingesetzt wie bei der Überprüfungskonferenz zum Kleinwaffenaktionsprogramm. Die Bundesregierung unterstreicht ihre Bereitschaft, Russland bei der Sicherung von Munition sowie deren professioneller Lagerung und Vernichtung zu unterstützen. Anlage 24 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache 17/10967, Frage 38): In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung im Norden des Kosovo militärische Verstärkung von der NATO, und welche politische Strategie im Umgang mit den Spannungen im Norden des Kosovo ist mit dieser militärischen Umgruppierung verbunden? Das deutsche Kontingent der Kosovo-Truppe, KFOR, einschließlich des deutlichen Anteils an der Operativen Reserve ist Teil der multinationalen KFOR-Operation unter Führung der NATO und auf Grundlage der Sicherheitsratsresolution der Vereinten Nationen 1244, 1999. Die Bundesregierung erwartet, dass die von Deutschland gemeinsam mit Österreich gestellte Operative Reserve, ORF, gegen Ende des Jahres wieder abgezogen werden kann – möglicherweise im Zuge einer Umgruppierung der regulären KFOR-Kräfte. Konkrete Vorschläge für diese Umgruppierung werden für November 2012 erwartet. Die Bundesregierung unterstützt die Anstrengungen der Europäischen Union, in einem Dialogprozess zwischen Serbien und Kosovo Fortschritte bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern zu erzielen. Dazu gehört auch die Erarbeitung einer Lösungsperspektive für die Situation im Norden Kosovos. Der Einsatz von KFOR und der EU-Rechtsstaatsmission EULEX – und damit die Gewährleistung eines sicheren Umfelds sowie rechtstaatlicher Verhältnisse im Norden Kosovos – soll diesen Dialog befördern. Anlage 25 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 39): Wie ist der konkrete Wortlaut der Vertraulichkeitsbestimmung bezüglich des deutsch-usbekischen Vertrags über die Nutzung des Militärflughafens Termes, die die Bundesregierung als Grund für die Nichtveröffentlichung des Vertrags anführt, siehe die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 17/9710, und in welcher Form ist diese -Vertraulichkeitsbestimmung zwischen den Vertragspartnern beschlossen worden? Die Vereinbarung der Vertraulichkeit des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Usbekistan über den Transit von Personal und von Gütern durch das Hoheitsgebiet der Republik Usbekistan und die Nutzung des Verkehrsumschlagknotens am Flughafen Termez vom 13. April 2010 wurde auf Ersuchen der usbekischen Seite und in mündlicher Form getroffen. Anlage 26 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 40): Inwiefern plant die Bundesregierung im Rahmen des Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan die Bereitstellung von finanziellen Mitteln, um dem Personal, welches zum Transport von Material der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt wird, unter anderem das Passieren von Checkpoints zu ermöglichen, und inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob die Gelder für Wegzölle in die Strukturen der Taliban fließen? Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan stellt eine beträchtliche Herausforderung dar, sowohl hinsichtlich des Transports von Material als auch finanziell. Für die in der Fragestellung angesprochenen Aktivitäten plant die Bundesregierung keine Mittel ein. Anlage 27 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 41): Welche Informationen hat die Bundesregierung über den Verbleib und Zustand des ägyptischen Bloggers A. S., und welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung für seine Freilassung? Der bekennende Atheist A. S. wurde nach Informationen von Amnesty International am 13. September 2012 in seinem Haus in Kairo festgenommen, nachdem seine koptische Mutter die Polizei um Schutz vor aufgebrachten muslimischen Nachbarn gebeten hatte. Im Zusammenhang mit von ihm erstellten religionskritischen Beiträgen auf der Internetseite „Egyptian Atheists“ werden ihm „Verunglimpfung der Religion“ und „Verbreitung falscher Tatsachen“ vorgeworfen. Berichten zufolge ist er in Haft mehrfach misshandelt worden. Die Verhandlung in diesem Fall soll am 17. Oktober 2012 vor dem zuständigen Gericht im Stadtteil Neu Kairo beginnen. Der Strafrahmen liegt zwischen sechs Monaten und maximal fünf Jahren Freiheitsstrafe sowie einer Geldstrafe von bis zu 5 000 ägyptischen Pfund, etwa 640 Euro. Die EU-Botschaften vor Ort planen eine gemeinsame Prozessbeobachtung. In deren Vorbereitung ist die Deutsche Botschaft Kairo eingebunden. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die Frage der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 42): Welche Vorstellungen hat das Bundeskanzleramt zur Verbesserung der Transparenz – Transparenzinitiative –, um einen Einfluss subjektiver wirtschaftlicher Interessen auf Entscheidungen von Exekutive und Legislative zurückzudrängen oder wenigstens transparent zu machen? Die Vorstellungen der Bundesregierung zu transparentem Verwaltungshandeln lassen sich in drei Feldern gut erkennen: Erstens: Im Rahmen des Projektes Open Government aus dem Regierungsprogramm „Vernetzte und transparente Verwaltung“ strebt die Bundesregierung größere Transparenz, bessere Teilhabe und verstärkte Kooperation an. Die Basis für mehr Transparenz, Teilhabe und Kooperation bilden offene Informationen und Daten. Die Bundesregierung hat sich daher in einem ersten Schritt auf die Förderung von Transparenz durch mehr und einfach zugängliche Verwaltungsdaten entschieden. Das Bundesministerium des Innern hat von Beginn an einen ebenenübergreifenden Ansatz verfolgt, da Open Government in einem föderalen Land nur gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen gelingen kann. Derzeit wird ein Prototyp für ein ebenenübergreifendes Open-Government-Portal entwickelt. Über dieses Portal sollen in einem ersten Ausbauschritt Daten von Bund, Ländern und Kommunen einfach auffindbar und zugänglich sein. Das Portal hat das Potenzial, die Transparenz staatlichen Handelns durch immer mehr Datensätze aus allen denkbaren Bereichen enorm zu erhöhen. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, muss das Angebot an Daten laufend verbessert werden – sowohl quantitativ als auch qualitativ. Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg ist dabei eine gewandelte Einstellung in Politik, Verwaltung und Gesellschaft zu Offenheit und Transparenz. Die Förderung des dafür erforderlichen Kulturwandels ist daher Bestandteil des Projektes. Dafür setzt die Bundesregierung sich ein. Zweitens: Die Bundesregierung hat klare Regeln zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten, externen Personen, in der Bundesverwaltung vom 17. Juli 2008, Bundesanzeiger Seite 2722, geschaffen. Die Verwaltungsvorschrift begrenzt die Dauer des Einsatzes dieser Personen und benennt Funktionen, die nicht von externen Personen wahrgenommen werden dürfen, etwa die Formulierung von Gesetzentwürfen und anderen Rechtssetzungsakten. Über den Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung berichtet das Bundesministerium des Innern halbjährlich dem Haushalts- und dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Damit werden Einflussmöglichkeiten weitgehend zurückgedrängt und noch verbleibende Einflussmöglichkeiten transparent gemacht. Drittens: Die Bundeskanzlerin selber hat verschiedene Initiativen zur Transparenz ergriffen. Wöchentlich beantwortet sie per Videobotschaft auf der Internetseite „direkt zur Kanzlerin“ einzelne Anliegen von Bürgern. Anfang 2011 hat sie einen Expertendialog und Anfang 2012 einen Bürgerdialog über Deutschlands Zukunft initiiert. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer internetgestützter Verfahren zur Bürgerbeteiligung. Der Entwurf des E-Government-Gesetzes sieht vor, dass öffentliche Bekanntmachungen zusätzlich im Internet erfolgen. Die Verwaltung soll Statistiken, Geodaten und andere Informationen ohne Personenbezug für jedermann maschinenlesbar abrufbar ins Internet stellen. Die Behörden sollen die von ihnen im Internet bereitgestellten Informationen über ihre Verfahren und Zuständigkeiten noch weiter verbessern. Außerdem sollen die Behörden für die Verfahrensbeteiligten elektronische Informationen zum Stand der Bearbeitung ihrer Anträge abrufbar machen. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 43): Wie oft haben Bundesbehörden jeweils – vor allem gemäß den §§ 26, 28 des Gesetzes über die Bundespolizei – seit 2007 bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen Tonaufzeichnungen von Teilnehmern angefertigt, und wie oft haben Bundesbehörden aus gleichen Anlässen seither jeweils Bild- und Tonaufzeichnungen von Teilnehmern mithilfe unbemannter Luftfahrzeuge angefertigt, vor allem durch Drohnen? Die Bundesbehörden fertigten in vorgenannten Fällen keine reinen Tonaufzeichnungen. Die Bundespolizei fertigt kombinierte Bild- und Tonaufnahmen, zum Beispiel mit Camcordern, Statistiken werden nicht geführt. Zweck dieser Aufnahmen ist, das Gesamtgeschehen und damit im Zusammenhang stehende Polizeiverfügungen zu dokumentieren. Bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen haben Bundesbehörden keine Bild- und Tonaufzeichnungen von Teilnehmern mithilfe unbemannter Luftfahrzeuge, sogenannter Drohnen, gefertigt. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 44): Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung und nachgeordneten Sicherheitsbehörden inzwischen über Mitarbeiter von US-Sicherheitsbehörden vor, die in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn und Deutschland tätig gewesen sein sollen, so wie schon der Stern am 1. Dezember 2011 – jedoch bezogen auf eine andere USDienststelle – über einen solchen Vorgang berichtet hatte, und was unternahmen seither Bundessicherheitsbehörden, vor allem Generalbundesanwalt, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, jeweils, um die – eigentlich mit ihnen abzustimmenden – Aufgaben sowie Tätigkeiten jener US-Bediensteten in Deutschland zu jener Zeit aufzuklären? Der Bundesregierung liegen nach umfassender Überprüfung keine belastbaren Hinweise vor, wonach Mitarbeiter von US-Sicherheitsbehörden „in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang zu dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn und Deutschland tätig gewesen“ sind. Im Übrigen äußert sich die Bundesregierung nicht zu Einzelaspekten laufender Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. Trotz der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach konkreter Abwägung der betroffenen Belange das Informationsinteresse des Parlaments hinter den berechtigten Geheimhaltungsinteressen im laufenden Ermittlungsverfahren zurück. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 17/10967, Frage 45): Wie viele sogenannte Massendaten wurden bzw. werden in den Ermittlungen wegen der ungeklärten Mordfälle bis zur Entdeckung der Täterschaft des Nationalsozialistischen Untergrunds von den damit befassten Besonderen Aufbauorganisa-tionen erhoben, gespeichert oder – etwa nach der Anlieferung durch Landeskriminalämter oder Landesämter für Verfassungsschutz – verarbeitet; bitte aufschlüsseln nach Funk-zellenabfragen, daraus ermittelten Anschlussinhaberinnen und -inhabern, Finanztransaktionen, Hotelbuchungen, Mietwagennutzung), und welche dieser auch mit einer Software zur Rasterfahndung prozessierten Daten werden bis heute vorgehalten? Im Zusammenhang mit den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds wurden Daten aus insgesamt 27 Ermittlungsverfahren, die sich über einen Zeitraum von mehr als 9 Jahren erstrecken, beim Bundeskriminalamt, BKA, zusammengeführt. Bei den 27 Tathandlungen handelt es sich um 10 Tötungsdelikte – 9 Ceska-Komplex, 1 Heilbronn, 2 versuchte Tötungsdelikte – Sprengstoffanschläge in Köln, Lebensmittelgeschäft 1 Verletzte; Keupstraße, 22 Verletze – sowie 15 Raubdelikte. Insgesamt wurden 20 575 657 Funkzellendatensätze, gemäß § 100 g Abs. 2 Satz 2 StPO und 13 842 Datensätze zu Anschlussinhabern, gemäß § 113 TKG, vornehmlich aus den bereits bei den Landespolizeibehörden gespeicherten Daten zusammengeführt. Eine geringe Anzahl von Funkzellen-datensätzen bzw. Bestandsdaten wurde im Zusammenhang mit den Tatorten Eisenach und Chemnitz zusätzlich durch das BKA erhoben. Daten zu in diesem Zusammenhang stehenden Finanztransaktionen, Hotelbuchungen und Mietwagennutzungen sind keine Massendaten im Sinne der Fragestellung, sondern sind jeweils Ergebnis von einzelnen gezielten Ermittlungsmaßnahmen. Die erforderlichen Daten sind weiterhin gespeichert. Diese Speicherung ist nach § 483 Abs. 1 der Strafprozessordnung, StoPo, zulässig, solange die jeweiligen Daten „für Zwecke des Strafverfahrens“, das heißt von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens an bis zum Abschluss des Vollstreckungsverfahrens, erforderlich sind. Ein Funkzellendatensatz umfasst die Telefonnummer, Angaben zum Ort der Funkzelle und die Zeit, zu der das Mobilfunkendgerät aktiv gewesen ist. Mithilfe von Funkzellendatensätzen kann entweder die Frage beantwortet werden, ob ein Mobilfunkendgerät in der räumlichen Zuordnung einer Funkzelle in einem bestimmten Zeitraum aktiv war, oder es kann die Menge aller in einem bestimmten Zeitraum in der räumlichen Zuordnung einer Funkzelle aktiven Mobilfunkendgeräte beauskunftet werden. Eine Funkzellenabfrage, bei der alle in der Funkzelle des Tatorts im Tatzeitraum aktiven Mobilfunk-endgeräte erfasst werden, ist eine typische Ermittlungsmaßnahme bei Tötungsdelikten. Bei der Auswertung von Funkzellendatensätzen werden grundsätzlich Mobilfunkendgeräte gesucht, die an mehreren Tatorten aktiv waren. Für die Treffer dieser Suche werden im Anschluss gegebenenfalls Bestands-daten erhoben. Die Auswertung von Funkzellendatensätzen unterscheidet sich somit grundsätzlich von der Rasterfahndung gemäß § 98 a StPO, bei der personenbezogene -Daten von Personen, die bestimmte vermutlich auf den Täter zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen, mit anderen Daten abgeglichen werden. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Fra-ge 47): Warum hat die Bundesregierung bislang keinen Vorschlag für eine Genehmigungspflicht für Anschlusstätigkeiten ausgeschiedener Regierungsmitglieder nach dem Vorbild der Europäischen Union für ausgeschiedene EU-Kommissare vorgelegt, und wie beurteilt sie Vorschläge für ein verbindliches Lobbyistenregister und für mehr Transparenz im Parteiengesetz – unter anderem Beschränkung von Spenden auf natürliche Personen, Obergrenze 100 000 Euro, Halbierung der Transparenzschwellen etc.? Für Mitglieder der Bundesregierung besteht die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit – § 6 des Bundes-ministergesetzes, BMinG – und die Anzeigepflicht für Geschenke in Bezug auf das Amt – § 5 Abs. 3 BMinG – auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt fort. Die Bundesregierung hält die bereits bestehenden Regelungen für aus dem Amt ausgeschiedene Mitglieder der Bundesregierung für ausreichend. Darauf hat sie in der Vergangenheit bereits wiederholt hingewiesen. Die Einrichtung eines Lobbyistenregisters beim Deutschen Bundestag ist eine Angelegenheit des Parlaments, zu der die Bundesregierung entsprechend ihrer langjährigen Staatspraxis Zurückhaltung übt. Auch Regelungen im Bereich des Parteiengesetzes werden vom Deutschen Bundestag herkömmlicherweise aufgrund eigener Initiative getroffen. Die Bundesregierung nimmt eine Bewertung parlamentarischer Initiativen zu diesem Bereich üblicherweise nicht vor. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 48): Wie ist der Stand innerhalb der Bundesregierung bezüglich der Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten -Nationen gegen Korruption – United Nations Convention against Corruption, UNCAC –, und welche Vorbehalte hat die Bundesregierung gegen die Vorlage eines solchen Ratifizierungsgesetzes? Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass Deutschland das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption ratifizieren kann. Den Entwurf für ein Vertragsgesetz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen, mit dem die Voraussetzungen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Ratifizierung des Übereinkommens geschaffen werden, wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag vorlegen, sobald Einvernehmen über ein Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens besteht. Dazu wäre eine Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung erforderlich. Derzeit liegen drei Gesetzentwürfe aus der Mitte des Deutschen Bundestages vor. Hierzu findet am heutigen Tage eine Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 49): Wie wird die Bundesregierung gewährleisten, dass es durch den geplanten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zu keiner Verschlechterung der Rechtsposition der Auftragnehmer hinsichtlich der Zahlungsfristen kommt? Mit dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr wird die EU-Richt-linie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr „1 zu 1“ umgesetzt. Entsprechend den Vorgaben in der EU-Richtlinie werden in dem Gesetzentwurf für vertraglich vereinbarte Zahlungsfristen Höchstgrenzen vorgegeben, die nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen überschritten werden dürfen. Damit wird die nach der bisherigen Rechtslage nahezu unbegrenzt bestehende Möglichkeit, vom gesetzlichen Leitbild der sofortigen Fälligkeit durch Vereinbarung abzuweichen, zum Schutz des Gläubigers einer Entgeltforderung beschränkt und somit die Rechtsposition der Auftragnehmer hinsichtlich der Zahlungsfristen verbessert. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 50): Inwiefern kann die Bundesregierung bei der Einrichtung eines eigenen Budgets für die Euro-Zone eine Senkung des mehrjährigen Finanzrahmens auf Kosten der mittelosteuropäischen Staaten ausschließen, und inwiefern könnte die Bundesregierung Vorschläge unterstützen, die die Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rechnungshofs zu untergraben drohen? In Bezug auf den mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 verfolgt die Bundesregierung weiterhin das Ziel der Ausgabenbegrenzung auf 1 Prozent des EU-BNE. In diesen Rahmen müssen die Ausgaben für sämtliche Politiken der EU integriert werden. Die Vorbereitungen laufen parallel zu den Überlegungen für eine gestärkte Wirtschafts- und Währungsunion. Ein unmittelbarer Zusammenhang besteht nicht; die Bundesregierung wird auch hier den Gedanken eines „better spending“ im Sinne der Ausgabeneffizienz einbringen. Vorschläge, welche die den EU-Organen nach dem EU-Vertrag eingeräumten Kompetenzen untergraben würden, sind der Bundesregierung weder bekannt noch werden sie von ihr unterstützt. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksache 17/10967, Frage 51): Teilt die Bundesregierung die Analyse des Internationalen Währungsfonds, IWF, nach der die Kapitalflucht aus der -„Peripherie“ der Euro-Zone das grundlegende Fundament der EU unterminiert (vergleiche www.welt.de/finanzen/article1097 23111/IWF-warnt-vor-Kollaps-des-weltweiten-Finanzsystems. html), und inwiefern hält sie Änderungen des auch in Ausnahmesituationen totalen Verbots von Kapitalverkehrskontrollen in den EU-Verträgen für sinnvoll? Kapitalverlagerungen aus Mitgliedstaaten der Euro-Zone, die sich aufgrund makroökonomischer Ungleichgewichte und entsprechendem Reformbedarf einer unsicheren Markteinschätzung gegenüber sehen, sind ein Symptom der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Die Lösung liegt in der Wiederherstellung des Vertrauens in die Finanzstabilität in der Euro-Zone und damit auch des Vertrauens in die Sicherheit der Kapitalanlagen in jedem Euro-Mitgliedstaat. Es gibt bereits Anzeichen, dass die eingeleiteten Reformen greifen. So konnte Irland wieder Einlagenzuflüsse in sein Bankensystem verzeichnen. Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen hingegen wäre für die Wiederherstellung des Vertrauens völlig kontraproduktiv. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 52): Welche Position bezieht die Bundesregierung zu den Erkenntnissen des Internationalen Währungsfonds aus seiner Publikation „World Economic Outlook, October 2012“, Chapter 1, Box 1.1, über fiskalische Multiplikatoren für europäische Länder, dass diese meist über dem Wert von 1,0 liegen und folglich schnell durchgeführte Einsparungen staat-licher Ausgaben zwangsläufig zur Verschlimmerung der Rezession in den Krisenstaaten der Euro-Zone führen müssen, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus für ihre Forderungen gegenüber diesen Partnerländern bzw. erwägt sie zu ziehen, vor allem bezüglich der Forderungen nach der Verlängerung der Fristen für den Abbau staat-licher Haushaltsdefizite und der Gesamtverschuldung? Der IWF thematisiert im aktuellen World Economic Outlook die Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanz-politik und die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Vor dem Hintergrund der europäischen Staatsschuldenkrise würde eine Abkehr vom Kurs der strukturellen Haushaltskonsolidierung einen erheblichen Vertrauensverlust mit negativen Auswirkungen für Wachstum und Beschäftigung bedeuten. Nur die Einhaltung der Regeln des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts kann wieder Vertrauen in die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen in Europa herstellen. Dieser sieht vor, dass eine Fristverlängerung im Verfahren bei einem übermäßigen Defizit dann gewährt werden kann, wenn die wirtschaftliche Entwicklung in einem Mitgliedstaat deutlich schlechter verlief als zum Zeitpunkt der Eröffnung des Defizitverfahrens angenommen und der betreffende Mitgliedstaat die erforderliche strukturelle Konsolidierung erbracht hat. Dabei setzt die Bundesregierung darauf, dass die notwendige Haushaltskonsolidierung von wachstumssteigernden Strukturreformen flankiert wird. Für die europäische Ebene hat der Europäische Rat am 28./29. Juni 2012 dazu im Rahmen des Pakts für Wachstum und Beschäftigung wichtige Beschlüsse gefasst. Der Europäische Rat hat zur Ausrichtung der Finanzpolitik im März 2012 folgende Grundprinzipien formuliert: Alle Mitgliedstaaten sollten weiterhin ihre Verpflichtungen gemäß den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts einhalten, sodass die automatischen Stabilisatoren entlang des vereinbarten Pfades der strukturellen Haushaltskonsolidierung wirken können, während -zugleich die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gewährleistet wird. Länder, für die es ein Hilfsprogramm gibt, sollten sich an die im Programm vereinbarten Zielvorgaben und Strukturreformen halten. Ebenso sollten Mitgliedstaaten, die unter dem Druck der Märkte stehen, weiterhin die vereinbarten Haushaltsziele erfüllen und bereit sein, erforderlichenfalls weitere -Konsolidierungsmaßnahmen durchzuführen. Bei den Konsolidierungsanstrengungen muss besonders darauf geachtet werden, dass Ausgaben Vorrang erhalten, die Investitionen in künftiges Wachstum darstellen; dabei geht es insbesondere um die Bereiche Bildung, Forschung und Innovation. Die Bundesregierung steht unverändert zu dieser -Position des Europäischen Rates. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/10967, Frage 53): Wie bewertet die Bundesregierung die Regelung zur -Steuerrückvergütung bei Agrardiesel für Geländewagen oder andere private Fahrzeuge, zum Beispiel von Schäferinnen und Schäfern, im Vergleich zu den Regelungen zur Nutzung von Agrardiesel durch Imkerinnen und Imker, und welche Änderungen am Energiesteuergesetz zur Gleichstellung beider Bereiche wird sie vorschlagen? Die Bundesregierung lehnt eine spezielle Regelung für Schäfereien ab. Betriebe der Schafhaltung sind bereits in die allgemeine Agrardiesel-Steuervergütung einbezogen, soweit von ihnen die im Gesetz begünstigten Fahrzeuge eingesetzt werden. Der Einsatz sonstiger Fahrzeuge – insbesondere von Personenkraftwagen zu Kontrollfahrten, auch unter Überwindung weiter Strecken – ist in den übrigen landwirtschaftlichen Betrieben ebenso üblich und dennoch nicht erstattungsfähig. Die Regelungen für Imkereien sind eingeführt worden, als die Steuerentlastung durch Selbstbehalt und Obergrenze nur eingeschränkt gewährt wurde. Auch sind die beiden Berufsstände nicht unmittelbar miteinander zu vergleichen, weil die betrieblichen Verhältnisse der Schäfereien weniger einheitlich sind. So würden insbesondere Standortschäfereien mit einer entsprechenden pauschalen Regelung gegenüber anderen landwirtschaftlichen Betrieben bessergestellt. Eine allgemeine Ausweitung auf Personenkraftwagen würde erhebliche Schwierigkeiten für die Steueraufsicht und Rechtsunsicherheit zur Folge haben. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Willi Brase (SPD) (Drucksache 17/10967, Frage 54): Wird die Bundesregierung dem Wunsch der Wirtschaftsministerkonferenz vom 4. und 5. Juni 2012 nachkommen und die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit bis zum Herbst 2013 evaluieren lassen, und wer würde diese Evaluierung übernehmen? Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sind bereits evaluiert worden, -sodass derzeit kein weiterer Bedarf hierfür gesehen wird. Allerdings gibt es zu den Maßnahmen im Übergangsbereich, die in Verantwortung der Länder liegen, deutlich weniger Untersuchungsergebnisse. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Fragen 55 und 56): Wie viele der von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, im Juni 2012 angekündigten 5 000 Arbeitslosen, die in den Genuss einer Umschulung oder Weiterqualifizierung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher kommen sollten, haben bisher tatsächlich eine solche begonnen, und wie sind diese Plätze unter ihnen aufgeteilt und ausgestaltet (bitte aufteilen nach Art der Bildungsmaßnahme und jeweiligen Erfolgsquoten bei den staatlichen Erzieherprüfungen)? Was wird die Bundesregierung unternehmen, damit die arbeitslosen Interessentinnen und Interessenten, die bislang noch nicht an einer Umschulung oder Weiterqualifizierung zum Erzieher bzw. zur Erzieherin teilnehmen, entsprechend qualifiziert werden? Zu Frage 55: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben nach ihren vorläufigen Erhebungen im Zeitraum von Januar bis September 2012 insgesamt 813 Personen eine geförderte Weiterbildung zur Erzieherin/zum Erzieher mit Berufsabschluss begonnen. Aussagen zum Erfolg bei den Abschlussprüfungen können derzeit noch nicht gemacht werden, da die Dauer der Ausbildung grundsätzlich drei Jahre beträgt. Zu Frage 56: Bundesregierung und Bundesagentur für Arbeit unterstützen das Ziel, durch verstärkte und bedarfsgerechte Umschulungen zur Erzieherin/zum Erzieher einen Beitrag zur Fachkräftesicherung im Erzieherbereich zu leisten. Förderungen können jedoch nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere bei Vorliegen der landesrechtlichen Ausbildungsvoraussetzungen erfolgen. Die Regionaldirektionen der Bundesagentur für Arbeit sind aufgrund der unterschiedlichen länderspezifischen Regelungen zur Ausbildung in Verhandlungen mit den Ländern, um insbesondere Fachkräftebedarfe zu konkretisieren und auf die notwendige Zertifizierung von Schulen sowie Verkürzungs- und Finanzierungsmöglichkeiten beim dritten Umschulungsjahr hinzuwirken. Das Thema Fachkräftesicherung in Kindertageseinrichtungen ist auch Gegenstand einer Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Verbänden unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 57): Wird die Bundesregierung bereits deutlich vor der nächsten Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2013 Initiativen für Maßnahmen nach Art. 24 oder 26 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, IAO, oder zur Prüfung einer Aussetzung der EU-Handelspräferenzen ergreifen, um auf die erneute massive Zwangsarbeit von Kindern und Erwachsenen bei der aktuell laufenden Baumwollernte in Usbekistan zu reagieren, und wie wird sie solche Initiativen auf den Treffen des IAO-Verwaltungsrates im November 2012 und März 2013, innerhalb der EU, bei den deutsch-usbekischen Regierungskonsultationen bzw. in eigenen zeitnahen öffentlichen Stellungnahmen vorbringen? Die Bundesregierung ist über die Nicht-Einladung einer Beobachtungsmission der Internationalen Arbeits-organisation, IAO, zur Baumwollernte in Usbekistan besorgt. Sie setzt sich regelmäßig und nachdrücklich bilateral, im Rahmen der Europäischen Union und in internationalen Gremien gegenüber der usbekischen Regierung für die Beseitigung von Kinderarbeit ein. Die Ratifizierung und tatsächliche Umsetzung der IAO-Übereinkommen Nr. 138 und Nr. 182 zur Abschaffung von Kinderarbeit gehören zu den Voraussetzungen, unter denen die Europäische Union im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems, APS, sogenannten gefährdeten Ländern Zollvergünstigungen unter der Sonder-regelung als Anreiz für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvolle Staatsführung, sogenanntes APS+, gewährt. Zwar hat Usbekistan im Rahmen der Allgemeinen Regelung des Allgemeinen Präferenzsystems, APS, einen präferenziellen Zugang zum EU-Markt, kommt jedoch nicht in den Genuss der günstigeren Bestimmungen des APS+. Der größte Teil der usbekischen Ausfuhren in die EU umfasst jedoch Erzeugnisse, die in die EU ohnehin zollfrei auf nichtpräferenzieller Basis eingeführt werden können. Seitens der EU-KOM wurden noch keine Überlegungen zur Rücknahme von APS-Präferenzen bei Usbekistan vorgetragen. Die Einsetzung einer Untersuchungskommission nach Art. 26 der IAO-Verfassung kann nicht von einem einzigen Mitgliedsstaat allein, sondern nur vom Verwaltungsrat entschieden werden. Der Verwaltungsrat der IAO besteht aus 28 Regierungsvertretern sowie je 14 Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen. Bislang hat es im Verwaltungsrat keine Mehrheit für die Einsetzung einer Untersuchungskommission gegeben. Der Einsetzung einer Untersuchungskommission geht in den allermeisten Fällen das Beschwerdeverfahren nach Art. 24 IAO-Verfassung voraus. Es ist davon auszugehen, dass die Lage in Usbekistan erneut während der Internationalen Arbeitskonferenz der IAO im Juni 2013 beraten wird. Die Regierung von Usbekistan ist aufgefordert, im Rahmen dieser Beratung zu den von der IAO geforderten Schritten zur Umsetzung der Übereinkommen über Kinderarbeit Stellung zu nehmen. Die Bundesregierung wird diese Forderung auch weiterhin gegenüber Usbekistan aufrechterhalten und sich mit Nachdruck auch im Rahmen der EU für die Beseitigung von Kinderarbeit eintreten. Darüber hinaus hat der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Herr Markus Löning, sich im Juli 2012 mit einem Schreiben an den Vorsitzenden des IAO Verwaltungsrates gewandt und die IAO zu weiteren Schritten zur Bekämpfung der Kinderarbeit bei der Baumwollernte in Usbekistan ermutigt. Die Bundesregierung setzt sich regelmäßig mit Nachdruck gegenüber der usbekischen Regierung für die Beseitigung von Zwangs- und Kinderarbeit ein. Auch bei deutsch-usbekischen politischen Konsultationen spricht die Bundesregierung das Thema an und fordert die usbekische Regierung zur Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen auf. Dies schließt auch das Hinwirken auf die Zulassung einer IAO-Beobachtermission nach Usbekistan zur Baumwollernte ein. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 17/10967, Frage 59): Welche Autorinnen und Autoren haben die Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR, Nr. 037/2012 vom 28. September 2012 zu einer französischen Studie über Fütterungsversuche mit dem gentechnisch veränderten Mais NK 603 erarbeitet (BfR-Mitarbeiter/-innen und Externe)? Zu der französischen Studie über Fütterungsversuche mit der gentechnisch veränderten Maislinie NK603, in der die Verfütterung von gentechnisch verändertem Mais im Zusammenhang mit der zusätzlichen Gabe des Pflanzenschutzmittels Glyphosat untersucht wurde, wurden Stellungnahmen des für die Risikobewertung zuständigen Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, und des Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR, eingeholt. Auch die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit, ZKBS, wird eine Bewertung abgeben. Die Stellungnahme des BfR wurde ausschließlich von Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern des BfR erstellt. Hierbei konnte auf die Fachkompetenz von Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern aus den Bereichen Toxikologie, Molekularbiologie, Endokrinologie, Statistik und Pflanzenschutz zurückgegriffen werden, sodass die Einbindung externer Sachverständiger als nicht notwendig angesehen wurde. Die Namen aller wissenschaftlichen Bediensteten des BfR sowie weitere personenbezogene Daten sind für die Mitglieder des Deutschen Bundestages im Verzeichnisdienst der Bundesverwaltung im Intranet unter http://x500.intranet.bund.de/ einsehbar. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 62): Hat der heutige Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, an einem ISAF-Targeting-Prozess teilgenommen, bei dem die Handlungsempfehlung an die ISAF-Kräfte die gezielte Tötung einer gelisteten Person gewesen ist, und welche Rolle hat er bei dem Verfahren eingenommen? General Volker Wieker war während seiner Verwendung als Chef des Stabes im ISAF-Headquarter zu keinem Zeitpunkt Teilnehmer am Nominierungsboard im Rahmen des formalisierten ISAF-Targeting-Prozesses. Im Übrigen kann aus eigenen Erkenntnissen der -Bundesregierung zu ISAF-internen Meinungsbildungsprozessen und Entscheidungsfindungen keine Stellung genommen werden. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) (Drucksache 17/10967, Frage 63): Wie viele Mehrgenerationenhäuser gibt es, die Teilnehmer des Aktionsprogramms I für Mehrgenerationenhäuser, aber nicht mehr Teilnehmer des Aktionsprogramms II sind, und wie wurde der „Ausstieg“ begründet? 81 Mehrgenerationenhäuser, die im Rahmen des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser I gefördert wurden, sind nicht im Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser II vertreten. Die Gründe für die Nichtteilnahme sind dabei vielschichtig. Sie reichen von einem bewussten Verzicht des Trägers bis hin zu einer Nichtauswahl im Interessenbekundungsverfahren aufgrund zu geringer Punktzahl. Auch konnte in Einzelfällen die erforderliche kommunale Kofinanzierung nicht erbracht werden. Diese wurde bei der Programmkonzeption des Aktionsprogramms Mehrgenerationenhäuser II angelegt, um die nachhaltige kommunale Verankerung der Häuser weiter zu befördern. Ohnehin musste die Zahl der Standorte von 500 im Aktionsprogramm I auf 450 im Aktionsprogramm II gesenkt werden, da nur für diese Anzahl von Häusern die erforderlichen Haushaltsmittel bereitstehen. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) (Drucksache 17/10967, Frage 64): Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den Beanstandungen ausländischer Behörden entgegenzuwirken, die bezüglich der Diskrepanz zwischen Fahrzeugschein und Kennzeichen im Hinblick auf den Bindestrich Bußgelder einfordern? Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BMVBS, wurde durch die Länder darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Ahndung von Verkehrsverstößen auch die Eintragung des amtlichen Kennzeichens in der Zulassungsbescheinigung, die mit Trennungsstrich vorgenommen wurde, obwohl die Kennzeichenschilder nicht mehr über einen solchen Trennungsstrich verfügen, in Italien und Österreich zum Beispiel im Zusammenhang mit der Ahndung von Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten, mit beanstandet wurde. Abweichende Ausführungen des Kennzeichenschildes mit der Eintragung in der Zulassungsbescheinigung sind zum Beispiel bei zweizeiligen Kennzeichen, die bekanntlich schon immer ohne Trennungsstrich geprägt werden, nicht neu. Dass die Kennzeichen auf der Zulassungsbescheinigung mit oder ohne Trennungsstrich geschrieben sein können und beide Schreibweisen gleichberechtigt gültig sind, wird auf der Internetseite des BMVBS ausgeführt: http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Art./StB-LA/ueberblick-ueber-die-kraftfahrzeug kennzeichen.html . In Anbetracht von Bürgeranfragen wurde auch das Auswärtige Amt gebeten, die EU- und EWR-Staaten darüber zu unterrichten, dass das Kennzeichen in der Zulassungsbescheinigung mit oder ohne Trennungsstrich geschrieben sein kann und beide Schreibweisen gleichberechtigt gültig sind. Die Mitgliedstaaten wurden im August darüber informiert. Dem BMVBS sind in den letzten Monaten keine Fälle bekannt geworden, dass die Eintragung des Trennungsstrichs in der Zulassungsbescheinigung im Ausland beanstandet wurde. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 65): Wie hoch ist nach aktuellen Kostenschätzungen das Gesamtvolumen der Projekte des Vordringlichen Bedarfs, die in Bau sind (aufgeschlüsselt nach Verkehrsträgern bzw. Bundesländern), und wie hoch ist nach aktuellen Kostenschätzungen das Gesamtvolumen der Projekte des Weiteren Bedarfs, die in Bau sind (ebenfalls aufgeschlüsselt nach Verkehrsträgern bzw. Bundesländern)? Die derzeit im Bau befindlichen Vorhaben bzw. Teilvorhaben des Vordringlichen Bedarfs der Schiene umfassen aktuell ein Gesamtvolumen von rund 14,5 Milliarden Euro. Schienenprojekte des Weiteren Bedarfs befinden sich gegenwärtig nicht im Bau. Für Investitionen in die Schienenwege des Bundes, die überwiegend länderübergreifenden Charakter haben, erfolgt keine länderbezogene Aufschlüsselung der Investitionskosten. Für die derzeit im Bau befindlichen Bundesfernstraßenprojekte des Vordringlichen Bedarfs wurden im Frühjahr 2012 Gesamtkosten in Höhe von rund 17,8 Milliarden Euro ausgewiesen, davon entfallen rund 2,7 Milliarden Euro auf das Konzessionsvolumen für die AModell-Projekte. Weiterhin befinden sich Bundesfernstraßenprojekte des Weiteren Bedarfs einschließlich Maßnahmen nach § 6 Bundesfernstraßengesetz mit Gesamtkosten in Höhe von rund 108 Millionen Euro im Bau. An den Gesamtkosten der Bundesfernstraßenprojekte des Vordringlichen Bedarfs, die sich derzeit im Bau befinden, haben die Länder folgende Anteile: – Baden-Württemberg 3 522 Millionen Euro – Bayern 3 299 Millionen Euro – Berlin 923 Millionen Euro – Brandenburg 376 Millionen Euro – Bremen 43 Millionen Euro – Hamburg 208 Millionen Euro – Hessen 1 339 Millionen Euro – Mecklenburg-Vorpommern 247 Millionen Euro – Niedersachsen 737 Millionen Euro – Nordrhein-Westfalen 2 498 Millionen Euro – Rheinland-Pfalz 1 041 Millionen Euro – Saarland 85 Millionen Euro – Sachsen 473 Millionen Euro – Sachsen-Anhalt 791 Millionen Euro – Schleswig-Holstein 470 Millionen Euro – Thüringen 1 036 Millionen Euro An den Gesamtkosten der Bundesfernstraßenprojekte des Weiteren Bedarfs einschließlich Maßnahmen nach § 6 Bundesfernstraßengesetz, die sich derzeit im Bau befinden, haben die Länder folgende Anteile: – Baden-Württemberg 5 Millionen Euro – Bayern 21 Millionen Euro – Niedersachsen 15 Millionen Euro – Nordrhein-Westfalen 32 Millionen Euro – Sachsen 35 Millionen Euro Das Gesamtvolumen der derzeit im Bau befindlichen Bundeswasserstraßenprojekte des Vordringlichen Bedarfs beträgt rund 4,5 Milliarden Euro. Für die Bundeswasserstraßen sind keine Vorhaben des Weiteren Bedarfs ausgewiesen. Für Investitionen in die Bundeswasserstraßen, die überwiegend länderübergreifenden Charakter haben, erfolgt keine länderbezogene Aufschlüsselung der Investitionskosten. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/10967, Frage 66): Wie gedenkt die Bundesregierung das Missverhältnis zwischen zur Verfügung stehenden Mitteln und angemeldeten Vorhaben im Bundesprogramm des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes aufzulösen, und welche Finanzausstattung des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr hält die Bundesregierung zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrsbereich für erforderlich? Die Länder sind zuständig für den öffentlichen Personennahverkehr, ÖPNV. Daher geht die Bundesregierung davon aus, dass die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. Der ÖPNV leistet einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele. Planung, Ausgestaltung, Organisation und Finanzierung des ÖPNV einschließlich des Schienenpersonennahverkehrs, SPNV, ist Angelegenheit der Länder. Auf der Grundlage des Regionalisierungsgesetzes stellt der Bund ihnen im Jahr 2012 circa 7,085 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel zur Finanzierung des SPNV zur Verfügung. Die Regionalisierungsmittel werden mit 1,5 Prozent jährlich dynamisiert. Darüber hinaus erhalten die Länder aus dem Haushalt des Bundes Kompensationszahlungen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden – ÖPNV und kommunaler Straßenbau – nach dem Entflechtungsgesetz und weitere Zahlungen nach Maßgabe des Bundesprogramms nach dem GVFG. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksache 17/10967, Frage 68): Welche Position bezieht die Bundesregierung zu der Tatsache, dass Menschen wegen ihrer Behinderung trotz entsprechender Buchung des Fluges von Moskau nach Düsseldorf zu der Internationalen Behindertenkonferenz am 8. Oktober 2012 von der Fluggesellschaft Air Berlin der Mitflug verweigert wurde (vergleiche Neues Deutschland vom 9. Oktober 2012), und inwieweit sieht sie auch mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention und diesbezüglichen EU-Verordnungen Handlungsbedarf? Die Gestaltung barrierefreier Mobilität für ältere sowie für behinderte und in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen hat für die Bundesregierung eine hohe Bedeutung. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich außerdem am Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen messen lassen. Zur Umsetzung des Übereinkommens hat die Bundesregierung mit Beteiligung der Verbände behinderter Menschen einen Aktionsplan entwickelt, der im Juni 2011 vom Bundeskabinett beschlossen wurde und gegenwärtig fortgeschrieben wird. Die europäische Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 regelt die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität. Gemäß Art. 3 dieser Verordnung darf sich ein Luftfahrtunternehmen nicht aus Gründen der Behinderung oder der eingeschränkten Mobilität des Fluggastes weigern, entweder eine Buchung für einen Flug ab oder zu einem unter die vorgenannte Verordnung fallenden Flughafen zu akzeptieren, oder einen behinderten Menschen oder eine Person mit eingeschränkter Mobilität auf einem solchen Flughafen an Bord zu nehmen, sofern die betreffende Person über einen gültigen Flugschein oder eine gültige Buchung verfügt. Die Erfüllung dieser Verpflichtung darf das ausführende Luftfahrtunternehmen gemäß Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 nur verweigern, um in internationalen, gemeinschaftlichen oder nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Sicherheitsanforderungen nachzukommen, oder wenn wegen der Größe des Luftfahrzeuges oder seiner Türen die Anbordnahme oder die Beförderung des behinderten Menschen oder der Person mit eingeschränkter Mobilität physisch unmöglich ist. Die Sicherheitsanforderungen für die Mitnahme von Passagieren mit Behinderungen sind in Anhang III EU-Operations (EU-OPS) der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 geregelt. EU-OPS 1.260 (Joint Aviation Regulation – Operations) schreibt vor, dass jedes Luftfahrtunternehmen ein Verfahren für den Transport von Passagieren mit eingeschränkter Mobilität festzulegen und dabei insbesondere auch die Notevakuierung des Luftfahrzeuges nach einer Notlandung zu berücksichtigen hat. Dabei sind Passagiere mit Behinderungen auf die Unterstützung durch eine Begleitperson oder die Kabinenbesatzung angewiesen. Aufgrund dessen kann es nötig werden, die Anzahl der mitzunehmenden Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu limitieren. Das Luftfahrt-Bundesamt ist nach § 46 a Luftverkehrszulassungsordnung, LuftVZO, die nationale Durchsetzungsstelle gemäß Art. 14 der Verordnung (EG) 1107/2006. Aufgrund dieser Zuständigkeit wird es prüfen, ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen das aus-führende Luftfahrtunternehmen Air Berlin eingeleitet wird. Das Luftfahrt-Bundesamt kann aufgrund der Kürze der Zeit den Sachverhalt noch nicht abschließend bewerten. II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 197. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 197. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2012 23793 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 23812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 197. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 197. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. Oktober 2012 23811